Europäisches, deutsches und internationales Kartellrecht: Festschrift für Dirk Schroeder 9783504386054

Lupenrein und hochkarätig! Die Festschrift aus Anlass des 65. Geburtstages von Dirk Schroeder. Unter der Herausgebersc

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German Pages 1033 [1034] Year 2018

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Europäisches, deutsches und internationales Kartellrecht: Festschrift für Dirk Schroeder
 9783504386054

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Europäisches, deutsches und internationales Kartellrecht Festschrift für Dirk Schroeder

EUROPÄISCHES, DEUTSCHES UND INTERNATIONALES KARTELLRECHT FESTSCHRIFT FÜR

DIRK SCHROEDER ZUM 65. GEBURTSTAG herausgegeben von

Juliane Kokott Petra Pohlmann Romina Polley

2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06050-3 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Am 21. November 2018 vollendet Dirk Schroeder sein 65. Lebensjahr. Wir freuen uns, ihm zu diesem Anlass zusammen mit zahlreichen seiner Kollegen, Weggenossen und Freunde eine Festschrift zu schenken. Dirk Schroeder wurde 1953 in Darmstadt geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Aachen und in Köln, der Stadt, der er bis heute eng verbunden ist, die er aber auch immer wieder verlassen hat, um ins Ausland zu gehen. Vor dem Abitur am Kölner Montessori-Gymnasium verbrachte er ein Austauschjahr in Moline, Illinois, USA. Zum Studium der Rechtswissenschaften von 1972 bis 1976 schrieb er sich an der Universität zu Köln ein. Dort hat ihn vor allem Heinz Hübner geprägt und sein Interesse am Wirtschaftsrecht geweckt. Bei ihm war er nach dem Examen im Jahr 1977 am Lehrstuhl tätig und unternahm erste Arbeiten an der Promotion. Die Referendarzeit von 1978 bis 1981 verbrachte Dirk Schroeder unter anderem bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und bei den Rechtsanwälten Funck-Brentano & Associés in Paris. Unmittelbar nach Abschluss des zweiten Staatsexamens im Jahr 1981 wurde Dirk Schroeder als Rechtsanwalt zugelassen und begann bei der – damals größten – deutschen Anwaltssozietät Boden Oppenhoff & Schneider in Köln. Ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes führte ihn von November 1981 bis ­Dezember 1982 jedoch zunächst einmal wieder an die Universität, und zwar an die École Nationale d’Administration in Paris, eine der Grandes Écoles, die heute in Straßburg beheimatet ist. In dieser Zeit war das Interesse am Kartellrecht bereits ausgeprägt; so verbrachte Dirk Schroeder Stagen bei der damaligen Commission de la concurrence und im Ministère de l’Économie, und zwar in der Direction de la Concurrence et de la consommation. 1983 wurde er in Köln mit einer Arbeit zu dem Thema Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem AGB-Gesetz und die Rechtsgeschäftslehre promoviert. Im selben Jahr kehrte er auch nach Köln zu Boden Oppenhoff & Schneider zurück. 1984/85 zog es ihn aber erneut, nun zur dritten beruflichen Station, nach Paris, wo er sechs Monate bei der Anwaltssozietät Gide Loyrette Nouel kartellrechtlich mit Dominique Voillemot arbeitete. Zurück bei Boden Oppenhoff & Schneider in Köln wurde er Mitte 1985, also mit 31 Jahren, zum Partner ernannt. Nach einigen Jahren in Köln kam Dirk Schroeder 1989 die verantwortungsvolle Aufgabe zu, das Brüsseler Büro von Boden, Oppenhoff, Rasor, Schneider & Schiedermair zu eröffnen – rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Europäischen Fusionskontrollverordnung im Jahr 1990. Die Brüsseler Dependance ging 1990 in dem gemeinsamen Brüsseler Büro der Alliance of European Lawyers, Boden De Bandt De Brauw Jeantet Lagerlöf & Uría, auf. Neun Jahre arbeitete und lebte Dirk Schroeder in Brüssel. Anfang 1998 kehrte er in das Kölner Büro zurück; 2001 wurde es Teil von Linklaters & Oppenhoff.

V

Vorwort

2003, also kurz vor seinem 50. Geburtstag, nahm Dirk Schroeder, anstatt über Mid­ life-Fragen zu grübeln, das Angebot von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton an, zusammen mit Romina Polley ein neues Kölner Büro für die bis dahin in Deutschland nur in Frankfurt ansässige Kanzlei zu eröffnen. Die neue Herausforderung reizte ihn, galt es doch, die deutsche Praxis dem internationalen Ruf der Kanzlei entsprechend auszubauen. Dass dies gelang, bedarf nicht der Erwähnung. Fachlich ist Dirk Schroeder seit der Brüsseler Zeit ab 1989 ausschließlich im europäischen Recht und im Kartellrecht tätig. So vertrat er Yves Rocher beim EuGH zu Fragen der Warenverkehrsfreiheit (1993) und die Europäische Kommission im Kartonkartellverfahren vor dem EuG und dem EuGH (1994-2000). Ein anglo-amerikanisches Konsortium vertrat er beim Erwerb der Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft ­Mibrag (1994) und Dow Chemical beim Erwerb eines Großteils der ostdeutschen Chemieindustrie (Buna, ab 1995) jeweils in fusionskontroll- und beihilferechtlichen Fragen. Für die Deutsche Post war er in Remailingverfahren bis zum BGH und EuGH aktiv und für die Mitglieder der International Post Corporation bei den REIMS-Endvergütungsvereinbarungen, wo er förmliche Freistellungsentscheidungen der Kommission erreichte (1999 und 2003). Im Ministererlaubnisverfahren E.ON/Ruhrgas vertrat er 2002 den Veräußerer BP; beim BGH plädierte er in den Fusionskontrollverfahren Axel Springer/ProSiebenSat.1 und Phonak/GN Store Nord. Den Kronzeugen Masco vertritt er im Badezimmerausstattungskartell (seit 2004) und den Aufzugsund Fahrtreppenhersteller Otis in Kartellschadensersatzprozessen (seit 2010). Im Bereich der EU-Fusionskontrolle sind schließlich die Vertretung von Baxter beim Erwerb von Gambro (2013) und von Dow Chemical bei dem Zusammenschluss mit DuPont (2016/17) zu nennen. Dirk Schroeder hat sich von Anfang an auch für die Belange der Anwaltschaft eingesetzt. Von 1988 bis 2018 war er Mitglied des Ausschusses Berufsrecht des Deutschen Anwaltvereins. Im Jahr 2000 wurde er in den Vorstand der Studienvereinigung Kartellrecht aufgenommen, einer Vereinigung von Rechtsanwälten, die den Informations- und Erfahrungsaustausch unter Kartellanwälten, mit den Kartellbehörden und -gerichten und der Wissenschaft zum Ziel hat. Hiermit ist auch eine Brücke geschlagen zu einer weiteren Seite von Dirk Schroeders beruflichen Aktivitäten. Bisher war die Rede von Dirk Schroeder als Rechtsanwalt. Ein mehrseitiges Veröffentlichungsverzeichnis, das mit Leichtigkeit mit demjenigen eines hauptamtlichen Hochschullehrers mithalten kann, zeigt uns Dirk Schroeder als Autor. Bereits während des Studiums fiel sein Talent auf: Beide Seminararbeiten wurden mit einem Preis der Kölner Fakultät ausgezeichnet, und schon im Studium veröffentlichte er seinen ersten Aufsatz zur Umgehung der Stimmrechtsbeschränkung bei Aktien in der Zeitschrift Der Betrieb. Sein wissenschaftliches Werk umfasst ein weites Spektrum. Charakteristisch ist, dass Dirk Schroeder mit seinen Veröffentlichungen immer am Puls der Zeit ist. Er analysiert mit Vorliebe Themen, die ganz neu sind und einer ersten Grundlegung bedürfen, wie etwa seine Beiträge zum more economic approach, zu den Kronzeugenregelungen und jüngst zum Rückgang der Wettbewerbsfälle in Luxemburg zeigen. Dirk Schroeder bringt zudem seine Erfahrungen und Kontakte seit 2003 als Mit­ herausgeber des Frankfurter Kommentars zum Kartellrecht und seit 2006 als Mit­ herausgeber der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb ein. VI

Vorwort

Auch in der Lehre engagiert sich Dirk Schroeder seit vielen Jahren. An der Universität Amsterdam hielt er von 1994 bis 2004 Vorlesungen zur Europäischen Fusionskontrolle, an seiner alma mater bringt er seit 1999 den Studierenden das Fusionskontrollrecht und die Regelungen zu wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen näher. Die Universität zu Köln verlieh ihm im Jahre 2003 den Titel eines Honorarprofessors. Und Dirk Schroeder als Mensch? Dirk Schroeders Herz schlägt für die Schönen Künste. Er wurde geprägt durch ein kreativ-künstlerisches Elternhaus, sein Vater war Architekt und seine Mutter Bildhauerin. Seine Interessen gelten der Oper, der modernen Musik und vor allem der modernen Malerei. Er sammelt insbesondere zeitgenössische amerikanische und britische Maler, die in Köln gewirkt haben, sowie Bilder des Cobra-Malers Pierre Alechinsky. Zu den Künsten zählt, jedenfalls aus Dirk Schroeders frankophiler Sicht, auch die Kochkunst. 2010 half er zusammen mit anderen dem Sternekoch Jean-Claude Bado, das legendäre Restaurant La Poêle d’Or wiederzueröffnen und bis 2015 zu betreiben, was die kulinarische Szene Kölns in dieser Zeit um eine erste Adresse bereicherte. Wir hoffen, Dirk Schroeder mit diesem Buch eine Lesefreude zu bereiten, die er als Weinkenner und -liebhaber bei einem Glas Wein genießen kann. Dem Verlag Dr. Otto Schmidt danken wir dafür, dass er die Erstellung dieser Festschrift übernommen hat. Uns bleibt, Dirk Schroeder, seiner Frau Birgitta Peters, seiner Tochter Elke und seinem Sohn Philipp und nicht zuletzt auch uns selbst zu wünschen, dass er noch viele Jahre sein Wirken fortsetzen möge. Juliane Kokott

Petra Pohlmann

Romina Polley

VII

Inhalt Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Astrid Ablasser-Neuhuber Zusammenspiel zwischen kartellrechtlicher und strafrechtlicher ­Kronzeugenregelung – Rennstrecke mit Schlaglöchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Katharina Apel Transatlantische Herausforderungen beim Schutz des Legal Professional ­Privilege in komplexen Fusionskontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Albrecht Bach Zum Begriff der Erforderlichkeit offenzulegender Beweismittel . . . . . . . . . . . 47 Stephan Barthelmess The Concept of Agreements and Concerted Practices in the Context of ­Resale Price Maintenance: Make Fit What Doesn’t Fit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Carl Baudenbacher Markt und Wettbewerb in der Rechtsprechung des EFTA- Gerichtshofs . . . . 77 Rainer Bechtold Kartell ist nicht gleich Kartell – Zur Indizwirkung von Bußgeld­ entscheidungen für den Schaden der Marktgegenseite und zur ­Bindungswirkung für den Schadensrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Sarah Beeston Competition Law and Sustainability Initiatives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Bettina Bergmann Zentralvermarktung von Medienrechten – der Fußball heiligt alle Mittel? . . 127 Joachim Bornkamm Kartellrechtliche Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen  – „Jette Joop“ revisited – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Ingo Brinker Die kartellrechtliche Selbstveranlagung – Erfahrungen, Defizite, ­Verbesserungspotential – Eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren VO 1/2003 151

IX

Inhalt

Jochen Burrichter Franz Böhm und der „Siebenjährige Krieg“ um die Verabschiedung des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 George S. Cary The European Commission’s Flawed Understanding of Innovation Concerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Wolfgang Deselaers Anscheinsbeweis für das Entstehen eines Schadens bei bloßem Informationsaustausch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Götz Drauz The Development of European Merger Control 1990-2017 – An Insiders’ View from a Distance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Meinrad Dreher Externe Kartellrechtscompliance durch Integritätsklauseln . . . . . . . . . . . . . . 231 Michael Esser Die Gefahr einer Umdeutung des Konditionenmissbrauchs zu einem allgemeinen Durchsetzungsinstrument des Bundeskartellamtes: Don Giovanni und Big Data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Andreas Fuchs Das Transaktionsvolumen als neue Aufgreifschwelle in der deutschen Fusionskontrolle – eine kritische Analyse von Konzeption und Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1a GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Rüdiger Harms Die einstweilige Verfügung auf Herausgabe einer wettbewerbsbehördlichen Entscheidung – Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB . . . . . . 295 Silke Heinz Relative Marktmacht und digitale Plattformen – gibt es plattformbedingte Abhängigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Franz Hoffet Die negative Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht als Abwehrmaßnahme im Kartellzivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Wolfgang Jaeger Einwirkungen des Kartellrechts in das Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Wolfgang Kirchhoff Marktabgrenzung bei Lebensmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

X

Inhalt

Martin Klusmann Komplementarität und Bewertungseinheit – Zur faktischen  Unverjährbarkeit kartellrechtlicher Verfolgungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . 387 Juliane Kokott und Daniel Dittert Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . 407 Tilman Kuhn Selected issues arising from the European Commission’s increasing reliance on internal documents in EU merger control proceedings – Time to rethink the architecture of the EU merger control process . . . . . . . . 415 Rainer P. Lademann Zum Einfluss von Handelsmarken auf Innovationen in vorgelagerten Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Johannes Laitenberger and Marc Zedler Making Merger Review Work . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Bernd Langeheine Überlegungen zur Verbesserung des Rechtsschutzes in der Europäischen Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Mark Leddy Piercing the Corporate Veil in Competition Cases . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Richard Lyal Selectivity for Martians – an Essay on Fiscal State Aid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Till Müller‑Ibold Antidumping and Competition Law – Common Origin, a Life of Their Own and Peaceful Coexistence? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Edurne Navarro Varona and Jaime Folguera Crespo Competition Law Infringements: Has the Application of the Parental Liability Doctrine Gone Too Far? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Konrad Ost „Einer trage des andern Last …“? – Die Unternehmenssanktion  zwischen gesellschaftsrechtlichem Organregress und kartellrechtlichem Sanktionszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Henrik Peytz The impact of EU law – Danish examples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Rupprecht Podszun Außerwettbewerbliche Interessen im Kartellrecht und ihre Grenzen . . . . . . 613 Petra Pohlmann Algorithmen als Kartellverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 XI

Inhalt

Romina Polley Auswirkungen der 9. GWB-Novelle auf den Zusammenschlussbegriff . . . . . 657 Axel Reidlinger Auflagen in der Zusammenschlusskontrolle in kleinen ­EU- Mitgliedstaaten am Beispiel Österreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Burkhard Richter und Peter Niggemann Preisalgorithmen, Informationsaustausch und Signaling – Kartellrechtliche Herausforderungen im Online-Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Wulf-Henning Roth Zur Aktivlegitimation im deutschen Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 Franz Jürgen Säcker Die Anpassung von Energielieferverträgen an durch die Energiewende veränderte Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 Ulrich Schwalbe Algorithmen, maschinelles Lernen und kollusives Verhalten . . . . . . . . . . . . . 739 Daniela Seeliger Nachlese zur Ministererlaubnis EDEKA/Tengelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777 Mario Siragusa and Giulio Cesare Rizza Disapplication of National Law Conflicting with EU Competition Rules: the Italian Competition Authority’s Decision-Making Practice . . . . . . . . . . . 799 Kurt Stockmann Zur Sanktionierung schwerer Kartellverstöße natürlicher Personen . . . . . . . 811 Romano Subiotto A Single Interpretation Of The “Single Concentration” Concept . . . . . . . . . . 829 John Temple Lang Implementing the EU Directive on national competition authorities . . . . . . 845 Stefan Thomas Die gesamtschuldnerische Haftung von Kronzeugen nach der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855 Markus Wagemann Bieter- und Liefergemeinschaften – aktuelle Aspekte der Bewertung nach § 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 Bernard van de Walle de Ghelcke Economic reasoning before the European Union Courts in  competition law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887

XII

Inhalt

Hartmut Weyer Zum Normzweck des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB . . . . . . . . . . . . . . 915 Gerhard Wiedemann Zur Anwendbarkeit der EG-Fusionskontroll-VO auf die ­Gründung von Gemeinschaftsunternehmen – ­Anmerkungen zum Austria Asphalt-Urteil des EuGH vom 7.9.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943 Antoine Winckler How Still is Standstill? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 Hanno Wollmann Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach Wettbewerbsverstößen – Ein Modellvergleich zwischen Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . 979 Daniel Zimmer Algorithmen, Kartellrecht und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 Veröffentlichungsverzeichnis Dirk Schroeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009

XIII

Autorenverzeichnis Ablasser-Neuhuber, Astrid Dr., MMag., Rechtsanwältin und Partnerin, bpv Hügel Rechtsanwälte, Wien Apel, Katharina Dr., LL.M. (Harvard), Dipl.-Volkswirtin, Rechtsanwältin, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Köln Bach, Albrecht Dr., Rechtsanwalt und Partner, Oppenländer Rechtsanwälte, Stuttgart, Honorarprofessor an der Universität Mannheim Barthelmess, Stephan Dr., Rechtsanwalt und Senior Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Brüssel Baudenbacher, Carl Dr. iur. Dr. rer. pol. h.c., Präsident des EFTA-Gerichtshofs a.D., Universitäts­ professor, University of St. Gallen HSG, Monckton Chambers, London Bechtold, Rainer Dr., Rechtsanwalt, bis 2013 Partner von Gleiss Lutz, Stuttgart, Honorarprofessor an der Universität Würzburg Beeston, Sarah Advocaat, Solicitor und Partner, Van Doorne, Amsterdam Bergmann, Bettina Dr., Rechtsanwältin, Bergmann Law, Köln Bornkamm, Joachim Dr. iur., Dr. iur. h.c. (St. Gallen), Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br. Brinker, Ingo Dr., LL.M. (Chicago), Rechtsanwalt und Partner, Gleiss Lutz, München/Brüssel Burrichter, Jochen Rechtsanwalt, Düsseldorf, bis 2016 Partner von Hengeler Mueller, Düsseldorf

XV

Autorenverzeichnis

Cary, George S. Attorney at Law und Partner, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Washington, D.C. Deselaers, Wolfgang Dr., Rechtsanwalt und Partner, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Köln/ Brüssel Dittert, Daniel Dr., Professor, Licencié en droit (Paris II – Panthéon-Assas), Rechtsreferent am Gerichtshof der Europäischen Union Drauz, Götz Rechtsanwalt und Senior Competition Counsel, Sullivan & Cromwell LLP, Brüssel, davor Partner bei Howrey und Wilson Sonsini Goodrich & Rosati, ­Direktor der Merger Task Force (1995-2003) und stv. Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission (2004-2005) Dreher, Meinrad Dr., LL.M. (Pennsylvania), Universitätsprofessor, Inhaber des Lehrstuhls für ­Europarecht, Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, ­Rechts­vergleichung der Universität Mainz, Richter des Verfassungsgerichtshofs ­Rheinland-Pfalz Esser, Michael J. Dr., Rechtsanwalt und Partner, Latham & Watkins LLP, Düsseldorf/Brüssel Folguera Crespo, Jaime Abogado und Partner, Uría Menéndez, Madrid Fuchs, Andreas Dr., LL.M. (Michigan), Universitätsprofessor, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Osnabrück, Richter am OLG Celle a.D. Harms, Rüdiger Rechtsanwalt und Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Köln Heinz, Silke LL.M. (Brügge), Rechtsanwältin und Partnerin, Heinz & Zagrosek Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Köln Hoffet, Franz Dr., Rechtsanwalt und Partner, Homburger AG, Zürich XVI

Autorenverzeichnis

Jaeger, Wolfgang Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a.D., Düsseldorf Kirchhoff, Wolfgang Dr., Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der ­Universität Bonn Klusmann, Martin Dr., Rechtsanwalt und Partner, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Düsseldorf Kokott, Juliane Dr., LL.M. (Am. Univ.), S.J.D. (Harvard), Universitätsprofessorin, General­ anwältin am Gerichtshof der Europäischen Union Kuhn, Tilman Dr., Rechtsanwalt und Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Köln Lademann, Rainer P. Dr., Geschäftsführender Gesellschafter, Lademann & Associates GmbH ­Economists and Competition Consultants, Honorarprofessor an der Georg-­ August-­Universität Göttingen Laitenberger, Johannes Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission Langeheine, Bernd Dr., Rechtsanwalt und Senior Consultant, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton, Köln/Brüssel, ehem. stv. Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission Leddy, Mark Attorney at Law und Senior Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Washington, D.C., Antitrust Division of the US Department of Justice (1972–1986) Lyal, Richard Mitglied des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission Müller-Ibold, Till Dr., LL.M. (Miami), Rechtsanwalt und Senior Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Brüssel

XVII

Autorenverzeichnis

Navarro Varona, Edurne Dr., LL.M. (Ann Arbor, Michigan), Abogada und Partner, Uría Menéndez, Brüssel Niggemann, Peter Dr., LL.M. (Georgetown), Rechtsanwalt und Partner, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Düsseldorf Ost, Konrad Dr., LL.M. (Cambridge), Vizepräsident des Bundeskartellamts, Bonn, Honorarprofessor an der Universität Bonn Peytz, Henrik MBA (Insead), Advokat und Partner, Nielsen Nørager Law Firm LLP, Kopenhagen Podszun, Rupprecht Dr., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Universität Düsseldorf und Affiliated Research Fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München Pohlmann, Petra Dr., Universitätsprofessorin, Direktorin des Institus für Internationales Wirtschaftsrecht der Universität Münster Polley, Romina Dr., LL.M. (New York), Rechtsanwältin und Partnerin, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Köln Reidlinger, Axel Dr., Mag., LL.M. (Brügge), Rechtsanwalt und Partner, Reidlinger Schatzmann Rechtsanwälte, Wien Richter, Burkhard Dr., Rechtsanwalt, Mülheim an der Ruhr, bis 2016 Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Düsseldorf Rizza, Giulio Cesare LL.M. (Berkeley), Avvocato und Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Rom, Rechtsreferent am Gerichtshof der Europäischen Union (1997-2001), Vorsitzender der Ständigen Delegation des CCBE bei den Gerichten in Luxemburg (PD Lux)

XVIII

Autorenverzeichnis

Roth, Wulf-Henning Dr., LL.M. (Harvard), Universitätsprofessor (em.), Direktor des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn Säcker, Franz Jürgen Dr. iur. Dr. rer. pol. Dres. h.c., Universitätsprofessor (em.) an der Freien ­Universität Berlin, Richter am Kammergericht Berlin a.D., geschäftsführender Direktor des Instituts für Energie- und Regulierungsrecht Berlin, akademischer Direktor des Masterstudiengangs „European and International Energy Law“ der Technischen Universität Berlin Schwalbe, Ulrich Dr., Universitätsprofessor, Inhaber des Lehrstuhls für Mikroökonomik der Universität Hohenheim, Stuttgart Seeliger, Daniela Dr., LL.M. (London), Rechtsanwältin und Partnerin, Linklaters LLP, Düsseldorf, Honorarprofessorin an der Universität Halle-Wittenberg Siragusa, Mario LL.M. (Harvard), Avvocato und Senior Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Rom, Professor am Europakolleg, Brügge Stockmann, Kurt Dr., Vizepräsident des Bundeskartellamts a.D., Berlin, Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin Subiotto, Romano QC, Avocat, Bruxelles, Solicitor-Advocate, England & Wales, Member of the Court of Arbitration for Sport, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Brüssel Temple Lang, John Dr., Solicitor, Professor am Trinity College Dublin, Senior Visiting Research Fellow in Oxford, ehem. Direktor der Generaldirektion Wettbewerb der ­Europäischen Kommission (1988-2000), Consultant bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Brüssel (2000-2016) Thomas, Stefan Dr., Universitätsprofessor, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, ­Handels- und Wirtschaftsrecht, Wettbewerbs- und Versicherungsrecht, Eberhard Karls Universität Tübingen Wagemann, Markus Dr., Direktor beim Bundeskartellamt, Bonn XIX

Autorenverzeichnis

van de Walle de Ghelcke, Bernard Advocaat und Of Counsel, Linklaters LLP, Brüssel, Professor (em.) am Europakolleg, Brügge Weyer, Hartmut Dr., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Berg- und Energierecht der Technischen Universität Clausthal Wiedemann, Gerhard Dr., Rechtsanwalt und Of Counsel, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, ­Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Rostock Winckler, Antoine LL.M., Avocat und Partner, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, Brüssel, Maître de conférences an der Sciences Po Law School, Paris Wollmann, Hanno Dr., Mag., LL.M. (Exeter), MA (London), Rechtsanwalt und Partner, Schönherr Rechtsanwälte, Wien Zedler, Marc Dr., LL.M. (Georgetown), Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission Zimmer, Daniel Dr., LL.M. (Los Angeles), Universitätsprofessor, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, ehem. Vorsitzender der Monopolkommission (2012-2016)

XX

Astrid Ablasser-Neuhuber

Zusammenspiel zwischen kartellrechtlicher und strafrechtlicher Kronzeugenregelung – Rennstrecke mit Schlaglöchern

I. Einführung

II. Problemaufriss 1. Anwendungsfälle 2. Fragestellungen aus der Praxis III. Funktionsweise einer parallelen ­Kronzeugenregelung im Kartell- und Strafrecht – Darstellung anhand des Modells Österreich 1. § 209b StPO – Rücktritt von der Verfolgung im Zusammenhang mit einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung 2. § 209a StPO – Rücktritt von der ­Verfolgung im Zusammenhang mit ­anderen Straftaten IV. Persönlicher Anwendungsbereich – Wer soll erfasst sein? 1. Mögliche Regelungskonzepte 2. Das österreichische Modell 3. Ableitungen



V. Sachlicher Anwendungsbereich – ­Welche Delikte sind erfasst? 1. Mögliche Regelungskonzepte 2. Das österreichische Modell 3. Ableitungen

VI. Zeitlicher Anwendungsbereich – Ab und (bis) zu welchem Zeitpunkt kann die Regelung in Anspruch ­genommen werden? 1. Mögliche Regelungskonzepte 2. Das österreichische Modell a) Bis zu welchem Zeitpunkt kann § 209b StPO (noch) in Anspruch genommen werden? b) Ab welchem Zeitpunkt kommt § 209b StPO frühestens zur ­Anwendung? 3. Ableitungen VII. Fazit

I. Einführung Wer kennt sie nicht, die Lust des Jubilars an der Lösung aktueller Rechtsfragen und insbesondere daran, seine Gesprächspartner mit neuen Ansätzen zu verblüffen  – speisen sich seine Überlegungen doch häufig aus Urteilen und Gesetzesmaterialien, die manchmal erst wenige Stunden alt sind. Der vorliegende Beitrag wird sich daher ebenfalls mit neuen Rechtsfragen auseinandersetzen. Aus Sicht der österreichischen Praxis bietet sich hier ein Thema an, bei dem Österreich eine gewisse Vorreiterrolle1 einnimmt, und zwar durch die Schaffung einer speziell auf das kartellrechtliche Kronzeugenprogramm zugeschnittenen Parallelregelung im allgemeinen Strafrecht bzw. Strafprozessrecht.

1 Peter Matousek/Natalie Harsdorf, „Das Neue reizt“, ecolex 2017, 384, 387.

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Die betreffende Regelung wurde ursprünglich 2011 in Gestalt des § 209b StPO2 eingeführt und vor kurzem verlängert.3 Sie hat durch die Herausgabe eines „Handbuches zur Kronzeugenregelung“4 durch das Bundesministerium für Justiz im Jahr 2017 sowie insbesondere aufgrund erster Anwendungsfälle neue Aktualität und erstmals praktische Relevanz erfahren. Dass das Thema zunehmend an Bedeutung erlangt, zeigt auch die (zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Festschrift (noch) im Gesetzwerdungsprozess befindliche) Richtlinie „zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften“ (RL ECN+).5 In deren Art. 23 ist ausdrücklich eine Regelung vorgesehen, die das Zusammenspiel zwischen kartellrechtlichem und strafrechtlichem Kronzeugenprogramm verbessern soll.6 Wie im Titel des Beitrags bereits angedeutet, birgt dieses Zusammenspiel aber jedenfalls Risiken, die sich im Rennen um den Kronzeugenstatus als wahre Schlaglöcher erweisen können. Der vorliegende Beitrag wird  – aus der Perspektive des Kartellrechts – einige dieser Themen aufzeigen und anhand der österreichischen Regelung und mit Ausblick auf die geplante Bestimmung in Art. 23 RL ECN+ näher beleuchten.

II. Problemaufriss Im Allgemeinen ist das Zusammenspiel von Kartellrecht und Strafrecht immer dann von Bedeutung, wenn ein und dasselbe Verhalten gleichzeitig kartellrechtliche und strafrechtliche Verbotstatbestände erfüllt. Der Anreiz kartellrechtlicher Kronzeugenregelungen für Unternehmen wird aber dann torpediert, wenn ein Risiko strafrechtlicher Verfolgung besteht, und Organe und Mitarbeiter, die am kartellrechtlichen Kronzeugenantrag mitwirken – ja oft über diesen sogar entscheiden sollen – strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind. In Österreich wird die Problematik dadurch verschärft, dass Behörden und Gerichte, einschließlich der mit dem Kartellrechtsvollzug befassten Institutionen,7 nach § 78 StPO 2 BGBl. I 2010/108. 3 BGBl. I 2016/121. 4 Bundesministerium für Justiz, Handbuch, §§ 209a, 209b StPO in der Fassung des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes II 2016, abrufbar unter https://www.iz.gv.at/web2013/file/­2c94 848a580590360159b0e49b46031b.de.0/handbuch_zur_kronzeugen-regelung.pdf. 5 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council to empower the competition authorities of the Member States to be more effective enforcers and to ensure the proper functioning of the internal market, 2017/0063 (COD), Stand 14.6.2018. 6 Vgl. Peter Matousek/Natalie Harsdorf, „Das Neue reizt“, ecolex 2017, 387, die Autoren gehen davon aus, dass die österreichische Regelung aufgrund ihrer Einzigartigkeit auch als Vorbild für Art. 23 der RL ECN+ dient. 7 Das sind in Österreich insbesondere die Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“, die weisungsfrei für Ermittlung und Aufgriff von Verstößen zuständig ist), der Bundeskartell­anwalt („BKAnw“ – ein beim Justizministerium eingerichtetes Organ des Kartellrechtsvollzuges, das wie die BWB das Recht hat, Fälle aufzugreifen und vor das Kartellgericht zu bringen) und die beim OLG Wien und beim OGH eingerichtete Kartellgericht und Kartellobergericht.

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dazu verpflichtet sind, ihnen bekannt gewordene Straftaten den Strafbehörden zu melden. Dies gilt auch für Straftaten, die sich etwa aus einem Kronzeugenantrag ergeben. Auch ist entsprechenden Amtshilfeersuchen z.B. der Staatsanwaltschaft an das Kartellgericht auf Übermittlung von Unterlagen nachzukommen.8 Dieses Risiko führt häufig dazu, dass im Zweifel Kronzeugenanträge gar nicht erst gestellt werden, und löste nicht nur bei Unternehmen und ihren Beratern, sondern auch bei der Behörde9 den Wunsch aus, Mitarbeiter von Kronzeugenunternehmen vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. 1. Anwendungsfälle Der in diesem Kontext in der (österreichischen sowie deutschen) Praxis wohl wichtigste Anwendungsfall für paralleles Vorgehen von Kartell- und Strafbehörde ist der sogenannte Submissionsbetrug, also eine verbotene Absprache der Bieter über die in einem Vergabeverfahren zu legenden Angebote. Dieses Verhalten wird in Österreich und Deutschland gemäß § 168b StGB bzw. § 298 dStGB strafrechtlich sanktioniert und stellt aufgrund der Absprache zugleich einen Verstoß gegen das Kartellverbot dar. Ein weiterer Anwendungsfall (jedenfalls aus der Perspektive des österreichischen und deutschen Strafrechts) ist der in §§ 146 ff. StGB bzw. § 263 dStGB normierte Betrugstatbestand, der ebenfalls in Form einer nach Kartellrecht zu sanktionierenden Absprache verwirklicht sein kann. Daneben kommen aber auch andere Delikte wie etwa Untreue (§ 153 StGB bzw. § 266 dStGB) in Frage. Die strafrechtliche Sanktion richtet sich in erster Linie gegen die beteiligten natürlichen Personen, wobei in Österreich gemäß Verbandsverantwortlichkeitsgesetz10 auch juristische Personen strafrechtlich sanktioniert werden können. 2. Fragestellungen aus der Praxis Welches sind nun die relevanten Fragestellungen, wenn – so wie in Österreich und gemäß Art. 23 des Vorschlags zur RL ECN+ – eine parallele Regelung im Strafrecht den oben genannten Problemen Rechnung tragen soll? Grob zusammengefasst geht es darum, wer von der parallelen Kronzeugenregelung profitieren kann, welche Delikte jeweils von der strafrechtlichen Privilegierung mitumfasst sind, und insbesondere zu welchem Zeitpunkt eine Inanspruchnahme bzw. ein Profitieren von der Regelung (noch) möglich ist. Diese Fragen betreffen auch die rechtliche Ausgestaltung und deren Handhabung bei  parallelen Ermittlungsschritten von Wettbewerbsbehörde und Staatsanwaltschaft. Neben diesen Kernfragen entscheiden auch noch weitere Punkte über Erfolg oder Misserfolg einer parallelen Regelung, nämlich (z.B.) zahlreiche prozessuale Fragen wie Akteneinsicht, Verneh 8 Vgl. KOG 16 Ok 3/10 v. 22.6.2010, Aufzugskartell III. 9 Vgl. http://derstandard.at/1242316233778/Wenn-Kronzeugen-als-Betrueger-verurteilt-­wer​ den. 10 Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – VbVG), BGBl. I 2005/151, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 26/2016.

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mung als Beschuldigter oder als Zeuge, Rechtsschutz generell sowie Schadenersatz. Letztere Themen werden im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht mitbehandelt, da sie den Umfang sprengen würden. Vorab sei noch angemerkt, dass es aus Sicht der Praxis nicht nur darauf ankommt, die Regelungen so zu gestalten, dass sie rechtsrichtig ineinander greifen, sondern vor allem, dass sie auf die Anreizsituation der Betroffenen und auf realistische Szenarien, unter denen ein Kronzeugenantrag für Unternehmen und Betroffene überhaupt in Betracht kommt, abstellen.

III. Funktionsweise einer parallelen Kronzeugenregelung im Kartellund Strafrecht – Darstellung anhand des Modells Österreich 1. § 209b StPO – Rücktritt von der Verfolgung im Zusammenhang mit einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung Um sich den oben dargestellten Fragestellungen zu nähern, wird zunächst die Funktionsweise des österreichischen Modells kurz umrissen und im Rahmen ihrer Diskussion weiter kritisch vertieft. Die österreichische Regelung sieht  – vereinfacht gesagt  – die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Mitarbeiter eines im Kartellverfahren kooperierenden Unternehmens vor. Voraussetzungen ist, dass dem Unternehmen im Rahmen des kartellrechtlichen Kronzeugenprogrammes entweder ein vollständiger oder teilweiser Erlass des Bußgeldes gewährt wird11 und der Beitrag des Unternehmens (nicht des einzelnen Mitarbeiters12) so bedeutend ist, dass es – nach Beurteilung des BKAnws – „unverhältnismäßig“ wäre, die Mitarbeiter zu bestrafen.13 11 Vgl. auch Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.2.1, 26: „Vorgehen der BWB nach § 11 Abs. 3 und 4 WettbG [Anm: aufgrund der Novelle zum KartG und WettbG (KaWeRÄG 2017, BGBl. I Nr. 56/2017), nunmehr § 11b Abs. 1 und 2 WettbG] oder der Europäischen Kommission oder anderen Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten nach deren Kronzeugenprogramm.“; kein taugliches Vorgehen nach § 209b StPO ist hingegen der Fall eines „no-action-letters“, also das gemäß § 11b Abs. 4 WettbG mitgeteilte Absehen von der Verhängung einer Geldbuße, da es sich hier um eine bloße Nichterledigung des Verfahrens handelt. 12 Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.3, 28; Reidlinger, Die Kronzeugenregelung im Kartellstrafrecht, ZWF 2017, 1, 4; a.A. Veronika Hofinger, Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Jänner 2015, Endbericht  – Kronzeugenregelung  – Eine erste Studie über den Probebetrieb in Österreich, zur Sammlung von Erfahrungswerten und Wünschen der Praxis sowie zur Erstellung von Grundlagen für ein Handbuch („Hofinger, Endbericht Kronzeugenregelung“), abrufbar unter https://www.irks.at/assets/irks/Publikationen/For​ schungsbericht/Endbericht_Kronzeugen​regelung.pdf. 13 Vgl. Haudum in Haudum, Kronzeugen im Straf- und Kartellrecht (2013) S. 111; Schroll in Fuchs/Ratz, WK StPO § 209a Rz. 21. Noch vor der Verlängerung der Kronzeugenregelung gab es Stimmen, die aus dem Anklagegrundsatz herauszulesen ­vermeinten, dass auch der Staatsanwalt selbst eine eigene unabhängige Anscheinsprüfung vorzunehmen hätte, ob Bei-

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Der Staatsanwalt, dem bei dieser Beurteilung kein eigenes Ermessen zukommt, hat in einem solchen Fall das Strafverfahren nach Verständigung durch den BKAnw einzustellen, und zwar gegen all jene Mitarbeiter, die sich bereit erklärt haben, Staatsanwaltschaft und Gericht ihr „gesamtes Wissen über die eigenen Taten und andere Tatsachen, die für die Aufklärung der durch die Zuwiderhandlung begangenen Straftaten von entscheidender Bedeutung sind, zu offenbaren“. Die Einstellung steht allerdings unter dem Vorbehalt des Widerrufs uidF Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 209b Abs. 2 StPO verweist hier auf die allgemeine strafrechtliche Kronzeugenregelung in § 209a Abs. 5 und 6 StPO), falls die betreffenden Mitarbeiter ihre Verpflichtung zur Zusammenarbeit verletzen, die übermittelten Informationen oder Unterlagen falsch waren, nur zur Verschleierung eigener Taten dienten oder wesentliche Tatsachen verschwiegen wurden. Dass, wie in der allgemeinen Regelung nach § 209a Abs. 5 Z 2 StPO vorgesehen, – bei sonstigem Widerruf – auch der individuelle Beitrag des betreffenden Mitarbeiters die umfassende Aufklärung von Straftaten über den eigenen Tatbeitrag hinaus „wesentlich […] fördern muss“,14 kann nach der hier vertretenen Auffassung hingegen im Rahmen von § 209b StPO nicht zu einer Wiederaufnahme führen, da § 209b StPO grundsätzlich nicht auf den individuellen Beitrag einzelner Mitarbeiter abstellt.15 2. § 209a StPO – Rücktritt von der Verfolgung im Zusammenhang mit anderen Straftaten Ein wesentlicher Beitrag zum Funktionieren des auf kartellrechtliche Sachverhalte zugeschnittenen § 209b StPO kommt der 2011 zeitgleich eingeführten allgemeinen strafrechtlichen Kronzeugenregelung in § 209a StPO zu, da diese in bestimmten Fällen einen Auffangtatbestand darstellt und damit nicht nur geeignet ist, unbillige ­Ergebnisse zu vermeiden, die sich im Zusammenhang mit den Besonderheiten des Kartellverfahrens ergeben können, sondern auch indirekt den Anreiz zur Inanspruchnahme der Kronzeugenregelungen in Kartellsachen zu erhöhen. trag des jeweiligen Mitarbeiters tatsächlich als Ermittlungshilfe erfolgreich war. Es ist davon auszugehen, dass derlei Ungewissheiten vor Herausgabe des Handbuches dazu geführt haben, dass die Regelung die ursprünglich beabsichtigten Wirkungen, nämlich eine Erleichterung von Aussagen von Mitarbeitern im Kartellverfahren, nicht bewirkt hat. Kann doch der Einzelne häufig in keinster Weise beurteilen, wie erfolgreich sein Beitrag letztlich sein wird. Noch dazu, da er i.d.R. vom Vorgehen des Unternehmens im Kartellverfahren abhängig ist. 14 Vgl. § 209a Abs. 5 Z 2 StPO der als Wideraufnahmegrund das Fehlen eines „wesentlichen Beitrages“ i.S.v. § 209a Abs. 1 StPO vorsieht. Im Rahmen von 209a StPO muss der Beitrag des Betreffenden als Ermittlungshilfe „erfolgreich gewesen“ sein (was im Übrigen auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten etwa von Haudum in Haudum, Kronzeugen im Straf- und Kartellrecht (2013) S.  112, kritisiert wird. Im Übrigen wird aber auch §  209a StPO so verstanden, dass nur dann kein erfolgreicher Beitrag vorgelegen hat, wenn die ­betreffenden Angaben nicht einmal unterstützend herangezogen werden konnten, vgl. Schroll in Fuchs/Ratz, WK StPO § 209a Rz. 62 (Stand 1.6.2016, rdb.at). 15 So wohl auch Reidlinger, Die Kronzeugenregelung im Kartellstrafrecht, ZWF 2017, 1, 4, der hier außer dem Verschweigen bzw. der Übermittlung falscher Informationen keine weiteren Gründe für einen Widerruf nennt.

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Anwendungsfälle ergeben sich etwa dann, wenn das Straf-, nicht aber das Kartellverfahren fortgeführt wird; wenn neben den von §  209b StPO erfassten Tatbeständen weitere nicht abgedeckte Begleitdelikte (z.B. Kickback-Zahlungen) verwirklicht wurden, oder auch in den Fällen, in denen das Unternehmen selbst keinen Kronzeugenantrag stellen will (oder kann) und die Mitarbeiter dann auf eigene Initiative § 209a StPO in Anspruch nehmen. Letztendlich kann § 209a StPO vor allem auch von Mitarbeitern von (im Kartellverfahren) zwar kooperierenden, aber letztlich nicht erfolgreichen Kronzeugenunternehmen genutzt werden. In diesen Fällen ist neben zahlreichen weiteren Anforderungen im Rahmen des § 209a StPO ein aktives Herantreten des Mitarbeiters an die Staatsanwaltschaft erforderlich.

IV. Persönlicher Anwendungsbereich – Wer soll erfasst sein? 1. Mögliche Regelungskonzepte Um die Anreizsituation für eine Kooperation in Kartellsachen sicherzustellen, muss der Adressatenkreis der strafrechtlichen Regelung so ausgestaltet sein, dass grundsätzlich all jene natürlichen Personen davon profitieren können, die sich im Zuge einer Kartellabsprache strafbar gemacht haben und für die das Unternehmen haftet. Der Adressatenkreis kann dabei durch verschiedene Parameter abgesteckt werden. Erfasst sein können dabei entweder ȤȤ nur jene Mitarbeiter, die tatsächlich an der Erstellung des Kronzeugenantrages im kartellrechtlichen Verfahren mitgewirkt haben oder auch jene, bei denen zwar Kooperationsbereitschaft besteht, diese aber schlicht nicht in Anspruch genommen werden musste (z.B., weil die Inhalte durch schriftliche Dokumente abgedeckt waren). ȤȤ nur Mitarbeiter des ersten Kronzeugen oder auch Mitarbeiter von Unternehmen, die lediglich für eine Reduzierung der Geldbuße in Frage kommen. ȤȤ nur Mitarbeiter des in die Absprache involvierten Unternehmens, oder – z.B. im Fall einer Bieterabsprache  – auch Mitwirkende auf Seiten des Auftraggebers, da sich diese im Wege der Beteiligung ebenfalls eines Verstoßes gegen § 168b StGB schuldig machen können. Schließlich schränkt auch die Frage, welche Delikte mitabgedeckt werden, den Adressatenkreis ein. 2. Das österreichische Modell Der österreichische Gesetzgeber hat sich für einen grundsätzlich als weit zu bezeichnenden Adressatenkreis entschieden. Erfasst sind all jene Personen, die als Organe oder Mitarbeiter des im Kartellverfahren kooperierenden Unternehmens zugleich mit dem Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften auch eine gerichtlich strafbare Handlung verwirklicht haben. Die Stellung des Mitarbeiters im Unternehmen ist dabei irrelevant: Es kann sich sowohl um freie Mitarbeiter, (reguläre) Arbeitnehmer 6

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oder auch Vorstände und Aufsichtsräte handeln (i.F. vereinfacht „Mitarbeiter“).16 Da Unternehmen u.U. auch für ihre Handelsvertreter haften,17 wäre es im Übrigen konsequent, auch diese in den Schutz des § 209b StPO einzubeziehen. Handelsvertreter sind derzeit vom Wortlaut des §  209b StPO allerdings nicht erfasst. Nicht verlangt wird nach der österreichischen Regelung, dass die Mitarbeiterstellung im Zeitpunkt der Ermittlungen noch aufrecht ist, auch ehemalige Mitarbeiter sind also erfasst.18 Zu folgenden Fragen besteht aber (noch) Diskussionsbedarf: ȤȤ Zur Frage des eigenen Beitrags des Mitarbeiters im Kartellverfahren So bestehen zunächst Auslegungsfragen, ob es für die Privilegierung des § 209b StPO auf die jeweilige Rolle des Mitarbeiters im Kartellverfahren ankommt. In der kartellrechtlichen Literatur wird hier teilweise vertreten, dass es irrelevant sei, ob und wenn ja in welchen Ausmaß eine Kooperation erfolgt ist, da § 209b StPO so gelesen wird, dass der BKAnw keine Möglichkeit habe, zwischen den Mitarbeitern zu differenzieren. Deshalb wird die Regelung manchmal auch als „zweite Chance“19 für Mitarbeiter bezeichnet, die selbst dann unter den Voraussetzungen des § 209b StPO straffrei bleiben können, wenn sie sich gegenüber der BWB nicht kooperativ verhalten haben, sie aber in der Folge mit der StA kooperieren. In der strafrechtlichen Literatur20 wird dies hingegen kritisch gesehen. Ausgehend von Sinn und Zweck des § 209b StPO, wonach ein Anreiz zur Aufklärung geboten werden soll, wird vertreten, dass nur diejenigen von § 209b StPO profitieren können, die auch tatsächlich an der Aufklärung mitgewirkt haben. Dem ist auch aus kartellrechtlicher Sicht einiges abzugewinnen. Die Regelung des § 209b StPO soll ja ursprünglich zur Unterstützung des kartellrechtlichen Verfahrens dienen. Aus Unternehmenssicht ist bei der oben genannten Lesart im Hinblick auf eine „zweite Chance“ nämlich auch die interne Aufklärung erschwert – da durch die fehlende Kooperation eines Mitarbeiters im Kartellverfahren der Mehrwert und damit die Chance auf eine Geldbußenminderung oder sogar auf vollständigen Geld­ bußenerlass beeinträchtigt bzw. sogar vernichtet werden kann; und zwar obwohl der betreffende Sachverhalt dann dennoch sowohl im Strafverfahren als auch im Kartellverfahren gegen das Unternehmen verwendet wird. Zu beachten ist allerdings auch, dass der betreffende Mitarbeiter durch ein solches Verhalten auch seine eigenen Chancen auf § 209b StPO mindert, da es ja für die Beurteilung, ob § 209b StPO zur Anwendung kommt oder nicht, auf den Beitrag des Unternehmens im Kartellverfahren ankommt. Da der Beitrag des Unternehmens letztlich ja im Wesentlichen die Summe der Beiträge der einzelnen Mitarbeiter ist, liegt es also auch im Interesse des einzelnen Mitarbeiters, diesen Beitrag möglichst zu maximieren. 16 Schroll in Fuchs/Ratz, WK StPO § 209b Rz. 10 (Stand 1.6.2016, rdb.at). 17 Vgl. Rs T-418/10, Urteil des Gerichts v. 15.7.2015 — voestalpine und voestalpine Wire Rod Austria/Kommission. 18 Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.2, 25. 19 Reidlinger, Die Kronzeugenregelung im Kartellstrafrecht, ZWF 2017, 1, 4. 20 Vgl. Haudum in Haudum, Kronzeugen im Straf- und Kartellrecht (2013), Rücktritt von der Verfolgung bei kartellrechtlichen Zuwiderhandlungen gemäß § 209b, S. 102.

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In der Praxis sind derlei Konstellationen im Übrigen noch nicht bekannt geworden. Es empfiehlt sich aufgrund der Unsicherheit, ob für die Anwendung von § 209b StPO eine Mitwirkung des betreffenden Mitarbeiters im Kartellverfahren erforderlich ist, als Arbeitgeber jedenfalls sämtliche Mitarbeiter über § 209b StPO und die damit verbundenen Anforderungen entsprechend aufzuklären. Auch ist zu überlegen, ob es dann auch aufgrund der Fürsorgepflicht21 des Arbeitgebers sogar geboten ist, sämtlichen Mitarbeitern anzubieten, am Kartellverfahren mitwirken. ȤȤ Zur Frage der Rolle des Unternehmens im Kartellverfahren Eine in der Praxis sehr relevante Frage ist, ob nur Mitarbeiter von Unternehmen nach §  209b StPO privilegiert werden können, die Angestellte oder Organe des ersten Kronzeugen sind, oder auch jene eines Unternehmens, das im Kartellverfahren nur eine Bußgeldminderung erreicht. Der Gesetzestext des §  209b StPO nimmt hier nicht auf das im kartellrechtlichen Kronzeugenprogramm vorgesehene „Wettrennen“ Bezug. Nach dem Gesetzestext ist es daher auch möglich, dass der BKAnw Mitarbeiter solcher Unternehmen „freistellt“, die zwar einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung eines Kartellrechtsverstoßes geleistet, sich aber nur mehr für eine Reduzierung der Buße qualifiziert haben. Kernfrage ist hier, ob das Gewicht des jeweiligen Beitrages zeitlich chronologisch nach seinem Einlangen bei der Behörde zu bemessen ist. Die Verwendung des Wortes „Mehrwert“ sowie die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Zusammenarbeit im Handbuch22 deutet grundsätzlich auf diese Lesart durch den BKAnw hin. Zwingend erscheint dies aber nicht, insbesondere nicht aus Sicht des Kartellverfahrens. Dort würde nämlich auch dann, wenn die Mitarbeiter straffrei bleiben, nach wie vor der Druck auf die Unternehmen bestehen, möglichst rasch an der Aufklärung mitzuwirken. Die Mitarbeiter, die bei diesem Prozess in der Regel nicht das Steuer in der Hand haben, wären entsprechend auch nicht von diesem Risiko betroffen. Auch von Behördenseite, und zwar sowohl im Kartell- als auch im Strafverfahren, ist die Mitarbeit bzw. Aussagebereitschaft möglichst vieler Personen von Vorteil. Dazu kommt, dass auch das Unternehmen selbst zum Zeitpunkt der Einbringung des Kronzeugenantrags i.d.R. nicht beurteilen kann, wie viel an Information bereits bei der BWB vorliegt. So kann der Beitrag materiell sehr groß sein, aber aufgrund der zeitlichen Abfolge nicht zu einem Erlass oder einer Reduzierung im kartellgerichtlichen Verfahren führen, weil die Behörde bereits aus anderer Quelle Beweismittel hat. Auch wurde in den erläuternden Bemerkungen23 zum Gesetzentwurf selbst festgehalten, dass – unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge – der Mehrwert der Informati-

21 Vgl. etwa § 18 AngG, § 1157 ABGB, zur Thematik AN und „internal Investigations“ s. auch Michael Lindtner, Zum Aussageverweigerungsrecht im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen, ecolex 2018, 31 ff. 22 Handbuch Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.3, 28. 23 EBRV 1300 BlgNR. 25. GP, 13.

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onen und Beweismittel steigt, je schwerer die Rechtsgutsbeeinträchtigung und damit das Allgemeininteresse an der Aufklärung der Straftat wiegen.24 ȤȤ Mitarbeiter von Nichtkronzeugen-Unternehmen Wie oben erwähnt, stellt sich auch die Frage, inwiefern Mitarbeiter von Unternehmen von der Regelung des §  209b StPO erfasst sein sollen, die zwar an der Absprache, nicht aber an der Kooperation mit den Behörden beteiligt sind. Einen weiteren Fall bilden Mitarbeiter von Wettbewerbern, die zwar nicht in die Absprache involviert waren, die aber als sogenannte Trittbrettfahrer u.U. tatbestandsmäßig nach §  168b StGB handeln können. In der strafrechtlichen Literatur wird dazu vertreten, dass auch derjenige tatbestandsmäßig handelt, der in bloßer Kenntnis einer Absprache selbst ein Angebot abgibt, die Absprache also zu seinen Gunsten nutzt, indem er höher als geplant anbietet, aber eben doch niedriger als derjenige Bieter, der nach der Absprache zum Zug kommen soll.25 Und schließlich können Mitarbeiter auf Seiten des Auftraggebers involviert sein (etwa weil sie bestochen wurden) und sich daher über die strafrechtlichen Beteiligungsregeln selbst eines Verstoßes gegen § 168b StGB schuldig machen.26 Der österreichische Gesetzgeber hat sich in diesem Punkt für eine restriktive Regelung entschieden. Von der speziellen Regelung des § 209b StPO können nur Mitarbeiter von Unternehmen profitieren, die auch einen (erfolgreichen) Kronzeugenantrag (auf Bußgelderlass oder Reduzierung) bei der Behörde gestellt haben. Wie oben dargelegt, kommt in diesen Fällen aber die Auffangfunktion von § 209a StPO zur Anwendung. Sollte ein Kronzeugenantrag nicht erfolgreich sein, ist es den betreffenden Mitarbeitern durch aktives Herantreten an die Staatsanwaltschaft möglich, selbst einen Antrag nach § 209a StPO zu stellen. Im Handbuch wird hierzu ausdrücklich festgehalten, dass dann für die Beurteilung des Beitrags des betreffenden Mitarbeiters auf den Zeitpunkt der Mitarbeit im kartellgerichtlichen Verfahren abgestellt wird.27 Allerdings ergeben sich hier Schwierigkeiten. Problematisch nach der derzeitigen Handhabung ist in diesem Zusammenhang, dass Mitarbeiter i.d.R. erst nach sehr langer Zeit wissen, ob ihr Unternehmen erfolgreich im kartellrechtlichen Kronzeugenverfahren war, weshalb sie im Hinblick auf die zusätzlichen Erfordernisse des §  209a StPO Zeit verlieren. Vor allem aber ist bei Inanspruchnahme von § 209b StPO häufig 24 Haudum in Haudum, Kronzeugen im Straf- und Kartellrecht (2013) S. 109. 25 Zeder in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch, S. 33, Rz. 87. 26 Was die Situation von Mitarbeitern auf Seiten des Auftraggebers anlangt, ist zunächst aus der Perspektive des Kartellrechts zu sagen, dass auch der Auftraggeber grundsätzlich einen Kronzeugenantrag stellen kann. Dies deshalb, weil der Auftraggeber schon aufgrund der AC-Treuhand-Rechtsprechung (AC-Treuhand I,  EuG v. 8.7.2008  – T-99/04, AC-Treuhand II, EuGH v. 22.9.2015 – C-194/14 ) in einer Situation, in der er an der Absprache über Mitarbeiter mitgewirkt hat, für einen Verstoß gegen Kartellrecht grundsätzlich haften kann. Sonst würden Auftraggeber und Nachfrager, die Unternehmen sind, nicht für ihre Mitarbeiter haften, während dies bei Unternehmen, die ihre Leistungen am Markt anbieten, sehr wohl der Fall wäre. 27 Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.2.2, 27.

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der Beitrag des betreffenden einzelnen Mitarbeiters nicht scharf von den Beiträgen anderer Mitarbeiter abgrenzbar. In Verfahren nach § 209a StPO ist dies jedoch erforderlich, da hier nicht (gesamthaft) auf das Unternehmen als solches geblickt wird. Es empfiehlt sich daher auch im Kartellverfahren aus Sicht der Mitarbeiter zu dokumentieren, welche Beiträge im Einzelnen geliefert wurden. 3. Ableitungen Aus Sicht der Praxis und vor dem Hintergrund der ersten Anwendungsfälle ist jedenfalls einer Lösung der Vorzug zu geben, die nicht nur auf eine Privilegierung der Mitarbeit des ersten Kronzeugen abstellt. So kann zwar das Unternehmen i.d.R. vor Stellung eines Kronzeugenantrags Auskunft der Behörde darüber erhalten, ob schon ein Kronzeugenantrag vorliegt, dies ist aber für das zunächst unternehmensinterne Ermittlungsverfahren nicht unbedingt relevant. Bei Beginn der internen Ermittlung, auf die häufig erst die Entscheidung über einen Kronzeugenantrag folgt, liegt diese Information u.U. noch gar nicht vor, da zu diesem Zeitpunkt üblicherweise erst mit der Befragung der Mitarbeiter begonnen wird. Sieht die Regelung nun vor, dass grundsätzlich nur Mitarbeiter des ersten Kronzeugen in Frage kommen, wird das Instrument seiner Wirkung beraubt. Darüber hinaus kann eine Privilegierung nur des ersten Kronzeugen auch insgesamt zu unbilligen Ergebnissen führen, da an den ersten Kronzeugen regelmäßig geringere Anforderungen gestellt werden als an die nachfolgenden Unternehmen, die besonders auf die Darlegung eines Mehrwertes angewiesen sind. Die Mitarbeiter „späterer“ Kronzeugen setzen sich u.U. daher sogar in höherem Ausmaß einer strafrechtlichen Verfolgung aus, hätten dabei aber keine Chancen auf Straffreiheit. Der Vorschlag zur RL ECN+ enthält zu dieser Frage eine auffällige Diskrepanz zwischen den Erwägungsgründen und dem eigentlichen Richtlinientext. So hält Erwägungsgrund 66 in seinem letzten Satz fest, dass eine strafrechtliche Privilegierung von Mitarbeitern auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn lediglich ein Antrag auf Reduktion der Geldbuße gestellt wurde. Art. 23 der RL ECN+ hingegen erwähnt die Privilegierung lediglich im Zusammenhang mit einem Antrag auf Erlass der Geldbuße. Zwar könnte dieser Fall von Art. 23 Abs. 3 erfasst sein, dennoch wäre eine Klarstellung im Richtlinientext – im Sinne einer Mindestharmonisierung – zweckmäßig.

V. Sachlicher Anwendungsbereich – Welche Delikte sind erfasst? 1. Mögliche Regelungskonzepte Von entscheidender Bedeutung für die Zweckmäßigkeit und das Funktionieren einer parallelen strafrechtlichen Kronzeugenregelung ist naturgemäß, welche strafrechtlichen Delikte von ihr erfasst werden. Auch hier gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten. Erfasst sein können Delikte ȤȤ die durch die kartellrechtliche Zuwiderhandlung selbst (gleichsam in Idealkonkurrenz), also in Tateinheit begangen werden (idente Handlung), 10

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ȤȤ die denselben Zielen wie die kartellrechtlichen Vorschriften dienen (identes Schutzziel), ȤȤ die häufig zugleich oder im Zusammenhang mit Kartellabsprachen begangen werden, also etwa Bestechung, Geschenkannahme durch Machthaber (zu denken ist z.B. an „Kick-back“-Zahlungen, etc.), diverse Urkunden- und Finanzdelikte. Im Folgenden werden die relevanten Themen wiederum anhand der österreichischen Rechtslage umrissen. 2. Das österreichische Modell ȤȤ Delikte, die durch ein und dieselbe Tathandlung erfasst sein können § 209b StPO umfasst nach den erläuternden Bemerkungen (nur) solche Straftaten, die durch die kartellrechtliche Zuwiderhandlung selbst begangen wurden.28 Damit sind jedenfalls Submissionsabsprachen und Betrug erfasst,29 die auch bereits in den erläuternden Bemerkungen zu § 209b StPO explizit genannt werden.30 Erwähnt sei aber, dass sich auch aus dem Submissionstatbestand selbst interessante Abgrenzungsfragen ergeben, die sich letztendlich auf die Frage auswirken, wer in den privilegierten Kreis mitaufgenommen werden kann.31 Abgesehen von den ohnehin evidenten Tatbeständen kommen aber durchaus auch andere Straftatbestände in Frage, die u.U. durch dieselben (gegen Kartellrecht verstoßenden) Tathandlungen verwirklicht werden können. Delikte, die zumindest theoretisch mitverwirklicht werden können, sind vor allem Untreue (§  153 StPO), sowie § 292c StPO, der unzulässige Bieterabsprachen bei exekutiven Versteigerungsverfahren verbietet.

28 Vgl. EBRV 918 BlgNR. 24. GP, 14 sowie statt vieler Leitner/Ulrich in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 209b Rz. 1. 29 Auf die Frage, ob jeweils beide Tatbestände (Betrug und Submissionsabsprache) nach der jeweiligen Rechtsordnung verwirklicht sein können, oder sich diese gegenseitig ausschließen, muss in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Sinnvollerweise ist eine strafrechtliche Kronzeugenregelung nämlich jedenfalls so zu fassen, dass beide Tatbestände davon abgedeckt sind. 30 EBRV 918 BlgNR. 24. GP 15, S. 12. 31 So können etwa von § 168b StGB auch Täter erfasst sein, die nicht an einem Kartellverstoß persönlich beteiligt sind. In der öster. strafrechtlichen Literatur zu § 168b StGB wird z.B. diskutiert, ob auch sogenannte Trittbrettfahrer unter den Tatbestand des § 168b StGB fallen können. Dies wären Mitarbeiter von Wettbewerbern, die zwar von der Absprache Kenntnis erlangen, an ihr allerdings nicht beteiligt sind, aber in Kenntnis der bestehenden Absprache ein Angebot abgeben, vgl. etwa Zeder in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch, S.  33, Rz.  87. Auch Fragen der Beteiligung stellen sich. So können Mitarbeiter aufseiten des Auftraggebers als Beteiligte ebenfalls § 168b StGB verwirklichen. Eine Möglichkeit zur Kooperation nach §  209b StPO ergibt sich hier in der Regel nicht, da nur in seltenen Fällen Konstellationen eintreten, in denen der Auftraggeber selbst in der Lage ist, einen Kronzeugenantrag nach dem WettbG zu stellen.

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Soweit ersichtlich gibt es in Österreich bis dato keine klare Aussage zur Frage, ob der Untreuetatbestand durch eine Kartellabsprache verwirklicht sein kann. Von einzelnen Staatsanwälten wird informell die Auffassung vertreten, dass derjenige Mitarbeiter, der den Zuschlag wie abgesprochen einem anderen „überlässt“, „untreu“ gegenüber dem von ihm vertretenen Unternehmen handelt. Nach der hier vertretenen Auffassung bestehen zunächst ohnehin gewichtige Argumente gegen eine Verwirklichung von §  153 StGB durch eine Kartellabsprache. So fehlt es bereits am Erfordernis der Wissentlichkeit. Außerdem setzt der Tatbestand der Untreue einen Vermögensschaden, also einen effektiven Verlust an Vermögenssubstanz,32 voraus. Ein solcher kann bei der bloßen Aussicht auf Zuschlagserteilung wohl noch nicht vorliegen. Die Einladung zur Angebotslegung stellt für das betroffene Unternehmen noch keinen effektiven wirtschaftlichen Vermögenswert dar.33 Sollten Gerichte dennoch zu einer anderen Auffassung gelangen, ist aber auch der Untreuetatbestand jedenfalls von § 209b StPO mitabgedeckt, da nach dem Wortlaut des § 209b Abs. 1 StPO Delikte erfasst sein sollen, die in Tateinheit begangen werden,34 was auch durch die erläuternden Bemerkungen bestätigt wird.35 Dasselbe muss für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 292c StGB gelten, sofern sie auf einem der kartellrechtlichen Kronzeugenregelung zugänglichen Kartellverstoß beruht. ȤȤ Delikte, die dasselbe Schutzziel verfolgen Im Gegensatz zur österreichischen Regelung wird beispielsweise im Rahmen des Vorschlags des Art. 23 RL ECN+ auf einen überwiegend identen Schutzzweck abgestellt,36 also darauf, dass die in Frage stehenden strafrechtlichen Verbotstatbestände überwiegend denselben Zielen wie das Kartellverbot in Art. 101 AEUV dienen. In den Erwägungsgründen37 wird als Beispiel lediglich „bid-rigging“, also Submissionsabsprachen erwähnt. Abgesehen davon, dass ein Abstellen auf das Schutzziel bei zahlreichen Tatbeständen schon von vorne herein Auslegungsschwierigkeiten und damit große Unsicherheiten zur Folge hat, kann es bei Submissionsabsprachen sogar zu unerwünschten Ergebnissen führen. Kartellrechtliche Vorschriften zielen vor allem auf den Schutz des Wettbewerbs ab, während bei Submissionsabsprachen als Schutzziel auch die öffentliche Auftragsvergabe in Frage kommt. Dies zeigt sich etwa an der Diskussion, ob § 168b StGB auch dann verwirklicht ist, wenn Mitarbeiter oder gar Organe des Auftraggebers an der Absprache (ggf. gegen „Kick-back“-Zahlungen) mitgewirkt haben und 32 Huber in Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016) Rz. 4.67. 33 Kirchbacher/Presslauer in Höpfel/Ratz, WK2 StPO § 153 Rz. 38 2. Aufl. (2009). 34 Arg.:  „wegen einer durch eine solche Zuwiderhandlung begangenen Straftat“. 35 EBRV 918 BLGNR. 24. GP, „Straftaten, die durch kartellrechtliche Zuwiderhandlung selbst … begangen wurden“. 36 Vg. Art. 23 Abs. 1 “for violations of national laws that pursue predominantly the same objectives to those pursued by Article 101 TFEU”. 37 Erw 66 zum Vorschlag zur RL 2017/0063 (COD).

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man in der kartellrechtlichen Debatte darüber diskutieren kann, ob eine Absprache auf Wunsch des Kunden überhaupt einen Kartellverstoß darstellt.38 Beim Betrug stehen demgegenüber Vermögensschaden und Täuschungshandlung im Vordergrund. Bei Untreue ist i.d.R. überhaupt von einem anderen Schutzzweck auszugehen. Ohne weiter in die strafrechtliche Diskussion einsteigen zu wollen, ist aus der Perspektive des Kartellrechts anzumerken, dass eine parallele Kronzeugenregelung im Strafrecht jedenfalls nur dann sinnvoll angewendet werden kann, wenn sie an die einheitliche Tathandlung anknüpft, nicht an den Schutzzweck der jeweiligen Normen. ȤȤ Delikte, die häufig oder typischerweise im Zusammenhang mit Kartellabsprachen stehen Als Delikte, die des Öfteren im Zusammenhang mit Kartellabsprachen vorkommen, sind Bestechung und Bestechlichkeit (§ 304 StGB, § 334 dStGB),39 etwa in Form von „Kick-back“-Zahlungen, dadurch verwirklichte Untreue auf Seiten des Auftraggebers  sowie Urkunden- und diverse Finanzdelikte (§  223 StGB, §  267 dStGB) (z.B. ­Ausstellen von Scheinrechnungen, daran anschließend Bilanzfälschung, unrichtige Rechnungslegung) zu nennen. In Bezug auf klassische Begleitdelikte ist es eine Frage des Maximierungsanreizes, ob diese auch von einer parallelen Kronzeugenregelung mitumfasst sein sollen. Will man den Anreiz erhöhen und (realistische) typische Szenarien „einfangen“, so ist dies jedenfalls sinnvoll, auch wenn die Eingrenzung miterfasster Delikte mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte. In Österreich ist die Frage der (Mit-)Erfassung von Begleitdelikten insofern entschärft, als es mit § 209a StPO eine allgemeine Kronzeugenregelung gibt und betroffene Mitarbeiter (wenn auch unter strengeren Voraussetzungen) gleichzeitig einen Antrag nach allgemeinem Strafrecht stellen können. Dennoch ist in der Praxis zu beobachten, dass die mit der allgemeinen strafrechtlichen Regelung verbundenen Unsicherheiten auch im Kartellverfahren zu Hindernissen führt. In den Erläuternden Bemerkungen zur Einführung des § 209b StPO wird jedenfalls klargestellt, dass Erpressung und Nötigung, die im Zusammenhang mit Kartellfällen ebenfalls vorkommen können, nicht mitumfasst sind. Dies erscheint konsequent, zumal Unternehmen, die ein anderes Unternehmen zur Teilnahme an dem Kartell gezwungen haben, gar nicht erst von der Kronzeugenregelung nach österreichischem oder europäischem Recht profitieren können.

38 Kommt man kartellrechtlich zu dem Schluss, dass kein Kartellverstoß vorliegt, kann auch kein Kronzeugenantrag gestellt werden, § 168b StGB ist aber aufgrund der sich teilweise nicht unbedingt überlappenden Schutzziele (so soll § 168b StGB auch den (vor allem) öffentlichen Auftraggeber schützen) unter Umständen dennoch verwirklicht – § 209b StPO wiederum kann dann nicht in Anspruch genommen werden. 39 In Bezug auf den Bestochenen ist zu beachten, dass eine eventuelle Beteiligung an § 168b StGB durch § 304 StGB konsumiert sein kann.

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3. Ableitungen Ein Abstellen auf den Schutzzweck erscheint nicht zweckmäßig und führt aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten aus Sicht betroffener Unternehmen eher zu einer Abschreckung als zu einem Anreiz für eine Kooperation. Der derzeit vorliegende Vorschlag für die Regelung in Art. 23 RL ECN+ ist daher kritisch zu sehen. Er schränkt nämlich die Privilegierung dahingehend ein, als nur Verstöße gegen jene Gesetze umfasst sein sollen, die vorwiegend dieselben oder ähnliche Ziele wie Art. 101 AEUV verfolgen. Wie bereits oben erläutert, sind die jeweils definierten Ziele aber nicht immer eindeutig bestimmbar und kann auch die Abgrenzung, wann nun „Überwiegen“ („predominantly“) eines bestimmten Zieles vorliegt, Probleme bereiten. Auch vor dem Hintergrund der Vielzahl an Zielen, die mit Verbotsgesetzen verfolgt werden können, scheint ein Abstellen auf das Schutzziel als entscheidendes Kriterium für die Frage, welche Delikte von einer parallelen Kronzeugenregelung im Strafrecht umfasst sein sollen, nicht geeignet. Somit ist eindeutig einer Regelung, die auf die Tateinheit abstellt, der Vorzug zu geben. Dadurch würde ein viel höheres Maß an Rechtssicherheit erreicht. Auch werden dadurch die betroffenen Mitarbeiter (auf deren Kooperation ein Unternehmen, das eine kartellrechtliche Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen will, ja angewiesen ist) besser vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt, was sich wiederum positiv auf die Effektivität kartellrechtlicher Kronzeugenprogramme auswirkt. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte die strafrechtliche Kronzeugenregelung daher auch typische Begleitdelikte – wenn sie aus Anlass eines Kartellverstoßes begangen werden – (allenfalls unter weiteren Kooperationsvoraussetzungen) abdecken. Positiv zu vermerken ist, dass die RL ECN+ zudem auch einen Schutz nicht „nur“ vor strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen, sondern auch vor in „nicht­ strafrechtlichen“ Gerichtsverfahren verhängten Sanktionen verlangt.

VI. Zeitlicher Anwendungsbereich – Ab und (bis) zu welchem Zeitpunkt kann die Regelung in Anspruch genommen werden? 1. Mögliche Regelungskonzepte In der Praxis höchst relevant ist die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Inanspruchnahme einer strafrechtlichen Kronzeugenregelung (noch) möglich ist. In Betracht kommen Regelungen ȤȤ wonach die Inanspruchnahme der strafrechtlichen Kronzeugenregelung zur Gänze der Inanspruchnahme der kartellrechtlichen Kronzeugenregelung nachgelagert sein muss bzw. noch keine strafrechtlichen Ermittlungen stattgefunden haben dürfen und die Mitarbeiter de facto erst aufgrund der kartellrechtlichen Ermittlungshandlungen auf die Verfolgung der Verstöße aufmerksam werden; oder

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ȤȤ die lediglich darauf abstellen, ob die Staatsanwaltschaft bereits Beweise in Händen hat, um die Straftaten selbst zu verfolgen. Innerhalb dieser letzten Variante gibt es Abstufungen – vom Vorliegen eines bloßen „Anfangsverdachts“ bis hin zur „Anklagereife“. Daneben ist für die Betroffenen naturgemäß auch relevant, ab wann sie das strafrechtliche Kronzeugenprogramm in Anspruch nehmen können – insbesondere inwieweit dieses vom zeitlichen Ablauf des kartellrechtlichen Kronzeugenprogrammes abhängt und wie mit parallelen Ermittlungen umzugehen ist. 2. Das österreichische Modell Der Wortlaut des § 209b StPO enthält zunächst überhaupt keine expliziten Vorgaben zur Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Inanspruchnahme noch möglich ist. Auch für die Frage, ab wann § 209b StPO angewendet wird, bestimmt dieser nur, dass ein „Vorgehen“ der Wettbewerbsbehörde nach dem jeweiligen Kronzeugenprogramm vorausgesetzt ist, dh es muss bereits ein kartellrechtlicher Kronzeugenantrag gestellt worden sein. a) Bis zu welchem Zeitpunkt kann § 209b StPO (noch) in Anspruch genommen werden? Die österreichische Regelung setzt zunächst nicht voraus, dass die Betroffenen erst durch die kartellrechtlichen Ermittlungen von der Verfolgung Kenntnis erlangen. Auch bereits vor dem kartellrechtlichen Kronzeugenantrag erfolgte Ermittlungen, und zwar sowohl der Kartell- als auch der Strafbehörden, schließen die Anwendung von § 209b StPO nicht aus („Auf die Rechtzeitigkeit kommt es nicht an“).40 § 209b Abs. 1 StPO stellt allerdings darauf ab, dass eine strafrechtliche Verfolgung „im Hinblick auf das Gewicht des Beitrags zur Aufklärung“ unverhältnismäßig ist. Daraus kann indirekt geschlossen werden, dass § 209b StPO dann ausscheidet, wenn bereits so viel Beweismaterial vorliegt, dass ein gewichtiger Beitrag zur Aufklärung nicht mehr geleistet werden kann. Nach dem Gesetzestext ist Maßstab für die Frage der Verhältnismäßigkeit der strafrechtlichen Verfolgung der Beitrag des Unternehmens im Kartellverfahren. Auch das Handbuch, das hier teilweise an den Bericht des Justizausschusses („JAB“)41

40 Vgl. Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.2.2, 26 f.; im Übrigen so die einhellige Meinung der Kommentatoren zu § 209b StPO etwa Schroll in Fuchs/Ratz, WK StPO §  209b Rz.  4 (Stand 1.6.2016, rdb.at); Fabrizy, StPO(2012) §  209b Rz.  3; Leitner/Ulrich in Schmölzer/Mühlbacher, StPO Strafprozessordnung: Kommentar (2013) § 209b Rz. 7; Reidlinger, Die Kronzeugenregelung im Kartellstrafrecht, ZWF 2017, 1, 5. 41 JAB sKp, 1009, BlgNR. 24. GP, 3. Der JAB scheint hier allerdings – nach der hier vertretenen Auffassung zumindest missverständlich – an den „entscheidenden Beitrag“ im Sinne des Abs. 2 anzuknüpfen. Missverständlich deshalb, weil es für den Rücktritt von der Verfolgung nach einhelliger Auffassung (so auch der JAB an anderer Stelle) auf den Beitrag des Unternehmens insgesamt und nicht auf individuelle Beiträge einzelner Mitarbeiter ankommt. Abs. 2 bezieht sich aber grundsätzlich auf die individuellen Pflichten der Mitarbeiter. Auch

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zur Einführung von §  209b StPO im Jahre 2011 anknüpft, nimmt auf den Aufklärungsbeitrag des Unternehmens Bezug.42 aa) Rechtzeitigkeit aus Sicht des Kartellverfahrens – „Mehrwert“? Wie bereits oben unter IV.2. ausgeführt, nimmt § 209b StPO nicht auf das im kartellrechtlichen Kronzeugenprogramm vorgesehene „Wettrennen“ Bezug. Dem Handbuch zufolge bemisst sich das „Gewicht des Aufklärungsbeitrages“ und somit die Frage, bis wann § 209b StPO noch in Anspruch genommen werden kann, „insbesondere“ nach dem „Mehrwert der Informationen“, dem „Ausmaß der Kooperation mit der BWB“ und dem „Zeitpunkt der Zusammenarbeit“. Ein strenges, nach zeitlichem Einlangen der Beiträge gestaffeltes Regime wie im kartellrechtlichen Kronzeugenprogramm ist im Handbuch aber nicht vorgesehen. Das bedeutet – in Übereinstimmung mit dem Gesetzestext –, dass jedenfalls nicht nur die Mitarbeiter des ersten Kronzeugen von § 209b StPO profitieren können. Zur Zweckmäßigkeit dieses Ansatzes s. bereits oben IV.3. bb) Rechtzeitigkeit aus Sicht des Strafverfahrens – „verdichteter Verdacht“ Dem Handbuch zufolge ist ein Rücktritt von der Verfolgung nach § 209b StPO dann „weitgehend“ ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund vorheriger oder paralleler Ermittlungen bereits einen „verdichteten Verdacht“ hatte, noch bevor der Kronzeugenantrag gestellt wurde.43 Das Handbuch geht hier davon aus, dass es dann „in der Regel“ auch im Kartellverfahren an einem gewichtigen Beitrag fehlen wird. Dies erscheint konsequent, da Ermittlungsergebnisse, die anderen Behörden bereits (gesichert) vorliegen, idR im Rahmen des kartellrechtlichen Kornzeugenprogramms keinen Mehrwert darstellen.44 Die Frage ist nun, wann ein „verdichteter Verdacht“ vorliegt. Bei dem durch den JAB sowie im Handbuch verwendeten Begriff handelt es sich nämlich nicht um einen terminus technicus i.e.S., auch wenn der Begriff sowohl in der strafrechtlichen als auch verwaltungsrechtlichen Judikatur ab und an vorkommt. Aufgrund der geringen Anwendungspraxis des § 209b StPO existiert jedenfalls zur Auslegung dieses Begriffs im hier wäre es aber denkbar (und vom Telos her folgerichtig), die Wortfolge „entscheidender Beitrag“ in Abs. 2 „kollektiv“ auf den Unternehmensbeitrag zu beziehen. 42 Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.3, 27. 43 Ibid. 44 Zu beachten ist allerdings, dass es für die Frage, ob ein „Mehrwert“ vorliegt, nicht allein auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem Behörden bestimmte Informationen vorliegen. Vielmehr gibt es hier verschiedenste Abstufungen. So kann der BWB oder auch dem Staatsanwalt zwar eine bestimmte Information bereits vorliegen, der Mehrwert aber auch darin bestehen, dass diese durch eine zweite (Zeugen-)Aussage bestätigt und damit erst „gerichtsfest“ wird. Auch die systematische Aufarbeitung bereits vorliegender (unstrukturierter) Informationen, die der BWB oder der Staatsanwaltschaft die Aufklärung, die Durchführung weiterer Ermittlungsschritte und letztlich die gerichtliche Sanktionierung erleichtern, kann einen relevanten Mehrwert darstellen.

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gegebenen Zusammenhang keine Rechtsprechung. Soweit ersichtlich gibt es dazu nicht einmal Lehrmeinungen. Eine Annäherung kann daher nur unter Rückschluss ausgehend von anderen Vorgaben in § 209b StPO erfolgen. So besteht Einigkeit darüber, dass es unerheblich ist, ob die StA wegen des Verdachts bereits ein Verfahren eingeleitet hat.45 Daraus folgt, dass das Vorliegen eines bloßen „Anfangsverdachts“ jedenfalls keinen „verdichteten Verdacht“ darstellen kann. Umgekehrt wird § 209b StPO bei „Anklagereife“ i.d.R. ausscheiden. Der „verdichtete Verdacht“ liegt also qualitativ zwischen diesen beiden Begriffen. Aus der (spärlichen) Verwendung des Begriffs in früheren Entscheidungen (allerdings in anderem Zusammenhang)46 ergeben sich Hinweise darauf, dass damit jedenfalls auch kein „dringender Tatverdacht“ gemeint ist,47 und erst bei Vorliegen erheblicher Beweise48 von einem „verdichteten Verdacht“ auszugehen ist. cc) Sonderthema: parallele Ermittlungen Wie bereits die Diskussion zum Thema verdichteter Verdacht zeigt, ergeben sich im Hinblick auf die Handhabung der strafrechtlichen Parallelregelung Sonderthemen, wenn entweder bereits vor Stellung des Kronzeugenantrages Ermittlungen der Strafbehörde erfolgt sind, oder diese zumindest parallel laufen sollen (was eben häufig aus ermittlungstaktischen Gründen der Fall ist). Der BKAnw kann nämlich i.d.R. erst zu einem fortgeschrittenen Stadium der Ermittlungen der BWB wissen, ob der Beitrag des Unternehmens so groß ist, dass die strafrechtliche Verfolgung einzelner Mitarbeiter unverhältnismäßig wäre. Dies macht zwei im Gesetz (leider) nicht geregelte praktische Maßnahmen notwendig: ȤȤ Zum einen ist es notwendig, im Zuge der Ermittlungen neu auftauchende Informationen (solche Informationen können sich gerade bei umfangreichen Kartellabsprachen etwa aus den Vernehmungen durch den Staatsanwalt ergeben) jedenfalls zuerst bei der BWB bekannt zu geben. Ansonsten könnte sich der Verdacht beim Staatsanwalt „verdichten“, bevor die relevante Information der BWB bekannt ist, was wiederum rein formell die Chancen für ein Vorgehen nach §  209b StPO schmälern könnte. In der Praxis bedeutet dies (in umfangreichen Fällen) eine enorme Herausforderung für den Vernommenen und seinen Rechtsbeistand, da de facto während lau45 JAB zu BGBl. 2010/108: 1009 BlgNR. 24. GP, 3. 46 Weswegen insgesamt von einer eingeschränkten Interpretationswirkung ausgegangen werden muss. 47 Vgl. etwa OGH 15 Os 111/98, S 2, dort ist die Rede davon, dass ein dringender Tatverdacht „zu einem Schuldspruch verdichteter Verdacht“ wurde; so auch in OGH 11 Os 88/93, S 3 „der im Verfahren erster Instanz zu einem – nicht rechtskräftigen – Schuldspruch verdichtete Verdacht“. 48 Vgl. etwa OGH 11 Os 48/15s, S 15, wo von einem verdichteten Verdacht die Rede ist, nachdem zwei Einbrüchen zugeordnetes Diebesgut im Fahrzeug des Beschuldigten aufgefunden wurde. Oder OGH 6 Ob 693/82, S 2, wo von einem „nicht zur völligen Gewissheit verdichteten Verdacht“ die Rede ist.

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fender Vernehmung permanent überprüft werden muss, ob die betreffende Information bereits bei der BWB bekannt gegeben wurde.49 Ist dies nicht der Fall, muss entweder eine Unterbrechung beantragt (die nach den bisherigen Erfahrungen mit der Handhabung des parallelen Verfahrens i.d.R. gewährt wird) oder im äußersten Notfall sogar (vorläufig) die Aussage verweigert werden, um die entsprechende Information zunächst der BWB mitzuteilen. Diese – für alle Beteiligten unbefriedigende – Rechtslage könnte im Übrigen leicht aufgelöst werden, indem Aussagen kooperationswilliger Mitarbeiter von Kronzeugenunternehmen bei der Staatsanwaltschaft auch für die Kooperation bei der BWB angerechnet werden. ȤȤ Zum anderen sollte der Staatsanwalt mit dem Abschluss der Ermittlungen (also mit der Entscheidung über Einstellung oder Anklageerhebung) zuwarten, bis der BKAnw seine Prüfung abgeschlossen hat. Dies wurde im Handbuch auch so festgehalten („sollte“) und wird nach ersten Erfahrungen von der Staatsanwaltschaft auch so gehandhabt. Aus Beschuldigtensicht wäre aber eine klare Reglung über ein solches Zuwarten sowie zum genauen zeitlichen Ablauf wünschenswert. Nach derzeitiger Rechtslage bleibt dem Beschuldigten – will er Rechtssicherheit – nämlich nur die Wahl, die Zusammenarbeit mit dem Staatsanwalt solange zu verweigern, bis der BKAnw seine Prüfung der Voraussetzungen des § 209b StPO abgeschlossen hat50 oder bei der Staatsanwaltschaft mit einem Geständnis in Vorlage zu treten, ohne darüber Sicherheit zu haben, ob er letztendlich von § 209b StPO profitieren kann. Allerdings beißt sich in Bezug auf Letzteres „die Katze in den Schwanz“, muss der Beschuldigte doch, um seine Chancen auf §  209b StPO zu wahren, mit der entsprechenden Information zumindest (über das Unternehmen) mit der BWB kooperieren, damit der Beitrag des Unternehmens (für eine Anwendung des § 209b StPO) ausreichend hoch ist. Tut er dies, relativiert sich aber die Problematik des „In- Vorlagetretens“, da der Betroffene die Informationen dann nicht erstmalig dem Staatsanwalt bekannt gibt, sondern die entsprechende Information jedenfalls zuvor schon der BWB im Rahmen des Kronzeugenverfahrens mitgeteilt wird. b) Ab welchem Zeitpunkt kommt § 209b StPO frühestens zur Anwendung? Wie oben erwähnt, ist auch die Frage, ab wann § 209b StPO zur Anwendung kommt, für die individuell Betroffenen von Relevanz, endet für sie doch damit das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, und zwar mit einer Verfahrenseinstellung, die keine nachteiligen Folgen (wie etwa Ausschluss von bzw. Entzug der Gewerbeberechtigung nach der GewO51) nach sich zieht. Auch andere Rechtsfolgen knüpfen sich daran, 49 Abgesehen davon, muss der Rechtsbeistand des Beschuldigten, der i.d.R. nicht der Unternehmensanwalt ist, genau über die seinen Mandanten betreffende und der BWB bekannt gegebene Information informiert sein. Nach bisheriger Erfahrung geht es bei den neuen Informationen nicht um Details sondern um substantiell neue Fakten (z.B. zusätzliche Absprachen, zusätzlich involvierte Unternehmen oder Personen). 50 Dies kann de facto sehr lange dauern, nämlich bis zum Abschluss des Verfahrens bei der BWB – je nachdem, was man unter „Vorgehen“ nach dem Kronzeugenprogramm versteht. 51 Vgl. §§ 13, 87 GewO.

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nämlich, dass – wenn ein im Ermittlungsverfahren bestehender Beschuldigtenstatus endet – weitere Aussagen aufgrund des dann bestehenden Zeugenstatus unter Wahrheitspflicht zu erfolgen haben und unrichtige Aussagen sogar die Verwirklichung einer weiteren Straftat nach sich ziehen können. Nach derzeitiger Rechtslage und Praxis liefert der Gesetzestext zur Frage, ab wann § 209b StPO zur Anwendung gelangt, nur den Anhaltspunkt, dass „ein Vorgehen“ der Behörde nach dem Kronzeugenprogramm vorliegen muss. Offen ist, was der Begriff „Vorgehen“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Wird der Begriff eng im bisherigen kartellrechtlichen Zusammenhang verstanden, so kann an die Erklärung über den Kronzeugenstatus der BWB, die auf Antrag eines Unternehmen gemäß § 11b Abs. 4 WettbG in Form einer rechtsunverbindlichen Mitteilung abgegeben wird, abgestellt werden, spätestens aber auf den Zeitpunkt, zudem die BWB im Sinne von § 11b Abs. 1 bzw. Abs.  2 WettbG „davon Abstand nimmt“, eine Geldbuße zu beantragen (und stattdessen beim Kartellgericht einen Feststellungsantrag einbringt) bzw. eine geminderte Geldbuße beantragt.52 Wird „Vorgehen“ (weiter) in dem Sinn verstanden, dass die Behörde Ermittlungen aufgrund und im Zusammenhang mit Kronzeugen führt, kommt ein früherer Zeitpunkt in Frage. Stellt man auf einen solchen früheren Zeitpunkt ab, könnten die Beurteilung des Aufklärungsbeitrages durch den BKAnw und die BWB allerdings abweichen. Umgekehrt erscheint ein Abstellen auf einen früheren Zeitpunkt aus Anreiz- und Ermittlungssicht allerdings sinnvoll. Der Beschuldigte würde so früher Rechtssicherheit erlangen. Der Staatsanwalt wiederum könnte den Betroffenen als Zeugen und nicht als Beschuldigten vernehmen, was auch für ihn von Vorteil ist, da (unter Wahrheitspflicht erfolgende) Zeugenaussagen in der Regel wertvoller sind als Aussagen von Beschuldigten, die keiner Wahrheitspflicht unterliegen. Auch wenn prozessuale Themen im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter erörtert werden, sei an dieser Stelle kritisch angemerkt, dass derzeit unklar ist, ob der Beschuldigte vor Einstellung des Verfahrens oder erst danach sein gesamtes Wissen dem Staatsanwalt zur Verfügung zu stellen hat. Aus dem Gesetzestext (§ 209b Abs.  2 StPO) könnte zunächst der Schluss gezogen werden, dass nach einer Verständigung durch den BKAnw (die aber wiederum voraussetzt, dass das Kartellverfahren schon fast abgeschlossen ist) bereits die Erklärung des Beschuldigten ausreicht, künftig sein gesamtes Wissen zur Verfügung zu stellen.53 Dies entspricht allerdings soweit ersichtlich nicht der derzeitigen Handhabung. Aus dem Handbuch wiederum geht hervor, dass der Mitarbeiter zunächst sein gesamtes Wissen dem Staatsanwalt preiszugeben hat, worauf dieser dann ein Anbot auf vorläufigen Rücktritt macht. Die eigentliche Einstellung des Ermittlungsverfahrens er52 Vgl. auch Hofinger, Endbericht Kronzeugenregelung (2015) 50 f., die meint, das Ausstellen einer Zugangsbestätigung des Kronzeugenantrags bzw. die Bestätigung über den Marker wären nicht mit dem „Vorgehen“ gemeint. 53 Vgl. Hofinger, Endbericht Kronzeugenregelung (2015) 62.

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folgt dann im Austausch zur Verpflichtung des Mitarbeiters, sein gesamtes Wissen in einem allfälligen Strafverfahren (d.h. vor Gericht) zur Verfügung zu stellen.54 Da die Anwendung der strafrechtlichen Kronzeugenregelung des § 209b StPO akzessorisch zur Anwendung der kartellrechtlichen Kronzeugenregelung ist, wäre wohl eine Lösung sachgerecht, wonach eine Erklärung des betroffenen Mitarbeiters ausreicht, das Wissen, das im Kartellverfahren bekanntgegeben wurde, auch dem Staatsanwalt bekanntzugeben. 3. Ableitungen Zunächst ist unter den oben präsentierten Varianten aus Sicht der Praxis einer Regelung der Vorzug zu geben, die nicht darauf abstellt, dass dem Beschuldigten vor Stellung eines Kronzeugenantrags im Kartellverfahren keine Ermittlungshandlungen der Straf- oder anderer Behörden bekannt geworden sind. Damit würde nämlich das realistischste Szenarium für die Inanspruchnahme der strafrechtlichen Regelung von vornherein ausscheiden. So ist trotz des Bestehens einer strafrechtlichen Kronzeugenregelung erfahrungsgemäß die Hemmung von Betroffenen, im Kartellverfahren zu kooperieren, grundsätzlich sehr hoch, wenn den Betroffenen persönlich ein Strafverfahren droht. Anders gewendet kann es sein, dass – selbst wenn die Kartellbehörde bereits über Hinweise verfügt und eine parallele Kronzeugenregelung existiert – nicht ausreichend Druck zur Überwindung der – auch bei Strafverteidigern grundsätzlich zu bemerkenden  – Skepsis gegenüber Kronzeugenprogrammen vorhanden ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Kooperation sowohl im Kartell- als auch im Strafverfahren steigt demgegenüber exponentiell, wenn auch bereits von Seiten der Strafbehörde zumindest erste Ermittlungsschritte eingeleitet wurden. Dazu kommt, dass ja auch im Kartellverfahren sowohl vor der Kommission als auch in Österreich und Deutschland55 – mit gutem Grund – erste Ermittlungsschritte, ja nicht einmal eine Hausdurchsuchung, den Weg zu einem vollkommenen Erlass der Geldbuße verstellen. Warum dies dann ausgerechnet im Strafrecht, wo die Hürde aus individueller Sicht viel höher ist, nicht so sein soll, wäre nicht nachvollziehbar. Der derzeit vorliegende Vorschlag für die Regelung in Art. 23 RL ECN+ ist daher kritisch zu sehen. Dieser sieht vor, dass der Antrag auf Erlass der Geldbuße bereits gestellt sein muss, bevor das Management oder andere Mitarbeiter von der zuständigen Behörde über ein Verfahren in Kenntnis gesetzt wurden, das zur Verhängung einer Sanktion führt. Sofern die Strafverfolgungsbehörden also Mitarbeiter bereits über ein laufendes Strafverfahren informiert haben, wäre gleichsam die Möglichkeit auf Schutz vor dieser Verfolgung verwirkt. Außerdem würden die Behörden auf der Grundlage einer solchen Regelung über ein (vor allem nach strafrechtlichen Standards) erstaunlich großes Ermessen dahingehend verfügen, ob die Kronzeugenregelung überhaupt noch in Anspruch genommen werden kann. So hängt etwa der Zeit54 Vgl. Handbuch zur Kronzeugenregelung (2017) Punkt 3.4, 28 ff. 55 Die kartellrechtliche Kronzeugenregelung sowohl der EU Kommission als auch in Österreich und Deutschland sieht vor, dass auch dann, wenn bereits eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat, immer noch ein Kronzeugenantrag möglich ist.

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punkt der Information der Betroffenen darüber, dass ein Strafverfahren läuft, doch wesentlich davon ab, wie das Ermittlungsverfahren geführt wird. Vor dem Hintergrund der Systematik des Kronzeugenprogramms der Kommission erscheint dies nicht konsistent. Auch in Bezug auf die österreichische Regelung sind allerdings noch Hürden auszuräumen. Dies betrifft insbesondere die bessere Abstimmung bei parallelen Ermittlungsverfahren.

VII. Fazit Erste Anwendungsfälle und eine Evaluierung der österreichischen Vorschrift auch im Vergleich zur geplanten Regelung im Rahmen der RL ECN+ zeigen, dass für eine wirksame parallele Kronzeugenregelung im Strafrecht erforderlich ist, dass diese neben einem ausreichenden materiellem und prozeduralem Rechtsschutz jedenfalls ȤȤ nicht nur Mitarbeiter des ersten Kronzeugen privilegiert, sondern auch nachfolgenden Unternehmen die Möglichkeit auf Straffreiheit eröffnet; ȤȤ jedenfalls all jene Delikte mit abdeckt, die durch dieselbe Tathandlung (Prinzip der Tateinheit) wie der Kartellrechtsverstoß verwirklicht werden. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn auch typische Begleitdelikte über dieselbe Vorschrift erfasst sind. Dies ist umso relevanter, wenn keine allgemeine Kronzeugenregelung für Strafrechtsdelikte als Auffangtatbestand besteht. ȤȤ um jene Situationen zu erfassen, die realistischer Weise zu einer Inanspruchnahme der Kronzeugenprogramme führen, sollten bereits davor erfolgte oder parallel laufende Ermittlungen seitens der Strafbehörde nicht zu einem Ausschluss der strafrechtlichen Kronzeugenregelung führen. Dies wäre auch konsistent mit dem in kartellrechtlichen Kronzeugenregelungen (typischerweise) verfolgten Ansatz, wonach ein vollständiger Bußgelderlass auch dann (noch) möglich ist, wenn bereits eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat; ȤȤ sollte bei parallelen Ermittlungsschritten vorgesehen werden, dass die Zusammenarbeit mit einer Behörde auch für die Kooperation bei der jeweils anderen Behörde angerechnet wird; und ȤȤ sollte den Betroffenen zu einem möglichst früheren Zeitpunkt mitgeteilt werden, ob sie in den Genuss des Schutzes vor strafrechtlicher Verfolgung kommen, oder nicht. Wie bereits im Rahmen der Diskussionen zum Vorschlag der RL ECN+ erkannt, ist davon auszugehen, dass das Thema der Abstimmung zwischen Kartellrecht und Strafrecht in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Kartellbehörden zur Aufdeckung von Kartellverstößen zunehmend (auch) auf die Verwendung sog „Whistleblower Hotlines“ setzen, die auch von einzelnen Mitarbeitern (anonym) genutzt werden können. Dazu kommt, dass Kartellverstöße mit strafrechtlicher Komponente häufig zu den schwerwiegendsten Verstößen 21

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im Wirtschaftsstrafrecht gehören und es daher umso wünschenswerter ist, diese wirksam aufzudecken und zu beenden. Auch vor diesem Hintergrund ist daher ein möglichst „rechts“-sicherer Weg – ohne Schlaglöcher – für die Inanspruchnahme der Kronzeugenprivilegierung von entscheidender Bedeutung. Das Thema steht aber sowohl in Österreich, als auch in Deutschland erst am Anfang der Diskussionen – weshalb zu hoffen steht, dass auch der Jubilar mit der ihm eigenen Schärfe in der Analyse und dem innovativen Vordenken zur Rechtsentwicklung beitragen wird.

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Transatlantische Herausforderungen beim Schutz des Legal Professional Privilege in komplexen Fusionskontrollverfahren I. Einleitung II. Die Diskrepanz des Schutzumfangs des Legal Professional Privilege im euro­ päischen und im US-amerikanischen Recht 1. Von der Kommission anerkannte Kategorien des Legal Professional ­Privilege in EU-Fusionskontroll­verfahren 2. Rechtsberatung durch Rechtsanwälte, die in einem Drittstaat zugelassen sind, einschließlich In-house Counsel 3. Rechtsberatung außerhalb des Wettbewerbsverfahrens bzw. Wettbewerbsrechts III. Verzicht auf den Schutz des Legal ­Professional Privilege (Waiver) durch die Offenlegung geschützter Information gegenüber der Europäischen Kommission? 1. Hemmung der Entscheidungsfristen („Anhalten der Uhr“)

2. Verzicht auf den Schutz des Legal ­Professional Privilege (sog. Waiver) a) Confidentiality Waiver und Infor­ mationsaustausch zwischen den ­Wettbewerbsbehörden b) Waiver im US-amerikanischen ­Zivilprozess 3. Minimierung des Risikos eines ­Waiver IV. Überlegungen zur Verbesserung des Schutzes des ­Legal Professional Privilege in der ­EU-Fusionskontrolle 1. Rechtsberatung außerhalb des Wettbewerbsverfahrens bzw. Wettbewerbsrechts 2. Rechtsberatung durch Rechtsanwälte, die in einem Drittstaat zugelassen sind, einschließlich In-house Counsel V. Zusammenfassung

I. Einleitung Die Europäische Kommission hat in den vergangenen Jahren in komplexen Fusionskontrollverfahren ihre Analyse immer stärker auf die Auswertung interner Dokumente ausgerichtet und dazu immer umfangreichere Auskunftsverlangen nach internen, hauptsächlich elektronischen Dokumenten an die Zusammenschlussparteien gerichtet.1 Gleichzeitig sind viele Fragen dieser gewandelten Verwaltungspraxis ungeklärt, und zwar nicht nur hinsichtlich des Verfahrens solcher Auskunftsersuchen, sondern insbesondere auch hinsichtlich möglicher rechtlicher Grenzen der Vorlage1 Die Kommission bestimmt in ihren Auskunftsverlangen in komplexen Fusionskontrollverfahren neuerdings die einzureichenden Dokumente regelmäßig auf Basis von Zielpersonen, Zeitraum und Suchbegriffen. Auf dieser Basis wird regelmäßig eine sehr große Zahl an elektronischen Dokumenten und E-Mailkorrespondenz offengelegt. In komplexen Phase II-Fällen werden mitunter mehrere hunderttausende Dokumente von den Zusammenschlussparteien eingereicht. Im Fall Bayer/Monsanto haben die Zusammenschlussparteien der Kommission über 2,7 Millionen interner Dokumente vorgelegt (s. Pressemitteilung der Kommission v. 21.3.2018, IP/18/2282).

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pflicht von internen Dokumenten, die dem Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant (Legal Professional Privilege)2 unterfallen.3 Dabei besteht zunächst hinsichtlich des genauen Umfangs und der Grenzen des Schutzes des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle noch erheblicher Klärungsbedarf. In komplexen internationalen Fusionskontrollverfahren führt darüber hinaus die Diskrepanz zwischen dem Schutzumfang des Legal Professional Privilege im europäischen Recht und in ausländischen Rechtsordnungen, insbesondere im US-­ amerikanischen Recht, zu weiteren Herausforderungen: Die Funktionsfähigkeit des EU-Fusionskontrollverfahrens und die Untersuchungsbefugnisse der Europäischen Kommission stehen im Spannungsverhältnis zum Schutz solcher Dokumente, die vom Legal Professional Privilege in einer anderen Jurisdiktion, nicht aber notwendigerweise im europäischen Recht, insbesondere in Fusionskontrollverfahren, geschützt sind. ­Legen die Zusammenschlussparteien, um das EU-Fusionskontrollverfahren nicht zu ­verzögern, z.B. ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützte Dokumente bei der Europäischen Kommission vor, besteht für sie das Risiko, dass sie sich dadurch des Schutzes des Legal Professional Privilege auch im US-amerikanischen Zivilprozess begeben (sog. Waiver). Der vorliegende Beitrag will dieses Spannungsverhältnis näher beleuchten. Dazu ­sollen in einem ersten Abschnitt beispielhaft zwei Konstellationen erläutert werden, bei denen die Praxis der Europäischen Kommission regelmäßig zu einer Diskrepanz zwischen dem Schutzumfang des Legal Professional Privilege im europäischen und US-amerikanischen Recht führt. Anschließend werden die Folgen der Vorlage solcher Dokumente bei der Kommission im Rahmen der Beantwortung von Auskunftsersuchen näher beleuchtet sowie Mechanismen zur Reduzierung des Risikos des Verlusts des Vertraulichkeitsschutzes diskutiert. Abschließend werden Verbesserungen der Kommissionspraxis bezüglich der Anerkennung von Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle angeregt.

II. Die Diskrepanz des Schutzumfangs des Legal Professional Privilege im europäischen und im US-amerikanischen Recht 1. Von der Kommission anerkannte Kategorien des Legal Professional Privilege in EU-Fusionskontrollverfahren Die Kommission erklärt in ihren Auskunftsersuchen, dass bei deren Beantwortung nur solche Dokumente nicht vorgelegt werden müssen, die von einer anerkannten 2 Im Folgenden wird die Bezeichnung Legal Professional Privilege als Oberbegriff für den Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant verwendet, unabhängig von den spezifischen Voraussetzungen in den unterschiedlichen Rechtsordnungen. Insbesondere erfasst dieser Begriff, soweit nicht explizit diesbezüglich differenziert, für das US-amerikanische Recht sowohl den Schutz des Attorney-­Client Privilege als auch der Work-Product Doctrine (s. dazu unten II.3.). 3 Zur gewandelten Praxis der Kommission bezüglich interner Dokumente s. auch Turner/ Kaufman, 31 Antitrust 76  ff.; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12  ff.; Wilson, ZWeR 2017, 146 ff.; s. auch den Beitrag von Kuhn in dieser Festschrift, S. 415.

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Kategorie des Legal Professional Privilege erfasst werden.4 Dabei greift die Kommission in Fusionskontrollverfahren auf die europäische Rechtsprechung zurück, die zum Schutz des Legal Professional Privilege in Bußgeldverfahren unter Art.  101 und Art. 102 AEUV ergangen ist.5 Die Kommission akzeptiert mutatis mutandis in Fusionskontrollverfahren drei Kategorien für Legal Professional Privilege, nämlich (1) den Schriftwechsel mit einem unabhängigen, in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalt zum Zwecke und im Interesse der Ausübung der Verteidigungsrechte seines Mandanten in Wettbewerbsverfahren,6 (2) interne Aufzeichnungen im Rahmen einer Rechtsberatung, in denen Wortlaut oder Inhalt des Rechtsrats eines unabhängigen, in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalts wiedergegeben ist,7 und (3) vom Mandanten vorbereitete Unterlagen und Zusammenfassungen, sofern sie ausschließlich erstellt worden sind, um im Rahmen der Ausübung der Verteidigungsrechte Rechtsrat eines unabhängigen, in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalts einzuholen.8 Die Kommission legt insgesamt den Schutzumfang des Legal Professional Privilege in der Fusionskontrolle sehr eng aus.9 Gleichzeitig weist die Praxis der Case Teams eine gewisse Flexibilität hinsichtlich einzelner Konstellationen auf und zeigt somit den be4 Die Kommission fordert aber gleichwohl, dass die Zusammenschlussparteien für alle nicht vorgelegten Dokumente umfangreiche Informationen, insbesondere zu Verfasser, Adressat, Datum, Thematik und jeweiliger Kategorie des Legal Professional Privilege, unter die das Dokument fällt, in der Form einer Dokumentenübersicht zu den Vertraulichkeitsbestimmungen (sog. Privilege Log) zur Verfügung stellen. Die Kommission prüft anhand des Privilege Log, ob sich die Zusammenschlussparteien zu Recht auf das Legal Professional Privilege berufen haben. Für einen Überblick über die Praxis der Kommission, für bestimmte Kategorien Ausnahmen bezüglich der vorzulegenden Informationen (sog. Block Exemptions) zu akzeptieren, s. Wilson, ZWeR 2017, 146, 158 ff., Wilson, NZKart 2017, 352, 353 ff. 5 EuGH, Urt. v. 18.5.1982 – Rs. 155/79, AM&S Europe Limited, ECLI:EU:C:1982:157; EuG, Urt. v. 12.12.1991 – Rs. T-30/89, Hilti, ECLI:EU:​T:1991:70, sowie EuG, Urt. v. 17.9.2007 – verb. Rs. T-125/03 und T-253/03, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals, ECLI:EU:​ T:2007:287, bestätigt durch EuGH, Urt. v. 14.9.2010 – Rs. C-550/07 P, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals, ECLI:EU:C:2010:512. S.  hierzu auch die Zusammenfassung dieser Rechtsprechung in der Bekanntmachung der Kommission über bewährte Vorgehensweisen in Verfahren nach Artikel 101 und 102 des AEUV, ABl. 2011, C 308/06, Rz. 51 ff. 6 EuGH, AM&S (Fn. 5), Rz. 23-25. 7 EuG, Hilti (Fn. 5), Rz. 13, 16-18. 8 EuG, Akzo (Fn. 5), Rz. 120-123; bestätigt durch EuGH, Akzo (Fn. 5). 9 Zur grundsätzlichen Kritik an der zu engen Auslegung der Rechtsprechung, s. z.B. GonzálezDíaz/Stuart, Competition Law & Policy Debate 2017, 56, 59 ff.; Passmore/Boylan, Competition Law Journal 2016, 5 ff.; Vandenborre/Goetz, Journal of Euro­pean Competition Law and Practice 2014, 506, 512; Holtz, Journal of European Competition Law & Practice 2013, 402, 404. Zur Kritik an einer zu engen Auslegung in der Fusionskontrolle s. Wilson, ZWeR 2017, 146, 157 ff., Wilson, NZKart 2017, 352, 353 ff.; Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regu­lation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018.

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stehenden Klärungs- und Vereinheitlichungsbedarf für die Kommissionspraxis hinsichtlich des genauen Umfangs und der Grenzen des Vertraulichkeitsschutzes auf. Dieser Beitrag will keine umfassende Diskussion möglicher Fragestellungen des sachlichen und persönlichen Geltungsbereiches des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle führen.10 Vielmehr sollen anhand der zwei ausgewählten Kon­ stellationen die Herausforderungen im Falle einer Diskrepanz zwischen dem persönlichen und sachlichen Schutzbereich des Legal Professional Privilege in Europa und in den USA diskutiert werden. In einem laufenden Fusionskontrollverfahren kann sich je nach der Phase des Zusammenschlussverfahrens eine Situation ergeben, in der die vom jeweiligen Case Team vertretene Position bezüglich des Legal Professional Privilege von den Zusammenschlussparteien akzeptiert werden muss, um Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. 2. Rechtsberatung durch Rechtsanwälte, die in einem Drittstaat zugelassen sind, einschließlich In-house Counsel Grundsätzliche Einigkeit in den europäischen Case Teams besteht zunächst darin, dass in der EU-Fusionskontrolle der Anwendungsbereich des Legal Professional Privilege auf den Schriftwechsel mit oder Rechtsrat von einem unabhängigen, also von einem nicht durch ein Beschäftigungsverhältnis an den Mandanten gebundenen (externen) Rechtsanwalt beschränkt ist.11 Der Wortlaut der Auskunftsersuchen der Kommission beschränkt die drei Kategorien für Legal Professional Privilege zwar auf Korrespondenz mit oder Rechtsrat von einem in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalt. Allerdings wird von den Case Teams der Kommission regelmäßig akzeptiert, dass die Zusammenschlussparteien in internationalen Fusionskontrollfällen von in EU-Mitgliedstaaten und in Drittstaaten zugelassenen externen Rechtsanwälten gemeinsam beraten werden (wie schließlich auch die Europäische Kommis­ sion mit anderen Wettbewerbsbehörden regelmäßig kooperiert) und daher der Schutzbereich des Legal Professional Privilege zumindest auch auf Korrespondenz mit oder Rechtsrat von einem in einem Drittstaat zugelassenen externen Rechtsanwalt ausgedehnt werden kann.12

10 Zu weiteren Fragestellungen des Schutzumfangs des Legal Professional Privilege in der europäischen Fusionskontrolle, s. Wilson, ZWeR 2017, 146, 155 ff.; Wilson, NZKart 2017, 352, 353 ff.; Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018. 11 EuGH, AM&S (Fn. 5), Rz. 21, 22, 24, 27; EuG, Akzo (Fn. 5), Rz. 166, 168, bestätigt durch EuGH, Akzo (Fn. 5), Rz. 44-51. Diese Rechtsprechung hat unternehmensangehörige Juristen ausdrücklich vom Vertraulichkeitsschutz ausgenommen, und zwar unabhängig von einer Zugehörigkeit zur Rechtsanwaltschaft, der Unterwerfung unter die Berufs- und Standesregeln oder dem Schutz nach dem mitgliedstaatlichen Recht. 12 S. hierzu auch Turner/Kaufman, 31 Antitrust 76, 78; Wilson, ZWeR 2017, 146, 161 f.; Wilson, ZKart 2017, 352, 356 f.; Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018. Allgemein zur Kritik an der Beschränkung des europäischen Legal Professional Privilege auf den Rechtsrat eines unab-

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Die Kommission akzeptiert hingegen keinen Vertraulichkeitsschutz für Dokumente, die Rechtsrat unternehmensangehöriger Juristen (In-house Counsel) betreffen, und zwar unabhängig von einer etwaigen Zugehörigkeit zur Rechtsanwaltschaft.13 Handelt es sich jedoch um interne Aufzeichnungen eines Unternehmensjuristen, in denen Wortlaut oder Inhalt des Rechtsrats eines externen Rechtsanwalts wiedergegeben ist, oder um solche Unterlagen, die von einem In-house Counsel für die Vorbereitung der Rechtsberatung durch den externen Rechtsanwalt erstellt sind, so erkennt die Kommission Legal Professional Privilege an.14 Problematisch sind solche Fälle, in denen zunächst firmeninterne Korrespondenz zwischen einem Mitarbeiter und einem In-house Counsel zur Einholung von Rechtsrat vorliegt und sich der In-house Counsel anschließend an einen externen Rechtsanwalt wendet. Während Case Teams den Vertraulichkeitsschutz für den Schriftwechsel mit einem externen Rechtsanwalt zur Einholung von Rechtsrat selbstverständlich anerkennen,15 muss hingegen der Vertraulichkeitsschutz für die vorangegangene interne Korrespondenz gesondert begründet werden. Der Vertraulichkeitsschutz ist aber nach dem grundlegenden Recht, dass jede Person sich beraten, verteidigen und vertreten lassen kann, geboten. Ein anderer Ansatz und vor allem das Wissen darum, dass solche interne Korrespondenz nicht geschützt ist, würde letztlich auch die Bemühungen von Unternehmen und ihren Mitarbeitern, sich nach den Wettbewerbsregeln zu verhalten und möglicherweise wettbewerbswidriges Verhalten offenzulegen, bebzw. verhindern. Insbesondere in solchen Fällen, in denen der In-house Counsel lediglich als Mittler agiert, der die Korrespondenz mit dem Mitarbeiter zur Einholung von Rechtsrat nur weiterleitet, ist ein solcher Schutz auch nach der Rechtsprechung geboten. Denn das EuG hat in Akzo auch Vertraulichkeitsschutz für „vorbereitende Unterlagen, auch wenn sie nicht mit einem Rechtsanwalt gewechselt oder nicht erstellt worden sind, um als solche einem Rechtsanwalt übermittelt zu werden“ anerkannt, „wenn sie ausschließlich erstellt worden sind, um im Rahmen der Ausübung der Verteidigungsrechte eine rechtliche Beratung eines Rechtsanwalts anzufordern.“16 Eine solche Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Legal Professional Privilege kennt das US-amerikanische Recht hingegen nicht. Dort werden das Attorney-Client Privilege (zum Schutz der vertraulichen direkten Korrespondenz zwischen hängigen, in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalts, González-Díaz/Stuart, Competition Law & Policy Debate 2017, 56, 59 ff. 13 EuGH, AM&S (Fn. 5), Rz. 21, 22, 24, 27; EuG, Akzo (Fn. 5), Rz. 166, 168, bestätigt durch EuGH, Akzo (Fn. 5), Rz. 44-51. 14 Es reicht jedoch wiederum nicht aus, wenn firmenintern mit einem In-house Counsel zur Einholung von Rechtsrat durch den In-house Counsel (anstelle eines externen Rechtsanwalts) kommuniziert wird. 15 Für die Korrespondenz vom externen Rechtsanwalt an den Mandanten erkennen Case Teams auch regelmäßig sog. Block Exemptions an, d.h. die Nichtoffenlegung dieser Korrespondenz muss nicht im Einzelnen in der Dokumentenübersicht zu den Vertraulichkeitsbestimmungen (Privilege Log) begründet werden. S. dazu auch oben Fn. 4. 16 EuG, Akzo (Fn. 5), Rz. 123. S. hierzu auch González-Díaz/Stuart, Competition Law & Policy Debate 2017, 56, 62 f.

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der Partei und ihrem Anwalt)17 und die Work-Product Doctrine (zum Schutz der Prozessvorbereitungen des Anwalts, aber auch der des Mandanten, sowie der Korrespondenz mit Dritten zum Zwecke der Prozessvorbereitung)18 für vertrauliche Rechtsberatung durch einen bei Gericht zugelassenen Anwalt oder eine von ihm beauftragte Person gewährt19 und damit auch für Rechtsberatung durch In-house Counsel anerkannt.20 3. Rechtsberatung außerhalb des Wettbewerbsverfahrens bzw. ­Wettbewerbsrechts Nicht einheitlich wird derzeit von den Case Teams der Kommission die Frage beantwortet, ob sich der sachliche Schutzbereich des Legal Professional Privilege in der europäischen Fusionskontrolle auch auf Rechtsberatung außerhalb des Fusionskontrollverfahrens erstreckt. Das EuGH-Urteil AM&S hat den Vertraulichkeitsschutz nur für den Schriftwechsel, der nach Eröffnung des Verwaltungsverfahrens zwischen Anwalt und Mandant geführt worden ist, gewährt, diesen aber auf früheren Schriftwechsel ausgedehnt, wenn dieser im Rahmen der Ausübung der Verteidigungsrechte statt­ gefunden hat und mit dem Gegenstand des betreffenden Verfahrens „im Zusam­ menhang“ stand.21 Die in AM&S aufgestellte Anforderung des „Zusammenhangs“ ist aufgrund der Unschärfe des Begriffs vielfach kritisiert worden, eine gerichtliche Präzisierung des Begriffs ist bislang jedoch nicht erfolgt.22 Legt man den Begriff des Zusammenhangs verfahrensbezogen und damit sehr eng aus,23 so würde Vertraulichkeitsschutz nur für solche Korrespondenz gewährt, die Rechtsberatung des externen Rechtsanwalts im Zusammenhang mit dem vorliegenden Wettbewerbsverfahren betrifft. Fusionskontrollrechtliche Analysen möglicher 17 Grundlegend zum Attorney-Client Privilege, s. z.B. United States vs. United Show Machinery Corp. 889 F. Supp. 357, 358 f. (D. Mass. 1950); Colton v. United States, 306 F.2d 633, 637 (2d Cir. 1962). Für die Verfahren vor den Federal Courts gilt Rule 501 der Federal Rules of Evidence, die allerdings auch nur auf das bestehende Common Law, bzw. das Recht der Bundesstaaten verweist. 18 Grundlegend zur Work-Product Doctrine, s. Hickman v. Taylor 329 U.S. 495 (1947). S. auch Rule 26(b)(3) der Federal Rules of Civil Procedure, der viele bundesstaatliche Regelungen nachgebildet sind. 19 United States vs. United Show Machinery Corp. 889 f .Supp. 357, 358 f. (D. Mass. 1950). 20 Z.B. hat der US Supreme Court in Upjohn v. United States 449 US 383 (1981) Korrespondenz zwischen Mitarbeitern und In-house Counsel im Rahmen einer internen Untersuchung als privilegiert betrachtet. Die Grenzen des Vertraulichkeitsschutzes für interne Korrespondenz mit einem In-house Counsel liegen aber dort, wo der In-house Counsel keine Rechtsberatung leistet, sondern in Geschäftsfragen involviert ist. S. hierzu z.B. American Standard, Inc. vs. Pfizer Inc., 828 f. 2d 743, 745, 3USP; Chicago Title vs. Superior Court, 174 Cal. App. 3d 1154 (1985); Montebello Rose vs. Agricultural Labor, 119 Cal. App. 3d 32 (1981). 21 EuGH, AM&S (Fn. 5), Rz. 23. 22 Hierzu Pfromm/Hentschel, EWS 2005, 350, 352 f. 23 Zur Kritik an einer verfahrensbezogenen Auslegung des „Zusammenhangs“ und für ein weites Verständnis des sachlichen Schutzbereichs, s. z.B. Kapp/Roth, RIW 2003, 946, 948.

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Alternativen zu der vorliegenden Transaktion, die regelmäßig größeren Fusionskon­ trollverfahren vorausgehen, wären bei einer so engen Auslegung ebenso wenig wie anwaltliche Gutachten zur Bewertung von Verhaltensweisen in Bezug auf die betroffenen Produktmärkte unter Art. 101 oder 102 AEUV vom Legal Professional Privilege erfasst.24 Hingegen würde eine inhaltlich-materielle Auslegung des Begriffes des Zusammenhangs dazu führen, dass auch solche Korrespondenz geschützt wird, welche die anwaltliche Einschätzung der kartellrechtlichen Vereinbarkeit bestimmter Entwürfe oder Verhaltensweisen oder die Prognose hinsichtlich eines zu erwartenden Bußgeldrisikos betreffen.25 Case Teams ziehen das AM&S-Urteil regelmäßig als Grundlage dafür an, den sachlichen Schutzbereich des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle zu beschränken, akzeptieren aber den Vertraulichkeitsschutz zumindest für solche Korrespondenz, die Rechtsberatung des externen Anwalts im Fusionskontrollverfahren oder zu anderen kartellrechtlichen Sachverhalten betrifft. Ob darüber hinaus auch Vertraulichkeitsschutz für Rechtsberatung zu Sachverhalten außerhalb des Kartellrechts akzeptiert wird, wird von den Case Teams unterschiedlich gehandhabt und oft auch – ganz oder auch nur teilweise26 – abgelehnt.27 Unabhängig davon, dass es sich bei dem Legal Professional Privilege um einen Rechtsgrundsatz mit Grundrechtscharakter handelt28 und es damit letztlich auch keinen Unterschied machen kann, ob die Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant Rechtsberatung im Kartellrecht oder in einem anderen Rechtsgebiet betrifft,29 besteht aber letztlich unter der derzeitigen Kommissionspraxis für die Zusammenschlussparteien keine andere Wahl, als die Position des Case Teams zumindest für die Zwecke des Fusionskontrollverfahrens zu akzeptieren, wenn sie das Fusionskontrollverfahren nicht verzögern wollen. Gleichwohl hat diese Frage regelmäßig eine große Bedeutung für die Zusammenschlussparteien. Das gestiegene Interesse der Kommission an internen Dokumenten und insbesondere an den Themen Innovationen und Forschung & Entwicklung und die dadurch immer weiter formulierten Auskunftsersuchen haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass von einem Auskunftsersuchen auch Korrespondenz bezüglich Rechtsberatung, beispielsweise zum Patentrecht oder zu anderen Bereichen des IP-Rechts, erfasst ist, die häufig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten sind oder werden können. Im US-amerikanischen Recht wird das Legal Professional Privilege dagegen unabhängig vom Gegenstand der Rechtsberatung gewährt. Es ist ausreichend, dass ein Man24 Hierzu auch Wilson, ZWeR 2017, 146, 160; Wilson, NZKart 2017, 352, 354. 25 Beutler, RIW 1982, 820, 822. Einer inhaltlich-materiellen Auslegung des Begriffes zustimmend Kapp, WuW 2003, 142, 143; Kapp/Roth, RIW 2003, 946, 947. 26 Beispielsweise wurde in jüngeren Fällen Legal Professional Privilege zumindest für solche Dokumente, die Rechtsberatung außerhalb des Kartellrechts betreffen, anerkannt, wenn diese nicht im Zusammenhang mit der untersuchten Transkation stehen. 27 S. hierzu auch Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 20. 28 GA Kokott, Schlussanträge v. 29.4.2010  – Rs.  C-550/07 P, Akzo Nobel Chemicals Ltd, ECLI:EU:C:2010:229, Rz. 47. 29 Dazu auch unten IV.1.

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dant Rechtsrat ersucht, wobei es auf die Art des Rechtsrats aber nicht ankommt.30 Sofern die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung des Legal Professional Privilege erfüllt sind, sind solche Dokumente in jedem Fall vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege erfasst, auch wenn die Case Teams ein europäisches Legal Professional Privilege für sie nicht anerkennen wollen.

III. Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege (Waiver) durch die Offenlegung geschützter Information gegenüber der ­Europäischen Kommission? Nach derzeitiger Kommissionspraxis stellt die Tatsache, dass ein vom Auskunftsverlangen erfasstes internes Dokument ausschließlich vom Legal Professional Privilege im US-amerikanischen, nicht aber im europäischen Recht geschützt ist, keinen ausreichenden Rechtfertigungsgrund dafür dar, dieses Dokument nicht vorzulegen. Vielmehr besteht die Kommission auf die Vorlage solcher Dokumente, um die Antwort auf ein Auskunftsersuchen als vollständig anzuerkennen. 1. Hemmung der Entscheidungsfristen („Anhalten der Uhr“) Die Weigerung der Zusammenschlussparteien, Dokumente, die ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützt sind, vorzulegen, kann im Extremfall zum „Anhalten der Uhr“, also zur Hemmung der Fristen für die Prüfung des Zusammenschlusses, führen. Die Kommission versendet Auskunftsverlangen nach internen Dokumenten üblicherweise in Phase I oder Phase II zunächst als einfaches Auskunftsverlangen nach Art. 11 Abs. 2 der EU-Fusionskontrollverordnung (FKVO).31 Gelingt es den Parteien nicht, innerhalb der gesetzten Frist eine vollständige Antwort auf das Auskunftsverlangen einzureichen, kann die Kommission die Auskunft im Wege einer förmlichen Entscheidung nach Art. 11 Abs. 3 FKVO anfordern. Dadurch werden die Entscheidungsfristen automatisch nach Art. 10 Abs. 4 FKVO bis zur vollständigen Beantwortung des Auskunftsersuchens gehemmt.32 Das Interesse, die Prüfung des Zusammenschlusses nicht zu verzögern, stellt für die Zusammenschlussparteien daher oft einen Anreiz dar, auch Dokumente, die ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützt sind, bei der Kommission vorzulegen.

30 S. z.B. United States vs. United Show Machinery Corp. 889 F. Supp. 357, 358 (D. Mass. 1950). 31 Andersfalls wären die in Art. 10 Abs. 4 FKVO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. a und b DVO-­FKVO vorgesehenen Fristhemmungstatbestände nicht erfüllt. In den meisten Fällen sind auch die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 DVO-FKVO nicht erfüllt, da normalerweise keine Umstände, für die die Zusammenschlussparteien verantwortlich sind, vorliegen, die ein förmliches Auskunftsverlangen nach Art. 11 Abs. 3 FKVO rechtfertigen. 32 Die Kommission ist bezüglich Fristhemmungen in Phase I allerdings sehr zurückhaltend und hat dies auch in jüngeren Fällen nicht getan.

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2. Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege (sog. Waiver) Legen die Zusammenschlussparteien jedoch ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützte Dokumente bei der Europäischen Kommission vor, so besteht für sie das Risiko, dass darin auch ein Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege in den USA liegen kann (sog. Waiver). Dabei sind zwei unterschiedliche Aspekte zu unterscheiden, nämlich zum einen der Schutz der Verwendung solcher Dokumente in ausländischen Fusionskontrollverfahren und zum anderen der Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege in anhängigen oder zukünftigen Zivilprozessen. a) Confidentiality Waiver und Informationsaustausch zwischen den ­Wettbewerbsbehörden Die Kommission verlangt in internationalen Fusionskontrollverfahren von den Zusammenschlussparteien regelmäßig die Zustimmung zum freien Informationsaustausch über die Ermittlungsergebnisse und Beweismittel mit anderen Wettbewerbsbehörden (sog. Confidentiality Waiver), an erster Stelle oft mit den US-amerikanischen Behörden. Die Zustimmung zum freien Informationsaustausch zwischen den Wettbewerbsbehörden bedeutet allerdings noch keine Zustimmung zum Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege im ausländischen Fusionskontrollverfahren. Der Mustertext der Kommission für die Zustimmung zum Informationsaustausch stellt klar, dass die Kommission grundsätzlich solche Informationen nicht weitergeben darf, die von den Zusammenschlussparteien als unter ein ausländisches Legal Professional Privilege fallend gekennzeichnet sind.33 So soll sichergestellt werden, dass eine ausländische Behörde über die Zusammenarbeit mit der Kommission keine Dokumente erhält, die sie im nationalen Fusionskontrollverfahren von den Zusammenschlussparteien wegen des Schutzes des nationalen Legal Professional Privilege gerade nicht direkt erhalten kann, und dass der Confidentiality Waiver somit nicht den Schutz des Legal Professional Privilege und die jeweiligen nationalen Verfahrensregeln aushöhlt bzw. aushebelt.34 Der Mustertext der Kommission legt die Verantwortung für die Kennzeichnung solcher Dokumente, die unter ausländisches Legal Professional Privilege fallen, derzeit vollständig den Zusammenschlussparteien auf. Dies stellt die Parteien angesichts einer oft sehr großen Zahl angefragter und innerhalb kurzer Fristen auf europäisches und US-amerikanisches Legal Professional Privilege durchzusehender Dokumente regelmäßig vor große Herausforderungen.

33 Mustertext abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/mergers/legislation/np​waivers. pdf. 34 Ansonsten bestünde auch die Gefahr, dass durch den Austausch von bei der Kommission vorgelegten Dokumenten, die vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege erfasst sind, die US-Behörde die Vollständigkeit der Antwort auf den Second Request in Frage stellen könnte. S. hierzu auch Wilson, ZWeR 2017, 146, 162.

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Sofern es beispielsweise Überschneidungen zwischen den von einem Auskunftsverlangen der Kommission erfassten Dokumenten und solchen, die von der zweiten Anfrage im US-amerikanischen Fusionskontrollverfahren (Second Request) erfasst sind, gibt, sollten die Zusammenschlussparteien die Ergebnisse der US Privilege Review bei der Beantwortung des Auskunftsersuchens der Kommission automatisch berücksichtigen. Dabei sollten die Parteien die nach US-amerikanischen Recht privilegierten Dokumente automatisch entsprechend kennzeichnen sowie eine separate Übersicht zu den Vertraulichkeitsansprüchen nach US-amerikanischen Legal Professional Privilege (US Privilege Log) erstellen. In der Praxis sind die Auskunftsersuchen der Kommission nach internen Dokumenten jedoch regelmäßig nicht mit den von den US-Behörden angefragten Dokumenten deckungsgleich, sondern fordern die Zusammenschlussparteien auch zur Vorlage von Dokumenten von Zielpersonen auf, die nicht vom Second Request umfasst sind. Regelmäßig ist daher eine sehr große Zahl zusätzlicher Dokumente nicht nur auf europäisches, sondern auch US-amerikanisches Legal Professional Privilege durchzusehen.35 Angesichts des stark gewachsenen Umfangs der Auskunftsersuchen, der kurzen Fristen und der Komplexität von Fragen des europäischen und US-amerikanischen Legal Professional Privilege ist eine vollständige Kennzeichnung solcher Dokumente häufig kaum umfassend und vor allem kaum fehlerfrei möglich.36 Um in dieser Situationen eine weitere Aushöhlung des Schutzes des US-amerikanischen Legal Professional Privilege effektiv zu vermeiden, sollten in der Praxis der Kommission über die explizite Kennzeichnung hinaus durchgängig auch solche Dokumente von der Weitergabe an eine ausländische Behörde unter dem Confidentiality Waiver ausgenommen sein, bei denen die Kennzeichnung versehentlich nicht erfolgt, der Schutz durch ein ausländisches Legal Professional Privilege aber offensichtlich ist.37 Case Teams sichern teilweise zu, dass sie selbstverständlich und ohne Anerkennung einer entsprechenden Pflicht auf die Weitergabe offenkundig privilegierter Do35 S. hierzu auch Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 20. Der Arbeitsaufwand wird regelmäßig auch noch zusätzlich dadurch erhöht, dass aufgrund des unterschiedlichen Schutzumfanges des europäischen und US-amerikanischen Legal Professional Privilege unterschiedlich umfangreiche Schwärzungen in einem Dokument erforderlich sind. 36 In US-amerikanischen Fusionskontrollverfahren verhandeln die Zusammenschlussparteien mit den Parteien einen Zeitrahmen für die Beantwortung des Second Request und die Vorlage der einschlägigen Dokumente. Typischerweise stehen den Zusammenschlussparteien mehrere Monate für den Second Request und damit auch für die Privilege Review zur Verfügung. Im Gegensatz dazu stehen den Zusammenschlussparteien in Europa wegen der grundsätzlich kurzen Fristen in der europäischen Fusionskontrolle oft nur wenige Tage oder wenige Wochen für die Beantwortung umfangreicher Auskunftsersuchen nach internen Dokumenten, einschließlich der Durchsicht auf europäisches und US-amerikanisches Legal Professional Privilege, zur Verfügung. S. hierzu Turner/Kaufman, 31 Antitrust 76, 77; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 20. 37 Wilson, ZWeR 2017, 146, 162, fordert aus diesem Grund den grundsätzlichen Verzicht der Kommission auf die Vorlage solcher Dokumente, die einem ausländischen Legal Profession Privilege unterfallen können, soweit und sofern die Parteien ihre Einwilligung zum In­ formationsaustausch der Kommission mit ausländischen Behörden erteilt haben. Ähnlich

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kumente verzichten. Eine entsprechende Klarstellung im Mustertext des Confidenti­ ality Waiver wäre jedoch zu begrüßen, um die Praxis diesbezüglich zu vereinheitlichen. Diese Einschränkung sollte auch nicht die Funktionsfähigkeit des Case Teams in Frage stellen. Durch die Zusammenarbeit der Behörden sollen nur die wesentlichen Ermittlungsergebnisse und wesentlichen Beweisstücke ausgetauscht werden, aber keinesfalls ungefiltert alle eingereichten Dokumente an andere Behörden weitergereicht werden.38 Daher sollte diese Einschränkung auch keine unverhältnismäßigen Anforderungen an das Case Team stellen. Zudem sind in inhaltlicher Hinsicht dem Case Team regelmäßig die wesentlichen Fragestellungen – wie Schutz des US-amerikanischen Legal Professional Privilege auch für Korrespondenz bezüglich Rechtsrats eines In-house Counsel sowie unabhängig vom Gegenstand der Rechtsberatung – bekannt, denn diese werden regelmäßig zwischen dem Case Team und den Zusammenschlussparteien diskutiert. Im Übrigen gilt eine solche Einschränkung auch nur für solche Dokumente, bei denen der Schutz des US-amerikanischen Legal Professional Privilege offensichtlich ist. Die US-amerikanischen Behörden erkennen dieses Risiko ebenfalls an. Der Mustertext der US-amerikanischen Behörden für den Confidentiality Waiver sieht vor, dass die US-amerikanischen Behörden sich nicht um Informationen bemühen, die vom Schutz des US-amerikanischen Legal Professional Privilege umfasst sind. Gleichzeitig sichern die US-amerikanischen Behörden den Parteien zu, dass sie Informationen/ Dokumente, die vom Schutz des US-amerikanischen Legal Professional Privilege ­umfasst sind, die sie aber im Rahmen der internationalen Kooperation von nicht-amerikanischen Wettbewerbsbehörden erhalten, als unbeabsichtigt produzierte privilegierte Informationen/Dokumente ansehen und damit nicht für ihre Ermittlungen berücksichtigen.39 b) Waiver im US-amerikanischen Zivilprozess Das größte Risiko, das mit der Vorlage eines ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützten Dokuments bei der Kommission verbunden ist, ist, dass US-Gerichte diese Vorlage als freiwillige Offenlegung privilegierter Informationen gegenüber Dritten und somit als Verzicht auf den Vertraulichkeitsschutz in einem anhängigen oder zukünftigen US-amerikanischen Zivilprozess (sog. Waiver) ansehen können.

Davis/Dodoo/Schubert/Zampa, The growing document burden: coordinating discovery in cross-border merger reviews, Getting the Deal Through 2018, 7, 8. 38 Die Beschränkung des Austausches auf wesentliche Beweisstücke verhindert auch, dass die Vereinbarungen der Zusammenschlussparteien mit den US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden bezüglich des Umfangs des Second Request (Zielpersonen, Zeitrahmen und Themen) durch die internationale Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden systematisch ausgehöhlt werden. 39 Abrufbar unter https://www.ftc.gov/sites/default/files/attachments/international-waivers-­ confiden​tiality-ftc-antitrust-investigations/model_waiver.pdf.

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Die freiwillige Offenlegung privilegierter Informationen bedeutet dabei nicht nur einen Verzicht auf den Schutz des Legal Professional Privilege für das einzelne Do­ kument, sondern kann sich auf den gesamten Gegenstand der Korrespondenz (sog. Subject Matter) beziehen. Dabei ist es den Gerichten überlassen, den Umfang des Verzichts bzw. des jeweiligen Gegenstands der Korrespondenz (Subject Matter) im Einzelnen zu bestimmen.40 Inwieweit die Vorlage privilegierter Dokumente bei der Kommission als Antwort auf ein Auskunftsersuchen aber tatsächlich als Verzicht auf den Vertraulichkeitsschutz in einem anhängigen oder zukünftigen US-amerikanischen Zivilprozess angesehen wird, wird unter unterschiedlichen Aspekten diskutiert. aa) Selective Waiver Die Offenlegung privilegierter Informationen gegenüber Behörden wird in den USA zunächst unter dem Stichwort „Selective Waiver“ diskutiert. Die Konstruktion eines Selective Waiver soll in den Fällen behördlicher Ermittlung dazu dienen, den Vertraulichkeitsschutz in Folgeprozessen zu wahren. Im Falle eines Selective Waiver soll also nur gegenüber den Behörden im konkreten Verfahren auf den Vertraulichkeitsschutz verzichtet worden sein. An die Ermittlungsbehörden herausgegebene Informationen sollen jedoch gegenüber Dritten weiterhin vertraulich bleiben und Dritten in möglichen Folgeprozessen gerade nicht zugänglich gemacht werden. Die Möglichkeit eines lediglich teilweisen Verzichts auf das Legal Professional Privilege wurde jedoch bisher nur in Einzelfällen in der US-amerikanischen Rechtsprechung anerkannt.41 Die weitüberwiegende Mehrheit der Gerichte lehnt diese Konstruktion 40 S. Rule 502(a) der Federal Rules of Evidence (abrufbar unter http://www.uscourts.gov/sites/ default/files/evidence-rules-procedure-dec2017_0.pdf) beschränkt einen umfangreichen Subject Matter Waiver auf die Fälle, in denen dies aus Gründen der prozessualen Fairness geboten ist und die Vorlage freiwillig erfolgt, s. z.B. In re United Mine Workers of America Employee Benefit Plans Litig., 159 F.R.D. 307, 312 (D.D.C. 1994); s. dazu auch Judicial Conference Advisory Committee on Evidence Rules, Explanatory Note on Evidence Rule 502(a) (abrufbar unter https://www.law.cornell.edu/rules/fre/rule_502). Entgegen In re Sealed Case, 877 F.2d 976 (D.C.Cir. 1989), stellt Rule 502(a) klar, dass eine unbeabsichtigte Offenlegung keinesfalls zu einem Subject Matter Waiver führen kann. Zu den Schwierigkeiten, den Umfang des Verzichts im Einzelfall zu bestimmen, s. z.B. Bear Republic Brewing Co., 275 F.R.D. 43, 49-50 (D. Mass. 2011); Seyler v. T-Systems N. Am. Inc., 771 F. Supp.2d 284 (S.D.N.Y. 2011); Carpenter v. Churchville Greene Homeowner’s Ass’n, No. 09-CV-6552T, (W.D.N.Y. 2011). 41 Ausdrücklich anerkannt wurde die Möglichkeit des Selective Waiver bisher nur vom Court of Appeals for the Eighth Circuit in Diversified Indus., Inc. v. Meredith, 572 F.2d 596 (8th Cir. 1978). In jüngeren Entscheidungen ist der Court of Appeals jedoch von einer solchen Position abgerückt, s. z.B. In re Chrysler Motors Corp. Overnight Evaluation Program Litigation, 860 F.2d 844, 846 f. (8th Cir. 1988). Unter dem Recht der Bundesstaaten hat lediglich der Delaware Court of Chancery einmal ausnahmsweise die Selective Waiver-Doktrin akzeptiert, s. Saito v. McKesson HBOC, Inc., No. CIV. A. 18553, 2002 WL 31657622, 11 (Del. Ch. Nov. 13, 2002).

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ab und hat auch in solchen Fällen einen vollständigen Verzicht angenommen.42 Schließlich ist eine unverzichtbare Voraussetzung des Attorney-Client Privilege die Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant; sobald Dritte davon erfahren, entfällt der Vertrauensschutz.43 Vereinzelt finden sich in der Rechtsprechung allerdings auch Hinweise auf die Möglichkeit einer Vertraulichkeitsvereinbarung, um den Vertraulichkeitsschutzes zu bewahren.44 Zwar sahen noch Entwürfe der Federal Rules of Evidence zu Rule 502(c) die Normierung der Selective Waiver-Doktrin vor,45 diese wurde allerdings nicht in die finale Fassung der Norm übernommen. Auf Basis der damit weiterhin gültigen Rechtsprechung ist also ein teilweiser Verzicht auf das Legal Professional Privilege gegenüber einem bestimmten Personenkreis wie z.B. der Europäischen Kommission daher grundsätzlich nicht zu rechtfertigen. bb) Unbeabsichtigte Offenlegung (Inadvertent Disclosure) Der Verzicht auf die Geltendmachung das Legal Professional Privilege kann nicht nur willentlich, sondern grundsätzlich auch ohne einen entsprechenden Verzichtswillen, also unbeabsichtigt erfolgen (sog. Inadvertent Disclosure oder Inadvertent Waiver). Insbesondere in den Fällen, in denen größere Datenmengen übermittelt werden, be42 So z.B. In re Pacific Pictures, 679 F.3d 1121 (9th Cir. 2012); In re Qwest Communi­cations International Inc., 450 F.3d 1179 (10th Cir. 2006); In re Columbia/HCA ­Healthcare Corporation Billing Practices Litigation, 293 F.3d 289 (6th Cir. 2002); ­United States v. Massachusetts Institute of Technology, 129 F.3d 681 (1st Cir. 1997); In re Steinhardt Partners, L.P., 9 F.3d 230 (2d Cir. 1993); Westinghouse Electric Corp. v. Republic of the Philippines, 951 F.2d 1414 (3d Cir. 1991); In re Martin Marietta Corp., 856 F.2d 619, 623 f. (4th Cir.1988); Permian Corp. v. United States, 665 F.2d 1214 (D.C. Cir. 1981). Auch unter dem Recht der Bundesstaaten wird die Selective Waiver-Doktrin grundsätzlich abgelehnt, s. z.B. folgende Fälle, die  alle Offenlegungen gegenüber  der US-Börsenaufsichtsbehörde betrafen: Order, U.S. Securities and Exchange Commission v. Herrera, et al., Case No.  17-20301-CIV-Lenard/ Goodman (S.D. Fla. Dec. 5, 2017); People ex. rel. Spitzer v. Greenberg, 50 A.D.3d 195, 203, 851 N.Y.S.2d 196, 202 (2008); McKesson HBOC, Inc. v. Superior Court, 115 Cal. App. 4th 1229, 1238, 9 Cal. Rptr. 3d 812, 819 (2004); McKesson Corp. v. Green, 279 Ga. 95, 96, 610 S.E.2d 54, 56 (2005). 43 Hardy v New York News, Inc., 114 F.R.D. 633, 644 ff. (S.D.N.C. 1987). 44 In In Steinhardt Partners, L.P., 9 F.3d 230, 236 (2d Cir. 1993) hat der Court of Appeals for the Second Circuit allerdings abgelehnt, dass jede Offenlegung gegenüber der Regierung per se einen Verzicht auf das Legal Professional Privilege darstellt. Eine Bewertung müsse anhand der Umstände im jeweiligen Einzelfall erfolgen, insbesondere auch um Situationen Rechnung zu tragen, in denen die Parteien eine ausdrückliche Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Behörde abgeschlossen haben oder die Offenlegung zur Förderung gemeinsamer Interessen mit der Regierung bei der Sachverhaltsauswertung und Entwicklung rechtlicher Theorien erfolgt (Common Interest Doctrine, die auch eine Ausnahme vom Verzicht auf den Vertraulichkeitsschutz darstellt, sofern Dritte (wie z.B. Mitbeklagte) ein identisches rechtliches Interesse haben). 45 S. Advisory Committee on Rules of Evidence Rules, May 2006, S. 7 (abrufbar unter http:// www.uscourts.gov/sites/default/files/fr_import/EV05-2006.pdf). S.  hierzu auch Weiss, 48 B.C.L.Rev. 501, 521 f. (2007).

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steht die Gefahr, dass nicht alle privilegierten Dokumente vollständig herausgefiltert wurden. Rule 502(b) der Federal Rules of Evidence stellt klar, dass unter bestimmten Voraussetzungen in Verfahren auf Bundesebene und im Zusammenhang mit Bundesbehörden unabsichtlich offengelegte Informationen keinen grundsätzlichen Verzicht auf das Legal Professional Privilege darstellen. Dies kommt in Betracht, wenn (1) die Offenlegung versehentlich erfolgt ist, (2) der Inhaber des Legal Professional Privilege angemessene Schritte unternommen hat, um eine Offenlegung zu verhindern, und (3) er unverzüglich nach der unabsichtlichen Offenlegung angemessene Schritte unternommen hat, um die fehlerhafte Offenlegung zu beheben. Ob der Inhaber des Legal Professional Privilege tatsächlich angemessene Schritte ergriffen hat, ist anhand der Umstände im Einzelfall zu bestimmen. Zu den hierfür relevanten Faktoren zählen insbesondere (i) die Angemessenheit der Vorsichtsmaßnahmen, (ii) die Zeit bis zur Fehlerbehebung, (iii) der Rahmen und (iv) der Umfang der Discovery, (v) Fairness, (vi) die Zahl der durchzusehenden Dokumente und (vii) der Zeitdruck für die Dokumentenproduktion.46 Über die Anforderungen an angemessene Vorsichtsmaßnahmen zum sorgfältigen Datenscreening sind sich auch die US-Gerichte nicht einig. Älteren Entscheidungen entsprechend durfte die Übermittlung zumindest nicht grob fahrlässig gewesen sein. Nach der neueren Rechtsprechung kann sich der Inhaber des Legal Professional Privilege nur dann darauf berufen, wenn er bei der Filterung der Daten ausreichend sorgfältig vorgegangen ist und insbesondere einen ordnungsgemäßen Prozess zur Dokumentendurchsicht eingerichtet hat, um versehentliche Offenlegungen zu vermeiden.47 Die US-Gerichte stellen dabei hohe Anforderungen sowohl an den Nachweis als auch an den ordnungsgemäßen Prozess als solchen. Keinesfalls darf die versehentliche Offenlegung das Ergebnis eines nachlässigen Prozesses oder einer unsorgfältigen Durchsicht sein.48 Insgesamt sollte daher bei der Durchsicht der Dokumente mit äußerster Sorgfalt vorgegangen werden. Im Falle der Offenlegung gegenüber der Kommission von Dokumenten, die unter US-amerikanisches Legal Professional Privilege fallen, handelt es sich  – zumindest beim Großteil dieser Dokumente – kaum um eine unbeabsichtigte Offenlegung. In solchen Fällen verzichten die Zusammenschlussparteien entweder von Anfang an auf eine Durchsicht der Dokumente auf US-amerikanisches Legal Professional Privilege, oder sie verzichten trotz entsprechender Durchsicht bewusst auf seine Geltendmachung. 46 Judicial Conference Advisory Committee on Evidence Rules, Explanatory Note on E ­ vidence Rule 502, revised Nov. 28, 2007 (Fn. 40), s. hierzu auch Lois Sportswear, U.S.A., Inc. v. Levi Strauss & Co., 104 F.R.D. 103, 105 (S.D.N.Y. 1985), und Hartford Fire Ins. Co. v. Garvey, 109 F.R.D. 323, 332 (N.D.Cal. 1985). 47 Heriot vs. Byrne, No 08 C 2272, 2009 WL 742769, 5 (N.D. III, Mar. 20, 2009). 48 S. z.B. Williams v. D.C., 806 F. Supp. 2d 44, 50 (D.D.C. 2011). Ein Beispiel für die hohen Anforderungen an den Nachweis findet sich auch in BNP Paribas Mortgage Corp. v. Bank of America, N.A., No. 09 CIV. 9783 RWS, 2013 WL 2322678, 5 (S.D.N.Y. May 21, 2013).

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Für den Fall, dass bei der Durchsicht der Dokumente tatsächlich versehentlich Dokumente als nicht-privilegiert gekennzeichnet und anschließend gegenüber der Kommission offengelegt werden, bleibt aber die Berufung auf die Inadvertent Disclosure unbenommen. Auch die US-Kartellbehörden erkennen die unabsichtliche Offenlegung von privilegierten Dokumenten an. Im Einklang mit Rule 26(5)B der Federal Rules of Civil Procedure werden versehentlich offengelegte privilegierte Dokumente entweder zerstört oder an die Parteien zurückgeben. Angesichts der kurzen Fristen in der europäischen Fusionskontrolle akzeptieren auch die Case Teams der Kommission grundsätzlich die Rückforderung von Dokumenten im Falle einer versehentlichen Offenlegung.49 cc) Unfreiwillige Offenlegung (Involuntary Disclosure) In der US-amerikanischen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die unfreiwillige Offenlegung keinen Verzicht auf das Legal Professional Privilege in einem anhängigen oder zukünftigen US-amerikanischen Zivilprozess bedeutet.50 Es wird aber diskutiert, welche Maßnahmen der Inhaber des Legal Professional Privilege ergreifen muss, um im Fall einer behördlichen Aufforderung zur Dokumentenvorlage dennoch seinen Willen zum Schutz des Legal Professional Privilege zu demonstrieren. Bloß passives Befolgen einer behördlichen Aufforderung zur Vorlage der Dokumente wird von den Gerichten bereits als freiwilliger Verzicht auf das Legal Professional ­Privilege angesehen. Einige Gerichte fordern, dass der Inhaber des Legal Professional Privilege der Offenlegung widerspricht und mitunter die Dokumente nur auf Anordnung eines Gerichts offenlegt.51 Andere Gerichte gehen davon aus, dass die Androhung von Bußgeldern und Strafen im Falle einer Nichtbefolgung der Offenlegungsaufforderung einem Zwang zur Vorlage dieser Dokumente gleichkommt, der dann einen Verzicht auf das Legal Profes­ sional Privilege ausschließt.52 In einigen Fällen wurde auch der Abschluss einer Ver49 Anders als in den USA existiert für die Rückforderung von versehentlich offenge­legten privilegierten Dokumenten (sog. Claw Back) in der europäischen Fusions­kontrolle kein geregeltes Verfahren. Eine Vereinheitlichung der Praxis im Rahmen von Best Practices für Auskunftsersuchen nach internen Dokumenten wäre wünschenswert. S. hierzu auch Wilson, NZKart 2017, 352, 358. 50 S. insbesondere Leonen v. Johns-Manville, 135 F.R.D. 94, 99 (D.N.J. 1990); In re Grand Jury Proceedings, Vargas, 723 F. 2d 1461, 1466 (10th Cir.1983); Teachers Insurance and Annuity Association of America v. Shamrock Broadcasting Company, Inc., 521 F. Supp. 638, 641 (S.D.N.Y.1981); Miller v. Haulmark Transport Systems, 104 F.R.D. 442, 445 (E.D.Pa.1984); Transamerica Computer Company, Inc. v. International Business Machines, Corp., 573 F.2d 646, 651 (9th Cir.1978). 51 Leonen v. Johns-Manville, 135 F.R.D. 94, 99 (D.N.J. 1990); ähnlich Miller v. Haulmark Transport Systems, 104 F.R.D. 442, 445 (E.D.Pa.1984). Nach United States v. Philip Morris Inc., 212 F.R.D. 421, 425-26 (D.D.C. 2002) reicht dabei aber bloß minimaler Aufwand, um den Widerspruch gegen die Offenlegung zu demonstrieren, nicht aus. 52 S. z.B. Regents of Univ. of California v. Superior Court, 165 Cal. App. 4th 672, 683, 81 Cal. Rptr. 3d 186, 194 (2008).

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traulichkeitsvereinbarung mit der Behörde als ausreichender Schutz vor einem Waiver angesehen.53 Andere Gerichte haben wiederum einen stillschweigenden Verzicht auf den Vertraulichkeitsschutz bereits darin gesehen, wenn der Inhaber des Legal Professional Privilege die privilegierten Dokumente von der Behörde nicht zur Wiederherstellung der Vertraulichkeit zurückgefordert hat.54 3. Minimierung des Risikos eines Waiver Die Kommission versendet Auskunftsverlangen nach internen Dokumenten üblicherweise in Phase  I oder Phase  II zunächst als einfache Auskunftsverlangen nach Art. 11 Abs. 2 FKVO oder mittlerweile in einzelnen Fällen auch als informelle Anfragen in der Pränotifizierungsphase.55 Der Adressat eines einfachen Auskunftsverlangens ist aber nicht dazu verpflichtet, die angefragten Auskünfte zu erteilen.56 Die Vorlage von Dokumenten, die ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützt sind, erfolgt daher im Rahmen einer Antwort auf ein einfaches Auskunftsverlangen ebenso wie in der Pränotifizierungsphase immer freiwillig. Sofern es sich nicht tatsächlich um einen Einzelfall handelt, in dem trotz sorgfältiger Durchsicht der Dokumente auf europäisches und US-amerikanisches Legal Professional Privilege versehentlich ein Dokument gegenüber der Kommission offengelegt wurde, verliert die Zusammenschlusspartei durch die freiwillige Vorlage solcher Dokumente im Rahmen der Beantwortung eines einfachen Auskunftsverlangen nach Art.  11 Abs. 2 FKVO aller Wahrscheinlichkeit nach den Schutz des Legal Professional Privilege in bestehenden oder zukünftigen Zivilprozessen in den USA. Um dieses Risiko zu minimieren, sollten angesichts der oben dargestellten US-amerikanischen Rechtsprechungspraxis zur Involuntary Disclosure die Dokumente, die ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützt sind, zumindest nur nach Erlass einer Entscheidung nach Art. 11 Abs. 3 FKVO (im Folgenden: Art. 11(3)-Entscheidung) vorgelegt werden.57 Denn im Gegensatz zu einfachen Auskunftsersuchen nach Art. 11 Abs. 2 FKVO ist der Adressat bei einem förmlichen Aus53 S. z.B. Police & Fire Ret. Sys. of City of Detroit v. SafeNet, Inc., No. 06 CIV. 5797 (PAC), 2010 WL 935317, 1 (S.D.N.Y. Mar. 12, 2010); Saito v. McKesson HBOC, Inc., No. CIV. A. 18553, 2002 WL 31657622, 11 (Del. Ch. Nov. 13, 2002); s. auch In Steinhardt Partners, L.P., 9 F.3d 230, 236 (2d Cir. 1993) (Rz. 44). 54 S. z.B. In re Grand Jury, 138 F.3d 978, 981 (3d Cir. 1998). 55 Auch nach ihren Best Practices für Fusionskontrollverfahren sollen interne Dokumente wie die nach Abschnitt 5.4 der Form CO vorzulegenden Dokumente so früh wie möglich im Rahmen der Pränotifizierungsphase vorgelegt werden. 56 Ohlhoff in Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Art. 11 FKVO Rz. 20; Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/Teil  2, 5.  Aufl., Art.  11 FKVO Rz.  23. Lediglich für den Fall, dass die Zusammenschlusspartei sich entschließt, Auskünfte zu erteilen, unterliegt sie der Wahrheitspflicht (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. b FKVO). Verstöße gegen die Wahrheitspflicht können mit einer Geldbuße geahndet werden. 57 Wilson, NZKart 2017, 352, 356 f.; Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018.

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kunftsersuchen nach Art. 11(3) FKVO zur Erteilung der Auskunft verpflichtet. Nach Art.  14 Abs.  1 lit.  c FKVO kann die Kommission im Falle von (vorsätzlichen oder fahrlässigen) unrichtigen, unvollständigen, irreführenden oder nicht fristgerechten Antworten auf ein förmliches Auskunftsersuchen eine Geldbuße festsetzen. Durch den Erlass einer förmlichen Art.  11(3)-Entscheidung werden die Entscheidungsfristen im Fusionskontrollverfahren automatisch nach Art. 10 Abs. 4 FKVO bei Fristablauf gehemmt. Da die Art. 11(3)-Entscheidung aber regelmäßig erst nach Frist­ ablauf des einfachen Auskunftsverlangens nach Art. 11 Abs. 2 FKVO erlassen wird, ist  die von den Zusammenschlussparteien an sich gewünschte Schutzwirkung der Art. 11(3)-Entscheidung mit dem Nachteil eines dann der Art. 11(3)-Entscheidung immanenten Anhaltens der Uhr verbunden. Solche Verfahrensverzögerungen wollen die Zusammenschlussparteien aber in der Regel vermeiden. Der sofortige Erlass einer Art. 11(3)-Entscheidung wäre daher aus Sicht der Zusammenschlussparteien wünschenswert, denn diese würde sofort Schutz gegen das mit der Offenlegung verbundene Risiko eines Waiver bieten und gleichzeitig eine Beantwortungsfrist setzen (die bei Bedarf auch noch verlängert werden könnte), ohne dass die Uhr angehalten wird. Im Fall eines Auskunftsverlangens, das auch ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützte Dokumente erfasst, würden grundsätzlich solche Umstände vorliegen, für die eine Zusammenschlusspartei verantwortlich ist (nämlich der umfassende Schutz ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützter Dokumente) und die dann nach Art. 9 Abs. 2 DVO-FKVO auch den sofortigen Erlass einer Art. 11(3)-Entscheidung rechtfertigen können.58 Die Kommission ist jedoch bezüglich des sofortigen Erlasses einer Art. 11(3)-Entscheidung bislang zurückhaltend gewesen. Zumindest aber sollten die Case Teams im Falle eines einfachen Auskunftsersuchens nach Art. 11 Abs. 2 FKVO eine angemessene Frist zur Durchsicht der Dokumente auf europäisches und US-amerikanisches Legal Professional Privilege und Produktion der Dokumente setzen und diese gegebenenfalls auch verlängern, um schließlich während der noch laufenden Frist und dabei mit ausreichendem Vorlauf für die Herausgabe der Dokumente eine Art. 11(3)-Entscheidung zu erlassen. Ein solches Vorgehen wurde bereits von einigen Case Teams akzeptiert. Angesichts der oben dargestellten US-amerikanischen Rechtsprechungspraxis sollte außerdem der Vorlage solcher Dokumente widersprochen und dieser Widerspruch auch dokumentiert, auf bestehende Vertraulichkeitsvereinbarungen hingewiesen und nach Abschluss des Fusionskontrollverfahrens diese Dokumente von der Kommission zurückgefordert werden. Von einem darüber hinausgehenden Widerspruch, also einer Klage gegen die Art.  11(3)-­Entscheidung, um so den besonders hohen Anforderungen einiger US-­ 58 Das Vertretenmüssen des Unternehmens setzt eine (Mit)Verantwortlichkeit des Unternehmens, aber nicht notwendigerweise sein Verschulden voraus. S. hierzu Körber in Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/Teil 2, 5. Aufl., Art. 10 FKVO Rz. 14.

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amerikanischer Gerichte zum Schutz des Legal Professional Privilege im Falle einer Involuntary Disclosure nachzukommen, werden die Zusammenschlussparteien wohl in der Regel aus strategischen Gründen absehen. Ein gewisses Restrisiko eines Waiver im Zivilprozess bleibt also auch im Falle einer Offenlegung als Antwort auf eine Art.  11(3)-Entscheidung. Hier ist weiterhin im Einzelfall eine Risikoabwägung für bestimmte, hochsensible Dokumente, die für anhängige oder sehr wahrscheinliche zukünftige Zivilprozesse besonders relevant sind, zu treffen und gegebenenfalls für diese Dokumente unter Hinweis auf das im Falle der Offenlegung bestehende sehr hohe Risiko eines sehr großen wirtschaftlichen Schadens Ausnahmen von der generellen Vorlagepflicht mit dem Case Team zu verhandeln, wenn diese Dokumente für die Untersuchung der Kommission nicht relevant sind.59

IV. Überlegungen zur Verbesserung des Schutzes des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle Den Zusammenschlussparteien bleibt derzeit letztlich keine andere Wahl, als die – sehr engen – Positionen der Kommission bzw. der jeweiligen Case Teams zum Umfang des Legal Professional Privilege zu akzeptieren, wenn sie das Fusionskontrollverfahren nicht verzögern wollen. Sie stehen also vor der Wahl, durch die Offenlegung ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützter Dokumente das Risiko eines Waiver in Kauf zu nehmen oder die Uhr anzuhalten. Ihnen bleibt dabei lediglich die Möglichkeit, durch prozessuale Vorkehrungen das Risiko eines Waiver dadurch zu minimieren, dass sie solche Dokumente nur als Antwort auf  eine Art.  11(3)-Entscheidung offenlegen. Möglicherweise ist aus Sicht der Zu­ sammenschlussparteien eine Art. 11(3)-Entscheidung nicht erforderlich, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffenden Dokumente in einem anhängigen oder zukünftigen Zivilprozess relevant sind bzw. werden, als äußert gering einschätzen. In anderen Fällen müssen Zusammenschlussparteien eine Abwägung treffen, ob für bestimmte, hochsensible Dokumente, z.B. im Bereich Innovation und Forschung & Entwicklung, die Rechtsberatung zum Patentrecht oder zu anderen Bereichen des IPRechts betreffen, die für anhängige oder zukünftige Zivilprozesse sehr wahrscheinlich relevant sind bzw. werden, diese Schutzmaßnahmen ausreichen, oder bei Offenlegung möglicherweise ein sehr großes Risiko eines sehr großen wirtschaftlichen Schadens aufgrund des Waiver des Legal Professional Privilege in Zivilprozessen besteht. Ein Überdenken der sehr engen Auslegung der Kommission des Schutzumfangs des 59 Die Kommission bestimmt neuerdings in komplexen Fusionskontrollverfahren in ihren Auskunftsverlangen die einzureichenden Dokumente regelmäßig auf Basis von Zielpersonen, Zeitraum und Suchbegriffen. Ist der Suchbegriff in einem Dokument einschlägig, so ist dieses Dokument in jedem Fall vorzulegen, und zwar unabhängig davon, ob der Suchbegriff in einem Zusammenhang verwendet wird, der dem Untersuchungsgegenstand der Kommission entspricht. Eine Durchsicht der einschlägigen Dokumente auf Relevanz für die Untersuchung der Kommission ist untersagt. Auf diese Weise enthalten die als Antwort auf ein Auskunftsversuchen eingereichten Dokumente regelmäßig eine große Anzahl irrelevanter Treffer.

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Legal Professional Privilege in der europäischen Fusionskontrolle und die Schaffung klarer Richtlinien dafür wäre daher wünschenswert. Bei dem Legal Professional Privilege handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz mit Grundrechtscharakter, der sich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)60 und der EU-Grundrechtecharta61 ergibt.62 Die Funktionsfähigkeit des EU-Fusionskontrollverfahrens und die damit verbundenen kurzen Fristen dürfen ­daher nicht zur Aufgabe des Legal Professional Privilege führen. Die europäische Rechtsprechung zum Legal Professional Privilege, auf die sich die Kommission im ­Fusionskontrollverfahren beruft, ist in Bußgeldverfahren ergangen. Im spezifischen Zusammenhang des Bußgeldverfahrens wurde festgestellt, dass es sich beim Legal Professional Privilege um eine Ausnahme von den Untersuchungsbefugnissen der Kommission zur Ahndung von Wettbewerbsverstößen handelt und dieses angesichts der Tatsache, dass solche Verstöße häufig sorgfältig versteckt werden und in der Regel sehr gefährlich für das reibungslose Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sind, sehr eng auszulegen ist.63 Eine enge Auslegung, wie sie die Kommission aus der Rechtsprechung auch für die Fusionskontrolle ableiten will, erscheint im Fusionskontrollverfahren, wo es gerade nicht um die Ahndung von Wettbewerbsverstößen geht, aber nicht angemessen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich das europäische Fusionskontrollsystem nach der FKVO konzeptionell von einem dokumentenlastigen Untersuchungssystem des Second Request in den USA unterscheidet. Das europäische Fusionskontrollsystem ist als System des Formblatts CO konzipiert, in dem die ­Zusammenschlussparteien vorab eine große Fülle von Informationen, Daten und ­bestimmten Dokumenten einreichen müssen, und dessen Prüfung dann einem strengen Zeitplan und kurzen Fristen folgt. Innerhalb dieses Systems stehen der Kommission grundsätzlich auch andere Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung wie z.B. Markttests zu Verfügung.64 60 Art. 8 Abs. 1 EMRK (Schutz der Korrespondenz) i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. c EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). 61 Art.  7 der EU-Grundrechtecharta (Achtung der Kommunikation) i.V.m. Art.  47 Abs.  1, Abs. 2 Satz 2 und Art. 48 Abs. 2 jener Charta (Recht auf Beratung, Verteidigung und Vertretung, Achtung der Verteidigungsrechte). 62 GA Kokott, Schlussanträge, Akzo (Fn. 28), Rz. 47. 63 EuG, Akzo (Fn. 5), Rz. 124. 64 Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 19 f. Bei sehr umfangreichen Dokumentenvorlagen besteht bei der Auswertung und Beweiswürdigung innerhalb der kurzen Fristen des EU-Fusionskontrollverfahrens auch das Risiko des Rosinenpickens oder gar der Suche nach der „smoking gun“, s. dazu auch Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 22. Vor diesem Hintergrund erfordert es der umfassende Schutz des Legal Professional Privilege als allgemeiner Rechtsgrundsatz mit Grundrechtscharakter auch, dass die Kommission die Auskunftsersuchen auf ein erforderliches Maß beschränkt und keine „fishing expeditions“ betreibt, sondern durch zielgerichtete Auskunftsersuchen den Umfang der Dokumente, für die eine Offenlegung mit dem Risiko eines Waiver verbunden ist, so gering wie möglich hält und möglicherweise für nicht relevante Dokumente auch Ausnahmen von der generellen Offenlegungspflicht zustimmt. Dazu gehört insbesondere die Formulierung klarer und engumgrenzter Suchbegriffe, um die Zahl der Fehltreffer möglicher gering zu halten. S. auch oben Fn. 59.

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Es ist daher angeraten, nicht nur Klarheit bezüglich der Praxis bei Auskunftsverlangen nach internen Dokumenten, sondern insbesondere auch zum Umfang des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle zu schaffen.65 Dabei sollten die Besonderheiten des EU-Fusionskontrollverfahrens und seine grundlegenden Unterschiede zum Bußgeldverfahren berücksichtigt und daher umfassender Vertraulichkeitsschutz gewährt werden, der dann im Ergebnis auch die Diskrepanz zwischen dem Schutzumfang des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle und im US-amerikanischen Recht auflöst bzw. reduziert. 1. Rechtsberatung außerhalb des Wettbewerbsverfahrens bzw. ­Wettbewerbsrechts Zunächst sollte die Kommission im Fusionskontrollverfahren auch Legal Professional Privilege für Korrespondenz zur Rechtsberatung außerhalb des Wettbewerbsverfahrens bzw. Wettbewerbsrechts anerkennen. Da es sich bei dem Legal Professional Privilege um einen Rechtsgrundsatz mit Grundrechtscharakter handelt, darf es letztlich im europäischen Recht und damit auch im EU-Fusionskontrollverfahren keinen Unterschied machen, ob die Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant Rechtsberatung im Kartellrecht oder in einem anderen Rechtsgebiet betrifft. Es kann sich bei den in AM&S, Hilti und Akzo bestätigten Fallgruppen um keine abschließende Liste an Fallgruppen des Legal Professional Privilege handeln. So schließt das EuGH-Urteil in AM&S gerade nicht aus, dass der Schutz des Legal Professional Privilege auch für solche Korrespondenz zur Rechtsberatung gewährt werden kann, die nicht mit dem Gegenstand dieses Verfahrens im Zusammenhang steht.66 Vielmehr hat der EuGH bereits in AM&S hervorgehoben, „dass es dem einzelnen möglich sein muss, sich völlig frei an einen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen beruflichen Aufgaben es gehört, unabhängige Rechtsberatung all denen zu erteilen, die danach fragen“.67 Es ist daher (in der Fusionskontrolle) nur angemessen, ebenso wie im US-amerikanischen Recht, Legal Professional Privilege unabhängig vom Gegenstand der Rechtsberatung anzuerkennen. 2. Rechtsberatung durch Rechtsanwälte, die in einem Drittstaat zugelassen sind, einschließlich In-house Counsel Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass der persönliche Anwendungsbereich des Legal Professional Privilege im Rahmen der EU-Fusionskontrolle nicht auf unabhängige, in einem EU-Mitgliedstaat zugelassene Rechtsanwälte beschränkt ist, sondern für alle Rechtsanwälte, die in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat zugelassen sind, gewährt wird. Dabei sollte der Vertraulichkeitsschutz nicht nur – wie 65 Darüber hinaus sollte auch ein effizientes Verfahren geschaffen werden, um Streitfragen um den Schutz des Legal Professional Privilege im Einzelfall schnell und ohne Verzögerungen in der Prüfung des Zusammenschlusses klären zu können, z.B. durch die Erweiterung des Mandats des Anhörungsbeauftragen. S. hierzu Wilson, NZKart 2017, 352, 357. 66 Wilson, ZWeR 2017, 146, 160. 67 EuGH, AM&S (Fn. 5), Rz. 18.

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schon jetzt von den Case Teams regelmäßig in internationalen Fusionskontrollfällen anerkannt – auch für in einem Drittstaat zugelassene externe Rechtsanwälte gelten,68 sondern auch für Rechtsberatung durch In-house Counsel, wenn für diese im nationalen Recht Legal Professional Privilege anerkannt ist.69 Die Gewährung des Legal Professional Privilege auch für in einem Drittstaat zugelassene Rechtsanwälte und damit die Akzeptanz des Offenlegungsverzichts von Do­ kumenten, die ausschließlich von einem ausländischen Legal Professional Privilege geschützt sind, folgen bereits aus dem völkerrechtlichen Comity-Grundsatz.70 Die Europäische Union ist der gegenseitigen Rücksichtnahme der Völkerrechtssubjekte verpflichtet, ausländisches Recht zu respektieren und mit Blick auf mögliche Folgen ihres Handelns, die Interessen betroffener anderer Staaten angemessen zu berücksichtigen. Die Europäische Kommission sollte daher auch bereits aus diesem Grund ausländisches Legal Professional Privilege respektieren. Nach Ansicht des US Supreme Court handelt es sich bei dem Legal Professional Privilege, das gerade nicht auf externe Rechtsanwälte beschränkt ist, sondern auch für In-house Counsel gewährt wird, um ein grundlegendes Verteidigungsrecht, das die umfassende und offene Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit in ein geordnetes Rechtswesen und die Justiz schützt.71 Soweit die Kommission die Verteidigungsrechte achtet und den Schutz des Legal Professional Privilege als Teil des Rechts auf ein faires Verfahren und dabei auch des Rechts auf Beratung, Verteidigung und Vertretung ansieht, kann der Respekt der Verteidigungsrechte dann auch nicht bei der ausschließlichen Anerkennung eines engeren europäischen Legal Professional Privilege enden. Vielmehr muss die Kommission ein umfassendes Recht auf anwaltliche Beratung, Verteidigung und Vertretung respektieren, das letztlich nicht davon abhängig sein kann, ob diese Beratung innerhalb der EU oder in einem Drittstaat durch einen zugelassenen Anwalt erfolgt. Die umfas68 S. oben II.3. Im Übrigen ergibt sich aus Akzo auch kein Ausschluss des Legal Profes­sional Privilege für Rechtsberatung durch einen unabhängigen in einem Drittstaat zugelassenen Rechtsanwalt. Der Gerichtshof hat in Akzo lediglich zwischen angestellten Anwälten (also In-house Counsel) und unabhängigen Rechtsanwälten unterschieden, aber bezüglich der letzteren Gruppe gerade nicht zwischen solchen, die in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen sind, und solchen, die in einem Drittstaat zugelassen sind. S. hierzu auch GonzálezDíaz/Stuart, Competition Law & Policy De­bate 2017, 56, 61. 69 Auch in Europa wird in einigen Mitgliedstaaten Legal Professional Privilege für Rechtsberatung durch In-house Counsel anerkannt, so z.B. in Belgien, Griechenland, Großbritannien, Irland, Portugal und Polen. Auch wenn es sich dabei nur um einige und nicht die Mehrheit der Mitgliedstaaten handelt, sollte aber aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen im Bußgeld- und Fusionskontrollverfahren grundsätzlich ein breiterer Schutz als in Bußgeldverfahren gewährt werden und auch angesichts des bei den kurzen Fristen des EU-Fusionskontrollverfahrens bestehenden Bedürfnisses nach handhabbaren Regeln für die Parteien der europäische Standard (zumindest) für die Fusionskontrolle auf einen entsprechenden Schutzstandard angehoben werden. 70 Hierzu auch González-Díaz/Stuart, Competition Law & Policy Debate 2017, 56, 61 f.; Levy/ Karadakova, ECLR 2018, 12, 21; Kuhn in dieser Festschrift, S. 415. 71 Upjohn v United States 449 US 383, 389 (1981).

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sende Achtung der Verteidigungsrechte muss also auch den Respekt der in anderen Rechtsordnungen geschützten vertraulichen Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandanten umfassen, zumal dort die umfassende und offene Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant gerade auch in Erwartung des Vertraulichkeitsschutzes zur wirksamen Ausübung der Verteidigung stattfindet.72 Im Übrigen sollte die Anerkennung von Legal Professional Privilege im Fusionskon­ trollverfahren für solche Dokumente, die lediglich von einem ausländischen Privileg geschützt sind, auch bereits aus der Verfahrensfairness und dem Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Behörden und Zusammenschlussparteien zumindest für solche Jurisdiktionen folgen, für die die Kommission von den Zusammenschlussparteien einen Confidentiality Waiver verlangt.73 Schließlich widerspricht die Anerkennung des Legal Professional Privilege für interne Korrespondenz bezüglich Rechtsrats eines In-house Counsel auch nicht dem Sinn und Zweck der Auskunftsersuchen nach internen Dokumenten, Einblicke in den normalen Geschäftsablauf zu erhalten. Die Kommission will im normalen Geschäftsablauf erstellte interne Dokumente auswerten und mit diesen die Gültigkeit der von den Parteien vorgetragenen Argumente und Daten abgleichen. Die Kommission erhofft sich dadurch insbesondere bessere Einblicke, wie die Zusammenschlussparteien im normalen Geschäftsablauf und -alltag insbesondere die Gründe und Pläne für das Zusammenschlussvorhaben, die relevanten Märkte und (Wettbewerber)Produkte, Wettbewerbsbedingungen und Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens betrachten und bewerten.74 Solche im normalen Geschäftsablauf erstellten Dokumente sollen im Übrigen – im Gegensatz zu den für Diskussionen auf höherer Management-Ebene erstellten strategischen Dokumenten – auch nicht in dem Bewusstsein und mit Hilfe von internen oder externen Anwälten erstellt worden sein, dass diese möglicherweise in einem Fusionskontrollverfahren bei den Kartellbehörden vorzulegen sind.75 Soweit die Kommission Einblicke in die Sichtweise und Positionen des Unternehmens im normalen Geschäftsablauf erhalten will, ist hierfür aber die Vorlage von dem US-amerikanischen Legal Professional Privilege unterfallender interner Korrespondenz mit einem In-house Counsel nicht erforderlich. Denn auch unter US-amerikanischem Recht wird Legal Professional Privilege nur für solche Korrespondenz gewährt, die Rechtsberatung betrifft. Interne Korrespondenz, die auf Rechtsberatung abzielt, bietet wohl kaum die Bewertung der o.g. Themen aus der Geschäftsperspektive. Im Gegensatz dazu ist auch unter US-amerikanischem Recht interne Korrespondenz mit 72 S. hierzu González-Díaz/Stuart, Competition Law & Policy Debate 2017,56, 61 f., die auch darauf hinweisen, dass das mehr als 35 Jahre alte AM&S-Urteil, das auf einer Unterscheidung zwischen in einem EU-Mitgliedstaat und in Drittstaaten zugelassenen Rechtsanwälten beruht, einem solchen Verständnis nicht entgegensteht, da dieses noch vor dem Inkrafttreten der EU-Grundrechtecharta erlassen wurde. 73 S. hierzu Wilson, ZWeR 2017, 146, 162; Wilson, NZKart 2017, 352, 357; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 21. 74 Vgl. Kommissionsentscheidung v. 27.3.2017, M.7932 Dow/DuPont, Rz. 43 ff., 3061. 75 Vgl. Kommissionsentscheidung v. 27.3.2017, M.7932 Dow/DuPont, Rz. 3061 ff.

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einem In-house Counsel, die nicht vor dem Hintergrund einer Rechtsberatung, sondern allein vor einem geschäftlichen Hintergrund erfolgt, nicht privilegiert und muss daher auch nach US-amerikanischen Recht offengelegt werden.76 Das Zurückhalten von interner Korrespondenz bezüglich Rechtsrats durch den Inhouse Counsel würde die Kommission also nicht bei ihrem Bestreben behindern, ­Einblicke zu erhalten, wie die Zusammenschlussparteien im normalen Geschäftsablauf und -alltag die Transaktion, relevanten Märkte und Wettbewerbsbedingungen betrachten und bewerten.

V. Zusammenfassung Das gesteigerte Interesse der Europäischen Kommission an internen Dokumenten in der europäischen Fusionskontrolle stellt die Zusammenschlussparteien regelmäßig nicht nur vor praktische Herausforderungen, eine sehr große Anzahl an internen Dokumenten innerhalb der kurzen Fristen des EU-Fusionskontrollverfahrens zusammenzustellen und auf europäisches und ausländisches, insbesondere US-amerikanisches Legal Professional Privilege durchzusehen. Angesichts der derzeitigen Kommissionspraxis stehen die Zusammenschlussparteien bei umfangreichen Auskunftsersuchen nach internen Dokumenten regelmäßig vor der Wahl, die sehr enge Auslegung der Kommission des Schutzumfangs des Legal Professional Privilege zu akzeptieren und durch die Offenlegung ausschließlich vom US-amerikanischen Legal Professional Privilege geschützter Dokumente das Risiko eines Waiver in US-amerikanischen Zivilprozessen und die damit verbundenen sehr großen wirtschaftlichen Risiken in Kauf zu nehmen oder die Uhr anzuhalten. Die Zusammenschlussparteien können das Risiko eines Waiver lediglich durch die Offenlegung solcher Dokumente als Antwort auf eine Art. 11(3)-Entscheidung reduzieren. Die kurzen Fristen des EU-Kontrollverfahrens dürfen aber nicht zu einer effektiven Beschränkung der fundamentalen Verteidigungsrechte und des Legal Professional ­Privilege führen. Es ist angeraten, Klarheit bezüglich des Schutzumfangs des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle zu schaffen. Dabei sollten die Besonder76 S. hierzu z.B. American Standard, Inc. vs. Pfizer Inc., 828 f. 2d 743, 745, 3USP; Chicago Title vs. Superior Court, 174 Cal. App. 3d 1154 (1985); Montebello Rose vs. Agricultural Labor, 119 Cal. App. 3d 32 (1981). Soweit im Einzelfall die Abgrenzung von Geschäfts- und Rechtsberatung in der internen Korrespondenz mit dem In-house Counsel schwierig sein sollte, ist im Zweifel der Schutz für ein solches Dokument durch das Legal Professional ­Privilege anzunehmen. Denn wie oben bereits dargestellt, können die mit der Offenlegung verbundenen Risiken und Schäden enorm sein. Auf der anderen Seite sollte es bei der Durchsicht der internen, im normalen Geschäftsablauf erstellten Dokumente gerade nicht um die Suche nach einer „smoking gun“ gehen, sondern um eine angemessene Beweiswürdigung des Gesamtbilds, das sich aus den Dokumenten ergibt. Ein einzelnes Dokument kann dafür aber im Zweifelsfall nicht den Ausschlag geben. Zur vollständigen und ausgewogenen Auswertung der vorgelegten Dokumente s. auch Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 22 f.

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heiten des EU-Fusionskontrollverfahrens und seine grundlegenden Unterschiede zum Bußgeldverfahren berücksichtigt und umfassender Vertraulichkeitsschutz gewährt werden, der dann im Ergebnis auch die Diskrepanz zwischen dem Schutzumfang des Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle und im US-amerikanischen Recht und somit das Risiko eines Waiver auflösen bzw. reduzieren würde. Insbesondere darf es, da es sich bei dem Legal Professional Privilege um einen Rechtsgrundsatz mit Grundrechtscharakter handelt, letztlich für die Gewährung des Vertraulichkeitsschutzes für bestimmte Dokumente im europäischen Recht und damit auch im EU-Fusionskontrollverfahren keinen Unterschied machen, ob es sich um Rechtsberatung im Kartellrecht oder in einem anderen Rechtsgebiet handelt. Ferner sollte zukünftig Legal Professional Privilege für alle Rechtsanwälte, die in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat zugelassen sind, einschließlich In-house Counsel, wenn für diese im nationalen Recht Legal Professional Privilege besteht, anerkannt werden. Ein so breiter persönlicher Schutzbereich des Legal Profession Privilege im Rahmen der EU-Fusionskontrolle folgt auch aus dem völkerrechtlichen Comity-­Grundsatz und eines konsequenten Respekts der Verteidigungsrechte. Ein breiterer Vertraulichkeitsschutz würde auch nicht die Untersuchungen der Kommission in der Fusionskontrolle behindern, durch interne Dokumente einen besseren Einblick zu erhalten, wie die Zusammenschlussparteien im normalen Geschäftsalltag insbesondere die Transaktion, die relevanten Märkte und Wettbewerbsbedingungen und Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens bewerten. Denn auch im US-­ amerikanischen Recht wird das Legal Professional Privilege nur für solche Korrespondenz gewährt, die eine Rechtsberatung – und gerade keine Geschäftsberatung – betreffen.

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Zum Begriff der Erforderlichkeit offenzulegender Beweismittel

I. Einleitung

II. Offenlegung erforderlicher Beweis­ mittel III. Übernahme des Begriffs aus dem Recht des geistigen Eigentums IV. Kritiklose Übernahme des Regelungskonzepts für Beweismittelzugang aus dem Recht des geistigen Eigentums



V. Vorgaben der Schadensersatzrichtlinie für die Offenlegung von Beweismitteln

VI. Trennung von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit VII. Zeitpunkt der Erforderlichkeitsprüfung VIII. Schlussbemerkung

I. Einleitung In welchem Umfang Kartellgeschädigte Zugang zu relevanten Dokumenten erhalten sollen, gehört zu den Themen, zu denen der Jubilar und der Autor dieser Zeilen in der Vergangenheit häufiger unterschiedliche Auffassungen vertreten haben. Am deutlichsten wurden diese Unterschiede im Hinblick auf den Zugang zu Unterlagen in den Akten von Kartell- und Strafverfolgungsbehörden. In Zukunft wird der Streit um den Zugang zu behördlichen Akten an Bedeutung verlieren. Dafür wird weitaus wichtiger werden, in welchem Umfang Offenlegungsansprüche gegenüber Kartellbeteiligten oder Dritten bestehen. Die Einführung eines eigenständigen Offenlegungsanspruchs in § 33g GWB gehört zu den einschneidensten Änderungen im Kartellzivilprozess durch die 9. GWB-Novelle. Manche wollen in ihr gar das Kernstück der Reform erblicken. Die Norm soll die bei der Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen bestehenden Informationsasymmetrien abbauen. Ihre Anwendung wirft zahlreiche Fragen auf. Dieser Beitrag untersucht, welche Bedeutung dem Merkmal der Erforderlichkeit von Beweismitteln für die Reichweite des Offenlegungsanspruchs zukommt.

II. Offenlegung erforderlicher Beweismittel § 33g GWB begründet einen Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften. Der Anspruch ist bewusst als eigenständiger materieller Anspruch ausgestaltet worden.1 Er steht nach § 33g Abs. 1 GWB zunächst demjenigen 1 Begründung zum Regierungsentwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des ­Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (nachfolgend BRegEntw), BT-Drucks. 18/10207, S. 62.

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zu, der glaubhaft macht, einen Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB zu haben. Aus Gründen der Waffengleichheit soll nach § 33g Abs. 2 GWB ein Offenlegungsanspruch auch demjenigen zustehen, gegen den ein solcher Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend gemacht wird. In beiden Fällen wird das Bestehen des Offenlegungsanspruchs davon abhängig gemacht, dass die betreffenden Beweismittel „erforderlich sind“, und zwar entweder für die Erhebung eines Schadensersatzanspruches oder für die Verteidigung gegen einen solchen Anspruch. Nach § 33g Abs. 3 GWB soll die Herausgabe von Beweismitteln ausgeschlossen sein, soweit dies unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten unverhältnismäßig ist. Der Offenlegungsanspruch des mutmaßlich Kartellgeschädigten soll zusätzlich davon abhängen, dass er diesen Anspruch „glaubhaft macht“. Dagegen reicht für den Offenlegungsanspruch des Schadensersatzschuldners die prozessuale Situation als beklagter Schuldner eines Kartellschadensersatzoder Offenlegungsanspruchs aus. Diese Normstruktur legt nahe, dass Ob und Umfang des Offenlegungsanspruchs im Wesentlichen von der Erforderlichkeit der Beweismittel abhängig sein soll. Nur im Falle der Unverhältnismäßigkeit soll ein – im Ausgangspunkt bestehender – Offenlegungsanspruch ausgeschlossen sein. Hier soll untersucht werden, welche materiellen Anforderungen mit diesem scheinbar zentralen Begriff der Erforderlichkeit verbunden sind.

III. Übernahme des Begriffs aus dem Recht des geistigen Eigentums Die Verwendung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit steht in engem Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Zugangs zu Beweismitteln als materiellem Offenlegungsanspruch. Diese Lösung ist eng an die Vorschriften zur Vorlage von Beweismitteln bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums angelehnt. Bei der Umsetzung der sog. Enforcement-Richtlinie2 hatte sich der deutsche Gesetzgeber für die Schaffung eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Informations- und Beweismittelbeschaffung und gegen die Ausweitung prozessrechtlicher Regelungen ausgesprochen.3 In den Einzelnormen zur Vorlage von Beweismitteln und zum Zugang zu Informationen, die mit dem Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums eingeführt wurden, ist durchweg vorgesehen, dass der Zugang zum jeweiligen Beweismittel zur Begründung eines Anspruchs gegen den Verletzer erforderlich sein muss. So bestimmt beispielsweise §  140c Abs.  1 Satz 1 PatG: „Wer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Rechtsinhaber oder einem anderen Berechtigten auf Vorlage einer Urkunde oder Besichtigung einer Sache, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, oder eines Verfahrens, das Gegenstand des Patents ist, in 2 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. EU Nr. L 195 v. 2.6.2004, S. 16. 3 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drucks. 16/5048, S. 27.

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Anspruch genommen werden, wenn dies zur Begründung von dessen Ansprüchen erforderlich ist.“4 Durch das Merkmal der Erforderlichkeit sollte gewährleistet werden, dass der Zugang zu Beweismitteln nicht zur „allgemeinen Ausforschung der Gegenseite missbraucht werden kann“.5 Nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung soll Erforderlichkeit nur vorliegen, wenn der Verletzte die durch die Beweismittel gewonnene Kenntnis zur Durchsetzung seiner Ansprüche benötigt.6 Dies wiederum soll vor allem dann der Fall sein, wenn es darum geht, eine bestrittene anspruchsbegründende Tatsache nachzuweisen oder überhaupt erst Kenntnis von dieser Tatsache zu erlangen.7 Die Einführung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit in den Vorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums verdankt sich also der ausgeprägten Furcht des deutschen Gesetzgebers vor einem Ausforschungsbeweis. Ihm war zwar bewusst, dass die europarechtlich geforderte Pflicht zur Vorlage von Beweismitteln durch den Prozessgegner den im deutschen Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz durchbrechen musste. Er nahm allerdings schon damals in Kauf, dass zur Verhinderung eines Ausforschungsbeweises die Bestimmungen der Enforcement-­ Richtlinie zur Vorlage von Beweisen nur eingeschränkt umgesetzt wurden. Art. 6 dieser Richtlinie sieht als Voraussetzungen des Zugangs zu Beweismitteln nur vor, dass der mutmaßlich Verletzte selbst alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung seiner Ansprüche vorgelegt und die in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Beweismittel zur Begründung seiner Ansprüche bezeichnet hat. Zusätzlich ist der Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Die Erforderlichkeit dieser Beweismittel wird nicht verlangt. Vielmehr genügt, dass die offenzulegenden Beweismittel zur Begründung des Anspruchs dienen. Dies bedeutet nicht mehr als ihre Eignung zur Begründung der Ansprüche des mutmaßlich Verletzten. Die Kommentarliteratur im Recht des geistigen Eigentums sieht das Merkmal der Erforderlichkeit vorrangig im Zusammenhang mit der Eignung der Beweismittel und der Verfügbarkeit „milderer“ Mittel für den Offenlegungsgläubiger. So fehlt die Erforderlichkeit nach Th. Kühnen, wenn dem Anspruchsteller zur selben Zeit andere einfachere Möglichkeiten zur Sachaufklärung zur Verfügung stehen, die objektiv gleichermaßen geeignet (d.h. aussagekräftig und verlässlich) sind und dem Offenlegungsgläubiger nach seinen persönlichen Verhältnissen zugemutet werden können.8 Thiering zufolge fehlt es an der Erforderlichkeit, wenn die begehrte Vorlage zur Beseitigung der noch bestehenden Ungewissheit nichts beitragen kann oder wenn der An4 Parallele Regelungen finden sich in § 24c GebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, § 101a UrhG, § 46a GeschmMG und § 37c SortenschutzG. 5 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drucks. 16/5048, S. 40. 6 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drucks. 16/5048, S. 40. 7 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drucks. 16/5048, S. 40. 8 Thomas Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, II. 1. Rz. 37 ff.

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spruchsteller über andere zumutbare Möglichkeiten verfügt, sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen.9

IV. Kritiklose Übernahme des Regelungskonzepts für Beweismittel­ zugang aus dem Recht des geistigen Eigentums Der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle sah sich ähnlichen Schwierigkeiten ausgesetzt wie bei der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie. Erneut ging es um Vorgaben einer Richtlinie, die einen Zugang zu Beweismitteln bei Gegnern und Dritten vorsieht, der den Beibringungsgrundsatz des deutschen Zivilprozesses durchbricht. Auch bei der Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie10 stand der Gesetzgeber vor der Wahl, einen prozessrechtlichen oder einen materiellrechtlichen Ansatz zu wählen. Er entschied sich aus guten Gründen für einen materiellrechtlichen Anspruch. Durchaus nachvollziehbar erscheint auch, dass die Autoren des Referentenentwurfs zur 9. GWB-Novelle sich für die Ausgestaltung der Offenlegungsregeln an den Bestimmungen zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums orientierten. Schließlich war im Bereich des geistigen Eigentums eine Sonderregelung im materiellen Recht geschaffen worden, die trotz Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes auf Akzeptanz gestoßen war. Problematisch ist nur, dass die Orientierung am vorhandenen Muster zu dessen schematischer Übernahme im Bereich des Kartellschadensersatzrechts führte. Dabei gerieten die Vorgaben der Schadensersatzrichtlinie etwas aus dem Blick.

V. Vorgaben der Schadensersatzrichtlinie für die Offenlegung von ­Beweismitteln Die Vorgaben an den nationalen Gesetzgeber für die Offenlegung von Beweismitteln finden sich in Art. 5 der Richtlinie. Dort wird ein dreistufiger Prüfungsaufbau erkennbar. Die Offenlegung setzt erstens einen Antrag mit substantiierter Begründung voraus. Diese Begründung muss die mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismittel enthalten. Die Offenlegung richtet sich zweitens ausschließlich auf relevante Beweismittel. Drittens muss die Offenlegung verhältnismäßig sein. Die Schadensersatzrichtlinie geht von einer Offenlegung im Prozess aus. Dabei orientiert sie sich an einer prozessualen Situation, der erkennbar nicht das deutsche Zivilprozessrecht zugrunde liegt. Ein Kläger hat einen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend gemacht und dabei diejenigen Tatsachen und Beweismittel vorgetragen, die ihm mit zumutbarem Aufwand zugänglich waren. Für die weiteren Tatsachen und Beweismittel, die er zur vollständigen Begründung seines eingeklagten Schadensersatz­ 9 Thiering in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl. 2018, § 19a Rz. 21. 10 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU Nr. L 349 v. 5.12.2014, S. 1.

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anspruchs braucht, verlässt er sich auf die Verpflichtung zur wechselseitigen Offenlegung unter den Prozessparteien. Dies erinnert deutlich an die Situation im Zivilprozess vor dem High Court in London vor der Disclosure.11 In dieser Situation geht es um die Relevanz der offenzulegenden Beweismittel sowie, mit Einschränkungen, um die Verhältnismäßigkeit der beantragten Offenlegung. Entsprechend formuliert die Schadensersatzrichtlinie in Art. 5 der englischsprachigen Fassung, nationale Gerichte müssten in der Lage sein „to order the defendant or a third party to disclose relevant evidence which lies in their control“. Der europäische Gesetzgeber war sich darüber im Klaren, dass sich diese prozessuale Situation von derjenigen in den meisten kontinentaleuropäischen Zivilprozessordnungen unterscheidet.12 Er hat dennoch allen Mitgliedstaaten aufgegeben, in Verfahren über Kartellschadensersatzklagen die Offenlegung relevanter Beweismittel zu gewährleisten. Die Anforderung der Relevanz findet sich einheitlich in den verschiedenen Sprachfassungen der Schadensersatzrichtlinie. Sie bezieht sich auf die Eignung des Beweismittels für den Rechtsstreit. Für den Antrag des Klägers bedeutet dies die Eignung, den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu unterstützen. Dies gilt für die materielle Begründung des Anspruchs und die Schadenshöhe, aber auch für die Abwehr von Einwendungen des Prozessgegners. Mehr als diese Eignung wird nicht gefordert. Erst in einem gesonderten Schritt soll geprüft werden, ob die begehrte Offenlegung, auch gerade gegenüber diesem Prozessgegner oder Dritten, verhältnismäßig ist. Das Merkmal der Relevanz bietet auch keine Basis für die Aufnahme zusätzlicher Anforderungen wie etwa dem Ausschluss eines Ausforschungsbeweises. Die Eingrenzung auf das Merkmal der Relevanz des Beweismittels hat auch Konsequenzen für die Auslegung der deutschen Offenlegungsregeln. §  33g GWB ist eine Vorschrift des deutschen Rechts, die ausdrücklich zur Umsetzung von Art. 5 der Schadensersatzrichtlinie erlassen wurde.13 Gerade bei solchen Vorschriften gilt das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation als besondere Ausprägung des Gebots einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts. In Bezug auf Richtlinien bedeutet dies nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH seit Colson und Kamann,14 dass das innerstaatliche Recht so weit als möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie ausgelegt wird, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. 11 Vgl. Part 31 Civil Procedure Rules, https://www.justice.gov.uk/courts/procedure-rules/­civil/ rules/part31; ähnlich für die USA Rule 26 (b) Federal Rules of Civil Procedure: „Parties may obtain discovery regarding any nonprivileged matter that is relevant to any party’s claim or defense and proportional to the needs of the case …“. 12 Vgl. den Abschnitt „Offenlegung und Vorlage von Beweismitteln“ (Rz. 54 ff.) des Arbeitspapiers der Kommissionsdienststellen vom 10.2.2006 Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts. 13 BRegEntw S. 62. 14 EuGH v. 10.4.1984, ECLI:EU:C:1984:153; zur Entwicklung der Rechtsprechung Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 48 ff.

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Der Wortlaut der umzusetzenden Richtlinienbestimmung erscheint eindeutig. Relevanz unterscheidet sich begrifflich von Erforderlichkeit. Relevant ist ein Beweismittel schon dann, wenn es geeignet ist, die Position des Beweisführenden im Hinblick auf die Durchsetzung oder Abwehr des Schadensersatzanspruchs zu verbessern. Dagegen sind im Begriff der Erforderlichkeit neben dieser Eignung zusätzlich die Merkmale des Interventionsminimums und der Angemessenheit angelegt. Der Zweck der Offenlegungsregelung in Art. 5 der Schadensersatzrichtlinie erschließt sich aus den Begründungserwägungen 15 und 16. Dort wird zunächst die große Bedeutung von Beweismitteln für Schadensersatzklagen hervorgehoben. Zweck der Offenlegung ist die Überwindung der Informationsasymmetrie im Hinblick auf die außerhalb der eigenen Sphäre befindlichen Beweismittel. Dieser Zweck spricht zunächst für ein weites Verständnis der Relevanz von Beweismitteln. So hebt die Begründungserwägung 15 ausdrücklich hervor, dass für die Offenlegung zur Überwindung des Informationsungleichgewichts nicht verlangt werden kann, dass der Kläger konkrete einzelne Beweismittel benennt. Fraglich ist, ob sich eine Einschränkung aus Erwägungsgrund 16 ergibt. Dort wird die richterliche Kontrolle der Offenlegung betont. Diese soll „insbesondere hinsichtlich der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ der Offenlegung ausgeübt werden. Aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit folgende Anforderungen werden benannt, insbesondere die vorherige Darlegung der Plausibilität des vom Beklagten verursachten Schadens. Dagegen findet sich keine Erläuterung der Funktion von Erforderlichkeit. Vielmehr wird im Hinblick auf einzelne Beweismittel erneut nur das Merkmal der Relevanz betont. Art. 5 der Schadensersatzrichtlinie hat diese Zwecksetzung durch eine dreistufige Prüfung umgesetzt. Dort sind Plausibilität des Anspruchs, Relevanz und Verhältnismäßigkeit jeweils gesonderte Merkmale. Angesichts einer in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie gesondert angeordneten Verhältnismäßigkeitsprüfung besteht von Sinn und Zweck der Richtlinie her kein Anlass, das Merkmal der Relevanz mit Aspekten der Erforderlichkeit aufzuladen. Vielmehr ist der systematischen Trennung beider Prüfungsschritte Rechnung zu tragen. Dem deutschen Gesetzgeber ist zuzugeben, dass das Merkmal der Erforderlichkeit als Teil der richterlichen Kontrolle in der 16. Begründungserwägung ausdrücklich erwähnt wird. Der insoweit aber eindeutige Wortlaut in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie erfordert jedoch eine Auslegung des Begriffs „erforderlich“, die auf die bloße Eignung des Beweismittels abstellt. Allerdings geht § 33g GWB insoweit über den Auftrag der Richtlinie hinaus, als er die Offenlegung auch außerhalb des Schadensersatzprozesses gewährt und diesen als materiellen Anspruch ausgestaltet. Hinsichtlich dieses unionsrechtlich „überschießenden“ Teils findet das Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung keine Anwendung. Damit wäre in diesem Bereich eine andere Auslegung des Kriteriums der Erforderlichkeit möglich.

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Tatsächlich unterscheidet sich die Situation mit und ohne anhängigen Schadensersatzprozess aus der Sicht des zur Entscheidung berufenen Richters. Die Frage der Relevanz des Beweismittels lässt sich im Rahmen des Schadensersatzprozesses anhand des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs bzw. eines vom Anspruchsgegner erhobenen Einwands eindeutiger beantworten als im Falle einer zunächst auf Offenlegung begrenzten Klage. Im isolierten Offenlegungsprozess mag eher die Gefahr eines „uferlosen“ Offenlegungsantrags bestehen als im Rahmen des schon anhängigen Schadensersatzprozesses. Der Gesetzgeber weist das Problem einer möglichen “Fish­ ing Expedition“ aber eindeutig der Ebene der Verhältnismäßigkeit nach § 33g Abs. 3 GWB zu. Auch hier besteht daher kein Anlass für ein restriktiveres Verständnis des Merkmals „Erforderlichkeit“. Es ist vielmehr einheitlich im Sinne einer Eignung des Beweismittels zu verstehen. Dies führt im Ergebnis zu einer unionsrechtlich geforderten weiten Auslegung des Merkmals der Erforderlichkeit. Gerade aufgrund der durch die Schadensersatzrichtlinie erstrebten Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung soll die geforderte Eignung im Zweifelsfall eher angenommen als verneint werden.15 Erforderliche Korrekturen können auf Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen.

VI. Trennung von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit Bornkamm/Tolkmitt16 haben vorgeschlagen, den Begriff der Erforderlichkeit im Sinne negativ bestimmbarer Tatbestandsmerkmale durch die in § 33g Abs. 3 GWB aufgeführten Merkmale der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu konkretisieren. Dies soll jedenfalls für die in § 33g Abs. 3 Nrn. 1 und 3 GWB genannten Merkmale, den Grad der Glaubhaftmachung und den Ausschluss der Ausforschung, gelten. Dieser Ansatz führt aber zu einer bedenklichen Vermischung der drei Prüfungsschritte für die Offenlegung von Beweismitteln. Gerade der nach Nr. 3 „zu berücksichtigende“ Ausschluss der Ausforschung von für den Schadensersatzanspruch oder die Verteidigung gegen diesen nicht erheblichen Tatsachen ist ausdrücklich als Abwägungselement im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgesehen und kann daher systematisch nicht zur Einschränkung der Eignung auf der zweiten Prüfungsebene herangezogen werden. Die systematische Trennung der drei Prüfungsebenen ergibt sich unmittelbar aus Art. 5 der Richtlinie. Auch dort wird die „Verhinderung einer nicht gezielten Suche nach Informationen, die für die Verfahrensbeteiligten wahrscheinlich nicht relevant sind“ ausdrücklich der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugewiesen (Art. 5 Abs. 3 lit. b) der Richtlinie). Die zusätzliche Aufnahme eines Ausschlusses von Ausforschung in die Prüfung der Erforderlichkeit widerspräche also den unionsrechtlichen Vorgaben. Dies ist nicht nur eine Frage der dogmatisch richtigen Verortung, sondern auch von erheblicher praktischer Relevanz. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung fordert eine um15 Ähnlich Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1, 13. Aufl. 2018, § 33g GWB Rz. 23. 16 Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1, 13. Aufl. 2018, §  33g GWB Rz. 32.

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fassende Interessenabwägung, bei der die in § 33g Abs. 3 GWB genannten Kriterien nur „zu berücksichtigen“ sind. Keines der dort genannten Kriterien führt isoliert zum Ausschluss des Anspruchs. Dies wäre bei einer Einschränkung der Erforderlichkeit durch eines dieser Kriterien durchaus anders.

VII. Zeitpunkt der Erforderlichkeitsprüfung Das Verständnis von Erforderlichkeit im Sinne von Relevanz erleichtert auch die zeitliche Einordnung der Erforderlichkeitsprüfung. Die Frage der Relevanz des Beweismittels kann zum Zeitpunkt der beantragten Offenlegung beurteilt werden. Ein engeres Verständnis von Erforderlichkeit, gar im Sinne einer Erforderlichkeit für die Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits, würde Sinn und Zweck der Norm konterkarieren. So würde einem Verständnis Vorschub geleistet, eine Offenlegung von Beweismitteln weitgehend zu vermeiden und zunächst zu versuchen, den Rechtsstreit mit anderen Mitteln entscheidungsreif zu machen. So wurde etwa im Bereich des Markenrechts die Auffassung vertreten, es könne an der Erforderlichkeit des Beweismittels fehlen, wenn der Anspruch wegen der Rechtsverletzung verwirkt sei.17 In ähnlicher Weise ließe sich eine Verwirkung oder Verjährung des Kartellschadensersatz­ anspruchs gegen die Erforderlichkeit anführen. Die Frage der Offenlegung würde durch dieses Fehlverständnis der Erforderlichkeit mit einer Fülle von Rechtsfragen aus dem Prozess belastet. Offenlegung würde so weitgehend verhindert oder auf einen späten Zeitpunkt im Prozess verlagert. Dagegen strebte der deutsche Gesetzgeber mit der Stärkung zum materiellen Offenlegungsanspruch gerade im Gegenteil einen frühzeitigen Zugang zu den relevanten Beweismitteln an, auch wenn diese sich in der Hand des Prozessgegners oder Dritter befinden. Dem muss sich schrittweise auch die Prozesswirklichkeit in Deutschland anpassen.

VIII. Schlussbemerkung Das hier dargelegte Verständnis von Erforderlichkeit im Sinne von Eignung oder Relevanz wird die unionsrechtlich vorgegebene Öffnung des Kartellschadensersatzprozesses für Beweismittel in der Hand des Gegners oder Dritter erleichtern. Dies wird zu einer stärkeren Aufnahme von Elementen der disclosure nach angelsächsischer Rechtstradition führen. Dies wird den Jubilar nicht schrecken, dessen berufliche Tätigkeit zu einem erheblichen Teil durch diese Rechtstradition beeinflusst wurde. Diese Öffnung wird dazu beitragen, dass gerichtliche Entscheidungen auf der richtigen, weil vollständigen Tatsachenbasis beruhen. Davon würden langfristig alle profitieren.

17 Thiering in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl. 2018, § 19a Rz. 21.

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The Concept of Agreements and Concerted Practices in the Context of Resale Price Maintenance: Make Fit What Doesn’t Fit? Introduction I. Recent Developments concerning Resale Price Maintenance II. Resale Price Maintenance under ­Article 101 TFEU III. Agreements concerning Resale Price Maintenance 1. Legitimate resale price recommendation vs. illegitimate limitation of pricing ­freedom a) European case law and administrative practice b) National case law and administrative practice c) Critical assessment

2. Agreement vs. Unilateral Action a) European case law and administrative practice b) National case law and administrative practice c) Critical assessment IV. Concerted Practices in the RPM context 1. Concerted practices in the horizontal context 2. Application in the vertical context 3. Critical assessment V. Conclusion

Introduction Resale price maintenance (“RPM”) has been a focus of enforcement activity of several European national antitrust authorities over the last years, and more recently also of the European Commission. RPM concerns the coordination of resale prices between a reseller and the original supplier, and thus the limitation of the reseller’s freedom to set its prices independently and in competition with other resellers selling the same products (intra-brand competition). RPM is considered a hardcore restriction of competition under Article 101 TFEU, which prohibits anticompetitive agreements and concerted practices. Yet, many decisions sanctioning RPM conduct are not based on clear-cut and explicit agreements between supplier and retailer on the applicable resale prices, but on diverse fact patterns potentially impacting directly or indirectly the pricing of the products. Often, agreements are constructed based on circumstantial 1 The author expresses his gratitude to his colleagues Tobias Rump and Cristina Caroppo for their help writing this contribution. The author also thanks his colleague Tilman Kuhn for sharing his manuscript for a chapter in the forthcoming publication “Vertical Restraints” edited by Mario Siragusa and Gianluca Faella (Claeys & Casteels Law Publishers, ISBN 9789491673009, spring 2019), which includes a thorough discussion of resale price maintenance issues.

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theories of open or concealed threats and tacit or factual acquiescence. Occasionally – and if only as a fallback  – decisions also refer to RPM activities of suppliers and resellers that fall short of an agreement but constitute concerted practices. This contribution examines with a critical eye the application of the concepts of agreement and concerted practice in the vertical RPM context. It examines the difficulties in defining the border between legitimate communications, notably price recommendations, and illicit agreements within the framework of an ongoing commercial supplier/customer relationship, where discussions of a variety of commercial topics, including several relevant for pricing, occur frequently or even continuously. It also highlights certain odd consequences that can result from the current case law’s construction of agreements based on undue coercion and acquiescence (through application of the suggested price). Finally, the even greater difficulty is examined of transposing the traditional concept of a concerted practice, developed in horizontal contexts relating to activities among competitors, to the fundamentally different vertical relationship between a supplier and a reseller.

I. Recent Developments concerning Resale Price Maintenance RPM has been at the center of both legal debate and enforcement activity over the past decade. Legal debate was largely triggered by the U.S. Supreme Court’s judgment in the Leegin case about ten years ago.2 After nearly 100 years, the judgment changed U.S. federal law on RPM, moving from a per se prohibition to a rule of reason analysis under which the anticompetitive nature of an RPM agreement must be determined by taking into account all relevant factual circumstances in each individual case. By coincidence, the Leegin judgment came down just when the European Commission had started its own review of the EU Vertical Restraints Block Exemption Regulation (“Vertical BER”) and the accompanying explanatory Vertical Guidelines, the revised versions of which were adopted in 2010.3 The debate thus quickly crossed the Atlantic, giving rise to considerable discussion whether a change in the treatment of RPM would be warranted in Europe as well.4 Despite the theoretical debate about the anticompetitive effects of RPM, the prosecution of RPM infringements remains high on many EU regulators’ enforcement agendas. Thus, the European Commission very recently issued its first formal decision on RPM since its modernization package of 2003 against four manufacturers of consumer electronics products because of alleged restrictions of certain online retailers’ ability to set their prices for such products as 2 Leegin Creative Leather Prods. v. PSKS, Inc., 551 U.S. 877 (2007). 3 Available at http://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/regulation_verticals_en.pdf and http://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/guidelines_vertical_en.pdf. 4 For example, the OECD’s 2008 roundtable on RPM indicated that RPM remains “one of the most controversial areas of competition law and policy. Despite arguments from economists and complaints from the business community, most countries’ competition laws have historically taken a hostile approach to RPM” (OECD 2008 Roundtable on Resale Price Maintenance, DAF/COMP(2008)37, September 10, 2009, p. 9).

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household appliances, notebooks and hi-fi products.5 According to the Commission’s final report on its e-commerce sector inquiry of 2017, “pricing restrictions/ recommendation are by far the most widespread restrictions reported by retailers”.6 National regulators have rendered an important number of decisions against RPM, and continue to take enforcement actions.7

II. Resale Price Maintenance under Article 101 TFEU RPM is treated as a serious violation of Article 101 TFEU, the prohibition of anticompetitive agreements and concerted practices. In fact, the Vertical BER and the accompanying explanatory Vertical Guidelines issued by the European Commission treat an agreement on a fixed or a minimum resale price as a hardcore restriction of competition, which is therefore not exempted under the Vertical BER.8 Notably, RPM is considered to restrict intra-brand price competition because it allows the supplier to align the resale prices of its distributors or dealers so that they cannot compete on price amongst themselves when reselling the product. The absence of intra-brand price competition is considered likely to result in higher prices for the consumer and, fundamentally, RPM is considered an unnecessary restriction of the reseller’s economic freedom. At the same time, it is increasingly recognized (in part before the backdrop of the US Leegin judgment9) that RPM may also have positive effects, such as helping to prevent free-riding at the distribution level (therefore securing, e.g., presale services for the consumer), protecting brand image (especially for luxury goods), facilitating market entry of new products, and reducing issues related to double markup.10 Despite the growing recognition of these effects, and despite the fact that, in principle, also hardcore restrictions could be exempted individually under Article 101(3) TFEU, individual exemptions have so far remained a rather theoretical possibility.11 In contrast, recommended resale prices, as well as agreements on 5 Commission decision against Asus, Denon & Marantz, Philips and Pioneer, see Commission press release of July 24, 2018, available at: http://europa.eu/rapid/pressrelease_IP-18-4601_ en.htm. 6 The Commission’s final report of May 10, 2017, available at: http://ec.europa.eu/competition/​ antitrust/sector_inquiry_final_report_en.pdf, page 9. 7 For example, in France: Decision of December 5, 2005, case 05-D-66 – consumer electronics manufacturers; decision of December 15, 2011, case 11-D-19 – Kontiki; decision of March 20, 2012, case 12-D-10  – animal food; in Italy: two still ongoing investigations since 2013 concerning Power-One Italy and Enervit; in Germany: Decision of April 8, 2009 – Microsoft; decision of September 25, 2009, case B3-123/08 – Ciba Vision; decision of August 20, 2012, case B5-20/10 – TTS. 8 Article 4(a) Vertical BER and para. 48 Vertical Guidelines. 9 See footnote 2 above. 10 See Kuhn in the forthcoming publication “Vertical Restraints”, edited by Mario Siragusa and Gianluca Faella (Claeys & Casteels Law Publishers, ISBN 9789491673009, spring 2019). 11 See Goyer/Tran Thiet in Concurrences 3/2008, pp. 10, 11. The Commission’s (at least earlier) position is illustrated in para. 175 of its decision of July 16, 2003, Case COMP/37.975, PO/ Yamaha: “[R]esale price maintenance [agreements] are hardcore restrictions that do not meet the cumulative conditions of Article 81(3) of the Treaty.” The Commission seems to have

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maximum resale prices, to the extent that they restrict competition in the first place, benefit from the Vertical BER.12 Several legally interesting aspects arise from this categorization of RPM, including – in light of the Leegin case  – the principal question of whether RPM should be considered anti-competitive even when there is substantial inter-brand competition for the relevant product, or whether potential efficiencies of RPM should be given greater emphasis. In the context of Article 101 TFEU it is of course equally fundamental that there must be an agreement or a concerted practice regarding a fixed or minimum resale price in the first place, which is what this contribution will focus on. It first examines the difficulty of determining when dealings between a supplier and a reseller amount to an agreement (Section III), and then what practices can conceivably be considered to give rise to RPM as a concerted practice (Section IV).

III. Agreements concerning Resale Price Maintenance As noted, a violation of Article 101 TFEU through RPM requires the finding of an agreement or a concerted practice between the supplier and the reseller. An agreement usually requires a concurrence of wills between two (or more) parties.13 In straightforward RPM cases, there is an express written or oral agreement between the supplier and the reseller whereby the reseller will follow the supplier’s pricing instructions or the parties will discuss and mutually agree on the resale price. Since by now virtually all trade participants are aware that agreements on resale prices pose antitrust problems, such clear-cut cases have become quite rare. Slightly more frequently there may still be express agreements that fix resale prices indirectly, e.g. through agreements on distribution margins, or conditioning the grant of rebates or other benefits on compliance with a prescribed resale price level. Such agreements are equally considered illegal.14 Legally and factually considerably more difficult to assess are cases where there is no express or otherwise clear and voluntary “meeting of the minds” between the two parties, but where an agreement on RPM is deduced from circumstantial evidence, somewhat softened its stance in its revised Vertical Guidelines which now state (paras. 224,225) that under exceptional circumstances RPM may actually be eligible for an individual exemption. As an exception, the Hungarian Competition Authority granted an individual exemption in Kontavill Kontakta, Case Vj-150/1995. See, however, the OFT’s decision in the Tobacco case rejecting an exemption, http://www.oft.gov.uk/shared_oft/ ca98_public_register/decisions/tobacco.pdf. See also Kuhn in the forthcoming publication “Vertical Restraints” edited by Mario Siragusa and Gianluca Faella (Claeys & Casteels Law Publishers, ISBN 9789491673009, spring 2019). 12 See Vertical Guidelines, para. 226. 13 See, e.g., Court of First Instance, Case T-41/96, Bayer v. Commission, paras. 173, 176. The ECJ also defined an agreement for purposes of Article 101 TFEU as an “expression of the joint intent of the parties with regard to their conduct in the Common Market”, see ECJ, Judgement of July 15, 1970, Case 41/69 ACF Chemiefirma, para. 112. 14 See Vertical Guidelines, para. 48.

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fact patterns and indirect communications between the parties, or (tacit) actions and omissions. These inferred “agreements” are today the large majority of the cases pursued by the antitrust authorities. In most fact patterns, a supplier seeks to influence the reseller to adopt specific (minimum) resale price levels, and the reseller eventually applies the suggested prices. These cases typically require a difficult factual and legal assessment as to whether they amount to an illegal RPM agreement. First, it is difficult to distinguish the mere recommendation of a resale price by a supplier to its resellers, which is legal, from actions that limit the reseller’s free choice in whether to follow the recommendation. Second, the assessment of RPM under Article 101 TFEU requires an anticompetitive agreement, which means that purely unilateral actions of a supplier aimed at imposing a suggested resale price on a reseller are not illegal even if they go beyond a mere recommendation. This led courts and enforcers to construct illegal RPM agreements based on (tacit) acquiescence by the reseller (for which often application of the requested price is deemed sufficient). The sections below will examine these two principal issues in more detail from both the legal and the practical perspective, as well as how to assess these issues in the context of an ongoing commercial relationship between a supplier and a reseller with frequent commercial interactions and discussions. 1. Legitimate resale price recommendation vs. illegitimate limitation of ­pricing freedom Non-binding price recommendations (and agreements on maximum resale prices) are normally not considered to amount to RPM and therefore permitted. Unilateral and non-binding price recommendations may already fall outside the scope of Article 101(1) TFEU for a lack of anticompetitive effect. Even if they could have a restrictive effect in individual cases, price recommendations are normally exempted under the Vertical BER15 (provided that the BER is otherwise applicable, notably provided that the supplier does not exceed the 30 %-market share threshold),16 or potentially exempted individually under Article 101(3) TFEU. In its Vertical Guidelines, the Commission notes that unilateral resale price recommendations may help to overcome the “vertical externality issue” and/or enable the brand to compete more forcefully with other brands (inter-brand competition).17 In its final report on its e-commerce sector inquiry of 2017, the Commission also explained that resale price recommendations are widely considered important to communicate quality and brand positioning.18 At the same time, possible competition risks linked to price recommendations are also recognized, for example that a price recommendation can 15 See Vertical Guidelines, para. 226. 16 Vertical BER, Article 3. 17 Vertical Guidelines, para. 229 (and para. 107(d)). This inter-brand competition may also include own label products that are distributed by the same distributor. 18 See the Commission’s final report on the results of its e-commerce sector inquiry, of May 5, 2017, para. 31.

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work as a “focal point” for resellers, reducing competition between them and/or even leading to collusion between them regarding their pricing policy. However, according to the Commission’s Vertical Guidelines, such risks are more likely to materialize where the supplier enjoys a strong market position (where the Vertical BER is not applicable because of the market share threshold).19 While the principle that resale price recommendations are lawful is generally accepted, it is equally accepted that the recommendation must indeed be non-binding, i.e. leave the reseller free, legally and de facto, in deciding whether to apply the recommended price.20 There is a host of sometimes inconsistent case law that attempts to define the boundary between behavior that should be considered mere recommendation, and behavior that goes beyond and unduly limits the resellers’ freedom to decide. a) European case law and administrative practice European case law on the delineation of lawful price recommendations from unlawful influence on the reseller’s freedom to follow the recommendation is scarce. As far back as 1986, in its well-known Pronuptia judgment,21 the ECJ held: “The fact that the franchisor makes price recommendations to the franchisee does not constitute a restriction of competition, so long as there is no concerted practice between the franchisor and the franchisees or between the franchisees themselves for the actual application of such prices.” While the Court also referred to the application of “price guidelines” as acceptable,22 it did not, unfortunately, elaborate on what specific behavior might go beyond mere price recommendation and make it unlawful. In JCB Service v. Commission,23 probably the so far most relevant European court case, the Court of First Instance (now General Court) annulled a Commission decision finding RPM. The Court of First Instance considered the standard applied by the Commission to find undue influence by JCB too strict. While the Court acknowledged that JCB “exercised an influence over the fixing of retail prices” by drawing up lists of recommended retail prices for its products and determining sales prices to its distributors according to those expected retail prices, the Court also noted that “there is a difference between the establishment of recommended prices and the fixing of retail 19 See Vertical Guidelines, paras. 228, 229. 20 See, e.g., the FCO’s Guidance note on the prohibition of vertical price fixing in the brickand-mortar food retail sector, para. 52, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/ Publikation/EN/Diskussions_Hintergrundpapiere/2016/Consultation_Guidance_note_ prohibition_vertical_price_fixing_brickand_mortar_food_retail.pdf ?__blob=publi​ cationFile&v=8. See also Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, para. 11. 21 See ECJ, Pronuptia de Paris v. Pronuptia de Paris Irmgard Schillgalis, Case 161/84, 1986 ECR 353. 22 Id., para. 27. 23 Court of First Instance, Judgment of January 13, 2004, Case T-67/01, JCB Service v. Commission, ECR 2004, II-49. While other aspects of the judgment went on appeal to the ECJ, the findings regarding RPM were not appealed.

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prices.”24 It considered the contractual documents and evidence of subsequent discussions and conduct relied upon by the Commission insufficient to establish that retail prices were fixed directly or indirectly: “The facts described appear rather to reflect the usual commercial dialogue between a wholesaler and a retailer, but do not support the conclusion that there was a strict practice of fixing retail prices.”25 Further, a single piece of evidence proving that there was coordination of prices could not show that JCB engaged in systematic price fixing, in particular as distributors in fact often sold below the suggested price.26 Thus, the Court noted that the Commission must rely on “unequivocal evidence establishing the fixing of or a strict set of rules regarding retail prices and discounts” to show RPM.27 JCB Service v. Commission thus establishes a fairly high standard for a finding of RPM in the context of price recommendations in an ongoing vertical commercial relationship.28 In its Guidelines accompanying the Vertical BER, the Commission discussed several measures rendering price recommendations potentially illegitimate. The Commission referred, notably, to economic incentives or penalties aimed at inducing a reseller to apply the recommended resale price, including “threats, intimidations, warnings, and delay or suspension of deliveries.”29 It also referred to ancillary measures such as price monitoring systems, the printing of recommended prices on products, or the application of most-favored-customer clauses, which could in the individual case unduly limit the reseller’s freedom to determine his prices.30 However, the Commission

24 Id. para. 126; see also, ECJ, Judgment of January 6, 2004, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, para. 119. 25 Court of First Instance, Judgment of January 13, 2004, Case T-67/01, JCB Service v. Commission, ECR 2004, II-49, para. 129. See also para. 128, where the Court held that: “It can be inferred from those documents that the members of the distribution network conferred with one another and were encouraged to do so, or even that JCB directed and influenced the conduct of members of the association. However, they do not show that they were subject to a strict body of rules on retail prices.” 26 Id. para. 129. 27 Id. para. 133. 28 The case followed earlier Commission decisions that seemed to rely more on circumstantial (and thus less unequivocal) evidence, see Commission Decision of July 16, 2003, Case COMP/37.975, PO/Yamaha, paras. 126, 141. The Commission considered that Yamaha had “labeled” certain prices in its agreements with dealers as “recommended”, but also severely restricted dealers from granting discounts above a specific maximum level. The Commission further found that sporadic examples of dealers advertising below this threshold did not call into question the object of the contractual clauses, and it was not necessary to show that the clauses had any effect in practice. See also Nathan-Bricolux, where the Commission found that the supplier had prevented certain of its distributors from granting larger discounts than those granted by the company itself where it sold directly (Decision of July 5, 2000, Case COMP.F.1/36.516, Nathan-Bricolux, [2001] OJ No. L54/1, in particular paras. 86-90). 29 Vertical Guidelines, para. 48. 30 Vertical Guidelines, para. 48.

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stopped short of declaring these measures, without more, sufficient to make the price recommendation illegitimate.31 In its final report of 2017 on its e-commerce sector inquiry, the Commission reiterated the legality of mere resale price recommendations, but also noted that both manufacturers and retailers frequently monitor online retail prices (often by means of pricing software) and that, hence, manufacturers can easily determine which retailers deviate from the recommended pricing. The Commission also speculated whether the increased price transparency could limit the incentives for resellers to deviate from the price recommendations in the first place, but did not reach a final conclusion.32 b) National case law and administrative practice While the Commission and the European courts have so far only dealt with few specific cases concerning RPM, there is ample national case law in several EU Member States. The following is a selection thereof. The Spanish competition authority CNC held in Repsol33 that recommended maximum prices for petrol station operators de facto functioned as fixed (minimum) resale prices due to incentives given to the operators not to apply discounts. This included the programming of payment terminals with recommended prices as preset retail prices that would have to be changed manually, and an invoicing system that automatically took into account the maximum recommended prices for the purposes of VAT calculation. Similarly, the Swiss competition agency34 held a setup where the recommended resale price was automatically stored in pharmacies’ IT systems and which showed up at the cash register provided a strong incentive to follow the recommended price, although there was no other “pressure” or “incentive” involved. The High Western Court of Denmark35 found an RPM agreement where the supplier had originally demanded retailers to follow recommended resale prices, later abandoned that provision upon the Danish Competition Authority’s request, but maintained an IT-system that could have been used by the manufacturer to control whether retailers followed the recommended resale prices. The German Federal Cartel Office (“FCO”) adopted a number of cases that applied equally low standards as to when a supplier’s conduct transgressed the legitimate boundary of a recommendation. In particular, in Microsoft Deutschland and CIBA 31 See, however, FCO, Decision of September 25, 2009, Case B3-123/08 – Ciba Vision, para. 56, where the FCO relied heavily on the presence of a monitoring mechanism. 32 See the Commission’s final report on the results of its e-commerce sector inquiry of May 10, 2017, paras. 29 et. seq. 33 CNC, Decision of July 30, 2009, Case 652/07, REPSOL/CEPSA/BP. 34 Decision of November 2, 2009, http://www.news-service.admin.ch/NSBSubscriber/message/​ de/attachments/30454/62851/17579/PM_Hors_Liste_091201_D.pdf and http://www.weko.​ admin.ch/aktuell/00162/index.html?lang=en. 35 Decision of November 27, 2006, Bestseller.

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Vision,36 the FCO in essence found an agreement on resale prices where the supplier recommended a price, tried to convince the reseller to apply the price, and the reseller eventually did so. In CIBA Vision, the FCO considered the supplier’s telling resellers that higher prices would lead to higher margins and providing examples of resellers that successfully followed a high price strategy to be at least an element that goes beyond a mere recommendation.37 These cases appear at odds with JCB vs. Commission referred to above as they hardly establish “unequivocal evidence” of “a strict set of rules“ regarding the resale pricing. Indeed, following industry complaints, the FCO seems to have at least somewhat relaxed the strict standard applied earlier and moved closer to European case law.38 c) Critical assessment As shown, a supplier is permitted to recommend a resale price. He may not, however, apply undue pressure to have the recommended price actually applied. This principle may, in the abstract, sound sensible; however, a look at the case law, including cases such as the FCO’s Ciba Vision case, shows how difficult it is in practice to define the actual boundary. The case law also shows a notable tendency of national enforcement agencies to set the threshold for illegitimate behavior in connection with price recommendations unduly low. Under a common understanding, recommending a resale price should not end at the  mere communication of the recommended prices.39 “Recommending” a price 36 FCO, Decision of April 8, 2009 – Microsoft Deutschland; FCO, Decision of September 25, 2009, case B3-123/08, CIBA Vision. 37 FCO, Decision of September 25, 2009, case B3-123/08, CIBA Vision, paras. 13, 61. See also the very broad wording in paras. 43-44. 38 On June 12, 2017, the FCO issued a new Guidance Paper applicable to the food retail sector (the German Version specifies that the Guidance Paper may also be applied to other sectors if market conditions are similar to the food retail sector), available at: https://www. bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/EN/Diskussions_Hintergrundpapiere/​ 2016/Consultation_Guidance_note_prohibition_vertical_price_fixing_brickand_mortar_ food_retail.pdf?__blob=publicationFile&v=8. The Guidance Paper discusses several relevant aspects for a finding of RPM. Notably, the FCO now explains (para. 52) that the supplier may explain the recommended price and even provide the retailer with model margin calculations to demonstrate that the price is sensible, as long as the supplier does not disclose other retailers’ retail pricing intentions. See too, the Austrian Federal Competition Authority’s guideline “Viewpoint regarding vertical price maintenance” published on July 31, 2014, in German available at: http://www.bwb.gv.at/Documents/ BWB-Leitfaden%20-%20Standpunkt%20zu%20vertikalen%20Preisbindungen.pdf taking a similar position, in which the Authority takes a similar position. However, several Austrian cases set the threshold for a violation fairly low, see, for example, OGH, Judgement of February 2, 1963, 12 Os 320/62. The viewpoint paper also considers it beyond a mere recommendation when suppliers repeatedly and specifically approach retailers in order to give weight to their price recommendations. 39 In fact, many resellers do not apply publicly recommended resale prices (as consumers are aware that recommended resale prices are usually the upper end of the price scale at which

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should also include communications from the supplier explaining why applying the recommended prices would be in the short- or long-term interest of the reseller and providing an explanation of the possible consequences that adhering or not adhering to the recommended prices might have for the reseller, his competitors, the supplier, and the market in general - including the level of market prices which, of course, influence the retailer’s profit margins. A priori, it is also not apparent that there should be any particular limitations regarding the form and frequencies in which a resale price can be recommended, i.e., asking for meetings, telephone calls, etc.,40 although there may indeed be a limit where recommendation turns into harassment.41 According to the case law, a supplier’s conduct becomes illegitimate if it goes beyond an effort to convince and involves coercion, threats, or incentives that are linked to the reseller’s application of the recommended prices, i.e., punishments and rewards.42 Determining when “persuasion” turns into threat or the illicit promise of incentives can be quite difficult both for regulators and the parties involved if one takes into account the background of the actual relationship between a supplier and a reseller. In many industries, this relationship goes well beyond negotiating purchase prices and issuing and accepting purchase orders.

a specific product can be bought), but they set their prices at a discount to the publicly recommended price. Recognizing this practice, several suppliers today not only have an “official” recommended resale price used in public advertising, but also a recommended lower “street price” at which they encourage retailers to sell while being able to advertise the discount from the official recommended price. For example, in 2015 the German FCO found that portable navigation device manufacturer United Navigation had used such street prices to define the acceptable price level; see the FCO’s press release of May 12, 2015 available in English at: http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/EN/Presse​ mitteilungen/2015/12_05_2015_Navigation.html?nn=3591568. 40 See ECJ Case C-279/06 CEPSA Estaciones de Servicios v. LV Tobar e Hijos, EU:C:2008:485, para. 71. See also Case C-260/07 Pedro IV Servicios v. Total Espana, EU:C:2009:215, para. 80 and Court of First Instance Case T-67/01 JCB Service v. Commission, EU:T:2004:3, paras. 128-133 NZKart 2016, 168, 170: FCO officials point out that there is no strict and simple distinction between legal recommendation and illegitimate behavior in connection with price recommendations, but that the specific circumstances of the individual case are determinative. 41 In Case T-67/01, JCB Service v. Commission, EU:T:2004:3, para. 130, the Court of First Instance seemed to tolerate influence and discouragement as long as it did not turn into coercion (without, however, elaborating on when that point would be reached). U.S. law purports to have a (somewhat) clearer view: Gray v. Shell Oil Co., 469 F.2d 742, 748 (9th Cir. 1972) (“the distinction drawn…between ‘coercion’ on the one hand and ‘exposition, persuasion and argument’ on the other . . . is firmly embedded in the decisional law on vertical pricefixing”); Acquaire v. Canada Dry Bottling Co., 24 F.3d 401, 410 (2d Cir. 1994) (“evidence of pricing suggestions, persuasion, conversations, arguments, exposition, or pressure is not sufficient to establish the coercion necessary to transgress § 1 of the Sherman Act”). 42 See Case IV/34.279/F3 – Adalat, Commission decision of January 10, 1996, para. 170, Case IV/35.733  – Volkswagen, Commission decision of January 28, 1998, para. 208, Case COMP/F-2/36.693 – Volkswagen, Commission decision of June 29, 2001, para. 104.

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Such difficulty is illustrated by the example of the retail trade in electric and electronic goods, the subject of the most recent Commission decision on RPM. In particular, the suppliers’ key account managers and the resellers’ product managers in this industry, as in many other industries, are in constant contact with each other. Often day-to-day interactions include the discussion and negotiation of constantly changing and evolving product offerings and the coordination of marketing and promotional campaigns - including a supplier’s financial or other contributions to such campaigns. Some larger suppliers even provide their own sales personnel to be stationed in the retailer’s outlets. Delivery dates need to be agreed upon, including for products with limited supplies with respect to which suppliers need to prioritize or ration supplies. Prices for many products in the retail trade, for example televisions or computers, tend to constantly erode from the time a product is first introduced to the market to the time it is eventually replaced by a newer model (which happens increasingly often in response to such price erosion). Frequently, suppliers and retailers are thus engaged in near constant commercial negotiations, often in multiple purchase price negotiations every year, including retroactive price reductions for goods already purchased if they can no longer be sold at a profit because of price erosion.43 Resellers live off their margins, the difference between the purchase and resale price. Thus, it is no wonder that the achievable resale prices and current “market prices” are important factors in purchase price negotiations. Price recommendations from suppliers therefore play an equally important role, and their adequacy is often a subject of discussion. The complex supplier/retailer relationship provides ample opportunity for suppliers to “reward” or “punish” retailers for pricing and other behavior. While open and express threats or incentives aimed at influencing prices are today rare, at least in the case of sophisticated suppliers, every retailer knows that the next discussion on purchase prices, supply schedules, or promotional campaigns and discounts is just around the corner, and, obviously, an unhappy supplier is likely to treat the retailer worse than a happy one. As a result, retailers in many industries operate in an environment where threats of supplier punishments and prospects of supplier rewards are constantly present, whether or not they are expressed by the supplier. This commercial reality poses a serious question as to the sensibility of antitrust authorities’ attempts to draw red lines of influence. This is particularly true when fairly low thresholds based on circumstantial evidence are applied to judge whether a supplier’s behavior exceeds the boundary of legitimate price recommendations. Applying the European case law’s standard of “unequivocal evidence” of “a strict set of rules,”44 that was developed by the Court of First Instance to specifically distinguish

43 Suppliers may grant so-called “stock protection,” i.e., a retroactive rebate to resellers in order to compensate for a loss of margin. The underlying goal is to assure and reward resellers that are willing to purchase and put onto stock a larger quantity of goods at a certain price despite the risk of price erosion. 44 See footnote 27 above.

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illegal behavior from “the usual commercial dialogue between a wholesaler and a retailer”45 appears more sensible. 2. Agreement vs. Unilateral Action As Article 101 TFEU is not applicable to purely unilateral behavior, a finding that a supplier takes action beyond a mere price recommendation by threatening or providing incentives is not in and of itself sufficient to render the behavior illegal. Rather, there must be an agreement (or concerted practice, discussed below) between supplier and reseller to actually apply the imposed prices. a) European case law and administrative practice Such agreement must be specific to the implementation of the prescribed resale prices. The fact that suppliers and resellers already have in place a supply agreement, as is common, does not render unilateral behavior of the supplier illegal under Article 101 TFEU. This was made clear by the ECJ in Adalat, where the Court held that “the mere concomitant existence” of an agreement between a supplier and a manufacturer that governs their purchase and supply business relationship in general and which is, in itself, neutral in respect of Article 101 TFEU and a measure restricting competition that is unilaterally imposed by the supplier “does not amount to an agreement prohibited by that provision. Thus, the mere fact that a measure adopted by a manufacturer, which has the object or effect of restricting competition, falls within the context of continuous business relations between the manufacturer and its wholesalers is not sufficient for a finding that such an agreement exists.”46 As the Court of First Instance held in Volkswagen, the Commission must rather prove “actual acquiescence” of the reseller with respect to the anticompetitive conduct.47 In Adalat, the element of acquiescence was considered absent because the resellers tried to circumvent the supplier’s unilateral strategy.48 There thus needs to be an agreement between supplier and reseller specifically regarding the pricing of the goods or services concerned. Application by the supplier of undue pressure on the reseller or the offering of incentives to implement certain prices can be considered an invitation to conclude such an agreement.49 In order to 45 See footnote 25 above. 46 ECJ, Judgment of January 6, 2004, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, para. 141. 47 Court of First Instance, Case T-208/01 Volkswagen v. Commission, EU:T:2003:326, para. 59. See too Case T-41/96 Bayer v. Commission, EU:T:2000:242, para. 72 (Commission must establish the “existence of an acquiescence by the other partner, express or implied”). 48 ECJ, Judgment of January 6, 2004, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, para. 123. 49 See ECJ, Judgment of January 6, 2004, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, para. 102: “For an agreement within the meaning of Article 85(1) of the Treaty to be capable of being regarded as having been concluded by tacit acceptance, it is necessary that the manifestation of the wish of one of the contracting parties

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conclude the agreement, there must, according to the ECJ in Adalat50 and BMW Belgium,51 additionally be some form of explicit or tacit expression of consent by the reseller to such invitation that leads to a “meeting of minds” and makes the application of the suggested or prescribed resale prices a condition of the parties’ business relationship. While the principle established by this case law appears again sensible, it is more difficult to determine what acquiescence, and notably what “tacit acquiescence,” means in practice where RPM is at issue. No detailed guidance from European case law is available. In its Vertical Guidelines, the Commission appears to take the position that the actual application of suggested prices following solicitation or pressure from the supplier suffices to assume tacit acquiescence.52 The Vertical Guidelines refer in support thereof to Adalat where the fact that the distributors did not adhere to an alleged export ban by the supplier was considered to show the absence of an agreement.53 However, while it is indeed compelling to consider a refusal of the reseller to apply the requested price evidence of the absence of an agreement, the opposite appears less clear. Since a reseller must, in any event, put a price tag on the products he sells, pricing it at the recommended (or imposed) price may be a sign of acquiescence to the supplier’s demands, but it may equally well be the reseller’s independent decision that the recommended resale price is indeed in the company’s best commercial interest.54 to achieve an anti-competitive goal constitute an invitation to the other party, whether express or implied, to fulfill that goal jointly, and that applies all the more where, as in this case, such an agreement is not at first sight in the interests of the other party, namely the wholesalers.“ On that basis, it appears questionable whether some of the supplier measures referred to in the national case law and the Commissions Vertical Guidelines as supporting the finding of an agreement (see above, Section III.1.a), such as establishing monitoring systems or printing prices on products, can actually be considered an invitation to conclude an agreement, as they appear unilateral measures that do not require cooperation from the reseller. 50 See, ECJ, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, e.g. para. 27. The ECJ also cites the Court of First Instance’s reference to a “concurrence of wills” (id.,para. 18). 51 See ECJ, Judgment of July 12, 1979, Joined Cases 32/78 and 36/78, BMW Belgium and Others v. Commission, [1979] ECR 2435, paras. 9, 30 (inter alia, the dealer’s advisory committee had sent its own circular to the dealers explicitly supporting the supplier’s anticompetitive measure). 52 See Vertical Guidelines, para. 25(a): “… [i]n the absence of such an explicit acquiescence, the Commission can show the existence of tacit acquiescence. For that it is necessary to show first that one party requires explicitly or implicitly the cooperation of the other party for the implementation of its unilateral policy and second that the other party complied with that requirement by implementing that unilateral policy in practice.” 53 ECJ, Judgment of January 6, 2004, Joined Cases C-2/01 and C-3/01, Bundesverband der Arzneiimporteure/Bayer and Commission, paras. 141-147; General Court, Judgment of October 26, 2000, Case T-41/96, Bayer v. Commission, [2000] ECR II-3383, paras. 151-157; see too General Court, Judgment of December 3, 2003, Case T-208/01, Volkswagen AG v. Commission, paras. 35-37). See too French Competition Council, Decision in Case Studio 26/Rossimonda. 54 See also the discussion of the causality requirement below under sub-section c).

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b) National case law and administrative practice In practice, at least before several national authorities, the standard when assuming an agreement is fairly low and application of the suggested resale price appears to count as acquiescence for purposes of finding an agreement. For example, the Cypriot Competition Commission, the Austrian Cartel Court, and the German FCO allowed mere implementation of the suggested price to be sufficient to assume acquiescence, and thus an agreement for purposes of Article 101 TFEU. The Cypriot Competition Commission fined petroleum manufacturers for alleged unlawful RPM practices based solely on non-binding price recommendations and subsequent implementation of the recommendations without coercion or other evidence showing that the resellers were not free to deviate from the recommended prices.55 The Austrian Cartel Court found an unlawful RPM agreement when all the involved resellers implemented a non-binding price recommendation, even in the absence of evidence of coercion, because the uniform resale price level could not be explained by “coincidence” or “market-caused behavior.”56 In particular, the authority could not identify specific market pressure or a market leader that forced other resellers to accede to the homogeneous price level.57 In CIBA Vision, the FCO found the fact that at least some resellers followed the price recommendation sufficient to prove an agreement or concerted practice. 58 c) Critical assessment The idea that a reseller succumbing to pressure from a powerful supplier creates an agreement between reseller and supplier stretches the normal comprehension of what an agreement is. It begs the question whether an “involuntary” agreement can – and should – be considered an agreement within the meaning of Article 101 TFEU, and whether Article 101 TFEU is the appropriate conceptual tool to capture such scenarios. It seems that the construction of an agreement by tacit acquiescence responds primarily to the fact that Article 101 TFEU does not address purely unilateral behavior – and that Article 102 TFEU, which does so, is only applicable to undertakings 55 See Commission For The Protection Of Competition, decision of August 6, 2009, case 11.17.79/2005, summary available in English at: : http://www.competition.gov.cy/compe​ tition/Competition.nsf/All/EE4DD974B5EFCE20C2257EC70028CF6D?OpenDocument. While the decision was annulled by the Greek Supreme Court, this was supposedly for other reasons. 56 Cartel Court Vienna, Decision of December 19, 2002, Case 26 Kt 369/96-74. 57 Cartel Court Vienna, Decision of December 19, 2002, Case 26 Kt 369/96-74. Even the fact that certain sales were made below that uniform price level did not hinder the Court to find a “general agreement on resale prices.” 58 The FCO found that 10 to 11 important online retailers (so-called “top customers”) had been adhering to CIBA Vision’s recommended resale prices (their prices were typically not lower than 10-15% below the recommended price). In addition, CIBA Vision’s employees contacted practically all online distributors if they undercut its recommended price, albeit with varying degrees of success. See decision of September 25, 2009, Case B3-123/08, CIBA Vision, paras. 8 et. seq.

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in a dominant position.59 It thus permits outlawing a supplier’s perceived anticompetitive behavior which might otherwise go unpunished. From a teleological perspective  – when looking only at the supplier – this may be sensible. It appears less sensible when looking at the consequences for the reseller who finds himself in an odd situation: he is exposed to illegitimate coercion by the supplier and might be “punished” if he does not give in. If he does give in, however, he will become an accomplice to a violation of Article 101 TFEU and will be exposed to potential sanctions under antitrust law. The reseller thus finds himself between Scylla and Charybdis, risking sanctions either from the supplier or from the antitrust authorities. Recognizing the reseller’s dilemma, antitrust authorities have so far largely held back from sanctioning retailers in these situations.60 This may of course change, and antitrust authorities have already used the threat of sanctions to make resellers cooperate in investigations or obtain concessions. By the same token, where a reseller is pressured by the supplier to apply a certain resale price, the reseller is de facto prohibited from applying the suggested price if he wants to avoid being accused of participating in RPM. This is true even if he would in fact want to apply the suggested price on his own volition and considers a different price contrary to his commercial interests.61 In this regard, it is also worth noting that there is no reason for a general assumption that recommended retail prices work against the interests of the reseller. Thus, contrary to intuition, this legal construction, though aimed at preserving the reseller’s pricing freedom, in fact also limits such freedom. This holds true even though there must be a causal connection between the supplier’s coercive measures and the reseller’s pricing as the anticompetitive effect must be the result of the agreement. Where the reseller would have applied the same price also in the absence of the coercion, there is no such causal connection. However, given the very broad interpretation of acquiescence, notably by national authorities and the Commission,62 that essentially assimilates the actual application of the suggested prices with acquiescence, it would, as a practical matter, seem fairly risky

59 RPM has apparently not been assessed under Article 102 TFEU. In theory, coercive behavior of dominant companies could also constitute an abuse, see, e.g. Jones/Sufrin, EC Competition Law, Text, Cases and Materials, Third Edition 2008, Chapter 9, page 769. 60 In CIBA Vision (see footnote 37 above), for instance, the FCO did not fine the retailers that had adhered to CIBA Vision’s price recommendation. In its recent decision concerning RPM practices with respect to consumer electronics (see footnote 5 above), the Commission also fined suppliers. In general, authorities seem to target and fine retailers only if they played an important role either in the initiation or administration of an RPM arrangement or by monitoring compliance by their competitors. See, for example, the FCO case Wellensteyn/P&C, FCO Case B2-62/16 and FCO case summary of August 8, 2017. 61 A good example may be cases in which a reseller (or, more pertinently, the IT-systems that it employs for this purpose) erroneously set a resale price that was too low. While the reseller may actually welcome a hint from the supplier to increase the price, he may hesitate to follow up to avoid an antitrust violation. 62 See footnote 52.

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for a retailer to rely on his ability to prove that his decision to apply the requested resale prices after receiving threats or the like was an independent business decision.63

IV. Concerted Practices in the RPM context 1. Concerted practices in the horizontal context Article 101 TFEU prohibits not only anticompetitive agreements, but also anticompetitive concerted practices. Generally, a concerted practice is a form of coordination of behavior between two or more parties that is of a lesser degree then an agreement. The ECJ defined a concerted practice as being “… a form of co-ordination between undertakings which, without having reached the stage where an agreement properly so-called has been concluded, knowingly substitutes practical co-operation between them for the risks of competition.”64 This definition was developed in the context of horizontal arrangements between competitors.65 The case law regarding horizontal concerted practices is indeed fairly clear and extensive. The main difference between a horizontal agreement and a horizontal concerted practice could be summarized to be that for a concerted practice, while there is no “meeting of the minds” on the future conduct, the conduct at issue reduces uncertainty about the future behavior of other market participants, notably, competitors. As such, concerted practices with anticompetitive intent or effect have 63 Also ECJ case law in connection with concerted practices in horizontal cases would seem to put the reseller at risk in that it could be said to establish a presumption of a causal connection. Thus, the ECJ established in Hüls a presumption that a “concertation” between two or more enterprises is followed by subsequent conduct on the market and that there is a “relationship of cause and effect between the two” (see ECJ, Judgment of July 8, 1999, Case C-199/92 P, Hüls v. Commission, paras. 161-162). In T-Mobile Netherlands, the ECJ held that where competitors exchange sensitive information and remain active on the market, it can be presumed that they have taken that information into account for their own competitive behavior so that there is a causal link (ECJ, Judgment of June 4, 2009, Case C-8/08, T-Mobile Netherlands et al. v. Commission, para. 51). The ECJ further held that passive recipients of competitively sensitive information may be presumed to have participated in a concerted practice, unless they publicly distance themselves from the practice concerned, report it to the authorities or adduce other evidence to rebut the presumption, see most recently ECJ, Judgment of January 21, 2016, Case C-74/14, “Eturas” UAB et. al. v. Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba, para. 50. While one can argue that this case law should not be applied in the vertical context, it clearly increases the reseller’s risk. In its Guidance Paper (footnote 20), the FCO recommends retailers generally to refrain from communicating their pricing intentions to their suppliers, which appears at odds with the fact that price recommendations, and consequently discussions about them, are permissible. (see para. 58 of the Guidance Paper). 64 ECJ, Judgment of July 14, 1972, Case 48/69, ICI v. Commission (“Dyestuffs”), ECR 1972, 619, para. 64. 65 ECJ, Judgment of June 4, 2009, Case C-8/08, T-Mobile Netherlands et al. v. Commission, para. 23; ECJ, Judgment of July 13, 1993, Case 49/92P, Commission v. Anic Partecipazioni, ECR 1999, I-4125, para. 131.

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been found to exist where competitively sensitive information was exchanged between competitors enabling them to anticipate their competitors’ reactions to competitive actions.66 2. Application in the vertical context EU case law has so far not discussed the application of the concept of a concerted practice in the vertical RPM context in any detail, but rather has focused on whether an agreement on RPM could be established. In JCB Service, the Commission discussed alleged vertical agreements between JCB and its UK distributors and alleged vertical concerted practices between JCB and its French distributors.67 The Court of First Instance dismissed the Commission’s findings on both counts but did not specifically discuss the concept of a vertical concerted practice. It rather simply referred to the ECJ’s Pronuptia judgment.68 In Pronuptia, the ECJ referred to the possibility of RPM between a franchisor and franchisees as a potential concerted practice, but did not discuss further what might constitute such a practice, how it would differ from a vertical agreement, and how the criteria developed in the case law to identify a horizontal concerted practice could be applied in the vertical context.69 The same is true for the Court’s Dunlop Slazenger judgment.70 Moreover, as in Pioneer,71 the Court seems to have had a “hub and spoke”-type situation with horizontal elements in mind where the manufacturer participates in a concerted practice among more than one of its resellers.72 66 This concerns information which enables one competitor to draw its own conclusion regarding other competitors’ future behavior. Competitively sensitive information therefore typically includes forward-looking information not available to the public, e.g. information regarding price increases, sales figures, turnovers, stocks, manufacturing capacity or quantity restrictions. 67 Decision of December 21, 2000, Case COMP.F.1/35.918, JCB, [2002] OJ No. L69/1, para. 171. 68 Court of First Instance, Judgment of January 13, 2004, Case T-67/01, JCB Service v. Commission, ECR 2004, II-49, paras. 121-133, 131. 69 ECJ, Judgment of January 28, 1986, Case 161/84, Pronuptia de Paris GmbH/Pronuptia de Paris Irmgard Schillgalis, ECR 1986, 353, para. 25: “Although provisions which impair the franchisee’s freedom to determine its own prices are restrictive of competition, that is not the case where the franchisor simply provides the franchisees with price guidelines, so long as there is no concerted practice between the franchisor and the franchisees or between the franchisees themselves for the actual application of such prices.” 70 Court of First Instance, Judgment of July 7, 1994, Case T-43/92, Dunlop Slazenger International Ltd v. Commission, EU:T:1994:259, paras. 101 et seq. 71 ECJ, Judgment of June 7, 1983, Joined Cases 100-103/80, SA Musique Diffusion francaise et al. v. Commission, 1983 ECR 1825, paras. 72-80, the Court held that Pioneer had participated in two concerted practices among its distributors that were designed to limit parallel imports. 72 See too England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Argos Ltd & Anor v. Office of Fair Trading [2006] EWCA Civ 1318 (October 19, 2006), para. 141 and U.K. Competition Appeal Tribunal’s Judgment of Liability of December 14, 2004, cases 1014 and 1015/1/1/03, Argos Limited & Littlewoods Limited v. Office of Fair Trading, para. 778.

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At least on some occasions, national antitrust authorities have invoked the concept of a concerted practice in the RPM context either simply in addition to a potential agreement73 or as a fallback option in case that no proper agreement could be established.74 However, none of these decisions contain a meaningful discussion of what criteria are specifically required in this regard. In the recent UK CMA decisions dealing with RPM, the CMA limits itself to quoting from the EU courts’ case law without discussing to what extent the concept of a concerted practice is sensible in a vertical context.75 While courts and antitrust authorities generally seem to envisage the possibility of a concerted practice in the vertical RPM context,76 there thus seems to be no case law actually elaborating on the concept. Notably, there is no discussion of the distinction between a concerted practice and the construction of an agreement by coercion and acquiescence, which already stretches the concept of an agreement in the sense of a meeting of the minds, and which might in fact be more aptly labelled a concerted practice. It appears indeed an open question what scenarios falling short of coercion/ inducement and acquiescence could be considered worthy of being sanctioned as an anticompetitive concerted practice.77

73 See the UK CMA’s decision of May 24, 2016, case CE/9856/14 – commercial refrigerators, para. 6.22, where the CMA found that Foster, a supplier of commercial refrigerators, and a number of resellers entered into an agreement and/or concerted practice that prevented or restricted resellers’ pricing freedom; See also the CMA’s decision of May 3, 2017, case 50343 – light fittings, para. 4.54, where the CMA found that some suppliers of commodity lighting products “had entered into an agreement/concerted practice” with resellers that they would adhere to the suppliers’ online price policy. 74 See the CMA’s decision of May 3, 2017, case 50343 – light fittings, para. 4.106, where the CMA established that even if no actual agreement existed between supplier and reseller, “the arrangements […] constituted at the very least a concerted practice […] on the basis that [the reseller] knew [the supplier’s] wishes as regards [the supplier’s] policy“. 75 See the CMA’s decision of May 10, 2016, Case CE/9857-14 – bathroom fittings, paras. 6.19, 6.25, 6.36 and Annex A, paras. A.33 et seq.; decision of May 24, 2016, Case CE/9856/14 – commercial refrigerators, paras. 6.16, 6.32, 6.36 and Annex A, paras. A.24 et seq. See also the U.K. Competition Appeal Tribunal’s decision of December 14, 2004, cases 1014 and 1015/1/1/03, Argos Limited & Littlewoods Limited v. Office of Fair Trading, paras. 703 et. seq. (available at: http://www.catribunal.org.uk/files/Jdg1014Argos141204.pdf), in which the court simply noted that “the underlying idea of “concerted practice” is equally applicable to the vertical relationship between a supplier and a retailer” . 76 See, for example, the U.K. Competition Appeal Tribunal’s decision of December 14, 2004, cases 1014 and 1015/1/1/03, Argos Limited & Littlewoods Limited v. Office of Fair Trading, paras. 703 et. seq. (available at: http://www.catribunal.org.uk/files/Jdg1014Argos141204. pdf). 77 Kuhn in “Vertical restraints”, edited by Mario Siragusa and Gianluca Faella (forthcoming, Claeys & Casteels Law Publishers, ISBN 9789491673009, spring 2019), states an application of the concept of concerted practices to vertical cases would leave unclear “how one would differentiate an impermissible vertical concerted practice from (i) an (unlawful) vertical agreement that is brought about by coercion and acquiescence and from (ii) (lawful) unilateral conduct.”

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3. Critical assessment It is submitted that the lack of guidance on or even discussion of what could make up a concerted practice in the vertical RPM context indicates that there may in fact not be a sensible application in such context. As noted, a concerted practice in the horizontal context is generally characterized by an exchange of competitively sensitive information between competitors that reduces the “risks of competition,” i.e., reduces the inherent uncertainty about how competitors will react to market changes. While this definition may work in horizontal cases where competitors are generally not expected to exchange competitively sensitive information, it appears difficult to apply it in a vertical context where there is a constant exchange of information between the parties (supplier and reseller), including exchanges of information about issues relevant for competition in the market. Nevertheless, several decisions on RPM refer to this horizontal case law also in the vertical context without discussing the implications of the different contexts.78 This creates the impression that concerted practice is used as a “catch-all” in the case that there is doubt about whether an outright agreement can be proven. It is indeed difficult to imagine how the concept of a concerted practice could sensibly be transposed from a horizontal into a vertical context. While the anticompetitive potential of an exchange of information relevant for the competition in the market appears evident in the horizontal context, communications and exchanges of market relevant information including information relevant for pricing, price positioning, discount actions etc. between a supplier and its reseller distributors are common and intrinsic to a distribution relationship.79 A supplier cannot recommend a resale price if he cannot discuss price-relevant aspects with the reseller. Similarly, it is difficult to conceive how the “practical cooperation” between a supplier and a reseller could “knowingly” substitute “for the risks of competition”80 in a vertical context.81 Since there is no competition between a supplier and a reseller, it seems that this consideration is without object in the vertical context. Conceivably, one could think about constructing a concerted practice in situations where there is no coercion or inducement, but where an exchange of information and opinions on the “right” 78 See, e.g., CMA, Decision of May 10, 2016, Case CE/9857-14 and the Austrian Federal Competition Authority’s guideline “Viewpoint of vertical price maintenance” published on July 31, 2014 (footnote 38), page 8 et seq., where the guidelines refer to, inter alia, ECJ, Decision of December 16, 1975, Case C-40/73 – Suiker Unie et al./Commission. 79 See the description of typical commercial relations in the electronic retail context above in Section III. The differences in context were expressly recognized by the England and Wales Court of Appeal (Civil Division) in Argos Ltd & Anor v. Office of Fair Trading [2006] EWCA Civ 1318 (October 19, 2006), para. 29: “It is unavoidable for a supplier and a customer to have dealings and agreements, though they ought not to be anti-competitive. It is not normal for competing undertakings to have dealings with each other, so that any dealings which they do have are regarded with greater suspicion.” 80 See ECJ, Judgment of June 4, 2009, Case C-8/08, T-Mobile Netherlands and others, para. 26. 81 Nevertheless, the FCO assumed so without further explanation in CIBA Vision, para. 47.

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pricing takes place so the supplier gets an idea of how the reseller will likely price the products, reducing the risk of unpredictable pricing.82 However, the commercial reality is that resellers do not sit with a poker-face throughout the discussions with the supplier. Also, there would be an obvious contradiction between the legality of price recommendations and discussions in this regard, on the one hand, and prohibitions on the reseller preventing it from expressing an opinion on the “right” pricing, on the other. It generally appears quite difficult to position the concept of a concerted practice between an illegal agreement by coercion and acquiescence and the lawful recommendation of a resale price and communications between supplier and reseller. It is at least this author’s conclusion that there is no room for the application of the concept of concerted practices in the vertical RPM context.83

V. Conclusion As noted at the outset, there is debate whether RPM is rightly considered a hardcore restriction of competition the restrictive effects of which generally exceed any potential efficiencies. For the time being, RPM continues to be considered by antitrust authorities in Europe a serious antitrust law infringement that is normally sanctioned by fines. Leaving this substantive question aside, the analysis carried out herein shows that the pursuit of RPM under the framework of Article 101 TFEU (and national equivalents) raises additional important legal and practical issues that compound the substantive questions. First, there is the difficulty of distinguishing legitimate price recommendations from undue limitations of the reseller’s freedom to independently determine the resale prices. Many national decisions set the bar in this regard fairly low, considering essentially any more than superficial discussion of resale prices between a supplier and a reseller illegal. This is not only difficult to reconcile with the considerably higher standard set under European case law, notably in JCB Service v. Commission, but it also is contradictory to commercial reality and common practices in certain supplier/ reseller relationships for which multiple communications on resale and market prices play an important role. National antitrust authorities, and of course also the European Commission, should therefore be encouraged to look back at European law precedent and apply a higher and clearer standard in this regard: “unequivocal evidence” of “a strict set of rules” concerning the setting of resale prices. Second, the construction of agreements for purposes of Article 101 TFEU through coercion/inducement and acquiescence essentially considering the application of the 82 See footnote 63 above referring to the FCO’s recommendation that resellers refrain from communicating to their supplier their pricing intentions. In the concerted practice context this would need to be taken a step further, and the reseller should not even give a hint of what his thoughts on pricing are. 83 In its Guidance Paper (see footnote 38) para. 13, also the German FCO states that vertical price fixing should typically be subject to an agreement, so that the existence of a concerted practice must not be assessed.

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suggested resale price following threats or incentives by the supplier as forming an agreement, seems to stretch the concept of an agreement in the sense of a meeting of the minds. From a practical perspective, it can put resellers in the dilemma of facing sanctions from either the supplier or from antitrust authorities because giving in to the supplier makes resellers accomplices to an antitrust violation. Resellers trying to stay legally on the safe side have their freedom to independently determine resale prices limited because they are practically obliged not to apply the suggested retail price as they otherwise risk becoming party to an illegal agreement. These undesirable effects result from the necessity of capturing RPM under Article 101 TFEU, although in substance – and leaving aside potential hub-and-spoke scenarios – RPM would seem more of a unilateral than a bilateral infringement. Since at least European law outlaws unilateral behavior only by dominant companies,84 RPM by non-dominant companies would otherwise go unsanctioned. Stipulating that RPM also by nondominant companies should be prohibited in the first place, there does not seem to be an alternative to taking recourse to Article 101 TFEU.85 However, the negative ramifications thereof could at least be reduced if the antitrust authorities in secondary legislation or guidance papers made clear that resellers succumbing to pressure from suppliers would, normally and in purely vertical contexts, not be sanctioned for RPM even if they were considered participating in the infringement as a technical matter. Finally, the analysis indicates that there is no sensible way to apply the concept of a concerted practice in the vertical RPM context, at least not as the concept has been developed in the horizontal context. In the horizontal context, concerted practices are  largely based on exchanges of competitively sensitive information between competitors whereas, in the vertical context, it appears intrinsic to a supplier/reseller relationship to exchange information on market and competition-relevant subjects. Moreover, it appears unclear how “practical cooperation” between a supplier and a reseller could replace the “risks of competition” given that there normally is no competition between them.

84 Note that under German law, an RPM infringement may also be found in the absence of an agreement or a concerted practice solely based on a supplier’s unilateral behavior. Section 21(2) no. 1 and 2 of the German Act Against Restrictions of Competition (“ARC”) prohibits undertakings from pressuring other undertakings to engage in any conduct which, according to the ARC or Article 101 TFEU, must not be made the subject of an agreement. For example, the FCO based its decision in Phonak on this provision where the supplier repeatedly refused to supply, which led the reseller to ultimately apply the required prices, FCO, Decision of October 14, 2009, Case B3–69/08, Phonak, decision in German available at: http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Kartell/Kartell09/B3-69-08. pdf?navid=35. See also Press Release of October 15, 2009, available in English at http://www. bundeskartellamt.de/wEnglisch/News/press/2009_10_15.php. See already FCO, Decisions of September 2, 2003, Case B7-69/03, Akkutechnische Erzeugnisse, and of April 25, 2007, Case B7-42/06, Groupe SEB. 85 Short of a modification and broadening of Article 102 TFEU, which is probably, at least at this point, not realistic.

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Carl Baudenbacher

Markt und Wettbewerb in der Rechtsprechung des EFTA- Gerichtshofs

II. Relevanz ökonomischer Erkenntisse im Wirtschaftsrecht 1. Kartellrecht 2. Übriges Wirtschaftsrecht

IV. Grundfreiheiten 1. Allgemeines 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 3. Staatliche Handelsmonopole und Wettbewerb

III. Kartellrecht 1. Überprüfung von Entscheidungen der ESA 2. Beweisfragen 3. Privater Schadenersatzkläger als Funktionär der Gesamtrechtsordnung 4. Vertretungsrecht des Syndikusanwalts 5. Schutz des Wettbewerbs zwischen Fluggesellschaften 6. Wettbewerbsrechtliche Schranken von Kollektivverträgen und Arbeitskampfmaßnahmen 7. Einschränkung des Begriffs der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung

VI. Schluss

I. Einleitung

V. Sekundäres Wirtschaftsrecht 1. Vertragsmodell 2. Haftungsgrundsatz a) Haftung des Staates in einer systemischen Krise b) Haftung des Staates für Vergabefehler 3. Verbraucherleitbild im Internetzeitalter 4. Anpassung des Preises für ein Pflicht­ übernahmeangebot 5. Re-Monopolisierung von Werken, die gemeinfrei geworden sind 6. Wettbewerbliche Schranken des Betriebsübergangs

I. Einleitung Das EWR-Abkommen erstreckt das EU-Binnenmarktrecht auf die beteiligten EFTA-­ Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Es gibt sowohl im Vereinigten Königreich wie in der Schweiz eine Diskussion darüber, ob ein „Andocken“ an ESA und den EFTA-Gerichtshof eine Option sein könnte. Ein Andocken, welches die EU der Schweiz im Jahr 2013 angeboten hat, würde bedeuten, dass der betreffende Nicht-EUStaat nicht den gesamten EWR-rechtlichen Acquis zu übernehmen hätte.1 Das zentrale Merkmal des EWR ist das Zwei-Pfeiler-Modell mit der Kommission und dem EuGH als den entscheidenden Institutionen im EU-Pfeiler und der EFTA-Überwachungsbehörde (EFTA Surveillance Authority, ESA) und dem EFTA-Gerichtshof im EFTA-Pfeiler. Das Bestehen zweier unabhängiger Gerichtshöfe in einem Wirtschaftsraum, welche inhaltsgleiches Recht anwenden, führt zur Frage, wie die Homo1 Vgl. Carl Baudenbacher, The Judicial Dimension of the European Neighbourhood ­Policy, EU Diplomacy Paper, 08/2013, 5, Bruges, College of Europe, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 5. Februar 2018).

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genität der Rechtsprechung sichergestellt werden soll. Nach dem geschriebenen Recht soll der EFTA-Gerichtshof grundsätzlich dem EuGH folgen. In der Praxis haben sich die Dinge aber schon deshalb anders entwickelt, weil der EFTA-Gerichtshof regelmäßig mit neuen Rechtsfragen befasst ist (sog. Going first-Konstellation). Das EWRA enthält besondere Vorschriften für den Fall eines judiziellen Konflikts zwischen den beiden Gerichtshöfen. Sie sind aber kaum operabel. Der einzige nachhaltige Mechanismus ist der judizielle Dialog. Homogenität kann denn auch nach neuerer Auf­ fassung nicht als Momentaufnahme begriffen werden, sondern nur als langfristiges, prozessorientiertes Konzept.2 Dabei gibt es auch Raum für ein gewisses Maß an Systemwettbewerb. Nach BE 3 der Präambel zum EWRA haben die Vertragsparteien (die EU und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die beteiligten EFTA-Staaten andererseits) das EWR-­ Abkommen „auf der Grundlage der Marktwirtschaft“ abgeschlossen. Die Marktorientierung des EWR-Abkommens zeigt sich am deutlichsten bei den Grundfreiheiten, dem Wettbewerbsrecht und den Bestimmungen über staatliche Beihilfen. Hinzu kommt ein großer Teil des sekundären Wirtschaftsrechts. Der EFTA-Gerichtshof hat aber im Dialog mit dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof auch Wirtschaftsgrundrechte anerkannt.3 Der vorliegende Beitrag ist einem deutschen und europäischen Kartellrechtler gewidmet, der erfolgreiche praktische Tätigkeit in beeindruckender Weise mit wissenschaftlichem Ethos verbindet. Dirk Schroeder wird von Mandanten, Gegenparteien, Behörden und Gerichten für seine Exzellenz und Fairness gelobt. Diese Eigenschaften sind auch jungen Talenten in ihrer Karriere zugute gekommen.

II. Relevanz ökonomischer Erkenntisse im Wirtschaftsrecht 1. Kartellrecht Im Kartellrecht ist es heute state of the art, dass sich Behörden und Gerichte auf ökonomische Erkenntnisse stützen. Das Kartellrecht ist allerdings in mehrfacher Hinsicht eine Spezialmaterie. Es ist in einem hohen Maße globalisiert und wird von einer Community gepflegt, die alle Stakeholders – Gesetzgeber, Rechtsanwender, Anwälte, In-house counsel, Ökonomen, PR-Leute, Richter  – umfasst. Überdies geht es um ziemlich viel Geld. Auf Einzelheiten braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es muss der Hinweis genügen, dass die historische Entwicklung nicht linear verlaufen ist, wobei das Pendel in den USA weit stärker ausgeschlagen hat als in Europa. Vereinfacht kann man sagen, dass eine Seite (in den USA i.W. Chicago School genannt) dazu neigte, den Marktkräften zu vertrauen, den Staat als den schlimmsten Wettbewerbsverzerrer betrachtete und sich auf eine langfristige Entwicklung verließ. Die andere 2 Vgl. Philipp Speitler, Judicial Homogeneity as Fundamental Principle of the EEA, in Carl Baudenbacher, Ed., The Fundamental Principles of EEA Law (2017) 29. 3 Vgl. Carl Baudenbacher, Fundamental rights in the case-law of the EFTA Court, ­Human rights law journal (HRLJ), vol. 36, no. 7-12 (30 Dec. 2016), 307 ff.

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Der EFTA-Gerichtshof zu Markt und Wettbewerb

Seite (i.W. die sog. Harvard School) betonte die Notwendigkeit, wettbewerbsfähige Marktstrukturen zu sichern, weil sie zu guten Ergebnissen führen würden, und war eher bereit, ggf. auch kurzfristig einzugreifen.4 Nach den heftigen Kontroversen der 1970er und 1980er Jahre schien sich eine Konvergenz abzuzeichnen. Simon Wren ­Lewis von der Universität Oxford schrieb im Jahr 2012, die Makroökonomie in den 1990er Jahren “appeared to become much more unified. It would be going much too far to suggest that there was a general consensus, but to use a tired cliché, most macroeconomists started talking the same language, even if they were not saying the same thing.”5 Auf dieser Grundlage hat die Kommission um die Jahrtausendwende wohl den sog. “more economic approach” lanciert. Unterschiede blieben jedoch bestehen, insbesondere in den Bereichen vertikale Beschränkungen, Missbrauch von Marktbeherrschung und Fusionskontrolle. Es scheint nun, dass die Wettbewerbstheorie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-2008 bis zu einem gewissen Grad wieder gespalten ist.6 2. Übriges Wirtschaftsrecht Außerhalb des Kartellrechts ist die Abstützung der Rechtsanwendung auf ökonomische Theorien weniger verbreitet. Auf der Ebene der nationalen Rechte gibt es zwar umfassende Arbeiten der “law and economics”- oder “economic analysis of law”-Schule, vor allem in den Bereichen Sektorenregulierung, Deliktsrecht und Vertragsrecht, Theorie der Firma, Immaterialgüterrecht und Versicherungsrecht. Im deutschen Sprachraum ist von der „Ökonomischen Analyse des Rechts“ die Rede. Das Problem dieser Bewegung war von Anfang an, dass sie verdächtigt wurde, dem Ziel der Effizienz von Rechtsnormen und ihrer Anwendung den Vorrang vor Gesichtspunkten der Gerechtigkeit und Billigkeit einzuräumen. Hier darf der Hinweis nicht fehlen, dass der spätere Bundesappellationsrichter Guido Calabresi, einer der Begründer der “law and economics”-Schule, bei seiner Analyse des Deliktsrechts postuliert hat, dass sowohl Effizienzgesichtspunkte als auch Belange der Gerechtigkeit und Billigkeit berücksichtigt werden.7 Schließlich darf nicht übersehen werden, dass es gerade in Deutschland schon viel früher wesentliche Erkenntnisse führender Ökonomen zu fundamentalen Fragen des Wirtschaftsrechts gegeben hat. Aufgrund seiner Größe und anderer Faktoren ist die Anzahl von Fällen, welche der EFTA-Gerichtshof im Wirtschaftsrecht ge4 S. dazu: Thomas A. Pirano Jr., Reconciling the Harvard and Chicago Schools: A New Antitrust Approach for the 21st Century (2007), Indiana Law Journal, Vol. 82 Iss. 2, Article 4, 348  ff., abrufbar unter: https://www.repository.law.indiana.edu/cgi/viewcon​tent.cgi?referer​ =https://www.google.lu/&httpsredir=1&article=1354&context=ilj (zuletzt besucht am 5. Februar 2018). 5 Simon Wren-Lewis, The return of schools of thought in macroeconomics (2012), abrufbar unter: (zuletzt besucht am 23. Januar 2018). 6 Simon Wren-Lewis, a.a.O. 7 Guido Calabresi, The Cost of Accidents: A Legal and Economic Analysis (1970), 24 n.1; vgl. auch Mark Geistfeld, Efficiency and Fairness in Tort Law, NYU Law and Economics Working Papers 2006, 44, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 2. Februar 2018).

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fällt hat, beschränkt. Trotzdem hat er sich gerade in den letzten Jahren mit Fragen auseinandergesetzt, die eine bestimmte wirtschaftsrechtliche Grundausrichtung erkennen lassen.

III. Kartellrecht 1. Überprüfung von Entscheidungen der ESA Im Kartellrecht wird die Jurisdiktion des EFTA-Gerichthofs in Direktprozessen durch die beschränkte Zuständigkeit der ESA gemäß Art. 56 EWRA bestimmt. Hinzu kommt, dass die ESA in den ersten 24 Jahren ihres Bestehens nicht übermäßig begierig war, kartellrechtliche Sachverhalte aufzugreifen. Es wurden ganze zwei Bußgeld­ entscheidungen erlassen, und das in relativ kurzer zeitlicher Abfolge in den Fällen Norway Post und Colour Line, die beide den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung betrafen. In der ersten Rechtssache erließ die ESA eine Bußgeldentscheidung über € 12 890 000, im zweiten eine solche über € 18 811 000. Während die Entscheidung Colour Line nicht angefochten wurde, erhob die norwegische Post Nichtigkeitsklage. Der EFTA-Gerichtshof wies die Klage ab, reduzierte jedoch die Buße wegen der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens von € 12 890 000 auf € 11 112 000. Er nutzte aber die Gelegenheit, um grundsätzliche Ausführungen zum Umfang der richterlichen Kognition zu machen. Der Gerichtshof stellte fest, dass das Verfahren, das zur Verhängung der erheblichen Geldbuße führte, grundsätzlich die in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Garantien für Strafverfahren zu beachten hat. Das Recht auf ein faires Verfahren setze insbesondere voraus, dass der Gerichtshof das Recht hat, die angefochtene Entscheidung in jeder Hinsicht in Bezug auf Tatsachen- und Rechtsfragen aufzuheben. Der EFTA-Gerichtshof beschränkt sich sodann nicht darauf, bei komplexen wirtschaftlichen Bewertungen durch die Behörde nur dann einzugreifen, wenn er sie für offensichtlich falsch hält.8 Dazu muss man wissen, dass der EFTA-Gerichtshof bereits 1999 im zweiten Husbanken-Fall, in dem es um die Frage ging, ob eine Staatsgarantie für eine staatliche Bank mit dem Verbot staatlicher Beihilfen vereinbar ist, eine ähnliche Linie eingeschlagen hat. Die Entscheidung der ESA, es handle sich um eine Beihilfe, die jedoch nach Art. 59 Abs. 2 EWR (Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) gerechtfertigt sei, wurde für nichtig erklärt.9

8 Vgl. dazu etwa Eric Barbier de la Serre, A lesson on judicial review from the other European Court in Luxembourg, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 31. Januar 2018); Marco Bronckers/Anne Valery, “Norway Post: The EFTA Court advances the debate on human rights and administrative competition law enforcement”, European Law Reporter ELR 108  ff. (2012); Laura Melusine Baudenbacher, Aspects of Competition Law Enforcement in Selected European Jurisdictions, ECLR 2016, 37 (9). 9 EFTA-GH, Urteil v. 3. März 1999  – Rs. E-4/97, Norwegische Bankenvereinigung gg. EFTA Überwachungsbehörde, [1999] EFTA Ct. Rep. 1.

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2. Beweisfragen Ökonomische Erkenntnisse spielen eine wichtige Rolle im Beweisrecht. In ihrem Beitrag zum Global Forum on Competition der OECD vom Dezember 2017 haben die USA z.B. ausgeführt, dass die Anwendung des amerikanischen Wettbewerbsrechts, abgesehen von Kartellfällen, in der Regel eine wirtschaftliche Analyse in irgendeiner Form umfasst. Wichtige Elemente seien typischerweise die Abgrenzung eines relevanten Marktes und die Frage, ob das verdächtige Verhalten eine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt hat oder haben wird. Ökonomische Analysen verschiedenster Art seien wichtig, um eine sinnvolle und überzeugende Marktabgrenzung oder Wettbewerbsfolgenabschätzung zu gewährleisten.10 Auch die EU hat betont, dass wirtschaftliche Nachweise und Bewertungen sowohl bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Kommission als auch bei der Überprüfung durch die europäischen Gerichte eine zunehmend wichtige Rolle spielen. In der Sache geht es ebenfalls um das Verständnis des Funktionierens der relevanten Märkte, die Wettbewerbsinteraktionen in diesen Märkten und die Abschätzung der wahrscheinlichen Folgen der untersuchten Praktiken.11 Gleiches muss für die EWR/EFTA gelten. 3. Privater Schadenersatzkläger als Funktionär der Gesamtrechtsordnung In einer Reihe von Folgeverfahren zu Norway Post war der EFTA-Gerichtshof mit Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen der ESA befasst, die den Zugang zu Dokumenten verweigerte, welche bei der Durchsuchung der Räumlichkeiten der Post beschlagnahmt worden waren. In der Rechtssache E-14/11 DB Schenker I gegen ESA entschied er in E-Gr. 132: “[S]pecific policy considerations arise in requests for access to documents as part of follow-on damages cases brought before national courts concerning Articles 53 and 54 EEA. The private enforcement of these provisions ought to be encouraged, as it can make a significant contribution to the maintenance of effective competition in the  EEA [….]. ESA’s and the Commission’s view that follow-on damages claims in competition law cases only serve the purpose of defending the plaintiff ’s private ­interests cannot be maintained. While pursuing his private interest, a plaintiff in such proceedings contributes at the same time to the protection of the public interest. This thereby also benefits consumers.”12 10 OECD, Direktion für Finanz- und Unternehmensangelegenheiten Ausschuss für Wett­ bewerb, Judicial Perspectives on competition law, Contribution from the United States, ­Session II (2017) abrufbar unter: (zuletzt besucht am 23. Januar 2018). 11 OECD, Direktion für Finanz- und Unternehmensangelegenheiten, Ausschuss für Wettbewerb, Judicial Perspectives on competition law, Contribution from European Union, 7-8 Dezember 2017, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 7. Februar 2018). 12 EFTA-GH, Urteil v. 21. Dezember 2012  – Rs. E-14/11, DB Schenker gg. EFTA Überwachungsbehörde, [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rz. 132.

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GA Kokott schloss sich dieser Rechtsauffassung in C-557/12 KONE13 an, etwas, das der EFTA-Gerichtshof im zweiten Schenker-Urteil (Rs. E-7/12) hervorhob.14 Die Nichteinhaltung von Fristen durch die ESA sei bedauerlich, da sie das Potenzial habe, die private Durchsetzung zu untergraben.15 Das EuG hat diesen Ansatz in den Fällen T-345/12 Akzo Nobel u.a./Kommission und T-341/12 Evonik/Degussa übernommen.16 4. Vertretungsrecht des Syndikusanwalts In der Rechtssache E-8/13 Abelia gegen ESA hatte sich der EFTA-Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob In-house-Rechtsanwälte ihre eigene Firma vor Gericht vertreten dürfen. Nach Art. 17 der Satzung des Gerichtshofs werden andere Parteien als die EFTA-Staaten, die ESA, die EU und die Europäische Kommission durch einen Rechtsanwalt vertreten. In den verbundenen Rechtssachen C-422/11 P und C-423/11 P ­Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen/Kommission, Urteil vom 6. September 2012, stellte der EuGH fest, dass die parallele Bestimmung seines Statuts die Tätigkeit von angestellten Rechtsanwälten im Namen ihres Arbeitgebers wegen fehlender Unabhängigkeit ausschließt. In Abelia forderten die ESA und die Kommission den EFTA-Gerichtshof auf, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen. Der EFTA-Gerichtshof stellte jedoch fest, dass “the requirement that a party be represented before the Court by an independent third party is not a requirement designed generally to exclude representation by ­employees of the principal or by those who are financially dependent upon it. [….] So far as legal persons are concerned, the requirement of representation by a third party thus seeks to ensure that they are represented by someone who is sufficiently detached from the represented legal person. Whether this is so has to be addressed by the Court on a case by case basis.”17 Im konkreten Fall wurde die Unabhängigkeit beider in Frage stehenden Anwältinnen als nicht beeinträchtigt eingestuft. Die Verweigerung des Vertretungsrechts für einen Inhouse-Rechtsanwalt könnte eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen und – wie der spätere EuGH-Präsident Vassilios Skouris bereits 1975 schrieb18 – auf eine Diskri13 EuGH (Fünfte Kammer), Urteil v. 5. Juni 2014 – Rs. C-557/12, Kone AG u.a. gg. ÖBB-Infrastruktur AG, ECLI:EU:C:2014:1317, Rz. 36. 14 EFTA-GH, Urteil v. 7. Juli 2014 – Rs. E-5/13, DB Schenker gg. EFTA Überwachungsbehörde, [2014] EFTA Ct. Rep. 304, Rn. 134; EuGH, Schlussanträge der GA Juliane Kokott v. 30. Januar 2014 – Rs. C-557/12, Kone AG u.a., ECLI:EU:C:2014:45, Rz. 60. 15 EFTA-GH, Urteil v. 11. Oktober 2017 – Rs. E-7/12, DB Schenker gg. EFTA Überwachungsbehörde, [2013] EFTA Ct. Rep. 356, Rz. 139. 16 EuGH (Dritte Kammer), Urteil v. 28. Januar 2015 – Rs. T-345/12, Akzo Nobel NV u.a. gg. Europäische Kommission, ECLI:EU:T:2015:50; EuGH (Dritte Kammer), Urteil v. 28. Januar 2015 – Rs. T-341/12, Evonik Degussa GmbH gg. Europäische Kommission, ECLI:EU:T:2015:51. 17 EFTA-GH, Beschluss v. 29. August 2014 – Rs. E-08/13, Abelia gg. EFTA Überwachungsbehörde, [2014] EFTA Ct. Rep. 638, Rz. 46. 18 Vassilios Skouris, Die Diskriminierung des Syndikusanwalts (§ 46 BRAO) aus verfassungsrechtlicher Sicht, BB 1975, 1230.

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minierung hinauslaufen. Überdies wurde das entsprechende deutsche Gesetz 1934 eingeführt, da ein hoher Anteil der Syndikusanwälte Juden waren.19 5. Schutz des Wettbewerbs zwischen Fluggesellschaften Gemäß der Verordnung 95/93/EWG über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen werden den Luftfahrtunternehmen Zeitnischen (sog. slots) für Start und Landung nach einem System von “grandfather rights” zugeteilt. Ein Unternehmen, das nachweisen kann, dass es die Zeitnischen während des Zeitraums, für den sie zugewiesen wurden, zu mindestens 80 % genutzt hat, hat nach Art. 10 Abs. 2 Anspruch auf die gleiche Abfolge in der nächsten äquivalenten Flugplanperiode. Dies erschwert den Markteintritt für Neueinsteiger. Das Bezirksgericht Reykjavík legte am 22. September 2014 im Zusammenhang mit der Zuweisung von Start- und Landerechten am Internationalen Flughafen Keflavík für das Jahr 2014 Fragen zur Auslegung der Verordnung vor (Rechtssache E-18/14 Wow air ehf. ./. isländische Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. und Icelandair ehf.). Es ersuchte den EFTA-Gerichtshof, das beschleunigte Verfahren nach Art. 97a VerfO durchzuführen. Der Präsident bewilligte dies auf der Grundlage der wirtschaftlichen Sensibilität des Falles. Er stellte in diesem Zusammenhang fest: “To guarantee fair and effective competition is one of the most important goals of the EEA Agreement. Effective competition benefits both consumers and competitors and contributes to the common good. In the case at hand, Iceland’s special geographic ­situation must be taken into account with Keflavík essentially being the only inter­ national airport in the country.”20 Das Urteil wurde am 10. Dezember 2014, d.h. innerhalb von weniger als drei Monaten, verkündet. Der Gerichtshof stärkte dem unabhängigen Koordinator, der für die erstmalige Zuweisung der Zeitnischen zuständig ist, den Rücken. Es sei sicherzustellen, dass weder die Behörden des betreffenden EWR-Staates noch eine andere Partei den Koordinator vor, während und nach dem Zuteilungsverfahren in unzulässiger Weise beeinflussen können. Die nationalen Wettbewerbsbehörden hätten sodann das Recht, den Unternehmen direkte Anweisungen zu erteilen, wenn es um die Übertragung von Zeitnischen nach der erstmaligen Zuweisung geht, sofern dies nach nationalem oder EWR-Wettbewerbsrecht erforderlich ist. Dadurch wurde das System der “grandfather rights” ein Stück weit für den Wettbewerb geöffnet. 6. Wettbewerbsrechtliche Schranken von Kollektivverträgen und ­Arbeitskampfmaßnahmen In E-14/15 Holship Norge AS ./. Norsk Transportarbeiderforbund ging es u.a. um die Frage, ob das in vielen Häfen Europas bestehende Prioritätsrecht der Hafenarbeiter19 Carl Baudenbacher/Philipp Speitler, Der Syndikus der Gegenwart-Interessensvertreter oder Anwalt des Rechts?, NJW 2015, 1211 ff. 20 EFTA-GH, Beschluss v. 30. September 2014 – Rs. E-18/14, Wow air ehf. gg. Isländische Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. and Icelandair ehf., [2014] EFTA Ct. Rep. 1304, E-Gr. 7.

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gewerkschaften, einlaufende Schiffe zu entladen und zu beladen, mit dem EWR-Kartellrecht vereinbar war. Die norwegische Transportgewerkschaft hatte gegen den Spediteur Holship einen Boykott notifiziert, der das Ziel verfolgte, die Annahme eines entsprechenden Kollektivvertrags zu erreichen. Der EFTA-Gerichtshof stellte fest, dass eine solche Vorrangklausel nicht unter die kartellrechtliche Immunität von Kollektivverträgen fällt. Gleiches gelte für den Boykott. Es reiche nicht aus, dass eine Maßnahme des Arbeitskampfes auf dem legitimen Ziel des abstrakten Arbeitnehmerschutzes fuße. Vielmehr sei zu prüfen, ob die fragliche Maßnahme tatsächlich auf den Schutz der Arbeitnehmer abzielt. 7. Einschränkung des Begriffs der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung Das Universitätskrankenhaus Oslo schrieb die Erbringung von Dienstleistungen für den Transport von Patienten in bestimmten Gebieten aus. Am Verfahren beteiligten sich Ski Taxi und Follo Taxi zusammen mit der gemeinsamen Verwaltungsgesellschaft Ski Follo Taxidrift AS, die für das Buchungssystem, den Betrieb der Telefonzentrale, die Kommunikation und die IT-Infrastruktur von Ski Taxi und Follo Taxi verantwortlich ist. Da nur ein Angebot einging, beendete das Krankenhaus das Ausschreibungsverfahren wegen unzureichenden Wettbewerbs und reichte bei der norwegischen Wettbewerbsbehörde eine Beschwerde ein. Ein weiteres Verfahren endete ebenfalls ergebnislos. Die norwegische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die gemeinsamen Angebote eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckten, die gegen Art. 10 des norwegischen Wettbewerbsgesetzes verstoße, der Art. 53 EWRA entspricht. Ski Taxi und Follo Taxi seien Konkurrenten, die ihre Angebote separat hätten einreichen können. Gegen Ski Taxi SA, Follo Taxi SA und Ski Follo Taxidrift AS wurden Verwaltungsstrafen verhängt. Vor dem OGH machten die Rechtsmittelführer geltend, dass ihre gemeinsame Ausschreibung keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen könne, insbesondere im Hinblick auf die verfolgten Ziele, den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen und ihre Absicht. Was den Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung angeht, so orientierte sich der EFTA-Gerichtshof an der Rechtsprechung des EuGH. In einem entscheidenden Punkt folgte er jedoch nicht der Argumentation des EuGH, sondern stützte sich auf die Meinung des GA Nils Wahl. In Rz. 61 des Urteils wurde auf seine Schlussanträge in CB/ Kommission verwiesen und festgestellt, dass nur Verhaltensweisen, deren schädlicher Charakter im Lichte der Erfahrung und wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntisse leicht nachweisbar ist, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzusehen sind.21 Das bedeutet, wie GA Wahl weiter festgestellt hat, dass Verhaltensweisen, welche ambivalente Auswirkungen auf den Markt haben oder deren wettbewerbsbeschränkende Nebenwirkungen für die Verfolgung eines nicht wettbewerbsbeschränkenden Hauptziels notwendig sind, nicht erfasst werden.

21 EFTA-GH, Urteil v. 22. Dezember 2016 – Rs. E-3/16, Ski Taxi SA, Follo Taxi SA og Ski Follo Taxidrift AS v Staten v/Konkurransetilsynet, in Report of the EFTA Court 2016, E-Gr. 56, 1024.

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IV. Grundfreiheiten 1. Allgemeines Die vier Grundfreiheiten – freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr  – sind aus dem heutigen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in das EWR-Abkommen übernommen worden. Die Verwirklichung dieser wirtschaftlichen Freiheiten wird als für die Verwirklichung des Binnenmarktes unerlässlich angesehen. In Art. 26 Abs. 2 AEUV heißt es, dass der Binnenmarkt „einen Raum ohne Binnengrenzen (umfasst), in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“ Ob dies auch aus ökonomischer Sicht zutrifft, ist jedoch umstritten. So schreibt beispielsweise der Brüsseler Think Tank Brueghel in seinem Papier “Europe after Brexit: A proposal for a continental partnership” vom 29. August 2016: “From a purely economic viewpoint, however, goods, services and capital can be ­freely exchanged in a deeply integrated market without free movement of workers, though not entirely without some labour mobility. It is also possible for capital to move freely and for banking services to be provided across borders without free ­movement. Free movement of workers is, thus, not indispensable for the smooth ­functioning of economic integration in goods, services and capital. On the other hand, some degree of labour mobility is an essential counterpart of the free flow of goods, services and capital.”22 Wie dem auch sei, die Freizügigkeit von Personen ist weitgehend Bestandteil des EWR-Rechts. Die Vertragsparteien können die Grundfreiheiten entweder auf der Grundlage der im EWR-Abkommen niedergelegten Rechtfertigungsgründe oder auf der Grundlage der durch die Rechtsprechung anerkannten Gründe einschränken. Die Grundfreiheiten und ihre Beschränkungen werden aber kaum ökonomisch analysiert. 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die wirtschaftsrechtliche Funktion einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung besteht darin, sicherzustellen, dass Restriktionen auf ein Minimum reduziert werden. Das wird vor allem deutlich, wenn man die Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs und des EuGH zum Glücksspielrecht und zur Dividendenbesteuerung vergleicht. In beiden Bereichen, in denen es für die Mitgliedstaaten um viel Geld geht, war der ­EFTA-Gerichtshof am Anfang der historischen Entwicklung klar strikter und damit

22 Jean Pisani-Ferry/Norbert Röttgen/André Sapir/Paul Tucker/Guntram B. Wolff, Europe after Brexit: A proposal for a continental partnership, 5, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 5. Februar 2018).

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marktorientierter als der EuGH.23 Nach einigen Jahren hat sich der EuGH aber der Spruchpraxis des EFTA-Gerichtshofs deutlich angenähert.24 3. Staatliche Handelsmonopole und Wettbewerb Der EFTA-Gerichtshof war das erste Gericht im EWR, das in der Rechtssache E-6/96 Wilhelmsen über die Rechtmäßigkeit eines staatlichen Alkoholmonopols für den Einzelhandel zu entscheiden hatte.25 Nach norwegischem Recht war der Einzelhandelsverkauf von Bier mit einem Alkoholgehalt von mehr als 4,75 Volumenprozent dem staatlichen Monopol Vinmonopolet vorbehalten. Es stellte sich die Frage, ob dies mit den Vorschriften des EWRA zum Warenfreiverkehr vereinbar ist. Der EFTA-Gerichtshof stellte fest, dass bestimmte Aspekte des norwegischen Systems, einschließlich der 4,75-prozentigen Abgrenzung, zu einer Diskriminierung zwischen ausländischen und einheimischen Biermarken geführt haben. Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung nach Art. 13 EWR, der Parallelvorschrift zu Art. 36 AEUV, räumte der EFTA-Gerichtshof ein, dass die Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs ein Anliegen der öffentlichen Gesundheit darstellt. Art. 13 EWR wäre nur dann nicht anwendbar, wenn das nationale Gericht feststellen würde, dass die fraglichen Maßnahmen darauf abzielen, die inländische Produktion gegenüber der ausländischen Produktion zu schützen oder den Handel zwischen den Mitgliedstaaten verschleiert zu beschränken. Was den Art. 16 anbelangt, so war der Gerichtshof der Auffassung, dass Bestimmungen, die Vinmonopolet ein ausschließliches Recht für den Einzelhandelsverkauf von Bier mit einem Alkoholgehalt von mehr als 4,75 Volumenprozent einräumen, fester Bestandteil der Regelungen sind, welche das System ausgestalten. Er hat diese Bestimmungen daher im Lichte von Art. 16 EWR bewertet, kam aber zu dem Schluss, dass sie als solche nach Art. 13 EWR gerechtfertigt sind und daher nicht weiter geprüft werden müssen. Da Vinmonopolets Auswahl an sog. starken Bieren aus zehn inländischen und sieben ausländischen Marken bestand, fügte der EFTA-Gerichtshof hinzu, dass ein staatliches Einzelhandelsmonopol, das ein ausschließliches Recht zum Verkauf von Produkten hat, in der Praxis in der Lage sei, Waren aus anderen Ländern zu diskriminieren. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Produktauswahl nur auf Faktoren wie höhere Transportkosten für ausländisches Bier und ­lokalen Geschmack beruhte – diese Argumente wurden von der norwegischen Re­ gierung vorgebracht – oder ob sie auf eine diskriminierende Anwendung des Einzelhandelsmonopols zurückzuführen ist. Das vorlegende Gericht müsse berücksichtigen, ob die Methode der Auswahl den Marktmechanismus so weit wie möglich zu ersetzen in der Lage war (E-Gr. 107). Mit anderen Worten stützte der EFTA-Gerichts23 EFTA-GH, Urteil v. 23. November 2004 – Rs. E-01/04, Fokus Bank ASA gg. das Königreich Norwegen, [2004] EFTA Ct. Rep. 11; EFTA-GH, Urteil v. 14. März 2007 – Rs. E-01/06, EFTA Überwachungsbehörde gg. das Königreich Norwegen, [2007] EFTA Ct. Rep. 8; EFTA-GH, Urteil v. 30. Mai 2007 – Rs. E-03/06, Ladbrokes Ltd. v gg. das Königreich Norwegen, [2007] EFTA Ct. Rep. 86. 24 Vgl. Simon Planzer, Gambling Law, in Carl Baudenbacher, Ed., The Handbook of EEA Law, 699 ff. 25 EFTA-GH, Urteil v. 27. Juli 1997  – Rs. E-06/96, Tore Wilhelmsen AS gg. Oslo commune, [1997] EFTA Ct. Rep. 53.

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hof sich auf das Konzept des „als ob Wettbewerbs“, das von den deutschen Ordoliberalen entwickelt wurde. Hinzuzufügen ist, dass Art. 16 EWR sehr schwierig zu handhaben ist. Wirtschaftlich gesehen ist es nahezu unmöglich, ein staatliches Monopol mit kommerziellem Charakter so auszugestalten, „dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist,“ wie es in Art. 16 EWR und Art. 37 Abs. 1 AEUV heißt. Sechs Monate später befasst sich der EuGH in der Rechtssache Franzén (C-189/95) mit dem schwedischen staatlichen Einzelhandelsmonopol Systembolaget. Generalanwalt Michael Elmer hatte die Auffassung vertreten, dass das schwedische System mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr unvereinbar sei. Der EuGH folgte ihm jedoch nicht. Er stellte fest, dass Bestand und Funktionsweise des Monopols ausschließlich nach Art. 37 AEUV zu beurteilen seien. Handelsbeschränkungen, die mit dem Bestehen eines Monopols einhergingen, müssten akzeptiert werden. Dazu gehöre auch die Begrenzung der Anzahl der Verkaufsstellen. Der EuGH befand insbesondere, dass die von Systembolaget angewandten Auswahlkriterien und -methoden nicht diskriminierend seien, da das Monopol einem Kaufplan folgte, der auf vorhersehbaren Veränderungen der Verbrauchernachfrage basierte, die Ausschreibungen unabhängig von der Herkunft der Händler und Getränkesorten erfolgten und die Auswahl nach rein kommerziellen oder qualitativen Kriterien gemacht werde. Die Blindverkostung werde als Auswahlverfahren genutzt und es würden Verbraucherpanels gebildet. Dass das System geeignet war, Kleinproduzenten zu behindern, wurde akzeptiert. Auf dieser Grundlage erklärte der EuGH das Einzelhandelsmonopol für mit dem heutigen Art. 37 AEUV vereinbar. Es ist offensichtlich, dass das Urteil politisch motiviert war. Schwedische Regierungskreise hatten damit ­gedroht, dass ein Urteil gegen Systembolaget nicht umgesetzt würde. In E-4/05 HOB Vín I hat sich der EFTA-Gerichtshof dem EuGH Franzén angeschlossen.26

V. Sekundäres Wirtschaftsrecht 1. Vertragsmodell In der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs sind auch die Grundsätze der Vertragsfreiheit und der Vertragstreue relevant geworden. Verträge sind Instrumente, die eine möglichst effiziente Ressourcenallokation fördern. Die Vertragsfreiheit ist für das Funktionieren einer Marktwirtschaft von wesentlicher Bedeutung. Vertragstreue bedeutet, dass eine ordnungsgemäß abgeschlossene Vereinbarung von den Parteien zu erfüllen ist, sofern keine gesetzlich anerkannte Ausnahme besteht. In den Verbundenen Rechtssachen Swiss Life und Vienna Life, die vom Obersten Gerichtshof von Liechtenstein vorgelegt wurden, sprach sich der EFTA-Gerichtshof gegen eine Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Anwendung von Verbraucherschutzregeln trotz Fehlens eines Schutzbedürfnisses aus. Sowohl die ESA als auch die 26 EFTA-GH, Urteil v. 17. Januar 2006 – Rs. E-04/05, HOB-vín v the Icelandic State and the State Alcohol and Tobacco Company of Iceland, [2006] EFTA Ct. Rep. 4.

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Kommission argumentierten, dass bestimmte Verbraucherschutzvorschriften des EWR-Rechts Anwendung finden müssten, wenn jemand eine gebrauchte Lebensversicherung kauft. Der EFTA-Gerichtshof entschied, dass dies nicht der Fall sei, da es sich bei dem fraglichen Geschäft um eine steuerlich motivierte Anlageform handle.27 Das Aushandeln der Vertragsbedingungen wurde damit dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen. Insofern kommt, wie immer wenn sich ebenbürtige Partner gegenüberstehen, die auf Walter Schmidt-Rimpler zurückgehende These von der „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrages zum Tragen.28 In der Rechtssache Beatrix Koch hatte der EFTA-Gerichtshof aber kurz zuvor klar gemacht, dass der Verbraucherschutz im EWR-Recht eine sehr wichtige Rolle spielt. Danach müssen die schriftlichen Informationen, die dem Versicherungsnehmer gemäß den Lebensversicherungsrichtlinien vor Vertragsschluss mitzuteilen sind, vollständig, eindeutig und detailliert sein. Weitere Informationen müssten ausreichend sein, um den potentiellen Versicherungsnehmer in die Lage zu versetzen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Allerdings verlangten die Richtlinien nicht, dass die Versicherungsunternehmen die Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss beraten. Die Anwendung allgemeiner Grundsätze des nationalen Vertragsrechts zur Schaffung einer Beratungsverpflichtung betreffend komplexe Finanzinstrumente sei aber zulässig. Zum letzten Punkt verwies der EFTA-Gerichtshof auf das Urteil des BGH vom 11. Juli 2012 – IV ZR 271/10.29 Im Fall E-5/15 Matja Kumba argumentierte die Kommission, unterstützt von der ESA, dass ein Arbeitsplan mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 84 Stunden in einer kohabitanten Pflegeeinrichtung, welche eine Behandlung für Jugendliche mit Drogen- und/oder Alkoholproblemen anbietet, mit der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/ EG unvereinbar sei. Der EFTA-Gerichtshof befand, dass ein solcher Plan rechtmäßig ist, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die ESA schloss sich auch dem Argument der Kommission an, dass eine Vorschrift des norwegischen Rechts, nach der es Arbeitnehmern, die eine Wohnung in einer Pflegeeinrichtung haben, nicht gestattet ist, ihre vorherige Zustimmung zu einer Arbeitszeit von mehr als 48 Stunden zu widerrufen, mit der Richtlinie unvereinbar ist. Nach Art. 6 der Richtlinie sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die wöchentliche Arbeitszeit 48  Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. Der EFTA-Gerichtshof hielt eine solche Bestimmung des nationalen Rechts für rechtmäßig, sofern die allgemeinen Grundsätze des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer beachtet werden. Der Wechsel zu einem neuen Arbeitszeitenmodell erfolgte, nachdem die Stiftung, welche die Pflegeeinrichtung trägt, in drei aufeinanderfolgenden Jahren Verlust gemacht hatte. Der EFTA-Gerichtshof verwarf schließlich auch die Rechtsauffassung von Kom27 EFTA-GH, Urteil v. 10. Mai 2016 – verbundene Rs. E-15/15 und E-16/15, Franz-Josef Hagedorn gg. Vienna-Life Lebensversicherung AG und Rainer Armbruster gg. Swiss Life (Liechtenstein) AG, in Report of the EFTA Court, 347 ff. 28 Walter Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), 130, 157, 163; Walter Schmidt-Rimpler, Zum Vertragsproblem, in Baur/Esser/Kübler/Steindorff (Hrsg.), Festschrift für Ludwig Raiser (1974), 3, 15. 29 EFTA-GH, Urteil v. 13. Juni 2013 – Rs. E-11/12, Beatrix Koch, Dipl. Kfm. Lothar Hummel and Stefan Müller gg. Swiss Life (Liechtenstein) AG, [2013] EFTA Ct. Rep. 272, E-Gr. 77.

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mission und ESA, dass eine Entlassung aufgrund der Nichtzustimmung zu einer Arbeitszeitregelung von mehr als 48 Stunden über einen Zeitraum von sieben Tagen immer einen Nachteil für den Arbeitnehmer darstellt. Eine Kündigung verbunden mit einem Angebot der Wiedereinstellung zu neuen Bedingungen, nachdem ein Arbeitnehmer sich geweigert hatte, einer Arbeitszeitregelung von mehr als 48 Stunden über einen Zeitraum von sieben Tagen zuzustimmen, sei dann nicht als Nachteil anzusehen, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründen beruht, die völlig unabhängig von der Weigerung des Arbeitnehmers sind, die zusätzliche Arbeit zu erbringen. Die ordnungspolitisch wichtigste Frage war, ob eine Änderungskündigung als Folge der Weigerung, das neue Arbeitszeitmodell zu akzeptieren, einen nach Art. 22 (1) (b) der Richtlinie verbotenen Nachteil für den Arbeitnehmer darstellte. Der EFTA-Gerichtshof unterschied, wie das deutsche Recht, zwischen einer Kündigung gestützt auf dringende betriebliche Erfordernisse (E-Gr. 80: “urgent operational requirements”) und einer Kündigung ohne Vorliegen solcher Gründe.30 2. Haftungsgrundsatz Der Haftungsgrundsatz hat in zwei wegweisenden Urteilen des EFTA-Gerichtshofes, Icesave I und Fosen-Linjen, eine entscheidende Rolle gespielt. Dieser Grundsatz ist von Walter Eucken in seinem bahnbrechenden Buch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“, das 1952, zwei Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht wurde, behandelt worden. Neben einem funktionierenden Preissystem und der Vermeidung von staatlichen Subventionen, staatlichen Zwangsmonopolen und Importverboten forderte Eucken eine aktive Wettbewerbspolitik. Weitere konstitutive und ordnungspolitische Grundsätze einer Wettbewerbswirtschaft seien offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, das Haftungsprinzip und die Kohärenz der Wirtschaftspolitik. Eucken legte großen Wert auf das Haftungsprinzip.31 Nur Marktteilnehmer, die für ihr Handeln haftbar gemacht werden können, werden verantwortungsbewusst handeln. a) Haftung des Staates in einer systemischen Krise Während der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 brach der isländische Bankensektor zusammen. Die Einleger der Landsbanki Íslands hf. in den Filialen in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich verloren im Herbst 2008 den Zugang zu ihren Icesave-Online-Sparkonten. Der isländische Einlegerschutzfonds war nicht in der Lage, die Mindestgarantiesumme pro Einleger (€ 20 000) zu zahlen, die in dem isländischen Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 94/19/EG über Einlagensicherungssysteme festgelegt war. Um einen Bank Run zu vermeiden, veranlassten die Behörden des Vereinigten Königreichs und der Niederlande die Entschädigung aus ihren eigenen Systemen. Die inländischen Einlagen in Landsbanki wurden auf eine neue Bank („neue Landsbanki“) übertragen, die von der isländischen Regierung gegründet wurde. Die ESA erhob Vertragsverletzungsklage und machte geltend, dass Island gegen 30 EFTA-GH, Urteil v. 16. Dezember 2015 – Rs. E-05/15, Matja Kumba T. M‘bye and others v Stiftelsen Fossumkollektivet, [2015] EFTA Ct. Rep. 674. 31 Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952.

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seine Verpflichtungen aus der Richtlinie (erster Klagegrund) und/oder gegen das Diskriminierungsverbot (zweiter und dritter Klagegrund) verstoßen habe, da es die Zahlung des Mindestausgleichsbetrags an die Icesave-Einleger in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich nicht fristgerecht sichergestellt habe. Die Kommission unterstützte die Klage als Streithelferin. Liechtenstein und Norwegen beteiligten sich auf der Seite Islands, die Niederlande und das Vereinigte Königreich auf der Seite von ESA und Kommission. Am 28. Januar 2013 wies der EFTA-Gerichtshof die Klage ab.32 Der zweite und dritte Klagegrund scheiterten daran, dass die Übertragung der inländischen Einlagen von der alten Landsbanki in die neue Landsbanki erfolgte, bevor die isländische Finanzaufsichtsbehörde ihre Erklärung abgab, welche die Anwendung der Richtlinie auslöste. So galt der Einlegerschutz nach der Richtlinie auch nie für Einleger in isländischen Zweigstellen von Landsbanki. Vorliegend ist jedoch die Abweisung des ersten Klagegrundes von Interesse. Die ESA behauptete, die Richtlinie statuiere eine Ergebnisverpflichtung (“obligation of result”) der isländischen Regierung, die Zahlung an die Einleger in den Landsbanki-Niederlassungen in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich auch in einer systemischen Krise von der Größenordnung der isländischen sicherzustellen. Der EFTA-Gerichtshof entschied, dass eine solche Verpflichtung in der Richtlinie nicht vorgesehen ist. Dabei stützte er sich auch auf ein ökonomisches Argument, nämlich das Bestreben des Richtliniengebers, ‘moral hazard’ zu vermeiden. In E-Gr. 167 des Urteils verwies er auf BE 16 der Präambel der Richtlinie, in der es heißt, dass die Einlagensicherung in manchen Fällen „eine unsolide Geschäftsführung der Kreditinstitute fördern könnte.“ Das verweise auf den Begriff des ‚moral hazard‘. Der Gerichtshof zitierte den amerikanischen Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, der die Lektion des ‚moral hazard‘ folgendermaßen beschrieben habe: “[T]he more and better insurance that is provided against some contingency, the less incentive individuals have to avoid the insured event, because the less they bear the full consequences of their actions.”33 Der EFTA-Gerichtshof fügte hinzu, dass ‚moral hazard‘ bei einer staatlichen Finanzierung aufträte, die dazu diente, ein Einlagensicherungssystem gegen die Kosten zu immunisieren, die grundsätzlich von seinen Mitgliedern zu tragen sind. Das Urteil wurde von der britischen Presse und von wissenschaftlichen Kommentatoren ganz überwiegend begrüßt. 34

32 EFTA-GH, Urteil v. 28. Januar 2013 – Rs. E-16/11, EFTA Überwachungsbehörde gg. Island, [2013] EFTA Ct. Rep. 4, E-Gr. 168. 33 Joseph E. Stiglitz, Risk, Incentives and Insurance: The Pure Theory of Moral Hazard, The Geneva Papers on Risk and Insurance, 8 (No 26, January 1983), 6. 34 Zum moral hazard schon Doris Baudenbacher-Tandler, Schutz vor neuen Anlegerrisiken, St. Gallen/Berlin 1988.

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b) Haftung des Staates für Vergabefehler Am 31. Oktober 2017 entschied der EFTA-Gerichtshof in der Rechtssache E-16/16 Fosen-­Linjen auf Vorlage des Berufungsgerichts Frostating in Trondheim, Norwegen, dass ein einfacher Verstoß gegen europäische Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen für sich genommen ausreichen kann um die Haftung einer staatlichen Vergabebehörde für den Ausgleich des Schadens eines zu Unrecht übergangenen Bieters zu begründen. Ein Verschulden sei ebensowenig erforderlich wie eine besondere Schwere des Verstoßes. Die Vergabebehörden müssten von unrechtmäßigem Verhalten abgehalten werden. Private Marktteilnehmer, die sich an Vergabeverfahren beteiligten, hätten ein Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Schutz.35 Dazu muss man wissen, dass ein Geschädigter in vielen Fällen keinen Anspruch auf Rückgängigmachung des Zuschlags hat. Der EFTA-Gerichtshof hat damit eine wirtschaftsrechtliche Grundsatzfrage entschieden. Fosen-Linjen ist eine kleine norwegische Reederei, welche erfolglos an einem Vergabeverfahren für den Betrieb einer Fährverbindung teilgenommen hat. Vorliegend war freilich eine besondere Situation gegeben. Zwei verschiedene Fünfer-Kammern des EuGH waren im Jahr 2010 in den Fällen C-314/09 Strabag und C-568/08 Combinatie Spijker im Abstand von zwei Monaten zu divergierenden Ergebnissen gekommen. Die Strabag-Kammer entschied, dass für die Entstehung einer Schadenersatzpflicht im öffentlichen Auftragswesen ein einfacher Rechtsbruch genügt, während die Combinatie Spijker-Kammer befand, es müsse eine „hinreichend qualifizierte“ Rechtsverletzung vorliegen.36 Das Urteil des EFTA-Gerichtshofs wurde von den meisten Kommentatoren begrüßt.37 Wie der EuGH die Frage in Zukunft entscheiden wird, ist offen. Er wird sich aber, wie immer in solchen Fällen, mit dem Urteil des EFTA-Gerichtshofs auseinandersetzen. Und die Europäische Kommission, die sich in Fosen-Linjen für eine strikte Haftung der öffentlichen Vergabestellen ausgesprochen hat, wird versuchen, den EuGH entsprechend zu beeinflussen. Mit seinem Urteil hat der EFTA-Gerichtshof aber nicht nur eine Frage entschieden, die am EuGH zu einem internen Justizkonflikt geführt hat. Er hat sich in der Sache auch gegen die Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Vereinigten Königreichs und Norwegens gewandt.38 § 337 des österreichischen Bundesvergabegesetzes macht einen Schadenersatzanspruch des übergangenen Bieters von einem „hinreichend qualifizierten“ Rechtsverstoß abhängig. 35 EFTA-GH, Urteil v. 31. Oktober 2017 – Rs. E-16/16, Fosen-Linjen AS v AtB AS, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 2. Februar 2018). 36 EuGH (Dritte Kammer), Urteil v. 30. September 2010 – Rs. C-314/09, Stadt Graz gg. Strabag AG und andere, ECLI:EU:C:2010:567; EuGH (Zweite Kammer), Urteil v. 9. Dezember 2010 – Rs. C-568/08, Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie u.a. gg. Provincie Drenthe, ECLI:EU:C:2010:751. 37 Vgl. die von Sue Arrowsmith auf LinkedIn initiierte Debatte, November 2017. 38 Nuclear Decommissioning Authority (Appellant) v Energy Solutions EU Ltd, Hilary Term [2017] UKSC 34, On appeal from: [2015] EWCA Civ 1262; Norges HØyesterett, Rt. 2001 side 1062 (Nucleus).

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Staatliches Handeln wird traditionellerweise in zwei Kategorien eingeteilt: Hoheitliche Akte werden als acta jure imperii bezeichnet, während das wirtschaftliche Handeln des Staates mit dem Begriff acta jure gestionis umschrieben wird. Je nachdem, unter welche Kategorie die öffentliche Auftragsvergabe subsumiert wird, kann es gerechtfertigt sein, den Staat zu privilegieren oder nicht. Der EFTA-Gerichtshof hat die Frage in der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2017 thematisiert und sie im Urteil angesprochen. Er stellte fest, dass eine Verwaltungsbehörde bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens nicht hoheitlich handelt. Ein Hoheitsakt wäre gegeben, wenn ein nationaler Gesetzgeber EWR-Recht umsetzt oder ein nationales Gericht EWRRecht anwendet. Wenn sich hingegen staatliche Stellen am Wirtschaftsgeschehen beteiligen, so muss für sie dasselbe gelten wie für private Unternehmen. Eine Privilegierung des Staates aus dem einzigen Grund, weil er der Staat ist, ist nicht zu rechtfertigen. Es gehört zum Instrumentarium klassischer merkantilistischer Wirtschaftspolitik, einheimische Bieter gegenüber fremden oder gar ausländischen zu bevorzugen. Indem der EFTA-Gerichtshof allfälligen Geschädigten den Rücken stärkt, schreibt er diesen erneut die Rolle von privaten Funktionären der Gesamtrechtsordnung zu. Eine Privilegierung staatlicher Vergabestellen ist aber auch deshalb abzulehnen, weil sie einen ‚moral hazard‘ schaffen würde. Die Mitarbeiter solcher Einheiten hätten bei einer Privilegierung einen Anreiz, sich bei der Evaluierung der Angebote verantwortungslos zu verhalten, weil sie kaum zu befürchten hätten, dass sie für ihr Handeln budgetär einstehen müssten. 3. Verbraucherleitbild im Internetzeitalter In Inconsult, einer Vorlage der Liechtensteinischen Beschwerdekommission der Finanzmarktaufsicht, hatte der EFTA-Gerichtshof als erster Gerichtshof im EWR die Fragen zu beantworten, ob eine Website ein „dauerhaftes Medium“ im Sinne der Richtlinie über Versicherungsvermittlung sein kann und ob es ausreicht, dass ein Versicherungsunternehmen Versicherungsverträge nur auf seiner Website zur Verfügung stellt, ohne den Kunden eine Papierversion abzugeben. Der Begriff des „dauerhaften Mediums“ ist in einer Reihe von Richtlinien enthalten. Der EFTA-Gerichtshof entschied, dass eine Website ein dauerhaftes Medium sein kann, sofern mehrere Kriterien erfüllt sind: Erstens muss sie dem Kunden die Möglichkeit geben, die betreffenden Informationen zu speichern. Zweitens muss sie es dem Kunden ermöglichen, die Informationen so zu speichern, dass sie für ihn zugänglich sind, solange sie für ihn relevant sind, um seine Interessen aus seinen Beziehungen zum Versicherungsvermittler zu wahren. Drittens muss die Website die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglichen. In diesem Zusammenhang hat der EFTA-Gerichtshof entschieden, dass die Informationen in einer Weise gespeichert werden müssen, die es dem Versicherungsvermittler unmöglich macht, sie einseitig zu ändern. Was anspruchsvolle Websites anbelangt, so unterscheidet der EFTA-Gerichtshof zwischen denjenigen, die als Portal für die Bereitstellung von Informationen über ein anderes Instrument fungieren, das als dauerhafter Datenträger eingestuft werden kann, und denjenigen, die selbst dauerhafte Datenträger darstellen können. Der erste 92

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Typ ermöglicht es dem Benutzer, auf Informationen zuzugreifen, zum Beispiel in Form einer E-Mail mit Anhang, die er kopieren und auf seinem eigenen Computer speichern kann. Damit diese Methode die Übermittlung von Informationen auf einem dauerhaften Datenträger an den Kunden darstellt, muss die Website Merkmale enthalten, die den Kunden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit veranlassen, die Informationen entweder auf Papier zu sichern oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu speichern. Die zweite Art der anspruchsvollen Website enthält einen sicheren Speicherbereich für einzelne Benutzer, der über einen Benutzercode und ein Passwort zugänglich ist. Unter der Voraussetzung, dass jegliche Möglichkeit des Versicherungsvermittlers, die Informationen zu ändern, ausgeschlossen ist, kann diese Art der Speicherung mit der eigenen Festplatte des Nutzers verglichen werden. Diese Art von anspruchsvoller Website erfüllt die Anforderung, eine unveränderte Wiedergabe zu gewährleisten, die notwendig ist, um sich als dauerhaftes Medium zu qualifizieren.39 Als der EuGH einige Zeit später in Content Services mit ähnlichen Fragen befasst war, verwiesen sowohl Generalanwalt Mengozzi als auch die Dritte Kammer hinsichtlich des Begriffs des „dauerhaften Mediums“ auf das Inconsult-Urteil. Der BGH hat Inconsult im gleichen Zusammenhang in seinem Holzhocker-Urteil vom 29. April 2010 (I ZR 66/08, Rz. 18) zitiert.40 Allerdings gibt es Unterschiede zwischen dem Ansatz des EFTA-Gerichtshofes auf der einen Seite und dem des EuGH und des BGH auf der anderen. Neben dem EFTA-Gerichtshof war auch der EuGH aufgerufen, sich zur ­Intensität der Informationsbereitstellung zu äußern. In Übereinstimmung mit GA Mengozzi kam er zu dem Schluss, dass sich der Verbraucher bei der Übermittlung der Informationen völlig passiv verhalten dürfe. Informationen auf der Website des Verkäufers, die nur über einen an den Verbraucher gesendeten Link zugänglich gemacht werden, werden dem Verbraucher weder „gegeben“ noch von ihm „empfangen“. GA Mengozzi hatte festgestellt, zwar sei das Anklicken eines Links „ein ganz und gar banaler Vorgang (ist), den jeder Internetnutzer bewältigen kann.“ Doch seien nicht alle Nutzer in der Lage, bei Vertragsabschluss zu verstehen, dass sie auf den Link klicken müssen, um im Bedarfsfall ihre eigenen Rechte in Zukunft besser schützen zu können. Andernfalls würde man riskieren, die Tore für mögliche Missbräuche zu öffnen.41 Der BGH vertrat in ähnlicher Weise die Auffassung, dass der Verbraucher im Lichte des EU-Rechts die Belehrung über das Widerrufsrecht erhalten muss, ohne aktiv zu werden.42 In Anbetracht der Vorlagefragen hat sich der EFTA-Gerichtshof nicht ausdrücklich mit dem Problem befasst, ob der Verbraucher das Recht hat, absolut passiv zu bleiben, oder ob eine Tätigkeit seinerseits erforderlich sein könnte. Es ist jedoch klar, dass er bei der Definition des Begriffs „dauerhafter Datenträger“ an Informationskanäle ge39 EFTA-GH, Urteil v. 27. Januar 2010 – Rs. E-04/09, Inconsult Anstalt gg. Finanzmarktaufsicht, [2009-2010] EFTA Ct. Rep. 86, Rz. 64-66. 40 BGH, Urteil v. 29. April 2010 – I ZR 66/08, Holzhocker, Rz. 18. 41 EuGH, Schlussanträge des GA Paolo Mengozzi v. 6. März 2012 – Rs. C-49/11, Content Services Ltd gg. Bundesarbeitskammer, ECLI:EU:C:2012:126, Rz. 33. 42 BGH, Urteil v. 29. April 2010 – I ZR 66/08, Holzhocker, Rz. 19.

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dacht hat, die eine vernünftige Mitarbeit des Verbrauchers erfordern. Bei einer anspruchsvollen Website mit eigenem Speicherbereich ist dies nicht wirklich problematisch. Professor Peter Reiff von der Universität Trier hat überzeugend argumentiert, dass es für den Verbraucher keinen Unterschied macht, ob die Informationen per E-Mail in seinem privaten Briefkasten gespeichert werden oder ob sie sich in einem Sicherheitsbereich befinden, der nur für ihn zugänglich ist.43 Die Herangehensweise des EFTA-Gerichtshofs steht im Gegensatz zu der eher paternalistischen Haltung des EuGH und des BGH. In der BAWAG-Entscheidung, die mit der Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt zu tun hatte, stellte der EuGH unter erneuter Bezugnahme auf den EFTA-­ Gerichtshof fest, dass „die betreffenden Informationen, die der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsdienstnutzer über eine E‑Banking-Website übermittelt, als im Sinne von Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2007/64 mitgeteilt angesehen werden können, wenn mit einer solchen Übermittlung einhergeht, dass der Zahlungsdienstleister von sich aus tätig wird, um den Zahlungsdienstnutzer davon in Kenntnis zu setzen, dass die Informationen auf der Website vorhanden und verfügbar sind.“44 Ob das bedeutet, dass Content Services in der Sache außer Kraft gesetzt wurde, kann offen bleiben. Die Fakten und die Rechtsgrundlage waren verschieden. Dennoch hat der EuGH seinen restriktiven Ansatz gelockert. GA Bobek hat sich seinerseits weitgehend auf das Inconsult-Urteil gestützt. Man muss daher zu dem Schluss kommen, dass sich der EFTA-Gerichtshof in Inconsult ein wettbewerbsfreundlicheres Verbrauchermodell und damit auf ein liberaleres Menschenbild gestützt hat als der EuGH in Content Services. In Content Services hat sich der EuGH an das traditionelle deutsche Menschenbild angelehnt,45 in BAWAG hat er sich in die Richtung des EFTA-Gerichtshofs bewegt.46 4. Anpassung des Preises für ein Pflichtübernahmeangebot Gemäß Art. 5 der Übernahmerichtlinie 2004/25/EG ist eine natürliche oder juristische Person, welche die Kontrolle über ein Unternehmen erwirbt, das an geregelten Märkten in einem EWR-Staat notiert ist, verpflichtet, ein Pflichtangebot zu einem angemessenen Preis abzugeben. Das norwegische Recht erlaubte eine Anpassung des 43 Peter Reiff, Die Wahrung der Textform nach § 126b BGB durch den Inhalt einer Website, ZJS 4/2012, 432  ff. abrufbar unter: (zuletzt besucht am 7. Februar 2018). 44 EuGH (Dritte Kammer), Urteil v. 25. Januar 2017 – Rs. C-375/15, BAWAG PSK Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse AG gg. Verein für Konsumenteninformation, ECLI:EU:C:2017:38, Rz. 50. 45 EuGH (Dritte Kammer), Urteil v. 5. Juli 2012 – Rs. C-49/11, Content Services Ltd gg. Bundesarbeitskammer, ECLI:EU:C:2012:419. 46 Carl Baudenbacher/Theresa Haas, Von Peter Roseggers Dampfwagenfahrt zu den ­Gefahren des Internetkaufs, in Büscher/Glöckner/Nordemann/Osterrieth/Rengier, Festschrift für Karl-Heinz Fezer zum 70. Geburtstag (2016), 869 ff.

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Angebotspreises, wenn der „Marktpreis“ höher war als der höchste Preis, den der Bieter in den vorangegangenen sechs Monaten gezahlt hat. Die „Höchstpreis-Regel“ war die Hauptregel zur Festlegung des Angebotspreises für Pflichtangebote. Die Vertragsparteien konnten in bestimmten Fällen Ausnahmen beschließen, sofern die Anpassung auf Umständen beruhte, die „eindeutig bestimmt“ waren. Der angepasste Preis war nach Kriterien zu berechnen, die ebenfalls eindeutig festgelegt waren. Zweck dieser Regelung war der Schutz der Minderheitsaktionäre im Sinne der Niederlassungsfreiheit. Erik Must AS hatte ein Pflichtangebot für die Aktien von Gyldendal abgegeben. Periscopus AS, der zweitgrößte Aktionär von Gyldendal, kontrollierte 30,2 % der Aktien. Die Osloer Börse (Aufsichtsstelle) genehmigte den Angebotspreis auf der Grundlage des höchsten von Erik Must gezahlten Preises. Die Marktpreisalternative sollte nur in Umgehungsfällen angewendet werden, und aufgrund der geringen Anzahl von Geschäften mit Gyldendal-Aktien war es nicht möglich, einen hinreichend klaren Marktpreis zu ermitteln. Darüber hinaus war Periscopus in nahezu allen Fällen Käufer. Periscopus machte geltend, dass die Entscheidung, das Angebot zu genehmigen, nichtig sei und erhob eine Schadenersatzklage gegen die Börse und Erik Must über 37 Mio. NOK zuzüglich Zinsen. Periscopus argumentierte, dass die Marktpreisalternative hätte gewählt werden müssen. Damit wollte sie eine Erhöhung des Angebotspreises erreichen. Der EFTA-Gerichtshof entschied am 10. Dezember 2010, dass eine nationale Regelung, die eine Anpassung des Angebotspreises unter Bezugnahme auf den Begriff „Marktpreis“ ohne weitere Präzisierung dieses Begriffs erlaubt, zu vage ist. Insbesondere sei zu klären, in welchem Zeitintervall der „Marktpreis“ zu ermitteln ist, ob der „Marktpreis“ auf der Basis eines volumengewichteten Durchschnitts berechnet werden muss und ob für die Ermittlung eines „Marktpreises“ tatsächliche Geschäfte erforderlich sind oder ob Dauerkauf- oder -verkaufsaufträge ausreichen, um einen „Marktpreis“ festzustellen.47 Das Urteil wurde in der Lehre einhellig begrüßt.48 5. Re-Monopolisierung von Werken, die gemeinfrei geworden sind Im Fall Gustav Vigeland war die Richtlinie 2008/95/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken auszulegen. Angesichts des tatsächlichen oder bevorstehenden Ablaufs des Urheberrechtsschutzes an Werken einiger norwegischer Künstler, u.a. des berühmten Bildhauers Gustav Vigeland, beantragte die Stadt Oslo Markenschutz für eine Reihe von Werken. Die norwegische Beschwer47 EFTA-GH, Urteil v. 10. Dezember 2010 – Rs. E-01/10, Periscopus AS v Oslo Børs ASA and Erik Must AS, [2009-2010] EFTA Ct. Rep. 198. 48 Vgl. Hartmut Krause, Periscopus and Clear Criteria in European Public Takeover Legis­ lation, European Company and Financial Law Review ECFR I (2011), 70 ff.; Thomas Papadopoulos, Acquisition of corporate control and clear criteria in the adjustment of the mandatory bid price, http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.5235/​17521440.7.2.97 (zuletzt besucht am 5. Februar 2018); Heribert Hirte, Anmerkung zu EFTA-Gerichtshof, Urteil v. 10.12.2010 – Rs. E-1/10, EWiR Art. 5 RL 2004/25/EG 1/11, S. 133-134 (Periscopus) (keine Erhöhung des Pflichtangebotspreises allein aufgrund allgemeiner gesetzlicher Bestimmung zur Berücksichtigung des „Marktpreises“).

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dekammer für gewerbliches Eigentum legte dem EFTA-Gerichtshof insbesondere die Frage vor, ob und unter welchen Umständen es möglich ist, die Eintragung einer Marke auf der Grundlage der öffentlichen Ordnung und der anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit abzulehnen. Der EFTA-Gerichtshof hielt fest, dass das Erlöschen des Urheberrechtsschutzes den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Schutzes legitimer Erwartungen dient. Nunmehr könne jedermann uneingeschränkt aus Ideen und kreativen Inhalten anderer schöpfen. Eine ausschließlich auf urheberrechtlich geschützten Werken beruhende Marke berge ein gewisses Risiko der Monopolisierung des Zeichens für einen bestimmten Zweck. Das Interesse an der Wahrung der Gemeinfreiheit spreche gegen einen individuellen Schutz oder ein ausschließliches Recht an dem Kunstwerk, auf dem die Marke beruht. Grundsätzlich spricht nach der Auffassung des EFTA-Gerichtshofs allerdings nichts dagegen, dass ein Zeichen sowohl marken- als auch urheberrechtlich geschützt ist. Marken garantieren die Ursprungsidentität des vermarkteten Produkts. Ihr Schutz sorgt für Markttransparenz und nimmt in einem System unverfälschten Wettbewerbs eine wesentliche Rolle ein. Um diese Ziele zu erreichen, ist es unerlässlich, dass die Schutzdauer für Marken grundsätzlich unbegrenzt ist. Der Urheberrechtsschutz wiederum schafft einen Anreiz, zur Bereicherung der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt beizutragen. Der EFTA-Gerichtshof entschied schließlich, dass die Ablehnung aus Gründen der „öffentlichen Ordnung“ auf einer Beurteilung objektiver Kriterien beruhen muss, während ein Einwand aus „anerkannten Grundsätzen der Moral“ eine Beurteilung subjektiver Werte betrifft. Die Eintragung eines Zeichens als Marke, das aus Werken besteht, für die die Schutzdauer des Urheberrechts abgelaufen ist, verstoße an sich nicht gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten. Zur Frage, ob eine Marke gegen die „anerkannten Grundsätze der Moral“ verstoßen würde, stellte der EFTA-­ Gerichtshof fest, dass bestimmte Kunstwerke einen besonderen Status als herausragende Teile des kulturellen Erbes einer Nation, als Emblem der Souveränität oder der nationalen Grundlagen und Werte genießen können. Die Eintragung als Marke kann sogar als Entfremdung oder Profanisierung des Werkes des Künstlers angesehen werden, insbesondere wenn sie für Waren oder Dienstleistungen gewährt wird, die den Werten des Künstlers oder der Botschaft, die durch das betreffende Kunstwerk vermittelt wird, widersprechen. Was die „öffentliche Ordnung“ anbelangt, so stellte der EFTA-Gerichtshof fest, dass die Eintragung eines Zeichens als Marke auf dieser Grundlage nur (aber immerhin) dann verweigert werden kann, wenn das Zeichen ausschließlich aus einem Werk besteht, das sich auf das Gemeingut bezieht, und die Eintragung dieses Zeichens eine echte und hinreichend ernste Bedrohung eines grundlegenden Interesses der Gesellschaft darstellen würde. 49

49 EFTA-GH, Urteil v. 6. April 2017 – Rs. E-05/16, Norwegian Board of Appeal for Industrial Property Rights – appeal from the municipality of Oslo, Rz. 100.

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6. Wettbewerbliche Schranken des Betriebsübergangs Am 18. Januar 1995 legte das Arbeitsgericht Bonn in der Rechtssache Süzen dem EuGH die Frage vor, ob die Auftragsnachfolge einen Betriebsübergang im Sinne der  einschlägigen Richtlinie darstellt. Es ging um die Erbringung von Reinigungsdienstleistungen für eine Schule. Am 29. März 1996 legte das norwegische Inderøy Herredsrett (Inderøy County Court) dem EFTA-Gerichtshof in der Rechtssache Ulstein und Røiseng im wesentlichen die gleiche Frage vor. Ein Auftrag über die Erbringung von Ambulanzfahrdiensten für ein Krankenhaus war an einen zweiten Anbieter vergeben worden. Generalanwalt Antonio La Pergola trug seine Schlussanträge in ­Süzen am 15. Oktober 1996, dem Tag der mündlichen Verhandlung des EFTA-Gerichtshofs in Ulstein, vor. Er äußerte unter Punkt 7 Bedenken gegen die Anwendung der Richtlinie in einem solchen Fall: „Die Vergabe von Dienstleistungen (welcher Art auch immer), die das Unternehmen benötigt, an einen anderen ist eine in einer Konkurrenzwirtschaft getroffene Entscheidung, die den Wettbewerb zwischen mehreren Bewerbern garantiert. Ich sehe nicht, wie sich dann rechtfertigen ließe, dass derjenige, an den die Dienstleistung vergeben wird, gezwungen ist, auch das Personal des Unternehmens zu behalten, das zuvor die gleichen Dienstleistungen erbracht hat, dem aber gekündigt worden ist oder dem jedenfalls nicht der Zuschlag in der aus diesem Anlass durchgeführten Ausschreibung erteilt worden ist.“ Dies war eine Aussage von großer wirtschaftsrechtlicher Bedeutung. In seinem Urteil vom 19. Dezember 1996 kam der EFTA-Gerichtshof in Ulstein unter dem Strich zu dem gleichen Ergebnis wie GA La Pergola in Süzen und stellte in E-Gr. 27 fest, dass: “a mere succession of two contracts for the provision of the same or similar services will not, as a rule, be sufficient for there to be a transfer of an undertaking, business or part of a business.”

VI. Schluss Die vergangenen 24 Jahre haben gezeigt, dass das Homogenitätsziel im EWR Raum für die Berücksichtigung klassischer EFTA-Werte lässt. Die Rechtsprechung des EFTA-­Gerichtshofs ist durch Marktorientierung gekennzeichnet. Das heißt nicht, dass sich der EFTA-Gerichtshof sozialen Anliegen verschließen würde, im Gegenteil. Aber um sozial sein zu können, muss ein System erfolgreich sein. Im Kartellrecht hat der EFTA-Gerichtshof Skepsis gezeigt gegenüber Vermutungen und Fiktionen, die zu Lasten der Marktteilnehmer gehen. Die Marktorientierung zeigt sich aber auch im übrigen EWR-Wirtschaftsrecht. Das Menschenbild hat vor allem im Internetrecht eine Rolle gespielt. Der EFTA-Gerichtshof hat sodann im Zusammenhang mit der Finanzkrise das Prinzip der Haftung von Banken betont, im Gegensatz zu dem was in der EU praktiziert worden ist, wo alle Banken mit Steuergeldern gerettet wurden. Der neomerkantilistischen These, dass bestimmte Banken zu groß sind, um zu scheitern, hat der Gerichtshof eine Absage erteilt. Der EFTA-Gerichtshof ist wohl auch das erste 97

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Gericht in Europa, das entschieden hat, dass ‘moral hazard’ vermieden werden muss. Die Judikatur des EuGH hat sich mit dem Konzept des Moral Hazard erst in neuester Zeit befasst.50 Auch Ziele wie Transparenz, Effizienz und Bürgerfreundlichkeit spielen eine wichtige Rolle. Zur Bürgerfreundlichkeit gehört ein Urteilsstil, der die wahren Motive der Richter offenlegt. Dabei geht der EFTA-Gerichtshof faktenbasiert vor und zieht die mutmaßlichen Auswirkungen seiner Urteile in Betracht. Der EFTA-Gerichtshof hat die Bedeutung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse hervorgehoben. Der irische Rechtsanwalt John Temple Lang, ein ehemaliger Direktor in der GD Wettbewerb der Kommission, hat dazu vor einigen Jahren geschrieben: “In general one has the clear impression that the Court deals more readily with economic issues than either the General Court or the European Court of Justice. Eco­ nomic arguments are set out more clearly and dealt with more concisely than in the judgments of the other two courts This is partly a result of a less formal judicial style, but it also seems to reveal a more economic approach, which is certainly preferable, in particular in the sphere of competition law.”51 Der EFTA-Gerichtshof hat jedoch stets festgestellt, dass es eine rechtliche Frage ist, ob eine Wettbewerbsbeschränkung oder ein Missbrauch von Marktbeherrschung vorliegt. Es wäre auch nicht zulässig, den EFTA-Gerichtshof mit einer bestimmten ökonomischen Denkschule in Verbindung zu bringen. Insofern ist die Situation die gleiche wie bei den Auslegungsmethoden: Das Leitprinzip muss Pluralismus sein. In einem konkreten Fall wird sich der Gerichtshof für die Lösung entscheiden, die er für die überzeugendste hält.

50 Vgl. Schlussanträge der GA Cruz Villalón in der Rs. C-62/14, Gauweiler, EU:C:2015:7, Rz. 141 ff.; Wahl in der Rs. C-526/14, Kotnik, EU:C:2016:102, Rz. 50; Urteil in Rs. C-526/14, Kotnik, EU:2016:767, Rz.  58. Das Urteil Icesave I-Urteil wurde von GA Mengozzi in Rs. C-127/14, Surmačs, EU:C:2015:176, Rz.  49  ff. und von GA Wahl Rs. C-41/15, Dowling, EU:C:2016:473, Rz. 35, zitiert. 51 John Temple Lang, Competition Law: The Brussels Perspective, in Carl Baudenbacher, Ed., The Handbook of EEA Law (2016), 544.

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Kartell ist nicht gleich Kartell Zur Indizwirkung von Bußgeldentscheidungen für den Schaden der Marktgegenseite und zur Bindungswirkung für den Schadensrichter I. Die schleichende Verschärfung des ­Kartellverbots durch die Bußgeldpraxis 1. Das „Unternehmen“ haftet für alles, was in ihm geschieht 2. Unterschiedliche Handlungen verschiedener Personen in einem Unternehmen können zu einer „einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ zusammen­ gefasst werden 3. Schon ein bloßer Informationsaustausch kann „abgestimmtes Verhalten“ sein 4. „Bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkungen setzen keine tatsächlichen Auswirkungen voraus – das Kartell wird zum „abstrakten Gefährdungsdelikt“

II. Die Bußgeldentscheidung besagt nichts über den zivilrechtlich relevanten Schaden III. Überlegungen zur Bindungswirkung von Bußgeldentscheidungen 1. Bindungswirkung und deutsche Bußgeld­ entscheidungen 2. Bindungswirkung und europäische ­Bußgeldentscheidungen IV. Zusammenfassung

In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Kartellbehörden in der EU und in den Mitgliedstaaten immer mehr Kartelle aufgedeckt und mit stetig steigenden Geldbußen sanktioniert. Grund dafür ist nicht, dass die Zahl der Kartellverstöße in dieser Zeit und davor zugenommen oder sich diese in ihrer Qualität negativ verändert hätten, sondern die Intensivierung der Kartellverfolgung durch die Kartellbehörden. Diese wurde und wird entscheidend unterstützt durch die Einführung von Kronzeugenregelungen ab 1996 in der EU1 und daran anschließend in den Mitgliedstaaten.2 Der Ju­ bilar hat das Kronzeugensystem von Anfang an positiv bewertet und begleitet.3 Der Erfolg gibt ihm Recht. 90 % oder mehr der heute spektakulär abgeschlossenen Kartellbußgeldverfahren sind durch Selbstanzeigen von Kartelltätern ausgelöst worden, von denen der Erste vollen Erlass der ansonsten fälligen Geldbuße und die Nachfolgenden bei Lieferung von Zusatzinformationen erhebliche Nachlässe zu erwarten haben. Mit zeitlicher Verzögerung folgt der Welle der großen Bußgeldverfahren eine neue Welle der darauf gestützten („follow on“-) Schadensersatzklagen. Die schleichende Verände1 Erste Kronzeugenmitteilung von 1996, ABl. C 207 v. 18.7.1996, S. 4; sie wurde ersetzt durch neue Mitteilungen von 2002 und 2006. 2 In Deutschland veröffentlichte das Bundeskartellamt im Jahr 2000 eine sog. „Bonusregelung“. 3 Vgl. Dirk Schroeder in Festschrift Bechtold, 2006, S. 437.

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rung der Bußgeldmaßstäbe führt trotz aller Änderungen der gesetzlichen Grundlagen für Schadensersatzansprüche dazu,4 dass die rechtspolitisch gewünschte Konformität von Bußgeldentscheidungen und Schadensersatz nicht erreichbar ist. Auch die gesetzliche Bindungswirkung von Bußgeldentscheidungen5 kann eine Konformität von Bußgeld- und Schadensersatzentscheidungen nicht bewirken.

I. Die schleichende Verschärfung des Kartellverbots durch die ­Bußgeldpraxis In der Zeit ab den neunziger Jahren hat sich in der EU (EG) im Zusammenwirken von Kommission und Gerichtshof ein materielles Rechtssystem herausgebildet, das für die Kartellverfolgung höchst effizient, für den rechtsstaatlich gebotenen Rechtsschutz der Unternehmen aber problematisch ist. Kennzeichen dafür sind ein allumfassender Unternehmensbegriff, die Haftung des Unternehmens für alle Verstöße in seinem Bereich, das Fehlen von Maßstäben für die Zurechnung und das Verschulden, die ­allumfassende Figur der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ des Unternehmens sowie die konturenlose Ausweitung der Tatbestände des abgestimmten Verhaltens und der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung. 1. Das „Unternehmen“ haftet für alles, was in ihm geschieht Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV richtet sich an „Unternehmen“. In der Praxis des EU-Rechts hat sich durchgesetzt, dass dieser Begriff als „wirtschaftliche Einheit“ zu interpretieren ist, die rechtsformunabhängig alle in einer solchen Einheit tätigen juristischen Personen6 umfasst. Mit dieser Deutung wird elegant das Problem gelöst, wie konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen zu beurteilen sind: Absprachen zwischen den zu einer wirtschaftlichen Einheit gehörenden Personen werden schon deswegen nicht vom Kartellverbot erfasst, weil an ihnen nicht mehrere „Unternehmen“ beteiligt sind.7 Nicht so selbstverständlich ist die von der Kommission gezogene, vom Gerichtshof bestätigte und inzwischen vom deutschen Gesetzgeber teilweise übernommene Folge, dass damit auch andere dem „Unternehmen“ angehörenden juristischen Personen für die Kartellverstöße haften, die irgendwo im „Unternehmen“ begangen werden. Damit wird unter eklatantem Verstoß gegen das gesellschaftsrecht4 Im deutschen Recht zunächst durch die 7. GWB-Novelle 2005, dann tiefgreifend auf Grund der EU-Schadensersatzrichtlinie 2014/104/EU (ABl. L 349 v. 5.12.2014, S.1) durch die 9. GWB-Novelle 2017. 5 § 33b GWB i.d.F. der 9. GWB-Novelle 2017, vorher § 33 Abs. 4 GWB i.d.F. der 7. GWB-­ Novelle 2005. 6 Aus der umfangreichen Rechtsprechung nur EuGH v. 10.9.2009 – C 97/08 Akzo, Slg. 2009, I-8237 Rz. 58; EuGH v. 16.6.2016 – C 155/14 P Calciumcarbid (Evonik Degussa), NZKart 2016, 325 Rz. 27 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Aus der Literatur Zandler, Die wirtschaftliche Einheit als Normadressat, NZKart 2016, 98 und Thomas/Legner, Die wirtschaftliche Einheit im Kartellzivilrecht, NZKart 2016, 155. 7 Dazu Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 58 f.

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liche Prinzip der Haftungstrennung8 die Mithaftung nicht nur der Muttergesellschaft für kartellrechtliche Untaten in den Tochtergesellschaften, sondern tendenziell auch diejenige der Tochtergesellschaft für das Verhalten in einer Schwestergesellschaft begründet.9 Die Verhängung von Geldbußen setzt auch im EU-Recht Verschulden – Vorsatz oder Fahrlässigkeit – voraus (Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003). Der Wortlaut dieser Bestimmung geht davon aus, dass das Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig handeln kann. Dabei ist völlig unklar, wer das Subjekt dieses Merkmals ist: Kann ein Unternehmen als solches schuldhaft handeln, oder bedingt Verschulden nicht vielmehr die Zuordnung zu einer oder mehreren natürlichen Personen, die wissentlich, sorgfaltswidrig oder jedenfalls subjektiv vorwerfbar handeln? In der Praxis des EU-Rechts wird derartigen Fragen nicht nachgegangen. Das Verschulden wird nach der Vorstellung, das Unternehmen handele in kartellrechtlich relevanten Fragen immer wissentlich und könne Zulässiges klar von Unzulässigem unterscheiden, vermutet; dann stellt sich die Frage der persönlichen Zurechnung von vornherein nicht. Entscheidend ist allein, ob ein Angestellter als Unternehmensangehöriger oder eine andere Person (z.B. ein Handelsvertreter10) für das Unternehmen gehandelt hat; ob die Unternehmensleitung davon wusste oder hätte wissen können, ist unerheblich. Auch ist unklar, ob es auf ein persönliches Verschulden der handelnden Personen ankommt. Das deutsche Kartell-Bußgeldrecht war bis zur 9. GWB-Novelle 2017 noch uneingeschränkt den Grundsätzen der Haftungstrennung und dem Erfordernis der persönlichen Zuordnung des Kartellverstoßes über das vorwerfbare Fehlverhalten einer Leitungsperson einer juristischen Person verbunden. Im Zuge der politisch gewünschten Anpassung an das EU-Recht ist der Grundsatz der Haftungstrennung in § 81 Abs. 3a3c GWB bußgeldrechtlich durch die Möglichkeit der Mithaftung einer Muttergesellschaft und der Haftung eines Rechtsnachfolgers eingeschränkt worden. 2. Unterschiedliche Handlungen verschiedener Personen in einem ­Unternehmen können zu einer „einzigen und fortgesetzten Zuwider­ handlung“ zusammengefasst werden Die Sachverhalte, die zur Verhängung von Geldbußen führen, sind heute in der Regel nicht (mehr) gekennzeichnet durch klar organisierte und häufig sich wiederholende Absprachen über Preise und Preiserhöhungen oder Quoten. Derartige Verstöße kommen immer seltener vor; das ist auf die Abschreckungswirkung der gestiegenen Geldbußen und – auch davon unabhängig – die Einsicht in die Notwendigkeit einer kar­ 8 Dazu etwa Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 3 ff.; Boujong in Festschrift Walter Odersky, 1996, S. 739 ff. 9 Die Haftung der Schwestergesellschaft wurde noch verneint von EuGH v. 28.6.2005  – C 189/02 Dansk Rorindustri, Slg. 2005, I-5425 Rz. 113, 117. 10 Zur Einbeziehung selbständiger Dienstleister in die Unternehmenshaftung EuGH v. 21.7.2016  – C 542/14 Stadt Jürmala/Lettland, NZKart 2016, 428 Rz.  21  ff., dazu auch Bechtold, ZEuP 2017, 701; speziell für Handelsvertreter EuG v. 15.7.2015 – T 418/10 Voestalpine, NZKart 2015, 345 Rz. 134 ff.

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tellrechtlichen Compliance zurückzuführen. Wenn wie im „klassischen Kartell“ die Wettbewerber eines Wirtschaftszweiges regelmäßig und über Jahre hinweg die Preise und ihre Veränderungen und/oder die Marktanteile vereinbaren, wirft die rechtliche Qualifizierung dieses Tuns als einheitliche langdauernde (und schwerwiegende) Zuwiderhandlung kaum Probleme auf. Die Kasuistik der letzten Jahre zeigt in der Mehrzahl der Fälle andere Verhaltensweisen. Da gibt es auf unterschiedlichen Ebenen diverse Kontakte unter Wettbewerbern, bei Treffen aus anderen Anlässen, oft im Rahmen von Verbänden, telefonisch oder per email, in denen man sich  – mehr- oder auch zweiseitig  – über Preise, Kosten, Lieferanten oder einzelne Märkte austauscht. Eine zentrale Organisation oder Steuerung wird weder intern in den Unternehmen noch zwischen diesen festgestellt. Oft ist es auch so, dass die Beteiligten des einen Kontakts über die Kontakte auf anderen Ebenen nicht Bescheid wissen. Feststellungen darüber, ob und wie sich diese einzelnen Kontakte auf die Entscheidungsbildung in den einzelnen Unternehmen auswirken, fehlen im Allgemeinen. Auch wenn teilweise davon gesprochen wird, dass sich alles in einen einheitlichen „Gesamtplan“ einfüge, wird von den Kartellbehörden nicht für erforderlich gehalten, die Einordnung des Verhaltens der einzelnen beteiligten Personen in einen solchen „Gesamtplan“ und die Kenntnis davon nachzuweisen. Und so ist es möglich, dass niemand im beteiligten Unternehmen einen Überblick darüber hat, welche einzelnen, dem Unternehmen zugerechneten Personen was getan haben – alles wird als „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ dieses Unternehmens bewertet.11 Wenn die einzelnen „Beiträge“ von Mitarbeitern der Unternehmen kartellrechtlich bewertet werden, ist es durchaus zweifelhaft, ob der einzelne Mitarbeiter die kartellrechtliche Relevanz seines Tuns erkannt hat oder auch nur erkennen konnte. Die Relevanz ergibt sich unter Umständen erst aus der nachträglich möglichen Gesamtschau, die dann mit dem „Gesamtplan“ identifiziert wird. Die Bußgeldpraxis unterscheidet nicht zwischen den eingangs geschilderten „klassischen“ Kartellen und den Fällen, in denen die Kartellrechtswidrigkeit sich nur aus der Zusammenfassung einzelner, bei isolierter Betrachtung oft nicht unzulässiger, Tatbeiträge verschiedener Personen zu einer „einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ ergibt. Auch dann wird in der jeweiligen Entscheidung oder jedenfalls in den Presseveröffentlichungen 11 Dazu aus der neueren umfangreichen Rechtsprechung des EuGH: EuGH v. 6.12.2012 – C 441/11P Verhuizingen Coppens, NZKart 2013, 113 Rz. 41, 72; EuGH v. 4.7.2013 – C 278/P Aalberts, NZKart 2013, 370 Rz. 63; EuGH v. 14.9.2016 – C-519/15 P Spannstahlkartell (Trafilerie Meridionali), NZKart 2016, 478 Rz. 31 ff.; EuGH v. 26.1.2017 – C 609/13 P Badezimmerkartell (Duravit), NZKart 2017, 119 Rz. 117 ff.; EuGH v. 26.1.2017 – C 625/13 P Badezimmerkartell (Villeroy & Boch), NZKart 2017, 124 Rz.  58  ff.  – Aus der nicht minder umfangreichen neueren Rechtsprechung des EuG: EuG v. 15.7.2015  – T 418/10 Spannstahl-Kartell (voestalpine), NZKart 2015, 345 Rz.  119  ff.; EuG v. 15.12.2016  – T 758/14 Smartcard-Chips (Infineon), NZKart 2017, 28 Rz.  139  f., 216  ff.; EuG v. 15.12.2016  – T 762/14 Smartcard-Chips (Philips), NZKart 2017, 32 Rz. 167 ff. Vgl. auch Schlussanträge Nils Wahl im Verfahren C 413/14P in NZKart 2016, 541, 545 f. Rz. 179. Kritisch Brei, Die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, NZKart 2017, 211.

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der Kartellbehörden von „Preis“- oder entsprechend negativ bewerteten Kartellen gesprochen. 3. Schon ein bloßer Informationsaustausch kann „abgestimmtes Verhalten“ sein Dass Kartelle nicht unbedingt formelle, zumindest faktisch bindende „Vereinbarungen“ der beteiligten Unternehmen voraussetzen, leuchtet ohne weiteres ein. Die Kartellverbote erfassen deswegen auch „abgestimmte Verhaltensweisen“, die in der Rechtsprechung als Verhaltenskoordinierungen unterhalb der Vereinbarungen definiert werden, die zu einem bewussten und gewollten Zusammenspiel von Unternehmen zum Zwecke der Ausschaltung unternehmerischer Risiken führen. In den ersten Jahrzehnten der EU-Kartellrechtsanwendung war klar, dass der Kontakt unter Wettbewerbern zu einer bestimmten Verhaltenskoordinierung führen musste  – ein bestimmtes Verhalten musste „abgestimmt“ werden. So war der Teerfarbenfall der 60er Jahre12 durch Kontakte über beabsichtigte Preiserhöhungen gekennzeichnet, an die sich dann tatsächlich die zuvor mitgeteilten Erhöhungen anschlossen. Inzwischen ist das nicht mehr notwendig: Bei jedem Austausch über vertrauliche wettbewerbsrelevante Daten wird davon ausgegangen, dass er das tatsächliche Verhalten der Wettbewerber beeinflusst;13 Feststellungen darüber, welches Verhalten wie beeinflusst wurde und ob der Austausch zu einem ansonsten nicht stattfindenden Parallelverhalten führt, werden nicht für erforderlich gehalten. Nach der europäischen Rechtsprechung reicht bereits die Teilnahme an einer Sitzung aus, deren Zweck im Informationsaustausch über praktizierte oder angestrebte Preise, Verkaufszahlen oder Kunden besteht, weil es bei der autonomen Festlegung des zukünftigen Marktverhaltens zwangsläufig zur Berücksichtigung dieser Informationen komme.14 Dann ist es konsequent, dass der Gerichtshof schon die Kontaktaufnahme, in der eine Preisvereinbarung versucht wurde, ohne dass sie zustande kam, als (vollendete) Abstimmung qualifiziert.15 4. „Bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkungen setzen keine tatsächlichen ­Auswirkungen voraus – das Kartell wird zum „abstrakten Gefährdungsdelikt“ Diese in der Praxis entwickelten Tatbestandserweiterungen werden sekundiert und potenziert durch die Einordnung der meisten Verhaltensweisen in die Kategorie der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkungen. Der Gesetzeswortlaut verlangt alternativ „bezweckte“ oder „bewirkte“ Wettbewerbsbeschränkungen. Bezweckt ein bestimm12 Dazu EuGH v. 13.2.1969 – Rs. 14/68 Farbenfabriken Bayer Walt Wilhelm, Slg. 1969, 1, 14 Rz. 6. 13 Dazu grundlegend EuGH v. 4.6.2009  – C 8/08 T-Mobile Netherlands, Slg. 2009, I-4529 Rz.  31  ff.; aus der deutschen Rechtsprechung BGH v. 12.4.2016  – KZR 31/14 Gemeinschaftsprogramme, NZKart 2016, 371 Rz. 43 ff. 14 Dazu außer EuGH v. 4.6.2009 – C 8/08 T-Mobile Netherlands, Slg. 2009, I-4529 Rz. 31 z.B. auch EuG v. 24.10.1991 – T 1/89 Rhone-Poulenc Slg. 1991, II-867 Rz. 123. 15 So EuGH v. 26.1.2017  – C 609/13 P Badezimmerkartell (Duravit), NZKart 2017, 119 Rz. 70 ff., 134 ff.

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tes Verhalten die Beschränkung des Wettbewerbs, kommt es auf die Auswirkungen des Verhaltens nicht an;16 sie sind in diesem Fall irrelevant im Gegensatz zu den Verhaltensweisen, die die Beschränkung zwar nicht bezwecken, aber „bewirken“. Das „Bezwecken“ setzt nicht etwa Feststellungen über subjektive Absichten der Teilnehmer einer Vereinbarung oder Abstimmung voraus. Es soll sich vielmehr aus der objektiven Eignung des Verhaltens zur Beschränkung des Wettbewerbs ergeben.17 Praktisch alle Parameter, die auch nur theoretisch für den Wettbewerb relevant sein können, indizieren, wenn sie Gegenstand einer Vereinbarung oder Abstimmung sind, deren wettbewerbsbeschränkenden Zweck. Fälle, in denen (nur) die wettbewerblichen Auswirkungen für das Kartelldelikt konstitutiv sind, spielen in der Bußgeldpraxis keine Rolle. Die Beispielsfälle dazu kommen aus der Zusammenfassung von vertikalen Ausschließlichkeitsbindungen, die isoliert nicht spürbar sind, aber nach der sogenannten „Bündeltheorie“ im „Bündel“ mit gleichartigen Verhaltensweisen wegen ihrer dann doch spürbaren Auswirkungen die kartellrechtliche Relevanzschwelle übersteigen.18 Wenn ansonsten eine tatsächliche Auswirkung auf den Wettbewerb nicht erforderlich ist, wird das Kartelldelikt zum abstrakten Gefährdungsdelikt,19 das durch die bloße Gefährdung der Wettbewerbsfreiheit gekennzeichnet ist. Die Auswirkungen des Kartells sind allenfalls, wenn sie überhaupt geprüft werden, für die Höhe der Geldbuße von Bedeutung.

II. Die Bußgeldentscheidung besagt nichts über den zivilrechtlich ­relevanten Schaden Fast alle kartellrechtlichen Schadensersatzforderungen und -prozesse werden ausgelöst durch behördliche Bußgeldverfahren. Sobald solche Verfahren bekannt werden, insbesondere im Anschluss an die Presseveröffentlichungen der Kartellbehörden über Bußgeldentscheidungen, erheben die von dem Kartell potentiell Betroffenen Schadensersatzforderungen und entsprechende Zivilklagen („follow on-Klagen“). Diese gelten als wettbewerbspolitisch erwünscht, weil sie die Abschreckung der behördlichen Bußgeldverfahren wesentlich erhöhen. Die durch die EU-Schadensersatzrichtlinie20 für derartige Klagen in wesentlichen Punkten vereinheitlichten nationalen Schadensersatz- und Prozessregeln sollen die prozessuale Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen auf Grund von Kartelldelikten erleichtern. Von Bedeutung sind insoweit insbesondere die gesetzlich verordnete Bindungswirkung von Bußgeld­ entscheidungen nationaler Behörden hinsichtlich der Feststellung des Verstoßes (im deutschen Recht seit der 9. GWB-Novelle § 33b GWB), der Ausschluss des Einwandes 16 So schon EuGH v. 30.6.1966 Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 281, 303; seither ständige Rechtsprechung, zuletzt z.B. auch EuGH v. 20.1.2016 – C 373/14 P Leistungstransformatoren (Toshiba), NZKart 2016, 131 Rz. 25 ff. 17 Vgl. dazu Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 78. 18 Vgl. EuGH v. 28.2.1991 – C 234/89 Delimitis, Slg. 1991, I-935, 985; weitere Nachweise bei Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 84. 19 So Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 79. 20 Richtlinie 2014/104/EU, ABl. L 349 v. 5.12.2014, S. 1.

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der Schadensabwälzung („passing-on-defence“, §  33c GWB), die Verjährungshemmung für die Dauer der behördlichen Bußgeldverfahren (§ 33h Abs. 6 GWB)21 und besondere Auskunfts-und Herausgabeansprüche der Schadensersatzgläubiger (§ 33g GWB).22 Die EU-Richtlinie hat den nationalen Gesetzgebern auch auferlegt, in den nationalen Gesetzen eine widerlegliche Vermutung vorzusehen, dass ein Kartell einen Schaden verursacht. Die daraufhin in das deutschen Recht eingeführte Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB bezieht sich sowohl auf das Bestehen eines Schadens als auch auf dessen Verursachung durch den Verstoß.23 Für das „klassische“ Lehrbuchkartell der vereinbarten oder abgestimmten Preiserhöhung oder Kundenaufteilung hat diese Vermutung sicherlich eine ausreichende Tatsachengrundlage und damit ihre Berechtigung. Angesichts der schleichenden Verschärfungen der kartellrechtlichen Verbotsnormen im Hinblick auf ganz andersartige Kartellformen bestehen aber erhebliche Zweifel an der gesetzgeberischen Berechtigung einer so umfassenden Schadensvermutung. Diese Zweifel müssen jedenfalls zu einer sehr differenzierten Öffnung ihrer Widerlegbarkeit führen. Das gilt insbesondere für die immer zahlreicheren Fälle, in denen die Bußgeldentscheidung auf einer „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung beruht. Die Behörde oder das Gericht verzichten meist bei der Ahndung eines Kartells, weil im Bußgeldverfahren rechtlich nicht erforderlich, ausdrücklich auf Feststellungen zu den Auswirkungen. Dann hat die Annahme, die bezweckte Wettbewerbsbeschränkung habe über die bloße Gefährdung des Wettbewerbs hinaus auch zu einem konkreten Schaden geführt, in der Bußgeldentscheidung keine Grundlage. Ein Sammelsurium von Einzelakten, das rechtlich als „einzige und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ bewertet wird, indiziert nicht mit der erforderlichen Sicherheit einen Schaden der Marktgegenseite. Feststellungen über tatsächliches Parallelverhalten oder andere Verhaltenskoordinierungen gibt es nicht; sie erscheinen auch kaum möglich. Das mag, auch wenn niemals verlässliche Vereinbarungen über jeweilige Verhalten getroffen wurden, insgesamt für eine Bußgeldfestsetzung ausreichen; eine konkrete Schädigung von Unternehmen der Marktgegenseite ergibt sich daraus nicht. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass sich Gutachten24 über angebliche Kartellschäden, die entweder abstrakt-generell oder im Vorfeld oder während gerichtlicher Auseinandersetzungen über konkrete Schadensersatzforderungen erstattet werden, häufig nicht für den Inhalt der getroffenen Absprachen oder Abstimmungen interessieren. Es wird dem Gutachten zugrunde gelegt, dass für eine bestimmte Branche für

21 Dazu BGH v. 12.6.2018 – KZR 56/16 Grauzementkartell II, NZKart 2018, 315. 22 Dazu Schaper/Stauber, Ausgewählte Themen des neuen Kartellschadensersatzrechts, ­NZKart 2017, 279. 23 Dazu Reg.Begr. BT-Drucks. 18/10207, S. 55 = NZKart Sonderbeilage 1/2017, S. 49. 24 Dazu Brömmelmeyer, Die Ermittlung des Kartellschadens, NZKart 2016, 2 und Brunner/ Bacher, Ermittlung von Kartellschäden für die zivilrechtliche Geltendmachung, NZKart 2017, 345.

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einen bestimmten Zeitraum ein „Kartell“ festgestellt ist.25 Dann wird auf Grund ökonometrischer Daten für Zeiträume davor und danach oder für kartellfreie Vergleichsmärkte untersucht, ob und in welcher Höhe sich für den relevanten Zeitraum Abweichungen feststellen lassen. Diese Abweichungen sollen den Schaden zeigen, ohne dass die Kausalität des Kartells dafür belegt wird. Es kann auch vorkommen, dass die Ökonometrie für den angeblichen Kartellzeitraum Abweichungen nach unten ausweist;26 das würde bedeuten, dass das „Kartell“ sich nicht zu Lasten der betroffenen Marktgegenseite ausgewirkt hat, sondern zu deren Gunsten. Bevor gerechnet wird, sollte genauer angesehen werden, was eigentlich Inhalt und Zweck der Vereinbarung oder Abstimmung gewesen ist. Wenn man schon den bloßen Austausch zunächst vertraulicher Daten ohne weitergehende Verhaltenskoordinierung bußgeldrechtlich als „Kartell“ brandmarkt, muss man spätestens bei der Feststellung eines Schadens der Frage nachgehen, zu was die Information nutze war und ob die Daten nicht auch ohne Kontakt zum Wettbewerber bekannt geworden wären, bevor sie das Verhalten in irgendeiner Weise beeinflussen konnten. Das häufig gehörte und an sich naheliegende Argument, die Kartelltäter würden das Risiko der Aufdeckung und Ahndung ihres Tuns nicht eingehen, wenn sie sich nicht Vorteile davon versprächen, belegt nicht, dass der Vorteil sich dann auch tatsächlich eingestellt hat. Häufig sollen Kontakte zu Wettbewerbern nur das ansonsten sich aus Unsicherheit ergebende Risiko des Wettbewerbs mindern. Das bedeutet aber nicht, dass sich dieses Risiko ohne die Kontakte auch realisiert hätte.

III. Überlegungen zur Bindungswirkung von Bußgeldentscheidungen Im EU-Recht ist es das „Unternehmen“, das einen Kartellverstoß begeht. Das deutsche Bußgeldrecht kennt keinen Verstoß einer juristischen Person, sondern nur natürliche Personen, deren Rechtsverstöße einer juristischen Person unter spezifisch bußgeld­ rechtlich definierten Voraussetzungen zugerechnet werden können. Die Schadensersatz-Grundnorm des § 33a Abs. 1 GWB hält den für schadensersatzpflichtig, der gegen ein kartellrechtliches Verbot „verstößt“. Das ist im einen Fall ein „Unternehmen“, im anderen eine natürliche Person. Daraus ergeben sich erhebliche Unterschiede so-

25 Der „Praktische Leitfaden“ der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Art. 101 AEUV (dazu Mitteilung der Kommission in ABl. C 167 v. 13.6.2013, S. 19) legt seiner Anleitung einen Beispielsfall über eine gemeinsame Preisfestsetzung zugrunde (fiktives Mehlkartell, Rz.  32), der ohne Weiteres den Schaden der Marktgegenseite nahelegt, ganz im Gegensatz zu den heute meistens entschiedenen sehr viel differenzierteren Kartellfällen. 26 Das war im Verfahren, das mit dem Urteil des BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12 Grauzementkartell, NZKart 2013, 195 abgeschlossen wurde, der Fall. Für einen regionalen Bereich stellte der Gerichtsgutachter anders als in den anderen Bereichen Preisermäßigungen durch das Kartell (trotz des Kartells?) fest.

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wohl für die Bindungswirkung nach § 33b GWB als auch für die weiteren Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht.27 1. Bindungswirkung und deutsche Bußgeldentscheidungen Die deutschen Kartellbußgeldvorschriften (§§ 81 ff. GWB) erfassen nicht nur Verstöße gegen deutsches Kartellrecht, sondern auch solche gegen die EU-Wettbewerbsregeln. Wenn letztere durch die Kommission geahndet werden, geschieht dies auf der Grundlage der VO 1/2003. Werden sie vom Bundeskartellamt verfolgt, gelten die §§ 81 ff. GWB; diese richten sich, entsprechend dem System des Ordnungswidrigkeitenrechts, ausschließlich an natürliche Personen. Sie sind es, die im Sinne des § 81 Abs.  1 und 2 GWB „ordnungswidrig handeln“ (können). Wenn §  81 Abs.  1 und 2 GWB davon sprechen, dass ordnungswidrig handelt, wer bestimmte Kartellverstöße begeht, sind damit allein natürliche Personen gemeint. Deutsche Bußgeldbescheide oder nach Einspruch ergehende Urteile setzen im Tenor Geldbußen gegen als „Betroffene“ bezeichnete natürliche Personen fest. Ihr „Verstoß“ wird in der Bußgeldentscheidung beschrieben. Darauf bezieht sich die Bindungswirkung des § 33b GWB. Der Schadensersatzrichter ist an die Feststellung dieses Verstoßes einer natürlichen Person gebunden. Die Bindung reicht nicht weiter und bezieht sich nicht auf irgendeine Beteiligung einer juristischen Person, die nicht „verstoßen“ hat. Wenn ein deutscher Bußgeldbescheid gegen eine juristische Person ergeht, geschieht dies nicht durch deren „Verurteilung“, sondern durch Festsetzung einer Geldbuße gegen die als „Nebenbetroffene“ bezeichnete juristische Person als Nebenfolge der Ahndung einer natürlichen Person.28 Die juristische Person wird nicht belangt, weil sie einen Kartellverstoß begangen hat, sondern nur deswegen, weil das eine ihr zurechenbare Person getan hat. Der Richter, der über eine Schadensersatzklage gegen eine juristische Person zu entscheiden hat, ist also nicht gebunden an eine bußgeldrechtliche „Verurteilung“ der juristischen Person, sondern daran, dass eine natürliche Person gegen ein Kartellverbot verstoßen hat. Der Kartellverstoß kann auch in einer Verletzung der Aufsichtspflicht bestehen (§ 130 OWiG).29 Ob und wie dieser Kartellverstoß zivilrechtlich der beklagten juristischen Person zuzurechnen ist, ist ausschließlich nach zivilrechtlichen Kriterien zu beurteilen, für die es keine kartellrechtlichen Vorgaben gibt. Diese Kriterien sind andere als die, die bußgeldrechtlich zur Zurechnung an eine juristische Person geführt haben. Der bindend 27 Vgl. zu dem teilweise geforderten „Gleichlauf “ von Bußgeld- und Schadensersatzrecht einerseits Thomas/Legner, Die wirtschaftliche Einheit im Kartellzivilrecht, NZKart 2016, 155, 158  f. und andererseits Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit, NZKart 2017, 447, 450 ff. und Kersting in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, 115 ff. 28 Rechtspolitisch für die Einführung einer unmittelbaren bußgeldrechtlichen Unternehmens-Verantwortlichkeit Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit, NZKart 2016, 447, 452 ff. 29 Dazu von Schreitter, Die kartellordnungswidrigkeitsrechtliche Haftung nach § 130 OWiG, NZKart 2016, 253.

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festgestellte Verstoß der natürlichen Person kann eine zum Schadensersatz verpflich­ tende Handlung im Sinne von § 33a Abs. 1 GWB sein. Diese Vorschrift erfasst ebenso wie § 823 BGB nur das Verhalten natürlicher Personen. Das ist im Zivilrecht so selbstverständlich, dass die Kommentarliteratur das kaum ausdrücklich erwähnt.30 Wenn die natürliche Person ein Organmitglied der juristischen Person ist, ergibt sich die zivilrechtliche (Mit-)Haftung der juristischen Person ohne weiteres aus § 31 BGB. Ist sie ein „einfacher“ Angestellter, findet § 831 BGB Anwendung. Hier besteht die Möglichkeit des Entlastungsbeweises nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB. Diese Bestimmung erfasst auch die Überwachung des Verrichtungsgehilfen.31 Sie kann damit auch das Einfallstor für die Entlastungsargumentation sein, die juristische Person habe durch umfassende Compliance-Maßnahmen alles ihr Mögliche getan, um derartige Kartellverstöße ihrer Mitarbeiter zu verhindern.32 Seit der 9. GWB-Novelle 2017 sehen §  81 Abs.  3a-3c GWB bußgeldrechtliche Haftungserweiterungen vor.33 Dabei wird davon ausgegangen, dass sich „normalerweise“ die bußgeldrechtliche Haftung der juristischen Person aus § 30 Abs. 1 OWiG ergibt. Das setzt voraus, dass die handelnde natürliche Person Organmitglied oder vertretungsberechtigter oder sonst leitender Angestellter ist. Nach § 81 Abs. 3a GWB ist es darüber hinaus möglich, die Geldbuße auch gegen Konzerngesellschaften festzusetzen, die mit der primär haftenden juristischen Person ein einheitliches „Unternehmen“ bilden. § 81 Abs. 3b GWB begründet die Möglichkeit, die Geldbuße auch gegen einen Gesamtrechtsnachfolger festzusetzen; § 81 Abs. 3c GWB weitet das auf die Person aus, die „das Unternehmen in wirtschaftlicher Kontinuität“ fortführt. Kommt hiernach eine bußgeldrechtliche Haftung mehrerer juristischer Personen in Betracht, haften sie als Gesamtschuldner (§ 81 Abs. 3e GWB). Wird eine solche Haftungserweiterung im Bußgeldverfahren angeordnet, hat das keine Auswirkung auf die zivilrechtliche Haftung der zusätzlich mit Geldbuße belegten juristischen Person. Zivilrechtlich (mit)haftbar  ist sie nur unter den eigenständig zu prüfenden Voraussetzungen der §§  31, 831 BGB oder, wie im Falle der Rechtsnachfolge, unter den eigenständig zu prüfenden Voraussetzungen der zivilrechtlichen Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers.34 2. Bindungswirkung und europäische Bußgeldentscheidungen In den Sanktionsvorschriften des europäischen Kartellrechts (Art. 23 VO 1/2003) gibt es nur Kartellverstöße von „Unternehmen“, nicht von natürlichen Personen (soweit diese nicht selbst Unternehmen sind). Die Handlungen natürlicher Personen ver30 Zu finden war die Kurzformel Wagners in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rz. 63 f.: „Menschliches Verhalten als Haftungsvoraussetzung“. 31 Vgl. Wagner in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 831 BGB Rz. 36 f. 32 Vgl. zur sog. Compliance defence z.B. Bechtold/Bosch, GWB, 8. Aufl. 2015, §  81 Rz.  73; Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2017, passim. 33 Dazu Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit, NZKart 2016, 447, 457 ff. 34 Dazu LG Düsseldorf v. 8.9.2016 – 37 O 27/11 (Kart) Aufzugskartell, NZKart 2016, 490, 492.

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wirklichen, da sie nicht „Unternehmen“ sind, keinen Bußgeldtatbestand. Alles, was natürliche Personen im Unternehmen tun, wird diesem so zugerechnet, dass es ein Verstoß des Unternehmens ist. An diese Feststellung in der europäischen Bußgeldentscheidung ist der Schadensrichter nach § 33b GWB gebunden. Er muss die für ihn bindend festgestellte Tatsache, dass das Unternehmen gegen Kartellrecht verstoßen hat, in zivilrechtliche Kategorien übersetzen. Das stößt auf Schwierigkeiten. Die Bindungswirkung bezieht sich nur auf den objektiven Verstoß. So kann die Bindungswirkung nur bedeuten, dass im Zurechnungsbereich des betroffenen Unternehmens eine oder mehrere natürliche Person die Handlung begangen haben, die in der Bußgeldentscheidung als Handlung des Unternehmens festgestellt ist. Da es für den Schadensersatz nach deutschem Recht auf das Verschulden einer natürlichen Person ankommt, muss der Schadensrichter zunächst eine solche am Kartell beteiligte natürliche Person identifizieren. Das kann sowohl der unmittelbare „Täter“, Mittäter oder eine sonst am Kartell mitwirkende Person als auch eine Person sein, die eine erforderliche und geeignete Aufsichtsmaßnahme unterlassen hat. Erst wenn diese Hürde überwunden ist, stellt sich außerhalb jeder Bindungswirkung die Frage, ob die juristische Person, die von der Kommission mit Geldbuße belegt wurde, nach den §§ 31, 831 BGB haftet. Ein Unternehmen kann aus mehreren rechtlichen Einheiten bestehen. Deswegen ist es möglich und fast im Regelfall des Verstoßes durch eine Konzerngesellschaft so, dass eine EU-Bußgeldentscheidung auch gegen eine Muttergesellschaft ergeht, die zwar eine Leitungsmacht über die handelnde Tochtergesellschaft hat, aber an dem Kartellverstoß dieser Tochtergesellschaft weder direkt noch indirekt beteiligt war. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist für die Haftung der Muttergesellschaft nicht erforderlich, dass sie in irgendeiner Weise, und sei es auch durch Unterlassen, an dem Kartellverstoß mitgewirkt hat.35 Dann ergibt sich aus der Bußgeldentscheidung auch kein „Verstoß“ der Mutter. Deswegen gibt es bei einem solchen Sachverhalt auch keine Bindungswirkung.36 Aber auch eine bindende Feststellung, dass die Muttergesellschaft einen Verstoß begangen hat, kann nicht zur zivilrechtlichen Haftung der Muttergesellschaft führen. Da auf der Basis der Bußgeldentscheidung keine ihr zuzurechnende Person gehandelt hat, kommt auch ein entsprechendes Verschulden nicht in Betracht. In § 33b GWB muss der von der Kartellbehörde (oder dem Gericht) bindend festgestellte Verstoß eines Unternehmens gegen EU-Kartellrecht sinnvoll so ausgelegt werden, dass er eine (in der Bußgeldentscheidung festgestellte) Handlung voraussetzt, die im Bereich des bußgeldrechtlich primär haftbaren Unternehmens begangen wurde. Sie ist der Verstoß, der bindend festgestellt ist. Im Falle der nicht beteiligten Mutter35 So die „Akzo“-Rechtsprechung des EuGH v. 10.9.2009 – C 97/08, Slg. 2009, I-8237 Rz. 58 ff.; neuestens EuG v. 9.9.2015 – T 92/13 Philips Electronics Rz. 16, 66 f. Das Erfordernis, dass das handelnde Unternehmen im Verhältnis zur Muttergesellschaft nicht autonom ist, bezieht sich nicht konkret auf den Kartellverstoß. Vgl. auch die weiteren Nachweise bei Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 33 ff. 36 A.A. Kersting in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, 115 Rz. 11, 72.

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gesellschaft gibt es eine solche Handlung in der Muttergesellschaft nicht. Wenn man dennoch eine Bindungswirkung annähme, scheiterte eine Schadensersatzhaftung daran, dass die weiteren Voraussetzungen der Haftung der Muttergesellschaft (jedenfalls in dem Sachverhalt, der sich aus der Bußgeldentscheidung ergibt) nicht vorliegen. Im System des Deliktsrechts (Verstoß einer natürlichen Person, Haftung der juristischen Person nach §§  31, 831 BGB) gibt es keine Haftung der unbeteiligten Muttergesellschaft für ein Verhalten, das über natürliche Personen einer Tochtergesellschaft zuzurechnen ist. Das gilt erst recht für andere Fälle, in denen die EU-rechtliche Haftung eines „Unternehmens“ außer der Muttergesellschaft auch anderen Konzerngesellschaften zugerechnet wird.

IV. Zusammenfassung Der Anwendungsbereich des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV und § 1 GWB ist in der europäischen Bußgeldpraxis und in ihrem Gefolge auch in Deutschland ständig erweitert worden. Sie hat immer mehr zu Verboten geführt, die unabhängig davon sind, ob die Marktgegenseite tatsächlich geschädigt wird. Die gesetzliche Schadensvermutung besagt nichts über die Höhe eines Schadens. Die Bindung des Zivilrichters an die Feststellung eines Verstoßes hat für deutsche und europäische Bußgeldentscheidungen unterschiedliche Bedeutungen. Sie gilt nur für den objektiven Verstoß. Die Schadensersatzhaftung einer juristischen Person hängt von weiteren Voraussetzungen ab, die eigenständig nach den Grundsätzen des zivilrechtlichen Deliktsrechts festgestellt werden müssen.

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Competition Law and Sustainability Initiatives I. Introduction II. The Story So Far 1. The Energy Agreement 2. Policy Rule 2014 3. Chicken of Tomorrow 4. Policy Rule 2016 5. ACM Commitment to ‘Turn Blind Eye’ 6. Garment and Textile Covenant, 2016 III. Draft Law: Room for Sustainability ­Initiatives 1. Issues the Draft Legislation Aims to Solve 2. Scope of the Draft Legislation 3. Procedure IV. Commentary 1. Alternatives to New Law? 2. Draft Legislation a) Conformity with European Law

b) Will the Law in Practice Lead to a Wide Range of Sustainability ­Initiatives? c) What Weight Should Be Given to the Opinion of Stakeholders? d) Will the Regulations Be Effective? 3. Choice Facing Socially Committed ­Parties a) Administrative Burden b) Stakeholder Support c) Material Assessment 4. Would the Chicken of Tomorrow ­Agreement and the Energy Agreement Have Been Possible under the New ­Policy of ACM or the Draft Legislation? a) ACM turning a Blind Eye b) Minister Adopting Regulation V. Concluding Remarks

I. Introduction Dirk has been part of the competition law landscape for as long as I can remember. He was also my (unofficial) mentor in the early stages of my legal career. I am therefore delighted to participate in a book dedicated to Dirk. But then the subject? What has Dirk not read before? I have chosen a question which has given rise to much debate in the Netherlands but which, as yet, has not been raised so publicly and consistently elsewhere: the question of the competition law assessment of sustainability initiatives. This question has largely been brought into the Dutch public arena by three specific cases: an agreement relating to the closure of dated power stations (the Energy Agreement); an agreement providing for a boycott of certain mass produced chicken meat (the so called Chicken of Tomorrow Agreement) and an agreement between textile producers over the production of textile in developing countries (the Garment and Textile Covenant). All three cases questioned the  extent to which competition rules allow for cooperation, the goal of which is an improvement in welfare in the short or long term, in Europe or elsewhere. In these cases the goals were, respectively, environmental advantages, the improvement in the standard of living of chickens and the improvement in the working conditions of textile workers in the developing world. All three cases are stories of good intentions, political will, legal constraints and frustration. All three initiatives had wide pubic support in the Netherlands. The Dutch Authority for Consumers and Markets (the ACM) showed that it is willing to 111

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consider sustainability goals as a justification for restrictive agreements but found, in two of the cases concerned, that the advantages which it could take into account under competition laws did not outweigh the negative effects. The ACM’s hands were tied by  the legal framework. The Dutch Minister for Economic Affairs (the Minister) attempted to broaden the scope of the advantages and beneficiaries relevant for an exemption from the prohibition of restrictive agreements only to be cautioned by the European Commission for potential non-compliance with EU law. The Minister has however continued to strive for a solution which allows for cooperation seeking a goal other than economic progress or efficiencies and benefiting a wider group than the  immediate consumers. He has submitted draft legislation entitled: Room for sustainability initiatives. Assuming that this does not lead to further objections from the European Commission, it may provide a mechanism to facilitate cooperation with sustainability objectives. This contribution first sets out the story so far.1 It discusses the cases and considers the initiatives of the Minister to create more room for sustainability initiatives under the Dutch Competition Act. It then describes the new draft law proposed by the Minister. The second half of this contribution is a commentary: first on the alternatives considered by the Minister and then on the strengths and weaknesses of the draft legislation. It raises the question whether parties seeking a goal of general interest have a choice in their course of action, taking account on the one hand of the proposed legislation and on the other hand of the sympathy expressed by the ACM for such initiatives. It then poses the question whether the draft legislation would have saved the Energy Agreement or the Chicken of Tomorrow. Finally, in some concluding remarks, I philosophise on what this could mean for the (Dutch) competition lawyer and how this subject is at all relevant for Dirk.

II. The Story So Far 1. The Energy Agreement The Energy Agreement2 was concluded in September 2013 by more than forty parties, including energy producers, environmental interest groups, and central, regional and local governmental bodies. It sought to achieve a number of goals including energy savings, increased employment and the production of clean energy. One specific target was the reduction of CO2 emissions by between 80 % to 95 % by 2050. To achieve this goal the parties agreed to the closure of five coal fired power stations dating from the 1980s. The closure of the power stations was explicitly subject to the approval of the ACM. 1 Since writing the current Minister of Economic Affairs and Climate Policy submitted the draft law to the Council of State (March 2018). 2 Social and Economic Council, ‘Energy Agreement for sustainable growth’, Report S­ eptember 2013. The full text of the Energy Agreement is available via the following website: www. energieakkoordser.nl. (Dutch only, summary available in English).

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The ACM, predictably, found that the Energy Agreement was an agreement between undertakings (the energy producers) which restricted competition.3 It would reduce the electricity production capacity in the Netherlands by 10 %. The ACM found that the closure of the power stations and the switch to renewable energy would lead to the use of more expensive capacity. The Energy Agreement would therefore lead to upward pricing pressure. The ACM considered whether the agreement could benefit from an individual exemption. It held that environmental measures could in principle improve welfare. It took the view, however, that the energy producers had failed to show that these advantages outweighed the negative effects in the form of increased prices. Given the social and political importance of the Energy Agreement, the ACM commissioned its own study into the potential effects of the Agreement. It carried out an ‘avoided costs’ analysis and found that the reduction of certain emissions was likely to lead to the avoidance of costs which would otherwise have to be made to improve the environment. This was however not found to be sufficient to compensate the expected increase in the price of electricity. The ACM also found that the Agreement would not lead to a reduction of CO2. The fact that the power stations would no longer emit CO2 would be unlikely to lead to an overall reduction in such gas as other market players would acquire the emission rights. The ACM therefore concluded that the benefits of the agreement to close the power stations did not outweigh the negative effects. 2. Policy Rule 2014 In May 2014 and following the ACM’s assessment of the Energy Agreement, the Minister published a Policy Rule on competition and sustainability.4 It set out the criteria which the ACM was to take into account in applying the exemption to the prohibition of restrictive agreements in the case of sustainability initiatives. It provided that the ACM should take account of ȤȤ long term advantages; ȤȤ consumers of the future; ȤȤ the free rider problem which could justify restrictions; and ȤȤ other competition parameters than those restricted by the agreement.

3 ACM, ‘Analysis by the Dutch Authority for Consumers and Markets (ACM) of the planned agreement on closing down coal power plants from the 1980s as part of the Social and ­Economic Council of the Netherlands’ SER Energieakkoord’, 26 January 2013. Full English version available via the ACM’s website: www.acm.nl. 4 Decision of Minister of Economic Affairs of 6 May 2014, no. WJZ / 14052830, Strcrt. 2016, 52945, containing policy rules concerning the application by the ACM of article 6(3) of the Competition Act in the case of restrictive agreements with a sustainable goal.

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At that time, the ACM also published a Vision Paper.5 It found that a fair share of the advantages of restrictive agreement has to benefit the actual (current) consumers and should at least compensate them for the harm resulting from the  restriction. The ACM subsequently, and in the light of the insufficient compensation to current consumers, gave its negative assessment of the Chicken of Tomorrow initiative. 3. Chicken of Tomorrow Approximately a year after its assessment of the Energy Agreement, the ACM was asked to assess an agreement between supermarkets, chicken farmers and companies dealing in chicken meat.6 The agreement sought to ensure a better standard of living for chickens: minimum living space, more straw on the floor and the prolongation by a few days of the chicken’s life. The agreement also provided for environmental measures. The competition law concerns relate to the agreement to remove from the shelves all meat from chicken which had not had the agreed standard of life. Such a boycott is clearly potentially restrictive of competition. It reduces consumer choice and is likely to lead to more expensive chicken meat. The ACM nevertheless investigated whether the agreement could benefit from an individual exemption. It instructed economic experts to analyse the advantages and disadvantages of the agreement for the consumer taking account of: (i) the increased cost of chicken meat, (ii) the improvement in animal welfare, (iii) environmental effects and (iv) public health. In a report of over 40 pages, the economists concluded the following. Ad (i) the agreement would lead to a price increase of Euro 1.46 per kilo of chicken filet. Ad (ii) the value of increased animal welfare to the consumer was calculated using several methods seeking to identify the consumers’ willingness to pay for such improvement. Consumers were, according to the report, prepared to pay between Euro 1.06 and Euro 0.39 extra per kilo. Ad (iii) the environmental benefits were quantified at Euro 0.14 per kilo. Ad (iv) no benefits to public health were identified. The ACM therefore concluded that the costs of the agreement outweighed the value to consumers by between Euro 0.40 and Euro 1.07 per kilo. The ACM advised the parties to amend their plans. 4. Policy Rule 2016 The Minister consequently drafted an amended Policy Rule7 increasing the possibilities for the exemption of sustainability measures. It provided that: 5 ACM, ‘Vision Document Competition and Sustainability’, 9 May 2014. Full English version available via the ACM’s website: www.acm.nl. 6 ACM, ‘ACM’s analysis of the sustainability agreements concerning “Chicken of T ­ omorrow”’, 26 January 2015. Full English version available via the ACM’s website: www.acm.nl. 7 Minister of Economic Affairs, Draft Policy Rule published for consultation, 23 December 2015. Full text available on the government’s website: www.internetconsultatie.nl/mededin​ gingenduurzaamheid/details (Dutch only).

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ȤȤ a “rule of reason” approach should be taken to the assessment of the advantages of the agreement: if the agreement comprised a packet of measures then the total packet had to be assessed as a whole; ȤȤ advantages to society as a whole (and not just direct users or users on the specific market) should be taken into account; ȤȤ regard should be had for qualitative as well as quantitative criteria. The reactions to this draft policy were generally very positive. However the ACM and the European Commission both considered that this policy was contrary to EU law. Both the proposal to take account of benefits to society as a whole and the consideration of the total packet in determining whether the agreement led to advantages were considered problematic. In its letter to the Minister responding to the draft Policy Rule, the Commission expressed the view: If certain policy goals are considered valuable for society as a whole, while not to consumers in the relevant market, regulation is the right tool to safeguard them and not competition law. In other words competition law does not stand in the way of regulation to achieve these goals but cannot substitute for the absence of such regulation.8 The Commission clearly considered that the way forward was legislation establishing the sustainability goals. In the light of this, the Minister changed course. He limited the amendments to the Policy Rule.9 The Policy would no longer require the ACM to take account of advantages outside the relevant market (for example positive effects in low wage countries). The Minister announced that he would draw up legislation facilitating sustainability initiatives. He also said he would keep communicating with the European Commission as, in his view, the competition rules leave more room for sustainability initiatives than the European Commission currently recognises. 5. ACM Commitment to ‘Turn Blind Eye’ The ACM still had some concerns with the amended Policy Rule, and specifically with the fact that it still requires the ACM to take account of the whole packet of  measures when assessing the advantages. However, the ACM clearly shares the

8 Director General of the DG Competition of the European Commission, Johannes Laiten­ berger, letter to the Dutch Secretary-General of the Ministry of Economic ­Affairs, Maarten Camps, 26 February 2016. Available as annex to Kamerstukken II 2016/17, 30196, 463. 9 Minister of Economic Affairs letter to the lower house of parliament of 23 June 2016, Kamerstukken II 2015/16, 30196, 463 and Decision of 30 September 2016, no. WJZ /16145098, Kamerstukken II 2016/17, 30196, 480, containing policy rules concerning the application by the ACM of article 6(3) of the Competition Act in the case of ­restrictive agreements with a sustainable goal.

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Minister’s view of the importance of sustainability initiatives. It gave a commitment to the Minister as concerns its enforcement policy: ȤȤ It will not perform any enforcement actions into a socially broadly supported sustainability agreement when all the parties involved (government, companies, NGO’s and social organisations) support the agreement. The ACM believes that in such situation all relevant interests will be protected. ȤȤ Should there be any (negative) signals or complaints about the sustainability agreement, the ACM may start an investigation. ȤȤ The ACM is willing to cooperate and search for quick and effective solutions to issues which arise in the context of sustainability initiatives. It will only impose fines if parties fail to amend agreements to which ACM has objected.10 With these principles in mind, the ACM assessed the Garment and Textile Covenant. 6. Garment and Textile Covenant, 2016 This covenant11 between the Minister for Foreign Trade and Cooperation with Developing Countries, the textile branch, trade unions and social organisations relates to nine topics: discrimination and gender, child labour, forced labour, freedom to form trade associations, livable (minimum) wages, a safe working environment, raw materials, water pollution and use of chemicals and animal welfare. The parties agree to incorporate these themes into their social responsibility policies. Together with their suppliers, they will draw up a plan of action by which they seek to achieve the higher level of welfare foreseen by the covenant. Such plan will then be communicated to the secretariat of the covenant. There is no explicit agreement not to purchase from suppliers which do not comply with minimum conditions in the production of textile. The covenant may however have such effect or at the very least lead to a convergence of behavior, including (as a result of the goal of minimum wages) pricing. In this case, the ACM nevertheless took no action. This may be because there was no concrete, explicit boycott or minimum price agreed or it may reflect the development in policy.

III. Draft Law: Room for Sustainability Initiatives Despite the more flexible approach to sustainability initiatives announced and implemented by the ACM, the Minister has followed the suggestion of the Commission

10 Minister of Economic Affairs letter of 23 June 2016, Kamerstukken II 2015/16, 30196, 463. The ACM subsequently published these principles in its 2016 annual report and on its website: www.acm.nl. 11 Social Economic Council, ‘Covenant on Sustainable Garments and Textile’, 9 March 2016, signed 4 July 2016. Full English version available via the SER’s website: www.ser.nl.

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and proposed new legislation.12 The legislation aims to ensure that sustainability initiatives supported by the government are neither prohibited nor discouraged by competition rules. According to the Explanatory Memorandum, the draft law seeks to facilitate “green cooperative initiatives” by creating the possibility to implement such initiatives as generally binding regulations. It provides that market players can request the relevant minister to adopt a ministerial regulation imposing the measures necessary to achieve sustainable development. The subjects to which such request can relate are broad. There are however procedural requirements to ensure that the initiatives do indeed serve the public interest. 1. Issues the Draft Legislation Aims to Solve The Explanatory Memorandum notes that joint action is required to achieve certain goals, given the importance of scale and the disincentive of the first mover disadvantage. Such joint actions give rise to competition law issues, specifically as a result of the weight given to the interest of the (direct) consumer. On the basis of the current interpretation of competition law, an initiative resulting in a significant advantage to society as a whole but a small disadvantage to the individual consumer of the specific products or services concerned will not benefit from an exemption. This fact discourages sustainable development. 2. Scope of the Draft Legislation The draft legislation provides for regulations in the interests of sustainable development. It defines sustainable development as “development which responds to the demands of today without jeopardising the ability of future generations to meet their own requirements.” It does not further specify nor limit what areas may be suitable for such initiatives but states that further rules will be adopted in this respect. The definition adopted in the draft legislation is that of the United Nations Commission Brundtland of 1987. The Explanatory Memorandum also refers to the seventeen Sustainable Development Goals identified by the United Nations.13 The Explanatory Memorandum notes that all such goals fall within the draft legislation but that this is not a limitative list. Parties may identify other goals which fall under the broad concept of sustainable development. The explicit aim of the legislator is to make the scope of the law as wide as possible.

12 The full text of the draft law and Explanatory Memorandum are available via: www.inter​ netconsultatie.nl/ruimte_voor_duurzaamheidsinitiatieven/details (Dutch only). 13 These include: the fight against poverty; the fight against hunger and facilitating s­ ustainable agriculture; accessible healthcare; equal treatment of men and women; clean water and sanitary facilities for all; accessible and affordable sustainable e­ nergy; facilitating sustainable economic development and growth in employment; sustainable consumption and production; the fight against climate change; sustainable use of the sea; protection of the ecosystem, forests and biodiversity.

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3. Procedure Any interested party – individuals, social organisations or companies – may request the relevant minister to adopt a ministerial regulation. The request must contain the information necessary for the minister to take a decision on the desirability of the proposed regulation. It must specify: ȤȤ the content of the regulation sought; ȤȤ the extent to which the parties concerned by the regulation, including consumers, companies and social organisations and interest groups, support the initiative; ȤȤ the effects of the initiative for sustainable development; ȤȤ the effects on the market; ȤȤ other relevant consequences of the regulation (such as effects on the trading position of a sector or effects on the employment market); and ȤȤ how parties will contribute to the enforcement of the rules (so that the government will not be faced with an unworkable increase in enforcement powers/duties). The minister will refuse to honour a request if: ȤȤ the request does not contain the required information; ȤȤ it would lead to a breach of European or other international law; ȤȤ it would be contrary to existing national law; ȤȤ the subject matter falls under an existing law and a regulation can be made under such law; ȤȤ in the opinion of the minister, there is insufficient public support for such regulation; ȤȤ the regulation would be unenforceable; ȤȤ the subject of the proposed rules should be included in a law rather than ministerial regulation; ȤȤ the negative effects of the requested regulation would outweigh the positive goals. If the relevant minister does not already reject the request on one of the above mentioned grounds, it shall give the ACM the opportunity to advise on the proposed measures. The mandate of the ACM is restricted to a verification of the validity of the statement of the applicants as concerns the potential effects of the initiative on the market (price; quality; choice). The ACM is however not to advise on the desirability of the proposed measures and whether the advantages outweigh the disadvantages. This advisory phase is then followed by a public consultation. Subsequently the minister draws up a regulation, which as a result of the advisory procedure and public consultation may differ from the regulation requested. The minister presents the regulation to parliament. Parliament is in this way informed of and has the last word as concerns the content of the regulation. 118

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IV. Commentary 1. Alternatives to New Law? The Minister of Economic Affairs was reluctant to adopt a new law. The political climate in the Netherlands does not favour new and arguably unnecessary legislation. Sustainable development is seen as a goal which should be achieved by initiatives of citizens and companies rather than determined by government. The Minister has tried to facilitate this by advocating a more flexible interpretation of Article 6(3) of the Dutch Competition Act or by applying the doctrine of inherent restrictions. The Policy Rules of the Minister proposed a wider interpretation of the criteria in 6(3). This met with resistance from both the ACM and the Commission. The ACM found that it was not its role to determine what was for the benefit of society as a whole. In defending the ACM’s unpopular decision relating to the Energy Agreement one of the board members of the ACM pointed out that the ACM had carried out an assessment within the boundaries of the competition law. He added:14 A social assessment is broader, and can compensate the drawbacks for buyers with benefits to others. That requires a political assessment. The government can promote or impose socially desirable results through legislation and regulations. That falls outside the scope of competition law, but is subject to democratic approval. The subsequent reaction of the Commission to the Policy Rule 2016, quoted above, echoed this sentiment and the call for legislation. Both the ACM and the European Commission took the view that EU competition law did not allow for a wider interpretation of the exemption. The Minister therefore considered incorporating the doctrine of inherent restrictions into a new law.15 This would advocate a more flexible approach to the interpretation of what comprises a restriction of competition rather than a wider interpretation of the exemption. As such doctrine is recognised under European competition law the Minister considered that it could provide room for sustainability initiatives. The doctrine is however very casuistic. It is difficult to imagine how the Dutch legislator would have been able to encapsulate this jurisprudence into law. Moreover given the reluctance of the ACM to decide what is socially desirable (or a legitimate goal) it is unlikely that this would in practice have created much room for sustainable initiatives.

14 Henk Don, ‘ACM assesses the closure of power stations under the law’, 25 October 2013. This opinion was first published as an article in the newspaper ‘Financieel D ­ agblad’, This is no longer available. The text is still available via the website of the ACM: www.acm.nl (Dutch only). 15 Minister of Economic Affairs letter to the lower house of parliament relating to c­ ompetition and sustainability, 24 October 2016, Kamerstukken II 2016/17, 30196, 480. Full text available via www.cpb.nl/sites/default/files/omnidownload/kamerbrief-met-­hoofdlijnen-wetsvoor​stel-­ algemene-gelding-duurzaamheidsinitiatieven.pdf (Dutch only).

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The Minister has finally bitten the bullet and proposed a draft law seeking a solution which does not lie in the interpretation or application of the competition rules. It aims to take sustainability initiatives outside of the realms of competition law. However, the  form of the legislation still avoids a leading role for the government and puts a  significant burden on the parties seeking to achieve sustainable development, as discussed below. 2. Draft Legislation a) Conformity with European Law The draft law brings to mind the jurisprudence of the Court of Justice relating to the effet utile doctrine. According to such doctrine Member States contravene EU law if they introduce or maintain in force measures, even of a legislative nature, which may render ineffective the competition rules applicable to undertakings. Such would be the case in two circumstances and specifically where a member state: (i) requires or favours the adoption of agreements, decisions or concerted practices contrary to the prohibition of restrictive agreements or reinforces the effects of illegal agreements or practices; (ii) deprives its own legislation of its official character by delegating to private traders responsibility for taking decisions affecting the economic sphere.16 As the relevant minister and the parliament decide on the ultimate form and content of the regulation, the law will, on the basis of consistent jurisprudence of the European Courts, not be considered to provide for a delegation of powers to the private sector.17 This conclusion is based on the assumption that the role of the minister and the parliament is materially relevant and not a mere rubber-stamp. There does however seem to be a danger that in preparing their request for a ministerial regulation, the parties concerned will already make agreements or be engaged in concerted practices which breach the competition rules. Particularly given the very low threshold for qualification as a concerted practice (merely requiring concertation, for example in the form of the exchange of commercially sensitive information, between parties which remain on the market and causality, which is presumed to be present18) this risk is very real. The preparation of the application which requires significant information on the market is potentially a minefield. Arguably the ministerial regulation would then reinforce the illegal practices contrary to the effet utile doctrine. A further potential danger is that proposed measures could impede the free movement, particularly of goods. If this is the case then the relevant minister may not adopt such measures unless the restriction is justified on grounds set out in Article 36 of the 16 Van Eycke v ASPA (C-267/86) [1988] ECR 04769, para. 16. 17 Joined cases Cipolla and others (C-94/04 and C-202/04) [2006] ECR I-11421. 18 Hüls v Commission (C-119/92 P) [1999] ECR I-04287, paras. 161-3. T-Mobile Netherlands and others (C-8/08)[2009] ECR I-04529, para. 51.

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TFEU19 or by the “rule of reason” doctrine. The restriction must also be necessary, proportionate and non-discriminatory. The assessment of compliance with these criteria is likely to delay the adoption of ministerial regulations. It may limit the number of applications. b) Will the Law in Practice Lead to a Wide Range of Sustainability Initiatives? The scope of the draft legislation is in principle very wide and at this stage not explicitly limited. The government has qualified the draft legislation as “future proof ” law.20 It is intended to allow for the relatively rapid adoption of regulation reflecting changes in society and public interest. The reference in the Explanatory Memorandum to the diverse UN Sustainable Development Goals is however in a footnote.21 The examples given in the text of the Explanatory Memorandum are much more limited, relating to the environment, energy, agriculture and nature. Measures to fight climate change and global warming are given special attention. This is perhaps understandable given the obligation of the Dutch government to meet its commitments in the context of the Paris Agreement. The Explanatory Memorandum reads like a (gentle) call to arms to assist the government in this respect. Which other sustainable goals will lead to regulation will depend on companies and citizens. The law responds to and requires participation from society. The administrative burden in preparing a file with all the information which the minister requires to take a decision is significant. The legislator refers to a Guide for carrying out a social costs-benefits analysis.22 Such Guide numbers 192 pages. If parties need to make such analysis in order to give a picture of the relevant effects of a plan, this could still be a barrier to socially desirable initiatives. Moreover the law requires the initiating parties to provide suggestions for selfenforcement, again itself taking a back seat and expecting society to bear at least part of the burden. c) What Weight Should Be Given to the Opinion of Stakeholders? The opinion of stakeholders, including consumers and companies, will be taken into account by the relevant minister. The question is whether this is justified and will lead to the right result.

19 Article 36 provides: The provisions of Articles 34 and 35 shall not preclude prohibitions or restrictions on imports, exports or goods in transit justified on grounds of public m ­ orality, public policy or public security; the protection of health and life of humans, animals or plants; the protection of national treasures possessing artistic, historic or ­archaeological value; or the protection of industrial and commercial property. 20 Concept Explanatory Memorandum, p. 1. The full text of the concept of the Explanatory ­Memorandum is available via www.internetconsultatie.nl/ruimte_voor_duurzaam​heidsini​ tiatieven/details (Dutch only). 21 Concept Explanatory Memorandum, p. 8. 22 G. Romijn & G. Renes, Algemene leidraad voor maatschappelijke kosten-batenanalyse, The Hague: CPB/PBL 2013.

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In the Chicken of Tomorrow case, the opinion of consumers played an important role. The initiative caught the public imagination but not enough to trigger consumers to dig deeper into their pockets. The unwillingness of consumers to pay for the better living conditions of chickens was, in the eyes of the ACM, a decisive factor in the competition law assessment of the proposed agreement seeking to achieve such goal. Chris Fonteijn, at that time the chairman of the board of the ACM, stated in a press release relating to the case, that more could be done by parties with sustainable goals to publicize their goals.23 He suggested that with more information more consumers would choose the sustainable option. He concluded that a boycott of non-sustainable chicken was therefore not necessary. Such a conclusion seems to contradict the outcome of the ACM’s own study as to willingness to pay, unless the study is based on the views of consumers which are insufficiently informed. And if consumers are insufficiently informed, is their willingness to pay the right test? Should the advantage to the consumer not be more objective? The same danger is apparent with the draft legislation which again refers to the willingness of consumers to pay and the interests of companies. Professor Maarten Pieter Schinkel, in his reaction to the draft,24 suggested that support from the companies affected by the initiative should not be expected. He suggests that part of good government is taking measures which, although they may be detrimental to one group, are for the good of the society as a whole. He also noted that if such detriment needs to be compensated then the government should be able to do so out of the (future) benefits of the agreement. d) Will the Regulations Be Effective? A minister can impose period penalty payments in order to enforce compliance with the provisions of a regulation. He or she can also fine parties. The maximum fine is EURO 82,000. The reason for such a low amount is the fact that the ministerial regulation is not a governmental but a private initiative. Such amount and the periodic penalties may not be an effective deterrent for companies. This will depend on the extent to which such companies are able to profit from non-compliance. 3. Choice Facing Socially Committed Parties If the draft becomes law there will, at least in theory, be two options for parties seeking to achieve sustainable goals. They can either seek to have the initiative embodied in a ministerial regulation, as provided for in the law (the ‘legal option’) or they can 23 ACM, ‘Industry-wide arrangements for the so-called Chicken of Tomorrow restricts ­competition’, 26 January 2015. Full English version available via the ACM’s website: www. acm.nl. 24 Professor M.P. Schinkel letter regarding response to consultation on the draft law room for sustainability initiatives, 28 June 2017. Available via: www.internetconsultatie.nl/ruimte_ voor_duurzaamheidsinitiatieven/reacties (Dutch only).

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conclude agreements and rely on the ACM’s stated policy of turning a blind eye. The question is, however, whether the second option is attractive. a) Administrative Burden In theory if the parties choose to rely on the ACM’s stated policy, they will not have any procedural obligations. They will not be required to put together a file of information allowing for an assessment of their initiative, as required by the legal option. They will not even need to inform the ACM. In practice, however, the parties are likely to carry out an assessment, at least a ‘quick scan’, of whether the initiative gives rise to competition law issues. They will therefore also look at the potential effects on the market. The time saving of choosing the ‘blind eye’ option may therefore be limited. b) Stakeholder Support Moreover although the legal option will require public support of the initiative, the draft legislation does not specify how wide such support needs to be. This is a conscious choice. The Explanatory Memorandum states that given the differences in initiatives and sectors concerned it is not possible to quantify the level of support which would be sufficient. It then provides an example where a high percentage of support effectively equates to support of the market leaders and not the smaller companies. This would, according to the legislator, be undesirable. Moreover, consumer interest does not equate to a veto as has been the case under the competition rules (specifically given the weight given to consumers’ willingness to pay). Parties which wish to benefit from the blind eye of the ACM require broad, if not total support from the parties concerned. If there is a (single) complaint, the ACM may assess the initiative under the competition rules which, as discussed above, do not provide much room for joint sustainability initiatives. c) Material Assessment In making a material assessment the ACM feels that it is restrained by the straight jacket of the criteria for exemption from the competition law prohibition. It has shown itself to be reluctant to apply the doctrine of inherent restrictions as it sees this as politically charged and also potentially contrary to EU competition law. The minister, in its assessment under the new law, will have much more room for discretion and will run little risk of conflict with the European competition rules,25 allowing it to take account of the general interest.

25 Assuming that the regulation does not seek to legitimise an existing anti-competitive ­agreement contrary to the effet utile.

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4. Would the Chicken of Tomorrow Agreement and the Energy Agreement Have Been Possible under the New Policy of ACM or the Draft Legislation? The Minister of Economic Affairs and ACM have evidently tried to encourage sustainability initiatives within the boundaries imposed by EU and or national law. The question which arises is whether the solutions currently on the table would have saved the Energy Agreement and the Chicken of Tomorrow. a) ACM turning a Blind Eye As long as nobody complained about the removal of non-compliant chicken from supermarket shelves or the closure of old power plants, neither initiative is likely to have been investigated by ACM under its new policy. However complaints could not be ruled out. The Chicken of Tomorrow Agreement would have had a direct effect on the producers of non-compliant chicken. Consumer organisations could also be expected to complain about the increased cost of energy. Consequently the ACM is likely to have had to assess and require amendments to both agreements despite its blind-eye approach. b) Minister Adopting Regulation In deciding whether to adopt regulations allowing for the two initiatives the relevant minister would have to decide: (i) whether the goal of each initiative is sustainable development (ii) whether there were grounds ruling out the adoption of a regulation and (iii) whether the positive effects outweigh the negative effects. As concerns the Energy Agreement the closure of power stations had the goal of reducing CO2 emissions and combating climate change. This is one of the UN Sustainability Goals. However the closure potentially falls under one of the grounds excluding a regulation and specifically the existence of other, more appropriate legislation under which a regulation can be adopted. The closure has now been achieved through regulation adopted on the basis of environmental legislation.26 The new law was not necessary and would potentially not have helped to achieve the goal. As concerns the Chicken of Tomorrow, animal welfare is not one of the UN Sustainability Goals. The agreement could be seen as a step towards sustainable agriculture, which is a recognised goal. Chicken is traded across borders. The Chicken of Tomorrow initiative would therefore lead to a restriction of trade. However, this would potentially be justified by the goal of animal welfare, a goal identified in article 36 TFEU as justifying trade restrictions. The parties would have to inform the minister whether the initiative had sufficient support both from consumers and other market players, including farmers applying different standards. Again in this case the parties failed to convince the ACM of the benefits of the agreement for consumers. The ACM did its own study. The draft law does not suggest that the ACM should investigate the 26 Specifically, ‘Actviteitenbesluit mileubeheer’, available via http://wetten.overheid.nl/BWBR​ 0022762/2018-01-01 (Dutch only).

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market, merely that it should assess the validity of the information provided by the parties. It remains to be seen whether, if this legislation is adopted, the ACM will do its own study to verify the validity of the arguments of the parties. In that case the ACM would be likely again to point out the unwillingness of consumers to pay for the increased welfare of chickens. The minister would itself have to decide whether such increased welfare was of value to society. Given that this case was a catalyst for the new legislation, and assuming that those behind this initiative could supply the minister with the information required for a request, I suggest that the minister would be likely to approve this initiative.

V. Concluding Remarks This is a very Dutch saga. The Dutch government wishes to encourage sustainable development. However instead of taking the initiative it looks to Dutch society to identify which measures are desirable. This reflects the Dutch ideal of social participation and social responsibility. It has advantages. Regulation will only be adopted where there are competition law risks, with the effect that there will be less (unnecessary) regulation. The initiatives which will be taken will be important to at least part of the Dutch public. This decentralized approach to sustainable development also has disadvantages. There will be no question of a coordinated approach with clearly established priorities. Moreover there is a very real danger that the number of initiatives which will be raised by companies and individuals will be limited. The need to provide a social cost-benefits analysis with a request for a ministerial regulation is a significant barrier. The parties supporting the Energy Agreement and the Chicken of Tomorrow Agreement were all unable to convince the ACM of the benefits of the agreements. The ACM carried out its own studies of the effects. How realistic is it to expect that good intentioned citizens will be able to gather the information and carry out the analysis required by the draft legislation? My suggestion is that there is a role in the future for competition lawyers to support such initiatives. The draft legislation may take the initiatives outside the scope of competition law but the  procedure through which this is achieved requires the presentation of the views of stakeholders and thorough market analysis. Skills of competition lawyers (and economists) shall clearly be invaluable. Which brings me back to Dirk. During his years in competition, Dirk has seen many developments in competition law and in the role of the competition lawyer. He has embraced such changes and adapted accordingly. He has coached many trainees who are now sharing his enthusiasm in the practice, including me. You could say that Dirk epitomises of sustainable development in competition law.

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Zentralvermarktung von Medienrechten – der Fußball heiligt alle Mittel? I. Allgemeines zur Zentralvermarktung von Medienrechten II. Entscheidung vom 11.4.2016 III. Einzelfragen 1. Relevanter Markt

2. Freistellungsvoraussetzungen a) Effizienzen b) Unerlässlichkeit c) Verbraucherbeteiligung d) Ausschaltung von Wettbewerb 3. Verfahren IV. Fazit und Ausblick

Am 11.4.20161 hat das Bundeskartellamt erneut über die zentrale Vermarktung der Medienrechte in der Bundesliga ab der Spielsaison 2017/2018 entschieden und das Verfahren gegen den Ligaverband und die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) nach §  32b GWB gegen die Abgabe von Verpflichtungszusagen eingestellt. Zu den Verpflichtungszusagen gehört erstmals in Deutschland auch ein Alleinerwerbsverbot („no single-buyer rule“). Dadurch wird kein einzelner Bieter mehr alleiniger Rechteinhaber für alle Live-Spiele der Bundesliga sein. In ihrem XXI. Hauptgutachten kritisierte die Monopolkommission die Entscheidung unter verschiedenen Aspekten.2 Die Beschwerde von Sky gegen die Kartellamtsentscheidung wurde vom OLG Düsseldorf am 24.5.2017 als unzulässig verworfen.3 Es fehle am Fortsetzungsfeststellungsinteresse und der materiellen Beschwer. Die Verpflichtungszusagen gelten bis zur Spielsaison 2020/2021. Was kommt danach?

I. Allgemeines zur Zentralvermarktung von Medienrechten Für die Verwertung von Rechten an Sportveranstaltungen (dazu gehören Fernseh-, Radio- und Internetrechte wie OTT (over the top content4 und IPTV) gibt es unterschiedliche Modelle. Diese umfassen verschiedene Variable wie etwa das Vermarktungsobjekt (die Veranstaltung), das Vermarktungssubjekt bzw. den Anbieter der Rechte (also zum Beispiel den Sportler, Verein oder Verband) und den Zeitfaktor (etwa einmalige oder wiederkehrende Vermarkung über eine bestimmte Dauer sowie

1 Az. B6-32/15. 2 Dazu Heermann, WuW 2017, 312 ff. 3 Beschluss v. 24.5.2017 – VI-Kart 6/16. 4 Dies betrifft den Verkauf von Video- und Audioinhalten über Internetzugänge.

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Live-Rechte und nachfolgende Verwertungsrechte).5 Bei Fußballveranstaltungen hat sich in fast allen Ländern in der Praxis die zentrale Vermarktung durch den Verband durchgesetzt, in dem die Fußballclubs zusammengeschlossen sind. Dabei werden Medienrechte von dem Verband für einen längeren Zeitraum exklusiv gegen Zahlung eines Entgelts an Unternehmen vergeben, welche die Rechte verwerten dürfen. In der Regel wird dabei zwischen verschiedenen zeitlichen Auswertungsstufen und -formen wie Live-Rechten, Erstverwertungsrechten, Zweitverwertungsrechten, Nachverwertungsrechten und nachrichtlichen Berichterstattungsrechten unterschieden.6 Mit der Zentralvermarktung von Medienrechten haben sich sowohl das Bundeskartellamt als auch die Kommission mehrfach befasst.7 Die erste Entscheidung ist die Freistellung des Vermarktungsmodells der UEFA Champions League durch die Kommission aus dem Jahr 2003.8 Schon damals klangen einige kritische Töne durch. Die Kommission gab dennoch grünes Licht, nachdem die von der UEFA in Anspruch genommene Exklusivität der Vermarktung zugunsten der Vereine gelockert wurde. Auch das erste die deutsche Bundesliga betreffende Verwaltungsverfahren wurde von der Kommission geführt, mündete jedoch anders als der UEFA-Fall, der noch vor Inkrafttreten der VO 1/2003 abgeschlossen und förmlich freigestellt wurde, in einer Zusagenentscheidung.9 Die nachfolgenden Bundesliga-Verfahren führte das Bundeskartellamt. Das ursprüngliche Modell wurde vom Kartellamt im Jahr 2008 abgelehnt10 und von der DFL daraufhin modifiziert. Problempunkt war die Highlight-Berichterstattung im Free TV, die nach Auffassung des Amtes samstags vor 20 stattfinden musste, um die Marktposition des erfolgreichen Pay-TV-Bieters zu begrenzen.11 Die DFL passte das Modell an, und das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.12 Die Beschwerde der DFL gegen die angekündigte Untersagung wies das OLG Düsseldorf als unzulässig zurück.13 Die nachfolgenden Entscheidungen des Bundeskartellamts 2012 und 2016 waren Zusagenentscheidungen nach §  32b GWB.14 Erstmals 2016 gab es ein ­Alleinerwerbsverbot. 2012 hielt das Amt ein Alleinerwerbsverbot noch nicht für erforderlich,15 und auch in der Kommissionsentscheidung von 2005 ist hiervon nicht

5 Vgl. Hellmann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 88. Lieferung, März 2017, Sonderbereiche Sport, Rz. 19. 6 Vgl. Hellmann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 88. Lieferung, März 2017, Sonderbereiche Sport, Rz. 19. 7 Vgl. die Übersicht bei Hellmann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 88. Lieferung, März 2017, Sonderbereiche Sport, Rz. 117 ff. 8 Kommission, Entscheidung v. 23.7.2003, ABl. L 291 v. 8.11.2003, S. 25 ff. – Gemeinsame Vermarktung der gewerblichen Rechte an der UEFA Champions League, Rz. 131. 9 Entscheidung der Kommission v. 19.1.2005 – Gemeinsame Vermarktung der Medien­rechte an der deutschen Bundesliga. 10 Pressemitteilung des Bundeskartellamts v. 24.7.2007. 11 Tätigkeitsbericht 2007/2008, BT-Drucks. 16/13500, S. 156 f. 12 Pressemitteilung des Bundeskartellamts v. 12.12.2008; Tätigkeitsbericht 2007/2008, BTDrucks. 16/13500, S. 156 f. 13 Beschluss v. 16.9.2009 – VI Kart 1/09 (V) – DFL-Vermarktungsrechte, WuW/E DE-R 2755. 14 Beschluss v. 12.1.2012 – B6-114/10; Beschluss v. 11.4.2016 – B6-32/15. 15 Beschluss v. 12.1.2012 – B6-114/10, Rz. 102.

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die Rede. Ein Alleinerwerbsverbot findet sich dagegen in den Kommissionsentscheidungen zur FA Premier League.16

II. Entscheidung vom 11.4.2016 Die Zusagenentscheidung vom 11.4.2016 bezieht sich auf die Vergabe von Medienrechten an der Bundesliga und 2. Bundesliga. Adressaten sind der Ligaverband und die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL). Dem Ligaverband gehören alle Clubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga an. Ihm steht satzungsmäßig und vertraglich die ausschließliche Vermarktung der audiovisuellen Live-Medienrechte zu. Die einzelnen Clubs verfügen lediglich über nachrangige zeitversetzte Vermarktungsrechte. Die Durchführung der Vermarktung erfolgt durch die DFL, die das operative Geschäft des Ligaverbandes wahrnimmt. Ausgangspunkt der Zusagenentscheidung vom 11.4.2016 ist die Feststellung des Bundeskartellamts, die zentrale Vermarktung der Medienrechte durch den Ligaverband und die DFL stelle eine Wettbewerbsbeschränkung dar. Betroffen sei zum einen der Markt für nationale Medienrechte an ganzjährig ausgetragenen Fußballwettbewerben, an denen die Vereine der Bundesliga und der 2. Bundesliga teilnehmen.17 Zum anderen gehe es um den Markt für audiovisuelle Bezahlangebote für Fußballspiele der Bundesliga und 2. Bundesliga.18 Da die Clubs nach der Marktabgrenzung des Kartellamts keine Wettbewerber sind, stellt der gemeinsame Vertrieb der Rechte mit gemeinsamer Preisfestlegung und Innenausgleich aus Kartellamtssicht keine bezweckte horizontale Kernbeschränkung dar.19 Auch bei einer einzelnen Vermarktung durch die Clubs sei ein Mindestmaß an Koordinierung erforderlich, da jeweils auch die Auswärtsspiele der Vereine Teil eines marktgängigen Produkt sein müssten. Das Bundeskartellamt sieht eine schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung in der Zentralvermarktung durch Ligaverband und DFL, da ein Anbieter mit einem Quasi-Monopol oder zumindest erheblicher Marktmacht geschaffen werde.20 Diese Position ermögliche „über die Ausgestaltung des Vermarktungsmodells die Beschränkung des Zugangs zu den Rechten durch Verknappung des Rechteangebots sowie die Abschottung der nachgelagerten Märkte, insbesondere eines Marktes für audiovisuelle Bezahlangebote von Spielen der Bundesliga und der 2. Fußball-Bundesliga, indem die Marktzutrittsmöglichkeiten von Rechteerwerbern durch Ermöglichung eines Alleinerwerbs der Live-Rechte und Ausschöpfung der maximalen Zahlungsbereitschaft des Erwerbers beschränkt werden.“21 Von Free-TV-Angeboten gehe bei dem bis da16 Europäische Kommission, Zusagenentscheidung v. 22.3.2006 – Joint selling of the media rights to the FA Premier League, Rz. 32, 36; ebenso schon die Vereinbarung mit FA Premier League und BSkyB 2003, s. Pressemitteilung der Kommission v. 16.12.2003, IP/03/1748. 17 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 86. 18 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 87. 19 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 107. 20 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 109. 21 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 110.

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hin geltenden Alleinerwerbsrecht eines Pay-TV-Veranstalters (Sky) für die Live-Berichterstattung kein hinreichender Innovationswettbewerb aus. Das Vermarktungsmodell des Ligaverbandes und der DFL musste jedoch angepasst werden, um kartellrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen. Unter anderem haben Ligaverband und DFL in ihre Verpflichtungszusagen erstmals ein Alleinerwerbsverbot aufgenommen, wonach die wesentlichen Live-Rechte nicht von einem Bieter allein erworben werden dürfen, sondern ein hinreichend substanzieller Teil der Live-Rechte an einen zweiten Bieter vergeben werden soll. Wie bisher wurden Pakete für Free-TV (einschließlich Live-Rechten), die Highlight-Berichterstattung und OTT-Pakete vergeben. Das Alleinerwerbsverbot erstreckt sich auch auf die OTT-Pakete. Der Erwerber der wesentlichen Live-Rechte ist vom Erwerb der OTT-Rechte ausgeschlossen. Die Zusagen erlauben auch eine Sublizenzierung, so dass bei dem Erwerb der Pakete durch verschiedene Bieter die Angebote für den Endkunden wieder zusammengeführt werden können. So gingen die Live-Rechte in der Ausschreibung nicht nur an Sky, sondern es wurde ein Paket an Discovery (Eurosport) vergeben. Zu der erwarteten Kooperation zwischen Sky und Discovery kam es allerdings nicht, so dass Endkunden doch zwei Abonnements brauchen, um alle Spiele zu sehen. Discovery ging eine Kooperation mit HD Plus ein. Da das Bundeskartellamt nur eine vorläufige Prüfung durchgeführt hat, hat es nicht abschließend über die Einzelheiten der juristischen Beurteilung entschieden. „Die verbleibenden Beschränkungswirkungen der Zentralvermarktung, die sich in dem zugesagten Vermarktungsmodell realisieren, erscheinen als von der Freistellung […] gedeckt.“22 Im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sehe die Beschlussabteilung davon ab, diese Frage abschließend zu beurteilen. Die Monopolkommission hat sich die Entscheidung des Bundeskartellamts vorgeknöpft und unter verschiedenen Aspekten kritisiert, die erwogen werden sollten, wenn die Zentralvermarktung ab der Bundesligasaison 2022/2023 erneut auf dem Prüfstand steht.

III. Einzelfragen Die von der Zentralvermarktung aufgeworfenen Fragen sind juristisch und ökonomisch vielschichtig. Nicht alle Aspekte können hier beleuchtet werden. 1. Relevanter Markt Das Bundeskartellamt geht von einem Markt für nationale Medienrechte an ganzjährig übertragenen Fußballwettbewerben der Bundesliga und 2. Bundesliga aus.23 In diesem Zusammenhang stellen sich verschiedene Fragen wie Fußball versus andere Sportereignisse bzw. allgemein Premium-Content oder die Frage, ob zwischen Free22 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 136. 23 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 86 ff.

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und Pay-Angeboten, Live- oder Highlight-Berichterstattung zu unterscheiden ist, was das Bundeskartellamt in seiner vorläufigen Prüfung verneint. Zum anderen geht es um einen nachgelagerten Markt für Pay-TV, wobei sich die Frage einer weiteren Unterteilung nach Content stellt (insbesondere Live-Übertragung der Fußballbundesliga als relevanter Markt). Hier kritisiert die Monopolkommission unvollständige Ermittlungen infolge der gewählten Verfahrensart, die letztlich die Abgrenzungsfragen offenlassen kann. Die Art und Weise und der Inhalt der Rechtevergabe dürften Rückwirkungen auf die Marktabgrenzung und Marktstruktur haben, so etwa die Zusammenstellung der Pakete für Free-TV, Pay-TV und OTT oder der Umstand, dass eine zentrale Vergabe von Rechten zu einem einheitlichen Zeitpunkt vorgesehen ist. Zu Recht weist die Monopolkommission darauf hin, dass Medienanbieter verschiedener Übertragungswege sich wechselseitig im Wettbewerb disziplinieren können, um maximalen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen.24 Die Nachfrage des Endkunden spielt bei dem gegenwärtigen Vermarktungsmodell jedoch so gut wie keine Rolle, denn Endkunden haben auf das Angebot und den Zuschnitt der Rechtepakete keinen Einfluss. Sie müssen sich mit dem Ergebnis der Rechtevergabe abfinden. Wenn sie unzufrieden sind, wirkt sich dies bestenfalls auf die darauffolgende Rechtevergabe aus. Die Exklusivität hat zur Folge, dass der Wettbewerb überwiegend es ante vor der Zuschlagserteilung stattfindet sowie in begrenztem Umfang zwischen den Medien. Das Auktionsergebnis hängt von der Bewertung der Pakete im Hinblick auf die Einnahmechancen durch den Bieter ab. 2. Freistellungsvoraussetzungen Bundeskartellamt und Monopolkommission haben sich mit den Meca-Medina-Kriterien des EuGH nicht näher befasst, sondern nur mit den Voraussetzungen einer Freistellung des Vermarktungsmodells nach Art. 101 Abs. 3 AEUV. Nach dem Urteil Meca-Medina des EuGH gibt es für Verbandssatzungen im Bereich des Sports eine tatbestandsimmanente Ausnahme von der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV, soweit die Satzungen die Organisation und ordnungsgemäße Durchführung des Wettkampfsports betreffen, hierfür notwendig und verhältnismäßig sind.25 Hierzu stellt die Monopolkommission fest: „Die Zentralvermarktung von Übertragungsrechten steht aber weder in unmittelbarem Zusammenhang speziell mit der Durchführung von Fußballspielen, noch ist sie hierfür notwendig.“26 Vielmehr geht es allein um die wirtschaftliche Verwertung des Sports. Also greift keine Ausnahme von der Anwendung des Kartellverbots ein. Nach Auffassung des Bundeskartellamts erscheinen „die verbleibenden Beschränkungswirkungen […] als von der Freistellung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 2 GWB

24 XXI. Hauptgutachten, Rz. 382. 25 Urteil v. 18.7.2006  – C-519/04 P  – Meca-Medina und Majcen/Kommission, WuW/E EU-R 1493; dazu Heermann, WuW 2009, 294. 26 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 419.

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gedeckt.“ „Im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens“ sehe „die Beschlussabteilung daher davon ab, diese Frage abschließend zu beurteilen“.27 a) Effizienzen Wie schon bisher geht das Bundeskartellamt davon aus, dass die Zentralvermarktung zu Effizienzen führt.28 Diese dürften vornehmlich in der Bündelung der Rechte liegen. Die Vermarktung von Paketen beim Verband sei effizienter als eine Einzelvermarktung von Spielen durch die Clubs.29 Bieter erhielten vollständige und kommerziell nutzbare Rechtepakete ohne Unsicherheiten bezüglich der Rechtezuordnung.30 Medienunternehmen müssten anderenfalls allein für die Bundesliga mit 18 verschiedenen Clubs verhandeln. Der Rechteanbieter könne bei einer einheitlichen Vermarktung passende Pakete zuschneiden. Vorteile der Bündelung resultierten aus der Wahrung der Zuschauerpräferenzen und der Qualität des Produkts (Qualität der Berichterstattung, Umfang der Berichterstattung, Angebot beliebter Formen der Berichterstattung).31 Die Summe der Spiele aus einer Hand hat – so auch die Monopolkommission – tendenziell einen höheren Geldwert als die zusammengerechneten Einzelspiele.32 Zudem sei mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mit einer vollständigen Verwertung der Rechte zu rechnen. Dadurch könne die Zahlungsbereitschaft der Endkunden maximal ausgenutzt werden.33 Fixe Produktionskosten der Programmgestaltung verteilten sich auf mehrere Spiele.34 Die Begründung ist insofern bemerkenswert, als der Umstand, dass der Rechteerwerb durch die Zentralvermarktung teurer wird, als Effizienz gesehen wird.35 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die zusätzlichen Einnahmen dem Fußball zugutekommen. Preiserhöhungen infolge einer Wettbewerbsbeschränkung sind jedoch grundsätzlich wettbewerbswidrig und müssen im Gegenteil durch Effizienzen und deren Weitergabe an den Verbraucher ausgeglichen werden.36 Sie können wohl kaum selbst als Effizienzen betrachtet werden.37 Die Monopolkommission führt aus, dass bei strenger Anwendung der Wettbewerbsregeln die finanzielle Basis der Vereine geschwächt würde. So könnten „isolierte Entscheidungen einer nationalen Wettbewerbsbehörde Rückwirkungen auf den Kauf 27 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 136. 28 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 138 ff. 29 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 140; vgl. schon Bundeskartellamt, Beschluss v. 12.2.2012 – B6114/10, Rz. 59 ff. 30 Vgl. Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 427. 31 Beschluss v. 12.2.2012, Rz. 59 ff. 32 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 429. 33 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 429. 34 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 429. 35 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 429, 433. 36 Vgl. Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, Rz. 102. 37 Vgl. Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, Rz. 104.

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von Spielern auf dem internationalen Spielermarkt und damit im internationalen sportlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Vereine haben“.38 Dies ist eine dem Art. 101 Abs. 3 AEUV fremde Argumentation. Es handelt sich um eine wirtschaftspolitische Erwägung, die man beispielsweise bei der Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle findet. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Bündelung von Spielen zu einem einheitlichen Produkt einen solchen Vorteil darstellt, dass dieser die hohen Kosten für den Rechteerwerber und mittelbar den Endkunden rechtfertigt. Faktisch sind die Kosten für den Zuschauer gestiegen – durch steigende Abonnementpreise und ausgerechnet dadurch, dass Kunden mit einem einzigen Abonnement nicht mehr alle Spiele bekommen. b) Unerlässlichkeit Hinsichtlich der Unerlässlichkeit heißt es in der Entscheidung vom 11.4.2016: „Dabei geht die Beschlussabteilung wie bisher im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens grundsätzlich davon aus, dass insbesondere die verbleibende Exklusivität der Ligaprodukte gegenüber der Vermarktung eigener Vereinsprodukten durch die Vereine mit hoher Wahrscheinlichkeit unerlässlich für das Erreichen der Effizienzen ist, da eine parallele (koordinierte) Einzelvermarktung durch die Vereine die Auswertung von ligabezogenen Rechtepaketen erheblich erschweren könnte und eine umfassende Berichterstattung über alle Spiele auf allen Verbreitungswegen dadurch in Gefahr geriete.“39 Jedoch bezieht sich „Ermessen“ nur auf die Rechtsfolgenseite, nicht auf die Tatsachenfeststellung, die bei einer Zusagenentscheidung nur auf vorläufiger Grundlage getroffen wird, einer der Kritikpunkte der Monopolkommission.40 Der Zuschnitt der Pakete, die Befristung und die Ausschreibung sind Elemente, welche die mit der Zentralvergabe der Medienrechte einhergehenden Beschränkungen abmildern.41 Die Exklusivität erhöht die Einnahmen des erfolgreichen Bieters, aber auch die Kosten für den Endverbraucher. Vielfach lässt sich Exklusivität damit als unerlässlich rechtfertigen, dass sie größere Planungssicherheit und damit größere Investitionen ermöglicht. Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob dafür nicht Co-Exklusivität ausreicht, etwa wenn es parallel zwei Erwerber derselben Rechtepakete gäbe. Trifft die Theorie von Kartellamt und Monopolkommission zu, würden diese in Summe jedoch weniger für den Rechteerwerb zahlen. Die Allein-Exklusivität hat das einzige Ziel der Gewinnmaximierung für die Liga und die DFL und drückt entsprechend die Kosten für den erfolgreichen Bieter in die Höhe. Im Falle der Co-Exklusivität würden sich die Erwerber nicht nur vor, sondern auch nach der Vergabe der Rechte Wettbewerb machen – etwa über Preise oder die Qualität des Content. Dieser Wettbewerb 38 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 459. 39 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 146. 40 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 471 ff.; zu den praktischen Problemen, die mit Zusagenentscheidungen verbunden sind, s. auch Bergmann, WuW 2014, 467. 41 Vgl. dazu schon Europäische Kommission, Zusagenentscheidung v. 22.3.2006  – Joint ­selling of the media rights to the FA Premier League, Rz.  32, 36; ebenso schon die Ver­ einbarung mit FA Premier League und BSkyB 2003, s. Pressemitteilung der Kommission v. 16.12.2003, IP/03/1748.

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findet derzeit praktisch ausschließlich zwischen den verschiedenen Verwertungsarten und Paketen statt. Fans eines einzigen Clubs müssen weiterhin das Liga-Produktbündel kaufen, um Spiele ihres Clubs live zu sehen. Nach den Regeln des Ligaverbandes haben sie lediglich das Recht zur nicht exklusiven zeitversetzten Verwertung und Nachverwertung der Heimspiele und Auswärtsspiele. Die Verwertungsrechte der Clubs waren nicht Gegenstand der Zusagenentscheidungen, sondern wurden nur am Rande thematisiert. In der Entscheidung von 2012 heißt es dazu: „Angesichts dieser Ergebnisse ihrer Marktbefragung […] hat die Beschlussabteilung keinen Anlass gesehen, die Frage der Unerlässlichkeit im Hinblick auf den weitgehenden Ausschluss einer parallelen Vermarktung durch die Vereine noch weitgehender zu ermitteln und abschließend zu beurteilen. Sie hat den Beteiligten in ihrer Mitteilung vom 11.8.2011 dazu aufgefordert, die bei den einzelnen Vereinen verbleibenden Rechte und deren Verwertungsmodalitäten zu definieren. Dem sind die Beteiligten in den anliegenden Verpflichtungszusagen (Punkt 7) nachgekommen, wobei sie sich auch dazu verpflichten, die Verwertungsrechte der Vereine für die Laufzeit der abzuschließenden Verwertungsverträge nicht erheblich zu mindern.“42 Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein so großer Einschnitt in den Vermarkungsmöglichkeiten der Clubs erforderlich, verhältnismäßig und verbrauchergerecht ist. Der Bildung von Paketen durch den Zentralvermarkter stehen parallele Vermarktungsrechte der Clubs nicht entgegen. Allenfalls mindern sie die Einnahmemöglichkeiten des Paketerwerbers, soweit manche Endkunden nur an einem bestimmten Club interessiert sind und somit kein Gesamtabonnement beziehen. Wie sich das monetär auswirkt, wurde nicht näher untersucht. c) Verbraucherbeteiligung Die Verbraucherbeteiligung an den Effizienzen soll dem Bundeskartellamt zufolge in einer Qualitätsverbesserung durch die Produktbündelung bestehen. An dieser Stelle thematisiert das Bundeskartellamt auch das Alleinerwerbsverbot.43 Es geht um das Risiko, dass die Bundesliga auf mehrere Anbieter mit mehreren Infrastrukturen aufgeteilt wird. Dieses werde durch die Ausgestaltung des Alleinerwerbsverbots weitgehend verhindert, da es Pakete betreffe, die jedes für sich ein ligabezogenes Produkt ermöglichten. Auch bei einer Aufteilung der Live-Berichterstattung sei nicht zwangsläufig zu befürchten, dass Endkunden mehrere Abonnements abschließen müssten, da eine Zusammenführung der Rechte etwa durch Sublizenzierung an Infrastrukturen nicht unwahrscheinlich sei.44 Diese ist nun aber gerade nicht eingetreten. Ein Vorteil für den Endkunden aufgrund des Alleinerwerbsverbots ist nicht zu erkennen. Die Sublizenzierung geht überdies, wie die Monopolkommission zutreffend betont, mit der Gefahr einer wettbewerbsfeindlichen Abstimmung auf dem Übertragungsmarkt 42 Beschluss v. 12.1.2012, Rz. 76 f.; in den Zusagen der 2016er-Entscheidung findet sich ein ähnlicher Passus in Punkt 8; ansonsten geht die Entscheidung auf die Eigenvermarktungsmöglichkeiten nicht ein. 43 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 151 ff. 44 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 154.

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einher (Kollusionsrisko).45 Das Verbot des „Single Buyer“ erhöht jedoch den Ex-ante-Wettbewerb um Rechte und sorgt zudem dafür, dass für dieselbe Verwertungsart mehr als ein Anbieter im Markt bleibt. Dies erhöht den Ex-ante-Wettbewerb auch in der nächsten Vergaberunde. Die Monopolkommission weist darauf hin, dass ein einfaches Alleinerwerbsverbot zum Ausgleich der Wettbewerbsbeschränkungen deutlich wirksamer wäre. Dieses würde darin bestehen, dass nicht unterschiedliche Pakete jeweils exklusiv erworben werden, wie es in der jetzigen Situation der Fall ist, sondern dieselben Pakete jeweils mehr als einem Bieter zur Verfügung gestellt werden. Es gäbe folglich nach der Vergabe der Pakete keine Monopolisten auf dem Übertragungsmarkt mehr.46 Die Monopolkommission unterstellt hierbei, dass ohne Exklusivität der erzielbare Preis für die Paketbündel sinkt.47 Es handelt sich um eine ökonomische Theorie, die allen Vergabemodellen im Sport zugrundeliegt. Eine abgeschwächte Form eines strengen Allein­ erwerbsverbots, so die Monopolkommission, könnte auch darin bestehen, dass nur ein Teil der Übertragungsrechte exklusiv erworben werden kann, andere Teile dagegen an mehrere Bieter vergeben werden.48 d) Ausschaltung von Wettbewerb Zur Frage der Ausschaltung von Wettbewerb führt das Kartellamt schließlich aus, dies hänge von der Ausgestaltung der Zentralvermarktung ab.49 Ein Wettbewerbsausschluss auf dem nachgelagerten Markt könne jedenfalls bei Ermöglichung des Allein­ erwerbs der Bundesliga-Live-Rechte durch einen einzigen Bieter angenommen werden.50 Es sei nicht ausgeschlossen, dass Vereinbarungen unter Beteiligung auch nur eines marktbeherrschenden Unternehmens oder mit Wirkung einer marktbeherrschenden Stellung auf einem der betroffenen Märkte nicht die Freistellungsvoraus­ setzungen erfüllen können.51 Es gebe jedoch mit Blick auf die besonders gelagerten Umstände bei der Zentralvermarktung der Bundesligarechte Gründe, die für eine Freistellung trotz marktbeherrschender Stellung sprechen könnten.52 Die Beschluss­ abteilung sehe „im Rahmen ihrer Ermessenausübung aufgrund der spezifischen Besonderheiten der Vermarktung von Medienrechten an Liga-Sportveranstaltungen jedoch von einer Entscheidung dieser Rechtsfrage ab“.53 Die genauen Gründe werden nicht näher dargelegt, so dass man fragen muss, ob die Zweifel an der Freistellungsfähigkeit nicht bleiben.

45 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 458. 46 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 458. 47 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 458. 48 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 458. 49 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 159. 50 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 159. 51 Beschluss v. 12.1.2012, Rz. 108; Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 160. 52 Beschluss v. 11.4.2016, Rz. 160. 53 Beschluss v. 12.1.2012, Rz. 108.

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Alles in allem ist die Zusagenentscheidung des Bundeskartellamts in einigen Punkten angreifbar, obwohl sie sich in die Entscheidungspraxis der Kommission einfügt. Ob die Voraussetzungen für eine Freistellung tatsächlich vorliegen, wurde in sachlicher Hinsicht nicht abschließend geprüft, und in der Tat gibt es hier einige Zweifel, die sich aus der Schaffung von Monopolen, hohen Kosten für den Rechteerwerb und den Endkunden sowie eingeschränkten Wahlmöglichkeiten des Verbrauchers ergeben. Auch die Kommission hatte schon seit der Entscheidung UEFA Champions League Zweifel an der Zulässigkeit der zentralen Vermarktung.54 Dennoch erhielten die Vermarktungsmodelle letztlich immer das „Go“ – wohl auch aus pragmatischen Gründen, die gerne unter dem Titel „besondere Merkmale des Sports“ zusammengefasst werden. Es fehlt jedoch eine Bereichsausnahme, und für diese gäbe es rechtlich keinen Raum mehr (dazu unten unter 3.). Die Monopolkommission fasst zutreffend zusammen: „Insgesamt ist in den Ländern, in denen Fußball-Übertragungsrechte zentral vermarktet werden, somit nur ein sehr schwaches Wettbewerbsniveau für die Rechtfertigung dieser Wettbewerbsbeschränkung als notwendig erachtet worden, oder die Zentralvermarktung ist nicht hinsichtlich wettbewerbsbeschränkender Wirkungen kontrolliert, sondern eher aus Gründen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Fußballvereine toleriert worden.“55 3. Verfahren Die Monopolkommission hat in ihrem Hauptgutachten auch die vom Kartellamt gewählte Verfahrensart kritisiert. Da das Kartellamt eine Zusagenentscheidung getroffen hat, hat es nur vorläufige Feststellungen getroffen und sich nur unzureichend mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt.56 Eine Alternative wäre eine Verfügung nach § 32 GWB (Entscheidung über Abstellung und Abhilfemaßnahmen). Das Kartellamt setzt sich in einer Zusagenentscheidung vornehmlich mit der Rechtfertigung dieser Entscheidung auseinander. Eine Zusagenentscheidung führt zu einer Marktregulierung, d.h. die Kartellbehörde greift dadurch in das Marktgeschehen ein. Während der Dauer der Zusagen besteht wenig Flexibilität für Änderungen. Die Möglichkeiten der rechtlichen Überprüfung sind begrenzt. Zugleich werden Zusagen akzeptiert, die möglicherweise unzureichend oder sogar zu weitgehend sind. Den Adressaten steht grundsätzlich keine Beschwerdemöglichkeit zu. Auf diese Weise gibt es keine richterliche Überprüfung der Entscheidung des Bundeskartellamts.57 Die Monopolkommission kritisiert das Modell der Zusagenentscheidung auch unter dem Aspekt, dass die Entscheidungen eine Musterfunktion für andere Vermarktungsmodelle sowohl im deutschen Fußball als auch in anderen Sportarten habe und auch international be54 Kommission, Entscheidung v. 23.7.2003, ABl. L 291 v. 8.11.2003, S. 25 ff. – Gemeinsame Vermarktung der gewerblichen Rechte an der UEFA Champions League, Rz. 131. 55 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 488. 56 Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Rz. 471 ff.; zu den praktischen Problemen, die mit Zusagenentscheidungen verbunden sind, s. auch Bergmann, WuW 2014, 467. 57 Das OLG Düsseldorf hat die Beschwerde von Sky gegen die Zusagenentscheidung schon an formellen Gründen scheitern lassen.

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trachtet werden dürften.58 Ob ein anderer Verfahrensweg bei Übertragungsrechten im Fußball wirklich sinnvoll ist, erscheint trotz dieser Kritikpunkte zweifelhaft. Das Hauptproblem ist, dass die Vergabe von Übertragungsrechten seitens verschiedener Marktbeteiligter mit hohen Investitionen einhergeht. Daher muss schnell Rechtssicherheit erlangt werden. Verfahrensverzögerungen oder eine nachträgliche Rückabwicklung der Vergabeentscheidung hätten möglicherweise verheerende wirtschaftliche Folgen. Die primäre Frage ist jedoch, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Zusagenentscheidung vorlagen.

IV. Fazit und Ausblick Voraussetzung einer Zusagenentscheidung nach § 32b GWB ist, dass Unternehmen Verpflichtungen anbieten, „die geeignet sind, die ihnen von der Kartellbehörde nach vorläufiger Beurteilung mitgeteilten Bedenken auszuräumen.“ Bleiben nach objektiver Betrachtung Bedenken bestehen, kann die Kartellbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen nur darauf verzichten, eine (Abstellungs-)Entscheidung zu erlassen, kann aber keine Zusagen für verbindlich erklären. Für die Kartellbehörde gilt das Opportunitätsprinizip, d.h. sie muss Kartellrechtsverstöße nicht verfolgen und kann selbst als rechtswidrig erkanntes Verhalten dulden. Letztlich werden die Entscheidungen von wirtschaftspolitischen Erwägungen getragen. Es geht um die Finanzkraft und Wettbewerbsfähigkeit der Liga, die sich international unter anderem beim Erwerb von Spielern behaupten muss. Wirtschaftspolitische Erwägungen sind im System der §§ 32 ff. GWB nicht vorgesehen, sondern nur – ausnahmsweise – im Rahmen der Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle. Wenn an den gesetzlichen Voraussetzungen einer Zusagenentscheidung bei summarischer Prüfung schon Zweifel bestehen, darf eine solche Entscheidung nicht erlassen werden. Was sind die Alternativen? Das Bundeskartellamt könnte nach Opportunitätsgesichtspunkten auf ein Einschreiten verzichten, würde die Marktbeteiligten damit jedoch einer erheblichen rechtlichen Unsicherheit aussetzen. Diese wären verpflichtet, ihr Verhalten und die Frage, ob die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, § 2 GWB erfüllt sind, selbst einzuschätzen. Lässt man einmal das Risiko von Bußgeldern außen vor, bleiben jedenfalls zivilrechtliche Risiken. Dann würde even­ tuell eine Lösung gewählt, die größere rechtliche Sicherheit gibt, also aus kartellrechtlicher Sicht weniger weitgehend ist. Und verzichtet das Bundeskartellamt auf ein ­Einschreiten, gibt dies keine Sicherheit vor einem Eingreifen der Europäischen Kommission. Die Ausnahme für die Vermarktung von Rechten an Fußballspielen, die früher in § 31 GWB enthalten war und mit der 7. GWB-Novelle abgeschafft wurde, ist nach europäischen Maßstäben nicht mehr haltbar. Das europäische Recht hat bei Sachverhalten

58 XXI. Hauptgutachten, Rz. 478.

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mit zwischenstaatlichen Wirkungen Vorrang.59 Eine GWB-Ausnahme liefe damit leer. Eine Gruppenfreistellungsverordnung der Kommission bedürfte einer entsprechenden Ermächtigung durch den Rat nach Art. 103 AEUV und könnte den Anwendungsbereich von Art. 101 und 102 AEUV nicht ändern, sondern nur spezifizieren. Eine Bereichsausnahme für Fußball-Medienrechte ist damit auf europäischer Ebene nicht möglich. Der Rat hat nicht die Befugnis, Wirtschaftszweige von der Anwendung des Kartellrechts auszunehmen.60 Zu Recht weist die Monopolkommission darauf hin, dass eine internationale Koordinierung erforderlich ist, damit Ligen nicht durch die Anwendung des Wettbewerbsrechts schlechtergestellt werden. Dies könne etwa über das ECN und das ICN erfolgen.61 Die Monopolkommission befürwortet überdies Leitlinien oder zumindest allgemeine Grundsätze für die Definition von behördlichen Auflagen für die Durchführung von Zentralvermarktungen auf EU-Ebene, welche die nationalen Behörden bei ihren Entscheidungen zugrunde legen.62 Die Schaffung eines rechtlichen Level-Playing-Fields würde die konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts erleichtern. Aus Sicht eines nicht befangenen Beobachters stellt sich auch die Frage, welche schwerwiegenden Konsequenzen es überhaupt hätte, die Märkte dem Wettbewerb zu überlassen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Marktteilnehmer für die Anwendung des Kartellrechts Katastrophenszenarien vorhersagen, in denen die Märkte jedoch andere Mechanismen gefunden haben, ohne Kartellverstöße zu agieren. So haben die Teilnehmer eines Preiskartells nach Abstellen der Zuwiderhandlung nicht selten festgestellt, dass sie vor lauter Kartell-Systemblindheit übersehen haben, dass die Kartellpreise nicht einmal kostendeckend waren. In manchen Fällen zementieren Ausnahmen von der Anwendung des Kartellverbots ungesunde Marktstrukturen und verhindern Innovationen, die sich auf neue Einnahmequellen beziehen können. Immerhin stellt das OLG Düsseldorf im Beschluss über die Beschwerde von Sky zur Wiederholungsgefahr fest: Es […] „kann insbesondere schon im Ausgangspunkt nicht mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass künftig, das heißt bei einer erneuten Ausschreibung von Medienrechten für die Spielzeiten ab 2021/22, gleiche tatsächliche Verhältnisse herrschen werden.“63 Die Befristung der Zusagenentscheidung eröffnet die Möglichkeit von Veränderungen und Wettbewerb, und es bleibt zu hoffen, dass außer dem Alleinerwerbsverbot nach Ablauf der Zusagen weitere Wettbewerbsimpulse eingeführt werden. Davon profitiert im Zweifel der Verbraucher.

59 S. dazu Regierungsbegründung, BT-Drucks. 15/3640, S. 50. 60 Stadler in Langen/Bunte, Art. 103 AEUV Rz. 29. 61 XXI. Hauptgutachten, S. 81 und Rz. 496 ff. 62 XXI. Hauptgutachten, S. 81 und Rz. 498. 63 Beschluss v. 24.5.2017, Rz. 52.

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Kartellrechtliche Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen  – „Jette Joop“ revisited – I. Vorbemerkung II. Die Jette-Joop-Entscheidung von 2010 III. Die ältere BGH-Rechtsprechung zu ­Abgrenzungsvereinbarungen 1. Die Entscheidung „Tauchpumpe“ 2. Die Entscheidung „Thermalquelle“ 3. Die Entscheidung „Rote Herzwandvase“

IV. Rechtsgrundlagen für die Beurteilung von Abgrenzungsvereinbarungen 1. Rechtsgrundlage unter Geltung des GWB: § 1 GWB a.F. bzw. Art. 85 EG 2. Prüfungsmaßstab heute: § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV V. Zusammenfassende Würdigung der ­Jette-Joop-Entscheidung

I. Vorbemerkung Obwohl kennzeichenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen in Verletzungsstreit­ sachen, vor allem in Fällen von Gleichnamigkeit, gang und gäbe sind, gibt es nur verhältnismäßig wenig Fälle, in denen sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der ­kartellrechtlichen Wirksamkeit solcher  – oder auch andere Schutzrechte betreffender – Vereinbarungen beschäftigen musste. Bei der Beurteilung von schutzrechtsbezogenen Abgrenzungsvereinbarungen stehen sich zwei Interessen gegenüber und führen zu einem in den hierzu ergangenen Entscheidungen immer wieder zutage tretenden Zielkonflikt: Auf der einen Seite besteht ein lebendiges Interesse daran, dass Streitigkeiten über Schutzrechtsverletzungen vergleichsweise, also durch Vereinbarungen, die den Interessen beider Parteien Rechnung tragen, erledigt werden können. Andererseits kann die Rechtsordnung nicht untätig zuschauen, wenn Monopolrechte mit Hilfe vertraglicher Vereinbarungen künstlich ausgedehnt und insbesondere über den gesetzlichen Schutzbereich hinaus erweitert werden.

II. Die Jette-Joop-Entscheidung von 2010 Heute gilt die Jette-Joop-Entscheidung des Kartellsenats des BGH aus dem Jahre 20102 als Leitentscheidung für die Frage der kartellrechtlichen Beurteilung von Ab1 Dr. iur., Dr. iur. h.c. (St. Gallen), Vorsitzender Richter am Bundesgerichshof a.D., Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br. Mit kennzeichenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarungen habe ich mich in den Jahren 2015 und 2016 aufgrund mehrerer Anfragen aus der Praxis gutachterlich befasst. 2 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 – Jette Joop.

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grenzungsvereinbarungen. Der Entscheidung lag ein Streit zwischen Wolfgang Joop und seinem Unternehmen auf der einen sowie seiner Tochter Henriette auf der anderen Seite zugrunde; Wolfgang Joops Unternehmen war Inhaber der Wort-/Bildmarke „JOOP!“. Die Tochter, eine Designerin, hatte 1995 ein eigenes Unternehmen zunächst nur für Schmuckdesign, später auch für Modedesign gegründet und 1999 hierfür die Wortmarke „­Jette Joop“ angemeldet, nach Abmahnung durch ihren Vater aber mit diesem vereinbart, dass sie die Jette-Joop-Marke ausschließlich für Schmuckdesign benutzen und im Übrigen löschen lassen werde. Ungeachtet dessen brachte sie 2003 eine Strick- und Shirtkollektion „JETTE JOOP Europe Knitwear“ auf den Markt. Die daraufhin vom väterlichen Unternehmen erhobene Unterlassungs- und Schadensersatzfeststellungsklage hatte vor dem Landgericht Hamburg Erfolg, wurde aber vom OLG Hamburg3 mit der Begründung abgewiesen, die Abgrenzungsvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen § 1 GWB nichtig; eine Abgrenzungsvereinbarung sei kartellrechtlich nur dann zulässig, wenn objektiv begründeter Anlass zu der Annahme bestehe, der begünstigte Vertragspartner habe einen entsprechenden Unterlassungsanspruch; im Streitfall unterscheide sich die Jette-Joop-Marke hinreichend durch das Hinzusetzen des Vornamens von der Klagemarke „JOOP“, so dass eine Verwechslungsgefahr auszuschließen sei. Der Bundesgerichtshof begegnete der Abgrenzungsvereinbarung dagegen mit überraschender Großzügigkeit. Abgrenzungsvereinbarungen seien kartellrechtlich grundsätzlich positiv zu beurteilen.4 Der Kartellsenat stellte mit Recht für die Frage der kartellrechtlichen Wirksamkeit auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung ab5 und stellte folgenden Rechtssatz auf:6 Derartige Abgrenzungsvereinbarungen werden und wurden nach der Rechtslage im Jahre 1995 nur dann als kartellrechtlich unzulässig angesehen, wenn sie entweder eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckten oder bei ihrem Abschluss kein ernsthafter, objektiv begründeter Anlass zu der Annahme bestand, dem begünstigten Vertragspartner stehe ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu. Dem kann man ein Regel-Ausnahme-Verhältnis entnehmen: Schutzrechtsbezogene Abgrenzungsvereinbarungen sollen kartellrechtlich unbedenklich sein, solange sie keine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken und solange ein begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dem begünstigten Vertragspartner stehe schon kraft Gesetzes ein entsprechender Anspruch zu. Beide Voraussetzungen werden vom BGH bejaht: (1) Es sei nicht ersichtlich, dass mit der Abgrenzungsvereinbarung eine Wettbewerbs3 OLG Hamburg, Urt. v. 18.9.2008 – 1 Kart U 6/06. 4 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 55 – Jette Joop. 5 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 17 – Jette Joop. Diese Frage hatte der Kartellsenat bereits 1999 aus Anlass der Streichung des kartellrechtlichen Schriftformerfordernisses entschieden: BGH, Urt. v. 2.2.1999  – KZR  51/97, ­WuW/E DE‑R 261, 262 f. = GRUR 1999, 776 – Coverdisk. 6 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 19 – Jette Joop.

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beschränkung bezweckt worden sei.7 (2) Was die Kongruenz der geschaffenen vertraglichen mit der gesetzlichen Verpflichtung angeht, konnte sich der Kartellsenat auf die Entscheidung „Caren Pfleger“8 stützen, in der der I. Zivilsenat entschieden hatte, dass – wenn eine aus einem Nachnamen bestehende ältere Marke und eine aus einem Vornamen und demselben Nachnamen bestehende jüngere Marke sich gegenüberstehen – die Übereinstimmung im Nachnamen für die Annahme einer Verwechslungsgefahr ausreichen könne.9 Legt man diese Ansicht zugrunde, hätte die Klägerin die beantragte Unterlassung schon aus Markenrecht verlangen können; mit der Vereinbarung von 1995 wäre nur das bestätigt worden, was sich ohnehin aus dem Gesetz ergab. Im Hinblick auf den Umstand, dass nach der markenrechtlichen Beurteilung des Kartellsenats die Abgrenzungsvereinbarung dem Kläger nicht mehr Rechte zubilligte, als ihm ohnehin schon von Gesetzes wegen zustanden, hätte es an sich keiner besonderen Betonung des Interesses bedurft, Abgrenzungsvereinbarungen in der Tendenz möglichst ungehindert zuzulassen. In der Jette-Joop-Entscheidung hob der Kartellsenat sogar eine wettbewerbsfördernde Wirkung von Abgrenzungsvereinbarungen hervor:10 Die Beklagte konnte daher durch den Abschluss der Abgrenzungsvereinbarung nicht lediglich (insbesondere im Hinblick auf die Verwendung ihres Namens als Marke für Bekleidung) in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten beschränkt werden. Sie konnte vielmehr Rechtssicherheit gewinnen, die Marke „Jette Joop“ weltweit für Waren und Dienstleistungen im Bereich Schmuck und Modeschmuck zu benutzen. Darin liegt eine Stärkung des Wettbewerbs. Auch gab es an sich keine Veranlassung, den Parteien der zu beurteilenden Vereinbarung einen Einschätzungsspielraum einzuräumen. Dass die Einschätzungspräroga­ tive für die Frage, ob eine Absprache mit § 1 GWB oder mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist, bei den Parteien dieser Absprache liegen soll  – eine im Rahmen des Systems der Legalausnahme eindeutig unerfüllbare Forderung –, war zwar in der Modernisierungsdebatte von Seiten der Unternehmen gefordert worden; sie hatten den Wegfall der Rechtssicherheit, den sie als Folge der Umstellung vom alten Anmeldesystem auf das System der Legalausnahme befürchteten, stets beklagt. Von einem solchen Beurteilungsspielraum – aus der Sicht der Kommission gewiss ein absoluter „no-go“ – ist der Kartellsenat offenbar schon in der Jette-Joop-Entscheidung ausgegangen;11 zumindest hat er diese Entscheidung in einem späteren Urteil in diesem Sinne zitiert, wenn es dort heißt:12 7 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 20 – Jette Joop. 8 BGH, Urt. v. 28.2.1991 – I ZR 110/89, GRUR 1991, 475 = WRP 1991, 477 – Caren Pfleger. 9 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 23 f. – J­ ette Joop. 10 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641, Rz. 30 – Jette Joop. 11 So wohl auch Kirchhoff, Möglichkeiten und Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen aus Sicht des Kartellrechts, GRUR 2017, 248, 253. 12 BGH, Urt. v. 12.7.2016 – KZR 69/14, NZKart 2016, 591 Rz. 14 – Peek & Cloppenburg.

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Dabei kann dahinstehen, ob die von den Parteien vereinbarte Gebietsaufteilung einschließlich der Einbeziehung der neuen Bundesländer kartellrechtlich zulässig ist und ob das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den Einschätzungsspielraum der Parteien zutreffend bestimmt hat, der im Hinblick auf die zeichenrechtliche Beurteilung der Kollisionslage bei Abschluss einer kennzeichenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarung besteht (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 Rz. 19 – Jette Joop) (Hervorhebung vom Verf.).

III. Die ältere BGH-Rechtsprechung zu Abgrenzungsvereinbarungen Bemerkenswert und ein Indiz dafür, dass der Kartellsenat sich bewusst von der älteren Rechtsprechung zu Abgrenzungsvereinbarungen absetzen wollte, mag man in dem Umstand sehen, dass sich der Senat in der Jette-Joop-Entscheidung nicht mit der älteren BGH-Rechtsprechung zu schutzrechtsbezogenen Abgrenzungsvereinbarungen ausein­andersetzt. Auch aus den älteren Entscheidungen, die teilweise noch zu den alliierten Dekartellierungsbestimmungen ergangen sind, wird deutlich, dass sich die Beurteilung schon damals zwischen zwei widerstreitenden Interessen bewegte: dem nachvollziehbaren Interesse, vergleichsweise Erledigung von Streitigkeiten zu ermöglichen, und dem wettbewerbspolitischen Ziel, keine Wettbewerbsbeschränkungen durch eine künstliche – also durch Vereinbarung bewirkte – Ausdehnung von immaterialgüterrechtlichen Ausschließlichkeitsrechten zuzulassen. In den einschlägigen Dekartellierungsbestimmungen der Militärregierungen13 ging es darum, dass immaterialgüterrechtliche Ausschließlichkeitsrechte nicht durch Vereinbarungen auf Gegenstände oder Leistungen erstreckt wurden, die nicht mehr Gegenstand des fraglichen Schutzrechts waren. 1. Die Entscheidung „Tauchpumpe“ Die erste Entscheidung des BGH zu streitwertbezogenen Abgrenzungsvereinbarungen ist die Entscheidung „Tauchpumpe“;14 sie stammt aus dem Jahr 1951, ihr lag ein patentrechtlicher Streit zugrunde. Nach dem damals geltenden Patentrecht war der Schutzbereich des Patents wegen der Maßgeblichkeit des Erfindungsgedankens notorisch schwer zu bestimmen, so dass der Schutzumfang des Patents in dem buchstäblichen Sinn der Patentansprüche nicht in voller Klarheit zum Ausdruck kam. Das 13 Z.B. Art.  Vc Ziff.  7 des Gesetzes Nr.  56 der amerikanischen Militärregierung sowie der Verordnung Nr.  78 der Britischen Militärregierung (ABl. der Militärregierung Deutschland – Britisches Kontrollgebiet – Nr. 16 S. 412): Danach gehörten zu den verbotenen Absprachen auch „alle Abmachungen im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Patenten oder ähnlichen ausschließlichen Schutzrechten mit dem Ziel, das Monopol oder das Schutzrecht auf Gegenstände auszudehnen, die in der gesetzmäßigen Erteilung nicht enthalten sind“. 14 BGH, Urt. v. 5.10.1951 – I ZR 74/50, BGHZ 3, 193 = GRUR 1952, 141 – Tauchpumpe.

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brachte es mit sich – so der BGH15 –, dass häufig Zweifel über den Schutzumfang eines Patents entstünden, die letztlich nur durch gerichtliche Entscheidung beseitigt werden könnten; es entspreche wirtschaftlicher Vernunft, wenn die Beteiligten zur Vermeidung oder Abkürzung von Rechtsstreitigkeiten in solchen Fällen eine Vereinbarung träfen, die den Schutzumfang mit Wirkung für die Parteien festlege; eine solche Vereinbarung müsse sich auch auf die Grauzone erstrecken können, über die auch bei objektiver Beurteilung ernsthafte Zweifel bestehen könnten. Ließe man solche Abreden zur Streitbeilegung nicht zu, würden Parteien in Verletzungsstreitigkeiten, die sich auf den Schutzumfang eines Patents beziehen, in der Regel überhaupt davon absehen, sich auf gütlichem Wege über eine Abgrenzung des Schutzbereichs zu einigen; eine so unvernünftige Folge könne vom Dekartellierungsrecht nicht gewollt sein.16 2. Die Entscheidung „Thermalquelle“ Auch die Entscheidung „Thermalquelle“ aus dem Jahre 197517 stellte vor allem das berechtigte Interesse der Vertragsparteien an einer vergleichsweisen Beendigung von Streitigkeiten heraus. Zwar sei auch ein (gerichtlicher) Vergleich unwirksam, wenn zwingende Rechtssätze wie § 1 GWB entgegenstünden; die Anwendung des § 1 GWB sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil wettbewerbsbeschränkende und marktregelnde Vereinbarungen gleichzeitig einen Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens gemäß § 779 BGB beseitigten.18 Jedenfalls sei es nicht gerechtfertigt, den Beteiligten dann den Weg zu einer gütlichen Einigung von vornherein abzuschneiden und sie zu zwingen, einen Rechtsstreit durchzuführen, wenn ein ernsthafter objektiv begründeter Anlass zu der Annahme besteht, der begünstigte Vertragspartner habe einen Anspruch auf Unterlassung der durch den Vergleich untersagten Handlung, so dass bei Durchführung eines Rechtsstreits ernstlich mit dem Ergebnis zu rechnen wäre, dass dem Wettbewerber das umstrittene Vorgehen untersagt werde. In solchen Fällen stünden § 1 GWB und die durch ihn geschützten Interessen einer friedlichen Bereinigung der Streitigkeiten im Rahmen eines Vergleichs nicht entgegen.19 3. Die Entscheidung „Rote Herzwandvase“ Soll die vergleichsweise Erledigung schutzrechtsbezogener Streitigkeiten ermöglicht werden, so ist auf der einen Seite klar, dass die Grenze dessen, was in kartellrechtlich zulässiger Weise vereinbart werden kann, nicht dort enden kann, wo der Schutzbe15 BGH, Urt. v. 5.10.1951 – I ZR 74/50, BGHZ 3, 193, 197 = GRUR 1952, 141 – Tauchpumpe. 16 BGH, Urt. v. 5.10.1951 – I ZR 74/50, BGHZ 3, 193, 198 = GRUR 1952, 141 – Tauchpumpe. 17 BGH, Urt. v. 22.5.1975 – KZR 9/74, BGHZ 65, 147, 150 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 18 BGH, Urt. v. 22.5.1975 – KZR 9/74, BGHZ 65, 147, 150 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 19 BGH, Urt. v. 22.5.1975 – KZR 9/74, BGHZ 65, 147, 151 f. = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle.

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reich des Immaterialgüterrechts aufhört; denn eine vergleichsweise Streitbeilegung muss die Unsicherheit darüber widerspiegeln können, ob das, was der Schutzrechts­ inhaber fordert, von Gesetzes wegen beansprucht werden kann. Es muss also eine Grauzone geben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie auch einen aus dem Schutzrecht hergeleiteten Anspruch umfassen kann, der in dieser Form möglicherweise von einem Gericht nicht hergegeben worden wäre. Wo diese Grauzone aufhört, ist naturgemäß schwer zu bestimmen. Die Entscheidung „Rote Herzwandvase“20 betraf einen vergleichsweise vereinbarten Anspruch, der ganz offensichtlich aus dem Schutzrecht, auf das sich die Klägerin berufen hatte und von dem zweifelhaft war, ob es überhaupt existierte, nicht abgeleitet werden konnte. Der Bundesgerichtshof schlägt hier einen ganz anderen Ton an als beispielsweise in der Entscheidung „Tauchpumpe“. Es ging um den Streit zwischen zwei Herstellern von Herzwandvasen  – an der Wand aufhängbare kleine Vasen in Herzform, einem Kitschprodukt der fünfziger Jahre. Die Klägerin hatte für sich ein Ausstattungsrecht nach § 25 WZG, also ein nichtgeprüftes Schutzrecht, auch für die einfarbig rote Ausführung ihrer Herzwandvasen in Anspruch genommen; die Beklagte hatte sich verpflichtet, keine Herzwandvasen in roter Glasur zu vertreiben; sie hatte damit anerkannt, dass der Klägerin eine konturlose Farbmarke zustand, wobei der genaue Rotton, den die Klägerin beanspruchen wollte, noch nicht einmal feststand. Dass es ein solches Ausstattungsrecht nach dem damaligen Warenzeichenrecht nicht geben konnte, musste jedem Markenrechtler klar sein. Der BGH hat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen Ansprüche der Klägerin aus dem Ausstattungsschutz, aus § 1 UWG a.F. sowie aus der erwähnten Verpflichtungserklärung verneint. Der Ausstattungsschutz scheide aus, weil die Verbraucher der roten Farbe keinen Hinweis auf eine bestimmte Herkunftsstätte entnähmen. Die Vereinbarung mit der Unterlassungsverpflichtung hat der BGH wegen Verstoßes gegen das Dekartellierungs-Gesetz Nr. 56 der amerikanischen Militärregierung als nichtig angesehen. Im Anschluss an die Entscheidung „Tauchpumpe“ führte der Bundesgerichts­hof aus, bei nichtgeprüften Schutzrechten, bei denen ein Ausschließlichkeitsrecht beansprucht werde, dessen Bestand – anders als das Patent, das in der Regel erst nach eingehender Prüfung durch einen staatlichen Hoheitsakt erteilt wird – Zweifeln unterliegen kann, sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen;21 den Schutzrechtsinhaber treffe eine entsprechende Darlegungs- und Beweislast:22 Nur wenn strengste Anforderungen an die Darlegungs- und Beweispflicht des angeblichen Rechtsinhabers gestellt werden, der aufgrund eines in Wirklichkeit nicht bestehenden Ausschließlichkeitsrechtes seinen Vertragspartner an einer vergleichsweise übernommenen Wettbewerbsbeschränkung festhalten will, kann der Gefahr einer Umgehung der Verbotsbestimmungen der Dekartellierungsgesetze entgegen20 BGH, Urt. v. 15.2.1955 – I ZR 86/53, BGHZ 16, 296 = GRUR 1955, 418 – Rote Herzwandvase. 21 BGH, Urt. v. 15.2.1955 – I ZR 86/53, BGHZ 16, 296, 304 = GRUR 1955, 418, 420 – Rote Herzwandvase. 22 BGH, Urt. v. 15.2.1955 – I ZR 86/53, BGHZ 16, 296, 304 = GRUR 1955, 418, 420 – Rote Herzwandvase.

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gewirkt werden. Andernfalls könnte nahezu jede wettbewerbsbeschränkende Abrede aus dem Anwendungsbereich der Dekartellierungsbestimmungen herausgebracht werden, indem als Grund für die Abrede die Bereinigung eines Streites über ein in Wahrheit nicht gegebenes Ausschließlichkeitsrecht angeführt wird. Es ist schon bemerkenswert, dass der Kartellsenat im Jette-Joop-Urteil auf die hier angeführte markante Äußerung, die mit aller Deutlichkeit die gegen eine Abgrenzungsvereinbarung sprechenden kartellrechtlichen Bedenken markiert, mit keinem Wort eingeht, obwohl er die Entscheidung „Rote Herzwandvase“ ganz beiläufig als Beleg für den Rechtssatz23 über die kartellrechtliche Zulässigkeit von Abgrenzungsvereinbarungen zitiert.24 Dies mag seinen Grund darin haben, dass die alliierten Dekartellierungsbestimmungen, die noch für die Entscheidung „Rote Herzwandvase“ maßgeblich waren, mit dem Inkrafttreten des GWB am 1. Januar 1958 außer Kraft getreten waren.

IV. Rechtsgrundlagen für die Beurteilung von Abgrenzungs­ vereinbarungen 1. Rechtsgrundlage unter Geltung des GWB: § 1 GWB a.F. bzw. Art. 85 EG Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, dass nach dem Inkrafttreten des GWB schutzrechtserweiternde Vereinbarungen ohne weiteres zulässig gewesen wären. Hier sind zwei unterschiedliche Formen zu unterscheiden: (1) Nach dem Inkrafttreten des GWB galt für Horizontalverträge, also für unter Mitbewerbern („zu einem gemeinsamen Zweck“) getroffene Abreden – wie insbesondere Abgrenzungsvereinbarungen – allein das Kartellverbot des § 1 GWB a.F.25 (2) Da § 1 GWB a.F. jedoch nur für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Horizontalverhältnis („zu einem gemeinsamen Zweck“) galt, erfasste das allgemeine 23 S. bei Fn. 6. 24 BGH, Urt. v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR 2011, 641 Rz. 19 – Jette Joop. 25 Dennoch hat der BGH 1967 in der Entscheidung „Fischbearbeitungsmaschine“ eine streitbeilegende strafbewehrte Unterwerfungserklärung, die in einem früheren Verletzungsverfahren abgegeben und durch die ein Unterlassungsanspruch aus einem angemeldeten, aber nicht gewährten Patent anerkannt worden war, – eine solche Erklärung ist in der kartellrechtlichen Beurteilung einer Abgrenzungsvereinbarung gleichzustellen –, nicht unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 1 GWB a.F. geprüft – wie es aus meiner Sicht geboten gewesen wäre –, sondern die Verpflichtungserklärung nur deshalb für möglicherweise nichtig gehalten, weil die Parteien die Erfindung, für die der Patentschutz versagt worden war, zum Gegenstand eines Lizenzvertrags gemacht hatten und weil sich deswegen die Unterlassungsverpflichtung, zu der sich die Beklagte mit ihrer Unterwerfungserklärung bekannt hatte, bereits aus diesem nach §§ 20, 21 GWB nichtigen Lizenzvertrag ableiten ließ; BGH, Urt. v. 5.5.1967 – KZR 1/66, WuW/E BGH 838, 843 = GRUR 1967, 670, 673 – Fischbearbeitungsmaschine.

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Kartellverbot keine wettbewerbsbeschränkenden Abreden in Vertikalverträgen. Für solche Verträge gab es im GWB eine unmittelbare Nachfolgebestimmung für schutzrechtser­weiternde Abreden in Austauschverträgen, namentlich in patentrechtlichen Lizenzverträgen: Bis 1998 enthielt das GWB in § 20 Abs. 1 a.F. eine besondere Bestimmung für (patentrechtliche) Lizenzverträge; danach waren Verträge über Erwerb oder Benutzung von Patenten, Gebrauchsmustern, Topographien oder Sortenschutzrechten unwirksam, soweit sie dem Erwerber oder Lizenznehmer Beschränkungen im Verkehr auferlegen, die über den Inhalt des Schutzrechts hinausgehen. §  20 GWB a.F. folgte der sogenannten Inhaltstheorie, wonach Beschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten nicht zu beanstanden waren, solange und soweit sie durch den Inhalt des jeweiligen Schutzrechts gedeckt waren.26 Unter Geltung des GWB war Maßstab für die kartellrechtliche Beurteilung von schutzrechtserweiternden Abgrenzungsvereinbarungen demnach §  1 GWB a.F. ­Dementsprechend hat der BGH die entsprechende Abrede in der Entscheidung „Thermalquelle“ auf die Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot des § 1 GWB a.F. geprüft,27 wobei es in dieser Entscheidung allerdings nicht um eine Abgrenzungsvereinbarung, sondern um eine einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsstreit abschließende Unterwerfungserklärung ging. Kartellrechtlich sind eine Streitbeilegung mit Hilfe einer immaterialgüterrechtlichen Abgrenzungsvereinbarung und eine Streitbeilegung durch eine angenommene Unterwerfungserklärung gleich zu beurteilen:28 In beiden Fällen geht es darum, dass ein Marktteilnehmer (Gläubiger) von einem Wettbewerber (Schuldner) verlangt, ein Verhalten zu unterlassen, das den Gläubiger in seinem Wettbewerb stört. Ist das inkriminierte Verhalten tatsächlich verboten, ist gegen eine entsprechende Verpflichtungserklärung, die in der Abgrenzungsvereinbarung oder Unterwerfungserklärung enthalten ist, auch kartellrechtlich nichts einzuwenden. Geht es dagegen um ein rechtmäßiges Verhalten, das der Gläubiger – auch wenn es ihn stört – hinzunehmen hat, liegt in der Vereinbarung, ein solches erlaubtes Verhalten zu unterlassen, eine grundsätzlich unter das Kartellverbot fallende wettbewerbsbeschränkende Abrede.

26 Bräutigam in Langen/Bunte, KartellR, 8. Aufl. 1998, § 20 GWB Rz. 2. 27 BGH, Urt. v. 22.5.1975 – KZR 9/74, BGHZ 65, 147, 150 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 28 Dementsprechend hat der BGH in der Entscheidung „Thermalquelle“ auf seine Rechtsprechung zu schutzrechtsbezogenen Abgrenzungsvereinbarungen („Tauchpumpe“ [s. bei Fn.  14] und „Rote Herzwandvase“ [s. bei Fn.  20]) Bezug genommen: BGH, Urt. v. 22.5.1975 – KZR 9/74, BGHZ 65, 147, 151 = GRUR 1976, 323, 325 – Thermalquelle. In „Jette Joop“ zitiert der Kartellsenat für den zentralen Rechtssatz, der für schutzrechtsbezogene Abgrenzungsvereinbarungen maßgeblich ist (s. bei Fn. 6), auch eine Entscheidung, die sich auf eine Unterwerfungserklärung bezieht, und zwar BGH, Urt. v. 21.4.1983 – I ZR 201/80, WuW/E BGH 2003 = GRUR 1983, 602 – Vertragsstraferückzahlung.

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2. Prüfungsmaßstab heute: § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV Nachdem das deutsche Kartellrecht – dem europäischen Recht folgend – die Unterscheidung zwischen Horizontal- und Vertikalverträgen aufgegeben hat, ist Maßstab für sämtliche, seit 2005 abgeschlossene schutzrechtserweiternde Vereinbarungen nunmehr § 1 GWB n.F. bzw. Art. 101 AEUV.

V. Zusammenfassende Würdigung der Jette-Joop-Entscheidung Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es bei der rechtlichen Beurteilung von Abgrenzungsvereinbarungen ein gewisses Vergleichsprivileg geben muss. Gleichgültig, ob über den Bestand oder über den genauen Schutzbereich eines Schutzrechts gestritten wird, muss es möglich sein, die Grenzen des Schutzrechts vergleichsweise und stets nur inter partes über die Linie hinauszuschieben, die durch das markiert wird, was – bei Verzicht auf einen Vergleich – das Ergebnis einer streitigen gerichtlichen Entscheidung hätte gewesen sein können. Dabei muss freilich ein objektiver Maßstab angelegt werden: Es kann nicht sein, dass der finanzkräftige, forsch und einschüchternd auftretende Schutzrechtsinhaber, der jeden auch nur in seine Nähe kommenden Wettbewerber mit einstweiligen Verfügungen wegbeißt, für sein unverschämtes, präpotentes Auftreten dadurch belohnt wird, dass er mit Hilfe von Abgrenzungsvereinbarungen, die er vergleichsweise mit eingeschüchterten Mitbewerbern schließt, sein Schutzrecht zu einem Umfang aufbläst, den er durch gerichtliche Entscheidungen in den Verletzungsverfahren niemals hätte erreichen können. Für die Frage, ob ein begründeter Anlass zu der Annahme besteht, der begünstigten Partei stehe ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich des vertraglich untersagten Verhaltens zu, darf nicht allein auf die Sicht des eingeschüchterten, vor dem forsch auftretenden finanzkräftigen Goliath zurückschreckenden Davids abgestellt werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende kritische Bemerkungen formulieren: (1) Festzuhalten bleibt, dass den Parteien im System der Legalausnahme bei der Beantwortung der Frage, ob eine von ihnen in Aussicht genommenen Vereinbarung gegen § 1 GWB oder gegen Art. 101 AEUV verstößt, kein Beurteilungsspielraum zusteht. Von einem Einschätzungsspielraum zu sprechen,29 der zudem nicht zu eng bemessen sein dürfe,30 ist zumindest missverständlich. (2) Es ist selbstverständlich nicht zu beanstanden, dass der BGH – insofern in Kontinuität seiner früheren Rechtsprechung – immer wieder betont, dass den Parteien bei einem Streit über den Bestand oder über den Schutzbereich eines Schutzrechts die Möglichkeit einer vergleichsweisen Streitbeilegung nicht über Gebühr erschwert werden dürfe. Es erscheint aber wenig zielführend, davon zu sprechen, Abgrenzungsvereinbarungen seien – anders als Wettbewerbsverbote – kartellrechtlich grundsätzlich

29 So aber ausdrücklich unter Berufung auf die Jette-Joop-Entscheidung BGH, Urt. v. 12.7.2016 – KZR 69/14, NZKart 2016, 591 Rz. 14 – Peek & Cloppenburg; s. bei Fn. 12. 30 So aber Kirchhoff (Fn. 11) S. 253.

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positiv zu beurteilen.31 Abgesehen davon, dass Abgrenzungsvereinbarungen häufig Wettbewerbsverbote enthalten oder in ihrer Wirkung Wettbewerbsverboten zumindest gleichkommen, wenn beispielsweise einem Marktteilnehmer untersagt wird, weiterhin unter seiner eingeführten Geschäftsbezeichnung werbend tätig zu sein oder ein bestimmtes Produkt unter der im Markt eingeführten Bezeichnung zu vertreiben, und abgesehen davon, dass insofern auch eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung in Rede stehen kann,32 verstärkt die Betonung der positiven, teilweise gar wettbewerbsfördernden Wirkung von Abgrenzungsvereinbarungen die fälschliche, von Kautelarjuristen dankbar aufgenommene Vorstellung eines klaren Regel-Ausnahme-Verhältnisses: So, als ob Abgrenzungsvereinbarungen in aller Regel kartellrechtlich unbedenklich und nur unter ganz engen, selten vorliegenden Voraussetzungen zu beanstanden seien. Sinnvoller erschiene die Herausstellung der Regel, dass Verträge über Schutzrechte immer dann kartellrechtlichen Bedenken begegnen können, wenn sie über den Inhalt des Schutzrechts hinausgehen. (3) In dieselbe Richtung zielt die Befürchtung, dass die Jette-Joop-Entscheidung die wettbewerbsschädlichen Wirkungen, die von Abgrenzungsvereinbarungen ausgehen können, verharmlose. Ein markantes Beispiel hierfür ist der Sachverhalt, der der Entscheidung „Rote Herzwandvase“33 zugrundelag: Dort hatte sich der durch die Abgrenzungsvereinbarung Begünstigte auf ein völlig unrealistisches, zudem noch ungeprüftes Schutzrecht berufen, einen Ausstattungsschutz nach § 25 WZG, und hatte aus diesem Schutzrecht einen exorbitant weiten, rechtlich ganz offensichtlich nicht zu begründenden Schutzumfang herleiten wollen. Der Gefahr, durch die kritiklose Anerkennung von Abgrenzungsvereinbarungen derartigen Wettbewerbsbeschränkungen Vorschub zu leisten, sind sich offensichtlich die Instanzgerichte nicht immer bewusst. Ein Beispiel hierfür liefert eine Entscheidung des Landgerichts Braunschweig aus dem Jahre 2013:34 Hier ging es um ein „Interessenabgrenzungsabkommen“ zwischen zwei bekannten Herstellern von Kräuterspirituosen (zwischen „U“, der die Kräuterspirituose „U“ herstellt und vertreibt, und „M“, der die Kräuterspirituose „J“ herstellt und vertreibt). „U“ hatte für die Gesamtausstattung der typischen Verpackung seiner Kleinstflasche in hellbraunem Papier und der grünen Farbe in flächenhafter Ausbildung den Schutz als berühmte Marke für sich in Anspruch genommen; „M“ hatte sich verpflichtet, die Farbe Grün weder auf Verpackungen noch in der Werbung in dominierender Weise flächenmäßig zu verwenden.35 „M“ hatte nunmehr nach fast 40  Jahren auf Feststellung geklagt, dass das Interessenabgrenzungsabkommen aus dem Jahre 1974 wirkungslos sei, und sich unter anderem auf die Kartellrechtswidrigkeit der Vereinbarung gestützt. Das Landgericht Braunschweig verweigerte die Ver31 So aber BGH, Urt. v. 7.12.2010  – KZR  71/08, WuW/E DE-R 3275 = GRUR  2011, 641 Rz. 55 – Jette Joop. 32 Dazu Kirchhoff (Fn. 11) S. 249 unter 2. 33 S. bei Fn. 20. 34 LG Braunschweig, Urt. v. 28.8.2013 – 9 O 2637/12, WuW/E DE-R 4068 – Kräuterspirituosen. 35 LG Braunschweig, Urt. v. 28.8.2013  – 9  O  2637/12, WuW/E DE-R 4068  f.  – Kräuterspiri­ tuosen.

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weisung des Rechtsstreits an das an sich zuständige Kartell-Landgericht Hannover und wies die Feststellungsklage ab. Eine kartellrechtliche Nichtigkeit verneint das Landgericht unter Berufung auf die Jette-Joop-Entscheidung des Bundesgerichtshofs;36 ein Kartellrechtsverstoß liege erst dann vor, wenn die damalige Rechtslage keinen möglichen Unterlassungsanspruch gegeben hätte und darüber auch keine vernünftigen Zweifel bestanden hätten; es müsse also eine objektiv falsche, nicht mehr vertretbare Beurteilung der Kollisionslage vorliegen; der Beurteilungsspielraum sei großzügig zu bemessen; es gebe keinen Hinweis darauf, dass die Parteien einen vermeintlichen zeichenrechtlichen Konflikt vorgeschoben hätten, um eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zu legitimieren. Die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig zeigt damit exemplarisch die Fehlvorstellungen, die die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen von Abgrenzungsvereinbarungen verharmlosen und die durch die Jette-Joop-Entscheidung ausgelöst worden sind.

36 LG Braunschweig, Urt. v. 28.8.2013 – 9 O 2637/12, WuW/E DE-R 4068, 4073 – Kräuterspirituosen.

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Die kartellrechtliche Selbstveranlagung Erfahrungen, Defizite, Verbesserungspotential – Eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren VO 1/2003 I. Einführung II. Entfallen der Bußgeldimmunität als ­erstes Defizit an Rechtssicherheit III. Informelle Abklärung als Ausgleich für den Wegfall von Anmeldungen? IV. Gruppenfreistellungsverordnungen bzw. Bekanntmachungen und Leitlinien als Orientierungshilfen



V. Beurteilungsspielräume der Unter­ nehmen als Kompensation?

VI. Angemessenheit eines erheblichen ­Bußgeldrisikos bei Fehleinschätzungen? VII. Reformüberlegungen und Schluss­ betrachtungen

I. Einführung Wenn man, wie der Jubilar, bereits vor dem Jahr 2003 Unternehmen kartellrechtlich beraten hat, hat man die Vor- und Nachteile des Anmeldesystems unter der Kartellverordnung VO 17/62 kennengelernt. Hatten Vertragspartner eine Vereinbarung geschlossen, die wettbewerbsbeschränkende Klauseln enthielt, die geeignet waren, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, musste diese, um zivilrechtlich durchsetzbar zu sein und um Schutz vor einem etwaigen Bußgeldrisiko zu erlangen, bei der EU-Kommission nach dem Formblatt AB angemeldet werden. Diese prüfte nach Erhalt der Anmeldung die Vereinbarkeit der Vereinbarung mit ex-Art. 81 Abs.  1 EG (nunmehr Art. 101 Abs. 1 AEUV) bzw. die Freistellbarkeit der wettbewerbsbeschränkenden Klauseln gemäß ex-Art. 81 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 101 Abs. 3 AEUV). Das bisweilen mühsame und aufwändige Procedere des Anmeldungsverfahrens wurde aufgewogen durch die Rechtssicherheit, die die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen durch die Anmeldung erstrebten. Mit dem Erlass der VO 1/2003 im Jahr 2003 und ihrem Inkrafttreten am 1. Mai 2004 ist das Anmeldesystem bekanntlich durch das System der Selbstveranlagung ersetzt worden. Damit entfielen die Last, aber auch die Möglichkeit einer Anmeldung bei der EU-Kommission und damit die Möglichkeit der kartellrechtlichen Absicherung eines Vertragsschlusses durch die Einholung eines Negativattestes oder einer Freistellung. Aus Sicht der europäischen Kartellbehörde ging der Paradigmenwechsel einher mit einer erheblichen Arbeitsentlastung, die sich sowohl aus dem Wegfall des Anmeldesystems ergab als auch aus der unmittelbaren und direkten Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV in seiner Gesamtheit, insbesondere der Freistellungsnorm in Art. 101 Abs. 3 AEUV, und aus der damit einhergehenden dezentralen Anwendung des euro151

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päischen Kartellrechtes. Die Kehrseite der Medaille für die betroffenen Unternehmen war, dass die durch eine verbindliche Aussage der EU-Kommission resultierende Rechtssicherheit ersatzlos wegfiel. Die Unternehmen waren vielmehr verpflichtet, die Vereinbarkeit ihrer Vereinbarungen mit dem europäischen Kartellverbot selbst sicherzustellen. Und zwar auf die Gefahr hin, dass eine europäische Kartellbehörde oder ein europäisches Kartellgericht zu einem späteren Zeitpunkt ex post zum Ergebnis gelangt, dass die betreffende Vereinbarung mit dem Kartellverbot unvereinbar sei. Mangels Bestätigung durch die Kartellbehörde verblieb das Risiko der Unvereinbarkeit mit dem Kartellverbot bei den Unternehmen. Der Aspekt der mangelhaften Rechtssicherheit ist sowohl von der EU-Kommission als auch von den mitgliedstaatlichen Kartellbehörden lange Zeit bewusst in Kauf genommen, ja bisweilen gar nicht ernst genommen worden. Vergleichbares gilt für die Politik, die sich des Themas überhaupt nicht annahm. Geändert hat sich dies, zumindest für die Bundesrepublik Deutschland, durch die letzte, komplizierte Regierungsbildung. Dort hat der Topos des „Kartellrecht 4.0“ überraschenderweise einige Prominenz erfahren, wobei neben den Aspekten der Digitalisierung und Big Data auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit von Kooperationen eine Rolle gespielt hat.1 Daher ist mit einigem Recht die Frage aufzuwerfen, ob die Anwendungspraxis unter dem Regime der VO 1/2003, insbesondere im Hinblick auf die Verpflichtung zur Selbstveranlagung durch die Unternehmen, den Aspekt der Rechtssicherheit nicht vielleicht allzu sehr außer Acht gelassen hat. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der eher aus der Perspektive der Kartellbehörden und des Gesetzgebers aufzuwerfen ist. Ohne zu übertreiben lässt sich sagen, dass in manchen Bereichen, z.B. im Bereich der vertikalen Vereinbarungen, die EU-Kommission in den vergangenen Jahren praktisch nicht tätig war. Während unter dem Regime der VO 17/62 gerade Vertikalthemen eine erhebliche Bedeutung hatten, die sich auch in einer aktiven Gesetzgebungstätigkeit niederschlug, hat sich die EU-Kommission gerade in den letzten 15 Jahren in diesem Bereich eher passiv gezeigt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Kommission hinreichend praktische Erfahrungen sammeln kann, um die im Jahr 2022 anstehende Reform der Vertikal-GVO zu meistern. Es zeigt sich nämlich immer wieder, dass eine praxisnahe und sachgerechte Normgebung nur möglich ist, wenn eine Behörde wie die EU-Kommission, der das ausschließliche Vorschlagsrecht für die neue Verordnung zusteht, durch die Befassung mit konkreten Anwendungsfällen ausreichend Erfahrungen hat sammeln können. Mangels Freistellungsverfahren und mangels Befassung mit konkreten Sachverhalten, die zu Beratungsschreiben hätten führen können, zu denen sich die EU-Kommission im Vorfeld der Verabschiedung der VO 1/2003 bereit erklärt hatte, sind Zweifel angebracht, ob ein hinreichender Fundus an Erfahrungen und praktischen Beispielen vorhanden ist, der eine sachgerechte Regulierung des Vertikalbereiches, um bei diesem Beispiel zu bleiben, ermöglicht. Im Folgenden sollen einige rechtliche und praktische Probleme herausgegriffen werden, die sich im Zusammenhang mit der Selbstveranlagung durch Unternehmen als 1 Vgl. Stancke, Kartellrecht 4.0 und die Frage der Balance (Editorial), NZKart 2018, 285.

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problematisch erwiesen haben, wobei ein besonderer Fokus auf das Defizit an Rechtssicherheit gelegt wird. Die dabei anzustellenden Erwägungen sollen abschließend zu einigen Anregungen und Reformüberlegungen führen.

II. Entfallen der Bußgeldimmunität als erstes Defizit an Rechtssicherheit Unter dem Regime der VO 1/2003 entfällt, wie bereits ausgeführt, die Möglichkeit, eine Vereinbarung bei der EU-Kommission anzumelden. Eine Anmeldung brachte für die anmeldenden Parteien, die sich nicht auf die Anwendbarkeit einer Grup­ penfreistellungsverordnung verlassen konnten oder wollten, die Aussicht auf eine Einzelfreistellung der Vereinbarung vom Kartellverbot mit sich, wenn häufig auch lediglich in Form eines Verwaltungsschreibens (comfort letter). Auch ein Verwaltungsschreiben gab den anmeldenden Unternehmen allerdings regelmäßig ausreichende (Rechts-)Sicherheit, um die betreffende Vereinbarung umsetzen zu können. Von größerer Bedeutung war für Unternehmen regelmäßig die Immunität von einem Bußgeld, das potenziell gegen jede kartellrechtswidrige Vereinbarung verhängt werden kann.2 Da diese Möglichkeit unter dem Regime der VO 1/2003 wegfällt, tragen Unternehmen nunmehr das uneingeschränkte und volle Subsumtionsrisiko, ob eine Vereinbarung, sofern sie in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, die Freistellungsvoraussetzungen von Abs. 3 erfüllt.3 Die Unternehmen müssen also mehr Eigenverantwortung hinsichtlich der Vereinbarkeit ihrer Vereinbarungen mit Art. 101 AEUV tragen. Eine Anmeldung bei der Kommission hatte für die anmeldenden Unternehmen aber nicht nur den Vorteil der Bußgeldimmunität, sondern einen entscheidenden weiteren Vorteil. Nicht selten äußerte die Kommission zwar keine Bedenken gegen die angemeldete Vereinbarung insgesamt, jedoch gegen einzelne Klauseln. Dies führte regelmäßig dazu, dass die Parteien, sofern sie die Kommission nicht davon überzeugen konnten, dass die geäußerten Bedenken unbegründet waren, die Vereinbarung in dem fraglichen Punkt ergänzten oder änderten. Nicht selten gingen der Anpassung langwierige Verhandlungen zwischen der Kommission und den anmeldenden Unternehmen voraus. Neben originär wettbewerbsrechtlichen Argumenten flossen auch allgemeine, wirtschaftliche Erwägungen ein. Die bilateralen Gespräche führten in aller Regel zu Kompromissen, die für alle Beteiligten akzeptabel waren. Diese Möglichkeit steht, abgesehen von der Abgabe verbindlicher Verpflichtungszusagen nach Art. 9 VO 1/2003, heute nicht mehr zur Verfügung. Damit fehlt der EU-Kommission aber ein wichtiges Mittel, um Problembereiche zu analysieren, aus ihrer Sicht akzeptable Lösungsvorschläge zu erarbeiten und mit den Vertragsparteien Kompromisse zu erzielen. Solche sind aber, wie die Erfahrung aus Gesetzgebungsvorhaben der Vergangenheit zeigt, für die Entwicklung von Normen und Bestimmungen z.B. in Gruppenfreistellungsverordnungen von erheblicher Bedeutung. Ohne sachbezogene Ge2 Art. 15 Abs. 1 VO 17/62. 3 Böge/Bardong in Münchener Kommentar zum EuWettbR, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 9; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 17.

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spräche mit Unternehmen in einem konkreten Einzelfall fehlt der EU-Kommission eine wichtige Quelle, um praktische Erfahrungen mit bestimmten Vertragstypen sammeln zu können. Sektorenuntersuchungen, auf die die EU-Kommission in den letzten Jahren gesetzt hat, können solche sachverhaltsgetriebenen Verfahren nur eingeschränkt ersetzen.

III. Informelle Abklärung als Ausgleich für den Wegfall von ­Anmeldungen? Parteien einer Vereinbarung können selbstverständlich auch weiterhin mit der EU-Kommission (oder wegen der dezentralen Anwendung des EU-Kartellverbots mit mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden) Kontakt aufnehmen, um eventuelle kartellrechtliche Probleme im Zusammenhang mit einer Vereinbarung zu diskutieren. Sowohl die Kommission als auch zahlreiche mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden, wie das Bundeskartellamt, haben zu erkennen gegeben, dass sie für informelle Abklärungen grundsätzlich zur Verfügung stehen. Allerdings hat vor allem die EU-Kommission darauf hingewiesen, dass sie nicht gewillt ist, einen Zustand zu akzeptieren, der mit demjenigen eines Anmeldesystems vergleichbar wäre. Die betroffenen Unternehmen haben deshalb unter dem neuen Regime keinen Anspruch auf die Aufnahme informeller Gespräche mit der EU-Kommission. Vielmehr gedenkt die Kommission ausschließlich im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu entscheiden, ob eine informelle Abklärung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit Art. 101 AEUV sinnvoll ist. Dies hat die EU-Kommission in ihrer Erklärung zum Ratsprotokoll verlautbart. Danach berührt der Übergang vom Anmelde- und Genehmigungssystem zum System der Legalausnahme die Möglichkeit der Kommission nicht, einzelnen Unternehmen informell Rat zu erteilen, wenn neuartige oder ungelöste Fragen eine grundsätzliche Rechtsunsicherheit bewirken. Die Kommission erklärt sich bereit, unter bestimmten Umständen eine Beratung in Form schriftlicher Stellungnahmen zu erteilen. Jedoch sieht sich die Kommission nicht zur Beratung in jedem Einzelfall verpflichtet.4 Die EU-Kommission hat mit dem Erlass der Durchführungsverordnung VO 773/2004 eine Bekanntmachung über die informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Art. 81, 82 EG, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), veröffentlicht.5 In dieser Bekanntmachung legt die Kommission die Grundsätze nieder, nach denen sie unter dem Regime der VO 1/2003 informelle Beratungen mit den Parteien einer Vereinbarung aufnimmt sowie Beratungsschreiben an die Parteien richtet. Grundsätzlich geht die EU-Kommission aber davon aus, dass die Unternehmen unter dem System der Legalausnahme in aller Regel in der Lage sind, die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens selbst zu beurteilen. Sollte das nicht der Fall sein, beabsichtigt die Kommission, ergänzend zur Orientierung Gruppenfreistellungsverordnungen, Leitlinien und Bekanntmachungen zu veröffentlichen, um den Unternehmen die Beurteilung ihres ei4 Rat der Europäischen Union, Dok. 15435/02, ADD 1 v. 10.12.2002, S. 8. 5 Bekanntmachung über Beratungsschreiben, ABl. 2004 C 101/78.

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genen Falles zu erleichtern.6 Nur in Fällen, in denen neue oder ungelöste Fragen in Bezug auf die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV auftauchen, sollen Unternehmen berechtigt sein, mit der EU-Kommission in Kontakt zu treten. Nur wenn sich die Befassung mit einem an die EU-Kommission herangetragenen Einzelfall mit den Prioritäten der Kommission bei der Durchsetzung des EU-Kartellrechts vereinbaren lässt, ist sie bereit, sich zu diesen Fragen zu äußern und Beratungsschreiben an die betroffenen Unternehmen zu richten. Voraussetzung für eine informelle Beratung ist es nach Auffassung der EU-Kommission, dass die aufgeworfene Rechtsfrage nicht allein auf der Grundlage der bisherigen Entscheidungspraxis der Kommission sowie der Gemeinschaftsgerichte beantwortet werden kann. Außerdem beabsichtigt die Kommission, die wirtschaftliche Bedeutung der betroffenen Vereinbarung, die Auswirkung auf den Binnenmarkt sowie den Umfang der Transaktion, insbesondere wenn es um die Gründung von Teilfunktions-Gemeinschaftsunternehmen geht, zu prüfen. Sollten die Fragen bereits geklärt sein, beabsichtigt die Kommission nicht, in informelle Gespräche mit den Parteien einzutreten.7 Die Bekanntmachung macht deutlich, dass die EU-Kommission nur in ganz wenigen Ausnahmefällen bereit ist, mit den betroffenen Unternehmen informelle Beratungen aufzunehmen und Beratungsschreiben an die Unternehmen zu richten.8 Die bisherige Praxis zeigt, dass die Unternehmen nur in Ausnahmefällen Orientierung von der Kommission erwarten dürfen. Bis dato9 hat es kein einziges Beratungsschreiben gegeben. Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese restriktive Praxis in absehbarer Zeit ändern wird. Als nicht deutlich großzügiger hat sich die Praxis der nationalen Wettbewerbsbehörden erwiesen. Diese hatten zwar anfänglich verlauten lassen, dass sie auch unabhängig von den Vorgaben der Bekanntmachung der Kommission über Beratungsschreiben Unternehmen Hilfestellungen geben werden. Es schien sich deshalb häufig zu empfehlen, nicht auf die Kommission, sondern eher auf die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden zuzugehen, wenn Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit Art. 101 AEUV entstanden sind. Allerdings hat es sich nicht erwiesen, dass die mitgliedstaatlichen Behörden bereitwilliger als die Kommission sind, Unternehmen zu beraten. Dies wird sich vermutlich in absehbarer Zeit ebenfalls nicht entscheidend ändern.

IV. Gruppenfreistellungsverordnungen bzw. Bekanntmachungen und Leitlinien als Orientierungshilfen Größere Rechtssicherheit können Unternehmen erlangen, wenn eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung fällt. Sind die tat6 Bekanntmachung über Beratungsschreiben, Rz. 6 ff.; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 19 ff. 7 Bekanntmachung über Beratungsschreiben, Rz. 11. 8 Kritisch zu Recht Immenga, EuZW 2005, 353. 9 Stand: 1.7.2018.

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bestandlichen Voraussetzungen einer Gruppenfreistellungsverordnung erfüllt, ist diese automatisch vom Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgenommen. Allerdings wirft die Anwendung der Gruppenfreistellungsverordnung häufig ebenso Zweifelsfragen auf wie die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV.10 Bei der Berufung auf eine Gruppenfreistellungsverordnung stellt sich z.B. das Problem der sachlichen und geographischen Marktabgrenzung ebenso wie bei der Anwendung von Art. 101 AEUV. Ist die Bestimmung des sachlich und geographisch relevanten Marktes zweifelhaft, verbleiben z.B. Zweifel hinsichtlich der Frage, ob die jeweils einschlägigen Marktanteilsschwellen überschritten werden. Die Kommission hat darüber hinaus eine große Zahl von Bekanntmachungen veröffentlicht, die eine Orientierung der betroffenen Wirtschaftskreise erleichtern sollen.11 Sie hat zeitgleich mit dem Erlass der Durchführungsverordnung VO 773/2004 Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81, 82 des Vertrags sowie Leitlinien zu Art. 81 Abs. 3 EG veröffentlicht. Hinzu kommen insbesondere die Vertikalleitlinien und die Horizontalleitlinien.12 Diese Leitlinien sind jedoch  – trotz bzw. gerade wegen ihrer beschränkten Verbindlichkeit13 – häufig nur eine erste Orientierungshilfe. Sie erleichtern die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit Art. 101 AEUV. Sie können jedoch nicht verhindern, dass gravierende und für die Praxis häufig unakzeptable Bedenken und Zweifel verbleiben.14 Das gilt z.B. für die Bewertung der Frage, ob eine Vereinbarung als spürbar i.S.v. Art.  101 AEUV angesehen werden kann. Die Parteien einer Vereinbarung können sich zwar an der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht spürbar beschränken (de minimis), orientieren. Die tatsächliche Bewertung der Spürbarkeit müssen sie aber selbst vornehmen. Auch insoweit verbleiben häufig erhebliche Zweifel. Die Unsicherheit wird noch dadurch verstärkt, dass die mitgliedstaatlichen Behörden an die Bekanntmachung der Kommission ebenso wenig gebunden sind wie die europäischen und die nationalen Gerichte. Diese werden sich zwar häufig ebenfalls an den Aussagen der Kommission orientieren und von diesen nicht ohne Not abweichen.15

10 Bechtold, EWS  2001, 49; K.  Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 34. 11 Für die Bagatellbekanntmachung der Kommission EuGH v. 13.12.2012  – Rs. C-226/11, ECLI:EU:C:2012:795 Rz. 28 = NZKart 2013, 111, 112 = WuW/E DE-R 2638 – Expedia. 12 Pampel, Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht, 2005; Thomas, EuR 2008, 312; krit. allg. Weiß, EWS 2010, 257, 259 ff.; ähnlich, aber diff. Bechtold, GRUR 2012, 107, 111 f. 13 Bechtold, Festschrift Hirsch, 2008, S. 223 ff.; Frenz, WRP 2010, 224. 14 K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 19; krit. auch Bechtold, GRUR 2012, 107, 111. 15 BGH im Fall Selektive Exklusivität BGH v. 7.10.1997 – KVR 14/96, JZ 1998, 960 mit Anm. Brinker.

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Dass sie dies im Einzelfall doch einmal tun können, ohne gegen europäisches Recht zu verstoßen, hat der EuGH bestätigt.16 Das Gleiche gilt schließlich, möglicherweise sogar in deutlich größerem Maße für die Frage, ob eine Vereinbarung, die grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst ist, die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt. Grundsätzlich werden die Unternehmen bemüht sein, ihre Vereinbarung so auszugestalten, dass sie in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung fällt. Ist dies der Fall, können die Parteien rechtssicher davon ausgehen, dass die betreffende Vereinbarung mit Art.  101 AEUV vereinbar ist. Es werden jedoch häufig Zweifel verbleiben, ob die einschlägige Gruppenfreistellungsverordnung tatsächlich anwendbar ist. In diesem Fall müssen die Vertragsparteien zumindest hilfsweise prüfen, ob die Voraussetzungen einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV unmittelbar gegeben sind. Die Leitlinien zu Art. 101 Abs. 3 AEUV vermitteln zwar die grundlegenden Kenntnisse, wie diese Bestimmung anzuwenden ist. Neben allgemeinen Grundsätzen finden sich auch Detailbemerkungen zu Effizienzgewinnen, die im Rahmen der Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV von Bedeutung sein können. Auch die Tatbestandsmerkmale der Unerlässlichkeit sowie der angemessenen Beteiligung der Verbraucher werden erläutert. Die Ausführungen der Kommission können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine erhebliche Rechtsunsicherheit verbleibt. Absolute Gewissheit können die Unternehmen nicht gewinnen, selbst wenn sie sich so weit wie möglich an den Leitlinien orientieren.

V. Beurteilungsspielräume der Unternehmen als Kompensation? Kommt es bei der Einschätzung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit Art. 101 AEUV naturgemäß zu Unsicherheiten und Fehleinschätzungen, stellt sich die Frage, ob Unternehmen bei der Beurteilung der Freistellungsvoraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV einen Beurteilungsspielraum in Anspruch nehmen können. Der EuGH hat der Kommission bei der Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV stets einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt.17 Begründet wurde diese mit dem Argument, die Kommission nehme bei der Prüfung der Freistellungsfähigkeit einer Vereinbarung politische Verantwortung wahr. Deshalb wurde es als angemessen angesehen, ihr ein ausreichendes Ermessen und einen entsprechenden Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Diesen respektierte der Gerichtshof und stellte entsprechend seine eigenen Erwägungen nicht an die Stelle derjenigen der Kommission. Wenn die Kommission nach der VO 1/2003 aber nicht mehr dazu aufgerufen ist, eine konstitutive Freistellungsentscheidung zu treffen, sondern den Unternehmen im Rahmen der Übertra16 EuGH v. 13.12.2012 – Rs. C-226/11, ECLI:EU:C:2012:795 Rz. 24 ff. = NZKart 2013, 111 = WuW/E DE-R 2638 – Expedia; mit ausführlicher Begründung die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rs.  C-226/11 v.  6.9.2012 (EuGH ECLI:EU:C:2012:795 Rz. 35 ff. – Expedia), die aber eine weitergehende Prüfungs- und Berücksichtigungspflicht der nationalen Wettbewerbsbehörden für geboten hält; Bechtold, GRUR 2012, 107, 108. 17 Vgl. den Überblick und die Nachweise bei Bechtold/Bosch/Brinker, EU-KartR, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 37.

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gung von mehr Eigenverantwortung überlässt, drängt sich die Frage auf, ob die Unternehmen nicht einen vergleichbaren Beurteilungsspielraum für sich in Anspruch nehmen können müssen.18 Die Haltung der EU-Kommission wie auch der nationalen Wettbewerbsbehörden und -gerichte zu dieser Frage ist allerdings eindeutig: Sie beanspruchen die volle Überprüfbarkeit der Einschätzung der Unternehmen hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. der Freistellungsfähigkeit einer Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV und verneinen jeden Beurteilungsspielraum der Vertragsparteien. Ein Beurteilungsspielraum soll den Unternehmen nicht zukommen. Wenn die Unternehmen nicht die Möglichkeit haben, in angemessener Form Rechtssicherheit zu erlangen, sondern im Wege der Eigeneinschätzung selbst die Frage beantworten müssen, ob eine Vereinbarung die Freistellungsvoraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt, sollte ihnen nach meiner Einschätzung ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden werden.19 Die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV sind unbestimmt und offen formuliert. Vollständige Sicherheit hinsichtlich des Eintritts der Freistellungsvoraussetzungen lässt sich daher nicht erreichen. Dass die Kommission zahlreiche Leitlinien und Bekanntmachungen veröffentlicht hat, um den Unternehmen Hinweise zur Anwendung und Auslegung der EG-Kartellrechtsnormen zu geben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass erhebliche Risiken verbleiben.20 Es kann aber nicht ausschließlich in den Risikobereich der Unternehmen fallen, wenn sie vor diesem Hintergrund einer Fehleinschätzung erlegen sind.21 Unbestimmte Rechtsbegriffe, die in einer Rechtsordnung unvermeidlich sind, sind hinzunehmen, wenn eine Behörde oder ein Gericht eine rechtsgestaltende Konkretisierung vornimmt. Wenn jedoch unbestimmte Rechtsbegriffe lediglich einer deklaratorisch wirkenden ex-post-Kontrolle unterworfen sind, wird das Subsumtionsrisiko in rechtsstaatlich unakzeptabler Form den Unternehmen auferlegt. Dies ist auch in einem System der Legalausnahme nicht hinnehmbar.

VI. Angemessenheit eines erheblichen Bußgeldrisikos bei ­Fehleinschätzungen? Neben der Frage, ob den Unternehmen bei der Beurteilung der Frage, ob die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall vorliegen, ein Ermessen oder Beurteilungsspielraum zugebilligt wird, stellt sich die weitere Frage, ob und 18 Bechtold, WuW 2003, 343; ebenso Bechtold/Bosch/Brinker, EU-KartR, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 37. 19 Bechtold, WuW 2003, 343; Dreher/Thomas, WuW 2004, 8, 14  ff.; einen „Vertretbarkeitsspielraum“ fordert K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 31; a.A. aber Böge/Bardong in Münchener Kommentar zum EuWettbR, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 27. 20 Bechtold, GRUR 2012, 107, 111 f.; der Fall Schenker EuGH v. 18.6.2013 – Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rz. 40 ff. = NZKart 2013, 332, 333 = WuW/E EU-R 2754 – Schenker, ist ein anschauliches Beispiel für die verbleibende Rechtsunsicherheit. 21 Dreher/Thomas, WuW 2004, 8, 15 ff.

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ggf. unter welchen Voraussetzungen die Unternehmen für sich in Anspruch nehmen dürfen, von einem Bußgeld verschont zu werden, weil sie sich bei der Beurteilung des Vorliegens der Freistellungsvoraussetzungen geirrt haben. Unter dem Regime der VO 17/62 war die Praxis der Gemeinschaftsgerichte ebenso wie die der Kommission äußerst restriktiv.22 Es wurde der zentrale Einwand erhoben, Unternehmen, die hinsichtlich der Freistellungsfähigkeit einer Vereinbarung unsicher waren, könnten eine Einzelfreistellung bei der Kommission nach Art. 101 Abs. 3 AEUV beantragen. Wenn sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machten, sollte kein Anlass gegeben sein, dass sich die Unternehmen nachträglich auf einen Verbotsirrtum berufen könnten, der die Verhängung eines Bußgeldes ausschließen würde. Nur wenn die Kommission selbst durch falsche Hinweise und Stellungnahmen einen Rechtsirrtum provoziert habe, sollte es an einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Wettbewerbsregeln fehlen.23 Dreher/Thomas vor allem sind zu Recht der Auffassung, dass diese Standards unter dem System der Legalausnahme nicht mehr gelten dürfen.24 Fällt die Möglichkeit einer Anmeldung bei der Kommission weg, ist den Unternehmen das zentrale Instrument genommen, um Rechtssicherheit zu erlangen. Aus diesem Grunde müssten sich Unternehmen eigentlich in größerem Umfang als bisher darauf berufen können, dass sie sich bei der Einschätzung des Vorliegens der Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV geirrt haben. In der Rechtssache  Schenker hat Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 28.2.201325 ausführlich dargelegt, dass im Hinblick auf den strafrechtsähnlichen Charakter des Kartellbußgeldrechtes sowohl das Rechtsstaats- als auch das Schuldprinzip gelten müssten. Der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit mache die Anerkennung des Grundsatzes nulla poena sine culpa erforderlich, der sich auf Unionsebene aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie aus Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie aus Art. 6 Abs. 2 EMRK mittelbar ergebe, da er implizit eine notwendige Voraussetzung der Unschuldsvermutung sei.26 Auch wenn die Voraussetzungen, die die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen ausführlich darlegt, in der Praxis nur selten gegeben sein dürften, müsse das Institut des unvermeidbaren, entschuldbaren und nicht vorwerfbaren Irrtums anerkannt sein. In der konkret zu entscheidenden Rechtssache Schenker ging es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einholung von Rechtsrat durch ein Unternehmen geeignet sein kann, einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. Generalanwältin Kokott nennt sechs Mindestvoraussetzungen, die für das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums vorliegen müssten. Der betreffende Rechtsrat muss von einem unabhängigen, externen Rechtsanwalt eingeholt werden, der nicht 22 Dreher/Thomas, WuW 2004, 8, 10 ff. m.w.N. 23 Dreher/Thomas, WuW 2004, 8, 10 ff. m.w.N. 24 So auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 28.2.2013 in der Rs. C-681/11, EuGH NZKart 2013, 147 Rz. 55 – Schenker. 25 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 28.2.2013 in der Rs. C-681/11, NZKart 2013, 147 – Schenker. 26 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott EuGH NZKart 2013, 147 Rz. 40 f. – Schenker.

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Mitarbeiter der internen Rechtsabteilung des Unternehmens oder des Konzerns sein darf. Unter Berufung auf die Rspr. des EuGH zum Legal Privilege27 verneint Generalanwältin Kokott die Unabhängigkeit des von einem Unternehmensjuristen getätigten Rechtsrates. Darüber hinaus verlangt sie des Weiteren, dass es sich um den Rat eines auf das Kartellrecht spezialisierten und regelmäßig mit Mandaten aus diesem Bereich betrauten, fachkundigen Rechtsanwaltes handelt, der seinen anwaltlichen Rat auf der Grundlage einer vollständigen und zutreffenden Schilderung der Tatsachen erteilt hat, was im Fall einer nur lückenhaften oder gar wahrheitswidrigen Informationsvermittlung auszuschließen ist. Der Rechtsrat muss sich umfassend mit der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission sowie der Unionsgerichte auseinandersetzen und zu allen rechtlich einschlägigen Gesichtspunkten eingehend Stellung nehmen. Falls sich aus dem Rechtsrat ergibt, dass die Rechtslage im konkreten Einzelfall unklar ist, handle das Unternehmen auf eigene Gefahr, wenn es sich über die formulierten Bedenken hinwegsetzt.28 Sind die von Generalanwältin Kokott formulierten Mindestanforderungen bereits ziemlich restriktiv, geht der EuGH in seinem Urteil noch deutlich darüber hinaus.29 Der EuGH setzt sich mit den Überlegungen der Generalanwältin nicht auseinander, inwieweit der Grundsatz nulla poena sine culpa die Zulassung des Instituts des unvermeidbaren Verbotsirrtums erforderlich macht. Stattdessen stellt er allein und ausschließlich darauf ab, ob sich die betroffenen Unternehmen im Rahmen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes auf den durch einen externen Anwalt gegebenen Rechtsrat verlassen dürfen. Dies lehnt der EuGH insgesamt und kategorisch ab und sieht keine Möglichkeit, dass sich ein Unternehmen wegen eines erteilten, letztlich unrichtigen Rechtsrates exkulpieren und von der Verhängung einer Geldbuße ausgenommen werden kann. Ganz im Gegenteil formuliert der Gerichtshof mit vergleichsweise harschen Worten, dass „[d]er Rechtsrat eines Anwalts […] bei einem Unternehmen […] auf keinen Fall ein berechtigtes Vertrauen darauf begründen [kann], dass sein Verhalten nicht gegen Art. 101 AEUV verstößt oder nicht zur Verhängung einer Geldbuße führt.“ Diese äußerst restriktive Haltung des EuGH ist für die betroffenen Unternehmen unbefriedigend. Die im Vorfeld der Verabschiedung der VO 1/2003 geäußerte Befürchtung, das System der Legalausnahme und die Verpflichtung zur Selbstveranlagung bürde den Unternehmen unakzeptable und hohe Risiken auf, scheint sich bewahrheitet zu haben. Wenn es, wie der EuGH ausgeführt hat, keine Möglichkeit gibt, Rechtssicherheit durch die Einholung externen Rechtsrats zu erlangen, wenn die Kommission selbst den Unternehmen keine Hinweise gibt, vergleichbare Äußerungen der nationalen Wettbewerbsbehörden jedoch ebenso wenig Vertrauensschutz begründen können wie von einem externen, im Kartellrecht erfahrenen Anwalt eingeholter Rechtsrat, verbleibt das volle Risiko der Kartellrechtskonformität von Vereinbarungen bei den Unternehmen. Dies ist, gerade vor dem Hintergrund des Systemwechsels 27 EuGH v. 14.9.2010 – Rs. C-550/07 P, Slg. 2010, I-8301 = NJW 2010, 3557 – Akzo Nobel. 28 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott EuGH NZKart 2013, 147 Rz. 64–71 – Schenker. 29 EuGH v. 18.6.2013 – Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rz. 41 ff. = NZKart 2013, 332, 333 = WuW/E EU-R 2754 – Schenker.

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von der VO  17/62 zur VO 1/2003 unangemessen. Besonders unbefriedigend ist in diesem Kontext, dass der EuGH, was im Hinblick auf die Darlegungen der Generalanwältin Kokott nahegelegen hätte, den Rechtsgrundsatz nulla poena sine culpa mit keinem Wort erwähnt. Es stellt sich vor diesem ernüchternden Ergebnis die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Entscheidungsfindung von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsgremien nach dem einschlägigen nationalen Gesellschaftsrecht hat. Verbleiben hinsichtlich der Freistellbarkeit einer Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV Zweifel, müsste die Geschäftsführung bzw. der Vorstand den Abschluss einer solchen Vereinbarung ablehnen, um auch nur vage rechtliche Risiken vollständig ausschließen zu können. Wenn der EuGH die Akzeptanz des Rechtsinstituts eines unvermeidbaren Verbotsirrtums kategorisch ausschließt, verlagert sich die Diskussion auf die der Organhaftung nach den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten, insbesondere den maßgeblichen Vorschriften im GmbH- sowie vor allem im Aktienrecht.30 Maßgeblich sind im deutschen Gesellschaftsrecht die Vorschriften in § 93 AktG bzw. § 43 GmbHG bzw. die entsprechenden Vorschriften für den Aufsichtsrat in § 111 AktG bzw. § 52 GmbHG i.V.m. § 111 AktG. Welche Prüfungs- und Abwägungspflichten Geschäftsführer und Vorstände bzw. Aufsichtsräte treffen, ergeben sich für das deutsche Gesellschaftsrecht insbes. aus der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des II. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes.31 Danach sind die Geschäftsführer und Vorstände bzw. die Aufsichtsräte nicht verpflichtet, in jedem Fall eine ganz bestimmte Entscheidung zu treffen. Vielmehr müssen sie eine sachgerechte Entscheidung (welchen Inhalts auch immer) auf der Grundlage eines sorgfältig und umfänglich ermittelten Sachverhaltes und unter Berücksichtigung eingeholten (internen oder externen) Rechtsrates eines mit den betreffenden Themen vertrauten, fachkundigen Rechtsanwalts treffen. Die Entscheidungsfindung muss sorgfältig protokolliert und dokumentiert werden, um ggf. den Nachweis führen zu können, dass die Entscheidungsfindung auf kundiger Basis und sachgerecht erfolgt ist.32 Rechtliche Stellungnahmen, unabhängig davon, ob sie von internen oder externen Rechtsberatern abgegeben werden, werden keine letzte Sicherheit darüber geben können, ob eine Vereinbarung mit Art.  101 AEUV vereinbar ist, insbesondere ob die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt sind. In solchen Stellungnahmen werden auf der Grundlage eines gründlich ermittelten, umfassenden Sachverhalts lediglich die rechtlichen Voraussetzungen zusammengetragen und ausgewertet werden können. Auch werden im Rahmen der Subsumtion die Argumente dargelegt werden können, ob die ermittelten Rechtsgrundsätze auf den jeweils zu beurteilenden Fall übertragbar sind oder nicht. Abschließende Rechtssicherheit wird sich dadurch nicht erlangen lassen. Etwas anderes gilt möglicherweise für ökonomische Analysen. Die Kommission hat in ihren Leitlinien zu Art.  101 Abs.  3 AEUV deutlich gemacht, dass für die Frage, ob durch eine Vereinbarung Effizienzgewinne 30 Fleischer, EuZW 2013, 326. 31 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = DStR 1997, 880 = AG 1997, 377. 32 Goette, Liber Amicorum Martin Winter, 2011, S.  153  ff.; Goette, Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 377 ff.; Zimmer, WuW 2007, 1198.

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erzielt werden können, umfangreiche ökonomische Analysen angestellt werden müssen. Dafür werden Untersuchungen erforderlich sein, die in einem Unternehmen häufig nicht geleistet werden können. Die Hinzuziehung ökonomischer Berater wird sich in solchen Fällen anbieten. Das gilt insbesondere, wenn ökonometrische Berechnungen angestellt werden. Dafür bedarf es nicht nur entsprechend ausgebildeter Ökonomen, die über die erforderliche Expertise und Erfahrung im Bereich der Ökonometrie verfügen. In technischer Hinsicht werden Unternehmen häufig nicht in der Lage sein, diese Untersuchungen im Unternehmen selbst auszuüben. Die aus der VO 1/2003 erwachsene Pflicht zur Selbsteinschätzung macht es jedoch erforderlich, dass die Unternehmen insbesondere bei der Prüfung des Eintritts der Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV sorgfältig vorgehen. Dabei wird es häufig nicht ausreichen, wenn die Unternehmen entweder selbst oder durch externe Berater die bisherige Praxis der Kommission und der Gemeinschaftsgerichte analysieren lassen und auf die jeweils betroffene Vereinbarung übertragen. Diese Untersuchungen werden nicht selten durch ökonomische Analysen sekundiert werden müssen. Unterbleiben diese, setzen sich die Unternehmen dem Vorwurf aus, nicht alles getan zu haben, um eine verlässliche Einschätzung des Eintritts der Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV abgeschätzt zu haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann das betroffene Unternehmen weder ein Ermessen bzw. einen Beurteilungsspielraum in Anspruch nehmen noch sich auf das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums berufen,33 auch wenn die Kommission oder mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, für die lediglich Zweifel hinsichtlich deren Freistellungsfähigkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bestehen, in der Regel keine Bußgelder verhängen. Die den Vertragsschluss bestätigenden Geschäftsführer oder Vorstände bzw. Aufsichtsräte müssen sich jedoch die Frage gefallen lassen, ob sie vor dem Hintergrund der Vorschriften in § 43 GmbHG und § 93 AktG bzw. § 111 AktG (ggf. i.V.m. § 52 GmbHG) ihren rechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachgekommen sind, um die Vereinbarkeit der betreffenden Vereinbarung mit den Vorgaben des europäischen Kartellrechts sicherzustellen. Diesen Nachweis werden sie nur führen können, wenn sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um eine möglichst umfassende Abschätzung des Vorliegens der Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV unternommen haben. Dies setzt sowohl eine umfassende Ermittlung sämtlicher relevanter Tatsachen und Sachverhaltselemente voraus wie auch die Einholung sachkundigen Rechtsrats durch einen fachkundigen und erfahrenen Kartellanwalt. Hinzu kommt, dass von den Unternehmen in formaler Hinsicht verlangt werden darf, die Prüfung angemessen zu dokumentieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, haben die betroffenen Unternehmen alles getan, was ihnen im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung zugemutet werden kann. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Einschätzung fehlerhaft war, können sich die Unternehmen nach der Rspr. des EuGH zwar nicht auf einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum berufen. Die Leitungsorgane werden sich aber, wenn sie die vorstehend zusammengefassten Vorgaben beachten, weder dem Vorwurf gesell33 EuGH v. 18.6.2013 – Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rz. 41 = NZKart 2013, 332, 333 = WuW/E EU-R 2754 – Schenker.

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schaftsrechtlicher Pflichtverletzungen aussetzen noch einem persönlichen Organhaftungsrisiko.

VII. Reformüberlegungen und Schlussbetrachtungen Betrachtet man die vorstehenden, naturgemäß skizzenhaften Überlegungen, muss sich quasi zwangsläufig ein Gefühl der Ernüchterung einstellen. Unternehmen können sich nicht darauf verlassen, dass ihnen bei der Prüfung der Vereinbarkeit geschlossener Vereinbarungen mit dem europäischen Kartellrecht ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden wird. Ganz im Gegenteil lassen Kartellbehörden und Kartellgerichte keinen Zweifel daran, dass Unternehmen im Rahmen von Selbstveranlagungen ein solcher Freiraum nicht zugestanden wird und auch nicht zugestanden werden sollte. In der Rechtssache Schenker hat der EuGH außerdem unzweifelhaft deutlich gemacht, dass ein Berufen auf eine kartellrechtliche Expertise zur Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit dem EU-Kartellverbot durch einen sachverständigen Kartellanwalt nicht zur Annahme eines entschuldbaren Verbotsirrtums führen kann, der z.B. die Verhängung einer Geldbuße ausschließen würde. All dies lässt keinen Zweifel daran, dass das Subsumtionsrisiko uneingeschränkt und in vollem Umfang bei den Unternehmen verbleibt, die damit allein die sich aus dem Paradigmenwechsel der VO 1/2003 – weg vom Anmeldesystem hin zu einem System der Legalausnahme und Selbstveranlagung – ergebende Rechtsunsicherheit vollumfänglich tragen müssen. Eine Absicherung durch eine Beratung oder gar eine förmliche Äußerung der EU-Kommission oder einer mitgliedstaatlichen Kartellbehörde steht in diesem Kontext nicht zur Verfügung. Zwar gibt es solche Rechtsinstrumente, sie kommen in der Praxis aber nicht zur Anwendung. Jedenfalls ist in den letzten 15 Jahren davon kein Gebrauch gemacht worden. Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen der EU-Kommission sind hierfür ebenso wenig ein Ersatz wie Sektorenuntersuchungen. Solche Rechtsinstrumente und Verfahren können die konkrete Detailbefassung mit Sachverhalten, die zu einzelfallbezogenen, spezifischen Lösungen schwieriger Kartellrechtsprobleme führen, nicht ersetzen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Desiderat, wenn, entsprechend dem Koalitionsvertrag der deutschen Regierung, zumindest für spezifische Bereiche des Kartellrechtes („Kartellrecht 4.0“) Lösungen gesucht werden, die sich eher an der alten Rechtslage vor dem Inkrafttreten der VO 1/2003 orientieren als an der gegenwärtigen Rechtslage.34 Konkrete, großvolumige Forschung-und Entwicklungsprojekte im Bereich der modernen Digitalwirtschaft erfordern erhebliche Investitionen, die in aller Regel nicht von einem Unternehmen allein getragen werden können. Erforderlich und sinnvoll sind Kooperationen, bei denen maßgebliche Markteilnehmer in einem Projekt eine klar definierte Rolle übernehmen. Auf diese Weise werden nicht nur die immensen Kosten auf mehrere Schultern verteilt. Auch die Entwicklungsergebnisse stehen in aller Regel nicht nur einem Unternehmen zur Verfügung, sondern mehre-

34 Vgl. Stancke, Kartellrecht 4.0 und die Frage der Balance (Editorial), NZKart 2018, 285.

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ren. Dass dies wettbewerbsfördernd und nicht wettbewerbshemmend ist, liegt auf der Hand. Wenn bedeutende Marktteilnehmer, die in einem Markt Wettbewerber sind, im Rahmen eines Projektes zusammenarbeiten, kann dies selbstverständlich wettbewerbliche Bedenken auslösen. Deshalb wäre es sinnvoll und wünschenswert, wenn eine Kartellbehörde solche Projekte im Einzelfall und im Detail auf ihre wettbewerblichen Auswirkungen prüfen und im Ergebnis eine förmliche Bestätigung erteilt, ob und in welchem Umfang ein solches Projekt kartellrechtskonform ist. Dies muss nicht zwingend in der Form eines förmlichen Beschlusses i.S.v. Art. 288 Abs. 4 AEUV geschehen. Vielmehr ist es durchaus denkbar, wenn wie in der Vergangenheit an die projektbeteiligten Unternehmen Verwaltungsschreiben mit einer begrenzten Rechtswirkung adressiert werden. In jedem Fall sind solche Einzelfallprüfungen und Bestätigungen im Sinne einer verbesserten Rechtssicherheit wünschenswert. Vor allem die EU-Kommission, aber auch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden sollten mehr als in der jüngeren Vergangenheit Bereitschaft zeigen, Unternehmen bei Großprojekten eine größere Rechtssicherheit zu verschaffen. Der Vorteil eines solchen Vorgehens läge im Übrigen nicht allein bei den Unternehmen, sondern würde auch den Kartellbehörden und damit letztlich der Wettbewerbspolitik zugutekommen. Eine sachkundige, „gute“ Gesetzgebung, wie sie z.B. im Rahmen der anstehenden Novellierung der Vertikal-GVO gebraucht wird, setzt praktische Erfahrung mit den Problemen voraus, denen sich die Unternehmen ausgesetzt sehen. Ohne eine konkrete Befassung mit Einzelsachverhalten und ein sorgfältiges Abwägen verschiedener Lösungsmöglichkeiten im Falle wettbewerblichen Bedenken gegen einzelne Klauseln oder eine vertragliche Vereinbarung insgesamt fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für das Setzen praxisorientierter, wettbewerblicher Normen, wie sie z.B. für eine neue, moderne Vertikal-GVO gebraucht werden. Die EU-Kommission, die allein ein Vorschlagsrecht für eine neue Gruppenfreistellungsverordnung hat, sollte die dafür erforderlichen Erfahrungen gewinnen. Dies lässt sich aus den dargelegten Gründen durch Sektorenuntersuchungen nicht ausgleichen. Es erfordert die Befassung mit, individuellen, komplexen Einzelfällen und einen intensiven Austausch mit den beteiligten Unternehmen.

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Franz Böhm und der „Siebenjährige Krieg“ um die Verabschiedung des GWB I. Einleitung II. Vita III. Die Rolle von Franz Böhm im GWB-­ Gesetzgebungsverfahren 1. Das alliierte Dekartellierungsrecht 2. Josten-Entwurf

3. Entwicklung bis zum Regierungsentwurf 1952 4. Beratung und Verabschiedung des GWB in der zweiten Legislaturperiode des Bundestags 5. Ergebnis IV. Würdigung

I. Einleitung Verfasser und Jubilar verbindet eine langjährige fruchtbare Zusammenarbeit im Vorstand der Studienvereinigung Kartellrecht. Außer dem Jubilar feiern auch das GWB und das Bundeskartellamt in diesem Jahr Geburtstag. Das GWB ist am 1. Januar 2018 vor 60 Jahren in Kraft getreten. Gleichzeitig nahm das Bundeskartellamt in Berlin mit 53 Mitarbeitern seine Tätigkeit auf.1 Der Verabschiedung des Gesetzes ging eine siebenjährige, nahezu „kriegerische“ Auseinandersetzung zwischen den Parteien in den Gesetzgebungsorganen und mächtigen Interessengruppen in der jungen Bundesrepublik Deutschland voraus, die der Spiegel als „Siebenjährigen Krieg“ bezeichnet hat.2 Die Schärfe, mit der insbesondere der BDI unter seinem Präsidenten Fritz Berg das GWB bekämpfte, wird daran deutlich, dass die Wirtschaftsredaktion der FAZ, die das Gesetzgebungsvorhaben positiv begleitete, von vielen Industrieunternehmen deshalb mit einem Anzeigenboykott belegt wurde, der die Zeitung beinahe in die Insolvenz getrieben hätte.3 Im Geburtsjahr des Jubilars zog Franz Böhm 1953 als Abgeordneter der CDU in den Bundestag ein. Er wurde Mitglied des Wirtschaftsausschusses, der das Hauptschlachtfeld des „Krieges“ um das GWB war, und des Rechtsausschusses. Franz Böhm bewies in dieser Auseinandersetzung, dass er nicht nur der von den Gegnern des Gesetzes als „Theoretiker“ denunzierte Wissenschaftler war, der mit seinem wissenschaftlichen Werk in den 30er Jahren die Grundlagen des Ordoliberalismus und der sozialen Marktwirtschaft geschaffen hatte, sondern auch ein geschickter Politiker. Ludwig Erhard hat dies gewürdigt: „Dass sich Franz Böhm in dieser geistigen Auseinandersetzung nicht zuletzt auch als Politiker und Bundestagsabgeordneter aktiv und erfolgreich einsetzte, verdient besondere Erwähnung. Sein Rat und seine Hilfe bei der Formulierung und Durchsetzung des Kartellgesetzes bleiben unvergessen. Aber er verstand es auch, zur Bildung der Bundestagsmehrheit für dieses – zugegeben 1 Pressemitteilung vom 2.1.2018. 2 „Der Spiegel“ vom 3.7.1957. 3 FAZ vom 7.11.2015.

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unvollkommen gebliebene – Gesetz Entscheidendes beizutragen. Denn Franz Böhm, der Liberale im vollkommenen Sinn des Wortes, verfügte zudem über die Fähigkeit, Brücken zu schlagen und auch das Gespräch mit jenen zu pflegen, die in anderen geistigen oder politischen Lagern standen.“4 Dieser Beitrag versucht, an den Einfluss von Franz Böhm auf die Entstehung des GWB zu erinnern.

II. Vita5 Franz Böhm wurde am 16. Januar 1895 in Konstanz in einer badischen Juristenfamilie geboren. Der Vater war hoher Verwaltungsbeamter und badischer Kultusminister. Franz Böhm wuchs in der liberal-protestantischen Tradition des badischen Bürgertums auf. Er besuchte das humanistische Gymnasium in Karlsruhe. Gleich nach dem Abitur wurde Franz Böhm Soldat. Nach dem Krieg studierte er entsprechend der Tradition seiner Familie Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg. Nach dem Assessorexamen im Jahre 1924 wurde Franz Böhm Staatsanwalt in Freiburg. Von Herbst 1924 bis zum Frühjahr 1925 war Böhm kurz Mitglied der Deutschen Volkspartei, der Partei Stresemanns.6 Anfang 1925 wurde er an das Reichsministerium für Wirtschaft abgeordnet und arbeitete als Referent unter Paul Josten im Kartellreferat, das für die Anwendung der Kartellverordnung vom 2. November 1923 gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung zuständig war. 1926 heiratete Franz Böhm Maria Antonia Ceconi, eine Tochter Ricarda Huchs. Die Erfahrungen im Kartellreferat des Reichswirtschaftsministeriums haben seine späteren wirtschaftsrechtlichen Forschungen wesentlich beeinflusst. Bereits 1928 veröffentlichte Franz Böhm seinen Aufsatz „Das Problem der privaten Macht – ein Beitrag zur Monopolfrage“, in dem bereits seine späteren wissenschaftlichen Erkenntnisse anklingen. 1932 ließ sich Franz Böhm vom Reichswirtschaftsministerium beurlauben, um sich an der Universität Freiburg zu habilitieren. Der Titel der 1933 erschienenen und berühmt gewordenen Habilitationsschrift lautete „Wettbewerb und Monopolkampf – eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung“. Gutachter waren Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth.7 Bei seiner anschließenden Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Freiburg arbeitete er eng mit dem Nationalökonomen Walter Eucken zusammen. Hier wurden die Grundlagen der später so genannten 4 FS Böhm zum 80. Geburtstag, 1975, S. 15; vgl. auch Otto Schlecht, Franz Böhm: Wissenschaftler und Politiker, in Wirtschaftsordnung als Aufgabe, Zum 100. Geburtstag von Franz Böhm 1995. 5 Mestmäcker in Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Bd. 1, 2007, S. 30 ff. (im Folgenden „Mestmäcker“); Hollerbach, Streiflichter zu Leben und Werk Franz Böhms, in Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft, FS Paul Mikat, 1986, S. 283 ff. (im Folgenden „Hollerbach“). 6 Hollerbach, S. 285. 7 Hollerbach, S. 286.

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„Freiburger Schule“ gelegt, in der sich Juristen und Ökonomen bemühten, die Ordnungsprinzipien einer freien Verkehrswirtschaft zu erforschen. Es entstand die wissenschaftliche Keimzelle des Ordoliberalismus. Böhm hat diese „Forschungs- und Lehrgemeinschaft“ 1957 eindrucksvoll beschrieben.8 In seiner Habilitationsschrift, die er dem Leiter des Kartellreferats des Reichswirtschaftsministeriums Josten in „Dankbarkeit und Verehrung zugeeignet“ hat, entwickelte er die Voraussetzungen für die Wahrung der individuellen Freiheit in der Privatrechtsgesellschaft. Im Kern ging es ihm um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht. „Wer Macht hat, darf nicht frei sein. Der Wettbewerb ist das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.“9 Die freie Verkehrswirtschaft stand in krassem Gegensatz zu den stände­ staatlichen und kollektivistischen Ideologien der Nationalsozialisten, die seit Januar 1933 die Wirtschaftspolitik Deutschlands bestimmten. In seinem auf „Juni 1933“ – also nach der Machtergreifung  – datierten Vorwort zu seiner Habilitationsschrift lehnt Böhm diese wirtschaftspolitischen Tendenzen der Nationalsozialisten klar ab. Der spätere Verfassungsrechtler des „Großdeutschen Reichs“ und Fakultätskollege in Freiburg, Ernst Rudolf Huber, bescheinigte Böhm indessen in einer Besprechung seiner Habilitationsschrift, Böhm hätte sich „über die Bedeutung der nationalsozialis­ tischen Revolution offenbar getäuscht“.10 Knut Wolfgang Nörr hat 1993 bekannt, wenn  an ihn die beliebte Frage der Lektüre auf der einsamen Insel gestellt werden würde und er angeben sollte, welche drei Bücher aus dem juristischen Schrifttum des 20. Jahrhunderts zu wählen wären, würde zu diesen drei Büchern Böhms „Wettbewerb und Monopolkampf “ gehören.11 Während seiner Tätigkeit als Privatdozent in Jena in der Zeit von 1936 bis 1938, als er die Lehrstuhlvertretung für den nach München berufenen Alfred Hueck innehatte, kam es schon bald zu persönlichen Konflikten mit dem Nationalsozialismus, ins­ besondere dessen Antisemitismus. In einem zusammen mit Ricarda Huch geführten heftigen gesellschaftlichen Streitgespräch mit dem SS-Hauptsturmführer Richard Kolb, einem „alten Kämpfer“ der NSDAP und Lehrbeauftragten und späteren „Professor für Wehrwissenschaft“ an der Universität Jena, trat Franz Böhm für die Gleichberechtigung jüdischer Staatsbürger ein. Kolb denunzierte Böhm daraufhin bei der Gestapo und beantragte seine Verbringung in ein Konzentrationslager. Dies führte zur Einleitung eines Disziplinar- und Dienststrafverfahrens, zur sofortigen Suspendierung vom Dienst und 1940 zum Entzug der Lehrerlaubnis und zur beamtenrecht­ lichen Versetzung in den Wartestand. Die mit den Vorwürfen befassten Gerichte ­verneinten zwar Verstöße gegen das so genannte Heimtückegesetz, bejahten aber Verstöße gegen das Beamtenrecht, weil jeder Beamte sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen habe.12 In den gegen Franz Böhm geführten Verfahren wurde er von Großmann-Doerth verteidigt. Walter Eucken hat sich eben 8 Franz Böhm, Reden und Schriften, 1960, S. 158. Vgl. zum Ordoliberalismus jüngst Mohr, JZ 2018, 685 ff. 9 Mestmäcker, S. 41; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S. 139 ff., 146 ff. 10 JW 34, 1038, 1039. 11 Knut Wolfgang Nörr, An der Wiege deutscher Identität nach 1945: Franz Böhm zwischen Ordo und Liberalismus, 1993, S. 7. 12 Mestmäcker, S. 33; Hollerbach, S. 290.

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falls entschieden für ihn eingesetzt. Bemühungen der Freiburger Fakultät, die Stellung von Böhm als Dozent wieder aufleben zu lassen, scheiterten am Widerstand des Reichswissenschaftsministeriums. In der Folgezeit intensivierten sich Kontakte von Franz Böhm zum Freiburger Bonhoeffer-Kreis und zur so genannten Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath, die an der Ausarbeitung von Aufbaukonzeptionen für die Zeit nach dem Kriege arbeiteten. Böhm war beteiligt an der Erarbeitung der im November 1942 verabschiedeten „Freiburger Denkschrift“, die von der vorläufigen Kirchenleitung der deutschen evangelischen Kirche in Auftrag gegeben worden war. Der Anhang 1 „Rechtsordnung“ der Freiburger Denkschrift wurde von ihm und Erik Wolf verfasst.13 Es gab auch Kontakte zu Carl Goerdeler. Ende 1944 entging Franz Böhm im Zusammenhang mit Ermittlungen der Gestapo gegen die Mitarbeiter an der „Freiburger Denkschrift“ nur knapp der Verhaftung.14 Nach Ende des Krieges konnte Böhm seine wissenschaftlichen, aber auch politischen Tätigkeiten wieder aufnehmen. Er wurde im Mai 1945 spontan zum Prorektor der Universität Freiburg gewählt und zum ordentlichen Professor für Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht bestellt, dann aber als Kultusminister in das von der US-Militärregierung bestellte Kabinett des Landes Hessen berufen. Wegen Konflikten mit der Militärregierung über die Kulturpolitik15 erfolgte jedoch schon bald seine Entlassung. 1946 wurde er auf einen Lehrstuhl für Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt berufen. Ihr blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1962 treu. Für die Beurteilung der Persönlichkeit von Franz Böhm darf seine Rolle als Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation über ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel und den jüdischen Weltverbänden nicht unerwähnt bleiben. Die Verhandlungen wurden durch Unterzeichnung der Luxemburger Wiedergutmachungsverträge im September 1952 gegen den Widerstand von Abs, dem Leiter der deutschen Delegation für die Schuldenregelungskonferenz in London, abgeschlossen.16 Nach der Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik bot Adenauer Böhm an, erster Botschafter in Israel zu werden. Böhm lehnte dies mit der Begründung ab, als unabhängiger Professor wolle er sich nicht in eine Rolle begeben, in der er Weisungen zu befolgen habe.17 Für die Rolle von Franz Böhm in der Gesetzgebungsgeschichte des GWB ist vor allem seine Mitarbeit am so genannten Josten-Entwurf von Juli 1949 und seine Wahl in den Deutschen Bundestag im Jahre 1953 von entscheidender Bedeutung. Böhm gehörte dem Bundestag und dessen Wirtschaftspolitischen Ausschuss und Rechtsausschuss 13 Hollerbach, S. 291; vgl. hierzu auch Holthaus, Zwischen Gewissen und Gewinn: Die Wirtschafts- und Sozialordnung der „Freiburger Denkschrift“ und die Anfänge der sozialen Marktwirtschaft, 2015, S. 82 und 117. 14 Franz Böhm, Freiburger Schule und Nationalsozialismus, FAZ vom 24.5.1955; Sigler, Marktwirtschaftlicher auf der Todesliste, The European vom 25.7.2014; vgl. auch Franz Böhm, Reden und Schriften, 1960, S. 281 ff. „Widerstandsbewegung oder Revolution? Zur Auseinandersetzung um Carl Goerdelers Kampf gegen Hitler“ (1955). 15 Hollerbach, S. 296. 16 Hollerbach, S. 298; Mestmäcker, S. 34. 17 Mestmäcker, S. 34.

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bis 1965 an. Franz Böhm war 1945 Mitglied der CDU geworden. Bei der Bundestagswahl 1953 war die hessische CDU allerdings nicht bereit, Franz Böhm einen aussichtsreichen Listenplatz einzuräumen. Man fürchtete sein bekanntes Engagement für ein Kartellverbot und erwartete Zurückweisung durch die Wählerinnen und Wähler wegen seines Engagements für die Wiedergutmachung. Franz Böhm gelang es jedoch, in einem als aussichtslos geltenden Wahlkreis als Direktkandidat in den Bundestag gewählt zu werden.18 Franz Böhm starb im September 1977.

III. Die Rolle von Franz Böhm im GWB-Gesetzgebungsverfahren 1. Das alliierte Dekartellierungsrecht Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 hat unter „B. Wirtschaftliche Grundsätze“ festgelegt, dass zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt das deutsche Wirtschaftsleben dezentralisiert werden sollte mit dem „Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinbarungen“.19 Nachdem Verhandlungen über die Verabschiedung eines für ganz Deutschland einheitlichen Dekartellisierungsgesetzes scheiterten, erließen die westlichen Siegermächte Anfang 1947 die alliierten Dekartellisierungsgesetze. Im März 1949 wurde die für die britische und amerikanische Besatzungszone geschaffene Verwaltung für Wirtschaft beauftragt, ein deutsches Wettbewerbsgesetz zu erarbeiten.20 Das Wettbewerbsgesetz sollte in Durchführung der Havanna-Charta von 1948 Maßnahmen gegen die Beschränkung des Leistungswettbewerbs sowie gegen Kartelle und deren Ausweichformen vorsehen, jedoch ausdrücklich keine Maßnahmen zur Konzentrationskontrolle und zur Entflechtung von Unternehmen. Regelungen dieser Gebiete behielten sich die Alliierten weiter vor. Nach Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 wurde der deutschen Verwaltung auch die Kompetenz auf dem Gebiet der Dekonzentration eingeräumt. Ein deutsches Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen konnte jedoch nur in enger Abstimmung mit den Alliierten erarbeitet werden. 2. Josten-Entwurf Ab Mitte 1947 interessierte sich zunehmend der Verwaltungsrat für Wirtschaft für einen deutschen Kartellgesetzentwurf. Es bildete sich ein bizonaler Kreis von Sachverständigen, der im Laufe der Jahre 1948/49 als „Josten-Ausschuss“ bekannt wurde. 18 Mestmäcker, S. 34. 19 Mestmäcker, WuW 2008, 6; Möschel, NZKart 2014, 42, 43; Murach-Brand, Antitrust auf Deutsch, 2004, S. 42 ff. 20 Vgl. hierzu Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs, 1981, S. 200 ff. (im Folgenden „Handbuch“); Murach-Brand, Antitrust auf Deutsch, 2004, S. 48 ff.; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik – Das Beispiel der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 1976 (im Folgenden „Robert“), S. 97 ff.

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Er legte schließlich am 5. Juli 1949 einen umfassenden „Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt“21 – den Josten-Entwurf – dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, vor. Unter Vorsitz von Dr. Paul Josten – dem langjährigen Leiter des Kartellreferates im Reichswirtschaftsministerium – gehörten dem Ausschuss die Professoren Franz Böhm, Wilhelm Kromphardt und Bernhard Pfister sowie der Senatspräsident a.D. Dr. Köppel, Dr. Fischer und der Industrielle Dr. Auer an. Der vom Ausschuss erarbeitete so genannte „Josten-Entwurf “ wurde maßgeblich von Franz Böhm beeinflusst. Teilweise wird der Entwurf auch als „Josten-Böhm-Entwurf “ bezeichnet.22 Seine „juristisch hervorragende Konstruktion“ wurde hervorgehoben.23 Der Entwurf lässt deutlich die Handschrift von Franz Böhm erkennen, indem die wettbewerbspolitischen Forderungen des Ordoliberalismus weitgehend umgesetzt wurden.24 Ziel des Josten-Böhm-Entwurfs ist nach seiner Präambel die Durchsetzung und Sicherung einer von staatlichem Zwang weitgehend befreiten, den Grundsätzen sozialer Marktwirtschaft und freiem Leistungswettbewerb verpflichteten Wirtschaftsordnung.25 Unvereinbar mit diesen Grundsätzen sei es, dass Marktbeteiligte in den Fällen, in denen die Wirtschaftspolitik des Staates auf eine Marktregulierung verzichtet und die Ordnung der Märkte dem Leistungswettbewerb anvertraut, sich Marktregelungen anmaßen und dem Ordnungsprinzip des Leistungswettbewerbs entziehen. „Um dem Grundsatz des Leistungswettbewerbs im Markt Geltung zu verschaffen und Volk und Staat vor Gefahren zu schützen, die Bildung und Ausübung wirtschaftlicher Macht auf dem Markte mit sich bringen können“ sah der Entwurf insbesondere vor: ȤȤ Ein absolutes Kartellverbot, das durch vom Monopolamt zu erteilende Ausnahmen nur unter engen Voraussetzungen durchbrochen werden kann. ȤȤ Die „Entschachtelung“ und „Aufgliederung“ von wirtschaftlichen Machtpositionen ohne Kartelleigenschaft. ȤȤ Die Einschränkung der Planungs- und Entscheidungsautonomie von Inhabern wirtschaftlicher Macht, denen ein Verhalten auferlegt wird, als ob sie wirksamen Wettbewerb ausgesetzt wären. ȤȤ Änderungen von Vorschriften des Gesellschaftsrechts, die eine Konzernbildung begünstigen. ȤȤ Wettbewerbsfördernde Maßnahmen (Arbeits- und Leistungsgemeinschaften, Zwangslizenzen, Gütezeichen, Richtlinien für Werbung). ȤȤ Die Bildung eines unabhängigen Monopolamtes. ȤȤ Strenge strafrechtliche Sanktionen bei Gesetzesverletzungen. 21 Günther, Die geistigen Grundlagen des Josten-Entwurfs, in Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, FS Böhm zum 80. Geburtstag, 1975, S. 183 ff. (im Folgenden „Günther in FS Böhm“); Robert, S. 102. 22 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 163. 23 Günther in FS Böhm, S. 183; Robert, S. 103. 24 Günther in FS Böhm, S. 189 ff. 25 Zu den Grundzügen des Josten-Entwurfs vgl. Günther in FS Böhm, S. 187 ff.

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Der Josten-Böhm-Entwurf war in seiner ordnungspolitischen Rigidität für deutsche Verhältnisse völlig neu, kam aber den US-Antitrustregelungen nahe. Er stieß jedoch auf Widerstand der Alliierten, weil er gegen deren Weisungen verstieß. Zum einen missachtete der Entwurf die Anweisung der Alliierten, keine Vorschriften zur Dekonzentration aufzunehmen. Dies war dem Josten-Ausschuss allerdings durchaus bewusst. Die Sachverständigen begründeten ihren Vorschlag damit, dass die Einbeziehung von Entflechtungsmaßnahmen „aus sachlichen Gründen unerlässlich“ sei. Die Entflechtung sei nur Teilgebiet der gleichen Aufgabe, wirtschaftliche Macht zu beseitigen. Sie könnten nur gleichzeitig und nach einheitlichen Grundsätzen in Angriff genommen werden. Jede unterschiedliche Behandlung von Trägern wirtschaftlicher Macht würde nicht an die Wurzel gehen, sondern sich nur gegen Symptome richten. Außerdem ging der Josten-Böhm-Entwurf mit seinem praktisch absoluten Kartellverbot über die alliierte Weisung hinaus, sich an der Havanna-Charta zu orientieren.26 Franz Böhm bemerkte zum Widerstand der amerikanischen Militärregierung sarkastisch, es sei doch merkwürdig, dass die Amerikaner den Deutschen als Strafe auferlegen wollten, was sie zu Hause zum Wohle ihrer Demokratie mit den Antitrustgesetzen praktizierten.27 Das Ausschussmitglied Dr. Fischer hatte in einem Minderheitsgut­ achten nicht nur Bedenken bezüglich der Durchsetzbarkeit der vorgesehenen Dekonzentrationsvorschriften gegenüber den Militärregierungen geäußert, sondern auch grundsätzlich die Aufnahme von Dekonzentrationsregelungen in den Entwurf abgelehnt. Nach seiner Auffassung sollte eine zwangsweise Entflechtung nur als letztes Korrekturmittel des Gesetzgebers vorgesehen werden und zudem nicht in die Kompetenz einer Behörde wie des vorgesehenen Monopolamtes fallen.28 Im Ergebnis scheiterte der Josten-Böhm-Entwurf. Ludwig Erhard als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft legte den Gesetzentwurf dem Wirtschaftsrat nicht mehr vor. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wäre der Wirtschaftsrat allerdings auch nicht mehr für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes zuständig gewesen. Der Josten-­ Böhm-Entwurf scheiterte jedoch letztlich nicht so sehr an Bedenken der Alliierten,29 sondern vor allem an dem massiven Widerstand einflussreicher Interessengruppen der Industrie und des Handels, die sich insbesondere die Kritik Fischers am Josten-­ Böhm-Entwurf zu eigen machten und die Verwirklichung eines so strengen Wirtschaftsordnungsgesetzes unter allen Umständen verhindern wollten. Auch die Errichtung eines unabhängigen Monopolamtes mit den im Josten-Böhm-Entwurf vorgesehenen Befugnissen lehnten die Interessenvertreter der Industrie ab. Es wurden Befürchtungen geäußert, das Monopolamt könnte sich zu einem „Reichskommissariat“ oder zu einer „Produktionslenkungsstelle“ entwickeln. Unter dem Deckmantel des Schutzes der Wettbewerbsfreiheit werde heimlich die Zwangswirtschaft wieder eingeführt. Die im Entwurf vorgesehenen Ausnahmemöglichkeiten vom Kartellverbot seien völlig unzureichend. Der BDI-Ausschuss für Wettbewerbsordnung bezeichnete es dann als sein Verdienst, dass er durch seine Opposition den als „ka­ 26 Handbuch, S. 203; Günther in FS Böhm, S. 197. 27 Zitiert bei Mestmäcker, S. 42. 28 Günther in FS Böhm, S. 199. 29 Zu den Gründen des Scheiterns vgl. Robert, S.  106; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 180 ff.; Günther in FS Böhm, S. 199 f.

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tastrophal“ bewerteten Josten-Böhm-Entwurf durch seine Einwirkung „erfolgreich in die Aktenschränke der Ministerien zurückschleusen“ konnte.30 Außer dem Widerstand in der deutschen Industrie beurteilten allerdings auch führende Mitarbeiter der Verwaltung für Wirtschaft den Josten-Böhm-Entwurf als „zu restriktiv und staatsinterventionistisch“. Sie konnten sich für diese Beurteilung auch auf Opposition in der CDU/CSU stützen.31 In seiner Systematik und begrifflichen Schärfe der Tatbestandsformulierung hat der Josten-Böhm-Entwurf indessen das spätere GWB wesentlich beeinflusst.32 3. Entwicklung bis zum Regierungsentwurf 1952 Nach Bildung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard und innerhalb des Bundeswirtschaftsministeriums das von Eberhard Günther  – dem späteren ersten Präsidenten des Bundeskartellamts  – geleitete Kartellreferat für die Gesetzgebungsarbeit zuständig. Erhard konnte sich auf eine Koalition von CDU/CSU/FDP und Deutsche Partei stützen und wollte seinen marktwirtschaftlichen Kurs durch eine gesetzliche Verankerung des Leistungswettbewerbs ergänzen und vervollständigen. Erhard betrachtete das zu erlassende Wettbewerbsgesetz als „Krönung der marktwirtschaftlichen Ordnung“ und „Grundgesetz der Wirtschaft“. Er trat engagiert für ein generelles Kartellverbot ein und wandte sich gegen eine Missbrauchsgesetzgebung. Um die Unterstützung der Unternehmer zu erreichen, war Erhard allerdings grundsätzlich zu Ausnahmen vom generellen Kartellverbot bereit.33 Der Weg zu einem Regierungsentwurf war jedoch weit und ist durch geradezu „irrlichternde“ Wendungen gekennzeichnet. Günther erarbeitete nicht weniger als achtzehn Referentenentwürfe, deren jeweilige Fassungen entsprechend dem Stand des Einflusses vieler Interessengruppen von den Alliierten über die Ländervertreter bis zur Industrie sogar zwischen Entwürfen mit Verbots- und Missbrauchsprinzip wechselten.34 Im Kabinett Adenauer bestanden erhebliche Meinungsunterschiede, bevor es am 13. Juni 1952 zu einem Regierungsentwurf kommen konnte. Zuvor war im November 1951 im Kabinett noch ein Entwurf verabschiedet worden, in dem zwar das Verbotsprinzip, jedoch keine Fusionskontroll- und keine Entflechtungsvorschriften enthalten waren, obwohl die Alliierten im Oktober 1951 gedroht hatten, sie würden die Bundesregierung notfalls zur Aufnahme von Dekonzentrationsvorschriften zwingen. Diese Drohung wurde am 28. November 1951 wahrgemacht, indem die Alliierten dem Bundeswirtschaftsministerium ihre Stellungnahmen zu einem ersten Entwurf eines GWB in Form eines von den Amerikanern ausgearbeiteten und in

30 Günther in FS Böhm, S. 200, Fn. 51; Möschel, Wirtschaftsrecht im Wandel, 2011, S. 202. 31 Günther in FS Böhm, S. 200; Handbuch, S. 204. 32 Möschel, Wirtschaftsrecht im Wandel, 2011, S. 202. 33 Robert, S. 115 ff. m.w.N.; Handbuch, S. 205. 34 Handbuch, S. 206; vgl. zu den einzelnen Entwürfen und interministeriellen Beratungen Robert, S. 122 ff., 138 ff.

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englischer Sprache abgefassten Gesetzentwurfs vorlegten.35 Der unter dem Einfluss der Intervention der Alliierten verfasste Regierungsentwurf vom 13. Juni 195236 enthielt neben einem generellen Kartellverbot nur noch drei Ausnahmen, und zwar für Konjunkturkrisen- und Rationalisierungskartelle ohne Preisabsprachen sowie für Exportkartelle ohne Inlandswirkung. Marktbeherrschenden Unternehmen konnte die Kartellbehörde die missbräuchliche Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung untersagen. Die Erlangung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch einen Zusammenschluss war erlaubnispflichtig. Der Entwurf lehnte sich damit nach etlichem Hin und Her an die u.a. von Franz Böhm eingebrachten ordoliberalen Vorstellungen und den Josten-Böhm-Entwurf37 an. Die erste Lesung des Gesetzentwurfs fand am 26. Juni 1952 statt. Den Gegnern der Regierungsvorlage gelang es schon zu Beginn, die anschließende Beratung durch den Wirtschaftsausschuss bis Februar 1953 zu verzögern. Die Gegner der Vorlage saßen zu großen Teilen in den Parteien der Regierungskoalition selbst und versuchten deshalb eine schnelle Einigung zu verhindern. Sowohl die CDU/CSU- als auch die FDP-Fraktion waren in sich gespalten.38 Demgegenüber fand der Gesetzentwurf Zustimmung bei marktwirtschaftlich orientierten SPD-Kreisen. In der ersten Bundesratssitzung über den Regierungsentwurf stimmte der CDU-Wirtschaftsminister Sträter des Industrielandes Nordrhein-Westfalen gegen die Vorlage. Dagegen wurde sie vom sozialdemokratischen Senator Professor Schiller aus Hamburg begrüßt. Schiller stichelte: „Es wirkt … erstaunlich, wenn eingeschworene Anhänger und Lippenbekenner des marktwirtschaftlichen Prinzips jetzt, wo die Sache ernst wird, … wo also diejenigen, die seinerzeit A gesagt haben, B sagen sollen, Angst vor der eigenen Courage bekommen.“39 Die Auseinandersetzung seitens der Industrie und des Handels wurde mit einer nicht zu überbietenden Schärfe und Polemik geführt.40 BDI-Präsident Fritz Berg, der gleichzeitig Präsident der Handelskammer im traditionell kartellfreundlichen Wirtschaftsraum Hagen war, polemisierte gegen das Kartellverbot. Die Konzeption Erhards müsse zum „Catch-as-Catch-can-Wettbewerb“ und zum „Zerfleischen“ der Unternehmer führen. Das Kartellverbot ruiniere insbesondere die mittelständische Industrie.41 Ludwig Erhard hieb kämpferisch zurück. Der Streit führte zu einem scharfen Briefwechsel, in dem Erhard zehn Thesen über die „Verderbtheit“ von Kartellen und Berg zehn Thesen über deren Nützlichkeit aufstellte.42 In diesen öffentlich ausgetragenen Streit „Verbotsprinzip versus Missbrauchsprinzip“ mischte sich Franz Böhm durch ein am 6. November 1952 vor dem „Freiwirtschaftsbund“ in Heidelberg gehaltenes Referat ein und verteidigte das Verbotsprinzip gegen seine Kritiker.43 U.a. wandte er sich gegen die Behauptung, Kartelle schützten den 35 Robert, S. 156 ff. 36 Veröffentlicht in deutscher und englischer Sprache in WuW 1952, 432 ff. 37 Handbuch, S. 207 m.w.N. 38 Robert, S. 186 ff., zur Haltung der Parteien. 39 Robert, S. 211. 40 Günther, WuW 1951, 17 (zu einem Kabinettsentwurf vom 22.5.1951). 41 „Der Spiegel“ vom 3.7.1957. 42 WuW 1952, 733; WuW 1952, 857. 43 Veröffentlicht in WuW 1953, 178 ff.

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industriellen Mittelstand. Kartelle böten kleinen und mittleren Betrieben nur dann Schutz gegen etwaige „Brutalisierung“ durch Großbetriebe oder Konzerne, wenn diese Großbetriebe und Konzerne ebenfalls im Kartell sitzen. Im Kartell würden sich jedoch die Großbetriebe gegen die Interessen der kleineren und mittleren Betriebe stets durchsetzen. „Oder glaubt man im Ernst, dass sich ein großer Hecht im Karpfenteich gemischter Kartelle irgendwelche übermäßigen Hemmungen auferlegen wird, wenn es in seinem Interesse liegt, etwas zu tun, was den Kleinen nicht passt.“44 Böhm wies auf die völlige Unwirksamkeit der Regelungen der KartellVO zur Missbrauchskontrolle hin und beendete seine Ausführungen mit dem launigen Hinweis: „Ein Missbrauchsgesetz beruht aber auf einem Prinzip des Regierens, das vor jetzt 29 Jahren einmal ein biederer Gendarm der badischen Schwarzwald-Stadt Villingen, als er, sehr zu seinem Missvergnügen damit beauftragt wurde, den Besuch einer Massenfastnachtsveranstaltung zu verhindern, dahin formulierte: „Wissen Sie was, Herr Oberregierungsrat? Wir lassen sie rein, aber wir schreiben sie auf!“ Nach der Verzögerung der Beratung des Regierungsentwurfs im Wirtschaftsausschuss bis Februar 1953 und der völligen Spaltung der CDU/CSU- und der FPD-Fraktion sah Erhard keine Chance mehr, den Entwurf in der zu Ende gehenden ersten Legislaturperiode des Bundestages verabschieden zu lassen und gab am 21. Mai 1953 bekannt, dass das Kabinett beschlossen habe, auf eine abschließende Behandlung des Regierungsentwurfs zu verzichten.45 4. Beratung und Verabschiedung des GWB in der zweiten Legislaturperiode des Bundestags Nach den Bundestagswahlen im September 1953 wurde Franz Böhm Mitglied des Bundestages und seines Wirtschafts- und Rechtsausschusses. Er konnte damit unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen zur Verabschiedung des GWB nehmen. Nach dem Wahlsieg wurde nach einigem Zögern vom zweiten Kabinett Adenauer erst am 17. Februar 1954 beschlossen, den Regierungsentwurf von 1952 erneut in die Beratungen des Zweiten Deutschen Bundestages einzubringen. Die Wiedereinbringung des Regierungsentwurfs aus der letzten Legislaturperiode stieß im Kabinett Adenauer zunächst auf erheblichen Widerstand. Erhard konnte die Wiedereinbringung in der Kabinettssitzung vom 17. Februar 1954 nur durch seine Rücktrittsdrohung durchsetzen.46 Dies zeigte erneut eine völlige Spaltung der Regierungsfraktionen. Sie erlaubte den großen Interessenverbänden der Wirtschaft, insbesondere dem BDI und dem DIHT, weiterhin massiven Widerstand vor allem gegen die Verankerung des Verbotsprinzips zu leisten. Es kam zu wahren Gutachtenschlachten, in denen nachgewiesen werden sollte, dass das Kartellverbot gegen das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit verstößt.47 Der Widerstand hatte schließlich Erfolg. Bemühungen Erhards, den Regierungsentwurf unmittelbar im Bundestag einzubringen, ohne vorher den Bundesrat mit dem Vorhaben befasst zu haben, scheiterten. Nachdem der Bundesrat nach 44 WuW 1953, 187, 191 f. 45 Handbuch, S. 207. 46 Handbuch, S. 208. 47 Möschel, NZKart 2014, 42, 44; Benisch, DB 1956, 37 ff.; Böhm, WuW 1956, 173 ff.

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intensiven Diskussionen grundsätzlich das Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt und etlichen Änderungsanregungen akzeptiert hatte, leitete die Bundesregierung den GWB-Entwurf Anfang Februar 1955 dem Bundestag zu. Um jedoch dem massiven Widerstand der Interessenverbände, vor allem aber auch in den eigenen Reihen entgegen zu kommen, kam es zu Verhandlungen zwischen der CDU und dem BDI, die mit einem „Kompromiss“ endeten. Nach entsprechenden Vorbereitungen bei einer wirtschaftspolitischen Tagung der CDU unter Teilnahme von BDI-Experten kam man schließlich in fünftägigen Verhandlungen überein, das Verbotsprinzip des § 1 durch erheblich erweiterte Ausnahmebestimmungen aufzulockern, insbesondere durch eine weit gefasste „Generalklausel“.48 Böhm bezeichnete den gefundenen Kompromiss sofort als „unehrlich und unwahrhaftig“.49 Dem Bundestag lagen damit im Ergebnis zwei unterschiedliche Entwürfe des Bundeswirtschaftsministeriums vor. Formal zum einem der alte Regierungsentwurf von 1952, zusätzlich aber der mit dem BDI „abgeklärte“ Kompromiss. Das Chaos in den Regierungsfraktionen wurde deutlich, als in der ersten Lesung des GWB-Entwurfs am 24. und 31. März 1955 zusätzlich zwei weitere Entwürfe aus den Reihen der Regierungsfraktionen eingebracht worden waren. Der so genannte Höcherl-Entwurf50 wurde von einer Gruppe von dreißig CSU-Abgeordneten gegen den ausdrücklichen Widerspruch von Erhard eingebracht und basierte auf dem reinen Missbrauchsprinzip. Der Entwurf war im Wesentlichen der Kartellverordnung von 1923 nachgebildet. Erklärtes Ziel des Höcherl-Entwurfs war es, die Regierungsvorlage zu Fall zu bringen. Das Gegenteil bezweckte Franz Böhm mit der Vorlage des so genannten Böhm-Entwurfs,51 der von achtzehn CDU- und zwei FDP-Abgeordneten eingebracht wurde, sich gegen alle „Aufweichungsbemühungen“ richtete und der Unterstützung des Regierungsentwurfs diente. Böhm hat seinen Entwurf nach der Erinnerung von Günther binnen zweier Tage – und Nächte – verfasst.52 Diese Abgeordneten hielten ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt für wünschenswert und erklärten, dass sie ihr Gesetzesinitiativrecht ausschließlich deshalb in Anspruch nähmen, weil der Regierungsentwurf durch die Verhandlungen mit dem BDI immer weiter aufgeweicht worden sei und derzeit nur noch als „getarntes Missbrauchsgesetz“ angesehen werden könne. Böhm kritisierte alle vorgeschlagenen Änderungen durch den BDI-Kompromiss im Bundestag scharf: „Weg von der Konzeption des Bundeswirtschaftsministers! Weg vom Wettbewerb! Hin zum Kartell! Und das alles unter der Flagge des Verbotsgesetzes!“53 Den letzten Anstoß zur Einbringung einer eigenen Gesetzesvorlage habe der Höcherl-Entwurf gegeben. Diesen gelte es durch einen Entwurf, der auf dem reinen Verbotsprinzip aufbaue, zu „neutralisieren“, damit die Regierungsvorlage nach Möglichkeit doch noch in einer – gemessen an dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft – annehmbaren Fassung verabschiedet werden könne. Franz Böhm war in der scharfen Auseinandersetzung mit dem BDI als „Theoretiker“ und „Sandkastenspie48 Handbuch, S. 208; Robert, S. 286 ff. 49 „Der Spiegel“ vom 3.7.1957. 50 WuW 1955, 509 ff. 51 WuW 1955, 319 ff.; vgl. dazu Mestmäcker, WuW 1955, 285 ff. 52 Möschel, Wirtschaftsrecht im Wandel, S. 202 m.w.N. 53 Robert, S. 287 m.w.N.

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ler“ diffamiert worden. Ihm war von dem CSU-Abgeordneten Bender (Geschäftsführer des Landesverbandes der Bayerischen Industrie) und Unterstützer des Höcherl-Entwurfs vorgeworfen worden, er spiele in seinen Veröffentlichungen mit der Wirtschaft, so wie es Kinder mit einem Baukasten täten.54 Böhm erklärte bei der Einbringung seines Entwurfs: „Ich bitte um Verzeihung, wenn ich die Diskussion der großen Praktiker in meiner Eigenschaft als theoretisierender Sandkastenhosenmatz noch einmal unterbreche.“ In seiner wirtschaftspolitischen Kritik an der Missbrauchsgesetzgebung fuhr er fort: „Es kommt mir so vor, dass sich der Gesetzgeber und die Regierung, je komplizierter und uneinheitlicher der Ablauf der freien Wirtschaft wird, umso mehr in die Rolle von Medizinmännern und Zauberern begeben, die nun allerlei Räucherkerzen anzünden und Nebel verbreiten, Gebetsmühlen ableiern und so tun, als ob die ganze Sache einen Sinn hätte.“ Die wahre Aufgabe bestehe darin, gute Theorie und gute Gesetzgebung zu verbinden.55 Der Böhm-Entwurf wich unabhängig von der Absicht, die Angriffe auf den Regierungsentwurf abzuwehren, in einigen nicht unwichtigen Vorschlägen vom Regierungsentwurf ab und griff dabei teilweise auf den Josten-Böhm-Entwurf zurück:56 ȤȤ Der Differenzierung im Regierungsentwurf zwischen Gesellschaftsverträgen und Individualverträgen beim Kartellverbot wurde nicht gefolgt. §  1 des GWB sollte alle Verträge und Vereinbarungen erfassen, die mit dem Ziel horizontaler oder vertikaler Wettbewerbsbeschränken abgeschlossen wurden. Dieses Konzept konnte später erst durch die 7. GWB-Novelle 2005 und die Angleichung an das EU-Kartellverbot im GWB realisiert werden.57 ȤȤ Grundsätzlich sollten alle wettbewerbsbeschränkenden Verträge und Beschlüsse verboten sein. Ihnen sollte der Rechtsschutz entzogen werden. Ihre Befolgung sollte jedoch nicht strafbar sein. In diesem Punkt war der Böhm-Entwurf milder als der Regierungsentwurf, der für Verstöße als Ordnungswidrigkeiten Geldbußen bis zu 1 Mio. DM vorsah. ȤȤ Generell vom Verbot des § 1 freigestellt werden sollten lediglich so genannte Normierungs- und Typisierungskartelle. Ansonsten sollten wettbewerbsbeschränkende Verträge von einer Genehmigung durch die Kartellbehörde abhängig werden, die auf der Grundlage einer Generalklausel erteilt werden sollte.58 Die Formulierungen der Generalklausel des Böhm-Entwurfs kommen den Freistellungsvoraussetzungen des Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag (Art. 101 Abs. 3 AEUV) sehr nahe. ȤȤ Schließlich sollte nach dem Böhm-Entwurf die obligatorische Fusionskontrolle durch das Recht der Kartellbehörde ersetzt werden, die Durchführung eines Zusammenschlusses zu untersagen, „… wenn der Zusammenschluss die Folge haben würde, dass die zusammengeschlossenen Unternehmen in einem nicht nur örtli54 Robert, S. 203. 55 Mestmäcker, S. 43 m.w.N. 56 Robert, S. 290; Mestmäcker, WuW 1955, 285 ff. 57 Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, 8. Aufl. 2015, Einführung Rz. 17. 58 Mestmäcker, WuW 1955, 287 ff.

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chen begrenzten Gebiet für eine bestimmte Art von Waren oder Leistungen die Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens … erlangen würden“. Inhabern wirtschaftlicher Machtstellungen sollte darüber hinaus vorsorglich die Beteiligung an zukünftigen Zusammenschlüssen untersagt werden können.59 Eine Auswertung der Stellungnahmen der politischen Parteien zum GWB in der ersten Lesung im Bundestag60 ergibt, dass sich für den Regierungsentwurf außer Ludwig Erhard 25 FDP-Abgeordnete und 162 SPD-Abgeordnete aussprachen. Für den BDI-Kompromiss setzten sich ausdrücklich die CDU-Abgeordneten Raestrup und Hellwig ein. In Verkehrung der parteipolitischen Fronten kam damit der SPD die Funktion der Unterstützung des Erhard‘schen Regierungsentwurfs zu.61 Die Unterstützung der Marktwirtschaftler in der SPD ging zweifellos auch auf Kontakte von Franz Böhm zurück. Ludwig Erhard hat dies hervorgehoben: „Franz Böhm stärkte … durch seine Kontakte die Position der Marktwirtschaftler in der SPD gegenüber den anderen, die auch für die Zukunft eine Planwirtschaft für den besseren Weg … hielten. Sein stiller, fast unsichtbarer Einfluss zeitigte zweifellos politisch bedeutsame Ergebnisse.“62 Franz Böhm hatte sich 1953 ausdrücklich gegen Kritik an einer „Marktwirtschaft von links“ ausgesprochen und ausgeführt: „Was also könnte uns Besseres widerfahren als ein Wetteifer zwischen „bürgerlichen“ Parteien und Arbeiterparteien um die reine Lehre, um die beste und sozialste Verwirklichung der Marktwirtschaft? Marktwirtschaft von links kontra Marktwirtschaft von rechts – das wäre noch lange nicht das schlechteste, was sich in unserem Land ereignen könnte.“ Wahrscheinlich sei dies sogar der einzige Weg, bei dem eine gute Marktwirtschaft herauskommen kann.63 Um nicht die Geschlossenheit der CDU-Wirtschaftspolitik insgesamt zu gefährden, setzten sich im Oktober und November 1955 Adenauer und der CDU-Vorstand massiv dafür ein, endlich konstruktive Beratungen im Wirtschaftsausschuss aufzunehmen. Erst jetzt konnte man sich darauf verständigen, als Beratungsgrundlage den Regierungsentwurf und nicht den Höcherl- aber auch nicht den Böhm-Entwurf zu benutzen. Böhm hatte sein Ziel erreicht, den Höcherl-Entwurf zu neutralisieren. Sowohl der Höcherl- als auch der Böhm-Entwurf wurden zurückgezogen. Während der Verhandlungen im Wirtschaftsausschuss wurden aus den im Regierungsentwurf 1952 vorgesehenen drei Erlaubniskartellen entsprechend dem Verhandlungsergebnis mit dem BDI sechs Erlaubnis- und fünf Anmeldekartelle. Franz Böhm kommentierte dies sarkastisch: „Wo finden Sie, wenn diese vierzehn Kartellarten vom Gesetz ausgenommen sind oder ausgenommen werden können, noch ein einziges Kartell, für das der §  1 gilt? Man kann diese Frage nur folgendermaßen beantworten: Wenn diese Vorschläge Gesetz werden, dann können Unternehmer jedes beliebigen Produktions-

59 Mestmäcker, WuW 1955, 290. 60 Robert, Übersicht 21, S. 299. 61 Handbuch, S. 209. 62 Erhard in FS Böhm, 1975, S. 17. 63 Franz Böhm, Reden und Schriften, 1960, S. 151 ff. „Marktwirtschaft von links und rechts“ (1953).

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zweiges den Geschäftsführer ihres Verbandes auf Schadensersatz verklagen, wenn er es bei der Kartellbehörde nicht erreicht, dass ihr Kartell erlaubt wird.“64 In den Beratungen des wirtschaftspolitischen Ausschusses kam es zwar zu weiteren Änderungen des Regierungsentwurfs. Immerhin blieb jedoch die Fusionskontrolle unangetastet. Insgesamt war das Ergebnis der ersten Lesung des GWB im Wirtschaftsausschuss – gemessen an der Fundamentalkritik der Interessenverbände – für Erhard eine erfreuliche Überraschung. Die vielfach erwartete völlige Anpassung des Regierungsentwurfs an die Formulierungen des BDI-Kompromisses blieb wegen einer überraschenden Stimmenmehrheit des „linken“ Flügels der CDU mit Teilen der FDP und der gesamten SPD im Wirtschaftsausschuss aus.65 Wesentliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf erfolgten jedoch in der zweiten Lesung des Wirtschaftsausschusses, dessen Vorsitz inzwischen der Abgeordnete Hellwig übernommen hatte. Hellwig wurde nachgesagt, als Leiter des dem BDI nahestehenden deutschen Industrieinstituts nicht an einem Inkrafttreten des GWB in der laufenden Legislaturperiode interessiert zu sein. Verlauf und Ergebnis der bisherigen Beratungen im Wirtschaftsausschuss führten bei den Kritikern des Regierungsentwurfs zu der Erkenntnis, dass der „linke Flügel“ der CDU und Teile der FDP – wie schon in der ersten Lesung – im Wirtschaftsausschuss durchaus in der Lage sein würden, mit den Sozialdemokraten auf wettbewerbspolitischem Gebiet zusammenzuarbeiten. Die Folge wäre eine Mehrheit für ein Kartellgesetz, das sich in Form und Inhalt an die Regierungsvorlage in ihrer ursprünglichen Fassung anlehnte. Eine derartige offenbare Spaltung der CDU-Fraktion wollte die CDU-Führung ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl nicht durchgehen lassen. Sie übernahm deshalb erhebliche Anstrengungen, um eine geschlossene Haltung der CDU- und CSU-Abgeordneten mit dem Ziel zu erreichen, bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag das Gesetz ohne Zustimmung der SPD verabschieden zu können. Es wurde nach einem Kompromiss gesucht. Im Januar 1957 schaltete sich der Vorstand der CDU in die Bemühungen um einen derartigen Kompromiss ein. Gemeinsam mit Vertretern der Fraktion wurden die strittigen Einzelpunkte des Kartellgesetzes nochmals durchgesprochen. Schließlich wurde beschlossen, einen Fraktionsausschuss zu bilden, dem unter Vorsitz von Pferdmenges neben Ludwig Erhard die Abgeordneten Blank, Böhm, Hellwig, Höcherl, Illerhaus und Samwer angehören sollten. Das Resultat der zweiten Beratung im wirtschaftspolitischen Ausschuss war daraufhin eine weitgehende Auflockerung des Regierungsentwurfes. Abweichend vom Ergebnis der Beratungen in erster Lesung des Wirtschaftsausschusses kam es neben zahlreichen Aufweichungen durch Ausnahmen vom Kartellverbot insbesondere zu einem Verzicht auf Fusionskontrollvorschriften, gegen die sich Franz Böhm66 vergeblich wehrte. Bevor der wirtschaftspolitische Ausschuss in zweiter Lesung jedoch seine Beratungen über das Gesetz endgültig ­abschließen konnte, kam es ungeachtet des sich abzeichnenden Kompromisses zu einer letzten erbitterten Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern des

64 „Der Spiegel“ vom 3.7.1957. 65 Handbuch, S. 209; vgl. zum Ablauf der Diskussion im Einzelnen Robert, S. 311 f. 66 Robert, S. 307.

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Verbotsprinzips über den Rechtsausschuss.67 Ausgangspunkt waren Bedenken des Rechtsausschusses gegen die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Gesetzes. Sie richteten sich dagegen, dass die Kartellbehörde sowohl Ermittlungs- als auch Entscheidungsbefugnisse erhalten sollte. Ferner bestanden Bedenken dagegen, dass die Kartellbehörde selbst Bußgelder festsetzen durfte. Nach Auffassung des Rechtsausschusses sollte die Kartellbehörde in derartigen Fällen nur befugt sein, die Festsetzung eines Bußgeldes beim Gericht zu beantragen. Mit Ausnahme von Franz Böhm machten sich sämtliche CDU/CSU-Mitglieder des Rechtsausschusses diese Bedenken zu eigen. Franz Böhm hielt seinen Kollegen vor: „Wir setzen uns dem unerträglichen Vorwurf aus, dass wir da, wo es den kartell-interessierten Kreisen nützlicher ist, die Verwaltungsbehörde entscheiden lassen, weil es nämlich schneller geht, während wir da, wo es denselben Interessenten lieber ist, dass ein Gericht eingeschaltet wird – weil das schon zeitlich sehr viel länger dauert und weil da Hemmungen eingebaut werden –, die Gerichte für zuständig erklären. Die Unterscheidung ist schlechthin anstößig. Wir kämen sonst zu einem reinen Interessentengesetz mit einer dem Kartellgesetz gegenüber umgekehrten Wirkung. Das kann man einfach nicht mitmachen.“68 Die Beschlüsse des Rechtsausschusses lösten im Bundeswirtschafts-, Bundesjustiz- und im Bundesinnenministerium einhellige Empörung aus. Zu durchsichtig war der Versuch, getarnt durch juristische Argumente die Verabschiedung des Kartellgesetzes noch in letzter Minute zu verhindern. Schon seit März 1955 hatten die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundestages Zeit und Gelegenheit, ihre Auffassung zur Kompetenzverteilung zwischen Kartellbehörde und Gerichten vorzubringen. Die Berücksichtigung der Vorschläge des Rechtsausschusses wäre nur im Rahmen einer vollständigen Umarbeitung der Regierungsvorlage möglich gewesen. Erhard versuchte darauf hin, den Ausschuss unter Druck zu setzen, indem er die Beteiligung der Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesjustizministeriums an den Arbeiten des Rechtsausschusses zurückzog. Die Vertreter der Bundesministerien der Wirtschaft und Justiz teilten dem Ausschuss mit, bis zur Klärung der entstandenen Lage innerhalb der Bundesregierung an den Beratungen des Rechtsausschusses über das Kartellgesetz nicht mehr teilzunehmen und verließen die Sitzung.69 Ohne Mitwirkung der Beamten der Ministerien war der Rechtsausschuss praktisch nicht in der Lage, seinem Vorschlag entsprechende Gesetzesvorlagen zu formulieren. Es kam zum Eklat. Die Mehrheit des Rechtsausschusses protestierte heftig gegen diese Vorgehensweise. Demgegenüber verteidigte Franz Böhm das Vorgehen der Exekutive, indem er seinen Fraktionskollegen im Ausschuss vorwarf, das GWB durch die von ihnen herbeigeführten Beschlüsse zu den verfahrensrechtlichen Bestimmungen in eine „Trümmermasse“ verwandelt zu haben.70 Nach den Beschwerden des Rechtsausschusses erhielten die Vertreter des Bundeswirtschafts- und des Bundesjustizministeriums noch am selben Tage von Adenauer die Weisung, sich wieder an den Erörterungen des Ausschusses zu beteiligen. Erhard war es jedoch durch den spektakulären Akt gelungen, die Aufmerksamkeit Adenauers für die Obstruktionspolitik des Rechtsaus67 Robert, S. 318 m.w.N. 68 „Der Spiegel“ vom 3.7.1957. 69 Robert, S. 321 oben mit der Erklärung von Staatssekretär Strauß. 70 Robert, S. 321 m.w.N.

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schusses und die Gefährdung der Verabschiedung des Gesetzes zu erreichen. Adenauer konnte sich nicht länger erlauben, sich in diesem Konflikt neutral und abwartend zu verhalten. Obwohl er an wettbewerbspolitischen Fragen im Grunde desinteressiert war, bat er die Kontrahenten für den 30. Mai 1955 zu einer Besprechung über das Kartellgesetz zu sich, an der Erhard und u.a. die Vorsitzenden des Wirtschafts- und Rechtsausschusses Hellwig und Wahl sowie Günther teilgenommen haben. Im Verlauf des Gesprächs stellte er sich hinter die Bedenken von Erhard gegen die Vorschläge des Rechtsausschusses. Eindringlich ersuchte er darum, eine Kompromisslösung zu finden, die eine Verabschiedung des Regierungsentwurfs auf der Basis der vom wirtschaftspolitischen Ausschuss erarbeiteten Vorschläge ermöglicht. Dank der Ermahnungen Adenauers gelang es Erhard, eine Übereinkunft mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses zu erzielen, durch die die wesentlichsten radikalen Änderungen der Verfahrensvorschriften vermieden wurden.71 Danach gab sich der Rechtsausschuss zufrieden und übermittelte das Ergebnis seiner Überlegungen dem Wirtschaftsausschuss, der am 19. Juni 1957 seine Beratungen über das Kartellgesetz abschloss und seinen Bericht an das Plenum des Bundestages damit doch noch vor Ablauf der Legislaturperiode fertigstellen konnte. Der Versuch der Gesetzeskritiker, über den Rechtsausschuss das Inkrafttreten der Vorschriften des Kartellgesetzes erneut um Jahre zu verzögern, war fehlgeschlagen. Der Adenauer-Regierung, aber auch der CDU/CSU, kam es wenige Monate vor den Wahlen zum dritten deutschen Bundestag entscheidend darauf an, nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Diese ging jedoch abermals auf Kosten des Gehalts des Kartellgesetzes. Die zweite und dritte Lesung des GWB im Bundestag fand am 3. und 4. Juli 1957 statt. Die Oppositionsparteien SPD, FDP und GB-BHE brachten zahlreiche Änderungsvorschläge ein, die auf eine neuerliche Diskussion der Streitfragen abzielten, die den Wirtschaftsausschuss in der zweiten Lesung der Regierungsvorlage beschäftigt hatten. Ihre politische Brisanz lag in der damit verbundenen Aufforderung an die Befürworter einer strengen Wettbewerbsgesetzgebung innerhalb des Regierungslagers, sich ohne weitere Rücksichtnahme auf Partei und Koalition um der Sache willen auf die Seite der Opposition zu stellen und mit deren Hilfe ein GWB zu verabschieden, das der Freiheit des Unternehmers die in der sozialen Marktwirtschaft erforderlichen Schranken setzen sollte. Diese Bemühungen schlugen jedoch fehl. Der Selbstbehauptungswille der CDU/CSU vor den Wahlen und der Wille zum Machterhalt überlagerten selbst bei den von der Richtigkeit eines konsequenten Verbotsprinzips überzeugten Unionsabgeordneten den Willen zur Gestaltung einer eigentlich ihrer Auffassung gemäßen Ordnung. Erhard und seine ihn in der Wettbewerbspolitik unterstützenden Parteifreunde hielten sich in der Debatte auffallend zurück und nahmen zu den Änderungsanträgen gar nicht Stellung, überließen dies vielmehr den „Pragmatikern“ in den eigenen Reihen.72 Lediglich Franz Böhm setzte sich mit den Argumenten auseinander, ohne jedoch den Kompromiss in Frage zu stellen. Bei dem Gesetz handele es sich nach seiner Auffassung bei allen Mängeln um einen erfolgversprechenden Start-

71 Zu den Einzelheiten Robert, S. 322. 72 Robert, S. 326.

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schuss.73 Bei der Abstimmung im Plenum am 4. Juli 1957 stimmten SPD und GB/ BHE gegen die Annahme der Gesetzesvorlage. Überraschenderweise stimmte außer den Fraktionen der CDU/CSU und der DP (FVP) auch die FDP dem Gesetz zu. Innerhalb der CDU stimmten drei Abgeordnete gegen die Verabschiedung des Gesetzes, konnten jedoch nicht verhindern, dass das GWB bei zahlreichen Gegenstimmen in dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet wurde. In die Genugtuung Erhards über die Verabschiedung des Gesetzes mischte sich Enttäuschung über die vom Parlament beschlossene „Auflockerung“ des Gesetzes. Erhard betonte, das Gesetz sei mit zahlreichen Mängeln und Unzulänglichkeiten behaftet, seine Wettbewerbskonzeption decke sich ganz bestimmt nicht völlig mit der erarbeiteten Lösung. Das Gesetz sei aber dennnoch das fortschrittlichste und modernste der Welt. Sein Geist habe sich auch bereits in den Wettbewerbsregeln des Gemeinsamen Marktes niedergeschlagen.74 In den anschließenden Beratungen des Gesetzes im Bundesrat gab dessen Wirtschaftsausschuss ursprüngliche Bedenken gegen die Einführung eines Verbotsprinzips im Hinblick auf die vom Bundestag vorgenommenen Gesetzesänderungen auf. Bemerkenswerterweise wies der Rechtsausschuss des Bundesrates darauf hin, dass der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für den „zwischenstaatlichen“ Wirtschaftsverkehr weit stärkere Kartellverbote als das zur Entscheidung anstehende GWB enthalte.75 Das Plenum des Bundesrats schloss sich dem Wirtschaftsausschuss an und verzichtete am 19. Juli 1957 ohne jede weitere Aussprache auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses und stimmte dem GWB in der vorliegenden Fassung zu. Das Gesetz wurde daraufhin vom Bundespräsidenten ausgefertigt, im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am 1. Januar 1958 in Kraft. 5. Ergebnis Das GWB konnte nur in „zerfledderter“ Form Gesetz werden.76 Es wurde teilweise als „Papiertiger“ verspottet.77 Karsten Schmidt hat dem Gesetz bescheinigt, dass an ihm „nahezu alles falsch“ war.78 Mestmäcker79 hat darauf hingewiesen, dass über die Ratifizierung des Vertrags von Rom mit seinen strengen Wettbewerbsvorschriften, auf die der Bundesrat sogar hingewiesen hatte, wenige Monate vor der Verabschiedung des GWB im Deutschen Bundestag beraten wurde. Er hat es als Ironie der Geschichte bezeichnet, dass den an dieser Entscheidung Beteiligten die Zukunft weitgehend verschlossen blieb. „Vom Schlachtenlärm, der den Streit um das GWB begleitet hatte, war in der Ratifizierungsdebatte zum Vertrag von Rom nicht einmal ein Echo zu vernehmen. Man debattierte über alle möglichen Regelungen des Vertrags. … Die Wettbewerbspolitik wurde nicht einmal erwähnt.“ Die schwersten Mängel des Gesetzes 73 Möschel, NZKart 2014, 42, 44 m.w.N., Fn. 28. 74 Robert, S. 328 m.w.N. 75 Robert, S. 329. 76 Möschel, NZKart 2014, 42, 44. 77 Wiethölter, Reichswissenschaft 1968, S. 259. 78 AcP 2006, 177, 184; vgl. auch Burrichter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 193 f. 79 Mestmäcker, WuW 2008, 6, 11.

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wurden in der Folgezeit durch zahlreiche Novellierungen nachgebessert, insbesondere durch die 2. Novelle 1973 mit Einführung der Fusionskontrolle. Zu einer Entflechtungsregelung kam es trotz entsprechender Pläne im Rahmen der 8. Novelle nicht.80 Im Ergebnis kann man mit Mestmäcker deshalb von der „Erfolgsgeschichte eines unvollkommenen Gesetzes“81 sprechen. Die Erwartung von Franz Böhm bei der Verabschiedung des GWB, es handele sich bei allen Mängeln um einen erfolgversprechenden Startschuss, hat sich bestätigt.

IV. Würdigung Franz Böhm hat als Wissenschaftler die „geistigen Grundlagen“ für den Erlass des GWB bereits in den 30er Jahren geschaffen. Er hat aber auch als aktiver, wortmächtiger und geschickter Politiker entscheidend zur Verabschiedung des GWB beigetragen. Ursprüngliche Defizite des Gesetzes konnten durch Rückgriff des späteren Gesetzgebers auf Erkenntnisse und Vorschläge von Franz Böhm ausgeglichen werden. Durch seine Idee, ein politisch unabhängiges „Monopolamt“ einzurichten, hat er es engagierten Präsidenten und Mitarbeitern des Bundeskartellamts ermöglicht, mit Hartnäckigkeit, aber auch Augenmaß zur Schaffung einer international anerkannten Wettbewerbsordnung in Deutschland beizutragen. Es ist nicht vermessen, Franz Böhm als einen der Väter der heutigen deutschen Wettbewerbsordnung zu bezeichnen.

80 Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, 8. Aufl. 2015, Einführung Rz. 30. 81 Mestmäcker, WuW 2008, 6 ff.

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The European Commission’s Flawed Understanding of Innovation Concerns I. The Effects of Competition and Market Structure on Incentives to Innovate: No Presumption of Consumer Harm Warranted in Innovation Markets II. The European Commission’s Flawed ­Innovation Theory of Harm in the Dow/DuPont Merger 1. Overview of EC Decision 2. The Decision Inappropriately Applied the Unilateral Effects Standard for Price Competition to Assess Innovation ­Competition

3. The Decision’s Analysis of Discovery ­Innovation 4. The Decision Does Not Quantify or Weigh the Factors that Determine a ­Merger’s Impact on Innovation 5. The Decision Does Not Properly ­Consider or Credit the Substantial R&D Efficiencies from the Merger 6. The Decision Does Not Weigh the ­Factors Against Each Other 7. Conclusion: EC’s Decision Is Irreparably Flawed and Out of Step With Other ­Regulators

Over the past two decades, antitrust regulators have investigated a number of mergers for their potential to harm innovation. Many of these decisions have recognized that the analysis of innovation effects should be different from the traditional analysis of price effects because the economics of innovation are significantly more complex. Thus, any assessment of a merger’s impact on innovation competition must be based on a careful fact- and industry-specific analysis, applying economic tools specific to the task. Unfortunately, certain decisions by the European Commission (“EC” or “Commission”), United States Department of Justice (“DOJ”), and Federal Trade Commission (“FTC”), in recent years have failed to appreciate the complexities of innovation incentives. While regulators have sometimes used sound principles to analyze innovation competition, at times they have erroneously applied traditional product competition analysis and assumed – but not shown – that increases in concentration necessarily must result in reduced innovation. The EC’s recent decision on the Dow/DuPont merger  – which purports to find anticompetitive innovation effects, but does so without serious analysis of the drivers of innovation – is perhaps the most striking example.

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I. The Effects of Competition and Market Structure on Incentives to ­Innovate: No Presumption of Consumer Harm Warranted in ­Innovation Markets It is generally accepted economics that an increase in product market concentration tends to create upward pricing pressure in the absence of entry or repositioning  – leaving only the questions of how large the impact is and whether there are synergies that can provide a counterweight. But an increase in concentration may either decrease or increase incentives to innovate, and thus there is no presumption of harm to innovation from increases in concentration. A merger may decrease the expected value of innovation if it will take (or “cannibalize”) sales of the firm’s other products or expected innovations. Alternatively, the expected value of innovation to a firm may increase where, through mergers, a firm can realize (or “appropriate”) more of the innovation’s benefits. The complex relationship between competition and innovation requires a careful examination of the particular facts of the market and firms at issue to assess whether any increase in concentration will ultimately result in increased or decreased innovation. The two sides in this debate – “cannibalization” and “appropriability” – are represented by Kenneth Arrow and Joseph Schumpeter, two of the most influential economists of the 20th century. Arrow showed that, under certain assumptions, a monopolist’s potential innovations would primarily compete with the monopolist’s current product, and thus displace (or “cannibalize”) the current product’s sales.1 In contrast, a firm in a perfectly competitive market would not be concerned about cannibalization because its innovations would disproportionately win sales from its competitors’ current products or potential innovations. Arrow concluded that competition results in greater incentives to innovate than monopoly. In the merger context, the impact of Arrow’s cannibalization depends on the extent to  which one party’s potential innovations would compete with the other party’s current products. Innovations that complement, instead of replace, current products could reverse the cannibalization effect, as a monopolist would profit more from complementary innovation than a firm in a competitive market. The expected duration of a monopolist’s market power also matters – if innovations will reach the market only after the monopolist loses its monopoly, then the incentives to innovate may match those of a firm in a competitive market. For example, if a monopolist’s market power stems from a patent that will expire in five years, at which point competitors are expected to enter the market, and new innovations are at least five years away, then there should be no cannibalistic deterrence on innovation. 1 See generally Kenneth Arrow, Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention, in The Rate and Direction of Economic Activity 609 (Universities-National Bureau Committee for Economic Research & Committee on Economic Growth of the Social Science Research Council eds., 1962).

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In contrast to Arrow, Schumpeter showed that competition may make innovation less valuable to a firm, and, as a result, an increase in concentration could increase incentives to innovate.2 A firm with a greater share of the market for an innovation is able to realize more of its value. That firm is likely to have complementary assets, such as superior distribution resources, that will allow it to sell more of the innovation or obtain a higher incremental profit for each sale. And because of its larger share, the firm’s (correspondingly smaller) rivals will appropriate less profit from “spillover” – the ability of follow-on firms to free ride by using the innovation to compete with the innovator at significantly reduced discovery cost. Further, in markets where the first firm to innovate captures the entire market and investments in innovation cannot be recovered, competing innovators can decrease the value of pursuing innovation for a particular firm because a rival may beat the firm to the finish line. A reduction in the absolute number of innovators thus could increase incentives to innovate. These competing theoretical models expose a tension in analyzing the effect of competition on innovation: as competition increases, innovation becomes relatively more desirable to escape (or necessary to maintain) the competitive status quo, but it also becomes relatively more costly due to the firm’s reduced ability to capture the benefits of its innovation. Arrow’s cannibalization and Schumpeter’s appropriability thus need to be weighed carefully to determine the net impact on innovation from an increase in concentration, and there can be no presumption that an increase in concentration among competitors harms innovation. Generally, theoretical models suggest that while some competition promotes innovation, there is, for each market, a tipping point past which a market is “too competitive” to optimally incentivize costreducing innovations.3 Whether cannibalization or appropriability wins out depends on the characteristics of the relevant market, and cannot be determined (or even presumed) solely by reference to theoretical models. The time horizon for innovations also may be relevant to the weighing of cannibalization and appropriability. Depending on the industry and the circumstances, the expected timeline for commercialization of innovations can range from mere months to a decade or more. On one end of the spectrum, where the relevant innovations are close to commercialization, the appropriate analysis may be similar to a product market analysis because there may be an increased risk of cannibalization effects. In that case, the innovator is more likely to know whether the innovation will be successful, as well as the likely competitive set. The closer the introduction of the product, the more likely that the investment in the innovation is a sunk cost: nearly all 2 See generally Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy (1942). 3 See generally Partha Dasgupta & Joseph Stiglitz, Industrial Structure and the Nature of Innovative Activity, 90 Econ. J. 266 (1980); Xavier Vives, Innovation and Competitive Pressure, 41 J. Industrial Econ. 419 (2008). In the Vives’ paper, innovation is the reduction in firms’ production costs, and with more rivalry, each firm sells less and invests less in R&D. Rivalry thus has an adverse effect on the extent to which firm lowers it costs. Notably, in a fragmented industry, aggregate R&D expenditures are higher and innovation is lower than in a less concentrated industry due to the reduction in duplicative R&D expenditures and higher appropriability.

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of the innovation work is already done. As a result, appropriability and cannibalization may be less significant factors in deciding whether to bring the innovation forward. On the other end of the spectrum, innovations that require lengthy investments over an extended period of time and whose success is uncertain evidence a greater potential for appropriability effects and a lower risk of negative cannibalization effects. In such a case, an innovator is uncertain of the competitive set, especially because in the interim competitors may enter the market, thus reducing the scale of cannibalization. This cautions for greater restraint in concluding there will be harm to innovation because of the difficulty of predicting incentives further in the future. In sum, any assessment of a merger’s impact on innovation competition must be based on a careful fact- and industry-specific analysis, using proper economic tools and eschewing rules of thumb or unduly restrictive presumptions.

II. The European Commission’s Flawed Innovation Theory of Harm in the Dow/DuPont Merger 1. Overview of EC Decision The EC addressed the competitive impact of the merger of Dow and DuPont on innovation in herbicides, insecticides, and fungicides (collectively, “crop protection” or “pesticides”). Active ingredients for pesticides are expensive and time consuming to create, with an average cost for discovery and development of $ 286 million, and an average lead time from concept to regulatory approval of 11 years.4 Discovery alone takes three to four years and the likelihood of success is low.5 Once an active ingredient reaches development, the focus shifts to the ongoing research required to obtain regulatory approval, which takes five to six years. While eventual commercialization for an active ingredient that reaches this stage is likely, commercial success remains uncertain.6 Dow and DuPont ranked fourth and sixth in global crop protection sales, and fourth and fifth in crop protection R&D expenditures; post-merger, the combined entity would have been third in sales and fourth in R&D expenditures.7 There were over thirty firms active in crop protection discovery, including many that launched multiple active ingredients.8 The EC concluded that there was a significant harm to crop protection innovation, and required the divestiture of almost the entire DuPont Crop Protection R&D organization. The EC’s concern was focused on the discovery and early development 4 Case M.7932, Dow/DuPont (2017), paras. 160–61. 5 Id. paras. 168, 297, 1960. 6 Id. 7 Id. paras. 2206, 2207, 2208, 2424. See also “Companies Section Part 2, 2014 Market Situation” at 7, AgriService (Phillips McDougall 2015). 8 Dow/DuPont paras. 2269, 2270.

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phase, i.e., R&D taking place seven to eleven years prior to launch, for which the eventual launch of a product is uncertain.9 The Decision found that two types of discovery efforts would be reduced: (1) “lines of research” targeted at “innovation spaces” and (2) “early pipeline products.”10 The Decision defined a “line of research” as “the set of scientists, patents, assets, equipment and chemical class(es) which are dedicated to a given discovery target whose final output[s] are successive pipeline AIs targeting a given ‘innovation space”.11 The Decision defined “innovation spaces” as “small groupings of crop/pest combinations,”12 but it also used “innovation spaces” that were considerably larger. Both “lines of research” and “innovation spaces” are novel concepts first introduced by the EC in its Decision. “Early pipeline products” are “products which have already been selected among leads, but are still in the discovery or predevelopment stage, where most of the innovation costs have still not been incurred, and with a lower likelihood of success than development products.”13 The Decision found that the merger likely would lessen incentives to innovate because the combined company would face increased cannibalization effects post-merger and because the Parties were close competitors in crop protection innovation and had a significant presence as innovators in the industry generally. The Decision further found that any innovation-enhancing effects were unlikely to offset this reduction in innovation because they were “speculative”. The Decision’s analysis was structurally flawed. The Decision assessed discovery innovation competition through the lens of the unilateral effects standard for price competition and with tools designed to analyze product rather than innovation markets. This fundamental mismatch between the EC’s theory of harm and the tools employed for analyzing the theory resulted in a flawed analysis. Essentially, the EC used a machete when a scalpel was needed, and the process and outcome suffered. The EC’s misguided analysis reached the counterintuitive conclusion that the merger of Dow and DuPont  – who have the world’s #4 and #5 largest budgets for crop protection R&D, making them just #4 post-merger14  – would lead the combined company to reduce innovation efforts and thereby become less competitive with the three industry leaders (Syngenta, Bayer, and BASF), rather than increase innovation efforts to compete more effectively with them and tens of others. The EC’s conclusion not only ignores the economics of innovation and the realities of the crop protection industry, but is also at odds with the conclusion of the DOJ. The DOJ thoroughly analyzed the same innovation issues and properly concluded that the Dow/DuPont merger presented no innovation concerns.15 9 Id. paras. 161, 168, 1957. 10 Id. para. 1957. 11 Id. para. 1958. 12 Id. para. 2191. 13 Id. para. 1960. 14 Id. paras. 2209, 2424 and Fig. 117 (redacted). 15 See Press Release, U.S.  Department of Justice, Justice Department Requires Divestiture of Certain Herbicides, Insecticides, and Plastics Businesses in Order to Proceed with DowDupont Merger (June 15, 2017), available at https://www.justice.gov/opa/pr/justice-depart​

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2. The Decision Inappropriately Applied the Unilateral Effects Standard for Price Competition to Assess Innovation Competition The Decision’s framework is the unilateral effects test in the EC’s Guidelines on the Assessment of Horizontal Mergers Under the Council Regulation on the Control of Concentrations Between Undertakings (“EC HMGs”).16 This approach is at odds with the EC HMGs themselves, which acknowledge a distinct analysis for innovation cases, and explain that increases in concentration should not be presumed to harm, and, indeed may enhance, innovation:17 In markets where innovation is an important competitive force, a merger may increase the firms’ ability and incentive to bring new innovations to the market and, thereby, the competitive pressure on rivals to innovate in that market. Alternatively, effective competition may be significantly impeded by a merger between two important innovators, for instance between two companies with ‘pipeline’ products related to a specific product market. Similarly, a firm with a relatively small market share may nevertheless be an important competitive force if it has promising pipeline products. The Decision explicitly rejects this approach. Instead, it asserts that “whenever the section on non-coordinated effects of the Horizontal Merger Guidelines refers to price effects, this is in principle shorthand also for other possible forms of harm.”18 While the EC HMGs do state that “the expression ‘increased prices’ is often used as shorthand for these various ways in which a merger may result in competitive harm,”19 this does not mean that analytical tools for price competition can simply be applied to  innovation competition.20 In using this framework, the EC ignores that, unlike the  relationship between rivalry and prices, the relationship between rivalry and innovation is ambiguous because of the tension between cannibalization and appropriability. In one important respect, the Decision misapplies even this less rigorous standard for  unilateral effects: Instead of defining markets where harm could occur, as the EC  HMGs require in unilateral effects cases, the Decision concludes that there is harm to innovation if it is likely that there will be some harm to unspecified “early

ment-requires-divestiture-certain-herbicides-insecticides-and-plastics (“Like the European Commission, the Antitrust Division examined the effect of the merger on development of new crop protection chemicals but, in the context of this investigation, the market conditions in the United States did not provide a basis for a similar conclusion at this time.”). 16 Dow/DuPont paras. 1987–99. 17 EC HMG para. 38. 18 Dow/DuPont para. 1995 (emphasis added). 19 EC HMG para. 8 (emphasis added). 20 Indeed, the Decision itself appears to acknowledge as much, noting that the unilateral effects standard for price competition “is also at least partially applicable to innovation,” without specifying which parts apply and which parts do not apply. Dow/DuPont para. 1993.

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pipeline  products or lines of research”21 or “innovation spaces.”22 Eliminating the requirement to define a market allowed the EC to find innovation harm based on the companies’ high-level goals and/or abstract project descriptions, without analyzing the competitive environment where the resulting future products will be used, sold, or marketed in the real world. In short, notwithstanding that increases in concentration have ambiguous effects on innovation, by abandoning market definition, the EC made it easier to find harm in innovation markets than in product markets. 3. The Decision’s Analysis of Discovery Innovation The Decision’s analysis of discovery innovation (as contrasted with R&D directed at testing for regulatory approval) in particular applies tools designed to detect unilateral effects in price competition cases. First, the Decision requires that to be considered an “R&D player” relevant to innovation competition, a firm must also be a significant participant globally across crop protection product markets. Second, the Decision requires that an “R&D player” be able to develop AIs without partnering with others. The resulting EC conclusion is that there are only five “R&D players”: Syngenta, Bayer, BASF, Dow, and DuPont, ignoring the numerous other important sources of discovery innovation.23 Third, the Decision applies a unilateral effects analysis to patent shares and new AIs to assess market power. Fourth, the Decision invents the notion of “innovation spaces” to count the number of players in narrower areas of innovation that do not correspond to the commercial realities of innovation competition. The Decision requires that to be an “R&D Player” in crop protection discovery, a firm must be a significant competitor in current crop protection product markets globally. The Decision limits its discovery innovation analysis to firms that are significant competitors across the downstream global crop protection product markets.24 A product market analysis, however, typically does not limit the firms deemed to be significant competitors to only those firms that also compete in other product markets. The Decision thus imposes an unusual restriction for identifying innovators. Requiring that an innovator be a significant competitor across several global product markets does not make economic sense. Discovery innovation can occur in a myriad of settings, by a variety of entities. Small firms focused on discovering active 21 Id. para. 2034. 22 Id. para. 3053. 23 Id. paras. 222, 2209. 24 Id. para. 2209 (“[I]ntegrated throughout the entire R&D pipeline and have broad access to global markets. Their integration enables them, compared to other players in the industry, to direct their R&D effort, set and pursue their discovery in order to target areas where new AIs would have the highest profitability chances, also in light of the market expertise gained downstream; and at the same time deploy global development abilities and access to markets which enable them to maximize the revenues that can be obtained through these molecules. Their integrated effort is sustained by the R&D budgets they can afford in light of the size of their turnover.”).

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ingredients and licensing them to larger firms for commercialization coexist side by side with vertically integrated multinational firms that both discover and in-license active ingredients. Some firms are specific to particular geographies, and partner to commercialize their innovations in other countries, while others manage a global distribution supply chain. Ignoring more focused firms distorts the competitive analysis. Furthermore, current market success in one product market is an unreliable indicator of future innovation success within that market or in others. Crop protection discovery is uncertain – candidates originally targeted for one use are routinely found instead to be better suited for another use which is one of the reasons that innovators test discovery candidates for multiple uses. A firm today may be successful in only a few product markets, but its discovery candidates may lead to market success in different product markets. The EC’s Decision to artificially limit which firms “count” as innovators ignores these significant sources of innovation. For example, the Decision states that a number of firms with demonstrably successful discovery programs and product market success are not “R&D players” (and thus not innovators in the EC’s calculus) because they are not “sufficiently” global. The Decision acknowledges that Isagro and other Japanese competitors “are present at [the] discovery level,” have successfully developed new AIs, and have significant sales.25 Isagro alone has launched three new AIs over the past decade and generated almost $ 200 million in 2014 sales.26 Ten other companies based in Japan have collectively launched dozens of new AIs in recent years: Sumitomo Chemical, AgroKanesho, Hokko, Ishihara Sangyo Kaisha (ISK), Kumiai, Kyoyu Agri, Mitsui Chemicals, Nihon Nohyaku, Nippon Soda, Nissan Chemical.27 Furthermore, the Decision acknowledges that the “R&D players” create new AIs based on inspiration from these firms, including DuPont’s (now divested) blockbuster insecticide, Rynaxypyr (which was based on work by Nihon Nohyaku).28 Any analysis of the source of invocation at the discovery stage therefore cannot simply ignore firms that team with others to commercialize their innovations. The Decision requires that an “R&D Player” in crop protection discovery have its own internal development capabilities. The Decision does not credit the routine industry practice of crop protection innovators partnering with others to bring a newly discovered AI to market. Non-“R&D Players” that are significant competitors in the downstream global crop protection product markets have the capabilities to develop (i.e., “deregulate”) an AI. These include such crop protection leaders as FMC and Monsanto. FMC regularly “secures new active ingredients through in-licenses, acquisitions, and co-development agreements.”29 FMC acquired “Cheminova, a Danish company with a portfolio of AIs and a pipeline, with assets in Europe” in 2015, 25 Id. para. 2228. 26 Id. para. 2262. 27 Id. para. 2271. 28 Id. para. 2305. 29 Id. paras. 2228, 2249.

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and, as a result, significantly bolstered its development capabilities in Europe.30 But the Decision states that FMC is not a sufficient path to market for discovery because it has not launched new AIs in the 18 months between the Cheminova acquisition and the Decision.31 The Decision’s use of an 18 month window is shortsighted given that bringing a new AI to market is an 11 year journey. Monsanto is a highly successful crop protection competitor  – with the fifth highest crop protection revenues, even higher than DuPont.32 Monsanto expects to register novel chemistries over both the next five years and the post-five year period, has a history as both an AI discoverer and partner to other discovers, and an extensive agricultural R&D operation.33 The Decision justifies its requirement to limit “R&D players” based on global downstream product market success because otherwise an innovator could not successfully “compete” in Europe.34 But, the Decision misses the point – the issue of this part of the analysis is not whether a firm can compete in Europe as a marketer, but whether a firm will continue to contribute to ongoing innovation in the industry. The Decision applies a unilateral effects share analysis to assess the Parties’ innovation competition. The Decision’s analysis examines patents and new AI sales using tools such as combined shares and HHIs designed to assess upward pricing pressure in a product market, as well as standard “screening” thresholds used in product market analysis. This analysis necessitates constructing patent shares based on arbitrary decisions as to which patents “count” without the aid of well-established economics to guide the methodology. Further, there is no economic basis to conclude that combined shares or HHIs give rise to an innovation concern. In particular, patents and new AI sales measure past innovation efforts, not current or future efforts. Furthermore, neither is analyzed with respect to defined relevant product markets. The EC constructed its “patent shares” by weighting each firm’s body of patents against those of other firms, according to the number of citations and subject to several exclusions. The EC excluded:35 ȤȤ Any firm the EC did not consider to be an “R&D player.”36 The EC rejected the parties’ argument that, if firms outside the five “R&D players” were not important sources of innovation, that should be reflected by relatively small patent shares, and that wholesale exclusion was therefore unwarranted.37 ȤȤ Internal citations.38 The EC decided that internal citations were less informative of patent value because as a firm becomes larger, it may be more apt to mechanically 30 Id. para. 2243. 31 Id. para. 2250. 32 Id. para. 2230. 33 Id. para. 2241. 34 Id. paras. 2276, 2228, 2280. 35 Id. paras. 2458, 2463. 36 Id. paras. 2451, 2463, 2484. 37 Id. paras. 2463–65. 38 Id. paras. 2463, 2477.

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cite its own patents.39 The EC reached this conclusion despite agreeing that “firms citing their own patents may be a reflection of the cumulative nature of innovation.”40 The EC rejected the parties’ arguments that excluding internal citations tended to increase the “patent shares” of the firms with relatively smaller patent portfolios, such as DuPont, which ordinarily would suggest that such firms are less innovative than firms with larger patent portfolios.41 Further, rather than using the analysis to determine which firms were effective innovators, the EC restricted the analysis to the five firms it had previously determined to be the “R&D Players,” thereby arguably pre-ordaining the result.42 ȤȤ Patents outside the top 10 % of external citations.43 In other words, the EC’s analysis assigned a value of zero to 90 % of crop protection patents. The EC argued that such a restriction helped to better identify “innovative strength” and firms with patents that led to “blockbuster products.”44 The parties argued that, if true, the relative value of such patents already should have been evident in the patent share analysis without imposing a cutoff, as the EC weighted patents by citations.45 In short, the Decision’s methodology seems to have driven the result by limiting in advance which patents count and which don’t rather than letting the empirical analysis determine the result. The Decision’s patent share construction have a significant impact on the results. By excluding Japanese companies and internal citations, the Decision finds a combined share of over 50 % across all crop protection, a post-merger HHI of over 3500, and a change in the HHI of over 1000. But including Japanese companies and internal citations drops the combined share to about 30 %, the postmerger HHI to below 2000, and the change in the HHI to below 500. The Decision’s case for excluding Japanese competitors as R&D players is completely undermined by the patent data, which demonstrates that Japanese competitors account for a significant share of crop protection patents. Similarly, the Decision’s limitation to the “top 10 % external citations” also has a significant impact on the results. By lowering the threshold from 50 %, the combined share declines to below 30 %, the post-merger HHI to below 2000, and the change in HHI to below 400. The Decision focuses on Dow and DuPont´s high “shares” under its questionable methodology and HHIs based on crop protection patents.46 But even under a traditional unilateral effects analysis for price competition, the shares resulting from correcting obvious methodological flaws would usually not result in enforcement action. As evidence of impact on innovation competition, these shares are meaningless. 39 Id. para. 2479. 40 Id. para. 2477. 41 Id. paras. 2463, 2481. 42 Id. para. 2463. 43 Id. paras. 2463, 2467. 44 Id. para. 2467. 45 Id. paras. 2463, 2467. 46 Id. paras. 2467, 2507.

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But even using the EC’s gerrymandered shares, it is not clear what such “shares” and HHIs mean with respect to innovation competition. The intuition behind a product analysis relying on market shares and HHIs comes from well-established economic principles of price competition. In contrast, patent “shares” and HHIs are not ground in well-established principles or an empirical relationship with innovation. Further, such shares, like commercial shares, are indicators of previous, not current, innovation efforts. Patent “shares” do not indicate innovation incentives. The Decision attempts to use even narrower patent “shares” segments – herbicideonly, fungicide-only, and insecticide-only – to identify how “close” Dow and DuPont innovation efforts are as a way to detect cannibalization concerns.47 In the context of price competition, this might make sense  – a narrower screen may detect closer competition, for example, truck shares may reveal close competition in trucks than shares of all automobiles may fail to detect. But closeness of competition does not necessarily indicate competitive harm in the innovation context. Even if it is assumed that past success at patenting is informative of current R&D concentrations- a dubious proposition to begin with- closeness may indicate both increased cannibalization and increased appropriability as a result of the merger, so the effect on innovation remains ambiguous.48 The Decision also constructs “shares” based on both global and EEA revenue of newly introduced AIs between 2006 and 2015 regardless of whether the new AIs compete in the same product market.49 But as with patent counts, the conclusion drawn is driven by the way the measurement is constructed: The EC’s “shares” change significantly if the time-frame is varied, such as expanding the time period to 2000–2015 or narrowing it to 2010–2015.50 The EC rejected the five-year window as too short because it contained a limited number of new active ingredient launches, and because a new active ingredient typically takes more than four years to reach its peak sales.51 The EC rejected the fifteen-year window because it would underestimate DuPont’s innovative strength as DuPont’s “new active ingredient share” had grown since 2000– 2005.52 (In other words, the EC implicitly admitted that such “shares” are poor predicators of innovation.) Again, the methodology seems to be driven by what is necessary to get high shares for Dow and DuPont rather than an objective analysis of an appropriate time period. The analysis then focuses on high “shares” and HHIs.53 47 See id. para. 2517. 48 In this sense, cannibalization and appropriability are once again two sides of the same coin. If a merger combines two innovations that are close competitors, then the cannibalization effect would decrease incentives to pursue both innovations. But, at the same time, if premerger the two innovations were going to steal significant sales from one another, then this would have resulted in lower returns on innovation because the competing innovations split the market. The merger would allow the companies’ innovations to be more profitable – i.e., increase appropriability – and, as a result, incentivize additional innovations. 49 Id. para. 2572. 50 Id. para. 2585. 51 Id. paras. 2587-2588. 52 Id. paras. 2591-2594. 53 Id. paras. 2574, 2575.

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But, as above, these tools are based on the unilateral effects analysis for price competition, not an innovation analysis. It is not clear how one should interpret “share” levels or HHIs for recent new products (especially new products that do not compete with each other) in the assessment of innovation, let alone the discovery of AIs over a decade old. The EC applied these methodologies over other calculations that seem more closely related to innovation and less susceptible to gerrymandering. For example, current R&D expenditures indicates a firm’s current innovation efforts. By R&D expenditures, the Dow/DuPont merger presents no innovation concerns: the merger was between the 4th and 5th largest firms by R&D expenditures; the combined company would have remained #4 and would have had a share of R&D expenditures in the teens. These shares should not raise innovation concerns. The safe harbors in the U.S. IP and JV Guidelines, for example, apply as long as there remain three or four competitors, respectively, with the required specialized assets and incentive to do R&D.54 The Decision conducts an overlap analysis based on “innovation spaces”. The Decision applies the novel concept of “innovation spaces” to assess overlaps in the early pipeline products and lines of research.55 Some of the identified “innovation spaces” are a crop/pest combination, and are the same as a downstream crop protection product markets.56 But the Decision also uses “innovation spaces” that are based on a broad range of pests and without reference to a particular crop, which is broader than the relevant product markets.57 Such “innovation spaces” were unknown to the crop protection industry and do not reflect how innovation in crop protection occurs. Candidate AIs for one initial use are often found to be better at a different use; and many AIs work across multiple “innovation spaces.” For example, the Decision lists one Dow product as competing in four out of the five herbicide “innovation spaces”.58 The Dow product is also applied to other crop/pest combinations where the Decision did not find an overlap. Again relying on a unilateral effects framework, the Decision focuses on counting the number of “R&D players” in each “innovation space”. Once again, the Decision’s criteria for inclusion do not withstand scrutiny. To start, the Decision does not include all of the five so-called “R&D players” in each “innovation space” because it concludes based on current product sales that none of the “R&D players” has the capability to 54 U.S.  Dep’t of Justice & Fed. Trade Comm’n, Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property (Jan. 12, 2017), available at https://www.ftc.gov/system/files/ documents/public_statements/1049793/ip_guidelines_2017.pdf; U.S.  Dep’t of Justice & Fed. Trade Comm’n, Antitrust Guidelines for Collaborations Among Competitors (Apr. 2000), available at https://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/public_events/jointventure-hearings-antitrust-guidelines-collaboration-among-competitors/ftcdojguidelines-­2. pdf. 55 Dow/DuPont para. 2008. 56 Id. paras. 311, 351. 57 Id. at Table 69 (redacted). 58 Id. at Table 68 (redacted).

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innovate in all “innovation spaces”.59 Once again, the Decision mistakenly relies on recent product market success to conclude that a firm is incapable of innovating in that area. Had the Decision examined broader innovation capabilities it would have concluded that all of the “R&D players” must be considered as relevant players in each “innovation space”, particularly since any of them could readily increase its efforts in a particular “innovation space” if the merged Dow/DuPont were to reduce its innovation efforts in that space. More fundamentally, the Decision’s “innovation space” analysis does not say anything about the incentives or capabilities to innovate. Since many projects span multiple “innovation spaces”, it likely will still be profitable to pursue a project even if it cannibalized sales in one “innovation space” as long as the sales in the other “innovation spaces” outweighed the cannibalized sales. Nor does the Decision support the idea of its “innovation spaces” by showing that R&D assets and capabilities are specific and limited to these activities. 4. The Decision Does Not Quantify or Weigh the Factors that Determine a ­Merger’s Impact on Innovation As discussed in Section I, economic theory does not suggest a presumption of harm to innovation from increased concentration. Instead, it demonstrates that innovation analysis must weigh the actual factors that would impact innovation post-merger. In order to conduct any meaningful analysis of innovation competition, changes in the cannibalization and appropriability effects need to be assessed directly along with industry-specific factors and efficiencies. Rather than perform this analysis, the Decision asserts, without proof, that changes in cannibalization will be significant and that all the other factors are insignificant. The Decision does not properly assess or quantify the degree to which cannibalization or appropriability matters in innovation. The Decision asserts that cannibalization (which it also sometimes refers to as, or links with, rivalry or contestability) is the key driver of innovation in crop protection. In doing so, the Decision excludes other major factors that spur innovation and minimize the impact of cannibalization. This is particularly narrow minded in an industry like crop protection, where current products have built in obsolescence as a result of growing resistance by the pests sought to be controlled, the threat of generic entry upon patent expiry which comes soon after launch because of the long lead time to develop the product, and increasingly stringent government regulation of toxic pesticides. While the theory that a merger may lead to a reduction in innovation due to the risk that future innovations will cannibalize one of the merged firm’s products is correct, the EC does not offer sufficient support for a cannibalization effect here.60 The Decision asserts that the EC found some evidence that “R&D players” look at potential cannibalization when assessing an R&D project, but offers no examples. On the 59 Id. paras. 2360, 2363. 60 Id. para. 2001.

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contrary, the Decision acknowledges that it cannot find evidence of cannibalization impacting specific R&D projects, but attributes this failure of proof to an assumption that R&D projects are designed from the outset not to cannibalize a firm’s own products.61 But industry history, which includes many examples of new products taking sales from existing products, demonstrates otherwise. For example, the EC identified documents that acknowledged that a party’s pipeline product would cannibalize its current sales,62 but was nonetheless commercialized. As discussed in Section I above, appropriability increases incentives to innovate by expanding the amount of potential sales, including from the ability to market the Parties’ innovations to a broader, combined customer base and leverage product complementarities. The Decision limits its consideration of appropriability to the ability to protect innovation from imitation:63 Appropriability thus depends on the extent to which a firm can protect the competitive advantage associated with its innovation. If imitation is rapid, so a firm that successfully innovates is unable to differentiate its products or achieve a significant cost advantage over its rivals, ex-post profits margins will be low and innovation incentives will be muted. Under this artificially narrow analysis, the Decision concludes that appropriability is effectively 100 % because IPR prevents rivals from imitating an innovator.64 This conclusion of course ignores the fact that IPR protection is not congruent with the scope of potential imitation, as is routine in industries like pesticides or pharmaceuticals where innovation may reveal a mode of action capable of being achieved with a variety of chemicals. Without the possibility of increased appropriability, the Decision’s framework presumes a merger in an industry with IP protection decreases innovation. Under the Decision’s framework, the EC theoretically could block any horizontal merger of firms that innovate in an industry with IP protection because it decreases rivalry (and thus increases cannibalization) and all other factors (appropriability and all industry specific factors) are unchanged. This framework is inconsistent with sound economic analysis and the EC HMGs, which expressly acknowledge that “a merger may increase the firms’… incentive to bring new innovations to the market.”65 The Decision’s narrow approach to appropriability is fundamentally flawed. There is no empirical evidence or theory to justify the Decision’s conclusions on appropriability in the crop protection industry. The presence of an IPR does not prevent increases to appropriability. An IPR is not perfect – a rival can duplicate an innovation by inventing around the patent or waiting for it to expire. Further, appropriability is not determined solely by IPR strength even when high. Crop protection chemicals are differentiated products, so appropriability depends on successful marketing, other competing 61 Id. paras. 2091, 2088 62 Id. para. 2088. 63 Id. para. 2112. 64 Id. para. 2001. 65 EC HMG at para. 38.

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and  complementary chemicals, and other pest management approaches. Further, appropriability can also depend on the geographic breadth of the sales organization and the possibility of bundling the innovation with other products. IPR strength is one mechanism that helps provide for greater appropriability – it can prevent certain forms of imitation over a limited time period. But it is not the sole mechanism that can provide appropriability. Another mistake in the Decision’s appropriability analysis is its proclamation that “greater appropriability … should be treated as merger-related efficiencies for which the Parties bear the burden of proof.”66 That standard would require that Parties must show that the greater appropriability post-merger is verifiable, beneficial to consumers, and merger-specific.67 As discussed in greater detail below, it is not clear that any merger could satisfy the EC of these criteria, as the Decision concludes that long-run innovation incentives are too complex and difficult to verify, the benefit to the innovation inputs must be linked to the unspecified future markets with unquantifiable competitive concerns, and the benefit must be merger specific. In short, the Decision applies a lower burden of proof to finding anticompetitive effects in innovation markets than it does to the procompetitive potential. Given that both are attempts to predict the future for innovation, there is no justification for applying different burdens of proof on the two sides of the equation. The Decision does not properly assess or quantify the industry-specific factors that drive innovation in crop protection. A proper analysis of innovation competition must assess not only cannibalization and appropriability, but also the industry-specific factors that drive innovation. Such factors may indicate that cannibalization and/or appropriability play only a limited role in driving innovation in a particular industry, and that other factors are more significant drivers. The Decision largely ignores the crucial factors that drive innovation in crop protection and that minimize any negative impact on innovation from cannibalization: resistance, regulation, generics, other agricultural innovations, and rising demand. These factors incentivize innovation in crop protection because a current dominant position does not ensure future success. Today’s products may be ineffective, banned, or copied tomorrow. The only solution is to replace these products through new innovation. This is true no matter what a firm’s competitors may be doing – even if all other firms’ ceased innovation efforts, the value of a firm’s products will decline over time. While the Decision considers these factors, its analysis is cursory at best. For example, the Decision concludes that resistance is not important because some products have been on the market for a long time and other products have sales projections that last a decade.68 These anecdotal examples are insufficient to support broad, far-reaching 66 Dow/DuPont para. 2046. 67 Id. para. 3267. 68 Id. para. 2118. The Decision’s examples do not in fact demonstrate that resistance is not a major driver. The Decision cites Dow’s spinosad as an example of a product that has been

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conclusions regarding innovation competition in the industry. The Decision should have more thoroughly and systematically assessed how much these factors matter. Perhaps most fundamentally, the Decision ignores sea-change innovations that displace innovation in specific crop protection mechanisms altogether. The most important agricultural innovations of the last several decades have been in pestresistant seeds and traits, and the next generation of innovations is expected to be in gene editing and precision agriculture. These innovations have had a crucial role in shifting R&D budgets and innovation efforts away from traditional crop protection in favor of better technology with greater benefits for growers and innovators alike. Yet, the Decision has no role for them in its analysis, and ignores the firms responsible for these game-changing innovations. For example, Monsanto is the world’s fifth-largest crop protection firm by revenue (with higher sales than DuPont), but is not considered a “R&D Player” because of its limited crop protection discovery efforts outside its leadership in crop protection chemicals associated with genetic traits and its leading efforts in seeds, gene editing, and precision agriculture.69 Assessing the impact of the merger on innovation as a whole (i.e., at the “industry level”) must account for technologies solving the same basic problem (i.e., crop yield/plant health) for growers. 5. The Decision Does Not Properly Consider or Credit the Substantial R&D ­Efficiencies from the Merger As discussed above, the Decision imposes the unilateral effects test for the consideration of efficiencies – i.e., they must benefit consumers, be merger-specific, and be verifiable.70 This test subjects efficiency claims to a high burden. While this arguably makes sense in the context of price competition where increases in concentration are presumed to lead to upward pricing pressure, it makes no sense when assessing innovation where no presumption is warranted, and where the tools for assessing procompetitive potential are the same as those used to assess anticompetitive effects. During the course of the investigation, the Parties identified the following as among the key innovation efficiencies: ȤȤ a reduction of information spillover (i.e., higher appropriability); ȤȤ the combination of complementary AIs to create improved formulations; ȤȤ the reduction of duplicative assets; and on the market successfully for a significant amount of time, but spinosad is a biological pesticide that requires yearly innovation through selecting new bacteria to avoid becoming ineffective. The Decision cites the example of DuPont’s Rynaxypyr as an example of a product with high expected future sales, but the Decision does not separate out Rynaxypyr’s expected future stand-alone sales from sales in formulations with future innovations required to delay resistance. 69 Id. paras. 2228, 2230. 70 Id. para. 3267.

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ȤȤ the combination of complementary strengths (i.e., the opportunity to increase contact between R&D organizations with different focuses, which can lead to increased innovation by combining ideas).71 A key rationale for the Decision’s discounting of the Parties’ efficiencies is that the Commission cannot verify them as “[t]hey likely take place in the long-term based on a complex and long chain of events” and “depend on future strategic decisions.”72 But the Commission cannot have it both ways. An analysis of innovation competition in crop protection – both the “good” and the “bad” effects – necessarily involves assessing long-term decisions in a world of uncertainty and unknowable future strategic decisions by the players in the industry. There is no economic or empirical justification for imposing a higher evidentiary burden for the positive effects on innovation resulting from a merger than for the negative effects. The Decision also asserts that the Parties’ efficiencies have not been shown to be merger-specific.73 For example, the Decision suggests that information spillovers can be reduced by stronger enforcement of IPR or improved secrecy, and that innovators can partner with other innovators.74 The Decision, however, discounts such partnerships as not providing the same benefits of an internal program when it discounts non-vertically integrated innovators as not being “R&D players.”75 The Decision further notes that, in the EC’s view, the Parties failed to demonstrate that consumers would benefit in the “relevant markets where it is otherwise likely that competition concerns would occur.”76 Even presuming that the Decision meant “innovation spaces” and not “relevant markets”, the Decision’s demand to link innovation efficiencies to narrow “innovation spaces” does not match the pattern of crop protection innovation. Crop protection innovators cannot accurately predict the path of innovation. However, increases in innovation capabilities  – such as would occur if Dow and DuPont merged – should be presumed to be beneficial to consumers. 6. The Decision Does Not Weigh the Factors Against Each Other The Decision should have balanced all the factors that incentivize and disincentivize innovation to determine whether the merger would harm innovation. The Decision should have estimated the relative degrees of cannibalization and appropriability. It should have analyzed how much those factors matter relative to the industry-specific factors such as resistance, regulation, generics, and rising demand. The Decision should have analyzed the innovation capabilities and efforts of others, including the possibility that others may reposition in response to any decrease in innovation efforts by the Parties. 71 Id. paras. 3267–72. 72 Id. para. 3280. 73 Id. para. 3282. 74 Id. para. 3275. 75 Id. para. 2256. 76 Id. para. 3283 (internal citations omitted).

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The Decision never does such an analysis  – rather it concludes that each factor in isolation either does not matter, or is likely to harm innovation, or is unlikely to improve innovation. Because the Decision never weighed the pro-innovation effects of appropriability and the industry-specific innovation drivers against the perceived cannibalization harm, the Decision failed to answer the critical question for purposes of assessing innovation competition  – whether the negative impact of increased cannibalization or the positive impact of increased appropriability and industryspecific factors prevail. The Decision thus never addresses the essential question of which force wins out. In failing to do so, the Decision violates the first tenant of regulation: first, do no harm. By failing to grapple with the potential innovation benefits from the transaction, the Decision deprives consumers of potentially important innovations based on an incomplete and flawed analysis. 7. Conclusion: EC’s Decision Is Irreparably Flawed and Out of Step With Other Regulators The Decision’s analysis cannot accurately assess the Dow/DuPont merger’s impact on crop protection innovation. Its conclusion is therefore unreliable. Nor can the EC’s Decision be rehabilitated as perhaps every step in its analysis fails to account for the incentives to innovate and the nature of crop protection innovation. It is instructive that no other regulator found a harm to early pipeline products or crop protection discovery. The U.S. DOJ reached different conclusions on the same facts.77 It stated that it cooperated with the EC, and both regulators had access to the same facts, documents, and other evidence, including testimony of the companies’ executives. DOJ attorneys and economists attended the EC’s hearing where the documents the EC staff was relying upon were explained and put in context by the parties’ witnesses, attorneys, and economists. The DOJ recognized that there were more than five important sources of innovation in crop protection discovery and that those firms had more than five paths to market, and did not summarily dismiss the importance of players like Monsanto, FMC and the entire Japanese chemical industry. The DOJ further appreciated that even if the transaction could be characterized as a “5-to-4” among innovators, such mergers are not presumptively anticompetitive and, in fact, may be procompetitive, as indicated by the economic logic underlying the DOJ`s JV Guidelines’ safe harbor for research collaborations when there are least four remaining innovators.78 The DOJ took into account that R&D expenditures showed that the parties had only the fourth and fifth highest R&D expenditures,79 77 See Press Release, U.S. Dep’t of Justice, Justice Department Requires Divestiture of Certain Herbicides, Insecticides, and Plastics Businesses in Order to Proceed with Dow-DuPont Merger (June 15, 2017), available at https://www.justice.gov/opa/pr/justice-departmentrequires-divestiture-certain-herbicides-insecticides-and-plastics. 78 U.S. Dep’t of Justice & Fed. Trade Comm’n, Antitrust Guidelines for Collaborations Among Competitors (Apr. 2000), available at https://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/ public_events/joint-venture-hearings-antitrust-guidelines-collaboration-among-competi​ tors/​ftcdojguidelines-2.pdf. 79 Id. para. 2424.

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and that combined, the parties’ relative position would not have been substantially different and would still have accounted for less than 17 % of crop protection R&D expenditures.80 Presented with the same facts as the EC, the DOJ rejected the expansive conclusion of harm to innovation. The DOJ limited its remedy to the parties’ competing herbicides for broadleaf weeds in corn (DuPont’s Finesse and Dow’s Quelex) and the parties’ competing chewing insecticide product lines (DuPont’s Rynaxypyr and Dow’s Intrepid). The DOJ’s remedy required divestitures of Finesse and Rynaxypyr, along with only the R&D assets specific to the continuing development, manufacture, and sales of those particular products.81 The DOJ did not require any broader crop protection innovation remedy. The EC thus stands alone in its Decision.

80 “Companies Section Part 2, 2014 Market Situation” at 7, AgriService (Phillips McDougall 2015). 81 See Competitive Impact Statement at 17, United States v. The Dow Chemical Co., Case No. 1:17-cv-01176 (D.D.C. June 15, 2017).

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Anscheinsbeweis für das Entstehen eines Schadens bei bloßem Informationsaustausch? I. Einleitung II. Charakteristika und kartellrechtliche ­Bewertung eines „reinen“ Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern

IV. In aller Regel keine Grundlage für ­einen Anscheinsbeweis bei einem ­reinen Informationsaustausch V. Ergebnisse und Ausblick

III. Anscheinsbeweis für die Schadens­ entstehung bei bestimmten hardcore Kartellen

I. Einleitung Bei bestimmten systematisch praktizierten sog. hardcore Kartellen besteht nach der Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis für unmittelbare Abnehmer, dass ihnen durch das Kartell ein Schaden entstanden ist (sog. „ob“ eines Schadens). In den letzten Jahren haben die Kartellbehörden zunehmend Fälle sanktioniert, in denen zwar kein „Kartell“ vorlag, Wettbewerber aber potentiell strategische Informationen z.B. zu Preisen, Kosten, Umsätzen, Kapazitäten oder Verhandlungen mit der Marktgegenseite ausgetauscht haben.1 Ein solcher Austausch kann unter bestimmten Voraussetzungen gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV oder § 1 GWB) verstoßen. Wenn ein solcher Verstoß von Kartellbehörden festgestellt wird, stellt sich die Frage, ob sich direkte Abnehmer auch in einem solchen Fall – wie bei hardcore Kartellen – auf einen Anscheinsbeweis stützen können. Dieser Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass bei einem reinen Informationsaustausch die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Annahme eines Anscheinsbeweises in aller Regel nicht vorliegen.

II. Charakteristika und kartellrechtliche Bewertung eines „reinen“ ­Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern Ein „reiner“ oder „selbständiger“ Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern ist ein Austausch, der auf einer „stand alone“-Basis erfolgt, also nicht Teil einer anderen horizontalen Vereinbarung ist. Ein Austausch kann z.B. Teil eines hardcore Kartells sein, um die Einhaltung der Kartelldisziplin sicherzustellen. Ein Austausch kann auch Teil einer grundsätzlich pro-kompetitiven und damit zulässigen Vereinbarung oder Transaktion sein, z.B. im Rahmen der „due diligence“ bei Zusammenschlussvor1 Vgl. z.B. BKartA, Entscheidung v. 30.6.2008 – B11-24/05, Hersteller von Luxuskosmetik.

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haben, bei F&E Kooperationen oder bei Standardisierungen. Solche „unselbständigen“ oder „ancillary“ Austausche sind nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Ein reiner Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern kann kartellrechtlich zulässig oder unzulässig sein. Das Tatbestandsmerkmal einer „abgestimmten Verhaltensweise“ i.S.d. Kartellverbots liegt regelmäßig vor. Der dazu erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Austausch und dem späteren Marktverhalten kann nach der Entscheidungspraxis des EuGH vermutet werden; es gelte die widerlegliche Vermutung, dass „die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen, die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.“2 Ein gegenseitiger Austausch ist nicht erforderlich, vielmehr reicht es aus, wenn ein Teilnehmer passiv die Informationen des Wettbewerbers empfangen hat, sich also nicht explizit von dem Austausch distanziert hat.3 Entscheidend für die kartellrechtliche Beurteilung ist deshalb in aller Regel, ob der Austausch eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt hat bzw. mit überwiegenden Verbrauchervorteilen (z.B. Art. 101 Abs. 3 AEUV) verbunden ist. Nach dem EuGH verfolgt der „Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern einen wettbewerbswidrigen Zweck, wenn er geeignet ist, Unsicherheiten hinsichtlich des von den betreffenden Unternehmen ins Auge gefassten Verhaltens auszuräumen.“4 Ein wettbewerbsbeschränkender Zweck kann auch dann angenommen werden, wenn die abgestimmte Verhaltensweise „nicht ausschließlich auf eine Beschränkung des Wettbewerbs abzielt, sondern auch andere, zulässige Zwecke verfolgt.“5 Nach diesen weiten Formulierungen des EuGH scheint die Schwelle zu einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung schnell überschritten.6 Die Kommission hat in ihren Horizontalleitlinien dagegen die Auffassung vertreten, eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung sei nur bei einem Austausch unternehmensspezifischer Daten über geplantes künftiges Preisoder Mengenverhalten unter Wettbewerbern anzunehmen.7 Nur in diesen beiden Fällen bestehe ein so hohes Gefährdungspotential für den Wettbewerb, dass für die Anwendung des Kartellverbots eine Auswirkungsanalyse entbehrlich sei.

2 EuGH v. 4.6.2009 – C-8/08 – T-Mobile Netherlands BV u.a., Rz. 21; s. dazu auch Schroeder, Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, WuW 2009, 718 ff. 3 EuGH v. 31.3.1993 – C-89/85 – Ahlström Osakeyhtiö u.a. / Kommission; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – V-1 Kart 1 - 6/12 (OWi), V-1 Kart 1/12 (OWi), V-1 Kart 2/12 (OWi), V-1 Kart 3/12 (OWi), V-1 Kart 4/12 (OWi) – Silostellgebühren I, Rz. 139. 4 EuGH, T-Mobile Netherlands BV, Fn. 2. 5 Dreher/Hoffmann, Kartellrechtsverstöße durch Informationsaustausch?, WuW 2011, 1181, 1188; EuGH v. 20.11.2008 – C-209/07 – „Competition Authority /Beef lndustry Development Society (BIDS)”, Rz. 21. 6 Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1188. 7 Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europ. Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (im Folgenden: „Horizontalleitlinien“), 2011/C 11/01, Rz. 73.

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Anscheinsbeweis für Kartellschaden bei Informationsaustausch?

Die Frage, ob ein Austausch geeignet ist, eine Wettbewerbsbeschränkung zu bewirken, ist in jedem Einzelfall zu prüfen („rule of reason“-Abwägung). Kriterien sind insbesondere die Marktstruktur, die Art der ausgetauschten Daten sowie die Häufigkeit des Austauschs.8 Hier gibt es eine „sliding scale“: Je konzentrierter der Markt und je höher die Marktabdeckung der Teilnehmer, je detaillierter und aktueller die Daten und je systematischer der Austausch, desto wahrscheinlicher ist die Eignung des Austauschs, eine Wettbewerbsbeschränkung zu bewirken. Wenn z.B. Wettbewerber mit einem gemeinsamen Marktanteil von 11 % auf einem zersplitterten Markt historische aggregierte Daten austauschen, liegt eine Wettbewerbsbeschränkung fern. Wenn dagegen die führenden vier Anbieter mit einem gemeinsamen Marktanteil von 80 % aktuelle detaillierte Umsatzzahlen pro Produkttyp systematisch austauschen, ist i.d.R. von einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen.9

III. Anscheinsbeweis für die Schadensentstehung bei bestimmten ­hardcore Kartellen Direkte Kunden, die Schadensersatzansprüche geltend machen, müssen in einem Prozess nachweisen, dass ihnen durch den Kartellverstoß zumindest mit „deutlich überwiegender und auf gesicherter Basis beruhender Wahrscheinlichkeit“10 ein konkreter Schaden entstanden ist (sog. haftungsbegründende Kausalität). Selbst wenn in dem (bestandskräftigen) Bußgeldbescheid Feststellungen zu den Wirkungen einer Zuwiderhandlung enthalten sind, ist das Zivilgericht an diese „nicht tragenden“ Teile des Bescheids11 nicht gebunden; denn die Feststellungswirkung nach §  33 Abs.  4 Satz 1 GWB ist nach allgemeiner Ansicht auf den Verstoß begrenzt.12 Die Rechtsprechung hilft Klägern bei bestimmten hardcore Kartellen mit einer Beweiserleichterung und nimmt im Wege eines Anscheinsbeweises an, dass sich diese Kartelle allgemein im Markt preissteigernd auswirken. Teilweise wird ein zweiter Anscheinsbeweis angenommen, dass konkret die Bezüge des Klägers von dieser Preissteigerung betroffen sind, wenn und soweit sich diese Bezüge in den persönlichen, sachlichen und zeitlichen Gegenstand des Kartells einfügen.13 Die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises greift nach ständiger Rechtsprechung nur bei „typischen Geschehensabläufen ein, d.h. in Fällen, bei denen ein be 8 Horizontalleitlinien, Rz. 77 ff. 9 Kommission, Entsch. 92/157/EU v. 17.2.1992 – IV/31.370 und 31.446 – UK Agricultural Tractor Registration Exchange; EuGH v. 28.5.1998 – C-7/95 P – John Deere Ltd / Kommission. 10 BGH v. 12.7.2016 – KZR 25/14 – Lottoblock II. 11 BGH, Lottoblock II, Rz. 19. 12 OLG Düsseldorf v. 9.4.2014  – VI U (Kart) 10/12  – Lottoblock II, Rz.  99; Galle, Der Anscheinsbeweis in Schadensersatzfolgeklagen – Stand und Perspektiven, NZKart 2016, 214, 215, m.w.N. 13 OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 6 U 51/12 Kart – Feuerwehrfahrzeuge, Rz. 54 ff., juris; Inderst/ Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, Handelsblatt Fachmedien, 2015, 2.2.3.3.2, S. 123 ff., m.w.N. zur Rspr.

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stimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung … auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. … Dabei bedeutet Typizität …, daß die Verkettung bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe so häufig vorkommen [muß], daß die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.“14 Der Anscheinsbeweis über das „ob“ eines Schadens bei bestimmten hardcore Kartellen wird maßgeblich auf ein Urteil des BGH im Fall „Berliner Transportbeton“ zur (alten) Mehrerlösberechnung gestützt. In diesem Fall hatten alle wesentlichen Hersteller von Transportbeton in Berlin zur Vermeidung eines befürchteten „harten Preiswettbewerbs“ ein Quotenkartell gegründet. Jedem Hersteller wurde eine von ihm maximal zu produzierende Menge zugewiesen. Die Einhaltung der Quotenabsprache wurde streng überwacht. Bei diesem systematisch und langjährig praktizierten klassischen Kartell entschied der BGH, dass für kartellbedingt erhöhte Preise eine „Lebenserfahrung“ spreche. Denn „wird den beteiligten Unternehmen von vornherein eine fest umrissene Quote zugedacht, können die Marktmechanismen keine Wirkung entfalten. Damit wird grundsätzlich der Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft gesetzt. Deshalb liegt es nach der Lebenserfahrung nahe, daß die im Rahmen des Kartells erzielten Preise höher liegen als die im Wettbewerb erreichbaren Marktpreise.“15 Diese im Bußgeldrecht entwickelte Indizregel ist von den Instanzgerichten zur Begründung eines Anscheinsbeweises im Zivilrecht übertragen worden. In allen Fällen, in denen Gerichte unter Verweis auf dieses BGH-Urteil einen Anscheinsbeweis bejaht haben, handelte es sich  – wie im Fall Berliner Transportbeton  – um klassische systematisch praktizierte hardcore Kartelle für bestimmte Produkte, so z.B. Quotenkartelle für Feuerwehrfahrzeuge16 oder Kundenschutzkartelle (Aufteilung von Kunden) bei Fahrtreppen17 und Schienen.18 Ein Anscheinsbeweis kann erschüttert werden, wenn atypische Umstände dargelegt und bewiesen werden, die gegen eine preiserhöhende Wirkung des Kartells sprechen. Obwohl für eine Erschütterung die „ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs“ ausreicht, hat sich eine solche Erschütterung in der Praxis als äußerst schwierig erwiesen.19 Je flächendeckender, langfristiger und intensiver das Kartell praktiziert wurde, desto höher sind die Anforderungen an die Erschütterung.20

14 BGH v. 6.3.1991 – IV ZR 82/90, Rz. 16 und 24, juris. 15 BGH v. 28.6.2005 – KRB 2/05 – Berliner Transportbeton, NJW 2006, 163, 165. 16 OLG Karlsruhe, Feuerwehrfahrzeuge, Rz. 20. 17 LG Berlin v. 6.8.2013 – 16 O 193/11 Kart – Fahrtreppen, Rz. 6, juris. 18 Beispielsweise LG München I v. 16.3.2016 – 37 O 24526/14 – Schienenkartell, S. 5 f. der Ausfertigung. 19 Vgl. Galle, NZKart 2016, 214, 218; Thiede/Träbing, Praxis des Anscheinsbeweises im Kartellschadensersatzrecht – ein Rechtsprechungsbericht, NZKart 2016, 422, 423-427. 20 BGH, Berliner Transportbeton, NJW 2006, 163, 165.

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Anscheinsbeweis für Kartellschaden bei Informationsaustausch?

IV. In aller Regel keine Grundlage für einen Anscheinsbeweis bei einem reinen Informationsaustausch Soweit ersichtlich, haben Gerichte bei einem reinen Informationsaustausch bisher noch nie einen Anscheinsbeweis für das Entstehen eines Schadens angenommen. Dies ist auch nachvollziehbar, da in solchen Fällen die hohen Voraussetzungen der Rechtsprechung an die Annahme eines Anscheinsbeweises in aller Regel nicht erfüllt sein werden. Im Fall „Berliner Transportbeton“ hatte der BGH die „Lebenserfahrung“, dass bei dem streitgegenständlichen Quotenkartell der Preiswettbewerb außer Kraft gesetzt wurde, auf den Erfahrungssatz gestützt, dass der typische an Gewinnmaximierung orientierte Unternehmer aufgrund des Kartells einen Anreiz gehabt habe, seine Preise zu erhöhen; denn aufgrund der festen Quote – die Wettbewerber durften ihre Produktion nicht erhöhen – bestand nicht das Risiko, bei Preiserhöhungen Marktanteile zu verlieren. Für eine Preissenkung dagegen bestand kein Anreiz, weil man sich hierdurch – wegen der Quote – keine neuen Marktanteile erschließen konnte. Da eine Vermutung dahin gehe, dass der typische Unternehmer sich ihm eröffnende Möglichkeiten zur Preissteigerung nutze, sei eine allgemeine Preissteigerung als Folge des Kartells zu vermuten.21 Grundlage für diese Entscheidungspraxis ist der wirtschaftswissenschaftliche Erfahrungssatz,22 dass für ein effektives Kartell, das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu höheren Preisen führt, typischerweise drei Voraussetzungen vorliegen müssen. Erstens müssen sich die Kartellteilnehmer ein gemeinsames Ziel zur Koordinierung ihres zukünftigen Verhaltens setzen (z.B. die Festsetzung bestimmter Produktionsquoten bei Produkt X) und sich an dieses gemeinsame Ziel gebunden fühlen („Grundabsprache“). Zweitens müssen gewisse Vorkehrungen zur Überwachung der Einhaltung der Grundabsprache getroffen worden sein („Überwachungsmechanismen“); denn jeder Kartellteilnehmer strebt grundsätzlich nur eine Maximierung des eigenen Gewinns und nicht des gemeinsamen Gewinns mit den anderen Kartellanten an, so dass ein Anreiz besteht, sich nicht an die Grundabsprache zu halten (z.B. über die im Kartell vereinbarte Quote hinaus zu produzieren, um zusätzliche Marktanteile zu gewinnen). Drittens muss für ein effektives Kartell aus Sicht eines jeden Kartellanten ein zumindest ganz erhebliches Risiko bestehen, bei einer Abweichung von der Grundabsprache sanktioniert zu werden („Sanktionsrisiko“); die mit dieser Bestrafung verbundenen Nachteile müssen so schwerwiegend sein, dass sich aus Sicht der Kartellanten ein Ab-

21 BGH, Berliner Transportbeton, NJW 2006, 163, 164; KG v. 1.10.2009 – 2 U 10/03 – Berliner Transportbeton II. 22 Vgl. Ewald in Wiedemann, Kartellrecht, 3. Aufl., § 7, Rz. 88; Hovenkamp, Federal Antitrust Policy. The Law of Competition and Its Practice, S. 145-146 (1994); Van den Bergh, Comparative Competition Law and Economics, S. 195-198 (2017), m.w.N.; s. zum Informationsaustausch auch Kühn/Vives, Information Exchanges among Firms and their Impact on Competition, Office for Official Publications of the European Community, Luxemburg (1995).

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weichen von der Grundabsprache  – etwa zur Erreichung eines kurzfristigen Gewinns – nicht lohnt. Im Fall „Berliner Transportbeton“ lagen diese drei Voraussetzungen vor. Jedem der Kartellteilnehmer wurde eine von ihm maximal zu produzierende Menge zugewiesen (Grundabsprache). Der Markt für Transportbeton war aufgrund seiner Charakteristik durch eine hohe Markttransparenz gekennzeichnet (Bauprojekte sind bekannt). Die Einhaltung der vereinbarten Quote wurde auf mehrmals im Jahr stattfindenden Treffen streng überwacht (Überwachungsmechanismen). Das Kartell wurde langjährig systematisch betrieben, so dass auch ein erhebliches Sanktionsrisiko bestand (Gefahr eines Preiskriegs). Bei einem reinen Informationsaustausch dagegen fehlen typischerweise alle drei Voraussetzungen, die selbst bei wesentlich schwerwiegenderen Verstößen (Kartellen) für die Annahme einer Lebenserfahrung (verstoßbedingt höhere Preise) grundsätzlich für erforderlich erachtet werden. So gibt es typischerweise bei einem reinen Informationsaustausch keine Grundabsprache zur Koordinierung des zukünftigen Verhaltens. Der Austausch erfolgt in aller Regel gerade nicht auf der Basis eines expliziten oder impliziten Verständnisses der Teilnehmer, ihr Marktverhalten z.B. bei der zukünftigen Preissetzung zu koordinieren. Anders als bei einem effektiven Kartell sollen die Empfänger der Information frei bleiben, ihr zukünftiges Marktverhalten – wenn auch unter Berücksichtigung der kartellrechtswidrig erhaltenen Information  – unabhängig und selbständig zu bestimmen. Mangels einer Grundabsprache gibt es bei einem reinen Informationsaustausch typischerweise auch keine Überwachungsmechanismen oder Sanktionsrisken; denn wegen der fehlenden gemeinsamen Zielsetzung besteht schon kein Anknüpfungspunkt für eine solche Überwachung oder Bestrafung. Bei einem reinen Informationsaustausch fehlt damit in aller Regel eine wirtschaftswissenschaftlich gesicherte Grundlage für die Annahme eines Anscheinsbeweises. Denkbar wäre eine auf gesicherter Basis bestehende Lebenserfahrung, dass ein reiner Informationsaustausch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu verstoßbedingt höheren Preisen führt, deshalb allenfalls in Ausnahmefällen. Es müssten hierfür wohl kumulativ zumindest die folgenden Voraussetzungen vorliegen: ȤȤ Erstens müsste sich der Austausch auf Parameter beziehen, die für die zukünftige Preissetzung unmittelbar entscheidend sind. Bei Informationen z.B. zu aktuellen oder historischen Umsätzen, Kosten, Investitionen, Mengen, Kapazitäten oder Preisen dürfte ein unmittelbarer Rückschluss auf die zukünftige Preissetzung des die Information offenlegenden Unternehmens regelmäßig ausscheiden. ȤȤ Zweitens müsste die Information hinreichend präzise sein, sich also z.B. auf eine geplante Preiserhöhung für ein bestimmtes Produkt beziehen, um für die die Information empfangenden Unternehmen einen Anknüpfungspunkt für ihre eigene zukünftige Preissetzung bilden zu können. Dies dürfte z.B. dann nicht der Fall sein, wenn sich die Preisinformationen unspezifisch auf ein breites Produktportfolio beziehen, ohne dass Rückschlüsse auf die zukünftige Preissetzung pro Einzelprodukt möglich sind. Das gleiche dürfte gelten, wenn die Preissetzung neben der erhaltenen Information von weiteren Faktoren abhängig ist, die für die die Information 208

Anscheinsbeweis für Kartellschaden bei Informationsaustausch?

erhaltenden Unternehmen unbekannt bleiben. Dies ist z.B. bei einem Austausch von zukünftigen Bruttolistenpreisen anzunehmen, wenn von diesen Listenpreisen erhebliche – geheim gebliebene – Rabatte gewährt werden, so dass auch insoweit Rückschlüsse auf die tatsächlichen (Netto-)Preise nicht möglich sind. ȤȤ Drittens müsste der Markt hinreichend transparent sein, so dass die die Information empfangenden Unternehmen die Richtigkeit der erhaltenen Informationen zumindest nachträglich überprüfen können. Ohne eine solche Überprüfungsmöglichkeit besteht typischerweise für die Unternehmen keine ausreichend verlässliche Grundlage, um ihre eigene Preissetzungsstrategie an der erhaltenen Information maßgeblich auszurichten. Das Wissen um diese Überprüfungsmöglichkeit der anderen erhöht dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das die Information offenlegende Unternehmen an seine Ankündigung hält. ȤȤ Viertens müssen die am Austausch beteiligten Unternehmen einen ganz wesentlichen Teil des betroffenen Marktes ausmachen, der wohl zumindest bei 50 % liegen sollte. Denn anderenfalls kann typischerweise nicht davon ausgegangen werden, dass der Austausch mit „sehr großer Wahrscheinlichkeit“ insgesamt zu einem höheren Preisniveau im Markt geführt hat.

V. Ergebnisse und Ausblick Bei einem reinen Informationsaustausch liegen die hohen Voraussetzungen der Rechtsprechung für die Annahme eines Anscheinsbeweises (Typizität, gesicherte Basis für Lebenserfahrung, sehr große Wahrscheinlichkeit eines kausalen Schadens) in aller Regel nicht vor. Die bei bestimmten systematisch praktizierten sog. hardcore Kartellen entwickelte Rechtsprechung zum Anscheinsbeweis für die Entstehung eines Schadens ist auf einen reinen Informationsaustausch grundsätzlich nicht übertragbar, da wesentliche Voraussetzungen fehlen (z.B. Grundabsprache zur Koordinierung des zukünftigen Marktverhaltens, Überwachungsmechanismen sowie Sanktionsrisken bei Abweichung von der Grundabsprache). Eine Ausnahme kommt allenfalls in Sonderfällen in Betracht, wenn die wesentlichen Wettbewerber in einem Markt konkrete Informationen über ihre zukünftige Preissetzung bei einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Leistung austauschen und zugleich die Möglichkeit einer Überwachung der Richtigkeit der ausgetauschten Informationen besteht. Die Schadensvermutung des § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB für Kartelle, die erst für nach dem 26.12.2016 entstandene Schadensersatzansprüche gilt (§ 186 Abs. 3 Satz 1 GWB), wird an dem hier gefundenen Ergebnis nichts ändern. Denn ein reiner Informationsaustausch erfüllt schon nicht die Voraussetzungen der Legaldefinition eines „Kartells“ i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 2 GWB, da es regelmäßig an einer Abstimmung „zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens“ fehlt (keine Grundabsprache). Auch die Regelbeispiele des § 33a Abs. 2 Satz 3 GWB belegen, dass der Gesetzgeber mit der Beweiserleichterung der Schadensvermutung – wie bisher bei den Anscheinsbeweisen – nur die klassischen hardcore Kartelle erfassen wollte.

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The Development of European Merger Control 1990-2017 – An Insiders’ View from a Distance

I. Introduction

II. Creating the Infrastructure and Setting the Rules of Engagement (1989-1994) 1. The Challenge 2. The Merger Task Force 3. The Early Years (1990-1994) a) Off to a Productive Start b) The Evolving Analytical Framework for the Substantive Assessment c) A First Prohibition Decision d) A Liberating Conflict with the ­German Godfather III. On Course to Becoming a Leading ­Enforcement Authority (1995-1998) 1. The Consolidation of the Substantive Assessment 2. The Boeing/McDonnell Douglas ­Dispute with the US Agencies 3. A First Revision of the Merger ­Regulation IV. Testing the Boundaries of the Merger Regulation (1999-2001) 1. A More Ambitious Approach to ­Merger Control 2. Stakeholders’ Reactions 3. GE/Honeywell as a Catalyst for More International Cooperation

V. Time for Reform (2002-2004) 1. The Fall-out of the 2002 Court Cases 2. The Commission’s Determined ­Response

VI. Back to a New Normality? – the Post-Reform Era (2005-2011)



1. The Main Enforcement Trends Post-Reform 2. More Economics, More Lengthy ­Investigations? 3. The Impala Effect

VII. Between Refinement and Renewed ­Activism (2012-2017) 1. Extending the Jurisdictional Scope of the Merger Regulation? 2. Revival of a More Interventionist Approach? 3. A Renewed Focus on Innovation 4. More Rigorous Approach to Remedies 5. Data Graveyards and Increased ­Appetite for Internal Documents VIII. Conclusion and Outlook 1. Where Does EU Merger Control Stand 27 Years on? a) A Roller-Coaster Ride b) How Predictable Is EU Merger Control? c) Creeping Bureaucratization of EU Merger Control d) Facing New Challenges 2. Some Suggestions to Improve the EU Merger Control Process a) More Visibility and Involvement of the Front-Office b) More Experienced and Stable Case Teams c) The Shift of Fact-Finding from ­Phase I into the Pre-Notification Phase d) Proposal to Adapt the Present Time Regime of EU Merger Control

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I. Introduction The entry into force of the European Merger Regulation on 21 September 1990 was the coronation of a long effort to add the missing element to a fully-fledged competition policy in Europe.1 After an intense and controversial debate, the Council finally agreed to an essentially competition-based test in Article 2, whereby the Commission would base its appraisal within the “general framework of the achievements of the fundamental objectives in Article 2 of the Treaty”.2 This paper attempts to sketch the major steps of the development of European merger control from its inception through to today. It concludes with some proposals for future improvement. Today, European merger control is widely seen as a success story, though, having its ups and downs. Unsurprisingly, in its 27 years of application, the Commission’s enforcement practice and policy has evolved over time. Broadly speaking, the following six Eras may be distinguished: ȤȤ Creating the Infrastructure and Setting the Rules of Engagement (1989-1994) ȤȤ On course to becoming a Leading Enforcement Authority (1995-1998) ȤȤ Testing the Boundaries of the Merger Regulation (1999-2001) ȤȤ Time for Reform (2002-2004) ȤȤ Back to a New Normality? – the Post-Reform Era (2005-2011) ȤȤ Between Refinement and Renewed Activism (2012-2017)

II. Creating the Infrastructure and Setting the Rules of Engagement (1989-1994) 1. The Challenge When the champagne bottles were emptied after the historic Council agreement on the text of the new regulation, the Commission was faced with an enormous challenge: how could an administration that had produced an average of ten to fifteen formal antitrust decisions per year, deal with an as yet unknown number of merger filings within ambitious deadlines? There was widespread scepticism in many capitals as well as in the legal and business communities.3 1 Council Regulation 4064/89 of 21 December 1989, 1990 O.J. L 257/13, in the following Merger Regulation. 2 Recital 13, Merger Regulation. 3 See e.g. Holley, EEC Competition Practice: A Thirty-Year Retrospective, 1992 in Hawk, edition 1993, p. 728. “The Commission was of course faced with an enormous practical challenge when it began administration of the Merger Regulation, for the adoption of which it had worked so hard. The Commission’s credibility was hanging in the balance. Counsel and the business community soon agreed that the administration of the Merger Regulation

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The answer was the creation of a new infrastructure, a greenfield site, breaking with many established working methods in the European institutions, which was short of a cultural and administrative revolution. 2. The Merger Task Force The main ingredients of that revolution were: personal empowerment, teamwork, flat hierarchy, and permanent, real-time communication. The new set-up attracted some of the brightest officials from within DG Competition, but also from other Commission services. And from the outset, the Commission invited Member States to detach national merger control experts.4 In order to meet the challenging deadlines an IT-based Case-Management-System was set up. For each case it produced an action plan, starting from the pre-notification phase until the final decision. After each notification an Initial Case Report would to be drawn up by the case team, summarizing the available facts and identifying any likely competition issues. The Merger Task Force (“MTF”) management would attribute one of three workload indicators to the case: light, standard or heavy and adapt the case team accordingly. Following further investigation, an Interim Case Report was drawn up, followed by a Draft Decision. At each of these stages, all interested Commission services (within DG Competition, the Legal Service, other Commission services, e.g. Industry, Energy, Transport) were invited to a so-called Interservice-Meeting to be held not later than 3 days after receipt of the document to be considered. Any service not show-up at such meeting, and absent advanced written comments, was considered as having agreed to the proposed course of action by the MTF. The momentum created by this system was such, that decision-deadlines were met and all stakeholders were at all times kept fully informed of the salient issues of any individual case. Totally new standards were set in relation to companies and their legal advisors. A system of confidential pre-notification exchanges was introduced. Its main purpose was to obtain a good and early understanding of the project in question and to identify the required information about companies and markets prior to formal notification. Form CO provides for the supply of large sets of data and documents, covering three years of past business activity. Parties may, however, request a so-called waiver,5 i.e., that the Commission would accept that a notification is complete notwithstanding the failure to provide all information technically required by the Form. To make this system work in practice, trust had to be built between the Commission officials, the parties and their advisors. Informal meetings were encouraged to clarify early-on jurisdictional issues, the definition of relevant markets, a first competitive assessment, and consider any procedural issues well in advance of filing. was turning out to be a big success. It is rare to see such unanimity on any one point within the Community.” 4 By the end of 1990, there were five German, three French, one British, one Spanish, and one Danish officials. 5 Specifically foreseen in Article 4 of the Implementing Regulation.

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The Merger Task Force was comprised of 60 officials, national experts included. Early on, a particular effort was made to identify officials with at least some economic background, or industry sector experience. Rather quickly, the MTF evolved into a quasi-autonomous entity with its own ways to operate in an otherwise still very much hierarchical organization. Its practical, thorough, but determined approach to law enforcement and its commitment to service earned it the trust of the business community, Member States and other competition authorities. The system got strained, however, when the number of notifications sprung from 64 in 1991 to 110 in 1995, tripled to 300 in 2000, and reached a peak of 335 in 2001. This increase in numbers but also in complexity stretched the available resources to the absolute limit. A fact which was also not lost on outside observers.6 Ironically, at this moment, the MTF became victim of its own success and elevated status, while it could not draw on the much larger resources of the sectoral Antitrust Directorates. In the context of the overhaul of the merger control system, the MTF was dissolved in May 2004 and its officials incorporated into the sectoral Directorates.7 3. The Early Years (1990-1994) a) Off to a Productive Start The first five years of EU merger control were perhaps its most creative period. Multiple issues, which are now standard, came up for the very first time: how to calculate turnover, how to attribute it geographically, what is the meaning of concentration and control, how to distinguish concentrative from cooperative joint ventures, and most importantly, what are the criteria to define product and geographic markets, assessment of market power, etc. Already in its first year, the Commission published the so-called Implementing Regulation8 and Form CO. This was followed by a first series of Commission Notices.9 With increasing experience, already in 1994, the Commission published further interpretative notices10 or modified existing notices11 to increase legal security for companies and guidance for enforcement officials. 6 See e.g. Peter Sutherland, Global Consolidation: Views on Future Market Dynamics, EC Merger Control: Ten Years On, 2000, p. 70: “It is clear that the MTF needs more resources immediately to deal with existing transaction volumes.” 7 See also below V.2. 8 Commission Regulation (EEC) No. 2367/90 of 25 July 1990 on notifications, time-limits and hearings provided for in Council Regulation (EEC) No. 4064/89 (O.J. L 219, 14 August 1990). 9 Commission Notice on the distinction between concentrative and cooperative operations under Council Regulation (EEC) No. 4064/89 (O.J. C 203, 14 August 1990) and Commission Notice on restrictions ancillary to concentrations (O.J. C 203, 14 August 1990). 10 Commission Notice on the distinction between concentrative and cooperative joint ventures under Council Regulation (EEC) No 4064/89 of 21 December 1989 (O.J. C 385, 31 December 1994, p. 1). 11 Commission Notice on the notion of a concentration under Council Regulation (EEC) No 4064/89 of 21 December 1989 (O.J. C 385, 31 December 1994, p. 5); Commission Notice of

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b) The Evolving Analytical Framework for the Substantive Assessment A structured analytical framework for appraising notifiable transactions was developed. The starting point of the Commission’s analysis is the definition of a relevant market, the identification of competitors and the calculation of the respective market shares. In a constantly growing number of published decisions, the Commission showcased its evolving approach to market definition and competition assessment. For example, in Nestle/Perrier,12 the Commission carried out a detailed analysis of the bottled water markets and developed the concept of collective dominance, not expressly foreseen in the text of the Regulation. In Procter & Gamble/VP Schickedanz (II),13 the Commission explained its use of market studies to identify separate markets for different feminine protection products. c) A First Prohibition Decision A memorable milestone came in 1991, when the Commission, for the first time, prohibited a transaction, the proposed acquisition of Canada-based de Havilland by Aerospatiale of France and Alena-Alitalia.14 The Commission found that the merged entity’s 64 % share of global regional aircraft sales would confer a dominant position. There was considerable opposition from the Commission Industry Department, but also from certain Member States. The de Havilland case “was the watershed”, as then Competition Commissioner Sir Leon Brittan later recalled.15 The Commission had itself shown capable to resist political pressure from whatever quarter it came. d) A Liberating Conflict with the German Godfather On the other end of the spectrum, a much less known decision marked the Commission’s growing emancipation from the Bundeskartellamt, hitherto the leading authority of merger control in Europe. Still in 1991, the Bundeskartellamt requested the referral of the acquisition of the AEG cable business by Alcatel of France for review under German merger control law. The referral was based on the view that the German markets for telecommunication cables and power cables were distinct national markets, and that the merging parties and two of their main competitors together would form a market-dominant oligopoly, wherefore the merger would be best dealt with by Germany. The Commission disagreed. It found that the telecommunication cables markets were already in the the notion of an undertaking concerned under Council Regulation (EEC) No 4064/89 of 21 December 1989 (O.J. C 385, 31 December 1994, p. 12); Commission notice on calculation of turnover under Council Regulation (EEC) No 4064/89 of 21 December 1989 (O.J. C 385, 31 December 1994, p. 21). 12 Case M.190, Commission decision of 22 July 1992. 13 Case M.430, Commission decision of 21 June 1994. 14 Case M.53, Commission decision of 2 October 1991. 15 Britton, The Early Days of EC Merger Control, EC Merger Control: Ten Years On, 2000, pp. 5 and 6.

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process of becoming a Europe-wide market.16 This process could clearly be observed in Germany, where Deutsche Telekom had already implemented a Community-wide purchasing policy. As to the power cables markets, the Commission agreed that they were still predominantly national in scope. However, it decided against a finding of dominance, inter alia due to the significant purchasing power of the leading utilities in Germany. The Commission went on to state that contrary to German law, there was no presumption in EU merger control of the existence of a collective dominant oligopoly as soon as certain companies attain a certain combined market share. Understandably, the Bundeskartellamt did not appreciate to find its referral request rejected, without even an in-depth inquiry being carried out. However, the German Minister of Economics decided against appealing the Commission decision in Luxembourg. This episode, however, demonstrated that the Commission was now prepared to go its own way, especially when the evaluation of trans-border effects of a merger within the Community was concerned.

III. On Course to Becoming a Leading Enforcement Authority (1995-1998) 1. The Consolidation of the Substantive Assessment Between 1995 and 1998, the Commission prohibited no less than eight transactions,17 four of which affected markets for the transport and distribution of media content. The concerns there were mainly on vertical effects. Again politics came into play when the German Chancellery unsuccessfully lobbied the Commission College in support of two pay-tv joint ventures, involving Deutsche Telekom and the Kirch group. During the same period the Commission considered conglomerate or “portfolio” effects for the first time.18 And in Gencor/Lonrho, the Commission refined its approach towards oligopolistic dominance, prohibiting the merger of two global suppliers of platinum.19 In 1998, the Court of Justice confirmed in Kali und Salz that transactions giving rise to situations of oligopolistic dominance could indeed be 16 Alcatel/AEG Kabel, Case M.165, Commission decision of 18 December 1991. 17 Nordic Satellite Distribution, Case M.490, Commission decision of 19 July 1995; RTL/ Veronica/Endemol, Case M.553, Commission decision of 20 September 1995; Gencor/ Lonrho, Case M.619, Commission decision of 24 April 1996; Kesko/Tuko, Case M.784, Commission decision of 20 November 1996; Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM, Case M.774, Commission decision of 4 December 1996, Blokker/Toys “R” Us (II), Commission decision of 26 June 1997; Bertelsmann/Kirch/Premiere, Case M.993, Commission decision of 27 May 1998; and Deutsche Telekom/BetaResearch, Case M.1027, Commission decision of 27 May 1998. 18 See e.g. Coca-Cola Enterprises/Amalgamated Beverages GB, Case M.794, Commission decision of 22  January 1997; Guinness/Grand Metropolitan, Case M.938, Commission decision of 15 October 1997. 19 Decision later confirmed by the General Court. Gencor vs. Commission, Case T-102/96 EU.

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prohibited under the Merger Regulation.20 The Court also confirmed that a “failing firm defence” was possible under the Merger Regulation.21 2. The Boeing/McDonnell Douglas Dispute with the US Agencies The first significant and public disagreement between the Commission and US federal agencies occurred in Boeing/McDonnell Douglas in 1997.22 While the US Department of Justice did not raise any objections, the Commission was concerned about the reduction in the number of global manufacturers of large commercial aircraft from three to two and insisted on a package of remedies to be implented by Boing on a world-wide scale. Ironically, the very public transatlantic dispute23 led to a first major effort on both sides to enhance transatlantic cooperation and coordination of major contemporaneous investigations.24 3. A First Revision of the Merger Regulation In 1997 the Commission moved to address certain of the shortcomings of the original Merger Regulation. First, the Regulation’s scope was expanded to include all fullfunction joint ventures, including those giving rise to spill-over effects between the parent companies. Second, the Commission introduced a short form procedure for  unproblematic transactions. Third, a second and lower set of thresholds was introduced to bring under the Regulation more transactions that affect three or more Member States. Finally, the Commission formalized its approach to market definition and adopted the Market Definition Notice.25

IV. Testing the Boundaries of the Merger Regulation (1999-2001) 1. A More Ambitious Approach to Merger Control Following a successful period of consolidation under the leadership of Commissioner Karel Van Miert, the Commission services were confident and ready for a more forceful and increasingly more creative approach of the Merger Regulation. Between 1999 and 2001, the Commission issued eight prohibitions,26 while a significant number of major 20 French Republic and Société commerciale des potasses et de l’azote (SCPA) and Entreprise minière et chimique (EMC) vs. Commission (“Kali und Salz”), Joined Cases C-68/94 and C-30/95 EU:C:1998:148. 21 See also BASF/Eurodiol/Pantochim, Case M.2314, Commission decision of 11 July 2001, where the failing-firm-defence was further clarified. 22 Case M.877, Commission decision of 30 July 1997. 23 See e.g. Statement of FTC Chairman Robert Pitofsky in the Matter of the Boeing Company/ McDonnell Douglas Corporation, File No. 971-0051. 24 See e.g. Monti, Cooperation between competition authorities  – a vision for the future, 23 June 2000, Commission Press Release SPEECH/00/234. 25 Commission Notice on the definition of relevant market for the purposes of Community competition law, 1997 O.J. C 372/03. 26 Airtours/First Choice, Case M.1524, Commission decision of 22 September 1999; Volvo/ Scania, Case M.1672, Commission decision of 14 March 2000; MCI World COM/Sprint,

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transactions were abandoned to avoid prohibitions.27 The Commission also employed increasingly broader and hitherto less popular competitive harm theories, including vertical, conglomerate and portfolio effects. The Commission also endeavoured to broaden the notion of collective dominance. Three of the prohibition cases acquired particular notoriety: Airtours/First Choice, Tetra Laval/Sidel and GE/Honeywell.28 In Airtours, the prohibition was based on the concern that holiday package operators in the UK would together acquire a collective dominant position. Three years later, in 2002, the Court of First Instance faulted the Commission for not having demonstrated the existence of a credible retaliation mechanism, which would have allowed to punish those oligopolists who would not adhere to a collusive outcome, e.g. to raise prices for comparable holiday packages.29 The two other decisions dealt with conglomerate effects. In Tetra Laval/Sidel, the concern was that the undisputed leader in aseptic packaging would leverage this position into the neighbouring PET packaging market and drive out competitors there. In GE/Honeywell, the concern was, inter alia, that post-merger General Electric engines would be bundled with Honeywell avionics and other aerospace components to the detriment of competitors which would not have the possibility to bundle. The Courts in Luxemburg,30 while recognizing the relevance of such concerns, were not convinced of the evidence the Commission had been able to assemble to make a “plausible case” to sustain such far reaching conclusions. Indeed, if the Commission’s concern was the possible future exit of a competitor from the market, a detailed analysis of possible alternative outcomes was required. The Commission then must “envisage various chains of cause and effect with a view to ascertaining which of them are the most likely”.31 Absent such a full analysis, the Commission’s conclusions were too speculative and not sufficiently predictable to carry a prohibition. 2. Stakeholders’ Reactions Already prior to the judgments of the Courts, a wide-ranging debate was under way in Europe with significant contributions from US scholars and leading enforcers. Case 1741, Commission decision of 28 June 2000; SCA/Metsa Tissue, Case M.2097, Commission decision of 31 January 2001; General Electric/Honeywell, Case M.2220, Commission decision of 3 July 2001; Schneider Electric/Legrand, Case M.2283, Commission decision of 10 October 2001; CVC/Lenzing, Case M.2187, Commission decision of 17 October 2001; Tetra Laval/Sidel, Case M.2416, Commission decision of 30 October 2001. 27 See e.g. Alcan/Pechiney, Case M.1715, IP/00/258 of 14 March 2000; or Time Warner/EMI, Case M.1852, IP/00/1122 of 5 October 2000. 28 A fourth case which is generally mentioned in this context is Schneider Electric/Legrand. However, this case is different in that the prohibition was annulled for essentially procedural reasons. 29 Airtours vs. Commission, Case T-342/99, EU:T:2002:146. 30 Court of Justice, C-12/03 - Commission vs. Tetra Laval, para 43 and 44; General Electric vs. Commission, Case T-210/01, EU:T:2005:456. 31 See FN 30 above.

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First, it was said that the dramatic increase in notifications32 and the enhanced scope and detail of Commission investigations had strained the Commission’s resources.33 Against this background, the Commission would have unduly relied on third party testimony, especially by competitors. This criticism was spearheaded by some senior US antitrust officials in the context of the prohibition of GE/Honeywell, previously approved in the US.34 More fundamentally, the Commission’s role as investigator, prosecutor and judge was called into question.35 The same Commission officials would assess the evidence, state the case against a notified transaction and decide whether to approve or to prohibit it. A comparison was drawn with the system of the United States where the prospect of independent judicial review would exert discipline on decision making. Certain commentators in Europe, including the President of the General Court, went as far as to suggest that the Commission might consider to handing over its authority to block mergers to the Court of Justice.36 While such far-reaching suggestions would have required a change of the Treaty and were therefore not very realistic, it is clear that this debate had an impact on the later reforms of the merger control system. 3. GE/Honeywell as a Catalyst for More International Cooperation The prohibition of a merger of two large US companies, active in a strategic industry, came as a shock to the legal and business community in the US. Never before had a foreign antitrust authority taken such a bold action. At the same time, it created an urge on both sides to make sure that such a fundamental disagreement would not repeat itself. As a first step, a EU-US Merger Working Group was set up in the wake of the GE/Honeywell decision. The effort resulted in a clearer understanding of the issues and the agencies’ respective approaches. The group also focused on procedures and produced a document, adopted in October 2002, that describes best practices for the coordination of merger reviews.37 The mutual understanding and trust that ensued has helped the agencies work constructively together since to minimize the potential for inconsistent outcomes. 32 From 63 notifications in 1991 to 110 in 1995 to triple to 330 in 2000 and reach 335 in 2001. 33 See e.g. Sutherland, Global Consolidation: Views on Future Market Dynamics, EC Merger Control: Ten years on, 2000, p. 70: “It is clear that the MTF need more resources immediately to deal with existing transactions volumes”. 34 See e.g. Statement of former Assistant Attorney General Charles A. James, US Department of Justice, Press Release of 3 July 2001 (“Clear and longstanding US antitrust policy holds that the antitrust laws protect competition and not competitors. Today’s EU decision reflects a significant point of divergence”). 35 See e.g. Patterson/Shapiro, Trans-Atlantic divergence in GE/Honeywell: Causes and Lessons, 17 Antitrust, Fall 2002, p. 18. 36 See e.g. Lawsky, Interview with Bo Vesterdorf, Reuters News Service, 19 September 2002. 37 US-EU Merger Working Group, Best Practices on Cooperation in Merger Investigations, 2002. Text available on DG Competition website.

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There is also a direct line from GE/Honeywell to the decision by 14 competition authorities in October 2001 in New York38 to launch the International Competition Network (ICN). The ICN has in the meantime developed into the most important forum for over a hundred competition authorities to exchange information, foster cooperation and develop best practices.

V. Time for Reform (2002-2004) 1. The Fall-out of the 2002 Court Cases Then Competition Commissioner Mario Monti was caught at the peak of his reputation.39 The three separate judgements followed each other within only a few months and sounded scathing in their criticism. In response, the Commission acknowledged that “the system put in place in 1990 was showing some sign of strain and recognized the need for serious reform”.40 2. The Commission’s Determined Response Already on 11 December 2002, the Commission approved a “comprehensive merger control package”, proposing substantial revisions to the text of the Merger Regulation, a proposal for Horizontal Merger Guidelines and a series of procedural changes and other improvements.41 The revised Merger Regulation was agreed in the Council the next year and adopted in January 2004.42 The changes came into effect on 1 May 2004 and included the following elements: ȤȤ A revised substantive test (SIEC-test) to close any possible enforcement gap in relation to the previous dominance only test; ȤȤ Horizontal Merger Guidelines detailing the criteria for identifying competitive harm and possible defences, including for the first time an express reference to an “efficiency defence”; ȤȤ Extended referral possibilities, including the option for companies to trigger an EU filing instead of notifying in three or more Member States; ȤȤ Greater flexibility in allowing for an extension of investigative phase II timetable by up to 35 working days; ȤȤ A series of measures to strengthen the checks and balances in the Commission decision-making process (e.g. peer review panels to provide for a “fresh pair of eyes” at key stages of the instruction);43 38 Initiated by representatives of the competition authorities from the US, the EU, and Canada. 39 See e.g. Business Week, 25 March 2002 (“Monti’s moment: what makes Brussels antitrust czar tick, and why he scares Europeans as much as Americans”). 40 Monti, Europe’s Merger Monitor, The Economist, 9 November 2002. 41 Commission Press Release IP/02/1856 of 11 December 2002. 42 Commission Press Release IP/04/70 of 20 January 2004. 43 A first Chief economist had already been appointed in July 2003, see Commission Press Release IP/03/1027.

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ȤȤ Best Practices Guidelines to deal with the day-to day handling of merger cases, thereby creating additional transparency, e.g., in the form of state of play meetings or earlier access to key documents, and other due process improvements. Also, with effect of 1 May 2004, a new structure for handling merger cases was put into place. The MTF was dissolved and the around 60 specialized officials progressively integrated into the various sectoral Directorates of DG COMP.44 To coordinate merger enforcement across the Directorates, a special unit for support and coordination was created, equally the new position of a Deputy Director General for Mergers to oversee what was now called the DG COMP Merger Network. The incorporation of the experienced merger officials into the sectoral Directorates enabled the import of best case handling practices into the remainder of DG Competition and has since helped to invigorate antitrust enforcement from 2005 onwards.

VI. Back to a New Normality? – the Post-Reform Era (2005-2011) 1. The Main Enforcement Trends Post-Reform The judgements in 2002 encouraged a more cautious approach and the Commission’s challenge rate fell significantly. Between 2002 and December 2011 only three transactions were prohibited45 compared to eight between 1999 and 2001. While previously it was rather rare for a phase II inquiry to be approved unconditionally, in this period, however, from a total of 63 transactions that went into phase II, half were cleared unconditionally.46 The more cautious approach went hand in hand with more economic sophistication and a greater emphasis on empirical evidence. The application of the Horizontal Merger Guidelines and the new substantive test led the Commission to focus on assessing the competitive dynamic that may be lost as a result of the transaction and the closeness of substitution, rather than on a more static approach relying on overlaps. As to conglomerate mergers, following the EU Court’s judgements in Tetra Laval and General Electric, the Commission applied a more rigorous analytical framework47 that has led to fewer such transactions being challenged. The Commission unconditionally approved a number of conglomerate mergers, such as Cisco/Tandberg,48 News Corp/ BskyB49 and Intel/McAfee.50 44 Commission Press Release IP/04/603 of 30 April 2004. 45 ENI/EDP/GDP, Case M.3440, Commission decision of 9 December 2004; Ryanair/Air Lingus, Case M.4439, Commission decision of 27 June 2007; Olympic/Aegean Airlines, Case M.5830, Commission decision of 26 January 2011. 46 Including e.g. Oracle/People Soft, Case M.3333, Commission decision of 19 July 2004 or Google/Double Click, Case M.4731, Commission decision of 11 March 2008. 47 See Commission Guidelines on the assessment of non-horizontal mergers, 2008, O.J. C 265/6. 48 Case M.5669, Commission decision of 29 March 2010 49 Case M.5932, Commission decision of 21 December 2010 50 Case M.5984, Commission decision of 26 January 2011

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A trend can also be detected in the Commission’s approach towards remedies. The Merger Remedies Study published in October 200551 had identified significant design and/or implementation flaws in past remedy cases. Consequently, the Commission applied a more rigorous approach to establish the independence, viability and competitiveness of divesture packages. For example, it required up-front buyer solutions in a number of cases for the first time and extended the role of independent trustees. In October 2008, the Commission adopted a revised Remedies’ Notice52 reflecting these more detailed and rigorous standards. 2. More Economics, More Lengthy Investigations? The recast Merger Regulation had provided for a moderate extension of the timetable in phase II. It soon emerged, however, that the increased focus on gathering and assessing quantitative evidence resulted in a general lengthening of the merger timetable, in particular in complex phase II cases53 and in an increasing number of instances where the clock has been stopped to enable the notifying parties to reply to the extensive data requests from the Chief Economist team. At the same time, it became more common for notifying parties to turn to outside economists and produce their own economic studies. These in turn were replicated by the Commission’s economists and vice-versa. 3. The Impala Effect The General Court’s 2006 judgement in Impala54 had implied that the Commission must explain in a final decision its reasons for departing from a preceeding statement of objections. On appeal the Court of Justice55 annulled this judgment pointing to the only provisional nature of a statement of objections. However, the Court came out with the principled statement that the standard of proof in merger cases should be the same whether a transaction was to be prohibited or authorized. It has been pointed out, including by the parties before the Court, that there was a major difference between the two scenarios in that a prohibition required a positive demonstration of serious harm, in the absence of which the only alternative was to clear unconditionally. In any event, the Impala judgement(s) had a huge effect on how the Commission carried out its merger investigations across the board, and not just in the rather few phase II cases. A disproportionate effort has since been invested by case teams to demonstrate the absence of competition concerns when it was already clear that no 51 Merger Remedies Study, Public Version of DG Competition Staff Paper, October 2005, available on DG Competition website. 52 Commission Notice on remedies acceptable under Council Regulation (EC) No 139/2004, O.J. C 2008 267. 53 It is estimated that the average time between notification and decision in phase II cases has lengthened from about five months in 2005 to close to seven months in 2011. 54 Impala vs. Commission, Case T-464/04, EU:C:2008:392. 55 Bertelsmann and Sony vs. Impala, Case C-413/06 P, EU:C:2008:392.

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competition concerns could ever be positively established. This in turn has contributed to unnecessary long and often verbose decisions.56

VII. Between Refinement and Renewed Activism (2012-2017) 1. Extending the Jurisdictional Scope of the Merger Regulation? The Commission has tested various propositions to extend the scope of the Merger Regulation in this period. Under Commissioner Almunia the emphasis was on minority shareholdings and so-called creeping acquisitions.57 It now appears, that Commissioner Vestager has put this project on hold.58 More recently, in 2016, she consulted on a different proposal designed to capture high-value transactions that do not meet the revenue-based thresholds.59 It is currently unclear whether this project will proceed at Community level.60 2. Revival of a More Interventionist Approach? Between 2012 and December 2017, the Commission prohibited six transactions,61 conditionally approved a number of others with far-reaching remedies62 and led a number of companies to abandon their projects.63 In 2013 the Commission, for the first time, prohibited a transaction that raised unilateral effects concern, which might not have readily been caught by the dominance test in the original version of the Merger Regulation.64

56 The Working Manual of the Merger Task Force in 1992 provided that the length of a standard clearance decision should not normally exceed 6 pages. It is now common that such decisions average between 20 and 50 pages. 57 See Commission Staff Working Paper, Towards more effective Merger Control, 9 July 2014, SWD (2014) 221. 58 Thoughts on Merger Reform and Market Definition, Keynote address at Studienvereinigung Kartellrecht, Brussels, 12 March 2015. 59 Evaluation on procedural and jurisdictional aspects of EU merger control, October 2016 (available on DG Competition website). 60 In the meantime, Germany and Austria have introduced a test based on a minimum transaction value. 61 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Case M.6166, Case M.5669, Commission decision of 30 January 2013; Ryanair/Air Lingus, Case M.6663, Case M.5669, Commission decision of 27 February 2013; Hutchison 3G UK/Telefonica, Case M.7612, Case M.5669, Commission decision of 11 May 2016; Deutsche Börse/London Stock Exchange Group, Case M.7995, Case M.5669, Commission decision of 29 March 2017; Heidelberger Cement/Schwenk/Cemex Hungria/Cemex Croatia, Case M.7878, Case M.5669, Commission decision of 5 April 2017. 62 See e.g. Hutchinson 3 G Austria/Orange Austria, Case M.6497, Case M.5669, Commission decision of 12 December 2012. 63 See e.g. Haliburton/Baker Hughes, Case M.7477, withdrawn on 2 May 2016. 64 UPS/TNT Express, Case M.6570, Case M.5669, Commission decision of 30 January 2013. Overturned on appeal: United Parcel Service vs. Commission, Case T-194/13, EU:T:2017:144.

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Commissioner Vestager appears to stand for a more interventionist approach to competition enforcement. In 2015/2016, she effectively reversed the policy of her predecessor who had approved a number of four-to-three mergers in the telecom sector.65 Vestager first caused the abandonment of a four-to-three merger in Denmark66 and prohibited a four-to-three merger in the UK.67 A transaction between two major Italian operators was only agreed, after the acquirer had committed to divest sufficient assets to allow the establishment of a new operator.68 The telecommunication industry was not pleased. But they have a point: how can the continued fragmentation of the European industry be overcome when competition agencies essentially reduce their analysis to the expected short term consumer price effect on that very national market (based on economic modelling)? This approach ist not well suited for industries with long-term investment cycles. What seems to be missing here is an overall vision on how a future European telecommunication market may look like and how this could be achieved.69 3. A Renewed Focus on Innovation The Commission has long been concerned that competition to develop new products could suffer when pharma companies with competing pipelines merge.70 Recently, the Commission has extended its analysis into whether an important innovator might be removed71 or whether the parties would find it profitable to reduce overall R&D investments post-merger causing a reduction in the number of innovative pesticide products (as yet unidentified) at some unspecified time in the future.72 Interestingly, the US DOJ concluded that the market conditions in the US did not provide a basis for a similar conclusion (notwithstanding the absence of an established difference in market conditions between the EU and the US). Economists, in particular, have pointed to the complexities for making such fundamental predictions on the future development, with regard to an entire industry, and pointed to the lack of clear criteria for the innovation theory to apply.73

65 See e.g. Hutchison 3 G Austria/Orange Austria, Case M.6494, Case M.5669, Commission decision of 12 December 2012; Telefonica Deutschland/E-Plus, Case M.7018, Case M.5669, Commission decision of 2 July 2014. 66 Telia Sonera/Telenor/JV, Case M.7419, withdrawn on 11 September 2015. 67 Hutchison 3 G UK/Telefonica UK, Case M.7612, Commission decision of 11 May 2016. 68 Hutchison 3 G Italy/WIND JV, Case M.7758, Commission decision of 1 September 2016. 69 See also ETNO response to the consultation of the European Commission on “Evaluation of procedural and jurisdictional aspects of EU merger control”, etno.eu/home/positionspapers/2017/364. 70 See e.g. Pfizer/Pharmacia, Case M.2922, Commission decision of 27 February 2003. 71 General Electric/Alstom, Case M.7278, Commission decision of 8 September 2015. 72 Dow/Dupont, Case M.7932, Commission decision of 27 March 2017. 73 See e.g. Petit, Significant impediments to Industry Innovation: A Novel Theory of Harm in EU Merger Control?, 2017.

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4. More Rigorous Approach to Remedies In an alignment with US practice, the Commission has increasingly required up-front buyers or fix-it-first solutions. For example, in 2004, all five phase II commitment decisions required an up-front buyer74 as did three of the seven phase II commitment decisions in 2015,75 or three of six phase II commitment decisions in 2016.76 It has also become rather common that the size and dimension of divestment packages extended beyond the strict competition concerns identified to enhance the viability of the divested business. However, the remedy package imposed in the Dow/Dupont case77 sets a new standard. The Commission has requested that Dupont’s almost entire R&D facility in the US State of New Jersey to be divested to a single buyer previously not active in the research of new molecules. Such a kind of transformative carve-outs raises a host of interrogations such as the predictability of the likely effects on future innovation and competitiveness.78 More fundamentally, are competition authorities well equipped to organize such leaps into the unknown or whether sometimes the better solution may be just to say no to a merger altogether? 5. Data Graveyards and Increased Appetite for Internal Documents The Chief Economist team feels confident to use sophisticated quantitative tools and economic modelling. This has led to ever increasing data requests, often leading to stop-the-clock arrangements. In addition, case teams have come to employ US-style requests of large amounts of internal company documents. In some instances, case handlers have asked for “all documents provided to the US authorities under a second request”. While extensive document requests can be justified in some scenarios (e.g., in the context of close EU/US cooperation), this practice should be exceptional and strictly proportionate to the expected additional value.79

VIII. Conclusion and Outlook 1. Where Does EU Merger Control Stand 27 Years on? a) A Roller-Coaster Ride The development of EU Merger Control had its ups and downs. Memorable Competition Commissioners have left their mark in encouraging a more forceful application of merger rules at times, and the European Courts have on occasions 74 See e.g. INEOS/Solvay JV, Case M.6905, Commission decision of 8 May 2014; Liberty Global/Ziggo, Case M.7018, Commission decision of 2 July 2014. 75 See e.g. Zimmer/Biomet, Case M.7265, Commission decision of 30 March 2015. 76 See e.g. Ball/Rexam, Case M.7567, Commission decision of 15 January 2016. 77 Case M.7932, Commission decision of 27 March 2017. 78 See e.g. RBB Brief 54, An innovative leap into the theoretical abyss: Dow/Dupont and the Commission’s novel theory of harm. 79 A policy to mix and match the frontloaded EU notification system with the backloaded US second request system risks to result in a totally unacceptable charge for businesses.

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stepped in as they should to correct the course of the ship. Looking back, EU Merger Control had a brilliant start and reached some maturity around the ten-year mark. However, the coincidence of an explosion of filings on the one hand while pushing the boundaries of the Regulation overstretched the Commission’s limited resources in the early two thousands. Reckoning of past shortcomings under Commissioner Monti opened the way to the thoughtful reforms of 2003/2004. A new chapter opened that saw merger control embedded within a wider antitrust structure in DG Competition and thus benefitting from much larger resources, but also becoming over time more bureaucratic and less flexible, also due to what may be termed the Impala effect. In the meantime, US style economics had arrived in Europe and the proliferation of merger control outside of Europe and North America created new challenges for legal advisers and competition officials alike. It now became necessary to act more strategically and coordinate the approach to the different authorities, often with widely different procedures and objectives. b) How Predictable Is EU Merger Control? The EU Commission fares rather well in this regard. By publishing all its substantive decisions, much welcome transparency is created regarding current and past practice. This is particularly helpful as far as market definition for future cases is concerned. Despite the ever growing role of economics, the outcome of the vast majority of EU merger filings still turns on market definition and ultimately on market share.80 And although it can be a painstaking exercise to work out precise numbers, most notifying parties will have a pretty good idea about their own market position as compared to their competitors. It is true, however, that some novel theories of harm, such as the threat to industry wide innovation, can create considerable uncertainties for companies. On the other hand, such cases are still rather limited and confined to markets already characterized by only a small number of global competitors. c) Creeping Bureaucratization of EU Merger Control As has been shown earlier in this paper, we continue to see a trend towards longer and more data- and internal document-intense investigations. They tend to start long before the actual filing and may include repeated stop-the-clock episodes in phase II. With respect to the likely duration of the review involving both, the EU and the US, recent complex deals suggest that the regulatory approval process can easily take 18+ months.81 Perhaps, even more of a concern to the business community is the fact that prenotification periods in the average bread-and-butter cases have equally increased up 80 Of the 64 merger prohibitions since 1991, over 90 % were based on single dominance, i.e., market shares of 50 % and more. 81 See e.g. Qualcomm/NXP: 15+ months; Haliburton/Baker Hughes abandoned in 2016 after 19 months; review period of Dow/Dupont taking 20 months.

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to a range between three to five months. Case teams have increasingly turned prenotification into an informal investigation phase ahead of filing. While this can be in the mutual interest of the Commission and the notifying parties in complex cases, or helpful to coordinate different national filings, it should not become the rule in the majority of standard cases. d) Facing New Challenges aa) Are markets allowed to become overly concentrated? A debate about markets getting overly concentrated over time is ongoing in the US. Accordingly, also profit margins, profit inequality and income inequality increased over the last decade.82 It would appear that there are no comparable studies available for Europe at this moment. However, it is a subject the Commission will need to pay more attention to in the future. bb) More globalized markets with fewer leading competitors Spiralling costs to develop new innovative products drive mergers in globalized industries. A good example is the current wave of mergers in the agrochemical sector. The Commission has become concerned about a general loss of innovation regarding, for example, certain types of pesticides but also in the pesticides sector overall. In the recent Dow/Dupont case, the Commission required Dupont to sell an entire R&D facility to a company that had not previously been active in basic research. This case raises fundamental questions regarding the predictability of future events in merger control: first, how to measure future innovation in an entire industry, second, how to craft and implement a remedy that can fully replicate the competitive dynamic lost in a merger between two head-to-head competitors, and third, is a competition authority well placed to decide how markets will likely develop over many years down the road? The answer to this conundrum may well be that there should not be a merger in the first place. Should outright prohibition rather than complex remedies be the answer in some global cases, early and continuous interagency cooperation would be required before such far-reaching decision is reached. cc) Continued fragmentation of the internal market in the EU It has been pointed out earlier, that the Commission tends to spend a disproportionate amount of time and effort scrutinizing competitive overlaps in often the tiniest segments of national markets within the Community.83 If an overlap north of 40 % is detected in any such market, the merging parties will almost invariably be invited to sell one or the other of these businesses, either to a new entrant or to an existing smaller competitor. By focusing its analysis on the smallest possible product or geographic market, there is a serious risk that any beneficial effects on a wider, e.g. 82 See US Council of Economic Advisers, 2016. 83 Specifically in industries such as pharmaceuticals, animal health or pesticides.

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EU-level may not even be considered. It is suggested, that the Merger Regulation does not impose such a narrow geographic fixation, provided that the overall competitive process works and that the individual national markets remain contestable. Reference can also be made to Article 2 (1) (b) of the Regulation which refers to the “development of technical and economic progress”. This rarely used provision provides the Commission with the appropriate instrument to balance local competition risks against the opportunity of achieving wider benefits on a regional or even EU wide basis. 84 2. Some Suggestions to Improve the EU Merger Control Process EU merger control was often praised for its effectiveness, speed and service orientation. Many stakeholders would no longer agree. This may sound unfair since it is also clear that merger control has become much more data-intense, more economically sophisticated and more international. It is equally recognized that Commission officials in this field are generally highly motivated and hard-working. And yet, there seems to be considerable room for improvement. a) More Visibility and Involvement of the Front-Office Case teams rightly enjoy a considerable degree of autonomy. However, there is at least the impression, of a lack of leadership in establishing priorities in larger cases, where case teams can reach up to twenty people. It appears that in such cases, bits and pieces tend to be attributed for investigation to individual case handlers or groups of case handlers, without any recognizable coordination. It has also been observed that meetings with higher management (front-office in the US) are rare and if they happen resemble more an exchange of statements rather than an engaged discussion of the salient issues of the case. b) More Experienced and Stable Case Teams The Commission’s mobility policy encourages a generalist approach whereas competition law enforcement requires a good deal of specialist knowledge and case handling experience. It would appear from the outside that there is an extremely high fluctuation within case teams. Given a lack of clear leadership, unexperienced officials tend to request huge amounts of detailed information, not necessarily focusing on the critical issues or markets. It seems, again from the outside, that there is a marked tendency to over-investigate in a majority of cases that do not create any competition concerns. Thus, the standard practice in most cases could hardly be characterized as a “routine revue”.85 Extensive data-graveyards are the result. This is expensive for the 84 As described earlier (see above VII.2.) the continued fixation on short-term consumer effects on national markets in the mobile network sector provides another missed opportunity to overcome the fragmentation of an important European industry. 85 There is a standard phrase in all Commission press releases which reads as follows; “The vast majority of notified mergers do not pose competition problems and are cleared after a routine revue…”.

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notifying parties as well as for third parties, but equally for the services, who risk the demotivation of genuinely very talented officials. c) The Shift of Fact-Finding from Phase I into the Pre-Notification Phase During prenotification, case teams tend to address detailed Requests for Information (RFIs) to the notifying parties that can go far beyond the standard information required under Form CO. This process can go on for months, since any previous response to an RFI can lead to another request. The deeper explanation behind this shift of the investigation from phase I into the pre-filing stage lies in the sharp contrast between an excessively cumbersome phase II compared to the previous phases.86 As a result, case teams have a strong incentive to clarify facts and solve issues as early as possible, in order to avoid the “accidental shift” into a phase II situation.87 While there are clear merits in making pre-notification as productive as possible (for both sides), in particular in complex or problematic cases, or in order to coordinate different national timetables, extented prenotification should not be allowed to become the rule (as it almost has) in the large majority of the average case. d) Proposal to Adapt the Present Time Regime of EU Merger Control It can be argued that the present time regime on phase 1 is too rigid. While 25 working days are generally sufficient to deal with the large majority of bread-and-butter cases, it can be too short in more complex ones. More specifically, an extension possibility of say 2 months could be foreseen in order to deal with either or both of the following scenarios: (i) to complete the fact-finding and the competition assessment in cases which are sufficiently large and/or complex, without, however, meriting a full in-depth inquiry, (ii) to allow for sufficient time to work out and fully assess the operation of a divestiture commitment, and to market test the viability and effectiveness of a remedy proposal submitted during phase I. Introducing such flexibility in phase I would allow the Commission to significantly shorten the ever escalating pre-notification phase in a majority of cases, reduce the threat of accidental passage to phase II, and at the same time make all stakeholders benefit from more predictability in the process of EU merger control.88 86 Phase II is characterized by a series of formalized steps, including the production of iterations of statements of objections, draft decisions, handling access to file, third parties’ interventions, written and oral hearings (including digestion of numerous legal and economic submissions and studies), a likely remedies’ phase, Advisory Committee and College of Commissioners. 87 Other than in the limited number of truly high profile cases. 88 This proposal also recognizes, that in the present legal environment there is no realistic or practical way to make the phase II procedure less complex or burdensome.

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Externe Kartellrechtscompliance durch Integritätsklauseln I. Einleitung II. Das System der externen Kartellrechtscompliance 1. Anknüpfungspunkte 2. Kartellrechtswidriges Verhalten 3. Folgen von kartellrechtswidrigem ­Verhalten III. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zu Kartellrechtscompliance und zukünftig kartellrechtmäßigem Verhalten 1. Gegenstand 2. Gründe 3. Vorstandspflicht von Geschäftspartnern zur externen Kartellrechtscompliance 4. Grenzen

IV. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zur Offenbarung kartellrechtswidrigen Verhaltens 1. Interessenlage 2. Sachliche Reichweite 3. Erheblichkeitsschwelle 4. Zeitpunkt 5. Grenzen V. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zu Selbstreinigungsmaßnahmen 1. Begriff 2. Vorbild Vergaberecht 3. Maßnahmen der Selbstreinigung 4. Grenzen VI. Zusammenfassung

I. Einleitung Das Thema Compliance allgemein und Kartellrechtscompliance insbesondere gehört zu den in den letzten Jahren ausführlich erörterten Themen.1 Dabei geht es allerdings regelmäßig um die interne (Kartellrechts-)Compliance. Sie betrifft die Frage, wie ein Unternehmen es möglichst sicherstellen kann, dass es nicht unter seiner Beteiligung, d.h. konkret von Unternehmensmitarbeitern, zu Rechtsverstößen – so gegen das Kartellrecht  – kommt, und wie das Unternehmen organisatorisch und personell mit Sachverhalten umgeht, wenn trotz der Bemühungen eine Verhinderung solcher Verstöße nicht möglich war. Davon zu unterscheiden ist eine nach außen gerichtete (Kartellrechts-)Compliance. Sie lässt sich als externe Compliance bezeichnen.2 Bei der externen Compliance geht es darum, was ein Unternehmen vorbeugend tun kann, um nicht selbst Opfer von Rechtsverstößen, d.h. im folgenden Zusammenhang von Verstößen gegen das Kartellrecht, zu werden. Die externe Compliance bedeutet also eine vorwärts gerichtete Reaktion auf mögliches künftiges rechtswidriges Verhalten von Geschäftspartnern. 1 Vgl. z.B. Dreher, ZWeR 2004, 75  ff.; Dreher, VersR 2004, 1  ff.; Dreher in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, §  35 Rz.  35.59  ff. und im ­Übrigen statt vieler Hauschka/Moosmayer/Lösler (Hrsg.), Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016 sowie Bürkle/Hauschka (Hrsg.), Der Compliance Officer, 2015. 2 In der wenigen Literatur dazu findet sich – soweit ersichtlich – dafür bisher nur der Begriff „Geschäftspartner-Compliance“, so Reimers/Brack/Schmidt, CCZ 2016, 83, 84 m.w.N.

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Der Sache nach geht es dabei hauptsächlich um Lieferanten und Abnehmer. Diese Seite der Compliance ist in der Literatur bisher noch wenig angesprochen. Ein Spezifikum der Kartellrechtscompliance bildet die externe Compliance zwar nicht. Sie kann ebenso im Zusammenhang mit anderen Compliance-Bereichen wie der Antikorruptions- oder der Antigeldwäsche-Compliance auftreten. Ihre Entwicklung lag und ihr Hauptanwendungsgebiet liegt aber im Bereich des Kartellrechts. Der vorliegende Beitrag gilt dementsprechend einem Jubilar, der sich als Rechtsanwalt beruflich im Schwerpunkt mit dem Kartellrecht befasst. In dem Zusammenhang hat er eine breite Veröffentlichungstätigkeit entfaltet, die sich ausgehend vom allgemeinen Europarecht immer mehr auf das Kartellrecht konzentriert hat. Dabei blieb das Thema Kartellrechtscompliance konsequent nicht ausgespart.3 Infolgedessen bezieht sich der vorliegende Beitrag auf die externe Kartellrechtscompliance und darf mit diesem Thema auf das Interesse des Jubilars hoffen. Vor dem Hintergrund des zuvor Ausgeführten ist im Folgenden in einem ersten Schritt die externe Kartellrechtscompliance zu systematisieren (unten II.). Dem folgt ein zweiter Schritt, in dem pars pro toto näher auf drei mögliche Elemente der externen Kartellrechtscompliance in Form sogenannter Integritätsklauseln einzugehen ist. Dies gilt zunächst für die Verpflichtung eines anderen Unternehmens, sich künftig ausschließlich kartellrechtmäßig zu verhalten (unten III.). Sodann ist die Verpflichtung eines Unternehmens zu erörtern, aufgetretene Kartellrechtsverstöße dem anderen Unternehmen zu offenbaren (unten IV.). Und schließlich geht es um Klauseln, die ein kartellbefangenes anderes Unternehmen zu Maßnahmen der Selbstreinigung gegenüber dem Unternehmen verpflichten (unten V.). Mit diesem Programm müssen weitere Teilfragen von Integritätsklauseln weitgehend oder vollständig ausgespart ­bleiben. Betroffen davon sind vor allem die häufig erörterten Schadenpauschalierungsklauseln,4 aber auch Klauseln, die Verpflichtungen für Fehlverhalten von Sub­ unternehmern betreffen oder die als Verstoßfolgen besondere Nachprüfungs- bzw. Kündigungsrechte und Auftragssperren des verpflichtenden Unternehmens zum Gegenstand haben. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags kann ferner nicht die Problematik vertieft werden, inwieweit die Beherrschung eines Markts durch ein Unternehmen der Vereinbarung von Integritätsklauseln besondere Grenzen setzt.5

II. Das System der externen Kartellrechtscompliance 1. Anknüpfungspunkte Externe Kartellrechtscompliance bezieht sich auf mögliches künftiges Verhalten von Geschäftspartnern eines Unternehmens. Damit bestehen zwei Anknüpfungspunkte 3 Vgl. Schroeder, Competition Law International (4) 2/2008, 39 ff. 4 Vgl. dazu kurz unten II. 3. 5 Vgl. dazu zuletzt K. Schmidt, WuW 2015, 812, 821 und schon Dreher in FS Traub, 2004, S. 63, 69 ff.

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für Maßnahmen der externen Kartellrechtscompliance: zum einen das Verhalten selbst und zum anderen die Verhaltensfolgen. 2. Kartellrechtswidriges Verhalten Soweit es um mögliche Kartellrechtsverstöße durch Unternehmen geht, auf die sich Maßnahmen der externen Kartellrechtscompliance beziehen, müssen diese darauf gerichtet sein, schon das Verhalten selbst zu beeinflussen. Auch wenn dazu grundsätzlich Maßnahmen mit Apellcharakter gehören, bleiben sie im Folgenden außer Betracht. Ausreichenden Apellcharakter haben nämlich bereits die Normen des Kartellrechts selbst. Gegen sie darf ein Geschäftspartner nach dem Legalitätsprinzip ohnehin nicht verstoßen. Im Verhältnis zu dem Abschreckungspotential aufgrund der Existenz von Normen des Kartellrechts und dem Durchsetzungsvermögen der staatlichen Kartellbehörden mit hoheitlichen Ermittlungsbefugnissen und sehr strengen Sanktionen erscheinen zusätzliche private Maßnahmen mit bloßem Apellcharakter in ihrer Wirkung vernachlässigbar. Denn das Abschreckungspotential unternehmerischer Aufrufe an Geschäftspartner, das Kartellrecht einzuhalten, erscheint gering. Unabhängig davon müssen alle Unternehmen das Kartellrecht sowieso nicht nur als Drohkulisse, sondern als Magna Charta der eigenen unternehmerischen Tätigkeit begreifen. Die daraus folgenden Verhaltensgebote bilden daher kategorische Imperative jeder wettbewerbsbezogenen Managertätigkeit.6 Daher geht es – auch im Folgenden – allein um rechtlich bindende und damit um (vor-)vertragliche Maßnahmen eines Unternehmens gegenüber seinen Geschäftspartnern. Im Zentrum stehen sogenannte Integritätsklauseln.7 Für sie ist zum Teil auch der Begriff der Compliance-Klauseln gebräuchlich.8 Die Vereinbarung solcher Klauseln macht ein Unternehmen zur Bedingung für die Aufnahme oder die Durchführung von Geschäftsbeziehungen. 3. Folgen von kartellrechtswidrigem Verhalten Zwar richten sich Integritätsklauseln zunächst auf die Verhinderung von kartellrechtswidrigem Verhalten eines Geschäftspartners. Da es dazu aber trotz aller Umsetzungsmaßnahmen in der Praxis kommen kann, gehen Integritätsklauseln vielfach weiter und beziehen die externe Kartellrechtscompliance auch auf die Folgen solchen Verhaltens. Dabei geht es nicht um das Bestehen von gesetzlichen Schadenersatzansprüchen bei Kartellrechtsverstößen und damit um die durch die EU-Schadenersatzrichtlinie und 6 Vgl. näher Dreher (Fn. 1), Rz. 35.7 ff., 35.30 ff. und 35.93. 7 So die Bezeichnung z.B. bei Bürkle, CCZ 2010, 4, 8; Moosmayer, Compliance, 2. Aufl. 2012, S. 113 spricht bezogen auf Bieterverfahren von einem „Integritätspakt“. 8 So z.B. Gilch/Pelz, CCZ 2008, 131 ff. und Teicke/Matthiesen, BB 2013, 771 ff.

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ihre Umsetzung in das GWB durch die 9. GWB-Novelle in den Vordergrund getre­ tene Thematik des privaten kartellrechtlichen Schadenersatzes.9 Ein Anspruch auf kartellrechtlichen Schadenersatz besteht nämlich bei Vorliegen der gesetzlichen Vo­ raussetzungen qua lege. Um ihn geltend zu machen, bedarf es keiner externen Kartellrechtscompliance. Kartellrechtliche Schadenersatzansprüche sind unabhängig davon. Anders verhält es sich dagegen mit einseitigen Erklärungen oder vertraglichen Vereinbarungen, die die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung von kartellrechtlichen Vorschriften betreffen und die ein Unternehmen im Sinne der externen Kartellrechtscompliance von seinen – potentiellen – Geschäftspartnern fordert. Dabei geht es um Klauseln, die Gegenstand einer unternehmerischen Geschäftsbeziehung sind oder sein sollen. Sie können in sehr unterschiedlicher Gestalt auftreten. Vor allem haben sie den Charakter einseitiger Erklärungen von potentiellen Geschäftspartnern im Rahmen der Anbahnung von Verträgen und sind Teil einer vertraglichen Geschäftsbeziehung  – sei es in Form eines Rahmenvertrags für eine Vielzahl von Verträgen oder sei es in Form einer Klausel für einen einzelnen bzw. eine Mehr- oder Vielzahl von Verträgen. Der Inhalt solcher Erklärungen oder Klauseln kann situations- und anlassbezogen variieren. Stets geht es allerdings darum, dass der potentielle Geschäftspartner eines Unternehmens zusichert bzw. mit ihm vereinbart, dass er sich im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung nicht kartellrechtswidrig verhält und dafür durch Compliance-Maßnahmen Vorsorge trifft. Häufig finden sich auch Klauseln, mit denen ein Unternehmen für den Fall eines trotz aller Compliance-Maßnahmen eintretenden Verstoßes eine bestimmte, bei einem Vertragsverhältnis oft in Prozent der Gegenleistung ausgedrückte Summe zu zahlen verspricht und/oder sich zu bestimmten Offenlegungsmaßnahmen verpflichtet. Die Rechtsnatur solcher Klauseln hängt von dem genauen Inhalt der Erklärung oder Klausel ab. In Betracht kommen für schadenersatzbezogene Verpflichtungen Strafversprechen in Form von selbständigen Garantieversprechen und unselbständigen Schadenpauschalierungen.10 Um die Widrigkeiten, die mit der Erhebung der speziellen kartellrechtlichen Schadenersatzklagen verbunden sind, zu vermeiden, und um

9 Vgl. dazu ausf. z.B. Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015 und Stancke/ Weidenbach/Lahme (Hrsg.), Kartellrechtliche Schadenersatzklagen, 2018 sowie die B ­ eiträge in Kersting/Podszun (Hrsg.), Die 9. GWB-Novelle, 2017 und in K ­ amann/Ohlhoff/Völcker (Hrsg.), Kartellverfahren und Kartellprozess, 2017. 10 Vgl. ausf. schon Dreher, EuVR 1995, 258 ff.; Dreher (Fn. 5), S. 65 ff. und aus neuerer Zeit z.B. Müller-Graff/Kainer, WM 2013, 2149 ff.; von Criegern/Engelhoven, WRP 2013, 1441 ff.; K.  Schmidt, WuW 2015, 812  ff.; Dahlmann/Künstner, DB 2015, 2191  ff.; Wilde/Anders, WuW 2015, 246 ff.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 422 ff.; Franck, ZHR 181 (2017), 955 ff.; Löwenkamp/Nuys, NZKart 2017, 61 ff.; Karenfort in Stancke/Weidenbach/Lahme (Hrsg.), Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S.  431  ff. und aus der Rechtsprechung zuletzt z.B. OLG Jena v. 22.2.2017 – 2 U 538/15 Kart, WuW 2017, 203 – Schienenkartell; LG Hannover v. 18.12.2017 – 18 O 8/17, NZKart 2018, 100, 102 f. – LKW-Kartell.

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die Durchsetzung von Schadenersatz zu erleichtern, haben derartige Erklärungen oder Klauseln vielfach die Rechtsnatur von Schadenpauschalierungen. Konkrete Klauseltexte finden sich z.B. in veröffentlichten Urteilen zu solchen Klauseln.11 Einzelne große Unternehmen gehen inzwischen aber dazu über, ihre Integritätsklauseln proaktiv auf ihrer Website zu veröffentlichen. Dies gilt z.B. für die Deutsche Bahn AG. Sie sieht für Verträge mit Lieferanten „auf Beschaffungsmärkten mit erhöhter Kartellneigung“ elaborierte „Ergänzende Vertragsbedingungen der Deutschen Bahn AG und der mit ihr verbundenen Unternehmen für die Kartellprävention (EVB Kartellprävention)“ vor.12 In Einzelnen sind die verschiedenen Arten von Strafversprechen aus rechtlicher Sicht zwingend abzugrenzen. Dies folgt schon aus den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Rechtsfolgen der einzelnen Institute.13 Die Rechtsfragen, die mit einer Schadenpauschalierung verbunden sind – insbesondere deren AGB-rechtliche Zulässigkeit – , haben im Gefolge zunehmender Schadenersatzklagen seit den EuGH-Urteilen14 in Sachen Courage15 und Manfredi16 größere Beachtung gefunden. Dies gilt erst recht seit der Umsetzung der EU-Schadenersatzrichtlinie17 durch die 9.  GWB-Novelle.18 Um sie soll es daher im Folgenden nicht gehen. Gegenstand sind vielmehr solche Teile von Integritätsklauseln, die nach wie vor im Schatten der externen Kartellrechtscompliance stehen.

III. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zu Kartellrechts­ compliance und zukünftig kartellrechtmäßigem Verhalten 1. Gegenstand In der Regel verpflichten Integritätsklauseln eines Unternehmens den anderen Teil zu bestimmten Compliance-Maßnahmen. Dies bedeutet, dass sich das andere Unternehmen verpflichtet, ein Compliance-Managementsystem (CMS) oder ein Com­ pliance-Programm einzuführen sowie aufrechtzuerhalten. Den Inhalt eines solchen CMS gibt die Integritätsklausel mehr oder weniger vor.

11 Vgl. die drei Textbeispiele zu Klauseln mit Nachweisen aus der Rechtsprechung bei Dreher (Fn. 5), S. 64 f. und die Textbeispiele aus der Rechtsprechung bei von Criegern/Engelhoven (Fn. 10), 1446; K. Schmidt (Fn. 10), 813 ff. und Franck (Fn. 10), 962 f. 12 Vgl. http://www.deutschebahn.com/de/konzern/compliance/geschaeftspartner/kartellrecht.​ html (zuletzt abgerufen 2.1.2018). 13 Vgl. dazu z.B. Dreher (Fn. 5), S. 66 ff. und Franck (Fn. 10), 955 f. 14 Vgl. dazu z.B. Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 9. Aufl. 2016, Rz.  1769  ff.; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, §  9 Rz. 35 ff. 15 EuGH v. 20.9.2001 – Rs C-459/99. 16 EuGH v. 13.7.2006 – verb. Rs C-295/04 bis C-298/04. 17 Richtlinie 2014/104/EU und dazu z.B. Thomas, ZHR 180 (2016), 45 ff. 18 BGBl. I v. 1.6.2017, S. 1416 ff.

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Außer um konkrete CMS-bezogene Maßnahmen geht es bei Integritätsklauseln oft auch um eine Verpflichtung des anderen Unternehmens, sich künftig ausschließlich kartellrechtskonform zu verhalten. Eine solche Verpflichtung bedeutet mit anderen Worten, dass das andere Unternehmen sich zu ohnehin rechtlich Gebotenem verpflichtet. Das Legalitätsprinzip, das schon gesellschaftsrechtlich für die Unternehmensleitung gilt,19 fordert nämlich, dass ein Unternehmen und seine Organpersonen sowie Mitarbeiter alle Rechtspflichten befolgen. Die Verpflichtung zu einem kartellrechtskonformen Verhalten in einer Integritätsklausel führt nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB als bloße Anerkennung der gesetzlichen Lage daher anders als insbesondere bestimmte Klauseln zu Schadenpauschalierungen nicht zu AGB-rechtlichen Wirksamkeitsfragen. 2. Gründe Die Gründe für die Verpflichtung von potentiellen Vertragspartnern auf ein CMS liegen auf der Hand. Häufig erfolgt in dem Zusammenhang vor allem ein Hinweis auf andernfalls drohende Haftungsszenarien.20 Eine eigene zivil- oder bußgeldrechtliche Haftung für das Verhalten Dritter nach kartell- und/oder OWi-Recht bildet jedoch nicht den Regel-, sondern den absoluten Ausnahmefall. Jenseits der Einbindung von Erfüllungsgehilfen und der Betrauung Dritter mit aufsichtspflichtigen Aufgaben im eigenen Unternehmen gilt dies nach einer neuen Rechtsprechung des EuG zunächst bei der Haftung eines Geschäftsherrn für Handelsvertreter, die als selbständige Unternehmer Kartellrechtsverstöße begehen. Dies ist unabhängig davon, ob der Geschäftsherr Kenntnis von dem kartellrechtswidrigen Handeln des Handelsvertreters hat.21 Sodann gilt dies neuerdings nach einer ebenso weitgehenden Entscheidung des EuGH auch bei der Haftung für selbständige Dienstleister eines Unternehmens. Unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen insbesondere ein „vernünftigerweise vorhersehbares Verhalten“ des Dienstleisters für das andere Unternehmen und die In­ kaufnahme eines solchen Verhaltens gehören, rechnet der EuGH das kartellrechtliche Fehlverhalten des Dienstleisters dem Auftraggeber zu.22 Jenseits solcher Fragen der Haftung für Dritte und ihren Auswirkungen auf das eigene Unternehmen sowie abgesehen von der auch praktisch erheblich bedeutenderen, erleichterten Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen durch Schadenpauschalierungen in Integritätsklauseln23 besteht der eigentliche Anreiz für eine externe Kartellrechtscompliance in der konsequenten Fortführung des notwendigen Bekenntnisses einer Unternehmensleitung zu dem Wettbewerb als dem Grundprinzip wirtschaftlicher Tätigkeit auf der Basis von Freiheit und Gleichheit aller Marktteilnehmer. Dieses 19 Vgl. z.B. BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271; Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 92 ff.; Thole, ZHR 173 (2009), 504 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 403 ff.; Rieger, Die ak­ tienrechtliche Legalitätspflicht des Vorstands, 2012; Holle, Legalitätskontrolle im Kapital­ gesellschafts- und Konzernrecht, 2014. 20 So z.B. Teicke/Matthiesen (Fn. 8), 775. 21 Vgl. EuG v. 15.7.2015 – Rs T-418/10 Spannstahlkartell, NZKart 2014, 345. 22 EuGH v. 21.7.2016 – Rs C-542/14 VM Remonts, NZKart 2016, 428. 23 S. oben II. 3.

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Bekenntnis und ein entsprechender Tone at the Top zum Kartellrecht als Magna Charta des Wettbewerbs24 finden konsequent ihre Fortsetzung in der Erstreckung der Kartellrechtscompliance auf Dritte. Ein solches Vorgehen verdeutlicht zugleich die Ernsthaftigkeit des Anliegens gegenüber den eigenen Mitarbeitern und kann das eigene Unternehmen nicht erst gegen konkrete Schädigungen aufgrund kartellrechtswidrigen Verhaltens, sondern schon im Vorfeld gegen eine solche Gefährdung schützen. 3. Vorstandspflicht von Geschäftspartnern zur externen ­Kartellrechtscompliance Die Literatur zu der Frage, ob die Geschäftsleitung eines Unternehmens zu Compliance-Maßnahmen und insbesondere der Einrichtung einer Compliancefunktion bzw. eines Compliancebeauftragten verpflichtet ist sowie bejahendenfalls nach welcher Rechtsgrundlage, ist inzwischen nahezu unüberschaubar. Sie ist nach vorliegend vertretener Ansicht zu bejahen.25 Sie ist gesetzlich nur für Unternehmen geklärt, die im Finanzdienstleistungssektor tätig sind. So kennen zum Beispiel Art. 266, 270 Solvabilität II-VO und in Umsetzung europarechtlicher Richtlinienvorgaben §  29 Abs.  1 VAG zunächst die Pflicht jedes Versicherungsunternehmens, eine Compliancefunktion einzurichten. Dieser Funktion weist § 29 Abs. 2 VAG sodann bestimmte Aufgaben zu.26 Aus der Rechtsprechung hat bisher – soweit ersichtlich – nur das LG München in dem sogenannten Neubürger-Urteil konkret Stellung zu der Frage einer Compli­ ancepflicht der Geschäftsleitung und ihrer Reichweite genommen.27 Trotz den dabei in einer ex post-Sicht zu weit gehenden Anforderungen28 beschränkt sich aber auch dieses Urteil auf Themen zu der internen Compliance. Die externe Compliance im vorliegenden Sinn ist damit nicht angesprochen. Mangels sowohl bindender gesetzlicher Vorgaben als auch fehlender Orientierung durch maßgebliche Judikate kann die Antwort auf die Frage, ob Geschäftsleiter eines Unternehmens zu Maßnahmen der externen Compliance verpflichtet sind, nur aus ihren grundsätzlichen Aufgaben und Zuständigkeiten folgen. Für den Vorstand einer AG zum Beispiel begründet nicht nur § 76 Abs. 1 AktG die Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft in Gesamtverantwortung nach dem Maßstab des 24 Vgl. schon oben II. 2. 25 Vgl. zum Ganzen z.B. schon Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161, 168 ff. und Dreher/Hoffmann, ZGR 2016, 445, 475 f., 478 f.; vgl. weiter zum Thema z.B. Bachmann in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65 ff. sowie aus jüngerer Zeit z.B. Arnold/Rudzio, KSzW 2016 I, 231  ff.; Nietsch, ZHR 180 (2016), 733  ff.; Blassl, WM 2017, 929 ff. 26 Vgl. ausf. dazu z.B. Dreher, VersR 2013, 929 ff.; Dreher in Prölss/Dreher, VAG, 13. Aufl. 2018, § 29 Rz. 60 ff., 100 ff.; Bürkle in ders. (Hrsg.), Compliance in Versicherungsunternehmen, 2. Aufl. 2015, § 2 Rz. 100 ff., 119 ff.; Bürkle, CCZ 2012, 220 ff. 27 LG München I v. 10.12.2013 – 5HK O 1387/10, AG 2014, 332 ff. 28 Vgl. zu Recht kritisch z.B. Bachmann, ZIP 2014, 579 ff.; Seibt, DB 2014, 1598 ff. und zum Teil Bürkle, CCZ 2015, 52 ff.; dem LG München I zustimmend dagegen z.B. ­Simon/Merkelbach, AG 2014, 318 ff. und Fleischer, NZG 2014, 321 ff.

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§ 93 Abs. 1 AktG, sondern auch § 91 Abs. 2 AktG die Pflicht, ein Früherkennungssystem für bestandsgefährdende Risiken einzurichten. Letztere bezieht sich auf alle potentiellen Risiken. Sollte ohne Maßnahmen der externen Compliance ein solches, sehr hochschwelliges Risiko bestehen, müsste der Vorstand also auch derartige Maßnahmen ergreifen. Auswirkungen dieser Art durch Rechtsverstöße von Geschäftspartnern auf das eigene Unternehmen sind allerdings kaum vorstellbar. Maßgeblich ist daher grundsätzlich allein die Pflicht des Vorstands zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens. Die Pflicht bezieht sich aber nur auf das eigene Unternehmen.29 Ist die Leitungspflicht des Vorstands aber nur innengerichtet, bedeutet dies zugleich, dass sie grundsätzlich ausschließlich Maßnahmen der internen, nicht aber auch solche der externen Compliance betrifft. Daran ändert sich erst etwas, wenn – unterhalb der zuvor genannten Schwelle bestandsgefährdender Risiken durch rechtswidriges Verhalten Dritter – eine interne Compliance ohne zusätzliche Maßnahmen der externen Compliance nicht wirksam sein würde. Die nach vorliegend vertretener Ansicht bestehende Rechtspflicht des Vorstands zu Compliance-Maßnahmen auch unterhalb der Schwelle des §  91 Abs.  2 AktG führt vor dem Hintergrund dazu, dass sie eine Gefährdungs- und Risikoanalyse einschließt, ob aufgrund besonderer Umstände über die interne Compliance hinaus auch Maßnahmen der externen Compliance veranlasst sind. Damit folgt die Vorstandspflicht zur externen Compliance in diesen Fällen rechtlich aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG.30 Solche besonderen Umstände können sich z.B. in folgenden Fällen ergeben: Zunächst, wenn ein Unternehmen allein oder vorwiegend in Bereichen tätig ist, in denen Kartellrechtsverstöße naheliegen. Solche Märkte exte ante zu entdecken oder retrospektiv entsprechend einzuschätzen, ist inzwischen im Zuge der private enforcement-Bewegung zur privatrechtlichen Durchsetzung kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche in einigen Großunternehmen bereits Teil einer laufenden Praxis.31 Hinzu kommt, dass wirtschaftswissenschaftliche, aber auch rein statistisch oder empirisch fundierte Modelle zunehmend Instrumente bieten, Märkte mit Kartellneigung zu identifizieren.32 Dies gilt z.B. für Märkte mit homogenen Massengütern, bei denen der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern einfach funktioniert. Einen weiteren Fall, in dem eine Gefährdungs- und Risikoanalyse zu dem Ergebnis führen kann, Maßnahmen der externen Compliance seien angebracht, bildet eine Häufung von Kartellverstößen in der Vergangenheit unter Beteiligung des eigenen Unternehmens sowie von 29 Die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls inwieweit sich die Pflicht bei einer Konzernbildung auf nachgeordnete Konzerngesellschaften beziehen kann, ist im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht zu lassen. 30 Reimers/Brack/Schmidt (Fn. 2), 84 sehen diese Rechtsgrundlage nicht und berufen sich daher ohne Überzeugungskraft lediglich auf einen „Grundgedanken der Erweiterung der Risikomanagementsysteme auf das Verhalten von Geschäftspartnern“, der „der Rechtsordnung nicht fremd“ sei, sowie darauf, dass eine Ausweitung „sachgerecht“ sei. 31 Vgl. z.B. Reimers/Brack/Schmidt (Fn. 2), 85 und 87 für die Deutsche Bahn AG. 32 Vgl. dazu z.B. BKartA, Wie erkennt man unzulässige Submissionsabsprachen?  – Eine Checkliste für Vergabestellen, Dez. 2014 (Homepage); Eufinger, WRP 2015, 24 ff.

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Unternehmen, die noch immer aktive Geschäftspartner des Unternehmens sind. In derartigen Fällen rezidivierender Kartelltätigkeit,33 kann der Eigenschutz durch in­ terne Compliance offensichtlich nicht ausreichen. Zusammen mit einem – oft netzwerkartigen – Geflecht von Mitarbeitern der einzelnen Unternehmen und auch deren grundsätzlichem Interessengleichlauf in Verbindung mit häufigen persönlichen Kontakten führt dies zu einer besonderen Gefahr der Wiederholung kartellrechtswidrigen Verhaltens auch in Zukunft. Einen dritten Fall bildet schließlich die unternehmerische Tätigkeit in allgemein bekannt Compliance-gefährdeten Staaten. Ist ein Unternehmen in nicht nur geringem Umfang in Staaten tätig, die aus Compliance-Sicht als Hochrisikoländer einzustufen sind, liegen Maßnahmen der externen Compliance ebenfalls nahe. 4. Grenzen Maßnahmen der externen (Kartellrechts-)Compliance richten sich an andere Unternehmen. Daher unterliegen sie zusätzlich Grenzen, die das verpflichtende Unternehmen beachten muss. Wesentliche Bedeutung haben dabei der Inhalt und die Intensität von Compliance-Verlangen. Die Forderung nach einem bestimmten CMS kann nämlich mit entsprechenden Forderungen anderer Unternehmen an denselben Geschäftspartner in Konflikt geraten. Je konkreter und detailgenauer derartige Forderungen sind, umso weniger kann der Adressat sie alle beachten. Zwar sind Maßnahmen der externen Compliance gegenüber ausländischen Geschäftspartnern zu empfehlen, wenn diese in Risikostaaten ihren Sitz haben.34 Gerade bei ausländischen Unternehmen ist allerdings zu beachten, dass sie ihren jeweiligen Heimatrechten unterworfen sind. Infolgedessen kann es im Zuge von Maßnahmen der externen Compliance durch ein Unternehmen gegenüber einem solchen Unternehmen zu Rechtskonflikten oder zumindest zu Problemen bei der Durchsetzung bestimmter Compliance-Vorstellungen kommen. Schließlich und nicht zuletzt kann sich das Verlangen externer Compliance-Maßnahmen gegenüber einem anderen Unternehmen mit dessen unternehmerischer Freiheit und dessen Recht zur Selbstorganisation stoßen. Auch wenn das mit der externen Compliance verbundene Anliegen im Ausgangspunkt verständlich ist, gilt dies für damit verbundene Kosten und sonstigen Aufwand nur begrenzt. Hinzu kommt im Einzelfall möglicherweise ein Reputationsproblem, das mit der Einschätzung als kartellgeneigtes Unternehmen beim Geschäftspartner verbunden ist. Maßnahmen der externen Compliance bedürfen daher im Verhältnis zu den Geschäftspartnern einer besonderen Sensibilität und der Bereitschaft, die Durch- und Umsetzung solcher Maßnahmen in gemeinsamer Überzeugung statt in Ausübung wirtschaftlicher Macht vorzunehmen.

33 Vgl. zu dem Beispiel der Zementindustrie Dreher, ZWeR 2004, 75, 77. 34 S. oben III. 3. und z.B. Teicke/Matthiesen (Fn. 8), 775 f.

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IV. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zur Offenbarung ­kartellrechtswidrigen Verhaltens 1. Interessenlage Integritätsklauseln können auch eine Verpflichtung zur Offenlegung kartellrechtswidrigen Verhaltens umfassen. In diesem Fall geht es dem verpflichtenden Unternehmen darum, von dem verpflichteten Unternehmen möglichst schnell Informationen über kartellrechtswidriges Verhalten zu erhalten. Denn dieses könnte sich negativ auf das eigene Unternehmen auswirken. Die Interessenlage des verpflichtenden Unternehmens ist u.a. geprägt durch ein besonderes Interesse an einer frühen Information über eventuell kartellrechtswidriges Verhalten, dessen Opfer es sein könnte. In einem frühen Stadium sind nämlich möglicherweise noch eigene, unternehmensinterne Schadenminderungsmaßnahmen möglich. Demgegenüber ist die Frage von Schadenersatzansprüchen und deren Durchsetzung nachgelagert. Wesentlich kann aber sein, dass in Fällen, in denen ein kartellrechtlicher Tatbestand nicht in allen – z.B. subjektiven – Voraussetzungen erfüllt ist, obwohl objektiv ein kartellrechtswidriges Verhalten vorliegt, die Verletzung einer durch eine Integritätsklausel begründeten Offenbarungspflicht grundsätzlich selbst Gegenstand eines zusätzlichen, sekundären Schadenersatzanspruchs ist. Demgegenüber geht das Interesse des verpflichteten Unternehmens dahin, ohne Zeitdruck Feststellungen zu eventuellem kartellrechtswidrigem Verhalten zu treffen, sie rechtlich zu bewerten und sich gegenüber anderen Unternehmen, insbesondere gegenüber dem Staat zurechenbaren Unternehmen, die zugleich öffentliche Auftraggeber sind, im Hinblick auf den nemo tenetur-Grundsatz35 nicht entgegen der Unschuldsvermutung rechtswidrigen Verhaltens zu bezichtigen. Zwar besteht auch im Fall von eventuellen Kronzeugenanträgen hoher Zeitdruck für die unternehmensinterne Aufklärung von Kartellrechtsverstößen. Davon bleibt aber das Verhältnis zu Vertragspartnern als Kartellopfern insoweit unberührt, als es nicht um das Unter­ nehmensinteresse geht, einen erfolgreichen Kronzeugenantrag wegen der Offenbarungspflicht gegenüber einem Vertragspartner nicht mehr stellen zu können.36 Hinzu kommen zahlreiche weitere Interessen – z.B. Reputation und Gefahr unnötiger Inanspruchnahme – des verpflichteten Unternehmens, die einer vorschnellen Information in Befolgung einer vertraglichen Offenbarungspflicht nach einer Integritätsklausel entgegenstehen. 2. Sachliche Reichweite Wie bei allen Teilen von Integritätsklauseln geht es auch bei Offenbarungspflichten um tatsächlich und rechtlich bedeutende Differenzierungen. Davon betroffen ist zunächst die sachliche Reichweite einer Offenbarungspflicht. Erfasst sie nur künftiges 35 Vgl. dazu in vergaberechtlichem Zusammenhang Opitz in Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 2017, § 125 GWB Rz. 27 m.w.N. 36 S. unten IV. 4.

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kartellrechtswidriges Verhalten oder wirkt sie – z.B. bei Begründung einer Geschäftsbeziehung oder bei erstmaliger Vereinbarung der Klausel – auch vergangenheitsbezogen? Soweit es um ex post-Erklärungen geht, trifft sich die mit der Klausel aufgeworfene Rechtsfrage mit dem Thema der Offenbarungspflicht kartellrechtswidrigen Verhaltens gegenüber Vertragspartnern auf eine entsprechende oder auch ohne eine solche Nachfrage. Dieses Problem hat im Zusammenhang mit dem Rechtsbehelf der Anfechtung kartellbefangener Verträge und sodann deren bereicherungsrechtlicher Abwicklung bereits Aufmerksamkeit erhalten. In Fällen einer ausdrücklichen Nachfrage, die Gegenstand einer ex post-Sachverhalte einschließenden Integritätsklausel sind, besteht nach einhelliger Ansicht eine Aufklärungspflicht. Nach vorliegend vertretener, allerdings streitiger Auffassung besteht eine Offenbarungspflicht auch ohne eine entsprechende Nachfrage aufgrund von § 242 BGB, da es sich dabei um einen Umstand von wesentlicher Bedeutung für den Vertragspartner handelt, über den das Kartellopfer als Vertragspartner nach Treu und Glauben Aufklärung erwarten kann.37 Im Ergebnis kann eine Integritätsklausel ex post-Sachverhalte daher ohne weiteres abdecken. Für die ex ante-Verpflichtung zur künftigen Offenbarung kartellrechtswidrigen Verhaltens kann vor dem Hintergrund nichts anderes gelten. Auch hier liegt in Form der Integritätsklausel eine ausdrückliche Nachfrage vor, auf die das verpflichtete Unternehmen wahrheitsgemäß antworten muss. Zwar enthält § 309 Nr. 12 BGB, der nach §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 310 Abs. 1 BGB im kaufmännischen Geschäftsverkehr anwendbar ist,38 ein Verbot der Beweislastverschiebung. Wie auch im Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten und -prinzipien hat § 309 BGB aber nicht die Funktion, sie in ihrer Geltung und Reichweite auszuschalten. Dies gilt daher auch für vertraglich begründete Aufklärungspflichten nach § 242 BGB.39 3. Erheblichkeitsschwelle Besonderer Aufmerksamkeit bei der Präzisierung einer Integritätsklausel bedarf weiter die Erheblichkeitsschwelle, die eine Pflicht zur Offenbarung auslöst. Hier sind unzweifelhaft feststehende Verstoßfälle von bloßen Verdachtsfällen zu unterscheiden. Eine Erstreckung auf bloße Verdachtsfälle berührt die Interessen des verpflichteten Unternehmens nachteiliger als in Fällen feststehender Verstöße. Dies zeigen u.a. ­mögliche Verschlechterungen in der unternehmensinternen Sachverhaltsermittlung durch eine (zu) frühe Publizität nach außen und die Unbestimmtheit in der Anwendung infolge eines kaum abstrakt festlegbaren Grads an Umständen, die für einen 37 Vgl. ausf. und m.z.N. Dreher in FS Canenbley, 2012, S. 167, 170 ff. 38 Vgl. nur BGH v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47, 49. 39 Anders kann die Beurteilung ausfallen, wenn in einem Bieterverfahren eine ex post-Offenbarungspflicht mit einer Schadenersatzpauschalierung verknüpft wird, vgl. BGH v. 23.6.1988 – VII ZR 117/87, BGHZ 105, 24 = WuW/E BGH 2523 – Vertragsstrafenklausel Baubehörde Bremen und dazu Dreher (Fn. 5), S. 64 ff. sowie Franck (Fn. 10), 959 f.

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ausreichenden Verdacht vorliegen müssen, in völlig unterschiedlich gelagerten Einzelfällen. Umgekehrt kann das verpflichtende Unternehmen im Einzelfall zwar schon ein besonderes Interesse an der Offenbarung bloßer Verdachtsfälle haben – z.B. um seinerseits eventuelle Schäden zu mindern. Dieses Interesse erscheint allerdings im Verhältnis zu den Interessen des verpflichteten Unternehmens, zunächst selbst unternehmensintern Gewissheit zu erlangen, ob sich der Verdacht konkretisiert, nicht durchschlagend. Vor dem Hintergrund kann eine Offenbarungspflicht nur Sachverhalte erfassen, in denen ein kartellrechtswidriges Verhalten feststeht.40 Selbst bei entsprechenden Tathandlungen werden allerdings schon aufgrund der oft unsicheren Anwendung und Auslegung von Kartellrechtstatbeständen und der Existenz von oft ebenfalls streitigen Ausnahmeregelungen in etlichen Fällen Zweifel bleiben, ob ein Verstoß tatsächlich gegeben ist. Bei der Formulierung einer Integritätsklausel muss eine Offenbarungspflicht infolgedessen möglichst präzise den Verstoßfall und die Mindestnachweisschwelle dafür benennen. Um die Folgen rechtlich zweifelhaft gelagerter Fragen z.B. nach subjektiven Voraussetzungen, nach Irrtum und Irrtumsfolgen sowie nach der Anwendung von ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen und von Ausnahmetatbeständen zu verringern, dürfte es sich zudem empfehlen, nicht lediglich auf einen Kartellrechtsverstoß als solchen im Sinne eines vollständig subsumierbaren Tatbestands, sondern auf das Vorliegen bestimmter Sachverhaltsumstände abzustellen. 4. Zeitpunkt Genauigkeit empfiehlt sich auch bei der Festlegung des Zeitpunkts für die Erfüllung einer Offenbarungspflicht. In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, wann ein – in einer Integritätsklausel näher definierter – Verstoßfall tatsächlich gegeben ist. Die Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts für eine Offenbarungspflicht beruht ebenfalls auf einer Abwägung der beteiligten Interessen. Während das verpflichtete Unternehmen möglichst in aller Sorgfalt, u.U. sogar mit externer Hilfe, die maßgeblichen Tatsachen feststellen und bewerten will, ist dem potentiellen Kartellopfer an einer möglichst schnellen Information gelegen.41 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wenn das verpflichtete Unternehmen einen Kronzeugenantrag stellen will oder für die Prüfung dieser Frage noch eine kurze Frist benötigt. Zwar geht es, wenn tatsächlich ein Kronzeugenantrag erfolgt, um eine Art Windhundrennen im Verhältnis zu anderen Kartelltätern und ist das hinter einer Offenbarungspflicht stehende Interesse eines potentiellen Kartellopfers lediglich ein Partikularinteresse, während die Kartellbehörden bei der Entgegennahme von Kronzeugenanträgen Allgemeininteressen verfolgen. Auch für das Verhältnis zum verpflichtenden Vertragspartner entscheidend ist aber, dass die antragstellenden Unternehmen durch die Kartellbehörden bis zum Abschluss kartellrechtlicher Feststellungen zu absoluter Vertraulichkeit und unter Umständen sogar zur Fortführung 40 Großzügiger im Sinne eines „begründeten Verdachts“ Teicke/Matthiesen (Fn. 8), 773. 41 S. oben IV. 1.

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eines bestimmten Verhaltens verpflichtet sind. Dies bezieht sich auch auf das Verhältnis zu Kartellopfern.42 Vor dem Hintergrund wäre eine Verpflichtung zur Offenbarung kartellrechtswidrigen Verhaltens gegenüber dem Vertragspartner schon in der – zwingend notwendigen – Zeit, die ein Unternehmen zur Prüfung und Stellung eines Kronzeugenantrags braucht und in der nachfolgend eine Kartellbehörde die Geheimhaltung der Antragstellung zur Voraussetzung für den Erlass oder die Ermäßigung einer Geldbuße erhebt, unverhältnismäßig und dem Unternehmensinteresse des verpflichteten Unternehmens zuwiderlaufend, das dessen Geschäftsleitung verfolgen muss. Die Verpflichtung zur Offenbarung beginnt im Fall eines Kronzeugenantrags daher ausnahmsweise erst nach dem zuvor genannten Zeitraum. Um entsprechende Zweifel von vornherein zu beseitigen, empfiehlt es sich, in einer Integritätsklausel eine Ausnahme für die Stellung von Kronzeugenanträgen und die Befolgung kartellbehördlicher Geheimhaltungsverpflichtungen ausdrücklich vorzusehen. Davon abgesehen liegt der maßgebliche Zeitpunkt für eine Offenbarungspflicht gegenüber einem Vertragspartner nach dem Abschluss ohne vermeidbare Verzögerung geführter unternehmensinterner Ermittlungen und entsprechender Bewertungen der Ermittlungsergebnisse. Diese müssen zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis geführt haben, ein Verstoßfall gemäß der Definition in der Integritätsklausel ist gegeben. 5. Grenzen Auch wenn sich bereits aus dem vorstehend Ausgeführten Grenzen für Offenbarungspflichten in Integritätsklauseln ergeben, ist noch auf eine weitere, allgemeine Grenze zu verweisen.43 Sie betrifft die Eingrenzung von näher definierten Verstoßfällen auf solche mit Relevanz für das verpflichtende Unternehmen. Rechtlich besteht nämlich ein Aufklärungsinteresse dieses Unternehmens nicht, wenn der Gegenstand der Aufklärung nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis steht.44 Diese inhärente Grenze jeder Aufklärungspflicht gilt unabhängig davon, ob sie in die konkrete Fassung einer Integritätsklausel inkorporiert ist oder nicht. Je größer verpflichtete Unternehmen sind und je mehr sie sich auf unterschiedlichen Märkten bewegen, umso mehr hat diese inhärente rechtliche Grenze auch eine praktische Bedeutung.

42 Vgl. zu den damit verbundenen, heute im Zusammenhang mit diversen praktischen Fällen besonders aktuellen kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtlichen Fragen von Kronzeugenanträgen schon Dreher, ZWeR 2009, 397 ff. und Dreher, WuW 2010, 731 ff. 43 Unabhängig davon stellt sich zudem die Frage, ob, wie und gegebenenfalls für wie lange eine Integritätsklausel eine Geheimhaltungspflicht des verpflichtenden Unternehmens im Fall von Aufklärungsmaßnahmen des verpflichteten Unternehmens regelt. 44 So schon BGH v. 17.3.1954, BeckRS 1954, 31205769.

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V. Die Verpflichtung von Geschäftspartnern zu Selbstreinigungs­ maßnahmen 1. Begriff Integritätsklauseln können ein anderes Unternehmen auch dazu verpflichten, eine sogenannte Selbstreinigung durchzuführen, wenn trotz aller Compliance-Maßnahmen ein kartellrechtswidriges Verhalten aufgetreten ist. Der Begriff der Selbstreinigung entstammt ursprünglich dem Vergaberecht. Er bezeichnet dort alle Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreifen muss, um von künftigen Vergabeverfahren nicht wegen Rechtsverstößen bei einer vorherigen Auftragserbringung – gegenüber wem auch immer – infolge von Unzuverlässigkeit ausgeschlossen zu werden. Mit anderen Worten geht es um die Wiederherstellung der Integrität eines Unternehmens durch Beseitigung der Ursachen für vergangenes Fehlverhalten. 2. Vorbild Vergaberecht Ursprünglich war die Selbstreinigung Teil der vergaberechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung ohne gesetzliche Grundlage.45 Art. 57 Abs.  6 RL 2014/24 EU, die neue EU-Vergaberichtlinie,46 hat das Rechtsinstitut der Selbstreinigung europarechtlich kodifiziert. Auf diesem Weg ist es seit dem 18.4.2016 Gegenstand von § 125 GWB in Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie.47 Eine spezielle Selbstreinigung zur nachträglichen Zahlung von Steuern, Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträgen enthält zudem §  123 Abs.  4 Satz 2 GWB. Hinzu gekommen ist seit der Kodifizierung der Selbstreinigung das Wettbewerbsregistergesetz (WRegG).48 Das Gesetz schafft eine beim Bundeskartellamt bis zum Jahr 2020 einzurichtende Datenbank, in die bestimmte Verurteilungen und Strafbefehle mit bestimmten zusätzlichen Informationen einzutragen sind. Öffentliche Auftraggeber müssen vor einer Auftragsvergabe abhängig von bestimmten Schwellenwerten beim Bundeskartellamt abfragen, ob Einträge zu dem Bieter gespeichert sind, dem sie den Auftrag erteilen wollen. Nach § 8 WRegG kann ein Unternehmen beim Bundeskartellamt als Registerbehörde „beantragen, dass die Eintragung wegen Selbstreinigung vor Ablauf der Löschungsfrist (…) aus dem Wettbewerbsregister gelöscht wird.“ 3. Maßnahmen der Selbstreinigung Jede Selbstreinigung ist grundsätzlich zukunftsgerichtet, indem es um eine Prognose künftiger Zuverlässigkeit geht. Im Einzelnen reichen die möglichen Selbstreinigungs-

45 Vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Band 2 GWB/Teil  2, 5. Aufl. 2014, § 97 GWB Rz. 214 ff. und ausf. schon Dreher in FS Franke, 2009, S. 31 ff. 46 ABl. EU Nr. L 94 v. 28.3.2014, S. 65 ff.; vgl. zu Art. 57 Abs. 6 z.B. Burgi, NZBau 2014, 595, 597 ff. 47 Vgl. zum Ganzen auch Opitz (Fn. 35), § 125 GWB Rz. 7 ff. 48 Vgl. dazu z.B. Haus/Erne, NZKart 2017, 1167 ff.; Dreher, NZBau 2017, 313 f.

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maßnahmen49 von mitarbeiterbezogenen Maßnahmen über gesellschafter- und gesellschaftsbezogene Maßnahmen bis hin zu sonstigen Maßnahmen wie einer umfassenden und zeitnahen Sachverhaltsaufklärung, einer aktiven Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden, einer Unterwerfung unter eine Sonderprüfung durch außenstehende Personen oder einem Eingeständnis von Verfehlungen. Höchst umstritten ist schließlich, ob hierzu auch eine Verpflichtung zu einem Schadenausgleich oder sogar die Zahlung von Schadenersatz gehört und als Voraussetzung für eine Selbst­ reinigung erforderlich ist. Nach §  125 Nr.  1 GWB ist eine solche Verpflichtung ­zwingend. Dabei ist aber nicht gesagt – und darum geht der Streit im Hinblick auf Schadenersatzforderungen als Druckmittel für die Wiederherstellung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit –, ob ein Schaden als solcher und in der Höhe unstreitig bzw. zweifelsfrei oder rechtskräftig festgestellt sein muss.50 Vor dem Hintergrund der Ausklammerung des Themas Schadenpauschalierung in Integritätsklauseln außerhalb vergaberechtlicher Sachverhalte im vorliegenden Beitrag muss die Frage, ob und wie weit Zahlungen oder Zahlungsversprechen rechtlich zulässig Gegenstand einer Selbstreinigung sein können, dahin stehen. 4. Grenzen Die zahlreichen möglichen Maßnahmen einer Selbstreinigung begrenzen zugleich pauschale Verweise auf eine solche Selbstreinigung in vertraglichen Integritätsklauseln. Geht es nämlich um die zukunftsbezogene Wiederherstellung der Integrität eines Unternehmens, das gegen das Kartellrecht verstoßen hat, sind die Maßnahmen zur Selbstreinigung abhängig von der Art des Verstoßes, seiner Intensität und seinen Folgen. Aufgrund des vorgenannten Umstands können Integritätsklauseln Selbstreinigungsmaßnahmen nur sehr allgemein beschreiben. Mit begrifflichen Unschärfen verliert allerdings auch der Verpflichtungscharakter eines solchen Teils einer Integritätsklausel die notwendige Bestimmtheit. Statt zu versuchen, ex ante im Einzelnen doch nicht konkretisierbare Verpflichtungen festzulegen, die sich der Realisierung mangels entsprechender Anknüpfung im Tatsächlichen entziehen, erscheint die Festschreibung einer Gesprächsklausel für Maßnahmen, die zu einer Selbstreinigung erforderlich sind, sinnvoller. Diese Klausel führt dazu, dass sich die Vertragspartner nach einem eingetretenen Kartellrechtsverstoß zusammensetzen müssen, um die Verpflichtung des betreffenden Unternehmens, sich künftig ausschließlich kartellrechtmäßig zu verhalten, nicht nur durch Maßnahmen der Kartellrechtscompliance, sondern auch durch verstoßbezogene Selbstreinigungsmaßnahmen anderer Art zu aktualisieren. Ein solches Vorgehen entspricht zugleich der Funktion von Integritätsklauseln – jenseits der vorliegend nicht erörterten Schadenpauschalierungen –, eine möglichst

49 Vgl. ausf. dazu Dreher (Fn. 45), S. 35 ff.; Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265, 268 ff. 50 So das enge Verständnis durch Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265, 270 ff.; Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 426 f. und tendenziell Opitz (Fn. 35), § 125 GWB Rz. 17 f. m.w.N. zum Streitstand.

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nicht durch Rechtsverstöße gestörte Vertrags- und Vertrauensbeziehung zu begründen und aufrechtzuerhalten. Speziell Aufklärungsmaßnahmen bilden einen wesentlichen Teil einer Selbstreinigung im vergaberechtlichen Sinne. Die Verankerung solcher Aufklärungsmaßnahmen in Integritätsklauseln mit Selbstreinigungsbezug darf aber nicht zu der Vorverlagerung des bereits zuvor bestimmten maßgeblichen Zeitpunkts für Offenbarungspflichten führen.51 Nur diese Sicht entspricht auch der vergaberechtlichen Selbstreinigung. Denn bei ihr ist dem Missverständnis entgegenzutreten, Aufklärungspflichten würden bereits an einen bloßen Verdacht von kartellrechtlichem oder anderem Fehlverhalten anknüpfen.52

VI. Zusammenfassung 1. Bei der internen Compliance geht es darum, wie ein Unternehmen die Begehung von Rechtsverstößen ex ante durch nach innen gerichtete Maßnahmen verhindern kann und – falls sich solche Verstöße dennoch nicht haben verhindern lassen – ex post intern darauf reagiert. Im Gegensatz dazu betrifft die externe Compliance alle nach außen gerichtete Maßnahmen, mit denen ein Unternehmen ex ante versucht, nicht Opfer von künftigen Rechtsverstößen durch Geschäftspartner zu werden und – falls dennoch derartige Verstöße eintreten – die Folgen eines rechtswidrigen Verhaltens ex ante zumindest teilweise zu regeln. 2. Integritätsklauseln in Rahmen- oder (Vor-)Verträgen mit Geschäftspartnern bilden die nach außen gerichteten Maßnahmen der externen Compliance. Sie verpflichten das eine Unternehmen gegenüber dem anderen Unternehmen als potentiellem Opfer von Rechtsverstößen zu einem bestimmten Vorgehen. Die Verpflichtungen sollen präventiv die Verhinderung von Rechtsverstößen und retroaktiv deren Bewältigung ermöglichen. Damit können sie sowohl das Verhalten des anderen Unternehmens als auch die Verhaltensfolgen bei dem anderen Unternehmen betreffen. 3. Die externe Compliance als zweite Seite der Compliance hat ihren Ursprung und ihre besondere Bedeutung im Kartellrecht. 4. Integritätsklauseln zur Verhinderung oder Bewältigung von Kartellrechtsverstößen eines Geschäftspartners können sehr unterschiedliche Inhalte haben. Diese reichen von der Verpflichtung der Geschäftspartner zu Kartellrechtscompliance und zu zukünftig kartellrechtmäßigem Verhalten über die Verpflichtung zur Offenbarung in der Zukunft zu Tage tretenden kartellrechtswidrigen Verhaltens und zu Selbstreinigungsmaßnahmen nach einem solchen Verhalten bis hin zu der Verpflichtung, im Fall eines feststehenden Verstoßes Schadenersatz in einem vorab bestimmten Umfang zu leisten  – sogenannte Schadenpauschalierungsklauseln –, für das Verhalten von Sub­ unternehmern einzustehen oder im Verstoßfall dem Opferunternehmen bestimmte

51 Vgl. oben IV. 4. 52 So zu Recht Opitz (Fn. 35), § 125 GWB Rz. 25.

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Sanktionsmöglichkeiten wie Nachprüfungs- und Kündigungsrechte oder Auftragssperren einzuräumen. 5. Eine Integritätsklausel, die das andere Unternehmen künftig zu einer bestimmten Kartellrechtscompliance und zu kartellrechtmäßigem Verhalten verpflichtet, führt vorab u.a. zu der Frage, ob die Geschäftsleiter eines Unternehmens zu Maßnahmen der externen Kartellrechtscompliance und damit zu der Aufnahme solcher Klauseln in Verträge mit Geschäftspartnern verpflichtet sein können. Die Frage ist einzelfallabhängig aufgrund einer Gefährdungs- und Risikoanalyse nach gesellschaftsrechtlichen Kriterien zu beantworten. Bestimmte Fallgruppen indizieren eine bejahende Antwort. 6. Die Verpflichtung zur Offenbarung kartellrechtswidrigen Verhaltens als Gegenstand einer Integritätsklausel bedarf im Hinblick auf gegenläufige Interessen der Beteiligten einer besonders detaillierten Regelung. 7. Soll eine Integritätsklausel ein Unternehmen zu zukunftsgerichteten Selbstreinigungsmaßnahmen im Fall eines Kartellrechtsverstoßes verpflichten, lassen sich aufgrund der Verstoßabhängigkeit der Maßnahmen zur Wiederherstellung der Integrität und der potentiell sehr zahlreichen Anknüpfungspunkte für Elemente einer Selbstreinigung nur allgemeine Regelungen treffen. Dem Ziel einer ungestörten Vertrags- und Vertrauensbeziehung zwischen den Beteiligten entspricht daher vor allem eine allgemeine Gesprächsklausel über erforderliche Selbstreinigungsmaßnahmen für den Fall, dass in der Zukunft Kartellrechtsverstöße erfolgen sollten.

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Die Gefahr einer Umdeutung des Konditionenmissbrauchs zu einem allgemeinen Durchsetzungsinstrument des Bundeskartellamtes: Don Giovanni und Big Data I. Einleitung II. Gefahr einer zu extensiven Interpre­ tation des Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB 1. Wachsende Bedeutung des Konditionenmissbrauchs im Wandel der Zeit a) Quantitative und qualitative Kondi­ tionenkontrolle b) Keine pauschale Bevorzugung des qualitativen Ansatzes, insbe­ sondere nicht aus Praktikabilitäts­ erwägungen c) Zweifel gehen zulasten der Kartell­ behörde (in dubio pro libertate) 2. Materiell-rechtliche Grenzen einer ­qualitativen Begründung des Kondi­ tionenmissbrauchs

a) Ausgangspunkt: Einbeziehung außerkartellrechtlicher Wertungen und Normverstöße zur Begründung des Ausbeutungsmissbrauchs nur sehr ­begrenzt möglich b) Implikationen für die Auslegung des Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB c) Kausalitätserfordernis 3. Kompetenzielle Grenzen einer qualitativen Begründung des Konditionenmissbrauchs a) Keine Befugnis des Bundeskartell­ amtes zur Durchsetzung von Ver­ braucherschutz- oder Datenschutzrecht b) Durchsetzung von Datenschutzrecht durch das Bundeskartellamt wäre ­unvereinbar mit europäischem Recht, insbesondere der DSGVO III. Fazit

I. Einleitung Für die kartellrechtliche Preis- und Konditionenkontrolle nach §  19 Abs.  1,  Abs.  2 Nr. 2 GWB gilt der Grundsatz, dass marktbeherrschende Unternehmen im Vergleich zu anderen Wettbewerbern zwar weitergehende Restriktionen ihres Handlungsspielraums hinnehmen müssen. Als kartellrechtlich missbräuchlich untersagt ist einem Marktbeherrscher aber grundsätzlich nur solches wettbewerbliches Verhalten, welches ihm lediglich aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung möglich ist. Ein Ausbeutungsmissbrauch nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB ist zu verneinen, wenn dieses Verhalten allein nach außerkartellrechtlichen Maßstäben zu missbilligen ist, 1 Der Autor ist Partner der internationalen Kanzlei Latham & Watkins LLP in Düsseldorf/ Brüssel. Er vertritt das Unternehmen Facebook, Inc. in dem Verfahren vor dem Bundeskartellamt, das im Rahmen dieses Beitrags angesprochen wird. Es werden indes nur veröffentlichte Aussagen des Amtes zitiert. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Ansicht des Verfassers wieder.

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l­ediglich einen außerkartellrechtlichen Normverstoß darstellt oder nicht kausal auf die Marktbeherrschung zurückgeht. Die Sanktionierung etwaiger außerkartellrechtlicher Normverstöße des Marktbeherrschers ist dem jeweiligen Rechtsgebiet und den dort zuständigen Durchsetzungsorganen zugewiesen. Diese vollkommen anerkannten Grundsätze werden jetzt in Frage gestellt. Die jüngste Kommentierung zum Konditionenmissbrauch, die der Leiter der Abteilung Prozessführung und Recht (P) im Bundeskartellamt, Jörg Nothdurft, Anfang 2018 vorgelegt hat, untergräbt diese Grundsätze: Nothdurft zufolge sollen marktbeherrschenden Unternehmen auch solche Geschäftspraktiken (insbesondere die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten) kartellrechtlich untersagt werden können, die sämtliche Wettbewerber ebenso praktizieren – allein deshalb, weil es sich um Marktbeherrscher handelt. Eine, so Nothdurft wörtlich, „così fan tutte-Defence“ sei nicht anzuerkennen.2 Diese Auffassung stellt einen – im Ergebnis abzulehnenden – Paradigmenwechsel dar, wonach offenbar der originäre Schutzzweck des §  19 GWB in Richtung einer allgemeinen Rechtsdurchsetzung gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen ausgedehnt werden soll. Wörtlich führt Nothdurft aus: „Es bedarf aber dort einer [über eine quantitative Betrachtung] hinausreichenden normativen Betrachtung, wo es um die Wahrung sämtlicher rechtlich geschützter Interessen (d.h. auch der nicht direkt quantifizierbaren) der Marktgegenseite oder der Allgemeinheit geht, um diese nicht zur Disposition der Ausübung wirtschaftlicher Macht durch den Norm­adressaten zu stellen.“3 Die von Nothdurft auf theoretisch-rechtswissenschaftlicher Ebene geforderte Richtung scheint auch das Bundeskartellamt in der Praxis der behördlichen Kartellrechtsanwendung umsetzen zu wollen. Anscheinend hat das Amt dabei das Ziel einer (stetigen) Kompetenzausdehnung vor Augen, was sich in besonderem Maße bei der Beurteilung von digitalen Geschäftsmodellen zeigt. So beruft sich etwa der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, auf Nothdurft, wenn er dessen Ansatz für die Praxis des Amtes fruchtbar macht: „Die Prüfung der Missbräuchlichkeit kann dabei nach einem sog. normativen Ansatz erfolgen, wobei auf gesetzliche Wertentscheidungen abgestellt werden kann, wie sie sich insbesondere im Recht der missbräuchlichen Klauseln wiederfinden. […] Beispielsweise erscheint es vorstellbar, dass auf dieser Grundlage etwa im Digitalbereich […] eine Überprüfung der Nutzungsbedingungen marktstarker Anbieter möglich ist.“4 Überspitzt formuliert läuft die von Nothdurft vertretene und offenbar vom Bundeskartellamt befürwortete Ansicht etwa auf folgende Konsequenz hinaus: Wenn ein großer oder kleiner nicht-marktbeherrschender Zuchtbetreiber schädliche Immissionen verursacht, so liegt darin (nur) eine Verletzung des Immissionsschutzrechts, die von den zuständigen Umweltbehörden zu sanktionieren ist. Wenn hingegen ein marktbeherr2 Vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, 13. Aufl. 2018, § 19 GWB Rz. 209 (Herausstellungen hinzugefügt) – „Così fan tutte“ („so machen es alle“). 3 Vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 129; Hinzufügungen durch den Verfasser. 4 Mundt/Stempel, „Das Bundeskartellamt“, in Kenning et al., Verbraucherwissenschaften, 2017, S. 573, 577.

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schender Zuchtbetreiber schädliche Immissionen verursacht, so wäre dies eine vom Bundeskartellamt zu verfolgende Verletzung des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB und (möglicherweise zugleich) eine von den zuständigen Umweltbehörden zu sanktionierende Verletzung des Immissionsschutzrechts. Die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht würde damit zu einer Art „Sektorregulierung für große Unternehmen“ umgedeutet; eine solche gibt es indes nicht. Dieser Beitrag will eine kritische dogmatisch-theoretische Untersuchung mit der Berücksichtigung praktischer Schwierigkeiten verbinden. Dogmatik und Praxisnähe sollen sich also nicht gegenseitig ausschließen. Bei der Wahl einer solchen Perspektive hat die Vita des Jubilars Pate gestanden: Prof. Dr. Dirk Schroeder gehört zu den he­ rausragenden Kartellrechtlern in Deutschland und Europa, denen die nachhaltige ­Prägung der (anwaltlichen) Praxis ebenso wie der Wissenschaft gelungen ist. Dirk Schroeder hat stets und seit langer Zeit große Kartell- und Fusionskontrollverfahren in Bonn (und zuvor Berlin) und Brüssel anwaltlich begleitet und zugleich mit seinen Kommentierungen sowie durch zahlreiche Aufsätze nachhaltig zur Herausbildung und Weiterentwicklung der deutschen und europäischen Kartellrechtsdogmatik beigetragen. Sehr eindrucksvoll sind dem Verfasser die Schriftsätze und Plädoyers in dem Verfahren Axel Springer/ProSiebenSat1 in Erinnerung geblieben: Unter Rückgriff auf einen dogmatischen Vergleich mit dem europäischen Recht überzeugte der Jubilar den Kartellsenat des Bundesgerichtshofs, unter Aufhebung der entgegengesetzten Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf auch in der deutschen Fu­ sionskontrolle eine Fortsetzungsfeststellungsklage zuzulassen.5

II. Gefahr einer zu extensiven Interpretation des Konditionen­ missbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB 1. Wachsende Bedeutung des Konditionenmissbrauchs im Wandel der Zeit Obgleich bereits die ursprüngliche Fassung des GWB von 1957 den Kartellbehörden ausdrücklich die Befugnis einräumte, Unternehmen die missbräuchliche Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung „beim Fordern oder Anbieten von Preisen oder bei der Gestaltung von Geschäftsbedingungen“ zu untersagen,6 spielte die Tatbestandsvariante des Konditionenmissbrauchs in der kartellbehördlichen Praxis lange eine untergeordnete Rolle.7 Erst in den letzten Jahren hat der Konditionenmissbrauch zunehmend Relevanz erlangt:8 Neben dem sportrechtlichen Bereich (Überprüfung der Zulässigkeit von Teilnahmebedingungen für Wettkämpfe von nationalen wie internationalen Sportver-

5 BGH, Beschluss v. 25.9.2007 – KVR 30/06 – Axel Springer/ProSiebenSat1. 6 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rz. 247. 7 Vgl. etwa Wolf in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, § 19 GWB Rz. 122; Lorenz in Berg/Mäsch, 3. Aufl. 2018, § 19 GWB Rz. 91. 8 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 182.

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bänden)9 oder der Infrastrukturnutzung10 steht insbesondere die Beurteilung der (datengetriebenen) Geschäftsmodelle der Großunternehmen der Digitalwirtschaft zur Debatte.11 Im Fokus der öffentlichen sowie kartellrechtlichen Aufmerksamkeit steht hier das im März 2016 eröffnete Verfahren des Bundeskartellamtes gegen Facebook, Inc.12 Nach der im Dezember 2017 veröffentlichten vorläufigen Einschätzung des Amtes soll die Sammlung und Verwendung von Nutzerdaten aus Drittquellen durch Facebook den Tatbestand des Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB verwirklichen:13 Die entsprechenden Konditionen seien weder nach datenschutzrechtlichen Wertungen gerechtfertigt noch nach kartellrechtlichen Maßstäben angemessen. Diese vorläufige Einschätzung hat das Amt nicht nur den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, sondern in einem „Hintergrundpapier“ auch öffentlich dargelegt.14 a) Quantitative und qualitative Konditionenkontrolle Mit Blick auf die Auslegung des Preishöhen- und Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB lassen sich, jedenfalls dem Grunde nach, methodisch15 ein quantitativer sowie ein qualitativer Ansatz unterscheiden: Mittels des quantitativen Ansatzes lässt sich die Missbräuchlichkeit von Konditionen untersuchen, indem man zunächst das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestimmt und dieses sodann mit (fiktiven), unter Wettbewerbsbedingungen zustande gekommenen Konditionen vergleicht (sog. Als-ob-Wettbewerbskonzept16). Letzteres hat der Bundesgerichtshof in seiner Leitentscheidung17 zum Konditionenmissbrauch Favorit18 entwickelt. Die ungünstige Wirkung einer Klausel kann dabei durch die günstige Wirkung anderer Konditionen oder durch die Preisgestaltung aus 9 Vgl. nur BGH, Urteil v. 7.6.2016 – KZR 6/15 – Pechstein, juris Rz. 47 f. 10 Vgl. etwa BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 2/15 – Kabelkanalanlagen oder OLG Düsseldorf, Urteil v. 12.6.2017 – VI-U (Kart) 16/13 – Einspeiseentgelte III. 11 Vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 182. 12 BKartA, Pressemitteilung zur Einleitung eines Verfahrens gegen Facebook v. 2.3.2016. 13 BKartA, Pressemitteilung „Vorläufige Einschätzung im Facebook-Verfahren: Das Sammeln und Verwerten von Daten aus Drittquellen außerhalb der Facebook-Website ist missbräuchlich“ v. 19.12.2017. 14 BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ v.  19.12.2017, S.  2 (veröffentlicht unter https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/Hintergrundpapier_Facebook. html; zuletzt abgerufen am 18.5.2018). 15 Wenn die Differenzierung zwischen einem quantitativen und einem qualitativen Ansatz (terminologisch) auch eher unüblich erscheint, soll diese hier dennoch aufgegriffen werden, um bei der kritischen Auseinandersetzung insbesondere mit Nothdurft terminologische Missverstände zu vermeiden. 16 In der Praxis werden hierzu mitunter dem betroffenen Markt sog. Referenzmärkte gegenübergestellt und die jeweiligen Konditionen verglichen (sog. Vergleichsmarktkonzept, s. auch § 19 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 GWB). 17 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rz. 254. 18 BGH, Beschluss v. 6.11.1984 – KVR 13/83 – Favorit.

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geglichen werden. Deshalb lässt sich die Frage, welche Leistung für einen Abnehmer günstiger oder ungünstiger ist, nicht auf der Grundlage des Vergleichs einzelner Geschäftsbedingungen beantworten; erforderlich ist vielmehr eine „Gesamtbetrachtung des Leistungsbündels“.19 Demgegenüber ergibt sich nach der von Nothdurft vorgeschlagenen Auslegung der den Konditionenmissbrauch konstituierende Unwertgehalt beim qualitativen Ansatz bereits aus der wertenden Betrachtung einer einzelnen Klausel, wobei außerkartellrechtliche Normverstöße und Wertungen heranzuziehen sind.20 b) Keine pauschale Bevorzugung des qualitativen Ansatzes, insbesondere nicht aus Praktikabilitätserwägungen Vertreter des qualitativen Ansatzes berufen sich insbesondere auf die neuere Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs. In den Entscheidungen VBL-Gegenwert I und II hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, bei der Prüfung des Konditionenmissbrauchs sei die gesetzliche Wertentscheidung zu berücksichtigen, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB zu Grunde liege.21 Selbst wenn damit anerkannt sein sollte, dass neben der traditionellen quantitativen Sichtweise grundsätzlich auch eine qualitative Betrachtungsweise in Betracht kommt, darf dies aber keineswegs zu einer pauschalen Aufgabe der erforderlichen (quantitativen) Gesamtwürdigung führen. Zunächst findet eine solche Auslegung jedenfalls in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Stütze; auf dessen vermeintliche Sichtweise verweist allerdings das Bundeskartellamt im Facebook-Verfahren stets unter Bezugnahme auf die Urteile in Sachen VBL-Gegenwert I und II.22 Dem ist nicht zu folgen: In VBL-Gegenwert I hat der Bundesgerichtshof (lediglich) klargestellt, dass die Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) durch marktbeherrschende Unternehmen grundsätzlich einen Missbrauch im Sinne von § 19 GWB darstellen kann.23 Diese Aussage hat der Kartellsenat in VBL-Gegenwert II sogar noch weiter relativiert. Wörtlich heißt es dort: „[N]icht jede Verwendung einer unwirksamen Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch einen Normadressaten [stellt] einen Missbrauch von Marktmacht dar.“24 Weiterhin stellt der Bundesgerichtshof in beiden Entscheidungen klar, außerkartellrechtliche 19 BGH, Beschluss v. 6.11.1984  – KVR 13/83  – Favorit, juris Rz.  23; jüngst bestätigt durch BGH, Beschluss v. 23.1.2018  – KVR 3/17  – Hochzeitsrabatte, Rz.  21; vgl. auch Thomas, NZKart 2017, 92, 98. 20 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 186. 21 BGH, Urteil v. 6.11.2013  – KZR 58/11  – VBL-Gegenwert I, Rz.  65 sowie BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II, Rz. 35. 22 So etwa in BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14), S. 5. 23 BGH, Urteil v. 6.11.2013 – KZR 58/11 – VBL-Gegenwert I, juris Rz. 65. Herausstellung hinzugefügt. 24 BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II, juris Rz. 35.

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Wertungen, etwa in Gestalt der §§ 307 ff. BGB, seien im Rahmen der Prüfung eines Konditionenmissbrauchs lediglich zu berücksichtigen, könnten also den erforderlichen Unwertgehalt allein nicht begründen.25 Erst recht lässt sich der quantitative Ansatz des Bundesgerichtshofs, der auf eine „Gesamtbetrachtung des Leistungsbündels“ abstellt, nicht unter Berufung auf kartellbehördliche Praktikabilitätserwägungen verwerfen. Nothdurft führt zur Begründung seiner dahingehenden Auffassung an, die vom Bundesgerichtshof geforderte Gesamtbetrachtung sei mit so erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden, dass der Kartellbehörde dadurch bereits die Prüfung eines Anfangsverdachts praktisch unmöglich gemacht werde. Ganz besondere Schwierigkeiten ergäben sich für den Bereich der Digitalwirtschaft, weshalb gerade hier eine (ausschließlich?) qualitative Betrachtung angezeigt sei.26 Dies ergebe sich letztlich auch aus dem Willen des Gesetzgebers, den Nothdurft in der 9. GWB-Novelle erkennen will.27 Diese Sichtweise vermag nicht zu überzeugen: Der Gesetzgeber hat §  19 GWB im Rahmen der 9. GWB-Novelle mit Blick auf die Digitalwirtschaft eben nicht angepasst und auch in den Gesetzesmaterialien keine dahingehende Aussage getroffen. Es trifft zwar zu, dass mit der Kodifizierung neuer Marktmachtkriterien in § 18 Abs. 3a GWB (auch) ein wirksamer Schutz vor Marktmacht auf digitalen Märkten intendiert ist.28 Daraus lässt sich aber nicht der allgemeine gesetzgeberische Wille ableiten, die gesamte Missbrauchskontrolle nach § 19 GWB möglichst extensiv, namentlich zulasten marktmächtiger Unternehmen der Digitalwirtschaft (aber keinesfalls darauf beschränkt) anzuwenden. Die Gesetzesbegründung belegt vielmehr den gegenteiligen Schluss: Hätte der Gesetzgeber den Handlungsspielraum der kartellbehördlichen Eingriffsverwaltung auf Grundlage von § 19 GWB erweitern wollen, so hätte er eine entsprechende Regelung getroffen und unter Rechtssicherheitserwägungen auch treffen müssen. Die tatsächlich angestrebte Effektivierung der Missbrauchsaufsicht hat der Gesetzgeber mit dem neuen § 18 Abs. 3a GWB bereits erreicht. Vor allen Dingen hat der Bundesgerichtshof mit der Favorit-Entscheidung ausdrücklich anerkannt, dass die im Rahmen des quantitativen Ansatzes vorzunehmende Gesamtbetrachtung für die Kartellbehörden mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist. Diese Schwierigkeiten können jedoch nicht den Verzicht auf die gebotene Gesamtbetrachtung rechtfertigen. Wörtlich führt der Senat aus: „Es ist zwar 25 BGH, Urteil v. 6.11.2013 – KZR 58/11 – VBL-Gegenwert I, juris Rz. 72; sowie BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II, juris Rz. 35. Vgl. dazu auch Thomas, NZKart 2017, 92, 95. 26 „Eine Gesamtbetrachtung der quantitativen Preiswürdigkeit eines Leistungsbündels von solcher Komplexität, Heterogenität und Individualität kann von vorn herein nicht gelingen. Angesichts des hohen Nutzens gerade von solchen Plattformen, die eine der Marktseiten ohne monetäre Gegenleistung bedienen, wäre eine »efficiency defence« mit vertretbarem Aufwand nicht zu entkräften“, Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 184. 27 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 185. 28 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 38.

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nicht zu verkennen, dass auf der Grundlage des dem § 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 GWB [jetzt: § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB] zugrundeliegenden Vergleichsmarktkonzepts die Feststellung eines Missbrauchs bei der Gestaltung von  Geschäftsbedingungen im Vergleich zur Preiskontrolle erheblich größere Probleme aufwirft. […] Diese Schwierigkeiten können aber nicht den Anlass dafür bilden, die gebotene Gesamtbetrachtung zu vernachlässigen.“29 Diese Auffassung trifft selbstverständlich für die Unternehmen der digitalen wie der analogen Ökonomie gleichermaßen zu. Den Praktikabilitätserwägungen, die nun von Nothdurft vorgebracht werden, hatte der Bundesgerichtshof also bereits 1984 eine Absage erteilt. Entscheidend sei vielmehr, so der Bundesgerichtshof weiter, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die für die Abnehmer nachteiligen Wirkungen einer Klausel bei einer Gesamtbetrachtung des Vertragswerkes hinreichend kompensiert würden. Der Widerspruch zur Favorit-Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird auch nicht dadurch relativiert, dass Nothdurft die zentrale Prämisse des Urteils als „erfahrungswidrig“30 qualifiziert. Im Gegenteil: Die Kritik von Nothdurft beruht auf der Überlegung, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen bei kaufmännisch vernünftigem Verhalten typischerweise keine Veranlassung sehe, einzelne überschießende Konditionen an anderer Stelle durch ein besonderes Entgegenkommen zu kompensieren.31 Damit wird zumindest implizit unterstellt, marktbeherrschende Unternehmen verfügten bei der Ausgestaltung ihrer Konditionen über einen gewissermaßen unbegrenzten Verhaltensspielraum. Das kann jedoch nicht pauschal behauptet werden. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen und festzustellen, ob den Kunden Ausweichalternativen zur Verfügung stehen, also ob eine zu einseitige Gestaltung der Konditionen zulasten der Kunden/Nutzer zu einer erheblichen Kundenabwanderung führt. Dies gilt auch und insbesondere für digitale Märkte: Das Phänomen der unentgeltlichen digitalen Geschäftsmodelle unterstreicht die Favorit-Prämissen: Selbst wenn man etwa die Datensammlung und -verwendung sowie die diesen vorausgehenden Vertragsbedingungen durch digitale Anbieter wie Facebook oder Google für (datenschutzrechtlich) problematisch erachten wollte, muss man doch einräumen, dass etwaige Nachteile aus Sicht der Nutzer durch die Unentgeltlichkeit digitaler Dienstleistungen zumindest teilweise kompensiert werden. Bereits die Annahme solcher Nachteile erscheint mit Blick auf die Charakteristika personenbezogener Daten nicht unproblematisch, zeichnen sich diese doch gerade durch ihre Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität aus. Selbst marktmächtige Unternehmen haben Veranlassung, „überschießende“ Konditionen durch ein „Entgegenkommen“ an anderer Stelle auszugleichen.

29 BGH, Beschluss v. 6.11.1984 – KVR 13/83 – Favorit, juris Rz. 23; Hervorhebungen durch den Verfasser. 30 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 184. 31 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 184.

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c) Zweifel gehen zulasten der Kartellbehörde (in dubio pro libertate) Bleiben im Ergebnis Zweifel in Bezug auf die etwaige Missbräuchlichkeit einer Konditionengestaltung, so müssen diese Zweifel zulasten der Kartellbehörde gehen. Anders ausgedrückt: Im Zweifel ist zugunsten der (jedenfalls durch Art.  2 Abs.  1 GG geschützten) unternehmerischen Freiheit zu entscheiden (in dubio pro libertate). Dieser allgemeine Rechtssatz hat durchaus praktische Implikationen. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits in der Favorit-Entscheidung mustergültig hervorgehoben. Schwierigkeiten bei der (Aus-)Ermittlung eines Kartellrechtsverstoßes durch die Kartellbehörde dürften nicht zu einem reduzierten Untersuchungsumfang führen, bei dem (mögliche) Umstände, die für die Zulässigkeit einer unternehmerischen Geschäftspraktik sprechen könnten, außer Acht blieben.32 In Kenntnis der praktischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung komplexer ökonomischer Sachverhalte hat der Gesetzgeber die Ermittlungstätigkeit der Kartellbehörde33 etwa dadurch erleichtert, dass er die Marktbeherrschungsvermutungen geschaffen hat (vgl. § 18 Abs. 4 und Abs. 6 GWB) oder bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit der Abweichung von wettbewerbsanalogen Gestaltungen ausreichen lässt (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Zusätzliche Erleichterungen bei der Beweisführung und Feststellung der einzelnen den Missbrauch konstituierenden Umstände können der Kartellbehörde als Teil der Eingriffsverwaltung nicht zugebilligt werden.34 Dass (verbleibende) Zweifel zulasten der Behörde gehen, ist für den Bereich der Eingriffsverwaltung allgemein anerkannt und setzt die zentrale Wertentscheidung des Grundgesetzes in Art. 2 Abs. 1 GG um. Diese Erwägungen müssen für das Kartellverfahren als besonders grundrechtsintensive Eingriffsverwaltung in besonderem Maße gelten, was sich auch aus der (strengen) Bindung des Bundeskartellamtes an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt.35 Überdies schließt der im Kartellverwaltungsverfahren geltende Untersuchungsgrundsatz die Belastung der Beteiligten mit einer subjektiven Beweislast36 bereits systematisch aus37 oder noch pointierter ausgedrückt: „Im Verfahren der staatlichen Eingriffsverwaltung eine dem entgegenstehende Beweislastregel anneh32 BGH, Beschluss v. 6.11.1984 – KVR 13/83 – Favorit, juris Rz. 23: „Diese Schwierigkeiten können aber nicht den Anlass dafür bilden, die gebotene Gesamtbetrachtung zu vernachlässigen.“ 33 Freilich geht damit auch eine Erleichterung der Untersuchungstätigkeit des Beschwerdegerichts einher, zumal den Kartellsenaten bei der Untersuchung komplexer ökonomischer Sachverhalte engere Grenzen gesetzt sind, als den Kartellbehörden, vgl. dazu Kruse, NZKart 2017, 432, 435. 34 BGH, Beschluss v. 6.11.1984 – KVR 13/83 – Favorit, juris Rz. 23. 35 Vgl. Wolf in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, § 19 GWB Rz. 11: „Die besondere Bedeutung der Grundrechte wird daher vor allem zur Begrenzung der Verfügungen der Kartellbehörden wirksam. Diese dürfen nicht weiter gehen, als es der Zweck der Regelungen verlangt und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Positionen der Betroffenen sowie der Verfügungsadressaten entspricht.“ 36 Freilich gelten auch im Kartellverfahren die Regeln der materiellen Beweislast  – bei der materiellen Beweislast handelt es sich aber um kein Problem des Kartellverfahrens, sondern des materiellen Kartellrechts und seiner Auslegung/Anwendung. 37 Schneider in Langen/Bunte, § 57 GWB Rz. 18.

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men zu wollen, die zudem noch den Grundsatz der Amtsermittlung in sein Gegenteil verkehrte, hieße, das Rechtsstaatssystem überhaupt infrage zu stellen.“38 Mit Blick auf das Vorstehende erscheint daher die Schlussfolgerung von Nothdurft nicht zutreffend: „[Der] in ständige[r] Rechtsprechung verwandte[n] Formel von der »auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes« […] kommt häufig die Rolle eines »in dubio pro libertate« zu, wobei die Freiheit als Freiheit von Machtausübung zu verstehen ist, nicht als Freiheit zur Machtausübung.“39 Dies trifft allenfalls auf Grundrechtskollisionen zu, d.h. auf Situationen, in denen sich zwei Private (als Grundrechtsträger) gegenüberstehen.40 2. Materiell-rechtliche Grenzen einer qualitativen Begründung des ­Konditionenmissbrauchs Drängend erscheint insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem sogenannten qualitativen Konditionenmissbrauch, genauer der Herleitung des missbräuchlichen Charakters von Konditionen unter Heranziehung außerkartellrechtlicher Wertungen und Normverstöße. Nothdurft stellt in seiner Kommentierung diesen Ansatz als das Mittel der Wahl für die kartellbehördliche Praxis dar.41 Auch das Bundeskartellamt scheint ihn für seine Praxis übernehmen zu wollen. Da­ rauf deuten zumindest die öffentlichen Verlautbarungen des Amtes hin, die in letzter Zeit (insbesondere im Zusammenhang mit dem Facebook-Verfahren) erfolgt sind.42 Vor diesem Hintergrund gilt es aufzuzeigen, welche Grenzen das materielle Kartellrecht einem solchen qualitativen Ansatz setzt.

38 Axster/Weber, GRUR 1981, 365, 372. 39 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 6. 40 Wobei es nicht einmal dann durchgreifen dürfte. Ausgangspunkt ist stets das freie Spiel der Marktteilnehmer. Begehrt nun einer (der Marktteilnehmer) eine Änderung des status quo (zulasten anderer Teilnehmer), so muss er dies hinreichend begründen – im Zivilprozess ist das der Beibringungsgrundsatz als prozedurale Fortsetzung der Darlegungs- und Beweislast; im behördlichen Verwaltungsverfahren hingegen der Untersuchungsgrundsatz (im Hintergrund steht das Rechtsstaatsprinzip in seinen Ausprägungen Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes). Gelingt die Begründung nicht mit der erforderlichen Gewissheit, bleiben also (letzte) Zweifel (sog. non liquet), gehen diese zu Gunsten des status quo – eine staatlich (vermittelte) Freiheitsbeschränkung muss also unterbleiben (in dubio pro libertate). 41 „Erfolgversprechender – und daher auch praktisch relevant – ist im Bereich des Konditionenmissbrauchs der qualitative Ansatz […]“, Nothdurft in Langen/Bunte, §  19 GWB Rz. 186. 42 Vgl. BKartA, Pressemitteilung zur Einleitung eines Verfahrens gegen Facebook v. 2.3.2016; BKartA Pressemitteilung „Vorläufige Einschätzung im Facebook-Verfahren: Das Sammeln und Verwerten von Daten aus Drittquellen außerhalb der Facebook-Website ist missbräuchlich“ v. 19.12.2017, sowie BKartA, „FAQ Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14).

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a) Ausgangspunkt: Einbeziehung außerkartellrechtlicher Wertungen und Normverstöße zur Begründung des Ausbeutungsmissbrauchs nur sehr ­begrenzt möglich Wie auch Nothdurft zutreffend erkennt, läuft der von ihm präferierte qualitative Ansatz auf die Frage hinaus, ob und in welchem Maße außerkartellrechtliche Wertungen und/oder Normverstöße einen Missbrauch im Sinne des §  19 Abs.  1, Abs.  2 Nr.  2 GWB begründen können.43 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist ein solcher Rückgriff jedoch nur in sehr begrenztem Maße möglich. aa) Einbeziehung grundsätzlich nur auf Rechtfertigungsebene Eine Einbeziehung außerkartellrechtlicher Wertungen ist primär der Rechtfertigungsebene (als der zweiten Prüfungsstufe) vorbehalten: In konzeptioneller Hinsicht gilt es bei der Prüfung des Konditionenmissbrauchs zwischen der Feststellung einer prima facie kartellrechtlich zu missbilligenden Verhaltensweise und der Frage nach einer möglichen sachlichen Rechtfertigung zu differenzieren. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Ebenen gilt unabhängig davon, ob man den Konditionenmissbrauch auf §  19 Abs.  2 Nr.  2 GWB und/oder auf die Generalklausel des §  19 Abs. 1 GWB stützen will.44 Sie ist auch keineswegs rein akademischer Natur: Während im Kartellverwaltungsverfahren der Nachweis der prima facie gegebenen kar­ tellrechtlichen Missbilligung allein der Kartellbehörde obliegt, hat das marktbe­ herrschende Unternehmen hinsichtlich der tatsächlichen Umstände, die es für eine sachliche Rechtfertigung in Anspruch nimmt, zumindest eine gewisse Mitwirkungspflicht.45 Nach Auffassung von Nothdurft ergibt sich bereits das Unwerturteil im Rahmen des Konditionenmissbrauchs auch aus dem Ergebnis einer Interessenabwägung, und zwar unmittelbar abgeleitet aus der Pechstein-Entscheidung des Bundesgerichtshofs.46 Dies vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung auf die erste Tatbestandsebene nicht eingeht, ja sogar ausdrücklich offenlässt, ob das kartellrechtliche Missbrauchsverbot überhaupt anwendbar ist, weil ein etwaiger Verstoß jedenfalls sachlich gerechtfertigt wäre.47 43 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 187. 44 So stellt der BGH ausdrücklich fest, dass eine Interessenabwägung in beiden Fällen erforderlich ist (weshalb er auch die Frage offenlässt, ob sich ein Konditionenmissbrauch sowohl auf Abs. 1 als auch auf Abs. 2 Nr. 2 stützen lässt), BGH, Urteil v. 7.6.2016 – KZR 6/15 – Pechstein, insb. juris Rz. 48. 45 Dies gilt jedenfalls für solche Umstände, die sich im Tätigkeitsbereich des Unternehmens und weitgehend außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeiten der Kartellbehörde befinden; vgl. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rz. 280. 46 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 130: „Auch im Rahmen des Ausbeutungsmissbrauchs kann sich daher ein Unwerturteil bezüglich der Forderungen des Norm­adressaten aus dem Ergebnis einer Interessenabwägung ergeben (explizit: BGH, 07. 06. 2016 – KZR 6/15, »Pechstein/International Skating Union«, WuW 2016, 364 Rn. 48, 51 […].“ 47 BGH, Urteil v. 7.6.2016 – KZR 6/15 – Pechstein, juris Rz. 47. Wörtlich formuliert der Kartellsenat: „Ob die Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots ausgeschlos-

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bb) In der Regel kein Rückgriff auf Grundrechte, insbesondere im Datenschutz Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass außerkartellrechtliche Wertungen nicht den für die Tatbestandsverwirklichung notwendigen Unrechtsgehalt konstituieren können, sondern lediglich in die – erst anschließend vorzunehmende – Interessenabwägung einfließen. Das Bundeskartellamt meint demgegenüber,48 grundrechtliche Wertungen dennoch in die Tatbestandsprüfung einbeziehen zu können. Indes verfängt ein Rekurs auf die Grundrechte bereits deshalb nicht, weil die Grundrechte in dem hier maßgeblichen Kontext nicht anwendbar sind. Beim Konditionenmissbrauch geht es um die Ausgestaltung eines Privatrechtsverhältnisses (keine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte). Auch ein Einstrahlen der Grundrechte im Wege der sogenannten mittelbaren Drittwirkung dürfte im Rahmen des Konditionenmissbrauchs regelmäßig nicht in Betracht kommen. Die mittelbare Drittwirkung knüpft nämlich an eine Schutzpflicht des Staates an und setzt daher voraus, dass auch eine Schutzpflichtlage vorliegt, etwa mit Blick auf den Schutz (personenbezogener) Daten. Wörtlich ist das so formuliert worden: „Andererseits kann sich der Staat  – auch in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten  – veranlasst sehen, zum Schutze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung privaten Aktivitäten Schranken zu setzen […]. Sofern eine Schutzpflichtlage besteht, muss der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die geeignet sind, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch vor Beeinträchtigungen von privater Seite zu bewahren.“49 Seiner Schutzpflicht dürfte der Staat in aller Regel aber bereits durch den Erlass der jeweiligen außerkartellrechtlichen Normen hinreichend nachgekommen sein, so insbesondere im Datenschutz durch die europäischen und innerstaatlichen Regelungen. b) Implikationen für die Auslegung des Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB Diese Grundlagen sind mit Blick auf die Auslegung des Konditionenmissbrauchs insbesondere unter zwei Gesichtspunkten von Relevanz: Sie zeigen die Grenzen einer „allgemeinen Rechtsbruchtheorie“ auf und bewirken, dass marktbeherrschende Unternehmen bei der Konditionengestaltung keinem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot unterliegen.

sen ist […] kann dahinstehen. Denn jedenfalls stellt das Verhalten […] bei einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen keinen Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung dar.“ 48 BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14), S. 5. 49 Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 81. EL September 2017, Art. 2 Abs. 1 GG Rz. 189.

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aa) Verstoß gegen außerkartellrechtliche Normen („Rechtsbruch“) allein nicht ausreichend Zunächst vermag ein (bloßer) Verstoß gegen außerkartellrechtliche Normen den für den Konditionenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB erforderlichen Unwertgehalt nicht zu begründen. Eine allgemeine Rechtsbruchtheorie, wonach jeglicher Rechtsverstoß eines marktbeherrschenden Unternehmens ohne weiteres einen Missbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB begründen könnte, existiert nicht. Anders gewendet: §  19 GWB ist kein zusätzliches Durchsetzungsverfahren für außerkartellrechtliche Vorschriften gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen.50 Hier sei noch einmal an das bereits in der Einleitung genannte Beispiel erinnert: Ein Verstoß eines Zuchtbetreibers gegen Immissionsschutzrecht wird nicht etwa dadurch zu einem Kartellrechtsverstoß, wenn es sich bei dem Betreiber um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt. Die gegenteilige Sichtweise Nothdurfts51 und des Bundeskartellamtes im Facebook-Verfahren52 ist unvereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs,53 der kartellrechtlichen Dogmatik und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Nicht zutreffend scheint insbesondere der Versuch von Nothdurft, das Konzept des „Als-­obWettbewerbs“ für die von ihm präferierte Lösung zu aktivieren.54 Nothdurft meint, ein Widerspruch zum Konzept des „Als-ob-Wettbewerbs“ trete „auch dann nicht ein, wenn – im Sinne einer Art »così fan tutte-Defence« – Verstöße gegen die in Rede stehenden außerkartellrechtlichen Normen auch von nicht marktmächtigen Wett­ bewerbern des Normadressaten oder von Unternehmen auf nicht vermachteten Vergleichsmärkten an den Tag gelegt würden“.55 Damit verkehrt er das Konzept des 50 So auch Fuchs in Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rz. 85. 51 „Das normative Unwerturteil eines missbräuchlichen Verhaltens wird dann bereits ge­ tragen von den Wertungen des außerkartellrechtlichen Gesetzesrechts, gegen die der ­Normadressat mit seinen Forderungen verstößt, ohne dass es des ergänzenden Rückgriffs auf genuin kartellrechtliche Wertungen bedarf “, Nothdurft in Langen/Bunte, §  19 GWB Rz. 193. 52 „Der Bundesgerichtshof hat hier eine Rechtsprechung entwickelt, wonach die Unangemessenheit von Konditionen auch anhand von Wertungen des Zivilrechts, etwa des AGBRechts, oder anhand einer grundrechtlichen Interessenabwägung überprüft werden kann. Dies gilt für alle gesetzlichen Wertungen, die den Schutz einer Vertragspartei in einer ungleichgewichtigen Vertragsposition bezwecken. Hieran anknüpfend prüft das Bundeskartellamt die Vertragskonditionen Facebooks anhand datenschutzrechtlicher Wertungen“, BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14), S. 4, mit Verweis auf die BGH-Rechtsprechung in den VBL-Gegenwert-Urteilen. 53 Vgl. BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II, juris Rz. 35: „[N]icht jede Verwendung einer unwirksamen Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch einen Normadressaten [stellt] einen Missbrauch von Marktmacht dar“ – was Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 193 ebenfalls einräumt. 54 In concreto will er einen „Nexus zum Konzept des „Als-ob-Wettbewerbs“ und den davon geprägten Regelbeispielen des § 19 Abs. 2 Nr. 2 und 3 […] herstellen […]“, Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 196. 55 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 196.

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„Als-ob-Wettbewerbs“ letztlich in sein Gegenteil: Das entsprechende Verhalten ist selbstverständlich auch einem marktbeherrschenden Unternehmen untersagt, wenn es einschlägige außerkartellrechtliche Regelungen gibt. Dann kommen aber nur diese Regelungen zur Anwendung. Wenn sich auch andere Unternehmen unabhängig von Marktbeherrschung oder sonstigen Wettbewerbsbedingungen entsprechend verhalten (können), handelt es sich aber nicht zusätzlich um ein kartellrechtsrelevantes Regelungsproblem. Das Kartellrecht – und insbesondere die Missbrauchsaufsicht – ist dann nicht einschlägig. Auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung verfängt bei näherer Prüfung nicht.56 Normativer Gehalt kommt diesem Topos lediglich in seiner Gestalt als Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu.57 Demnach verpflichtet „[d]as Rechtsstaatsprinzip […] alle rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen“.58 Auf die hier interessierenden Fragen gewendet bedeutet dies: Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung läge nur dann vor, wenn der Norm­ adressat nach §  19 Abs.  1, Abs.  2 Nr.  2 GWB zu einer Konditionengestaltung verpflichtet werden würde, die gegen AGB-Recht oder datenschutzrechtliche Vorgaben verstieße. bb) Konditionengestaltung des Normadressaten unterliegt auch keinem ­allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot Der Konditionenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB unterwirft das marktbeherrschende Unternehmen auch keinem allgemeinem Verhältnismäßigkeitsgebot.59 Dies ergibt sich bereits aus dem der unternehmerischen Handlungsfreiheit erwachsenden Grundsatz, wonach das Missbrauchsverbot den Normadressaten grundsätzlich nicht daran hindert, seine Konditionen nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet, ohne eine Verhältnismäßigkeit der Mittel prüfen zu müssen.60 Eine solch weitgehende Beschränkung der verfassungsrechtlich verbürgten unternehmerischen Handlungsfreiheit lässt sich auch nicht unter Heranziehung der für den Behinderungsmissbrauch geltenden Grundsätze herleiten. Nothdurft will dies mit der 56 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 197: „Im Rahmen der Interessenabwägung wird sich der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung in aller Regel dahingehend auswirken, dass der direkte Bruch positiven Rechts durch einen Normadressaten bereits für sich genommen auch das kartellrechtliche Unwerturteil […] trägt, welches die Anwendung von § 19 rechtfertigt.“ 57 Vgl. BVerfG, Urteil v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106, 118 ff.; BVerfG, Urteil v. 7.5.1998 – 2 BvR 1876/91 u. a., BVerfGE 98, 83, 97; weiterhin auch Sodan, JZ 1999, 864, insb. 864 f. 58 BVerfG, Urteil v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106, 118 f. 59 Anders Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 129. 60 Vgl. BGH, Urteil v. 31.1.2012 – KZR 65/10, juris Rz. 29.

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Begründung annehmen, es sei nicht ersichtlich, „warum der Normadressat gegenüber seinen Lieferanten und Abnehmern einen weiteren (Fehl-) Verhaltensspielraum erhalten sollte, als gegenüber seinen Wettbewerbern.“61 Selbst wenn man einmal davon absieht, dass die Differenzierung zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Schutzrichtung im Kartellrecht anerkannt ist, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Der maßgebliche Grund, warum eine Heranziehung der für den Behinderungsmissbrauch geltenden Grund-sätze auf den Ausbeutungsmissbrauch (in Gestalt des Konditionenmissbrauchs) ausscheiden muss, ist nicht primär deren unterschiedliche Schutzrichtung, sondern vielmehr das den spezifischen Unwertgehalt konstituierende tatbestandsmäßige Verhalten. So beruht der Behinderungsmissbrauch bereits im Ausgangspunkt auf der Unterscheidung zwischen erlaubten und wünschenswerten wettbewerblichen Vorstößen des Normadressaten (Leistungswettbewerb) und verbotenem Missbrauch seiner Marktmacht (Nichtleistungswettbewerb). Der Unwertgehalt ergibt sich hier also bereits (prima facie) aus dem Verhalten als solchem, sodass in dem nächsten Schritt die Interessenabwägung vorzunehmen ist. Beim Konditionenmissbrauch hingegen ist die Handlung als solche – das Fordern von Konditionen – stets ein erlaubtes und wünschenswertes wettbewerbliches Handeln. Der Unwertgehalt kann sich hier erst aus der jeweiligen Ausgestaltung der Konditionen ergeben, wobei eine Vergleichsbetrachtung vorzunehmen ist.62 Diese Wertung darf auch nicht durch Rückgriff auf die Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB unterlaufen werden. Zwar sind die Regelbeispiele nicht abschließend, sodass neben diesen (stets) auch noch die Generalklausel in Betracht kommt. Jedoch lässt die Gesamtschau von Regelbeispielen und Generalklauseln eine Wertentscheidung des Gesetzgebers erkennen:63 Dieser hat sich bewusst dafür entschieden, nicht lediglich eine Generalklausel einzuführen, sondern diese (im Interesse der unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gebotenen Vorhersehbarkeit staatlicher Grundrechtseingriffe) durch einen Katalog von Regelbeispielen zu flankieren. Der Regelungsplan des Gesetzgebers darf nicht durch einen extensiven Rückgriff auf die Generalklausel unterlaufen werden. c) Kausalitätserfordernis Eine weitere Restriktion erfährt der Konditionenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB, insbesondere in seiner qualitativen Spielart, durch das tatbestandsimmanente Kausalitätserfordernis. Nur auf diese Weise lässt sich die gebotene res­ 61 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 129. 62 Vgl. Lorenz in Berg/Mäsch, 3. Aufl. 2018, § 19 GWB Rz. 91 sowie Wolf in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, § 19 GWB Rz. 122. 63 Dies ist auch der Hintergrund des allgemein anerkannten Auslegungsgrundsatzes, wonach sich aus einem Katalog von Regelbeispielen zumindest Anhaltspunkte für die Auslegung der jeweiligen Generalklausel ergeben, vgl. etwa Fuchs in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rz. 8.

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triktive Auslegung des Tatbestands gewährleisten und einer Entgrenzung der kartellbehördlichen Missbrauchskontrolle vorbeugen. aa) Tatbestandsrestriktion unter Berücksichtigung der ratio legis des § 19 GWB Um einer Entgrenzung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots Einhalt zu gebieten, sind unterschiedliche dogmatische Wege zu einer Tatbestandsrestriktion denkbar. Nothdurft will den Fokus auf die jeweils betroffenen außerkartellrechtlichen ­Normen richten und zwischen Normen mit kartellrechtlicher Relevanz und solchen, deren Verletzung im Rahmen des § 19 GWB nicht den erforderlichen Unwertgehalt konstituieren kann, unterscheiden.64 Dieser Ansatz läuft – ähnlich wie bei § 3a UWG – auf eine Abgrenzungsfrage hinaus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allerdings im Einzelfall – und nicht etwa nur im Hinblick auf bestimmte Kategorien von Normen – danach zu fragen, ob ein hinreichender Markt- und Machtbezug einer bestimmten Verhaltensweise gegeben ist. Wörtlich heißt es: „Zwar stellt nicht jede Verwendung einer unwirksamen Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch einen Normadressaten einen Missbrauch von Marktmacht dar. Ein Missbrauch liegt aber insbesondere vor, wenn die Vereinbarung der unwirksamen Klausel Ausfluss der Marktmacht oder der großen Machtüberlegenheit des Verwenders ist […].“65 Dem ist zuzustimmen: Das Kartellrecht ist weder ein allgemeines noch ein zusätzliches Rechtsdurchsetzungsinstrument für bestimmte (Gruppen von) außerkartellrechtliche(n) Normen. Mit seinem grundrechtsintensiven Rechtsfolgenarsenal kann es nur dann aktiviert werden, wenn die durch den erforderlichen Markt- und Machtbezug charakterisierte, kartellrechtsspezifische Gefährdungslage gegeben ist. bb) Sog. normative Kausalität als vollständige Aufgabe des ­Kausalitätserfordernisses Der demnach erforderliche Markt- und Machtbezug ist nur dann anzunehmen, wenn zwischen dem Verstoß gegen eine außerkartellrechtliche Norm und der marktbeherrschenden Stellung des jeweiligen Unternehmens ein hinreichender Kausalzusammenhang besteht. Damit muss die Frage beantwortet werden, wie genau dieser Zusammenhang beschaffen sein sollte, d.h. welche Art der Kausalität erforderlich ist. Nothdurft will eine „normative Kausalität“ ausreichen lassen. Diese soll bereits dann zu bejahen sein, „wenn die zu beurteilenden Verhaltensweisen anderen Unternehmen im Wettbewerb zwar möglich sind, sie dann aber nicht die besonders schädlichen potenziellen Auswirkungen haben, wie sie bei besonderer Marktmacht festgestellt 64 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 202 – allerdings zieht er nicht die notwendigen Schlüsse in Richtung einer restriktiven Handhabung des § 19 GWB. 65 BGH, Urteil v. 24.1.2017  – KZR 47/14  – VBL-Gegenwert II, juris Rz.  35; Herausstellung hinzugefügt.

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werden.“66 Damit führt allerdings im Ergebnis jedweder Normverstoß des Marktbeherrschers zu dem erforderlichen Unwertgehalt. Aufgrund der Unternehmensgröße und des – per definitionem – hohen Marktanteils hat das Verhalten eines Marktbeherrschers immer gravierendere Auswirkungen als das Verhalten von anderen (nicht marktbeherrschenden) Unternehmen. In der Sache wird das Kausalitätserfordernis also vollständig aufgegeben. Der Hinweis auf eine „così fan tutte-Defence“ geht fehl: Damit wird der Eindruck erweckt, rechtswidriges Verhalten marktmächtiger Unternehmen würde (in der Praxis) damit gerechtfertigt, auch andere Unternehmen handelten rechtswidrig. Dass eine derartige Rechtfertigung nicht durchgreifen kann, liegt auf der Hand. Darum geht es aber auch nicht. Vielmehr muss das Bundeskartellamt erst einmal begründen, dass ein angeblicher Verstoß gegen außerkartellrechtliche Normen einen Kartellrechtsverstoß begründet. Das setzt einen Kausalzusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Normverstoß voraus. cc) Erfordernis einer strikten Kausalität für § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, Nr. 2 und Nr. 3 GWB Im Schrifttum wird überwiegend davon ausgegangen, eine Anwendung des § 19 GWB komme nur unter der (einschränkenden) Bedingung in Betracht, dass die marktbeherrschende Stellung conditio sine qua non für die Durchsetzung des zu missbilligenden Marktverhaltens sei (sog. strikte Kausalität). Diese zutreffende Auffassung67 steht, anders als Nothdurft und das Bundeskartellamt meinen, auch im Einklang mit den VBL-Gegenwert-Entscheidungen68 des Bundesgerichtshofs. In diesen Entscheidungen ging der Senat davon aus, dass ein Verstoß ge66 Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 211. Dieses „Kausalitäts“-Verständnis ­vertritt auch das BKartA im Facebook-Verfahren, wie sich jedenfalls mittelbar aus ­ BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14) ergibt. Dort heißt es auf S. 4 f.: „Wo liegt der Schaden für den Nutzer und den Wettbewerb? (…) Durch die Marktmacht kann sich der Nutzer der Datenzusammenführung auch nicht entziehen.“ Das Amt stellt also – ganz im Sinne Nothdurfts – auf einen behaupteten Kausalzusammenhang zwischen der angeblichen Marktmacht und den angeblichen schädlichen Auswirkungen ab. 67 Das Erfordernis einer strikten Kausalität gilt dabei unabhängig davon, ob man den Konditionenmissbrauch auf das Regelbeispiel des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB oder den Grundtatbestand des § 19 Abs. 1 GWB stützt. Der Kausalzusammenhang zwischen Konditionenausgestaltung und marktbeherrschender Stellung stellt nämlich einen Grundgedanken der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle dar. Wie der EuGH bereits 1978 formuliert hat, erfordert der Tatbestand des Ausbeutungsmissbrauchs, dass ein Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung „die sich daraus ergebenden Möglichkeiten genutzt hat, um geschäftliche Vorteile zu erhalten, die [es] bei normalen und hinreichend wirksamen Wett­ bewerb nicht erhalten hätte.“, EuGH, Urteil v. 14.2.1978  – C-27/76  – United Brands v Commission, Rz. 248. 68 BGH, Urteil v. 6.11.2013 – KZR 58/11 – VBL-Gegenwert I; BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II.

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gen die Wertungen des AGB-Rechts (lediglich) aufgrund der besonderen Einzelfall­ umstände einen Konditionenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB begründen könne, nämlich wenn ein Kausalzusammenhang zwischen den verwendeten AGB und der marktbeherrschenden Stellung ihres Verwenders bestehe.69 In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war genau dies der Fall: Durch die streitgegenständlichen Vertragsbestimmungen, ausweislich derer bei Kündigung des Vertrages ein „Gegenwert“ von mehreren Millionen Euro zu entrichten war, wurden die beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes als Vertragspartner der marktbeherrschenden Versicherungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in ihren Kündigungsmöglichkeiten beschränkt. Der im Falle einer Kündigung zu entrichtende Betrag belief sich dabei auf Summen von ca. 23 Millionen Euro (VBL-Gegenwert I) und ca. 2,2 Millionen Euro (VBL-Gegenwert II). Vor diesem Hintergrund bewirkten die Klauseln eine erhebliche (faktische) Bindung an den Vertrag, indem sie die Beendigung der Vertragsbeziehung mit der VBL „unangemessen erschwer[t]en“.70 Allein mit Blick auf die darin liegende erhebliche Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit hat der Bundesgerichtshof angenommen, die unangemessene Ausgestaltung der Klauseln sei unmittelbar kausal auf die Marktmacht der VBL zurückzuführen. Aus den Entscheidungen lässt sich indes nicht herleiten, der Bundesgerichtshof habe eine neue Kategorie des Konditionenmissbrauchs schaffen wollen, bei der auf das Kausalitätserfordernis verzichtet werden könne. Eine strikte Kausalität ist jedenfalls in solchen Fällen erforderlich, in denen es – wie etwa im Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes – um die Unbilligkeit von vertraglichen Klauseln geht, die nicht zu einer (unmittelbaren) Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit führen. Im Facebook-Verfahren bedarf es also des Nachweises, dass die (angenommene) marktbeherrschende Stellung von Facebook conditio sine qua non für die Durchsetzung der vom Bundeskartellamt missbilligten Klauseln ist.71 Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamtes ist dies bereits deshalb zu verneinen, weil die überwiegende Mehrzahl der sozialen Netzwerke oder anderer vergleichbarer Anbieter eine identische oder ähnliche Sammlung und Verwendung von Nutzerdaten praktiziert, und zwar unabhängig davon, ob diese Anbieter nun über eine marktbeherrschende Stellung verfügen oder nicht. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die entsprechende Daten-Praxis nicht Folge einer marktbeherrschenden Stellung sein kann, sondern es vielmehr eine Alternativursache gibt, die in der Sphäre der Nutzer zu suchen ist. So wird etwa unter dem Stichwort Privacy Calculus72 diskutiert, dass Datenschutz für Verbraucher keinen absoluten Wert darstellt; 69 Thomas, NZKart 2017, 92, 96. 70 BGH, Urteil v. 24.1.2017 – KZR 47/14 – VBL-Gegenwert II, juris Rz. 35. 71 In diesem Sinne auch Körber, ZUM 2017, 93, 100: „Würden die AGB aber genauso akzeptiert, wenn Facebook keine Marktmacht hätte, so hätten wir grundsätzlich kein Kartellrechtsproblem vor uns, sondern »nur« ein AGB-Problem, das auch auf der Basis des AGBRechts gelöst werden sollte.“ 72 Die Annahme des Phänomens ruht mittlerweile auf einer breiten empirischen Grundlage, vgl. nur Acquisti/Taylor/Wagman „The Economics of Privacy“, Journal of Economic Literature 54 (2016), S. 442 ff.; Acquisti/John/Loewenstein „What is privacy worth?“, Journal of Legal Studies 42 (2013), S. 249 ff.

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vielmehr wägen sie intuitiv ab zwischen Datenschutzbelangen und etwaigen Vorteilen, die aus einer Preisgabe von Daten resultieren können. Das hat aber nichts mit marktmachtbedingter Ausbeutung zu tun. Es fehlt an der erforderlichen Kausalität zwischen Marktmacht und behaupteten Verstößen gegen das Datenschutzrecht. 3. Kompetenzielle Grenzen einer qualitativen Begründung des Konditionenmissbrauchs Neben den geschilderten materiell-rechtlichen Grenzen unterliegt der Rückgriff auf außerkartellrechtliche Normen und Wertungen im Rahmen einer qualitativen Begründung des Konditionenmissbrauchs auch kompetenziellen Restriktionen. Sofern die Kartellbehörde ihren Vorwurf auf (vermeintliche) außerkartellrechtliche Normverstöße stützt, berührt sie damit stets auch den Kompetenzbereich der für die Durchsetzung dieser Normen jeweils zuständigen Behörde: Die Vermischung materiell-rechtlicher Maßstäbe zieht also eine Verletzung der behördlich-funktionalen Aufgabenzuweisung nach sich, in deren Folge Kompetenzkonflikte und einander widersprechende Entscheidungen drohen.73 Mit Blick auf diese Gefahr kann es grundsätzlich auch nicht darauf ankommen, ob die Kartellbehörde einen Verstoß gegen außer­ kartellrechtliche Normen oder lediglich gegen außerkartellrechtliche Wertungen annimmt. Maßgeblich ist allein, ob sie den behaupteten Kartellrechtsverstoß außerkartellrechtlich begründet und einem entsprechenden Prüfungsprogramm folgt. Nach erster Erfahrung kann dabei nicht auf die Zurückhaltung der Kartellbehörden vertraut werden.74 Das Gegenteil zeigt bereits das Bundeskartellamt im Facebook-­ Verfahren mit seiner dort vertretenen Auffassung, der Kartellbehörde komme im Rahmen der Missbrauchsaufsicht die „originäre Aufgabe“75 einer Durchsetzung des Datenschutzrechts gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen zu. Für die Durch­ setzung von Datenschutz- und Verbraucherrecht fehlt es der Kartellbehörde allerdings an der nötigen, gesetzlich zugewiesenen Kompetenz: Eine solche Kompetenzzuweisung war vom Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle ausdrücklich nicht gewollt und würde im Hinblick auf das Datenschutzrecht auch gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen. 73 Vgl. auch Thomas, NZKart 2017, 92, 98. 74 So aber Nothdurft in Langen/Bunte, § 19 GWB Rz. 201: „Zu lösen ist es dort wie hier dahingehend, dass die Ausübung der jeweiligen Kompetenzen mit Umsicht erfolgt und die in Rede stehenden Behörden durch Kooperation und Koordination insbesondere positive Kompetenzkonflikte vermeiden. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür hat der Gesetzgeber gerade im Bereich des Datenschutzes mit der 9. GWB-Novelle 2017 geschaffen.“ 75 Wörtlich heißt es in BKartA, „FAQ-Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (vgl. Fn. 14), S. 3 und 6: „Hinsichtlich der Datenverarbeitungskonditionen von marktbeherrschenden Unternehmen hat die Kartellbehörde daher eine originäre Aufgabe, die von Datenschutzbeauftragten nicht erfüllt werden kann. […] [Das Bundeskartellamt] prüft die Datenverarbeitungskonditionen von Facebook auf ihre Angemessenheit anhand der harmonisierten europäischen Datenschutzwertungen insbesondere nach der verabschiedeten, in den Mitgliedstaaten ab Mai 2018 unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) […].“

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Jedenfalls fehlt es – spätestens nach dem Inkrafttreten der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Ende Mai 2018 – auch an der Notwendigkeit76 einer solchen Kompetenzausweitung zugunsten des Bundeskartellamtes. a) Keine Befugnis des Bundeskartellamtes zur Durchsetzung von ­Verbraucherschutz- oder Datenschutzrecht Nach dem gesetzgeberischen Willen hat das Bundeskartellamt keine Befugnisse zur Durchsetzung verbraucher- oder datenschutzrechtlicher Regelungen. Zwar hat das Amt Derartiges in mehreren Beiträgen und im Gesetzgebungsprozess gefordert. Auch hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, das Bundeskartellamt zu einer Verbraucheroder Datenschutzbehörde auszubauen, im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses der 9. GWB-Novelle intensiv diskutiert. Letztlich hat er hiervon allerdings bewusst Abstand genommen77 und lediglich die Möglichkeit verbraucherrechtlicher Sektoruntersuchungen in § 32e Abs. 5 GWB eingeführt.78 Eine derartige Befugnis lässt sich auch nicht aus einer anderen Regelung ableiten. Insbesondere begründet § 50c Abs. 1 GWB keine entsprechende Kompetenzüberleitung: Die Vorschrift regelt zwar die Zusammenarbeit des Bundeskartellamtes mit anderen Behörden, umfasst dabei aber lediglich den Austausch von Informationen, und zwar nur, soweit dies zur Aufgabenerfüllungen der genannten Fachbehörden erforderlich ist. Nach dem gesetzgeberischen Leitbild soll die Rechtsdurchsetzung für außerkartellrechtliche Normen also bei der jeweiligen Fachbehörde liegen, wobei diese durch Informationen von anderen Behörden (etwa dem Bundeskartellamt) unterstützt werden kann. Diese eindeutigen Wertentscheidungen des Gesetzgebers darf das Bundeskartellamt nicht durch eine extensive Anwendung des § 19 GWB unterlaufen. Dafür streitet neben dem Demokratieprinzip auch der Grundsatz der Gewaltenteilung sowie das Rechtsstaatsgebot.79 76 Die fehlende Notwendigkeit spielt auch im Rahmen der Angemessenheit (genauer: Erforderlichkeit) bei der Überprüfung der kartellbehördlichen Entscheidung eine Rolle, vgl. dazu BVerfG, Beschluss v. 9.10.2000 – 1 BvR 1627/95, GRUR 2001, 266. 77 So hatte sich etwa die SPD-Bundestagsfraktion in der ersten Lesung für eine Kompetenzerweiterung ausgesprochen: „Das Bundeskartellamt soll nach unserer Vorstellung künftig den Verbraucherschutz im Interesse des kollektiven Verbraucherschutzes durchsetzen können, gerade im Internet […]“, Plenarprotokoll v. 10.11.2016, BT-Drucks. 18/199, S. 19829. Damit konnte sie sich allerdings innerhalb der Regierungskoalition nicht durchsetzen; die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollte den Vorschlag nicht mittragen: „Den Vorschlag der SPD, das Bundeskartellamt zu einer allgemeinen Verbraucherschutzbehörde auszubauen, haben wir anhand der Anhörung und in weiteren Gesprächen intensiv geprüft. Jedoch konnten wir zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Entscheidung nicht mittragen. Es fehlt an klaren Aufgabenbeschreibungen und an eindeutigen Abgrenzungen bei Eingriffsmaßnahmen genauso wie an der Beachtung der Befugnisse anderer Behörden“, Plenarprotokoll v. 9.3.2017, BT-Drucks. 18/221, S. 22131. 78 So auch Wiemer, WuW 2018, 53. 79 Im Übrigen wird sogar von Seiten des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten betont, dass die Initiative für eine entsprechende Kompetenzausweitung vom Gesetzgeber ausge-

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b) Durchsetzung von Datenschutzrecht durch das Bundeskartellamt wäre ­unvereinbar mit europäischem Recht, insbesondere der DSGVO Weiter würde eine datenschutzrechtlich begründete Kartellrechtsdurchsetzung aber auch gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen. Auf dem Gebiet des Datenschutzes soll durch die neue DSGVO am 25. Mai 2018 eine unionsweite Rechtsvereinheitlichung erreicht werden.80 Dabei zeigen die umfassenden Regelungen der DSGVO zu Verfahren und Institutionen, dass sich die Harmonisierung nicht auf das materielle Recht beschränken, sondern auch das Verfahrensrecht  – insbesondere die Modali­ täten einer (behördlichen) Datenschutzrechtsdurchsetzung  – mit einschließen soll. Diese zentrale Zielsetzung dürfen mitgliedsstaatliche Wettbewerbs- oder Kartell­ behörden nicht durch eigene Aktivitäten zur Durchsetzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen konterkarieren. Ein solches Vorgehen würde eine unionsweite Harmonisierung erheblich gefährden und demnach mit dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Gebot des effet utile kollidieren. Zudem dürfte das Übergreifen in den originären Kompetenzbereich der Datenschutzkontrollstellen gegen das Gebot der völligen Unabhängigkeit der besagten Stellen verstoßen, wie es der EuGH bereits unter Geltung der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG konkretisiert hat.81 hen muss: „Künftig sollte darüber nachgedacht werden, den Verstoß gegen Datenschutzregeln mit einem Wettbewerbsverstoß gleichzusetzen. Eine derartige Initiative müsste jedoch vom Gesetzgeber ausgehen, da die Linie der Gerichte hier uneinheitlich ist und bislang keine Rechtssicherheit geschaffen hat. Hier gilt es, die Bedeutung des Neben- und Miteinander beider Regelungsbereiche auch und gerade im Zuge der europäischen Rechtsentwicklung mit Blick auf die EU-Datenschutzgrundverordnung im Auge zu behalten“, Stellungnahme des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zur Anhörung der Monopolkommission zur Vorbereitung eines Sondergutachtens zum Wettbewerb auf digitalen Märkten gemäß § 44 GWB, S. 6. 80 Vgl. Erwägungsgrund 10 zur DSGVO: „Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung dieser Daten in allen Mitgliedstaaten gleichwertig sein. Die Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sollten unionsweit gleichmäßig und einheitlich angewandt werden.“ 81 EuGH, Urteil v. 9.3.2010 – C-518/07, Rz. 30 ff.: „Nach alledem ist Art. 28 I Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG dahin auszulegen, dass die für die Überwachung der ­Verarbeitung personenbezogener Daten im nichtöffentlichen Bereich zuständigen ­Kontrollstellen mit einer Unabhängigkeit ausgestattet sein müssen, die es ihnen ermöglicht, ihre Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen. Diese Unabhängigkeit schließt nicht nur jegliche Einflussnahme seitens der kontrollierten Stellen aus, sondern auch jede Anordnung und jede sonstige äußere Einflussnahme, sei sie unmittelbar oder mittelbar, durch die in Frage gestellt werden könnte, dass die genannten Kontrollstellen ihre Aufgabe, den Schutz des Rechts auf Privatsphäre und den freien Verkehr personenbezogener Daten ins Gleichgewicht zu bringen, erfüllen. […] Hierzu ist festzustellen, dass die staatliche Aufsicht gleich welcher Art es der Regierung des betroffenen Landes oder einer Stelle der ihr untergeordneten Verwaltung grundsätzlich ermöglicht, auf Entscheidungen der Kontrollstellen unmittelbar oder mittelbar Einfluss zu nehmen bzw. diese Entscheidungen aufzuheben und zu ersetzen.”

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Jedenfalls mit dem Inkrafttreten der DSGVO (sowie der diese umsetzenden Neufassung des BDSG) entfällt eine etwaige Notwendigkeit für eine Durchsetzung des Datenschutzrechts mit Hilfe kartellrechtlicher Mechanismen. Wurde ein solcher Rückgriff bisher mit der systematischen Schwäche (insbesondere zu den Möglichkeiten der Kartellbehörden) einer öffentlichen Datenschutzrechtsdurchsetzung gerechtfertigt und gefordert,82 wird diese Schwäche nun behoben und der behördliche Befugniskanon der Datenschutzbehörden dem Kartellrecht angeglichen.83

III. Fazit Im Schrifttum und in der Praxis des Bundeskartellamtes sind eindeutige Tendenzen zu beobachten, den Konditionenmissbrauch nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB zu einem allgemeinen Rechtsdurchsetzungsinstrument gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen auszubauen. Damit scheint man insbesondere auf eine umfassende (datenschutz- und verbraucherschutzrechtliche) Kontrolle der Geschäftsbedingungen großer Unternehmen der Digitalökonomie abzuzielen. Diese Auslegung widerspricht indes der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der gefestigten Dogmatik und dem Willen des Gesetzgebers der 9. GWB-Novelle. Weiterhin sind die eindeutigen Grenzen des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB, vor allen Dingen das Erfordernis der strikten Kausalität, zu beachten. In Bezug auf Datenschutz ist eine allgemeine Rechtsdurchsetzung durch das Bundeskartellamt zudem spätestens seit Inkrafttreten der DSGVO unionrechtswidrig.

82 Vgl. dazu Franck, ZWeR 2016, 137, 161 f.; auch das BKartA berief sich in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der 9. GWB-Novelle v. 17.1.2017 auf „Durchsetzungsdefizite insbesondere im Bereich der digitalen Wirtschaft“ (dort S. 28). 83 Die der Kommission nach der VO (EG) 1/2003 zustehenden Ermittlungsbefugnisse (Auskunftsverlangen, Art. 18; Befragung, Art. 19; Nachprüfungen, Art. 20 f.) und die der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden (nach Art. 5) zustehenden Sanktionsbefugnisse (Abstellung von Zuwiderhandlungen, Art. 7; einstweilige Maßnahmen, Art. 8; Entgegennahme von Verpflichtungszusagen, Art.  9; Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern, Art. 23 f.) werden durch die Untersuchungs-, Abhilfe- und Sanktionsbefugnisse gemäß Art. 58 DSGVO weitgehend adaptiert. Insbesondere die neue ausdrückliche Befugnis zum Erlass von Geldbußen im Rahmen des Art. 83 DSGVO ist weitgehend an das europäische Kartellbußgeldrecht angelehnt. Als Bußgeldhöchstgrenze wurden allerdings nicht 10 %, sondern  – immer noch beachtliche  – 4 % des weltweiten Unternehmens-Jahresumsatzes festgelegt (Art. 83 Abs. 4 DSGVO).

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Das Transaktionsvolumen als neue Aufgreifschwelle in der deutschen Fusionskontrolle – eine kritische Analyse von Konzeption und Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1a GWB I. Einleitung und Problemstellung II. Ratio legis und Konkretisierung des ­sachlichen Anwendungsbereichs 1. Funktion und Regelungsansatz der neuen Aufgreifschwelle a) Ausgangspunkt b) Bedeutung des Transaktionswertes c) Angemessene Höhe des Schwellenwertes? 2. Überschießende Umsetzung des ­spezifischen Regelungsanliegens a) Keine Beschränkung auf digitale Märkte oder Fälle der Dispropor­ tionalität von Umsatz und Kaufpreis b) Teleologische Reduktion des ­sachlichen Anwendungsbereichs? 3. Gesetzessystematische Verortung der neuen Aufgreifschwelle a) Subsidiarität des § 35 Abs. 1a GWB b) Verhältnis zur de minimis-Klausel (§ 35 Abs. 2 Satz 1 GWB)

c) Verhältnis zur Bagatellmarktklausel (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 GWB) 4. Auswirkungen auf den Zusammenschlussbegriff a) Ausgangspunkt b) Erweiterung der Tatbestände des ­Vermögens- und Kontrollerwerbs III. Das Erfordernis einer Inlandstätigkeit in erheblichem Umfang 1. Konzeptionelle Grundlage a) Ausgangspunkt b) Verhältnis zu § 185 Abs. 2 GWB 2. Ansätze zur Konkretisierung der ­erheblichen Tätigkeit im Inland a) Allgemeine Erwägungen b) Anknüpfungspunkte für eine Tätigkeit im Inland c) Erheblicher Umfang IV. Zusammenfassende Bewertung und ­Ausblick

I. Einleitung und Problemstellung Die deutsche Fusionskontrolle verfügt seit der 9. GWB-Novelle in § 35 Abs. 1a GWB über ein neues Aufgreifkriterium, das an den Transaktionswert eines Zusammenschlusses an­knüpft. Hiermit sollen die Fälle erfasst werden, bei denen ein hoher Kaufpreis für ein Unter­nehmen gezahlt wird, obwohl dieses bislang keine oder nur so geringe Umsätze erzielt, dass die zweite Inlandsumsatzschwelle (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB) verfehlt wird.1 Die Bereitschaft, für ein Unternehmen trotz fehlender oder sehr niedriger Umsätze eine hohe Gegenleistung zu entrichten, lässt zwar zunächst nur darauf schließen, dass der Erwerber dem Kaufobjekt offenbar ein großes Potential für den Ausbau der künftigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Ge­samtunternehmens beimisst. Zugleich stellt sie aber auch ein Indiz für die mögliche (volks-) wirtschaftliche und

1 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 70.

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wettbewerbliche Bedeutung der Transaktion dar, die ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Zusammenschlusskontrolle rechtfertigt oder sogar erfordert.2 Vor der 9. GWB-Novelle 2017 ist daher eine ergänzende Anknüpfung an das Trans­ aktions­volumen als Aufgreifkriterium der Fusionskontrolle gefordert worden,3 um die Schwächen eines ausschließlich über umsatzbezogene Schwellenwerte definierten Anwendungsbereichs zu überwinden. Die Lückenhaftigkeit dieses traditionellen Ansatzes, der immer noch der europäischen FKVO (VO (EG) Nr. 139/2004) zugrunde liegt, hat sich in der Praxis beson­ders deutlich beim Erwerb von WhatsApp durch Facebook im Jahre 2014 für rund 19 Milliarden US-Dollar gezeigt.4 Da das übernommene Unternehmen, ein den Nutzern kostenlos zur Ver­fügung stehender Messengerdienst, nur geringe Umsätze generierte, erfüllte der Zusammen­schluss weder die Aufgreifkriterien des § 35 Abs. 1 GWB noch des Art. 1 Abs. 2 oder Abs. 3 FKVO. Nur aufgrund des Umstands, dass der Zusammenschluss in drei EU-Mitgliedstaaten (­Zypern, Spanien und Vereinigtes Königreich) anzumelden war5 und Facebook die Verweisung an die Kommission beantragte, konnte die Kommission den Fall dennoch prüfen. Auch wenn sie ihn im Ergebnis schon in der ersten Prüfungsphase ohne Auflagen freigab,6 löste der Zusammenschluss Facebook/WhatsApp eine intensive Diskussion über die Unzulänglichkeit einer lediglich auf die in der Vergangenheit erzielten Umsätze ausgerichteten Bestimmung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle aus und fand als markantes Beispiel für die Diskrepanz zwischen geringen Umsätzen und einem auffällig hohen Kaufpreis explizit Eingang in die Gesetzesbegründung.7 In der Tat wird die ausschließliche Fokussierung auf Umsatzzahlen wichtigen Charakteristika des Wettbewerbs insbesondere auf digitalen Märkten und oftmals auch den strategischen Interessen der Marktakteure nicht (mehr) gerecht. So sind Onlinedienste typischerweise zunächst an einer möglichst großen Nutzerzahl der von ihnen betriebenen Plattform interessiert, um schnell von erheblichen Skalen- und Netzwerk­ effekten zu profitieren. Erst später, etwa nach einem möglichen „Kippen“ des fragli-

2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 3 So insbes. Monopolkommission, Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte, Sondergut­achten 68, 2015, Rz. 453 ff.; Körber, WuW 2015, 120, 128. 4 Vgl. hierzu z.B. Baranowski/Glaßl, BB 2017, 199, 204; Meyer-Lindemann in Kersting/­Podszun (Hrsg.), Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 12, Rz. 7 ff. m.w.N. 5 Während die Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörde Zyperns schon bei sehr niedrigen Umsätzen begründet wurde, griffen in Spanien Marktanteilsschwellen und im Vereinigten Königreich das System der freiwilligen Anmeldung von Zusammenschlüssen, vgl. Podszun/ Franz, NZKart 2015, 121. 6 Kommission, Entscheidung v. 3.10.2014 – M.7217 „Facebook/WhatsApp“. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71. Vgl. aus dem Schrifttum im Zusammenhang mit der 9. GWB-Novelle insbes. Esser/Höft, NZKart 2017, 259 ff.; Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354 ff.; Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 1 ff.; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 103 ff.; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 259 ff.; Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 559 ff.; näher zu den Schwächen von Umsatzschwellen und zu möglichen Alternativen schon vor dem Facebook-Fall Podszun, WuW 2010, 1128 ff.

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chen Marktes zu ihren Gunsten,8 beabsichtigen sie, von der erlangten Marktmacht auch finanziell zu profitieren, sei es durch Einführung kostenpflichtiger Dienste oder die Ausnutzung von Hebeleffekten auf anderen Märkten.9 Die mit der Aufnahme eines transaktionswertbezogenen Aufgreifkriteriums in die deutsche Fusionskontrolle intendierte Lückenschließung und Stärkung des Schutzes innovativer, noch nicht durch beträchtliche Umsätze geprägter Märkte vor einer frühzeitigen Verschließung ist grundsätzlich zu begrüßen.10 Doch bei näherer Betrachtung ist die vom Gesetzgeber mit § 35 Abs. 1a GWB verwirklichte Lösung in ihrer Ausgestaltung problematisch,11 vor allem wegen der mit der Neuregelung verbundenen Rechtsunsicherheiten.12 Abgesehen von zahlreichen Detailfragen zur Auslegung der neuen Bestimmungen und ihrer praktischen Handhabung, etwa im Zusammenhang mit der Bestimmung des Wertes der Gegenleistung (vgl. §  38 Abs.  4a GWB) oder der Aufteilung des Erwerbsvorgangs in mehrere Teilakte (vgl. hierzu § 38 Abs. 5 Satz 3 GWB), stellen sich grundsätzliche konzeptionelle Fragen. Diese betreffen vor allem den sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich der neuen Transaktionswertschwelle sowie ihre gesetzessystematische Verortung. Fraglich ist insbesondere, ob der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Ansatz der Filterfunktion einer Aufgreifschwelle und dem Erfordernis ihrer leichten und rechtssicheren Handhabung in der Praxis gerecht wird. So gilt es, einerseits möglichst alle Konstellationen mit potentiell relevanten negativen Auswirkungen auf die wettbewerbliche Marktstruktur zu erfassen, andererseits wettbewerblich unproblematische Fälle von vornherein auszusortieren, um nicht unnötig Ressourcen zu verschwenden. Dabei sind die den Anwendungsbereich der Fusionskontrolle absteckenden Aufgreifschwellen so auszugestalten, dass sie klar, verständlich und einfach zu handhaben sind, während schwierige Bewertungen und Prognosen schon vor einer materiell-rechtli-

8 Vgl. zum sog. „Markt-Tipping“ z.B. BKartA, Arbeitspapier „Marktmacht von Plattformen und Netzwerken“  – Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, Juni 2016, S.  50  f., 113  f. m.w.N. (im Internet abrufbar unter www.bundeskartellamt.de, zuletzt abgerufen am 30.6.2018). 9 Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 104 f.; s. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 10 Im Grundsatz positiv, aber mit Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Anwendungsbereichs insbes. Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 259 ff.; gegen den zuweilen geäußerten Vorwurf, es handele sich um ein „Anti-Exit“-Gesetz, auch Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 105, die freilich für eine Ausgestaltung als bloße Anzeigepflicht plädieren; skeptisch zur Frage einer Schutzlücke (nur „abstrakte Gefährdungslage“) Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354, 355; Esser/Höft, NZKart 2017, 259, 260, 262. 11 Vgl. insbes. Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 13 ff. mit Kritik an dem zu engen Anwendungsbereich des neuen Aufgreifkriteriums, an Wertungswidersprüchen im Verhältnis zu den Umsatzschwellen und an praktischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Höhe der relevanten Gegenleistung. 12 S. nur Petrasincu, WRP 2017, 921, 923; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 261 („grundlegende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1a GWB“); Siebert/ Aulmann, ZWeR 2017, 262, 268 ff.

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chen Prüfung des Zusammenschlusses möglichst zu vermeiden sind.13 Entgegen der Einschätzung des Gesetzgebers, der den neuen Aufgreiftatbestand als „eindeutig und verständlich“ bezeichnet,14 zeigen sich in der Anwendungspraxis vor allem bei zwei Tatbestandsmerkmalen Probleme. Das gilt zum einen für die Bestimmung des Wertes der Gegenleistung, die im Geschäftsleben oftmals gerade nicht in einem eindeutig fixierten Kaufpreis besteht, sondern variable, von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung des Zielunternehmens abhängige oder in ihrem Wert schwankende Bestandteile aufweist.15 Zum anderen ist nicht eindeutig geregelt, wann die Voraussetzung einer erheblichen Inlandstätigkeit des Zielunternehmens erfüllt ist. Als ersten Schritt zur Verminderung der mit dem neuen Aufgreifkriterium verbundenen Rechtsunsicherheit haben kürzlich die Wettbewerbsbehörden in Deutschland und Österreich, das 2017 eine ähnliche transaktionswertbezogene Regelung (§  9 Abs.  4 KartG) erlassen hat,16 den Entwurf eines gemeinsamen Leitfadens für die Handhabung der Transaktionswertschwellen in ihren Jurisdiktionen veröffentlicht.17 Auch wenn dies im Prinzip sehr zu begrüßen ist,18 verbleiben Zweifel, ob der gewählte Ansatz in jeder Hinsicht zielführend ist. So werden äußerst detailreiche, geradezu perfektionistisch anmutende Vorgaben für die Ermittlung des exakten Wertes der Gegenleistung, die für künftige und variable Kaufpreisbestandteile komplexe Prognosen und Berechnungen über wahrscheinlichkeitsgewichtete und diskontierte Barwerte vorsehen,19 wohl kaum dem Charakter eines einfach zu handhabenden formellen Aufgreifkriteriums gerecht. Im Folgenden soll es jedoch nicht um Einzelfragen der Auslegung wie etwa die konkrete Bestimmung des Wertes der Gegenleistung gehen,20 sondern vor allem um die konzeptionelle Basis, Stimmigkeit und Reichweite des neuen Aufgreifkriteriums. Da13 Vgl. International Competition Network (ICN), Recommended Practices For Merger Notification And Review Procedures (2017), abrufbar unter www.internationalcompetition​ network.org/uploads/library/doc1108.pdf, Ziffer II. D.; OECD, Local nexus and juris­ dictional thresholds in merger control, 2016, abrufbar unter www.oecd.org/official documents, S. 5 f. (beide Quellen zuletzt abgerufen am 20.7.2018); Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 1. 14 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 73. 15 So etwa bei sog. „earn-out“-Klauseln bzw. „share for share deals“, s. hierzu z.B. Esser/Höft, NZKart 259, 260 f.; Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354, 355 f. m.w.N. 16 Vgl. näher zur neuen österreichischen Regelung, die weitgehend dem deutschen Vorbild folgt, aber den maßgeblichen Schwellenwert für das Transaktionsvolumen auf 200 Mio. Euro festlegt und einige wenige abweichende Regelungen enthält, Ablasser-Neuhuber/ Stenitzer, ÖBl. 2017, 116, 118; Matousek/Weiss/Gassler, ecolex 2017, 388 ff. 17 BKartA/BWB, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben (§ 35 Abs. 1a GWB und § 9 Abs. 4 KartG), Juli 2018, abrufbar im Internet unter www.bundeskartellamt.de (im Folgenden zitiert als „BKartA/BWB, Leitfaden“). 18 In der Literatur ist schon früh eine Bekanntmachung des BKartAs zur Auslegung des neuen Aufgreifkriteriums gefordert worden, s. z.B. Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 268, 271. 19 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 18 ff. 20 Vgl. hierzu ausführlich BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 11-63; aus der Literatur z.B. Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 30 ff.

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für sind zunächst der sachliche Anknüpfungspunkt, die ratio legis sowie das Verhältnis des Transaktionsvolumens zu den umsatzbezogenen Schwellenwerten näher zu bestimmen (unten II.), bevor der Frage einer Konkretisierung der erforderlichen Inlandstätigkeit des erworbenen Unternehmens in einem erheblichen Umfang (§  35 Abs. 1a Nr. 4 GWB) nachgegangen wird (unten III.). Mit diesem Kriterium will der Gesetzgeber verhindern, dass der Verzicht auf die zweite Inlandsumsatzschwelle zu einer zu großen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle auf Auslandszusammenschlüsse führt. Problematisch ist jedoch die Unbestimmtheit des neuen Tatbestandsmerkmals. Zudem ist sein Verhältnis zum allgemeinen Auswirkungsprinzip (§ 185 Abs. 2 GWB) zu klären. Die Analyse der Ausgestaltung der Transaktionswertschwelle mündet in eine zusammenfassende Bewertung, ob das neue Instrument den Anforderungen an ein effektives Aufgreifkriterium genügt oder künftig modifiziert werden sollte (unten IV.).

II. Ratio legis und Konkretisierung des sachlichen Anwendungs­bereichs 1. Funktion und Regelungsansatz der neuen Aufgreifschwelle a) Ausgangspunkt Das Bedürfnis für eine an das Transaktionsvolumen anknüpfende Aufgreifschwelle der Fusionskontrolle resultiert laut Gesetzesbegründung aus der Diskrepanz zwischen dem gegenwärtig geringen oder fehlenden Umsatz des Zielunternehmens und der möglichen wirtschaftlichen und wettbewerblichen Bedeutung des Zusammenschlusses, die sich in einem hohen Kaufpreis widerspiegelt.21 In der Regel reflektieren zwar die Umsätze der an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen die wirtschaftliche und wettbewerbliche Relevanz der Transaktion, wobei der notwendige Bezug zum Inland (local nexus) durch spezielle Schwellenwerte für Inlandsumsätze hergestellt wird, die neben das Erfordernis eines bestimmten weltweiten Umsatzes treten (§ 35 Abs. 1 GWB). In bestimmten Konstellationen greifen die umsatzbezogenen Schwellenwerte, vor allem das Erfordernis eines Mindestumsatzes eines zweiten beteiligten Unternehmens im Inland, jedoch zu kurz. Das gilt insbesondere im Bereich der digitalen Ökonomie mit einer Vielzahl innovativer Unternehmen, die über ein hohes Marktpotential verfügen, das sich aber noch nicht in entsprechenden Umsätzen niedergeschlagen hat, betrifft aber auch Unternehmen in anderen Branchen mit einem Fokus auf Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, z.B. im Pharma- oder Technologiesektor, bei denen sich Umsätze mit neuen Technologien oder Produkten erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung (etwa nach der Zulassung eines Wirkstoffs als Arzneimittel) ergeben. Im Anschluss an Überlegungen der Monopolkommission in ihrem 68. Sondergutachten22 sieht der Gesetzgeber die Gefahr, das etablierte Unternehmen versuchen, „potentielle Wettbewerber mit 21 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71 unten. 22 Monopolkommission (Fn. 3), Rz. 451 ff.

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hohem Innovationspotential aufzukaufen“, um entweder „das eigene Angebotsportfolio zu erweitern“ oder „konkurrierende Geschäftsmodelle oder Produkte vom Markt zu nehmen“, und nennt als „markantes Beispiel“ explizit den Fall Facebook/WhatsApp.23 b) Bedeutung des Transaktionswertes Auch in den Augen der Monopolkommission ist der Transaktionswert oftmals besser geeignet, das wettbewerbliche Potential eines (noch) umsatzschwachen Zielunternehmens zu reflektieren, als die im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsätze.24 Der Schluss von einem im Verhältnis zu den bisher erzielten Umsätzen des Zielunternehmens relativ hohen Kaufpreis auf ein großes wirtschaftliches und wettbewerbliches Potential (jedenfalls aus der Sicht des Erwerbers) erscheint im Ansatz plausibel, weist allerdings auch gewisse Unschärfen auf. Letztlich entscheidend für die Rechtfertigung ­einer Anwendung der nationalen Fusionskontrolle muss sein, ob von dem zusammenschlussbedingt hinzuerworbenen Potential eine spürbare Beeinflussung der Wettbewerbs- und Marktverhältnisse im Inland zu erwarten ist. Geboten ist daher jedenfalls eine Rückbindung des Kriteriums „hoher Transaktionswert“ an Inlandsauswirkungen. Dies wird im Rahmen des § 35 Abs. 1a GWB durch das Erfordernis einer Inlandstätigkeit des Zielunternehmens „in einem erheblichen Umfang“ gewährleistet (Nr. 4), ist angesichts des unbestimmten und wertungsabhängigen Wortlauts aber in der Anwendung mit erheblicher Rechtsunsicherheit belastet. Auf der anderen Seite indiziert ein hoher Transaktionswert regelmäßig schon für sich selbst eine entsprechende wirtschaftliche und wettbewerbliche Relevanz des Zusammenschlusses, ohne dass zugleich eine „Disproportionalität zwischen fehlendem oder geringem Umsatz“ und einem „auffällig hohen Kaufpreis“25 vorliegen muss. Das wettbewerbliche Gefährdungspotential eines Zusammenschlusses für die Marktverhältnisse im Inland hängt nicht primär davon ab, ob der Kaufpreis insgesamt ein an­ gemessenes Entgelt für bereits erzielte Umsätze des Zielunternehmens darstellt oder als „strategischer Preis“ zu einem wesentlichen Teil für ein erst künftig realisierbares Marktpotential gezahlt wird. Vielmehr kommt es auch insoweit entscheidend auf die zu erwartenden Inlandsauswirkungen an. Diese können in bestimmten Konstellationen selbst dann auftreten, wenn das Zielunternehmen (bei fehlenden oder geringen Inlandsumsätzen) auf etablierten Auslandsmärkten bereits hohe (im Kaufpreis berücksichtigte) Umsätze erwirtschaftet, also keine „Disproportionalität“ zwischen Umsatz und Transaktionswert vorliegt. Das kann etwa der Fall sein, wenn es sich bei dem bislang ausschließlich oder vorwiegend im Ausland tätigen Zielunternehmen um einen wesentlichen oder gar den einzigen potentiellen Konkurrenten handelt, der kurz vor einem Eintritt in den Inlandsmarkt steht und nunmehr vom inländischen „Platzhirsch“ aufgekauft wird. Auch in dieser Situation greift das bisherige System der rein

23 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 24 Monopolkommission (Fn. 3), Rz. 459 f. 25 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 71 unten.

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umsatzbezogenen Aufgreifschwellen zu kurz, weil es das noch nicht in Inlandsumsätzen realisierte Marktpotential nicht erfasst. Die Berücksichtigung eines überhaupt noch nicht in Umsätzen reflektierten Marktpotentials und das Abstellen auf Inlandsumsätze zur Darlegung eines local nexus i.S.v. spürbaren wettbewerblichen Auswirkungen des Zusammenschlusses im Inland sind zwei verschiedene Fragen, die nicht miteinander vermengt werden sollten. Das zeigt sich beispielhaft an der US-amerikanischen Regelung zur Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen, die (alternativ zu den Umsätzen der beteiligten Unternehmen) generell und nicht nur subsidiär an die „size of transaction“ anknüpft.26 So sind Zusammenschlüsse immer anmeldepflichtig, wenn die Transaktionsgröße eine bestimmte Schwelle überschreitet, wobei deren Höhe teilweise von der Größe der beteiligten Unternehmen abhängt.27 Ein relativ hohes Transaktionsvolumen indiziert damit schon für sich allein eine hinreichende gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses, um eine Anmeldepflicht zu rechtfertigen. Zugleich wird ein noch nicht in konkreten Umsätzen reflektiertes Marktpotential erfasst. Bei Auslands­ transaktionen stellt eine zusätzliche Inlandsumsatzschwelle von 80,8 Mio. US $ für das Zielunternehmen sicher, dass ein hinreichender Inlandsbezug gewahrt wird.28 Diese Schwelle ist erheblich einfacher festzustellen, als eine „erhebliche Inlandstätigkeit“, auf die § 35 Abs. 1a GWB abstellt (dazu näher unter III.). c) Angemessene Höhe des Schwellenwertes? Fraglich erscheint, ob die vom deutschen Gesetzgeber letztlich gewählte Transaktionswertschwelle von 400 Mio. Euro überzeugt. Die Anhebung von ursprünglich 350 Mio. Euro im Referenten-Entwurf auf diesen Betrag erfolgte im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, ohne dass dafür eine substantiierte Begründung gegeben wurde.29 Die Ausführungen in der Gesetzesbegründung sind ersichtlich noch am ursprünglich niedrigeren Schwellenwert ausgerichtet. So wird berichtet, dass eine Auswertung der erfolgten Übernahmen von Start-ups in der Digitalwirtschaft in Deutschland in den 26 Section 7A Clayton Act, kodifiziert in 15 U.S.C. § 18a; hierauf nimmt auch Begr. RegE, BTDrucks. 18/10207, S. 72 f. Bezug, verschweigt aber teilweise wichtige Unterschiede im Regelungsansatz (z.B. keine Subsidiarität des Transaktionswertkriteriums im US-amerikanischen Recht und gesondertes Inlandsumsatzkriterium bei Auslandstransaktionen). Näher hierzu Esser/Höft, NZKart 2017, 259 f.; Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 276 f.; Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 17; ausführlich Jungermann in FIW Jahrbuch 2016/2017, 2017, S. 175, 176 ff. 27 Die Schwellenwerte werden jährlich an die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts angepasst. Ein Transaktionswert von zuletzt (Stand Februar 2017) 323 Mio. US $ (ca. 280 Mio. Euro) löst in jedem Fall die Anmeldepflicht aus. Unterhalb dieser Summe sind Zusammenschlüsse anzumelden, wenn ein Betrag von 80,8 Mio. US $ überschritten wird und zusätzlich unternehmensbezogene Größenkriterien der Zusammenschlussbeteiligten, also des Erwerbers (acquiring person) bzw. des erworbenen Unternehmens (acquired person) erfüllt sind (161,5 Mio.US $ bzw. 16,2 Mio. US $), s. hierzu Jungermann (Fn. 27), S. 178 f. (sog. „size of persons“-Test). 28 Vgl. 16 C.F.R. § 802.50(a); hierzu Esser/Höft, NZKart 2017, 259, 260. 29 So auch Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 266.

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Jahren 2013 bis 2015 jeweils nur eine Transaktion mit einem Kaufpreis von mehr als 350 Mio. Euro ergeben habe, während er in der Mehrzahl der Fälle unter 100 Mio. Euro gelegen habe.30 Trotz der unzureichenden Datengrundlage, die weder ausländische Zusammenschlüsse mit Inlandsauswirkungen berücksichtigt noch Märkte außerhalb der Digitalwirtschaft einbezieht, rechnet der Gesetzgeber pro Jahr lediglich mit drei zusätzlichen Anmeldungen aufgrund des neuen Aufgreifkriteriums.31 Das dürfte wohl schon deshalb zu niedrig gegriffen sein, weil sich der Anwendungsbereich zumindest dem Wortlaut nach nicht auf Start-ups auf digitalen Märkten beschränkt und viele Unternehmen im Hinblick auf die Unsicherheiten bei der Auslegung (insbesondere bei der erheblichen Inlandstätigkeit) zu einer vorsorglichen Anmeldung neigen werden.32 Der Wert von 400 Mio. Euro erscheint im Übrigen arbiträr.33 Im Vergleich zu den Regelungen in den USA (323 Mio. US $)34 dürfte der Betrag in Anbetracht der Größe der jeweils involvierten Volkswirtschaften zu hoch angesetzt sein, jedenfalls wenn man gerade innovative Märkte und die Start-up-Szene in Deutschland vor einer frühzeitigen Vermachtung schützen will.35 Bedenklich stimmt, dass selbst ein Fall wie Microsoft/6Wunderkinder nicht erfasst würde, der den Erwerb eines Produkts mit 13 Mio. Nutzern und einer erheblichen Menge zusätzlicher Daten für einen Kaufpreis von 100 bis 200 Mio. US $ betraf.36 Auch wenn die Höhe der Transaktionswertschwelle zum Kern der nach § 43a GWB vorgesehenen Evaluierung der neuen Vorschrift gehören wird, bleibt fraglich, ob die bis 2020 gesammelten Erfahrungen eine ausreichende Bewertungsgrundlage abgeben werden. Während der tatsächliche Anwendungsbereich der neuen Aufgreifschwelle in der Praxis durch den hohen Schwellenwert erheblich eingeschränkt ist, geht er zumindest seinem Wortlaut nach über die vom Gesetzgeber identifizierte Schutzlücke hinaus.

30 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 74. Daraus wird abgeleitet, dass der von der Monopolkommission in ihrem Sondergutachten 68 (Fn. 3), Rz. 461, vorgeschlagene Schwellenwert von 500 Mio. Euro zu hoch sei. Nicht erwähnt wird freilich, dass sich die Monopolkom­ mission für eine alternative und keine subsidiäre Heranziehung des Transaktionswertes (nach Erfüllung der Schwellenwerte des § 35 Abs. 1a Nr. 2 GWB) ausgesprochen hat (aaO, Rz. 460). 31 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 2, 45. Krit. dazu Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 266, 272; Esser/Höft, NZKart 2017, 259, 260. 32 So auch Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 261. 33 So auch Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 27, 29. 34 Zum Teil genügen auch geringere Werte (ab 80,8 Mio. US $), wenn nach dem „size of ­persons“-Test bestimmte Größenkriterien bei den beteiligten Unternehmen im Hinblick auf Umsatz oder asset value erfüllt sind, s. hierzu näher Jungermann (Fn. 27), S. 175, 178 f. 35 Kritisch auch Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 28 (kein Bezug zur ausgemachten Aufgreif­ lücke). 36 S. hierzu Baranowski/Glaßl, BB 2017, 199, 206; Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 54.

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2. Überschießende Umsetzung des spezifischen Regelungsanliegens a) Keine Beschränkung auf digitale Märkte oder Fälle der Disproportionalität von Umsatz und Kaufpreis Obwohl der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich die „besondere Zielsetzung“ betont, „nur Konstellationen mit einem auffälligen Verhältnis von hoher Gegenleistung bei geringen Umsatzerlösen“37 zu erfassen, hat er bei der Implementierung des neuen Aufgreifkriteriums der Transaktionswertschwelle in § 35 Abs. 1a GWB darauf verzichtet, dies im Wortlaut der Norm zu verankern. Zudem wird trotz des Fokus in der Gesetzesbegründung auf die digitale Ökonomie sowie Forschungs- und Entwicklungsunternehmen, insbesondere im Pharma- und Technologiebereich, keine sektorspezifische Regelung getroffen. Vielmehr ist die neue transaktionswertbezogene Schwelle auf alle Wirtschaftsbereiche anzuwenden.38 Nach seinem Wortlaut verknüpft § 35 Abs. 1a GWB lediglich die absolute Summe des vereinbarten Werts der Gegenleistung (mehr als 400 Mio. Euro) mit der Verfehlung der zweiten Inlandsumsatzschwelle (5 Mio. Euro), ohne sich auf eine Diskrepanz zwischen den (gesamten) Umsatzerlösen des erworbenen Unternehmens(teils) und der Höhe des Kaufpreises zu beziehen. Damit erfasst die Vorschrift auch Fälle, in denen beträchtliche Umsätze auf etablierten Märkten erzielt werden, der hohe Kaufpreis also durchaus in Korrelation zu den insgesamt mit dem Erwerbsobjekt erzielten Umsätzen steht, diese allerdings nicht im Inland, sondern schwerpunktmäßig im Ausland erwirtschaftet werden. Im Verhältnis zu den in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Intentionen des Gesetzgebers der 9. GWB-Novelle (Erfassung nur der Fälle einer „Disproportionalität zwischen Umsatz und Kaufpreis“) liegt damit eine überschießende Regelung vor,39 so dass sich die Frage einer teleologischen Reduktion des sachlichen Anwendungsbereichs der Transaktionswertschwelle stellt.40 b) Teleologische Reduktion des sachlichen Anwendungsbereichs? Gegen eine Beschränkung der neuen Transaktionswertschwelle auf die in der Ge­ setzesbegründung hervorgehobenen Fälle der Disproportionalität von Umsatz und Kaufpreis im Wege einer teleologischen Reduktion bestehen jedoch erhebliche Bedenken. Eine normzweckorientierte Restriktion des Anwendungsbereichs einer Norm führt im Grunde dazu, dass im Wege der Auslegung ein zusätzliches einschränkendes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift „hineingelesen“ wird. Ein Aufgreifkriterium, das explizit an eine erhebliche Diskrepanz zwischen erzielten Umsätzen und Kaufpreis 37 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 74. 38 Im Ergebnis ebenso Kahlenberg/Heim, BB 2017, 1155, 1156; Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 266; Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354. 39 Kallfaß in Langen/Bunte, Kartellrecht, Kommentar, 13. Aufl. 2018, § 35 GWB Rz. 33. 40 Im Ergebnis dafür Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260.

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anknüpfen würde, wäre allerdings in der Praxis kaum handhabbar, sofern nicht der Gesetzgeber selbst konkrete Bewertungskriterien vorgibt. Denn es existieren insoweit keine objektiven Maßstäbe und es kann auch nicht Aufgabe der Kartellbehörde sein, zu beurteilen, ob – gemessen an den Umsätzen des Zielunternehmens – ein noch angemessener oder schon ein exorbitant hoher Kaufpreis vereinbart wurde.41 Obwohl es durchaus Möglichkeiten gibt, wie ein Aufgreifkriterium schon im Tatbestand relativ klar auf die Fälle einer auffälligen Diskrepanz zwischen Kaufpreis und Umsätzen des Zielunternehmens beschränkt werden kann, etwa durch die Einführung einer weltweiten Umsatzobergrenze für das Zielunternehmen42 oder die Vorgabe eines bestimmten Mindestfaktors für das Kaufpreis-/Umsatz-Verhältnis,43 hat der Gesetzgeber von einer entsprechenden Ausgestaltung der neuen Transaktionswertschwelle abgesehen. Ohne jegliche gesetzliche Maßstäbe für die Wertung, wann eine hinreichende Diskrepanz zwischen Kaufpreis und Umsätzen des Zielunternehmens als Indikator für ein nicht im Umsatz reflektiertes Marktpotential vorliegt, erscheint auch eine entsprechende Konkretisierung und darauf gestützte teleologische Reduktion des Tatbestands des § 35 Abs. 1a GWB durch den Rechtsanwender als sehr bedenklich. Denn die letztlich arbiträre Festlegung eines solchen Kriteriums muss dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Zu Recht haben daher BKartA und BWB darauf verzichtet, in ihrem Leitfaden die Reichweite des neuen Aufgreifkriteriums durch die Benennung einer bestimmten weltweiten Umsatzobergrenze für das Zielunternehmen oder einen Mindestfaktor für das Kaufpreis-/Umsatz-Verhältnis zu begrenzen.44 Stattdessen folgen sie der Gesetzesbegründung, nach der die Erheblichkeit der Inlandstätigkeit (§ 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB) zu verneinen sein soll, wenn das wettbewerbliche Potential des Zielunternehmens und seine Marktposition in den bisher (überwiegend im Ausland) erzielten Umsätzen „zuverlässig reflektiert werden“45 und die Inlandsumsätze unterhalb der Schwelle von 5 Mio. Euro bleiben.46 Auch dieser Ansatz für eine teleologische Reduktion ist problematisch, weil die Erheblichkeit der Inlandstätigkeit grundsätzlich nach anderen Kriterien als dem Umsatz zu bestimmen ist (z.B. nach Nutzerzahlen), in diesem Fall aber wegen hoher weltweiter Umsätze fehlen soll.47 Im 41 Insoweit übereinstimmend Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260 (zu großer Spielraum bei der Beurteilung, ob Umsätze einen Kaufpreis rechtfertigen). 42 Hierdurch würde die Reichweite einer Transaktionswertschwelle auf solche Fälle begrenzt, in denen das Geschäftsmodell des Zielunternehmens noch nicht zu erheblichen Umsätzen geführt hat, vgl. Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354, 357; Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 275. 43 Vgl. hierzu Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354, 357; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260. 44 Für die Einführung entsprechender Vermutungsregeln durch das BKartA aber Klasse/Wiethaus, WuW 2017, 354, 357. 45 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 46 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 82, 100. 47 Insoweit übereinstimmend (Bezugspunkt der Erheblichkeit wird verändert) Pohlmann/ Wismann, WuW 2017, 257, 260, die aber im Ergebnis eine teleologische Reduktion des sachlichen Anwendungsbereichs befürworten.

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Ergebnis wird für bestimmte vage umschriebene Konstellationen die zweite Inlandsumsatzschwelle durch die Hintertür wieder eingeführt. Auch wenn insoweit mit dem Kriterium der „Erheblichkeit“ immerhin ein tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für eine fallbezogene wertende Konkretisierung existiert, steht dies im Widerspruch zu den Anforderungen an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Rahmen der formellen Fusionskontrolle. Die Unternehmen müssen leicht und eindeutig erkennen können, wann sie der Anmeldepflicht unterliegen. Dem würde eine einzelfallbezogene, wertungsabhängige Einschränkung der Reichweite des § 35 Abs. 1a GWB widersprechen. Hinzu kommt, dass auch Fälle, in denen der Kaufpreis im Ausland erzielte Umsätze widerspiegelt, durchaus von wettbewerblicher Relevanz für die deutsche Fusionskontrolle sein können. Selbst ein schwerpunktmäßig im Ausland vollzogener Zusammenschluss kann spürbare negative Rückwirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse im Inland haben, z.B. weil ein wichtiger oder der einzige potentielle Wettbewerber durch das im Inland dominierende Unternehmen erworben und dessen marktbeherrschende Stellung damit abgesichert wird. Aus wettbewerbspolitischer Sicht ist eine Erfassung dieser Fälle, mögen sie auch nur selten vorkommen, durchaus wünschenswert. Sie sollten daher nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Transaktionswertschwelle ausgeklammert werden. Zudem indiziert grundsätzlich schon ein absolut hoher Transaktionswert eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses. Ob er auch ein relevantes wettbewerbliches Gefährdungspotential aufweist, hängt nicht primär davon ab, ob der Kaufpreis aktuelle Umsätze des Zielunternehmens reflektiert oder nicht. Die Disproportionalität zwischen Umsatzzahlen und Kaufpreis ist zwar ein typisches Kennzeichen beim Erwerb von innovativen Unternehmen in einer frühen Markt- oder Unternehmensphase, insbesondere auf digitalen oder sonstigen technologieintensiven Märkten, beschreibt aber das mögliche wettbewerbliche Gefährdungspotential, das von Zusammenschlüssen trotz Verfehlung der zweiten Inlandsumsatzschwelle ausgehen kann, nicht abschließend. Daher sollte eine solche Disproportionalität auch keine (ungeschriebene) konstitutive Voraussetzung für die Anwendung der Transaktionswertschwelle sein. 3. Gesetzessystematische Verortung der neuen Aufgreifschwelle a) Subsidiarität des § 35 Abs. 1a GWB Im Gegensatz zu den transaktionswertbezogenen Aufgreifkriterien in den USA und dem Vorschlag der Monopolkommission48 tritt die neue Schwelle in der deutschen Fusionskontrolle nicht gleichberechtigt neben die vorhandenen umsatzbezogenen Schwellenwerte des §  35 Abs.  1 GWB. Vielmehr wird der Transaktionswert eines ­Zusammenschlusses nur dann relevant, wenn zwar die allgemeinen Schwellenwerte (500 Mio. Euro weltweiter Gesamtumsatz und Inlandsumsatz eines beteiligten Unternehmens in Höhe von mind. 25 Mio. Euro) erfüllt sind, aber „im Inland im letzten 48 Sondergutachten 68 (Fn. 3), Rz. 460.

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Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss … b) weder das zu erwerbende Unternehmen noch ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von jeweils mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben“ (§ 35 Abs. 1a Nr. 2 GWB). Das Kriterium des Transaktionsvolumens kommt somit nur subsidiär49 und ausschließlich im Falle der Verfehlung der zweiten Inlandsumsatzschwelle in § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB zur Anwendung.50 Wegen des Vorrangs der anderen umsatzbezogenen Schwellenwerte öffnet sich daher nur ein relativ kleines Fenster für die Berücksichtigung des Transaktionswertes.51 Insbesondere das strikte Festhalten an der weltweiten Gesamtumsatzschwelle vermag kaum zu überzeugen, da sich das wettbewerbliche Potential des Zusammenschlusses nach der gesetzlichen Konzeption gerade aus der Diskrepanz zwischen hohem Kaufpreis und fehlenden oder geringen Umsatzerlösen der Zielgesellschaft (im Inland) ergeben soll und die wettbewerblichen Auswirkungen des Zusammenschlusses im Inland bei etwas geringeren weltweiten Umsätzen intensiver sein können als bei Überschreitung der Grenze von 500 Mio. Euro.52 b) Verhältnis zur de minimis-Klausel (§ 35 Abs. 2 Satz 1 GWB) Die deutsche Fusionskontrolle findet grundsätzlich keine Anwendung auf Zusammenschlüsse mit einem nicht abhängigen Unternehmen, das im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsätze von weniger als 10 Mio. Euro erzielt hat (§ 35 Abs. 2 Satz 1 GWB). Diese (früher als „Anschlussklausel“ ausgestaltete) Bagatellausnahme soll Eigentümern kleinerer Unternehmen einen fusionskontrollfreien Verkauf ermöglichen, gilt aber nur im Rahmen der allgemeinen Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1 GWB.53 Dass die transaktionswertbezogene Schwelle des § 35 Abs. 1a GWB anwendbar bleibt, erscheint im Ansatz zutreffend, da es gerade um die Erfassung von Zusammenschlüssen mit Unternehmen geht, die noch keine oder nur sehr geringe Umsätze erwirtschaften.54 In bestimmten Konstellationen führt die derzeitige Regelung jedoch zu Wertungswidersprüchen:55 So ist ein Zusammenschluss mit einem Unternehmen, dessen weltweite Umsätze unterhalb der Grenze von 10 Mio. Euro bleiben, kontrollfrei, wenn die Inlandsumsätze mehr als 5 Mio. Euro erreichen, unterliegt dagegen der deutschen Fusionskontrolle, wenn die zweite Inlandsumsatzschwelle (auch nur knapp) verfehlt 49 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 70, 72; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 259. 50 Die Verfehlung dieser Schwelle nicht nur durch das Zielunternehmen, sondern auch eines anderen beteiligten Unternehmens sichert die Subsidiarität in den Fällen eines Erwerbs durch mehrere Unternehmen, Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 259. 51 Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 19. 52 Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 20. 53 Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Verweis bewusst nicht auf Abs. 1a erstreckt, vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76; zust. Kallfaß in Langen/Bunte (Fn. 40), § 35 GWB Rz. 41. 54 Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 272. 55 Kahlenberg/Heim, BB 2016, 1863, 1865; Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 22; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260; Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 561.

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wird (z.B. mit 4,9 Mio. Euro). Dieser Widerspruch lässt sich (jedenfalls de lege lata) nicht im Sinne eines Vorrangs des Zwecks der Bagatellausnahme auflösen.56 Vielmehr müsste – entsprechend der ratio legis der neuen Aufgreifschwelle – der Anwendungsbereich der de minimis-Ausnahme in Fällen der Disproportionalität von Kaufpreis und (weltweiten) Umsatzerlösen (bis 10 Mio. Euro) des Zielunternehmens eingeschränkt werden. Dies könnte jedoch nur de lege ferenda durch explizite gesetzliche Regelung umgesetzt werden, etwa durch die Aufgabe der Subsidiarität des Transak­ tionswertkriteriums oder direkt durch entsprechende Einschränkungen im Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 GWB. Gegen eine teleologische Reduktion der Bagatellausnahme auf die Fälle, in denen die weltweiten Umsätze bis 10 Mio. Euro auf etablierten Märkten erwirtschaftet werden und sich daher im Kaufpreis widerspiegeln, sprechen jedenfalls die Erfordernisse hoher Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Rahmen der formellen Fusionskontrolle. Gerade das Bedürfnis nach einfacher, klarer und rechtssicherer Handhabung der Aufgreifschwellen hat den Gesetzgeber auch veranlasst, die früher im Bereich der formellen Fusionskontrolle angesiedelte Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F.) in die materielle Zusammenschlusskontrolle (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 GWB) zu verlagern.57 c) Verhältnis zur Bagatellmarktklausel (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 GWB) Die Bagatellmarktklausel entzieht „Kleinmärkte“ mit einem Volumen von weniger als 15 Mio. Euro, sofern diese seit mindestens fünf Jahren existieren, der materiellen Fusionskontrolle. Ein Zusammenschluss soll nicht allein wegen der erheblichen Behinderung des Wettbewerbs auf einem gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt untersagt werden können. Neue, noch in der Entstehung begriffene oder jedenfalls weniger als fünf Jahre bestehende Märkte, in denen (wenn überhaupt) meist noch sehr geringe Umsätze erwirtschaftet werden, fallen daher zu Recht nicht unter die Ausnahme. Denn eine frühzeitige Vermachtung soll gerade verhindert werden. § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GWB nimmt Märkte mit unentgeltlichen Leistungen (§ 18 Abs. 2a GWB) sowie die Fälle des § 35 Abs. 1a GWB von der Bagatellmarktklausel aus. Für letztere leuchtet das unmittelbar ein, da das Kriterium des Transaktionsvolumens gerade Zusammenschlüsse auf Märkten mit geringen oder noch fehlenden Umsätzen erfassen soll, auch wenn diese bereits länger als fünf Jahre existieren. Die generelle Erstreckung der Ausnahme von der Bagatellmarktklausel auf Märkte i.S.d. § 18 56 Dafür aber Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 23. 57 Hintergrund dafür waren die erheblichen Rechtsunsicherheiten bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle, die sich aus der Entwicklung der sog. Bündeltheorie durch das BKartA und ihrer prinzipiellen Anerkennung in der Rechtsprechung ergaben; danach sind mehrere separate, aber räumlich oder sachlich angrenzende Märkte unter bestimmten Voraussetzungen zusammenzurechnen, näher hierzu Fuchs, WuW 2008, 774  ff. m.w.N. Nunmehr führt die Bindung der neuen transaktionswertbezogenen Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB an die Voraussetzung einer Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens „in erheblichem Umfang“ wieder ein konkretisierungs- und wertungsabhängiges Kriterium in die formelle Fusionskontrolle ein, dessen Anwendung mit Rechtsunsicherheiten verbunden ist.

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Abs. 2a GWB führt allerdings dazu, dass selbst in den Fällen des § 35 Abs. 1 GWB trotz eines dauerhaft niedrigen Marktvolumens eine Fusionskontrolle durchzuführen ist, sofern es neben entgeltlichen auch unentgeltliche Angebote gibt.58 Insoweit stellt die pauschale Beschneidung des Anwendungsbereichs der Bagatellmarktausnahme kein stimmiges Konzept dar. Zu Recht wird daher vorgeschlagen, die Ausnahme von der Bagatellmarktklausel (künftig) auf die Anwendung der Transaktionsvolumen­ schwelle zu beschränken.59 4. Auswirkungen auf den Zusammenschlussbegriff a) Ausgangspunkt Das transaktionswertbezogene Aufgreifkriterium des § 35 Abs. 1a GWB gilt im Prinzip für alle Zusammenschlusstatbestände in gleicher Weise. Eine unterschiedliche Behandlung von Vermögens- oder Anteilserwerb (asset oder share deal), des Kontroll­ erwerbs oder der Erlangung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, soweit es um die Frage der Anwendbarkeit der nationalen Fusionskontrolle geht. Andernfalls könnten sich die beteiligten Unternehmen durch die Wahl einer bestimmten Form des Zusammenschlusses leicht der Konzentrationskontrolle entziehen. Der neue Ansatz mit seinem Verzicht auf eine durch aktuelle Umsätze ausgewiesene Marktstellung hat jedoch Konsequenzen für die Ausgestaltung der Zusammenschlusstatbestände des Vermögens- und Kontrollerwerbs, soweit er sich auf den Erwerb von wesentlichen Unternehmensteilen bezieht. Dem hat der Gesetzgeber mit einer Ergänzung der Zusammenschlusstatbestände des § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB Rechnung getragen, durch die explizit klargestellt wird, dass es nicht auf die gegenwärtige Erzielung von Umsatzerlösen ankommt. Damit werden diese beiden Zusammenschlusstatbestände gegenüber der bisherigen Rechtslage erweitert.60 b) Erweiterung der Tatbestände des Vermögens- und Kontrollerwerbs Denn bislang wurde die Übertragung eines wesentlichen Teils eines Unternehmensvermögens als Zusammenschluss i.S.d. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB nur erfasst, wenn der Vermögensgegenstand die tragende Grundlage der Marktstellung des Veräußerers darstellt und dem Erwerber die Möglichkeit bietet, in dessen Marktstellung einzutreten und dadurch die eigene Marktposition spürbar zu stärken“.61 Im Zusammenhang 58 Die Vorschrift des § 18 Abs. 2a GWB erfasst auch Märkte, auf denen neben entgeltlichen „auch“ unentgeltliche Angebote erbracht werden, s. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76. 59 Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260 f. 60 A.A. Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 562 (überflüssige Klarstellung angesichts des § 18 Abs. 2a GWB). 61 Kallfaß in Langen/Bunte (Fn.  40), §  37 GWB Rz.  9 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 10.10.2006, WuW/E DE-R 1979, 1981  – National Geographic I; BGH, Urt. v. 7.7.1992, WuW/​E BGH 2783, 2785 f. – Warenzeichenerwerb.

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mit der Übertragung der Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe einer sehr bekannten ausländischen Zeitschrift hat der BGH die Auffassung vertreten, dass es für die Bejahung eines Zusammenschlusses durch Vermögenserwerb auf die Innehabung einer aktuellen Marktposition ankomme, in die der Erwerber einrücken könne, während eine lediglich potentielle, aus der Bekanntheit des Titels resultierende Marktgeltung nicht ausreiche,62 um den Vorgang als einen solchen des externen Unternehmenswachstums zu qualifizieren. Die Neuregelung in § 37 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 GWB stellt nunmehr explizit klar, dass der Zusammenschlusstatbestand des Vermögenserwerbs nicht ausscheidet, „wenn ein im Inland tätiges Unternehmen, dessen Vermögen erworben wird, noch keine Umsatzerlöse erzielt hat“. Gleiches gilt nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB beim Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil. Auf diese Weise wird die Konsistenz des Zusammenschlussbegriffs mit der Aufgreifschwelle in §  35 Abs.  1a GWB sowie mit der Anerkennung eines kartellrechtlich relevanten Marktes auch bei unentgeltlich erbrachten Leistungen (§ 18 Abs. 2a GWB) sichergestellt.63 Darüber hinaus führt die Neuregelung dazu, dass an dem Erfordernis eines Einrückens in eine gegenwärtige Marktstellung des Veräußerers nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden kann.64 Vielmehr muss es reichen, „dass die künftige Marktstellung des Erwerbers beeinflusst werden kann“65. Diese partielle Erweiterung des Zusammenschlusstatbestands muss aber nicht nur für den Fall der Anwendung der Transaktionswertschwelle des § 35 Abs. 1a GWB, sondern generell gelten, also auch dann, wenn die Vorschriften der deutschen Fu­ sionskontrolle aufgrund der Umsatzschwellenwerte des § 35 Abs. 1 GWB anwendbar sind.66 Problematisch ist, dass sich die Neuregelung dem Wortlaut nach auf den Erwerb eines im Inland tätigen Unternehmens beschränkt. Eine Auslegung, die zu einer unterschiedlichen Reichweite des Zusammenschlussbegriffs käme, je nachdem, ob Vermögen(steile) eines im Inland oder im Ausland tätigen Unternehmens erworben werden, wäre gesetzessystematisch verfehlt und würde den Zusammenschlusstatbestand mit kollisionsrechtlichen Aspekten „aufladen“, für die § 185 Abs. 2 GWB einschlägig ist.67 Überzeugender ist es daher, beim Tatbestand des Vermögens- und Kontrollerwerbs nunmehr generell auf ein Einrücken in eine gegenwärtige Marktstellung des Zielun62 BGH, Urt. v. 10.10.2006, WuW/E DE-R 1979, 1982 – National Geographic I. 63 Krit. Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260; Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 561 f., die die Regelung für überflüssig halten. 64 Ebenso Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76; vgl. auch etwas vorsichtiger („nicht geklärt“) und bezogen auf F&E-Tätigkeiten BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 112. 65 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 114 a.E. 66 Die Formulierung im jeweiligen Halbs. 2 des § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB („ein im Inland tätiges Unternehmen“) nimmt zwar erkennbar Bezug auf § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB, doch lässt sich daraus keine exklusive Anwendung nur im Fall der subsidiären Heranziehung der Transaktionswertschwelle ableiten, sind doch Unternehmen mit Umsatzerlösen von 5 Mio. Euro oder mehr in Deutschland ebenfalls bzw. erst recht „im Inland tätig“. 67 Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260.

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ternehmens zu verzichten und sich mit der Feststellung der Marktrelevanz der erworbenen Ressourcen im Sinne einer wahrscheinlichen Beeinflussung der künftigen Marktstellung des Erwerbers zu begnügen. Die Konsequenz ist freilich, dass die Abgrenzung zwischen internem und externem Unternehmenswachstum an Kontur verliert. Denn wenn man auf den möglichen Auf- oder Ausbau einer Marktposition mithilfe der erworbenen Vermögensteile durch den Erwerber abstellt statt auf die Übertragung einer bereits vorhandenen Marktstellung, wird es schwieriger, den internen Aufbau von (zusätzlichen) Kapazitäten etwa durch die Anstellung von Personal, den Erwerb von Maschinen oder Rechten geistigen Eigentums von der Erlangung der Kontrolle über bereits vorhandene, unternehmerisch genutzte Ressourcen des Veräußerers abzugrenzen. Auch wenn die Ausdehnung der Zusammenschlusstatbestände des Vermögens- und Kontrollerwerbs auf nicht umsatztragende Assets oder Unternehmensteile zu einer Einbuße an Rechtssicherheit im Rahmen der formellen Fusionskontrolle führt, lässt sich dies mit dem verbesserten Schutz von Innovationspotentialen insbesondere auf Technologiemärkten rechtfertigen. Der Umstand, dass sich die Erweiterung der Zusammenschlusstatbestände nicht auf die Fälle des Anteilserwerbs nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB und der Erlangung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses (Nr. 4) erstreckt,68 erklärt sich aus dem unterschiedlichen Anknüpfungspunkt: In beiden Fällen geht es um einen gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss auf einen Unternehmensträger. Ist ein solcher gegeben, kommt es für die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands nicht mehr da­ rauf an, ob das Unternehmen selbst bereits Umsätze erwirtschaftet oder (noch) nicht.

III. Das Erfordernis einer Inlandstätigkeit in erheblichem Umfang 1. Konzeptionelle Grundlage a) Ausgangspunkt § 35 Abs. 1a GWB führt in der Zusammenschau seiner Tatbestandsmerkmale im Ergebnis (lediglich) zum Verzicht auf die zweite Inlandsumsatzschwelle von 5 Mio. Euro und seine Ersetzung durch das Kriterium der erheblichen Tätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens im Inland.69 Mit dieser Klausel soll der erforderliche räumliche Bezug (local nexus) des Zusammenschlusses zum Geltungsbereich des GWB hergestellt70 und der Gefahr einer zu weitgehenden Erstreckung der deutschen Fusionskontrolle auf Auslandszusammenschlüsse entgegengewirkt werden. Diese Rückbindung der Transaktionswertschwelle an das Vorliegen einer Inlandstätigkeit „in erheblichem Umfang“ nach § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB erscheint grundsätzlich geeignet, die Übereinstimmung mit dem für das GWB maßgeblichen (§ 185 Abs. 2 GWB) und auch völker-

68 Krit. Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 260 („leuchtet nicht ein“). 69 Im Ergebnis ebenso Kallfaß in Langen/Bunte (Fn. 40), § 35 GWB Rz. 36 (Kompensation des Verzichts auf die zweite Inlandsumsatzschwelle). 70 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 74.

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rechtlich grundsätzlich anerkannten Auswirkungsprinzip71 zu gewährleisten sowie die daraus resultierenden Anforderungen an die Darlegung unmittelbarer, vorhersehbarer und spürbarer Auswirkungen auf den Wettbewerb im Inland zu erfüllen.72 Näher zu untersuchen ist allerdings, in welchem Verhältnis § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB zu den aus § 185 Abs. 2 GWB abzuleitenden allgemeinen Anforderungen an das Vorhandensein von Inlandsauswirkungen als Voraussetzung für die Anwendung der nationalen Fusionskontrolle steht. b) Verhältnis zu § 185 Abs. 2 GWB Für die doppelte Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist anerkannt, dass sie zwar grundsätzlich geeignet ist, als Indiz für spürbare Auswirkungen eines Zusammenschlusses im Inland zu dienen, aber keine abschließende Regelung darstellt.73 Sie konkretisiert den erforderlichen Mindestinlandsbezug,74 schließt aber nicht aus, dass im Einzelfall dennoch die erforderlichen Inlandsauswirkungen ausbleiben. So kann es in bestimmten Sonderkonstellationen, etwa bei Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit exklusivem Tätigkeitsgebiet im Ausland und ohne die Gefahr von Rückwirkungen auf das Wettbewerbsverhalten der Muttergesellschaften im Inland,75 trotz Erfüllung der Aufgreifschwellen des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB an spürbaren Inlandsauswirkungen i.S.d. § 185 Abs. 2 GWB fehlen, so dass der Zusammenschluss nicht der deutschen Fusionskontrolle unterliegt. Demgegenüber weist das Erfordernis der erheblichen Inlandstätigkeit in § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB nicht nur einen unmittelbaren räumlichen Bezug zum Geltungsbereich des GWB auf, sondern verlangt auch explizit ein gewisses Mindestmaß an Auswirkungen. Zwar ist nicht klar, ob mit dem „erheblichen Umfang“ der Inlandstätigkeit eine höhere Intensität an Inlandsauswirkungen verlangt wird als nach dem allgemeinen Spürbarkeitskriterium,76 doch muss jedenfalls eine aktuelle und nicht nur eine mögliche oder geplante Tätigkeit im Inland vorliegen.77 Während der Referentenent-

71 S. nur Stadler in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 185 GWB Rz. 119, 141 ff. m.w.N. 72 Vgl. näher zu den Anforderungen an die Inlandsauswirkungen Stadler in Langen/Bunte (Fn. 72), § 185 GWB Rz. 131 ff., 149 ff.; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 130 Rz. 117 ff. jeweils m.w.N. 73 Vgl. Bechtold/Bosch, GWB, 8. Aufl. 2015, §  35 Rz.  33 („keine fusionskontrollspezifische allgemeine Präzisierung des Auswirkungsprinzips“); Stadler in Langen/Bunte (Fn.  72), § 185 GWB Rz.190 f. 74 Kallfaß in Langen/Bunte (Fn. 40), § 35 GWB Rz. 11. 75 Vgl. näher zu diesem Beispiel BKartA, Merkblatt „Inlandsauswirkungen in der Fusionskontrolle“ v. 30.9.2014; Bechtold/Bosch (Fn. 74), § 35 Rz. 33. 76 Dagegen spricht, dass nach der Gesetzesbegründung ein „erheblicher“ Umfang schon dann bejaht wird, wenn das Unternehmen mehr als eine „marginale Tätigkeit“ im Inland entfaltet, Begr. RegE, BT-Drucks. 18/20207, S. 72. 77 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76; BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 70; Kallfaß in Langen/Bunte (Fn. 40), § 35 GWB Rz. 36.

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wurf noch eine gegenwärtige oder voraussichtliche Inlandstätigkeit genügen ließ,78 ist der Gesetzgeber dem nicht gefolgt. Daher wird man eine bloß künftige Tätigkeit im Inland, mag sie auch unmittelbar bevorstehen oder nach dem Zusammenschluss umgesetzt werden, nicht ausreichen lassen können.79 Trotz dieser partiellen Verschärfung ist angesichts der Unwägbarkeiten bei der Auslegung der „erheblichen Inlandstätigkeit“ fraglich, ob § 35 Abs. 1 Nr. 4 GWB als lex specialis zu § 185 Abs. 2 GWB angesehen werden kann. Es dürfte aber kaum Konstellationen geben, in denen trotz Bejahung dieses Merkmals keine unmittelbaren, vorhersehbaren und spürbaren Inlandsauswirkungen vorliegen.80 Jedenfalls können, anders als bei der doppelten Inlandsumsatzschwelle des §  35 Abs.  1 Nr.  2 GWB, die allgemeinen Anforderungen an die Inlandsauswirkungen, die aus § 185 Abs. 2 GWB bzw. den völkerrechtlichen Grundsätzen zum Auswirkungsprinzip folgen, unschwer in das Merkmal der „erheblichen“ Inlandstätigkeit „hineingelesen“ werden, so dass sich eine gesonderte zusätzliche Prüfung nach § 185 Abs. 2 GWB grundsätzlich erübrigt.81 Problematisch bleibt die weitgehende Unbestimmtheit dieses Kriteriums, zumal gerade bei den Aufgreifkriterien der Fusionskontrolle ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Klarheit und Rechtssicherheit besteht.82 Zu untersuchen ist daher, nach welchen Kriterien eine Konkretisierung vorgenommen werden kann. 2. Ansätze zur Konkretisierung der erheblichen Tätigkeit im Inland a) Allgemeine Erwägungen Die notwendige Konkretisierung des ausfüllungsbedürftigen und letztlich wertungsabhängigen Kriteriums der erheblichen Inlandstätigkeit vollzieht sich im Spannungsverhältnis zwischen zwei divergierenden Anforderungen: der Erfassung möglichst aller wettbewerblich relevanten Transaktionen mit einem Gefährdungspotential für die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs einerseits und der Gewährleistung hinreichender Rechtsklarheit und -sicherheit für die potentiell anmeldepflichtigen Unternehmen andererseits. Sinnvoll erscheint zunächst die Herstellung einer Wertungskongruenz mit der zweiten Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB in Höhe von 5 Mio. Euro. Eine „erhebliche“ Tätigkeit im Inland sollte wertungsmäßig möglichst dem Gewicht der zweiten Inlandsumsatzschwelle entsprechen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass dieser subsidiäre Auffangtatbestand im Einklang mit der prinzipiellen Entschei78 Darauf hinweisend auch Meyer-Lindemann (Fn. 4), Rz. 43; Wurmnest, ibid., Kap. 18 Rz. 6. 79 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn.  17), Rz.  70; Kallfaß in Langen/Bunte (Fn.  40), §  35 GWB Rz. 36. 80 In diese Richtung wohl auch Stadler in Langen/Bunte (Fn. 72), § 185 GWB Rz. 191. 81 Anders offenbar Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76 (§ 185 Abs. 2 neben § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB weiter anwendbar). 82 Vgl. zur verbreiteten Kritik in der Literatur nur Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 268 ff. sowie die Nw. in Fn. 12.

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dung des Gesetzgebers für ein bestimmtes Niveau der „spürbaren“ Auswirkungen von Auslandszusammenschlüssen im Inland steht. Anhaltspunkte für eine generelle Absenkung der Aufgreifschwelle im Rahmen des § 35 Abs. 1a GWB sind nicht ersichtlich.83 Problematisch ist allerdings, dass es anstelle des Umsatzes keinen generellen alternativen Maßstab quantitativer Art für die Bewertung einer erheblichen Inlandstätigkeit gibt. Unsicherheiten bestehen sowohl hinsichtlich der Identifizierung möglicher Kriterien für die Feststellung einer räumlichen Verbindung der unternehmerischen Tätigkeit mit dem Inland als auch für die Bestimmung des „erheblichen“ Umfangs dieser Tätigkeit. b) Anknüpfungspunkte für eine Tätigkeit im Inland Ausgangspunkt für die räumliche Verknüpfung einer unternehmerischen Tätigkeit mit einem bestimmten Gebiet ist grundsätzlich der Ort, an dem der Kunde das angebotene Produkt (Ware oder Dienstleistung) nachfragt. Denn an seinem Standort findet in aller Regel der Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern statt,84 hier werden die fraglichen Waren ausgeliefert oder Dienstleistungen tatsächlich erbracht.85 Dagegen genügt ein inländischer Standort des Zielunternehmens nach deutschem Recht nicht, um eine erhebliche Inlandstätigkeit zu begründen.86 Denn maßgeblich ist nicht die bloße räumliche Zuordnung von Vermögenswerten, sondern ihr Einsatz im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit mit Marktbezug.87 Besonderheiten gelten freilich bei Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Hier fehlt es in aller Regel an einem Kundenbezug, sofern nicht Auftragsforschung für Dritte betrieben wird. Für den Inlandsbezug ist daher grundsätzlich auf den Ort abzustellen, an dem die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit stattfindet, also die erforderliche Infrastruktur (Labore, Instrumente) vorhanden ist und das Personal seine Arbeiten ausführt.88 Darüber hinaus verlangen die deutsche und österreichische Wettbewerbsbehörde in ihrem Leitfaden generell einen Marktbezug der Inlandstätigkeit.89 Dafür ist nicht erforderlich, dass es zu einem Leistungsaustausch gegen Geld kommt, vielmehr genügen auch andere Gegenleistungen des Produktnutzers wie die Betrachtung von Werbung oder Lieferung von Daten. Bei Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten wird ein hinreichender Bezug zu künftigen Produkten oder Dienstleistungen verlangt, während 83 Kallfaß in Langen/Bunte (Fn. 40), § 35 GWB Rz. 36. 84 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 72. 85 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 86 Etwas anderes gilt grundsätzlich für Österreich gemäß § 9 Abs. 4 Z 4 KartG; vgl. BKartA/ BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 68, 73. 87 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 69, 73. 88 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 74 Nr. 1. 89 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 76 ff.; ebenso schon Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76.

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die reine Grundlagenforschung ausgeklammert wird. Maßgeblich soll die Vermarktungsfähigkeit des Forschungsergebnisses sein. Dieser Ansatz ist jedoch problematisch, da er schwierige Abgrenzungsfragen schon im Rahmen der formellen Fusionskontrolle aufwirft.90 Hinzu kommt, dass jegliche Industrieforschung einen Bezug zu künftigen unternehmerischen Aktivitäten aufweist und nicht allein aus wissenschaftlichem Interesse oder zweckfrei betrieben wird.91 Auch wenn es in diesem Stadium noch keinen konkreten Produktbezug gibt, würde eine Monopolisierung bestimmter Bereiche der Grundlagenforschung erhebliche wettbewerbliche Gefahren aufwerfen und sollte daher nicht von vornherein außerhalb des Fokus der Fusionskontrolle bleiben.92 Obwohl es im Rahmen der materiellen Beurteilung von Zusammenschlüssen auf eine Prognose der künftigen Entwicklung der Wettbewerbsverhältnisse ankommt, wird im Rahmen des Aufgreifkriteriums des Transaktionswerts ausschließlich auf eine aktuelle Inlandstätigkeit im Zeitpunkt der Anmeldung abgestellt.93 Lediglich geplante oder voraussichtliche Aktivitäten reichen nicht aus. Auch die Qualifikation als potentieller Wettbewerber für den inländischen Markt genügt nicht. Die noch im Referentenentwurf enthaltene Anknüpfung an eine „gegenwärtige oder voraussichtliche“ Inlandstätigkeit hat keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden. Eine „gegenwärtige“ Inlandstätigkeit setzt aber nicht die Erzielung von Umsätzen voraus, sondern liegt z.B. auch dann vor, wenn sie einen Marktauftritt vorbereiten soll wie etwa die Beantragung der Zulassung eines Arzneimittels im Inland.94 c) Erheblicher Umfang Das Kriterium der Inlandstätigkeit in einem erheblichen Umfang dient nach der Gesetzesbegründung dazu, „marginale Tätigkeiten“ auszuklammern.95 Auf eine quan­ titative Konkretisierung hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet. Eine „gesetzliche Fixierung oder Festsetzung absoluter quantitativer Grenzwerte“ hält er für nicht sachgerecht, da die Erheblichkeit je nach Branche oder Marktreife unterschiedlich zu beurteilen sei.96 Vielmehr soll der Wettbewerbsbehörde insofern ein gewisser Bewertungsspielraum verbleiben.97

90 Vgl. etwa BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 79, wonach es bei der pharmazeutischen Forschung darauf ankommen soll, ob „Rechte an Substanzen erworben werden sollen, die sich bereits in einer fortgeschrittenen Phase der klinischen Prüfung befinden“. 91 So schon Blaurock, FS v. Caemmerer, 1978, S. 477, 480 unter Hinweis auf die Entwicklung des Nylons durch DuPont. 92 Vgl. zur wettbewerblichen Relevanz der Grundlagenforschung bereits Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1988, S. 35 ff., 181 ff. (insbes. 183). 93 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 70; Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 76. 94 Ähnlich BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 70. 95 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 96 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 97 So auch Siebert/Aulmann, ZWeR 2017, 262, 269.

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Die große Rechtsunsicherheit, die aus dem Fehlen jeglicher gesetzlicher Anhaltspunkte für eine (auch) quantitative Konkretisierung der „erheblichen“ Inlandstätigkeit resultiert, könnte (ähnlich wie beim Merkmal der Spürbarkeit)98 durch die Angabe gewisser genereller Orientierungsgrößen in Leitlinien der Wettbewerbsbehörden verringert werden. In dem gemeinsamen Leitfaden von BKartA und BWB99 ist dies jedoch nicht vorgesehen. So wollen die Behörden auf (noch) nicht durch Umsätze geprägten Märkten zwar auf ein bestimmtes Verhältnis von inländischen Nutzern zur Gesamtzahl der Verbraucher (oder potentiellen Nutzer) auf dem Inlandsmarkt abstellen, geben insoweit aber keine abstrakte quantitative Orientierungsgröße (etwa in Form einer Mindestprozentzahl) an, sondern belassen es dabei, im Rahmen eines Fallbeispiels eine bestimmte Nutzerzahl ohne nähere Erläuterung als erheblich zu qualifizieren.100 In „reifen, von der Erzielung von Umsätzen geprägten Märkten“ 101 greift das BKartA dagegen im Anschluss an ein Beispiel in der Gesetzesbegründung102 unter teleologischen und gesetzessystematischen Aspekten wieder auf die zweite Inlandsumsatzschwelle zurück und verneint die Erheblichkeit der Inlandstätigkeit, wenn der Umsatz unter 5 Mio. Euro liegt „und diese Umsatzerlöse die Marktposition und das wettbewerbliche Potential angemessen widerspiegeln“103. Das soll insbes. dann der Fall sein, wenn das fragliche Unternehmen im Ausland bereits erhebliche Umsätze erwirtschaftet, nicht dagegen im Inland (z.B. wegen einer fehlenden Vertriebsorganisation). Bislang fehlende oder niedrige Umsätze sind dagegen nicht geeignet, das wettbewerbliche Potential angemessen zu reflektieren, wenn ein Produkt angeboten werde, das erst kürzlich eingeführt worden sei. Gleiches gilt, wenn es um Märkte geht, die nicht durch die Erzielung von Umsätzen geprägt sind. In diesen Fällen ist auf andere Kriterien abzustellen. Als Indikatoren für die Messung des Umfangs und damit der Er­ heblichkeit der marktbezogenen Tätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens kommen dann vor allem direkt auf die Nutzung der angebotenen Produkte bezogene 98 Vgl. hierzu die Bagatellbekanntmachungen des BKartAs und der Kommission (Bekanntmachung Nr. 18/2007 des Bundeskartellamts über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung v. 13.3.2007; Bekanntmachung der Kommission v. 30.8.2014 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2014 Nr. C 291/1). 99 Vgl. bereits oben Fn. 14. 100 So soll bei einem Softwareunternehmen mit dem Angebot einer App, die sich an alle Verbraucher richtet, die Schwelle der Erheblichkeit bei 70.000 Nutzern in Österreich und 1  Million Nutzern in Deutschland überschritten sein, vgl. BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 95. Die Gesetzesbegründung stellt in einem dem Fall Facebook/WhatsApp nachgebildeten Beispiel ebenfalls auf eine Nutzerzahl von mehr als 1 Million ab, während bei einer an speziellere Nutzergruppen gerichteten App geringere Nutzerzahlen für ausreichend gehalten werden, Begr. RegE, BT-Drucks. 18/20207, S. 72. 101 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 65, 82. 102 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 103 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 82.

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Kriterien in Betracht. Die Wettbewerbsbehörden wollen insoweit auf branchenübliche Größen abstellen, die nicht leicht manipulierbar sind.104 Dazu gehören auf digitalen Märkten etwa die Zugriffshäufigkeit auf eine Website („unique visitor“) oder die Nutzerzahlen („monthly“ oder auch „daily active user“).105 Gesetzliche Anhaltspunkte für eine Quantifizierung der Erheblichkeit bei den Nutzerzahlen existieren nicht. Die von BKartA und BWB in den Fallbeispielen des Leitfadenentwurfs genannten Zahlen für eine Überschreitung der Schwelle (1 Million Nutzer in Deutschland, 100.000 oder auch nur 70.000 in Österreich)106 erscheinen mangels näherer Begründung recht willkürlich.107 Eine relative Bezugsgröße (x % der Verbraucher oder potentiellen Nutzer im Inland) wird nicht angegeben. Völlig unbestimmt bleibt das Erheblichkeitskriterium beim Erwerb von Forschungsund Entwicklungstätigkeiten. Neben der Anzahl der mit derartigen Arbeiten beschäftigten Mitarbeiter werden auch das dafür zur Verfügung stehende Budget sowie die Anzahl der Patente oder Patentzitate als mögliche Kriterien genannt, ohne jedoch irgendwelche Zahlen zu nennen. Die Übertragung eines Forschungsstandorts im Inland soll bei hinreichendem Marktbezug aber in jedem Fall und ohne Rücksicht da­ rauf, dass es sich nach der Anzahl der Forscher oder der Patente bzw. nach dem Umfang des Forschungsbudgets nur um ein „kleines“ Labor handele, erheblich sein.108 Im Ergebnis muss es für die Bestimmung der Erheblichkeit der Inlandstätigkeit und damit eines hinreichenden Inlandsbezugs des Zusammenschlusses primär darauf ankommen, ob der Kaufpreis von mehr als 400 Millionen Euro zu einem nicht nur ganz unerheblichen Teil für Aktivitäten des erworbenen Unternehmens(teils) in Deutschland und das insoweit bestehende Wettbewerbspotential gezahlt wird. Insoweit handelt es sich bei der Erheblichkeit um einen relativen Maßstab: Ist das Zielunternehmen im Wesentlichen (nur) im Inland tätig, ist das Kriterium der Erheblichkeit unabhängig davon erfüllt, wie hoch der (schon) erzielte Umsatz, die Anzahl der Nutzer oder die Größe des Forschungslabors bzw. -budgets in absoluten Zahlen ist. Die Überschreitung der Transaktionswertschwelle indiziert dann schon für sich (auch) die Erheblichkeit der Inlandstätigkeit, sofern überhaupt schon eine marktbezogene Tätigkeit vorliegt. Ist das Zielunternehmen dagegen sowohl im In- als auch im Ausland tätig, kommt es darauf an, ob gerade die Inlandsaktivitäten ein Ausmaß erreichen, das für eine spürbare (künftige) Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse im Inland genügt, also z.B. bereits ausreichend große Nutzerzahlen im Verhältnis zu den angesprochenen Verbrauchern im Inland erreicht werden. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Inlandsaktivitäten einen bestimmten prozentualen Umfang an der gesamten Tätig104 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 66 ff. 105 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn.  17), Rz.  67, 88; vgl. auch schon Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75. 106 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 86, 88, 95. 107 So fehlt es an einer Quantifizierung des insoweit in Bezug genommenen „Verhältnisses von Nutzern zu Verbrauchern“ in dem jeweiligen Land, aaO, Rz. 88. 108 BKartA/BWB, Leitfaden (Fn. 17), Rz. 84, 105.

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keit des Zielunternehmens (und damit am Transaktionswert) erreichen. Die Erheblichkeit hängt vielmehr vom relativen Umfang der Inlandsaktivität vor dem Hintergrund der konkreten Marktverhältnisse im Inland ab. Jedenfalls bei deren spürbarer Beeinflussung ist die Inlandstätigkeit auch erheblich.

IV. Zusammenfassende Bewertung und Ausblick Die Einführung eines weiteren Aufgreifkriteriums zur Erfassung von Zusammenschlüssen, deren Potential zur Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse sich (noch) nicht in den aktuellen Umsatzzahlen widerspiegelt, ist im Prinzip zu begrüßen. Damit wird tendenziell eine Schutzlücke im System der Fusionskontrolle geschlossen, die sich insbesondere auf digitalen Märkten gezeigt hat. Die Anwendung der neuen Transaktionswertschwelle in § 35 Abs. 1a GWB ist in der Praxis aber mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden. Das hängt zum Teil mit konzeptionellen Defiziten, zum Teil mit den vom Gesetzgeber bewusst gewählten Kriterien für die Bestimmung des Anwendungsbereiches des neuen Tatbestands zusammen. Diese weisen nicht durchgängig die im Rahmen der formellen Fusionskontrolle erforderliche Klarheit auf, sondern sind – wie insbesondere das Merkmal der erheblichen Inlandstätigkeit – konkretisierungsbedürftig und von einzelfallbezogenen Wertungen abhängig. Hinzu kommt, dass die Bedeutung des Transaktionswertkriteriums durch seine Subsidiarität gegenüber den allgemeinen Umsatzschwellen des § 35 Abs. 1 GWB und die relative hohe Schwelle von 400 Mio. Euro recht begrenzt bleibt. Konzeptionell unbefriedigend ist neben der lediglich subsidiären Anwendung sowie gewissen Wertungswidersprüchen im Verhältnis zur de-minimis-Klausel und zur Bagatellmarktklausel109 vor allem, dass der Tatbestand der neuen Aufgreifschwelle nicht hinreichend auf das spezifische Regelungsanliegen des Gesetzgebers zugeschnitten ist. Die in seinen Augen erforderliche Begrenzung des (sachlichen) Anwendungsbereichs von § 35 Abs. 1a GWB auf Fälle der Disproportionalität Kaufpreis und Umsatz des Zielunternehmens soll nach der Gesetzesbegründung offenbar im Wege einer einzelfallbezogenen teleologischen Reduktion über das Merkmal der erheblichen Inlandstätigkeit erfolgen.110 Dies führt jedoch zu einer unbefriedigenden Vermengung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung mit der Bestimmung der sachlichen Reichweite des Transaktionswertkriteriums und zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei der Beurteilung der Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen. § 43a GWB sieht eine Evaluierung der neuen transaktionswertbezogenen Aufgreifschwelle nebst der begleitenden Regelungen nach Ablauf von drei Jahren seit dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle vor. Das Interesse des Gesetzgebers an den Erfahrungen mit der Neuregelung richtet sich zwar primär auf die Angemessenheit der Schwelle von 400 Mio. Euro für das Transaktionsvolumen sowie etwaige Schwierig109 Vgl. hierzu oben II. 3. a) – c). 110 Vgl. das hypothetische Fallbeispiel in Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 75 zu einem Zusammenschluss in einer „seit vielen Jahren durch entgeltliche Austauschbeziehungen und hohe Umsatzvolumina“ geprägten Branche.

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keiten bei der Ermittlung des Wertes der Gegenleistung.111 Von mindestens gleicher Bedeutung sollten jedoch die Erfahrungen mit der Handhabung des Merkmals der erheblichen Inlandstätigkeit sein. Im Rahmen einer künftigen Reform sollte der Aufgreiftatbestand des Transaktionsvolumens besser auf die eigentliche Zielsetzung, die Erfassung eines sich noch nicht in Umsätzen ausdrückenden, aber bereits im Kaufpreis reflektierten Marktpotentials des Zielunternehmens, zugeschnitten werden. Insofern bietet sich insbesondere die Einführung einer weltweiten Umsatzobergrenze für das Zielunternehmen an.112 Daneben sollte künftig auf das Merkmal der erheblichen Inlandstätigkeit verzichtet werden, da seine Anwendung mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden ist und keinen Gewinn an Rechtsklarheit oder Konkretisierung gegenüber den allgemeinen Anforderungen des § 185 Abs. 2 GWB hinsichtlich der erforderlichen spürbaren Inlandsauswirkungen des Zusammenschlusses bietet.113 Vielmehr läuft die Bestimmung der Erheblichkeit letztlich auf eine Feststellung der Spürbarkeit der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Wettbewerbsverhältnisse im Inland hinaus. Dass mit einer Streichung des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB das Erfordernis einer aktuellen Inlands­ tätigkeit entfiele, ist nicht bedenklich, sondern hätte den positiven Begleiteffekt, dass auch andere Fälle, in denen trotz fehlender Inlandsumsätze ausnahmsweise ein erhebliches wettbewerbliches Gefährdungspotential für die inländischen Marktverhältnisse besteht, erfasst werden könnten. Das gilt etwa für die Ausschaltung eines wichtigen potentiellen Wettbewerbers, der noch nicht im Inland tätig ist, ohne den Zusammenschluss aber wahrscheinlich in den Markt eingetreten wäre. Schließlich sollte künftig auf die Subsidiarität des neuen Aufgreifkriteriums gegenüber den allgemeinen Umsatzschwellenwerten nach § 35 Abs. 1 GWB verzichtet und ein hohes Transaktionsvolumen generell als alternativer Anknüpfungspunkt für die formelle Fusionskontrolle dienen,114 da ein hoher Kaufpreis regelmäßig den Schluss auf ein erhebliches wettbewerbliches Potential der Transaktion rechtfertigt.

111 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 74, 78. 112 So auch Siebert/Aumann, ZWeR 2017, 262, 275. 113 Die Sicherstellung des hinreichenden Inlandsbezugs über die allgemeine Norm des § 185 Abs. 2 GWB halten auch Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 561 für vorzugswürdig. 114 Für eine hohe, nicht subsidiäre Transaktionswertschwelle auch schon Monopolkommission, Sondergutachten 68 (Fn. 3), Rz. 461; Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 561, 562.

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Die einstweilige Verfügung auf Herausgabe einer wettbewerbsbehördlichen Entscheidung – Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB I. Hintergrund und Problemstellung II. Ist die Vorschrift des § 89b Abs. 5 GWB auf „Altfälle“ anwendbar? III. Praktische Schwierigkeiten bei der ­Berücksichtigung der Ausschlussgründe des § 33g Abs. 3-5 GWB am Beispiel der Kronzeugenerklärungen 1. Schutz von Kronzeugenerklärungen als Beispiel für gesetzlich geforderte Schwärzungen einer Bußgeldentscheidung

2. Prozessuale Darlegungserfordernisse im einstweiligen Rechtsschutz am Beispiel von Kronzeugenerklärungen 3. Das Gericht wird die Prüfung gebotener Schwärzungen von Kronzeugen­ erklärungen in der Praxis nur mit Hilfe der Wettbewerbsbehörde vornehmen können IV. Ergebnis: § 89 Abs. 5 GWB sollte ersatzlos gestrichen werden

Die 9. GWB-Novelle hat bekanntlich vor allem durch die dem deutschen Verfahrensrecht zuvor weitgehend fremden Offenlegungsvorschriften grundlegende Neuerungen für den Kartellschadensprozess mit sich gebracht. Gemeinsam mit dem Jubilar durfte der Autor bereits wenige Wochen nach Inkrafttreten der Novelle auf Seiten eines betroffenen Unternehmens das bundesweit möglicherweise erste Verfahren betreuen, in dem ein Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz die Herausgabe der wettbewerbsbehördlichen Bußgeldentscheidung begehrte. Dieser Beitrag profitiert von dem fruchtbaren Austausch, den wir während des Verfahrens pflegten.

I. Hintergrund und Problemstellung Hintergrund des Verfahrens war ein von einer Wettbewerbsbehörde wegen wettbewerbswidriger Absprachen zwischen Unternehmen durchgeführtes Bußgeldverfahren, in dem die vom Jubilar vertretenen Unternehmen als Kronzeugen einen vollständigen Bußgelderlass erreichten. Die Entscheidung war mittlerweile rechtskräftig, jedoch lag noch keine auch der Öffentlichkeit zugängliche Fassung der Bußgeldentscheidung vor. Zur Vorbereitung möglicher Schadensersatzansprüche begehrte deshalb ein potentiell Geschädigter die Herausgabe der Bußgeldentscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 89b Abs. 5 GWB. Das Verfahren betraf neben zahlreichen Rechtsfragen auch die Praktikabilität des einstweiligen Rechtsschutzes für diese Konstellation. Es endete ohne gerichtliche Entscheidung. Nach § 33g GWB besteht sowohl für Gläubiger als auch Schuldner von Schadensersatzansprüchen aufgrund kartellrechtswidriger Absprachen ein Anspruch auf He­ 295

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rausgabe von Beweismitteln, die für die Erhebung einer entsprechenden Klage oder die Verteidigung gegen eine solche erforderlich sind. Hinsichtlich wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen ermöglicht die verfahrensrechtliche Regelung des § 89b Abs. 5 GWB potentiell Geschädigten, eine einstweilige Verfügung auf deren Herausgabe zu erwirken. Ursprünglich hatte der Gesetzgeber vorgesehen, die Möglichkeit einer solchen einstweiligen Verfügung umfassend für alle einem potentiell Geschädigten dienlichen Beweismittel zu eröffnen. Buchstäblich in letzter Minute des Gesetzgebungsverfahrens ist diese weitgehende Regelung, die auch der Autor kritisiert hatte, indes auf die Herausgabe der Bußgeldentscheidung beschränkt worden.1 Hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 89b Abs. 5 GWB ist zunächst nicht klar, ob dieser überhaupt zur Anwendung kommt, wenn – wie bei den derzeit noch aktuellen Bußgeldentscheidungen – ein vor Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle abgeschlossener Sachverhalt zugrunde liegt, oder ob die einstweilige Verfügung nur zur Unterstützung solcher Ansprüche in Betracht kommt, die erst nach dem maßgeblichen Stichtag – dem 26.12.2016 – entstanden sind (dazu II.). In inhaltlicher Hinsicht ist sodann die zentrale Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltenden Ausschlussgründe des §  33g Abs.  3-5 GWB hinreichend berücksichtigt werden; hier zeigen sich – über die typische rechtliche Diskussion zum Umfang gebotener Schwärzungen hinaus – erhebliche praktische Probleme für die Parteien und das Gericht (dazu III.). Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob die Regelung des § 89b Abs. 5 GWB überhaupt einen praktischen Anwendungsbereich erlangen kann oder nicht ersatzlos gestrichen werden sollte (dazu IV.).

II. Ist die Vorschrift des § 89b Abs. 5 GWB auf „Altfälle“ anwendbar? Den Kartellschadensfällen, die in den nächsten Monaten und vermutlich noch Jahren zu den Gerichten gelangen, dürften in der Regel Absprachen zugrunde liegen, die vor dem Stichtag der 9. GWB-Novelle – 26.12.2016 – erfolgten. Während die Übergangsvorschrift des § 186 GWB eine klare Regelung zu den meisten Neuerungen der Novelle trifft, ist nicht zweifelsfrei, ob die Regelung des § 89b Abs. 5 GWB auch zur Anwendung kommt, wenn ein Geschädigter sich bei einem nach dem 26.12.2016 eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen aus einem solchen „Altfall“ resultierenden Schadensersatzanspruch stützt. Diese Frage wird verschiedentlich bejaht.2 Insbesondere aus § 186 Abs. 4 GWB ergebe sich, dass die §§ 89b, 33g GWB in allen Rechtsstreitigkeiten anwendbar seien, in de1 Bach/Wolf, NZKart 2017, 285, 291. 2 Aufdermauer, WuW 2017, 482, 486; Scherzinger, NZKart 2017, 307, 309; Petrasincu/von Steuben, NZKart 2018, 286; außerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes – wenn auch ohne nähere Begründung – jetzt auch LG Hannover, Urteil v. 18.12.2017 – 18 O 8/17, S. 26 des Umdrucks.

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Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB

nen nach dem 26.12.2016 Klage erhoben worden sei.3 Das überzeugt jedoch nicht. § 186 Abs. 4 GWB enthält gerade keine Regelung, die die Anwendbarkeit der §§ 89b, 33g GWB positiv anordnet; im Gegenteil beschränkt sich die Vorschrift durch die Formulierung „sind nur […] anzuwenden“ primär darauf zu regeln, in welchen Fällen sie jedenfalls nicht gelten: in Rechtsstreitigkeiten, in denen vor dem 26.12.2016 Klage erhoben worden ist. Damit ist jedoch nicht gleichzeitig gesagt, dass die §§ 89b, 33g GWB in Rechtsstreitigkeiten, in denen nach dem 26.12.2016 Klage erhoben worden ist, ohne Weiteres anzuwenden sind. Aus der der 9. GWB-Novelle zugrunde liegenden Richtlinie 2014/104/EU ergibt sich keine zusätzliche Auslegungshilfe. Artikel 22 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass nationale Vorschriften, die erlassen werden, um den materiell-rechtlichen Vorschriften der Richtlinie zu entsprechen, nicht rückwirkend gelten dürfen. Die sonstigen Vorschriften sollen nach Artikel 22 Abs. 2 der Richtlinie keine Anwendung auf Schadensersatzklagen finden, die vor dem 26.12.2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden. Nun ist einerseits der Herausgabeanspruch des § 33g GWB wohl unstreitig als materiell-rechtlicher Anspruch ausgestaltet.4 So hat der Wirtschafts- und Energieausschuss in seiner Beschlussempfehlung vom 8.3.2017 ausgeführt: „§ 33g [GWB] schafft einen materiellen Anspruch, der erst nach Verkündung des Gesetzes entstehen soll.“5 Ein Rückwirkungsverbot dürfte sich aus Artikel 22 Abs. 1 der Richtlinie dennoch nicht ergeben. Denn die Richtlinie erachtet den Herausgabeanspruch nicht als materiell-rechtliche Regelung.6 Vielmehr handelt es sich um eine – nach Artikel 5 Abs. 8 der Richtlinie zulässige – überschießende Umsetzung in das deutsche Recht. Andererseits wird §  89b GWB einschließlich dessen Absatz 5 als prozessuale Vorschrift zu beurteilen sein.7 Dem insoweit relevanten Artikel 22 Abs. 2 der Richtlinie fehlt es aber wie bei § 186 Abs. 4 GWB an einer positiven Geltungsanordnung. Vielmehr bestimmt die Vorschrift wiederum lediglich diejenigen Fälle, in denen die prozessualen Regelungen der Richtlinie nicht gelten sollen.8 Auch folgt hieraus nicht – gewissermaßen im Gegenschluss –, dass die nicht materiell-rechtlichen Regelungen (wie sie § 89b GWB darstellt) in Rechtsstreitigkeiten, in denen nach Inkrafttreten der Richtlinie Klage erhoben worden ist, ohne Weiteres anwendbar sein sollen. Man wird der Richtlinie daher keine Vorgabe entnehmen können, dass § 89b GWB uneingeschränkt auf alle nach dem 26.12.2016 erhobenen Klagen anzuwenden ist. Für die Anwendbarkeit der §§ 33g, 89b GWB auf Altansprüche streitet auch nicht, dass die Übergangsvorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 GWB lediglich die Anwendbar3 Scherzinger, NZKart 2017, 307, 309. 4 Fiedler/Niermann, NZKart 2017, 497, 497; Aufdermauer, WuW 2017, 482, 483; Hellmann/ Steinbrück, NZKart 2017, 164, 168; Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 400; Podszun/Kreifels/ Schmieder, WuW 2017, 114, 116. 5 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 18/11446 v. 8.3.2017, S. 32. 6 Patzer/Kruse, NZKart 2018, 291, 293/294. 7 Aufdermauer, WuW 2017, 482, 483; Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164, 169. 8 A.A. Petrasincu/Schaper, WuW 2017, 306, 307; Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 401.

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keit der §§ 33a-f GWB (mit Ausnahme von 33c Abs. 5 GWB) auf Schadensersatzansprüche beschränkt, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind, die Vorschrift des § 33g GWB hingegen nicht ausdrücklich aufführt. Hieraus dürfte nicht folgen, dass § 33g GWB ohne Weiteres auch auf Altansprüche anzuwenden ist. Zum einen fehlt auch insoweit eine ausdrückliche Anordnung der Anwendbarkeit des § 33g GWB auf etwaige Ansprüche, die vor dem 26.12.2016 entstanden sind. Zum anderen war eine gesonderte Erwähnung des § 33g GWB in § 186 Abs. 3 Satz 1 GWB im Grunde entbehrlich, denn die fehlende Anwendbarkeit des § 33g GWB auf Schadensersatzansprüche, die vor dem 26.12.2016 entstanden sind, dürfte sich bereits aus der Anknüpfung an § 33a GWB in § 33g GWB selbst ergeben.9 Denn § 33g Abs. 1 GWB gewährt nach seinem Wortlaut allein demjenigen einen Herausgabeanspruch, der glaubhaft macht, dass sich der Anspruchsgegner im Besitz eines Beweismittels befindet, das „für die Erhebung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs nach § 33a Absatz 1 [GWB] erforderlich“ ist.10 Die Vorschrift des § 33a GWB ist jedoch kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nur auf Schadensersatzansprüche anwendbar, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind (§ 186 Abs. 3 Satz 1 GWB). Da auch § 89b Abs. 5 GWB die Möglichkeit einer auf Herausgabe der Bußgeldentscheidung gerichteten einstweiligen Verfügung nur „bei Vorliegen der Voraussetzungen des §  33g [GWB]“ vorsieht, bestehen gegen dessen Anwendbarkeit auf Altfälle gleichermaßen Bedenken.11 Aus der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Grauzementfall lassen sich ebenfalls keine gegenteiligen Schlussfolgerungen ziehen: Zwar hat sich der Bundesgerichtshof darin für eine rückwirkende Anwendung des durch die 7. GWB-­Novelle eingeführten § 33 Abs. 5 GWB a.F. (entspricht dem heutigen § 33h Abs. 6 GWB) auf „Altfälle“ ausgesprochen.12 Damals gab es allerdings – anders als im Rahmen der 9. GWB-Novelle – gerade keine Übergangsvorschrift. Dass § 186 GWB trotz der dem Gesetzgeber von der 7. GWB-Novelle noch bekannte Problematik der rückwirkenden Anwendung auf „Altfälle“ gerade keine dahingehende ausdrückliche Regelung vorsieht, dürfte eher gegen eine rückwirkende Anwendung der §§ 33g, 89b GWB auf solche „Altfälle“ sprechen. Hierfür streiten auch systematische Erwägungen. So hat der Gesetzgeber in §  186 Abs. 3 Satz 2 GWB ausdrücklich geregelt, dass die Verjährungsvorschrift des § 33h GWB sowohl auf Schadensersatzansprüche anwendbar ist, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind, als auch auf solche, die zwar vor dem 27.12.2016 entstanden sind, jedoch am 9.6.2017 noch nicht verjährt waren. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass §  33g GWB ebenfalls auf Schadensersatzansprüche anwendbar sein sollte, die vor dem 27.12.2016 entstanden sind, so hätte er eine solche mit § 186 Abs. 3 Satz 2 GWB vergleichbare Regelung schaffen können.13 9 Insoweit zustimmend Aufdermauer, WuW 2017, 482, 485 f. 10 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 3.4.2018 – VI-W (Kart) 2/18. 11 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 3.4.2018 und 7.5.2018 – VI-W (Kart) 2/18. 12 BGH, Urteil v. 12.6.2018 – KZR 56/16. 13 S. allerdings Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 18/11446 v. 8.3.2017, S. 32 a.E.

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Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB

Dennoch scheint die gesetzliche Übergangsregelung nicht geglückt. So könnte gefragt werden, ob die Regelung des § 186 Abs. 4 GWB, nach der § 33g GWB nur auf Klagen anwendbar ist, die nach dem 26.12.2016 erhoben wurden, nicht entbehrlich ist, wenn § 33g GWB ohnehin erst ab diesem Zeitpunkt als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Dem könnte aber entgegengehalten werden, dass durch die Regelung in § 186 Abs. 4 GWB ein Gleichlauf des § 33g GWB mit der weitgehend hierauf bezogenen prozessualen Vorschrift des § 89b GWB ermöglicht wird: Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des § 186 Abs. 4 GWB zum einen – in (zeitlich allerdings nicht ganz konsistenter) Umsetzung von Artikel 22 Abs. 2 der Richt­ linie – ausschließen, dass § 89b GWB als verfahrensrechtliche Vorschrift bereits in Prozessen zur Anwendung kommt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 9. GWB-­ Novelle bereits anhängig waren. Diese Klarstellung ist sachgerecht, weil neu eingeführte verfahrensrechtliche Vorschriften nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur intertemporalen Geltung von prozessualen Gesetzesänderungen andernfalls grundsätzlich bereits ab ihrem Inkrafttreten in Rechtsstreitigkeiten angewandt werden dürfen, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung anhängig sind.14 Zum anderen vermeidet § 186 Abs. 4 GWB, dass die mit § 89b GWB eng verbundene Vorschrift des § 33g GWB einen abweichenden Anwendungsbereich hat. Ohne die Vorschrift des § 186 Abs. 4 GWB würde § 33g GWB als materiell-rechtliche Regelung zwar nach der hier vertretenen Auslegung weiterhin nur für Ansprüche gelten, die erst nach Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle entstanden sind, allerdings wäre die flankierende prozessuale Regelung des § 89b GWB auf zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Prozesse und damit auch auf „Altansprüche“ anzuwenden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Klarstellung, dass neben dem ohnehin erst dann anwendbaren § 33g GWB auch §  89b GWB einheitlich nur in Rechtsstreitigkeiten anzuwenden ist, die nach dem 26.12.2016 anhängig gemacht wurden, durchaus sachgerecht. Würde man demgegenüber die §§ 89b, 33g GWB losgelöst vom Zeitpunkt der Anspruchsentstehung bereits in allen Prozessen anwenden, die nach dem 26.12.2016 anhängig wurden, würde man damit unweigerlich die materiell-rechtliche Regelung des § 33g GWB rückwirkend auch auf solche potentiellen Schadensersatzansprüche anwenden, die bereits vor etlichen Jahren und damit selbst vor Inkrafttreten der der 9. GWB-Novelle zugrundeliegenden Richtlinie entstanden wären. Das widerspräche indes der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur intertemporalen Geltung materiell-rechtlicher Gesetzesänderungen, wonach Schuldverhältnisse hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, ihres Inhaltes und ihrer Wirkungen dem Recht unterstehen, das zur Zeit ihrer Entstehung galt.15 Die überzeugenderen Argumente sprechen deshalb dafür, §§ 33g, 89b GWB einheitlich nur hinsichtlich solcher potentieller Schadensersatzansprüche anzuwenden, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind. 14 St. Rspr.; BVerfG, Urteil v. 11.3.1975 – 2 BvR 135-139/75, NJW 1975, 1013, 1014; BGH, Beschluss v. 7.5.2015 – I ZR 171/10, GRUR 2015, 820; BGH, Urteil v. 28.2.1991 – III ZR 53/90 m.w.N. 15 Vgl. nur BGH, Urteil v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, NJW 2009, 1277, 1279 Rz. 21-22.

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III. Praktische Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung der ­Ausschlussgründe des § 33g Abs. 3-5 GWB am Beispiel der ­Kronzeugenerklärungen Losgelöst davon, wie man die Frage der Anwendbarkeit der neuen Offenlegungsvorschriften auf Altfälle letztlich entscheidet, stellen sich im Weiteren bei der Frage gebotener Schwärzungen einer herauszugebenden Bußgeldentscheidung kaum sachgerecht lösbare Probleme. Da § 89b Abs. 5 GWB die Anordnung einer einstweiligen Verfügung nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33g GWB zulässt, sind auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Ausschlussgründe des §  33g Abs.  3-5 GWB zu be­ rücksichtigen. Das hat zur Folge, dass ein Antragsteller gegen einen Betroffenen typischerweise nur einen Anspruch auf eine geschwärzte Fassung der Bußgeldentscheidung haben wird, die sich letztlich nicht wesentlich unterscheiden sollte von der Fassung, die die Wettbewerbsbehörde potentiell Geschädigten unmittelbar bereitstellt.16 1. Schutz von Kronzeugenerklärungen als Beispiel für gesetzlich geforderte Schwärzungen einer Bußgeldentscheidung Eine in der Praxis wichtige Einschränkung der Herausgabeverpflichtung dürfte sich auf Kronzeugenerklärungen beziehen.17 § 33g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB untersagt die Herausgabe von Dokumenten, wenn und soweit darin eine sog. Kronzeugenerklärung, namentlich „eine freiwillige Erklärung seitens oder im Namen eines Unternehmens [...] gegenüber einer Wettbewerbsbehörde enthalten ist, in der das Unternehmen […] die Kenntnis von einem Kartell und seine [...] Beteiligung daran darlegt und die eigens zu dem Zweck formuliert wurde, im Rahmen eines Kronzeugenprogramms bei der Wettbewerbsbehörde den Erlass oder die Ermäßigung der Geldbuße zu erwirken.“ Kronzeugenerklärungen sind in der vertraulichen Fassung einer Bußgeldentscheidung typischerweise in erheblichem Umfang enthalten. Zunächst ist hierbei festzustellen, dass nicht nur den Kronzeugenerklärungen selbst, sondern auch etwaigen in der vertraulichen Fassung der Bußgeldentscheidung wiedergegebenen Kronzeugenerklärungen Schutz zukommen muss. In der Regel haben die Betroffenen der Wett­ 16 An dieser Stelle wird nicht auf die – komplexe – Frage eingegangen, ob im Bußgeldverfahren ein anderer rechtlicher Maßstab für vorzunehmende Schwärzungen gilt als im Zivilprozess oder sogar in Bußgeldverfahren vor der Europäischen Kommission ein anderer rechtlicher Maßstab gilt als in Bußgeldverfahren vor dem Bundeskartellamt. 17 In der Praxis spielt darüber hinaus der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine zentrale Rolle. Hierauf soll an dieser Stelle indes nicht vertieft eingegangen werden. Beispielhaft verwiesen sei auf Kellerbauer in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 30 VO 1/2003 Rz. 5 und Sura in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 30 VO 1/2003 Rz. 10 f. und insbesondere die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union v. 30.5.2006 – T-198/03, E-CLI:EU:T:2006:136 – Bank Austria, BeckRS 2006, 70407.

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bewerbsbehörde sowohl vor Einleitung des Bußgeldverfahrens als auch in seinem weiteren Verlauf umfangreiche Informationen zur Aufdeckung der getroffenen Absprachen zur Verfügung gestellt, um selbst in den Genuss der europäischen oder nationalen Bonusregelung zu gelangen. Diese Informationen finden in der Bußgeldentscheidung ihren Niederschlag. Zwar machen die Wettbewerbsbehörden  – bestätigt von den Gerichten – die Feststellungen insbesondere zum Verstoß unabhängig davon der Öffentlichkeit zugänglich, ob sie in Kronzeugenerklärungen enthalten waren.18 Das ändert indes nichts am Schutz der Kronzeugenerklärungen, soweit sie im Bußgeldbescheid wiedergegeben sind. Denn geschützt ist bei Kronzeugenerklärungen nicht in erster Linie die Information als solche, sondern ihre Herkunft. Vor diesem Hintergrund sind im Bußgeldbescheid all diejenigen Formulierungen zu schwärzen, die darauf schließen lassen, dass sie in einer Kronzeugenerklärung enthalten waren. Dabei kann es sich um ausdrückliche Verweise auf Kronzeugenerklärungen im Fließtext und in den Fußnoten der Bußgeldentscheidung, um direkte und indirekte Zitate aus Kronzeugenerklärungen oder auch um sonstige Bezugnahmen auf Einlassungen gegenüber der Wettbewerbsbehörde zur Erfüllung ihrer Kooperationspflichten als Kronzeuge handeln.19 Dass auch solche Zitate, Verweise und Bezugnahmen in Bußgeldentscheidungen schutzwürdig sind, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 33g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB, der über die eigentlichen Kronzeugenerklärungen hinaus explizit auch „die Herausgabe eines Dokuments oder einer Aufzeichnung, auch über den Inhalt einer ­Vernehmung im wettbewerbsbehördlichen Verfahren, wenn und soweit darin eine [Kronzeugenerklärung] enthalten ist“ ausschließt. Die Ausweitung des Schutzes von Kronzeugenerklärungen auf andere Dokumente steht zudem im Einklang mit Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2014/104/EU, wonach „[d]ie Ausnahme […] auch für wörtliche Zitate aus Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen gelten [sollte], die in anderen Unterlagen enthalten sind“.20 2. Prozessuale Darlegungserfordernisse im einstweiligen Rechtsschutz am Beispiel von Kronzeugenerklärungen Über den genauen Umfang des Schutzes von Kronzeugenerklärungen in Bußgeldentscheidungen wird man auch im einstweiligen Rechtsschutz im Einzelfall streiten können. Schwieriger zu beantworten ist indes die Vorfrage, ob und ggfs. welche Partei denn gebotene Schwärzungen von Kronzeugenerklärungen im Prozess darlegen und 18 EuGH, Urteil v. 14.3.2017 – Rs. C-162/15, ECLI:EU:C:2017:205 – Evonik Degussa, Oest, BB 2017, 908; EuGH, Urteil v. 26.7.2017 – Rs. C-517/15 P, ECLI:EU:C:2017:598 – AGC Glass, BeckRS 2017, 120382; AG Bonn, Beschluss v. 8.1.2016 – 52 OWi 133/15, S. 13 des Umdrucks; AG Bonn, Beschluss v. 22.5.2015 – 52 OWi 14/15, S. 9 ff. des Umdrucks, jeweils m.w.N. 19 Vgl. z.B. Rz. 12 lit. a der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen. 20 Vgl. zuletzt auch Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 14.3.2017 – Rs. C-162/15 P, ECLI:EU:C:2017:205 – Evonik Degussa, Rz. 87.

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ggfs. glaubhaft machen muss. Im gerichtlichen Verfahren stellen sich hier erhebliche Probleme. Klar ist lediglich, dass man vom potentiell Geschädigten keinen Vortrag verlangen kann. Dieser steht außerhalb des Bußgeldverfahrens und kann zu Kronzeugenerklärungen nichts vortragen; ihm liegt zum Zeitpunkt seines Antrags im einstweiligen Rechtsschutz naturgemäß nicht einmal die Bußgeldentscheidung vor. Allerdings dürfte das Gericht wohl auch von den Betroffenen des Bußgeldverfahrens keinen konkreten Vortrag hinsichtlich der relevanten Auszüge aus und Bezugnahmen auf Kronzeugenerklärungen in der Bußgeldentscheidung erwarten können. Ein konkreterer Vortrag als die schlichte Behauptung, die Bußgeldentscheidung enthalte Kronzeugenerklärungen, dürfte vielmehr für die Betroffenen weder notwendig noch möglich sein, ohne dass die sensiblen Textpassagen gleichzeitig offenbart würden. Bereits die Auflistung der im Einzelnen betroffenen Randziffern oder Fußnoten der vertraulichen Fassung der Bußgeldentscheidung würde nach Veröffentlichung der nicht-vertraulichen Fassung der Bußgeldentscheidung durch die Kommission oder das Bundeskartellamt im Rahmen der Akteneinsicht im Nachhinein Rückschlüsse auf den Inhalt und die Herkunft der Information zulassen. Denn oftmals sind in einzelnen Abschnitten lediglich Informationen eines bestimmten Kronzeugen enthalten. Auch der Gesetzeswortlaut verlangt keine weitere Begründung der Behauptung des Betroffenen, Kronzeugenerklärungen seien berührt. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, in dem geprüft wird, ob ein Ausschlussgrund nach § 33g Abs. 4 Satz 1 GWB vorliegt, ist gemäß §  33g Abs.  4 Satz 3 GWB ein Beweismittel, von dem ein Verpflichteter lediglich „behauptet“, dass es Kronzeugenerklärungen beinhalte. Das Fehlen eines solchen Begründungserfordernisses erscheint geradezu zwingend: Müsste der Betroffene nämlich aufführen, an welchen Stellen Auszüge aus und Verweise zu den Kronzeugenerklärungen enthalten sind, würden vielfach ebenjene offenbart, obgleich § 33g Abs. 4 GWB gerade davor schützen soll. Zwar sieht § 89b Abs. 7 GWB vor, dass das Gericht die „erforderlichen Maßnahmen“ treffen kann und muss, um im Einzelfall den Schutz u.a. von Kronzeugenerklärungen zu gewährleisten. Mit dieser Möglichkeit könnte das Gericht Ausführungen eines Betroffenen zu Kronzeugenerklärungen z.B. einerseits der anzuhörenden Wettbewerbsbehörde zugänglich machen, andererseits einem Geschädigten vorenthalten. Gerichte sind indes häufig nicht darauf vorbereitet sicherzustellen, sensible Informationen einzelnen Parteien vorzuenthalten, gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs doch typischerweise die gleichlautende Unterrichtung aller Parteien.21 21 Für patentrechtliche Besichtigungsansprüche mit ähnlicher Problemstellung hat die Rechtsprechung das sog. „Düsseldorfer Modell“ entwickelt. Im einstweiligen Rechtsschutz erfolgt hier eine Besichtigung der mutmaßlich patentverletzenden Sache des (durch einstweilige Verfügung ggfs. zur Duldung verpflichteten) Antragsgegners durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen, an der die – auch gegenüber der eigenen Partei ausdrücklich zur Verschwiegenheit verpflichteten – Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers beiwohnen dürfen. Nach Vorlage des Sachverständigengutachtens entscheidet das Gericht, ob dieses an den Patentinhaber weitergeleitet wird; vgl. Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11.

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Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB

Selbst ein solches Vorgehen des Gerichts dürfte indes nicht dazu führen, die Darlegungslast zu relevanten Auszügen aus der Bußgeldentscheidung und darin enthaltene Bezugnahmen zu ihren Kronzeugenerklärungen den Betroffenen aufzuerlegen. Denn diesen ist ein Vortrag zu allen Kronzeugenerklärungen meist nicht möglich, können sie doch allenfalls zu ihren eigenen Kronzeugenerklärungen umfassend vortragen, nicht aber in gleichem Maße zu Kronzeugenerklärungen anderer Betroffener, die nicht immer als solche erkennbar sind. Diese anderen Betroffenen werden aber typischerweise nicht sämtlich Parteien des Rechtsstreits sein; vielmehr wird ein potentiell Geschädigter häufig einen Betroffenen auswählen, von dem er die Herausgabe der Bußgeldentscheidung im einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Denn verpflichtet ist gemäß § 33g Abs. 1 GWB, „[w]er im Besitz von Beweismitteln ist, die für die Erhebung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs nach § 33a Absatz 1 erforderlich sind“. Dies sind grundsätzlich alle Adressaten der Bußgeldentscheidung. Zur Herausgabe einer Bußgeldentscheidung ggfs. verpflichtet ist also auch derjenige Betroffene, der möglicherweise gar keinen Kronzeugenantrag gestellt hat. Die Prüfung, ob und in welchem Umfang die begehrte Bußgeldentscheidung Kronzeugenerklärungen enthält, ist unabhängig davon, wer Antragsgegner im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist, auf Kronzeugenerklärungen aller Betroffenen zu erstrecken. Dies folgt bereits aus § 33g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB („wenn und soweit darin eine [Kronzeugenerklärung] seitens oder im Namen eines Unternehmens oder einer natürlichen Person gegenüber einer Wettbewerbsbehörde enthalten ist“). Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist es also unerheblich, ob es sich bei den enthaltenen Kronzeugenerklärungen um solche des konkreten Antragsgegners des Verfügungsverfahrens oder sonstiger Betroffener des Bußgeldverfahrens handelt. Vielmehr ist gemäß §  33g Abs.  4 Satz 3 GWB die Behauptung „eines“ Betroffenen ausreichend, wonach die Bußgeldentscheidung Kronzeugenerklärungen enthalte. Andernfalls drohte eine Aushöhlung des Schutzes von Kronzeugenerklärungen, da das Herausgabeverfahren ohne Beteiligung der betroffenen Kronzeugen durchgeführt werden könnte. Denn § 33g GWB sieht nicht einmal vor, Kronzeugen zwingend vor der gerichtlichen Entscheidung anzuhören. Potentielle Antragsteller könnten daher gezielt Adressaten von Bußgeldentscheidungen auf Herausgabe in Anspruch nehmen, die laut der Pressemitteilung einer Wettbewerbsbehörde keinen Kronzeugenantrag gestellt haben, um den Ausschlusstatbestand des § 33g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB leer laufen zu lassen.

Aufl. 2015, § 140c Rz. 22; Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164, 174. Bach/Wolf, NZKart 2017, 285, 289 sowie Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, GWB, 13. Aufl. 2018, § 89b Rz. 53 sprechen sich für eine teilweise Übertragung dieser Grundsätze auf § 89b Abs. 7 GWB aus. Eine Alternative ist das sog. „in camera“-Verfahren, in dem eine Beweisaufnahme ohne die Parteien, vielmehr ausschließlich im Beisein des Gerichts stattfindet, vgl. Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164, 175. Hiergegen bestehen jedoch u.U. Bedenken vor dem Hintergrund des Gebots, allen Prozessbeteiligten hinreichend rechtliches Gehör zu gewähren, vgl. nur McGuire, GRUR 2015, 424, 430 ff.

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Welche Angaben in einem Bußgeldbescheid Kronzeugenerklärungen eines anderen Betroffenen wiedergeben, ist einem Betroffenen indes allenfalls teilweise möglich darzulegen. Dass auch vor diesem Hintergrund die Gerichte etwaige aufgrund von Kronzeugenerklärungen gebotete Schwärzungen zu prüfen haben, wird auch nicht dadurch berührt, dass ein Antragsgegner anderen Betroffenen des Bußgeldverfahrens den Streit verkünden kann, damit die Betroffenen sich wechselseitig ergänzend zum Schutz ihrer jeweiligen Kronzeugenerklärungen vortragen können. Eine solche Streitverkündung kommt zwar auch im einstweiligen Rechtsschutz in Betracht.22 Sie würde den Schutz von Kronzeugenerklärungen indes nicht hinreichend sicherstellen. Zum einen würden Streitverkündungen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weiter überfrachten. Eine Beteiligung einer Vielzahl möglicher Betroffener, die sodann jeweils zu den aus ihrer Sicht gebotenen Schwärzungen von Kronzeugenerklärungen vortragen würden, würde den Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sprengen und letztlich das bereits vor den Wettbewerbsbehörden parallel ausgetragene Verfahren auf Schwärzung der Bußgeldentscheidung mit einem ähnlich hohen Aufwand duplizieren. Etwaigen Geschädigten dürfte hiermit schon wegen der zu erwartenden Verfahrensverzögerung nicht gedient sein. Die Streitverkündungslösung erscheint zum anderen deswegen ungeeignet, weil der Schutz von Kronzeugenerklärungen nicht nur im Interesse der Kronzeugen, sondern auch im öffentlichen Interesse besteht und damit nicht der Disposition der Parteien unterliegen darf. Dies bestätigt auch § 33g Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 GWB, wonach bei He­ rausgabe eines Beweismittels an einen Geschädigten das öffentliche Interesse an der Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Kartellrechts zu berücksichtigen ist. Die Vorschrift geht auf Artikel 6 Abs. 4 lit. c der Richtlinie 2014/104/EU zurück, wonach bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu wahren, einzubeziehen ist.23 Mit der Aufnahme dieses Abwägungskriteriums in der Richtlinie 2014/104/EU ­setzten das Europäische Parlament und der Rat die gefestigte Rechtsprechung der Europäischen Gerichte um, wonach die Gewährung des Zugangs zu Kronzeugenerklärungen die Wirksamkeit von Kronzeugenprogrammen beeinträchtigen kann.24 Dementsprechend heißt es in Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2014/104/EU: „Unternehmen könnten davon abgeschreckt werden, im Rahmen von Kronzeugenprogrammen und Vergleichsverfahren mit Wettbewerbsbehörden zusammenzuarbeiten, wenn Erklärungen, mit denen sie sich selbst belasten, wie Kronzeugenerklärungen und 22 Weth in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 72 Rz. 2; Schultes in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 72 Rz. 4. 23 Vgl. Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 18/10207 v. 7.11.2016, S. 62; vgl. auch Rosenfeld/Brand, WuW 2017, 247, 247. 24 EuGH, Urteil v. 14.6.2011 – Rs. C-360/09, ECLI:EU:C:2011:389 – Pfleiderer, WuW/E EU-R 1975, Rz. 25-27; EuGH, Urteil v. 6.6.2013 – Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 – Donau Chemie, Rz. 46-48.

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Vergleichsausführungen, die ausschließlich zum Zwecke dieser Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden erstellt werden, offengelegt würden.“ Gleichermaßen weist die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzentwurfs darauf hin, dass „[…] bei der Auskunftserteilung oder Herausgabe nach [§ 33g] Absatz 1 oder 2 […] das Interesse der Allgemeinheit an der effektiven Kartellverfolgung durch die Wettbewerbsbehörden zu berücksichtigen [ist], vor allem soweit Beweismittel oder Informationen betroffen sind, die auch in der Akte der Kartellbehörde enthalten sind (Satz 2 Nummer 5).“25 Als Ergebnis ist somit festzustellen, dass einem einzelnen Betroffenen nicht auferlegt werden kann, selbst zum gebotenen Schutz sämtlicher Kronzeugenerklärungen vorzutragen. Vielmehr dürfte das Gericht gehalten sein zu prüfen, ob die Behauptung des oder der Betroffenen zutrifft, dass die Bußgeldentscheidung Kronzeugenerklärungen beinhalte. Der potentiell Geschädigte hat insoweit bei Zweifeln, ob und in welchem Umfang eine begehrte Bußgeldentscheidung Kronzeugenerklärungen enthält, die Möglichkeit, gemäß § 89b Abs. 8 GWB eine Prüfung durch das Gericht zu beantragen. 3. Das Gericht wird die Prüfung gebotener Schwärzungen von Kronzeugen­ erklärungen in der Praxis nur mit Hilfe der Wettbewerbsbehörde vornehmen können Für die gerichtliche Prüfung gebotener Schwärzungen von Kronzeugenerklärungen sieht § 89 Abs. 8 Satz 4 GWB zwingend zunächst die Anhörung der Wettbewerbsbehörde vor, gegenüber welcher die Kronzeugenerklärungen abgegeben worden sind. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers gewährleistet werden, „dass dem Gericht bei seiner Entscheidung die Einschätzung der Wettbewerbsbehörde mit ihrem besonderen Sachverstand und ihrer Praxiserfahrung zur Verfügung steht.“26 Man dürfte für die Praxis aber noch einen Schritt weitergehen: Ohne eine Beteiligung der Wettbewerbsbehörde dürfte dem Gericht die ihm kraft Gesetzes aufgegebene Prüfung der Bußgeldentscheidung auf Kronzeugenerklärungen regelmäßig ebenfalls kaum möglich sein. Für das Gericht ist ohne umfassende Kenntnis der Verfahrensakte der Kommission typischerweise nicht erkennbar, bei welchen Textpassagen es sich um Zitate aus geschützten Kronzeugenerklärungen handelt. Wie bereits ausgeführt, sind in einer Bußgeldentscheidung wiedergegebene Kronzeugenerklärungen nicht durchweg als solche erkennbar. Sie werden nicht immer in direkter Rede zitiert. Vielfach erfolgt etwa eine indirekte Wiedergabe von Zitaten eines Kronzeugen, die ebenso zu schützen sind. Um Kronzeugenerklärungen als solche zu identifizieren, müssen 25 Vgl. Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 18/10207 v. 7.11.2016, S. 63. 26 Vgl. Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 18/10207 v. 7.11.2016, S. 102.

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daher sämtliche bei der Wettbewerbsbehörde abgegebenen Kronzeugenerklärungen mit dem Inhalt der Bußgeldentscheidung abgeglichen werden. Eine solche Aufgabe erforderte zunächst die Bereitstellung der meist voluminösen Verfahrensakten durch die Wettbewerbsbehörde. Deren Durchsicht ist indes von den ohnehin überlasteten Gerichten kaum zu leisten, so dass die Prüfung gebotener Schwärzungen letztlich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes doch wiederum von der Wettbewerbsbehörde zu leisten sein wird.

IV. Ergebnis: § 89 Abs. 5 GWB sollte ersatzlos gestrichen werden Die vorstehenden Ausführungen führen zu der Frage, ob § 89 Abs. 5 GWB überhaupt einen praktischen Anwendungsbereich finden wird. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls in den vor deutschen Gerichten anhängigen Verfahren die potentiell Geschädigten beinahe durchweg im Besitz der Bußgeldentscheidung sind, bevor sie Ansprüche geltend machen oder gar gerichtliche Schritte einleiten. Schadensersatzklagen aufgrund von kartellrechtswidrigen Absprachen sind in Deutschland wohl ausnahmslos sog. Follow-on-Verfahren, d.h. sie beruhen auf einem – wenn auch nicht notwendigerweise rechtskräftig – abgeschlossenen Bußgeldverfahren. Während die Europäische Kommission ihre Bußgeldentscheidungen in geschwärzter Form auf ihrer Website als nicht-vertrauliche Fassung veröffentlicht, erteilt das Bundeskartellamt bei den von ihm erlassenen Bußgeldentscheidungen potentiell Geschädigten Einsicht in die Bußgeldbescheide durch Überlassung einer – ebenfalls geschwärzten – Kopie. Selbst wenn die Bereitstellung der nicht-vertraulichen Fassung jeweils gewisse Zeit in Anspruch nehmen mag, so werden potentiell Geschädigte hierdurch schon angesichts der mittlerweile auf fünf Jahre verlängerten, kenntnisabhängigen Verjährungsfrist, die zudem bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bußgeldverfahrens gehemmt wird, nicht in ihrer Rechtsverfolgung beeinträchtigt.27 Gerichtlicher Hilfe bei der Erlangung der Bußgeldentscheidung bedürfen also von vornherein nur solche Anspruchsteller, die ausnahmsweise in angemessener Zeit nach Erlass der Bußgeldentscheidung noch keinen Einblick in die Bußgeldentscheidung erlangen konnten, was in der Praxis selten vorkommen dürfte. Die Frage ist jedoch, ob sich hierfür ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eignet. Denn die Zivilgerichte sind nicht – schon gar nicht im einstweiligen Rechtsschutz – darauf ausgerichtet, dieselbe Aufgabe zu leisten, die zudem bereits die Wettbewerbsbehörden als sachnähere Behörde erfüllen.28 Letztere befassen sich nämlich nach Er27 Vgl. Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164, 172: „Ein besonderes Eilbedürfnis ist ebenfalls nicht erkennbar, da typische Kartellschadensersatzprozesse aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis ohnehin extrem lange dauern.“ 28 Klumpe/Thiede, BB 2016, 3011, 3015 warnen schon in Zusammenhang mit § 89b Abs. 6 GWB davor, der „schiere Umfang […] der zu begründenden Abwägungsentscheidungen […] [drohe] die Kammern schlechterdings zu überfordern.“

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Plädoyer für eine Streichung des § 89b Abs. 5 GWB

lass einer Bußgeldentscheidung bereits in einem mitunter sehr aufwändigen Verfahren unter Anhörung der Betroffenen damit, eine nicht-vertrauliche Fassung zu erstellen. Würde das Gericht nunmehr im einstweiligen Rechtsschutz die gleiche Aufgabe zu leisten versuchen, birgt dies (abgesehen von der doppelten Belastung staatlicher Behörden) nicht nur das Risiko inkonsistenter Schwärzungen seitens der Wettbewerbsbehörde einerseits und des Gerichts andererseits. Vielmehr ist das Gericht ohne eingehende Kenntnis der gesamten Akte des Bußgeldverfahrens einschließlich der dort eingereichten Kronzeugenerklärungen und anderweitig zur Verfügung gestellter Informationen weitgehend gar nicht in der Lage zu prüfen, ob und in welchem Umfang es sich um zu schützende Informationen – insbesondere um Kronzeugenerklärungen – handelt. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass § 89b Abs. 5 GWB in der Praxis wohl zumindest bei ausführlicheren Bußgeldentscheidungen schon angesichts der sachlich zwingend gebotenen Einbeziehung der Wettbewerbsbehörde keine zeitnahe Herausgabe einer wettbewerbsbehördlichen Entscheidung ermöglichen kann. Dass zudem das von der Wettbewerbsbehörde ohnehin betriebene Verfahren zwecks Veröffentlichung einer geschwärzten Bußgeldentscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dupliziert werden soll, erscheint im Übrigen wenig sinnvoll. Berücksichtigt man zudem, dass es selten vorkommen dürfte, dass ein Geschädigter nicht im Anschluss an den Erlass einer Bußgeldentscheidung Einsicht in diese erlangt, stellt sich damit die Frage, ob es des § 89b Abs. 5 GWB überhaupt bedarf. Dies ist selbst aus Sicht der Geschädigten zu bezweifeln. Diesen steht – neben den Einsichtsrechten gegenüber den Wettbewerbsbehörden – bereits nach §§ 89b, 33g GWB die Möglichkeit zur Verfügung, entweder im Rahmen eines Schadensersatzverfahrens (ggf. mit Erlass eines diesbezüglichen Zwischenurteils) oder einer separaten Auskunftsklage die Bußgeldentscheidung heraus zu verlangen. Auch diese Verfahren lösen die vorstehend skizzierten Probleme zwar nicht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass ein solches (Hauptsache-)Verfahren nennenswert mehr Zeit in Anspruch nehmen würde als das im Rahmen des in § 89b Abs. 5 GWB vorgesehene Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Ein Bedürfnis nach einer Herausgabe einer Bußgeldentscheidung gerade in einem auf Schnelligkeit angelegten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist vielmehr nicht erkennbar. Es dürfte entbehrlich sein.29

29 So auch Klumpe/Thiede, BB 2016, 3011, 3016 und Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164, 173, welche die Bestimmung des § 89b Abs. 5 GWB für „schon in ihrer Grundkonzeption verfehlt“ halten, beide bezogen auf die noch weitere Fassung des Referentenentwurfes. Podszun/Kreifels, GWR 2017, 67, 70 lehnen die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 89b Abs. 5 GWB schon wegen fehlender Eilbedürftigkeit ab; Podszun/Kreifels/ Schmieder, WuW 2017, 114, 117 lehnen es zudem ab, „alle möglichen Streitigkeiten ins Feld des einstweiligen Rechtsschutzes zu ziehen“.

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Relative Marktmacht und digitale Plattformen – gibt es plattformbedingte Abhängigkeit? a) Plattformbedingte Abhängigkeit? b) Breite Verhaltenskontrolle für ­Plattformen

I. Einleitung II. Digitale Plattformen und Besonderheiten in der Kartellrechtsanalyse 1. Definition 2. Netzwerkeffekte 3. Marktdefinition 4. Marktkonzentration nicht gleich Marktmacht 5. Innovationsdruck 6. Missbrauchskontrolle unterhalb der Schwelle von Marktbeherrschung? III. Relative Marktmacht nach § 20 Abs. 1 GWB 1. Schutzbereich KMU 2. Abhängigkeit a) Sortimentsbedingte Abhängigkeit b) Unternehmensbedingte Abhängigkeit c) Nachfragebedingte Abhängigkeit 3. Rechtsfolgen IV. Fallpraxis bei digitalen Plattformen 1. Verfahren gegen Hotelreservierungs­ plattformen a) Plattformdienste und Marktdefinition b) Abhängigkeit c) Unbillige Behinderung 2. Einordnung



V. Analyse und offene Fragen 1. Bekanntheit als Teilaspekt von Markt­ bedeutung und Netzwerkeffekten 2. Schutz des Zugangs zu speziellem ­Absatzkanal – Relevanz des Absatz­ anteils 3. Abhängigkeit bei Spezialisierung auf eine digitale Plattform? 4. Rolle von Multihoming auf der ­Nutzerseite 5. Mögliche Themen bei Verhaltens­ kontrolle digitaler Plattformen a) Grundlagen automatisierter ­Prozesse für Zulassung und ­Nutzung der ­Plattform b) Ausgestaltung der Plattform und ­Darstellung der KMU auf der ­anderen Plattformseite c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ­Umsetzung und Änderung der ­Regeln

VI. Herausforderungen in der Praxis VII. Fazit

Digitale Plattformen haben in den letzten Jahren enorm an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen und stehen damit zunehmend im Fokus der kartellrechtlichen Praxis. Es geht zumeist um die Anwendung, Anpassung und Weiterentwicklung existierender Konzepte auf mehrseitige Plattformmärkte in der digitalen Wirtschaft, insbesondere im Business-to-Consumer-Bereich (B2C), also mit Verbrauchern als Endkunden auf der einen Seite der jeweiligen Plattform und mit Unternehmen auf der anderen. Es gibt allerdings auch zunehmend Fälle mit Unternehmen auf beiden Plattformseiten (B2B).

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I. Einleitung Digitale Plattformen werfen eine Fülle kartellrechtlicher Fragestellungen auf. Dabei ging es bislang vor allem um Fusionskontrolle,1 horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen seitens der Plattformbetreiber (z.B. Preisparitätsklauseln) nach Art. 101 AEUV und § 1 GWB2 und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Art.  102  AEUV und §  19  GWB.3 Die intensive Diskussion über digitale Plattformen gerade auch in Deutschland4 in den letzten Jahren hat letztlich dazu geführt, dass in der 9. GWB-Novelle bestimmte Änderungen zur Anpassung an die digitale Wirtschaft aufgenommen wurden.5 Das Bundeskartellamt („BKartA“) erkennt zudem die wichtige Funktion etwa von Handelsplattformen für den (Intrabrand-) Preiswettbewerb und für die Sichtbarkeit von Händlern und Distributoren im Internet an.6 Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem Aspekt, der bislang in der Praxis weniger im Vordergrund steht, nämlich der Anwendung des § 20 GWB auf digitale Plattformen. Es geht also um mögliche Verhaltensmaßgaben für die Betreiber digitaler Plattformen unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle. 1 Vgl. etwa BKartA v. 20.4.2015 – B6-39/15 – Immonet/Immowelt; BKartA v. 20.10.2015 – B657/15  – Parship/Elitepartner; BKartA v. 24.7.2015  – B8-76/15  – ProSiebenSat.1/Verivox; BKartA v. 3.1.2017 – B6-53/16 – CTS Eventim/FK Scorpio. Vgl. auch Euro­päische Kommission v. 11.3.2008, Fall COMP/M.4731 – Google/Double Click; Euro­päische Kommission v. 18.2.2010, Fall COMP/M.5727 – Microsoft/Yahoo! Search Business; Europäische Kommission v. 7.10.2011, Fall M.6281 – Microsoft/Skype; Europäische Kommission v. 3.12.2014, Fall M.7217  – Facebook/WhatsApp; Europäische Kommission v.16.12.2016, COMP/M.8124  – Microsoft/Linkedin. 2 Vgl. BKartA v. 26.11.2013 – B6-46/12 – Amazon-Marketplace; BKartA v. 20.12.2013 – B966/10 – HRS; BKartA v. 22.12.2015 – B9-121/13 – Booking. Im B2B-Bereich jüngst BKartA v. 27.2.2017 – B5-1/18-01 – XOM Metals (elektronische Handelsplattform für Stahlprodukte). 3 Vgl. Europäische Kommission v. 27.6.2017, Fall AT 39740  – Google – Android Search (­Shopping) und Europäische Kommission v. 18.7.2018, Fall AT 40099 (Pressemeldung v. 18.7.2018). Vgl. BKartA v. 8.9.2015 – B6-126/14 – VG Media Google und das laufende Verfahren gegen Facebook (Pressemeldung v. 19.12.2017). 4 Vgl. von Behördenseite etwa BKartA, Hintergrundpapier Vertikale Beschränkungen in der Internetökonomie (10.10.2013), Hintergrundpapier Digitale Ökonomie – Internetplattformen zwischen Wettbewerbsrecht, Privatsphäre und Verbraucherschutz (1.10.2015), gemeinsames Arbeitspapier mit französischer Kartellbehörde zu Competition Law and Big Data (10.5.2016) und Arbeitspapier Marktmacht von Plattformen und Netzwerken – Ergebnisse und Handlungsempfehlungen (9.6.2016). Vgl. auch Sondergutachten Nr. 68 der Monopolkommission zur Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte, Juni 2015 („Sondergutachten“) und BMWi Grünbuch digitale Plattformen (30.5.2016), Weißbuch digitale Plattformen (20.3.2017). 5 Umfassende Darstellung dazu Grave, Marktbeherrschung bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017. 6 So haben Fälle zu lieferantenseitigen vertikalen Beschränkungen des Vertriebs über digitale Plattformen (u.a. Beschränkungen des Vertriebs oder der Werbung über Drittplattformen, Preisvergleichsmaschinen) das BKartA und die Gerichte beschäftigt, vgl. als prominenten Fall BKartA v. 26.8.2015 – B2-98/11 – Asics.

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Zunächst folgt ein Überblick über digitale Plattformen und ihre Besonderheiten in der kartellrechtlichen Analyse. Dann werden die allgemeinen Grundsätze zu relativer Marktmacht im deutschen Recht umrissen, bevor es um die Fallpraxis des BKartA zu digitalen Plattformen in den Hotelportal-Fällen geht. Diese wird analysiert, insbesondere im Hinblick auf Kriterien für eine mögliche Fallgruppe „plattformbedingter Abhängigkeit“. Es folgt die Beleuchtung einiger offener Fragen und Herausforderungen in der Praxis, bevor der Beitrag mit einem Fazit endet.

II. Digitale Plattformen und Besonderheiten in der Kartellrechtsanalyse 1. Definition Die Monopolkommission beschreibt digitale Plattformen wie folgt: „Üblicherweise ist eine Plattform ein Intermediär, der verschiedene Nutzergruppen zusammenbringt, so dass diese wirtschaftlich oder sozial interagieren können. […] Derartige Plattformen spielen im Bereich digitaler Märkte eine ganz entscheidende Rolle. So haben Geschäftsmodelle wie Suchdienste, soziale Netzwerke, Handels- und Vermittlungsplattformen oder Betriebssysteme den Charakter einer Plattform. Häufig bildet Werbung eine Seite dieser Plattformen.“7 Plattformen sind zumeist mindestens zweiseitig und durch Netzwerkeffekte geprägt. Der Plattformbegriff wird denn auch häufig synonym zu mehrseitigen Märkten verwendet. Die Analyse mehrseitiger Märkte muss deren Besonderheiten berücksichtigen und kann sich daher erheblich von der Analyse einseitiger Märkte unterscheiden.8 2. Netzwerkeffekte Direkte Netzwerkeffekte liegen vor, wenn der individuelle Nutzen eines angebotenen Dienstes für einen Kunden mit der Anzahl der anderen Kunden zunimmt.9 Indirekte Netzwerkeffekte existieren, wenn die steigende Nutzerzahl einer Plattformseite die Nutzung der Plattform für die andere Plattformseite attraktiver macht.10 Typischer 7 Vgl. Sondergutachten, Rz. 33. 8 Aus ökonomischer Sicht zu mehrseitigen digitalen Plattformen und welche (ökonomischen) Analysewerkzeuge sinnvoll sind, vgl. auch OECD (2018) Rethinking Antitrust Tools for Multi-Sided Platforms. 9 Vgl. Sondergutachten, Rz. 37 m.w.N. Dies sind Effekte innerhalb derselben Nutzergruppe, z.B. bei Telefonnetzen. Vgl. auch BKartA-Verfahren gegen Facebook, in dem identitätsbasierte direkte Netzwerkeffekte genannt sind (vgl. Facebook-Verfahren – FAQ v. 19.12.217, S. 3, verfügbar auf der Internetseite des BKartA). 10 Sondergutachten, Rz. 38 m.w.N., mit Auktionsplattform eBay als Beispiel: für die Verkäufer ist vorteilhaft, wenn mehr potenzielle Käufer die Plattform nutzen, weil dies die Verkaufs­ chancen erhöht. Umgekehrt ist es für die Käufer attraktiver, je mehr Verkäufer auf der ­Plattform tätig sind und ihre Produkte anbieten. Vgl. zum Thema auch Grave in Kersting/ Podszun, Rz. 25 f.

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weise sind die Netzwerkeffekte positiv, d.h. mit den Netzwerkeffekten, also zunehmender Nutzungskonzentration, steigen auch die Effizienzen für die Nutzer. Die Netzwerkeffekte können sich auch auf die Preissetzung der Plattformbetreiber auswirken. Häufig ist diese asymmetrisch, d.h., die Nutzer einer Plattformseite zahlen höhere Preise als die Nutzer der anderen Seite, oder für eine Seite ist der Preis sogar auf Null gesetzt.11 3. Marktdefinition Eine Frage ist, ob die jeweiligen Plattformseiten einem einheitlichen Plattformmarkt oder getrennten Märkten zugeordnet werden. Dieser Punkt war in der deutschen Praxis früher auch deshalb bedeutsam, weil – anders als im EU-Recht12 – die Annahme eines Marktes in Bezug auf unentgeltliche Leistungen nicht möglich war.13 Dies wurde durch die 9. GWB-Novelle und die Einführung des § 18 Abs. 2a GWB geändert. Das BKartA unterscheidet inzwischen zwischen Matching- und Aufmerksamkeitsplattformen.14 Bei ersteren werden beide Plattformseiten einem einheitlichen Markt zugeordnet (z.B. Markt für Dating-Plattformen, Immobiliensuchplattformen), bei letzteren getrennten Märkten (z.B. Markt für soziale Netzwerke einerseits und Online-Werbemärkte andererseits). Auch bei Annahme getrennter Märkte werden die Wechselwirkungen der Plattformseiten berücksichtigt.15 4. Marktkonzentration nicht gleich Marktmacht Angesichts der grundsätzlich positiven Netzwerkeffekte ist eine Nutzer- und sich daraus ergebende Marktkonzentration nicht automatisch negativ. Insofern stimmt die Faustformel für einseitige Märkte, dass viele Anbieter gut für den Wettbewerb sind, für digitale Plattformen so nicht. Eine Marktkonzentration kann sogar die Wettbewerbsintensität erhöhen.16 Aus ökonomischer Sicht ist auch offen, ob die (Verbraucher-)Wohlfahrt bei einem Monopol schlechter gestellt ist als bei mehreren Plattform­ anbietern.17 Dementsprechend haben hohe Marktanteile auf mehrseitigen digitalen Plattformmärkten weniger Aussagekraft für die Frage von Marktmacht als auf einsei11 In diesen Geschäftsmodellen lassen die unentgeltlichen Nutzer meist die Sammlung ihrer Daten zu, welche der Plattformbetreiber für die Vermarktung gezielter Werbung oder von eigenen maßgeschneiderten Angeboten verwenden kann. 12 Vgl. etwa Kommissionsentscheidung Google-Shopping, in dem u.a. trotz Unentgeltlichkeit auf nationale Märkte für allgemeinen Suchmaschinendienste im Internet abgestellt wurde, v. 27.6.2017, Fall AT 39740, Rz. 152. 13 Vgl. die Diskussion in VG Media, ob allgemeine Suchmaschinendienste im Internet für Endnutzer nach deutschem Recht einen Markt darstellen können, BKartA v. 8.9.2015 – B6126/14, Rz. 129 ff. 14 Vgl. Grave in Kersting/Podszun, Rz. 15 f. m.w.N. 15 Vgl. Grave in Kersting/Podszun, Rz. 19. 16 Vgl. etwa Fallbericht des BKartA zu B6-39/15  – Immonet/Immowelt v. 25.6.2015, S.  4. S. auch Grave in Kersting/Podszun, Rz. 27. 17 Vgl. Sondergutachten, Rz. 43. Es gibt dennoch auch Stimmen von Ökonomen, die sich für eine strenge kartellrechtliche Überprüfung von mehrseitigen Plattformen aussprechen, je-

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tigen Märkten.18 Insbesondere kann ein Multihoming der Nutzer, also eine parallele Nutzung von mehreren Plattformen in einem Markt, trotz hoher Marktanteile gegen Marktbeherrschung bzw. Marktmacht sprechen.19 Eine Grenze wird beim Umkippen des Marktes („Tipping“) zugunsten einer einzigen Plattform gesehen.20 5. Innovationsdruck Schließlich ist der Bereich digitaler Plattformen häufig durch hohe Innovationsintensität und damit einhergehender Dynamik geprägt. Insbesondere kann das Auftreten neuer, disruptiver Technologien und Geschäftsmodelle Marktstrukturen schnell verändern. Innovationsanreize für alle tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerber können dazu führen, dass marktmächtige oder -beherrschende Positionen schneller wieder abgelöst werden als in traditionellen Industrien, oder auch marktmächtige Unternehmen unter ständigem Produktinnovationsdruck stehen.21 6. Missbrauchskontrolle unterhalb der Schwelle von Marktbeherrschung? Im Bereich digitaler Plattformen kann es demnach einerseits häufiger zu Konzentrationstendenzen kommen als auf traditionellen Märkten. Andererseits kann es aber auch für eine Behörde oder einen Kläger schwieriger sein, selbst bei hohen Markt­ anteilen Marktbeherrschung i.S.d. Art. 102 AEUV oder des neuen § 18 GWB nach­ zuweisen.22 Ein häufigeres Szenario im Bereich digitale Plattformen dürften Kon­ zentrationen aufgrund von Netzwerkeffekten sein, die unterhalb der Schwelle von (nachweisbarer) Marktbeherrschung liegen. Im deutschen Recht gibt es mit §  20 GWB eine Vorschrift zur Kontrolle relativer Marktmacht. Eine vergleichbare Regelung gibt es weder im EU-Recht noch in den meisten sonstigen nationalen Kartellrechtsvorschriften in Europa, unter denen Adressaten des Missbrauchsverbots allein marktbeherrschende Unternehmen sein können.23 Es gibt allerdings auf EU-Ebene eine längere Diskussion und inzwischen ein Regulierungsvorhaben für Verhaltensnormen für Plattformbetreiber gegenüber Unternehmen (unter dem Stichwort P2B-Regulierung), nachdem es u.a. in einer Umfra-

denfalls in Bezug auf möglichen Behinderungsmissbrauch (exclu­sionary conduct), vgl. OECD (2018) Rethinking Antitrust Tools for Multi-Sided Platforms, S. 25. 18 Vgl. Grave in Kersting/Podszun, Rz. 59 f. 19 Vgl. dazu auch Sondergutachten, Rz. 49. 20 Vgl. Fallbericht des BKartA zu B6-39/15 – Immonet/Immowelt v. 25.6.2015, S. 3. 21 Vgl. Sondergutachten, Rz. 52. 22 Einige prominente Fälle zum Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, wie etwa die EU-Google-Verfahren oder das BKartA-Facebook-Verfahren, stellen eher die Ausnahme dar. Es handelt sich dabei jeweils um außergewöhnliche Marktpositionen (auch auf Grundlage von engen Marktdefinitionen). 23 In Österreich gibt es vergleichbare Regelungen zur relativen Marktmacht wie in Deutschland. Es gibt zudem in einigen EU-Mitgliedstaaten eine Diskussion, ob vergleichbare Vorschriften eingeführt werden sollen, z.B. in Belgien und Dänemark.

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ge zu häufigen Beschwerden von kleineren oder mittleren Unternehmen (KMU) über bestimmte Praktiken von Plattformbetreibern gekommen ist.24 Das Bundeskartellamt hat dagegen schon die Regeln zur relativen Marktmacht in Form des § 20 Abs. 1 GWB auf digitale Plattformen angewendet, und zwar in den Verfahren zu Bestpreisklauseln von Hotelreservierungsplattformen (dazu weiter unten). Zudem beschäftigt sich das Bundeskartellamt intern mit konzeptioneller Grundsatzarbeit zum Thema relative Marktmacht und Abhängigkeit von Unternehmen in der digitalen Wirtschaft.25 Nachfolgend werden die allgemeinen Grundsätze relativer Marktmacht nach § 20 GWB skizziert, bevor es um die Anwendung auf digitale Plattformen geht.

III. Relative Marktmacht nach § 20 Abs. 1 GWB Nach der Vorschrift ist das Missbrauchsverbot der § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB, also das Verbot von Behinderungsmissbrauch und Diskriminierung, auch für Unternehmen mit relativer Marktmacht anwendbar. Ein Unternehmen verfügt über relative Marktmacht, wenn von ihm KMU als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen. Das Verbot des Missbrauchs relativer Marktmacht beruht auf der Prämisse, dass eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit und des Marktzugangs auch von Unternehmen mit relativer Marktmacht ausgehen können. Schutzzweck ist damit die Offenhaltung der Märkte für KMU.26 In der Praxis hat § 20 Abs. 1 GWB allgemein in den letzten Jahren vor allem in der privatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung eine Rolle gespielt, wobei es häufig um Belieferungsklagen ging (s. unten). Das Bundeskartellamt ist mit der öffentlichen

24 Vgl. zum Komplex die Übersicht auf der Internetseite der Europäischen Kommission unter https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/business-business-trading-prac​tices. Die Kom­ mission hat folgende Probleme auf Plattformen identifiziert: häufige und unangekündigte Änderung von AGBs, Auslistung von Produkten bzw. Sperrung von „Accounts“ ohne ­effektives Widerspruchsverfahren, mangelnde Transparenz zu Plattformpraktiken, einschließlich Ranking, Suchergebnissen, Platzierung von Werbung, etc., Diskriminierung und mangelnder Zugang und Transfer von Kundendaten, vgl. Inception impact assessment – Ares(2017)5222469 v. 25.10.2017, S. 1/2. 25 Das erklärte der Präsident des Bundeskartellamts bei der Arbeitssitzung der Studienvereinigung Kartellrecht in Bonn am 7.12.2017. Bei Redaktionsschluss für diesen Beitrag lag noch kein Papier vor. 26 Markert in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2012, Band 1, § 20 GWB Rz. 7, 8 m.w.N. Vgl. auch Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 8. Aufl. 2015, § 20 GWB Rz. 6, 7, sowie Lübbert/Schöner in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 24 Rz. 2.

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Durchsetzung der Vorschrift generell eher zurückhaltend, soweit es vornehmlich um kommerzielle Auseinandersetzungen zwischen zwei Parteien geht.27 1. Schutzbereich KMU Für die Einordnung als KMU ist neben den absoluten Größenverhältnissen nach Gesamtumsatz28 auch ein horizontaler Größenvergleich mit den Wettbewerbern der KMU (so zumindest bei sortimentsbedingter Abhängigkeit) oder vertikale Größenvergleiche zum Normadressaten (insbesondere bei der unternehmensbedingten Abhängigkeit) relevant.29 Der Schutzbereich der Norm ist nicht nur auf KMU in bestehenden Geschäfts- bzw. Lieferbeziehungen beschränkt, sondern kann teilweise auch Newcomer, die erst ihre Tätigkeit aufnehmen wollen, umfassen (jedenfalls bei sortimentsbedingter Abhängigkeit, s. unten). 2. Abhängigkeit Eine Abhängigkeit liegt vor, soweit ein KMU als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten hat. Die Abhängigkeit muss auf einem konkreten sachlichen und räumlichen Markt bestehen. Geht es um einen relativ marktmächtigen Anbieter, ist dessen Absatzmarkt relevant. Bei einem relativ marktmächtigen Nachfrager kommt es auf den Beschaffungsmarkt an.30 In der Praxis ging es bislang häufig um die Abhängigkeit von einem Anbieter/Lieferanten, insbesondere zwischen Handel und Hersteller (von Markenprodukten).31 Die Ausweichmöglichkeiten sind objektiv zu ermitteln, wobei Ausweichmöglichkeiten auf anderen Märkten nicht relevant sind. Bei der Frage der Zumutbarkeit sind die individuelle Interessenlage und Sichtweise des Betroffenen zu berücksichtigen.32 Allerdings ist (insbesondere bei Vertriebssystemen) eine objektiv-generalisierende Betrachtungsweise möglich.33 27 Vgl. auch Grave in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (FK Kartellrecht), hrsg. von Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Loseblatt, § 20 GWB Rz. 29, 30. 28 Unter Einbezug der Umsatzschwellenwerte der Fusionskontrolle bewegen sich KMU im Bereich bis zu € 500 Mio., vgl. Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 10. Bei Umsätzen unter € 25 Mio. kann man danach von einem kleinen Unternehmen ausgehen. Vgl. auch Lübbert/ Schöner in Wiedemann, § 24 Rz. 12. 29 Vgl. Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 10, insbesondere mit Verweis auf BGH v. 19.1.1993 – KVR 25/91, WuW/E 2875, 2878 f.; Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 10 ff.; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 36. 30 Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 14, 15; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 11, 12. Anders als bei der Marktdefinition auf dem Absatzmarkt kommt es bei der Bestimmung des Beschaffungsmarktes auf alle Absatzmöglichkeiten des Anbieters für seine Produkte an, unabhängig davon, ob diese von den jeweiligen Kundengruppen als funktionell austauschbar angesehen werden, vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 45, 46. 31 Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 11; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 41. 32 Lübbert/Schöner in Wiedemann, § 24 Rz. 14, 15 und Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 11. 33 Vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 22.

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In der Praxis wurden verschiedene Kategorien von Abhängigkeiten entwickelt: (a) sortimentsbedingte Abhängigkeit einschließlich Spitzenstellungs- und Spitzengruppenabhängigkeit, (b) unternehmensbedingte Abhängigkeit, (c) nachfragebedingte Abhängigkeit und (d) mangelbedingte Abhängigkeit. Für diesen Beitrag sind vorrangig die ersten drei Kategorien von Interesse.34 a) Sortimentsbedingte Abhängigkeit Sie wurde insbesondere für das Verhältnis (Markenartikel-) Hersteller/Handel entwickelt.35 Der Marktanteil des Anbieters ist dabei nicht entscheidend.36 Relevant sind vor allem die Bekanntheit und Geltung der Marke des Lieferanten, die sich anhand von Funktionen wie Preis, Qualität und die zur Absatzförderung eingesetzte Werbung beurteilen.37 Die Frage ist, ob der Händler aufgrund dieser Aspekte sowie der eigenen Funktion und Vertriebskonzeption, der Marktdurchsetzung der Ware und dem typischen Nachfragerverhalten die Ware im Sortiment führen muss, um wettbewerbsfähig zu sein. Dabei wird auch auf die Distributionsrate der Ware bei Händlern auf demselben räumlichen Markt abgestellt.38 Die Abhängigkeit kann von der Markenware nur eines Herstellers bestehen (Spitzenstellungsabhängigkeit) oder auch von mehreren Herstellern, wenn ein Händler auf das Führen mehrere bekannter Markenwaren angewiesen ist (Spitzengruppenanhängigkeit).39 b) Unternehmensbedingte Abhängigkeit Sie liegt vor, wenn das abhängige Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb im Rahmen langfristig laufender Beziehungen derart auf das andere Unternehmen (der Marktgegenseite) ausgerichtet hat, dass ein Wechseln zu einem anderen Unternehmen als Lie-

34 Die mangelbedingte Abhängigkeit kann aufgrund von einer generellen Warenverknappung auftreten, wenn Unternehmen nicht mehr mit vergleichbaren Mengen wie zuvor beliefert werden (z.B. Ölkrise), vgl. Lübbert/Schöner in Wiedemann, §  24 Rz.  25; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 19 und Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 54 f. Eine solche Mangellage dürfte bei digitalen Plattformen kaum eintreten. 35 Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 13; Lübbert/Schöner in Wiedemann, § 24 Rz. 18 f. 36 Marktanteile können zwar ein Indiz sein, aber es gibt insoweit keinen „Safe-Harbour“. Der BGH hat bei einem Marktanteil des Herstellers zwischen 8-10 % Abhängigkeit eines Fachhändlers von der Belieferung mit Rossignol-Ski angenommen, vgl. Lübbert/Schöner in Wiedemann, § 24 Rz. 20 mit Nachweisen zur Rechtsprechung. 37 Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 30; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 13; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 43. 38 Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 31; vgl. zur Distributionsrate auch zuletzt BGH v. 12.12.2017 – KZR 50/15 – Rimowa. 39 Vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 31 f.; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 54 f.

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ferant oder Nachfrager mit großen Wettbewerbsnachteilen verbunden wäre.40 Klassischerweise betrifft dies auf der Nachfrageseite Franchisenehmer und (autorisierte) Vertragshändler,41 also Vertragspartner, die typischerweise ihr Geschäft auch im Erscheinungsbild ganz auf einen Lieferanten ausgerichtet haben und auch von ihren Kunden damit identifiziert werden. c) Nachfragebedingte Abhängigkeit Sie liegt vor, wenn es für den Anbieter beim Absatz seiner Produkte keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten auf andere Nachfrager gibt.42 Eine nachfragebedingte Abhängigkeit liegt etwa vor, wenn die gesamte Geschäftstätigkeit an einen Abnehmer ausgerichtet ist oder wenn auf einen Nachfrager ein hoher Absatz­ anteil des Lieferanten entfällt. In der Praxis gibt es nachfragebedingte Abhängigkeit häufig bei industriellen Zulieferern oder auch (Konsumgüter-)Herstellern, die an große Handelsunternehmen liefern.43 § 20 Abs. 1 Satz 2 GWB enthält eine gesetzliche Abhängigkeitsvermutung, wenn ein Nachfrager zusätzlich zu den verkehrsüblichen Preisnachlässen oder sonstigen Leistungsentgelten vom KMU regelmäßig besondere Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden. 3. Rechtsfolgen Die Normadressaten unterliegen gegenüber den abhängigen KMU einem Behinderungs- und Diskriminierungsverbot wie nach § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 GWB. Das bedeutet, dass eine Behinderung (= objektive nachteilige Maßnahme) seitens des relativ marktmächtigen Unternehmens gegenüber dem abhängigen KMU nicht unbillig sein darf, was im Rahmen einer Interessensabwägung ermittelt wird, und zwar vor dem Hintergrund der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB.44 In ähnlicher Weise muss eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sein.45 Es gilt zudem der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, also letztlich ein Verhältnismäßigkeitsgebot.46 In der Praxis geht es häufig um Ansprüche von ab-

40 Vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 38. Es wird auch von existenzieller Abhängigkeit gesprochen, s. Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 16; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 50 f. 41 Häufige Fälle in der Praxis sind Kfz-Vertragshändler, s. insgesamt Markert in Immenga/ Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 38-40; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 16; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 120 ff. 42 Vgl. zum Thema Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 44 ff.; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 17; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 56 ff. 43 Bei letzteren kann u.U. schon bei einem Absatzanteil von 10 % eine Abhängigkeit vermutet werden, wobei diese Vermutung widerlegbar ist, vgl. insgesamt Markert in Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rz. 47, 48; Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 17. 44 Bechtold/Bosch, § 19 GWB Rz. 16 f.; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 68 ff. 45 Vgl. Bechtold/Bosch, § 19 GWB Rz. 42 f.; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 83 ff. 46 BKartA v. 8.9.2015 – B6-126/14 – VG Media, Rz. 183. Vgl. für die Geltung bei marktbeherrschenden Unternehmen auch EuGH v. 14.2.1978 – Rs. 27/76 – United Brands, Rz. 184 f.

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hängigen KMU auf (weitere) Belieferung seitens des relativ marktmächtigen Unternehmens. Eine solche Pflicht gilt allerdings nicht zeitlich unbegrenzt.47

IV. Fallpraxis bei digitalen Plattformen Im Bereich digitale Plattformen hat das BKartA § 20 GWB auf Bestpreisklauseln von Hotelreservierungsplattformen angewendet. Fälle zivilrechtlicher Durchsetzung von Ansprüchen gegen Plattformbetreiber mag es durchaus geben, sie sind bislang aber nicht durchentschieden oder veröffentlicht worden. 1. Verfahren gegen Hotelreservierungsplattformen Im Verfahren gegen HRS und Booking.com hat das BKartA die Vereinbarung von Bestpreisklauseln zwischen digitaler Hotelplattform und kleineren und mittleren Hotels als Nutzer der Dienstleistungen der Plattform nicht nur als Verstoß gegen Art. 101 AEUV/§ 1 GWB sondern auch gegen § 20 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB eingeordnet,48 wobei die Ausführungen zum Kartellverbot jeweils den Schwerpunkt ausmachten. Gerichtlich wurde die Anwendung des § 20 Abs. 1 GWB auf die Hotelplattformen inhaltlich noch nicht überprüft.49 a) Plattformdienste und Marktdefinition Die Plattformen bieten im Internet auf der einen Plattformseite Endkunden kostenfrei die Vermittlung von Hotelübernachtungen an. Auf der anderen Plattformseite gibt es Dienstleistungsverträge zwischen Plattform und Hotels zur Aufnahme in das jeweilige Hotelreservierungssystem, einschließlich Darstellung auf der Plattform, und Vermittlung von Übernachtungen gegen eine Provision. Dabei kann der Nutzer auf der Plattform zwar Übernachtungen direkt buchen, der eigentliche Beherbergungsvertrag entsteht aber zwischen Nutzer und Hotel, die Plattform vermittelt dem Nutzer lediglich diese Leistung.50 Es ist also eine Plattform, auf der nur auf einer Seite von der 47 Auch bei Vorliegen von Abhängigkeit kann ein relativ marktmächtiges Unternehmen Geschäftsbeziehungen beenden, wenn im Rahmen der Interessensabwägung eine legitime, sachliche Rechtfertigung dafür spricht und gegebenenfalls eine ausreichende Übergangsfrist gewährt wird, vgl. Bechtold/Bosch, § 19 GWB Rz. 45 f.; Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 108, 109. 48 BKartA v. 20.12.2013  – B9-66/10  – HRS, S.  91  ff.; BKartA v. 22.12.2015  – B9-121/13  – ­Booking, S. 118 ff. 49 Das OLG Düsseldorf hat sich im HRS-Beschwerdeverfahren ausschließlich mit dem Kartellverbot beschäftigt, nicht mit der Vorschrift des § 20 GWB, auf die es nicht mehr ankam, OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9.1.2015 – VI-Kart 1/14 (V) – HRS, Rz. 193. Booking.com hat ebenfalls Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt, aber bislang ist noch keine Entscheidung verkündet worden. 50 Zwischen Nutzer und Plattform kommt ebenfalls ein unentgeltlicher Vermittlungsvertrag zustande, vgl. zur Struktur BKartA v. 20.12.2013 – B9-66/10 – HRS, Rz. 19, 20 und BKartA v. 22.12.2015 – B9-121/13 – Booking, Rz. 18.

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Plattform an die Hotels eine entgeltliche Leistung erbracht wird. Bei der Marktdefinition stellte das BKartA auf einen deutschlandweiten Markt der Vermittlungsleistungen von Hotelportalen ab.51 b) Abhängigkeit Das BKartA hat HRS als Normadressat angesehen, weil kleinere und mittlere Hotels von den Plattform-Dienstleistungen abhängig seien, und keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestünden, ausschließlich auf andere Hotelplattformen auszuweichen: „Kleine und mittlere Hotelunternehmen sind in besonderer Weise auf die Vermarktung ihrer Zimmer durch Hotelportale angewiesen, da sie bei potenziellen Hotelkunden weniger bekannt sind als die großen Hotelunternehmen und sich gegenüber den Hotelportalen und den großen Hotelunternehmen beim Ranking auf den Suchmaschinen nicht behaupten können. Allein ein im Markt stark beworbenes Hotelportal, wie HRS, dessen Name im Markt bekannt ist und das auch im Ranking der Metasuchmachine [sic] ­Google an oberer Stelle steht, bietet diesen Hotelunternehmen einen direkten Zugang zu einer großen Anzahl potenzieller Hotelkunden.“52 Dass kleinere und mittlere Hotels ihre Zimmer regelmäßig über mehrere Plattformen vermarkten, sprach aus Sicht des BKartA nicht gegen eine Abhängigkeit gerade auch von HRS als zweitgrößter Plattform in Deutschland. Denn neben dem Marktführer Booking.com und dem drittgrößten Portal Expedia, nehme HRS eine besondere Stellung ein und sei für die Auslastung deutscher Hotels unverzichtbar. Als Belege dafür wurde eine Befragung von 250 Hotels im Jahr 2009 angeführt, von denen 90 % eine Buchung über HRS erhalten hatten, und dass HRS auch in 2012 das in Deutschland buchungsstärkste Portal sei. Es wurde auch auf die HRS-eigene Beschreibung der hervorgehobenen Marktstellung im Vorfeld der Provisionserhöhung Anfang 2012 verwiesen.53 Das BKartA stellte fest, dass im deutschen Hotelportalmarkt keine Abhängigkeit von nur einem Unternehmen bestehen müsse. Eine Abhängigkeit von HRS könne – obwohl HRS nicht das größte Portal ist54 – wegen besonderer KMU-Freundlichkeit des Geschäftsmodells von HRS bestehen, da das Ranking eines Hotels auf dem HRS-Portal nicht vom entrichteten Entgelt abhänge. 51 BKartA v. 22.12.2015 – B9-121/13 – Booking, Rz. 6. Dieser Markt beinhaltet für Hotelkunden das Dienstleistungspaket „Suchen, Vergleichen und Buchen“. 52 BKartA v. 20.12.2013 – B9-66/10 – HRS, Rz. 236. 53 Darin ging es um Erhöhung der Reichweite, starke Vertriebspartner, Anstieg von Firmenkunden und Weltmarktführerschaft bei Firmenbuchungen, technische Verbesserungen, Ranking unter Hotelplattformen in den TOP 5 weltweit, sowie eine neue strategische Partnerschaft mit Amadeus IT Group mit Zugang zu Reisebüros und Airline-Verkaufsbüros. All dies würde laut BKartA auch den kleineren und mittleren Hotels zugutekommen und HRS für diese unverzichtbar machen, vgl. Rz. 241, 242. 54 Warum das BKartA erst ein Verfahren gegen die zweitgrößte Plattform HRS eröffnet und beendet hatte, bevor es gegen den Marktführer Booking.com vorging, ist nicht geklärt.

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Ausweichmöglichkeiten auf Online-Reiseveranstalter, die hoteleigene Webseite, auf Hotelseiten spezialisierte Metasuchmaschinen oder auf eine bessere Präsenz bei ­Google wurden verworfen.55 Der Preissetzungsspielraum von HRS sei durch Netzwerkeffekte, die für alle Portale gleichermaßen gelten würden, nicht begrenzt; zudem habe HRS ihre Standardprovision erhöhen können. Die besondere Abhängigkeit von HRS sei auch dadurch belegt, dass HRS ihre Bestpreisklausel in der Praxis auch tatsächlich durchsetzen konnte. Im Beschluss gegen Booking.com hat das BKartA zu § 20 GWB im Grundsatz vergleichbare Feststellungen zum Eingreifen der Norm getroffen, wenn auch deutlich kürzer.56 Lediglich bei der Begründung, dass konkret auch eine Abhängigkeit von Booking besteht, verweist das BKartA darauf, dass Booking mit kontinuierlich steigenden Marktanteilen und größer werdendem Abstand als Marktführer eine besondere Stellung einnehme.57 Booking könne auch vergleichsweise hohe Provisionen fordern. c) Unbillige Behinderung In beiden Fällen hat das BKartA die Verwendung von Bestpreisklauseln in den AGBs der Plattform als unbillige Behinderung von kleineren und mittleren Hotels angesehen. Die Einschränkung der Preissetzungsfreiheit der Hotels beschränkte die Wettbewerbsfreiheit der Hotels. Bei der Interessenabwägung wog das Interesse der Hotels, verschiedene Online-Kanäle für Preis- und Konditionendifferenzierung und neu in den Markt eintretende Buchungskanäle mit neuen Vertriebsmodellen unbeschränkt nutzen zu können, schwerer als die Interessen der Portale, die das BKartA als Abschottung von Wettbewerbern und Sicherung des eigenen Buchungsvolumens beschrieb.58 2. Einordnung Interessanterweise geht das BKartA in den beiden Entscheidungen praktisch nicht darauf ein, dass es § 20 Abs. 1 GWB zum ersten Mal auf digitale Plattformen anwen-

55 Eine Abhängigkeit von HRS von den Hotels (gegenseitige Abhängigkeit) aufgrund von Netzwerkeffekten wurde verneint, da HRS über 250.000 Hotels weltweit vermittle und jederzeit weiteren Hotelcontent erwerben könnte, umgekehrt aber die deutschen Hotels da­ rauf angewiesen seien, auf den in Deutschland bekannten Hotelportalen ihre Zimmer zu vermarkten. 56 BKartA v. 22.12.2015 – B9-121/13 – Booking, Rz. 309 ff. 57 Bei der Prüfung von Art. 101 AEUV hat das BKartA einen Marktanteil von Booking von deutlich über 50 % festgestellt, vgl. Rz. 150. 58 Vgl. BKartA v. 20.12.2013 – B9-66/10 – HRS, Rz. 243, 244. Ein Interesse, sich gegen Trittbrettfahrer zu schützen, wurde vom BKartA in diesem Zusammenhang nicht explizit diskutiert, aber bereits bei der Prüfung von Art. 101 AEUV im Ergebnis abgelehnt. Die Abwägung der Interessen bei § 20 Abs. 1 GWB beruht letztlich auf den Ergebnissen der Prüfung des Kartellverbots.

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det, und verweist auch kaum auf die zur Norm entwickelten Grundsätze (s. oben).59 Das mag u.a. dem Schwerpunkt der Prüfung auf Art.  101 AEUV/§1 GWB in den Fällen geschuldet sein. Dennoch haben die Fälle durchaus Präzedenzcharakter und bilden möglicherweise den Grundstein für eine neue Fallgruppe für digitale Plattformen. a) Plattformbedingte Abhängigkeit? Es geht bei HRS und Booking um den Bezug von plattformspezifischen Dienstleistungen und letztlich um den Zugang und die Präsenz der abhängigen Unternehmen auf der Plattform, um darauf ihre Produkte/Dienste auf der anderen Plattformseite im Internet zu präsentieren, also Zugang zu einem speziellen Absatzkanal. Wenn dieser Zugang unverzichtbar für die eigene Wettbewerbsfähigkeit ist, kann eine Abhängigkeit vorliegen. Diese Konstellation findet sich nicht nur bei Hotelportalen, sondern potenziell auch bei anderen digitalen Plattformmärkten, insbesondere Matchingplattformen und Handelsplattformen.60 Das BKartA hat in den zwei Hotelportal-Fällen auf Kriterien abgestellt, die an den Grundsätzen zur Abhängigkeit aus verschiedenen Fallgruppen angelehnt sind, insbesondere an sortimentsbedingte Abhängigkeit. Sie wurden entsprechend auf die Plattformen und den Vertrieb im Internet angepasst. Sie dürften auch für zukünftige Fälle im Bereich digitaler Plattformen relevant sein. aa) Bekanntheit der KMU Das BKartA hat neben der absoluten Größe auch auf die Bekanntheit der Hotels im Vergleich zu (i) großen Hotelketten und (ii) den Hotelplattformen abgestellt, also sowohl einen horizontalen als auch vertikalen Vergleich vorgenommen. Solche Vergleiche gab es auch schon vorher bei sortiments- und unternehmensbedingter Abhängigkeit, allerdings beschränkt auf die Unternehmensgröße. Bei Plattformen geht es um Vermarktung im Internet, sodass ein Abstellen auf die Bekanntheit der KMU und damit letztlich auf ihre Auffindbarkeit im Internet, einschließlich des Rankings auf Suchmaschinen, durchaus sinnvoll ist.61 Offen ist, ob sich in Anlehnung an die Grundsätze zur sortimentsbedingten Abhängigkeit auch Newcomer auf relative Marktmacht gegenüber Plattformen berufen könnten.

59 Außer dem Hinweis, dass Abhängigkeit von mehr als nur einer Plattform bestehen kann, vgl. BKartA v. 22.12.2015 – B9-121/13 – Booking, Rz. 311. 60 Bei Aufmerksamkeitsplattformen dürfte dies wohl weniger der Fall sein, ebenso bei sozialen Netzwerken. 61 Dies steht auch im Einklang mit der Praxis des BKartA bei lieferantenseitigen vertikalen Beschränkungen des Internethandels (z.B. Verbot des Verkaufs von Händlern auf Drittplattformen und Preisvergleichsseiten), bei denen die Bedeutung der Präsenz auf Handelsplattformen für kleinere und mittlere Händler betont wird, vgl. etwa Pressemeldung v. 27.8.2015 zum Fall Asics.

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bb) Bekanntheit der digitalen Plattform Umgekehrt kommt es bei der Frage der Abhängigkeit maßgeblich auf die Bekanntheit der digitalen Plattform selbst an. Das scheint letztlich eine Anwendung der aus der sortimentsbedingten Abhängigkeit bekannten Grundsätze der Marktbedeutung und -durchdringung (der Markenware) zu sein. Dabei hat das BKartA auf die für die Plattform getätigte Werbung abgestellt, die Bekanntheit des Namens der Plattform, auf das Ranking bei Google und bei HRS auch auf die Buchungsstärke. Diese Aspekte scheinen den Fällen zur sortimentsbedingten Abhängigkeit entnommen und auf die digi­ tale Plattform angepasst worden zu sein. Das Abstellen auf eine Umfrage, wie viele Hotels schon Buchungen über HRS erhalten haben, erinnert an das Thema Distributionsrate bei Markenwaren. cc) Mögliche Gruppenabhängigkeit Die Feststellung, dass es eine Abhängigkeit von mehr als einer Plattform geben kann, geht in Richtung Spitzengruppenabhängigkeit. Die mögliche Anwendung auf digitale Plattformen scheint konzeptionell sinnvoll, denn wie gesehen können Netzwerkeffekte bei Plattformen verstärkt zu Marktkonzentrationen führen. Ob tatsächlich eine Gruppenabhängigkeit vorliegt, hängt dann aber u.a. davon ab, ob die KMU tatsächlich über mehrere Plattformen hinweg aktiv sind und vor allem auch sein müssen. Das wurde für die Hotelportale bejaht. Umgekehrt ist zu überlegen, ob ein Multi­ homing (vor allem auch der Nutzer auf der anderen Plattformseite) auch gegen eine Abhängigkeit sprechen kann (s. dazu unten). dd) Mangelnde Ausweichmöglichkeiten Die Ablehnung der Ausweichmöglichkeiten (s. oben) steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass eine Abhängigkeit auf einem bestimmten Markt bestehen muss – hier die speziellen Plattformdienstleistungen – also dass Ausweichmöglichkeiten auf andere Produktmärkte nicht relevant sind. Letztlich hat das BKartA die vorgetragenen Alternativen (online Reiseveranstalter, hoteleigene Webseiten, Metasuchmaschinen) mit diesem Argument auch abgelehnt. Dabei hat es auch auf die (unterschiedlichen) Dienstleistungen der Alternativen gegenüber den Endnutzern abgestellt, also auf die aus Sicht der KMU andere Plattformseite. Das erscheint bei digitalen Plattformen mit mehrere Marktseiten, die einen einheitlichen Produktmarkt darstellen, nicht fernliegend.62 Offen ist, ob dies auch gelten soll und kann, wenn die verschiedenen Plattformseiten nach neuem Recht (trotz Unentgeltlichkeit einer Seite) jeweils separate Märkte darstellen. 62 Zur Zeit der Hotelportal-Fälle galt die Plattformseite der Vermittlung gegenüber den Endkunden mangels Entgeltlichkeit noch nicht als ein Markt. Dies hat das OLG Düsseldorf in HRS ausdrücklich (im Rahmen der Prüfung des Kartellverbots) festgestellt, vgl. OLG Düsseldorf v. 9.1.2015 – VI Kart 1/14 (V), Rz. 43 – HRS. Aber auch nach heutiger Praxis des BKartA würde ein Hotelportal als Matchingplattform wohl als einheitlicher Markt mit zwei Seiten angesehen.

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b) Breite Verhaltenskontrolle für Plattformen In den Hotelportalfällen ging es nicht um Zugang zu den Plattformen sondern um die Überprüfung der vertragliche Ausgestaltung (AGBs) der Dienstleistungsverträge zwischen Plattformbetreiber und KMU, in den Fällen um die Bestpreisklausel. Auch das ist im Grundsatz bereits aus der Fallpraxis zu § 20 Abs. 1 GWB bekannt, z.B. die inhaltliche Überprüfung von Klauseln beim selektiven Vertrieb bei Spitzengruppenabhängigkeit63 oder auch bei nachfragebedingter Abhängigkeit und Konditionenanpassungen.64 Letztlich deutet das auf eine breite Verhaltenskontrolle von digitalen Plattformen hin, die Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB sind. Wobei dies sich auf die Plattformseite(n) beschränkt, deren Nutzer Unternehmen sind. Der unmittelbare Schutz von Verbrauchern fällt nicht in den Anwendungsbereich der Norm – anders als beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach § 19 GWB, den das BKartA etwa derzeit bei Facebook gegenüber den Endnutzern in Form des Ausbeutungsmissbrauchs prüft.65

V. Analyse und offene Fragen Die Hotelportal-Fälle des BKartA zeigen, dass die Grundsätze relativer Marktmacht auf digitale Plattformen anwendbar sein können. Eine starre Einordnung in bestehende Fallgruppen des § 20 Abs. 1 GWB scheint nicht sachgerecht, sondern man kann aus den Grundsätzen verschiedener Fallgruppen schöpfen und diese entsprechend anpassen. Zudem gibt es Raum für die Entwicklung weiterer Kriterien. Es mag sich eine neue Fallgruppe digitaler, plattformbedingter Abhängigkeit entwickeln, wobei angesichts der unterschiedlichen Arten von digitalen Plattformen eine pauschale Anwendung nicht sachgerecht wäre. Generell sind stets die Besonderheiten digitaler Plattformen zu berücksichtigen. Nachfolgend werden ein paar ausgewählte Punkte und Fragen analysiert. 1. Bekanntheit als Teilaspekt von Marktbedeutung und Netzwerkeffekten Der Maßstab der Bekanntheit der Plattform im Vergleich zur Bekanntheit und Auffindbarkeit einzelner KMU im Internet schien in den Hotelportal-Fällen zwar durchaus praktikabel. Fraglich ist, ob oder wie Abhängigkeit in den Fällen angenommen

63 Vgl. LG Mannheim v. 14.3.2008 – 7O 263/07 Kart, WuW/DE-R 2322 – Schulranzen, zum Verbot des Internetvertriebs über Drittplattformen. 64 BGH v. 24.9.2002 – KVR 8/01, WuW/DE-R 984 – Konditionenanpassung. Es kann auch bei klassischen Belieferungsklagen geprüft werden, ob die Konditionen/AGBs des Lieferanten eine unbillige Behinderung oder Diskriminierung darstellen. 65 Vgl. dazu Facebook-Verfahren – FAQ v. 19.12.217, S. 4, verfügbar auf der Internetseite des BKartA.

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werden kann, in denen es nicht um die größten bzw. führenden Plattformen geht (wie Booking.com und HRS bei den Hotelportalen66). Der Bekanntheitsmaßstab ist in solchen Fällen jedenfalls unscharf. Im Zweifel sind auch kleinere Plattformen fast immer bekannter als einzelne KMU und werden aufgrund ihres Geschäftsmodells auch typischerweise mehr in Werbung investieren. Das allein kann wohl nicht zur Abhängigkeit führen. Insofern sollte die Bekanntheit als ein Teilaspekt des Kriteriums der Marktbedeutung verstanden werden, und zwar nicht im Vergleich zu den KMU, sondern im Vergleich zu anderen digitalen Plattformen auf demselben Markt. Das steht dann auch im Einklang mit dem Grundsatz, dass die Abhängigkeit auf einem bestimmten Markt bestehen muss. Letztlich geht es auch um die Frage, ab wann die Netzwerkeffekte einer Plattform groß genug sind, um eine Abhängigkeit zu erzeugen. Umgekehrt formuliert kann die Erforderlichkeit ausreichender Netzwerkeffekten die Annahme von Abhängigkeit von digitalen Plattformen beschränken. Hier wird es in der Praxis darum gehen, eventuell zusätzliche Kriterien und taugliche Verfahren zur Messbarkeit von Netzwerkeffekten/Abhängigkeit zu entwickeln, ähnlich wie z.B. die Distributionsrate für die Frage einer sortimentsbedingten Abhängigkeit.67 Insoweit wären auch Beiträge von Ökonomen hilfreich. 2. Schutz des Zugangs zu speziellem Absatzkanal – Relevanz des Absatzanteils Konzeptionell geht es bei möglicher plattformbedingter Abhängigkeit nicht um die Belieferung mit Markenwaren zum Weiterverkauf, bei der diese im Sortiment geführt werden muss, weil sonst das (Fachhandels-)Geschäft der KMU für Kunden insgesamt nicht attraktiv ist (wie bei sortimentsbedingter Abhängigkeit). Der Zugang zu einem speziellen Vertriebs- oder Absatzkanal im Internet, der hier betroffen ist, ähnelt vielmehr der nachfragebedingten Abhängigkeit. Zwar vermittelt die Plattform häufig nur Kunden unter den Nutzern auf der anderen Plattformseite und ist nicht selbst Nachfrager im echten Sinne. Aber sie stellt aus Sicht der KMU einen Absatzkanal im Internet dar. Daher können neben den vom BKartA in den Hotelportal-Fällen angewandten Kriterien auch weitere, z.B. an nachfragebedingte Abhängigkeit angelehnte Kriterien, entsprechend angewendet werden und relevant sein. Insbesondere könnte zusätzlich eine Berücksichtigung, welcher Absatzanteil auf die digitale Plattform entfällt, sinnvoll sein. Da es um den Schutz des Zugangs zu einem speziellen Absatzkanal geht, sollte es auch auf dessen Bedeutung für das KMU ankommen. Soweit über die Plattform nur ein geringer Absatz- bzw. Vermarktungsanteil vermittelt wird, erscheint eine Abhängigkeit des konkreten KMU zweifelhaft. Letztlich geht es darum, ab wann der Wegfall der Absatzmöglichkeit über die konkre66 Z.B. stellt sich die Frage, ob und inwieweit in einem Verfahren Expedia, das drittgrößte Hotelportal in Deutschland, ebenfalls als Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB eingestuft würde und was für das nächstgrößte bzw. -bekannte Portal gelten würde. 67 Die vom BKartA in HRS in Bezug genommene Umfrage mag ein Schritt in diese Richtung sein – ob eine solche allgemeine Umfrage ausreichen kann, ist allerdings offen.

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te digitale Plattform für das betroffene KMU nicht kompensierbar wäre.68 Unklar ist, ob diesbezüglich nur der Absatzanteil im Internet relevant sein soll oder auch mögliche Offline-Absätze des KMU, soweit vorhanden. Stellt man auf den Aspekt der Kompensierbarkeit ab, erscheint eine Beschränkung auf den Online-Absatz nicht geboten, jedenfalls soweit es um Absatz mit denselben Produkten bzw. auf demselben Markt geht.69 In den Hotelportal-Fällen hat das BKartA sich damit nicht explizit beschäftigt, aber festgestellt, dass durchschnittlich etwa ein Drittel aller Hotelbuchungen im Internet erfolgen.70 Dass die Online-Absätze des KMU insgesamt nicht unbedeutend sein sollten, könnte jedenfalls am Ende der Prüfung berücksichtigt werden, nämlich ob das Ergebnis sinnvoll ist. 3. Abhängigkeit bei Spezialisierung auf eine digitale Plattform? Es gibt im Bereich digitaler Plattformen KMU, die sich auf den Absatz über eine oder wenige Plattformen spezialisiert haben. Gerade bei Handelsplattformen gibt es unzählige Händler, die ausschließlich online aktiv sind, letztlich ihr gesamtes Geschäftsmodell auf die Absatzmöglichkeit über eine Handelsplattformen ausgerichtet haben und teilweise wegen dieser Absatzmöglichkeit gegründet wurden.71 Es stellt sich die Frage, ob dies schon zu einer Abhängigkeit führen kann. Grundsätzlich ist auch bei digitalen Plattformen eine „unternehmensbedingte“ Abhängigkeit nicht auszuschließen, insbesondere wenn die KMU aufgrund konkreter Vorgaben der digitalen Plattform ihren Betrieb auch im Erscheinungsbild auf diese und deren Besonderheiten ausrichten. Allerdings dürfte in Analogie zur unternehmensbedingten Abhängigkeit eine selbst gewählte geschäftliche Ausrichtung der KMU allein nicht ausreichen.72 Zudem kann es im Online-Sektor gegebenenfalls einfacher und kostengünstiger sein, ein Unternehmen auf eine andere Plattform umzustellen, als dies im Offline-Bereich klassischerweise der Fall ist.

68 Für das Verhältnis Hersteller/Handel geht man allgemein bei 10 % des Absatzes davon aus. 69 Das Szenario, dass das KMU sowohl online als auch offline vermarktet, mag nicht für alle digitalen Plattformen gelten, auch wenn es bei den Hotelportalen und auch Handelspattformen so sein kann. Wenn es beide Vermarktungsarten gibt, stellt sich die Frage, ob sie getrennte oder einheitliche Märkte darstellen. 70 Allerdings nicht speziell im Rahmen der Prüfung relativer Marktmacht, sondern allgemein im Vorlauf zur Prüfung des Kartellverbots. 71 So gibt es sehr viele Online-Händler, die ganz überwiegend über die Handelsplattform Amazon oder die Auktionsplattform Ebay ihr Geschäft betreiben. 72 Vgl. zur unternehmensbedingten Abhängigkeit und einer selbst gewählten Ausrichtung Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rz. 16; vgl. auch Grave in FK Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 51. Soweit Händler selbst gewählt nur auf Amazon oder eBay tätig sind, kann dies allein für eine unternehmensbedingte Abhängigkeit wohl nicht ausreichen. Aber häufig dürfte dann der Absatzanteil an den Plattformen ausreichend hoch sein.

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4. Rolle von Multihoming auf der Nutzerseite Beim Thema Marktbeherrschung von digitalen Plattformen spielt Multihoming auf Seiten der Nutzer eine wichtige Rolle. In Fusionskontrollfällen wurde eine wesentliche Verschlechterung effektiven Wettbewerbs trotz äußerst hoher gemeinsamer Marktanteile verneint, wenn die Nutzer auf der anderen Plattformseite Multihoming betreiben, also tatsächlich mehrere Plattformen in der Praxis nutzen. Insofern stellt sich die Frage, ob Multihoming auf der Nutzerseite auch gegen eine Abhängigkeit von KMU von einer bestimmten Plattform sprechen kann. Umgekehrt könnte Multi­ homing auf eine Gruppenabhängigkeit hindeuten. Es kommt dabei auf den Einzelfall an. Das BKartA hat sich damit in den Hotelportal-Fällen im Rahmen der relativen  Marktmacht soweit ersichtlich nicht beschäftigt.73 Jedenfalls sollte eventuelles Multihoming auf der Nutzerseite bei der Prüfung berücksichtigt werden, denn es geht dabei um das schon aus anderen Fallgruppen bekannte Verhalten der Nachfrager der KMU. 5. Mögliche Themen bei Verhaltenskontrolle digitaler Plattformen Digitale Plattformen unterliegen als Normadressaten nach §  20 Abs.  1 GWB einer breiten Verhaltenskontrolle gegenüber den von ihnen abhängigen KMU. Das bezieht sich einerseits auf die Ausgestaltung der vertraglichen Pflichten der KMU (wie bei den Hotelportal-Fällen die Bestpreisklausel). Letztlich gilt dies aber wohl für die gesamten Plattformregeln, die Voraussetzung für die Nutzung der Plattform seitens der KMU sind, einschließlich Zulassungskriterien und Voraussetzungen für eine Kündigung oder Sperrung auf der Plattform. a) Grundlagen automatisierter Prozesse für Zulassung und Nutzung der ­Plattform Ein Missbrauch gegenüber einzelnen KMU, etwa die willkürliche Kündigung eines Lieferverhältnisses, dürfte bei digitalen Plattformen weniger praxisrelevant sein. Denn digitale Plattformen sind im Kundenmanagement weitgehend automatisiert, und Maßnahmen basieren letztlich häufig auf dem Einsatz von Algorithmen. Eine Sonderbehandlung einzelner KMU, also die inkonsistente Anwendung von Kriterien oder der Mangel an solchen, erscheint kaum oder nur in Ausnahmen möglich. Es geht eher um die inhaltliche Überprüfung der Kriterien selbst, also der allgemeinen Leitlinien bzw. Entscheidungen, welche den automatisierten Prozessen zur Zulassung und Nutzung der Plattform zugrunde liegen. Damit eine Überprüfung möglich ist, sollten die zugrundeliegenden Leitlinien auch transparent oder verfügbar sein und einen Hinweis zum Zweck beinhalten, zumindest auf Nachfrage eines KMU.

73 Es wurde umgekehrt bei der Frage der Ausweichmöglichkeiten festgestellt, dass die Hotels (KMU) auf mehreren Plattformen tätig sind.

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b) Ausgestaltung der Plattform und Darstellung der KMU auf der anderen Plattformseite Daneben unterliegt auch die weitere (automatisierte) Ausgestaltung der Plattform einer möglichen Missbrauchskontrolle. Das gilt etwa für die Grundlagen zur Art und Weise der Darstellung der abhängigen KMU bzw. von deren Produkten/Dienstleistungen auf der Plattform, einschließlich der Kriterien für ein mögliches Ranking. Auch diese Kriterien müssen transparent sein, um eine Nachprüfung zu ermöglichen. Hier kann insbesondere das Diskriminierungsverbot relevant werden. Dies gilt insbesondere  – aber nicht nur  – für vertikal integrierte Plattformen, die selbst mit bestimmten Produkten/Diensten mit den KMU auf der anderen Plattformseite um die Nutzer/Kunden konkurrieren. In diesem Zusammenhang kann eine Bevorzugung der eigenen Dienste gegebenenfalls einen Missbrauch darstellen. Bei der Anwendung des § 20 Abs. 1 GWB können sich also vergleichbare Fragen stellen wie in Konstellationen zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, etwa in den Google-­ Verfahren der Kommission.74 c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Umsetzung und Änderung der Regeln Bei der Überprüfung der Ausgestaltung der Plattform kann insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgebot eine wichtige Rolle zukommen, auch soweit es um die Anpassung und/oder Änderung von Regeln bzw. Geschäftspolitik geht. Eine Änderung ist wie bei marktbeherrschenden Unternehmen möglich, soweit sachliche Gründe vorliegen (die zumindest kartellrechtlich neutral sind). Die Normadressaten müssen allerdings darauf achten, dass ihre Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind, also u.a. das mildeste Mittel anwenden, soweit es um Beschränkungen der Handlungs- und Wettbewerbsfreiheit und deren Auswirkungen auf die von ihnen abhängigen KMU geht. In diesem Zusammenhang können in Anlehnung an andere Fallgruppen gegebenenfalls auch angemessene Übergangsfristen erforderlich sein. Das gilt grundsätzlich auch für die Umsetzungsmaßnahmen der Plattformregeln und Geschäftspolitiken gegenüber KMU. Auch hier gilt das Transparenzgebot: Insbesondere sollten bestimmte beschränkende Maßnahmen (z.B. Löschung, Sperrung, Kündigung) klar kommuniziert und nachvollziehbar begründet werden, auch wenn sie die Folge von automatisierten Prozessen sind. Denn nur das erlaubt den KMU, diese Maßnahmen überprüfen zu können.75 Umgekehrt dürfen keine überzogenen An74 Dort geht es u.a. um die Frage der Bevorzugung der eigenen Shopping-Dienste bei Dar­ stellung der Suchergebnisse (vgl. auch PaRR-Meldung “BKartA developing relative market power scenario for Google shopping-type situations” v. 6.4.2018). Ob auch der zugrunde liegende Algorithmus als solcher im Rahmen des §  20 Abs.  1 GWB offengelegt werden muss, ist unklar. Beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist dies bislang nicht erfolgt. 75 In der Praxis stellt sich die Frage, ob die bei vielen größeren Plattformen durchweg standardisierte Kommunikation gegenüber KMU diesen Anforderungen tatsächlich immer genügt. Falls nicht, könnte eine mangelnde Begründung gegebenenfalls als solche einen Behinderungsmissbrauch darstellen.

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sprüche an Kommunikations- und Begründungspflichten gestellt werden, welche die Kosteneffizienz der digitalen Plattform und damit ihr Geschäftsmodell untergraben würde. Ein vergleichbares Transparenzgebot lässt sich nun auch dem jüngsten Regulierungsentwurf der Europäischen Kommission entnehmen.76 Die Regulierung kann, jedenfalls wenn sie finalisiert ist, bei Anwendung des § 20 Abs. 1 GWB in der Interessenabwägung als gesetzliche Wertentscheidung Berücksichtigung finden.

VI. Herausforderungen in der Praxis In der Fallpraxis werden sich viele Fragen zu möglicher plattformbedingter Abhängigkeit und deren Folgen noch klären müssen. Eine Herausforderung wird sein, dass viele digitale Plattformen, die teilweise als kleine Start-Ups gegründet wurden, sich ihrer möglichen Normadressatenstellung nicht bewusst sind. Ähnliches gilt umgekehrt für die möglicherweise abhängigen KMU. Letztere befürchten zudem manchmal Repressionen seitens der Plattform und verzichten deshalb lieber auf ihre Rechtsdurchsetzung.77 Schließlich kann es für KMU schwierig sein, die Netzwerkeffekte und Marktbedeutung einer digitalen Plattform nachzuweisen. Insofern könnte sich der Bereich digitaler Plattformen für eine zunehmende öffentliche Durchsetzung eignen. Denn soweit Abhängigkeit vorliegt, betreffen angesichts der automatisierten Prozesse die Auswirkungen von Behinderungen oder Ungleichbehandlungen typischerweise eine Vielzahl von Unternehmen. Das mag zukünftig zu einer erhöhten Intervention seitens des BKartA in diesem Bereich führen. Allerdings sollten Verfahren in diesem Bereich zügig geführt werden, wie dies auch für Missbrauchs- oder sonstige Verfahren in der Internetwirtschaft gefordert wird.

VII. Fazit Digitale Plattformen können den Regeln zur relativen Marktmacht unterliegen. Angesichts der Bedeutung von digitalen Plattformen, ihren Besonderheiten in der kartellrechtlichen Analyse und der Diskussion über bestimmte Plattformpraktiken scheint die Anwendung des § 20 Abs. 1 GWB auch grundsätzlich sinnvoll. Bislang ist die (veröffentlichte) Praxis des BKartA dazu auf die Hotelportal-Fälle beschränkt. Allerdings wurden darin Kriterien entwickelt, welche die Grundlage für eine mögliche 76 Danach müssen Plattformbetreiber Geschäftsbedingungen, Kriterien für Ranking und Suchergebnisse transparent machen, Änderungen ihrer Bedingungen mit einer Min­ ­ destfrist vorab ankündigen, Nutzungsbeschränkungen begründen und wirksame interne Streitbeilegungsmechanismen schaffen, vgl. Pressemeldung Europäische Kommission v. 26.4.2018 „Online Plattformen: Kommission legt neue Standards für Transparenz und Fairness fest“ (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-3372_de.htm). 77 Diese Konstellation gilt allerdings auch für traditionelle Abhängigkeitsfälle außerhalb digitaler Plattformen.

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neue Fallgruppe einer plattformbedingten Abhängigkeit bilden können, insbesondere die Bekanntheit und Bedeutung der Plattform vs. die der betroffenen KMU. Diese Kriterien erinnern an die Grundsätze zur sortimentsbedingten und Spitzengruppen-Abhängigkeit. Da es letztlich um den Zugang und die Nutzung von Plattformen als Vermarktungskanal im Internet geht, wäre es zweckmäßig, zusätzlich Grundsätze zur nachfragebedingten Abhängigkeit heranzuziehen und weitere Kriterien zu entwickeln. Dabei müssen stets die Besonderheiten von digitalen Plattformen und ihren verschiedenen Typen berücksichtigt werden. Als Normadressaten des § 20 Abs. 1 GWB unterliegen digitale Plattformen einer breiten Verhaltenskontrolle im Hinblick auf Behinderungs- und Diskriminierungsmissbrauch. Dabei geht es wohl weniger um willkürliche Behandlung einzelner abhängiger KMU, da die Praktiken der Plattformen auf automatisierten Prozessen beruhen, als um die Plattformregeln und -praktiken hinsichtlich Zugang und Nutzung, sowie Ausgestaltung der Plattform im Hinblick auf Darstellung/Präsentation gegenüber der anderen Plattformseite (einschließlich Ranking, Suchergebnisse, etc.). Hierbei spielt insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rolle, auch soweit es um Änderungen der Regeln geht. Die Regeln sollten transparent sein, damit überhaupt überprüfbar ist, ob ein Missbrauch vorliegt. Es können sich bei vertikaler Integration der Plattformbetreiber Fragen der Bevorzugung eigener Produkte oder Dienste ergeben. Relative Marktmacht und digitale Plattformen sind ein Bereich, der sich für ein stärkeres „Enforcement“ seitens des BKartA anbieten würde, da sich die möglichen Missbrauchshandlungen typischerweise auf eine Vielzahl von Unternehmen auswirken. Das BKartA arbeitet nach eigenen Aussagen an einem Grundsatzpapier. Man kann gespannt sein, ob es darüber hinaus zu einer Renaissance der behördlichen Anwendung der Vorschrift des § 20 Abs. 1 GWB kommen wird.

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Die negative Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht als Abwehrmaßnahme im Kartellzivilrecht I. Einleitung II. Zulässigkeit von internationalen forum running gemäß Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 1. Sachverhalt 2. Erwägungen des Bundesgerichts III. Mögliche Relevanz einer negativen ­Feststellungsklage im Kartellzivilrecht 1. Grundsätzlicher Anwendungsbereich 2. Zuständigkeit a) Im euro-internationalen Verhältnis (Lugano-Übereinkommen)

b) Im internationalen Verhältnis außerhalb des Anwendungsbereichs des ­Lugano-Übereinkommens 3. Feststellungsinteresse 4. Anwendbares Recht 5. Prozessuales 6. Vorteile eines Verfahrens vor Schweizer Gerichten IV. Fazit

I. Einleitung Forum shopping im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Kartellschadenersatzansprüchen hat Dirk Schroeder schon 2010 beschäftigt.2 Er hat sich damals kritisch mit der Provimi-Rechtsprechung des englischen High Court of Justice auseinandergesetzt, jedoch festgestellt, dass forum shopping in Europa grundsätzlich zulässig sei. In der Schweiz war dies lange Zeit nicht der Fall, da das Bundesgericht die Sicherung eines Gerichtsstandes im internationalen Verhältnis nicht als genügendes (negatives) Feststellungsinteresse anerkannt hat. Mit einem Leitentscheid vom 14.3.2018 wird forum shopping bzw. spezifisch forum running nun auch in der Schweiz salonfähig. Die Durchsetzung des Kartellrechts durch Private vor Zivilgerichten hat in der Schweiz historisch gesehen eine untergeordnete Rolle gespielt. Eine Revision des Schweizer Kartellgesetzes, die unter anderem eine Stärkung des Kartellzivilrechts beabsichtigte,3 scheiterte in der parlamentarischen Beratung, wenn auch primär aus anderen Gründen. 1 Dr., LL.M. (Chicago), Rechtsanwalt und Partner, Homberger AG, Zürich. Der Autor dankt Martin Thomann, Konsulent, Homberger AG, für seine Mitarbeit bei diesem Beitrag. 2 Schroeder, Antitrust Damages – Where does Europe stand in Relation to the US?, in Baudenbacher (Hrsg.), Current Developments in European and International Competition Law, 2011, S. 435 ff. 3 Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde, 22. Februar 2012, Bundesblatt 2012, S. 3905 ff., 3928 f.

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Die in der Praxis eher seltenen Fälle vor Schweizer Gerichten im Kartellzivilrecht betreffen regelmäßig die Geltendmachung von Ansprüchen durch einen von (angeblich) kartellrechtswidrigem Verhalten Geschädigten. Meistens geht es dabei um Verhalten, das sich auf dem Schweizer Markt ausgewirkt hat. Kaum von Bedeutung waren negative Feststellungsklagen des behaupteten Schädigers. Dies lag darin begründet, dass das schweizerische Bundesgericht (die höchste Instanz) für eine negative Feststellungsklage ein besonderes Feststellungsinteresse verlangte und dieses verneinte, wenn in kurzer Zeit mit einer Leistungsklage zu rechnen war.4 Damit war ein forum running in der Schweiz ganz allgemein und insbesondere auch in kartellzivilrechtlichen Fällen regelmäßig nicht möglich. Eine kürzliche Praxisänderung des Bundesgerichts in einem Verfahren einer negativen Feststellungsklage im Kartellzivilrecht lässt forum running jedenfalls im internationalen Kontext ausdrücklich zu. Dies wirft die Frage auf, ob der negativen Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht insbesondere in einem internationalen Kontext zukünftig eine größere Bedeutung als Abwehrmaßnahme gegen behauptete kartellzivilrechtliche Ansprüche zukommen wird.

II. Zulässigkeit von internationalen forum running gemäß ­Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 1. Sachverhalt Die Swatch Group5 beschloss im Zuge der stufenweisen Einführung eines selektiven Vertriebssystems für Ersatzteile, die bisherige Zusammenarbeit mit Großhändlern zu beenden. Den Großhändlern wurde (mit einem Vorlauf von über einem Jahr) bis zur Beendigung der Belieferung mit Ersatzteilen eine Übergangsfrist bis Ende 2015 ­gewährt. Zudem wurde den Großhändlern angeboten, einen eigenen qualifizierten Uhrenreparaturbetrieb aufzubauen und sich damit die Weiterbelieferung und die Möglichkeit der Querbelieferung anderer autorisierter Reparaturbetriebe zu sichern. Im Frühjahr 2016 forderte eine englische Großhändlerin von drei Unternehmen der Swatch Group gestützt auf englisches und europäisches Wettbewerbsrecht die Wiederaufnahme der bisherigen Belieferung, ansonsten ohne weitere Ankündigung in England gestützt auf englisches und europäisches Wettbewerbsrecht Klage auf Weiterbelieferung bzw. auf Schadenersatz eingereicht werde. Noch bevor das englische Unternehmen seine Leistungsklage einreichte, gelangte die Swatch Group an das Handelsgericht des Kantons Bern. Sie verlangte die Feststellung, dass sie keine Pflicht zur Belieferung treffe und dass sie dem englischen Unternehmen wegen der Beendigung der Belieferung nichts schulde. Das Handelsgericht des Kantons Bern verneinte gestützt auf die lex fori ein Feststellungsinteresse der Feststellungsklägerinnen, weil das Interesse einer Partei, sich mit 4 Bundesgericht v. 30.6.2010 – BGE 136 III 523 E. 6.4. 5 Der Autor war gemeinsam mit Prof. Felix Dasser und Martin Thomann in diesem Verfahren Rechtsvertreter der Feststellungsklägerinnen.

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einer negativen Feststellungsklage einen Gerichtsstand in der Schweiz zu sichern, gemäß bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein genügendes Feststellungsinteresse begründe. Es trat deshalb mit Urteil vom 26.6.2017 nicht auf die Klage ein. Die Swatch Group erhob gegen dieses Urteil Beschwerde an das Bundesgericht. Das Bundesgericht hieß die Beschwerde mit Urteil vom 14.3.20186 gut und bejahte ein genügendes Rechtsschutzinteresse für eine negative Feststellungsklage. Das Bundesgericht wies die Sache an das Handelsgericht des Kantons Bern zurück zur Fortführung des Verfahrens. 2. Erwägungen des Bundesgerichts Da die Parteien des Verfahrens Sitz in England und in der Schweiz haben, war das Lugano-Übereinkommen („LugÜ“)7 anwendbar. Das Bundesgericht hielt einleitend an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach das Lugano-Übereinkommen das Rechtsschutzinteresse nicht regelt. Dieses ist vielmehr nach Landesrecht zu beurteilen. Danach kam das Bundesgericht zunächst zum Schluss, dass für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses auf die lex fori (d.h. Schweizer Recht) abzustellen ist und nicht auf die lex causae (im vorliegenden Fall englisches Recht). Anschließend befasste sich das Bundesgericht mit der zentralen Frage, ob ein Feststellungsinteresse an einer negativen Feststellungsklage gegeben ist, mit der einer bevorstehenden Leistungsklage zuvorgekommen werden soll (forum running). Dabei erwog das Bundesgericht, ob Vorschriften des nationalen Rechts (wie das Rechtsschutzinteresse) ausserhalb des inhaltlichen Regelungsbereichs des Lugano-­ Übereinkommens einschränkend auszulegen sein könnten. Dies dann, wenn die nationalen Vorschriften sonst zu einer Vereitelung der praktischen Wirksamkeit des Lugano-Übereinkommens führen würden (sogenanntes effet utile-Prinzip). Das Bundesgericht ließ dies offen. Unter nationalem Schweizer Recht befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob das Interesse eines negativen Feststellungsklägers, die bestehende Ungewissheit über die Rechtslage selber gerichtlich klären zu lassen, schutzwürdig erscheint. In Änderung der bisherigen Rechtsprechung bejahte es diese Frage. Es begründete dies insbesondere damit, dass im internationalen Verhältnis das tatsächliche Interesse, einen Prozess in diesem und nicht in jenem Staat führen zu können, erheblich sein kann, u.a. allein wegen der unterschiedlichen Verfahrensrechte, der unterschiedlichen Verfahrenssprache, Dauer und Kosten der Verfahren. Zusammenfassend stellte das Bundesgericht fest, „dass jedenfalls im internationalen Verhältnis das Interesse einer Partei, bei einem bevorstehenden Gerichtsverfahren 6 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017 (zur amtlichen Publikation vorgesehen). 7 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

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einen ihr genehmen Gerichtsstand zu sichern, als genügendes Feststellungsinteresse zu qualifizieren ist.“8 Entsprechend sei das Rechtsschutzinteresse der Feststellungsklägerinnen zu bejahen und falle auch aufgrund der späteren Erhebung einer Leistungsklage durch die Feststellungsbeklagte nicht wieder dahin.

III. Mögliche Relevanz einer negativen Feststellungsklage im ­Kartellzivilrecht Mit dem Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 ist ein Hindernis beseitigt, das einer negativen Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht bislang (nicht nur, aber auch) im Kartellzivilrecht grundsätzlich im Weg stand. Es stellt sich deshalb die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine negative Feststellungsklage im Kartellzivilrecht zukünftig praktisch relevant werden kann. 1. Grundsätzlicher Anwendungsbereich Denkbar ist eine negative Feststellungsklage grundsätzlich in allen Fällen, in denen kartellzivilrechtliche Ansprüche behauptet werden. So können etwa Schadenersatz­ ansprüche aufgrund eines angeblichen Kartellrechtsverstoßes (unzulässige Wettbewerbsabreden9 oder der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung10) geltend gemacht werden. Oder aber es kann eine kartellrechtlich begründete Lieferverpflichtung (regelmäßig nur bei Marktmachtmissbrauch) behauptet werden, wie dies im Verfahren geschehen ist, das dem Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 zugrunde lag. Vorausgesetzt ist, dass dem negativen Feststellungskläger die (angeblich) Geschä­ digten namentlich bekannt sind, insbesondere weil diese bereits ausdrücklich kar­ tellzivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht haben. Gruppenklagen im Sinne der amerikanischen class action sind im geltendem Schweizer Recht nicht vorgesehen. Vorschläge für eine Ausweitung des kollektiven Rechtsschutzes durch Einführung einer reparatorischen Verbandsklage auf Schadenersatz oder Gewinnherausgabe und ein Gruppenvergleichsverfahren nach niederländischem Vorbild befinden sich erst am Anfang der politischen Diskussion. Diese Institute dürften für eine negative Feststellungsklage ohnehin kaum in Frage kommen. 2. Zuständigkeit a) Im euro-internationalen Verhältnis (Lugano-Übereinkommen) Praktisch gesehen werden sich in einer internationalen kartellzivilrechtlichen Streitigkeit vor einem Schweizer Gericht zumeist Parteien aus Europa gegenüberstehen. Soweit es sich nicht um eine rein binnenrechtliche Schweizer Streitigkeit handelt, fällt diese grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens. 8 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017 E. 5.4. 9 Art. 5 des Schweizer Kartellgesetzes („KG“) bzw. Art. 101 AEUV. 10 Art. 7 KG bzw. Art. 102 AEUV.

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Negative Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht

Unter dem Lugano-Übereinkommen steht der Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten einer kartellrechtlichen Leistungsklage gemäß Art. 2 Abs. 1 LugÜ nicht umgekehrt für dessen negative Feststellungsklage zur Verfügung. Dies würde zu einem Klägergerichtsstand führen, der gemäß bundesgerichtlicher Rechtsprechung unzulässig ist.11 Neben dem Gerichtsstand am Wohnsitz des Feststellungsbeklagten besteht aber eine Zuständigkeit am Handlungs- oder Erfolgsort gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines durch das LugÜ gebundenen Staats hat, in einem anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat verklagt werden kann, wenn „eine unerlaubte Handlung oder eine  Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ den Gegenstand des Verfahrens bildet. Der Begriff der unerlaubten oder einer dieser gleichgestellten Handlung erfasst auch zivilrechtliche Ansprüche aus der Verletzung von Kartellrecht.12 Die Zuständigkeit gemäß Art. 5 Ziff. 3 LugÜ „vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ erfasst sowohl den Ort, an dem ein Schaden sich verwirklicht hat, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens.13 Ein Kläger kann frei wählen, ob er seine Ansprüche am Handlungs- oder am Erfolgsort geltend machen möchte.14 Die Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ steht auch für negative Feststellungsklagen zur Verfügung.15 Das Bundesgericht hat zwar ein Wahlrecht des angeblichen Schädigers nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ für angebliche Feststellungsklagen verneint, wenn dem angerufenen Gericht die notwendige besondere Beweis- und Sachnähe fehlt.16 Seit diesen Entscheiden ist aber das Urteil Folien Fischer17 des EuGH ergangen. In diesem hat der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ für negative Feststellungsklagen am Handlungs- und Erfolgsort vorbehaltslos bejaht und festgehalten, dass es bei der Zuständigkeitsprüfung nur darum gehe, das Vorliegen eines Anknüpfungspunkts festzustellen.18 Die Lehre erachtet die bundesgerichtliche Einschränkung der Wahlmöglichkeit des angeblichen Schädigers jedenfalls seit diesem Urteil als in Frage gestellt bzw. un-

11 Bundesgericht v. 23.10.2006 – BGE 132 III 778 E. 2.1. 12 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/12, Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA v Akzo Nobel et al., Rz. 34 ff. 13 BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 560 und N 568. 14 BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 557. 15 Oberhammer in Dasser/Oberhammer (Hrsg.), LugÜ-Kommentar, 2. Aufl. 2011, Art. 5 N 111; EuGH v. 15.10.2012 – C-133/11, Folien Fischer AG und Fofitec AG, Rz. 54; Bundesgericht v. 13.3.2007 – BGE 133 III 282 E. 4.1; Bundesgericht v. 2.8.1999 – BGE 125 III 346 E.4b. 16 Bundesgericht v. 13.3.2007 – BGE 133 III 282 E. 4.5 und 4.6; Bundesgericht v. 23.10.2006 – BGE 132 III 778 E. 3; Bundesgericht v. 2.8.1999 – BGE 125 III 346 E. 4b. 17 EuGH v. 15.10.2012 – C-133/11, Folien Fischer AG und Fofitec AG. 18 EuGH v. 15.10.2012 – C-133/11, Folien Fischer AG und Fofitec AG, Rz. 51-54.

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zulässig.19 Auch wenn das Bundesgericht in seinem Urteil vom 14.3.2018 festgehalten hat, dass es die Rechtsprechung des EuGH nur zu berücksichtigen hat, aber nicht daran gebunden ist,20 erscheint es unwahrscheinlich, dass es zukünftig noch am Kriterium der besonderen Beweis- und Sachnähe festhalten wird. Die Gerichte am Ort des Schadenseintritts dürften nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig sein, die im Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.21 Wo der Schaden in mehreren Staaten eingetreten ist, wird somit die Zuständigkeit am Handlungsort bei der Ausübung des Wahlrechts durch den negativen Feststellungskläger im Vordergrund stehen. Bei behaupteten Kartellrechtsverletzungen gilt als deliktischer Handlungsort jeder Ort, an dem die (angeblichen) Täter relevante Aktivitäten entfalteten.22 Bei mehreren Teilhandlungen begründet jeder Handlungsort eine umfassende Zuständigkeit.23 Mit Bezug auf Kartelle hielt der EuGH fest, ein deliktischer Handlungsort liege dort, wo das Kartell beschlossen wurde.24 Im Fall, welcher dem Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 zugrunde lag, war ein Handlungsort am Ort der Hauptverwaltung einer der Feststellungsklägerinnen gegeben, an welchem die Umsetzung des selektiven Vertriebssystems beschlossen wurde. Im Einzelfall kann die Bestimmung des Handlungsorts z.B. bei Preisabsprachen problematisch sein.25 Unseres Erachtens ist aber ein Handlungsort und damit ein Gerichtsstand für eine negative Feststellungsklage jedenfalls dort zu bejahen, wo nicht rein zufällig Handlungen im Hinblick auf eine Kartellrechtsverletzung stattgefunden haben, z.B. am Ort regelmäßig stattfindender Treffen zwecks Absprache von Preisen.

19 Vgl. u.a. BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 534; Lüthi, EuGH konkretisiert Deliktszuständigkeit bei markenrechtlichen Verletzungen mittels AdWords, sic! 2013, 212 ff., 220; Killias, Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen 2012, SZIER 2013, 671 ff., Rz. 18. 20 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017 E. 3.2 (mit Bezug auf die Frage, ob im Anwendungsbereich des LugÜ ein besonderes Rechtsschutzinteresse für eine negative Feststellungsklage verlangt werden dürfe). 21 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93, Fiona Shevill u.a. v Presse Alliances SA, Rz. 33, für Ehrverletzungsdelikte; für die Anwendung dieser Rechtsprechung auf sämtliche „Streudelikte“, z.B. auf Ansprüche aus Kartellrechtsverletzungen, u.a. BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 633 m.w.H. 22 Bundesgericht v. 2.8.1999 – BGE 125 III 346 E. 4c.aa. 23 Bundesgericht v. 2.8.1999 – BGE 125 III 346 E. 4c.aa. 24 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/12, Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA v Akzo Nobel et al., Rz.  44 („Gründungsort des Kartells“); vgl. auch Fiona Shevill u.a. v Presse ­Alliances SA, Rz. 24 (Ort, „an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm“, in casu der Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung. 25 BSK IPRG-Dasser/Brei, Art. 137 N 30a; Mäsch, Vitamine für Kartellopfer – Forum ­shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPrax 2005, 509 ff., 514 f, wonach Unternehmen, die Preise absprechen, an ihrem jeweiligen Sitz zu verklagen sind anstatt am oft zufälligen Ort der konkreten Kartellabsprache.

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b) Im internationalen Verhältnis außerhalb des Anwendungsbereichs des ­Lugano-Übereinkommens Außerhalb des Anwendungsbereichs des Lugano-Übereinkommens und allfälliger bilateraler Staatsverträge richtet sich die Zuständigkeit Schweizer Gerichte im internationalen Verhältnis nach dem Bundesgesetz über das internationale Privatrecht („IPRG“). Ein (angeblicher) Kartellrechtsverstoß stellt eine unerlaubte Handlung im Sinne des IPRG dar.26 Gemäß Art. 129 IPRG sind für Klagen aus unerlaubter Handlung u.a. die schweizerischen Gerichte am Handlungs- oder Erfolgsort zuständig. Der deliktsrechtliche Handlungsort ist dabei nach den wettbewerbsspezifischen Anknüpfungen des Auswirkungs- und Einwirkungsprinzips zu konkretisieren.27 Auch unter dem IPRG ist unseres Erachtens ein Handlungsort und damit ein Gerichtsstand für eine negative Feststellungsklage dort zu bejahen, wo nicht rein zufällig Handlungen im Hinblick auf eine Kartellrechtsverletzung stattgefunden haben. 3. Feststellungsinteresse Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 14.3.201828 festgehalten, dass im euro-internationalen Verhältnis form running legitim und zulässig ist. Die Gründe, welche für die Zulässigkeit von forum running angeführt wurden, sprechen aber auch (und a fortiori) für dessen Zulässigkeit im internationalen Verhältnis außerhalb des Anwendungsbereichs des Lugano-Übereinkommens. So können die Unterschiede betreffend Verfahrensrechte, Sprache, Dauer oder Kosten eines Verfahrens im Verhältnis zu Nicht-LugÜ-Staaten noch größer sein als im Verhältnis zu LugÜ-Staaten. Ob das Bundesgericht im Binnenverhältnis an der bisherigen Rechtsprechung festhalten wird, wonach das Interesse einer Partei, unter mehreren möglichen Gerichtsständen den ihr zusagenden wählen zu können, für sich allein kein schutzwürdiges Feststellungsinteresse zu begründen vermöge,29 erscheint zurzeit offen. Die Praxisänderung im internationalen Verhältnis wird aber die praktische Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein angeblicher Schädiger auch im Binnenverhältnis eine negative Feststellungsklage erhebt. 4. Anwendbares Recht Kartellrechtliche Ansprüche unterstehen dem Recht des Staats, auf dessen Markt der Geschädigte von der Behinderung unmittelbar betroffen ist (Art. 137 Abs. 1 IPRG). Der Schweizer Gesetzgeber hat damit das sogenannte Auswirkungsprinzip kodifiziert.

26 Vgl. BSK IPRG-Umbricht/Rodriguez/Krüsi, Art. 129 N 23. 27 BSK IPRG-Umbricht/Rodriguez/Krüsi, Art. 129 N 23. 28 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017. 29 Bundesgericht v. 3.2.2005 – BGE 131 III 319 E. 3.5.

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Ob ein kartellrechtlicher Anspruch besteht, richtet sich somit nach der lex causae. Dies gilt auch für eine negative Feststellungsklage. Wird etwa eine Behinderung auf dem englischen Markt durch eine Einstellung von Lieferungen geltend gemacht,30 ist im negativen Feststellungsverfahren nach englischem bzw. (zurzeit noch) nach EU-Wettbewerbsrecht über das Bestehen einer Kartellrechtsverletzung zu befinden. 5. Prozessuales Für kartellrechtliche Streitigkeiten ist in der Schweiz eine einzige kantonale Instanz zuständig (Art. 5 Abs. 1 Bst. b der Eidgenössischen Zivilprozessordnung, „ZPO“). In den vier Kantonen, in denen spezialisierte Handelsgerichte bestehen,31 sind diese zuständig. In den anderen Kantonen sind kartellrechtliche Streitigkeiten der oberen kantonalen Instanz (Obergericht bzw. Kantonsgericht) zugewiesen.32 Bei Streitigkeiten, für die eine einzige kantonale Instanz zuständig ist (wie kartellrechtliche Streitigkeiten), entfällt das dem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich vorgelagerte Schlichtungsverfahren (Art. 198 Bst. f ZPO). Die Klage ist somit direkt beim zuständigen Gericht einzureichen. Mit dieser Klageeinreichung tritt auch die Rechtshängigkeit ein und die damit verbundene Sperrwirkung mit Bezug auf eine Leistungsklage in gleicher Sache (vgl. z.B. Art. 27 LugÜ). Der EuGH hat kürzlich entschieden, dass ein obligatorisches schweizerisches Schlichtungsverfahren Rechtshängigkeit im Sinne der Art. 27 ff. LugÜ bewirkt.33 Bei kartellrechtlichen Verfahren ist aber ein Schlichtungsverfahren wie dargelegt gerade nicht obligatorisch vorgesehen. Ob der EuGH auch ein fakultatives Schlichtungsbegehren genügen lassen würde, erscheint offen. Im Sinne der prozessualen Vorsicht wird ein negativer Feststellungskläger in einer Konstellation des forum running jedenfalls nicht hierauf vertrauen dürfen, sondern er wird die negative Feststellungsklage direkt beim Gericht einreichen. Eine Klage ist gegen mehrere Personen gemeinsam möglich, soweit Rechte und Pflichten zu beurteilen sind, die auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen (Art. 71 Abs. 1 ZPO). Eine solche „einfache Streitgenossenschaft“ auf Seite der Feststellungsbeklagten setzt voraus, dass diese Ansprüche aus derselben angeblichen Kartellrechtsverletzung behaupten (z.B. mehrere Geschädigte eines Kartells). Allenfalls dürfte ein Gericht unter dem Aspekt der gleichartigen Rechtsgründe verlangen, dass das anwendbare Recht mit Bezug auf alle Feststellungsbeklagten dasselbe ist. Wenn z.B. ein Feststellungsbeklagter eine Schädigung in Deutschland und ein anderer eine solche in den USA geltend machen, erscheint zumindest diskutabel, ob dieses

30 So der Sachverhalt im Verfahren, das dem Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 zugrunde lag. 31 Zürich, Bern, St. Gallen und Aargau. 32 Art. 75 Abs. 2 des Bundesgerichtsgesetzes verpflichtet die Kantone, für die Behandlung der in Art. 5 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Fälle die oberen kantonalen Instanzen einzusetzen. 33 EuGH v. 20.12.2017 – C-467/16, Schlömp.

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Negative Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht

Erfordernis erfüllt ist. Falls dies verneint wird, wären separate Verfahren gegen die beiden Feststellungsbeklagten je einzeln zu führen. Die Beweislast ist nach schweizerischem Verständnis ein Teil des materiellen Rechts und richtet sich somit nach der lex causae. Nach materiellem Schweizer Recht hat grundsätzlich derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 des Zivilgesetzbuches). Diese materiellrechtliche Beweislastverteilung gilt unabhängig von den Parteirollen: Im Falle einer negativen Feststellungsklage hat somit nicht der Feststellungskläger das Nichtvorhandensein der behaupteten Ansprüche darzutun. Vielmehr obliegt es dem Feststellungsbeklagten, seine Ansprüche zu beweisen, wofür er regelmäßig den Weg der Widerklage beschreiten wird. 6. Vorteile eines Verfahrens vor Schweizer Gerichten Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 14.3.2018 die Unterschiede zwischen Gerichtsverfahren in verschiedenen Ländern als zentrale Begründung für die Zulassung von internationalem forum running angeführt.34 Diese Unterschiede sind bereits innerhalb des LugÜ-Raums offensichtlich. So sind etwa die zu erwartenden Kosten eines Gerichtsverfahrens vor einem Schweizer Gericht wesentlich tiefer als z.B. diejenigen eines Verfahrens im Vereinigten Königreich (oder in den USA). Ebenso ist die Qualität und insbesondere auch die Unabhängigkeit der Schweizer Rechtsprechung im internationalen Quervergleich hoch. So ist etwa schon innerhalb der EU in etlichen Ländern das Vertrauen in die Justiz tief, wie sich aus der jährlichen Übersicht der EU (dem EU Justizbarometer35) ergibt. Dabei zeigt sich, dass das Vertrauen von Unternehmen in die Unabhängigkeit ihrer Gerichte zwischen sehr guten 85 % und bedenklichen 10 % liegt. Auch ist die Schweizer Justiz nicht für überlange Verfahren bekannt, weshalb nicht zu befürchten ist, dass negative Feststellungsklagen vor Schweizer Gerichten für sogenannte „Torpedo-Klagen“ missbraucht werden könnten, d.h. für Klagen in einem für die Langsamkeit seiner Gerichte bekannten Land, mit denen während der Verfahrensdauer Leistungsklagen blockiert werden sollen.36 Ein negatives Feststellungsverfahren vor einem Schweizer Gericht kann mithin für eine Partei, der eine Klage wegen angeblicher Kartellrechtsverletzung im Ausland angedroht wird, eine Möglichkeit sein, über die Begründetheit dieses Anspruchs an einem Ort zu prozessieren, an dem zu vertretbaren Kosten von unabhängigen Gerichten innert vernünftiger Zeit ein Urteil ergehen wird. 34 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017 E. 5.3.2. 35 EU Justizbarometer 2017, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=COM:2017:​ 167:FIN; vgl. auch den Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments zum EU Justizbarometer 2017 vom 3.5.2018, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?​ type=REPORT&reference=A8-2018-0161&format=XML&language=DE. 36 Bundesgericht v. 14.3.2018 – 4A_417/2017 E. 5.3.3.

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Franz Hoffet

IV. Fazit Mit dem Bundesgerichtsurteil vom 14.3.2018 und der Bejahung der Zulässigkeit von forum running im internationalen Verhältnis ist die grundsätzliche Möglichkeit eröffnet, vor einem Schweizer Gericht eine negative Feststellungsklage einzureichen. Für kartellzivilrechtliche Verfahren dürfte diese Möglichkeit dann praktisch von Interesse sein, wenn aufgrund eines substantiellen Anknüpfungspunkts in der Schweiz die Möglichkeit besteht, über die grundsätzliche Zulässigkeit des kartellrechtlich beanstandeten Verhaltens und nicht bloß über dessen Auswirkungen in der Schweiz zu prozessieren. Dies ist unseres Erachtens etwa dann der Fall, wenn in der Schweiz ein Handlungsort gegeben ist, an dem nicht rein zufällig Handlungen im Hinblick auf eine Kartellrechtsverletzung stattgefunden haben, z.B. regelmäßige Treffen zwecks Absprache von Preisen. Die Zukunft wird zeigen, ob und in welchem Ausmaß potentielle Beklagte in kartellzivilrechtlichen Auseinandersetzungen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.

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Einwirkungen des Kartellrechts in das Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe



I. Einleitung

II. Bietergemeinschaften 1. Vergaberechtliche Vorschriften über Bietergemeinschaften 2. Verstoß einer Bietergemeinschaft ­gegen § 1 GWB wegen Beschränkung des Vergabewettbewerbs a) Fallgruppen von nicht gegen § 1 GWB verstoßenden Bieter­ gemeinschaften b) Kartellrechtliche Grauzone ­bestimmter Arten von Bieter­ gemeinschaften 3. Nur eingeschränkt überprüfbarer ­Beurteilungsspielraum der Unter­ nehmen für die Bildung einer ­Bietergemeinschaft? 4. Spürbarkeit der von der Bieter­ gemeinschaft verursachten Wett­ bewerbsbeschränkung 5. Die Durchsetzung des Kartellverbots im Vergabeverfahren und im Nach­ prüfungsverfahren 6. Zwischenergebnis zu den Bietergemeinschaften

III. Einkaufsgemeinschaften der öffent­ lichen Hand 1. Vergaberechtliche Vorschriften über Einkaufsgemeinschaften 2. Nach h.M. gilt das Kartellverbot für Einkaufsgemeinschaften der öffent­ lichen Hand 3. Kritische Stellungnahme gegenüber der h.M. 4. Zwischenergebnis zu den Einkaufs­ gemeinschaften der öffentlichen Hand IV. Einwirkungen in Vergabeverfahren aufgrund der §§ 19, 20 Abs. 1 GWB?

V. Der auf § 1 GWB gestützte Grund für einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren

VI. Selbstreinigung des Bewerbers gegen den Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB 1. Zweck der Selbstreinigung 2. Die Pflichtaufgaben des öffentlichen Auftraggebers zur Überprüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen 3. Für die Kartellanten unzumutbare Reichweite der Überprüfung? VII. Schlussbemerkung

I. Einleitung Vor rund zwanzig Jahren hat das Vergaberechtsänderungsgesetz1 im Zuge der Um­ setzung der damals geltenden (inzwischen novellierten) EG-Vergaberechtsrichtlinien das für die öffentlichen Aufträge oberhalb der Schwellenwerte2 anzuwendende Ver­ gaberecht in das GWB – die Magna Charta der Freiheit des Wettbewerbs, der Sicherung des Leistungswettbewerbs und der Öffnung sowie Offenhaltung der Marktzu1 VgRÄG v. 26.8.1998 (BGBl. I 1998, 2512). 2 S. jetzt § 106 GWB.

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gänge3 – implantiert.4 Die Konzeption, die EG-Vergaberechtsrichtlinien im Rahmen des GWB anstatt in einem eigenständigen Vergabegesetz umzusetzen, begründete der Gesetzgeber seinerzeit folgendermaßen: Die EG-Vergaberechtsrichtlinien verfolgten zur Verwirklichung des Binnenmarkts das Ziel, das öffentliche Auftragswesen für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu öffnen; zudem sollten die Interessen der Bieter bei Verletzung der Vergaberegeln durch wirksame und rasche Nachprüfung geschützt werden. Um diesem Verständnis der Vergaberegeln zu entsprechen und die wettbewerbliche Bedeutung des aktuellen Vergaberechts zu betonen, sei dessen Aufnahme in das GWB der Vorzug gegeben worden. Mit dieser gesetzlichen Regelung werde zugleich das Wettbewerbsprinzip gestärkt; das führe zu wirtschaftlichem Einkauf und zu noch sparsamerer Verwendung öffentlicher Mittel.5 Die Aufnahme des für den Oberschwellenbereich anzuwendenden Vergaberechts in das GWB führte alsbald dazu, dass dieser Teil des Vergaberechts aus berufenem Munde „Kartellvergaberecht“ getauft wurde.6 Diese Bezeichnung hat viele Anhänger gefunden.7 Es scheint nahe zu liegen, dass diese Anschauung zu der These führt, das „Kartellvergaberecht“ müsse – und zwar konsequent wettbewerbsbezogen – in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Kartellrecht ausgelegt werden („kartellrechtlich-funktionale Auslegung“).8 Ein mit der Vergaberechtspraxis und -lehre seit langem vertrauter Autor hat vier Jahre nach Inkrafttreten des VgRÄG eine umfassende Untersuchung darüber vorgelegt, „inwieweit die Integration des Kartellvergaberechts in das allgemeine Kartellrecht gelungen“ sei.9 In diese Richtung zielt auch die Frage, ob dem allgemeinen materiellen Kartellrecht der Vorrang vor dem GWB-Vergaberecht gebührt.10 Jedenfalls normiert § 156 Abs. 3 GWB, dass die Befugnisse der Kartellbehörden zur Untersuchung und Ahndung von Verstößen gegen das allgemeine Kartellrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens durch das GWB-Vergaberecht nicht begrenzt werden, sondern „unberührt bleiben“, also uneingeschränkt fortbestehen. Daher ist es rechtlich nicht ausgeschlossen, dass die (nach § 48 Abs. 2 GWB zuständige) Kartellbehörde – und 3 Vgl. zur Zielsetzung des GWB statt aller: BGH v. 24.10.2011 – KZR 7/10, WuW 2012, 72, 77 = WuW/E DE-R 3446, 3451. 4 Von dem Recht für die „Oberschwellenvergaben“, dem Teil 4 des GWB, soll in diesem Beitrag neben dem Kartellrecht allein die Rede sein. 5 Begr. BReg zum Entwurf des VgRÄG, BT-Drucks. 13/9340, S. 12 f. 6 Dreher, WuW 1999, 246; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 64. 7 Hier kann nur eine kleine Auswahl geboten werden: Stockmann, ZWeR 2003, 37; Byok/ Graef/Faasch, NZBau 2012, 556; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 16; Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 156 GWB Rz. 14; Wagner in Langen/Bunte, § 97 GWB Rz. 1; Wollenschläger, Sekundärrechtsschutz als effektiver Rechtsschutz jenseits des Kartellvergaberechts?, in FS Marx, 2013, S.  873; VK (Vergabekammer) Münster v. 8.6.2012  – VK 6/12, NZBau 2012, 521, 525. Dittmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, Kommentar, 2. Aufl. 2013, Vor § 102 GWB Rz. 9, spricht von „kartellrechtlicher Lösung“ der Umsetzung des EU-Vergaberechts. – In diesem Beitrag wird für das im GWB umgesetzte Vergaberecht der Ausdruck „GWB-Vergaberecht“ benutzt werden. 8 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 146 f. 9 Stockmann, ZWeR 2003, 37-57. 10 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 123.

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nicht etwa nur die Vergabekammer – in ein Vergabeverfahren eingreift.11 Andererseits stellt sich auch die Frage, ob sich die Vergabevorschriften, insbesondere die ziemlich strikte Regelung des Vergabeverfahrens, auch umgekehrt auf die Anwendung des allgemeinen Kartellrechts auswirken können,12 dem dann in den betreffenden Konfliktbereichen nur noch eine subsidiäre Bedeutung zukommen könnte. Von den zahlreichen Verknüpfungen oder Verschränkungen der beiden Rechtsgebiete unter dem Vorzeichen des Schutzes des Wettbewerbs sowohl als Institution als auch als individuelle Wettbewerbsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer13 sollen im Folgenden einige interessante Phänomene genauer beleuchtet werden. Dasjenige, das sich hier wohl am ehesten aufdrängt, ist die Bietergemeinschaft im Vergabeverfahren.

II. Bietergemeinschaften 1. Vergaberechtliche Vorschriften über Bietergemeinschaften Die im deutschen Vergaberecht enthaltene Vorschrift über Bietergemeinschaften lautet, dass „Bewerber- und Bietergemeinschaften wie Einzelbewerber und -bieter zu behandeln sind“ (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VgV). Diesem an die öffentlichen Auftraggeber gerichteten grundlegenden Satz folgen noch drei einzelne Ge- bzw. Verbote an die öffentlichen Auftraggeber, nämlich die Teilnahme am Vergabeverfahren nicht von einer bestimmten Rechtsform der Bietergemeinschaft abhängig machen zu dürfen14 und in den Vergabeunterlagen Bedingungen darüber, wie Bietergemeinschaften die Eignungskriterien zu erfüllen und den (ggf. erteilten) Auftrag auszuführen haben, nur aufstellen zu dürfen, wenn solche Bedingungen „durch sachliche Gründe gerechtfertigt und angemessen“ sind (§  43 Abs.  2 Satz 2 und 3 VgV). Dies alles entspricht inhaltlich genau dem (durch §  43 Abs.  2 und  3 VgV umgesetzten) Art. 19 Abs. 2 und 3 der aktuellen Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (im Folgenden abgekürzt: VRL).15 Dieser den Vergaberechtsvorschriften zu entnehmende Befund ist indessen allenfalls die halbe Wahrheit über die Zulässigkeit von Bietergemeinschaften. 2. Verstoß einer Bietergemeinschaft gegen § 1 GWB wegen Beschränkung des Vergabewettbewerbs Wenn sich mehrere Unternehmen an einem Vergabeverfahren in Form einer Bietergemeinschaft und dann konsequent  – schon wegen des vergaberechtlichen Gebots 11 Vgl. Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 104 GWB Rz. 31 m.w.N. 12 Vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 116. 13 Vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 2, 115; Stockmann, ZWeR 2003, 37, 41-43. 14 Erst für die Zeit nach Zuschlagserteilung kann der öffentliche Auftraggeber von der obsiegenden Bietergemeinschaft die Annahme einer bestimmten Rechtsform verlangen, aber nur, wenn dies für die ordnungsgemäße Durchführung des Auftrags erforderlich ist (§ 43 Abs. 3 VgV). 15 Vor dieser neuen Generation von Vorschriften gab es sowohl in der EU als auch in Deutschland schon sachlich genau entsprechende Vorschriften.

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des Geheimwettbewerbs – in aller Regel nur mit dem gemeinsamen Angebot dieser Bietergemeinschaft beteiligen, kann dies eine Verminderung der Zahl der teilnehmenden Bieter sowie der abgegebenen Angebote und damit eine Verminderung, also Beeinträchtigung des Wettbewerbs in dem betreffenden Vergabeverfahren verursachen. Dass eine solche Wettbewerbsbeeinträchtigung durch die oben aufgeführten, den Bietergemeinschaften anscheinend positiv gegenüberstehenden Vergabevorschriften (Art. 19 Abs. 2 VRL, § 43 Abs. 2 VgV) nicht etwa gerechtfertigt werden soll, ergibt sich für das deutsche Recht schon aus der Grundsatznorm des §  97 Abs.  1 GWB, die den Wettbewerb – pointiert formuliert – zur Grundlage des neuen Vergaberechts deklariert,16 sowie aus der speziellen Vorschrift des § 42 Abs. 1 VgV i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB (Prüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers, ob die Bietergemeinschaft durch eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung gebildet worden ist und deshalb vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann). Für das EU-Recht ist das gleiche Ergebnis dem Erwägungsgrund 1 VRL, der ebenfalls den Wettbewerbsgrundsatz hervorhebt, sowie dem (durch § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB umgesetzten) Art. 57 Abs. 4 lit. d VRL zu entnehmen. Im Grundsatz besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit, dass eine Bietergemeinschaft in Bezug auf ein konkretes Vergabeverfahren trotz jener Vorschriften (Art. 19 Abs. 2 VRL, § 43 Abs. 2 VgV) den vergaberechtlich gewollten Wettbewerb unter den Bietern in rechtswidriger Weise, also in einer die Voraussetzungen des § 1 GWB (und evtl. auch Art. 101 Abs. 1 AEUV) erfüllenden Weise beeinträchtigen kann.17 Wenn das zutrifft, ist diese Bietergemeinschaft aus dem betreffenden Vergabeverfahren auszuschließen. Wenn aber die Bildung der Bietergemeinschaft nicht als Verstoß gegen § 1 GWB beurteilt werden kann, ist sie dann auch – vorbehaltlich weiterer spezifisch vergaberechtlicher Anforderungen (z.B. Eignung) – zum Vergabeverfahren zuzulassen. Problematisch und nur in Bezug auf den konkreten Einzelfall entscheidbar ist mithin die Grenzziehung zwischen kartellrechtsneutralen und kartellrechtswidrigen Bietergemeinschaften. a) Fallgruppen von nicht gegen § 1 GWB verstoßenden Bietergemeinschaften Aus der Problemzone eines möglichen Kartellrechtsverstoßes kann nach aller praktischen Erfahrung derjenige Bietergemeinschaftstyp ausgeklammert werden, dessen Mitglieder jeweils verschiedenen Branchen angehören und sich mit ihrer fachlich unterschiedlichen Leistungsfähigkeit (z.B.) um die Ausführung eines komplexen Auftrags bewerben; denn solche Unternehmen sind untereinander in aller Regel weder aktuelle noch potentielle Wettbewerber.18 Kartellrechtlich problematisch sind daher nur die Bietergemeinschaften, die von Unternehmen der gleichen Branche gebildet werden.19 Denn die Vereinbarung einer Bietergemeinschaft, fast immer in der Rechts16 Vgl. Dreher, NZBau 2015, 1. 17 Vgl. OLG Celle v. 8.7.2016  – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784  ; OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252, 254. 18 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011  – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252, 254; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784. 19 OLG Düsseldorf v. 17.2.2014  – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 716, 717; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784.

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form einer GbR (§ 705 BGB), enthält idR die wechselseitige Verpflichtung der Vertragspartner, in demselben Vergabeverfahren keine eigenen (separaten) Angebote abzugeben und auch nicht mit noch anderen Unternehmen zum Erwerb des ausgeschriebenen Auftrags zusammenzuarbeiten.20 Hinzukommt, dass Unternehmen der gleichen Branche, die eine von ihnen für aussichtsreich gehaltene Bietergemeinschaft verabreden, dann selbstverständlich auch untereinander (ohne oder vor dieser Verabredung) Wettbewerber, zumindest potentielle Wettbewerber sind. Daher kommt bei einer Bietergemeinschaft, zu der sich Unternehmen der gleichen Branche zu einem gemeinsamen Angebot für ein konkretes Vergabeverfahren verabredet haben, ein Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB in einem (immer) ernstzunehmenden Maße in Betracht. Freilich besteht beim Wettbewerb im Vergabeverfahren und somit auch bei der (zu vermeidenden) Beschränkung dieses Wettbewerbs die Besonderheit, dass er nur ein singuläres Marktobjekt zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum (Zeit der Auftragsausführung), eben den einen ausgeschriebenen öffentlichen Auftrag21 betrifft. Daher muss die Prüfung, ob die Verabredung zu einer Bietergemeinschaft gegen § 1 GWB verstößt, mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der (spürbaren) Beschränkung des Wettbewerbs immer auf das konkrete Vergabeverfahren, also auf den Wettbewerb um den einen zu vergebenden Auftrag, konzentriert werden. Daraus folgt, dass die Bildung einer Bietergemeinschaft zwecks Abgabe eines gemeinsamen Angebots in dem durchaus häufiger auftretenden Fall, in dem die einzelnen Mitglieder der Bietergemeinschaft je für sich allein (z.B.) wegen aktuell nicht ausreichender technischer, beruflicher, wirtschaftlicher und/oder finanzieller Leistungsfähigkeit kein selbständiges den Vergabeanforderungen genügendes Angebot hätten vorlegen können, den auf das konkrete Vergabeverfahren bezogenen Wettbewerb nicht schädigt oder einschränkt und daher nicht gegen § 1 GWB (und – falls die Zwischenstaatlichkeitsklausel eingreift – auch nicht gegen Art. 101 AEUV) verstößt.22 Denn ohne die Beteiligung an dem Vergabeverfahren in Form einer Bietergemeinschaft hätte es aus diesem Kreis der Unternehmen gar kein Angebot zum Vergabeverfahren gegeben; in diesem Fall wirkt sich die Bietergemeinschaft sogar wettbewerbsfördernd aus. Die vorstehend erörterte Fallgruppe lässt sich in einem Punkt noch modifizieren, ohne dass dadurch die Verbotsvoraussetzungen des § 1 GWB schon erfüllt werden: Auch dann, wenn immerhin ein Mitglied allein leistungsfähig für ein selbständiges Angebot wäre, die übrigen Mitglieder aber für sich keine leistungsfähige Bietergemeinschaft bilden könnten und auch am Markt zur fraglichen Zeit kein anderes Unternehmen für eine Komplettierung zu einer hinreichend leistungsfähigen Bietergemeinschaft in Betracht kommt, kann die Bietergemeinschaft nicht gemäß §  1 GWB beanstandet werden. 20 Vgl. OLG Celle v. 8.7.2016  – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252, 254. 21 Für ausgeschriebene Konzessionen i.S.d. §§ 105, 113 Satz 1, 148 ff. GWB gilt Entsprechendes, was in diesem Beitrag nicht gesondert behandelt werden soll. 22 BGH v. 5.2.2002 – KZR 3/01, WuW 2002, 608 = WuW/E DE-R 876; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; OLG Düsseldorf v. 17.2.2014 – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 716, 717; KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792, 794; BKartA v. 16.11.2004 – B 10 – 74/04, WuW 2005, 77, 89 = WuW/E DE-V 995, 1007.

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Denn sie verursacht dadurch, dass sie als Bietergemeinschaft anstatt ihres leistungsstärksten Mitglieds als Alleinbieter ein Angebot im Vergabeverfahren abgibt, keine Verringerung der Zahl der Angebote und daher keine Verminderung des konkreten Vergabewettbewerbs. Diesen nicht gegen § 1 GWB verstoßenden Fallkonstellationen sind ferner wegen der Zeitgebundenheit des betreffenden öffentlichen Auftrags noch diejenigen Fälle zuzuordnen, in denen ein Mitglied oder mehrere oder alle Mitglieder der Bietergemeinschaft je für sich allein nach ihren fachlichen, betrieblichen und finanziellen Verhältnissen an sich zwar ein aussichtsreiches Angebot vorlegen könnten, daran aber für den maßgeblichen Zeitpunkt oder Zeitraum wegen anderweit schon geschäftlich gebundener Kapazitäten, die sie für die Auftragsausführung benötigen würden, gehindert sind.23 Auch solche Unternehmen sind bezogen auf das konkrete Vergabeverfahren in Alleinstellung keine aktuellen oder potentiellen Wettbewerber, so dass ihre Mitwirkung in einer Bietergemeinschaft den konkreten Vergabewettbewerb nicht einschränkt und nicht gegen § 1 GWB verstößt. b) Kartellrechtliche Grauzone bestimmter Arten von Bietergemeinschaften In einem Teil der Rechtsprechung und Literatur wird eine weitere kartellrechtlich zulässige Fallgruppe von Bietergemeinschaften, gebildet aus an sich je allein schon fachlich, technisch und wirtschaftlich leistungsfähigen Unternehmen, folgendermaßen definiert: „Die Bildung einer Bietergemeinschaft ist nur dann wettbewerbswidrig, wenn der Entschluss zur Mitgliedschaft für auch nur eines der beteiligten Unternehmen keine im Rahmen zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Entscheidung ist. In subjektiver Hinsicht ist daher ausreichend, dass die Zusammenarbeit eine im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Unternehmensentscheidung darstellt“.24 Mit einer so begründeten Billigung einer Bietergemeinschaft gelangt man in eine kartellrechtliche Grauzone. Die vorgenannte Definition, die für die kartellrechtliche Einstufung einer  Bietergemeinschaft maßgeblich auf die Bewertung der Unternehmensentscheidung(en) der Mitglieder unter den Aspekten wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit und kaufmännischer Vernunft abstellt, ist der Rechtsprechung des BGH – und zwar dem von ihm entwickelten sog. Arbeitsgemeinschaftsgedanken – entlehnt, dabei aber nicht unerheblich abgeändert worden. Der BGH hat den (mit § 1 GWB im Einklang stehenden) Arbeitsgemeinschaftsgedanken mit den Worten wiedergegeben, dass es Situationen im Wirtschaftsleben gebe, in denen es einem einzelnen Unternehmen aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen unmöglich oder jedenfalls wirtschaftlich unzweckmäßig und kaufmännisch unvernünftig sei, sich als selbständiger Anbieter dem Wettbewerb zu stellen, während bei einem gemeinsamen Auftreten am Markt 23 OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784. 24 OLG Brandenburg v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866, 874, kursive Hervorhebung hier hinzugefügt; ebenso (teilweise mit unwesentlichen sprachlichen Abwandlungen): OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666 li. Sp.; OLG Koblenz v. 29.12.2004 – 1 Verg 6/04, VergabeR 2005, 527, 528; VK Sachsen v. 23.5.2014 – 1/ SVK/011-14, NZBau 2014, 790, 791 re. Sp.; Hausmann/Queisner, NZBau 2015, 402, 404 re. Sp.; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 218 (beim Stichwort „subjektive Komponente“).

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diese Hinderungsgründe entfielen.25 Dieser Arbeitsgemeinschaftsgedanke der BGH-­ Rechtsprechung darf aber nicht so verstanden werden, dass nunmehr der subjektiven Unternehmerentscheidung der Bietergemeinschaftsmitglieder für die kartellrechtliche Beurteilung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Denn der BGH betont in diesem Zusammenhang den objektiven Wertungsgesichtspunkt, dass diejenigen Fälle erfasst werden sollen, „in denen erst durch die Kooperation mehrerer selbständiger Unternehmen und die Bündelung ihrer Leistungskraft bei gleichzeitiger Koordinierung ihres Auftretens gegenüber der anderen Seite überhaupt die Möglichkeit ­geschaffen wird, eine bestimmte, am Markt nachgefragte Leistung zu erbringen.“26 Außerdem verändert die vorgenannte Definition einer weiteren zu billigenden Fallgruppe von Bietergemeinschaften gegenüber dem Arbeitsgemeinschaftsgedanken des BGH in verfälschender Weise den Bezugspunkt der Bewertung nach wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit und kaufmännischer Vernünftigkeit. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob man die Bewertung nach diesen Kriterien auf die Alternative, sich als Unternehmen mit eigenem Angebot allein am Vergabeverfahren zu beteiligen, oder auf die Alternative, in einer Zusammenarbeit mit einer Gemeinschaft mehrerer Unternehmen ein gemeinsames Angebot im Vergabeverfahren einzubringen, bezieht. Die Bewertung nach der zweitgenannten Alternative (nach jenen Kriterien) würde tendenziell zu einer größeren Fallzahl zu billigender Bietergemeinschaften führen als die Bewertung nach der erstgenannten Alternative. Denn eine positive Bewertung einer Beteiligung an einer Bietergemeinschaft anhand der Aspekte der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und kaufmännischen Vernunft ist auch in solchen Fällen durchaus noch möglich, in denen die erste Alternative einer alleinigen Teilnahme des jeweiligen Unternehmens am Vergabeverfahren mit je eigenem Angebot nicht als wirtschaftlich unzweckmäßig und kaufmännisch unvernünftig zu bewerten wäre. Die hier diskutierte Ansicht, dass die Entscheidung mehrerer Unternehmen für die Bildung  einer Bietergemeinschaft in einem konkreten Vergabeverfahren schon dann (kartell-)rechtlich zu billigen sei, wenn genau diese Entscheidung als im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegend anzusehen sei, ist daher durch die BGH-Rechtsprechung zum Arbeitsgemeinschaftsgedanken nicht gedeckt, weicht vielmehr in erheblicher Weise von ihr ab, und ihr kann – wie auch die nachfolgenden Ausführungen noch verdeutlichen werden – im Ergebnis nicht zugestimmt werden. Schließlich wird in einem Teil der Rechtsprechung und Literatur als besondere Fallgruppe einer kartellrechtlich zulässigen Bietergemeinschaft die Situation herausgestellt, dass deren Mitglieder trotz jeweils vorhandener fachlicher, technischer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für ein alleiniges Angebot nur im Zusammenwirken mit einer Gemeinschaft leistungsfähiger Unternehmen ein im konkreten Verga25 BGH v. 5.2.2002  – KZR 3/01, WuW 2002, 608, 610 = WuW/E DE-R 874, 876; BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW 1984, 612, 613 = WuW/E BGH 2050, 2051. 26 BGH v. 5.2.2002 – KZR 3/01, WuW 2002, 608, 610 = WuW/E DE-R 876, 878. Wie aus dem Kontext dieser wörtlich zitierten Passage hervorgeht, hat der BGH hier nicht die absolute Möglichkeit der Leistungserbringung gemeint, sondern die Möglichkeit des Leistungsangebots und der Leistungserbringung in wirtschaftlich nicht unzweckmäßiger und kaufmännisch nicht unvernünftiger Weise.

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beverfahren erfolgversprechendes Angebot einreichen können.27 Auch mit dieser auf den ersten Blick einleuchtenden These gewinnt man bei näherem Zusehen keine sicheren kartellrechtlichen Bahnen. Zunächst ist es schon problematisch, inwiefern die potentiellen Mitglieder einer Bietergemeinschaft trotz des vergaberechtlichen Gebots des Geheimwettbewerbs im Vorhinein abschätzen können, dass das ihnen infolge ihrer vorhandenen Leistungsfähigkeit durchaus mögliche alleinige Angebot im konkreten Vergabewettbewerb nicht konkurrenzfähig sein wird. Die Gewährleistung des Geheimwettbewerbs zwischen den an einem Vergabeverfahren teilnehmenden oder potentiell teilnehmenden Bietern ist nämlich als wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Auftragsvergabe im Wettbewerb (§ 97 Abs. 1 GWB) anerkannt.28 Dieses Problem soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden, weil es andererseits realistisch erscheint, anzunehmen, dass die Marktteilnehmer aufgrund ihrer geschäftlichen Erfahrungen und Markterkundungen oft recht gut oder doch ungefähr einschätzen können, mit welchen Angebotspreisen und welchen qualitativen Eigenschaften sie bei etwaigen Angeboten ihrer Wettbewerber zu rechnen haben. Wenn sie dann in der Prognose zu dem für wahrscheinlich gehaltenen Ergebnis kommen, dass sie selbst (auch bei einem nur geringen Gewinnfaktor) kein konkurrenzfähiges Angebot kalkulieren und einreichen können, liegt es sehr nahe, dass sie von diesem Aufwand und damit von einem eigenen Angebot absehen. Folglich gehen dem Vergabewettbewerb in einem solchen Fall keine (Einzel-)Angebote verloren, wenn sich die betreffenden Unternehmen zwecks gemeinsamen Angebots zu einer Bietergemeinschaft verabreden. Wirklich problematisch und in Rechtsprechung und Literatur teilweise sehr umstritten ist aber, welche wirtschaftlichen oder finanziellen Gründe oder kalkulatorischen Erwägungen, die für das Absehen von einem alleinigen Angebot und stattdessen für die Bildung einer Bietergemeinschaft im Einzelfall maßgebend waren, kartellrechtlich unbedenklich sind (mit dem Ergebnis einer zulässigen Bietergemeinschaft) oder andererseits kartellrechtlich nicht zu akzeptieren sind (was zur Feststellung eines Verstoßes gegen § 1 GWB führt). Als nicht zu akzeptierende Gründe, die die auf ihnen (maßgeblich) beruhende Bildung von Bietergemeinschaften durch je für sich leistungsfähige Unternehmen nicht vom Vorwurf einer wettbewerbsbeschränkenden Abrede i.S.d. § 1 GWB entlasten, sind richtigerweise folgende anzusehen: Das Bestreben der Mitgliedsunternehmen, lediglich Aufwendungen zu ersparen oder über den mit Alleinangeboten erzielbaren Gewinn hinaus eine optimale Vergütung mit dem zu vergebenden Auftrag zu erzielen;29 das Bestreben, die Chancen auf den Erwerb des Zuschlags mittels des gemeinschaftlichen Angebots noch zu steigern (obwohl die mög­ 27 OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784 re. Sp.; Jansen, WuW 2005, 502, 504; Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, § 124 GWB Rz. 94; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 214; i.E. ebenso mit dem Ausdruck „wettbewerbsgerechtes Angebot“: OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00, WuW 2001, 1015, 1017 = WuW/E Verg 493, 495; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 255; i.E. ebenso mit dem Ausdruck „aussichtsreich, also konkurrenzfähig“: Hausmann/Queisner, NZBau 2015, 402, 404 re. Sp. 28 OLG Düsseldorf v. 27.7.2006 – Verg 23/06, VergabeR 2007, 229, 232 m.w.N. 29 Ebenso: OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666; B ­ KartA v. 16.11.2004 – B 10 - 74/04, WuW 2005, 77, 89 = WuW/E DE-V 995, 1007; Jäger/Graef, NZBau 2012, 213, 215; Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 452; Krauß in Langen/Bunte, § 1

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lichen Alleinangebote der einzelnen Unternehmen nicht aussichtslos waren);30 der Zweck, mit dem Instrument einer Bietergemeinschaft Synergiepotenziale oder Synergieeffekte zu realisieren;31 das Bestreben, trotz vorhandener uneingeschränkter Leistungsfähigkeit für ein Alleinangebot mit dem Mittel der Bietergemeinschaft die wirtschaftlichen Auftragsrisiken zu minimieren und/oder zu streuen und damit auch das Geschäftsrisiko des konkret zu vergebenden Auftrags nicht allein zu tragen.32 Alle vorgenannten für die Vereinbarung einer Bietergemeinschaft maßgeblichen Geschäftsmotive sind typische wirtschaftliche Beweggründe und Zielvorstellungen eines Kartells.33 Zum Schutz des Vergabewettbewerbs können sie auch im Vergaberecht nicht gebilligt oder gar mit einem Zuschlag im Vergabeverfahren honoriert werden. 3. Nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Unternehmen für die Bildung einer Bietergemeinschaft? Das größte Hindernis für die Durchsetzung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen bei der Bildung von Bietergemeinschaften ist wohl die Sympathie vieler dafür, den Unternehmen für die Art ihrer Teilnahme an einem konkreten Vergabeverfahren einen Beurteilungsspielraum einzuräumen. Unabhängig davon, ob die Bewertung nach wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit und kaufmännischer Vernünftigkeit auf die Unternehmensentscheidung für die Teilnahme nur mit einer Bietergemeinschaft oder – richtigerweise34 – auf die Unternehmensentscheidung gegen die selbständige Teilnahme mit einem Alleinangebot bezogen wird, ist in der vergaberechtlichen Judikatur und Literatur die Ansicht weit verbreitet, dass den Unter­ nehmen für die betreffende Entscheidung ein nur sehr eingeschränkt überprüfbarer GWB Rz. 219; a.A. (i.E.): OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 583 f.; zust. Hardraht, VergabeR 2005, 530, 532. 30 OLG Düsseldorf v. 17.2.2014  – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 716, 718; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; a.A. Greb, VergabeR 2014, 564, 565. 31 KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792, 794 re. Sp.; OLG Düsseldorf v. 17.2.2014 – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 716, 718; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; Hausmann/Queisner, NZBau 2015, 402, 404 li. Sp.; a.A. OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 583 f.; Hardraht, VergabeR 2005, 530, 532. 32 Vgl. BKartA v. 16.11.2004 – B 10 - 74/04, WuW 2005, 77, 90 Rz. 213 = WuW/E DE-V 995, 1008; bestätigt vom OLG Düsseldorf v. 2.11.2005 – VI-Kart 30/04 (V), WuW 2006, 165, 171, unter bb = WuW/E DE-R 1625, 1631; a.A.: OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 584; OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00, WuW 2001, 1015, 1017 = WuW/E Verg 493, 495; VK Sachsen v. 23.5.2014 – 1/SVK/011-14, NZBau 2014, 790, 792; Hardrath, VergabeR 2005, 530, 532; Jansen, WuW 2005, 502, 504; Köhler, VergabeR 2010, 508. 33 So jedenfalls (zutreffend) für das erstgenannte Geschäftsmotiv (Ersparung von Aufwendungen und Optimierung des Gewinns): OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666; BKartA v. 16.11.2004 – B 10 - 74/04, WuW 2005, 77, 89 = WuW/E DE-V 995, 1007; Jäger/Graef, NZBau 2012, 213, 215; Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 452; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 219; so auch für das Geschäftsmotiv des Ausnutzens von Synergiepotenzialen: KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792, 794 re. Sp. 34 BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW 1984, 612, 613 = WuW/E BGH 2050, 2051; BGH v. 5.2.2002 – KZR 3/01, WuW 2002, 608, 610 = WuW/E DE-R 876, 878; s. oben II. 2. b).

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Beurteilungsspielraum35 oder – im Ergebnis gleichbedeutend – eine Einschätzungsprärogative36 zuzubilligen sei. Der (angeblich) nicht justiziable Freiraum der Unternehmen wird in einem Teil der Judikatur und Literatur noch mit dem Hinweis, der die Grenzen der Überprüfbarkeit verdeutlichen soll, verstärkt, die mit Beurteilungsspielraum (oder Einschätzungsprärogative) ausgestattete Unternehmensentscheidung sei lediglich auf ihre Vertretbarkeit (im Nachprüfungsverfahren) zu kontrollieren.37 In diesem Zusammenhang verhilft es auch nicht zur Klärung verbleibender Zweifel bei der nur eingeschränkten Überprüfung der Unternehmensentscheidung, wenn regelmäßig zusätzlich betont wird, die Unternehmensentscheidung müsse aber im Rahmen des Beurteilungsspielraums „nachvollziehbar“38 oder „objektiv nachvollziehbar“39 sein, was bedeuten soll, sie dürfe „keine Widersprüche, Unklarheiten oder Verstöße gegen die allgemeine Lebenserfahrung aufweisen.“40 Wer der vorstehend dargelegten, als herrschend zu nennenden Meinung zustimmt, gibt die Nachprüfung, ob die Bildung einer Bietergemeinschaft im konkreten Einzelfall wegen Verstoßes gegen § 1 GWB rechtswidrig und daher im Vergabeverfahren mit dem Ausschluss zu sanktionieren ist, weitgehend aus der Hand. Das kann nach den Zwecken der Normen des GWB nicht akzeptiert werden. Das auf die Freiheit und gegen die Beschränkungen des Wettbewerbs gerichtete Ziel des GWB wird vor allem durch Verbotsvorschriften (wie §§ 1, 19-21 GWB) erreicht, die sich an die Unternehmen als dem Gesetz Unterworfene richten und deren Einhaltung von den Kartellbehörden und den Gerichten (einschließlich der Vergabekammern im Vergabewettbewerb) überwacht und notfalls mit hoheitlichen Befugnissen durchgesetzt wird. In dieser Gesetzeslage ist zwischen dem gesetzesgebundenen Verhalten der Unternehmen und der Kontrolle durch Behörden und Gerichte ein „Beurteilungspuffer“ zugunsten der Selbsteinschätzung der Unternehmen nicht vorgesehen, also nicht exis35 OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 583: „Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum“; OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00, WuW 2001, 1015, 1018 = WuW/E Verg 493, 496; Mager/Lotz, NZBau 2014, 328, 331 f.; Overbuschmann, VergabeR 2014, 634, 636; Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 451; Hardraht, VergabeR 2005, 530, 532: „weiter unternehmerischer Ermessensspielraum“. 36 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252, 254; OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666 f.; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784 f.; VK Südbayern v. 1.2.2016 – Z3-3/3194/1/58/11/15, WuW 2016, 265; Gielen/Schuck, VergabeR 2016, 667, 670; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 219; wohl auch Gabriel, VergabeR 2012, 555, 557. 37 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252, 254; OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; OLG Brandenburg v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866, 874; VK Südbayern v. 1.2.2016 – Z3-3/3194/1/58/11/15, WuW 2016, 265, 267; Steinbarth/ Hürter, ZWeR 2016, 446, 451. 38 OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 583, unter 2.b); OLG Koblenz v. 29.12.2004 – 1 Verg 6/04, VergabeR 2005, 527, 528; VK Sachsen v. 23.5.2014 – 1/ SVK/011-14, NZBau 2014, 790, 791 f.; Hardraht, VergabeR 2005, 530, 532. 39 OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00, WuW 2001, 1015, 1018 = WuW/E Verg 493, 496; Gabriel, VergabeR 2012, 555, 557; Hausmann/Queisner, NZBau 2015, 402, 404. 40 Jansen, WuW 2005, 502, 504; ähnlich: Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 452; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 219.

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tent. Anlässlich der – mit der Anwendung des Kartellverbots und seiner Ausnahmen zusammenhängenden  – Ersetzung des früheren Anmelde- und Genehmigungssystems durch das jetzige Legalausnahmesystem (Art. 1 Abs. 1 und 2 VO (EG) 1/2003, nachvollzogen durch die Ersetzung der früheren §§ 1-12 GWB durch die heutigen §§ 1-3 GWB) ist im Schrifttum diskutiert worden, ob den Unternehmen für die nunmehr notwendige Selbstprüfung und Selbsteinschätzung ein von den Behörden und Gerichten nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht.41 Dies wird von der ganz überwiegenden Mehrheit mit guten, letztlich unwiderlegbaren Gründen abgelehnt, weil es sich bei dem Verbot wettbewerbsbeschränkender (nicht gemäß §  2 GWB oder Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellter) Vereinbarungen um objektiv zwingendes Gesetzesrecht handelt, bei dessen Verletzung es in den Kompetenz- und Aufgabenbereich der Kartellbehörden und vor allem der Gerichte fällt, durch geeignete Sanktionen das Verbot durchzusetzen und die durch den Gesetzesverstoß in ihren Rechten betroffenen oder gar geschädigten Unternehmen/Personen zu schützen. Diese objektive gesetzliche Rechtsschutzpflicht kann nicht, auch nicht teilweise, von der subjektiven Selbsteinschätzung der Täter des (etwaigen) Kartellrechtsverstoßes abhängig sein (vorbehaltlich der hier nicht interessierenden Fragen in Bezug auf etwaige Bußgeldsanktionen).42 Warum diese Ablehnung eines gerichtlich nicht (oder nur eingeschränkt) überprüfbaren Beurteilungsspielraums nicht auch für Bieter­ gemeinschaften im Vergabewettbewerb in Bezug auf dieselben Normen (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) gelten soll, ist unerfindlich. Auf die Rechtsprechung des BGH zum Arbeitsgemeinschaftsgedanken können sich die Verfechter eines den Unternehmen zustehenden Beurteilungsspielraums nicht berufen: Der BGH hat nämlich in der als Grundsatzurteil angesehenen Entscheidung „Bauvorhaben Schramberg“ hinsichtlich des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmen zu einer Bietergemeinschaft keinen Zweifel daran gelassen, dass „in erster Linie der Tatrichter zu beurteilen hat“, ob keines der beteiligten Unternehmen  – ohne den Zusammenschluss  – selbständig am Vergabeverfahren teilgenommen hätte, weil eine solche Teilnahme wirtschaftlich nicht zweckmäßig und kaufmännisch nicht vernünftig gewesen wäre.43 In keinem der den Arbeitsgemeinschaftsgedanken behandelnden BGH-Urteile ist von einem Beurteilungsspielraum (o.Ä.) der beteiligten Unternehmen die Rede.44 Gegen die Zubilligung eines Beurteilungsspielraums für die Mitglieder einer Bietergemeinschaft im Rahmen des § 1 GWB (und des Art. 101 AEUV)45 spricht noch fol41 Bejahend vor allem Bechtold/Bosch/Brinker, Art. 1 VO 1/2003 Rz.  38; so im Grundsatz schon Bechtold, WuW 2003, 343. 42 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 2 GWB Rz. 60 m.w.N.; N ­ ordemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 101 Abs.  3 AEUV Rz. 9, und § 2 GWB Rz. 51 m.w.N.; Schneider in Langen/Bunte, § 2 GWB Rz. 8; Jaeger in FK Kartellrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rz. 36. 43 BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW 1984, 612, 613 = WuW/E BGH 2050, 2051. 44 Die Urteile enthalten eher gegenteilig zu verstehende Ausführungen: vgl. nach BGH vorherige Fn. 43 noch BGH v. 7.7.1992 – KZR 2/91, WuW 1993, 45, 47 = WuW/E BGH 2777, 2779; BGH v. 5.2.2002 – KZR 3/01, WuW 2002, 608, 610 = WuW/E DE-R 876, 878. 45 So ausdrücklich – außer diesem Beitrag – wohl nur noch Jäger/Graef, NZBau 2012, 213, 215; i.E. wohl ebenso KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792, 794 re. Sp.

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gende Erwägung: Wenn die Bildung einer Bietergemeinschaft im konkreten Einzelfall als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung gegen §  1 GWB (und/oder Art. 101 AEUV) verstößt, ist der der Bietergemeinschaft zugrunde liegende Gesellschaftsvertrag (i.d.R. §  705 BGB) nichtig, die Bietergemeinschaft also eine rechtlich nichtige Gesellschaft.46 Eine nichtige, mithin rechtlich nicht existente Gesellschaft kann aber (hier: dem öffentlichen Auftraggeber) kein rechtlich wirksames Angebot abgeben und kann mit dem vorgesehenen Vertragspartner auch keinen wirksamen Vertrag schließen. Der einer solchen „Bietergemeinschaft“ etwa erteilte Zuschlag des Auftraggebers geht ins Leere.47 Es ist nicht akzeptabel, das Ergebnis, ob diese durchaus mögliche Rechtsfolge der Nichtigkeit des einer Bietergemeinschaft erteilten Auftrags eintritt, von der Art und Weise der Ausnutzung eines (angeblichen) Beurteilungsspielraums nur eines der beiden Vertragspartner  – der Bietergemeinschaft (bei ihrer Gründung) – abhängig zu machen. Im Übrigen hat der öffentliche Auftraggeber jedenfalls wegen der Nichtigkeit des von einer kartellrechtswidrigen Bietergemeinschaft abgegebenen Angebots auch nicht gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB (zu dieser Norm s. unten IV.) ein Ermessen, ob er das Angebot zum Vergabeverfahren zulässt oder eine solche Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren ausschließt. 4. Spürbarkeit der von der Bietergemeinschaft verursachten ­Wettbewerbsbeschränkung Diejenigen Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die die Bildung und Teilnahme von Bietergemeinschaften an Vergabeverfahren tendenziell großzügig behandeln oder sogar mit Blick auf § 1 GWB als „grundsätzlich zulässig“ ansehen, weisen – theo­ retisch zutreffend – darauf hin, dass die Feststellung eines Verstoßes gegen § 1 GWB, wenn denn ausnahmsweise eine Wettbewerbsbeschränkung zu konstatieren sei, auch noch voraussetze, dass die Bildung der Bietergemeinschaft die Verhältnisse des re­ levanten Markts „spürbar“ wettbewerbsbeschränkend beeinflusse.48 Dabei wurde eine solche Spürbarkeit in einem Einzelfall, in dem der wettbewerbsbeschränkende Charakter der konkreten Bietergemeinschaft im Nachprüfungsverfahren unterstellt wurde, vom Gericht sogar verneint.49 Indessen ist die Spürbarkeit der (mit § 1 GWB 46 OLG Düsseldorf v. 17.11.1998 – U (Kart) 33/96, WuW 1999, 988, 992 = WuW/E DE-R 344, 348; OLG Düsseldorf v. 20.6.2007 – VI-Kart 14/06 (V), WuW 2008, 70, 76 = WuW/E DE-R 2146, 2152 Rz. 51, bestätigt vom BGH v. 4.3.2008 – KVZ 55/07, WuW 2008, 1085, 1086 = WuW/E DE-R 2361, 2362 Rz. 16; Jaeger in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rz. 35 m.w.N. (str.). 47 In einem derartigen Fall haften zwar die handelnden Einzelunternehmen je nach den Einzelumständen dem öffentlichen Auftraggeber nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung (§§ 5, 15 HGB, § 179 BGB), nach den Rückgewährsregeln des Bereicherungsrechts und evtl. nach den Regeln des Kartelldeliktsrechts (Jaeger in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rz. 36 m.w.N.). Aber mit einer solchen Haftung dürfte dem öffentlichen Auftraggeber oft weniger gedient sein als mit einem wirksam zustande gekommenen öffentlichen Auftrag, der auch ausgeführt wird. 48 OLG Brandenburg v. 16.2.2012  – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866, 873; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; Mager/Lotz, NZBau 2014, 328, 332. 49 OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 584 f.

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kollidierenden) Wettbewerbsbeschränkung durch eine Bietergemeinschaft, deren Mitglieder oder von der mindestens zwei Mitglieder je für sich so leistungsfähig sind, dass sie jeweils ein eigenes durchaus wirtschaftlich zweckmäßiges und kaufmännisch vernünftiges Angebot hätten abgeben können, immer dann eine Selbstverständlichkeit, wenn das Angebot der Bietergemeinschaft  – isoliert betrachtet  – eine echte Chance auf den Zuschlag hat und damit den ebenfalls chancenreichen Angeboten anderer (gesetzestreuer) Bieter gefährlich werden kann. Da sich die Frage, ob sich die Bildung einer Bietergemeinschaft wettbewerbsbeschränkend auswirkt, immer nur auf dasjenige Vergabeverfahren bezieht, für das die Bietergemeinschaft vereinbart worden ist, muss sich auch die Frage nach der Spürbarkeit auf eben dieses Vergabeverfahren konzentrieren. Dann aber realisiert der etwaige Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft, den der öffentliche Auftraggeber oder das Nachprüfungsor­ gan im Rahmen seiner Überprüfung der wettbewerblichen Eigenschaften der Bietergemeinschaft als Möglichkeit in Rechnung stellen muss und der die Zuschlagschancen der anderen Bieter zunichte machen würde, die Spürbarkeit der von der Bietergemeinschaft ggf. verursachten Wettbewerbsbeschränkung in nicht zu übertreffender direkter Weise.50 5. Die Durchsetzung des Kartellverbots im Vergabeverfahren und im ­Nachprüfungsverfahren Die Durchsetzung des Kartellverbots gegenüber Bietergemeinschaften im Vergabeverfahren obliegt zunächst dem öffentlichen Auftraggeber als gesetzliche Pflicht, weil er gemäß § 97 Abs. 1 GWB für einen uneingeschränkten Bieterwettbewerb zu sorgen hat, und sodann – falls ihm das nicht gelingt (z.B. mangels Erkenntnis des Kartellrechtsverstoßes) – den Nachprüfungsinstanzen gemäß den §§ 160 ff. GWB auf Antrag der gesetzestreuen Bieter, deren Zuschlagschancen durch die Teilnahme der kartellrechtswidrigen Bietergemeinschaft am Vergabeverfahren beeinträchtigt werden. Das ist im rechtlichen Ausgangspunkt unproblematisch. Die kartellrechtlichen Normen der §§ 1 ff. GWB gehören selbst zwar nicht unmittelbar zu den „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“, auf deren Einhaltung die an einem Vergabeverfahren teilnehmenden oder interessierten Unternehmen gemäß § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch haben. In Betracht kommende Verstöße gegen die §§ 1 ff. GWB sind jedoch im Vergabe- und im Nachprüfungsverfahren per Inzidentprüfung innerhalb einer vergaberechtlichen sog. Anknüpfungsnorm – hier: § 97 Abs. 1 GWB (Wettbewerbsgrundsatz)  – zu überprüfen.51 Denn dass der Vergabewettbewerb nicht durch eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung, wie hier durch die Teilnahme einer gegen §  1 GWB verstoßenden Bietergemeinschaft, verhindert oder beeinträchtigt 50 I.E. ebenso: OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, Rz. 13 u. 30; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 2.11.2005 – VII-Kart 30/04 (V), WuW 2006, 165, 171 a.E. = WuW/E DE-R 1625, 1631. 51 OLG Düsseldorf v. 17.2.2014  – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 716, 717; OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783, 784; OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 665; s.  zu dieser Methode der Inzidentprüfung auch BGH v. 18.6.2012 – X ZB 9/11, NZBau 2012, 586, 588.

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werden darf, ist fraglos eine sich aus § 97 Abs. 1 GWB ergebende bieterschützende Regel des Vergabeverfahrens. Es gibt jedoch ein Hindernis für die Verwirklichung des Verbots kartellrechtswidriger Bietergemeinschaften im Vergabenachprüfungsverfahren: In der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist die Auffassung weit verbreitet, dass die Prüfungspflicht der Vergabekammern und der OLG-Vergabesenate zur Aufklärung des Sachverhalts für die Beurteilung, ob die im konkreten Fall der Wettbewerbsbeeinträchtigung verdächtigte Bietergemeinschaft wirklich gegen §  1 GWB (und/oder Art. 101 AEUV) verstößt oder nicht, in Anbetracht der oft schwierigen Abgrenzung aus rein verfahrenspraktischen Erwägungen und wegen des Beschleunigungsgebots (§ 167 Abs. 1 GWB)52 eingeschränkt sei. Denn eine zeitaufwendige Untersuchung – etwa durch Einholung eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens und/oder durch sonstige umfangreiche Beweiserhebungen – sei im Nachprüfungsverfahren konzeptionell nicht durchführbar.53 Nach dieser Auffassung kann eine Bietergemeinschaft, deren Kartellrechtswidrigkeit mit der im Nachprüfungsverfahren (angeblich) nur sehr eingeschränkt durchführbaren Überprüfung nicht einwandfrei festgestellt werden kann, vom Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen werden. Dieser Beschränkung der Nachprüfung und damit der Verkürzung des effektiven Rechtsschutzes kann nicht zugestimmt werden Das Recht der gesetzestreuen Bieter auf einen fairen unverfälschten Wettbewerb im Vergabeverfahren ist den Vergabekammern und Vergabesenaten, wenn sie angerufen werden, zum Schutze anvertraut. Diese Schutzaufgabe, auch wenn sie mit zeitaufwendigen Ermittlungen verbunden ist, ist höherrangig als das Zeitmoment. Das ergibt sich auch aus der ausdrücklichen Normierung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 163 Abs. 1 und §§ 175 Abs. 2, 70 Abs. 1 GWB). Danach erstreckt sich die Aufklärungspflicht der Vergabekammer (und auch des OLG als Beschwerdegerichts), wenn man die Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten (§§ 167 Abs. 2, 175 Abs. 2 GWB) einbezieht, auf alles, wozu das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Überlegung der Gestaltungsmöglichkeiten Anlass zu Ermittlungen gibt.54 In diesem Rahmen haben Vergabekammer und Beschwerdegericht über alle entscheidungserheblichen, beweisbedürftigen Tatsachen Beweis zu erheben und auch ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn sie sich nicht ohne sachverständige Beratung von der Richtigkeit 52 Das Beschleunigungsgebot gilt grds. für das gesamte Nachprüfungsverfahren, also auch für das Beschwerdeverfahren: vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, Kommentar, 2. Aufl. 2013, § 116 GWB Rz. 6 und § 117 GWB Rz. 1. 53 So für die Überprüfung von Bietergemeinschaften: OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 657, 666 und 667; OLG Brandenburg v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866, 875; OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, VergabeR 2003, 581, 584; OLG Koblenz v. 29.12.2004 – 1 Verg 6/04, VergabeR 2005, 527, 528; Gielen/Schuck, VergabeR 2016, 667, 670. Für die Nachprüfung gerügter Kartellrechtsverstöße allg. (also einschl. der Überprüfung von Bietergemeinschaften): VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16, WuW 2016, 555, 557; Dittmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, Kommentar, 2.  Aufl. 2013, § 104 GWB Rz. 20 m.w.N.; Byok/Graef, NZBau 2012, 556, 557. 54 OLG Düsseldorf v. 29.12.2001 – Verg 22/01, NZBau 2002, 578, 580; Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. III, 2. Aufl. 2018, § 163 GWB Rz. 5 m.w.N.

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einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung überzeugen können.55 Die Ansicht, dass diese Pflicht aus Zeitgründen wegen der Beschleunigungsmaxime eingeschränkt oder gar nicht existent sei, ist mit dem Normzweck des § 163 Abs. 1 GWB, einschließlich des Satzes 4 dieser Vorschrift, und mit dem Rechtsschutzauftrag der Nachprüfungsinstanzen nicht zu vereinbaren; die Durchführung einer notwendigen Beweisaufnahme, um effektiven Rechtsschutz gewähren zu können, ist keine unangemessene Beeinträchtigung des Vergabeverfahrens.56 Dass dies ausgerechnet bei einem so gravierenden Vorwurf wie dem des Verstoßes einer Bietergemeinschaft gegen das Kartellverbot anders beurteilt werden sollte, ist nicht einzusehen.57 6. Zwischenergebnis zu den Bietergemeinschaften Eine Bietergemeinschaft verstößt gegen §  1 GWB (und/oder Art. 101 AEUV) und ist  dann zwingend aus dem betreffenden Vergabeverfahren auszuschließen, wenn mindestens zwei ihrer Mitglieder (oder auch ein Mitglied allein und die übrigen ­Mitglieder als verkleinerte Bietergemeinschaft) auch für sich allein in jeder Hinsicht leistungsfähig sind, jeweils ein selbständiges, allen konkreten Vergabebedingungen genügendes Angebot abzugeben, es sei denn, ein solches alleiniges Angebot hätte im Zeitpunkt der Bildung der Bietergemeinschaft – bezogen auf den jeweils in Betracht kommenden Einzelbieter – als wirtschaftlich unzweckmäßig und kaufmännisch unvernünftig bewertet werden müssen. Für diese Bewertung steht der Bietergemeinschaft insgesamt und auch ihren einzelnen Mitgliedern je für sich  – entgegen der h.M. – keine Einschätzungsprärogative und kein Beurteilungsspielraum zu, der vom öffentlichen Auftraggeber und von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar wäre. Vielmehr ist die Bewertung vom Auftraggeber und von den Nachprüfungsinstanzen in vollem Umfang zu überprüfen, sofern erforderlich mit Hilfe von Beweiserhebungen einschließlich eines Sachverständigengutachtens. Insoweit ist das vergaberechtliche Beschleunigungsgebot gegenüber dem Untersuchungsgrundsatz nachrangig, das Kartellverbot setzt sich auch im Vergabeverfahren durch.

III. Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand 1. Vergaberechtliche Vorschriften über Einkaufsgemeinschaften Dem Pendant der Bietergemeinschaften auf Auftraggeberseite, den Einkaufsgemeinschaften, sind im deutschen Vergaberecht ebenfalls zwei Vorschriften gewidmet: § 120 Abs. 4 GWB erlaubt die Errichtung und die Tätigkeit zentraler Beschaffungsstellen für andere öffentliche Auftraggeber, die Liefer- und Dienstleistungen von diesen Stellen (die die Leistungen als öffentliche Auftraggeber selbst beschaffen müssen) 55 BGH v. 19.4.2016 – X ZR 77/14, NZBau 2016, 368, 372 f.; Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. III, 2. Aufl. 2018, § 163 GWB Rz. 7 m.w.N. 56 Vgl. Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. III, 2. Aufl. 2018, § 163 GWB Rz. 7 m.w.N. 57 I.E. ebenso wie hier: Mager/Lotz, NZBau 2014, 328, 331.

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erwerben und auch öffentliche Aufträge mittels dieser Stellen vergeben können. Die Regelung entspricht dem Art. 37 VRL, der durch § 120 Abs. 4 GWB umgesetzt worden ist. Sie soll den öffentlichen Auftraggebern nicht die Möglichkeit nehmen oder einschränken, auch ohne eine institutionalisierte Beschaffungsstelle Beschaffungen gleichartiger Leistungen bei entsprechender Gelegenheit durch vereinbarte gemeinsame Vergabeverfahren durchzuführen.58 Diese Art einer Einkaufsgemeinschaft wird durch §  4 Abs.  1 und 2 VgV  – entsprechend dem hierdurch umgesetzten Art. 38 VRL – erlaubt und näher geregelt. Zu den beiden Arten von Einkaufsgemeinschaften gemäß Art. 37 und 38 VRL (§ 120 Abs. 4 GWB und § 4 VgV) erläutert Erwägungsgrund 59 VRL, es zeichne sich unionsweit auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten ein starker Trend zur Zusammenführung der Nachfrage der öffentlichen Beschaffer ab,59 mit dem Ziel, Größenvorteile, u.a. eine Senkung der Preise und der Transaktionskosten, zu erzielen und das Beschaffungsmanagement zu verbessern sowie zu professionalisieren. Der EU-Gesetzgeber mahnt im Erwägungsgrund 59 VRL jedoch an, die Zusammenführung und Zentralisierung von Beschaffungen sollte sorgfältig überwacht werden, um eine übermäßige Konzentration der Kaufkraft und geheime Absprachen zu verhindern und Transparenz und Wettbewerb sowie die Möglichkeiten des Marktzugangs für KMU aufrechtzuerhalten.60 Der Begriff „Wettbewerb“ im letzten Satzteil bezieht sich, wie dem Textzusammenhang zu entnehmen ist, auf den Anbieterwettbewerb, nicht auf den Nachfragewettbewerb unter den öffentlichen Auftraggebern. Der Nachfragewettbewerb wird jedenfalls ausdrücklich im Erwägungsgrund 59 VRL nicht angesprochen.61 Allerdings heißt es in § 120 Abs. 4 Satz 5 GWB, dass die Teile 1 bis 3 des GWB unberührt bleiben, also vor allem das Kartellverbot des § 1 GWB. 2. Nach h.M. gilt das Kartellverbot für Einkaufsgemeinschaften der ­öffentlichen Hand § 120 Abs. 4 Satz 5 GWB bedeutet jedoch nicht zwingend, dass Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand infolge (ggf. erheblicher) Beschränkung des Nachfragewettbewerbs unter den beteiligten öffentlichen Auftraggebern wegen Verstoßes gegen § 1 GWB verboten sind. Allerdings ist für die rechtswissenschaftliche Theorie in Deutschland die Bildung von Einkaufsgemeinschaften durch öffentliche Auftraggeber nach wie vor vom Kartellverbot des §  1 GWB betroffen,62 mit der daraus zu ziehenden 58 Begr. BReg zu § 120 Abs. 4 GWB i.d.F. des VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 99. 59 So auch für Deutschland: BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW 2003, 625, 630 = WuW/E DE-R 1087, 1092; Dreher, NZBau 2005, 427, 432; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 233 m.w.N. 60 Die BReg übernahm diese Mahnung fast wörtlich in ihre Gesetzesbegründung zu § 120 Abs. 4 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 99. 61 Ebenfalls nicht in den Begründungen der BReg zu § 120 Abs. 4 GWB und zu § 4 VgV. 62 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, Vor §§ 97 ff. GWB Rz. 124 m.w.N.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 234 a.E.; Nordemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, §  1 GWB Rz.  27  f.; Ganske in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, §  103 GWB Rz. 142; Westermann, ZWeR 2003, 481, 484.

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Schlussfolgerung, dass solche Einkaufsgemeinschaften, die eine (inhaltlich noch zu definierende) spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken, kein rechtmäßiges Vergabeverfahren veranstalten können. In dieser Ansicht zur Anwendung des Kartellverbots auf Nachfragebündelungen der öffentlichen Hand sieht sich das Schrifttum immer noch bestätigt durch das aus dem Jahre 2002 stammende BGH-Urteil über die kartellrechtliche Beurteilung der gemeinsamen Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen für Feuerwehrlöschzüge durch zahlreiche niedersächsische Gemeinden. Der BGH sah in der gemeinsamen Beschaffung dieser Ausrüstungs­ gegenstände durch eine von den beteiligten Gemeinden beauftragte kommunale Gesellschaft, die die gemeinsame Ausschreibung durchführte und so das Nachfrageverhalten der Gemeinden koordinierte, ein unter das Kartellverbot nach §  1 GWB fallendes Verhalten der betreffenden Gemeinden (also der öffentlichen Auftraggeber). Die Kernsätze des BGH für dieses kartellrechtliche Ergebnis63 waren folgende: Die betreffenden Gemeinden ständen im Hinblick auf die zu beschaffenden Ausrüstungsgegenstände miteinander im Nachfragewettbewerb. Die Wettbewerbsbeschränkung (i.S.d. § 1 GWB) liege in den Beziehungen zwischen den Gemeinden, die ihr Wettbewerbsverhältnis als Nachfrager untereinander faktisch dadurch aufhöben, dass sie jeweils jene kommunale Gesellschaft beauftragten. Diese Zusammenführung mehrerer gleichgerichteter Beschaffungsvorhaben verschiedener Gemeinden diene der Erreichung eines größeren Marktnachfragepotenzials in einer Hand, um die (für sich betrachtet) jeweils geringere Nachfragemacht der Gemeinden zu bündeln und hierdurch niedrigere Preise und günstigere Einkaufskonditionen für die beteiligten Gemeinden zu erzielen. Die Pflicht der öffentlichen Auftraggeber zu einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung vermöge das Kartellverbot nach § 1 GWB nicht einzuschränken oder zu modifizieren. Das Sparsamkeitsgebot sei dem Kartellverbot nachgelagert.64 3. Kritische Stellungnahme gegenüber der h.M. Diese Begründungssätze des BGH muten heute wie aus der Zeit gefallen an. Der Nachfragewettbewerb unter öffentlichen Auftraggebern ist kein Selbstzweck. Selbst eine sehr erhebliche Beschränkung des Nachfragewettbewerbs – gemessen am Anteil der betreffenden Einkaufsgemeinschaft am betroffenen relevanten Nachfragemarkt (z.B. bei einem Marktanteil der Einkaufsgemeinschaft von deutlich mehr als 15 %)65 – kann für sich allein nicht zu einem Verstoß gegen §  1 GWB und damit zu einem Verbot der Einkaufsgemeinschaft führen. Denn sonst wären Art. 37 und 38 VRL so63 Genauer: Zwischenergebnis, s. nachfolgende Fn. 64 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW 2003, 625, 626 f. = WuW/E DE-R 1087, 1088 f. Der BGH wies gleichwohl die gegen die kommunale Einkaufsgesellschaft erhobene Klage auf Unterlassung von Nachfragebündelungen und gemeinsamen Ausschreibungen ab, weil er im Streitfall die Voraussetzungen des damaligen Freistellungstatbestands für Einkaufskartelle nach § 4 Abs. 2 GWB a.F. für erfüllt hielt, der inzwischen durch die 7. GWB-Novelle aufgehoben worden ist. 65 Zur Bedeutung des Überschreitens dieser Marktanteilsschwelle von 15 % bei Einkaufsgemeinschaften von Unternehmen, die keine öffentlichen Auftraggeber sind, s. die Horizontalleitlinien der EU-Kommission, ABl. 2011 C 11/1, Rz. 208 f.

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wie deren Umsetzungsvorschriften (§ 120 Abs. 4 GWB und § 4 VgV, s. oben), die den öffentlichen Auftraggebern Einkaufsgemeinschaften  – auch zum Zweck der Erzielung von Größenvorteilen (Erwägungsgrund 59 VRL) – gerade erlauben, sofern die spezifischen Regeln des Vergabeverfahrens befolgt werden, unzutreffende Vorschriften. Richtigerweise sind jedoch die Art. 37 und 38 VRL als Erlaubnisvorschriften gegenüber der Anwendung des nationalen Kartellverbots des § 1 GWB auf Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand mit dem Vorrang der Normen des EU-Rechts anzusehen und zu beachten.66 Sie gebieten nach ihrem Normzweck nur, bei ihrer Anwendung strikt darauf zu achten, dass Transparenz, Wettbewerb und (wie ergänzt werden muss) Gleichbehandlung der Bieter sowie die Möglichkeiten des Marktzugangs für KMU nicht, auch nicht infolge der Konzentration der Kaufkraft auf Auftraggeberseite, beeinträchtigt werden (vgl. Erwägungsgrund 59 Satz 3 VRL), also – kurz zusammengefasst – darauf zu achten, dass auch die Einkaufsgemeinschaften die für alle öffentlichen Auftraggeber geltenden Vergaberechtsregeln genau einhalten. Dazu ist erläuternd zusätzlich zu bemerken, dass es laut sachverständiger Aussage bisher an einem überzeugenden Konzept der Nachfragemacht und ihrer Beurteilung, insbesondere der Gefahren, die von der Nachfragemacht und von der Beschränkung des Nachfragewettbewerbs drohen, mangelt.67 Als Wettbewerbsgefährdungen, die aus der Ausübung der Nachfragemacht von Einkaufsgemeinschaften (allgemein, nicht speziell der öffentlichen Hand) resultieren können, wurden bisher u.a. identifiziert: Zu den grundlegenden kartellrechtlichen Bedenken rechnet die EU-Kommission, dass sich gemeinsame Einkaufsregelungen wettbewerbsbeschränkend auf den Einkaufsmärkten und auf den nachgelagerten Verkaufsmärkten (oder nur auf diesen) auswirken, z.B. in Form höherer Preise, geringerer Produktionsmenge, -qualität oder –vielfalt. Wenn es sich sogar um Wettbewerber auf den nachgelagerten Verkaufsmärkten handele, die einen erheblichen Teil ihrer Produkte zusammen einkaufen, verringere sich für sie der Anreiz zu einem Preiswettbewerb auf den Verkaufsmärkten eventuell erheblich.68 Diese grundlegenden Bedenken gelten für eine Einkaufsgemeinschaft öffentlicher Auftraggeber schon deshalb nicht, weil diese  – zumindest ganz überwiegend – nicht auf Verkaufsmärkten tätig sind und dort schon gar nicht im

66 Zum Vorrang der EU-Richtlinien vor einzelstaatlichen Gesetzen vgl. EuGH v. 19.1.2010 – Rs. C-555/07, EuZW 2010, 177, Rz. 54; Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, Einl. Rz. 185, 186 und 204 m.w.N. – Art. 101 AEUV ist nach der Auslegung des EuGH (v. 11.7.2006 – Rs. C-205/03 P, WuW 2006, 407 f. = WuW/E EU-R 1213 f.) auf Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Auftraggeber grds. schon deshalb nicht anwendbar, weil staatliche, kommunale und sonstige Stellen der öffentlichen Hand, die Gegenstände oder Dienstleistungen beschaffen, ohne diese später durch das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt weiter zu verwenden, keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und daher keine Unternehmen i.S.d. Art. 101 AEUV sind. 67 Vgl. Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 228 unter Berufung auf das XIX. Hauptgutachten der Monopolkommission, 2010/2011, Rz. 1072 ff.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 233; vgl. auch Dreher, NZBau 2005, 427, 433 bei Fn. 7275. 68 Horizontalleitlinien, ABl. 2011 C 11/1, Rz. 200 und 201.

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Wettbewerb zu anderen öffentlichen Auftraggebern stehen.69 Dann aber sind allein deshalb schon wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne des Kartellrechts von Seiten einer Einkaufsgemeinschaft öffentlicher Auftraggeber unwahrscheinlich.70 Außerhalb des Bereichs miteinander verknüpfter Einkaufs- und nachgelagerter Verkaufsmärkte werden die von Einkaufsgemeinschaften (allgemein) wegen ihrer Nachfragemacht drohenden Wettbewerbsgefahren vor allem darin gesehen, dass Anbieter gezwungen werden könnten, die Vielfalt oder die Qualität der angebotenen Produkte zu verringern, z.B. um die Preisvorgaben der Einkaufsgemeinschaft zu erfüllen,71 ferner dass die Beteiligten einer Einkaufskooperation die Einkaufspreise oder Höchstpreise für ein bestimmtes Produkt untereinander absprechen und dann diktieren,72 außerdem dass nachfragemächtige Einkaufskooperationen in der Lage seien, Hersteller ganz oder teilweise vom Markt auszuschließen, oder durch ihre „Gewinnaneignung“ (z.B. durch geforderte Preisnachlässe) es veranlassen, dass sich die Investitions- und Innovationsanreize der Hersteller vermindern.73 Diese und ähnliche auf Nachfragemacht basierende Wettbewerbsgefährdungen werden aber bei Einkaufsgemeinschaften öffentlicher Auftraggeber gebannt durch zahlreiche verbindliche Regeln des Vergabeverfahrens, die vor allem den Wettbewerbsund den Gleichbehandlungsgrundsatz durchsetzen und der etwaigen Macht- und Druckausübung der Nachfrageseite Einhalt gebieten. Im geregelten Vergabeverfahren gibt es keine Preisvorgaben74 oder Preisabsprachen der Auftraggeberseite; vielmehr bildet sich der Preis desjenigen Angebots, das den Zuschlag gemäß den im voraus vom Auftraggeber (evtl. also von einer Einkaufsgemeinschaft) festgelegten Zuschlagskriterien erhält (§ 127 GWB), im Wettbewerb der Bieter. Dass eine Einkaufsgemeinschaft der öffentlichen Hand bei ordnungsgemäßer Durchführung ihrer Vergabeverfahren, in denen jeder Bieter im Ausgangspunkt gleiche Chancen hat, in der Lage sein soll, an sich leistungsfähige Hersteller (Bieter oder potentielle Bieter) ganz oder teilweise vom Markt auszuschließen, oder maßgeblich verantwortlich dafür werden kann, dass den Herstellern ihre Investitions- und Innovationsanreize verloren gehen, ist selbst bei hohem Nachfragepotential der Einkaufsgemeinschaft nicht vorstellbar. Denn jedes Vergabeverfahren eröffnet ein neues Feld, auf dem es sich für jeden leistungsfähigen Bieter lohnen kann, sich im Wettbewerb anzustrengen. Zahlreiche Ver69 Das gilt wegen der durch das Kommunalwirtschaftsrecht gezogenen Schranken auch für diejenigen öffentlichen Auftraggeber, die die Versorgung der Allgemeinheit mit Trinkwasser und Energie betreiben. I.Ü. ist die Beschaffung von Wasser im Rahmen der Trinkwasserversorgung und von Energie und Brennstoffen im Rahmen der Energieversorgung aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 7 und 8 GWB ausgenommen, so dass diese Beschaffungstätigkeiten ohnehin aus der Thematik dieses Beitrags herausfallen. 70 Vgl. Horizontalleitlinien, ABl. 2011 C 11/1, Rz. 212. 71 Horizontalleitlinien, ABl. 2011 C 11/1, Rz. 202; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 230 m.w.N. 72 Krauß in Langen/Bunte, §  1 GWB Rz.  228 m.w.N.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 237 m.w.N. 73 Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 230 m.w.N. 74 Die in § 127 Abs. 2 GWB erfassten Vorgaben zur Preisgestaltung sind nicht vom Auftraggeber gesetzt, sondern sind objektiv verbindliche Vorschriften wie z.B. die HOAI.

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gabevorschriften sorgen dafür, dass sich die öffentlichen Auftraggeber und damit selbstverständlich auch deren Einkaufsgemeinschaften (einschließlich der zentralen Beschaffungsstellen) zugunsten der Marktgegenseite für einen unbehinderten Wettbewerb auf dem nationalen Beschaffungsmarkt einsetzen und dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum jeweiligen Vergabeverfahren gewähren (vgl. dazu auch § 31 Abs. 1 und 6 VgV für das „Herzstück“ des Vergabeverfahrens, die der Auftraggeberseite obliegende Leistungsbeschreibung), ferner dass sie keine unverhältnismäßigen und damit den Zugang zum Vergabeverfahren unfair beschränkenden Anforderungen an die Eignung der Bieter und an die Auftragsausführung stellen (vgl. §§ 122 Abs. 4 Satz 1, 128 Abs. 2 Satz 1 GWB und § 45 Abs. 2 und 5, § 49 Abs. 2 Satz 3 VgV) und dass auch die von ihnen bestimmten Zuschlagskriterien, die sachlich am Auftragsgegenstand zu orientieren sind, die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und eine willkürliche Erteilung des Zuschlags ausschließen (§ 127 Abs. 3 und 4 GWB). Besonders wichtig ist, dass die in § 97 Abs. 4 GWB normierten Gebote der Losvergabe und der angemessenen Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Auftragsvergabe selbstverständlich auch für Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand gelten,75 so dass selbst bei einer hohen Konzentration der Kaufkraft (bezogen auf den sachlich und räumlich relevanten Nachfragemarkt) in einer einzelnen Einkaufsgemeinschaft die angestrebte Chancengleichheit zwischen mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen erzielt werden kann.76 Sollte es für ein Nachprüfungsbegehren eines Bewerbers/Bieters gegen eine ungebührliche Druckausübung oder Überforderung seitens einer Einkaufsgemeinschaft oder zentralen Beschaffungsstelle der öffentlichen Hand im Vergabeverfahren keine passende spezielle Vorschrift im Sinne der §§ 97 Abs. 6, 160 Abs. 2 Satz 1 GWB geben, kann er sich auf jeden Fall auf die ungeschriebenen, aber in ihrer Geltung anerkannten Vergaberegeln des Gebots der Fairness im Vergabeverfahren77 und des Verbots der Unzumutbarkeit von Vergabebedingungen78 berufen. 4. Zwischenergebnis zu den Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand Das Ergebnis der vorstehenden Erwägungen lässt sich dahin zusammenfassen, dass Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand einschließlich zentraler Beschaffungsstellen, da sie per se in das wettbewerbserhaltende und -schützende System der Vergaberechtsregeln integriert sind, in keinem Fall – entgegen der derzeitigen h.M. – gegen § 1 GWB verstoßen. Die Vergaberechtsregeln fungieren (auch) gegenüber Einkaufsgemeinschaften als institutionelle Machtbremse und als völlig hinreichender 75 Vgl. OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395, 397; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, Band 2, 5. Aufl. 2014, § 97 GWB Rz. 144. 76 Vgl. zu diesem Normzweck des § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB: Masin in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 97 GWB Rz. 85 m.w.N. 77 OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – Verg 6/02, VergabeR 2002, 668, 670 li. Sp.; VK Münster v. 8.6.2012 – VK 6/12, NZBau 2012, 521, 525; VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16, WuW 2016, 555, 557. 78 OLG Düsseldorf v. 19.10.2011 – VII-Verg 54/11, NZBau 2011, 762, 763; OLG Düsseldorf v. 7.11.2011  – VII-Verg 90/11, NZBau 2012, 256, 257; OLG München v. 22.1.2009  – Verg 26/08, VergabeR 2009, 478, 482.

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institutioneller Schutz des Vergabewettbewerbs. Folglich ist die Bildung einer Einkaufsgemeinschaft der öffentlichen Hand unter keinen Umständen eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i.S.d. §  1 GWB, die kartellrechtlich von vornherein ­untersagt werden müsste. Wenn eine einzelne Einkaufsgemeinschaft öffentlicher Auftraggeber sich in einem Vergabeverfahren wettbewerbswidrig verhalten und/oder gegenüber Bewerbern/Bietern ungebührlichen Druck – z.B. durch sachwidrige Anforderungen – ausüben sollte, können sich davon betroffene Bewerber/Bieter aus eigenem Recht wegen Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen (§§ 97 Abs. 6, 160 Abs. 2 Satz 1 GWB) erfolgreich dagegen wehren, indem sie die Nachprüfungsinstanzen einschalten (§§ 160 ff. GWB). Einer zusätzlichen Einwirkung des Kartellrechts zum Wettbewerbsschutz bedarf es nicht. Ein positiver Nebeneffekt der hier vertretenen Ansicht besteht darin, dass damit die bisher nicht völlig geklärte Rechtsfrage, ob die Gründung einer Einkaufsgemeinschaft der öffentlichen Hand, wenn man deren Verstoß gegen § 1 GWB gemäß bisheriger h.M. unterstellt, überhaupt als eine Verletzung einer „Bestimmung über das Vergabeverfahren“ i.S.d. §§ 97 Abs. 6, 160 Abs. 2 Satz 1 GWB angesehen werden kann,79 nunmehr obsolet ist.

IV. Einwirkungen in Vergabeverfahren aufgrund der §§ 19, 20 Abs. 1 GWB? Selten ist bisher in Vergabenachprüfungsverfahren die Frage behandelt worden, ob Bewerber/Bieter, die sich im Vergabewettbewerb durch die Art und Weise, wie der öffentliche Auftraggeber das konkrete Vergabeverfahren angelegt hat und durchführt, als zu Unrecht behindert sehen, auch eine unbillige Behinderung im Sinne der §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB mit dem Ziel einer entsprechenden Korrektur und rechtsfehlerfreier Erneuerung des Vergabeverfahrens geltend machen können. In einem Verfahren betreffend die Ausschreibung von Arzneimittelrabattverträgen in Form von Rahmenvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V hatte ein Bieter mit einem Nachprüfungsantrag gerügt, die öffentlichen Auftraggeber (15 AOK’s) hätten das Instrument der Rahmenvereinbarung in einer missbräuchlichen, wettbewerbsbehindernden oder –verzerrenden Art und Weise angewendet, wodurch er als kleineres Unternehmen von vornherein benachteiligt worden sei.80 Das Beschwerdegericht 79 Verneinend: OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – Verg 6/02, VergabeR 2002, 668, 669 f.; OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395, 396; LSG NRW v. 26.3.2009 – L 21 KR 26/09 SFB, VergabeR 2009, 922, 925 f.; VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16, WuW 2016, 555, 556 f.; Meißner, VergabeR 2002, 670, 671. Bejahend (mit guten Argumenten): Dreher, NZBau 2013, 665, 667. 80 LSG NRW v. 26.3.2009 – L 21 KR 26/09 SFB, VergabeR 2009, 922, 924: Der Bieter rügte, dass die Auftraggeberinnen alle Arzneimittel, die an einem vor der Auftragsbekanntmachung liegenden Stichtag nicht schon in der sog. Lauer-Taxe gelistet gewesen seien, von der Teilnahme ausgeschlossen hätten; dadurch sei er daran gehindert worden, sein Produktportfolio für sein Angebot noch zu optimieren, was sich auf die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote negativ auswirke, weil diese gerade auch auf die Produktbreite eines Bieters abstelle. Außerdem stelle das in den Vergabebedingungen vorgesehene Teilkündigungsrecht ein ungewöhnliches, die Bieter einseitig belastendes Wagnis dar.

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hielt diese auf kartellrechtliche Vorschriften (§§ 19 und 20 GWB i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V) gestützte Rüge im Rechtsweg des Vergabenachprüfungsverfahrens nicht für zulässig, weil die §§ 19 und 20 GWB keine „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ seien, sondern sich auf Verstöße außerhalb des Vergabeverfahrens bezögen.81 Dagegen hielt eine Vergabekammer in einem Nachprüfungsverfahren, das die Vergabe von Dienstleistungen der Unternehmensberatung für ein Gemeinschaftsunternehmen (= öffentliche Auftraggeberin) von acht Kommunen betraf, das Stromund Gasnetze für diese Kommunen erwerben, anpachten, betreiben und instandhalten sollte, auch eine Prüfung des von einem Bieter gemäß den §§ 19, 20 GWB geltend gemachten Vorwurfs gegen die als marktbeherrschend eingestufte Auftraggeberin für zulässig (nach § 104 Abs. 2 GWB a.F. [jetzt § 156 Abs. 2 GWB]) und notwendig. Die unbillige Behinderung des antragstellenden (und aller anderen) Bieter sah die Vergabekammer darin, dass die Auftraggeberin in ihrer Leistungsbeschreibung nicht alle Kalkulationsrisiken ordnungsgemäß angegeben habe, so dass den Bietern eine reguläre („ordnungsgemäße“) Kalkulation nicht möglich gewesen sei.82 Wie die vorstehenden Beispiele zeigen, bedarf es für den sachgerechten Rechtsschutz derjenigen Bieter, die dem von ihnen als marktbeherrschenden oder marktstarken Nachfrager eingestuften öffentlichen Auftraggeber ein missbräuchliches Verhalten, insbesondere eine unbillige Behinderung, und eine daraus resultierende Beeinträchtigung ihrer Zuschlagschancen vorwerfen, nicht unbedingt der Zuhilfenahme des Kartellrechts, also der §§ 19, 20 GWB. Denn ein Verhalten des öffentlichen Auftraggebers, das – bei festzustellender Marktbeherrschung oder relativer Marktmacht – als unbillige Behinderung anderer Marktteilnehmer oder als sonst missbräuchlich (i.S.d. §§ 19, 20 Abs. 1 GWB) zu beurteilen ist, verstößt immer zumindest auch gegen das vergaberechtliche Gebot der Fairness im Vergabeverfahren und je nach Fallkonstellation häufig wohl auch gegen das vergaberechtliche Verbot der Unzumutbarkeit von Vergabebedingungen.83 Diese Rechtsverstöße können unmittelbar gemäß den §§ 97 Abs. 6, 160 Abs. 2 Satz 1 GWB im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden (ohne dass eine marktbeherrschende oder marktstarke Stellung des öffentlichen Auftraggebers festgestellt werden muss).

81 LSG NRW v. 26.3.2009 – L 21 KR 26/09 SFB, VergabeR 2009, 922, 925. [Für derartige Nachprüfungsverfahren bestand in den Jahren 2009 und 2010 eine Sonderzuständigkeit der Landessozialgerichte als Beschwerdegerichte.] 82 VK Münster v. 8.6.2012 – VK 6/12, NZBau 2012, 521, 525-528. In seiner Beschwerdeentscheidung v. 9.1.2013 verwarf das OLG Düsseldorf (VII-Verg 26/12, NZBau 2013, 120, 128) diesen Prüfungsansatz ausdrücklich nur deshalb, weil die Auftraggeberin auf dem relevanten Markt weder marktbeherrschend noch marktstark war. Grds. für die Zulässigkeit und Notwendigkeit einer Einbeziehung der von Bietern geltend gemachten Ansprüche aus den §§ 19, 20 GWB i.V.m. § 156 Abs. 2 GWB (n.F.) in das Vergabenachprüfungsverfahren: Dreher, NZBau 2013, 665, 670 f., 674 Nr. 9. 83 Zu diesen Ge- und Verboten s. oben III.3. a.E.

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V. Der auf § 1 GWB gestützte Grund für einen Ausschluss aus dem ­Vergabeverfahren Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen von der Teilnahme an einem konkreten Vergabeverfahren – zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens – ausschließen, wenn er hinreichende Anhaltspunkte dafür hat, dass „das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken“. Wie unschwer zu erkennen ist, greift diese den Art. 57 Abs. 4 lit. d VRL umsetzende Vorschrift in der Formulierung das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensabstimmungen in § 1 GWB auf,84 selbstverständlich nicht nur in der Formulierung: Der Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfasst jede (spürbare, nicht nach §§ 2, 3 GWB freigestellte) wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung und Verhaltensabstimmung i.S.d. § 1 GWB. Seine Anwendbarkeit ist – wie der umfassende Wortlaut zeigt – nicht auf derartige Verfehlungen, die in Bezug auf das laufende Vergabeverfahren begangen wurden,85 und auch nicht auf Verfehlungen beschränkt, durch die ge­ rade der konkrete öffentliche Auftraggeber betroffen wurde oder die überhaupt mit einer öffentlichen Auftragsvergabe zusammenhingen.86 Wenn man das bedenkt, erleichtert das die Erkenntnis, dass dieser Ausschlussgrund nicht nur dem Selbstschutz des betreffenden öffentlichen Auftraggebers vor unzuverlässigen potentiellen Auftragnehmern dient.87 Vielmehr bedeutet dieser Ausschlussgrund auch eine Instrumentalisierung des betreffenden Vergabeverfahrens durch das Kartellrecht, indem über das Unternehmen, das gegen § 1 GWB verstoßen hat, außer etwaigen speziell kartellrechtlichen Sanktionen auch der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren als weitere Sanktion88 verhängt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB droht denjenigen Unternehmen, die eigentlich fachlich, technisch und wirtschaftlich für die Ausführung des in Betracht kommenden öffentlichen Auftrags gut geeignet sind, die aber (z.B.) zur Maximierung ihrer Gewinne oder aus sonstigen Gründen aktuell oder bei früheren Anlässen wettbewerbsbeschränkende Absprachen mit anderen Unternehmen (§ 1 GWB) 84 So die Gesetzesbegr. zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 85 So die Gesetzesbegr. zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 86 Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rz. 8; Ohrtmann in Byok/Jaeger, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rz. 23. 87 Zu diesem Normzweck vgl. Erwägungsgrund 101 Satz 1 VRL zu Art. 57 Abs. 4 lit. d VRL, der § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zugrunde liegt, sowie Gesetzesbegr. zu § 122 Abs. 1 GWB, BTDrucks. 18/6281, S. 101. 88 Die Qualifizierung des Ausschlusses als „Sanktion“ einer vom Bewerber/Bieter außerhalb des Vergabeverfahrens begangenen rechtswidrigen Tat findet sich auch im Erwägungsgrund 100 Satz 2 VRL, der allerdings unmittelbar der Regelung der obligatorischen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 1 und 2 VRL zuzurechnen ist. Für die Qualifizierung eines Ausschlusses aus dem Vergabeverfahren als Sanktion ist es aber unerheblich, ob diese Entscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zwingend oder nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen wird. Ebenso zur Qualifizierung als „Sanktion“: Hausmann/von Hoff in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2017, §  122 Rz.  2 a.E.; ­Burgi, NZBau 2014, 595, 596 re. Sp.

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treffen oder getroffen haben, normativ das Scheitern ihrer an sich chancenreichen Auftragsbewerbung an. Dadurch wirkt die vergaberechtliche Vorschrift des §  124 Abs. 1 Nr. 4 GWB – primär im generalpräventiven, aber sicher auch im spezialpräventiven Interesse – als Instrument der Rechtsdurchsetzung für das Kartellrecht, genauer: für das Kartellverbot.89 Damit der öffentliche Auftraggeber dieser instrumentellen Aufgabe wirklich genügt, ist er gemäß § 42 Abs. 1 VgV verpflichtet, im Vergabeverfahren von Amts wegen zu überprüfen, ob gegen die Bewerber/Bieter (u.a.) ein Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, also „hinreichend plausible Anhaltspunkte“ (so Art. 57 Abs. 4 UAbs. 1 lit. d VRL) für einen Verstoß gegen § 1 GWB bestehen.90 Schon wegen der vorgenannten kartellrechtlichen Aspekte bleibt es also nicht dem Gutdünken des öffentlichen Auftraggebers, der „nur“ nach eigenem Ermessen über den etwaigen Ausschluss entscheidet, überlassen, ob er sich den Mühen dieser Überprüfung unterzieht oder nicht. Das Kartellrecht, hier also § 1 GWB, beeinflusst aber auch die Ermessensausübung des öffentlichen Auftraggebers gemäß §  124 Abs.  1 Nr.  4 GWB. Wenn er nach seiner Überprüfung hinreichend gewichtige und plausible Anhaltspunkte i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB für einen von einem Bewerber/Bieter begangenen Verstoß gegen § 1 GWB ermittelt hat, wird seine Aufgabe bei der Ermessensausübung im allgemeinen darin gesehen, zu entscheiden, ob aufgrund des anzunehmenden Fehlverhaltens die Zuverlässigkeit des Unternehmens – vor allem unter dem Aspekt der Gesetzes- und Vertragstreue – zu verneinen oder doch zu bejahen ist. Diese Entscheidung wird meist als eine Prognoseentscheidung dahingehend definiert, ob von dem Unternehmen trotz des dem Ausschlussgrund zugrunde liegenden Geschehens „für die Zukunft doch zu erwarten ist, dass es den öffentlichen Auftrag gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführt“91. Die so formulierte Zielansprache der Prognoseentscheidung ist für eine gesetzeskonforme Ermessensausübung jedoch unvollständig. Nach dem hier zu beachtenden §  40 VwVfG hat der öffentliche Auftraggeber sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsnorm auszuüben; werden bei der Ermessensausübung gesetzliche Zielvorstellungen nicht beachtet, leidet die Entscheidung an einem Ermessensfehler.92 Da § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB nach seinem Normzweck auch die Durchsetzung des Kartellrechts (bezogen auf §  1 GWB) fördern soll (s. oben), darf die Prognose bei der Ermessensausübung nicht auf die voraussichtliche 89 Burgi, NZBau 2014, 595, 596 und 599 li. Sp.; zust.: Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 123 GWB Rz. 3a. 90 Diese Pflicht ergibt sich auch aus Art. 56 Abs. 1 lit. b VRL, wonach der öffentliche Auftraggeber zu „überprüfen“ hat, dass der betreffende Bieter „nicht gemäß Art. 57 VRL ausgeschlossen ist“. Die Art und Weise dieser Überprüfung kann hier nicht dargestellt werden. Der öffentliche Auftraggeber ist insoweit idR auf die Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden und deren Untersuchungsergebnisse angewiesen (vgl. Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rz. 100-105 m.w.N.). 91 Gesetzesbegr. zu § 124 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 104; Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rz. 196 m.w.N.; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2017, § 124 GWB Rz. 70. 92 Niebuhr, VergabeR 2017, 335, 346 f. m.w.N.

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Ausführung des zu vergebenden öffentlichen Auftrags durch den betreffenden Bieter beschränkt werden, weil auch die Verwirklichung des Tatbestands des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB – der den Ausschlussgrund bildende Kartellrechtsverstoß – nicht auf das dazugehörige Vergabeverfahren begrenzt ist. Der öffentliche Auftraggeber muss vielmehr bei seiner Ermessensausübung aufgrund seiner Faktenkenntnisse die Prognose anstellen, ob das betreffende Bieterunternehmen in der überschaubaren Zukunft wettbewerbsbeschränkende Absprachen und Verhaltensabstimmungen, die diesem Unternehmen zuzurechnen wären, unterlassen wird. Die einzige Möglichkeit für eine dementsprechende seriöse Prognose dürfte idR darin bestehen, dass der öffentliche Auftraggeber das Unternehmen im Vergabeverfahren auffordert, darzulegen, ob und ggf. welche Selbstreinigungsmaßnahmen es nach dem Programm des § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB inzwischen ausgeführt hat, um daraus Schlüsse im Rahmen der Ermessensausübung ziehen zu können. Selbst wenn die daraufhin von dem betreffenden Unternehmen erteilten Auskünfte und Nachweise noch nicht so vollständig sind, dass sie den Ausschlussgrund gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB zwingend entfallen lassen, hat der öffentliche Auftraggeber sie zusammen mit seinen schon vorhandenen Faktenkenntnissen bei seinen Ermessenserwägungen zu bewerten. Nur wenn nach dieser Prüfung die Prognose gerechtfertigt erscheint, dass von dem Bieterunternehmen in überschaubarer Zukunft wahrscheinlich keine Verstöße gegen § 1 GWB mehr ausgehen werden, kann von einem Ausschluss des Bieters ohne Ermessensfehler abgesehen werden. Verbleiben aber insoweit in der Prognose nennenswerte Unsicherheiten, ist nur der Ausschluss des Bieters aus dem Vergabeverfahren eine gesetzeskonforme Ermessensausübung (ausgenommen Bagatellfälle mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).93

VI. Selbstreinigung des Bewerbers gegen den Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB 1. Zweck der Selbstreinigung Abschließend soll auf eine Einwirkung des Kartellrechts in das Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe hingewiesen werden, die sich aus der neuen Regelung der Selbstreinigung in § 125 GWB i.d.F. des VergRModG 2016 ergibt. § 125 GWB ermöglicht – jedenfalls auf gesetzlicher Ebene – erstmals (u.a.) denjenigen Unternehmen, die mit einem Verstoß gegen § 1 GWB einen Ausschlussgrund gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB gesetzt haben, die sog. Selbstreinigung. Diese bezweckt gemäß § 125 GWB die Wiedererlangung der Zuverlässigkeit im Sinne der Rechts-, Gesetzes- und Vertragstreue eines Unternehmens, dessen für die Auftragsvergabe erforderliche Zuverlässigkeit infolge eines vorhandenen Ausschlussgrunds – ohne Selbstreinigung – vom öffentlichen Auftraggeber aberkannt werden müsste (gemäß § 123 GWB) oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit aberkannt zu werden drohte (gemäß §  124 GWB). § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB schreibt dem an der Selbstreinigung interessierten 93 I.E. ebenso für den Regelfall: Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rz. 197 m.w.N. („gelenkte Ermessensausübung“).

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Bewerber Maßnahmen vor, deren gelungene Durchführung geeignet ist, seine Zuverlässigkeit objektiv und auch in der gemäß § 125 Abs. 2 GWB erforderlichen Bewertung des öffentlichen Auftraggebers dauerhaft wiederherzustellen und eine Begehung weiterer Straftaten sowie weiteres Fehlverhalten, hier vor allem weitere Verstöße gegen § 1 GWB, zu verhindern. Der eigentliche Rechtsgrund dafür, dass eine gemäß §  125 GWB gelungene Selbstreinigung den zuvor verwirklichten Ausschlussgrund entfallen lässt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB).94 Dahinter steht aber zweifellos der Sekundärzweck, auf die an öffentlichen Aufträgen interessierten Unternehmen positive Anreize dahin auszuüben, die Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Gesetzesverstöße, auf denen der jeweilige Ausschlussgrund beruht, durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen und die bisher verursachten Schäden zu ersetzen.95 Unter diesem Aspekt dient das vergaberechtliche Institut der Selbstreinigung, soweit es sich um einen Anwendungsfall der §§ 125, 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB handelt, als Instrument der Rechtsdurchsetzung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche. Das hat einen hohen Realitätsbezug; denn die praktisch wichtigsten Fälle von Straftaten und Fehlverhalten iSd §§  123, 124 GWB sind  – neben Bestechung, Vorteilsgewährung und Betrug – Beteiligungen an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen, und zwar nicht nur in Bezug auf Vergabeverfahren, sondern jedwede Kartellrechtsverstöße i.S.d. § 1 (und damit des § 124 Abs. 1 Nr. 4) GWB.96 In diesem Bereich harren jedoch noch mehrere gewichtige Rechts- und Auslegungsfragen zu § 125 GWB der Klärung.97 2. Die Pflichtaufgaben des öffentlichen Auftraggebers zur Überprüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen Ein öffentlicher Auftraggeber, in der Praxis also dessen Vergabestelle, ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB – ohne Ermessensspielraum – verpflichtet, Selbstreinigungsmaßnahmen, die ihm ein von einem Ausschlussgrund betroffenes Unternehmen nachweist und die den Anforderungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB genügen, mit dem Ergebnis zu berücksichtigen, dass das Unternehmen zu dem betreffenden Vergabeverfahren uneingeschränkt zuzulassen ist. Das setzt aber voraus, dass die Vergabe­ stelle die ihr nachgewiesenen Maßnahmen verantwortlich – und zwar im laufenden Vergabeverfahren – auch daraufhin prüft, ob sie die in § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB normierten Voraussetzungen erfüllen. Diese Prüfungsaufgabe, insbesondere zu §  125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB (Schadensausgleich), ist gerade im hier erörterten Zusammenhang der Selbstreinigung vom Ausschlussgrund des §  124 Abs.  1 Nr.  4 GWB wichtig und dementsprechend verantwortungsvoll, weil die Feststellung, ob und ggf. bei wem ein Verstoß gegen § 1 GWB überhaupt einen Schaden und – wenn ja – in 94 Vgl. zum Vorstehenden: Gesetzesbegr. zu § 125 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 107; Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 1 m.w.N. 95 Vgl. Roth, NZBau 2016, 672, 673. 96 Vgl. Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 19 m.w.N. 97 Vgl. auch VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, NZBau 2017, 509 (Vorlage an den EuGH); Hövelberndt, NZBau 2017, 464.

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welcher Höhe verursacht hat, i.d.R. schwierig ist.98 Dabei kann sich für die Vergabestelle besonders erschwerend auswirken, dass der Nachweis des vollen Ausgleichs des durch das Fehlverhalten verursachten Schadens (oder der Nachweis einer dementsprechenden Verpflichtungserklärung) nicht nur in Fällen, in denen der jeweilige öffentliche Auftraggeber selbst Geschädigter ist, sondern nach dem klaren Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB in allen Fällen erforderlich ist, in denen ein Unternehmen, eine Einrichtung der öffentlichen Hand oder eine sonstige (natürliche oder juristische) Person infolge des Fehlverhaltens einen Schaden erlitten hat.99 Ist – wie zumeist – die Höhe des durch den Kartellrechtsverstoß zugefügten Schadens zwischen Schädiger und Geschädigtem streitig, gehört es zu den Prüfungspflichten der Vergabestelle, möglichst zu klären, ob die Ermittlung der Höhe des Schadens bislang an Umständen scheitert, die dem Schädiger zuzurechnen sind (z.B. wegen verweigerter oder nur unzulänglich geleisteter Mitwirkung bei der Aufklärung, ob und ggf. ein wie hoher Schaden durch die ihm zuzurechnende Tat entstanden ist). In diesem Fall muss die Vergabestelle die Selbstreinigung als misslungen bewerten (§ 125 Abs. 2 GWB), weil das Unternehmen – wegen mangelhaften Einsatzes seinerseits – seiner Beweispflicht nicht genügen kann, dass der durch die Tat verursachte Schaden ausgeglichen worden ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB).100 Wenn dagegen die Intensität der aktiven Zusammenarbeit des Unternehmens mit den Ermittlungsbehörden und mit dem öffentlichen Auftraggeber zwecks Aufklärung derjenigen Tatsachen und Umstände, die mit dem Fehlverhalten und dem dadurch eventuell verursachten Schaden zusammenhängen, nach dem Prüfungsergebnis der Vergabestelle nicht zu beanstanden ist und trotzdem die Schadensersatzansprüche Dritter gegen das Unternehmen der Höhe nach und eventuell sogar dem Grunde nach streitig bleiben,101 kann der Erfolg der Selbstreinigung nicht davon abhängig ­gemacht werden, dass das Unternehmen die ihm gegenüber geltend gemachten Schadensersatzansprüche entgegen seiner eigenen rechtlichen Überzeugung doch anerkennt. Das zu verlangen, würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Es reicht dann vielmehr aus, dass das betreffende Unternehmen in glaubwürdiger Weise seine bedingungslose Bereitschaft erkennbar zeigt und auch für die Zukunft verbindlich zusagt, an der Aufklärung des gesamten Falls aktiv mitzuwirken, auch in Bezug darauf, ob und ggf. in welcher Höhe zu ersetzende Schäden verursacht worden sind.102 Diese Verpflichtungszusage zur Mitwirkung an der Sachaufklärung 98 Darauf weist auch die Gesetzesbegr. zu § 125 GWB hin (BT-Drucks. 18/6281, S. 108). 99 Vgl. auch Gesetzesbegr. zu § 125 GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 108 („Schaden …, der … dem öffentlichen Auftraggeber oder einem anderen entstanden ist“); Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, Rz. 18, mit Argumenten gegen die Gegenansicht, nach der die erforderliche Schadenswiedergutmachung nur den geschädigten konkreten Auftraggeber betreffe: Burgi, NZBau 2014, 595, 598; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 335 Fn. 75. 100 Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 20 m.w.N. 101 Vgl. dazu Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, §  125 GWB Rz. 21. 102 Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 20 m.w.N. und Rz. 21. In den Fällen, in denen die Schadensersatzansprüche wenigstens dem Grunde

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muss man mit teleologischer Auslegung schon der Nr. 1 des § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB als Minus zu der eigentlich geforderten verbindlichen Verpflichtungserklärung, den Schadensausgleich zu zahlen, entnehmen, damit es in derartigen Fällen überhaupt gerechtfertigt ist, auch ohne verbindlich erklärte Schadensersatzverpflichtung eine erfolgreiche Selbstreinigung attestieren zu können. Darüber hinaus ergibt sich diese Aufklärungspflicht in aktiver Zusammenarbeit (auch) mit der Vergabestelle für Unternehmen, die eine erfolgreiche Selbstreinigung anstreben, auch aus Nr. 2 des § 125 Abs. 1 Satz 1 GWB. 3. Für die Kartellanten unzumutbare Reichweite der Überprüfung? Selbst diese stark abgemilderte Art, wie die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB in den wohl häufigsten Fällen eines von einem Bewerber/Bieter begangenen Verstoßes gegen § 1 GWB (s. oben: Schadensverursachung oder jedenfalls Höhe des verursachten Schadens ist ungeklärt) erfüllt werden können, sehen nicht wenige Stimmen in Literatur und Rechtsprechung als eine das rechtlich gebotene Maß übersteigende zu starke und daher abzulehnende Belastung des Kartellanten, der an einem Vergabeverfahren teilnehmen will, an und entwerten damit weitgehend die Selbstreinigung in ihrer Eigenschaft als Instrument der Rechtsdurchsetzung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche: Wenn der öffentliche Auftraggeber selbst Geschädigter desjenigen Verstoßes gegen § 1 GWB sei, der den Ausschlussgrund (§ 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB) in seinem Vergabeverfahren bilde, und daher im zivilrechtlichen Schadensersatzprozess die Darlegungsund Beweislast zur Entstehung und Höhe des Schadens trage, dürfe er diese eigene Last bei der ihm obliegenden Prüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen nicht auf das Unternehmen, das den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach schon anerkannt habe, abwälzen. Aus dem Zweck der Selbstreinigung folge, dass nur solche Umstände aufzuklären seien, aus denen Konsequenzen zur Vermeidung von Fehlverhalten in der Zukunft zu ziehen seien. Dazu gehörten die Umstände, die zu einer gewissen Höhe des Schadens geführt haben, nicht.103 Diese Argumentation geht jedoch am Sinn der Norm des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB vorbei, wonach die verloren gegangene eigene Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit (u.a.) gerade durch die Anerkennung der Verantwortung für die Wiedergutmachung von wirklich verursachten Schäden wiedergewonnen werden können. Ferner wird in Abrede gestellt, dass Kartellanten im Zuge ihrer Selbstreinigungsmaßnahmen überhaupt verpflichtet seien, zur umfassenden Sachaufklärung ihres Fehlverhaltens und des dadurch verursachten Schadens auch mit dem öffentlichen Aufnach unstreitig sind, muss das betreffende Unternehmen den Anspruch gegenüber dem jeweiligen Schadensersatzgläubiger zusätzlich dem Grunde nach in verbindlicher Form anerkennen. 103 Gabriel/Ziekow, VergabeR 2017, 119, 125; s. auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265, 273 f. für die Rechtslage vor der gesetzlichen Regelung des § 125 GWB; vgl. auch Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 337, der die Rechtslage wegen des oben dargestellten „Zielkonflikts“ als ungeklärt bezeichnet.

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traggeber zusammenzuarbeiten; denn §  125 Abs.  1 Satz 1 Nr.  2 GWB, der dieses Erfordernis für eine erfolgreiche Selbstreinigung normiere, weiche insoweit unzulässig (und damit unwirksam) von der umzusetzenden Vorschrift des Art. 57 Abs.  6 UAbs. 2 VRL ab, die für die Sachaufklärung nur eine aktive Zusammenarbeit „mit den Ermittlungsbehörden“ verlange, zu denen der öffentliche Auftraggeber nicht gehöre.104 Wenn man diese Ansicht für richtig hielte, würde das die Vergabestellen in ihrer Arbeit und Mühe in den betreffenden Vergabeverfahren zwar sehr entlasten; sie könnten aber ihrer gesetzlichen Pflicht aus § 125 Abs. 2 GWB, die von den Kartellanten nachgewiesenen Selbstreinigungsmaßnahmen zu bewerten und vor der Bewertung auf Eignung, Qualität und Vollständigkeit (gemäß den Erfordernissen des § 125 Abs.  1 Satz 1 GWB) zu überprüfen, idR höchstwahrscheinlich nicht genügen. Der EU-Gesetzgeber hat es jedoch den Mitgliedstaaten überlassen, die genauen verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen zu bestimmen, die für die Prüfung der von den Unternehmen zwecks Zulassung zum Vergabeverfahren getroffenen Compliance-Maßnahmen gelten. Dazu ist es den Mitgliedstaaten freigestellt zu entscheiden, es den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern zu überlassen, die einschlägigen Bewertungen und damit notwendigerweise die vorherigen Überprüfungen vorzunehmen (Erwägungsgrund 102 Satz 5 und 6 VRL). Demzufolge stellt § 125 Abs. 2 GWB fraglos eine korrekte Umsetzung des Art. 57 Abs. 6 UAbs. 3 VRL dar. Dann aber spricht alles dafür, dass auch das Erfordernis der umfassenden Sachaufklärung des Unternehmens über dessen Fehlverhalten und den dadurch verursachten Schaden in Zusammenarbeit (auch) mit dem öffentlichen Auftraggeber gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GWB den (in Art. 288 Abs. 3 AEUV vorgesehenen) Umsetzungsspielraum zu Art. 57 Abs. 6 VRL nicht überschreitet. Folglich bleibt es bei der vollen Prüfungsverantwortung der Vergabestellen in den betreffenden Fällen, also bei der Überantwortung einer schwierigen Aufgabe zur Aufarbeitung von Verstößen gegen § 1 GWB mit Tendenzen zur Überforderung der Vergabestellen.105 Schließlich versuchen einige Stimmen im Schrifttum, für eine Gruppe von Kartellanten, nämlich für Kronzeugen, ein sie begünstigendes Sonderrecht zu schaffen und so mit kartellrechtlich anmutenden Erwägungen die Sachaufklärung der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen des § 125 GWB einzuschränken: Mit Blick auf Kartellanten, die eine Kronzeugenerklärung (s. jetzt die Definition in §  33g Abs.  4 Satz 1 Nr.  1 GWB) abgegeben haben, wird die These aufgestellt, man werde die Grenze ihrer Mitwirkungspflicht bei der Selbstreinigung dort ziehen müssen, wo das staatliche Kronzeugenprogramm berührt werde.106 Hierzu wird darauf verwiesen, dass einem Kar104 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, NZBau 2017, 509, 511 f. [Vorlage an EuGH]; erhebliche Zweifel äußern auch Ley in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 54, und Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 336 f. 105 Zutr. Roth, NZBau 2016, 672, 676. – Es ist zweifelhaft, ob sich an dieser Überforderung der Vergabestellen durch die voraussichtlich erst in 2020 in Kraft tretende Änderung des § 125 GWB (durch das Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters vom 18.7.2017, BGBl. I 2017, 2739) wesentlich etwas ändern wird (vgl. dazu den Überblick über Inhalt und Auswirkungen der künftigen Fassung des § 125 GWB bei Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 33-41). 106 Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 337; i.E. ebenso: Dreher/Hofmann, NZBau 2012, 265, 273.

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tellgeschädigten bei der beantragten Einsicht in die kartellbehördlichen Akten die Einsicht in den Bonus- oder Kronzeugenantrag wegen des vorrangigen öffentlichen Interesses an der Wirksamkeit der Kronzeugenregelung zu verwehren ist (s. dazu jetzt § 33g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB). Diese Wertung sei auf die Aufklärungspflicht derjenigen Unternehmen, die eine Kronzeugenerklärung abgegeben haben, im Rahmen ihrer Selbstreinigung zu übertragen.107 Das würde in der Konsequenz bedeuten, dass Kartellanten, die bei der Kartellbehörde eine Kronzeugenerklärung eingereicht haben, für die von ihnen erstrebte Selbstreinigung bei der gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GWB eigentlich gebotenen umfassenden Sachaufklärung in aktiver Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber nichts von ihren Kenntnissen über das betreffende Kartell und ihre Beteiligung daran (d.s. Inhaltsbestandteile einer Kronzeugenerklärung gemäß §  33g Abs.  4 Satz 1 Nr.  1 GWB) offenbaren müssten. Diese Auffassung ist indessen mit Inhalt und Zweck des § 125 GWB, insbesondere dessen Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht vereinbar, wonach zu einer erfolgreichen Selbstreinigung die freiwillige volle Schadenswiedergutmachung oder zumindest  – in streitigen Schadensfällen – die hierzu vorhandene uneingeschränkte Bereitschaft des betreffenden Bewerbers/Bieters als (etwaigen) Schädigers gehört.108 Im Einklang damit enthält §  125 GWB keine begünstigende Ausnahme für Kronzeugen in Kartellfällen. Der Kronzeuge muss sich entscheiden zwischen der Chance, trotz seines vorherigen Verstoßes gegen das Kartellverbot doch alsbald öffentliche Aufträge erhalten zu können unter der Voraussetzung voller Schadenswiedergutmachung und Sachaufklärung als notwendige Maßnahmen zur Wiedergewinnung der Vertrauensbasis einerseits, oder – da ihn niemand dazu zwingen kann – dem puren Kronzeugenprogramm mit der dazugehörenden Geheimhaltung seiner Auskünfte andererseits. Insoweit unterliegt also das Vergabeverfahren keiner sich durchsetzenden Einwirkung des Kartellrechts. Vorsorglich sei erwähnt, dass die gesetzliche Begrenzung der Schadensersatzverpflichtung des Kronzeugen gemäß § 33e Abs. 1 und 2 GWB bei der Anwendung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB selbstverständlich zu beachten ist.

VII. Schlussbemerkung Bietergemeinschaften dürfen an Vergabeverfahren nur teilnehmen, wenn der ihrer Bildung zugrunde liegende Vertrag nicht gegen das Kartellverbot verstößt, was der jeweilige öffentliche Auftraggeber und ggf. die Nachprüfungsinstanzen streng zu prüfen haben. Das Kartellrecht setzt sich insoweit im Vergabeverfahren strikt durch und gestattet den Unternehmen – entgegen der h.M. – keine Freiräume nach deren eigenem wirtschaftlichen, kaufmännischen Gutdünken (kein „Beurteilungsspielraum“ der Unternehmen). Dagegen sind Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand einschließlich der zentralen Beschaffungsstellen in ihrer etwaigen Nachfragemacht durch zahlreiche den Vergabewettbewerb und die Rechte der Bewerber/Bieter schüt107 Vgl. Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 337; i.E. ebenso: Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265, 273. 108 Vgl. Jaeger in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 125 GWB Rz. 18-21 m.w.N.

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zende Vergabeverfahrensregeln so konsequent, systemhaft und umfassend reguliert, dass es darüber hinaus der spezifischen Anwendung des Kartellrechts, insbesondere des Kartellverbots zum Schutz des Wettbewerbs  – wiederum entgegen der h.M.  – nicht bedarf. Das Gleiche gilt im Ergebnis auch für die kartellrechtlichen Vorschriften der §§  19, 20 Abs.  1 GWB zum Schutz vor als Nachfrager eventuell marktbeherrschenden oder marktstarken öffentlichen Auftraggebern. Die hier oft schwierige Feststellung der Marktbeherrschung oder relativen Marktmacht ist entbehrlich, weil die geltenden Vergabeverfahrensregeln schon ein gleich hohes Schutzniveau garantieren. Das Kartellrecht bedient sich aber des Verfahrens der öffentlichen Auftragsvergabe als (zusätzlichen) Instruments der Rechtsdurchsetzung für das Kartellverbot, indem die an öffentlichen Aufträgen interessierten Unternehmen durch den gemäß §  124 Abs.  1 Nr.  4 GWB drohenden Ausschluss von den Vergabeverfahren davon abgeschreckt werden sollen, wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen i.S.d. § 1 GWB überhaupt zu treffen. Wenn potentielle Bewerber/Bieter dann doch gegen § 1 GWB verstoßende Absprachen – auf welchem Markt auch immer – getroffen haben, setzt sich die dienende Rolle der Vergabeverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Ziele dergestalt fort, dass den an öffentlichen Aufträgen interessierten Kartellanten die Teilnahme an Vergabeverfahren gemäß § 125 GWB doch erlaubt wird, sofern sie als Selbstreinigungsmaßnahmen (u.a.) den Ausgleich der von ihnen verursachten Kartellschäden (mit den oben VI.2. dargestellten Modifikationen) und volle Sachaufklärung nachweisen. So ist das GWB-Vergaberecht zwar kein Teil des Kartellrechts, sondern ein durchaus eigenständiges Rechtsgebiet neben dem Kartellrecht, wie gerade das Beispiel der Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand zeigt. Aber unter der beide Rechtsgebiete verbindenden Klammer des Schutzes des Wettbewerbs und der Offenhaltung der Marktzugänge leisten die Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe einen wertvollen Beitrag zur Erreichung bestimmter kartellrechtlicher Ziele, was allerdings das Pflichtprogramm der öffentlichen Auftraggeber in den betreffenden Verfahren bis zum Maß der Überforderung vergrößert oder zumindest vergrößern kann.

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Marktabgrenzung bei Lebensmitteln

I. Einleitung

II. Der Fall „Sauermilchkäse“ 1. Marktabgrenzung durch das BKartA 2. Weiterer Verfahrensgang III. Frühere Fallpraxis 1. Butter und Margarine 2. Ravioli in Dosen IV. Aktuelle Praxis der Kommission 1. Milchprodukte – Danone/Whitewave Foods



2. Tiefkühlpizza vs. Kartoffelprodukte – ORKLA/CHIPS



V. Speziell Getränke 1. Cola-Getränke 2. Sekt 3. Aquavit und Kümmelschnaps

VI. Märkte im Wandel 1. Bio-Produkte 2. Veganer und Vegetarier VII. Von Schweinen und Sauen VIII. Abschließende Betrachtung

I. Einleitung Jenseits seiner fachlichen und persönlichen Qualitäten ist der Jubilar der Kartellrechtsfamilie seit langem auch als Gourmet und Weinliebhaber vertraut. So obliegt ihm als Truchsess im Vorstand der Studiengesellschaft Kartellrecht die Auswahl der Weine für die Abendessen mit den Referierenden.1 Daher liegt nicht fern, den Festschriftbeitrag für Dirk Schroeder einem Thema zu widmen, das im Schnittpunkt seiner Berufung zum Kartellrecht und seiner Leidenschaft für Gaumenfreuden liegt: Der Marktabgrenzung bei Lebensmitteln. Dabei ist indes in Kauf zu nehmen, dass Gegenstand kartellrechtlicher Betrachtung in vielen Fällen eher profane Nahrungsmittel wie Dosenravioli oder Margarine waren. Jedenfalls lassen sich aber gerade ­anhand von Lebensmitteln vielfältige Aspekte der Marktabgrenzung eingängig veranschaulichen, etwa die Bedeutung von regionalen Konsumgewohnheiten und Verbrau­ cherpräferenzen oder Preissegmenten.

II. Der Fall „Sauermilchkäse“ Ausgangspunkt der Betrachtung sei die Untersagung der Fusion zwischen der Unternehmensgruppe Theo Müller („Müller“) und der Poelmeyer-Gruppe („Poelmeyer“) aus dem Jahr 2008.2 Im Mittelpunkt dieses Falls stand die nicht nur den Geschmacks1 Eine geschlechtsneutrale Ausdrucksweise ist stets zu beachten. 2 BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de, Fusionskontrolle, Fallberichte.

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und Geruchssinn, sondern auch den kartellrechtlichen Spürsinn herausfordernde Marktabgrenzung bei Käse. Poelmeyer war ein führender Produzent von Sauermilchkäse, Müller war mit einer Tochtergesellschaft ebenfalls in diesem Sektor tätig. Sauermilchkäse wird aus Sauermilchquark hergestellt, im allgemeinen Sprachgebrauch als „Harzer“ oder „Mainzer“ bezeichnet. Er wird in Form von „Talern“ oder „Rollen“ verkauft. Nicht zuletzt wegen seines strengen Geruchs wird der Verzehr von Harzer und Mainzer von einem Großteil der Verbraucher grundsätzlich abgelehnt, es gibt aber auch eingeschworene Anhänger dieser Produkte.3 1. Marktabgrenzung durch das BKartA Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH legte das BKartA seiner Beurteilung das Bedarfsmarktkonzept zugrunde. Danach sind diejenigen Produkte dem relevanten Markt zuzurechnen, die aus der Sicht der verständigen Abnehmer nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind.4 Bei Annahme eines einheitlichen Markts für Käse in Deutschland konnte der Zusammenschluss keine kartellrechtlichen Bedenken auslösen. Allerdings hielt es selbst Müller für unsinnig, dass die unterschiedlichsten Käsesorten mit Sauermilchkäse einen Gesamtmarkt bildeten. Die Beteiligten befürworteten jedoch einen einheitlichen Produktmarkt für Weichkäse, der auch Sauermilchkäse umfasse. Dort erreichten sie gemeinsam lediglich einen Anteil von etwa 10 %. Das BKartA stellte fest, die Vielfalt von Käseprodukten sei kaum überschaubar. Gemeinsam sei ihnen zwar das Ausgangsprodukt Milch, wobei aber der Charakter des Endprodukts schon dadurch erheblich beeinflusst werden könne, dass Milch verschiedener Tiere verwendet werden könne. Jedenfalls unterschieden sich die Käsesorten auf vielfältigste Weise nach Aussehen, Geruch, Geschmack und Fettgehalt. Indes führe es zu einer nicht sinnvollen Atomisierung von Produktmärkten im Konsumgüterbereich, für jede einzelne Käsesorte einen eigenen sachlich relevanten Markt anzunehmen.5 Damit stand das BKartA vor der heiklen Aufgabe, einen sachgerechten Weg zwischen der lebensfremden Annahme eines Gesamtmarkts für alle Käseprodukte und der unzweckmäßigen Zersplitterung in unzählige Einzelmärkte für jede Käsesorte zu finden. Dazu gab die bisherige Entscheidungspraxis in Deutschland und in der Union nur begrenzte Orientierung. Die französische Wettbewerbsbehörde ging davon aus, dass bei Käse jedenfalls sieben gesonderte Teilmärkte zu unterscheiden waren (Frischkäse, Schmelzkäse, Blauschimmelkäse, Ziegenkäse, Weichkäse sowie gekochter und nicht

3 BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, S. 22 u. 4 Vgl. nur BGH v. 2.4.1995 – KVR 17/94, BGHZ 131, 107, 110 – Backofenmarkt, m.w.N. 5 BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, S. 10.

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gekochter Schnittkäse).6 Die Kommission hatte in der Sache „Lactalis/Galbani“ erwogen, indes mangels Entscheidungserheblichkeit letztlich offengelassen, ob – und ggfls. in welchem Gebiet – eigene Märkte für Mozzarella oder sogar für Mozzarella di Bu­fala und Mozzarella aus Kuhmilch abzugrenzen waren.7 Im Fall „Bongrain/Sodiaal/JV“ ist sie von eigenen Märkten für Camembert, Coulommiers und Brie in Frankreich und Belgien ausgegangen.8 In dem ein halbes Jahr nach dem Fall „Sauermilchkäse“ entschiedenen Fall „Friesland Foods/Campina“ hat die Kommission für die Niederlande einen Produktmarkt für Hart- und Schnittkäse angenommen, konnte aber offenlassen, ob dieser Produktmarkt weiter in Gouda/Maasdamer/Edamer, Naturkäse/Käse ohne Rinde oder 15 Tage gereiften Naturkäse/anderen Naturkäse zu differenzieren war, weil es darauf in jenem Fall nicht ankam.9 In der Sache Müller/Poelmeyer hing das Ergebnis der Fusionskontrolle jedoch davon ab, ob es einen besonderen Markt für Sauermilchkäse in Deutschland gab. Das BKartA hat dies bejaht. Dafür war insbesondere der gegenüber den anderen Käse­sorten außergewöhnlich niedrige Fettgehalt (i.d.R. 0,5 %) von Sauermilchkäse sowie die Sicht der Marktgegenseite maßgeblich. Marktgegenseite war der Handel, der aber sein Sortiment nach den Verbraucherwünschen zusammensetzt. Die befragten Unternehmen des Lebensmittelhandels beschrieben Sauermilchkäse als eigenständiges, nicht substituierbares Produkt. Ausschlaggebend dafür war sein einzig­ artiger Geschmack, sein Aroma und niedriger Fettgehalt. Es handele sich um eine besonders in bestimmten deutschen Regionen geschätzte Spezialität. Nach Ansicht des BKartA stand einem eigenen Markt für Sauermilchkäse nicht entgegen, dass Limburger und Romadur ähnlich schmeckten. Diese Käsesorten enthielten mindestens 40 % Fett, und selbst in fettreduzierter – und daher wohl geschmacklich abweichender – Form wiesen sie mit 9 % noch einen 18fach höheren Fettgehalt als Sauermilchkäse auf.10 Den bei Verbrauchern üblichen parallelen Konsum mehrerer Käsesorten hielt das BKartA für unerheblich. Vielmehr deckten verschiedene Sorten, jedenfalls wenn es sich wie bei Sauermilchkäse um eine Spezialität handele, einen komplementären Bedarf ab. Trotz regional deutlich unterschiedlicher Verbrauchsgewohnheiten und einem ex­ trem hohen Anteil von Stammkunden11 wurde Sauermilchkäse im Lebensmittelhandel überwiegend bundesweit geführt, so dass eine Abgrenzung regionaler Teilmärkte nicht für erforderlich erachtet wurde.12 6 Vgl. die Nachweise zur Praxis der Autorité de la Concurrence in KOM v. 24.4.2006  – COMP/M.4135 – Lactalis/Galbani, Rz. 8, 10. 7 KOM v. 24.4.2006 – COMP/M.4135 – Lactalis/Galbani, Rz. 12 f.; dort in Rz. 8 f. auch zur Praxis der Marktabgrenzung bei Käse in Italien. 8 KOM v. 18.10.2007 – COMP/M.4761 – Bongrain/Sodiaal/JV, Rz. 29, 42. 9 KOM v. 17.12.2008, ABl. C 75 v. 31.3.2009, S. 21, Rz. 15 f. – Friesland Foods/Cam­pina. 10 Vgl. BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, S. 23 bis 25. 11 Dazu vgl. BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, S. 24. 12 BKartA v. 2.7.2008 – B2-359/07, S. 39.

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Auf dem deutschen Markt für Sauermilchkäse hätten die Zusammenschlussbeteiligten gemeinsam einen Marktanteil von über 75 % erreicht. Das BKartA hat deshalb angenommen, der Zusammenschluss lasse jedenfalls die Entstehung einer markbeherrschenden Stellung erwarten. 2. Weiterer Verfahrensgang Die gegen die Entscheidung des BKartA gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG Düsseldorf keinen Erfolg. Das Gericht stimmte dem BKartA zu, dass es sich bei Sauermilchkäse aus Verbrauchersicht um eine einzigartige Käsespezialität handele. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Das OLG hatte damit eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Bedarfsmarktkonzepts getroffen. Die vom BGH entwickelten allgemeinen Grundsätze der sachlichen Marktabgrenzung hat es dabei jedenfalls nicht in einer Weise verkannt, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde erfordert hätte. Ob auch ein anderes Ergebnis hätte gefunden werden können, ist für die Zulassungsfrage ohne Bedeutung. Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Beteiligten deshalb zurückgewiesen.

III. Frühere Fallpraxis In Deutschland hatte sich vor dem OLG Düsseldorf insbesondere das Kammergericht in zwei Fällen mit der Marktabgrenzung bei Lebensmitteln beschäftigt. 1. Butter und Margarine 1978 hatte es im Fall Rama-Mädchen Butter und Margarine unterschiedlichen Produktmärkten zugeordnet.13 Maßgeblich dafür war, dass weite Verbraucherkreise Margarine für gesünder hielten als Butter. Viele Verbraucher meinten auch, Margarine sei bei bestimmten Verwendungen, etwa beim Braten, nicht ersetzbar. Außerdem gab es geschmackliche Unterschiede und Butter kostete durchschnittlich doppelt so viel wie Margarine. Die Kommission hat diese Beurteilung Ende 2008 in der Sache „Friesland Foods/Campina“ geteilt.14 Dafür war entscheidend, dass Abnehmer bei Preiserhöhungen für ­Butter nicht oder erst dann zu Margarine wechseln würden, wenn die Preiserhöhung 10 % deutlich überschreite. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass in jüngerer Zeit Margarineprodukte in den Butterregalen des Einzelhandels erhältlich sind, die nicht nur im Format, sondern zumindest weitestgehend auch geschmacklich Butter gleichen. Dieses Angebot ent13 KG v. 14.4.1978 – Kart 8/78, WuW/E OLG 1983 – Rama-Mädchen. 14 KOM v. 17.12.2008 – COMP/M.5046 – Friesland Foods/Campina, Rz. 820, 855; insoweit nicht in der im ABl. C 75 v. 31.3.2009, S. 21 publizierten Zusammenfassung des Falls.

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spricht offenbar einem Bedürfnis wachsender Verbrauchergruppen, aus gesundheitlichen oder ethischen Gründen eine vollwertige Alternative zu Butter zu finden. Je mehr solche Angebote den verständigen Verbrauchern vertraut sind, desto eher ­erscheint möglich, zumindest bestimmte Margarineprodukte in den Buttermarkt ­einzubeziehen. An diesem Beispiel zeigt sich die gerade bei vielen Lebensmitteln bestehende starke Abhängigkeit der Marktabgrenzung von veränderten Konsumgewohnheiten, die nicht zuletzt durch den jeweils als modern oder umweltbewusst empfundenen Lebensstil beeinflusst werden. 2. Ravioli in Dosen Ravioli in Dosen hatte das Kammergericht dagegen 1985 in einen weiteren, einheitlichen Markt für Nassfertiggerichte einbezogen.15 Es hat angenommen, zu einem einheitlichen Markt gehörten alle Waren, die wegen im Wesentlichen gleicher Eigenschaften und Verwendungszwecke geeignet seien, beim Verbraucher einen bestimmten Bedarf auf zumutbare und gleichwertige Weise zu decken, auch wenn sie sich in Einzelheiten, wie Konstruktion, Qualität, Preis und dergleichen voneinander unterschieden. Maßgeblicher Verbraucherbedarf war im Ravioli-Fall, mit tischfertigen Lebensmittelzubereitungen durch bloßes Erhitzen schnell und einfach eine Hauptmahlzeit zuzubereiten, auf die jederzeit und in zahlreichen Situationen zurückgegriffen werden konnte. Tiefkühlfertiggerichte wurden dagegen im Hinblick auf die ihnen von vielen Verbrauchern zugesprochene Qualität und ihren wesentlich höheren Preis als eigener Produktmarkt angesehen.

IV. Aktuelle Praxis der Kommission Aus der jüngeren Praxis der Kommission verdienen die Fälle „Danone/Whitewave Foods“ und „ORKLA/CHIPS“ Erwähnung.16 1. Milchprodukte – Danone/Whitewave Foods In der Entscheidung „Danone/Whitewave Foods“ vom 16. Dezember 2016 befasst sich die Kommission eingehend mit Fragen der Marktabgrenzung bei Milchprodukten.17 In Abgrenzung zur früheren Entscheidungspraxis bei Butter und Margarine18 hat die Kommission hier angenommen, Joghurts und Dessert auf pflanzlicher Basis und aus 15 KG v. 7.11.1985 – Kart 6/85, WuW/E OLG 3759, 3760 – Pillsbury/Sonnen-Bassermann. 16 Für einen umfassenderen Nachweis von Marktabgrenzungen bei Lebensmitteln in der ­Fusionskontrollpraxis der Kommission vgl. die Übersicht bei Körber in Immenga/Mest­ mäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 2 FKVO Rz. 96 (Getränke) und Rz. 112 (Nahrungsmittel). 17 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods. 18 KOM v. 17.12.2008 – COMP/M.5046 – Friesland Foods/Campina, Rz. 820, 855.

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Milchprodukten seien nicht notwendig unterschiedlichen Märkten zuzuordnen.19 Es sei ein wachsender Trend zu pflanzlichen Produkten festzustellen, während der Absatz von Milchprodukten stagniere oder zurückgehe. Zwar könnten die pflanzlichen Erzeugnisse nicht ohne erhebliche Kosten in Produktionsanlagen für Milchprodukte hergestellt werden. Aus Sicht der Hersteller bestehe beim Absatz aber zumindest in gewissem Umfang ein Wettbewerbsverhältnis zwischen pflanzlichen Erzeugnissen und Milchprodukten. Beide Produktgruppen konkurrierten auch um denselben Regalplatz. Während ein gewisser Anteil von Verbrauchern aus gesundheitlichen Gründen oder als Allergiker ausschließlich pflanzliche Erzeugnisse kauften, gebe es zumindest eine wachsende Gruppe von „Flexitariern“, die aufgrund ihres persönlichen Lebensstils sowohl pflanzliche wie Milchprodukte erwürben und zwischen diesen Erzeugnissen wechselten. Allerdings hinge der Grad der Austauschbarkeit von der Region ab und sei etwa in Belgien und den Niederlanden höher als in Südosteuropa.20 Im Ergebnis hat die Kommission, wie häufig, die genaue Marktabgrenzung offengelassen, da sich nach jeder Betrachtungsweise dieselbe wettbewerbliche Beurteilung ergebe.21 Ebenfalls offen blieb, ob der – ggfls. auch pflanzliche Produkte umfassende  – Markt für Joghurt weiter zu unterteilen sei.22 Eine weitere Unterteilung der pflanzlichen Erzeugnisse nach Pflanzenart (Soja, Reis, Mandel, usw.) schien der Kommission indes nicht geboten.23 2. Tiefkühlpizza vs. Kartoffelprodukte – ORKLA/CHIPS In „ORKLA/CHIPS“ fand die Kommission einige Anhaltspunkte für einen besonderen Produktmarkt für Tiefkühlpizza zumindest in Finnland.24 Wie in einer früheren Entscheidung25 ließ die Kommission diese Frage jedoch offen. Jedenfalls in den nordischen Staaten und wohl auch in Deutschland stellten gefrorene Kartoffelprodukte (wie Pommes Frites, Kartoffelgratin oder Kroketten) aufgrund der Verbrauchsgewohnheiten dagegen einen einheitlichen Produktmarkt dar.26

V. Speziell Getränke Getränke sollen – jedenfalls in der Regel – Durst löschen. Dieser Verwendungszweck kann jedoch die Marktabgrenzung hier ebenso wenig bestimmen, wie es die Eigenschaft als Brotbelag bei Käse kann. Vielmehr sind differenziertere Überlegungen erforderlich. 19 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 18. 20 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 19 bis 26. 21 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 27. 22 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 38. 23 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 37. 24 KOM v. 3.3.2005 – Case M.3658 – ORKLA/CHIPS, Rz. 14. 25 KOM v. 6.12.1999  – COMP/M.1740  – Heinz/United Biscuits Frozen and chilled foods, Rz. 14. 26 KOM v. 3.3.2005 – Case M.3658 – ORKLA/CHIPS, Rz. 15.

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1. Cola-Getränke Bei kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken (KEK) hat die Kommission einen gesonderten Produktmarkt für die Lieferung von Cola-Getränken in Großbritannien angenommen.27 Die meisten der befragten Marktteilnehmer nahmen an, dass Verbraucher bei einer Preisänderung nicht von Cola-Getränken auf andere Getränke ausweichen würden.28 Sowohl die meisten Abnehmer im Lebensmittelhandel wie auch die befragten Wettbewerber würden Cola-Getränke als separaten Markt an­ sehen. Cola-Getränke seien Objekt eigener Marktforschung und gesonderter Preispolitik. Die Einführung von Cola-Eigenmarken des Handels erfolge zulasten anderer Cola-Getränke.29 2. Sekt Das BKartA hat einen eigenen Beschaffungsmarkt des Lebensmittelhandels für „Schaumwein“ angenommen (einschließlich Perlwein mit und ohne zugesetzte Kohlensäure) und unabhängig von der geographischen Herkunftsbezeichnung (z.B. Champagner, Asti, Cava) und vom Herstellungsprozess (Flaschen- oder Tankgärung).30 Gegenüber Wein ließe sich Schaumwein durch die zweite alkoholische Gärung eindeutig abgrenzen. Da 99 % des Absatzvolumens in Deutschland auf den qualitativ höherwertigen Schaumwein („Sekt“) entfalle, könne die Notwendigkeit einer engeren Unterteilung in separate Beschaffungsmärkte, z.B. nach Preis oder Herkunft, dahinstehen. Ebenso blieb im Hinblick auf seinen geringen Umsatz offen, ob alkoholfreier Sekt in den Markt einzubeziehen war. 3. Aquavit und Kümmelschnaps Nach der Praxis von Kommission und BKartA gibt es jeweils eigene Produktmärkte für die international anerkannten Hauptkategorien von Spirituosen (Whisky, Brandy, Rum, Gin, Wodka, Tequila, Anisschnaps, Magenbitter, Liköre), wobei eine weitere Unterteilung bei Whisky und Brandy erwogen wurde.31 Aquavit hat das BKartA jedenfalls in Deutschland nicht als eigene, klar abgrenzbare Spirituosenspezialität angesehen. Allerdings hat es anders als die Anmelder in jenem Verfahren Aquavit nicht einem Segment der klaren Spirituosen zugeordnet, das außerdem Korn, Doppelkorn, 27 KOM v. 22.1.1997 – Sache IV/M.794 – Coca Cola/Amalgamated Beverages GB, ABl. L 218 v. 9.8.1997, S.  15, Rz.  94; offengelassen für Dänemark und Schweden, vgl. KOM v. 11.9.1997  – Sache IV/M.833  – The Coca Cola Company/Carlsberg A/S, ABl. L 145 v. 15.5.1998, S. 41, Rz. 24. 28 KOM v. 22.1.1997 – Sache IV/M.794 – Coca Cola/Amalgamated Beverages GB, ABl. L 218 v. 9.8.1997, S. 15, Rz. 40. 29 KOM v. 22.1.1997 – Sache IV/M.794 – Coca Cola/Amalgamated Beverages GB, ABl. L 218 v. 9.8.1997, S. 15, Rz. 26 und ausführlich Rz. 30 bis 94. 30 BKartA v. 3.7.2014 – B2-58/09, juris, Rz. 140 ff. 31 Vgl. etwa KOM v. 24.6.2005 – COMP/M.3779 – Pernod Ricard/Allied Domecq, Rz. 10 bis 12; BKartA v. 19.12.2012  – B2-64/12, Rz.  71, abrufbar unter www.bundeskartell​amt.de, ­Fusionskontrolle, Fallberichte; je m.w.N.

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Kümmel, Doppelkümmel, Wachholder, Doppelwachholder, Klaren, Genever und Steinhäger umfassen sollte.32 Vielmehr hat das BKartA nur Kümmel- und Doppelkümmelschnaps als eindeutige Substitute in denselben Produktmarkt wie Aquavit einbezogen. Der festgestellte erhebliche Substitutionswettbewerb mit weiteren Spirituosen wurde nur bei der wettbewerblichen Beurteilung berücksichtigt.33 Das bedarf näherer Betrachtung. 57 % der befragten Händler nannten dem BKartA drei weitere Substitute für Aquavit, 48 % sogar vier oder mehr. Gut die Hälfte der Händler war also der Auffassung, Aquavit sei Teil eines weiter gefassten Produktmarkts, dem neben Aquavit und Kümmelschnaps noch weitere Spirituosen angehörten. Jedoch ließ sich keine weitere Spirituose eindeutig dem relevanten Markt zuordnen. Denn die Antworten variierten erheblich. Rund 33  % der Befragten nannten Korn als Substitut für Aquavit, jeweils 20 % bis 30 % Wachholder, Doppelwachholder, Genever, Steinhäger, Grappa, Anisspirituosen und Bitterliköre, sowie 10 % bis 20 % Klaren, Obstbrände/Obstgeist, Kräuterliköre, Bitter und Sambuca. Dabei wurden teilweise unterschiedliche regionale Spezialitäten als Alternative zu Aquavit genannt.34 Gleichwohl sah das BKartA keinen Anlass, innerhalb Deutschlands regionale räumliche Märkte abzugrenzen, sondern nahm einen Deutschland insgesamt umfassenden Markt an.35 Hat die Prüfung der Marktverhältnisse ergeben, dass überall in Deutschland eine jeweils regionale Nachfrage nach Spirituosen besteht, bei der Aquavit als austauschbar nicht nur mit Kümmel/Doppelkümmel, sondern auch mit weiteren Spirituosen angesehen wird, dürfte dies jedoch bereits bei der Marktabgrenzung zu berücksichtigen sein. Aus der maßgeblichen Sicht jedes einzelnen Abnehmers ist Aquavit dann immer Teil eines Marktes, der die weiteren Substitute umfasst. Dieser Umstand kann wohl kaum mit der Erwägung unberücksichtigt bleiben, es herrsche keine Einigkeit im Markt, welche Spirituose ein einheitliches (weiteres) Substitut für Aquavit darstellt.36 Vielmehr dürfte es in so einem Fall grundsätzlich geboten sein, regionale Märkte abzugrenzen, in denen die Marktverhältnisse auch im Hinblick auf als austauschbar angesehene Produkte hinreichend homogen sind. Das kann allerdings erheblichen zusätzlichen Ermittlungsaufwand verursachen. Es mag daher verfahrensökonomisch angehen, auf diesen Aufwand zu verzichten, wenn unabhängig von dem Ergebnis weiterer Ermittlungen ein Zusammenschlussvorhaben freizugeben ist. So lag es im Fall „Aquavit“, weil auch ohne Berücksichtigung der weiteren Substitute bei der Marktabgrenzung die Untersagungsvoraussetzungen nicht vorlagen.

32 BKartA v. 19.12.2012 – B2-64/12, Rz. 64. 33 BKartA v. 19.12.2012 – B2-64/12, Rz. 2. 34 BKartA v. 19.12.2012 – B2-64/12, Rz. 80, 85 f. 35 BKartA v. 19.12.2012 – B2-64/12, Rz. 126. 36 So aber BKartA v. 19.12.2012 – B2-64/12, Rz. 85 a.E.

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VI. Märkte im Wandel 1. Bio-Produkte Die Bedeutung von Bio-Produkten im Lebensmittelhandel steigt, auch wenn ihr Anteil am gesamten Lebensmittelabsatz in Deutschland mit unter 5 % (Zahl für 2014 und 2015) immer noch gering ist.37 Fraglich ist, ob und ggfls. inwieweit Bio-Produkte gegenüber den jeweils entsprechenden konventionellen Produkten einen eigenen Produktmarkt bilden. Für das Verhältnis zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern und den ihre Produkte verarbeitenden Betrieben hat die Kommission in der Ende 2008 ergangenen Entscheidung „Friesland Foods/Campina“ angenommen, die Beschaffung von konventionell und biologisch erzeugter Rohmilch erfolge auf zwei unterschiedlichen Produktmärkten. Auf der Nachfrageseite bestehe keine Substituierbarkeit von Bio-Rohmilch und konventionell erzeugter Rohmilch.38 Auf der Angebotsseite bestünden für Bio-Milchbauern angesichts der erzielten Preisaufschläge und der Investitionen für die biologische Erzeugung keine Anreize, auf eine konventionelle Erzeugung um­ zustellen. Umgekehrt erfordere eine Umstellung konventioneller Betriebe auf Bio-­ Milcherzeugung beträchtliche Investitionen sowie die Einhaltung einer etwa zweijährigen Übergangsfrist. Jeweils gesonderte Produktmärkte bestehen nach der Entscheidung „Friesland Foods/ Campina“ für die frischen Basismilchprodukte Frischmilch, frische Buttermilch, Naturjoghurt und Pudding. Diese fünf Produktmärkte wurden wiederum jeweils in konventionelle und biologische Erzeugnisse unterteilt. Die Befragung der Marktteilnehmer ergab, dass aus drei Gründen nur eine begrenzte Austauschbarkeit zwischen konventionellen und biologischen Milchprodukten bestand. Erstens sei der Preis der Bio-Produkte wesentlich höher. Zweitens richtete sich ihr Angebot gezielt an Verbraucher mit besonderen Präferenzen wie Schutz der Natur, der Tiere und der Nahrungsmittelproduktion. Drittens unterscheide sich der Produktionsprozess für biologische Basismilcherzeugnisse gegenüber demjenigen für konventionelle Produkte, weil dabei besondere Anforderungen zu beachten seien.39 Die Frage, ob innerhalb der Bio-Produkte jeweils noch ein gesonderter Markt für Erzeugnisse aus bio­logischdynamischer Landwirtschaft (insbesondere Demeter) zu bilden ist, wurde angesprochen, blieb aber mangels Entscheidungsrelevanz offen.40 Andererseits hat die Kommission in „Danone/Whitewave Foods“ Ende 2016 die Aussage befragter Marktteilnehmer unkommentiert wiedergegeben, die Verbraucher 37 Vgl. www.umweltbundesamt.de, Daten, Marktdaten Bereich Ernährung, 30.9.2016; www. foodwatch.org/de, Zahlen, Daten, Fakten zur Biobranche, beides aufgerufen am 15.1.2018. 38 KOM v. 17.12.2008, ABl. C 75 v. 31.3.2009, S. 21, Rz. 9 – Friesland Foods/Campina. 39 KOM v. 17.12.2008  – COMP/M.504  – Friesland Foods/Campina, Rz.  138, 140, insoweit nicht im ABl. C 75 v. 31.3.2009, S. 21. 40 KOM v. 17.12.2008 – COMP/M.504 – Friesland Foods/Campina, Rz.434 f., insoweit nicht im ABl. C 75 v. 31.3.2009, S. 21.

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würden dazu neigen, in Bio-Joghurt eher eine höherwertige und gesündere Variante des herkömmlichen Produkts zu erkennen.41 Die Frage, ob Bio-Joghurt beim Absatz an Endverbraucher und bei der davon abgeleiteten Nachfrage der Unternehmen des Lebensmittelhandels als eigenständiger Produktmarkt anzusehen war, blieb in dieser Entscheidung aber mangels Entscheidungsrelevanz offen. Ob Bio-Produkte eine marktbildende Kategorie oder nur eine qualitativ höherwertige Variante auf einem einheitlichen Produktmarkt mit konventionellen Erzeugnissen darstellen, kann danach keinesfalls als allgemein geklärt angesehen werden. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall. Je allgemeiner sich Bio-Produkte eines bestimmten Erzeugnisses am Markt durchsetzen und je mehr Verbraucher je nach Angebot mal konventionelle und mal Bio-Produkte kaufen, desto eher wird ein einheitlicher Markt anzunehmen sein.  Es dürfte viel dafür sprechen, dass dies im Laufe der Zeit bei immer mehr Produkten der Fall sein wird. Der höhere Preis der Bio-Produkte rechtfertigt für sich allein nicht die Bildung eines eigenständigen Markts. Wird es auch für informierte Durchschnittsverbraucher zunehmend normal, zwischen biologischen und konventionellen Produkten zu wechseln, wird sich auch nicht mehr sagen lassen, Bio-Erzeugnisse wendeten sich an eine bestimmte Verbrauchergruppe mit besonderen Präferenzen. Weiter bestehen bleiben werden zwar vo­ raussichtlich besondere Anforderungen an den Produktionsprozess der Bio-Produkte. Dabei handelt es sich aber um einen Umstand, der auch bei der Produktion konventioneller Lebensmittel vorhanden sein kann, ohne dass dies zu separaten Märkten führen muss. So werden etwa Premium-Produkte des Feinkostsortiments nicht ohne erhebliche Investitionen in Großanlagen für günstige Erzeugnisse hergestellt werden können. Zudem können sich Hersteller zur Einhaltung besonderer qualitativer Anforderungen verpflichten, die von Konkurrenten nur mit erheblichen Investitionen erfüllt werden können. 2. Veganer und Vegetarier Aktuelle, verlässliche Angaben zur Zahl der Menschen in Deutschland oder Europa, die sich zumindest überwiegend vegan oder vegetarisch ernähren, scheinen kaum erhältlich. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2016, die allerdings auf einer Erhebung in den Jahren 2008 bis 2011 beruht, sollen sich 4,3 % der Erwachsenen in Deutschland üblicherweise vegetarisch ernähren.42 Die Zahl der Veganer soll 2017 ca. 1 % der Bevölkerung erreicht haben.43 Verfolgt man die Medien und die Regale der Supermärkte, entsteht jedenfalls der Eindruck einer zunehmenden Zahl von Veganern und Vegetariern sowie eines wachsenden Angebots auf diese Zielgruppe zugeschnittener Lebensmittel. Zudem steigt, wie schon die Kommission fest41 KOM v. 16.12.2016 – Case M.8150 – Danone/Whitewave Foods, Rz. 35. 42 http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstat​tung/ GBEDownloadsJ/JoHM_2016_02_ernaehrung1a.pdf;jsessionid=A67A9D2B1​5B02F8C7​ D042ACCE0EEA04B.2_cid372?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 15.1.2018. 43 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445155/umfrage/umfrage-in-deutsch​landzur-anzahl-der-veganer/, zuletzt abgerufen am 15.1.2018.

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gestellt hat, die Zahl der Flexitarier, also derjenigen Personen, die eine vegetarische Ernährung befürworten, aber gelegentlich auch Fisch und/oder Fleisch konsumieren. Während Flexitarier und Vegetarier bei der Abgrenzung von Produktmärkten für Lebensmittel keine besonderen Fragen aufwerfen dürften, weil sie keine ausschließlich ihren Bedürfnissen angepassten Produkte nachfragen, könnte dies bei Veganern anders zu beurteilen sein. So gibt es in der Weihnachtszeit ein beschränktes, aber wachsendes Angebot speziell veganer Süßigkeiten wie Lebkuchen, Dominosteine oder Kekse. Ebenso gibt es ein wachsendes Angebot für veganen Käse und Fleischersatzprodukte. Für die Veganer sind die konventionellen Anbieter dieser Artikel keine Alternative. Ihren Bedarf können nur die Hersteller der veganen Produkte decken. Es könnte deshalb nicht fernliegen, vegane Verbraucher als eigenständige Nachfragergruppe anzusehen. Das könnte etwa in Betracht kommen, wenn die vegane Lebensweise aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen befolgt werden muss. Ist sie dagegen Folge einer Weltanschauung (Tierwohl) oder eines frei gewählten Lebensstils, handelt es sich nur um eine Verbraucherpräferenz. Eine solche freiwillige Wahl einer veganen Lebensweise könnte wohl nicht mit einer „Systementscheidung“ eines Verbrauchers gleichgesetzt werden, nach der er für seine Bedarfsdeckung auf die für das System geeigneten Produkte beschränkt ist. Es handelt sich weder um eine weitreichende Investitionsentscheidung mit Bindungsfolge wie bei der Wahl zwischen einer Öl- oder Gasheizung,44 noch um eine überschaubare und freiwillige, jedoch langfristig ausgerichtete Investition wie den Kauf des Besprudelungsgeräts im Fall „Soda-Club“, wo fertig konfektioniertes Mineralwasser nicht als Alternative zum Bezug gefüllter Kohlensäurezylinder angesehen wurde.45 Müssten vegane Produkte als eigener Markt angesehen werden, könnte dies möglicherweise als Bremse bei der Schaffung leistungsfähiger Herstellungsbetriebe für vegane Produkte wirken. Denn der Markt wäre dann oft so beschränkt, dass es nur wenige oder sogar nur einen Anbieter gäbe, so dass jedes externe Wachstum schnell zu einer marktbeherrschenden Stellung oder deren Verstärkung führen könnte. Indes wäre bei der Abwägung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 GWB zu berücksichtigen, dass größere vegane Produktionseinheiten ihre Produkte leistungsfähiger und damit preisgünstiger und in größeren Mengen herstellen könnten, so dass sie für Flexitarier und Vegetarier attraktiver würden. Damit würde die Stellung veganer Produkte gegenüber Milchprodukten gestärkt. Im Hinblick auf die positive Wettbewerbswirkung einer solchen Erweiterung der Wahlmöglichkeiten von Verbrauchern, die zugleich eine gesunde Lebensweise fördern dürfte, könnten solche Zusammenschlüsse der Hersteller veganer Produkte dann wohl in der Regel und bis auf weiteres als genehmigungsfähig anzusehen sein.

44 Vgl. BGH v. 9.7.2002 – KZR 30/00, BGHZ 151, 274, 282 – Fernwärme für Börnsen. 45 BGH v. 4.3.2008 – KVR 21/07, BGHZ 176, 1, Rz. 14 ff. – Soda-Club II.

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VII. Von Schweinen und Sauen Zwar geht der Fleischverzehr in Deutschland zurück. Mit etwa 60 Kg pro Kopf und Jahr ist er aber weiterhin hoch. Davon entfällt deutlich mehr als die Hälfte auf Schweinefleisch.46 Trotzdem wird vielen, insbesondere städtischen Verbrauchern der Unterschied zwischen einer Schlachtsau und einem Schlachtschwein nicht geläufig sein. Das ändert sich bei Lektüre der Entscheidungen des BKartA47 und des OLG Düsseldorf,48 die sich im Zusammenhang mit einem Fusionsvorhaben von Schlachthofunternehmen zum „Markt für die Erfassung von Sauen zur Schlachtung“ verhalten. Gemästete Schweine werden meist im Alter von sechs bis sieben Monaten mit einem Durchschnittsgewicht von 95 Kg durch Mastbetriebe oder Viehhändler als Schlachtschweine veräußert, wobei regelmäßig jeweils mindestens 100 Tiere gehandelt werden. Dagegen werden Sauen zur Ferkelzucht eingesetzt und nach mehreren Würfen und durchschnittlich drei bis vier Jahren mit einem Gewicht von 160 bis 170 Kg im  Nebengeschäft an Schlachtunternehmen verkauft. Dabei  fallen regelmäßig pro Transaktion nur etwa drei bis vier Tiere an, die von mehreren Anfallstellen gesammelt und zu einem LKW-Transport zusammengestellt werden.49 Sauen haben im Vergleich zu Schweinen einen fast doppelt so hohen Fett- und auch einen höheren Knochenanteil, dagegen ist der Anteil an Magerfleisch beim Schwein erheblich höher.50 Dementsprechend lag der Erfassungspreis pro Kilogramm für Schlachtschweine im vom BKartA betrachteten Zeitraum 2001 bis 2010 stets mindestens knapp 20 % und höchstens gut 30 % über demjenigen für Schlachtsauen.51 Sauenfleisch wird fast ausschließlich in der Wurstherstellung eingesetzt, während Schweinefleisch in erheblichem Umfang auch als Frischfleisch verkauft wird.52 Wie das BKartA hat auch das OLG Düsseldorf als für die Marktabgrenzung maßgebliche Nachfrager die Landwirte und Erzeugergemeinschaften angesehen, die Sauen zur Schlachtung anbieten, also entsprechende Schlachtleistungen nachfragen.53 Das OLG hat die Preisunterscheide zwischen Schweine- und Sauenfleisch im Hinblick auf die Unterschiede in der Zusammensetzung dieser Fleischarten nicht als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung des relevanten Markts angesehen. Es hat sich vielmehr darauf gestützt, dass die Anbieter der Sauen sich nicht hinreichend flexibel auf das Angebot von Schweinen umstellen könnten und die auf die Schlachtung des einen Tieres ausgerichteten Schlachthöfe nicht als Abnehmer des jeweils anderen Schlacht-

46 Vgl. Presseinformation der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung vom 28.9.2015, abrufbar unter www.ble.de, Pressestelle. 47 BKartA v. 16.11.2011 – B2-36/11, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de, Fusionskon­ trolle, Fallberichte. 48 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris = WuW/E DE-R 4791. 49 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 35. 50 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 30. 51 Vgl. BKartA v. 16.11.2011 – B2-36/11, Rz. 68. 52 BKartA v. 16.11.2011 – B2-36/11, Rz. 5. 53 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 33, 38.

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tieres in Betracht kämen.54 Die Ausrichtung auf Ferkelproduktion oder Schweinemast ist eine betriebliche Systementscheidung, die nicht mit vertretbarem Aufwand kurzfristig geändert werden kann. Es erschien zwar nicht ausgeschlossen, dass bisher nur Schweine schlachtende Betriebe ihre Produktion mit geringem Aufwand technisch auch für die Schlachtung von Sauen einrichten konnten.55 Den bislang auf Schweineschlachtung ausgerichteten Betrieben fehlten jedoch wirtschaftliche Anreize, in die Sauenschlachtung einzusteigen. Einen erheblichen Abschreckungseffekt erkannte das OLG in dem begrenzten und zudem seit Jahren rückläufigen Angebot von Schlacht­ sauen. Insbesondere war wegen verschärfter gesetzlicher Anforderungen an die Haltung von Sauen mit einem weiteren erheblichen Rückgang der Sauenbestände in Deutschland zu rechnen. Hinzukam die sehr hohe Konzentration der Sauenschlachtung in Deutschland.56 Das OLG bestätigte daher die Beurteilung des Amtes, für das Fusionsvorhaben sei der „Markt für die Erfassung von Sauen zur Schlachtung“ maßgeblich.

VIII. Abschließende Betrachtung Der vorstehende Überblick zeigt, dass die Marktabgrenzung bei Lebensmitteln der Gefahr begegnen muss, durch die Annahme zu kleinteiliger Märkte wettbewerbspolitisch fragwürdige Ergebnisse zu erzielen, insbesondere wirtschaftlich sinnvolle Strukturveränderungen zu erschweren oder zu verhindern. Da bei Lebensmitteln stärker als bei anderen Produkten subjektiv wahrgenommene Kriterien wie Geschmack und Aroma erhebliche Bedeutung für die Marktabgrenzung gewinnen können, kann gerade hier auf eine wertende Betrachtung nicht verzichtet werden. Infolgedessen wird es dabei oft keine „richtige“ oder „falsche“ Bestimmung der relevanten Märkte geben können. Verfahrensfehlerfrei, insbesondere ohne methodische Fehler, werden häufig mehrere Ergebnisse gleichermaßen möglich sein. Unabhängig davon, ob es sich um Kartellzivil- oder Kartellverwaltungsverfahren handelt, hat unter diesen Umständen bei der Marktabgrenzung regelmäßig das Oberlandesgericht das letzte Wort. Eine fehlerfreie tatrichterliche Würdigung des Oberlandesgerichts bei der Marktabgrenzung kann beim BGH nicht mit der Begründung angegriffen werden, bei abweichender Beurteilung der Tatsachen (also hier beispielsweise Geschmack, Aroma …) hätte das Ergebnis anders lauten müssen. Allerdings kann eine enge Marktabgrenzung verfahrensökonomisch sinnvoll sein. Bestehen schon auf dem engen Markt keine wettbewerblichen Bedenken, bedarf es  keiner weitergehenden Prüfung.57 Ein Beispiel dafür ist der „Aquavit“-Fall des BKartA. Im Fall „Sauermilchkäse“ wurde die Untersagung des Zusammenschlusses dagegen tragend mit der Annahme eines sehr eng abgegrenzten Produktmarkts begründet. Auch wenn dieser Fall möglicherweise einen Grenzfall darstellt, war das Er54 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 31 ff. 55 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 40 bis 44. 56 OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VI-Kart 8/11 (V), juris, Rz. 51 bis 57. 57 Vgl. Ruppelt, WuW 2012, 27, 38.

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gebnis wohl noch hinnehmbar, weil die Wettbewerbsanalyse aller relevanten Faktoren der Annahme einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs infolge des Zusammenschlusses nicht entgegenstand.58 Naturgemäß leichter fällt die Marktabgrenzung, wo nicht auf weiche Kriterien wie Geschmack oder Aroma abzustellen ist, sondern „harte Faktoren“ wie die Systementscheidung eines Unternehmens für eine bestimmte Betriebsausrichtung oder die bestehende oder fehlende wirtschaftliche Attraktivität einer Produktionsumstellung maßgeblich sind. Ein Beispiel dafür ist die Unterscheidung der Märkte für die Schlachtung von Schweinen und Sauen, der allerdings einen gegenüber Frischfleisch von Schweinen oder Schweine- oder Sauenfleisch enthaltenden Lebensmitteln vorgelagerten Markt darstellt. Die Abhängigkeit der Marktabgrenzung bei Lebensmitteln von den zeitlich wechselnden Verzehrgewohnheiten und der Innovationsbereitschaft der Lebensmittelindustrie wird etwa daran deutlich, dass die seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angenommene Unterscheidung der Produktmärkte für Butter und Margarine mit der aus Verbrauchersicht wachsenden Austauschbarkeit von Milchprodukten mit Alternativprodukten aus rein pflanzlicher Erzeugung fraglich wird. So wird in der aktuellen Kommissionspraxis bereits erwogen, Joghurts und Desserts jeweils einheitlichen Märkten zuzuordnen, die sowohl tierische als auch pflanzliche Produkte enthalten. Mit zunehmender Verbreitung von „Dual-Usern“, die je nach subjektiv wahrgenommener Attraktivität des Angebots mal zum Bio-Produkt und mal zum Produkt aus konventioneller Erzeugung greifen, wird es auch zunehmend weniger naheliegen, bei der Nachfrage durch Verbraucher eigenständige Märkte für Bio-Produkte abzugrenzen. Ob vegane Lebensmittel jeweils einen eigenständigen Markt bilden, hängt davon ab, ob vegane Verbraucher als eigenständige Nachfragergruppe anzusehen sind. Das erscheint zwar nicht ausgeschlossen, ist aber jedenfalls hinsichtlich derjenigen Verbraucher zweifelhaft, die eine vegane Ernährung nicht aus religiösen oder medizinischen Gründen wählen (müssen), sondern aus ethischen Motiven (Tierwohl) oder als persönlichen Lebensstil praktizieren. Die Marktabgrenzung bei Lebensmitteln ist also ein vielseitiges Thema, das viele, wenn nicht alle im Kartellrecht bei der Bestimmung des relevanten Markts diskutierten Fragen in anschaulicher Weise aufwerfen kann. Dass auch der Jubilar seine Freude daran hat, sollte außer Frage stehen. Stoßen wir in diesem Sinne mit einem erlesenen deutschen Spätburgunder auf ihn an, der ihm niemals mit einem Bordeaux auf Basis von Merlot austauschbar erscheinen wird!

58 Bzw. der Verstärkung oder zumindest Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung, der Zusammenschluss wurde angemeldet, bevor Mitte 2013 das SIEC-Kriterium in § 36 Abs. 1 GWB eingeführt wurde.

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Komplementarität und Bewertungseinheit – Zur faktischen Unverjährbarkeit kartellrechtlicher Verfolgungsbefugnisse I. Einleitung II. Die Zusammenfassung mehrerer Einzeltaten zu einer Gesamttat im EU-Kartellrecht 1. Die Rechtsfigur der fortgesetzten ­Zuwiderhandlung im EU-Kartellrecht 2. Die Aufgabe des Komplementaritäts­ kriteriums a) Das ehemalige Kriterium der ­Komplementarität b) Die Aufgabe des Komplementaritätskriteriums 3. Kritik an der Rechtsanwendungspraxis a) Keine Rechtsgrundlage für die Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung b) Unzulässigkeit einer marktüber­ greifenden Zusammenfassung von Einzeltaten

c) Unzulässigkeit einer Zusammen­ fassung nicht-komplementärer ­Einzeltaten III. Die Zusammenfassung mehrerer Einzeltaten zu einer Gesamttat im deutschen Kartellrecht 1. Die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im deutschen Kartellrecht 2. Die Aufgabe der Rechtsfigur der fort­ gesetzten Handlung 3. Die Schaffung einer Ersatzdogmatik der Handlungs- und Bewertungseinheit 4. Kritik an der Rechtsanwendungspraxis IV. Fazit

I. Einleitung Die Europäisierung des deutschen Kartellrechts gilt regelmäßig als Leitmotiv nationaler Rechtsetzung2 und -durchsetzung3. Während die Beseitigung von Unterschieden zwischen europäischer und nationalen Kartellrechtsordnungen aus praktischer Sicht grundsätzliche Vorteile bietet, muss sich das nationale Recht zur Wahrung verfassungsrechtlicher Prinzipien erforderlichenfalls von europarechtlichen Rechtsfiguren lösen.4 Das gilt vor dem Hintergrund mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie in besonderem Maße für das nicht-harmonisierte Kartellverfahrensrecht. Hierfür bietet die vorrangig verjährungsrechtliche Frage der Zusammenfassung einzelner selbständig tatbestands­ 1 Der besondere Dank des Verfassers gilt Herrn wiss. Mit. Aurélien Hömann für die Unterstützung bei der Recherche und Vorbereitung des Beitrags. 2 S. zuletzt nur BT-Drucks. 18/10207, S. 40 (zur 9. GWB-Novelle), BT-Drucks. 17/9852, S. 1 (zur 8. GWB-Novelle), BT-Drucks. 16/5847, S. 12 und BT-Drucks. 16/7156, S. 11 (jeweils zur Preismissbrauchsnovelle) sowie BT-Drucks. 15/3640, S. 1 (zur 7. GWB-Novelle). 3 Vgl. Ost, JECLaP 2014, 125; Ost, NZKart 2013, 173; dazu Harnos, ZWeR 2016, 284. 4 Brettel/Thomas, WuW 2016, 336, 339; Klusmann in FS Canenbley, S. 291.

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erfüllender Kartellverstöße zu einer einheitlichen Gesamttat reichlich Anschauungsmaterial. Während sich der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Garantien bereits in den neunziger Jahren entschied, die Lehre des Fortsetzungszusammenhangs nach strafprozessualem Vorbild auch im Kartellverfahrensrecht aufzugeben,5 wurde die Rechtsfigur im europäischen Kartellverfahrensrecht nicht nur beibehalten,6 sondern im Laufe der Zeit sogar erheblich ausgeweitet.7 Eine solche Ausweitung ist zuletzt in den Entscheidungen des EuGH vom 26.1.20178 im sog. „Badezimmer“-Fall erfolgt, die Verfasser und Jubilar durch ihre Tätigkeit vor den Unionsgerichten verbinden. Die Rechtsfigur führt zu einer Verfolgung teilweise Jahrzehnte zurückliegender Verstöße auf EU-Ebene, die bei einer Einzelbetrachtung nach deutschem Verständnis entweder längst verjährt und/oder einer Zusammenfassung überhaupt nicht zugänglich gewesen wären, und damit zu einem problematischen Spannungsverhältnis zwischen europäischer und nationaler Kartellrechtsdurchsetzung. Letzteres gilt insbesondere vor dem Hintergrund inzwischen bestehender Verweisungsregeln, wie z.B. der schadensersatzrechtlichen Neuregelung in § 33b GWB n.F. Der verfassungsrechtlich gebotene Übergang zu einer Einzelbetrachtung im Sinne eines tatmehrheitlichen Verhältnisses der Einzeltaten zueinander wird im deutschen Kartellverfahrensrecht inzwischen durch die faktische Wiedereinführung der fortgesetzten Handlung konterkariert. Der Bundesgerichtshof hat eine Ersatzdogmatik entwickelt, wonach selbständige und „an sich“ tatbestandserfüllende Einzelakte zu einer sog. natürlichen Handlungseinheit oder tatbestandlichen Bewertungseinheit zusammengefasst werden können. Das sei insbesondere bei Vorliegen einer Grundabsprache der Fall, zu deren Ausführung weitere „dienende Absprachen“ getroffen werden.9 Zwar kann eine solche Regelung zu sachgerechten Ergebnissen führen; sie bewirkt aber in der Rechtsanwendungspraxis eine erhebliche Ausweitung der Verfolgbarkeit an sich nicht mehr erreichbarer Einzeltaten. Eine Rückkehr zur Systematik und Logik der Entscheidungen zur Aufgabe der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs ist daher dringend geboten.

II. Die Zusammenfassung mehrerer Einzeltaten zu einer Gesamttat im EU-Kartellrecht Im Ausgangspunkt weisen die deutschen und europarechtlichen Regelungen zur Verfolgungsverjährung im Kartellbußgeldverfahren erhebliche Gemeinsamkeiten auf. 5 BGH v. 19.12.1995  – KRB 32/95, WuW/E BGH 3043  – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit; BGH v. 19.12.1995 – KRB 33/95, WuW/E BGH 3057 – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit II; vgl. BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138 – Fortgesetzte Handlung. 6 Vgl. Art. 25 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 (wie auch schon Art. 1 Abs. 2 Satz 2 VO 2988/74). 7 Dazu Brei, NZKart 2017, 211 ff.; Seifert, Die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, S. 56–143 m.w.N. 8 Vgl. EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-614/13 P, Rz. 22–33 – Masco; Rs. C-609/13 P, Rz. 117–125, 137–139 – Duravit; Rs. C-625/13 P, Rz. 55–63, 163–168 – Villeroy & Boch; Rs. C-626/13 P, Rz. 60–70 – Villeroy & Boch Austria; Rs. C-642/13 P, Rz. 39, 54–64 – Villeroy & Boch Belgium. 9 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 26 – Grauzementkartell.

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Grundsätzlich gilt, dass die Befugnis der zuständigen Kartellbehörde zur Verfolgung der praktisch relevanten kartellrechtlichen Hardcore-Verstöße in fünf Jahren verjährt,10 während bei anderen Verstößen eine kürzere Verjährungsfrist von drei Jahren gilt.11 Die Verjährungsfrist beginnt regelmäßig mit Beendigung der Tat,12 wobei dem Unternehmen das Verhalten anderer Kartellbeteiligter aus verjährungsrechtlicher Sicht zugerechnet werden kann.13 Im Einzelnen bestehen aber auch insoweit große Abweichungen, die zu disparaten und im Einzelfall auch nicht sachgerechten Ergebnissen führen. Das betrifft vorrangig die Zusammenfassung von Einzelakten zu einer fortgesetzten Handlung. 1. Die Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung im EU-Kartellrecht Die Zusammenfassung von Einzelakten zu einer Gesamttat wird im europäischen Recht über die Rechtsfigur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung erreicht. Ihre Zulässigkeit wird trotz fehlender Legaldefinition im EU-Recht angesichts der ausdrücklichen Regelung des Verjährungsbeginns bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen in Art. 25 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 – wie auch schon in Art. 1 Abs. 2 Satz 2 VO 2988/74 – schlicht unterstellt.14 Die Rechtsfigur wurde ursprünglich geschaffen, um eine „gekünstelte“ Spaltung kontinuierlicher oder wiederholter Verhaltensweisen auf einem bestimmten Markt zu vermeiden, die „durch ein einziges Ziel gekennzeichnet“ sind.15 Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung soll daher eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder Maßnahmen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung zusammenfassen, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind.16 Eine solche Zusammenfassung setzt in ständiger Rechtsprechung voraus, dass (i)  ein Gesamtplan vorliegt, mit dem ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, (ii) das betroffene Unternehmen einen vorsätzlichen Beitrag zu diesem Plan leistet und (iii) bewiesen oder vermutet wird, dass das Unternehmen das rechtswidrige Verhalten der anderen Teilnehmer positiv kannte, oder vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Ge-

10 § 81 Abs. 8 Satz 2 GWB i.V.m. § 81 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GWB; Art. 25 Abs. 1 lit. b) VO 1/2003. Im EU-Kartellrecht gilt die fünfjährige Verjährungsfrist darüber hinaus für jeden materiell-rechtlichen Kartellverstoß. 11 § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG; Art. 25 Abs. 1 lit. a) VO 1/2003. 12 § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG; Art. 25 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003. 13 Böse in FK Kartellrecht, Art. 25 VO 1/2003 Rz. 6; Klusmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 55 Rz. 24 m.w.N. 14 Dazu Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 25 VO 1/2003 Rz. 12; Hellmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 46 Rz. 130. 15 EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-441/11 P, Rz. 41 – Verhuizingen Coppens; EuGH v. 7.1.2004 – verb. Rs. C-204/00 P et al., Slg. 2004 I-123, Rz. 258 – Aalborg Portland; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg, 1999, I-4125, Rz. 81 – Anic; EuG v. 15.7.2015 – Rs. T-418/10, Rz. 119 – voestalpine. 16 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rz. 195 – Montecatini.

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fahr auf sich zu nehmen.17 Hat sich ein Unternehmen dagegen an einer oder mehreren einzelnen Bestandteilen einer fortgesetzten Zuwiderhandlung unmittelbar beteiligt, ohne dass nachgewiesen wäre, das es durch sein Verhalten zur Erreichung anderer, von anderen Kartellbeteiligten verfolgter gemeinsamer Ziele beitragen wollte und von dem übrigen Verhalten wusste oder dies vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen, kann ein Unternehmen insoweit nicht zur kartellrechtlichen Verantwortung gezogen werden.18 Die Entwicklung der Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung ist ein typisches Beispiel für die im EU-Kartellrecht häufig zu beobachtende Neigung eines Grundsatzes, sich im Laufe der Zeit bis zu den Grenzen der eigenen Logik – und darüber hinaus – auszuweiten.19 Sie ermöglicht die Verfolgung teilweise Jahrzehnte zurückliegender Kartellverstöße und die darauf aufsetzende Verhängung korrespondierend hoher Bußgelder nach den Bußgeldleitlinien, die vor allem auf die dann lange Verstoßdauer abstellen.20 Angesichts dieser gravierenden täternachteiligen Folgen hätten konkrete Kriterien für das Vorliegen einer fortgesetzten Zuwiderhandlung gefunden werden müssen. Eine in diesem Sinne konsequente und nachvollziehbare Entscheidungspraxis ist aber nicht entwickelt worden.21 Vielmehr erlaubt die Rechtsfigur in ihrer heutigen Form eine beliebige Zusammenfassung von einzelnen Zuwiderhandlungen, die verschiedene Produkte22 betreffen, auf verschiedenen räumlichen Märkten23 stattfinden und von unterschiedlichen Beteiligten24 begangen werden können. Selbst Handlungen außerhalb des eigenen geschäftlichen Tätigkeitsfelds werden zugerechnet.25 Zeitlich soll sogar eine zweijährige Unterbrechung der Tathandlungen einer fortge17 EuGH v. 11.7.2013 – Rs. C-444/11 P, Rz. 51, 53 – Team Relocations; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg,  1999, I-4125, Rz.  83  – Anic; EuG v. 15.7.2015  – Rs. T-418/10, Rz.  120  – voestalpine. 18 EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-441/11 P, Rz. 44 –Verhuizingen Coppens. 19 Joshua, ECJ 2009, 451 mit Verweis auf Cardozo, The Nature of the Judicial Process, Lecture II. The Methods of History, Tradition and Sociology (1921), S. 51 („tendency of a principle to expand itself to the limit of its logic”). 20 Vgl. EuG v. 17.5.2016 – verb. Rs. T-147/09 und T-148/09, Rz. 88–95 – Trelleborg. Die Entscheidung bestätigt Bußgelder für zusammengefasste Einzelhandlungen, die bis auf das Jahr 1986 zurückgehen. S. zur korrespondierenden Kommissionsentscheidung in Sachen Marineschläuche: Meyring, WuW 2010, 157, 159. 21 Vgl. Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 23 VO  1/2003 Rz.  82; Meyring, WuW 2010, 157, 162–165; Seifert, ECLR 2008, 546 (jeweils m.w.N.). 22 Kommission v. 30.10.2002 – COMP/35.587, COMP/35.706 und COMP/36.321, ABl. Nr. L 255 v. 8.10.2003, S. 33, Rz. 15 ff. – Nintendo; vgl. dagegen EuG v. 13.9.2013 – Rs. T-566/08, Rz. 272 – Total Raffinage Marketing (auf vertikal verbundene Märkte beschränkt, wenn und „weil die Vereinbarung hinsichtlich des Ausgangsmaterials da­rauf abzielte, die Hauptvereinbarung betreffend die hergestellten Erzeugnisse zu stärken“). 23 Kommission v. 27.11.2002 – COMP/E-1/37.152, ABl. Nr. L 166 v. 28.6.2005, S. 8, Rz. 8 – Gipsplatten. 24 Kommission v. 15.10.2008 – COMP/39.188, Rz. 257 f., 476 – Bananen. 25 EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-626/13 P, Rz. 67 – Villeroy & Boch Austria/Kommission; Dannecker/​Biermann in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 23 VO 1/2003 Rz. 82 m.w.N.

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setzten Zuwiderhandlung nicht entgegenstehen.26 Umgekehrt wurden in anderen Fällen ohne ersichtlichen Grund mehrere separate Zuwiderhandlungen angenommen und auf dieser Grundlage separate Geldbußen verhängt, die sich jeweils innerhalb der durch Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 festgesetzten Grenzen bewegen konnten.27 Der resultierende Mangel an Nachvollziehbarkeit und Konsequenz der Rechtsanwendung führt selbst in parallelen Verfahren mitunter zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen, wie z.B. im „Badezimmer“-Fall.28 2. Die Aufgabe des Komplementaritätskriteriums Die Vermeidung einer rechtlichen Zusammenfassung tatsächlich unverbundener Handlungen sollte in der richterrechtlichen Dogmatik zur fortgesetzten Handlung im EU-Recht zunächst durch das Kriterium der Komplementarität erfolgen. Handlungen sollten nicht ohne weiteres zu einem einzigen Verstoß zusammengefasst werden können, sondern nur, wenn eine Interaktion dieser Einzeltaten zur Verwirklichung des Gesamtplans erforderlich war (sog. Komplementarität).29 Diese Voraussetzung war bereits in den jeweiligen Ausgangsentscheidungen der Kommission zur fortgesetzten Zuwiderhandlung angelegt, die eine Zusammenfassung einzelner Verhaltensweisen davon abhängig machten, dass sie sich gegenseitig „ergänzten“ oder „flankierten“.30 Das Kriterium gewann in der späteren Entscheidungspraxis zunehmend an 26 EuG v. 17.5.2016 – verb. Rs. T-147/09 und T-148/09, Rz. 88–95 – Trelleborg/Kommission; Kommission v. 28.1.2009  – COMP/39.406, Rz.  295  – Marineschläuche; dazu Meyring, WuW 2010, 157. 27 Vgl. EuG v. 27.6.2012 – Rs. T-439/07, Rz. 145 f. – Coats Holding; Kommission v. 9.7.2014 – AT.39612 – Perindopril (Servier), in der die Kommission pro bilaterale Absprache eine Zuwiderhandlung angenommen hat und die jeweiligen Bußgelder daher separat berechnete, während ein einziger Machtmissbrauch vorgelegen habe (vgl. Klage, eingereicht am 21.9.2014 – Rs. T-691/14, ABl. EU Nr. C 462 v. 22.12.2014, S. 25 13. Klagegrund – Servier et al). 28 Vgl. Schlussanträge GA Wathelet v. 26.11.2015 – Rs. C-613/13 P, C-609/13 P, C-625/13 P, C-636/13 P und C-644/13 P, Rz. 97 – Badezimmerausstattungen. 29 S. dazu insbesondere die st. Rspr. des EuG, Urteile v. 13.9.2013 – Rs. T-566/08, Rz. 267 – Total Raffinage Marketing; v. 18.6.2013 – Rs. T-406/08, Rz. 104 – ICF; v. 27.6.2012 – Rs. T-445/07, Rz. 91 – Berning & Söhne; v. 27.6.2012 – Rs. T-439/07, Rz. 144 – Coats Holding; v. 24.3.2011 – Rs. T-385/06, Slg. 2011, II-1223, Rz. 88 – Aalberts Industries; v. 1.7.2010 – Rs. T-321/05, Slg. 2010, II-2805, Rz. 892 – AstraZeneca; v. 28.4.2010 – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz. 92 – Amann & Söhne; v. 8.7.2008 – Rs. T-53/03, Slg. 2008, II-1333, Rz. 254 – BPB; v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 f. – BASF ; vgl. auch EuGH v. 9.3.2017 – Rs. C-615/15 P, Rz. 20 f. – Samsung SDI („In addition, (…) the General Court noted that there was a link of complementarity between the various instances of conduct in question and that they formed part of an overall plan, with the result that the Commission was entitled to characterise them as a single infringement.“); Kommission v. 9.7.2014 – Rs. AT.39612, Rz. 2794 f. – Perindopril (Servier) (zu Art. 102 AEUV). 30 Vgl. EuG v. 10.3.1992 – Rs. T-10/89, Slg. 1992, II-629, Rz. 68, 255, 283 – Hoechst; EuG v. 17.12.1991 – Rs. T-7/89, Slg. 1991, II-1711, Rz. 235 – Hercules Chemicals; EuG v. 24.10.1991 – Rs. T-4/89, Rz. 213, 252 – BASF; EuG v. 24.10.1991 – Rs. T-2/89, Slg. 1991, II-1087, Rz. 187 – Petrofina; Kommission v. 30.11.1994 – Rs. IV/33.126 und 33.322, Rz. 46.1 f., 61.5 – Zement; Kommission v. 23.4.1986 – Rs. IV/31.149, ABl. Nr. L 230 v. 18.8.1986, S. 1, Rz. 82 – Poly­

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Kontur und fand seine detaillierteste Ausprägung in den BASF-Grundsätzen und den darauf aufbauenden Entscheidungen (dazu sogleich bei a)). Eine Auswertung dieser Entscheidungspraxis ergibt, dass die Anwendung des Komplementaritätskriteriums zu durchaus differenzierten Ergebnissen hinsichtlich des Vorliegens einer einheitlichen (Gesamt-)Zuwiderhandlung geführt hat.31 a) Das ehemalige Kriterium der Komplementarität Die rechtliche Zusammenfassung von Einzeltaten zu einer Gesamttat setzt die Verfolgung eines „gemeinsamen Ziels“ voraus (s. oben). Ein gemeinsames Ziel in diesem Sinne ist nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen.32 Ein „allgemeine(r) Verweis auf die Verzerrung des Wettbewerbs“ reicht aber für diese Annahme nicht aus, „da die Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Ziel oder Wirkung jedem von Art. 81 Abs. 1 EG erfassten Verhalten eigen“ ist.33 Eine derart weite und abstrakte Definition des Begriffs des „gemeinsamen Ziels“ hätte zur Folge, dass der Begriff der einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung seines Sinnes enthoben wäre. Mehrere, einen Wirtschaftssektor betreffende Zuwiderhandlungen müssten dann immer als Bestandteile einer einzigen Zuwiderhandlung verstanden werden.34 Letztlich könnten aber auch sektorübergreifende Einzelhandlungen zu einem Kartellverstoß zusammengezogen werden, wenn sie nur auf ein einheitliches Ziel – z.B. das der Durchsetzung höherer Preise – gerichtet wären. Die Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung setzte nach den sog. „BASF“-­ Grundsätzen daher voraus, dass die fraglichen Verhaltensweisen zueinander komplementär sind.35 Komplementäre Einzelhandlungen sollen vorliegen, wenn jede von ihnen „eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen sollte und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beitrug, propylen; Kommission v. 17.12.1980 – Rs. IV/29.869, ABl. Nr. L 383 v. 31.12.1980, S. 19, 25 – Gußglas in Italien. 31 Vgl. EuG v. 27.2.2014 – Rs. T-128/11, Rz. 227 ff. – LG Display; EuG v. 6.2.2014 – Rs. T-27/10, Rz. 256 – AC Treuhand II; EuG v. 28.4.2010 – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz. 92, 106 – Amann & Söhne; EuG v. 12.12.2007 – Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 ff., 208 ff. – BASF; Kommission v. 11.11.2009 – COMP/38.589, Rz. 396 f. – Wärmestabilisatoren. 32 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 – BASF. 33 EuGH v. 11.7.2013  – Rs. C-444/11 P, Rz.  57  – Team Relocations; EuG v. 8.9.2016  – Rs. T-467/13, Rz.  384  – Arrow; EuG v.  23.1.2014  – Rs. T-395/09, Rz.  103  – Gigaset; EuG v. 12.12.2012 – Rs. T-410/09, Rz. 154 – Almamet; EuG v. 28.4.2010 – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz. 92 – Amann & Söhne; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 180 – BASF. 34 EuG v. 18.6.2013 – Rs. T-406/08, Rz. 104 – ICF; EuG v. 16.6.2011 – verb. Rs. T-204/08 und T-212/08, Rz. 40 – Team Relocations; EuG v. 28.4.2010 – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz. 92 – Amann & Söhne; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 180 – BASF. 35 EuG v. 27.6.2012 – Rs. T-445/07, Rz. 91 – Berning & Söhne; EuG v. 1.7.2010 – Rs. T-321/05, Slg. 2010, II-2805, Rz. 892 – AstraZeneca; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz.  181 – BASF.

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die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einziges Ziel gerichteten Gesamtplans anstrebten“36. Insoweit seien alle Umstände zu berücksichtigen, die eine solche Verbindung einerseits nachweisen und andererseits in Frage stellen könnten (z.B. der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und das Ziel der fraglichen Handlungen).37 Das Verhältnis der Komplementarität sollte sich nicht auf die betreffenden Produkte und Dienstleistungen beziehen, sondern auf die betreffenden jeweiligen Einzelverstöße zur Erreichung eines gemeinsamen wettbewerbswidrigen Ziels.38 Komplementäre Einzelverstöße wurden z.B. angenommen, wenn die Beteiligten mit den Einzeltaten das langfristige Ziel verfolgten, einen EWR-Markt mittels Kundenzuteilung aufzuteilen.39 Die Abgabe von Schutzangeboten und ein Provisionssystem zum Ausgleich für nicht erhaltene Zuschläge wurden als komplementär eingestuft, wenn sie als wesentliche Bestandteile einer konkreten Kundenaufteilung angesehen werden konnten.40 Auch Output-Beschränkungen wurden als komplementär zu Preisabsprachen auf einem nachgelagerten Markt angesehen, wenn und soweit die Preiserhöhungen auf dem nachgelagerten Markt nach dem Gesamtplan der vertikal integrierten Kartellbeteiligten mit ebendieser Rohstoffknappheit begründet werden sollten.41 Dagegen sollte keine Komplementarität der einzelnen Verhaltensweisen vorgelegen haben, wenn eine Zuwiderhandlung auch ohne parallele Zuwiderhandlung auf dem anderen Markt einen Nutzen gehabt hätte.42 Denn dann habe es an einem die Einzelverstöße umfassenden Gesamtplan gefehlt, der eine „Interaktion zur Verwirklichung“ der einzelnen Zuwiderhandlungen erforderlich gemacht hätte.43 Einzelne Zuwiderhandlungen wurden daher nicht für komplementär befunden, wenn sie sachlich „eigenständig“ waren, sie also für sich betrachtet nützlich gewesen wären und nicht nur als Vollzugsakt eines Gesamtplans Bedeutung hatten.44 Auch das bloße parallele „Ziel“ einer Preiserhöhung in mehreren nationalen Einzelmärkten reichte für sich nicht für die Annahme einer Komplementaritätsverbindung aus.45 Mit entsprechender Begründung stand eine zeitliche Inkongruenz der Einzeltaten einer Komplementaritätsverbindung entgegen. Denn dann war die eine Zuwiderhandlung begründen36 EuG v. 13.9.2013 – Rs. T-566/08, Rz. 267 – Total Raffinage Marketing; EuG v. 18.6.2013 – Rs. T-406/08, Rz. 104 – ICF; EuG v. 27.6.2012 – Rs. T-445/07, Rz. 91 – Berning & Söhne; EuG v. 24.3.2011 – Rs. T-385/06, Slg. 2011, II-1223, Rz. 88 – Aalberts Industries; EuG v. 1.7.2010 – Rs. T-321/05, Slg. 2010, II-2805, Rz. 892 – AstraZeneca; EuG v. 28.4.2010 – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz. 92 – Amann & Söhne; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 – BASF. 37 EuG v. 15.12.2016 – Rs. T-758/14, Rz. 217 – Infineon; EuG v. 9.9.2015 – Rs. T-84/13, Rz. 44 – Samsung SDI; EuG v. 24.3.2011  – Rs. T-385/06, Slg. 2011, II-1223, Rz.  88  – Aalberts In­ dustries; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 181 – BASF. 38 Kommission v. 11.11.2009 – COMP/38.589, Rz. 397 – Wärmestabilisatoren. 39 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 208 f. – BASF. 40 EuG v. 16.6.2011 – verb. Rs. T-204/08 und T-212/08, Rz. 43–45 – Team Relocations. 41 EuG v. 13.9.2013 – Rs. T-566/08, Rz. 279, 284 f. – Total Raffinage Marketing. 42 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 183 – BASF. 43 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 – BASF. 44 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 185 f. – BASF. 45 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 208 – BASF.

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de Verhaltensweise unabhängig von der anderen möglich. Daher konnte eine noch praktizierte Zuwiderhandlung z.B. nicht Vollzugshandlung einer bereits beendeten, anderen Zuwiderhandlung sein.46 b) Die Aufgabe des Komplementaritätskriteriums Der EuGH hat sich im „Badezimmer“-Fall von diesen Grundsätzen abgewendet. Die Kommission hatte am 23.6.2010 Bußgelder gegen 17 Unternehmen der Badezimmer­ ausstattungsbranche verhängt, weil sich diese zwischen 1992 und 2004 an einem „Bündel“ wettbewerbswidriger Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen beteiligt hätten, die diverse Produkte (Armaturen, Duschabtrennungen und keramische Produkte) in sechs verschiedenen Mitgliedstaaten betrafen.47 Die Entscheidung führte zu einer marktübergreifenden Zusammenfassung nicht-komplementärer Einzeltaten. Nach Ansicht der Kommission sollte keine Verpflichtung oder Anlass zu einer genauen Marktabgrenzung bestehen, oder auch nur zur Berücksichtigung der eigenen, differenzierteren Entscheidungspraxis in Fusionskontrollverfahren.48 Der Kommission gelang in casu auch kein überzeugender Nachweis der Komplementarität zwischen den einzelnen Verhaltensweisen. Nachdem das EuG die Ausführungen der Kommission aber aufrechterhalten hatte,49 schaffte der EuGH das Komplementaritätskriterium – mit Verweis auf seine gleichgerichtete Siemens-Entscheidung – kurzerhand ab.50 Es solle im Rahmen des „gemeinsamen Ziels“ nicht mehr – positiv – zu prüfen sein, ob die Einzelakte insofern in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander stünden, als „jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einheitliches Ziel gerichteten Gesamtplans anstreben“51. Vielmehr sei lediglich – negativ – festzustellen, dass es „keine“ die verschiedenen Verhaltensweisen „kennzeichnenden Gesichtspunkte“ gebe, die „darauf hindeuten könnten, dass die von anderen beteiligten Unternehmen vorgenommenen Handlungen nicht das gleiche Ziel oder die gleiche wettbewerbswidrige Wirkung haben und sich daher nicht wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts in einen ‚Gesamtplan‘ einfügen“52. Zugleich erklärte der EuGH, das Kartellverbot erfasse „alle Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die (…) den Wett46 EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 185 – BASF. 47 Kommission v. 23.6.2010 – COMP/39.092 – Badezimmerausstattungen. 48 Kommission v. 23.6.2010 – COMP/39.092, Rz. 891 – Badezimmerausstattungen. 49 So verkennen EuG und Kommission wiederholt, dass es nicht auf eine Komplementaritätsverbindung zwischen den Produkten ankommt, sondern auf eine solche der einzelnen Tathandlungen; vgl. EuG v. 16.9.2013 – Rs. T-378/10, Rz. 67 – Masco, v. 16.9.2013 – verb. Rs. T-373/10 et al., Rz. 67, 69 – Villeroy & Boch et al. 50 EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-625/13 P, Rz. 58 – Villeroy & Boch mit Verweis auf EuGH v. 19.12.2013 – verb. Rs. C-239/11 P et al., Rz. 247, 248 – Siemens. 51 EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-625/13 P, Rz. 58 – Villeroy & Boch. 52 EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-626/13 P, Rz. 63 – Villeroy & Boch Austria; EuGH v. 19.12.2013 – verb. Rs. C-239/11 P et al., Rz. 248 – Siemens; vgl. noch EuG v. 16.9.2013 – Rs. T-373/10 et al., Rz. 61–67 – Villeroy & Boch.

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bewerb im Binnenmarkt verfälschen, unabhängig davon, auf welchem Markt die Parteien tätig sind, und unabhängig davon, dass nur das Geschäftsverhalten einer der Parteien durch die Bedingungen der in Rede stehenden Vereinbarungen betroffen ist“53. Damit bestätigte er die Kommission in ihrer marktübergreifenden Zusammenfassung nicht-komplementärer Einzeltaten. 3. Kritik an der Rechtsanwendungspraxis Die neue Entscheidungslinie führt zu unübersehbaren, verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden sanktionsrechtlichen Haftungsrisiken für die betroffenen Unternehmen. Es fehlt eine nachvollziehbare rechtliche Grundlage. Jedenfalls dürfte eine marktübergreifende Zusammenfassung nicht-komplementärer Einzeltaten unzulässig sein. a) Keine Rechtsgrundlage für die Rechtsfigur der fortgesetzten ­Zuwiderhandlung Die Verhängung eines Bußgelds auf der Grundlage der Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung sieht sich bereits grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt. Sie entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.54 Die Erwähnung der „dauernden oder fort­ gesetzten Zuwiderhandlung“ im Rahmen der sekundärrechtlichen Regelung der Verfolgungsverjährung in Art.  25 VO  1/2003 genügt nicht als Rechtsgrundlage zur Bestimmung einer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen das materielle Primärrecht. Aus den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten folgt entgegen den Annahmen des Gerichtshofs nichts Gegenteiliges.55 Aus den zitierten Urteilen geht schon nicht hervor, worauf sich die Behauptung einer solchen gemeinsamen Rechtstradition stützt. Jedenfalls wäre aber fast zwanzig Jahre nach den zitierten Urteilen des EuGH – und dem EU-Beitritt von dreizehn weiteren Mitgliedstaaten – wohl eine erneute Überprüfung erforderlich gewesen, die nicht stattgefunden hat.56 Dass sich als Ergebnis einer solchen Überprüfung tatsächlich eine entsprechende Rechtstradition der Mitgliedstaaten ergeben würde, darf schon angesichts der Aufgabe der Rechtsfigur im deutschen Kartellrecht und ihrer in viele andere Rechtsordnungen übertragbaren Begründung bezweifelt werden.57 Selbst wenn man die grundsätzliche Ver­ einbarkeit einer Auslegung der Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der fortgesetzten Zuwiderhandlung mit dem Primärrecht unterstellen wollte (quod non), so über-

53 EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-625/13 P, Rz. 59 – Villeroy & Boch mit Verweis auf EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 35 – AC Treuhand II. 54 S. Brei, NZKart 2017, 211, 214 ff. 55 Vgl. aber EuGH v. 8.7.1999  – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz.  84  – Anic; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rz. 194 f. – Montecatini. 56 So bereits die ihrerseits elf Jahre zurückliegende Forderung von Dreher, ZWeR 2007, 276, 289. 57 Ibid. Zur Aufgabe der Rechtsfigur im deutschen Straf- und Kartellrecht s. unten, Abschnitt III. 2.

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schreitet jedenfalls die systematische, marktübergreifende Zusammenfassung nicht-­ komplementärer Einzelhandlungen die Grenzen zulässiger Rechtsauslegung. b) Unzulässigkeit einer marktübergreifenden Zusammenfassung von ­Einzeltaten Die Verknüpfung mehrerer Zuwiderhandlungen auf verschiedenen sachlich und räumlich relevanten Märkten ist grundsätzlich unzulässig. Ein marktunabhängiges, „frei schwebendes“ Gesamtkartell kann es ohne eine subjektive Verbindung der Tathandlungen nicht geben. Nach Art. 101 AEUV ist eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs verboten. Wettbewerb besteht aber immer nur auf einem bestimmten Markt. Die fraglichen Verhaltensweisen müssen „zumindest geeignet sein, einen auf dem Markt grundsätzlich vorhandenen Wettbewerbsdruck (…) zu beseitigen“58. Es entspricht daher sowohl der Rechtsprechung der Unionsgerichte als auch den Leitlinien und Bekanntmachungen der Kommission, dass der Prüfung einer Wettbewerbsbeschränkung eine Marktabgrenzung vorauszugehen hat. Der EuGH hat Wettbewerbsbeschränkungen als Maßnahmen definiert, die es bezwecken oder bewirken, dass „Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen“59. Diese zutreffende Definition kann denkgesetzlich nicht angewendet werden, wenn nicht zuvor der relevante Markt abgegrenzt wird. Daher hat der EuGH die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung ursprünglich nur insoweit anerkannt, als sie sich auf den Vorwurf einer Zuwiderhandlung auf einem bestimmten, zuvor abgegrenzten Markt bezieht.60 Das EuG folgte dieser Linie, indem es die Kommission für verpflichtet hielt, bei der Anwendung der Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung die Märkte exakt abzugrenzen, um eine Haftung für Zuwiderhandlungen auf Märkten zu verhindern, an denen das betroffene Unternehmen überhaupt nicht beteiligt sein konnte.61 Da eine derartige Entscheidung erhebliche Folgen für die Beziehungen betroffener Unternehmen sowohl zur Verwaltung als auch zu Dritten haben könne, habe die Kommission „den oder die relevanten Märkte zu prüfen“ und in den Gründen der Entscheidung zur Sanktionierung der Zuwiderhandlung „genau genug zu bestimmen, um die Funktionsweise des Marktes, auf dem der Wettbewerb verfälscht wird, zu erfassen und gleichzeitig den wesentlichen Anforderungen der Rechtssicherheit zu genügen“62. Schließlich geht die Kommission selbst in ihren einschlägigen Leitlinien und Bekanntmachungen von der Notwendigkeit einer Abgrenzung des relevanten Marktes bei der Anwendung des Art. 101 AEUV aus. Nach der Bekanntmachung zur Defini58 GA Wahl, Schlussanträge v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 50 – AC Treuhand II (Hervorh. d. Verf.). 59 EuGH v. 25.5.1998 – Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111, Rz. 87 – Deere (Hervorh. d. Verf.); GA Wahl, Schlussanträge v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 48 f. m.w.N. – AC Treuhand II. 60 EuGH v. 28.2.1991 – Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935, Rz. 16 – Delimitis/Henninger Bräu. 61 EuG v. 11.12.2003 – Rs. T-61/99, Slg. 2003, II-5349, Rz. 32 – Adriatica di Navigazione. 62 Ibid.

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tion des relevanten Marktes dient die Marktdefinition „der genauen Abgrenzung des Gebietes, auf dem Unternehmen miteinander in Wettbewerb stehen“ und den „Rahmen“ festlegt, „innerhalb dessen die Kommission das Wettbewerbsrecht anwendet“63. Die Kommission überschreitet mit ihrer marktübergreifenden Zusammenfassung von Einzeltaten unabhängig von einer Abgrenzung des relevanten Marktes daher den selbst gesetzten und für sie verbindlichen Rahmen und verstößt damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie von den geschilderten Prinzipien im Einzelfall ohne Angabe von Gründen abweicht.64 Solche Gründe sind hier weder ersichtlich noch überhaupt denkbar, da das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung naturgemäß die Ermittlung bestehenden Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt voraussetzt65 und eine genaue Abgrenzung des relevanten Marktes insoweit allenfalls dann unterbleiben kann, wenn die zu beurteilende Verhaltensweise ein einzelnes Produkt und Gebiet betrifft.66 Die erweiterte Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung vermag aber nach derzeitiger Entscheidungspraxis Verhaltensweisen auf einer beliebigen, im Badezimmer-Kartell z.B. zweistelligen, Anzahl unterschiedlicher sachlich und räumlich relevanter Märkte zu einer einzigen Zuwiderhandlung zusammenzufassen, ohne dass die Kommission überhaupt zu einer Abgrenzung der relevanten Märkte verpflichtet wäre.67 Eine marktübergreifende Zusammenfassung von Einzeltaten will die Kommission im Gegenteil sogar in Widerspruch zu ihrer entgegen­ stehenden eigenen Entscheidungspraxis zu den betroffenen Märkten vornehmen können.68 Die Logik der Argumentation geht verloren, wenn das EuG in Sachen ­Badezimmerausstattungen sogar meint, die Feststellung des Vorliegens einer einheitlichen Zuwiderhandlung setze im Gegenteil „per definitionem“ voraus, dass die fraglichen Verhaltensweisen verschiedene Waren und Dienstleistungen oder Gebiete beträfen.69 Es ist nicht klar, auf welche Definition sich das EuG insoweit berufen will. Wenn sich ein Unternehmen aber schon objektiv nicht an einem Kartell beteiligen kann, wenn und weil es weder auf dem sachlich und räumlich relevanten noch auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig ist,70 so scheidet eine Verklammerung und Zurechnung fremder Kartelltaten aufgrund einer – insoweit unterstellten – blo63 Bekanntmachung zur Definition des relevanten Marktes, ABl. EG Nr. C 372 v. 9.12.1997, S. 5, Rz. 2; vgl. auch Bußgeldleitlinien, ABl. EU Nr. C 210 v. 1.9.2006, S. 2, Rz. 13. 64 Dreher, ZWeR 2007, 276, 298; zur Bindung der Verwaltung auch EuGH v. 28.6.2005 – verb. Rs. C-189/02 P et al., Slg. 2005, I-5425, Rz. 209 – Dansk Rørindustri; EuGH v. 15.1.2002 – Rs. C-171/00 P, Slg. 2002, I-451 – Libéros; EuG v. 3.4.2003 – Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433, Rz. 242 – Royal Philips; EuG v. 18.7.2005 – Rs. T-241/01, Slg. 2005, II-2917, Rz. 64 – Scandinavian Airlines System; allgemein zur Selbstbindung der Kommission: Thomas, EuR 2009, 423, 426 f. 65 Ausführlich hierzu GA Wahl v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 48 ff. – AC Treuhand II. 66 Vgl. EuG v. 14.5.1998 – Rs. T-348/94, Slg. 1998, II-1875, Rz. 232 – Enso Española. 67 Kommission v. 23.6.2010 – COMP/39.092, Rz. 891 – Badezimmerausstattungen. 68 Vgl. Kommission v. 1.12.1999 – IV/M.1578, Rz. 43, 115 – Sanitec/Sphinx (separate nationale Märkte für Duschabtrennungen); Kommission v. 23.6.2010  – COMP/39.092, ABl. EU Nr. C 348 v. 29.11.2011, S. 12, Rz. 1 – Badezimmerausstattungen (Gesamtmarkt für Badezimmerausstattungen, der mehrere Mitgliedstaaten umfasst). 69 Vgl. EuG v. 16.9.2013 – Rs. T-378/10, Rz. 67 – Masco. 70 So zutr. GA Wahl, Schlussanträge v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 53–55, 65 – AC Treuhand II.

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ßen Kenntnis solcher Kartelltaten a maiore ad minus aus. Mangels eigenen Tatbeitrags ist in solchen Konstellationen auch die denkbare Ausnahme der Beihilfe durch einen branchenfremden Dritten als „Facilitator“ eines Kartells nicht argumentierbar.71 Es ist logisch nicht naheliegend anzunehmen, dass und warum ein Unternehmen einen relevanten Willen hinsichtlich etwaiger Beschränkungen des Wettbewerbs auf Fremdmärkten bilden sollte.72 Einen entsprechenden Willen unterstellt (quod non), wäre eine derart „gewollte“ Kartellbeteiligung auf einem Fremdmarkt ein bloßes „Wahndelikt“, das nach allgemeinen Grundsätzen nicht zur Sanktionierung führen kann.73 Die Zurechnung fremder Kartelltaten auf Drittmärkten muss damit erst recht ausscheiden, wenn sich das betroffene Unternehmen nicht einmal in Kenntnis der Zuwiderhandlung befand. Denn es ist für ein betroffenes Unternehmen mit Blick auf den „impossibilium nulla est obligatio“-Grundsatz unmöglich, eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellrecht zu vermeiden oder sich ggf. von ihr zu distanzieren, die sie nicht kennt und/oder die ihr eigenes geschäftliches Handeln nicht betrifft. Eine Sanktionierung kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Zuwiderhandlung für den Sanktionsadressaten vermeidbar war.74 Aus diesem Grund haben die Unionsgerichte in der Vergangenheit auch bereits Entscheidungen der Kommission für (teilweise) nichtig erklärt, weil der Sanktionsadressat nicht vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass sich Einzelverstöße unter seiner Beteiligung auf einem (z.B. nationalen) Markt in eine umfassendere (z.B. europaweite) Zuwiderhandlung einfügten.75 c) Unzulässigkeit einer Zusammenfassung nicht-komplementärer Einzeltaten Auch die Verbindung nicht-komplementärer Verhaltensweisen zu einer Gesamttat begegnet erheblichen Bedenken. Eine solche Verbindung hätte die systematische Annahme einer Gesamtzuwiderhandlung bei Verhaltensweisen zur Folge, die denselben Wirtschaftssektor betreffen, obwohl sie für sich eigenständig und für die übrigen Verhaltensweisen nutzlos sind. Eine solche systematische Annahme sollte das Komplementaritätskriterium nach den BASF-Grundsätzen gerade verhindern (s. oben). Die Kommission stellte selbst fest, dass die Zuordnung einzelner Verhaltensweisen zur selben Industrie als solche grundsätzlich nur den – formellen – Erlass einer einzigen Entscheidung zu unterschiedlichen Zuwiderhandlungen zu rechtfertigen vermag, 71 Zu einem Fall der Mittäterschaft ohne Wettbewerbereigenschaft s. EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 30 – AC Treuhand II; EuG v. 8.7.2008 – Rs. T-99/04, Slg. 2008, II-1501, Rz. 133, 151 – AC Treuhand; dagegen GA Wahl, Schlussanträge v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 83 f. – AC Treuhand II. 72 So auch Wessely, CMLR 2001, 739, 763 f. 73 GA Wahl, Schlussanträge v. 21.5.2015 – Rs. C-194/14 P, Rz. 70 – AC Treuhand II; Dreher, ZWeR 2007, 276, 295. 74 Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, S. 16 m.w.N. 75 EuG v. 15.7.2015 – Rs. T-422/10, Rz. 108 f. – Trafilerie Meridionali; EuG v. 16.11.2011 – Rs. T-59/06, Rz.  70  f.  – Low & Bonar; EuG v. 24.3.2011  – Rs. T-385/06, Slg. 2011, II-1223, Rz. 117 – Aalberts Industries; EuG v. 20.3.2002 – Rs. T-28/99, Slg. 2002, II-1845, Rz. 51 f. – Sigma Technologies; EuG v. 14.5.1998 – Rs. T-295/94, Slg. 1998, II-813, Rz. 122 f. – Buchmann.

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nicht dagegen eine automatische – materielle – Zusammenfassung dieser Zuwiderhandlungen zu einer Gesamttat, und zwar selbst dann nicht, wenn zwischen den separaten Zuwiderhandlungen gewisse Verbindungen bestehen oder demselben Verhaltensmuster gefolgt wird.76 Nachdem die Annahme einer fortgesetzten Zuwiderhandlung schon vor Aufgabe des differenzierenden Kriteriums der Komplementarität den Regelfall bildete,77 erscheint nunmehr aber höchst zweifelhaft, ob sich Unternehmen noch erfolgreich gegen den Vorwurf einer Gesamtzuwiderhandlung verteidigen können. Die Kommission soll sich nämlich mit der Feststellung begnügen können, dass es keine die Einzeltaten kennzeichnenden Gesichtspunkte gibt, die auf ein anderes Ziel oder eine andere wettbewerbswidrige Wirkung schließen lassen und sich daher nicht in den Gesamtplan einfügen. Das läuft auf die Vermutung hinaus, dass einzelne Verhaltensweisen eine Gesamtzuwiderhandlung bilden, wenn sie nur in einem beliebigen Bezug zueinander stehen und mehr oder weniger zufällige Schnittmengen aufweisen. Ein typischer, durch Erfahrung bestätigter Geschehensablauf, dass sämtliche Einzeltaten z.B. in einem Wirtschaftssektor stets einem Gesamtplan zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels dienten, besteht aber nicht. Das gilt gerade für die von der Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung nunmehr erschlossenen Einzeltaten, die keiner Interaktion zur Verwirklichung ihrer Wirkungen und Ziele bedürfen und daher nicht komplementär sind.78 Die Ausweitung der Rechtsfigur wiegt umso schwerer, als dass der erforderliche Gesamtplan so abstrakt gefasst wird, dass darunter z.B. auch das generelle und allgemeine Bestreben des Kaufmanns fallen soll, höhere Preise zu erzielen.79 Es ist aber wohl nicht realistisch und nachvollziehbar, von einem Kaufmann zu seiner Entlastung und der Vermeidung eines Kartellbußgelds den plausiblen Nachweis zu erwarten, dass sich eine einzelne – von ihm oder z.B. auch von einem Dritten auf einem Fremdmarkt vorgenommene  – Handlung nicht in einen Gesamtplan der Gewinnmaximierung einfügt. Es würde sonst bereits die bloße Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Kaufmanns von einem Kartellverstoß eines anderen Kaufmanns auf einem anderen Markt zu seiner Bußgeldhaftung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV führen können. Auch der Verweis auf eine gewollte Verhaltensabstimmung der beteiligten Unternehmen gegenüber ihren unmittelbaren Abnehmern, die allgemeine Verfälschung der Preisentwicklung oder ähnlich generische Argumente sind nicht zielführend,80 denn die generische Beeinträchtigung des Wettbewerbs wohnt in dieser Allge-

76 Kommission v. 28.3.2012 – COMP/39.462, Rz. 554–556 – Speditionsdienste; Kommission v. 22.11.2001 – COMP/E-1/37.512, Rz. 580, 584 – Vitamine. 77 Vgl. Dreher, ZWeR 2007, 276, 280. 78 Vgl. EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 179 – BASF. 79 EuG v. 16.9.2013  – Rs. T-373/10 et al., Rz.  69  – Villeroy & Boch; bestätigt in EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-626/13 P, Rz. 68 – Villeroy & Boch Austria. Der EuGH stellt pauschal auf das gemeinsame Ziel einer Verhaltensabstimmung der Hersteller gegenüber den Großhändlern ab. 80 Vgl. EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-626/13 P, Rz. 68 – Villeroy & Boch Austria; Kommission v. 23.6.2010 – COMP/39.092, Rz. 793 – Badezimmerausstattungen.

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meinheit jedem kartellrechtswidrigen Verhalten inne.81 Sie ist notwendiges Element sowohl einfacher als auch fortgesetzter Zuwiderhandlungen und eignet sich daher nicht zu ihrer Abgrenzung. Die unionsrechtliche Anwendungspraxis zur Rechtsfigur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung muss wegen ihrer nicht mehr nachvollziehbaren Ab­ grenzungsergebnisse in ihrer heutigen Ausformung daher als arbiträre Methode der Abgrenzung zwischen einfachen und komplexen Zuwiderhandlungen qualifiziert werden. Die Aufgabe des Komplementaritätskriteriums stellt einen weiteren Rückschritt das. Dabei wiegt neben den bereits geschilderten Bedenken schwer, dass der EuGH bei der Aufgabe des Kriteriums wohl ergebnisorientiert vorging. Denn nachdem er das Kriterium in Fällen für unerheblich erklärte, in denen das Vorliegen komplementärer Einzeltaten höchst zweifelhaft war, hinterfragte der EuGH eine ebensolche Verbindung später nicht weiter, wenn sie seiner Ansicht nach unproblematisch vorzuliegen schien, um doch wieder eine Zusammenfassung von Einzeltaten u.a. auf ihrer Grundlage zu rechtfertigen.82

III. Die Zusammenfassung mehrerer Einzeltaten zu einer Gesamttat im deutschen Kartellrecht Während die Rechtsfigur der fortgesetzten Zuwiderhandlung im EU-Kartellrecht eine stetige Ausweitung erfahren hat, verlief die Entwicklung der Zusammenfassung von Einzeltaten zu einer Gesamttat im deutschen Kartellrecht nach Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs zunächst in eine entgegengesetzte Richtung. In der jüngeren Vergangenheit nähert sie sich aber wieder dem europäischen Leitbild an. 1. Die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im deutschen Kartellrecht Eine fortgesetzte Handlung lag nach dem ursprünglichen Verständnis im nationalen Recht vor, wenn – objektiv – mehrere „an sich“ selbständige, aber rechtlich und tatsächlich gleichartige Gesetzesverstöße in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang begangen wurden, wenn sie – subjektiv – dahingehend von einem Gesamtvorsatz des Täters getragen wurden, dass Letzterer die Teile der vorgesehenen Handlungsreihe in den wesentlichen Grundzügen ihrer zukünftigen Gestaltung begriffen hatte.83 Grundgedanke der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im GWB bzw. OWiG war, dass bei den im Kartellrecht typischen Tatserien, also wiederkehrenden gleichartigen Zuwiderhandlungen, nicht die jeweils einzeln verstoßende Handlung als jeweils eine Tat im Sinne des strafprozessualen Tatbegriffs anzusehen sein sollte. Stattdessen sollten alle begangenen Taten zu einer einheitlichen Tat – eben der

81 EuG v. 28.4.2010  – Rs. T-446/05, Slg. 2010, II-1255, Rz.  96  – Amann & Söhne; EuG v. 12.12.2007 – verb. Rs. T-101/05 et al., Slg. 2007, II-4949, Rz. 180 – BASF. 82 Vgl. EuGH v. 9.3.2017 – Rs. C-615/15 P, Rz. 20 – Samsung SDI. 83 Klusmann, WuW 1995, 271, 273 m.w.N.

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fortgesetzten Handlung  – zusammengefasst werden.84 Das hatte die für den Täter günstigen Folgen, dass der gesetzliche Strafrahmen für die dann einheitliche Tat insgesamt nur einmal zur Verfügung stand und ausgeschöpft werden konnte.85 Außerdem waren unentdeckt gebliebene Einzelakte von der Sanktion umfasst, so dass insoweit Strafklageverbrauch eintrat.86 Die Zusammenfassung aller Einzelakte zu einer Gesamttat hatte aber auch den Nachteil, dass die Verjährung jener Einzelakte – bzw. der Gesamttat  – erst mit der Beendigung des letzten Teilaktes zu laufen begann.87 Unter Umständen konnten also sehr weit zurückliegende Einzelakte noch über die „Kunstfigur“ der fortgesetzten Handlung erreicht werden, obwohl sie bei einer Einzelbetrachtung längst verjährt gewesen wären. Zusätzliche Rechtsunsicherheit ver­ ursachte die uneinheitliche Handhabung der eingangs geschilderten Kriterien zur Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs, die letztlich zu einer nicht mehr nachvollziehbaren Kasuistik geführt hatte.88 2. Die Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung Diese Umstände hatten den Großen Senat des Bundesgerichtshofs seinerzeit bewogen, die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs für unzulässig zu erklären, weil nämlich die bestehenden Verjährungsbestimmungen auf diese Weise ausgehebelt und die gesetzgeberisch umgesetzten Gründe, die für eine Verjährungsregelung sprechen, missachtet wurden.89 Dies galt namentlich für die Beweisschwierigkeiten, die sich bei lange zurückliegenden Taten regelmäßig ergeben, und zwar auch und aus Sicht der Verteidigung hinsichtlich zu führender Entlastungsbeweise.90 Dies betraf aber auch die Urteilsfindung, indem die Gefahr bestand, dass sich der (Tat-)Richter auf weniger fassbare Gesamteindrücke und Gerechtigkeitsüberlegungen anstatt seiner sicheren richterlichen Überzeugung leiten lassen konnte.91 Damit waren die geschützten Verteidigungsrechte als Teil der justiziellen Grundrechte und auch das verfassungsrechtliche Prinzip der voll zu erbringenden Tat- und Schuldfeststellung in erheblicher Weise kompromittiert.

84 Achenbach, WuW 1997, 393, 394 f. 85 Dazu Achenbach, WuW 1997, 393, 394 f. m.w.N. 86 BGH v. 16.1.1985 – 2 StR 590/84, BGHSt 33, 122 – Strafklageverbrauch bei Fortsetzungstat; BGH v. 13.12.1960 – 5 StR 478/60, BGHSt 15, 268, 270. 87 BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 450/88, BGHSt 36, 105, 109; BGH v. 16.1.1985 – 2 StR 590/84, BGHSt 33, 122, 125 – Strafklageverbrauch bei Fortsetzungstat. 88 Vgl. BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138 – Fortgesetzte Handlung; Fischer, NStZ 1992, 415; Klusmann, WuW 1995, 271, 273. 89 BGH v. 3.5.1994  – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138  – Fortgesetzte Handlung; dazu Hamm, NJW 1994, 1636; Klusmann, WuW 1995, 271. 90 BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 147 – Fortgesetzte Handlung. 91 BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 147 – Fortgesetzte Handlung; dazu Zschockelt, NStZ 1993, 361, 362 m.w.N.

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In der Folge gab auch der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs die Lehre der fortgesetzten Handlung für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht auf.92 Der behördlicherseits behauptete „quasi-synallagmatische Charakter“ von Serienkartellabsprachen impliziere nämlich nicht zwingend, dass eine Mehrzahl von Absprachen mittels der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung zu einer einzigen Tat zusammenzufassen seien.93 Vielmehr sei prinzipiell von Tatmehrheit auszugehen.94 Eine auf Wiederholung angelegte Begehungsweise sei erst bei der Bemessung der einzelnen Geldbußen auf der Grundlage der nicht verjährten Einzeltaten zu berücksichtigen.95 3. Die Schaffung einer Ersatzdogmatik der Handlungs- und Bewertungseinheit Im deutschen Recht war nach Aufgabe des Rechtsinstituts der fortgesetzten Handlung an sich der Gedanke der Einzelbetrachtung an die Stelle der fortgesetzten Handlung getreten (sog. Einzelaktstheorie).96 Das bedeutete, dass bei ähnlicher Tatbegehung jeder einzeln tatbestandsverwirklichende Teilakt getrennt zu betrachten ist und gegebenenfalls auch getrennt verjährt.97 Diese dogmatisch klare und durch nachvollziehbare Garantien der Verteidigungsrechte getriebene Auslegung ist durch die jüngere Praxis des Bundesgerichtshofs – dokumentiert in der „Grauzementkartell“-Entscheidung98 – wohl aufgegeben worden. Denn inzwischen hat der Bundesgerichtshof für kartellrechtliche Sachverhalte eine neue Haftungslehre entwickelt, die zwar den Begriff der fortgesetzten Handlung vermeidet, in der Sache aber faktisch auf die Wiedereinführung der ehemaligen fortgesetzten Handlung hinausläuft.99 So hat der Bundesgerichtshof in seinem „Grauzementkartell“-Beschluss entschieden, dass mehrere grundsätzlich unabhängig voneinander begangene Einzelakte zu einer natürlichen Handlungseinheit oder einer Bewertungseinheit im Rechtsinne verknüpft werden können, mit der Folge, dass sie als einheitliche Tat anzusehen sind100 und die Verjährung erst mit dem letzten Teilakt einsetzen soll.101 Dies soll insbesondere dann gelten, wenn – wie im entschiedenen Fall – eine Grundabsprache vorliege, zu deren Ausführung weitere Absprachen, Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung des Kartells oder Ausgleichsvereinbarungen erfolgen, die die Grundabsprache im faktischen Sinne vollziehen.102 92 BGH v. 19.12.1995 – KRB 32/95, WuW/E BGH 3043 – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit; BGH v. 19.12.1995 – KRB 33/95, WuW/E BGH 3057 – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit II; dazu Achenbach, WuW 1997, 393; Achenbach in FK Kartellrecht, Vor §  81 GWB 1999 Rz. 159–162; Burchardi in Schwerpunkte des Kartellrechts 1996, FIW H. 171, S. 44 f. 93 BGH v. 19.12.1995 – KRB 32/95, WuW/E BGH 3043, 3049 – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit. 94 Ibid.; Ellbogen in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 31 OWiG Rz. 29. 95 Ibid. 96 BGH v. 19.12.1995 – KRB 32/95, WuW/E BGH 3043, 3048 f. – Fortgesetzte Ordnungswidrigkeit. 97 Ibid.; Ellbogen in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 31 OWiG Rz. 29. 98 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158 – Grauzementkartell. 99 So auch Achenbach, WuW 2013, 688, 690. 100 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 23 – Grauzementkartell. 101 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 28 – Grauzementkartell. 102 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 26 – Grauzementkartell.

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4. Kritik an der Rechtsanwendungspraxis Diese Argumentation ist zwar logisch und stößt auch insoweit auf keine größeren dogmatischen Bedenken. Sie ist auch insoweit sachgerecht, als dass sie eine Mehrfachbestrafung aufgrund einer einheitlichen Tat und dabei insbesondere ein mehrfaches Ausschöpfen der in § 81 Abs. 4 GWB definierten Bußgeldrahmen verhindert. Sie führt aber zu einer erheblichen Ausdehnung der Verfolgbarkeit von an sich nicht mehr erreichbaren verjährten Taten, da unklar bleibt, welche Anforderungen der Bundesgerichtshof im Einzelfall an das Vorliegen der sog.  Grundabsprache stellen will. Mag es bei einem Submissionskartell noch naheliegen davon auszugehen, dass die Grundabsprache auf dem Prinzip wechselnder Begünstigung beruht und dann bei den jeweils folgenden Einzelausschreibungen „dienende Absprachen“ dazu getroffen werden, welcher prospektive Auftragnehmer oder Schutzbieter zu welchen Konditionen anbieten soll, um den zuvor vereinbarten Zweck der wechselnden Begünstigung zu erreichen,103 so ist dies für andere Arten von Kartellabsprachen weitaus weniger deutlich und selbstverständlich. Wenn nämlich z.B. in losen Abständen punktuell Vereinbarungen zu generellen Preis­erhöhungen kartellrechtswidrig getroffen werden, wird sich in der Regel keine Grundabsprache finden lassen, die dieses Jahre im Voraus entsprechend vorgesehen und festgelegt hätte, es sei denn, diese würde bereits in dem generellen Bestreben des Kaufmanns gesehen werden können, stets höhere Preise zu erzielen, so wie es das EuG in Sachen Badezimmerausstattungen explizit argumentiert hat.104 In vielen derartigen Fällen wird es sich vielmehr um einen in vergleichbarer Situation in Abständen erneut gefassten Tatvorsatz zur Begehung eines Kartellverstoßes handeln, der nicht auf eine Grundabsprache zurückgeht, sondern der nur eine hohe Ähnlichkeit mit gegebenenfalls in der Vergangenheit in ähnlicher Lage begangenen Verstößen aufweist.105 Die tatsächlichen Folgen einer gleichwohl angenommenen Bewertungseinheit im Sinne einer einheitlichen Haltung sind aber gravierend: Nicht nur werden in der Praxis oft bestehende, teils jahrelange Beweislücken zwischen einzelnen Ausführungshandlungen dann mit dem Argument überspielt, dass die zugrundeliegende Grundabsprache ja die einzelnen Handlungen verbinde und nicht jede Handlung von jedem Mittäter gekannt oder begangen sein muss; auch wird die Verteidigung gerade in von Kronzeugen in Gang gebrachten Verfahren oft erschwert durch das hohe Alter der angeblichen Teilakte und der damit verbundenen, nicht mehr gegebenen Erreichbarkeit entlastender Informationen oder Beweismittel.106 Außerdem dürfen bei der Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer einheitlichen Tat keine geringeren Anforderungen an Sachverhaltsaufklärung, Tatfeststellung und Darstellung im Urteil gelten, als bei entsprechender Würdigung der entsprechen103 So BGH v. 21.10.1986  – KRB 5/86, WuW/E BGH 2329, 2335  – Prüfgruppe; dagegen Burchardi in Schwerpunkte des Kartellrechts 1996, FIW H. 171, S. 44 f.; Klusmann, WuW 1995, 271, 277 f. 104 EuG v. 16.9.2013 – Rs. T-373/10 et al., Rz. 69 – Villeroy & Boch. 105 Klusmann, WuW 1995, 271, 277. 106 So Seifert, ECLR 2008, 546, 553.

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den Einzelakte als tatmehrheitlich begangene Einzeltaten. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat dies bei Aufgabe der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs explizit betont.107 Vielmehr sind Teilakte und Einzeltaten so konkret zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands ergibt.108 Diese Grundsätze sind trotz unterschiedlicher ­Begrifflichkeiten auch für die Annahme einer Handlungs- oder Bewertungseinheit verbindlich. Dies erkennt der Bundesgerichtshof aber wohl jetzt in seiner „Grauzementkartell“-Entscheidung nicht mehr an, wenn er dem Tatrichter einen Beurteilungsspielraum bei der Verknüpfung von Einzelakten zu einer Handlungs- oder Bewertungseinheit zubilligen will, der sich sowohl auf das konkrete Vorliegen als auch auf die abstrakten Voraussetzungen einer solchen Verknüpfung erstrecke.109 Darüber hinaus will er es ausreichen lassen, dass der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht die konkretisierende Grundabrede, die Dauer des Kartells und seine Handhabung durch die Kartellbeteiligten mitteile, wenn er rechtsfehlerfrei von einer Bewertungseinheit ausgehen wolle.110 Ein Beurteilungsspielraum kann dem Tatrichter jedoch allenfalls hinsichtlich des Vorliegens der einzelnen Voraussetzungen im konkreten Fall zustehen. Dagegen ist es vor dem Hintergrund rechtstaatlicher Garantien eine Selbstverständlichkeit, dass die rechtliche Ausfüllung und Eingrenzung dieser Voraussetzungen eine voll überprüfbare Rechtsfrage bilden, hinsichtlich derer dem (Tat-)Richter kein Beurteilungsspielraum zukommen darf.111 Aber auch bei der Feststellung des konkreten Vorliegens der Voraussetzungen einer Handlungs- oder Bewertungseinheit ist der in Sachen „Grauzement“ als ausreichend erachtete „Kartell-Grundriss“, gemessen an der im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht von Verfolgungsbehörden und Gerichten nachzuweisenden Tatbestandsverwirklichung durch konkrete Einzelakte, unzureichend. Schließlich spielt die aus dem europäischen Recht zurückübernommene Zusammenfassung an sich selbständiger Taten für die betroffenen Unternehmen oft auch eine fatale zivilrechtliche Rolle. Denn bei der inzwischen zur Regel gewordenen Geltendmachung kartellrechtlicher Follow-on-Schadensersatzansprüche wird nunmehr vielfach argumentiert, dass die bußgeldrechtliche Bewertung eines Lebenssachverhalts als einheitliche Handlung auch im zivilrechtlichen Deliktsrecht beachtlich sein soll und daher die z.B. aus § 33b GWB resultierende Bindungswirkung einer entsprechenden Bußgeldentscheidung sich auch auf den deliktischen Haftungsgrundtatbestand im Sinne einer dann fortzuschreibenden zeitlichen Handlung bzw. fortgesetzten Handlung mit Schadensfolge auswirken soll.112 So hat der Bundesgerichtshof in seiner „Lottoblock  II“-Entscheidung kürzlich ausgeführt, dass die entsprechende113 107 BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 159 – Fortgesetzte Handlung. 108 BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 159 – Fortgesetzte Handlung. 109 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 24 – Grauzementkartell. Dies soll hier sogar „in besonderem Maße“ gelten. 110 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rz. 43 – Grauzementkartell. 111 Achenbach, WuW 2013, 688, 690 f. 112 So OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 6 U 51/12 (Kart), juris, Rz. 46–48 – Feuerlöschfahrzeuge. 113 Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 33b GWB Rz. 1.

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Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB a.F. sämtliche im vorangegangenen Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen erfasse, die den als kartellrechtswidrig eingestuften Lebenssachverhalt bilden und seine rechtliche Einordnung als Verstoß tragen.114 Davon seien insbesondere Feststellungen zur Dauer des Verstoßes in Bußgeld­ entscheidungen erfasst, weil die Kartelldauer ein wesentliches Kriterium im Rahmen der Bußgeldzumessung darstelle.115 Einem solch weiten Verständnis folgend führte das OLG Karlsruhe in Sachen „Feuerlöschfahrzeuge“ aus, es stünde nach dem 2005 eingeführten § 33 Abs. 4 GWB a.F. fest, dass sich die Beteiligten von 1998 bis 2009 zu einem Quotenkartell zusammengeschlossen und damit gegen das Kartellverbot verstoßen hätten.116 Der Sache nach wird damit auch die zivilrechtliche Bindungs­ wirkung von Bußgeldentscheidungen auf die Zusammenfassung von Einzelakten zu einer Gesamttat erstreckt. Schon bei der sanktionsrechtlichen Bewertung oft bestehende Beweislücken, die mit der Zusammenfassung zu einer fortgesetzten Handlung geschlossen werden, werden so auch für die zivilrechtliche Nachverfolgung perpetuiert, weil nach der Umsetzung der Schadensersatz-Richtlinie zulasten des in Anspruch genommenen Unternehmens Vermutungsregelungen gelten, die de facto nicht mehr angegriffen und widerlegt werden können. Dies führt letztlich zu aus­ ufernden Haftungsrisiken sowohl im Bußgeld- wie auch im Zivilrecht.

IV. Fazit Das Zusammenziehen mehrerer selbständig tatbestandserfüllender Kartellverstöße zu einer einheitlichen Handlung darf allenfalls dann erfolgen, wenn tatsächlich eine konkrete, sämtliche Teilakte in der begangenen Form umfassende und abdeckende Grundabrede bzw. ein entsprechender Gesamtplan derjenigen Täter vorlag, die später auch die Teilakte begangen haben. Dagegen verletzt eine Ersetzung der Beweisführung durch die Zusammenziehung unverbundener Teilakte und eine Schließung von Beweislücken durch die beweislose Annahme einer entsprechenden Grundabsprache die Verteidigungsrechte und damit die justiziellen Grundrechte. Die Ausdehnung der Sanktionierung zulasten des Täters durch die Annahme fortgesetzter Handlungen wird auch nicht ausreichend dadurch kompensiert, dass bei einem einheitlichen Verstoß der Sanktionsrahmen nur einmal ausgeschöpft werden darf. Denn die bei längerer zugerechneter Verstoßdauer dramatisch ansteigende Sanktionshöhe und die über die Tatbestandswirkung von Bußgeldentscheidungen steigenden Schadensersatzrisiken führen in der Praxis oft zu unfairen Mehrfachbelastungen der Betroffenen, die leicht den Rahmen einer an sich bei der gebotenen Einzelbetrachtung vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung  – unter Beachtung der Verjährung nicht mehr erreich­ barer Alttaten  – übersteigen können. Das aber verstößt zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis gegen das verfassungsrechtliche Verbot täternachteiliger Analogien im Sanktionsrecht sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 114 BGH v. 12.7.2016 – KZR 25/14, Rz. 14 – Lottoblock II; s. ferner Nothdurft in FS Tolksdorf, 2014, S. 533, 541. 115 BGH v. 12.7.2016 – KZR 25/14, Rz. 18 – Lottoblock II. 116 OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 6 U 51/12 (Kart), juris, Rz. 46–48 – Feuerlöschfahr­zeuge.

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Eine Rückbesinnung auf die Systematik und Logik der Entscheidungen und Begründungen, die seinerzeit zur Aufgabe der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs im deutschen Sanktionsrecht geführt haben, ist daher auch im Unionskartellrecht dringend geboten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die entsprechende Rechtsfigur im EU-Kartellrecht immer weiter an Konturen verliert, die mit der Aufgabe des Komplementaritätskriteriums vollständig zu verschwinden drohen und daher auch mit dem im Sanktionsrecht geltenden Gesetzesvorbehalt nicht mehr vereinbar sind.

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Juliane Kokott und Daniel Dittert1

Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht war in jüngerer Zeit immer wieder Diskussionsgegenstand. Sogar eine internationale Fachkonferenz wurde diesem Thema jüngst gewidmet.2 Überhaupt scheinen Debatten über Fairness zurzeit in Mode zu sein. Abgesehen von bloßen Modeerscheinungen gibt es aber sicher auch ein ernsthaftes  – und wachsendes  – Bedürfnis in unserer Gesellschaft, Fairness-Probleme der unterschiedlichsten Natur öffentlich anzusprechen und sie möglichst zufriedenstellend zu lösen. Beispielsweise ist der Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung für Politiker weltweit zu einer Top-Priorität geworden, wohl nicht zuletzt, weil sich in der Öffentlichkeit immer mehr die Besorgnis breit macht, dass unsere Steuersysteme unfair sind oder zumindest in unfairer Weise vollzogen werden.3 Das Konzept der Fairness ist aber auch als zentraler Bestandteil des Grundsatzes des „fairen Verfahrens“ („fair trial“) einer der Grundpfeiler unseres europäischen Systems zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.4 In dieser Eigenschaft hat es eine lange Tradition in der Rechtsprechung nationaler und supranationaler Gerichte in Europa.5 Eine Grundahnung davon, was Fairness bedeutet, würde sicherlich jeder und jede für sich in Anspruch nehmen. Dennoch bleibt das Konzept der Fairness als solches vergleichsweise vage. Es setzt letztlich stets voraus, dass widerstreitende Interessen zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Abstrakt gesehen mag die nötige Inte­ ressen- und Güterabwägung auf den ersten Blick einfach und geradezu selbsterklärend wirken; sie kann sich aber bekanntlich im Einzelfall als relativ schwierig erweisen. Müsste man das Konzept der Fairness als solches im Alltag anwenden, so würden damit wahrscheinlich mehr Probleme geschaffen als gelöst, vor allem im Hinblick auf 1 Die Verfasserin Kokott ist Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union, der Verfasser Dittert ist dort als Rechtsreferent tätig. Beide bringen hier allein ihre persönliche Meinung zum Ausdruck. Den Anstoß zu dieser Veröffentlichung gab ein Vortrag, den die Verfasserin Kokott mit Unterstützung des Verfassers Dittert am 16.  Februar 2018 beim 51. FIW-Symposion in Innsbruck gehalten hat. Vgl. auch unsere englischsprachige Veröffentlichung zu diesem Thema in GCLC Book Series. 2 Global Competition Law Centre (GCLC), 13th Annual Conference, Brüssel, 25. Januar 2018. 3 Vgl. dazu auch Kokott, Der EuGH als Garant fairen Steuerwettbewerbs, ISR 2017, 395 ff. 4 Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 5 Vgl. dazu etwa Kokott/Rosch, Procedural Fairness in the European Union Courts, in Sarvarian/Baker/Fontanelli/Tsevelekos (Hrsg.), Procedural Fairness in International Courts and Tribunals, London 2015, S. 311-324.

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die Rechtssicherheit. Hervorzuheben ist aber, dass Fairness-Überlegungen jeder Gesetzgebung – und insbesondere vielen modernen Gesetzestexten – zugrundeliegen, gleichviel, ob auf nationaler oder auf supranationaler Ebene. Das Konzept der Fairness muss also stets bedacht werden, wenn es gilt, die auf einem bestimmten Sachgebiet geltenden Regelungen konkret auszulegen und anzuwenden.6 Was nun das Konzept der Fairness speziell im Wettbewerbsrecht anbelangt, so kann schon in der Existenz von Wettbewerbsregeln ein Ausdruck der fairen Behandlung aller Unternehmen gesehen werden, die auf dem europäischen Binnenmarkt aktiv sind. Denn erst durch das Wettbewerbsrecht wird ein „level playing field“ geschaffen, also ein Ordnungsrahmen, der von allen Marktteilnehmern gleichermaßen zu befolgen ist und der überdies allen die gleiche Behandlung gewährt sowie die gleichen Chancen eröffnet. Im Einzelnen lässt sich das Fairness-Konzept im europäischen Wettbewerbsrecht vor allem aus zwei Blickwinkeln betrachten: Einerseits sollen Wettbewerbsregeln faire Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber ihren Wettbewerbern, gegenüber ihren Vertragspartnern auf vor- und nachgelagerten Märkten sowie natürlich ge­ genüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern bewirken. Andererseits sind die Wettbewerbsbehörden und die zuständigen Gerichte gehalten, für ihren Teil einige grundlegende Regeln der Fairness zu berücksichtigen, wenn sie die Spielregeln des Wettbewerbs gegenüber einzelnen Spielern auf einem bestimmten Markt durchsetzen.

Der verfahrensrechtliche Aspekt der Fairness In verfahrensrechtlicher Hinsicht besteht eine Reihe gefestigter Prinzipien im EU-Wettbewerbsrecht, die allesamt darauf ausgelegt sind, eine faire Behandlung von Unternehmen durch die Wettbewerbsbehörden wie auch durch die zuständigen Gerichte sicherzustellen, und zwar auf nationaler Ebene ebenso wie auf europäischer Ebene. Man denke insbesondere an den Grundsatz, nach dem Verwaltungsverfahren unparteiisch zu führen und in angemessener Frist zu Ende zu bringen sind. Auf Unionsebene stellt dieser Grundsatz, zusammen mit den Verteidigungsrechten, den Kern des Grundrechts auf eine gute Verwaltung dar.7 Ähnliche Verfahrensgarantien gelten vor Gericht, wenn Verwaltungsentscheidungen von einem Richter überprüft werden. Die Unparteilichkeit des Richters, die angemessene Verfahrensdauer, die Waffengleichheit der Parteien und der Grundsatz des kon-

6 S. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/UPS, C-265/17 P, EU:C:2018:628, Rz. 43. 7 Dieses Grundrecht ist heute auch in Art. 41 der Charta der Grundrechte verankert.

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Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht

tradiktorischen Verfahrens („audi alteram partem”) sind nur einige besonders bekannte Ausprägungen des Konzepts der Fairness in Gerichtsverfahren.8 In den letzten Jahren hat der Gerichtshof der Europäischen Union klar erkennen lassen, dass er solche grundlegenden Verfahrensprinzipien durchzusetzen und so letztlich die faire Behandlung aller betroffenen Unternehmen sicherzustellen gedenkt. So hat der Gerichtshof beispielsweise in verschiedenen Rechtssachen ein überlanges Verfahren festgestellt.9 Im Fall Solvay10 hat er zwei kartellrechtliche Entscheidungen der Europäischen Kommission wegen Verstoßes gegen das Recht auf Akteneinsicht aufgehoben. In der Rechtssache Deutsche Bahn11 hat er den Durchsuchungsbefugnissen der Kommission in Unternehmensräumen Grenzen gesetzt. Und in seinem 2017 ergangenen Urteil Intel12 hat er die Verpflichtung der Kommission hervorgehoben, alle Befragungen von natürlichen Personen im Rahmen von kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren13 aufzuzeichnen, völlig unabhängig davon, ob es sich um formelle oder um informelle Gespräche handelt. Es sollte an dieser Stelle nicht in Vergessenheit geraten, dass das Konzept der Fairness  – auch das der verfahrensrechtlichen Fairness  – stets eine delikate Abwägung impliziert. Ein typisches Beispiel dafür, wie die widerstreitenden Interessen zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden müssen, ist die Rechtsprechung über förmliche Auskunftsersuchen, die den betroffenen Unternehmen durch Beschluss der Kommission zugestellt werden.14 Selbstverständlich dürfen Unternehmen niemals dazu gezwungen werden, ein Geständnis über ihr eigenes wettbewerbswidriges Verhalten abzulegen, aber es existiert auf der anderen Seite auch kein absolutes Schweigerecht für diejenigen, gegen die in EU-Kartellverfahren ermittelt wird. Denn die betroffenen Unternehmen sind verpflichtet, mit der Kommission zusammenzuarbeiten und ihr alle Tatsachen und Unterlagen zu übermitteln, die für das Ermittlungsverfahren von Relevanz sind. Weiteres Anschauungsmaterial für die notwendige Güter- und Interessenabwägung liefert die bereits erwähnte Rechtsprechung zum überlangen Verfahren.  Der Gerichtshof hat klargestellt, dass eine Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer im Normalfall nicht zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils

8 S. auch Art. 47 der Charta der Grundrechte. 9 Zur Dauer des Verwaltungsverfahrens vgl. EuGH, FEG/Kommission, C‑105/14  P, EU:C:2006:592, Rz. 35-62; zur Dauer des Gerichtsverfahrens vgl., statt vieler, EuGH, Gascogne Sack Deutschland/Kommission, C‑40/12 P, EU:C:2013:787, Rz. 97-102. 10 EuGH, Solvay/Kommission, C-109/10  P, EU:C:2011:686, und Solvay/Kommission, C-110/10 P, EU:C:2011:687. 11 EuGH, Deutsche Bahn/Kommission, C‑583/13 P, EU:C:2015:404. 12 EuGH, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rz. 90-91, in Verbindung mit Rz. 84. 13 Vgl. dazu Art.  19 der Verordnung (EG) Nr.  1/2003 und Art.  3 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004. 14 EuGH, Orkem/Kommission, 374/87, EU:C:1989:387, Rz. 29-35; EuGH, Dalmine/Kommis­ sion, C-407/04  P, EU:C:2007:53, Rz.  34; EuG, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T-112/98, EU:T:2001:61, Rz. 62-67.

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Juliane Kokott und Daniel Dittert

oder des zugrunde liegenden Beschlusses der Europäischen Kommission führt, sondern nur zu einem – relativ moderaten – Schadensersatzanspruch.15

Der materiell-rechtliche Aspekt der Fairness Was den materiell-rechtlichen Aspekt der Fairness anbelangt, so genügt es bereits, den Geltungsgrund der Wettbewerbsregeln in der Europäischen Union in Erinnerung zu rufen. Es ist allgemein anerkannt, dass das reibungslose Funktionieren von Märkten nicht nur durch staatliche Interventionen, sondern genauso gut auch durch unfaires Geschäftsgebaren privater Unternehmen gestört werden kann, nicht zuletzt durch große Unternehmen, die erhebliche Marktanteile halten. Deswegen gibt es Spielregeln für das Marktgeschehen, und Fouls der Spielteilnehmer müssen geahndet werden. Eben dies bezweckt das Wettbewerbsrecht: Alle Unternehmen, die auf dem europäischen Binnenmarkt aktiv sind, müssen sich an die Regeln des „fair play“ halten. Genau deswegen bekämpft die Europäische Union Kartelle (Art. 101 AEUV) sowie den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV), deswegen stellt sie sicher, dass Unternehmenszusammenschlüsse wirksamen Wettbewerb nicht erheblich beeinträchtigen (EU-Fusionskontrollverordnung16), deswegen unterliegt die Gewährung von Staatsbeihilfen in Europa strengen Grenzen (Art. 107 und 108 AEUV), und deswegen wurden Regulierungsbehörden für kürzlich liberalisierte Sektoren eingesetzt, auf denen die Kräfte eines relativ unreifen Marktes allein nicht – oder jedenfalls noch nicht – zu fairen Ergebnissen für die Verbraucher führen würden (z.B. auf dem Telekom- und auf dem Energiemarkt). Wir betreiben all diesen Aufwand, weil wir überzeugt sind, dass unsere Gesellschaft im Allgemeinen und die Verbraucher im Besonderen im Hinblick auf die Preise und die Produktvielfalt schlechter gestellt wären, wenn man nicht sicherstellte, dass alle Spieler auf den jeweiligen Märkten sich an die Spielregeln eines wirksamen Wettbewerbs halten. Selbstverständlich ist es nie einfach, die richtige Balance zwischen dem öffentlichen Interesse an freiem und unverfälschtem Wettbewerb auf der einen Seite und dem privaten Interesse der Unternehmen zu finden, die ihrerseits naturgemäß auf Profitmaximierung und auf Stärkung ihrer Marktposition aus sind. Wieviel Aufwand und ökonomische Analyse sind im Einzelfall nötig, um feststellen zu können, dass eine Vereinbarung zwischen Unternehmen oder das Geschäftsgebaren eines marktbeherrschenden Unternehmens wettbewerbswidrig ist und deshalb gegen die Regeln des „fair play“ auf dem Markt verstößt? Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass

15 Vgl. z.B. EuG, Gascogne Sack Deutschland und Gascogne/Gerichtshof der Europäischen Union, T-577/14, EU:T:2017:1 (noch nicht rechtskräftig; s. anhängige Rechtsmittelverfahren C‑138/17 P und C‑146/17 P). 16 Verordnung (EG) Nr. 139/2004.

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Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht

diese komplexe Frage in der letzten Dekade im Mittelpunkt aller großen Auseinandersetzungen im europäischen Wettbewerbsrecht stand. Sicherlich ist allgemein anerkannt, dass bestimmte Arten von Geschäftsgebaren – wie etwa Preiskartelle – per se als Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen sind, so dass im Einzelfall kein spezifischer Nachweis ihrer wirtschaftlichen Schädlichkeit geführt werden muss. Ebenso verhält es sich mit dem Autofahren unter erheblichem Alkoholoder Drogeneinfluss, das stets verboten ist, egal, ob jemand zu Schaden gekommen ist oder nicht.17 Es wäre eine regelrechte Ressourcenverschwendung, wenn die Verfolgungsbehörden in jedem Einzelfall mit konkreten Beweisen für die Schädlichkeit eines solchen Verhaltens aufwarten müssten, und Durchsetzungsdefizite  – ein „under-enforcement“ – wären die sehr wahrscheinliche Folge. In den letzten Jahren hat der Gerichtshof der Europäischen Union aber mehrere Gelegenheiten ergriffen, um klarzustellen, dass die Kategorie der „Per-se-Wettbewerbsbeschränkungen“ die Ausnahme bleibt und dass sie nicht extensiv ausgelegt werden darf. Mit Blick auf Art. 101 AEUV hat der Gerichtshof dies im Fall Cartes Bancaires18 getan, in dem es um eine komplexe Kooperationsvereinbarung zwischen verschiedenen Finanzinstituten ging, und er ist einem sehr ähnlichen Ansatz gefolgt, als er im September 2017 im Rahmen von Art. 102 AEUV das Urteil des Gerichts der Europäischen Union im Fall Intel19 aufgehoben hat, welches die Treuerabatte eines marktbeherrschenden Unternehmens betraf. Man sollte sich jedoch nicht täuschen: Die Urteile in den Fällen Cartes Bancaires und Intel bedeuten nicht, dass die „Per-se-Wettbewerbsbeschränkungen“ aus dem europäischen Wettbewerbsrecht verschwunden wären. Hardcore-Kartelle sind und bleiben rechtswidrig, egal wie ihre konkreten Marktauswirkungen sind, und die Gewährung von Treuerabatten ist auch weiterhin ein sehr starkes Indiz für den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens, gleichviel, ob Wettbewerber tatsächlich vom Markt verdrängt wurden oder nicht. Relativ neu ist allerdings die gewachsene Aufmerksamkeit des Gerichtshofs für die Zusammenhänge, in denen sich das inkriminierte Verhalten von Unternehmen abspielt. In dieser Hinsicht mag sich eine leichte Verschiebung in der Balance zwischen öffentlichen und privaten Interessen andeuten. Abzuwarten bleibt freilich, ob sich diese Verschiebung letztlich vorteilhaft auf die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln und auf die Verbraucherinteressen auswirken wird. Die wahrscheinliche Folge der Intel-Rechtsprechung ist, dass es unwiderlegliche Vermutungen im Rahmen von Art. 102 AEUV nicht mehr geben wird, zumindest, soweit

17 S. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache T-Mobile Netherlands, C‑8/08, EU:C:2009:110, Rz. 47. 18 EuGH, Groupement des cartes bancaires/Kommission, C-67/13 P, EU:C:2014:2204, insbesondere Rz. 57; vgl. auch, aus jüngerer Zeit, EuGH, Coty Germany, C-230/16, EU:C:2017:941. 19 EuGH, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, insbesondere Rz. 138-150.

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Rabattsysteme betroffen sind.20 Von jetzt an wird die Europäische Kommission stets verpflichtet sein, alle einschlägigen Gegenargumente zu prüfen und zu entkräften, die ein Marktbeherrscher zu seiner Verteidigung gegen den Vorwurf des missbräuchlichen Marktgebarens vorbringt. Und das Gericht der Europäischen Union wird als erstinstanzliches Kontrollorgan die Antwort der Kommission auf solche Argumente zu würdigen haben, höchstwahrscheinlich, indem es die Argumentation der Kommission auf ihre Plausibilität hin untersucht. In dieser Hinsicht werden also Treuerabatte künftig nicht anders behandelt werden als jegliches sonstige Preisverhalten von marktbeherrschenden Unternehmen. Manch ein Beobachter mag versucht sein, in der Auslegung des Intel-Urteils noch einen weiteren Schritt zu gehen und zum Nachweis der Wettbewerbsschädlichkeit von Treuerabatten marktbeherrschender Unternehmen eine allgemeine Verpflichtung der Kommission (und letztlich auch des Gerichts) anzunehmen, stets mit einer eingehenden wirtschaftlichen Analyse aufzuwarten – nicht zuletzt in Form des viel diskutierten „As Efficient Competitor Tests“ (AEC-Test).21 Unseres Erachtens wäre eine solche Schlussfolgerung jedoch übereilt22 und würde die delikate Balance zwischen öffentlichen und privaten Interessen auf diesem Gebiet aus dem Lot bringen. Ein „Zuwenig“ an Rechtsdurchsetzung wäre die sehr wahrscheinliche Konsequenz. Was die Rechtsprechung Intel meint, ist – vereinfacht gesagt –, dass Treuerabatte geeignet sein müssen, den Wettbewerb im besonderen Kontext eines bestimmten Falles einzuschränken.23 Zu diesem Zweck ist die Kommission gehalten, „das Vorliegen einer eventuellen Strategie zur Verdrängung der mindestens ebenso leistungsfähigen Wettbewerber“ zu prüfen.24 Dieser Auftrag an die Kommission ist aber nicht wirklich neu und ist sicherlich auch nicht die Frucht eines irgendwie gearteten „effects-based approach“. Denn es ist und bleibt auch weiterhin nicht nötig, konkret zu beweisen, dass eine solche Strategie des marktbeherrschenden Unternehmens wirklich existiert hat oder dass sie gar tatsächlich dazu geführt hat, einen Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.

20 Vgl. dazu Dittert, Abus de position dominante en matière de rabais de fidélité: une juris­ prudence « précisée » en termes de compétence, de procédure et, surtout, d’analyse économique, in Revue des affaires européennes 2017, Heft 3, 583, 587. 21 Vereinfacht gesagt, soll der AEC-Test Aufschluss darüber geben, ob in einem bestimmten Fall ein Wettbewerber, dessen Unternehmen genauso effizient wie das des Marktbeherrschers geführt wird, in der Lage gewesen wäre, bei den Rabatten des Marktbeherrschers „mitzuziehen“. Andernfalls wären diese Rabatte als missbräuchlich anzusehen. 22 Im selben Sinne Kommissarin Vestager, Fairness and Competition (Rede anlässlich der GCLC 13th Annual Conference, Brüssel, 25. Januar 2018): „… in other situations, there could be more appropriate ways to show the effect that an exclusivity rebate has. And although the Court has clarified the legal framework for these [AEC] tests, it’s left it up to us to decide on the best method in each case“. 23 EuGH, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, insbesondere Rz. 143, 147 und 149. 24 EuGH, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, insbesondere Rz. 139.

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Das Konzept der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht

Der berühmt-berüchtigte AEC-Test scheint im Intel-Urteil überhaupt nur deshalb Erwähnung zu finden, weil die Kommission selbst im konkreten Fall beschlossen hatte, einen solchen Test durchzuführen, während Intel versucht hatte, die Ergebnisse dieses Tests mit „alternativen Berechnungen“ zu entkräften.25 Allerdings wäre es wohl verfrüht, irgendwelche abschließenden Folgerungen aus dem Urteil Intel zu ziehen. Der Fall ist derzeit wieder beim Gericht anhängig, wo das erstinstanzliche Verfahren neu aufgerollt werden muss. Und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Intel-Saga im Rahmen eines zweiten Rechtsmittelverfahrens erneut den Gerichtshof erreicht. Wir wünschen dem Jubilar, dass ihm auch in den kommenden Jahren die Gelegenheiten nicht fehlen, in gewohnt abgewogener und wohlüberlegter Herangehensweise zu einer am Fairnessgedanken orientierten praktischen Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts beizutragen.

25 EuGH, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, insbesondere Rz. 142, 143 und 145.

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Selected issues arising from the European Commission’s increasing reliance on internal documents in EU merger control proceedings – Time to rethink the architecture of the EU merger control process I. Introduction II. Evolution of the Commission’s practice 1. Importance of internal documents 2. The Commission’s increasing reliance on internal documents 3. Legal basis to collect internal documents in EUMR proceedings 4. The Commission’s document collection practice III. Selected issues arising from the EC’s ­increasing reliance on internal ­documents 1. Procedural issues a) Increasing duration of merger ­proceedings b) Procedural uncertainties and ­inconsistencies c) Missing legal protection against disproportionate document requests 2. Legal professional privilege a) LPP categories in the Commission’s practice b) Practical difficulties when claiming LPP

c) Missing legal protection against ­Commission’s restrictive LPP ­approach 3. Substantive review a) Possible factors making a balanced ­review of the full body of evidence difficult b) Examples of shortcomings in the Commission’s substantive appraisal of internal documents IV. Proposals for a more efficient and ­balanced practice 1. The Commission needs to decide: EU or US review system? 2. Effective legal redress is necessary 3. It is not sound to rely on internal ­documents without formal witness ­evidence 4. Clear rules on substantive appraisal ­needed 5. More sensible timing for document ­requests 6. Introducing the concept of substantial compliance 7. Broader LPP protection V. Concluding remarks

I. Introduction The European Commission’s approach to evidence in merger cases has evolved significantly in recent years: an increasingly common feature is that the Commission requests the merging parties and third parties to provide large volumes of internal documents, and that it relies on such documents as key evidence for its findings. This practice raises several important practical and legal issues, which Dirk Schroeder and the author were confronted with in a recent case, and which makes the topic an opportune one for the occasion. 415

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The Commission’s approach seems to be inspired by US merger control practice: relying heavily on internal documents has been standard practice for the US antitrust agencies for many decades. But rather than switching entirely to the US system, the Commission has (without any specific legal basis1 or trigger) added some elements of the US practice to its own practice. At the same time, it kept the remainder of its standard procedure that does not exist in the US (including the requirement of an extended pre-notification phase and an extensive Form CO notification, the strict timetables under the EUMR once a filing has been made, the need to write a detailed motivated clearance or prohibition decision, etc.). Neither EU legislation nor the Commission’s practice provide guidance as to the cases in which the Commission is likely to request which specific types of documents, nor with respect to their expected volume, or their personal, temporal or geographic scope. ȤȤ In some cases, the Commission does with very few, if any, internal documents beyond what Section 5.4 of Form CO requires.2 In others, it requests hundreds of thousands of documents between the initiation of the pre-notification discussions and the adoption of its decision. ȤȤ While the scope of internal documents that need to be provided with a Form CO notification on a mandatory basis (Section 5.4) has been expanded only slightly with the latest recast of the EUMR and the Implementing Regulation,3 the 1 The Commission relies on its general powers pursuant to Article 11 of Council Regulation (EC) No 139/2004 of 20 January 2004 on the control of concentrations between undertakings (the EC Merger Regulation), [2004] OJ No L24 (“EU Merger Regulation”/”EUMR”). 2 See Annex 1 of the Commission Regulation (EC) No. 802/2004 of April 21, 2004 implementing Council Regulation (EC) No. 139/2004 on the control of concentrations between undertakings, [2004] OJ L133, p.  1, as amended by Commission Regulation (EC) No. 1033/2008, [2008] OJ L279, p. 3 and Commission Implementing Regulation No. 1269/2013, [2013] OJ L336, p.1 (“Implementing Regulation”). Section 5.4 requests the notifying party to provide “copies of the following documents prepared by or for or received by any member(s) of the board of management, the board of directors, or the supervisory board, as applicable in the light of the corporate governance structure, or the other person(s) exercising similar functions (or to whom such functions have been delegated or entrusted), or the shareholders’ meeting: (i) minutes of the meetings of the board of management, board of directors, supervisory board and shareholders’ meeting at which the transaction has been discussed, or excerpts of those minutes relating to the discussion of the transaction; (ii) analyses, reports, studies, surveys, presentations and any comparable documents for the purpose of assessing or analysing the concentration with respect to its rationale (including documents where the transaction is discussed in relation to potential alternative acquisitions), market shares, competitive conditions, competitors (actual and potential), potential for sales growth or expansion into other product or geographic markets, and/or general market conditions; (iii) analyses, reports, studies, surveys and any comparable documents from the last two years for the purpose of assessing any of the affected markets with respect to market shares, competitive conditions, competitors (actual and potential) and/or potential for sales growth or expansion into other product or geographic markets.” 3 The recast based on Commission Regulation No. 1269/2013. Now, all “board minutes” discussing the transaction need to be provided (Section 5.4(i) allows the parties to provide only those excerpts that relate to the discussion of the transaction, but the Commission in

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documents that the Commission now commonly requests go far beyond what Section 5.4 of Form CO provides for. They can include the entire mailboxes of specifically identified custodians, all kinds of documents produced in the ordinary course of business (and even still during the Commission’s merger review procedure), documents pertaining to the parties’ integration planning that is also typically ongoing during the administrative procedure, and the like. Definitive guidance is also missing on the treatment of legal professional privilege (“LPP”) and other key procedural issues, such as the form and format of the Commission request and the document production, and, more importantly, the appropriate stage in the process at which such documents ought to be requested and produced.4 Finally, there are serious issues pertaining to the substantive evaluation of internal documents. The Commission does not have a process to obtain formal evidence by hearing witnesses in EUMR proceedings5 (in contrast, the US merger control process typically deposes at least one creator, addressee, recipient, or individual otherwise knowledgeable about a potentially material document), and while it may listen to the parties’ explanations, the Commission in practice makes up its own interpretation of the collected documents. Moreover, in practice, and while the Commission will probably disagree with this view, the parties often get the impression that the Commission believes it is entitled to use internal documents selectively as it sees fit,

practice sometimes only accepts redactions for legal privilege, not for “irrelevance”), and it now not only covers copies of documents prepared “by or for” but also those that have been “received by” board members (or the shareholders’ meeting, etc.) and thus catches external reports, studies, etc. In addition, the notifying parties have to provide documents on all “plausible” markets, rather than only on relevant markets. For more details see Levy/ Karadakova, The EC’s Increasing Reliance On Internal Documents Under The EU Merger Regulation: Issues & Implications, ECLR 2018, 12 et seq. 4 Following criticism by practitioners, the Commission seems to be well aware of these issues, and Commissioner Vestager announced in January 2018 that the Commission will issue best practice guidelines for submitting internal documents in EU merger reviews; see Vestager, Speech of January 25, 2018, Fairness and competition, GCLC Annual Conference, Brussels (available on the Commission’s website under: https://ec.europa.eu/commission/commis​sio​ ners/2014-2019/vestager/announcements/fair​ness-and-competition_en); see also Laitenberger, Speech of March 1, 2018, Enforcing EU competition law in a time of change, “Is Disruptive Competition Disrupting Competition Enforcement?”, W@competition Conference, p.  6. These best practice guidelines were scheduled to be published in spring 2018, but the final version was not available before the editorial deadline at the end of July 2018. A draft of the  guidelines (“DBPG”) was circulated to a very limited number of stakeholders. These draft guidelines only summarize the Commission’s practice and give some examples, but do not give definitive guidance and leave most of the issues discussed in this contribution unresolved. 5 Pursuant to Article 11(7) EUMR, the Commission may conduct interviews, but in practice, this investigative tool has been limited to conducting phone interviews in lieu of ­formal ­written information requests with third parties, e.g., competitors or customers of the merging parties.

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rather than appreciating the whole body of evidence in front of it in a balanced manner. The Parties do not have effective redress against the Commission’s expansion of its powers, because the EUMR system is, contrary to the US system,6 an administrative one, i.e., the Commission is at the same time the institution that investigates mergers and the one that is entitled to block them by decision. The parties would therefore need to apply to the General Court for an annulment of the prohibition decision to challenge any overreach. But effective judicial review still does not exist for merger prohibitions in the EU  – merger appeals still take a median of three years until a General Court judgment is reached (with a further average of 18 months until the CJEU has decided as the last instance), and interim measures (and even the expedited procedure) are rarely if ever granted in practice. As a result, a deal is practically “dead” once the Commission blocks it. This means that the parties are effectively left with the Commission’s internal control mechanisms, and need to bear with the Commission’s objections and theories, hoping to persuade the Commission eventually, or “get away” with remedies they can ultimately live with, even if they strongly believe the Commission’s objections are ill-founded. The issues arising from the Commission’s increasingly extensive requests of and reliance on internal documents have had a profound impact on companies and their advisors undergoing a merger review in Brussels. After a brief summary of the probative value, the evolution and current state of the Commission’s approach to internal documents (II.), this article will provide a critical assessment of three selected areas of concern: the key procedural issues arising from the Commission’s practice (III.1.); the protection of LPP (III.2.); and the substantive appraisal of internal documents (III.3.). The article then concludes (IV.) with proposals on how to address the identified concerns and some final remarks (V.).

II. Evolution of the Commission’s practice Several authors have recently summarized the European Commission’s and the US agencies’ views on the probative value of internal documents, the evolution of European Commission’s practice, and the procedure pursuant to which the Commission collects such documents.7 Thus, the author can limit himself to a few summary observations in this respect:

6 In the US, the antitrust agencies cannot block transactions themselves, but need to persuade a court to do so (or at least obtain an injunction preventing closing; “judicial system”)). In the EU, Sweden was the last country which abandoned this judicial system in favor of an administrative system in 2017. 7 See, e.g., Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12 et seq.; Wilson, Document requests in complex EU merger cases, ZWeR 2017, 146 et seq.; Dethmers, ECLR 2016, 435 et seq.

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Internal documents in EUMR proceedings

1. Importance of internal documents While the US agencies have relied on internal documents from the early beginnings of merger control proceedings, the European Commission historically put its focus on an extensive Form CO describing the market conditions. Nowadays, however, the Commission constantly stresses the importance of internal documents, and they have become a key source of evidence in the Commission’s merger assessment.8 In principle, it is sound to rely, inter alia, on internal documents, because they “allow the Commission to gain a […] better insight into the relevant markets as viewed by the market participants themselves”.9 They can have a particular probative value for the notifying parties’ factual claims and key competitive effects of a transaction, such as the merger’s strategic rationale,10 post-merger plans and incentives,11 closeness of competition12 and other aspects13 relevant to reach a well-founded decision. However, internal documents also have shortcomings. They may represent snapshots that have been superseded by more recent events or insights, the authors may not express a considered company leadership-endorsed view, they may be presenting their own achievements in a biased manner, they may have a hidden agenda with certain statements, the prospects given may be overly optimistic (e.g., to obtain funding for certain projects), etc. 2. The Commission’s increasing reliance on internal documents The Commission’s new focus reached can be illustrated by some recent figures: it requested hundreds of thousands of internal documents in several complex merger cases, such as Hutchison 3G UK/Telefonica UK (more than 300,000 internal documents), Dow/DuPont (more than 400,000) and Hutchison 3G Italy/WIND/JV (more than one million).14 With 2.7 million internal documents provided to the 8 See Manigrassi/Ocello/Staykova, Competition merger brief 3/2016, Recent ­developments in telecoms mergers, p. 4; van Gerven/Gotlieb, Data Gathering and Analysis: The Anatomy of a Merger Investigation in Europe, 39 Fordham Int’l L.J. 1 (2015). 9 COMP/M.7932 – Dow/DuPont, para. 43. 10 See Mergers: Commission adopts package simplifying procedures under the EU Merger Regulation- FAQ, IP/13/1214 (December 5, 2013); Scheffman, Sources of ­Information and Evidence in Merger Investigations: An FTC Economist’s View, The Use of Economics in EC Competition Law, Brussels, January 2003 at 5 (available on the FTC’s website under: https:// www.ftc.gov/sites/default/files/documents/public_statements/sources-information-andevidence-merger-investigations-ftc-economists-­view/sourcesofinfobrussels03.pdf). 11 See Laitenberger, Speech of March 1, 2018, Enforcing EU competition law in a time of change, “Is Disruptive Competition Disrupting Competition Enforcement?”, W@ competition Conference, p.  6 (available on the Commission’s website under: http://ec.europa.eu/ competition/speeches/text/sp2018_03_en.pdf). 12 ICN Merger Guidelines Workbook (April 2006), C.10. 13 See Levy/Cook, European Merger Control Law: A Guide to the Merger Regulation, § 10.11 para. 3 with further references to several Commission decisions. 14 Case M.7612  – Hutchison 3G UK/Telefonica UK; Case M.7932  – Dow/DuPont; Case M.7758 – Hutchison 3G Italy/WIND/JV; see Levy/Cook, § 10.11 para. 3; see also additional cases listed by Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 17.

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Commission, Bayer’s CEO described the EU merger proceedings as going to “unimaginable depths”.15 Correspondingly, internal documents have become key evidence for the Commission’s substantive assessment. Starting in the early 2000s, the Commission’s decisions contained an increasing number of references to internal documents.16 For example, the Commission stressed that its findings in its recent mobile merger decisions were based on “extensive reviews of the merging parties’ internal documents during its phase II investigations”,17 which resulted in more than 600 references to internal documents in its Hutchison 3G Italy/WIND/JV decision.18 The Dow/DuPont decision contained more than 1,300 references to internal documents. 3. Legal basis to collect internal documents in EUMR proceedings Despite its growing importance, there is no guidance on the collection or treatment of internal documents in the EUMR, the Implementing Regulation, or any Commission Guidelines. Section 5.4 of the Form CO only sets out the minimal set of documents to be submitted with the notification. The Commission therefore relies on its general investigatory powers and its discretion19 – it can ask for all information it “considers […] necessary to enable it to decide on the compatibility of the concentration concerned with the internal market”.20 The only limits to the Commission’s power to issue extensive document requests are the principles of proportionality21 and protection of Legal Professional Privilege (“LPP”).22 4. The Commission’s document collection practice In practice, the scope of documents actually requested may vary depending on the case’s complexity and the case team’s habits.23 However, the following general observations may be made regarding the Commission’s practice: 15 Reuters, EU review of Bayer’s Monsanto bid postponed further (January 29, 2018) (available under: https://www.reuters.com/article/us-monsanto-m-a-bayer-eu/eu-re​view-​of-­bayersmonsanto-bid-postponed-further-idUSKBN1FI1S5); Bayer/Monsanto, Press Release IP/18/​ 2282 (March 21, 2018). 16 See Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 15 listing the following examples: COMP/​M.1672 – Volvo/Scania; COMP/M.2283 – Schneider/Legrand; COMP/M.2139 – Bombardier/ADtranz and COMP/M.3083 – General Electric/Instrumentarium. 17 Manigrassi/Ocello/Staykova, Competition merger brief 3/2016, Recent developments in telecoms mergers, p. 4. 18 The ChemChina/Syngenta decision contains approximately 100 references to internal documents and the Deutsche Börse/NYSE Euronext decision approximately 150 references. 19 See Dethmers, ECLR 2016, 435, 446. 20 Case T-145/06, Omya/Huber [2009] ECR II-145, para. 28; see Wilson, ZWeR 2017, 146, 149. See also Article 11 EUMR. The DBPG in this respect only summarize the Commission’s practice by way of example. 21 Case T-145/06, Omya/Huber [2009] ECR II-145, para. 34. 22 See below under III. 2. 23 Turner/Kaufman, Convergence and divergence in the EU and U.S. approaches to document requests in complex mergers, 31 Antitrust 76, 77 (2016); Wilson, ZWeR 2017, 146, 147 and 152.

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Internal documents in EUMR proceedings

Timing of requests. Internal documents can be requested at different points in time (without any advance warning) in all phases of the merger proceedings. Given that the Commission’s powers under Articles 11 and 14 EUMR only apply as of formal notification, pre-notification requests are typically broad and, to the extent their scope goes beyond what Section 5.4 of Form CO requires, responses are voluntary and have no bearing on the completeness of the Form CO filing. Nevertheless, the Commission frequently requests large volumes of internal documents already in prenotification.24 Document requests are also frequently issued after notification, when Articles 11 and 14 apply.25 Types of requests. The Commission requests internal documents from both the merging parties and (to a lesser extent) from third parties.26 The Commission normally first issues a simple request pursuant to Article 11(2) EUMR, which specifies the type of information required, and sets a deadline to respond.27 If the parties fail to meet that deadline, the Commission will request the information by decision pursuant to Article 11(3) EUMR,28 which will suspend the EUMR’s timetable (Article 10(4) EUMR; “stop-the-clock”) as of the expiration of the simple request’s deadline.29 The Commission sets typically very short deadlines to respond, and the parties may be able to obtain only a short extension.30

24 The DBPG (section 4.2) indicate this is a good time to discuss draft requests and submit documents on a rolling basis. 25 See the description of “merger control procedures” on the Commission’s website (available at: http://ec.europa.eu/competition/mergers/procedures_en.html; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 14. Occasionally, the Commission may share drafts of the document requests still in the pre-notification phase and will submit the original request right after formal notification. By doing so, the Commission allows the parties to prepare for extensive document requests and avoid delays. The parties might have the opportunity to discuss and possibly reduce the scope of the specific request during the Commission’s formal review (see DG COMP, Best practices on the conduct of EC merger control proceedings, (January 20, 2004) (available on the Commission’s website under: http://ec.europa.eu/competition/ mergers/legislation/proceedings.pdf), paras. 6 and 19; see Dethmers, ECLR 2016, 435, 445; Wilson, ZWeR 2017, 146, 148), but substantial reductions are unlikely in practice. 26 Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12 and 17. 27 See Article 11(2) and (3) EUMR; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 14. 28 See Article 9(1)(a) of the Implementing Regulation. 29 See Kuhn in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 10 FKVO para. 48 et. seq. The deadline will restart only upon a complete response. 30 Typically up to five working days for the original deadline and up to another five for an extension; often substantially less. E.g., in Case COMP/M.2283 – Schneider/Legrand, the Parties had five working days to answer 322 questions, which resulted in the collection of more than 300,000 pieces of information, see Schneider Electric v. Commission (T-310/01) EU:T:2002:254; see also Wilson, ZWeR 2017, 146, 149. The DBPG state that the deadlines must be strictly respected. As an indication, they state (para. 31) that if the response likely exceeds 10,000 documents, the deadlines “should normally” not be shorter than 10 working days, but they may depending on the stage of the proceedings and the “need for speed”.

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Scope of requests.31 In addition to the documents listed in Section 5.4., in prenotification, the Commission typically asks for specific types of documents (rather than documents relating to specific custodians), such as the last (e.g., three) years’ business plans, “documents prepared in the ordinary course of business discussing overall strategy, sales and budget”, and/or “competitor analyses” for the parties’ relevant business divisions (worldwide, EU-wide, and/or at Member state level). After formal notification, and especially in Phase II, the Commission frequently asks for all types of documents (including emails, word and pdf documents, spread sheets and presentations) in the e-mail file, storage or physical possession of specific custodians. The requested documents may be limited to those that respond to specified search terms. It makes no difference whether these documents have been created by or for that person, whether they have been created internally or received from third parties (e.g., financial advisors), etc.32

III. Selected issues arising from the EC’s increasing reliance on internal documents The Commission’s increased “appetite” for internal documents raises several issues33 and those that raise, in the author’s view, the most serious concerns are discussed below: 1. Procedural issues First, the Commission’s often extensive and burdensome document requests create several procedural issues, including substantial delays in the merger review and procedural and legal uncertainties. The absence of effective administrative or judicial redress against excessive or otherwise inappropriate document requests exacerbates these problems.

31 Typically, the Commission’s requests in complex cases contain: (i) definitions and scope, (ii) case-specific documents to be provided, and (iii) instructions for the  document production (sometimes the document requests also include an “accompanying report” listing the individuals responsible for the response to the document request and instructions given to them; see also Wilson, ZWeR 2017, 146, 152). (iv) Finally, the request usually asks for confirmation that the documents submitted in reply are true, correct, and complete (see also Wilson, ZWeR 2017, 146, 152 and 155; in case of an infringement of this obligation, the Commission may impose a fine of up to 1 % of the aggregate turnover of the party concerned, Article 14 EUMR). See also DBPG, paragraph 18. 32 See also Wilson, ZWeR 2017, 146, 152. 33 See, e.g., Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 19 et seq.; Wilson, ZWeR 2017, 146, 155 et seq.; Dethmers, ECLR 2016, 435, 445 et seq.

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a) Increasing duration of merger proceedings Cook has recently analyzed the duration of merger proceedings and found a clear upward trend in the last 15-25 years in both the duration of pre-notification34 and of Phase I and II.35 The duration of pre-notification in some recent cases illustrates the trend well: GE/Alstom – 8.5 months, Halliburton/Baker Hughes – 8-9 months, Dow/ DuPont – 6 months; Bayer/Monsanto – 8 months.36 The trend towards ever more extensive pre-notification phases detracts from the phase’s original purpose: it is useful to discuss, without being bound by specific deadlines or rules of procedure, the case with the Commission at an early stage, minimize the risk of incompleteness of a merger notification, and prepare the Commission to initiate a targeted investigation on the day of the formal notification.37 However, de facto, pre-notification has become an extension of the mandatory timetable pursuant to Article 10 EUMR. This development is unfortunate because the EUMR’s tight deadlines’ “purpose is to restrict, for reasons of legal certainty and in the interest of the undertakings concerned, the length of the proceedings for investigating transactions which are the responsibility of the Commission”.38 In addition, the Commission has issued an increasing number of stop-the-clock decisions resulting from burdensome documents requests. Approximately one-third of all Phase II cases decided between 2016 and February 2018 include at least one stop-the-clock decision.39 A key reason for this development is the Commission’s 34 The average number of pre-notification days increased from 60 in 2005 to 112 in 2016 and on average 127 days for Phase II decisions. The percentage of Phase I decisions that had a long pre-notification period of more than 100 days increased from 14 % in 2005 to 32 % in 2016; see Cook, Real review timetables under the EU Merger Regulation, Concurrences No. 2-2017, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 3/4. 35 Average total time (i.e., from the announcement of the merger to the final Commission decision 206 days in 1990-1995 to 337 days in 2011-2016; see Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 3/4. 36 Case M.7278  – GE/Alstom (Thermal Power  – Renewable Power & Grid Business); Case M.7477 – Halliburton/Baker Hughes; Case M.7932 – Dow/DuPont; Case M.8084 – Bayer/ Monsanto. 37 See IBA, submission to the European Commission in response to its consultation on proposed changes to the simplified procedure under the EUMR and related changes, June 19, 2013, page 18 (available under: http://ec.europa.eu/competition/consultat​ions/2013_ merger_regulation/iba_en.pdf). 38 Case C-170/02 P, Schlüsselverlag, [2003] ECR I-9889, para. 33; see also Case C-202/06 P, Cementbouw, [2007] ECR I-12132, para. 37; see Kuhn in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 10 FKVO para. 4; see also Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 7 (as he pointed out, it is a real challenge for the parties to hold a deal together for such extended periods of time). 39 The median suspension by stop-the-clock decisions has been 17 working days in 20152017; see PaRR of March 5, 2018, PaRR Statistics: EC merger review stop-the-clock more common under Vestager. In Case M.8306 – Qualcomm/NXP the Commission has stopped its review for more than two months due to an internal document request; see PaRR of December 12, 2017, EC ready to discuss draft RFIs to ensure they are well targeted – CRA

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extensive reliance on internal documents. These requests require the merging parties and their advisors to identify, review and submit thousands of documents under strict deadlines.40 Simultaneously, they have to prepare several other submissions: in prenotification, they need to get their extensive Form CO ready as soon as possible, especially if there is a risk of parallel mergers.41 In early Phase II, they have to respond to the Commission’s Article 6(1)(c) decision and prepare a State of Play meeting.42 In all phases, the parties typically have to reply to several other requests for information. Extensive document requests therefore do not only impose a huge additional burden on the parties, but will typically either further extend the already lengthy and unregulated pre-notification phase, may lead to stop-the-clock decisions (primarily) in Phase II,43 or even both. b) Procedural uncertainties and inconsistencies There are no specific rules, guidelines or case-law that would provide guidance to the parties as to in which merger cases the Commission is likely to request which types of documents, nor with respect to the requests’ timing (e.g. pre-notification, Phase I, various stages of Phase II), or the documents’ expected volume, personal, temporal or geographic scope.44 Moreover, while the requests are obviously inspired by US practice, the Commission’s requests often differ substantially from the US agencies’ Second Request45 in the same case, notably regarding the timing of the requests, the Brussels. In addition, in more and more recent Phase II cases, the clock has been stopped more than once (for example in Case M.7477 – Halliburton/Baker Hughes; Case M.7932 – Dow/DuPont; Case M.8084 – Bayer/Monsanto; Case M.8306 – Qualcomm/NXP). 40 Other reasons are more extensive market tests and an increasing use of economic analysis; see van Gerven/Gotlieb, 39 Fordham Int’l L.J. 1, 12 et seq. (2015). 41 In such cases, the parties are interested in avoiding excessive pre-notification phases given that they will only benefit from the Commission’s priority rule once they have filed a formal notification to the Commission (see Case M.4601 – KarstadtQuelle/MyTravel, paras. 48-50 and Case COMP/M.4600  – TUI/First Choice, para. 66-68). Such a race between parties can  be relevant in consolidated industries in which several merger take place almost simultaneously (as the Dow/DuPont, ChemChina/Syngenta and Bayer/Monsanto mergers demonstrate); Cook, Concurrences No. 2, 2017, 1, 7 et seq.; Kuhn in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 6 FKVO para. 2. 42 The State of Play meetings are, in general, the first time for the parties to present their arguments directly to DG COMP’s hierarchy. They will orally respond to the Commission’s Article 6(1)(c) decision and will discuss the next steps; see Kuhn in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 6 FKVO para. 57. 43 One might get the impression that extensive document requests that make a suspension of the EUMR deadlines unavoidable (see below) are not always necessary or even useful for the assessment of the transaction, but the case teams (also) use them to obtain additional time for their reviews. See Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 9. 44 The requests themselves provide – more or less clear – guidance on some of the items, albeit they are based solely on the case team’s view, e.g., with respect to LPP; see Wilson, ZWeR 2017, 146, 147. The DBPG again only provide examples. 45 See US Model Second Request (available at the DoJ’s website under: https://www.justice. gov/atr/file/706636/download).

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temporal scope of the documents to be provided,46 the scope of LPP protection,47 etc. U.S.  agencies regularly agree to limit the request to specific custodians as part of negotiations for modifications to the Second Request,48 which often leads to situations where the Commission requests documents from custodians that were not covered by the (subsequently modified) U.S. Second Request. c) Missing legal protection against disproportionate document requests The current merger control system also lacks an administrative or judicial framework that can provide effective legal protection against overly burdensome and disproportionate document requests. There is no designated process to challenge disproportionate simple requests pursuant to Article 11(2) EUMR, and in particular the Hearing Officer does not feel competent to intervene because this issue does not fall within the scope of his mandate.49 Instead, the parties have to wait for a formal decision pursuant to Article 11(3) EUMR, which automatically stops the clock, and apply for its annulment (again, the Hearing Officer does not consider it possible to intervene based on his mandate). But, as mentioned above, being able to bring such an application in Court does not provide effective redress for an ongoing merger case, given that court proceedings still take too long, and interim measures are rarely if ever granted in practice. Accordingly, it is not surprising that there seems to be only a single case in which a party – unsuccessfully – attempted to challenge an Article 11(3) decision in Luxembourg.50 2. Legal professional privilege LPP is a fundamental right laid down in Article 47 and 48 of the EU’s Charter of Fundamental Rights and well-established case-law.51 Also in the US, the attorney46 The US Second Request normally asks for documents created, altered or received by the parties within two years of the date on which the request was issued (see US Model Second Request, “Instructions”, para. 1.; in lengthy US proceedings, the parties may need to update their document production at a certain point), while the Commission has in the past often asked for longer periods (even four or five years). 47 For example, US LPP covers inhouse counsel (Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 397 1981), EU LPP does not. 48 The US Model Second Request explicitly anticipates a subsequent agreement to narrow the scope of the document requests to a “limited group of custodians” (see US Model Second Request, “Instructions”, para. 5). 49 Decision 2011/695/EU of the President of the European Commission on the function and terms of reference of the Hearing Officer in certain competition proceedings (“the Terms of Reference”), OJ L 275 of October 20, 2011, p. 29. 50 In that case, the General Court gave the Commission a wide discretion as to the scope of the request and the consequential suspension of the EUMR’s timetable if the parties did not respond within the provided deadline; Case T-145/06, Omya/Huber [2009] ECR II-145, paras. 30, 32-23, 99; see Kuhn in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 10 FKVO para. 60 for more details. 51 Article 47: “Everyone shall have the possibility of being advised, defended and represented”; Article 48: “Respect for the rights of the defence of anyone who has been charged shall be

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client privilege is akin to a fundamental right.52 Its object is to enable companies and individuals to obtain legal advice free from the fear that the confidential information or advice will be disclosed to the authorities or other third parties.53 Thus, documents that are protected by LPP must be excluded from the scope of the Commission’s document requests. a) LPP categories in the Commission’s practice While neither the EUMR, nor the Implementing Regulation or the Commission’s best practice guidelines on merger control proceedings contain any guidance on the protection of LPP with respect to documents requested in EUMR proceedings, in practice, the Commission takes the view that LPP is limited to the following three categories of documents:54 (i) Written communications with an independent, EU-qualified, lawyer made for the purposes and in the interests of the client’s rights of defense in competition proceedings;55 (ii) Internal notes circulated within an undertaking which are confined to reporting the content of communications with an independent, EU-qualified, lawyer ­containing legal advice;56 or (iii) Working documents and summaries prepared by the client, provided that they were drawn up exclusively for the purpose of seeking legal advice from an independent, EU-qualified, lawyer in exercise of the rights of defense.57 In contrast,

guaranteed”; Joined Cases T-125/03 and T-253/03, Akzo Nobel Chemicals v. Commission, [2007] ECR II-3523, para. 77; Case 155/79 AM & S v Commission [1982] ECR 1575, para. 2. 52 The Ninth Circuit of the United States Court of Appeals has held that “The attorney-client privilege is the oldest and arguably most fundamental of the common law privileges recognized under Federal Rule of Evidence 501”; In re Napster, Inc. Copyright Litigation, 479 F.3d 1078, 1090 (9th Cir. 2007) (citing United States v. Zolin, 491 U.S. 554 (1989)). 53 See Hunt v. Blackburn, 128 U.S. 464, 470 (1888): “[Privilege] is founded upon the necessity, in the interest and administration of justice, of the aid of persons having knowledge of the law and skilled in its practice, which assistance can only be safely and readily availed of when free from the consequences or the apprehension of disclosure.” 54 The following categories are quoted from a Commission RFI and have been supplemented with references to case-law by the European Courts; see also Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018. The DBPG confirm the Commission’s view as reported here. 55 Case 155/79 AM & S v. Commission [1982] ECR 1575, para. 21. In this respect, the Commission has noted that documents marked as “privileged & confidential” or “external counsel” are not automatically covered by LPP; see Wilson, Legal Professional Privilege in der EU-Fusionskontrolle, NZKart 2017, 352, 353 for more details. 56 Case T-30/89, Hilti v. Commission [1990] ECR II-163 (Order), para. 18; Joined Cases T-125/03 and T-253/03, Akzo Nobel Chemicals v. Commission, [2007] ECR II-3523, para. 117. 57 Joined Cases T-125/03 and T-253/03, Akzo Nobel Chemicals v. Commission, [2007] ECR II-3523, para. 122.

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the mere fact that a document has been discussed with a lawyer does not suffice for LPP to apply.58 This approach is based on the Commission’s best practice guidelines59 and the EU Courts’ case-law60 on proceedings concerning Articles 101 or 102 TFEU. But also in merger cases, the Commission has taken a strict stance and interpreted these rules narrowly.61 For example, the Commission in principle does not accept LPP for documents emanating from/correspondence with/documents prepared for seeking advice from (a) non-EU qualified lawyers, (b) inhouse counsel or (c) economists and other consultants (which in practice are typically guided by the parties’ external counsel).62 b) Practical difficulties when claiming LPP The tough deadlines and the business need to avoid delays in the merger clearance process make a proper LPP analysis de facto impossible before the documents need to be produced to the Commission.63 In practice, the parties often have to submit hundreds of thousands of documents to the Commission without being able to conduct a proper LPP review (let alone a substantive review) in advance. If the parties want to be reasonably certain that no documents that qualify for LPP are produced, but at the same time try to avoid a stop-the-clock decision, they may wish 58 Ibid., para. 123. 59 Commission notice on best practices for the conduct of proceedings concerning Articles 101 and 102 TFEU, OJ C 308 of October 20, 2011, paras. 51 et seq. 60 See also Article 43 §  2(a) of the CJEU’s Rules of Procedure (consolidated version of the Rules of Procedure of the Court of Justice of September 25, 2012, OJ L 265 of September 29, 2012, as amended on June 18, 2013 (OJ L 173 of June 26, 2013) and on July 19, 2016 (OJ L 217 of August 12, 2016). See also Article 52 § 2(a) of the Rules of Procedure of the General Court, OJ L 105 of April 23, 2015. 61 See also Wilson, ZWeR 2017, 146, 157/158. 62 For more details see Wilson, ZWeR 2017, 146 et seq. and Wilson, NZKart 2017, 352 et seq. However, practice may differ between case teams with respect to specific LPP issues. For example, the Commission has sometimes limited category (iii) even further, saying such documents are only protected if they were drawn up to seek legal advice from an external lawyer in exercise of the rights of defense in competition law proceedings (as opposed to legal advice in other matters, e.g., patent litigation). Moreover, it is not clear whether crossparty communication (i.e., communication between one party and the external counsel of the other party, which might be necessary in merger control proceedings) will be covered by LPP (for more details see Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018). Also, anecdotal experience shows that the  Commission has in some cases accepted that correspondence with an external non-EU qualified lawyer concerning the very same transaction reviewed by the Commission may be removed from the document production, or that correspondence between competition economists and their clients in merger proceedings may be covered by LPP (see Wilson, NZKart 2017, 352, 356). 63 Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018; Schulz/Börner, Competition Law Insight 2016, pp. 10, 11.

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to exclude from the production all documents that “hit” on certain LPP “search terms”. The Commission, however, will typically closely review the parties’ LPP claims based on “privilege logs”64 that they need to produce (which also costs them extra time),65 and consider the production with such relatively broad exclusions incomplete.66 Contrary to the US process, there is no concept of “substantial compliance” with a document request that would allow restarting the clock while the parties are finalizing their LPP review.67 This means that the parties’ only real options are (i) to accept a stop-the-clock decision and simply take the time needed to do a proper privilege review, or (ii) to exclude only those documents that they can determine without a need for a detailed review to have been created by or have been sent from or to68 external EU-qualified legal counsel in competition proceedings. Under approach (ii), some documents that are covered by LPP will inevitably initially be produced to the Commission. This raises – apart from a potential waiver of privilege (see IV. below) – two issues: first, unlike in the US,69 the EUMR has no proper “claw back” mechanism that allows the parties to take back inadvertently disclosed documents, albeit that the Commission in principle seems to accept the concept of “claw backs”. Second, there is a risk that the Commission still indirectly relies on the documents’ content even if they are ultimately clawed back – one would expect that it is practically impossible for the case team members to forget the content of documents that they initially saw.

64 In the privilege logs, the parties need to provide the following explanations in table format for each document they consider to be covered by LPP: (a) author; (b) sender; (c) addressee; (d) date and time of sending; (e) subject line; (f) general subject matter of the document and context; (g) if applicable, the proceeding the document relates to; (h) whether LPP is claimed for the full content or only part of the document; (i) under which of the three categories of LPP (as listed above) the document would fall; DBPG, Annex 1. 65 There have been protracted discussions with the Commission about how to reflect these legal standards in the “privilege logs”. In particular, the Commission requests that the privilege logs and subsequent explanations detail which parts were redacted and why, and why the redactions do not go beyond what is necessary. Needless to say that it is impossible to expect “surgical” partial redactions for tens of thousands of documents within the time limits that the Commission sets. See also Wilson, ZWeR 2017, 146, 147. 66 For example, in Dow/DuPont the Commission stated that “[u]pon the examination of the privilege logs, it became apparent to the Commission that in producing internal documents the parties seemed to have applied a deficient methodology which had resulted in an overly broad definition of documents covered by LPP.”; see COMP/M.7932 – Dow/DuPont, para. 119. 67 See below under IV. 6. 68 Merely copying an external EU-qualified legal counsel in “cc”, does not trigger LPP but the email has to be reviewed on an individual basis; see the US case law Fisher, 425 U.S. at 404; Phillips v. C.R. Bard, Inc., 290 F.R.D. 615, 629 (D. Nev. 2013); see Wilson, ZWeR 2017, 146, 158. 69 See Greer, Avoiding E-Discovery Accidents & Responding to Inevitable Emergencies: A Perspective from the Antitrust Division, ABA Spring Meeting, March 2017, a 4 (available at  https://www.justice.gov/atr/page/file/953381/download). See also Turner/​Kaufman, 31 Antitrust 76, 79 (2016); Wilson, NZKart 2017, 352, 358.

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c) Missing legal protection against Commission’s restrictive LPP approach In proceedings concerning Articles 101 or 102 TFEU, the Commission’s best practice guidelines provide the parties with the opportunity to involve the Hearing Officer if they disagree with the Commission on LPP.70 Also, Article 4(2)(a) read in conjunction with Article 3(7) of the Terms of Reference provides that in cases where a company has withheld a document from the Commission claiming that it is covered by LPP, the company can ask the Hearing Officer to examine the claim.71 These rules do not apply to document requests pursuant to Article 11 EUMR,72 probably because merger proceedings are non-criminal in nature and subject to tight deadlines.73 As mentioned above, Court redress is only possible against an Article 11(3) EUMR or another Commission decision rejecting privilege for specific documents, and will not be possible in good time to be effective. Stop-the-clock decisions in cases of disagreements on LPP protection are therefore practically unavoidable. 3. Substantive review It should be recalled that in determining whether an SIEC is more likely than not, the Commission must take into account all relevant facts and circumstances.74 The Commission bears the full burden of proof both for clearance and prohibition decisions.75 In discharging its burden, the Commission’s reasoning and findings must be based on “convincing” evidence that is sufficiently clear, rigorous, and coherent. Proof of anti-competitive effects “calls for a precise examination, supported by convincing evidence, of the circumstances which allegedly produce those effects”76. Indeed, as Levy/Karadakova have pointed out,77 while the EU Courts have confirmed that “there is no hierarchy between the types of evidence used by the Commission in merger cases”78, they have also confirmed that the Commission has the duty to make

70 Commission notice on best practices for the conduct of proceedings concerning Articles 101 and 102 TFEU, OJ C 308 of October 20, 2011, paras. 55 et seq. 71 Wils, The Role of the Hearing Officer in Competition Proceedings before the European Commission, 35 World Competition 3, pp. 431, 449 (2012). 72 Except in the context of proceedings for the imposition of a fine pursuant to Article 14 EUMR. 73 Wils, 35 World Competition 3, pp. 431, 450 (2012); Wilson, NZKart 2017, 352, 357. 74 Tetra Laval B.V. v. Commission (“Tetra Laval”), Case T-5/02 EU:T:2002:264., para. 155. The Commission must engage in “precise examination, supported by convincing evidence, of the circumstances which allegedly produce those [anti-competitive] effects.” 75 See Energias de Portugal SA v. Commission (“Energias”), Case T-87/05 EU:T:2005:333, at para. 61. 76 Tetra Laval, para. 155. 77 Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 14. 78 See Case COMP/M.6166 Deutsche Börse/Euronext, para. 246, referring to Case T-342/07, Ryanair, [2010] ECR, para. 136.

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an “overall assessment of the case”79, cannot rely on isolated pieces of evidence,80 and must evaluate the “totality of the available evidence”81. While the Commission probably increasingly requests internal documents with the aim of grounding its decisions in a more complete set of facts and evidence, experience shows that the Commission’s dealing with internal documents does not always lead to persuasive findings. a) Possible factors making a balanced review of the full body of evidence ­difficult There are several factors that make a balanced review difficult: Information overload. Admittedly, a balanced appreciation of the full body of evidence must be difficult, given the Commission’s self-inflicted information overload. As a practical matter, within the EUMR’s prescribed timeframes, it is impossible to review hundreds of thousands of documents (in addition to the (extensive) Form CO notification, responses to other RFIs and to the Commission’s market test, etc.) thoroughly, and weigh all of the available evidence in a balanced manner. This will necessarily cause the quality of the assessment to decline (so-called “information overload bias”).82 Specifically, in practice, the Commission uses its e-discovery tools and conducts – like in antitrust cases – a “keyword-based” search. The keywords will typically be those that can help the Commission find support for its initial theory of harm. It is less likely that the Commission would actively look for documents contradicting its theory and as a practical matter, that is also more difficult to do. Given the multitude of simultaneous requests for information under strict deadlines, the parties typically also do not have time to do a proper substantive review of the documents that the Commission requested, or demonstrate quantitatively what the balance of the evidence – rather than selected anecdotal documents – shows. The Commission’s at times selective interpretation is, thus, at least partially, a result of its – again selfinflicted – information overload. Cadence of merger review process. The fear that the Commission will focus more on  looking for support for its initial theories of harm and not put equal emphasis on  assessing whether it can be disproved, is exacerbated if one considers the authority’s typical review steps: “(1) review initial information (e.g. merger notifications, 79 Ibid. 80 Case COMP/M.4439 – Ryanair/Aer Lingus (I), para. 38. For Article 101 TFEU, see General Court, judgment of January 13, 2004, Case T-67/01, JCB Service v. Commission, ECR 2004, II-49, para. 129. 81 See, e.g., Case COMP/M.6314  – Telefónica UK/Vodafone UK/Everything Everywhere/JV, para. 22; COMP/M.6663 – Ryanair/Aer Lingus (III), paras. 27 et seq. 82 For references to the extensive literature on information overload, see for example Paredes, Blinded by the Light: Information Overload and Its Consequences for Securities Regulation, 81 Wash. U. L. Q. 417, 441 (2003).

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complaints); (2) develop possible theories of harm; (3) identify factual issues to investigate; (4) collect the evidence (obtain information, documents and data, interview witnesses); (5) analyse and assess the evidence.”83 The order of these steps demonstrates that competition authorities first identify theories of harm (step  2) and based on these theories, they will collect and assess the internal documents (steps 4 and 5). Against this background, the Commission might face the so-called “confirmation bias”, which describes the judgment error that occurs when people seek out or evaluate information in a way that fits with their existing thinking and preconceptions.84 Evidentiary principles. Finally, there is no formal process to introduce witness statements as evidence in merger proceedings.85 The Commission may set up calls or meetings with party representatives and give the parties an opportunity to explain the documents’ context and content in writing and/or orally, especially in response to a statement of objections. However, the Commission is in principle free to ignore such statements as “advocacy”, and rely on its own interpretation of the documents. Given that the Commission does not hear witnesses, and not all case team members will have practical experience in advising businesses, the Commission has no first-hand knowledge as to how documents are created or written, which internal or external purposes they may serve, etc. The precise aspect that the Commission likes about ordinary course of business documents, namely that they reflect “unfiltered” views of the authors (that have not been “sanitized” by lawyers), is at the same time the documents’ biggest weakness. Individual business people’s views maybe even entirely irrelevant because they are based on incomplete information, the authors may have no influence on any decision-making, and they will therefore often not reflect the real and current company strategy, etc. b) Examples of shortcomings in the Commission’s substantive appraisal of ­internal documents While discussions of the evidentiary value of specific internal documents are typically heavily redacted in the public versions of the Commission’s decisions (and rightly so), the following examples demonstrate some serious shortcomings in some past cases: ȤȤ To start with somewhat dated precedent, in Airtours, the General Court explicitly criticized the Commission’s erroneous interpretation of an internal document that played a key role in the Commission’s assessment.86 The Court equally criticized 83 ICN Merger Working Group, Presentation by Joel Schrag (US FTC) and Michele Piergiovanni (DG COMP), Developing Reliable Evidence through Requests for Documents and Data, Washington DC, February 15/16, 2017, slide 2 (available on the ICN’s website under: http:// www.internationalcompetitionnetwork.org/uploads/merger%20wg/2017%20mws%20rfi. pdf). 84 See Nickerson, Confirmation bias: A ubiquitous phenomenon in many guises, Review of General Psychology, 2 (1998), pp. 175-220. 85 By contrast, see Article 19 of Regulation 1/2003 and Article 3 of Regulation 773/2004. 86 Airtours, (T-342/99) EU:T:2002:146, judgment of June 6, 2002, para. 130: “[…] It is apparent from a cursory examination of that document that the Commission’s reading of it was

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the Commission’s interpretation and conclusions based on internal documents in Schneider and TetraLaval.87 ȤȤ In Ineos/Solvay JV, the merging parties, which had to submit over 14,000 internal documents, complained about the Commission’s selective use of those documents: “the Commission (i) focused on a small amount of inculpatory evidence, while ignoring a multitude of exculpatory documents […], (ii) overemphasised inculpatory evidence that originated from junior employees or sales staff, was contaminated by opinions expressed by third party consultants, or was drafted simply to influence on Board decisions, and (iii) did not draw a proper distinction between the strategic views and the tactical behaviour in the market […].”88 ȤȤ Also, in Dow/DuPont, the Commission made selective use of documents. For example, the Commission stated that it “discovered direct evidence that the parties were planning to cut back their innovation efforts compared to pre-merger levels, for instance in terms of R&D output targets and inputs.”89 In this respect, first, the Commission found that the probative value of internal documents on synergy and integration planning prepared before the Commission raised concerns about the merger’s impact on innovation may be higher than those inaccurate […] the Commission ignored the emphasis placed by the author of the extract on the massive increase in foreign holiday sales that has taken place over the last 20 years. It follows that the Commission construed that document without having regard to its actual wording and overall purpose, even though it decided to include it as a document crucial to its finding that the rate of market growth was moderate in the 1990s and would continue to be so”. 87 Schneider Electric SA v. Commission, Case T-310/01 EU:T:2002:254, paras. 204-208; Tetra Laval B.V. v. Commission, Case T-5/02 EU:T:2002:264, paras. 242-243 (concerning a Tetrainternal document that said Tetra could achieve a “leading position”, which, according to the Court, did not support the Commission’s finding that Tetra would likely become dominant). 88 Case M.6905  – Ineos/Solvay/JV, para.  55; see Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 22. The Commission replied to these allegations by referring to the ECJ’s decision in Cisco (Case T-79/12, Cisco Systems, EU:T:2013:635, paras. 108-109 with further references), and stating that it “is under no obligation to provide a detailed assessment of all the documents in its file” as this would be “incompatible with the need for speed and the short timescales which [it] is bound to […]” (Case M.6905 – Ineos/Solvay/JV, para. 57 Fn. 22). While that is certainly true, it must be clear that Cisco does not entitle the Commission to “cherry-pick” certain documents supporting its views or theories. As the Court stated in Cisco, the quote above only relates to documents which appear to be “manifestly irrelevant or insignificant or plainly of secondary importance to the assessment of the concentration” (Case T-79/12, Cisco Systems, EU:T:2013:635, para. 109 with further references). Thus, the Commission is still obliged to take into account all relevant evidence, including documents that do not support or even contradict its initial theory of harm. See Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 22, also with reference to Case T-68/89, para. 91. 89 See Laitenberger, Speech of March 1, 2018, Enforcing EU competition law in a time of change, “Is Disruptive Competition Disrupting Competition Enforcement?”, W@ competition Conference, p.  5 (available on the Commission’s website under: http://ec.europa.eu/ competition/speeches/text/sp2018_03_en.pdf).

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of internal documents prepared after that point in time, despite the fact that the companies’ executives had provided sworn testimony about those later documents in front of the DOJ.90 Indeed, the Commission ignored that sworn testimony, took its own view of what the “real” synergy targets and plans were.91 It thereby ignored the standard business practice of identifying initial “top down” synergy targets that are further refined in the process based on a “bottom up” approach, and more fundamentally that integration planning is an iterative process.92 Second, the Commission felt itself qualified to second-guess the judgment of the parties’ business leaders as to how best to integrate the firms’ R&D activities.93 The Commission also objected to which party’s organization would form the basis of the combined R&D organization and hence implied that the parties have either made a mistake or decided purposely to weaken the combined firm’s R&D capability. A further example is the Commission’s view that the parties were likely to discontinue, defer or redirect certain pipeline products or “lines of research”, specifically an insecticide project. In this respect, the Commission relied on a document created by a relative low-ranked scientist, who speculated whether the project may be continued after the merger.94 The parties argued that all the document demonstrated was that the project’s future would be “discussed” posttransaction. The Commission found that unconvincing, because the document concerned a line of research in an overlapping “innovation space”, which in itself in the Commission’s view “would reduce the incentives for the merged entity to continue with this line of research.”95 The Commission went through pains to explain why it  disagreed with the parties’ view that this document’s evidentiary value was  extremely limited, stating that the document’s author was particularly knowledgeable, and that the document included one party’s “management in the acknowledgement slide”, so at least part of that party’s management must have been “aware” of the document.96

90 COMP/M.7932 – Dow/DuPont, paras. 46 and 3061 et seq., 3086 et seq. 91 Paras. 3076 et seq. 92 Para. 3083. 93 Para. 3288. 94 Anecdotal evidence from another complex merger in the manufacturing industry shows that the Commission sometimes also relies on lower-ranked employees’ e-mails or ideas for a project (e.g., an R&D project) to demonstrate that the merging parties were seriously considering a project. 95 Para. 3044. 96 Paras. 3045-3049, redacted in the public version. The Commission also discarded the parties’ argument that the line of research at issue was in fact never deferred, saying it could not verify this.

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IV. Proposals for a more efficient and balanced practice 1. The Commission needs to decide: EU or US review system? In light of the issues discussed above, the author believes the time has come for the Commission to decide on what kind of investigative system it wishes to use – a USlike document-focused system with a flexible timetable, or the traditional EU system based on pre-notification, an extensive Form CO and strict timetables. The timeframes under the EUMR have been designed for merger proceedings based on the Commission’s traditional investigation methods, and the internal and external processes that need to be undergone before the Commission can adopt a decision. Extensive document requests on top, after formal notification and especially at the beginning of Phase II, do not fit into this system. This practice undermines one of the EUMR’s key principles – legal certainty through timely decision-making97 – because of ever more extensive pre-notification phases and stop-the-clock decisions becoming the rule rather than being the exception. Indeed, why does the EU still need a full Form CO, including extensive descriptions of entirely unproblematic markets and often hundreds if not thousands of contact details,98 six months or more of pre-notification, a full and maximum-extended Phase II, and then on top hundreds of thousands of internal documents? In the US, the same transaction can be reviewed based on a very simple HSR filing that can be submitted within days of the deal’s announcement, and a Second Request that follows 30 days later. The Second Request may include more custodians than the Commission’s document requests, but it is often limited to two years of documents, its scope is often subsequently sensibly reduced based on discussions/negotiations between the parties and the agency, it has broader LPP protection, and the agency must decide within 30 days (except if it reaches a timing agreement with the parties) after the parties certified “substantial compliance” to sue to block the deal or let it pass.99 The Commission needs to decide on one system. If the Commission is not willing to reduce the scope of its document collection to a level that is manageable both for the parties and the Commission, it should  significantly shorten the pre-notification phase, and reduce the scope of the Form CO and the amount of information requested in the “descriptive” (rather than document requesting) RFIs.100 In particular, it should refrain from requiring descriptions of non-affected markets and a detailed description of markets under all plausible market definitions, especially those that are clearly unproblematic.101 Correspondingly, the Commission should have no obligation to

97 Levy/Cook, The Merger Control Review, Chapter XX, EU Merger Control, 2017, p. 10. 98 The Dow/DuPont Form CO had over 1,600 pages plus several thousand pages of Annexes. 99 See 15 U.S. Code § 18a(e); Levy/Cook, § 10.11 para. 1; Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 18; Schulz/Börner, Competition Law Insight 2016, pp. 10, 11. 100 See also Levy/Karadakova, ECLR 2018, 12, 20; Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 9. 101 Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 8.

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write detailed motivations in its decisions on non-issues, i.e., markets without any risk of an SIEC.102 2. Effective legal redress is necessary There is also a dire need to address the ineffective judicial protection against disproportionate document requests (just as against overreaching enforcement in general). Regarding document requests, the Commission should implement an “effective dispute resolution mechanism”103 against overly burdensome document requests that guarantees the principle of proportionality. It would ideally be overseen by a specialized court that could decide in a fast-track procedure, but that would require institutional changes. At a minimum, it could be overseen by the Commission’s Legal Service, a special merger policy unit or by the Hearing Officer,104 but external review would be preferable. 3. It is not sound to rely on internal documents without formal witness ­evidence Under the current system, there is an inherent risk that the Commission will interpret internal documents literally and out of context. Without the possibility (or – if one viewed Article 11(7) EUMR as providing that possibility – without the standard practice) to ask the document’s author to testify formally about its meaning, intention or context, i.e., being free to ignore such explanations, the Commission can easily reach flawed and preconceived conclusions.105 As a result, the Commission often ignores that the author of the document does not represent the company management’s view, and may over-interpret “business talk”, exaggerated descriptions of own achievements or prospects, etc. Allowing for proper depositions in the EU merger control process raises, however, several issues: First, timing-wise, carrying out document-related depositions would likely result in further delays and would thus likely require modifications of the EUMR’s timetable or the way the Commission applies it. Second, one may consider whether legislative (but not necessarily institutional) changes would be required or feasible, because the EU Regulations do not provide for a clear power to take statements

102 Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 8. This should, in principle, be compatible with the Impala (Impala v. Commission (“Impala”), Case T-464/04 EU:T:2006:216) jurisprudence pursuant to which both prohibitions and clearance decisions need to be reasoned and justified. Impala did not impose an obligation on the Commission to discuss in detail obvious non-issues. 103 Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 9. 104 Cook, Concurrences No. 2-2017, p. 1, 9. 105 PaRR of February 13, 2018, EC RFIs in merger review should be better targeted.

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in merger cases.106 In particular, the Commission has no power to sanction individuals in case they do not tell the truth.107 On the other hand, it has the power to fine companies pursuant to Article 14 EUMR for false or misleading information, and it should eventually not matter whether that information is provided in the Form CO, in response to RFIs pursuant to Article 11 EUMR, or in a formal witness deposition.108 One could also allow for affidavits, but a deposition-like discussion of the documents would seem more sensible than written explanations. At a minimum, in cases which are investigated simultaneously in the EU and in the US and where the US agencies have deposed company officials on the very same documents, transcripts of those depositions should be permitted and treated as having the same evidentiary value, if not higher value, than other types of evidence. 4. Clear rules on substantive appraisal needed Apart from hearing witnesses regarding the documents, the Commission should also try to focus more on specific categories of documents that are likely the most instructive, rather than “carpet-bombing” the parties with sweeping document requests. Indeed, it is not rare that the Article 6(1)(c) EUMR decision demonstrates that the Commission has not yet come to terms with the information it already has, but still, the Commission requests thousands of additional documents at the beginning of Phase II. In the author’s view, the volume of documents collected in complex cases is typically too large to digest, so the case team must limit itself to looking for “smoking guns” based on keyword searches. That might be appropriate in a cartel investigation, where a few episodes of illegal conduct may suffice to establish a continuous infringement. But it is certainly not the way to come to an understanding of how an industry functions or how the market structure and the parties’ and their competitors’ conduct will change because of the transaction. In this respect, some basic proposals for improvement would include: ȤȤ In order to obtain a realistic view on a company’s strategy, plans, and how it views the competitive environment, the Commission should focus on a set of the most important documents  – such as the companies’ management-approved strategy 106 Even under Regulations 1/2003 and 773/2004 for antitrust matters, the Commission can conduct interviews only if the person consents to it. 107 Article 14 EUMR does not provide for sanctions for providing false or misleading information in an interview pursuant to Article 11(7) EUMR. 108 So the legislative changes required to introduce witness statements into the EUMR process would seem limited, albeit that basic process rules would need to be established (but these could also be partially modeled on US practice; for more information on depositions see  Antitrust Division Manual, 5th ed., 2017, Chapter III, p. 54 et seq. (available on the DoJ’s website under: https://www.justice.gov/atr/file/761141/download). For example, the Hearing Officer could play an important role in this respect, especially if its role were expanded and filled not by a Commission but an independent official.

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and business plans, or the officially approved integration planning documents – in their entirety. ȤȤ Genuine, leadership-endorsed strategy documents should weigh more heavily than, e.g., emails by lower-ranked employees. ȤȤ The probative value of internal documents prepared during the ordinary course of business before the merger was planned is not per se higher than that of internal documents prepared for the Commission or after the beginning of pre-notification discussions. This needs to be analyzed on a case-by-case basis, and is especially true for post-merger plans or integration planning documents (given that they are by nature preliminary and part of an iterative process). ȤȤ Internal documents cannot per se outweigh more convincing arguments provided in the Form CO, (customer) responses to the Commission’s market test, or economic analyses. The evidentiary value of those is also very high, not least because the parties face severe sanctions if they provide misleading or false information.109 5. More sensible timing for document requests As mentioned above, the EUMR’s strict timetable does not fit well with extensive document request that require proper LPP (and substantive) review. The draft best practice guidelines suggest that pre-notification is a good point in time to explain the document retention and storage systems and policy, decision-making processes of the company, draft document requests, and produce documents on a rolling basis. The lack of enforcement powers pursuant to Articles 11 and 14 EUMR is not an issue, because the Commission can re-issue the request and a confirmation of completeness immediately after formal notification. The advantage here is the more limited time pressure given the absence of formal deadlines. The disadvantage is that this will lead to even longer pre-notification phases, and that the case team’s understanding of the issues is typically at an early stage, so the issues have not yet narrowed down and requests will likely be very broad. The worst point in time for such documents requests is unfortunately the time at which they occur most often, namely at the beginning of Phase II. During the first two weeks of Phase II, however, the parties also need to respond to the Commission’s Article 6(1)(c) decision and prepare a State of Play meeting in which they need to put “all issues on the table”, and typically respond to several other RFIs as well. Extensive document requests at this point of the procedure are bound to result in stop-the-clock decisions and should hence be avoided. They could happen at the end of Phase I (while the Commission drafts the Article 6(1)(c) decision or waits for the Legal Service’s review, the parties could work on the document request), or after the parties’

109 Lindsay/Berridge, The EU Merger Regulation: Substantive Issues, 2-050.

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response to the decision and the State of Play meeting, after which some of the issues may have been narrowed down, which should lead to more targeted requests.110 6. Introducing the concept of substantial compliance As explained above, today, the parties have to respond to the Commission’s request within tough deadlines.111 In order to allow the parties to collect documents and conduct a proper LPP review without facing stop-the-clock decisions, the merging parties should – like in the US – be allowed to produce documents on a rolling basis.112 The parties would then agree to make a good faith effort to produce the responsive, non-privileged documents from the files of the custodians.113 In the same vein, in the US, the parties often agree that a “Partial Privilege log” that requires only two types of information, the custodian’s name and the number of the respective custodian’s documents that will be held back, is sufficient. The competition authority can then request a complete privilege log for five custodians or 10 % of the custodians (whatever is greater).114 This might help to reduce delays and stop-the-clock decisions. 7. Broader LPP protection The limited LPP protection that the Commission accepts in merger reviews is not only impractical given the time constraints.115 The reasoning on which the EU Courts based the narrow scope of LPP in Article 101/102 TFEU-based proceedings also does not apply to the situation that the Commission and the parties face under the EUMR. The General Court noted in Akzo that the protection of LPP is an exception to the Commission’s investigative powers to detect concealed and usually very harmful infringements of EU competition law.116 The conflicting interests in merger control are substantially different: mergers have no criminal connotation that would justify such a narrow interpretation of LPP. The Commission does not have to rely on documents that can only be found at the parties but instead it can rely on an extensive Form CO and has several tools to investigate the merger’s effects, in particular by 110 The Commission should also warn the parties of the requests in advance and discuss their content based on a draft with the parties before formalizing the request. 111 See above under III. 2. 112 Allowing a flexible submission of documents on a rolling basis was supposed to be one of the proposals in the announced best practice guidelines for submitting internal documents in EU merger reviews; see Laitenberger, Speech of March 1, 2018, Enforcing EU competition law in a time of change, “Is Disruptive Competition Disrupting Competition Enforcement?”, W@competition Conference, p. 6. 113 This proceeding might also lead to a more comprehensive review by the Commission, who could not apply its “key word searches” for “smoking gun” documents on the entire dataset. 114 Wilson, NZKart 2017, 352, 357. 115 Wilson, NZKart 2017, 352, 352; Depoortere/Motta, Legal Professional Privilege Under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018. 116 Joined Cases T-125/03 and T-253/03, Akzo Nobel Chemicals v. Commission, [2007] ECR II-3523, para. 124.

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conducting market tests and economic analyses. Finally, the EUMR process with its tight deadlines and the publicity around these deadlines and stop-the-clocks does not lend itself to a detailed discussion and partial review of potentially privileged documents – especially considering the vast number of documents at stake – the same way it can perhaps be done in antitrust proceedings that have no deadline and where only a few documents may warrant discussion. Therefore, an independent legal standard for merger proceedings has to be established, which properly reflects the different set-up of an EUMR investigation, the typically global nature of transactions reviewed, and the often pro-competitive nature of mergers. Especially, US (and EU) inhouse counsel correspondence and correspondence with economists on subjects related to the reviewed transaction, other potential transactions in the industry, and legal proceedings in general (be they competition law proceedings or not) should be protected. Further, LPP rules should be standardized to the greatest extent possible between several jurisdictions, especially given that the agencies typically request the parties to allow them to exchange the requested documents with other agencies. In that respect, the broadest pertinent LPP standards should apply for all jurisdictions involved in a given case. It is remarkable that in a global transaction, one and the same document may be protected from disclosure to the US agencies, but not from the European Commission, because the document emanated, for example, from a party’s US inhouse lawyer. Apart from conflicting with principles of international comity, this also makes little practical sense, in particular where the document may not even be particularly relevant for the Commission’s competitive assessment, e.g., because it concerns US patent litigation. Producing these documents to the Commission also raises questions about a potential waiver of privilege,117 and it seems entirely disproportionate to require the parties to decide between taking that risk and having the EUMR clock stopped.

V. Concluding remarks The Commission’s increasing reliance on internal documents in EU merger control proceedings creates an unnecessarily high burden for the notifying parties, raises important practical and legal issues, and at the same time does not necessarily lead to higher quality decisions, or enable the Commission to reach “the right results” with more certainty and rigor. Perhaps most importantly, especially in an administrative 117 The Commission generally asks for permission to share discovered documents with other authorities (see the Commission’s model confidentiality waiver published on the Commission’s website under: http://ec.europa.eu/competition/mergers/legis​ lation/​ np​ waivers.pdf). This increases the risk that the US authorities will obtain information that would actually be covered by US LPP. Therefore, it is advisable to stipulate exceptions in the waivers granted to the antitrust authorities stating that documents that would have been privileged in the receiving country, including in particular inhouse counsel documents should not be shared.

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system such as the EUMR’s, it is critical that the competition authority does not cherry-pick documents supporting its initial theories of harm, while failing to weigh these fairly against evidence to the contrary. The author hopes that the Commission will address these issues in the near future, and that some of the observations and proposals made contribute to a healthy and open discussion about useful institutional, legislative, or at least practical changes.

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Zum Einfluss von Handelsmarken auf Innovationen in vorgelagerten Märkten I. Ausgangspunkte 1. Problemstellung 2. Gang der Untersuchung II. Grundlagen 1. Begriffsabgrenzungen 2. Innovationen und dynamische Wett­ bewerbsfunktionen III. Innovationswettbewerb in der ­Ernährungswirtschaft 1. Ausgangspunkte für einen ökonomischen Bezugsrahmen 2. Eine ‚Theory of harm‘ für Nachfragemacht a) Zum Einfluss von Handelsmarken auf Innovationsgewinne b) Wettbewerbliche Besonderheiten von Handelsmarken c) Differenzierungsbedarf für den ­Einfluss von Handelsmarken auf die Innovationstätigkeit der Lieferantenseite

IV. Innovationen aus der Sicht der Kartell­ behörden 1. Zur Prüfung von dynamischen Wett­ bewerbsfunktionen in Fusionskontrollverfahren 2. Zur Innovationsstudie der EU-Kommission 2014 3. Zur Sektoruntersuchung Nachfragemacht des Bundeskartellamts V. Empirische Befunde zur Handelsmarken­ entwicklung und zum Innovationswettbewerb in der Industrie 1. Profitabilitätsanreize durch Produkt­ innovation 2. Innovations- und Handelsmarken­ entwicklung VI. Ergebnis und Ausblick

I. Ausgangspunkte 1. Problemstellung Wettbewerb soll gewährleisten, die Verhaltensspielräume aller Marktteilnehmer durch Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite zu beschränken. Er erhöht dadurch die Verbraucherwohlfahrt, „zum Beispiel in Form niedriger Preise, hochwer­ tiger Produkte, einer großen Auswahl an Waren und Dienstleistungen und Innova­ tion.“1 Grundsätzlich schützen daher Fusionskontrollverfahren sowohl Wettbewerber als auch die Marktpartner auf vor- und nachgelagerten Märkten vor der Verminderung wirksamen Wettbewerbs, insbesondere vor der Entstehung oder der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Beurteilungskriterien zur Erfassung kritischer Marktmacht sind schutzzweckentsprechend jedoch vor allen Dingen horizontal ausgerichtet und orientieren sich über1 EU-Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, 2004/C 31/03 – Überblick.

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wiegend an Strukturmerkmalen des aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs auf dem fusionsbetroffenen Markt.2 So wird implizit vorausgesetzt, mit dem Erreichen bestimmter Marktanteilsschwellen auch die Gefährdungen des Innovationswettbewerbs auf Lieferanten- oder Absatzmärkten mit zu erfassen. Eine explizite Untersuchung, wie sich Marktmacht in Zusammenschlussfällen auf die Entwicklung von Innova­ tionen auf vorgelagerten Lieferantenmärkten auswirken wird, findet praktisch nicht statt. Auch in Missbrauchsverfahren werden die Eingriffsvoraussetzungen bei Nachfragemacht an horizontal ausgerichteten strukturellen Kriterien festgemacht, ohne dass der Einfluss bestimmter Wettbewerbspraktiken auf die Entwicklung von Innovationen mit eigenen Indikatoren direkt gemessen werden würde. Bereits unterhalb der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung (40 % Marktanteil) kann wirksamer Wettbewerb beeinträchtigt werden. Daher fragt es sich, ob und inwieweit Marktmacht unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle auch den Innovationswettbewerb auf vorgelagerten Märkten schwächen kann. Damit soll im folgenden Beitrag der Frage nachgegangen werden, ob die Verminderung des Innovationswettbewerbs durch den SIEC- bzw. den Marktbeherrschungstest ausreichend erfasst wird. Dies wird am Beispiel der Ernährungswirtschaft näher untersucht, die durch den Unternehmenszusammenschluss Edeka/Tengelmann die Nachfragemachtdiskussion zuletzt wieder belebt hatte.3 2. Gang der Untersuchung Der Beitrag greift zunächst die Frage auf, inwieweit der Innovationswettbewerb in die kartellrechtliche Beurteilung von Marktmacht einfließt und wie er wettbewerbstheoretisch einzuordnen ist. Anschließend wird wettbewerbstheoretisch betrachtet, wie sich Nachfragemacht auf den Innovationswettbewerb auf der Lieferantenseite auswirkt, bevor auf eine Reihe von empirischen Befunden eingegangen wird.

II. Grundlagen 1. Begriffsabgrenzungen Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf neue Produkte.4 Die hierunter subsumierten Innovationsformen sind dem technischen Fortschritt zuzuordnen, der 2 Von der Übertragung von Marktmacht auf bisher nicht beherrschte Märkte sei an dieser Stelle abgesehen. 3 Zuletzt in Verbindung mit der Übernahme der Plus-Märkte der Edeka-Zentrale AG & Co. KG die Hochzeitsrabattentscheidung des BKartA B2-58/09; Anfang 2018 hat der BGH die zuvor ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf (Az. VI-Kart 6/14) aufgehoben und die durch das BKartA bereits untersagte Praxis des Bestwertabgleichs und der ohne gesicherte (bzw. kalkulierbare) Gegenleistung erhobenen Forderung von pauschalen Investitionszuschüssen endgültig für unzulässig erklärt, Az. KVR 3/17. 4 Auf Verfahrensinnovationen, auch als Prozessinnovationen bezeichnet, wird im Folgenden nicht weiter eingegangen. Sie dienen dazu, den Herstellungsprozess der Produkte zu verbessern. Verbesserungen können sich auf zahlreiche Bereiche erstrecken: Neben der Rationa­

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Einfluss von Handelsmarken auf Innovationen in vorgelagerten Märkten

vom wirtschaftlichen Fortschritt abzugrenzen ist. Letzterer umfasst neue Transaktionsformen in der Wertschöpfungskette, die hier nicht weiter betrachtet werden sollen. Neue Produkte können als Marktinnovationen – erstmals auf dem Markt angebotene Produkte – oder als Firmen- bzw. Unternehmensinnovationen in Erscheinung treten. Firmeninnovationen sind zwar nicht neu auf dem Markt, sorgen allerdings als Form des verfolgenden Wettbewerbs für neue Ausweichalternativen auf dem relevanten Markt und damit überhaupt erst für Wettbewerb. Vertikale und horizontale Produktdifferenzierung sowie Produktvariationen, die beide nach der Einführung von Markt- und auch Firmeninnovationen auftreten können, haben im weiteren Sinne zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung ebenfalls inno­vativen Charakter. Sie dienen im ersten Fall dazu, die Nachfrage bei Präferenzunterschieden besser abzuschöpfen. Damit kann Produktdifferenzierung eben­falls dem vorstoßenden oder verfolgenden Wettbewerb zugeordnet werden. Bei Produktmodifikationen werden bestehende Produkte im Zeitverlauf an Präferenzveränderungen (z.B. Geschmack) angepasst. Der Neuigkeitsgrad ist zum Einführungszeitpunkt gegenüber Markt-, aber auch im Verhältnis zu Unternehmensinnovationen schwächer ausgeprägt, weshalb von ihnen im Folgenden abgesehen werden soll. 2. Innovationen und dynamische Wettbewerbsfunktionen Die europäische wie die deutsche Wettbewerbspolitik orientieren sich an der Konsumentenwohlfahrt. Sie wird bestmöglich erreicht, wenn auf den Märkten wirksamer Wettbewerb herrscht. In einer solchen Situation erfüllt der Wettbewerb seine statischen und dynamischen Funktionen optimal: Hinsichtlich der statischen Wettbewerbsfunktionen entspricht das Güterangebot den Präferenzen der Nachfrageseite, die Einkommensverteilung den Marktleistungen der Marktteilnehmer, und die Produktionsfaktoren wurden optimal allokiert. Auch die dynamischen Funktionen, der technische Fortschritt und die Anpassungsflexibilität, werden idealtypisch bestmöglich erreicht.5 Marktmächtige Nachfrager können sich dagegen einen nicht mehr durch Marktleistungen bedingten Anteil der gesamten Wertschöpfung aneignen. Die Ertragskraft von Lieferanten verringert sich z.B. durch Marktmacht der Abnehmer. Diese Feststellung lässt sich zunächst nur bezüglich bilateraler Verhandlungspositionen treffen. Sobald eine große Zahl von Lieferanten von einer überlegenen Verhandlungsposition eines oder einer Gruppe von Nachfragern betroffen ist, liegt eine überragende, monopsonistische oder oligopsonistische Marktstellung vor.

lisierung des Produktionsprozesses können Verfahrensinnovationen auch Voraussetzung für Produktinnovationen sein. Verfahrensinnovationen werden in der Regel mit dem Ziel von Kostenreduzierungen wichtiger, je mehr im Produktlebenszyklus die Wettbewerbsintensität (z.B. durch Produktnachahmungen) zunimmt; vgl. Porter, Wettbewerbsvorteile, 1989, S. 255 ff. 5 Zu den Funktionen des Wettbewerbs vgl. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen, S. 16 ff.

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Aus wettbewerbsökonomischer Sicht kommt den dynamischen Wettbewerbsfunktionen eine überragende Bedeutung zu: Märkte entstehen erst durch echte Marktinnovationen oder werden durch diese dynamisch verändert bzw. weiterentwickelt. Solange ein Innovator mit einer Produktinnovation eine Alleinstellung hat, es also an nahen Wettbewerbsprodukten mangelt, stehen der Nachfrageseite nur entferntere Substitute als Ausweichmöglichkeit zur Verfügung. Wettbewerb auf einem neuen Markt entsteht daher erst, wenn ähnliche oder Nachahmerprodukte angeboten werden (Firmeninnovationen), die im Sinne der Marktabgrenzungspraxis mit dem Produkt des Innovators aus der Sicht der Nachfrageseite funktional und ökonomisch austauschbar sind.6 In bestehenden Märkten zwingen Produktinnnovationen Wettbewerber zu Anpassungsmaßnahmen, sei es zu Produktnachahmungen, sei zur Preisreduzierung etc.

III. Innovationswettbewerb in der Ernährungswirtschaft 1. Ausgangspunkte für einen ökonomischen Bezugsrahmen Der Wettbewerb in der Ernährungswirtschaft erfährt seit vielen Jahren die Aufmerksamkeit der europäischen7 sowie der deutschen8 Wettbewerbspolitik. Im Mittelpunkt 6 Die hier nicht weiter betrachteten Prozessinnovationen erhalten vor allem dann eine zunehmende Bedeutung, wenn Produktinnovationen auf Märkten mit (weitgehend) homogenen Massengütern nur begrenzt möglich sind. Sie intensivieren als Rationalisierungsinnovationen den Kostenwettbewerb. Prozessinnovationen sind daher vor allem Antriebskräfte der Anpassungsflexibilität auf den Märkten. Sie können in einem Markt mit ausgeprägter Produktdifferenzierung auch dazu beitragen, ein Produkt hinsichtlich bestimmter Alleinstellungsmerkmale abzusichern, weil sie nicht so leicht kopierbar sind. 7 Vgl. etwa die Studien, Grünbücher und Berichte der EU-Kommission Competitiveness of the European Food Industry – An economic and legal assessment, 2007, die Initiative zu fairen Handelspraktiken RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr, L 149/22, außerdem Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa, Com(2013) 37 final, sowie den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, COM(2016) 32 final, ferner The impact of private labels on the competitiveness of the European food supply chain, 2011, und 2014 The economic impact of modern retail on choice and innovation in the EU food sector. Darüber hinaus ist vor allem die Untersuchung der britischen Wettbewerbsbehörde hervorzuheben: Competition Commission, 2000, Supermarkets. A report on the supply of groceries from multiple stores in the United Kingdom. 8 So z.B. stellvertretend die Sondergutachten der Monopolkommission, Sondergutachten 7, Missbräuche von Nachfragemacht und Möglichkeiten ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 1977; Sondergutachten 14, Die Konzentration im Lebensmittelhandel, 1985; Sondergutachten 23, Marktstruktur und Wettbewerb im Handel, 1994. Darüber hinaus hat die Monopolkommission in mehreren Hauptgutachten immer wieder zur wettbewerbspolitischen Bewertung von Entwicklungen im LEH Stellung bezogen, etwa im Hauptgutachten V, Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, 1984; Hauptgutachten XVI, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor, 2006; Hauptgutachten XVIII, Mehr Wettbewerb, wenig Ausnahmen, 2010; außerdem Hauptgutachten XIV, 2012, zuletzt Sondergutachten 70: Zusammenschlussvorhaben der Edeka Zentrale AG & Co.

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der Debatten stand und steht die sich ändernde Machtverteilung zwischen Industrie und LEH.9 Dabei werden zwei Einflussgrößen auf die Verschiebung der Machtverteilung zugunsten des LEH in der Diskussion besonders hervorgehoben: ȤȤ Zum einen wird auf die (immer noch anhaltende) Konzentrationszunahme auf der Abnehmerseite hingewiesen. Hohe Marktanteile des LEH können die Ausweichalternativen der Lieferanten so beschränken, dass sie zu Konditionenzugeständnissen gezwungen sind.10 ȤȤ Die Machtverschiebung zugunsten des LEH wurde und wird ebenso in Verbindung mit Vertikalisierungsstrategien des LEH diskutiert. Dazu zählt neben dem Aufbau eigener Fertigungskapazitäten11 auch eine expansive Handelsmarkenpolitik. Handelsmarken können den Zugang von Markenartikeln in die Regale des

KG mit der Kaiser’s Tengelmann GmbH, 2015; zuvor bereits Bundeskartellamt (BKartA), Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, Darstellung und Analyse der Strukturen und des Beschaffungsverhaltens auf den Märkten des Lebensmittelhandels in Deutschland, Bericht gemäß § 32e GWB, 2014, dazu kritisch Lademann, Zur Nachfragemacht von Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, WuW 2015, 716-732. 9 Die Wettbewerbs- und Nachfragemachtdebatte in der Ernährungswirtschaft lässt sich bis in die Anfänge des GWB zurückverfolgen; vgl. stellvertretend Geisbüsch, Die organisierte Nachfrage, 1964; Sölter, Kooperative Absatzwirtschaft, 1971, S. 6 ff. 10 Bei enger Marktabgrenzung (nur LEH als relevanter Markt) betrug der HHI in Deutschland 2010 absatzseitig 1.634, auf der Beschaffungsseite des LEH 1.552; Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbsökonomische Analysen von Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 149 ff., 173 ff. Die auf Konzentration beruhende Nachfragemacht wird auch als Unverzichtbarkeitsthese diskutiert. Es ist hier nicht der Raum, der Komplexität der Zusammenhänge gerecht zu werden. Nachfragemacht beruht nicht allein auf der Konzentration im LEH, weil auch die Drohpunkte der Lebensmittelindustrie ‚saldierend‘ zu berücksichtigen sind; das können u. a. die Stärke und ggf. Unverzichtbarkeit ihrer Marken sein, aber in einigen Fällen auch die Reduzierung von Unternehmensabhängigkeiten durch Export oder Belieferung anderer Distributionskanäle; dazu bereits die marktstufenvergleichenden Strukturanalysen von Lademann 1988 (Machtverteilung zwischen Industrie und Handel) und 1996 (Marktstruktur und Wettbewerb in der Ernährungswirtschaft) m.w.N. Dass diese Drohpunkte ggf. geringer sind als vermutet, zeigt sich etwa daran, dass Edeka in Verbindung mit ihrer europäischen Einkaufsallianz Agecore zahlreiche Markenprodukte des größten Nahrungsmittelherstellers der Welt mit der Bemerkung auslistete, sie sei nicht auf diese Produkte angewiesen, vgl. Mikuteit, Warum Edeka Produkte von Nestlé aus dem Verkauf nimmt, Hamburger Abendblatt, 20.2.2018, ähnlich Mende/Hofmann, Auch Nestlé sieht noch keine Einigung mit Edeka, Lebensmittel Zeitung vom 17.4.2018. Auch sind Exportalternativen oder andere Absatzkanäle häufig keine kurzfristigen Ausweichalternativen, weil sie in der Regel eine starke Heimatmarktposition erfordern. Außerdem setzt eine Produktion zu kompetitiven Preisen in den meisten Fällen eine Listung im LEH voraus, ohne die die benötigten Economies of scale für die Belieferung spezieller Absatzkanäle oder von Auslandsmärkten vielfach nicht möglich sind. 11 Die Rückwärtsintegration von Fertigungskapazitäten des LEH hat Tradition, dürfte aber in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben; dazu Trade Dimensions, Hrsg., Top-Firmen Edition 2017 m.w.N.

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LEH erschweren oder beschränken, sobald der LEH Markenartikel zugunsten seiner Handelsmarken auslistet.12 Im Wettbewerb der Ernährungswirtschaft überlagern sich diese zwei Einflussfaktoren. Die Konzentrationsentwicklung in Verbindung mit den Unternehmensgrößen im LEH schafft immer bessere Voraussetzungen für eine Ausweitung der Handelsmarkensortimente, die zuletzt auf einen Umsatzanteil von gut 38 % vom LEH-Umsatz kamen.13 2. Eine ‚Theory of harm‘ für Nachfragemacht a) Zum Einfluss von Handelsmarken auf Innovationsgewinne Da Handelsmarken häufig Kopien von Markenartikeln sind, werden sie in der Regel zu deutlich niedrigeren Kosten produziert. Für Handelsmarken müssen keine Märkte geschaffen werden, sie benötigen daher keine Einführungswerbung oder -promotions. Außerdem entfallen bei Produktkopien weitgehend die Kosten für Forschung und Entwicklung. Sie können daher bei nahezu gleichen Produktqualitäten14 zu deutlich niedrigeren Preisen angeboten werden.15 Ferner wird der LEH durch die von ihm definierte Produktqualität für jede Handelsmarke von mehreren völlig austauschbaren Lieferanten beliefert. Daher kann er durch eine maximale Wettbewerbsintensität zwischen seinen Handelsmarkenlieferanten niedrigste Einstandspreise realisieren, ohne von einem Lieferanten abhängig zu sein. Darüber hinaus profitieren Handelsmarken von Koordinationsvorteilen, die der LEH als Markeninhaber bei der Vermarktung und Distribution nutzen kann.16

12 Tatsächlich kommt es vor, dass der durch Auslistung seiner Marken betroffene Hersteller auch Handelsmarken produziert und mit diesen gelistet bleibt oder seine Produktion auf Handelsmarken umstellt, um weiterhin gelistet zu bleiben. 13 Vgl. GfK-Consumer Index, Hrsg. GfK, Total Grocery 03/201, Käufer suchen den Mehrwert. 14 Die Messung von Produktqualität als mehrdimensionalem Eigenschaftsbündel ist komplex. In der Gesamtbetrachtung konstatiert die Ernährungsindustrie allerdings gering­ fügige Qualitätsnachteile der Handelsmarke gegenüber dem Markenartikel. M.w.N. B ­ öcker/ Herrmann/Gast/Seidemann, Qualität von Nahrungsmitteln, Grundkonzepte, Kriterien Handlungsmöglichkeiten, 2004, S. 3 ff. 15 Vgl. mit weiteren Nachweisen die empirische Untersuchung von Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbsökonomische Analysen von Markt­ strukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 220. 16 Vgl. Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbs­ ökonomische Analysen von Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 219 ff. Schröder macht allerdings zurecht darauf aufmerksam, dass ein allein warenkostenbasierter Vergleich von Hersteller- und Handelsmarken zu kurz greift, weil einerseits bei der Vermarktung von Handelsmarken Handlungskosten im LEH anfallen, die Gemeinkostencharakter haben, während bisher vom Hersteller übernommene Funktionen in der Logistik oder bei der Vermarktung entfallen (Transaktionskosten); Schröder, Handelsmarketing, 2012, S. 308 ff.

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Die durch Markeninnovationen angestrebten Innovations- bzw. Vorstoßgewinne erodieren durch den verfolgenden Wettbewerb, etwa durch Produktnachahmungen. Produktnachahmungen durch den LEH unterscheiden sich aber wettbewerblich von Produktnachahmungen der Industrie. Denn der LEH hat gegenüber Herstellerunternehmen einen Informationsvorsprung, weil es für die Industrie marktüblich und unverzichtbar ist, mit ihren wichtigsten Handelspartnern die Produkteinführung sowohl bzgl. der Sortimentsauswirkungen als auch hinsichtlich des Timings von Einführungs- und Auslieferungsmaßnahmen umfassend abzustimmen. Vor allem aber muss der Innovator den LEH erst von den Vorteilen einer Produktinnovation überzeugen, bevor dieser einer Listung zustimmt. Dadurch erfährt der LEH schneller als die Wettbewerber des Innovators von innovativen Produkten und kann sich seinerseits früher als die Wettbewerber auf der Industrieseite sortimentspolitisch auf eine Änderung der Wettbewerbsbedingungen in einer Produktgruppe einstellen. Er kann daher auch schneller als die Industrie die Innovation kopieren und besonders schnell an den Vorsprungsbzw. Innovationsgewinnen des Innovators partizipieren bzw. sie auf seine Handelsmarken zu Lasten des Innovators umlenken.17 Je schneller Produktinnovationen kopiert werden können, desto mehr verlängert sich der Amortisationszeitraum der für die Markenartikel aufgewendeten F&E- und Marketinginvestitionen. Vorsprungsgewinne erodieren somit schneller als in einer Welt ohne Handelsmarken, während die Investitionsrisiken für die Markenartikel­industrie zunehmen. Bereits getätigte Investitionen können dann ggf. nicht mehr die markt­ erforderliche Rendite erwirtschaften. Der Lieferant wird diese versunkenen Kosten in seiner eigenen Preis- und Konditionenpolitik nicht mehr berücksichtigen und damit seine historisch entstandenen Durchschnittskosten c.p. nicht mehr decken können.18 Weil die Transaktionen in der Ernährungswirtschaft typischerweise auf Dauer angelegt sind, hat ein Markenartikelhersteller bei der Verhandlung über die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem LEH durch die von Handelsmarken ausgehenden Gewinneinschränkungen und zunehmenden Amortisationsrisiken für Markenartikel­ investitionen den Anreiz, seinen Kapitaleinsatz zu reduzieren (Hold-up-Problem). Markenartikelhersteller können veranlasst werden, diese Aufwendungen in Zukunft einzuschränken, je stärker der Handelsmarkenanteil wächst und Herstellermarken gegen Handelsmarken ausgelistet werden. Der spezielle Informationsvorsprung des LEH gegenüber industriellen Wettbewerbern des Innovators kann folglich auch die Innovationsanreize für neue Fertigungstechnologien und neue Produkte in der Industrie vermindern. Dabei wird der Einfluss der Handelsmarke auf die Innovations- und Gewinnentwicklung der Industrie umso stärker sein, je höher die Konzentration im LEH ist. Denn je 17 Vgl. Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbs­ ökonomische Analysen von Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 215 ff. 18 Dazu umfassend Inderst/Shaffer, Retail Mergers, Buyer Power and Product Variety, Economic Journal 59-1, 2007, 45 ff. Inderst, Implications of Buyer Power and Private Labels on ‘Vertical Competition’, RCS Research & Consulting Services, 2013.

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stärker die Marktposition einzelner Händler ist, desto eher können sie den Marktzugang für Markenartikel durch Handelsmarken erschweren.19 Bereits 2009 ergab eine DIW-Studie, dass Markenhersteller rd. 59 % ihrer Umsätze mit den drei größten Abnehmern erzielten.20 2011 zeigte eine weitere Unternehmensbefragung in der Ernährungsindustrie, dass auf die drei größten LEH-Kunden im Durchschnitt ca. 50 %, bei reinen Markenartikelherstellern aber 68 % des Umsatzes entfielen. Demgegenüber erwirtschafteten die Hersteller einen jährlichen Umsatz mit neuen Kunden von nur etwa 11 %.21 Wenngleich aus solchen Umsatzanteilen nicht auf Nachfragemacht des LEH geschlossen werden kann, machen sie deutlich, dass der Marktzugang angesichts der Konzentration im LEH von wenigen Unternehmen abhängt. Da die Marktposition mit der Unternehmensgröße einhergeht, nimmt ferner die Chance zu, durch den Ausbau von Handelsmarkensortimenten den Marktzugang für Herstellermarken noch­ mals zu verengen und den Konditionendruck damit weiter zu erhöhen. b) Wettbewerbliche Besonderheiten von Handelsmarken Der im vorherigen Abschnitt beschriebene Einfluss von Handelsmarken auf die Innovationsaktivitäten unterscheidet sich über den Informationsvorsprung des LEH, dem als Wettbewerber und Abnehmer eine Doppelfunktion zukommt, hinaus von der Wirkung, die von Produktnachahmungen anderer Markenhersteller ausgeht: ȤȤ Markenhersteller, die Produktinnovationen von Wettbewerbern kopieren, müssen immer noch eine Listung im LEH erreichen, um einen Marktzugang zu erhalten. Handelsmarken haben solch ein Listungsrisiko per se nicht. ȤȤ Handelsmarken reduzieren außerdem den Wettbewerb im LEH, weil sie als Maßnahme der Sortimentsdifferenzierung nur auf einen einzigen Händler ausgerichtet sind. Solch eine Sortimentsdifferenzierung reduziert folglich die direkte Austauschbarkeit im Formatwettbewerb des LEH. Markenartikelinnovationen, aber auch Markenartikelnachahmungen führen dagegen zu einer höheren Wettbewerbsintensität im LEH auf der Absatzseite, weil die Sortimente vergleichbarer, also austauschbarer sind.22 19 Diese Tendenzaussage ist warengruppenspezifisch zu differenzieren, da das Verdrängungspotenzial gegenüber Herstellermarken sowie der Umsatzanteil in einzelnen Warengruppen nicht gleichverteilt sind; vgl. Schröder, Handelsmarketing, 2012, S. 299-304. 20 Vgl. von Schlippenbach/Pavel, Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel: Hersteller sitzen am kürzeren Hebel, DIW-Wochenbericht, 13/2011, S. 5. 21 Die Unternehmen der Ernährungsindustrie berichteten im Durchschnitt von ca. 1,5 % Umsatzwachstum bei einem jährlichen Umsatzverlust durch Auslistung von 6,5 %. Jährlich mussten die Hersteller folglich 8 % Neuumsatz erwirtschaften, um zu wachsen und die Listungsausfälle zu kompensieren. Demgegenüber entfiel bereits auf den drittgrößten Abnehmer im LEH ein Umsatzanteil von durchschnittlich 10 %. Vgl. Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbsökonomische Analysen von Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 222 f., 310 ff. 22 Die Preise für Preiseinstiegshandelsmarken orientieren sich an den Preisen von Aldi. Sie dienen gezielt dazu, den Wechsel der Kunden zu den Hartdiscountern zu verhindern. Die Abschwächung der Wettbewerbsintensität gelingt m. E. vor allem den führenden LEH-Un-

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Die Wettbewerbsverzerrung ist besonders gravierend, wenn der LEH Produkte kopiert, bevor der innovative Markenartikelhersteller sie selbst auf den Markt bringen konnte. Durch den Informationsvorsprung des LEH vor ggf. kopierenden Wettbewerbern des Herstellers besteht ein immanenter Anreiz, sich die Innovation selbst anzueignen, indem der LEH die Produktidee des Innovators von einem Handelsmarkenhersteller kopieren lässt. Von dieser als First-to-the-Market-Imitation bezeichneten Produktnachahmung berichten immerhin zwischen 24 und 29 % der Hersteller.23 c) Differenzierungsbedarf für den Einfluss von Handelsmarken auf die ­Innovationstätigkeit der Lieferantenseite Bisher wurde der Einfluss von Handelsmarken auf die Innovationsaktivitäten der Industrie monodirektional und undifferenziert betrachtet. Tatsächlich zeigen Forschungsergebnisse, dass zwischen Innovationen der Industrie und der Handelsmarkenentwicklung Wechselwirkungen bestehen. Hersteller können auf das Vordringen von Handelsmarken z.B. durch Forcierung ihrer Innovationsaktivitäten reagieren und in bestimmten Produktfeldern die Expansion von Handelsmarken zurückdrängen.24 Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der Anteil von Handelsmarken über die Produktgruppen nicht gleich verteilt ist. Entscheidend ist allerdings, dass der Handelsmarkenanteil in den vergangenen ca. 10 bis 15 Jahren insgesamt kontinuierlich gewachsen ist. Die Handelsmarkenexpansion ist eng mit der Konzentrationsentwicklung im LEH verbunden. Lange Zeit korrespondierte der Handelsmarkenanteil eng mit der Ex­ pansion der Hartdiscounter Aldi und Lidl. Mit der Ausweitung ihrer Standortnetze nahm auch der Handelsmarkenanteil zu. Auf der Verbraucherseite entwickelte sich ternehmen. Für regionale LEH-Unternehmen, die größenbedingt nicht in der Lage sein dürften, Handelsmarken zu vergleichbaren Konditionen einzukaufen, verschärfen sich die Wettbewerbsbedingungen dagegen weiter, da sie entweder auf vergleichbar attraktive Handelsmarken verzichten oder aber die Preise ihrer Handelsmarken quersubventionieren müssen. Die Handelsmarkenstrategien erhöhen vor diesem Hintergrund die Konzentra­ tionstendenz im LEH weiter. 23 Pavel/von Schlippenbach/Beyer, Zunehmende Nachfragemacht des Einzelhandels. Eine Studie für den Markenverband, 2010, S. 41 berichten, dass 24 % der befragten Hersteller durch solche ‚First-to-Market-Imitationen‘ bereits betroffen waren. Eine vom Verfasser 2017 an der Universität Göttingen durchgeführte Befragung von Unternehmen der Ernährungsindustrie ergab einen Anteil von fast 29 % der Hersteller, die von solchen Wettbewerbsverzerrungen berichteten. 24 Vgl. Martos-Partal, Innovation and the market share of private labels, in Journal of Marketing Management, 2012,Vol. 28, Nr. 5–6, May, 695–715 berichtet, dass Handelsmarken vor allem in Produktgruppen expandieren, in denen die Markenpräferenzen weniger ausgeprägt sind und die ein größeres Marktvolumen aufweisen: „Sunflower oil, dog food, cat food, canned olives, canned tuna, juices, ice cream, and toilet paper are some of the categories in this group“, S. 707. Umgekehrt können Innovationen die Ausbreitung von Handelsmarken auch dämpfen, wenn der Markt vor allem durch Markenpräferenzen getrieben wird und eine geringere Marktgröße aufweist, wie z.B. „cocoa drinks, soft drinks, chocolate, hair colouring, deodorants, sweets, and sherry“, S. 708.

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Entwicklung des Handelsmarken- und Discountanteils im LEH in Deutschland Anteil am LEH-Umsatz

0,50 0,45

+ 47 %

0,40

+ 15 %-P

0,35 + 73 %

0,30

+ 15 %-P

0,25 0,20 1

2

3

4

5

6

Handelsmarkenanteil

7

8

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Umsatzanteil Discounter Quelle: EHI, GFK

Abb. 1: Entwicklung des Handelsmarken- und Discounteranteils

ein hybrides Einkaufsverhalten, bei dem der Grundbedarf (vermehrt) bei Discountern gedeckt wird, der speziellere Bedarf bei den sogenannten Vollsortimentern (vor allem in Super- und Verbrauchermärkten, teils auch in SB-Warenhäusern). Auf die Marktanteilsverluste reagierte der vollsortimentierte LEH durch gezieltes ‚Doppeln‘ der Discountsortimente, zunächst vor allem im Preiseinstiegsbereich. Inzwischen ist unverkennbar, dass die Vollsortimenter, vor allem die Edeka- und Rewe-­ Gruppe, vermehrt mit Premiumhandelsmarken experimentieren und versuchen, zunehmend Herstellermarken auszulisten. Darauf deutet auch der seit 1997 um fast 73 % gestiegene Anteil der Handelsmarken hin, während die Dis­counter ihren Anteil am LEH-Umsatz nur um 47 % erhöhen konnten.25 Während Discounter seit einigen Jahren vermehrt Markenartikel listen, ist bei den Vollsortimentern eine verstärkte Dynamik bei der Erhöhung des Handelsmarkenanteils zu beobachten.26 Die Handelsmarken sind damit nicht mehr nur die Hebel, mit denen die Discounter ihre sortimentspolitische und preisliche Alleinstellung absichern. Vielmehr haben die 25 Discount- und Handelsmarkenanteil sind zwar jeweils um 15 %-Punkte angestiegen, beruhen aber auf asymmetrischen Sortimentsentwicklungen bei Discountern und Vollsortimentern. Vgl. IFH Institut für Handelsforschung, Handelsmarken in Deutschland und der EU – eine 360°-Betrachtung, im Auftrag des Handelsverbands Deutschland – HDE e.V., 2016, S. 3, EHI Europäisches Handelsinstitut, Hrsg., EHI Handelsdaten aktuell, diverse Jahrgänge. 26 Dazu Lademann, Marktstrategien und Wettbewerb im Lebensmittelhandel, Wettbewerbs­ ökonomische Analysen von Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnissen, 2012, S. 202-210.

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Vollsortimenter Handelsmarken zu Instrumenten entwickelt, mit denen sie sich im Wettbewerb differenzieren und versuchen, die Kundenbindung zu erhöhen bzw. die Wechselwahrscheinlichkeit ihrer Kunden zu Discountern zu verringern. Insofern sollen Handelsmarken auch den Wettbewerb um Kunden abschwächen, die Innovationsgewinne bei den Markenherstellern reduzieren bzw. diese durch alleinstellungsbedingte Preissetzungsspielräume im Absatzwettbewerb um die Kunden in den LEH umlenken.27

IV. Innovationen aus der Sicht der Kartellbehörden 1. Zur Prüfung von dynamischen Wettbewerbsfunktionen in ­Fusionskontrollverfahren Nach der Fusionskontrollverordnung berücksichtigt die Kommission bei der Prüfung von Zusammenschlüssen – gleichlautend zu den Kriterien von § 18 GWB –neben der Marktstellung der beteiligten Unternehmen und den Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer sowie Marktzugangsmöglichkeiten und -schran­ken (und weiteren Kriterien) auch „…die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert.“28 Entsprechend dem Schutzzweck stehen in der Fusionskontrollpraxis die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt hinsichtlich der horizontalen Wettbewerbsverhältnisse im Vordergrund. Das Innovationsgeschehen auf vorgelagerten Märkten spielt dagegen praktisch keine Rolle. Um die Auswirkungen einer Fusion auf die Entwicklung des technischen Fortschritts und der Qualität auf der Lieferantenseite beurteilen zu können, wären Prognosen der betroffenen Produktmärkte hinsichtlich der Produktionsverfahren und der Produktentwicklung für den relevanten Prognosezeitraum erforderlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass kausal durch eine Fusion zu antizipierende Qualitätsveränderungen oder ein Absinken der künftigen Innovationsaktivitäten auf vorgelagerten Märkten mit herkömmlichen Methoden nicht beobachtbar sind. Es bleibt wohl nur der pragmatische Ansatz, die in der Vergangenheit schon beobachteten Veränderungen der Innovationsaktivitäten und Produktqualitäten heranzuziehen, um eine wahrscheinliche Weiterentwicklung dieser dynamischen Wettbewerbskräfte nach einer Fusion zu beurteilen.29 27 Ob dies gelingt, hängt von den Wettbewerbsbedingungen im Absatzmarkt des LEH ab. Ist der Wettbewerb dort intensiv – hat also der Verbraucher viele Ausweichalternativen – wird der LEH die Margenspielräume durch seine Handelsmarken in Form niedrigerer Preise weitergeben müssen. Erlahmt die Wettbewerbsintensität in den Absatzmärkten des LEH, würden die Gewinne dort zunehmen. 28 Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO, ABl. Nr. L 24 v. 29.1.2004, S. 1, 7. 29 Dabei wären nicht nur operationale Kriterien für die Erfassung von Innovationen erforderlich, sondern auch Messkonzepte zur Beurteilung von Qualität. Für beides sind z.Z. keine erprobten Operationalisierungen verfügbar. Wenn aber der Schutz des Wettbewerbs sich

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Wann und unter welchen Bedingungen eine erstmalige oder zusätzliche Schwächung dynamischer Wettbewerbskräfte zu erwarten bzw. nicht auszuschließen ist, ist m.E. derzeit noch nicht ausreichend erforscht. Wenn aber bereits andere Prüfgrößen in eine kritische Richtung weisen, sollten beobachtete rückläufige Innovationsentwicklungen oder Qualitätsreduzierungen auch als Indikatoren für eine signifikante Verminderung wirksamen Wettbewerbs herangezogen werden. Hinzu kommt, dass das Marktverhalten eines einzelnen Unternehmens kaum kausal auf die Entwicklung von Innovationen wirkt. Vielmehr wird der sich auf einem Markt entwickelnde Wettbewerbsprozess als Ganzes betroffen sein. Ob dynamische Effizienzen in einzelnen Märkten gefährdet sind, lässt sich daher aufgrund der langfristigen und marktweiten Wirkungszusammenhänge adäquater durch Sektoruntersuchungen erfassen, die im Folgenden beleuchtet werden sollen. 2. Zur Innovationsstudie der EU-Kommission 2014 2014 hat die EU-Kommission eine umfassende empirische Studie mit dem Titel „The economic Impact of modern Retail on Choice and Innovation in the EU-Food Sector“ vorgelegt. Sie hat darin u.a. Produktinnovationen in 23 Warengruppen von 2004 bis 2012 in neun Ländern der EU untersucht, darunter in Polen, Tschechien und Ungarn.30 Diese Studie operationalisiert Innovationen anhand von neuen EAN-Nummern, die in 343 Shops erhoben wurden. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Entwicklung von Handelsmarken sowie die Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels keinen Einfluss auf Auswahl und Innovation von Produkten in der gesamten EU haben. Die breite Datenbasis und der lange Untersuchungszeitraum beeindrucken, täuschen aber darüber hinweg, dass die Schlussfolgerungen als gewagt zu betrachten sind: ȤȤ Die Bewertung der Befunde beruht auf der Annahme, dass EAN-Nummern vali­de Indikatoren für das Innovationsniveau sind. Hier sind jedoch Zweifel angebracht, weil neue EAN-Nummern auch bei der Veränderung der Gebindegröße oder -art, der Verpackungform und -gestal­tung vergeben werden. Auch die Art und Intensität der Innovationen, also eine Unterscheidung nach Markt- oder Firmeninnova­ tion, Produktdifferenzierung oder Produktvariation wird nicht berücksichtigt. ­Daher bleibt unklar, ob und wie sich der Anteil von Produkt- oder Firmeninnovationen im Verhältnis zu den weniger innovativen Produktneuerungen, der Produktdifferenzierung und Produktvariation, entwickelt hat. Die implizite Annahme, dass das Verhältnis im Untersuchungszeitraum und im Untersuchungsraum konstant ist, ist durch nichts belegt. So wäre es nicht überraschend, wenn sich hinter einer z.B. konstanten EAN-basierten ‚Innovationsquote‘ deutliche Verschiebungen zwischen Markt- sowie Firmeninnovationen einerseits und Produktdiffeauch auf die langfristig wirksamen dynamischen Kräfte erstrecken soll, muss die Wettbewerbsanalyse von Märkten über Marktstrukturerhebungen oder kurzfristige Preiserhöhungsanreize zwingend hinausgehen. 30 Weitere Länder waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien.

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renzierung andererseits vollzogen haben. Das ist vor allem für die in der Erhebung berücksichtigten Länder zu vermuten, wenn sie stark voneinander abweichende Wachstumsraten aufweisen (z.B. Belgien vs. Polen). ȤȤ Fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang auch die Einbeziehung von Transformationsländern des ehemaligen Ostblocks, die ab 2004 Vollmitglieder der EU wurden. Denn allein der Transformationsprozess muss zu allmählich einsetzenden Wohlstandsgewinnen in Polen, Tschechien und Ungarn geführt haben, so dass hier die Sortimente des LEH durch immer mehr neue und differenziertere Produkte geprägt worden sind. Es ist nicht erkennbar, dass die Studie eine solche Verzerrung der EAN-Nummernanzahl kontrolliert hat. In westlichen Mitgliedstaaten dürfte sich eine solche Entwicklung dagegen so nicht vollzogen haben. ȤȤ Noch gravierender sind die Bedenken, die die Studie gegen ihre eigenen Befunde im Zusammenhang mit der Discounterisierung des LEH anführt. So konstatiert die Studie am Beispiel von Spanien Schwierigkeiten für den Marktzugang neuer Produkte, sofern Discounter eine gewisse Marktbedeutung erlangt haben: „…a higher share of private labels is associated with fewer innovative products being offered.“31 Es ist nicht überzeugend, wenn die Studie europaweit Einschränkungen für die Innovationstätigkeit der Ernährungsindustrie (und die Auswahl der Verbraucher) ausschließt, obwohl eine zunehmende Bedeutung diskontierender Betriebsformen in der EU zu konstatieren ist. Hinzu kommt, dass die Studie die Sortimentsentwicklung des LEH in Deutschland, dem Land mit der höchsten Discounterdichte sowie dem größten Umsatzanteil dieser Betriebsform an der Lebensmittelversorgung in der EU, gar nicht untersucht hat. Wie die EU-Kommission im Lichte solcher Limitationen der eigenen Studie keine Auswirkungen der LEH-Entwicklung auf die Innovationstätigkeit der Industrie konstatieren und wettbewerbspolitische Entwarnung verkünden kann, bleibt ein Rätsel. Nicht auszuschließen ist, dass die Kommission sich im Zweifel beim Trade-off zwischen niedrigen Preisen durch Handelsmarken einerseits und Produktinnovationen durch Markenartikel andererseits zugunsten kurzfristiger Effekte für die Verbraucherwohlfahrt entschieden hat. Die langfristigen Folgen für die dynamischen Funk­ tionen des Wettbewerbs und damit für die nachhaltige Entwicklung der Konsumentenwohlfahrt drohen dabei allerdings zunehmend aus dem Blick zu geraten.32 3. Zur Sektoruntersuchung Nachfragemacht des Bundeskartellamts 2014 hat das Bundeskartellamt (BKartA) seine Sektoruntersuchung zur Nachfragemacht im LEH vorgelegt. Die Befunde stehen vom Tenor her im Gegensatz zu der Einschätzung der EU-Kommission. Wenngleich das BKartA vor allem Einflussfakto31 European Commission, The Economic Impact of modern Retail on Choice and Innovation in the EU Food Sector, 2014, S. 37. 32 Einen nicht unwesentlichen Anteil hat hieran eine Wettbewerbsauffassung, nach der letztlich Wettbewerbsbeschränkungen für kurzfristige Preissenkungseffekte instrumentalisiert werden; dazu Lademann, Zur Nachfragemacht von Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, WuW 2015, 725 f.; hierauf ist im letzten Abschnitt zurückzukommen.

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ren auf das Verhandlungsergebnis zwischen Ernährungsindustrie und LEH untersucht hat, adressiert es am Rande seiner Analyse dynamische Wettbewerbsprobleme als Folge von Nachfragemacht. Handelsmarken werden ausdrücklich als Instrument zur Verstärkung von Verhandlungsmacht betrachtet.33 Das BKartA verweist vor allem auf das Risiko, dass sich durch Nachfragemacht die Investitions- und Innovationsanreize der Hersteller verzerren und die Produktauswahl verringern können,34 ohne diese potenziellen Verschlechterungen der Wettbewerbsbedingungen allerdings explizit untersucht zu haben.

V. Empirische Befunde zur Handelsmarkenentwicklung und zum ­Innovationswettbewerb in der Industrie 1. Profitabilitätsanreize durch Produktinnovation In Deutschland existiert seit vielen Jahren eine umfassende und empirisch fundierte Beobachtung der Innovationsaktivitäten, die vom ZEW durchgeführt wird. Dieses Monitoring wird nach Markt- und Firmeninnovationen getrennt für einzelne Wirtschaftszweige aufbereitet.35 Für die Ernährungsindustrie ergibt die Zeitreihe des ZEW einen deutlichen Rückgang der Innovationsaktivitäten. Davon sind sowohl Markt- als auch Firmeninnovationen betroffen. In dem zyklischen, aber letztlich ebenfalls kontinuierlichen Rückgang der Nach­ ahmer­­innovationen (= Firmeninnovationen) sind auch die Nachahmerprodukte der Handelsmarkenhersteller enthalten. Es verwundert nicht, wenn der Rückgang relativ geringer ausfällt als der bei Marktinnovationen. Der Rückgang der Innovationstätigkeit steht im Gegensatz zu der Anreizsituation, mittels einer hohen Innovationsrate auch höhere Gewinne zu erzielen. Zwischen dem auf Marktneuheiten entfallenden Umsatzanteil und der Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität besteht ein weitgehend positiv-linearer Zusammenhang. Die Industrie sollte folglich ein großes Interesse daran haben, den Umsatz mit neuen Produkten auszuweiten; die Entwicklung der Innovationsrate zeigt aber das Gegenteil. Die Marktverschlusswirkung aus zunehmender Konzentration im LEH und der Ausweitung des Handelsmarkenanteils dürfte dies weitgehend erklären. 33 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, Darstellung und Analyse der Strukturen und des Beschaffungsverhaltens auf den Märkten des Lebensmittelhandels in Deutschland, Bericht gemäß § 32e GWB, 2014, S. 23. 34 Vgl. ebenda, S. 24 f. Das BKartA bezieht sich hier ausdrücklich auf die Arbeiten von I­ nderst/ Shaffer, 2007, Retail Mergers, Buyer Power and Product Variety, Economic Journal, 117, S. 45-67. 35 ZEW = Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim, vgl. Rammer/et al, Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft, Indikatorenbericht zur Innovationserhebung 2016, 2017.

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Einfluss von Handelsmarken auf Innovationen in vorgelagerten Märkten

Entwicklung von Innovationen in der Ernährungsindustrie 14

Umsatzanteil %

12 10 8 6 4 2 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Marktinnovationen

Nachahmerinnovationen Quelle: ZEW

Abb. 2: Umsatzanteil von Innovationen in der Ernährungsindustrie

Eigenkapitalrentabilität

Eigenkapitalrentabilität und Umsatzanteil mit Marktneuheiten in der Ernährungsindustrie (2000-2014) 0,28 0,26 0,24 y = 5,5119x + 0,0637 0,22 R² = 0,651 2000 0,20 0,18 2010 0,16 2005 0,14 0,12 2014 0,10 0,010 0,015 0,020 0,025 0,030 Marktinnovationen (Anteil am Umsatz)

0,035

Quelle: eigene Berechnungen, Daten Dtsche Bundesbank, ZEW

Abb. 3: Eigenkapitalrentabilität und Marktinnovationen

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2. Innovations- und Handelsmarkenentwicklung Der statistische Zusammenhang zwischen der Handelsmarkenentwicklung und der Dynamik der Marktinnovationen ist vor dem Hintergrund der o.a. Schadenstheorie und der empirischen Daten recht eindeutig. Die Innovationsrate in der Ernährungsindustrie geht mit der Ausweitung der Handelsmarkensortimente zurück.

Marktinnovationen (% v. Umsatz)

Marktinnovationen und Handelsmarkenentwicklung von 2000 bis 2014 3,5 3,0

y = -142,04x2 + 78,395x - 8,3339 R² = 0,6003

2,5 2,0

2000

2005

1,5 1,0 0,25

0,27

0,29

0,31

0,33

0,35

2010

0,37 2014 0,39

Handelsmarkenanteil am LEH-Umsatz Quelle: eigene Berechnungen, Daten Dtsch. Bundesbank, GfK

Abb. 4: Entwicklung von Marktinnovationen und Handelsmarken

Dabei weist der hier grafisch erkennbare statistische Zusammenhang darauf hin, dass nicht Handelsmarken (und damit Nachahmerprodukte) an sich schon kritische Effekte auslösen, sondern erst ein über eine gewisse Schwelle hinausgehender Anteil Marktinnovationen einschränkt. So sinkt der Marktinnovationsanteil, sobald der Umsatzanteil von Handelsmarken etwa 30 % überschreitet. Auch wenn dieser ‚kritische Anteil‘ nur auf hohem Aggregationsniveau der jährlichen empirischen Beobachtung beruht, deutet sich ein differenzierter Zusammenhang an, der bei der Bewertung zu berücksichtigen ist. In ähnlicher Weise schlägt sich der wachsende Handelsmarkenanteil auch auf die Gesamtkapitalrentabilität nieder.36 Auch hier deutet der statistische Zusammenhang in den Daten auf ein mögliches Maximum bei einem Handelsmarkenanteil von etwa 30 % hin. 36 Die Gesamtkapitalrentabilität oder -rendite drückt das Verhältnis von Gewinn zzgl. Fremdkapitalzinsen zur Summe von Eigen- und Fremdkapital und damit die Verzinsung des insgesamt eingesetzten Kapitals aus. Es bringt damit anders als die von der Kapitalstruktur abhängige Eigenkapitalrentabilität die Effizienz des Kapitaleinsatzes zum Ausdruck. Bei wirksamem Wettbewerb misst diese Kennzahl den Beitrag der Industrie zur Gesamtwohlfahrt, denn dann ist der Gesamtkapitaleinsatz effizient. Die von der Bundesbank bereitgestellten Daten umfassen das Jahresergebnis nach Steuern, die Fremdkapitalzinsen und den

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Einfluss von Handelsmarken auf Innovationen in vorgelagerten Märkten

Gesamtkapitalrentabilität

Handelsmarkenentwicklung und Gesamtkapitalrendite der Ernährungsindustrie von 1997 bis 2014 0,100 0,095 0,090 0,085 0,080 0,075 0,070 0,065 0,060

2005 2010 2000

y = -2,2405x2 + 1,3197x - 0,1109 R² = 0,422 0,20

0,25 0,30 0,35 Handelsmarkenanteil vom LEH-Umsatz

2014

0,40

Quelle: eigene Berechnungen, Daten Dtsch. Bundesbank, GfK

Abb. 5: Entwicklung von Handelsmarken und Gesamtkapitalrentabilität

Diese hier beobachtete Rentabilitätsentwicklung lässt sich durch eine bessere Auslastung der Anlagen erklären, wenn neben der Produktion von Herstellermarken ggf. freie Kapazitäten für Handelsmarken genutzt werden. Kommt es aber z.B. aufgrund zunehmender Konzentration zur Substitution von Hersteller- durch Handelsmarken, bewirkt die oben beschriebene Gewinn- bzw. Rentenverlagerung offenbar eine Einschränkung der Innovationstätigkeit der Industrie. Sollte sich ein solcher Zusammenhang im Rahmen einer deduktiven Modellierung sowie auch auf Unternehmensebene empirisch bestätigen, würde der Gesamtkapitaleinsatz in der Industrie nur bis zu einem bestimmten Handelsmarkenanteil wohlfahrtsoptimal sein. Nachfragemacht würde darüber hinaus – so wäre dann zu schlussfolgern – die Kapitaleffizienz der Produktionsstufe jedoch negativ beeinflussen.37

VI. Ergebnis und Ausblick Die am Beispiel der Ernährungswirtschaft durchgeführte Betrachtung zeigt, dass bereits bei mäßig konzentrierten Handelsmärkten Beeinträchtigungen der dynamischen Wettbewerbsfunktionen nicht ausgeschlossen werden können. Die hier ausgeEigen- und Fremdkapitaleinsatz. Vgl. Deutsche Bundesbank Eurosystem, Hrsg., Hochgerechnete Angaben aus Jahresabschlüssen deutscher Unternehmen 1997 bis 2015. 37 Weiss und Wittkopp haben auf der Grundlage eines deduktiven Modells bereits empirisch auf Unternehmensebene nachgewiesen, dass Innovationen in der Ernährungsindustrie umso mehr eingeschränkt werden, je höher die Konzentration im LEH ist; Weiss/Wittkopp, Retailer Concentration and Product Innovation in Food Manufacturing, European Review of Agricultural Economics, Vol. 32(2) 2005, S. 219-244.

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werteten Daten basieren zwar auf einem hohen branchenweiten Aggregationsniveau, zeigen aber doch, dass die Innovationsaktivitäten der Ernährungsindustrie durch die Konzentration im LEH offenbar bereits geschwächt wurden. Wenngleich hier der Einfluss weiterer Ursachen (z.B. der Konjunktur) zu analysieren und die branchenweit ermittelten Zusammenhänge auch auf Unternehmensebene als wirksam nachzuweisen wären, sollten in Fusionskontrollverfahren verstärkt dynamische Beeinträchtigungen durch eine zunehmende Konzentration auch auf vorgelagerten Märkten berücksichtigt werden. Da die Einschränkung von dynamischen Wettbewerbsfunktionen voraussichtlich keinem Marktteilnehmer im LEH kausal zugeordnet werden kann, sondern Folge eines branchenweiten Wettbewerbsprozesses ist, könnte das Instrument der Sektoruntersuchung gezielt auch zu einer Art Monitoring dynamischer Wettbewerbsfunktionen weiterentwickelt werden. Einschränkungen der Innovationsfähigkeit einer Wirtschafts­ stufe können auf Machtungleichgewicht mit der Abnehmerseite hinweisen. In diesem Sinne könnte in einem Fusionskontrollverfahren je nach Wettbewerbsposition der Fusionsbeteiligten von einer Beeinträchtigung wirksamen Wettbewerbs im Sinne des SIEC-Tests ausgegangen werden. Der bisher starke Fokus auf die Preiseffekte einer Fusion ist dagegen problematisch: Zum einen werden damit nur (vergleichsweise) kurzfristige Wirkungen erfasst, zum anderen läuft der Rechtsanwender Gefahr, gerade die langfristigen Folgen für die Innovationsfähigkeit und -tätigkeit aus dem Auge zu verlieren. Dabei ist vor allem zu kritisieren, dass die vom BKartA verwendete Definition von Nachfragemacht38 allein kurzfristige Preiswirkungen als Kriterium verwendet und so langfristige Beeinträchtigungen dynamischer Effekte bei der Prüfung von Wettbewerbsbeschränkungen ausblendet. Wenn Wettbewerbsbeschränkungen im Nachfragewettbewerb in Kauf genommen werden, solange nur der Absatzwettbewerb den LEH dazu zwingt, Konditionenvorteile an die Verbraucher weiterzugeben, wird die langfristige Schwächung der Innovationstätigkeit auf vorgelagerten Märkten bewusst in Kauf genommen. Bei der Beurteilung von Nachfragemacht muss es daher entscheidend darauf ankommen, wie Konditionenvorteile zustande gekommen sind. Ob sie an die Verbraucher weitergegeben wurden oder nicht, kann es im Interesse einer langfristig innovativen Lieferantenseite, aber ebenso im Sinne einer konsistenten, nicht opportunistischen Kartellrechtsanwendung schlicht nicht ankommen. 38 Das BKartA definiert Nachfragemacht als „…die Fähigkeit eines Unternehmens, einseitig die Bezugskonditionen für die von ihm eingesetzten Vorprodukte zu seinen Gunsten gewinnsteigernd zu beeinflussen“. Es lehnt sich damit an die Begriffsabgrenzung der EU-­ Kommission für Marktmacht gemäß den Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse an (2004/C 31/03 – Überblick). Dort heißt es, „erhöhte Marktmacht bezeichnet die Fähigkeit eines oder mehrerer Unternehmen, Gewinn bringend ihre Preise zu erhöhen…“ Darüber hinaus schließt die EU-Definition die Fähigkeit des Unternehmens in den Marktmachtbegriff ein, „…den Absatz, die Auswahl oder Qualität der Waren oder Dienstleistungen zu verringern, die Innovation einzuschränken …“ Warum diese Begriffsmerkmale in den Nachfragemachtbegriff des BKartA nicht einbezogen wurden, ist unklar. Es nährt aber den Verdacht, dass bei der Erfassung von Nachfragemacht vor allem kurzfristige Preis- und Gewinneffekte im Mittelpunkt stehen.

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Johannes Laitenberger and Marc Zedler1

Making Merger Review Work I. Introduction II. Rules and principles applying to EU merger review 1. Brief history of EU merger rules 2. Principles of EU merger review III. Recent cases showing how the ­Commission applies these rules and principles in practice 1. Overview over merger procedures in the recent past 2. Some recent mergers in three different industries a) Mergers between mobile network ­operators b) Mergers in the agro-chemical industry c) Mergers in the cement industry 3. Pre-notification 4. Document requests

a) Legal framework b) Importance and practice of internal documents c) Document requests in practice 5. Legal Professional Privilege claims a) Court rulings forming the legal basis for LPP claims b) Practical implementation c) Legal Professional Privilege in case practice 6. Stop-the-clock a) Legal basis b) Stop-the-clock in decision practice c) Stop-the-clock in example cases 7. Removal of serious doubts during an ­in-depth review IV. Summary and Outlook

I. Introduction Mergers between companies can have positive effects for society. They can result in better products, more efficient production and stronger competitors. They can increase the competitiveness of an industry, thereby raising the standard of living. This is why the Regulation on the control of concentrations between undertakings (the “Merger Regulation”)2 expressly welcomes such reorganisations3 even though it establishes a regime to control them. Such control is necessary to ensure that there is no lasting damage, no significant impediment of effective competition by such reorganisations.4 Ultimately, it is indispensable to make markets work fairly.5 1 The authors would like to thank Julia Brockhoff and Jose Maria Carpi Badia for their valuable comments and suggestions. The views in this article are those of the authors and do not necessarily reflect the official position of the European Commission. 2 Council Regulation (EC) No 139/2004 of 20 January 2004 on the control of con­centrations between undertakings, OJ L 24, 29.1.2004, p. 1. 3 See Merger Regulation, recital 4. 4 See Merger Regulation, recital 5. 5 See speech of Margrethe Vestager, Commissioner for Competition, at the GCLC Annual Conference at 25 January 2018, available under https://ec.europa.eu/commission/‌commis​ sioners/​2014-2019/vestager/announcements/fairness-and-competition_en.

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Johannes Laitenberger and Marc Zedler

This basic dichotomy of merger control – being faced with a majority of beneficial or at least not harmful mergers (well above 90 % of all cases notified to the European Commission are cleared unconditionally) at the same time as a number of problematic or even very problematic mergers (the Commission intervenes typically in around 5-8 % of all cases notified) – is at the core of all of the rules of the Merger Regulation and the Implementing Regulation6 with its annexes as well as the notices, guidelines and best practices published by the European Commission. From this situation follows a basic principle for merger control procedures: not to stand in the way of mergers that are positive or at least not harmful for competition while at the same time preventing mergers that negatively affect competition from taking place. It will not come as a surprise that different views are taken as to how best to balance these two elements. Companies tend to argue in favour of less control. For them, regulatory procedures increase administrative burden  – even for companies not directly involved in a merger. They are, on the other hand, often very committed to these procedures if they think that a merger between competitors, customers or suppliers might have negative effects on their own position. Dirk Schroeder has always been a vigilant advocate of not tipping towards the side of too much control in the application of the Merger Regulation. We, at the DirectorateGeneral for Competition, listen very carefully to such warnings – especially if voiced by lawyers as experienced and rational as Dirk Schroeder. But the task of the Commission as the European Union’s competition authority is to secure a balance: avoid both over- and under-enforcement. In our view, the Commission manages generally to strike the right balance in conducting its merger investigations. This holds true in particular when taking into account the overall legal, procedural and institutional framework governing the EU merger control procedure, including the strict scrutiny of all possible outcomes by the European courts7 and the tight deadlines within which the Commission not only has to reach a decision but also to support it by sufficiently clear and well-founded arguments and convincing evidence. Even though the Commission might, with hindsight, not always strike the balance exactly in the middle, it is determined to balance all these aspects and to “make merger review work” for everyone involved. This article will explain the approach taken by the Commission in applying the procedural rules of merger control based on three pairs of recent cases. We will set out the rules and principles applying to EU merger review, show how they are applied in these cases and look ahead at further improvements.

6 Commission Regulation (EC) No 802/2004 of 21 April 2004 implementing Council Regulation (EC) No 139/2004 on the control of concentrations between undertakings, OJ L 133, 30.04.2004, p. 1. 7 For example by the recent judgements of the General Court in T-194/13, United Parcel Service, Inc. v European Commission, 7 March 2017, ECLI:EU:T:2017:144, and T-394/15, KPN BV v European Commission, 26 October 2017, ECLI:EU:T:2017:756.

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II. Rules and principles applying to EU merger review 1. Brief history of EU merger rules Merger review in general and European merger review in particular is a rather new area of law. Although not explicitly mentioning mergers, the Commission had the competence to review potential anti-competitive effects of mergers under Articles 85 and 86 of the Treaty Establishing the European Economic Community which entered into force in 1958.8 The consequent, next milestone was the enactment of the first framework for European merger review, Regulation No 4064/89, which entered into force on 21 September 1990. This regulation established for the first time a systematic regime of merger control at the European level. Following the launch of a review of the Merger Regulation in June 2000 which resulted in the Green Paper on the Review of the Council Regulation (EEC) No 4064/899 at the end of 200110 and fuelled by the three annulments of merger decisions by the European Court of First Instance in 2002,11 a fundamental reform of many substantive and procedural aspects of EU merger control was introduced in 2003 and 2004. The adoption of the current Merger Regulation in January 2004 introduced the “Significant Impediment to Effective Competition” (SIEC) test which broadened the scope of potential competition concerns and allowed for taking efficiencies into account.12 As a further reform, in September 2003, the first Chief Competition Economist took office within the Directorate-General for Competition.13 He and the Chief Economist

8 See Continental Can v Commission, Slg 1973, 215 and Joined Cases 142 and 156/84 ­British-American Tobacco & Reynolds v Commission, E.C.R. 4487. Later t­hese articles became Articles 81 and 82 following the renumbering of the EC Treaty pursuant to Article 12 of the Treaty of Amsterdam. Today, they are Article 101 and 102 of the Treaty on the Functioning of the European Union. 9 COM(2001) 745. 10 On the review process, see the speech of Mario Monti, European Competition ­Commissioner, on “Review of the EC Merger Regulation – Roadmap for the reform project” of 4 June 2002, available under http://europa.eu/rapid/press-release_SPE​ECH-02-252_en.htm?locale=en. 11 Judgement of 6 June 2002, case T-342/99 Airtours plc v Commission of the European Communities (2002 II-02585); judgement of 22 October 2002, case T-310/01 Schneider Electric SA v Commission of the European Communities (2002 II-04071); ­judgement of 25 October 2002, case T-5/02 Tetra Laval BV v Commission of the ­European Communities (2002 II-04381). According to Dirk Schroeder, these ­judgements also had a direct impact on the work of the Directorate-General for C ­ ompetition: “Those who deal with European merger control on a day-to-day basis will readily agree that the quality of the Commission’s practice has greatly ­improved”. Dirk Schroeder, The Merger Control Patchwork, in Legal Issues of Economic Integration 37, no. 1 (2010), p. 10. 12 Council Regulation (EC) No 139/ 2004 of 20 January 2004 on the control of con­centrations between undertakings, OJ L 24, 29.1.2004, p. 1. 13 See the article “The Office of the Chief Competition Economist at the European Commission” of May 2005 by Lars-Hendrik Röller, the first Chief Competition ­Economist,

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Team are a visible commitment of the Directorate-General for Competition to the “more economic approach” in competition law.14 The Merger Regulation provides for the possibility of the Commission to publish further guidance “which should provide a sound economic framework for the assessment of concentrations”.15 The first of several of such guidance papers was published shortly after the adoption of the EU Merger Regulation.16 Following insights gained by an analysis of the likely effectiveness of remedies proposed by companies in 40 cases from 1996 to 2000,17 the Commission’s notice on remedies had been adopted in October 2008.18 The most recent, important change in the European merger rules was made with effect as of 2014. In December 2013, the Commission adopted a package to simplify its merger procedures, revising the Notice on simplified procedures and the Implementing Regulation. Due to these changes, more cases fall under the simplified procedure and less information is required to notify a merger.19 2. Principles of EU merger review EU merger review is informed by a number of principles: Merger investigations must comply with due process and be efficient, consistent and transparent. A merger posing significant competition concerns requires remedies that fix the problems identified, lest it must be prohibited. Furthermore, enforcement actions have to be firmly rooted in economic theory and legal rules and based on solid evidence and analysis. These three principles are fundamental to the work of the Directorate-General for Competition as the Commission’s service that prepares the Commission decisions. The first principle guides the investigation of the likely effects of a transaction on competition, the second principle governs the assessment of any remedy proposal and and Pierre Buigues, available under http://ec.europa.eu/dgs/competition/economist/‌​ officechiefecon_ec.pdf. 14 On the then and today still relevant interplay between judicial control and economic analysis, see Dirk Schroeder, Normative and institutional limitations to a more eco­nomic approach, in Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach (2011), p. 279. 15 See recital 28 of the EU Merger Regulation. 16 Guidelines on the assessment of horizontal mergers under the Council Regulation on the control of concentrations between undertakings, OJ C 31, 5.2.2004, p. 5. 17 Merger Remedies Study of October 2005, available under http://bookshop.europa.eu/ uri?target=EUB:NOTICE:KD7105376:EN:HTML. 18 Commission notice on remedies acceptable under Council Regulation (EC) No 139/2004 and under Commission Regulation (EC) No 802/2004, available under http://eur-lex. europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX:52008XC1022(01). 19 See the Commission’s Press Release dated 5 December 2013, IP/13/1214, a­ vailable under http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1214_en.htm, and the accompanying memo, MEMO/13/1098, available under http://europa.eu/rapid/press-release_ME​MO-­13-1098_ en.htm.

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the third principle is pivotal for the drafting of a decision in which the results of the investigation and of the remedy assessment are comprehensively and exhaustively presented. To these three principles, we would like to add a fourth one, following from the dichotomy mentioned before: unproblematic cases are dealt with in a way that imposes as little of a burden on the companies involved as possible, whereas problematic cases are carefully scrutinised with as much effort as necessary to prevent any significant impediment to effective competition. Although this principle is particularly relevant for the investigative step also addressed with the first principle, it also relates to the assessment of remedies and to the level of detail of a decision.

III. Recent cases showing how the Commission applies these rules and principles in practice In order to show how the Commission applies these principles in practice, we will first provide a general overview over all merger cases the Commission dealt with in the recent past before turning to a select number of individual case examples. 1. Overview over merger procedures in the recent past 2017 has been the second busiest year in the history of the Merger Network with 380 new notifications, representing an average annual growth of more than 8 % during the last four years.20 Simultaneously, the number of phase I or phase II decisions increased on average by more than 8 % since 2013 as well. Whereas the number of prohibitions might not have too much of a probative value due to their infrequent nature,21 the overall intervention rate22 moved within the typical band of 5 % to 8 %  – more towards the lower end in 2017, down from a percentage more towards the higher end in 2016. A trend that continued in 2017 is the growing proportion of simplified cases. Following the introduction of the simplification package in 2014, an ever more significant number of cases are dealt with under the simplified procedure. Whereas the percentage of simplified cases was only slightly above 60 % in each of 2011, 2012 and 2013, it jumped to almost 70 % in each of 2014, 2015 and 2016. In 2017, simplified cases made up even 74 % of all cases. In other words: three out of four cases were dealt with under

20 See the statistics published on the DG COMP website: http://ec.europa.eu/competition/­ mergers/statistics.pdf. 21 Two in 2017, one in 2016 and none in 2015 or 2014. 22 Comparing the number of remedy decisions, prohibitions and abandonments in p ­ hase II over the total number of decisions.

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simplified procedures last year whereas before the adoption of the simplification package it had been only three out of five cases. 2. Some recent mergers in three different industries These figures, however, may only provide a rough first impression of the overall situation of EU merger control. In order to discuss how merger review works in practice, one has to turn to individual cases. This article will therefore look into three pairs of cases within three different industries. a) Mergers between mobile network operators The first pair of cases is located in the telecom industry, a sector that produced a steady flow of significant merger cases within the last years. When discussing how the Commission implements the principles of EU merger review in practice, we would like to focus on two of the most recent mergers between mobile network operators (MNOs). The first case is M.7612 Hutchison 3G UK/Telefónica UK,23 a proposed acquisition of Telefonica’s British subsidiary, operating under the brand O2, by the market challenger Hutchison. Hutchison failed to offer suitable remedies fully eliminating the serious competition problems identified and the transaction was eventually prohibited by the Commission on 11 May 2016. Hutchison appealed the Commission’s decision and the court case is pending.24 The second case is M.7758 Hutchison 3G Italy/WIND/JV.25 In this case, the Commission assessed the creation of a joint venture combining the Italian operations of Vimpelcom and of the market challenger Hutchison. The transaction was cleared by the Commission on 1 September 2016, subject to remedies consisting of a fix-itfirst divestment26 including all assets needed to create a new mobile network operator in Italy. b) Mergers in the agro-chemical industry The second pair of cases concerns transactions in the agro-chemical industry.

23 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7612. 24 CK Telecoms UK Investments v Commission, T-399/16. 25 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7758. 26 In the terminology of the Commission Notice on remedies, a “fix-it-first” remedy is a remedy for which the respective parties already entered into legally binding agreements during the Commission procedure, see Remedy Notice, paragraph 56. As ­stated in the Remedy Notice, a fix-it-first remedy can be of particular importance if the identity of the purchaser is crucial for the effectiveness of the remedy.

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The Directorate-General for Competition recently reviewed under case number M.7932 the merger between the two companies Dow and DuPont.27 The main concerns arising in this merger related to product and innovation competition in crop protection. Innovation is of key importance to this industry characterized by particularly significant entry barriers and the merging parties were two of only five global players active at all stages of the product lifecycle. The Commission’s main remedy elements comprised a divestment of significant parts of DuPont’s pesticide business, including its R&D organisation. They were designed to address concerns on product and innovation competition and to enable the creation of another global R&D integrated company. The second case in this sector is M.7962 Chemchina/Syngenta.28 In this case, the Directorate-General for Competition found a lack of remaining alternatives and close competition between Chemchina’s wholly-owned subsidiary Adama and Syngenta. Because of this, the Commission raised competition concerns in more than one hundred markets in which the activities of the parties overlapped. However, the remedies proposed by the parties eliminated all concerns identified with the divestment of significant parts of Adama’s pesticide business, including a number of Adama’s generic pesticides under development, and of Adama’s plant growth regulator business for cereals as well as of some of Syngenta’s pesticide business. c) Mergers in the cement industry The final pair of cases is situated in the building materials industry. In M.7054 Cemex/Holcim Assets,29 the Commission cleared the acquisition of the Spanish operations of Holcim by its Mexican rival Cemex, both global suppliers of cement and other building materials. After opening an in-depth investigation, the Commission concluded that the acquisition would not raise competition concerns since the merged entity will continue to face sufficient competition from its rivals. In the case M.7252 Holcim/Lafarge,30 the Commission cleared after a phase I investigation the creation of a global player in the building materials industry. In order to obtain such clearance, the parties offered to divest a thereto unprecedented size of assets. The commitments include a divestment of all the business activities of Lafarge in Germany and Romania as well as all Lafarge’s business activities in the UK carried out through a joint venture and a divestment of all business activities of Holcim in

27 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7932. 28 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7962. 29 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7054. 30 Further case-related information can be found at the Commission’s website under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7252.

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Slovakia and the Czech Republic as well as most of Holcim’s business activities in France and certain assets in Spain. 3. Pre-notification In practice, the first stage of merger procedures is the pre-notification stage. Although still at an informal stage, it is an important part of the overall process. Details of prenotification contacts are not regulated by rules of the EU Merger Regulation or the Implementing Regulation. Such contacts are mentioned though in recital 11 of the Implementing Regulation. Further guidance on how to make efficient use of such contacts can be found in the Commission’s Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings.31 Pre-notification contacts allow the Commission and the parties to discuss the proposed concentration in confidence, in particular questions concerning the jurisdiction of the Commission, but also the relevance of certain information for the completeness of the notification. While parties are not required to have any prenotification contacts, a well-used pre-notification period generally allows for a much smoother merger review process following the notification and reduces the risks of unwelcome surprises and their potential grave consequences during or even after the merger procedure. One of the most important purposes of pre-notification contacts is for the Commission to review a draft notification for completeness. In its Best Practices, the Commission stated that it will normally review a draft Form CO within five working days.32 Equally, the Commission will consider the request to waive the obligation to provide certain information in the Form CO in accordance with Article 4(2) of the Implementing Regulation within five working days.33 We do not want to delve into complaints that the pre-notification period takes too long. We would only like to underline that, to a significant or in reality decisive extent, it is the parties that have control over such contacts with the Commission. While merging parties and case teams at the Directorate-General for Competition may have different views in individual cases about whether certain information that case teams ask for in pre-notification is absolutely necessary for a complete notification, the Directorate-General for Competition generally commits itself to reviewing and commenting upon all drafts and questions by the parties within five working days in order to keep such contacts as effective as possible. While such pre-notification contacts take place in strict confidence, we can state that the Commission is committed to using the time as efficiently as possible by preloading, particularly in the more complex cases, some of the work for the parties that would otherwise have to be achieved under strict time-pressure within the merger 31 Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings, paragraphs 3-25. 32 Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings, paragraph 15. 33 See 1.4 of Annex I to the Implementing Regulation.

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deadlines. This is particularly true for requests for internal documents in complex merger procedures.34 In case the Commission can already envisage that its review will require such documents beyond the requirements of section 5.4 of the Form CO, the scope and procedure of such requests are often already discussed during prenotification. In addition to such influence on the request itself, such discussions allow the parties to start gathering the relevant documents even before the formal request is issued. Another potential issue that parties may want to address already during prenotification can be remedy proposals. In certain cases, parties have been trying to avoid the opening of an in-depth investigation by addressing all competition concerns already in phase I even in complex cases. However, since the Commission will not yet have conducted its market investigation, meaningful discussions can only take place when the parties are willing to propose clear-cut remedies which eliminate essentially the entire overlap (or close to the entire overlap) between their business activities in affected market. Furthermore, even if such remedies are offered, a final assessment whether such remedies address the competitive concerns can only be made following the phase I investigation. While we would not disclose the content of pre-notification discussions ourselves, a trend towards discussing remedies already during pre-notification has been observed by some practitioners.35 The parties in Holcim/Lafarge mentioned in a press release that they amended the list of proposed assets for  divestment in Europe during “constructive pre-notification discussions”36. Despite the considerable size of the assets the parties proposed to divest, the Commission cleared this case following a phase I investigation. All in all, the Commission is well aware that pre-notification contacts might delay the notification date. However, in our experience, such delays are limited if the time is used efficiently by the parties as case teams typically provide timely feedback on draft submissions received from the parties. In addition, pre-notification contacts regularly allow the Commission to point out missing information that could have led to an incompleteness decision. Finally, in some cases, extensive pre-notification contacts allowed to resolve a case in phase I that otherwise might have required an in-depth assessment per lack of clear-cut remedies to otherwise persisting concerns over the concentration.

34 On this topic more in-depth, see point 4 below. 35 See, for example, Christopher Cook, Real review timetables under the EU Merger R ­ egulation, Concurrences No 2-2017, p. 6. 36 See press release by Holcim and Lafarge of 28 October 2014, available under http://www. lafargeholcim.com/holcim-and-lafarge-formally-notify-proposed-merger-­europeancommission.

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4. Document requests An essential element of making merger review work is the efficient handling of requests for internal documents from the merging parties. In complex cases, internal documents have provided significant insights into the rationale of the transaction. While parties have to file certain internal documents already together with the notification,37 these are limited to certain documents “prepared by or for any member(s) of the board of directors, or the supervisory board, or the other person(s) exercising similar functions ([…]), or the shareholders’ meeting”. In particular in large organisations, these documents can only provide a very high-level overview over some of the issues a case team has to investigate. a) Legal framework Pursuant to Article 11 of the EU Merger Regulation, the Commission may request “all necessary information” for carrying out its duties under the regulation.38 Most often, such “Requests for Information” or “RFIs” ask for factual information like sales data, descriptions of certain events or products, further clarifications on information contained in the Form CO or any other issue relevant for the Commission’s assessment of the case. However, the Commission may also ask for the submission of documents. There is again a wide variety of what the Commission can ask for, ranging from a specific contract or presentation to a more general request for documents meeting certain criteria. This article will refer to the latter when speaking about requests for internal documents. b) Importance and practice of internal documents Internal documents can serve several purposes. First and foremost, if considered in their proper context, they reflect thoughts and views from within the merging parties. As such, they can provide solid evidence for many elements of the Commission’s assessment: Product or geographic scope of the relevant markets, closeness of competition, the parties’ role within the market, the role of other market players (at least in the eyes of the parties), likely evolution of the market, likelihood of new entrants or the incentives of the merged entity to compete following the transaction. They often allow the Commission to verify factual claims made by the parties and verify data they submit.39 37 See point 5(4) of the Form CO, Annex I to the Implementing Regulation. 38 Whether information is necessary has to be assessed “by reference to the view the Commission could reasonable have held, at the time the request in question was made, of the extent of the information necessary to examine the concentration”, j­udgement of the Court of First Instance of 4 February 2009, T-145/06, Omya AG v Commission of the European Communities, ECLI:EU:T:2009:27, paragraph 30. 39 The Commission is aware that undertakings know of the importance of internal documents as a source of evidence which is likely to be requested by competition authorities during a merger review. In attributing the probative value to specific internal documents, the

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In short, information provided in response to a request for internal documents can form  – alongside other pieces of evidence available to the Commission such as responses to market investigation and economic analysis – an important element in either proofing a theory of harm or in dismissing it. However, requests for internal documents increase at the same time the burden on the parties as well as on the case teams. For the parties, looking for documents responsive to requests for documents often requires the help of external data specialists. Filtering responsive documents for legally privileged documents can add to such burden. Providing incorrect or misleading information in response to a request for information can result in a fine of up to 1 % of the aggregate turnover of the company responsible for the response under Article 14(1) EUMR.40 For the Commission, the task of reviewing several (hundreds of) thousands of internal documents in addition to all other investigative steps that are to be taken is also significant. Modern software tools help to review more documents within the strict legal deadlines of merger procedures than in the past. Case teams can therefore request and review more documents than several years ago when evaluating potentially anti-competitive mergers. The Commission makes an assessment in each case whether a request for internal documents is to be issued. Generally, the Commission requests extensive submissions of such documents only in a small minority of cases in which it reasonably expects a very complex assessment to follow. Due to these restrictions, far-reaching requests for internal documents are most often only issued in cases that will require an in-depth investigation. As to the overall extent of such requests, we would like to note that looking at a recent two year period, the Directorate-General for Competition had less than a dozen cases with a case file of more than 100 000 documents. In only four of these cases, the case file consisted of more than 200 000 documents. The documents included in the case file do not only contain responses to requests for  internal documents but also all responses to market investigations, all submissions by the merging parties and third parties including all documents submitted as annexes to the Form CO. Requests for internal documents typically contain search terms the parties are asked to look for in internal documents. They often define the term “document” as all

Commission takes into account the timing and context in which they were prepared. In particular, internal documents prepared in the ordinary course of business, for example before the proposed merger was agreed upon or without the knowledge of the preliminary competition concerns, may have higher probative value than internal documents prepared for the Commission or influenced by the Commission’s review of the proposed merger. 40 See, for example, the fine against Facebook for information submitted during the merger review of the acquisition of WhatsApp. More information is available in the respective press release, available under http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1369_en.htm.

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computer files41 in possession, custody or control of the addressee of the request for internal documents. The request would specify a period in which to look for documents, countries or products concerned and legal entities to be included in the request. Email searches are limited to certain persons identified either by name or position within the company (the “custodians”). Due to the time it takes to gather all internal documents responsive to such a request and depending on the stage of the procedure,42 the Commission often discusses a draft request with the party concerned before it is sent out and allows for significantly more time to respond to these requests than for most other RFIs. During such discussions, the case teams are also more than willing to discuss the scope and necessity of all or part of the request.43 In addition, as it has happened often, the Commission is ready to consider extending the deadline for a reply should the parties justifiably request such extension. c) Document requests in practice In the Hutchison 3G UK/Telefónica UK case, the parties submitted more than 300 000 internal documents in response to RFIs by the Commission. Internal documents had been referred to in the prohibition decision in relation to possible market segments,44 the competitive constraints exerted by the parties,45 the role of other competitors in the market and in particular of small competitors without an own network infrastructure (non-MNOs), in assessing the network consolidation plans of the parties46 and conditions on the wholesale market for the supply of call termination services47 – to name just a few of the relevant areas. These frequent references in the decision show their relative importance for these issues.

41 Such computer files include, but are not limited to, word processing files, spread­sheets, presentations, PDFs, e-mails and instant messages files, including any attachments thereof, as is explained below. 42 Should the need for a request for internal documents only become apparent at a later point during the merger review process, the Commission might not be able to engage with the parties before sending such request. But even then the case team is open to suggestions the party might have on the scope of the request. 43 A suggestion made by Wilson, Document request in complex EU merger cases, ZWeR 2017, p. 151 that is already widely practiced. 44 See for example recital 275 of the Article 8(3) decision in M.7612 Hutchison 3G UK/ Telefónica UK about a potential segmentation between SIM-only contracts and handset subscriptions. The decision is available under http://ec.europa.eu/competition/­mergers/ cases/decisions/m7612_6555_3.pdf. 45 See, for example, recitals 418 to 432 of the Article 8(3) decision in M.7612 Hutchison 3G UK/Telefónica UK. 46 See, for example, recitals 1386 to 1388 of the Article 8(3) decision in M.7612 Hutchison 3G UK/Telefónica UK. 47 See, among others, recitals 1840 to 1844 of the Article 8(3) decision in M.7612 ­Hutchison 3G UK/Telefónica UK.

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In the Hutchison 3G Italy/Wind/JV case, internal documents were particularly relevant for the assessment of the rationale of the transaction. Evidence in internal documents indicated that one of the driving rationales of the transaction was the achievement of “market repair”48 – most often a euphemism for higher prices due to a reduction of competition. In addition to revealing this as a very aim of the transaction, internal documents also indicated that the remaining competitors had been willing to support the parties in achieving such decrease of competition by envisaging a sale of certain assets to these competitors as a way to re-distribute the value of the decrease in competition.49 Absent the requests for internal documents, these facts would likely have not become known to the Commission by any other of its investigative tools. Other areas in which the Commission referred to internal documents include the competitive constraint exercised by Hutchison before the transaction,50 the closeness of competition between the merging parties51 and the alignment of incentives when assessing horizontal coordinated effects.52 According to a count mentioned in a recent article, internal documents are referred to in this decision on almost 300 pages.53 In its Dow/DuPont decision, the Commission underlined that internal documents have played a key role in its assessment and have been useful for assessing the impact of the transaction in practically all of the relevant markets. Internal documents also played an important role in the conclusion of the Commission that the transaction would significantly reduce the parties’ incentives to innovate. In some of the relevant markets, in which no concerns had been raised, this was due to evidence found in internal documents.54 The latter is an important point. The Commission considers internal documents as one out of several sources of evidence in its competitive assessment. Such evidence can influence the Commission both ways: in favour of the parties’ arguments and position or contrary to their claims. Another case in which internal documents showed that a merger was not likely to reduce competition in certain markets was Wabtec/Faiveley. In this case, the Commission was assessing whether the merger between Wabtec and Faiveley would give rise to competition concerns in the market for complete friction brake systems for trains. Within such assessment, the Commission found that Wabtec’s internal documents support Wabtec’s submission “that it is not at present capable of supplying competitive complete electro-pneumatic friction brake systems for non-freight trains 48 See recitals 243 to 356 of the Article 8(2) decision in M.7758 Hutchison 3G Italy/Wind/JV. The decision is available under http://ec.europa.eu/competition/mergers/­‌cases/decisions/ m7758_2937_3.pdf. 49 See the conclusion in recital 356 of the Article 8(2) decision in M.7758 Hutchison 3G Italy/ Wind/JV. 50 See recitals 463 to 529 of the Article 8(2) decision in M.7758 Hutchison 3G Italy/Wind/JV. 51 See recitals 793 to 795 of the Article 8(2) decision in M.7758 Hutchison 3G Italy/Wind/JV. 52 See recitals 999 to 1001 of the Article 8(2) decision in M.7758 Hutchison 3G Italy/Wind/JV. 53 Wilson, Document requests in complex EU merger cases, ZWeR 2017, p. 147. 54 See recital 49 of the Article 8(2) decision in M.7932 Dow/DuPont.

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to be used in Europe”55. With regard to a new integrated electro-pneumatic brake control system developed by Wabtec, the decision states that “Wabtec is internally doubtful of [such project] being suitable for or competitive in the European market”56. Despite concerns raised by customers of the companies during the market investigation, the Commission therefore concluded that “on balance and in light of the evidence available to it, […] in this particular case, the evidence available is not sufficient to establish to the requisite standard that Wabtec would already have significant constraining influence on Faiveley and Knorr-Bremse in the supply of complete friction brake systems in the EEA or that there would be a significant likelihood that Wabtec would grow into an effective competitive force following an entry into the market in a relatively short period of time”57. 5. Legal Professional Privilege claims When asking for internal documents, the Commission recognises in accordance with the rulings of the European courts, that certain correspondence between an independent lawyer and its client is privileged. a) Court rulings forming the legal basis for LPP claims Legal Professional Privilege (“LPP”) for proceedings before the Commission was first recognized by the Court of Justice of the European Union in its AM&S decision.58 The court held that written communications between an external lawyer and his client are to remain confidential “provided that, on the one hand, such communications are made for the purposes and in the interests of the client’s rights of defence and, on the other hand, they emanate from independent lawyers”59. Communications with inhouse lawyers were excluded from the scope of LPP by the court. The next decision further scoping the extent of LPP was taken by the court in the Hilti case.60 In an order, the court held that “the principle of protection of written communication between lawyer and client must, in view of its purpose, be regarded as extending also to the internal notes which are confined to reporting the text or the content of those communications”61. In addition, in its judgement in the Akzo case, the court reiterated both previous judgments and held that preparatory documents  – even if not exchanged with a 55 Recital 146 of the Article 8(2) decision in M.7801 Wabtec/Faiveley, available under http:// ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_​7801. 56 Recital 161 of the Article 8(2) decision in M.7801 Wabtec/Faiveley. 57 Recital 199 of the Article 8(2) decision in M.7801 Wabtec/Faiveley. 58 Judgment of 18 May 1982, C-155/79, AM&S Europe Limited v Commission of the European Communities, ECLI:EU:C:1982:157. 59 Ibid, paragraph 21. 60 Order of 4 April 1990, T-30/89, Hilti AG v Commission of the European Communities, ECLI:EU:T:1991:70. 61 Ibid, paragraph 18.

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lawyer – which were created “for the purpose of being sent physically to a lawyer, may none the less be covered by LPP, provided that they were drawn up exclusively for the purpose of seeking legal advice from a lawyer in exercise of the rights of the defence”62. Upon appeal, the Court of Justice confirmed that Legal Professional Privilege only applies to external lawyers as lawyers employed by the undertaking itself would not be independent.63 b) Practical implementation While none of these cases concerned merger control procedures specifically, the Commission is applying their principles when assessing the merit of confidentiality claims by parties. An LPP claim over certain documents falls under these judgments in one of the three following situations: ȤȤ It contains written communications with an independent lawyer made for the purposes of exercising the client’s rights of defence (AM&S), ȤȤ It contains internal notes confined to reporting the content of communications falling under the AM&S judgment (Hilti), or ȤȤ It contains working documents and summaries prepared by the client and drawn up exclusively for the purpose of seeking legal advice from an independent lawyer in exercising the rights of defence (Akzo). In order to efficiently review a large number of confidentiality claims, the Commission often requests parties to submit a privilege log containing certain information about the relevant documents to assess the plausibility of the confidentiality claims. Such information includes for example in case of emails the date, time, sender, addressee, persons in copy and subject line. Based on the information in such privilege log, the Commission is often willing not to challenge confidentiality claims for certain categories of documents. However, not every email with a lawyer in copy or with the words “privileged & confidential” or “external counsel” necessarily falls within the scope of LPP as defined by the courts. c) Legal Professional Privilege in case practice As already mentioned above, internal documents played a significant role in a number of the cases discussed in this article. In a few of these cases, the case team engaged in extensive discussions about the scope of LPP claims by the parties. For example, in Dow/DuPont, the Commission asked for  certain internal documents by way of three RFIs. Upon request of the parties, 62 Judgement of 17 September 2007, T-125/03, Akzo Nobel Chemicals Ltd and Akcros Chemicals Ltd v European Commission, ECLI:EU:T:2007:287, Paragraph 123. 63 Judgement of 14 September 2010, C-550/07, Akzo Nobel Chemicals Ltd and Akcros Chemicals Ltd v European Commission, ECLI:EU:C:2010:512, paragraphs 46-50.

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the  Commission extended the deadline for all three RFIs and agreed to several amendments of the RFIs by narrowing the relevant timeframe for which documents have to be provided and the number of custodians. However, the parties provided only a partial response within the extended deadlines claiming that they needed more time to review whether the relevant documents were covered by LPP. The Commission adopted a decision according to Article 11(3) of the Merger Regulation. Until the parties responded to this request, the timing of the merger review procedures was suspended. After submitting all responsive documents together with a privilege log, the Commission considered that the parties seemed to have applied a deficient methodology in determining whether a document falls within the scope of LPP. After communicating these concerns, the parties reviewed their LPP claims and submitted additional documents together with an updated privilege log. This process was repeated once more: The Commission outlined concerns about the documents for which LPP continued to be claimed and the parties further amended their response to the initial RFIs by submitting additional documents. It is evident that such a prolonged process takes time and efforts from both the parties and the Commission. The Commission carefully reviews whether the different LPP claims appear sufficiently justified. Sometimes companies invoke patently too broad LPP claims. This being said, we are happy to notice that in the majority of our cases, even if only cases involving internal document requests are to be considered, very extensive and time consuming discussions about the scope and extent of LPP are not necessary. 6. Stop-the-clock a) Legal basis A suspension of the timing in a merger review procedure, also called “stop-the-clock”, has just been mentioned in the context of discussions about LPP in Dow/DuPont. The Merger Regulation provides for strict deadlines for the Commission’s assessment of a merger: 25 working days in phase I, extended to 35 working days in case of a referral request from a Member State or the submission of remedies,64 and 90 working days for a phase II investigation, extended to 105 working days in case the parties submit a remedy proposal at working day 55 or later.65 The deadlines for a phase II investigation can be extended by an additional up to 20 working days.66 With the limited exception of the up to 20 working days extension, these timelines are fixed. They cannot be moved by either the parties or the Commission. 64 Article 10(1) of the Merger Regulation. 65 Article 10(3) first subparagraph of the Merger Regulation. 66 Until working day 15 by request from the notifying parties, after such date by ­Commission decision with the agreement of the notifying parties, Article 10(3) s­ econd subparagraph of the Merger Regulation.

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These fixed deadlines, however, might endanger the integrity of the Commission’s investigation in case certain necessary information is not provided by the parties or third parties in due course. Discussions about Legal Professional Privilege are only one example, the reasons for not providing a complete response to a request for information can be many. In such circumstances, the Merger Regulation provides in Article 10(4) that the relevant time periods can be suspended if, for circumstances for which one of the parties is responsible, the Commission has had to request information by decision pursuant to Article 11 or to order an inspection by decision pursuant to Article 13. Article 9 of the Implementing Regulation provides further details on the suspension of time limits. b) Stop-the-clock in decision practice While Article 9 of the Implementing Regulation expressly refers to Article 10(1) and Article 10(3), thus the time limits for phase I and phase II decisions, the DirectorateGeneral for Competition generally only suspends time limits during a phase II investigation as insufficient information to clear a case in phase I will likely trigger the opening of an in-depth investigation. But also in phase II cases, the Directorate-General for Competition weighs the interests involved in a timely assessment of the merger against having all available evidence to make a well-informed decision. It is due to the nature of most phase II cases of likely involving the risk of potential harm to competition, that the DirectorateGeneral’s mission and obligation to fully investigate a potentially harmful merger is more pertinent than the increase of administrative burden for the merging parties by a suspension of the time limits. Furthermore, before suspending the time limits, the Commission will generally extend the deadlines for replying to the underlying RFIs one or even several times. As the Directorate-General only suspends time limits during an in-depth investigation, the overall number of cases in which the clock had been stopped is in any case very small – approximately around 1 % of all cases. Even looking only at phase II cases, usually in less than half of them the Commission made use of such measure. However, the Commission might have to suspend time limits more than once in a case if there are several instances of information not provided in due course. c) Stop-the-clock in example cases The six example cases provide a representative selection when it comes to the suspension of time limits. Out of the five phase II cases within the example cases, the Commission adopted stop-the-clock decisions in two cases: Dow/DuPont and Hutchison 3G UK/Telefónica UK.

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In Dow/ DuPont, the time limits had been suspended twice. Once, as already explained before, this was due to discussions about the scope of LPP claims the parties have made. As the parties had not provided the requested documents within the time limits of the relevant requests  – which had been extended following such request from the  parties –, the Commission stopped the clock from 1 September 2016 until 26 September 2016, the date on which the parties provided the majority of the missing documents.67 This represents a suspension during 18 working days. The second suspension in Dow/DuPont related to a request for a certain type of internal documents. After the Commission became aware of a specific internal document for the analysis of competitive interaction, it requested similar documents of such type. While the parties provided some of those documents within the deadline of the request, the Commission considered that not all of those documents had been  provided. It therefore suspended the time limits with effect from 13 October 2016 until the parties submitted further documents and the suspension ended on 7 November 2016. In total, this second suspension lasted for 16 working days. Similarly, in the case Hutchison 3G UK/Telefónica UK, the Commission adopted an Article 11(3) decision on 10 December 2015 following the failure of a party to provide complete information in response to an RFI. Before, the Commission had already extended the deadline to provide such information. When the party provided the missing information, the suspension ended on 15 December 2015 after 4 working days. In all these situations, the missing documents which caused the adoption of an Article 11(3) decision were very substantial. In particular, the second suspension in Dow/DuPont related to internal documents that contained highly relevant information about the respective party’s view of the competitive dynamics in affected markets. Also, in the Hutchison 3G UK/Telefónica UK case, the missing information was very important. In both cases, the Commission’s investigation would have been significantly impaired by not receiving the information requested. Due to the strict time limits in EU merger procedures, even having received such documents with a delay of 16 to 18 working days as in Dow/DuPont would have significantly hampered the Commission’s ability to fully reflect the relevant information and to implement its findings within the merger procedure. 7. Removal of serious doubts during an in-depth review The question whether cases are “problematic” or “unproblematic” is obviously not always clear and certainly the answer most often not binary. Some cases might appear problematic at first sight but raise no competition concerns once investigated further. Mostly, this is caused by one of two reasons: Either an in-depth assessment by the Commission has revealed that the serious doubts the Commission had are unfounded 67 See recitals 110 to 124 of the decision.

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or the parties have offered clear-cut remedies that address the concerns in a way that makes further investigation unnecessary. In such a situation, the application of the principle to deal efficiently with unproblematic cases and to carefully scrutinise problematic cases will cause the Directorate-General for Competition to reduce any further burdens on the companies involved. This principle is also reflected in Article 10(2) of the Merger Regulation that states that a clearance decision in an in-depth investigation should be taken as soon as the serious doubts as to the compatibility with the common market have been removed. Therefore, in case the market investigation in phase II allows the Commission to dismiss concerns that had not been sufficiently unlikely to dismiss them already in phase I, the Commission will clear the transaction without several of the sometimes for merging parties rather burdensome procedural steps usually preceding the adoption of a phase II decision. As the case may be, the following procedural steps can in this situation often be avoided: adoption of a statement of objections, access to the Commission´s case file, reply to the statement of objections, discussion of the case at an Oral Hearing, submission of commitments together with a Form RM and improvements thereof following a market test. An example of this type is the merger M.7054 Cemex/Holcim Assets. Similarly, if parties propose remedies that address the competition concerns of the Commission before the Commission issues a statement of objections, a phase II investigation can be concluded without the need to go through all formal steps foreseen in the Implementing Regulation. This was, for example, the case in M.7758 Hutchison 3G Italy/Wind/JV and M.7962 Chemchina/Syngenta.

IV. Summary and Outlook This was just a short overview over how the Commission conducted its merger review in recent years by applying the principles outlined above in a few selected cases. We would like to underline that the Directorate-General for Competition is committed to implementing the rules and principles applicable to merger review to the benefit of the economy, undertakings and consumers. To do so, we distinguish between likely unproblematic cases in which we try to reduce the burden on companies as much as possible, and problematic cases in which we use all investigative tools available to us to carefully scrutinise the likely impact of the merger on competition. The Directorate-General for Competition is sometimes criticised for various aspects of its handling of merger cases. Dirk Schroeder has never been reluctant to share his often critical view on these matters both privately and in public. Such criticism serves as an important reminder to carefully weigh the balance between “as little burden as possible” and “as much investigation as necessary” during our handling of cases. We have reviewed and continue to review what can be done to achieve our mission best. As to further room for improvements, the Directorate-General for Competition 477

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is well aware of the burden faced by companies in responding to extensive requests for internal documents. Even though this affects only a very small percentage of cases each year, Commissioner Vestager has therefore decided in early 2018 to start preparing a set of best practices for such requests. These guidelines will reflect past experience and aim at helping companies to respond more efficiently to requests for internal documents – hopefully making measures such as the suspension of time-limits occur less often. To conclude, we would like to underline that the vast majority of merger cases dealt with by the Directorate-General for Competition are processed in a simplified, fast and efficient manner. Following the simplification package of 2014, almost 3 out of 4 cases in 2017 were simplified cases. In our view, the Commission’s handling of the cases discussed in this article shows that the Directorate-General for Competition has generally been reasonable but firm in conducting its merger investigations even in potentially problematic cases. In this way, we do what we consider to serve the Commission’s mission best: making merger review work in order to achieve a fair and level playing field for all companies in the internal market.

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Bernd Langeheine

Überlegungen zur Verbesserung des Rechtsschutzes in der Europäischen Fusionskontrolle I. Einleitung

5. Fazit

II. Gerichtlicher Rechtsschutz 1. Untersagungen 2. Freigabeentscheidungen mit Auflagen und Bedingungen a) Freiwilligkeit b) Abtrennbarkeit c) Prüfungsmaßstab und Rechtsfolgen 3. Freigabeentscheidungen 4. Entscheidungen nach Art.11 Abs. 3 FKVO

I II. Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren 1. Chefökonom 2. Panels 3. Anhörungsbeauftragter a) Ernennung b) Entscheidungsbefugnisse IV. Schlussbemerkung

I. Einleitung Die Kontrolle von Zusammenschlüssen durch die EU-Kommission hat in den letzten Jahren weiter an Komplexität zugenommen, und zwar sowohl im Hinblick auf die angewandten Schadenstheorien als auch auf die Vorgehensweise bei der Sachaufklärung. Dabei ist unter wettbewerblichen Aspekten zum einen die Prüfung konglomerater Effekte oder koordinierter Wirkungen, die seit 2004 nur selten eine prominente Rolle spielten, wieder stärker in den Fokus geraten.1 Zum anderen sind bei der Beurteilung von Innovationswettbewerb Erwägungen angestellt worden, die weit über existierende Pipeline-Produkte und konkrete Planungen der betroffenen Parteien hinausgehen und ganz allgemein auf die zukünftig zu erwartende Innovationstätigkeit von Unternehmen abzielen. Dabei ist zum Teil ein äußerst langer Beurteilungszeitraum zugrunde gelegt worden, der zusammen mit den oftmals nicht klar vorherbestimmten betrieblichen Innovationszielen Zweifel an der Plausibilität der von der Kommission abgegebenen Prognosen hat aufkommen lassen.2 1 Vgl. z.B. zu konglomeraten Effekten M.8658 UTC/Rockwell Collins, M.8394 Essilor/­ Luxottica oder M.8124 Microsoft/LinkedIn sowie zu koordinierten Effekten M.7758 Hutchison 3G Italy/WIND/JV; M.7567 Ball/Rexam und M.7978 Vodafone/Liberty Global (in den beiden letzten Fällen wurden die Bedenken in Anbetracht der angebotenen Zusagen fallen gelassen). 2 S. insoweit den Fall M.7932 Dow/DuPont sowie z.B. N. Petit, Significant Impediment to Industry Innovation: A Novel Theory of Harm in EU Merger Control?, ICLE Antitrust & Consumer Protection Research Program, White Paper 2017-1; A. Lofaro/St. Lewis/P. Abecasis,

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Ferner ist heute davon auszugehen, dass in Märkten mit weniger als fünf oder sechs Teilnehmern fast jedes Zusammengehen von zwei Unternehmen a priori als erhebliche Behinderung eines wirksamen Wettbewerbs angesehen wird, ohne dass es insoweit einen klar definierten Katalog von Kriterien gibt. Dabei werden mitunter auch wettbewerbliche Beziehungen zwischen marktschwachen Zusammenschlussparteien als problematisch angesehen, während die Erfordernisse eines besonders nahen Wettbewerbsverhältnisses oder der Beseitigung einer im Verhältnis zum Marktanteil überproportional starken Wettbewerbskraft durch die Fusion immer mehr in den Hintergrund treten.3 Was die Durchführung von Untersuchungen im Rahmen der Fusionskontrolle betrifft, so greift die Kommission immer stärker auf interne Dokumente zurück und fordert oft sehr große Mengen von Unterlagen und E-Mail Korrespondenz an.4 Die Analyse firmeninterner Schriftstücke ist ein etabliertes und legitimes Instrument zur Sachaufklärung. Auf Seiten der anmeldenden Parteien entsteht allerdings mitunter der Eindruck, dass hier oft Schriftstücke angefordert werden, deren Relevanz weder unmittelbar einleuchtet noch durch tatsächliche Verwendung im späteren Verfahren belegt wird. Daneben treten Probleme des Vertraulichkeitsschutzes der Anwaltskorrespondenz auf, die wegen der Kürze der Frist für die Antwort auf das Auskunftsersuchen oft kaum auszuräumen sind. Dies wird weiter erschwert durch Unterschiede beim Schutz der Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Mandant und Anwalt in den jeweils betroffenen Rechtssystemen, wie z.B. im EU- und im US-Recht.5 In vielen Fällen werden interne Dokumente durch eine Entscheidung nach Art. 11 Abs. 3 FKVO6 angefordert, womit eine Hemmung der Frist für eine Entscheidung über den Zusammenschluss einhergeht.7 Dies schafft zusätzlichen Zeitdruck für die betroffenen Unternehmen, die möglichst schnell Klarheit über die Zulässigkeit ihres Fusionsvorhabens erhalten möchten. Zwar können derartige Entscheidungen vor dem Gericht der Europäischen Union (im Folgenden: EuG) angegriffen werden, was jedoch zu weiteren Verzögerungen einer Freigabe führen würde, die für die betroffenen Unternehmen zumeist inakzeptabel sind. An Innovation in Merger Assessment: The European Commission’s Novel Theory of Harm in the Dow/DuPont Merger, 32 Antitrust 100 (2017). 3 S. dazu die ausführliche Kritik von F. Dethmers, Merger Control out of Control?, ECLR 2016, 435 ff., die z.B. auch auf die Entscheidung der Kommission im Fall M. 7612 Hutchison 3G UK/Telefonica UK hinweist. Vgl. insoweit auch die Klage gegen diese Entscheidung: Rs. T-399/16, ABl. C 371 v. 10.10.2016, S. 10 f. 4 Vgl. dazu N. Levy/V. Karadokova, The EC’s increasing reliance on internal documents under the EU Merger Regulation: issues and implications, ECLR 2018, 12 ff.; Th. Wilson, Document requests in complex EU merger cases, ZWeR 2017, 146 ff. 5 S. dazu im Einzelnen Katharina Apel, Transatlantische Herausforderungen des Schutzes des Legal Professional Privilege in komplexen Fusionskontrollverfahren, in dieser Festschrift, S. 23. 6 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO), ABl. L 24 v. 29.1.2004, S. 1. 7 Art. 10 Abs. 4 FKVO sowie Art. 9 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission, ABl. L 133 v. 30.4.2004, S. 1.

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Angesichts dieser Entwicklungen, die von Seiten der Anwaltschaft zunehmend kritisiert werden,8 ist es angebracht zu untersuchen, wie es um die Rechtsschutzmöglichkeiten von Unternehmen in der europäischen Zusammenschlusskontrolle steht. Dabei ist auch die besondere Konstellation in Fusionskontrollverfahren zu beachten, bei denen weitreichende Aufklärungs- und Entscheidungsbefugnisse der Kommission einem starken Interesse der Zusammenschlussparteien an einer möglichst schnellen Klärung der Zulässigkeit ihres Vorhabens gegenüberstehen. Bis zu einer Entscheidung der Unionsgerichte über eine Nichtigkeitsklage vergehen in aller Regel zwei bis vier Jahre. Gerade in letztem Punkt unterscheidet sich die Fusionskontrolle grundlegend von Wettbewerbsverfahren unter Art. 101 und 102 TFEU, bei denen ein (Zwischen-)Rechtsstreit zumeist keine Verschlechterung der Situation der Parteien bewirkt. Ferner geht es bei der Kontrolle von Zusammenschlüssen nicht darum, ein subjektives Fehlverhalten im Markt zu sanktionieren, sondern es ist anhand objektiver Umstände zu prüfen, ob die durch die Transaktion entstehende Marktstruktur einen signifikanten Verlust an Wettbewerb mit sich bringen würde. Hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten sind auch deshalb wichtig, weil eine ganz erhebliche Anzahl von geplanten Fusionen nur unter Bedingungen und Auflagen freigegeben (oder ganz untersagt) wird. Dies traf im Jahre 2016 auf 26 Fälle zu, während 2017 22 Fusionen nur bedingt freigegeben oder untersagt wurden.9 Derartige Entscheidungen der Kommission stellen einen erheblichen Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit von Unternehmen dar und können mitunter effiziente Umstrukturierungen oder Anpassungen verhindern oder zum Nachteil verändern. Damit stellt sich die Frage, ob auch der Rechtsschutz von Unternehmen mit den erwähnten Entwicklungen Schritt gehalten hat und eine befriedigende Überprüfung von Entscheidungen im Rahmen von Fusionskontrollverfahren ermöglicht. Die Gewährung von Rechtsschutz im Rahmen der EU-Fusionskontrolle obliegt zum einen den Unionsgerichten, zum anderen aber auch – in nicht unerheblichem Maße – der Kommission selbst. Im Folgenden sollen die betreffenden Verfahren kurz dargestellt und Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung erörtert werden.

II. Gerichtlicher Rechtsschutz Entscheidungen der Kommission, mit denen ein Fusionskontrollverfahren nach Art. 6 oder 8 der FKVO abgeschlossen wird – also Freigaben mit bzw. ohne Auflagen oder Untersagungen –, können vor dem EuG angegriffen werden, sofern der Kläger ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse darlegt. Dazu muss eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit des Klägers vorliegen, die eine negative Auswirkung auf 8 Vgl. z.B. T. Kuhn, Selected issues arising from the European Commission’s increasing reliance on internal documents in EU merger control proceedings – Time to rethink the architecture of the EU merger control process, in dieser Festschrift, S. 415; F. Dethmers, Merger Control out of Control?, ECLR 2016, 435 ff. 9 Dazu kamen in diesen beiden Jahre noch drei Rücknahmen der Anmeldung während der Phase 2, die wohl in Anbetracht einer drohenden Untersagung erfolgten.

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seine Rechtsstellung mit sich bringt.10 Neben den Zusammenschlussparteien gilt dies insbesondere für Wettbewerber sowie für Dritte, die ein hinreichendes Interesse an der Überprüfung der Entscheidung geltend machen können. Ferner können Entscheidungen der EU Kommission während eines laufenden Verfahrens, mit denen die Erteilung von Auskünften oder die Beibringung von Dokumenten angeordnet wird, von den Adressaten der betreffenden Entscheidung angegriffen werden. Auf die übrigen Formen der endgültigen Entscheidungen (wie z.B. die Verhängung von Bußgeldern nach Art. 14 FKVO) oder der verfahrensleitenden Entscheidungen (wie z.B. die Eröffnung der vertieften Prüfungsphase nach Art. 6 Abs.  1 (c) oder Verweisungen nach Art. 9 FKVO) soll hier nicht eingegangen werden. Zweifel an der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes werden insbesondere geäußert wegen eines zu großen Ermessensspielraums der Kommission, der einer richterlichen Nachprüfung entzogen sein könnte, sowie wegen der langen Dauer der Verfahren.11 Diesen beiden Fragen soll im Folgenden für die verschiedenen Arten der Entscheidung kurz nachgegangen werden. 1. Untersagungen Gegen Entscheidungen der EU Kommission, mit denen ein Zusammenschluss untersagt wird, erheben die betroffenen Unternehmen (in der Regel das die Fusion betreibende Unternehmen) in den meisten Fällen Nichtigkeitsklage. So wurden von den neun Untersagungen, welche die Kommission seit der Reform der FKVO von 2004 ausgesprochen hat, sechs vor dem EuG angegriffen. Dabei wurde eine Entscheidung aufgehoben (UPS/TNT12), zwei Klagen wurden abgewiesen (gegen die Entscheidungen Deutsche Börse/NYSE13 und Ryanair/Aer Lingus II14), eine Klage wurde zurückgenommen (Ryanair/Aer Lingus III15), während zwei Verfahren noch vor dem EuG anhängig sind (betr. die Fälle Hutchison/O2 UK16 und HeidelbergCement/Schwenk Cement17). Die Klageerhebung geschieht im Übrigen unbeschadet der Tatsache, dass die Verfahren vor den europäischen Gerichten üblicherweise mehrere Jahre in Anspruch nehmen und das ursprüngliche Fusionsvorhaben damit in der Regel nicht mehr gerettet werden kann. Zumeist stehen daher die Klärung grundsätzlicher Fragen sowie die 10 Vgl. Art. 263 Abs. 4 AEUV, s. im Einzelnen auch Dörr in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (Dezember 2017), Art. 263 Rz.  56-79; Borchardt in Lenz/Borchardt, EU-Verträge – Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 263 Rz. 26-48. 11 S. z.B. Ph. Voet van Vormizeele, Zusagen im europäischen Fusionskontrollverfahren – Praktische Überlegungen aus Unternehmenssicht, NZKart 2016, 459, 466 – mit weiteren Nachweisen. 12 Rs. T-194/13 United Parcel Service/Kommission, ECLI:EU:T:2017:144. 13 Rs. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:EU:T:2015:148. 14 Rs. T-342/07 Ryanair/Kommission, ECLI:EU:T:2010:280. 15 Rs. T-260/13 Ryanair/Kommission, ECLI:EU:T:2015:873. 16 Rs. T-399/16 CK Telecoms UK Investments/Kommission. 17 Rs. T-380/17 HeidelbergCement und Schwenk Cement/Kommission.

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Vorbereitung von evtl. Amtshaftungsklagen gegen die Kommission im Vordergrund. Anträge auf eine einstweilige Anordnung mit der eine Durchführung des Zusammenschlusses vorerst genehmigt würde, haben kaum Aussicht auf Erfolg, und zwar wegen der Unumkehrbarkeit der durch die Fusion geschaffenen neuen Marktstruktur und -verhältnisse sowie wegen des kaum zu erbringenden Nachweises eines schweren, nicht wiedergutzumachenden (d.h. nicht rein pekuniären) Schadens.18 Was die formelle und materielle Richtigkeit von Fusionskontrollentscheidungen betrifft, so ist insbesondere zu fragen, ob die Kontrolldichte durch die gerichtlichen ­Instanzen Schritt gehalten hat mit der von der Kommission angewandten Unter­ suchungsintensität und den Aufklärungsmethoden. Während die Unionsgerichte der Kommission in früheren Urteilen19 ohne weitere Begründung einen weiten Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum bei der Bewertung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte eingeräumt haben, ist dieser Spielraum vom EuGH seit dem Urteil in der Rechtssache „Tetra Laval“ näher präzisiert und eingegrenzt worden. Danach ist der Unionsrichter gehalten, „nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz (zu) prüfen, sondern auch (zu) kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen“.20 Die Überprüfung von Fusionskontrollentscheidungen durch das EuG umfasst also die sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Beweisführung der Kommission. Dies gilt auch für die Beweisführung anhand ökonomischer Annahmen und ökonometrischer Studien. In seinem Ryanair-Urteil von 201021 hat das EuG bekräftigt, dass das Bestehen eines Beurteilungsspielraums der Kommission in Wirtschaftsfragen nicht bedeutet, dass der Unionsrichter die Kontrolle der Auslegung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss22 Ein derart konsequent angelegter Prüfungsmaßstab würde dann letztlich zu der Auffassung führen, dass der Kommission von den Unionsgerichten ein weiter Ermessensspielraum nicht bei der Bewertung ökonomischer Daten, sondern nur bei der Beurteilung grundsätzlicher wettbewerbspolitischer Fragen (policy questions) zugestanden wird.23 18 Anderes könnte gelten im Fall einer Sanierungsfusion, die zu Unrecht untersagt wurde und wo das Zielunternehmen vom Konkurs bedroht ist. So hat im Rahmen des Zusammenschlusses M.308 „Kali+Salz“ eine Drittpartei (SCPA), deren Gemeinschaftsunternehmen als Bedingung für die Freigabe der Fusion aufgelöst werden sollte, erfolgreich vorläufigen Rechtsschutz beantragt (Rs. T-88/94R SCPA/Kommission), vgl. dazu auch N. Levy/C. Cook, Merger Control Law (2017), § 20.07. 19 Vgl. z.B. verb. Rs. C-68/94c und C-30/95 SCPA und EMC/Kommission („Kali+Salz“), ECLI:EU:C:1998:148 Rz. 223 f. oder T-342/99 Airtours/Kommission, ECLI:EU:T:2002:146, Rz. 64. 20 EuGH C-12/03P Tetra Laval, ECLI:EU:C:2005:87, Rz. 39; s. auch NVV und NBHV/Kommission, ECLI:EU:T:2009:144, Rz. 54. 21 Betr. die Untersagungsentscheidung M.4439 Ryanair/Aer Lingus. 22 EuG T-342/07 Ryanair/Kommission, ECLI:EU:T:2010:280, Rz. 30, vgl. auch die eingehende Nachprüfung der wirtschaftsstatistischen Analysen in Rz. 139 ff. 23 Vgl. insoweit Marc Jaeger, The Standard of Review in Competition Cases Involving Complex Economic Assessments: Towards the Marginalisation of the Marginal Review?, in Journal

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Entscheidungen der Kommission über das Schicksal von Zusammenschlüssen unterliegen somit im Prinzip einer umfassenden Tatsachen- und Schlüssigkeitskontrolle durch die Unionsgerichte. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob die Kommission für ihre Schlussfolgerungen eindeutige Beweise vorgelegt hat.24 Daraus folgt, dass es auch Aufgabe des EuG ist, den Wert und die Überzeugungskraft von Beweisen zu prüfen. Dies ist von besonderer Relevanz für den vermehrten Zugriff auf interne Dokumente der Parteien und die Aussagen oder Beurteilungen Dritter. Inwieweit diese Kontrollbefugnis in der Praxis tatsächlich ausgeübt wird, variiert jedoch von Fall zu Fall. Während das Gericht in den Fällen Ryanair 201025 sowie Deutsche Börse26 in eine vertiefte Prüfung der von der Kommission angestellten Analyse eingetreten ist, geschieht dies durchaus nicht in allen Verfahren, vor allem dann nicht, wenn die betreffenden Entscheidungen kurzerhand wegen Fehlern im Verwaltungsverfahren, wie z.B. der Verletzung der Verteidigungsrechte, aufgehoben werden können.27 Für die Prüfungsintensität sind zwar vor allem das Vorbringen und die Beweis­ anträge der klagenden Partei(en) bestimmend. Das EuG verfügt allerdings über ein weites Ermessen bei der Entscheidung, ob dem Antrag stattgegeben wird, und zögert nicht, Beweisanträge zurückzuweisen.28 Andererseits kann das Gericht jedoch in geeigneten Fällen auch von Amts wegen eine Beweisaufnahme anordnen.29 Nun ist es zwar richtig, dass das EuG darauf beschränkt ist, die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Kommission zu überprüfen, ohne im fraglichen Fall eine eigene Entscheidung treffen zu können.30 Dies bedeutet nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung jedoch nicht, dass das Gericht auf eine rein passive Rolle reduziert wäre. Soweit ersichtlich geschieht eine Beweisaufnahme in Fusionsfällen allerdings äußerst selten, was auf ein gewisses Zögern des Gerichts hindeutet, in eine gründliche Überprüfung der tatsächlichen Umstände (und ihrer Bewertung) einzutreten, welche der Untersagungsentscheidung zugrunde liegen. Hierfür könnte es insbesondere zwei Gründe geben: Zum einen ist das Verfahren der Anordnung von Maßnahmen der Beweisaufnahme umständlich und langwierig.31 Zum anderen ist die Fusionskontrolle eine sperrige Materie an der Schnittstelle von Recht und Ökonomie, in der eine Fülle von Fakten und Zahlen zusammengetragen und analysiert werden, aufgrund of European Competition Law & Practice, Volume 2, Issue 4, 1 August 2011, S. 295 ff., auch verfügbar unter https://doi.org/10.1093/jeclap/lpr049. 24 S. dazu Rs. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:EU:T:2015:148, Rz. 63 unter Hinweis auf Airtours/Kommission, ECLI:EU:T:2002:146, Rz. 63. 25 Rs. T-342/07 Ryanair/Kommission, ECLI:EU:T:2010:280. 26 Rs. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:EU:T:2015:148. 27 S. z.B. Rs. T-194/13 UPS/Kommission, ECLI:EU:T:2017:144, Rz. 198-222. 28 C-487/16P Telefonica/Kommission, ECLI:EU:C:2017:961, Rz. 38 29 Art. 88 Abs.  1 VerfO EuG 2015 s. auch Rs. T-151/05, NVV und NBHV/Kommission, ECLI:EU:T:2009:144, Rz. 217. 30 Vgl. dazu z.B. Bo Vesterdorf, Judicial Review in EC Competition Law: Reflections on the Role of the Community Courts in the EC System of Competition Law Enforcement, in Competition Policy International, vol. 1 (2005), S. 9 ff. 31 Vgl. Art. 89 bis 92 VerfO EuG 2015; so sind z.B. vor einem beschluss des Gerichts zur Anhörung von zeugen oder Einholung eines Sachverständigengutachtens die Parteien zu hören (Art. 92 (2) VerfO EuG).

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derer plausible, rechtlich und ökonomisch fundierte Vorhersagen über zukünftige Marktverhältnisse gemacht werden. Dies verlangt auf Seiten des Gerichts eine erhebliche Einarbeitung in die Materie, bevor die Überzeugungskraft der zugrundeliegenden Schadenstheorie und die Beweisführung der Kommission im Einzelnen auf den Prüfstand gestellt werden können.32 Hier könnte die Konzentration von Sachkenntnis in bestimmten Spruchkörpern des Gerichts eine Verbesserung bringen. Zu einer Einführung von spezialisierten Kammern für Wettbewerbssachen, die sich gerade bei der wachsenden Anzahl von Richtern des EuG anbieten würde, hat sich das Gericht bisher jedoch nicht durchringen können.33 Was den Wert und die Aussagekraft der von der Kommission während des Verwaltungsverfahrens erhobenen Beweise betrifft, so kommt es nur selten zu einer eingehenden gerichtlichen Nachprüfung. Insoweit sollte die Initiative natürlich in erster Linie von den Parteien ausgehen. Diese stehen jedoch vor dem Dilemma, Fusionskontroll-Entscheidungen der Kommission von bis zu tausend und mehr Seiten Länge mit einer Klageschrift von fünfzig34 oder in Ausnahmefällen höchstens hundert Seiten angreifen zu müssen. Dabei sind Beweise und Beweisangebote bereits in der Klage aufzuführen.35 Dies hat zur Folge, dass eher grundsätzliche Probleme erörtert werden, und weniger auf Beweiserhebung zu einzelnen Vorwürfen bestanden wird, zumal das EuG die Schwelle für einen erfolgreichen Antrag auf Beweiserhebung ziemlich hoch angesetzt hat.36 Hier wären zwei Möglichkeiten zu erwägen: Zum einen könnte das Gericht zur Herstellung von Waffengleichheit die zulässige Länge der Schriftsätze besser an den Umfang der angegriffenen Entscheidung anpassen. Zum anderen könnte das EuG stärker von der Möglichkeit Gebrauch machen, ex officio Beweise zu erheben, etwa durch die Anhörung von Zeugen oder die Einholung von Gutachten. Gerade wegen des verstärkten Gebrauchs von internen Dokumenten und Aussagen von Marktteilnehmern als tragende Elemente in Kommissionsentscheidungen wäre es wünschenswert, dass das EuG (insbesondere bei entsprechender Anregung von Seiten der Parteien) etwas mehr Wissbegier zeigt und stärker als bisher in die Sachaufklärung einsteigt. Da sich die Kommission bei den Methoden der Sachaufklärung immer stärker am Vorgehen der US-Wettbewerbsbehörden orientiert, wäre auch im Gerichtsverfahren eine ent32 Zur Begründungspflicht der Kommission s. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:​ EU:T:2015:148, Rz.  63  – “Where the Commission takes the view that a concentration should be prohibited because it will create or strengthen a dominant position within a foreseeable period, it is incumbent upon it to produce convincing evidence thereof (see, to that effect, Case T-342/99 Airtours v Commission [2002] ECR II-2585, paragraph 63)”. 33 S. dazu schon Bo Vesterdorf, Judicial Review in EC Competition Law: Reflections on the Role of the Community Courts in the EC System of Competition Law Enforcement, in Competition Policy International, vol. 1 (2005), S. 24 ff. 34 Vgl. insoweit „Praktische Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts“, ABl. L 152 v. 18.6.2015, S. 1, Ziffer 114. 35 Art. 85 der Verfahrensordnung des Gerichts, ABl. L 105 v. 18.6.2015, S. 1. 36 Vgl. T-151/05, NVV und NBHV/Kommission, ECLI:EU:T:2009:144, Rz. 218, wonach der Kläger plausibel darlegen muss, dass die angeforderten Beweise notwendig und relevant für das Urteil sind.

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sprechende Berücksichtigung von Zeugenaussagen angebracht. Eine intensivere Beschäftigung des EuG mit dem Wert und der Überzeugungskraft der verwendeten Beweise und der Tragfähigkeit der Untersuchungsergebnisse würde ganz erheblich zu einem wirksameren Rechtsschutz der Parteien beitragen. Befürchtungen, dass dies zu weiteren Verzögerungen im Verfahren führen könnte, spielen dabei in den meisten Fällen keine Rolle. Selbst im Falle der Aufhebung einer Untersagungsentscheidung durch das EuG ist die geplante Fusion auch bei einer eventuellen Freigabe im zweiten Anlauf in aller Regel nicht mehr zu retten. Die Präzedenzwirkung des Urteils für zukünftige, ähnlich gelagerte Fälle würde jedoch in jedem Fall erhalten bleiben.37 Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Parteien ist, dass ein obsiegendes Urteil Grundlage für einen Schadensersatzprozess gegen die Kommission bilden kann. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass ein effektiver Rechtsschutz nicht an der Einräumung eines zu weiten Ermessensspielraums für die Kommission scheitert, sondern dass das EuG eine umfassende Prüfung der sachlichen Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Beweisführung der Kommission vornehmen kann und dass ihm dafür hinreichende Mittel zur Aufklärung und Bewertung des zugrundeliegenden Sachverhalts zur Verfügung stehen. Was die Dauer der Verfahren vor den Unionsgerichten betrifft, so würde dem Rechtsschutzbedürfnis der Parteien nur dann besser Rechnung getragen, wenn der Zeitraum zwischen Einreichung einer Klage gegen die Untersagung einer Fusion und einem endgültigen Gerichtsentscheid ganz erheblich verkürzt werden könnte. So sind in der Vergangenheit Klagen gegen Fusionsentscheidungen, bei denen das Gericht einem beschleunigten Verfahren38 zugestimmt hatte, auch schon innerhalb von zehn Monaten entschieden worden.39 In den letzten Jahren sind derartige Anträge auf Verfahrensbeschleunigung jedoch ohne weitere Begründung abschlägig beschieden worden, wohl nicht zuletzt, weil auch die angegriffenen Entscheidungen immer umfangreicher und komplexer werden und sich damit nicht für ein Eilverfahren eignen.40 Auch die grundsätzliche Schriftlichkeit des Verfahrens mit großzügigen Fristen und das Sprachenregime der Unionsgerichte stehen einer schnelleren Erledigung entgegen. Hinzu kommt, dass ein obsiegendes Urteil der Unionsgerichte nicht nur für eine Rettung des geplanten Zusammenschlusses regelmäßig zu spät ergeht, sondern bei Aufhebung einer Untersagung durch das EuG die Kommission gehalten ist, den Zu­ sammenschluss erneut unter Berücksichtigung der aktuellen Marktverhältnisse zu 37 Vgl. insoweit z.B. das Urteil des EuG in Airtours/First Choice, ECLI:EU:T:2002:146, welches die Haltung der Kommission zu koordinierten Effekten erheblich beeinflusst hat. 38 Vgl. Art. 151 der VerfO des EuG; ehemals Art. 76a. 39 Rs. T-310/01, Schneider Electric/Kommission, ECLI:EU:T:2002:254; s. auch Rs. T-5/02 ­Tetra Laval/Kommission, ECLI:EU:T:2002:264, wo allerdings das Urteil im Rechtsmittelverfahren C-12/03 erst nach gut drei Jahren erging. 40 S. z.B. die Rechtssachen T-79/12 Cisco/Kommission, ECLI:EU:T:2013:635 Rz. 14,15 sowie T-194/13 UPS/Kommission, ECLI:EU:T:2017:144, Rz. 87-90.

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untersuchen.41 Dies kann problematisch sein, falls z.B. auf dem betreffenden Markt in der Zwischenzeit weitere Fusionen von Wettbewerbern stattgefunden haben. Eventuell begangene Formfehler in der aufgehobenen Entscheidung können dabei natürlich auch korrigiert werden, so dass den klagenden Parteien insoweit letztendlich nicht geholfen ist. In der Praxis sind die von der aufgehobenen Entscheidung untersagten Fusionen später fast nie durchgeführt worden. Was z.B. den geplanten Erwerb von TNT durch UPS betrifft, so ist schon vor Erlass des stattgebenden Urteils,42 mit dem die Untersagung aufgehoben wurde, das Zielunternehmen vom Wettbewerber Fedex gekauft worden.43 Ein erneutes Fusionskontrollverfahren hatte sich damit erübrigt; UPS hat jedoch eine Schadensersatzklage gegen die Kommission erhoben, die zurzeit noch anhängig ist.44 In der Vergangenheit ist der Erfolg derartiger Schadensersatzklagen allerdings überschaubar gewesen. Zum einen ist es für die klagende Partei schwierig, eine qualifizierte Rechtsverletzung durch die Kommission nachzuweisen, vor allem, da dieser vom Gericht ein erheblicher Ermessensspielraum bei der Erfüllung ihrer Amtspflichten zugestanden wird.45 Zum anderen ist das EuG bei der Bemessung eines eventuellen Schadensersatzes außerordentlich zurückhaltend.46 Hier ist bemerkenswert, dass UPS die Kommission immerhin auf die Zahlung eines Betrages von 1,742 Mrd. Euro verklagt hat.47 Sofern der EuGH das von der Kommission in der Zwischenzeit eingelegte Rechtsmittel gegen das stattgebende Urteil des EuG zurückweist,48 darf man gespannt sein, wie das Gericht die Sorgfaltspflichten unter Amtshaftungsgesichtspunkten im Hinblick auf Verfahrensfehler – wie die Verletzung des rechtlichen Gehörs – interpretiert. 2. Freigabeentscheidungen mit Auflagen und Bedingungen Sofern die Kommission eine angemeldete Fusion während des Prüfverfahrens als wettbewerbsbehindernd eingestuft, stellt sich für die Zusammenschlussparteien die Frage nach dem Angebot von Zusagen. Die meisten problematischen Fälle werden letztlich mit Auflagen und Bedingungen freigegeben, wobei die Auffassungen der 41 Vgl. Art. 10 Abs. 5 FKVO. 42 T-194/13 UPS/Kommission, ECLI:EU:T:2017:144; das von der Kommission eingelegte Rechtsmittel ist zurzeit als Rechtssache C-265/17 beim EuGH anhängig. 43 Fedex war interessanterweise im Ausgangsverfahren Streithelfer auf Seiten der Kommission. 44 Rs. T-834/17 UPS/Kommission. 45 S. dazu Rs. C-440/07 Schneider Electric/Kommission, ECLI:EU:C:2009:459, Rz. 160 ff. sowie Rs. C-282/05P Holcim/Kommission, ECLI:EU:C:2007:226, Rz. 47 ff.; vgl. auch Jacob/ Hoffmann in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (Dezember 2017), Rz. 87-94; Lageard in Lenz/Borchardt, EU-Verträge – Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 340 Rz. 47-51. 46 Vgl. C-440/07 Schneider Electric/Kommission, ECLI:EU:C:2009:459, wo letztlich 50.000,Euro zuerkannt wurden. 47 Rs. T-834/17 UPS/Kommission, ABl. C 72 v. 26.2.2018, S.  41, wo auch die Klagegründe zusammengefasst werden. 48 Vgl. dazu Schlussanträge GA Kokott vom 25.7.2018, die eine Zurückweisung des Rechtsmittels vorschlägt.

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Kommission und der Parteien über die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Abhilfemaßnahmen oft erheblich voneinander abweichen. Insoweit stellt sich die Frage, ob den fusionierenden Unternehmen ein hinreichender Rechtsschutz gegen ihrer Ansicht nach fehlerhafte oder unverhältnismäßige Auflagen oder Bedingungen zur Verfügung steht. Zweifelhaft könnte dies zum einen sein, weil nach dem System der FKVO die Zusagen von den Parteien „freiwillig“ angeboten werden. Daneben ist fraglich, ob ein Klage allein auf die Aufhebung einer Bedingung oder Auflage gerichtet werden kann. a) Freiwilligkeit Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage gegen bedingte Freigaben scheitert nicht schon deswegen, weil nach dem System der FKVO Zusagen von den Parteien „freiwillig“ angeboten werden. So hat der EuGH in der Vergangenheit eine Klage gegen die Aufhebung einer Bedingung in einer Kommissionsentscheidung zur Untersagung eines Zusammenschlusses nicht deshalb für unzulässig erklärt, weil diese Bedingung freiwillig angeboten worden war. In seinem Urteil in der Rechtssache „Cementbouw“ untersucht der Gerichtshof allein, ob die betreffenden Abhilfemaßnahmen verhältnismäßig sind und das identifizierte WB-Problem beseitigen, ohne dabei auf die Freiwilligkeit der Zusagen einzugehen.49 In dieselbe Richtung gehen auch die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in derselben Rechtssache, in denen betont wird, dass auch Freigaben mit Bedingungen und Auflagen einer richterlichen Kontrolle in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit unterliegen und dass die fusionierenden Unternehmen ein berechtigtes Interesse an einer Freigabe ohne Auflagen (bzw. mit weniger weitreichenden Auflagen) haben.50 Was die Freiwilligkeit betrifft, so ist auch zu bedenken, dass der Umfang der Zusagen in der Praxis zumeist bis ins Detail zwischen der Kommission und den Parteien verhandelt wird. Angesichts der Wahl zwischen einer Untersagung, die nur in einem jahrelangen Gerichtsverfahren aufgehoben werden könnte und damit praktisch ein Scheitern des Zusammenschlusses bedeutet, und dem Angebot von (zu) weitreichenden Zusagen entscheiden sich Unternehmen fast immer für Letzteres, um so die geplante Transaktion zumindest „mit Abstrichen“ durchführen zu können. Dieses Verhalten als freiwillig zu bezeichnen und eine Klagemöglichkeit deswegen abzulehnen, würde nicht nur die Realität verkennen, sondern die Parteien letztlich auch ihres Rechts auf gerichtliche Nachprüfung der Verhältnismäßigkeit von Auflagen und Bedingungen berauben.51

49 Rs. C-202/06P Cementbouw, EU:C:2007:814, Rz. 54. 50 Rs. C-202/06P Cementbouw – Schlussanträge GA Kokott – EU:C:2007:255, Rz. 66. 51 Vgl. F. Todorov/A. Valcke, Judicial Review of merger control decisions in the European ­Union, in The Antitrust Bulletin, vol. 51 (2006), S. 339, 350. Differenzierter GA Kokott in Rs. C-202/06P Cementbouw, EU:C:2007:255, Rz. 69, die aus der Freiwilligkeit der Zusagen eine Vermutung ableiten will, dass die Parteien selbst diese für geeignet, erforderlich und

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Auf die Frage, ob die Parteien bei der Abgabe der Zusagen einen ausdrücklichen Vorbehalt bezüglich einer späteren Anfechtung gemacht haben, kommt es ebenfalls nicht an. Wollte man darauf bestehen, so könnte dies als mangelnder Wille der Parteien zur Umsetzung der Abhilfemaßnahmen gewertet werden und letztlich die bedingte Freigabe gefährden. Auch die Tatsache, dass die Parteien die streitige Bedingung bereits erfüllt haben, um die Transaktion durchzuführen, hat keinen Wegfall des Rechtsschutzinteresses zur Folge.52 b) Abtrennbarkeit Fraglich ist jedoch, ob eine Nichtigkeitsklage nur gegen die beanstandete Bedingung gerichtet werden kann oder ob stets die Entscheidung als Ganzes angegriffen werden muss. Aus Art. 10 Abs. 5 FKVO ergibt sich, dass eine Entscheidung der Kommission im Prinzip auch teilweise für nichtig erklärt werden kann. Diese Vorschrift betrifft allerdings nur die fristenrelevanten Wirkungen eines Urteils und nicht die Frage der Zulässigkeit einer auf die Bedingung beschränkten Klage. Nach ständiger Rechtsprechung ist die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsaktes nur möglich, soweit sich der beanstandete Teil vom Rest des Rechtsaktes trennen lässt.53 Dieses Erfordernis der Abtrennbarkeit ist nach Ansicht des EuGH nicht erfüllt, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsaktes zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde.54 Ebenso ist daher im Bereich der Fusionskontrolle nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die teilweise, auf eine in der Entscheidung enthaltene Bedingung beschränkte Nichtigerklärung nur dann möglich, wenn sich diese vom übrigen Teil der Entscheidung trennen lässt.55 Dies war zwar bei früheren Entscheidungen nach Art. 85 Abs. 3 EU-Vertrag angenommen worden, ohne dass der Gerichtshof die Wirkungen einer teilweisen Aufhebung der zugrundeliegenden Entscheidung angesprochen hätte.56 In späteren Urteilen zur Fusionskontrolle werden jedoch strenge Maßstäbe für die Abtrennbarkeit von Bedingungen vom Rest der Entscheidung aufgestellt. Eine solche Abtrennbarkeit soll bei bedingten Freigaben in aller Regel nicht möglich sein, da durch die Aufhebung von Auflagen oder Bedingungen der Kern der Ent-

angemessen hielten, um ein von der Kommission identifiziertes Wettbewerbsproblem zu lösen. 52 Vgl. EuGH verb. Rs. C-68/94c und C-30/95 SCPA und EMC/Kommission (Kali+Salz), ECLI:EU:C:1998 :148, Rz. 70-75. 53 Vgl. EuGH C-540/03 EP/Rat, ECLI:EU:C:2006:429, Rz. 27 mit weiteren Verweisen auf die einschlägige Rechtsprechung. 54 Ebenda Rz. 28 mit Bezug auf verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 „Kali+Salz“, ECLI:EU:C:1998:148 und weiteren Nachweisen. 55 Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 „Kali+Salz“, ECLI:EU:C:1998:148, Rz. 256 mit Verweis auf die Rs. 37/71, Jamet/Kommission, ECLI:EU:C:1973:27, Rz. 11, und die Rs. 17/74, Trans­ ocean Marine Paint/Kommission, ECLI:EU:C:1974:106, Rz. 21. 56 Vgl. Rs. 17/74 Transocean Marine Paint, ECLI:EU:C:1974:106, Rz. 21.

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scheidung verändert würde.57 Im entschiedenen Fall ging der EuGH davon aus, dass die erwähnten Bedingungen mit der im verfügenden Teil enthaltenen Vereinbarkeitserklärung eine untrennbare Einheit bildeten. Dies ergebe sich daraus, dass die Bedingungen aus einer negativen Beurteilung des Zusammenschlusses in der angemeldeten Form durch die Kommission folgten und dass diese daher von der Kommission als unerlässlich für die Freigabe des Zusammenschlusses erachtet würden.58 In den vorstehend genannten Rechtssachen hat der EuGH die Frage der Abtrennbarkeit stets mit der Beurteilung des Wesensgehalts des Rechtsaktes verbunden und hat dabei auf den Zusammenhang und die Ziele abgestellt. Angesichts dieser Rechtsprechung ist nicht anzunehmen, dass eine gesonderte Klage auf Aufhebung einzelner Bedingungen zulässig wäre, so dass es sich für die Parteien stets anbietet, die Entscheidung insgesamt anzugreifen. Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass das EuG die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Bedingung im Kontext mit dem Rest der Entscheidung prüfen wird. Sollte sich herausstellen, dass die auferlegten Abhilfemaßnahmen unnötig oder unverhältnismäßig waren,59 so wird das Gericht die Entscheidung insgesamt aufheben.60 c) Prüfungsmaßstab und Rechtsfolgen Was die Erfolgsaussichten einer Klage gegen bedingte Freigaben angeht, so ist zu beachten, dass der EuGH jedenfalls im Bereich der Art. 101 und 102 AEUV der Kommission bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Zusagen einen weiten ­Ermessensspielraum eingeräumt hat. So entschied der Gerichtshof in seinem Alrosa-­ Urteil, dass die Kommission im „vorliegenden Fall im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Verpflichtungszusagen nur zu prüfen [hatte], ob die … gemeinsamen Verpflichtungszusagen ausreichend waren, um die von ihr im Rahmen des Verfahrens nach Art. 82 EG erhobenen Bedenken auszuräumen“.61 Auf die Frage, ob es andere weniger belastende oder angemessenere Lösungen gegeben hätte, kommt es nach Ansicht des EuGH jedenfalls bei Verpflichtungszusagen nach Art. 9 der Verordnung 1/2003 nicht an.62 Auch durfte das EuG in seinem erstinstanzlichen Urteil keine „eigene abweichende Bewertung der Eignung der …Verpflichtungszusagen“ zur Ausräumung der von der Kommission festgestellten Wettbewerbsprobleme vornehmen und an die Stelle der Bewertung durch die Kommission setzen, ohne unzulässig in deren Beurteilungsspielraum einzugreifen.63

57 Vgl. Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 „Kali+Salz“, ECLI:EU:C:1998:148, Rz. 257; vgl. auch GA Kokott in Rs. C-202/06P Cementbouw, EU:C:2007:255, dort in Fn. 51. 58 Ebenda, Rz. 258. 59 Die Kommission hat insoweit zu prüfen, ob der geplante Zusammenschluss auch bei Zugrundelegung der angebotenen Zusagen den Wettbewerb beeinträchtigen würde, vgl. Rs. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:EU:T:2015:148, Rz. 64. 60 Vgl. Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 „Kali+Salz“, ECLI:EU:C:1998:148, Rz. 256-258. 61 Rs. C-441/07P „Alrosa“, ECLI:EU:C:2010:377, Rz. 61. 62 Ebenda, Rz. 40, 41. 63 Ebenda, Rz. 66, 67.

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Anders dürften die Dinge jedoch bei der Fusionskontrolle liegen, da dort die Kommission zumindest bei Untersagungen nachweisen muss, dass der geplante Zusammenschluss auch mit den von den Parteien angebotenen Zusagen nicht genehmigungsfähig ist.64 Auch hier erkennt das EuG zwar ein gewisses Ermessen der Kommission an, unterstreicht aber im Urteil “Deutsche Börse” seine Befugnis, “the Commission’s interpretation of information of an economic nature” nachzuprüfen, und behält sich weiterhin vor, zu kontrollieren „whether that evidence contains all the information which must be taken into account in order to assess a complex situation and whether it is capable of substantiating the conclusions drawn from it”.65 Der Beurteilungsspielraum der Kommission ist damit enger als bei Verpflichtungszusagen nach Art. 9 Verordnung 1/2003. Die Frage der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Zusagen hängt jedoch letztlich mit der Einschätzung des Umfangs und der Schwere der von der Kommission festgestellten Wettbewerbsbedenken zusammen. Sofern das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die Kommission diese nicht schlüssig dargelegt hat oder dass die Zusagen nicht erforderlich oder geeignet waren, die Wettbewerbsbedenken auszuräumen, wird es die Entscheidung aufheben, und zwar in ihrer Gesamtheit. Die getrennte Aufhebung nur der Bedingung dürfte nach der zitierten Rechtsprechung nicht in Frage kommen. Zwar erwähnt Art. 10 Abs. 5 FKVO ausdrücklich die teilweise Aufhebung einer Entscheidung der Kommission. Dies kann sich angesichts der vorstehend zitierten Rechtsprechung jedoch nicht auf Auflagen oder Bedingungen beziehen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn das EuG feststellen würde, dass die wettbewerblichen Bedenken, die Grundlage der Auflage oder Bedingung sind, nicht gerechtfertigt sind und sodann allein den bedingenden Teil der Entscheidung aufheben würde, ohne die Freigabe als solche zu kassieren. Dies ist jedoch angesichts der bisherigen Rechtsprechung zur Abtrennbarkeit und zum Nachprüfungsumfang des EuG kaum zu erwarten. Die Rechtsfolgen der Aufhebung einer bedingten Freigabeentscheidung werden in Art. 10 Abs. 5 FKVO angesprochen, wonach der gesamte Zusammenschluss erneut von der Kommission zu prüfen ist, und zwar „unter Berücksichtigung der aktuellen Marktverhältnisse“. Dass die im Rechtsstreit unterlegene Verwaltungsbehörde die Gelegenheit zu einer umfassenden neuen Beurteilung des Zusammenschlusses unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Marktsituation erhält, ist insofern problematisch als die (obsiegenden) Zusammenschlussparteien einseitig das Risiko einer zwischenzeitlichen Änderung der Marktsituation zu ihren Ungunsten tragen. Der ungewisse Ausgang des erneuten Prüfverfahrens dürfte erheblich dazu beitragen, dass Klagen gegen bedingte Freigaben sehr selten sind.

64 S. Rs. T-175/12 Deutsche Börse/Kommission, ECLI:EU:T:2015:148, wo es in Rz. 64 heißt “[T]he Commission is required to examine the concentration as modified by those ­commitments … [and] to demonstrate that those commitments do not render the con­ centration, as modified by the commitments, compatible with the common market”. (unter Hinweis auf Rs. T-342/07 Ryanair/Commission, ECLI:EU:T:2010:280, Rz. 28). Das Urteil liegt nicht auf deutsch vor. 65 Ebenda, Rz. 66.

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Im Übrigen hätte auch ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zur Aussetzung der fraglichen Bedingung kaum Aussicht auf Erfolg. Neben der Schwierigkeit, einen schweren, nicht wiedergutzumachenden Schaden darzulegen, könnte eine unbedingte Umsetzung des Zusammenschlusses ohne die von der Kommission für nötig gehaltenen Abhilfemaßnahmen zu einer unumkehrbaren Änderung der Marktverhältnisse führen. 3. Freigabeentscheidungen Entscheidungen, mit denen die Kommission einen geplanten Zusammenschluss freigibt, unterliegen ebenfalls einer gerichtlichen Nachprüfung und werden mitunter von Wettbewerbern angegriffen.66 Auch hier legt das EuG strenge Maßstäbe an, und zwar sowohl im Hinblick auf die Begründungspflicht67 als auch auf die Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen durch die Kommission sowie deren Eignung, die von der Kommission gezogenen Schlüsse zu tragen.68 So hat das Gericht beispielsweise die Freigabe im Fall Liberty Global/Ziggo wegen eines Begründungsmangels aufgehoben, weil die Kommission die sachliche Marktdefinition offengelassen hatte, aber einen bestimmten Markt (Premium Pay-TV Sportkanäle) in der Entscheidung nicht ausdrücklich gesondert angesprochen hatte.69 Auch in diesen Fällen hat die erneute Prüfung des Zusammenschlusses durch die Kommission gemäß Art. 10 Abs. 5 FKVO „unter Berücksichtigung der aktuellen Marktverhältnisse“ stattzufinden. Zu einer Untersagung oder geänderten Freigabe, z.B. mit (weitergehenden) Bedingungen oder Auflagen, haben derartige Verfahren in aller Regel nicht geführt. So wurde z.B. der Zusammenschluss Liberty Global/Ziggo von der Kommission kürzlich nach einer erneuten, nachgebesserten Prüfung abermals mit ähnlichen Auflagen freigegeben.70 4. Entscheidungen nach Art. 11 Abs. 3 FKVO Im Rahmen von Fusionskontrollverfahren kann die Kommission Informationen von den Parteien durch eine Entscheidung nach Art. 11 Abs.  3 FKVO anfordern, und zwar insbesondere dann, wenn diese einem früheren „einfachen“ Auskunftsersuchen nicht nachgekommen sind.71 Damit einher geht eine Hemmung der Fristen, und zwar 66 Vgl. z.B. T-405/08 Spar Österreichische Warenhandels AG/Kommission, ECLI:EU:T:​ 2013:306 (re M.5047 REWE/Adeg), T-464/04 Impala/Kommission, ECLI:EU:T:2006:216 (re M.3333 Sony/BMG) oder T-394/15 KPN BV/EU Kommission, ECLI:EU:T:2017:756 (re M.7000 Liberty Global/Ziggo). 67 S. z.B. Rs. T-394/15 KPN/Kommission, ebenda Rz. 49 ff. 68 S. z.B. Rs. T-464/04 Impala/Kommission, ECLI:EU:T:2006:216, Rz. 521 ff. 69 Vgl. die Entscheidung M.7000 Liberty Global/Ziggo, welche mit dem o.a. (Fn. 66) Urteil aufgehoben wurde. 70 M.7000 Liberty Global/Ziggo; eine erneute Anmeldung erfolgte unter derselben Fallnummer am 4.4.2018; die Freigabe datiert vom 30.5.2018 (s. dazu IP/18/3984). – KPN hat in der Zwischenzeit auch Klage erhoben gegen die Freigabe des Zusammenschlusses M. 7978 ­Vodafone/Liberty Global/Dutch JV, s. Rs. T-370/17. 71 Vgl. dazu T. Kuhn, Selected issues arising from the European Commission’s increasing ­reliance on internal documents in EU merger control proceedings – Time to rethink the architecture of the EU merger control process, in dieser Festschrift, S. 415.

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vom Zeitpunkt, an dem die Auskünfte ursprünglich beigebracht werden sollten, bis zur tatsächlichen Einreichung der angeforderten Informationen. Auch gegen diese Entscheidungen ist eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zulässig und die betreffenden Entscheidungen müssen einen entsprechenden Hinweis enthalten.72 Derartige Klagen sind in Verfahren der Fusionskontrolle allerdings äußerst selten,73 da für die Parteien die Vermeidung von Verzögerungen bei der Durchführung des Zusammenschlusses im Vordergrund steht und da das EuG auch hier in der Vergangenheit eine Behandlung im beschleunigten Verfahren abgelehnt hat.74 Im Übrigen hat das Gericht der Kommission einen sehr weiten Ermessensspielraum zuerkannt, indem es nicht auf die „tatsächliche Erforderlichkeit“ der Auskünfte für die Prüfung des Zusammenschlusses abstellt, sondern auf die „Vorstellung“, welche die Kommission zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens „zu Recht von Umfang der … notwendigen Auskünfte haben konnte“.75 Einzige Grenzen sind das Erfordernis einer hinreichend klaren und bestimmten Begründung sowie das Anwaltsprivileg.76 Die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes gegen Art. 11 Abs. 3 FKVO Entscheidungen bleibt damit (anders als in Kartellverfahren) im Wesentlichen theoretisch. 5. Fazit Die Länge der Verfahren in Fusionskontrollsachen vor den Unionsgerichten bleibt problematisch. Wegen der langen Verfahrensdauer ist selbst bei einem Obsiegen der Klägerin die ursprüngliche Transaktion fast nie zu retten und es bleibt im Wesentlichen die Präzedenzwirkung des Urteils sowie ein möglicher Anspruch auf Schadensersatz. Die kürzlich erfolgte Erhöhung der Anzahl der Richter allein dürfte kaum eine Beschleunigung der Verfahren bringen, denn die Ursachen liegen wohl eher im Umfang der Kommissionsentscheidungen und der Komplexität der Materie sowie der Schriftlichkeit des Verfahrens und im Sprachenregime der Unionsgerichte. Was den Prüfungsmaßstab betrifft, so ist zwar grundsätzlich eine umfassende Nachprüfung der formellen und materiellen Richtigkeit von Kommissionsentscheidungen möglich. Das Gericht verlässt sich allerdings in erster Linie auf den Parteivortrag und macht kaum von eigenen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch. Hier könnten die Unionsrichter zu einem verbesserten Rechtsschutz beitragen, indem sie den Parteien mehr Raum für Beweisanträge einräumen und – sofern sich ein Anlass bietet – stärker als bisher in die Beweiserhebung und -würdigung eintreten. Dabei würde auch die Einrichtung spezialisierter Kammern für Wettbewerbssachen beim EuG einen erheblichen Effizienzgewinn versprechen. Schließlich würde eine größere Kontrolldichte im Hinblick auf subjektive Bewertungen und ökonomische Modelle sowie die Plausibilität der zugrundeliegenden Annahmen nicht nur die Überzeugungskraft der

72 Vgl. Art. 11 Abs. 3 FKVO. 73 S. aber Rs. T-145/06 Qmya/Kommission, ECLI:EU:T:2009:27. 74 Ebenda, Rz. 12. 75 Ebenda, Rz. 30 und 41. 76 S. dazu Rs. C-247/14 P HeidelbergCement/Kommission, ECLI:EU:C:2016:149, Rz. 31-39.

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Urteile erhöhen, sondern auch der Kommission wertvolle Hinweise für die Gestaltung der Sachaufklärung in zukünftigen Fällen geben.

III. Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren Ebenso wichtig wie Verbesserungen beim gerichtlichen Rechtsschutz ist für die Parteien eines Zusammenschlusses , dass Streitigkeiten, die während einer laufenden Untersuchung auftreten, schnell und effizient beigelegt werden. Ein Zwischenrechtsstreit vor dem EuG ist zwar mitunter möglich, z.B. gegen Entscheidungen nach Art. 11 Abs. 3 FKVO, aber wegen der langen Dauer für die Parteien keine echte Alternative. Es ist daher auch zu überlegen, inwieweit im Bereich der Fusionskontrolle das Verwaltungsverfahren vor der Kommission verbessert werden kann. Bereits 2004 ergriff die Kommission als Folge von drei Urteilen des EuG, mit denen in kurzem Abstand Untersagungsentscheidungen der Kommission kassiert wurden,77 eine Reihe von Maßnahmen, um den Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren zu stärken und der EU-Fusionskontrolle eine solidere ökonomische Grundlage zu geben.78 1. Chefökonom So wurde zum einen die Stelle eines Chefökonomen eingerichtet, der zusammen mit seinem Mitarbeiterstab in die Prüfung von Zusammenschlüssen eingebunden wird. Dazu hieß es in der entsprechenden Pressemitteilung, dass „(d)er Inhaber dieses Postens ein anerkannter Wirtschaftsexperte sein (wird), der vorübergehend zur Kommission abgestellt ist und der direkt dem Generaldirektor untersteht“.79 Diese Stelle wird von der Kommission stets extern ausgeschrieben und in der Regel circa alle drei Jahre mit einem renommierten Ökonomen von außerhalb der Kommission neu besetzt. Der Chefökonom und sein Team sind organisatorisch Bestandteil der Generaldirektion Wettbewerb und tragen insbesondere Verantwortung für eine solide ökonomische Basis jeder Schadenstheorie. Sie überprüfen die Stichhaltigkeit der von den Parteien beigebrachten Analysen und steuern gegebenenfalls eigene ökonometrische Modelle bei.80 Dies ist zumindest ein indirekter Beitrag zu besserem Rechtsschutz, indem Analysen und Bewertungen auf ein fachlich begründetes ökonomisches Fundament gestellt werden. Das Team des Chefökonomen spielt auch bei der Entwick77 Rs. T-342/99 Airtours/Kommission, ECLI:EU:T:2002:146; Rs. T-310/01 Schneider Electric/ Kommission, ECLI:EU:T:2002:254; Rs. T-5/02 Tetra Laval/Kommission, ECLI:EU:T:2002:​ 264. 78 S.  dazu IP/02/1856 vom 11.12.2002, „Kommission beschließt umfassende Reform der EU-Fusionskontrolle“ (verfügbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-02-1856_ de.htm). 79 IP/02/1856 vom 11.12.2002, „Kommission beschließt umfassende Reform der EU-Fusionskontrolle“. 80 Diese sind oft als Anhänge zu Fusionskontrollentscheidungen aufgeführt, wie z.B. im Fall M.7932 Dow/DuPont; s. dazu auch B. Buehler/D. Coublucq/C. Hariton/G. Langus/T. Valletti, Recent Developments at DG Competition: 2016/2017, in Review of Industrial Organi­ zation (2017), vol. 51, S. 397.

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lung neuer Schadenstheorien eine wichtige Rolle, so z.B. bei der Formulierung von Bedenken hinsichtlich einer Verringerung der Innovationsanstrengungen der Zusammenschlussparteien.81 Im Übrigen nehmen die Mitarbeiter des Chefökonomen zwar häufig an sog. state-­ of- play meetings mit den Parteien teil und tauschen sich zum Teil auch mit deren ökonomischen Beratern aus, doch ansonsten erfolgt ihre Tätigkeit im Wesentlichen ­intern und vertraulich. Die Abschlussberichte des Chefökonomen zu einzelnen Fusionsfällen werden dem für Wettbewerb zuständigen Mitglied der Kommission vorgelegt, sind aber weder für die Parteien noch für die Öffentlichkeit zugänglich. 2. Panels Durch die Reform wurden für wichtigere Fälle, insbesondere solche, bei denen nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen die Möglichkeit einer Untersagung besteht, interne Panels eingerichtet, welche die Ergebnisse des mit dem Fall befassten Teams noch einmal unvoreingenommen prüfen sollen (das sog. „fresh pair of eyes“). Diese Kontrollgremien sind mit Beamten der GD Wettbewerb besetzt und führen ihre Arbeit vertraulich und ohne Beteiligung der Parteien aus. So ist auch nicht ersichtlich, ob dies jemals zu entscheidenden Änderungen von Kommissionsvorschlägen oder zum gänzlichen Fallenlassen von Beschwerdepunkten geführt hat. 3. Anhörungsbeauftragter Schließlich wurde im Zusammenhang mit der Reform von 2004 der Mitarbeiterstab des Anhörungsbeauftragten (im Folgenden: AB) erweitert, der eine für die Parteien in Fusionskontrollverfahren wichtige Rolle einnimmt. Bevor die Kommission eine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 bis 6 FKVO trifft, hat sie den betroffenen Unternehmen die Gelegenheit zu einer Anhörung zu allen von der Kommission erhobenen Einwänden zu geben.82 Während die schriftliche Anhörung normalerweise durch die Einreichung einer Stellungnahme zu den Beschwerdepunkten (oder andere ergänzende Schriftsätze) erfolgt, wird die förmliche mündliche Anhörung vom AB „in voller Unabhängigkeit“ durchgeführt.83 Dieser wacht auch insgesamt über die Wahrung von Verfahrensrechten der Parteien, und zwar insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Diese Beschränkung auf prozedurale Aspekte machte früher insofern Sinn, als die Unionsgerichte der Kommission bei der Beurteilung wirtschaftlicher Gegebenheiten seinerzeit einen weiten Ermessensspielraum einräumten.

81 Vgl. z.B. die folgenden Beiträge vom Chefökonomen sowie von zwei Mitgliedern seines Teams: G. Federico/G. Langus/T. Valletti, A simple model of mergers and innovation, in Economic Letters, 2017, vol. 157, issue C, 136-140 sowie von denselben Autoren G. Fede­ rico/G. Langus/T. Valletti, Horizontal Mergers and Product Innovation, verfügbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2999178. 82 Art. 18 FKVO sowie Art. 13-16 VO 802/2004. 83 Art. 15 Abs. 1 VO 802/2004 zur Durchführung der FKVO, ABl. L 133 v. 30.4.2004, S. 1.

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Die Rechte und Aufgaben des AB sind allerdings im Laufe der Jahre gestärkt und erweitert worden, während gleichzeitig das EuG seit dem „Tetra Laval“ Urteil84 eine immer intensivere Nachprüfung von Fusionsentscheidungen vornahm. Die Tätigkeit des AB ist zurzeit im Beschluss des Präsidenten der Europäischen Kommission vom Oktober 201185 (im Folgenden: Beschluss 2011/695/EU) geregelt, welcher dem AB eine bedeutendere Rolle in Verfahren nach Art. 101 und 102 AEUV oder nach der FKVO überträgt und ihm eine Reihe von eigenen Entscheidungsrechten einräumt. Grundlage für diesen Beschluss ist Art. 22 der Geschäftsordnung der Kommission,86 wonach der Präsident „(u)m speziellen Anforderungen gerecht zu werden, … besondere Funktionen und Verwaltungsstrukturen einrichten (kann), denen er genau umschriebene Aufgaben überträgt und deren Befugnisse und Arbeitsbedingungen er festlegt“. Aufgrund dieser weitreichenden Organisationsbefugnis kann der Präsident auch die Arbeitsbedingungen und Kompetenzen des AB festlegen und ändern. Im Folgenden soll kurz untersucht werden, ob und wie der Rechtsschutz der Parteien an einem Zusammenschluss durch eine Stärkung und Erweiterung der Rolle des AB verbessert werden kann. Dazu wurden bereits in der Vergangenheit eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die an dieser Stelle nicht alle behandelt werden können.87 Das Augenmerk soll hier vielmehr insbesondere auf die Ernennung des AB und auf seine Rechte im Hinblick auf die Wahrung der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Mandant und Anwalt (Anwaltsprivileg) in Fusionskontrollverfahren gerichtet werden. a) Ernennung Die Ernennung und die Arbeitsweise des AB sind in Art. 2 und 3 des Beschlusses 2011/695/EU geregelt. Danach wird der AB von der Kommission ernannt und ist verwaltungstechnisch dem für Wettbewerb zuständigen Mitglied der Kommission unterstellt, ist also nicht Teil der GD Wettbewerb.88 Er ist bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben unabhängig und hat dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsregeln im Einklang mit dem EU-Recht und den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen

84 EuGH Rs. C-12/03P Tetra Laval, ECLI:EU:C:2005:87. 85 Beschluss des Präsidenten der Kommission vom 13.10.2011 über Funktion und Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren (2011/695/EU). 86 Geschäftsordnung der Kommission in der Fassung des Beschlusses der Kommission vom 24.2.2010 (2010/138/EU, Euratom), ABl. L 55 v. 5.3.2010, S. 60. 87 S. z.B. ECLF Working Group, Transparency and Process: Do We Need a New Mandate for the Hearing Officer?, European Competition Journal (2010), S. 475; T. Calvani/J. Leahy, A larger role for the hearing officer: a modest proposal, in Journal of Antitrust Enforcement (2018), S. 1-18; (also available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3096759); St. Wernicke, “In Defence of the Rights of Defence”: Competition law procedure and the changing role of the Hearing officer, in Concurrences  – Revue des droits de la concurrence, No. 3-2009, S.  1-14; B. Holles, The Hearing Officer: Thirty Years Protecting the Right to be Heard, ­World Competition 36 no. 1 (2013), S. 5-32 m.w.N. 88 Im Übrigen sind auch die Büros des AB räumlich klar von der GD Wettbewerb getrennt.

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angewendet werden. Es gibt gegenwärtig zwei AB, die in ihrer Arbeit von sieben Beratern und zwei Assistenten unterstützt werden. Die Anhörungsbeauftragten in Wettbewerbsverfahren sind in der Vergangenheit fast ausschließlich aus den Reihen der verdienten Beamten der Generaldirektion Wettbewerb ausgewählt worden. Im Jahre 2010 ist zum ersten Mal ein erfahrener Mitarbeiter des Juristischen Dienstes der Kommission zum Anhörungsbeauftragten ernannt worden.89 Es hat bislang keinen besonderen Anlass gegeben, an der Neutralität der AB zu zweifeln, auch wenn diese bislang nur begrenzt zur Weiterentwicklung der Rechtsregeln beigetragen haben.90 Die organisatorische Nähe zu den Dienststellen, welche für die Durchführung von Fusionskontrollverfahren und -entscheidungen zuständig sind,91 könnte aber die Frage einer eventuellen Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der AB zumindest aufwerfen. Überzeugender wäre es daher, wenn die Stelle des AB extern ausgeschrieben würde und Personen ausgewählt würden, die keine Beamten der Kommission sind. Dies ist übrigens in Erwägungsgrund 6 des Beschlusses 2011/695/EU ausdrücklich vorgesehen, wonach „auch Bewerber berücksichtigt werden (können), die nicht Beamte der Kommission sind“. Als Kandidaten würden insoweit z.B. erfahrene Wettbewerbsjuristen aus (inter)nationalen Behörden oder Gerichten, aus der Anwaltschaft oder aus akademischen Kreisen in Frage kommen.92 Die Ernennung eines AB, der nicht Beamter der zu kontrollierenden Institution ist, würde erheblich zur Stärkung der Unabhängigkeit und der Wirkung des Amtes beitragen. Es erschließt sich auch nicht unmittelbar, wieso das Amt des AB stets kommissionsintern besetzt wird, während als wichtigster ökonomischer Berater stets eine Person von außerhalb der Kommission gewählt wird. Zwar verfügt der Chefökonom nicht über eigene Entscheidungsbefugnisse, sein Votum spielt aber oft eine bedeutende Rolle für die Aufstellung und Begründung von Schadenstheorien und damit für die Beurteilung von Fusionsfällen durch die Generaldirektion Wettbewerb und das für Wettbewerb zuständige Mitglied der Kommission. Die Amtszeit eines AB ist im Übrigen nicht begrenzt. Seine Unabhängigkeit wird dadurch geschützt, dass seine Abberufung oder Versetzung nur durch einen mit Gründen versehenen Beschluss der Kommission erfolgen kann, der im Amtsblatt veröffentlicht werden muss.93 Eine externe Rekrutierung würde also voraussetzen, dass die Stelle eines AB vakant wird oder eine Versetzung hinreichend damit begründet wer89 Vgl. Presseerklärung IP 10/1114 vom 13.9.2010. 90 Vgl. Rs. C-162/15 P Evonik Degussa/Kommission, ECLI:EU:C:2017:205, Rz. 51-57, wo der EuGH den AB wegen einer zu restriktiven Beschränkung von Gründen kritisiert, die gegen eine Veröffentlichung von Informationen durch die Kommission angeführt werden können. S. dazu auch Chr. von Koeckritz, Hearing Officer’s Review of Confidentiality Claims on Leniency Information in Public Versions of EU Cartel Decisions, JECL (2017), S. 647, 649. 91 Auch der Juristische Dienst ist an allen Verfahren und Entscheidungen im Bereich der ­Fusionskontrolle beteiligt und kann den Inhalt von Entscheidungen zum Teil erheblich beeinflussen. 92 Vgl. ECLF Working Group, Transparency and Process: Do We Need a New Mandate for the Hearing Officer?, European Competition Journal (2010), S. 483. 93 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Beschluss 2011/695/EU.

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den könnte, dass das Amt und die Unabhängigkeit des AB durch eine Kandidatur von außerhalb der Kommission gestärkt würden. Kraft des Beschlusses 2011/695/EU kann der AB in bestimmten Fällen bindende Entscheidungen treffen. Die Berufung eines AB, der nicht Beamter der Kommission ist, würde jedoch nicht zu einer unangemessenen Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf externe Personen führen. Ein solches Problem könnte nur dann auftreten, wenn derartige Befugnisse von privatrechtlichen Institutionen außerhalb der EU-Gesetzgebung ausgeübt würden.94 Auch ein von außen rekrutierter AB wäre aber stets Bediensteter der Kommission und würde als solcher Entscheidungsbefugnisse für die Kommission ausüben, die ihm vom Präsidenten der Kommission übertragen wurden. Die Entscheidungen des AB sind Entscheidungen der Kommission und können als solche vor den Unionsgerichten angegriffen werden.95 In bestimmten Fällen kann der Präsident des EuG bzw. des EuGH vorläufigen Rechtsschutz gewähren, z.B. um eine Veröffentlichung vertraulicher Informationen vorübergehend aufzuhalten.96 Rechtliche Bedenken existieren somit weder gegen die Ernennung von AB, die nicht Bedienstete der Kommission (oder einer anderen EU-Institution) sind noch gegen die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf derartige Personen. Die Frage, ob eine externe Rekrutierung von AB erfolgen soll, ist daher von der Kommission vor allem unter politischen Gesichtspunkten zu entscheiden. b) Entscheidungsbefugnisse Im Gegensatz zu seiner Rolle in den Verfahren nach Art. 101 und 102 AEUV sind die Entscheidungsbefugnisse des AB im Verfahren der Fusionskontrolle auf die folgenden Fälle begrenzt: (1) Er kann von den Parteien (und bestimmten Dritten) angerufen werden, die der Ansicht sind, dass ihnen keine Einsicht in alle relevanten Teile der Akte gewährt worden sind. Der AB entscheidet über solche Anträge in einem mit Gründen versehenen Beschluss.97 (2) Ebenso kann der AB von den Parteien angerufen werden, wenn diese die Frist für die Beantwortung von Beschwerdepunkten für zu kurz halten Der AB entscheidet

94 Zu delegierten Entscheidungsbefugnissen durch die EU-Kommission vgl. die frühere Rechtsprechung in EuGH Rs. 9/56 Meroni, ECLI:EU:C:1958:7 und Rs. 98/80 Romano, ECLI:EU:C:1981:104 sowie die Klarstellungen im Lichte des Lissabon-Vertrages durch EuGH C-270/12 Vereinigtes Königreich v. Rat und EP, ECLI:EU:C:2014:18. 95 S.  z.B. Rs. C-162/15 P Evonik Degussa/Kommission, ECLI:EU:C:2017:205 (Rechtsmittel gegen T-341/12, ECLI:EU:T:2015:51); Rs. C-517/15P AGC Glass/Kommission, ECLI:EU:C:​ 2017:598 (Rechtsmittel gegen T-465/12, ECLI:EU:T:2015:505). 96 S.  Rs. T-423/17R Nexans/Kommission, ECLI:EU:T:2017:835 sowie Rs. C-65/18P(R)-R Nexans/Kommission, ECLI:EU:C:2018:62. 97 Art. 7 Beschluss 2011/695/EU.

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Rechtsschutzverbesserung in der Europäischen Fusionskontrolle

sodann nach Anhörung des zuständigen Direktors, ob eine Fristverlängerung für eine wirksame Verteidigung der Parteien erforderlich ist.98 Gegen eine Entscheidung, mit der ein weitergehender Antrag auf Akteneinsicht oder eine Fristverlängerung vom AB abgelehnt wird, ist kein gesondertes Rechtsmittel zulässig.99 Anders als in Fällen unter Art. 101 und 102 TFEU hat der AB jedoch keine Entscheidungsbefugnis für die Verlängerung von Fristen in Auskunftsersuchen. Dies wird zumeist erklärt mit den relativ starren und knapp bemessenen Fristen in der Fusionskontrolle sowie ihrem nicht-strafrechtlichen Charakter.100 Eine ähnliche Unterscheidung gibt es bei Streitigkeiten über die Anwendbarkeit des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt. So besteht für den AB die Möglichkeit, auf Antrag der Parteien auf eine gütliche Einigung mit der Generaldirektion Wettbewerb hinzuwirken oder Empfehlungen zur Frage der Wahrung des Anwaltsprivilegs an das für Wettbewerb zuständige Mitglied der Kommission abzugeben. Dies gilt bei Verfahren nach Art. 101 und 102 AEUV sowohl für Auskunftsersuchen als auch für Nachprüfungen. Bei Verfahren der Fusionskontrolle ist dem AB diese Möglichkeit jedoch bislang nur in Bezug auf Nachprüfungen unter Art. 13 oder Geldbussenverfahren unter Art. 14 FKVO eingeräumt worden, nicht aber für Auskunftsersuchen.101 Insoweit ist zurzeit einzig das EuG zur Klärung strittiger Fragen zum Anwaltsprivileg verfügbar. Dies ist für die Parteien insbesondere wegen der langen Dauer eines Zwischenrechtsstreits vor dem EuG unbefriedigend. Es wäre daher zu überlegen, ob dem AB in ­Bezug auf den Schutz des Anwaltsprivilegs nicht zumindest in Verfahren der Fusionskontrolle Entscheidungsbefugnisse zuerkannt werden sollten.102Durch die Einschaltung des AB könnten Entscheidungen zur angemessenen Anwendung des Anwaltsprivilegs beschleunigt und mit den Erfordernissen eines schnellen Abschlusses derartiger Verfahren in Einklang gebracht werden. Zudem würde dies eine klarere Trennung der Fragen nach der Erhebung von Beweisen und deren Verwertbarkeit mit sich bringen, was jedenfalls in rechtsstaatlicher Hinsicht zu begrüßen wäre. Eine solche neue Entscheidungskompetenz im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Anwaltsprivilegs würde den AB auch nicht überfordern, denn bereits jetzt muss er 98 Art. 9 Beschluss 2011/695/EU. 99 S. dazu W. Wils, The Role of the Hearing Officer in Competition Proceedings before the European Commission, (2012) 35 World Competition, 431-456; eine neuere Fassung ist verfügbar unter http://ssrn.com/author=456087, dort S. 16, unter Hinweis auf T-457/08R Intel/Kommission, ECLI:EU:T:2009:18 sowie T-219/01 Commerzbank/Kommission, ECLI:​ EU:​T:2003:201. 100 Vgl. W. Wils, The Role of the Hearing Officer in Competition Proceedings before the ­European Commission, (2012) 35 World Competition, 431-456 unter V.A.1. 101 Art. 4 Abs. 2 lit. a des Beschlusses 2011/695/EU. 102 So auch schon ECLF Working Group, Transparency and Process: Do We Need a New Mandate for the Hearing Officer?, European Competition Journal (2010), S. 480.

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sich auf Antrag der Parteien in Verfahren nach Art. 101 oder 102 AEUV mit derartigen Fragen beschäftigen und Lösungen anregen. Ferner handelt es sich hier um eine klare Fragestellung für welche die Rechtsprechung eine Reihe von festen Kriterien aufgestellt hat.103 Daneben hat die Kommission die Veröffentlichung von „Best Practices“ für die Anforderung von internen Dokumenten angekündigt, die dann möglichst auch weitere Präzisierungen zum Umfang des Vertraulichkeitsschutzes enthalten sollten. So ist der AB in der Lage, sich innerhalb kurzer Zeit ein Bild davon machen, ob ein Dokument vom Anwaltsprivileg erfasst ist, ohne vertieft in alle Aspekte des Falles einzusteigen. Eine solche Erweiterung des Mandats des AB würde bedeuten, dass bereits während des Verfahrens eine unabhängige Vertrauensperson die fraglichen Dokumente einsehen und sodann entscheiden kann. Um die Inanspruchnahme des AB auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen, sollte die Entscheidungsbefugnis über die Anwendbarkeit des Anwaltsprivilegs bei Auskunftsersuchen auf Entscheidungen nach Art. 11 Abs. 3 FKVO beschränkt werden. Eine solche Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse des AB würde die Verteidigungsrechte der Parteien stärken und eine Überprüfung wichtiger Verfahrensfragen innerhalb kurzer Zeit ermöglichen, ohne den bei Zusammenschlüssen normalerweise zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen zu sprengen.104 Dies würde beitragen zu einem reibungsloseren Verfahrensablauf, zu besseren Entscheidungen und damit letztlich auch zu einer Entlastung der Unionsgerichte.

IV. Schlussbemerkung Im Aufgabenkatalog der Kommission kommt der Fusionskontrolle eine besondere Bedeutung zu. Änderungen in der Marktstruktur, bzw. deren Verhinderung, können erhebliche Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen haben. Die Verfahren der Beurteilung von Zusammenschlüssen durch die Kommission sollten daher fortlaufend überprüft und wo möglich verbessert werden, auch im Hinblick auf das Rechtsschutz­ interesse der Parteien. Ähnliches gilt für das Europäische Gericht, das seine Aufklärungsarbeit und seine Verfahren soweit wie möglich an den Entwicklungen in der EU-Fusionskontrolle ausrichten sollten. Der vorliegende Beitrag hat einige Vorschläge erörtert, wie diese Verfahren weiterentwickelt werden könnten, und zwar insbesondere im Hinblick auf eine stärkere Rolle des EuG bei der Sachaufklärung und Beweiswürdigung sowie die Ernennung und die Entscheidungsrechte des Anhörungsbeauftragten. Die Verstärkung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes in allen Stadien des Fusionskontrollverfahrens dürfte letztlich die beste Antwort sein auf die Kritik an der Doppelrolle der Kommission, welche sowohl die Aufklärung und Bewertung des Sachverhalts vornimmt als auch die Entscheidung über geplante Zusammenschlüsse trifft. 103 S. dazu die Rs. 155/79 AM&S/Kommission, ECLI:EU:C:1982:157, Rs. T-30/89 Hilti/Kommission (Beschluss vom 4.4.1990), ECLI:EU:T:1990:27, und Rs. C-550/07P AKZO/Kommission; s. auch F. Depoortere/G. Motta, Legal Professional Privilege under the EU Merger Regulation: State of Play, ICLG, Merger Control 2018. 104 Angesichts der immer umfangreicheren Anforderung von internen Dokumenten durch die Kommission sollte damit eine Verstärkung des Mitarbeiterstabes des AB einhergehen.

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Piercing the Corporate Veil in Competition Cases I. Introduction II. The Doctrine of Parental Liability in EU Competition Law 1. Origins 2. Expansion 3. Implications of the Doctrine III. Piercing the Corporate Veil in US ­Antitrust Law IV. Assessment

1. The Current European Doctrine of ­Parental Liability In Competition Cases May Undermine Its Purported Rationale of Deterrence 2. The Private Damages Directive Warrants Reconsideration of the Doctrine of ­Parental Liability 3. The Doctrine of Parental Liability May Be Incompatible with Fundamental Rights V. Conclusion

I. Introduction Under case law, the European Commission (the “Commission”) can impute liability to a parent company for its subsidiary’s violation of EU antitrust rules regardless of whether the parent participated in or was even aware of the infringement. The Commission need only show that a parent company has the ability to and actually exercises “decisive influence” over its subsidiary. By contrast, the principle of corporate separateness has consistently been respected in US antitrust law and parent companies have been held liable only if there is evidence that the parent either participated in the antitrust infringement or was aware of it and did not act to stop it. By developing and expanding the doctrine of parental liability in competition law over the last several decades, the Commission, the General Court (the “GC”) and the Court of Justice of the European Union (the “CJEU,” and together with the GC, the “EU Courts”) have more or less ignored basic principles of corporate separateness and limited liability. To our knowledge, the doctrine of parental liability has not been applied in any other area of EU law, such as product or environmental liability, and national laws are also more respectful of corporate separateness in other areas of the law.2 Finally, the strong presumption that a parent’s 100 percent ownership of its 1 I am grateful for the assistance of Athina Van Melkebeke and Ben Holles de Peyer. Ms. Van Melkebeke started at Cleary Gottlieb’s Brussels office and is currently working as an international attorney in the Washington D.C. office. Mr. Holles de Peyer is based in Cleary Gottlieb’s Brussels office. I am also thankful to Richard Huber, based in Cleary Gottlieb’s Washington D.C. office, who provided research assistance in preparing this article. 2 In this regard, see C. Koenig, Comparing Parent Company Liability in EU and US Competition Law (2018) 41-1 World Competition 69-100 at 71-72, and S. Demeyere, Liability of a Mother

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subsidiary means that the parent exercises “decisive influence” appears to be difficult if not impossible to rebut in competition cases, leading in effect to virtually automatic “piercing of the corporate veil.” Also, as a practical matter, the parental liability doctrine may in fact discourage compliance efforts because these efforts themselves have been viewed by the EU Courts as evidence of the exercise of “decisive influence.” This system of virtual strict liability raises important due process and fundamental corporate rights issues. In a recent speech, Commissioner Vestager said that “[i]f our ideas are never challenged, they never get better.”3 In this article, we question the rationale and expansion of the current doctrine of parental liability in EU competition law and suggest how to reverse this development. Section II describes the current doctrine and Section III analyzes the issue of parental liability under US law. Section IV is a critical assessment of the EU doctrine of parental liability, and Section V concludes.

II. The Doctrine of Parental Liability in EU Competition Law 1. Origins The doctrine seems to have had its origins in a 1972 concerted practices case in the dyestuffs industry. The Commission had earlier fined Imperial Chemical Industries (“ICI”) for its subsidiaries’ participation in concerted industry practices. ICI, which had its registered offices in the United Kingdom and thus was at the time outside the EU, argued that the Commission did not have jurisdiction over it. The company also argued that its relationship with its subsidiaries (in which it was the majority shareholder) was limited to supplying dyestuffs and that therefore it would be inconsistent with the competition law of some EU Member States to attribute liability to it for its subsidiaries’ actions. In an expert opinion submitted to the CJEU, Professor Jennings of Cambridge University stated that “the existence of a given jurisdiction over a subsidiary does not necessarily entail jurisdiction over the parent” and that the principle of corporate separateness between a parent and its subsidiaries should be respected unless it is demonstrated that the subsidiary is “an automaton operated by the parent.”4 In its 1972 ICI judgment, the CJEU ruled that an antitrust infringement committed by a subsidiary may be imputed to the parent when the subsidiary “although having separate legal personality, does not decide independently upon its own conduct on the market, but carries out, in all material respects, the instructions given to it by the parent company.”5 In other words, the parent can be held liable for the subsidiary’s EU Company for Its Subsidiary in French, Belgian, and English Law (2015) 23-3 European Review of Private Law 385-413 at 409-413. 3 M. Vestager, How competition can build a better market, Speech at the American Enterprise Institute, Washington D.C., September 18, 2017. 4 Case C-48/69, ICI v. Commission, EU:C:1972:70, p. 626. 5 C-48/69, ICI v. Commission, at para. 133.

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antitrust infringements6 when a subsidiary does not enjoy autonomy as to its actions on the market because its parent (1) has the power to and (2) in fact exercises decisive influence over the subsidiary. Whether or not the parent was aware of the unlawful conduct, let alone participated in it, was apparently not part of the test for parental liability. It is notable that the CJEU seems to have developed the test for parental liability in ICI to reinforce the Commission’s jurisdiction over ICI. Also, and more importantly, the Commission had found what it at least considered to be a “smoking gun” implicating the parent in this infringement. According to the Commission, ICI was in fact aware of the offending conduct: ICI had sent telex messages to its EU subsidiaries ordering them to implement a price increase that had been announced by competing dyestuffs suppliers. The CJEU also relied on this allegedly inculpatory evidence to support its jurisdictional ruling.7 The next noteworthy development in the relevant case law following ICI seems to be in 1983 when the CJEU in AEG upheld a Commission decision fining AEG for the improper application of a selective distribution system by its consumer electronics subsidiaries.8 Although the case concerned the application of a selective distribution system as developed by AEG, AEG contended that “it is impossible to ascribe a ‘general distribution policy’ to AEG on the basis of documents in a file which were drawn up exclusively by its subsidiaries and in which it played no part.” But the CJEU, citing ICI, stated that it “appears superfluous” to verify whether a parent company actually exerted a decisive influence over the conduct of its wholly owned subsidiary because that subsidiary “necessarily follows” the same policy as its sole owner in a selective distribution system. (This “appears superfluous” and “necessarily follows” language would appear to be the source of the “presumption” principle in EU competition law.) Applying this principle, the CJEU confirmed the Commission’s attribution of the wholly owned subsidiary’s conduct to AEG without further consideration of the parent’s actual influence over that conduct. In short, AEG relieved the Commission of the burden of having to establish the fact of decisive influence (allowing it to rely on a presumption) in the case of wholly-owned subsidiaries. It seems significant that AEG was a “vertical” case where the parent established a distribution policy for its subsidiaries, which may have led the court to use the language it did about subsidiaries “necessarily” following a parent’s distribution policy. This is a very different context than a horizontal cartel case, where the presumption has been applied most often since AEG.

6 C-48/69, ICI v. Commission, at para. 137. 7 C-48/69, ICI v. Commission, at paras. 137-142. 8 Case C-107/82, Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft AEG-Telefunken AG v. Commission, EU:C:1983:293, in particular paras. 47-53.

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At the end of the nineties and beginning of the new millennium, a line of cases were interpreted by practitioners as casting doubt on the strength of that presumption. Most notably, in 1994, the Commission imposed fines on Stora for the participation of its subsidiaries in anticompetitive practices concerning the supply of carton board. In the CJEU’s judgment six years later, in spite of the fact that Stora owned 100 % of its subsidiary Kopparfors, the offending actor, the CJEU stated that the GC “did not hold that a 100 per cent shareholding in itself sufficed for a finding that the parent company was responsible” and referred to an additional factor in upholding the Commission’s and the GC’s attribution of liability to Stora for Kopparfors’s antitrust infringement.9 In particular, the CJEU referred to the companies’ joint legal representation during the administrative procedure.10 These references made by the CJEU in Stora were interpreted as suggesting that there may not be a strong presumption that a parent had exercised “decisive influence” over its subsidiary.11 After Stora, the GC in 2005 found that DaimlerChrysler could be held liable for the participation of its nearly 100 percent Belgian subsidiary in an infringement of Article 101 TFEU. The GC based this conclusion on the presumption and on the fact that DaimlerChrysler had acted as the sole representative of the Belgian subsidiary throughout the administrative proceedings. Notably, citing Stora, the GC stated that “a 100 per cent shareholding does not in itself suffice for a finding of responsibility against the parent company”.12 In 2009, the CJEU unequivocally confirmed a strong presumption of decisive influence in Akzo Nobel, a price fixing and market allocation case in the choline chloride sector. Akzo Nobel argued that the presumption applied only when there was additional evidence that the parent company in fact had exercised a decisive influence over its subsidiary. The Court dismissed that argument as a misreading of Stora, holding that “it is sufficient for the Commission to prove that the subsidiary is wholly-owned by the parent company in order to presume that the parent exercises a decisive influence over the commercial policy of the subsidiary.”13 To rebut the presumption and thus avoid liability, the Court said that the parent company had to provide evidence that

9 Case C-286/98 P, Stora Kopparbergs Bergslags AB v. Commission, EU:C:2000:630, para. 28. 10 C-286/98 P, Stora Kopparbergs Bergslags AB v. Commission, at para. 29. 11 Prior to Stora, the GC in 1998 had already confirmed the Commission’s decision to fine KNP, a Dutch corporation, for the participation of its 100 percent subsidiary KNP Vouwkarton in the carton board case, referring to the facts that KNP did not contend that it was unable to exert a decisive influence on the commercial policy of its subsidiary and that it did not dispute that a member of its board participated in key discussions about the restrictive practices at issue. See Case T-309/94, NV Koninklijke KNP BT v. Commission, EU:T:1998:91, paras. 46-47. The CJEU confirmed the lower court’s conclusion in its judgment of November 16, 2000. See Case C-248/98 P, KNP BT v. Commission, EU:C:2000:​ 625, para. 73. 12 See Case T-325/01, DaimlerChrysler v. Commission, EU:T:2005:322, paras. 219 and 221. 13 Case C-97/08 P, Akzo Nobel NV and Others v. Commission, EU:C:2009:536, para. 61.

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the subsidiary “acts independently on the market.”14 Akzo Nobel thus confirmed that once the Commission has shown 100 percent ownership, in the absence of an effective rebuttal, it can find that the parent company is “jointly and severally liable for the payment of the fine imposed on its subsidiary.”15 The presumption and burden-shifting confirmed in 2009 in Akzo Nobel has proven to be difficult to rebut. To date, the presumption has not been successfully rebutted before the EU Courts on substantive grounds, i.e., there appears to be no case where, in light of the evidence submitted by the parties to rebut the presumption, the Commission has concluded that the parent did not exercise decisive influence over the subsidiary. The only such case was Gosselin in 2011, which was reversed on appeal by the CJEU (see below). In Gosselin, which concerned a cartel on the market for services related to international transport of goods, the GC, in a 2011 judgment, ruled that parent Portielje had successfully rebutted the presumption that it exercised a decisive influence over its subsidiary Gosselin and partially annulled the Commission’s decision as it related to Portielje. The parent presented evidence that (1) the first meeting of its board of directors took place only after the end of the infringement; (2) the only way the parent company could influence the subsidiary’s conduct was to exercise voting rights at the subsidiary’s shareholder meeting but no meeting had been held during the period of the infringement; and (3) there was only a partial overlap between the members of the boards of the parent company and the subsidiary (half of Portielje’s board members also sat on the board of Gosselin, and the members of Gosselin’s board were already directors before Portielje bought Gosselin’s shares in trust).16 Two years later in 2013, the CJEU annulled the GC’s finding on the ground that the GC had not taken account of “all the relevant factors relating to the economic, organisational and legal links which tie [the subsidiary] to its holding entity and, therefore, of economic reality.”17 In particular, the CJEU held that the fact that the parent did not adopt formal management decisions during the infringement period was insufficient to conclude that no decisive influence had been exercised, and that the GC should have taken into consideration the personal links18 existing between the legal entities.19 In short, the presumption had not been rebutted even in this seemingly clear exculpatory situation. 14 C-97/08 P, Akzo Nobel and Others v. Commission, at para. 61. 15 C-97/08 P, Akzo Nobel and Others v. Commission, at para. 61. 16 Case T-208/08, Gosselin Group NV and Stichting Administratiekantoor Portielje v. Commission, EU:T:2011:287, paras. 53-59. 17 Case C-440/11 P, Commission v. Stichting Administratiekantoor Portielje, EU:C:2013:​514, para. 66. 18 “Gosselin’s three directors were among the owners of Portielje […] even if those three persons did not act only as directors of Gosselin, it is more likely that they acted in their own interests.” See T-208/08, Gosselin Group NV and Stichting Administratiekantoor Portielje v. Commission, at para. 57. 19 C-440/11 P, Commission v. Stichting Administratiekantoor Portielje, at paras. 66-68.

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Further strengthening the presumption is the GC’s 2012 judgment in 1. garantovaná, when the court confirmed the appellant’s liability for a cartel in the chemical reagents sector in which its subsidiary NCHZ participated. The appellant argued that it was a “pure financial investor.”20 The GC rejected this argument, however, and noted that the reference to a “pure financial investor” made in Advocate General Kokott’s Opinion in Azko Nobel must be understood as referring to an investor who has shares in a company with the exclusive aim of making a profit and with no involvement in the management of the company.21 Although practice seems to suggest strongly otherwise, in its 2011 judgment in Elf Aquitaine the CJEU held that the presumption of decisive influence aims to strike a balance between the effective enforcement of EU competition rules, on the one hand, and on the other hand the protection of fundamental principles including the presumption of innocence, the principle of personal responsibility, the principle of legal certainty, and the rights of the defense. The CJEU said that the rebuttable nature of the presumption is necessary to guarantee that balance.22 The CJEU stressed that the Commission has the obligation to adequately explain why the different elements of fact and law adduced by the parent company to rebut the presumption do not suffice.23 It is worth noting that, consistent with Elf Aquitaine, the EU Courts have at least voided several Commission decisions for failure to state adequately the reasons why the evidence submitted by the parent company was insufficient to rebut the presumption.24 For example, in Edison (2011),25 the GC annulled a Commission decision that imposed a fine on a parent company for its wholly owned subsidiary’s participation in a cartel on the markets for hydrogen peroxide and sodium perborate.26 During the Commission proceedings, the parent company had submitted extensive evidence to show that its subsidiary acted independently on the market.27 The evidence showed that the parent company acted as a non-operational holding company that limited itself to conducting financial audits, and that the infringing subsidiary had the necessary structures and departments to manage its affairs independently.28 In its decision the Commission did not evaluate this evidence and simply relied on the presumption of parental liability in fining the parent. 20 See also Opinion of Advocate General Kokott in case C-97/08 P, Akzo Nobel and Others v. Commission, EU:C:2009:262, footnote 67. 21 Case T-392/09, 1. garantovaná a.s. v. Commission, EU:T:2012:674, para. 52. 22 Case C-521/09 P, Elf Aquitaine SA v. Commission, EU:C:2011:620, para. 59. 23 C-521/09 P, Elf Aquitaine v. Commission, at para. 153. 24 See, in particular, Case C-446/11 P, Commission v. Edison, EU:C:2013:798, paras. 20- 32 and 63-67. See also case T-185/06, L’ Air liquide v. Commission, EU:T:2011:275, paras. 68-83, and case T-234/07, Koninklijke Grolsch v. Commission, EU:T:2011:476, paras. 76-94. 25 See P. Merlino, Edison: A Glimpse of Hope for Parent Companies Seeking to Rebut the Parental Liability Presumption? (2014) 5 Journal of European Competition Law & Practice 463-466. 26 See Case T-196/06, Edison v. Commission, EU:T:2011:281. 27 T-196/06, Edison v. Commission, at paras. 61-68. 28 T-196/06, Edison v. Commission, at paras. 62, 63 and 67.

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The GC concluded that the Commission had infringed its duty to state the reasons why the appellant had not rebutted the presumption and annulled the Commission decision insofar as it concerned the appellant (Edison SpA).29 Citing Elf Aquitaine, the CJEU upheld the GC’s finding on appeal.30 On the other hand, the EU Courts have taken into account many different factors to conclude that a parent does exercise decisive influence over a subsidiary’s conduct and may therefore be held liable for its subsidiary’s antitrust infringements. The EU Courts have consistently stressed that, in conducting this assessment, it is necessary to take into account “all the relevant factors relating to the economic, organisational and legal links which tie the subsidiary to its parent company and, therefore, economic reality.”31 Indications of economic unity between a parent and its subsidiary considered by the EU Courts in attributing liability to a parent company include the instruction or supervision of pricing decisions,32 the control of distribution policies,33 the definition of financial targets,34 and common board members.35 2. Expansion As described above, the fundamental principles of the doctrine of parental liability in competition cases developed over a period of forty years between 1969 and 2009 in Azko Nobel. In the years immediately preceding and following Akzo Nobel in 2009, the Commission and the EU Courts gradually expanded the doctrine in two main ways. a) First, the Commission and the EU Courts imputed liability for antitrust infringements committed by joint ventures to their parent companies. Although in principle the presumption of decisive influence originating in AEG only applies in cases of 100 % ownership, in 2006 in Avebe, the GC applied the presumption to the venture’s parents. The GC confirmed the Commission’s decision to hold Avebe jointly and severally liable for a cartel in which its 50/50 joint venture with Akzo, Glucona, had participated. The Commission had based its decision to impute liability to the parents on several organizational elements, including the parents’ executives’ professional responsibilities in both Avebe and Akzo and the location of the joint venture’s headquarters on Akzo’s premises.36 The GC also pointed to the fact that

29 T-196/06, Edison v. Commission, at para. 94. 30 C-446/11 P, Commission v. Edison. 31 Case C-294/13 P, Fresh Del Monte Produce Inc. v. Commission and Commission v. Fresh Del Monte Produce Inc., EU:C:2015:416, para. 76. 32 See, e.g., C-48/69, ICI v. Commission, at para. 137. 33 See, e.g., C-107/82, AEG v. Commission, at paras. 51-52. 34 See, e.g., Case T-379/10, Keramag Keramische Werke AG and Others v. Commission, EU:T:2013:457, paras. 313 and 318. 35 See, e.g., Case T-24/05, Alliance One International and Others v. Commission, at paras. 173180. 36 Commission decision of October 2, 2001, Case COMP/E-1/36.756, Sodium Gluconate, paras. 296-310.

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Glucona did not have separate legal personality and that under the joint venture agreement the parents were jointly responsible for Glucona’s conduct on the market. The GC reasoned that the 50/50 shareholdings and management power of Avebe and Akzo in the joint venture were akin to the situation of a single parent company holding 100 percent of its subsidiary and applied the presumption.37 It would seem inappropriate on its face to say that a company owning 50 percent of a joint venture exercises “decisive influence” over the joint venture, and even more so to apply the presumption of “decisive influence” in such a scenario. On the other hand, perhaps the GC’s decision can be rationalized on the ground that the joint venture was not a legal entity, and if the parents were not held liable no one could be. In joint venture cases following Avebe, the EU Courts have not relied on the presumption to impute liability to the parents of joint ventures. The EU courts have instead relied on a variety of factors, including the parent company’s participation in the adoption of strategic decisions or in the day-to-day  management of the joint venture,38 individuals simultaneously holding managerial positions within both companies,39 and information flows40 as well as customer-supplier relationships41 between the parent company and the joint venture. The EU Courts have also held that a parent company may be deemed liable for an antitrust infringement of a joint venture even if the parent is only able to exercise negative control over the joint venture, and even if the joint venture is full-function within the meaning of the Merger Regulation, again irrespective of whether the parent was aware of or participated in the unlawful conduct.42 b) Second, the doctrine of parental liability has been used to attribute liability to private equity investors for antitrust infringements of their portfolio companies.

37 See Case T-314/01, Coöperative Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA v. Commission, EU:T:2006:266, paras. 137-139. The GC found this situation to be “analogous to that in [Stora], in which a single parent company held 100 % of its subsidiary, for the purpose of establishing the presumption that the parent company actually exerted a decisive influence over its subsidiary’s conduct.” T-314/01, Coöperative Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA v. Commission, at para. 138. 38 See, e.g., Case T-76/08, EI du Pont de Nemours and Company and Others v. Commission, EU:T:2012:46, paras. 71-72. 39 See, e.g., Case T-104/13, Toshiba Corp. v. Commission, EU:T:2015:610, para. 115. 40 See, e.g., T-24/05, Alliance One International and Others v. Commission, at paras. 191- 193. 41 See, e.g., Case T-132/07, Fuji Electric Co. Ltd v. Commission, EU:T:2011:344, paras. 184 and 201. The EU Courts have noted that when a parent company is a supplier or customer of the joint venture it has a strong interest in managing the production and distribution activities of the joint venture. 42 See Case T-77/08, Dow Chemical v. Commission, EU:T:2012:47, paras. 81 and 92-93, and case C-179/12 P, The Dow Chemical Company v. Commission, EU:C:2013:605, paras. 60-61.

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In its 2014 decision in the Power Cables case, the Commission held Goldman Sachs liable for a cartel among producers of high voltage power cables in which its subsidiary Prysmian had participated.43 The Commission concluded that during the first two years of the infringement, although Goldman Sachs did not  own 100 percent of Prysmian’s shares, it did control 100 percent of its voting rights.44 The Commission found that this is “identical” to a 100 percent ownership scenario and applied the presumption of decisive influence on this basis.45 The Commission also found that Goldman Sachs had in fact exercised decisive influence over Prysmian throughout the entire duration of the infringement, notably, by appointing the members of the subsidiary’s board of directors and by participating in its management.46 For this reason, the Commission rejected Goldman Sachs’s argument that it behaved like a “pure financial investor” and imposed a fine on Goldman Sachs despite the fact that during a part of the infringement period the company only owned approximately 30 percent of Prysmian’s shares.47 There was no evidence that Goldman Sachs participated in or was aware of the illegal conduct. Goldman Sachs’s appeal of the Commission decision is currently pending before the GC, four years after the Commission’s decision.48 3. Implications of the Doctrine The attribution of liability to a parent company for the antitrust infringements of its subsidiaries has significant implications for both public and private competition law enforcement. a) As regards public enforcement, parental liability can lead to a significant increase in the amount of fines. As explained in the Commission’s 2006 Guidelines on the method of setting fines (the “Fining Guidelines”),49 the Commission calculates fines for antitrust infringements applying a two-step methodology. First, the Commission calculates a “basic amount” of the fine for each infringing company, taking into account the value of the company’s sales of goods or services affected by the infringement in the relevant geographic area within the EEA.50 The Commission multiplies a proportion of the value of these sales – which is calculated depending on the gravity of the infringement and may be up to 30 percent of the value of the sales – by the number of years of the infringement.51 43 Commission decision of April 2, 2014, Case AT.39610, Power Cables. 44 Ibid., at paras. 748-754. 45 Ibid., at para. 754. 46 Ibid., at paras. 755-781. 47 Ibid., at paras. 770, 779 and 783. 48 Case T-419/14, The Goldman Sachs Group v. Commission. 49 Guidelines on the method of setting fines imposed pursuant to Article 23(2)(a) of Regulation No 1/2003, OJ 2006 No. C 210, 1 September 2006. 50 Ibid., at paras. 13-18. 51 Ibid., at paras. 19-26. Para. 25 establishes that “irrespective of the duration of the undertaking’s participation in the infringement, the Commission will include in the basic amount a sum of

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Second, the Commission may adjust the basic amount of the fine, increasing or reducing it, to take account of (1) aggravating circumstances; (2) mitigating circumstances; (3) the need to guarantee effective deterrence in certain cases; (4) the need to ensure that the fine does not exceed 10 percent of the total turnover of the infringing company in the preceding business year, as established in Article 23(2) of Regulation 1/2003;52 (5) cooperation by leniency or immunity applicants; and (6) the infringing company’s inability to pay the fine in exceptional situations.53 Parental liability is relevant, in particular, in the second stage of the fine calculation process and can lead to a significant increase in the amount of the fine. Parental liability may affect the analysis of aggravating circumstances, the possible increase of the fine to ensure deterrence, the application of the 10 percent cap, and the analysis of the infringing company’s ability to pay the fine. aa) Under para. 28 of the Fining Guidelines, the Commission may increase the amount of the fine where there are aggravating circumstances, in particular, in case of recidivism by the infringing undertaking. In assessing whether a company has committed the same or a similar infringement in the past, the Commission and the EU Courts have used the doctrine of parental liability to also take into account prior infringements committed by the parent company or by any subsidiary within its group even if the subsidiary at issue in the current case was not involved. This significantly increases the number of cases in which the Commission and the EU Courts may increase a company’s fine due to recidivism. For example, in its 2003 judgment in Michelin, the GC upheld a Commission decision that imposed a EUR 19.76 million fine on Michelin France for a system of loyalty rebates to tire dealers that constituted an abuse of a dominant position. The Commission had increased the basic amount of the fine by 50 percent (EUR 7.6 million) because another company of the Michelin group, NBIM, had been fined for similar conduct back in 1981.54 Michelin France argued that the aggravating circumstance of recidivism should not be applied in this case because Michelin France and NBIM were different companies.55 The GC concluded that the Commission was entitled to increase the appellant’s fine on account of recidivism because the two companies were more than 99 percent owned by the same parent company (Compagnie Générale des Établissements Michelin)56 and thus the presumption of “decisive influence” applied. between 15 % and 25 % of the value of sales as defined in Section A above in order to deter undertakings from even entering into horizontal price-fixing, market-sharing and outputlimitation agreements. The Commission may also apply such an additional amount in the case of other infringements”. 52 Council Regulation (EC) No 1/2003 of 16 December 2002 on the implementation of the rules on competition laid down in Articles 81 and 82 of the Treaty, OJ 2003 No.  L 1, 4 January 2003, Article 23(2). 53 Fining Guidelines, paras. 27-35. 54 Case T-203/01, Michelin v. Commission, EU:T:2003:250, para. 282. 55 T-203/01, Michelin v. Commission, at para. 289. 56 T-203/01, Michelin v. Commission, at para. 290.

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bb) Under para. 30 of the Fining Guidelines, the Commission may increase the amount of the fine to ensure that it has a sufficiently deterrent effect, in particular when the infringing undertaking has “a particularly large turnover beyond the sales of goods or services to which the infringement relates.”57 In assessing whether a company has a large turnover that would trigger the increase for deterrence, the Commission and the EU Courts take into account the turnover of the infringing company’s parent, not that of the infringing company itself. For example, in its 2011 judgment in Total and Elf Aquitaine, the GC upheld a Commission decision that imposed a fine of EUR 78.66 million on Arkema for its participation in a cartel in the hydrogen peroxide and sodium perborate markets, and for which its parent companies Total and Elf Aquitaine were held jointly and severally liable under the doctrine of parental liability (Total for EUR 42 million and Elf Aquitaine for EUR 65.1 million). The Commission had multiplied the starting amount of the fine by a factor of three (i.e., from EUR 20 million to EUR 60 million) to ensure that the fine was a sufficient deterrent.58 The Commission did so because the parent companies, Total and Elf Aquitaine, had a turnover that exceeded EUR 100 billion.59 On appeal to the GC, Total and Elf Aquitaine contested the increase for deterrence arguing that it lacked an appropriate legal basis.60 The GC ruled that the Commission was entitled to increase the amount of the fine to guarantee deterrence in view of the high worldwide turnover of the two parent companies.61 cc) Under para. 32 of the Fining Guidelines and Article 23(2) of Regulation 1/2003, Commission fines cannot exceed 10 percent of the infringing undertaking’s total turnover in the preceding business year. The Commission and the EU Courts interpret this cap as referring to the turnover of the infringing company’s parent, not that of the infringing company itself. As a result, the fines imposed for antitrust infringements may exceed 10 percent of the turnover of the infringing company. For example, in its 2011 judgment in FMC Foret, which also concerned the cartel in the hydrogen peroxide and sodium perborate markets, the GC upheld the Commission’s EUR 25 million fine on FMC Foret, for which its parent company FMC was held jointly and severally liable. In the year preceding the imposition of the fine, i.e., 2005, FMC Foret’s total turnover was EUR 221.8 million and FMC’s total turnover was USD 2,150 million.62 On appeal to the GC, FMC Foret challenged its EUR 25 million fine on the basis that it exceeded 10 percent of its total 2005 turnover.63 The GC dismissed this complaint and established that the 10 percent cap of Article 23(2) 57 Fining Guidelines, at para. 30. 58 Case COMP/F/38.620, Hydrogen Peroxide and Perborate, 3 May 2006, paras. 463-466 (summary at OJ 2006 No. L 353, 13 December 2006). 59 COMP/F/38.620, Hydrogen Peroxide and Perborate, at para. 463. 60 Case T-190/06, Total and Elf Aquitaine v. Commission, EU:T:2011:378, para. 228. 61 T-190/06, Total and Elf Aquitaine v. Commission, at para. 230. 62 COMP/F/38.620, Hydrogen Peroxide and Perborate, at para. 37. 63 Case T-191/06, FMC Foret v. Commission, EU:T:2011:277, para. 315.

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of Regulation 1/2003 must be calculated taking into account the turnover of the entire FMC group, not only the turnover of the infringing company FMC Foret.64 dd) Under para. 35 of the Fining Guidelines, the Commission may exceptionally reduce the fine imposed on the infringing company if it is demonstrated that the fine would “irretrievably jeopardise the economic viability of the undertaking concerned and cause its assets to lose all their value.”65 In assessing whether to reduce a company’s fine under para. 35, the Commission and the EU Courts take into account the economic situation of the infringing company’s entire group. In its 2011 decision in the Prestressing Steel case, the Commission rejected several steel companies’ requests for a reduction of the fine under para. 35 of the Fining Guidelines because it considered that the companies could obtain financial assistance from other companies within their group or even from the family that owned the group.66 The GC upheld this finding on appeal and concluded that the availability of financial resources at group level was sufficient in itself to reject a fine reduction request for inability to pay.67 In short, it seems reasonable to conclude that the Commission and the EU Courts take every available opportunity to increase the applicable fine by expanding liability beyond the corporate person involved in the infringement. This predictable singlemindedness in our view undermines the credibility of these institutions. b) As regards private enforcement, the recently adopted Private Damages Directive68 may implicate the EU doctrine of parental liability in private actions. The Directive refers to the notion of “undertaking” when defining its subject matter and material scope.69 In particular, Article 1 of the Directive establishes that the procedural rules in the Directive are designed to ensure that victims of antitrust infringements committed by “an undertaking or by an association of undertakings” are able to claim compensation for the harm suffered “from that undertaking or association.” It remains to be seen whether and to what extent the national courts will be willing to pierce the corporate veil in antitrust cases through the application of the doctrine of parental liability.70 64 T-191/06, FMC Foret v. Commission, at paras. 323-325. 65 Fining Guidelines, at para. 35. 66 Case COMP/38.344, Prestressing Steel, 30 June 2010, para. 1175 (summary at OJ 2011 C 339, 19 November 2011). 67 Case T-426/10, Moreda-Riviere Trefilerías and Others v. Commission, EU:T:2016:335, paras. 521-527. 68 Directive 2014/104/EU of the European Parliament and of the Council of 26 November 2014 on certain rules governing actions for damages under national law for infringements of the competition law provisions of the Member States and of the European Union, OJ 2014 No. L 349, 5 December 2014. 69 See C. Koenig, An Economic Analysis of the Single Economic Entity Doctrine in EU Competition Law (2017) 13 Journal of Competition Law & Economics 281-327 at 286. 70 Applying the doctrine of parental liability in the context of private antitrust litigation would depart from current European tort law doctrines. However, considering national courts’

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III. Piercing the Corporate Veil in US Antitrust Law In 1998, the US Supreme Court in Bestfoods recognized in a unanimous decision that “[i]t is a general principle of corporate law deeply ‘ingrained in our economic and legal systems’ that a parent corporation […] is not liable for the acts of its subsidiaries.”71 Neither the US agencies nor the courts have deviated from that fundamental premise in antitrust cases. Accordingly, unlike in the EU, where fines may be imposed on parent companies solely because of corporate control, the US federal antitrust agencies and state attorneys general only impose fines on parent companies to the extent that the parent participated in some way in the antitrust infringement. Likewise, courts are reluctant to grant damages claims against parent companies in private antitrust lawsuits. They only do so if the parent company was either directly involved in the anticompetitive conduct or if the conditions to “pierce the corporate veil” as developed under state law are met. The principle of corporate separateness has been routinely applied in private antitrust lawsuits in the United States. For example, in Arnold Chevrolet LLC v. Tribune Co., the US District Court for the Eastern District of New York reiterated that “in the antitrust context, courts have held that absent allegations of anticompetitive conduct by the parent, there is no basis for holding a parent liable for the alleged antitrust violation of its subsidiary.”72 Also, in Sherman v. British Leyland Motors, Ltd., a case concerning the alleged exclusionary nature of the termination of a franchise agreement in violation of the Sherman Act,73 the Ninth Circuit Court of Appeals found that defendant British Leyland’s relationship with its US subsidiary involved in the alleged violation was insufficient to state a claim against British Leyland. The court said that “[w]hile [British Leyland] actually was a manufacturer, it did not […] have anything to do with […] any alleged conspiracy in restraint of trade or any monopoly or attempt to monopolize” and “[a]ny relationship of parent and subsidiary between it and others that may have done so is not enough.”74 Similarly, in Greene County Memorial Park v. Behm Funeral Homes, Inc., a case involving allegations of unlawful tying arrangements and boycotts, the plaintiffs’ assertion that stock ownership raises a presumption that a

limited experience in the field of private antitrust litigation, and the fact that they often draw inspiration from the principles and doctrines of EU competition law in dealing with antitrust cases, we expect that plaintiffs will argue that the doctrine of parental liability should be widely adopted in the context of private litigation. 71 United States v. Bestfoods, 524 U.S. 51, 61 (1998). 72 Arnold Chevrolet LLC v. Tribune Co., 418 F. Supp. 2d 172, 178 (E.D.N.Y. 2006). 73 Sherman Act, 15 U.S.C. §§ 1-7. 74 Sherman v. British Leyland Motors, Ltd., 601 F.2d 429, 441 (9th Cir. 1979).

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shareholder was involved in the anticompetitive conduct of the company in which it holds a stake was rejected by the federal district court in Pennsylvania.75 The principal exceptional circumstance in which the agencies and courts may derogate from the principle of corporate separateness is when the subsidiary effectively is a “sham” corporation that is indistinguishable from its parent. That exception is known as the (corporate) alter ego doctrine, which allows attribution of liability to parent companies by “piercing the corporate veil.” While the application of the alter ego doctrine typically is a matter of state law, there are two general requirements for its application. First, the subsidiary should be indistinguishable from its parent in all material respects, such that both companies have a complete unity of interests. Given that “piercing the corporate veil” is considered an “extreme remedy” that is “sparingly used,”76 a party relying on the alter ego doctrine must show in effect an abuse of the corporate form. Factors that may indicate unity of interest include, e.g., the commingling of funds and other assets of parent and subsidiary, or using the same offices or employees.77 Second, respecting corporate separateness of the parent and the subsidiary in the circumstance would result in an unjust or fraudulent result.78 This part of the test requires a showing of bad faith or other elements supporting a fraud of some sort. In re Catfish Antitrust Litigation contains an informative discussion of corporate veil piercing in a US civil antitrust lawsuit. Food distributors brought an action against catfish processors alleging a conspiracy to fix catfish prices sold to the distributor plaintiffs. Defendant Hormel moved for summary judgment because plaintiffs asserted liability against it for the behavior of its subsidiary Farm Fresh in the alleged conspiracy. The court denied Hormel’s motion for summary judgment, finding that plaintiffs’ evidence required consideration by a jury to determine whether Farm Fresh was “merely a bogus shell for Hormel to seek protection behind while operating in the catfish industry.” Nonetheless, while the court allowed the issue to go to the jury, it also cited twelve factors to be considered, i.e. whether: “1) the parent and the subsidiary have common stock ownership; 2) the parent and the subsidiary have common directors and officers; 3) the parent and the subsidiary have common business departments; 4) the parent and the subsidiary file consolidated financial statements and tax returns; 5) the parent finances the subsidiary; 6) the parent caused the incorporation of the subsidiary; 7) the subsidiary operates with grossly inadequate capital; 8) the parent pays the salaries and other expenses of the subsidiary; 9) the subsidiary receives no business except that given to it by the parent; 10) the parent uses the subsidiary’s property as its own; 11) the daily operations of the two 75 See Greene County Memorial Park v. Behm Funeral Homes Inc., 797 F. Supp. 1276, 1292 (W.D. Pa. 1992). 76 Sonora Diamond Corp. v. Superior Court, 99 Cal. Rptr. 2d 824, 824, 836 (Cal. Ct. App. 2000). 77 See, e.g., Sonora Diamond Corp., 99 Cal. Rptr. 2d at 836. 78 See, e.g., Automotriz Del Golfo De California v. Resnick, 47 Cal. 2d 792, 796 (1957).

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corporations are not kept separate; and 12) the subsidiary does not observe the basic corporate formalities, such as keeping separate books and records and holding shareholder and board meetings.”79 These factors would seem to make a jury finding that the parent is liable quite unlikely. The case was settled before trial. US civil procedure enables parent defendants to seek early dismissals from lawsuits in  which they have been named because of their subsidiary’s alleged antitrust infringement. The US Supreme Court’s Twombly decision requires plaintiffs to demonstrate factual detail regarding alleged antitrust infringements sufficient to raise a right to relief above speculative level.80 Plaintiffs will fail to meet that burden absent the parent’s own involvement in unlawful anticompetitive conduct or abuse of the infringing subsidiary’s corporate form. Indeed, commentators have noted that “Twombly, coupled with the corporate separateness rule, should allow corporate defendants to obtain early dismissals from cases in which they have been named defendants simply because of their relationship to or ownership of another company.”81 Parent companies achieved dismissal in In re Digital Music Antitrust Litigation, a case concerning an alleged internet music price fixing conspiracy. The district court confirmed that “[t]he unadorned invocation of dominion and control is simply not enough” to impute liability to parent companies. Given that there was neither an allegation that parent companies Sony Corporation of America, Bertelsmann, and Time Warner did anything actionable in the alleged antitrust conspiracy nor any other alleged basis to pierce the corporate veil, the court granted the parent companies’ motion to dismiss.82

IV. Assessment In our view, the doctrine of parental liability in EU competition law should apply, as in the United States, only in exceptional situations in which the parent company had at least some direct involvement in the anticompetitive conduct, or where fairly strict criteria to pierce the corporate veil are met under national corporate law. As it currently stands, the EU doctrine of parental liability (1) is arguably inconsistent with its own rationale of achieving effective deterrence; (2) is outdated in light of the recent entry into force and implementation of the Private Damages Directive; and (3) may be incompatible with fundamental rights.

79 In re Catfish Antitrust Litigation, 908 F. Supp. 400, 417 (N.D. Miss. 1995). 80 See Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 558 (2007). 81 See S. R. Miller, R. M. Sandrock, Parental Liability For a Subsidiary’s Antitrust Violations Under U.S. Law (2009) The Antitrust Chronicle at 2. 82 In re Digital Music Antitrust Litigation, 812 F. Supp. 2d 390, 417-419 (S.D.N.Y. 2011).

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1. The Current European Doctrine of Parental Liability In Competition Cases May Undermine Its Purported Rationale of Deterrence While the EU Courts have not expressly stated the rationale behind the current doctrine of parental liability in EU competition law, commentators assert and it is sensible to conclude that it is meant to achieve effective deterrence.83 But, as applied, the doctrine of parental liability may not achieve that result. Deterrence occurs when the law creates a threat of penalties that are greater than the expected benefits of infringing the rules against an abuse of a dominant position or forming a cartel. Given that it is not necessary for the Commission to show a parent’s actual involvement or awareness in its subsidiary’s infringement of competition law to hold it liable, it is unclear what behavior parent companies are actually being deterred from. Only when liability is based on actual conduct can it produce deterrence.84 A parent cannot be deterred from conduct in which its subsidiary, and not it, is thinking of engaging in. The practical question is whether the doctrine creates additional incentives for parent companies to encourage or enforce strict compliance programs. Obviously parent companies want to avoid being liable for unlawful behavior of a subsidiary in which they do not participate, and will often insist on an effective compliance program for their subsidiaries. At the same time, however, the implementation of compliance programs by parent companies has been viewed by the GC as evidence of the exercise of “decisive influence.” For example, in 2011 in Schindler Holding, the GC found that: the implementation within the subsidiaries of Schindler Holding of that code of conduct rather suggests that the parent company did in fact supervise the commercial policy of its subsidiaries, particularly since the applicants themselves have confirmed that compliance with the code of conduct was checked by means of regular audits and other measures taken by an employee of Schindler Holding responsible for compliance.85 From this statement, it follows that a parent or controlling shareholder may in fact have an incentive to assume the role of a passive bystander rather than a compliance advocate. This risk may be reinforced by the fact that the Commission does not consider the implementation of compliance programs as a mitigating circumstance.86 83 See, e.g., Advocate General N. Wahl, Parent Company Liability – A Question of Facts or Presumption? (2012) SSRN, p. 2. 84 See, e.g., K. Hofstetter, M. Ludescher, Fines against Parent Companies in EU Antitrust Law: Setting Incentives for “Best Practice Compliance” (2010) 1 World Competition 55-76 at 55. 85 Case T-138/07, Schindler Holding Ltd and others v. Commission, ECLI:EU:T:2011:362, para. 88; confirmed on appeal in case C-501/11 P, Schindler Holding and others / Commission, ECLI:EU:C:2013:522, paras. 113-114. 86 See, e.g., case COMP/38.645, Methacrylates, 31 May 2006, para. 386; Case COMP/38.823, PO/Elevators and Escalators, 21 February 2007, paras. 688, 754.

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In British Sugar plc (1999), the Commission even labeled the existence of a “failed” compliance program as an aggravating circumstance.87 Accordingly, even if a parent company has undertaken a serious group-wide compliance effort and is unaware of the infringing conduct, it may be held accountable and its efforts to ensure compliance by its subsidiaries will not even reduce the amount of the fine. That circumstance may create the undesirable effect of companies balancing the cost of serious compliance programs against the risk that (some or a couple of employees at) a subsidiary will disregard their advice for the advancement of their own careers or otherwise. As such, the doctrine of parental liability, as applied at least by the GC, seems at least somewhat at odds with the goal of increasing deterrence. 2. The Private Damages Directive Warrants Reconsideration of the Doctrine of Parental Liability The Private Damages Directive should also prompt a re-thinking of the doctrine of parental liability in EU competition law. The possibility for claimants to seek treble damages under § 4 of the Clayton Act88 has spurred many private plaintiffs to initiate antitrust actions in the United States. Given the large dollar amounts of rewards and settlements in these cases, including in large class actions, it seems likely that these actions have contributed to increased deterrence in the United States.89 Private antitrust litigation is at an early stage in the EU. Although in the past it was theoretically possible to pursue private antitrust actions in the EU, plaintiffs faced many practical obstacles, including, e.g., access to evidence in legal systems where the concept of pre-trial discovery is unknown. The Private Damages Directive, which entered into force in December 2014 and has been transposed into the laws of all EU Member States, was designed to reduce those practical obstacles. For example, under the Directive, plaintiffs may obtain a court order for the disclosure of evidence of antitrust infringements, are entitled to full compensation (including actual loss and loss of profits) by the jointly and severally liable participants in the infringement, and can rely on a rebuttable presumption that cartels cause harm. In practice, the implementation of the Private Damages Directive throughout the EU has triggered a significant number of actions for damages. This development seems likely to give companies significant additional incentives to invest in compliance efforts. 87 See Case 1999/210/EC, British Sugar Plc, OJ 1999 No. L 76/1, 22 March 1999, para. 208. 88 Clayton Antitrust Act of 1914, 15 U.S.C. §§ 12-27, 29 U.S.C. §§ 52-53. 89 For example, in 2017, private plaintiffs filed 631 antitrust lawsuits in the US federal district courts. See Administrative Office of the US Courts, United States District Court – National Judicial Caseload Profile (2017), www.uscourts.gov/sites/default/files/data_tables/fcms_ na_distprofile1231.2017.pdf.

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The Directive was designed as a means to deter antitrust infringements in a way that would give victims access to effective compensation. The Commission recognized in its press release welcoming the Directive that private damages actions and public enforcement are intended to function as “complementary tools.”90 On the other hand, the expected rise of private antitrust actions in national courts that seek to follow the Commission’s doctrine of parental liability may raise the risk that collective penalties imposed on companies become excessive as a result of the combination of parental liability in both public enforcement and private enforcement. In this regard, it is important to recall that national competition agencies and courts model their liability principles after those of the Commission. In any event, the arrival of the Private Damages Directive may be another reason to reconsider the doctrine of parental liability. 3. The Doctrine of Parental Liability May Be Incompatible with Fundamental Rights Finally, the doctrine of parental liability has generated a debate on whether the doctrine in general, and the presumption in particular, are compatible with fundamental rights, notably, with the principles of personal responsibility, the presumption of innocence, and legal certainty.91 First, the CJEU’s view of parental liability in competition law appears to be in tension with the principle of personal responsibility implicit in Article 6(2) of the European Convention on Human Rights (the “ECHR”). In Siemens, Advocate General Mengozzi explained this principle in the following terms: “in accordance with the principle of personal responsibility, itself the corollary to the principle of fault, each person is responsible only for his own acts. In accordance with the principle that penalties must be specific to the offender and the offence, more specifically, a person may be penalised only for acts imputed to him individually.”92 The doctrine of parental liability seems at odds with this principle because it can lead to the imposition of fines upon one legal person (the parent company) for the acts of 90 European Commission, Antitrust: Commission welcomes Council adoption of Directive on antitrust damages actions, Press release, 10 November 2014, http://europa.eu/rapid/ press-release_IP-14-1580_en.htm. 91 See, e.g., S. Thomas, Guilty of a Fault that one has not Committed. The Limits of the GroupBased Sanction Policy Carried out by the Commission and the European Courts in EUAntitrust Law (2012) 3 Journal of European Competition Law & Practice 11-28; Wahl, Parent Company Liability; M. Bronckers, A. Vallery, No Longer Presumed Guilty? The Impact of Fundamental Rights on Certain Dogmas of EU Competition Law (2011) 34 World Competition 535-570; and J. Temple Lang, How Can the Problem of the Liability of a Parent Company for Price Fixing by a Wholly-owned Subsidiary Be Resolved? (2014) 37 Fordham International Law Journal 1481-1524 at 1521-1524. 92 Opinion of Advocate General Mengozzi in case C-231/11 P, Commission v. Siemens Österreich and Others et Siemens Transmission & Distribution and Others / Commission, EU:C:2013:578, para. 75.

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a different legal person (the subsidiary) even when the parent company did not participate in or have knowledge of the infringement, and even if it had made proactive efforts to prevent its subsidiaries from infringing the antitrust rules, e.g., by implementing compliance programs. Nonetheless, the EU Courts have repeatedly found that the doctrine of parental liability is not only compatible with the principle of personal responsibility but that in fact it constitutes “the expression of that very principle.”93 In particular, the EU Courts have stressed that “EU competition law is based on the principle of the personal responsibility of the economic unit which has committed the infringement” and therefore “if the parent company is part of that economic unit, it is regarded as personally jointly and severally liable with the other legal persons making up that unit for the infringement committed.”94 This arguably circular approach is questionable. The principle of personal responsibility implicit in Article 6(2) of the ECHR protects both natural and legal persons, not “economic units” of persons. Parent companies should not be deprived of their rights under Article 6(2) of the ECHR simply because of their economic links with other companies within their groups.95 Second, the presumption of parental liability in cases of whole ownership is in tension with the principle of the presumption of innocence set out in Article 6(2) of the ECHR. The presumption of decisive influence shifts the burden of proof onto the parent company to demonstrate that it should not be held criminally liable for its subsidiary’s antitrust infringements. Penalties imposed by the Commission for violations of Articles 101 and 102 TFEU are indeed “criminal” within the meaning of Article 6 ECHR in particular due to their preventive and punitive nature, and to their size.96 It is also in tension with the principle of legality or legal certainty set out in Article 7 of the ECHR insofar as it creates a presumption of virtually strict liability for parent companies that is not established by the law; also, the circumstances under which the presumption might be rebutted are not at all clear. Under EU law and the ECHR, the compatibility of the presumption with these principles is conditional upon the presumption being effectively rebuttable.97 As noted above, in Elf Aquitaine, the CJEU established that the rebuttable nature of the 93 See, e.g., Case T-347/06, Nynäs Petroleum and Nynas Belgium v. Commission, EU:T:​2012:​ 480, para. 40. 94 Case C-516/15 P, Akzo Nobel and Others v. Commission, EU:C:2017:314, para. 57. 95 See similarly, e.g., B. Leupold, Effective enforcement of EU competition law gone too far? Recent case law on the presumption of parental liability (2013) 34 European Competition Law Review 570-582 at 579-580; Thomas, Guilty of a Fault that one has not Committed, at II.B. 96 In this regard, see e.g., Application No. 43509/08, Case of A. Menarini Diagnostics S.R.L. v. Italy, [2011] paras. 41-42, and Application No. 5100/71, 5101/71, 5102/71, 5354/72 and 5370/72, Engel and Others v. The Netherlands, [1976] para. 82. 97 See, e.g., C-521/09 P, Elf Aquitaine v. Commission, para. 59; Application No. 10519/83, Case of Salabiaku v. France, [1998] paras. 27-30.

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presumption is necessary to guarantee a balance between the effective enforcement of the EU competition rules, on the one hand, and the protection of fundamental principles including the presumption of innocence and the principle of legal certainty, on the other.98 Under current precedents, however, when there is great difficulty in overcoming the presumption and no clear guidance as to how to do so, this “balance” seems to weigh too heavily on the side of enforcement. The European Court of Human Rights (the “ECtHR”) has not yet analyzed the compatibility of the presumption of decisive influence with the ECHR. However, it has established strict criteria for criminal law presumptions more generally to be deemed compatible with the presumption of innocence set out in Article 6(2) of the ECHR. The leading case in this area is Salabiaku v. France,99 which concerned a presumption that an individual in possession of illegal goods was criminally liable for smuggling irrespective of whether there was criminal intent or negligence. The applicant argued that the presumption set out in French law was  “almost irrebuttable,” and thus incompatible with the presumption of innocence.100 The ECtHR ruled that while Member States are free under Article 6(2) of the ECHR to establish criminal presumptions of law and fact that apply irrespective of criminal intent or negligence, these presumptions must be confined “within reasonable limits which take into account the importance of what is at stake and maintain the rights of the defence.”101 In light of this case law, the EU Courts have repeatedly stressed in competition law cases that the presumption of decisive influence is rebuttable and that this makes the presumption compatible with human rights and due process.102 However, as explained above, the fact that the presumption has not been successfully rebutted on substantive grounds before the EU Courts  – it has only been rebutted on a few occasions on procedural or formal grounds due to the Commission’s failure to state reasons  – suggests that in reality it may not be rebuttable.103 This seems to have been confirmed 98 C-521/09 P, Elf Aquitaine v. Commission, at para. 59. See also, Case C-508/11 P, ENI SpA v. Commission, EU:C:2013:289, para. 50. 99 Case of Salabiaku v. France. See also Application no. 34619/97, Case of Janosevic v. Sweden, [2003] para. 104. 100 Case of Salabiaku v. France, at para. 26. 101 Case of Salabiaku v. France, at paras. 28 and 30. The ECtHR concluded that there had not been a violation of the presumption of innocence in this case because the applicant had been given the opportunity to rebut the presumption, and the French authorities did not merely resort to the presumption automatically but in fact established a certain “element of intent.” 102 See, e.g., Case C-243/12 P, FLS Plast v. Commission, EU:C:2014:2006, para. 27; Case T-541/08, Sasol and Others v. Commission, EU:T:2014:628, paras. 139-141; C-521/09 P, Elf Aquitaine v. Commission, at paras. 59, 62, 65-67. 103 A rebuttal on substantive grounds requires the appellant to demonstrate and the EU Courts to be convinced that the parent company did not exercise a decisive influence over its fully-owned subsidiary. A rebuttal on procedural grounds requires the appellant to demonstrate and the EU Courts to be convinced that the Commission did not comply

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by Advocate General Bot, who in 2010 acknowledged that the presumption is “very difficult to rebut,” and who argued that, consequently, the presumption should be corroborated, on a case by case basis, by elements of fact other than ownership that demonstrate that the parent company in fact exercised a decisive influence over its subsidiary.104

V. Conclusion Commissioner Vestager at a TED talk in New York in September 2017 said that “[w] e do not trust in a society if the prizes are handed out before the contest begins.”105 In the same way, no one trusts a society where penal sanctions are handed out to persons who did not participate in the wrongdoing. In an era where concepts like “fairness” are playing an increasingly important role in competition law in Europe, now would seem the appropriate time for a critical review of the doctrine of parental liability. It does not seem fair or proportionate to hold companies liable for the antitrust infringements of their subsidiaries regardless of any actual involvement or awareness on the part of that parent. And it seems especially inappropriate if it does not actually contribute to increased deterrence, may have become superfluous or worse in view of the additional penalties and deterrence under the Private Damages Directive, and arguably neglects corporations’ fundamental rights. The Commission and the EU Courts should revisit the doctrine of parental liability.

with its formal obligation to address the different points raised by the applicant. The fact that in some cases the EU Courts have concluded that the Commission did not comply with its formal obligation to state reasons does not necessarily indicate that the EU Courts are willing to accept that under certain circumstances a parent company may be deemed not to exercise a decisive influence over its fully owned subsidiary. 104 See Opinion of Advocate General Bot in case C-201/09 P, ArcelorMittal Luxembourg v. Commission and Commission/ArcelorMittal Luxembourg and Others, EU:C:2010:​634, paras. 212-213. 105 TED, M. Vestager, September 2017, New York City, www.ted.com/talks/margrethe_ vestager_the_new_age_of_corporate_monopolies.

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Selectivity for Martians – an Essay on Fiscal State Aid I. What Is State Aid?

IV. Lessons from Gibraltar

II. Why Are there State Aid Rules?

V. Special Taxes

III. What Is Fiscal State Aid?

VI. Conclusion

Nothing is simple, the philosopher Sempé tells us: tout se complique. But that does not mean that it is necessary actively to seek out complexity where the essence of a problem may be summed up in simple terms. Selectivity is certainly the single most important issue in the assessment of fiscal State aid, and probably the most controversial. Some of that controversy stems from a love of abstract reasoning, a desire to create logical systems without bearing in mind that these systems must comprehend a practical reality. Some of it nevertheless reflects a real difficulty, the need to reconcile a relatively simple paradigm of State aid reasoning with a legal environment in which taxation is not merely a means of raising revenue but also an instrument of policy. It may also be time to rethink some things that we know or take for granted.

I. What Is State Aid? In order to understand the function to be played by the concept of selectivity in the assessment of fiscal State aid, we need to start from the very beginning. State aid is the provision by the State of a financial advantage to a business undertaking (financial in the sense that it must be capable of being expressed in terms of money). According to Article 107(1) TFEU, a State aid measure is one which is granted from State resources, provides an advantage (“favours” undertakings etc.), is selective (favours certain undertakings or the production of certain goods), and affects trade between Member States. The provision of a selective advantage is considered to distort competition. The criterion of an effect on trade between Member States serves to ensure that there is an interest for the Union in the control of the measure. Seen in this context, selectivity is simply a term used to denote the fact that an advantage is provided only to some economic operators and not to others. 1 The views expressed are the author’s own and should not be attributed to anyone else, especially his employer. The author gratefully acknowledges the assistance and criticism offered by Vittorio Di Bucci, Paco Santaolalla and Paolo Stancanelli, none of whom bear any responsibility for his errors or heterodoxy.

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State aid can take an infinite variety of forms. The most obvious starting point is a cash subsidy paid by the State to a single undertaking. This is clearly an advantage, paid from the budget of the State, placing the selected business at a competitive advantage in relation to its peers. The very fact that one undertaking receives the payment combines the features of advantage (a benefit for that undertaking) and selectivity (only for that undertaking). Real life is rarely so simple, as Sempé reminded us. Grants to a single company are relatively rare. More frequently, grants are available to undertakings which meet certain conditions. Truly universal cash subsidies to business are by their nature very unusual, perhaps inexistent, for obvious budgetary reasons. The difficulty lies in deciding whether a subsidy which is paid in accordance with apparently or ostensibly general conditions is to be regarded as universal in its scope. The question is whether the conditions on which the grant is available give rise to a selective advantage: that is to say, whether all undertakings are truly on the same footing or whether those conditions give rise to discrimination between undertakings. That of course makes it necessary to determine in the first place what undertakings should be considered to be in a comparable legal and factual situation. Subsidies may be available to all firms which engage in a certain type of business, all which do certain things that the State wishes to promote, all which fulfil certain criteria. A subsidy which is given to all firms which engage in a certain type of business (all butchers; all bakers; all candlestickmakers) is clearly aid: these firms are distinguished from others by their common activity. The characterisation of a subsidy given to all firms which do something desired by the State may be less obvious. Most frequently such a subsidy will be based on an aspect of the firms’ business activity and hence give preference to a certain mode of production or use of resources. That is likely to be aid. It is nevertheless conceivable that the State use enterprises as a means of delivering a public good unrelated to their business activity. Imagine for example a subsidy consisting in compensation for the salary of employees released for a few hours a week to perform public interest tasks (pick up litter in the street, serve in a soup kitchen). Such a subsidy unrelated to business purposes would clearly not constitute aid (unless perhaps it could be regarded as a disguised subsidy to businesses employing surplus labour). A subsidy the grant of which is based on objective criteria may or may not constitute aid. All depends on the nature of the criteria. If the criteria correspond to an aspect of business activity  – to production methods, to inputs used, to goods purchased, to goods or services produced – it is very likely that the subsidy mechanism will favour some undertakings over others, intentionally or not. That will result in interference with the normal operation of the market. Can such a measure nevertheless be regarded as a general or universal measure? Only if it is truly neutral in its impact on undertakings. Case C-351/98 Spain v Commission and case T‑55/99 CETM both concerned the same subsidy for the purchase of new commercial vehicles, accompanied by the scrapping of an old vehicle. Its purpose was 524

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said to be protection of the environment and road safety. The subsidy was clearly selective because it was available only to natural persons, small and medium-sized undertakings (“SMEs”) and certain public authorities. It is not clear what the result would or should have been had it not been restricted in that manner. It may be argued that a subsidy for the purchase of commercial vehicles provides a particular advantage for companies whose business is transport (de facto selectivity). It might even be argued that  – at least if the subsidy programme is of very short duration  – it disadvantages companies who at the time possess only recent vehicles (indeed, it penalises those which have already taken the initiative that the subsidy is supposed to encourage).2 It is hard to regard this as a neutral measure. It is irrelevant in that regard that no category of favoured undertakings can be identified ex ante. The consequence of the measure is to favour certain undertakings over others on the basis of a feature related to the conduct of their business. Were it otherwise, it would be easy for a Member State to justify measures whose impact cannot be ascertained in advance but which nevertheless cause market distortion. Two very practical examples should suffice to demonstrate that. Any undertaking may find itself in financial difficulty. That cannot mean that a measure aimed at assisting failing companies is not selective. On the contrary, such aid may operate directly contrary to market mechanisms by promoting the survival of uncompetitive firms. Equally, any undertaking engaged in manufacture or trade in goods may export. That cannot mean that a subsidy for exports is not selective. On the contrary, it distinguishes between undertakings which engage in a certain business activity and those which do not.3 These remarks concern subsidies granted directly to undertakings. It should not be forgotten that subsidies given to persons who are not economic operators can also be aid, where those subsidies indirectly favour the products of one or more undertakings. Subsidies given to purchasers of certain goods may constitute aid to the producers of those goods;4 benefits provided to workers may constitute aid to their employers.5

2 Cf Case C-458/09 Italy v Commission (newly listed companies), points 59-60, perhaps a rather extreme case. It should be borne in mind that measures of limited duration are frequent in the tax field, and even special measures that are limited in time may be legitimate – think, for example of a tax amnesty on terms calculated to ensure future compliance. 3 Cf Opinion of Advocate General Jacobs in Case C-241/94 France v Commission (“Kimberley Clark”), points 31-32, citing Opinion of Advocate General Roemer in Joined Cases 6/69 and 11/69 Commission v France (export credits). 4 Or even more indirectly, a subsidy for the purchase of goods which enable purchasers to avail themselves of certain services: Case C-403/10 Mediaset (subsidy for purchase of decoders of television signals). 5 Case 173/73 Italy v Commission concerned a reduction in the amount of employers’ social security contributions in one industry. That was direct aid to employers. A reduction in employees’ contributions would have had a similar effect in favouring employment in that industry. Cf also Case 30/59 Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg v High Authority (shift bonus for coalminers, paid from public funds).

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II. Why Are there State Aid Rules? If we are starting from the very beginning, then it is worthwhile to pause for a moment and reflect on the raison d’être of these rules, since their purpose is likely to be relevant for the interpretation of the concepts invoked in their formulation and implementation. The Treaty of Rome and its successors are based on a liberal economic model under which business activity should in general be subject only to the constraints of the market. That means freedom both from State intervention and from misuse of power by private market operators. The State establishes the general regulatory framework but should not intervene in the behaviour of enterprises on the market, save in order to deal with instances of market failure. The market should not be distorted by “artificial advantages” given to some operators and not to others.6 Nor may a State seek to improve the competitive position of business undertakings within the common market. Equally, enterprises should not act together or individually in such a manner as to subvert the proper operation of the market. This strain of logic, which underlies the competition and State aid provisions of the Treaty, is separate from that which supports the more familiar pillars of the internal market, the Treaty freedoms, whose essential function is to prevent State-created obstacles to cross-border business activity. There is nevertheless a functional continuity between them since both seek to ensure the integrity of the internal market. The prohibition of State aid – positive measures in favour of some undertakings – complements the prohibition of measures protecting national markets from foreign intrusion. Both the State aid rules and the Treaty freedoms are thus aimed at ensuring equal access to the market for all potential participants. They embody a prohibition of discrimination between undertakings which are in a comparable situation. In both, there is a recognition that the Member States have considerable discretion in making decisions of economic policy, in particular in tax matters. This discretion is not absolute but finds its limits at a boundary laid down by the concept of equal treatment. One crucial element in both disciplines is a requirement of consistency. That is to say, once the legislator has chosen a policy line, has determined the criteria governing the treatment of undertakings, it must remain true to that policy line and may not introduce additional requirements unrelated to the objective of the market regulation in issue.

6 Report of the Heads of Delegation to the Ministers of Foreign Affairs (“Spaak Report”), Brussels, 21 April 1956, Secretariat of the Intergovernmental Committee established by the Conference of Messina, p. 57.

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III. What Is Fiscal State Aid? There may be something intuitively puzzling about the concept of fiscal aid. Tax means something is taken away from a taxpayer. A tax exemption or reduction simply means that the taxpayer gets to keep what is his already. How can this be called “aid”? The answer lies in the relative nature of the concept of aid and in the principle of equal treatment in taxation. Aid is the favouring of some businesses over others. Thus if one business must pay a tax and another business in the same circumstances is not required to pay that same tax, the latter is favoured, is the beneficiary of a financial advantage at the expense of the State. Aid may take a positive form such as a cash subsidy, but it can also consist in not charging a tax or other charge that would normally be payable.7 This idea was incorporated in the case law of the Court of Justice at a very early stage8 and is now summed up in the familiar formula: The concept of aid is more general than that of a subsidy. It embraces not only ­positive benefits, but also measures which, in various forms, mitigate the charges which are normally included in the budget of an undertaking and which, without therefore being subsidies in the strict meaning of the word, are similar in character and have the same effect.9 In economic terms, there is no difference between receiving a sum of money and being dispensed from payment of a sum of money that one would normally be required to pay. That is why the use of tax credits or rebates to influence the behaviour of individuals or of businesses is sometimes called fiscal expenditure. That fundamental idea may also be seen in the WTO Agreement on Subsidies and Countervailing Measures, in which the definition of a subsidy includes a situation where “government revenue that is otherwise due is forgone or not collected (e.g. fiscal incentives such as tax credits).”10 The key element in those formulations is that of “charges which are normally included in the budget of an undertaking”, a sum of money that one would normally be required to pay, “government revenue that is otherwise due”. An undertaking that is released from the burden of a tax that other comparable undertakings are required to pay is the recipient of an effective subsidy. It is favoured in relation to other undertakings, to use the terms of Article 107(1).

7 See Spaak Report, p. 57: «L’exemption accordée à une catégorie d’entreprises ou à une ­branche d’industrie au regard des charges de droit commun comporte les mêmes effets et relève des mêmes critères d’examen qu’une subvention sur fonds publics.» 8 Case 30/59 Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg v High Authority. 9 Case C-143/99 Adria-Wien Pipeline, point 38. 10 Art 1.1(a)(1)(ii).

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It is generally thought11 that such a tax exemption simultaneously fulfils two of the generally accepted State aid criteria: advantage and selectivity. It is an advantage because the recipient undertaking is in a better financial situation than it would normally be; it is selective because other comparable undertakings do not receive the same benefit. For that matter, the fact that it is a tax exemption should logically mean that the criterion of financing from State resources is also fulfilled: giving up tax is a reduction of the State resources that would be derived from the tax.12 The single word “normally” is thus made to carry a very heavy load, because it becomes the touchstone of selectivity. Aid means benefitting from more favourable treatment than a norm that is assumed to exist. In reality that simply displaces the problem. It is then necessary to identify the norm, the point of comparison. And in doing so it is necessary always to bear in mind that what is ultimately in issue is whether certain tax treatment is truly analogous to a cash subsidy. One obvious way of identifying the norm is to ask what the general rule on the tax concerned is. Any deviation from that rule favourable to an undertaking may be considered – at least prima facie – to be an alleviation of a financial burden that would normally be borne by the undertaking, and hence to be State aid. That is the approach that is established in the case law of the Court (and the administrative practice of the Commission). Schematically, that takes the form of a three-step process: 1. Identify the normal tax regime, or system of reference. 2. Identify a measure or a rule which represents a departure from that system, by ­giving more favourable treatment to some undertakings than to others, where both are in a comparable legal and factual situation. That leads to a conclusion of prima facie selectivity. 3. Then check whether this prima facie selectivity can be justified by the logic of the  tax system (its “nature and overall structure”). According to the Court “the  ­concept of State aid does not refer to State measures which differentiate ­between undertakings and which are, therefore, prima facie selective where that differentiation arises from the nature or the overall structure of the system of which they form part”.13 11 At least, this is the approach set out in the Commission Notice on the notion of State aid as referred to in Article 107(1) of the Treaty on the Functioning of the European Union, OJ 2016 C 262/1, point 128. Not everyone agrees. 12 Even though the Court of Justice ritually states that a tax advantage may constitute aid “although not involving the transfer of State resources” – see most recently Joined Cases C-20/15 and C-21/15 World Duty Free (“Spanish goodwill”), point 56. Cf, however, Case C-74/16 Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania v Ayuntamiento de Getafe, at point 76, in which the State resources condition is considered to be met by reason of a reduction in the revenue of a public authority. 13 Case C-88/03 Portugal v Commission, point 52. Or in the language of Case 173/73 Italy v Commission, at point 15 in fine, “nature and general scheme”.

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In Cases T-219/10 Autogrill and T-399/11 Banco Santander (“Spanish goodwill”)14 the General Court added a gloss to the effect that in order for a measure to be considered selective it must be possible to identify beneficiaries by characteristics specific to them. If they share no such characteristics, the measure is a general one. Those judgments were criticised on the ground that they added a fourth step which was foreign to the analysis. It might be argued that this criticism is not wholly fair: that by the end of the second step we have not yet arrived at a conclusion of selectivity but merely at the conclusion that the measure is the equivalent of a cash subsidy. If there is such a thing as a universal or neutral subsidy, then it could be considered that there is indeed a further step to climb. The answer to that, however, is that in reality the existence of a derogation from the generally applicable tax regime demonstrates the lack of neutrality or universality. In this respect there is a distinction to be drawn between a cash subsidy and a tax break. In the case of a cash subsidy, there is no readily available reference framework indicating how to judge whether or not a measure is neutral or universal in its scope and effect. There may be no obvious criteria allowing it to be determined whether the distinction made between beneficiaries and non-beneficiaries is a valid one. In the case of a tax break our reference point is the tax system: we know what a relevant difference between undertakings is and therefore we know what discrimination is. The normal regime is (or is taken to be) universal and neutral; a departure from the norm is not. What is required is equal treatment of undertakings that are in a comparable legal and factual situation, having regard to the basic objective of the tax system in issue. This is essentially what the Court of Justice means when it sums up the three-step process by saying, at point 60 of its appeal judgment in the Spanish goodwill case,15 that the key question is whether the measure under examination “introduces, between operators that are, in the light of the objective pursued by the  general tax system concerned, in a comparable factual and legal situation, a distinction that is not justified by the nature and general structure of that system.” The crucial element in that statement is the reference point. In examining the issue of comparability the touchstone is the objective of the normal tax regime. In the case of corporation tax, for example, the objective is raising revenue calculated on the basis of the profits earned by companies. Undertakings whose situation is not different in the light of that objective may not receive different treatment. The fact that a tax benefit is theoretically open to all is irrelevant when that benefit does not reflect the logic of the tax system. This may be seen as an aspect of the requirement of consistency. The Member State is free to choose its method of raising tax. Once it has done so, it must follow the logic of its own choice.

14 The author is one of the Commission’s agents in the ongoing Spanish goodwill litigation. Readers may thus wish to treat his views with caution. 15 Joined Cases C-20/15 and C-21/15 World Duty Free.

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That concern for consistency is equally an answer to the objection that the application of the State aid rules represents an intrusion in the freedom of the Member State to determine its tax policy. It continues to enjoy that freedom, but must exercise it in a consistent manner. The most important step in the three-step process is thus arguably the first, the identification of the reference system, for everything else may be said to follow from that. What, then, is this “reference system”? Is it the tax as a whole (income tax, corporation tax, VAT …) or is it a specific rule contained in a scheme of tax? Is this a macro or a micro examination? In many cases that question may be thought to be largely academic: in practice it makes little difference since the point in issue is a derogation from a specific rule which is considered to embody the logic of the scheme as a whole. However, the starting point is most frequently the specific rule that is normally applied to a broad category of cases. A departure from what appears to be the normal rule, resulting in an advantage for a taxpayer, demands further examination. The explanation may very well be that what appears at first sight to be a derogation from the norm is in reality nothing more than the correct expression, in particular circumstances, of the basic logic of the tax system. But that is what is meant by the expression “justification by the nature and overall structure of the tax system”, the subsequent step in the standard reasoning process. Thus in the Spanish goodwill case the rule at issue granted more favourable treatment to acquisitions of shares in foreign than in Spanish companies. Such an advantage had no justification in the logic of the corporation tax system, whose objective was to raise revenue on the basis of the profits earned by companies. There was no reason intrinsic to that system to treat foreign acquisitions more favourably. An example of a case in which, by contrast, the identification of prima facie selectivity might be considered to be easy but the assessment of consistency with the logic of the system less obvious is Joined Cases C-78/08 to C-80/08 Paint Graphos.16 Under Italian legislation, producers’ and workers’ cooperatives were exempt from corporation tax. A simple approach to the case could be to say that the exemption was a derogation from the normal way of taxing commercial entities and thus prima facie selective. But the distinguishing feature of such cooperatives is that in principle they are a collective entity, acting on behalf of their members. That could justify the taxation of earnings in the hands of the members alone, the cooperative being a transparent entity in the same way as a partnership without legal personality. The Court was more cautious. It considered that the national court should take into account the special features of cooperatives already in assessing comparability in the second step. One might be forgiven for thinking that in so doing the Court imported elements of the third step into the second. The question of the point of comparison arises in a particularly acute form in a complex situation where a broad general rule suffers an exception in certain circumstances and there is then an exception to that exception. It is tempting to say 16 The author was one of the Commission’s agents in the case, which may warp his perspective.

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that this is easy: the exception to the exception simply brings us back to the norm. That is too rapid. It is necessary in such a case to examine the rules closely in order to verify the consistency at each stage with the basic logic of the tax system. That issue is currently pending before the Court of Justice in Case C-203/16 Andres (Heitkamp) and a series of related cases concerning the Sanierungsklausel (restructuring provision) contained in German corporation tax legislation.17 Under German law, where a company suffers losses in a tax year it may carry forward those losses and deduct them from its taxable income in a subsequent year. In that way the company does not pay more tax than is appropriate for the total amount of its earnings over a number of years. Germany has found it desirable, initially in order to prevent the practice of “loss-trafficking” (trade in defunct companies for the purpose of setting their accumulated losses against the profits of the purchasing company) but subsequently on a more general basis, to refuse loss carry-forward where the shareholding in the company is significantly changed. The right to carry forward is retained, however, where the company is in financial difficulty and on the condition that it remains economically identical (restructuring, including conditions relating to the retention of most of the work force or injection of new assets, identical sector of activity). One way of looking at this is to say that the rule on denial of loss carry-forward is a specific rule for a category of companies. That is the reference system. Retention of the right under the conditions of the “exception to the exception” is then especially favourable treatment for companies which despite falling within that category are not treated in the manner deemed appropriate for it by the legislature. This is prima facie selective. It can be regarded as a return to a higher-level general rule (the right to carry forward losses) only if the Member State shows that it is consistent with the nature and the logic of the system.18 A second way is to say that the basic rule is the right to carry forward losses. Denial of that right is an exception, unfavourable to the taxpayer. It may be a measure considered necessary in order to prevent abuse of the right, aimed at ensuring proper application of the tax rules in accordance with their objective. Or it may be a measure intended simply to preclude new owners from obtaining a tax benefit corresponding to a loss suffered (indirectly) by the previous owners. Retention of the right is then an exception to the exception, but far from simply being a reversion to the norm, it can be justified only if it is in line with the objective of the system. In the hypothesis of an anti-abuse 17 Once again, the author is one of the Commission’s agents in the cases and the reader should beware. See the Opinion of Advocate General Wahl delivered on 20 December 2017, in particular points 136-148. 18 See also Case C-6/12 P regarding a similar rule of Finnish law, in which the Court held that denial of the right to loss carry-forward in case of change of ownership could be regarded as the normal rule and the retention of that right as an exception which could be justified if it were consistent with the nature and general scheme of the tax system. The discretion enjoyed by the tax authorities and the fact that the criteria used in order to allow retention of the right were unrelated to the tax regime were likely to preclude such a conclusion.

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measure, this may be where the circumstances are such as to preclude any likelihood of abuse. Yet a third approach is to say that in reality the basic rule is that of annual taxation. The right to carry forward losses is an exception to that rule. As a favourable exception, it requires justification, which lies in the desire to ensure that the company pays no more tax than it should, looking at its earnings over a period of several years (a manifestation of the principle of ability to pay). Denial of loss carry-forward is then an exception to an exception, and potentially a return to the norm. By the time we get to the retention of the right to carry forward losses we are faced with an exception to an exception to an exception and are in danger of losing track of our quarry altogether. These different possible perspectives underline the need for a clear understanding of the system and for a certain suspicion of formulaic reasoning. Whatever the starting point, it is necessary to assess the apparent derogation in the light of the rationale for the rule from which it departs, which should be understood in the context of the basic logic of the system. It is not necessarily correct to regard the  denial of loss carryforward as an exception in the first place. If, for example, it is a measure aimed at ensuring the proper functioning of the tax system (taxation of business profits) by preventing artificial reduction of the taxable profits of acquiring companies, it may legitimately be considered not to be an exception but rather an anti-abuse provision. Equally, in that hypothesis the rule nevertheless allowing loss carry-forward under certain conditions may not fall to be regarded as an exception (to the exception) if the conditions are simply those which are necessary in order to ensure that the denial of the benefit is confined to likely cases of abuse. All depends on the precise scope and function of the “exception” and the criteria on the basis of which the “exception to the exception” is available. Close attention is particularly necessary in relation to anti-abuse measures. These are frequently defined in very broad terms, which are then narrowed by a series of counter-exceptions from which one may infer (taking them all together) a more narrow definition of the exception. It is not possible to apply a simple formula. Each case requires a comprehensive assessment of the reality of the situation. What is essential is careful analysis of the criteria used in order to disapply the anti-abuse measure. Thus criteria which serve to demonstrate that there is no abuse of the kind that the measure aims to prevent, that the underlying aims of the tax system are met, cannot be regarded as State aid. Conversely, criteria which are unrelated to those aims but seek to promote other interests (employment, continuation of certain activities, etc) may legitimately be considered to be aid. That is an application of the more general proposition summed up by the Court in the following passage from the “Azores” case:19 A measure which creates an exception to the application of the general tax system may be justified by the nature and overall structure of the tax system if the Member 19 Case C-88/03 Portugal v Commission, point 81.

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State concerned can show that that measure results directly from the basic or ­guiding principles of its tax system. In that connection, a distinction must be made between, on the one hand, the objectives attributed to a particular tax scheme which are extrinsic to it and, on the other, the mechanisms inherent in the tax ­system itself which are necessary for the achievement of such objectives. This discussion is a useful illustration of the importance of the concept of the nature and general structure of the tax system. In reality, that concept is not simply a sort of backstop to which appeal may be made in less obvious cases: it permeates the whole of the reasoning process. Before we can know what an exception is, we must fully understand the context. And the key is consistency with the logic of the tax system. So long as each specific rule and each apparent exception is consistent with that logic, there is no discrimination and no issue of State aid. It follows that whereas the “normal regime” or reference system for the purposes of the first step is likely to be a specific rule, the “system” for the purposes of the third step is not only that specific rule – though its rationale must be carefully assessed – but the entirety of the tax scheme under examination: the corporation tax system as a whole, for example. The three-step examination is a useful instrument most of the time, especially for generally applicable taxes (or better, neutral taxes which are essentially directed at raising revenue) such as corporation tax, income tax or VAT. It breaks down in a case such as Joined Cases C‑106/09 and C-109/09 Gibraltar,20 where its application in a formulaic manner would have led to an anomalous and incorrect result. It also shows strain when applied in relation to taxes which are not of general application, taxes whose purpose is not simply revenue-gathering but which also serve a purpose of behaviour modification.

IV. Lessons from Gibraltar Gibraltar is a self-governing territory under British control which has its own legislation on company tax. For many years it operated what may be termed a normal company tax system which nevertheless contained two special provisions granting effective exemption for offshore companies. Following a first State aid procedure initiated by the Commission in relation to those special provisions it introduced a new system. Drawing on imaginative legal advice, it reverse engineered the previous system and duplicated its result in what was ostensibly a single system, with no apparent special or exceptional regime. The new system consisted in a payroll tax on the one hand and a tax on occupation of business property on the other, but with a cap of 15 % of income for the two taxes together and additional top-up payments for certain types of company. 20 Yet again, the author was one of the Commission’s agents. Caveat semper lector.

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In a 2004 decision21 the Commission said that this “single system” was in fact a combination of different and mutually incompatible taxation schemes, so that it was impossible to identify a reference system and then to discern a “special regime”. The scheme as a whole incorporated differentiation between categories of companies in such a way as to provide benefits for some of them, in particular offshore companies. The effects of this scheme were clear: the grant of effective tax exemption to certain categories of companies, in particular those active in the offshore economy. There were in effect various tax regimes for different categories of companies. Offshore companies (formerly exempt) were in general subject only to the payroll tax and thus continued to be exempt. A sub-category of those companies (those engaged in financial services) became subject to tax in the amount of about 5 %. Companies which actually operated in Gibraltar were subject to tax with a maximum of 15 % of profits – essentially, a 15 % company tax. Companies referred to as utilities (including companies not usually thought of as utilities, such as oil companies) continued to be subject to tax at a rate of 35 % of their profits, the standard rate of company tax under the previous system. The Court of First Instance annulled the decision on the ground that the Commission had failed to follow the three-step process: identify a reference system, a normally applicable set of tax rules, and demonstrate a departure from it.22 On appeal, the Court of Justice held that the Commission’s failure to follow the standard three-step approach was not necessarily a fatal error.23 That approach cannot be subverted by the use of a legislative technique which avoids establishing a “normal regime” with derogations but produces the same effects in an indirect manner. Selectivity can be found in a comparison of the tax burden on different undertakings, the reference framework being the system as a whole. The effect of the combination of different taxes and ceilings was de facto discrimination between companies in a comparable situation, having regard to the objective of introducing a general tax system for all companies in Gibraltar. A difference in the tax burden is not sufficient in itself to demonstrate selectivity, but here the effective exemption of offshore companies was not a random consequence of the regime: it was the inevitable result of the manner in which the system was designed. What lessons are to be drawn from this judgment? It is an important reminder that the analysis of State aid is based on the effect of a measure, independent of the legislative technique used. The judgment cannot be regarded as a licence for creativity, allowing the Commission to bypass the three-step method. Even in circumstances where the three-step test is difficult or impossible to apply, it remains necessary to 21 Commission Decision 2005/261/EC of 30 March 2004 on the aid scheme which the United Kingdom is planning to implement as regards the Government of Gibraltar Corporation Tax Reform (OJ 2005 L 85, p. 1). 22 Joined Cases T‑211/04 and T‑215/04 Government of Gibraltar and United Kingdom v Commission. 23 See points 87-108 of the judgment.

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define a reference framework and demonstrate the way in which the favourable treatment of certain undertakings diverges from that framework. That may be easier said than done, however. Where the tax system is in its essence discriminatory, it is necessary to appeal to external criteria in order to determine whether taxpayers are in a comparable factual and legal situation. It may not be evident how to determine those criteria. In the Gibraltar case, the Court found that there was discrimination between companies which were in a comparable position in relation to the objective of the new system, the introduction of a general system of taxation for all companies. Although differentiation in accordance with the criteria of a general tax scheme does not in itself constitute discrimination, the criteria used here identified certain favoured undertakings by virtue of their characteristics (see points 101-107 of the judgment). It may be considered that the Court thus took as its starting point a hypothetical general system of company taxation applying uniformly to all undertakings. That is certainly satisfying from a common-sense perspective, but it means that the reference system is precisely the system that the legislator had set out to avoid or subvert. The result in this case turns on the finding that the difference in treatment of the companies concerned was the desired result of the new system (point 106 of the judgment). That reasoning sits uneasily with the orthodox position (recalled in point 87 of the judgment) that only the effect of a measure is important, not the intent of the  legislator. The Gibraltar judgment is perhaps best regarded as an instance of the principle of abuse of law. Consistency is normally necessary and sufficient, but it is irrelevant where the objective of the scheme under examination is inherently discriminatory.

V. Special Taxes Tax is not merely a means for the State to raise the revenue necessary in order to provide public services and live up to its other tasks. It is also an instrument used in order to influence people’s behaviour by altering their economic incentives. For example, some taxes are intended to discourage certain behaviour (high taxes on tobacco). Taxes may also be deployed in order to correct possible instances of market failure. For example, environment-related externalities may be brought into the economic decision-making process of businesses and individuals through an appropriately calculated and targeted tax measure. In the context of what may be called regulatory taxation, the concept of “normal regime” is not easy to pin down. One approach is simply to regard the special tax scheme (for example, the excise duty on tobacco products) itself as the “normal regime”. That is usually a satisfactory way of dealing with the claim that a particular advantage constitutes a departure from the norm and hence may constitute State aid. For example, an environmental tax aimed at discouraging emissions of pollutants should have the same proportional impact on all polluters. Case C-159/01 Netherlands v Commission concerned a tax on emissions of nitrates and phosphates, applicable in principle to all agricultural activity. Hothouse 535

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vegetable growers enjoyed a partial exemption, but no evidence was adduced to show that the activity of these growers had less impact on the environment than open-air growers. The tax advantage therefore was not in line with the logic of the system. Another example is Case C-143/99 Adria-Wien Pipeline, already mentioned. Austria imposed a tax on the consumption of electricity and natural gas. Undertakings engaged in the manufacture of goods were entitled to a rebate in respect of the amount of tax exceeding a small percentage of the value of their production. That rebate was a derogation from the normal application of the tax. The logic of the tax scheme did not justify such a derogation for a single category of undertakings since the environmental harm deemed to result from the consumption of these energy products was identical whatever the nature of the consumer. The most acute practical problem may lie at the frontier of a specific scheme, where the problem is one of definition, substitutability and distortion of competition. For example, it is not hard to say that a tax on energy use cannot be regarded as State aid to businesses that do not use much energy (though by doing so we are implicitly accepting that this is a policy choice that falls outside the scope of State aid analysis). It may be more difficult to arrive at that conclusion when distinctions are made between different sources of energy. The most recent case where CJ has been obliged to grapple with this narrower problem is the British Aggregates saga. These cases concerned a UK tax based on environmental grounds and aimed at cutting down on the use of “virgin aggregates”, the first extraction of rock for use as aggregate. Aggregates are crushed rock or similar material used for road or railway base and for other construction purposes. The tax was not charged on certain expressly exempted categories, material previously used for construction purposes and material previously subject to the same tax. The express exemptions included slate and shale, exports and the use of rock for the manufacture of products such as glass and fertiliser. On notification by the United Kingdom, the Commission did not open the State aid procedure, considering the scheme not to raise any doubts. In a challenge to that decision by an association of undertakings liable for the tax, the Court of First Instance24 held that Member States were free to determine the scope of application of an environmental tax. The fact that it was not levied on all comparable products was no objection. In any event, the exemptions were consistent with the nature and general scheme of the system. On appeal, the Court of Justice25 held that the mere fact that the tax was based on environmental considerations did not preclude an examination of the comparability of taxed products and exempt products. Such a tax must be applied in a consistent manner. If the objective is environmental protection, only  considerations relating

24 Case T-210/02 British Aggregates Association v Commission. 25 Case C‑487/06 British Aggregates Association v Commission.

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to  that objective can justify exemption or other differentiation between potential taxpayers. On the return of the case to what had in the meantime become the General Court,26 the exemption of slate and shale was held to be illogical since their extraction caused the same environmental harm as the quarrying of other rock. There was thus no reason for their exclusion having regard to the purpose of the scheme. The conclusion to be drawn is that where a Member State has embarked on a tax scheme aimed at protecting a particular interest, it must be consistent with the logic of that scheme and follow the chosen approach to its logical conclusion. At both levels the reasoning of the Courts was confined to determining the precise contours of the tax scheme. They did not enquire further into the reasons for differentiation between taxation of rock and taxation of any other raw material, or any manufactured product. That is natural enough, since no such question was raised by the parties. It may also be a satisfactory approach in this case, where a specific tax was aimed at a specific problem. Indeed, elsewhere in the Court’s case law it is possible to find passages that may be read as indicating that this is the proper way to proceed. For example, in Case C-524/14 Hansestadt Lübeck the Court states (point 58 of the judgment) that … a measure which benefits only one economic sector or some of the undertakings in that sector is not necessarily selective. It is selective … only if, within the context of a particular legal regime, it has the effect of conferring an advantage on certain undertakings over others, in a different sector or the same sector, which are, in the light of the objective pursued by that regime, in a comparable factual and legal ­situation. In other words, in assessing a specific regime all that counts is the internal logic of that regime. The approach that the Court seems to have adopted in this context is simply to ensure that there is no discrimination between undertakings which are in more or less direct competition with each other. That may be said not only of British Aggregates but also of cases such as Case C-53/00 Ferring (a special tax on direct sales by pharmaceutical laboratories)27 or C-5/13 Kernkraftwerke Lippe-Ems (special tax on the placing in service of nuclear fuel elements). Yet a competitive relationship between beneficiaries and non-beneficiaries is not normally a State aid criterion. An assessment which is based on the objective of the special tax takes for granted the validity of the tax scheme itself from a State aid perspective. It examines the issue of discrimination solely within the confines of the category of persons to whom a tax, in accordance with its internal logic, should apply. That discounts from the outset the 26 Case T-210/02 RENV British Aggregates Association v Commission. 27 See also Case C-526/04 Laboratoires Boiron.

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possibility that a specific tax on certain undertakings may be considered State aid to those who are not taxed. It is clear that a tax on one undertaking may in principle amount to a selective advantage for another.28 There is no difference between a tax that is applicable only to certain companies and a tax that in theory applies to everyone but includes a derogation for certain other companies. To tax a product or an activity because it is undesirable is no different from granting an exemption (or for that matter a subsidy) for certain products or activities because they are considered to be good. Indeed, in British Aggregates the avowed purpose of the tax in issue was that of shifting demand from one product to another: on good grounds, no doubt, but that is normally a compatibility point. It cannot always be the case that regulatory taxation should be treated as a matter for the sole competence of Member States. Where a tax scheme results in an advantage for certain firms, there must be a legitimate justification. It may not always seem realistic to question the validity of the distinctions made expressly or implicitly in a tax scheme. From an intuitive point of view, it may seem absurd to say that a tax which by its nature affects only certain businesses amounts to State aid to all other businesses. There is no possible reason for people who do not grow crops, do not use fertiliser and do not emit nitrates or phosphates into the environment to pay the tax in issue in Case C-159/01 Netherlands. More generally, taxes imposed in accordance with environmental considerations may be considered acceptable, so long as they are conceived and applied in a consistent manner. But the fact remains that this is a tax burden that affects certain undertakings and not others. A self-referential approach of this kind could mean that the concept of a “normal regime” already incorporates preferential treatment of certain businesses. It shortcircuits the examination of comparability since undertakings lying outside the scope of the tax are automatically regarded as non-comparable. The intuitive response assumes that the tax scheme is desirable – or that it is a legitimate policy choice of the national legislator – and therefore valid. Such an assumption is difficult, once again, to reconcile with the orthodoxy that the question whether a measure constitutes aid must be based on its effect, not on its purpose. It amounts to accepting that where there is a tax on an activity, undertakings that do not pursue that activity lie outside the scope of the enquiry altogether. It entails the risk of turning a ground of compatibility into a reason for concluding that there is no aid. It also leaves the door open to manipulation of the kind seen in the Gibraltar case, an ostensibly neutral set of criteria which hides a discriminatory structure. The opposite approach would be to say that any attempt to modify economic incentives by means of taxation is potentially a form of State aid, that as soon as tax is used for anything other than revenue-gathering it is necessary to carry out a State aid analysis. That clearly goes too far, for where the object of a tax scheme is the internalisation of externalities (Pigouvian taxation), there can be no ground for challenge. Such taxation is by its nature neutral. More generally, such an approach would be hard to support in practical terms inasmuch as it overturns the delicate balance between State aid control and the freedom of Member States to design their tax systems, in particular to 28 See for example Case C-53/00 Ferring, point 20.

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designate bases of assessment and to spread the tax burden across the different factors of production and economic sectors.29 It would have the consequence of interfering in the economic policy of Member States in circumstances where that policy is essentially neutral in its effect. It may be borne in mind here that since a measure affecting consumers can constitute an indirect advantage for the businesses supplying them, all taxes must be examined. Can excise tax on whisky be regarded as State aid to all other businesses? Merely to pose that question suggests that such an approach could go well beyond the scope and purpose of the State aid provisions of the Treaty. Yet the problem cannot simply be ignored. If the essential issue is one of discrimination – or its mirror image, equal treatment – there may well be situations in which it appears difficult or impossible to justify the different treatment of undertakings which is inherent in a tax scheme. There must be a way of capturing situations of arbitrary distinctions at the very least. It may further be maintained that in cases of doubt the Member State concerned should be obliged to present reasons for the choice of the basis of taxation, reasons which can be challenged if they revealed a policy choice which itself runs contrary to the requirements of the internal market. Indeed, it is arguable that the excise tax on whisky is to be considered acceptable only because it is considered legitimate to use taxation to limit the consumption of alcohol. The same may no doubt be said of the taxes on sweet drinks that have recently been introduced by some Member States (though there may be a need to justify the imposition of a tax on drinks but not on sweet snacks). The answer might be different if, for example, a Member States were to introduce a tax on a commodity such as salt simply for revenue-gathering purposes.30

VI. Conclusion In universal taxes, selectivity is relatively straightforward. Differentiation according to criteria which reflect the underlying logic of the system presents no ground for concern, while differentiation based on other criteria is likely to give rise to State aid. The three-step test normally provides a satisfactory analytical framework in this context, but it is not a formula, merely the expression of the need to understand correctly just what the logic of the system is. It meets its limits where the logic of the system itself is questionable. Consistency with the logic of the system is not invariably sufficient. The application of the three-step test may also be problematic in relation to special taxes whenever the question asked goes beyond the confines of the tax concerned. It may not always be acceptable to define a “comparable factual and legal situation” solely by reference to the internal logic of a special tax. There are circumstances in which the differentiation which necessarily flows from the structure and application of a tax scheme requires justification on the basis of criteria lying outside the confines of the scheme. In what can that justification consist? Perhaps 29 Joined Cases C-106/09 and C-109/09 Gibraltar, point 97. 30 The former French gabelle, for example.

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it is necessary to adapt the three-step process, which is best suited to revenue-gathering taxes, in such a manner as to widen the scope of enquiry at the first step. If, however, what we are setting out to do is exercise some minimal control of the legitimacy of the policy choice lying behind the introduction of a tax, the difficulty is that the only way to do that is to have regard to the purpose of the tax in question. Again, that would be inconsistent with the position that a finding of aid must be based solely on the effect of a measure, not of its cause or purpose. It seems impossible to reconcile these conflicting priorities. There is no easy way out. Nothing is simple.

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Antidumping and Competition Law – Common Origin, a Life of Their Own and Peaceful Coexistence? I. Introduction II. Policy Considerations 1. Antidumping and Competition Rules: A Common Origin 2. Policy Objectives of Competition Rules 3. Policy Objectives of Antidumping Rules a) The Rationale for Dumping Practices b) The Rationale for Combating ­Dumping Practices 4. Commonalities and Differences – 100 Years Later III. Competition Issues in the Application of EU Antidumping Laws – Peaceful Coexistence? 1. Introduction 2. Competition Issues Before an ­Antidumping Proceeding’s Opened

a) Preparing and Submitting a Complaint on Behalf of the “EU Industry” b) Sham Proceedings and Other ­Exceptions c) Market Power of the EU Industry 3. Competition Issues During the ­Investigation a) Confidentiality and Access to File b) Joint Commission Hearings of ­Exporters and Importers 4. Competition Issues in Adopting ­Measures a) General Competition Issues ­Considered in Adopting Measures b) Relevance of Competitive Effects of Specific Measures IV. Conclusion

I. Introduction I have been fortunate enough to have known and worked with Dirk Schroeder for more than 15 years at Cleary Gottlieb. Much before we first met, Dirk spoke in September 1990 at a conference organized by the Union Internationale des Avocats on the topic of “Antitrust Implications of EEC Antidumping Proceedings”.2 His speech advocated that antitrust rules must be respected, even in the context of antidumping proceedings.3 Another longtime colleague of ours at Cleary Gottlieb, John Temple Lang, looked at similar issues in a 1988 article on reconciling EU antitrust and antidumping laws.4 John took the view that antidumping and antitrust laws were written in such a way that they could (and should) be reconciled. And much more  recently, in 2015, yet another of my partners at the firm, François‑Charles 1 The author is grateful for the help provided by Fynn Dewald in preparing this article, errors or omissions are the responsibility of the author alone. 2 The speech was published in the form of an article: Dirk Schroeder, Anti‑trust Implications of EEC Anti‑dumping Proceedings, 55 RabelsZeitschrift, 1991, p. 540 et seq. 3 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 543. 4 John Temple Lang, Reconciling European Community Antitrust and Antidumping, Transport and Trade Safeguard Policies – Practical Problems, in B. Hawk (ed.), European/ American Antitrust and Trade Law, 1988, chapter 7, p. 7‑1 et seq.

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Laprévote, analyzed the Commission’s decisional practice in antidumping cases from the perspective of a competition lawyer.5 The topic I have chosen for my contribution in honor of Dirk Schroeder therefore reflects, on the one hand, Dirk’s scholarly past, and could be mistaken, on the other hand, to be a somewhat “Cleary centric” topic. For either of these reasons the topic would be well suited for this Festschrift. Nevertheless, I am happy to note that (i) neither Dirk nor John were associated with our firm when they prepared their contributions, and (ii) a number of well known “outsiders” have considered the topic too,6 even though what John observed in 1988 appears to still be true today: the topic “has not been very fully discussed within the European Community”.7 The objective of this article is twofold: the article shows, first, that antidumping and antitrust rules have a common origin and share certain competition-related policy objectives, but that there are also important differences in policy objectives, and second, that antidumping rules and competition rules apply concurrently in a given case and can be interpreted coherently and consistently. Keeping in mind the differences in underlying policy objectives, antidumping measures and antitrust measures will nevertheless (i) not always be based on the exact same considerations, (ii) lead not always to the same regulatory result but (iii) must not be contradictory in their results.

II. Policy Considerations Competition and antidumping rules have a common origin. But over time more and different policy objectives have been attributed to antidumping and competition rules, and the differences are reflected in the legislative framework. There continues to be a significant overlap, and recent Treaty changes have made a consistent approach across different policy areas not only desirable, but an express legal requirement.

5 François‑Charles Laprévote, Antitrust in wonderland: Trade defense through the competition looking‑glass, 2 Concurrences (Revue des droits de la Concurrence), 2015, p. 1. 6 See for example, Paul Vandoren, The Interface Between Antidumping and Competition Law and Policy in the European Community, 1 Legal Issues in European Integration, 1986, p. 1 et seq.; Jacques Bourgeois, Antitrust and Trade Policy, A Peaceful Coexistence?, 17 Int. Business Lawyer, 1989, p. 58 et seq.; Eleonore M. Fox, Competition law and the agenda for the WTO, 4 Pacific Rim Law and Policy Journal, 1995, p. 29; Konstantinos Adamantopoulos, Riccardo Croce and Yves Melin, The Increased Interaction Between Competition and Trade, The European Antitrust review, 2009, p. 1 et seq.; Derk Bienen, Dan Ciuriak, Timothée Picarello, Does Antidumping Address “Unfair” Trade? The European Union’s Experience, Trade and development discussion paper, 2013, p. 1 et seq.; for an outside perspective, see Gönenç Gürkaynak, Can Yildiz, et. al., The Relationship between Trade Policy and Competition Policy, in Gönenç Gürkaynak (ed.), The Academic Gift Book of ELIG, (Istanbul, 2018), p. 177 et seq. 7 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑1.

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1. Antidumping and Competition Rules: A Common Origin Antidumping and competition law both have their historic origin in the United States. In fact, the legislative objective for adopting antidumping and antitrust rules was closely linked, when both sets of rules were created more than 100 years ago. 8 Both were based on the same essential concern – predatory price discrimination. The two sets of rules were largely seen as complementary: antitrust rules would apply to conduct within the United States, at the domestic level, and antidumping rules were directed against price discrimination from foreign sources.9 The fear was that dumping could result from market distortions generated, but not sanctioned, on the exporter’s domestic market. Antidumping proceedings would serve as a substitute for the deficient competition policies or enforcement action in the exporter’s country.10 This commonality in approach has influenced scholarly writing about antidumping and competition rules, and still many years later, authors thought that the main acceptable raison d’etre for antidumping rules was to combat predatory pricing.11 However, it has become apparent that antidumping rules (and trade law more generally) are likely to support broader policy objectives. Similarly, antitrust rules no longer focus on cases of predatory pricing. It is thus useful to look at the policy objectives as they stand today before turning to the question of the practical legal consequences of any differences in the legal framework and underlying policy objectives. Both today’s legislative setting and the identifiable policy objectives explain why, over time, antidumping and competition rules have transformed into nothing more than “distant cousins”.12 2. Policy Objectives of Competition Rules EU competition law is focused, and has been for a long time, on protecting competition as a whole. That implies a certain focus on customers und consumers, or, in economic terms, consumer welfare,13 and is coupled with the objective of bringing the benefits of competition to customers and consumers, namely by increasing choice and

8 The Sherman Antitrust Act of 1890 [formerly known as Act of July 2, 1890, ch. 647, 26 Stat. 209]. Antidumping Act of 1916 (as part of the US Revenue Act, ch. 463, 39 Stat. 756, September 8, 1916); see also J. Viner, Dumping: a problem in international trade, University of Chicago Press, 1923; Patrick A. Messerlin, Should Antidumping rules be replaced by national or international competition rules?, World Competition, 1995, pp. 48‑53. 9 Ian Wooton and Maurizio Zanardi, Trade and Competition Policy: Anti‑Dumping versus Anti‑trust, University of Glasgow, 2002, p. 11. 10 Michael J. Trebilcock, Robert Howse and Antonia Eliason, The Regulation of Inter­national Trade, (3rd ed., Routledge, London, 2005), p. 250 et seq. 11 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑7 et seq. 12 The term was framed by F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 4. 13 Similarly, F. C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 11.

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reducing prices for goods or services.14 This focus mirrors, to a large extent, the basic concept enshrined in the Treaties establishing the European Union and in secondary legislation. Art. 101 (3) TFEU authorizes certain agreements among competitors that restrict competition if, in particular, consumers are to gain a “fair share of the resulting benefit”. Art. 102(b) TFEU prohibits abuses of dominant position, including practices aimed at “limiting production, markets or technical development to the prejudice of consumers.” As regards the authorization of mergers, the Commission has noted that “efficiencies have to benefit consumers” if the Commission is “to take account of efficiency claims in its assessment of the merger.”15 Over the last decades, this approach was coupled with an increased focus on, and influence of, an economic approach to competition law and policy. The Commission itself has repeatedly16 indicated the increasing importance of competition policy being rooted in economics and it has created the position of a chief economist (and an entire team of economists to assist the chief economist), and the position has traditionally been filled with preeminent economists. The more economic approach has also affected the analysis of price discrimination cases, including predatory pricing cases. And while the Commission may be more focused on economic analysis than the Court of Justice (which is at times viewed as somewhat less eager, for example as regards the question of loyalty rebates and as regards the question, when a company enjoys market power (i.e. a dominant position)), the criteria developed by EU Courts in cases such as Akzo,17 Tetra Pak II18 and France Télécom,19 require the Commission to conduct a comparative analysis of prices and costs and define abuse on the basis of economic data. Prices below average variable costs are typically considered an abuse. 20 Prices below average total costs, but above

14 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑2. 15 European Commission, Guidelines on the assessment of horizontal mergers under the Council Regulation on the control of concentrations between undertakings, OJ 2004 C‑31/5, para. 78. 16 See for example the Staff Working Paper on Best Practices for the Submission of Economic Evidence, available at: http://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/​best_practices_ submission_en.pdf, where the Commission states at para. 1: “Economic analysis plays a central role in competition enforcement. Economics as a discipline provides a framework to think about the way in which each particular market operates and how competitive interactions take place.” 17 Case C‑62/86, AKZO Chemie v Commission [1991] ECR I‑3359. 18 Case C‑333/94 P, Tetra Pak v Commission (“Tetra Pak II”) [1996] ECR I‑5951. 19 Case T‑340/03, ­France Télécom v Commission, ECLI:EU:T:2007:22, [2007] ECR II‑107; Case C‑202/07 P, France Télécom v Commission, ECLI:EU:C:2009:214, [2009] ECR I‑2369; see also Commission Decision in Case COMP/C‑3/37.990 Intel, OJ 2009 C‑227/13, as well as the General Court Judgment in Case T‑286/09, Intel v Commission ECLI:EU:T:2014:547. 20 Case C-62/86, AKZO Chemie BV v Commission [1991] ECR I-3359, para. 71, as to the types of costs considered relevant see Commission Communication, “Guidance on the Commission’s enforcement priorities in applying Article 82 of the EC Treaty to abusive exclusionary conduct by dominant undertakings”, OJ 2009 C 45/7.

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average variable costs, will normally only constitute an abuse if there is evidence of an exclusionary motivation.21 3. Policy Objectives of Antidumping Rules Under EU antidumping rules, measures can in principle be taken whenever there is dumping (a form of price discrimination) which causes injury (~harmful economic effects) to the EU industry of like (~competing) products. Sales below average costs play a role in determining the “normal value” (~price in the exporting country), because if the actual price is below total average cost in at least 80 % of the transactions, normal value will not be calculated based on price, but on cost of production plus reasonable profits.22 Hence dumping may occur, even if the exporter sells in the Union above average total costs23 (but charges an even more profitable, higher price in the country of origin). The existence of a predatory intention is not typically taken into account to establish dumping or injury. In addition, the requirement that “injury” to the EU industry must be caused by dumped imports shows that interests of EU producers play a central role in the assessment (more so than that of consumers). This is also reflected in the fact that investigations may only be started and measures may only be taken if they are supported by or on behalf of the Community industry.24 Nevertheless, with the evolution of competition policy, the Union has increasingly taken competition policy concerns into consideration when applying its antidumping rules, in particular by considering the effects of antidumping measures on competition. One reason for that is that under EU law adoption of antidumping measures does not only require the existence of dumping and injury caused by such dumping (which are the requirements mandated by WTO rules), but also requires that adoption of antidumping measures must be in the Union’s interest. Competition concerns can and are taken into account at that stage (as will be outlined in more detail below).25 Moreover, as a result of the Treaty of Lisbon, the Union institutions must ensure consistency between its trade policy and its competition policy, as is apparent from Art. 21 (3) (2) TEU.26 21 Case C 62/86, op. cit., Fn. 20, para. 72. 22 Art. 2 of Regulation (EU) 2016/1036 of the European Parliament and of the Council of 8 June 2016 on protection against dumped imports from countries not members of the European Union, OJ 2016 L  176/21, as amended (hereinafter the “Basic Antidumping Regulation”). 23 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 545, voices concerns if antidumping measures are adopted in such cases. 24 See Art. 5(4) of the Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22. 25 See section III.4.a)bb). 26 The relevance of Art. 21(3) (2) TEU for the Union’s commercial policy, and including its antidumping policy, is reinforced by Art. 205 (2) TFEU, which requires, that all of Part V (External action) of the TFEU (including Art. 207 on which the EU’s Basic Antidumping Regulation is based) “shall be guided by the principles, pursue the objectives and be conducted in accordance with the general provisions laid down in Chapter 1 of Title V of the Treaty on European Union” (which includes Art. 21(3)(2) TEU).

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However, many differences to the classical competition analysis remain, which may be a reflection of differences in the underlying policy objectives, which are explained below. a) The Rationale for Dumping Practices Dumping practices are by definition27 characterized by selling the same (or very similar, “like”) product at a higher price domestically than for export. It is a form of price discrimination in international trade.28 Such behavior can be rational for exporters in essentially two cases. First, exporters may be forced by their government to engage in such practices, for example, to overcome an imbalance of trade and the resulting shortage of foreign currencies. These are today29 relatively rare cases, because they are typically economically harmful to both the exporter and the country of export, at least in the medium to long term. Second, and more importantly, dumping can be economically rational for exporters when they are able to sustainably price in a discriminatory manner, without being constrained by a risk of arbitrage, i.e. the risk of exported goods being returned to the country of origin. If, for example, domestic prices and sales volumes are high enough to cover the full fixed costs of the entire production and the variable costs for products sold domestically, it would be sufficient to sell the production destined for export at or above variable (or at least marginal) costs to still improve the overall profitability of the undertaking in question, even if these sales are made below full costs. This will typically also help the “dumping” producer to reduce overall costs through economies of scale and/or scope. In the longer term, and assuming that producers in third countries targeted by the split pricing cannot sustain sales below full cost over a longer period of time, the “dumping” producer may even eliminate competition and then (later) enjoy supra‑competitive rents in the affected export markets.30 Yet dumping without market segregation is unlikely to occur. The reason is that dumping will not work, if the lower priced exports can easily be returned to the country of origin and the resulting sales price can be transferred out of the country of origin. In such a case, with some price adjustment for transportation costs and 27 See, inter alia, WTO, Uruguay Round Agreements, Agreement on Implementation of Art. VI of the General Agreement on Tariffs and Trade 1994 (the “Anti‑dumping Agreement” or “ADA”), available at: https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/​ 19%20adp_01_e.htm, Art. 2.1; see also Art. 1(2) of the EU’s Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22. 28 Wolfgang Müller, Nicholas Khan and Tibor Scharf, EC and WTO Anti‑Dumping Law – A Handbook, (2nd ed., Oxford University Press, Oxford, 2009), para. 1.06, p. 5; Pernille W. Jessen in Brigitte E. Olsen et. al., (eds.), WTO law – From a European Perspective, (first ed., Kluwer Law International, Alphen aan den Rijn, 2012), Chapter 10, p. 263 et seq. 29 See, however, J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑14, who reported this as a more widespread phenomenon in non‑market economies. 30 See also Till Müller‑Ibold, EU Trade Defense Instruments and Free Trade Agreements – Is Past Experience an Indication for the Future? Implications for Brexit?, in Marc Bungenberg, Christoph Herrmann (Ed.), Future of the EU Trade Defense Instruments, 2018 (publication pending).

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arbitrage, the exported products would compete with the domestic sales of the producer in the exporting country, thus nullifying any benefit the producer may have sought. In addition, if similar goods are produced in other countries, and can easily reach the home market of the producer, for example after having been displaced by its lower priced exports, they will undermine any potential benefit of such dumping, essentially in the same way as a return of the products exported at a lower price would. A key requirement for dumping therefore is an effective market segregation.31 Such segregation (or asymmetry in market access)32 can have different causes. First, private action may restrain (re‑)entry of products into the country of origin. Some “private” entry barriers can (in probably only few cases) result from unobjectionable consumer preferences, but they may also be induced by unilateral conduct of undertakings with significant market power (abuses of dominance, Art. 102 EU Treaty), result from anti‑competitive agreements between local competitors (e.g. boycott agreements) or result from indirect government action (government marketing campaigns benefitting domestic products (such as the famous “Buy Irish” campaign of the Irish government in the late 70s)).33 Second, market segregation and asymmetry in market access can result more directly from state action.34 The State may decide to protect its home market through customs measures (high duty rates used to be common), but recently non‑tariff barriers (such as regulatory restrictions and obscure product standards) or simply delay, and lots of red tape have become the more common avenues for discouraging or even preventing effective market access by third country producers.35 b) The Rationale for Combating Dumping Practices Yet, these policy concerns do not fully explain why antidumping practices are acted upon on the basis of the existing legal framework. From an economic perspective, dumping results in a resource and welfare transfer from the country of origin to the 31 Sylvia Baule in Horst G. Krenzler, Christoph Herrmann and Marian Niestedt, EU‑Außenwirtschafts‑ und Zollrecht, (10th ed., Beck Verlag, Munich, 2017), 70 – Verordnung 1225/2009, Erwägungsgründe, para. 76 et seq. 32 W. Müller, et. al., op. cit., Fn. 28, para. 1.06, p. 5; Themistoklis Giannakopoulos, A concise Guide to the EU Anti‑dumping/Anti‑subsidies Procedures, (First ed., Kluwer, 2006), p. 3; s. Baule in Krenzler. et. al., op. cit., Fn. 31. 33 Under EU law, such state action is incompatible with the free movement rules (e.g. Art. 34 TFEU, and Case 249/81, Commission v Ireland [1982] ECR 4005). 34 W. Müller, et. al., op. cit., Fn. 28, para. 1.09, p. 7, suggesting that dumping is typically a result of mercantilist government intervention. 35 A well‑known example from within the EU is the French decision in 1982 to require, just before then popular Japanese videorecorders for the Christmas holiday season were to be shipped to France, that all such VCRs needed to clear customs in the small and understaffed customs office of Poitiers, a small town in the middle of France. This virtually stopped all  such imports. See, inter alia, The New York Times (Paul Lewis), The latest battle of Poitiers, 1983, available at: https://www.nytimes.com/​1983/01/14/ business/the-latest-battleof-poitiers.html.

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country of destination, where consumers benefit from lower prices. Hence, prima facie, the effects may well be considered positive and desirable. Increased competitive pressure may also be viewed positively. Moreover, economists point towards the fact that it is in most instances unlikely that foreign and dumping producers are able to change course from any predatory pricing position without losing considerable market shares.36 Leading economists have pointed out that there is little economic evidence that dumping will typically lead to undesirable welfare effects,37 and John Temple Lang noted, as early as 1988, there was little evidence that dumped exports typically reflect predatory pricing policies.38 Nevertheless, asymmetric market access is a concern from the perspective of economic policy and for more general political reasons. Often it is difficult to identify the exact reasons for the asymmetry, and even more difficult to combat their root cause. It is also for this reason that the GATT 194739 and today the WTO rules (including the GATT 199440 and the antidumping agreement41) permit antidumping measures. However, the WTO rules do not make all price discrimination and not all forms of dumping illegal: antidumping measures are permissible if, and only if, the dumping causes injurious effects for a domestic industry.42 As said, asymmetric market access can result from private behavior, including anti‑competitive agreements and concerted practices (e.g. an exclusivity agreement of the dominant domestic producer with distributors for such products in the country of origin) or exclusionary practices, which may amount to an abuse of market power by a dominant producer. Such activities may be actionable under EU law, if the behavior has an effect in the EU, but such violation of Artt. 101 and 102 TFEU are difficult to pursue, in light of the territorial limitations of the Commission’s investigative and enforcement powers.43 The often quoted concern that the “dumping” producer 36 W. Müller, et. al, op. cit., Fn. 28, para. 1.06, p. 6. 37 See e.g., Gabriel Felbermayr, Economic Rationale and Relevance of TDIs, Global Trends and Empirical Evidence, Presentation given in the framework of the Conference on “The Future of Trade Defence Instruments: Global Policy Trends and Legal Challenges” held in Brussels, March 30 and 31, 2017; see also the critique of the traditional economic approach by W. Müller, et. al., op. cit., Fn. 28, para. 1.09 et seq., p. 7 et seq.; for further reference on the discussion of the economic and policy justification for anti‑dumping measures see also S. Baule in Krenzler et. al., op. cit., Fn. 31, para. 77; P.W. Jessen in B.E. Olsen, et. al., (ed.), op. cit., Fn. 28, p. 264 with reference to M. J. Treblicock, et. al., op. cit., Fn. 10, p. 250‑260. 38 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7–8, additionally referring to observations from economists in: Epstein, The Illusory Conflict Between Antidumping and Antitrust: A Comment, 18 Antitrust Bull., 1974, pp. 369‑79. 39 The General Agreement on Tariffs and Trade 1947 (“GATT 1947”), available at: https:// www.wto.org/english/docs_e/legal_e/gatt47_01_e.htm, Artt. VI:1 and VI:2. 40 The General Agreement on Tariffs and Trade 1994 (“GATT 1994”), available at: https:// www.wto.org/english/docs_e/legal_e/06%20gatt_e.htm, which incorporates Art. VI of the GATT 1947 by reference. 41 See Part I: Art. 1 ADA, op. cit., Fn. 27. 42 Art. VI:6 GATT 1947 and GATT 1994. 43 J. Temple Lang, op. cit., Fn.  4, p. 7‑22 et seq., correctly notes, that to the extent anti‑​ competitive  behavior has an effect on EU markets, the EU’s competition rules may well

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practices predatory pricing with the intent to monopolize the market may not have been proven very often,44 but the EU’s underlying policy objective of avoiding market segregation covers a much broader range of private actor anti‑competitive behavior than “just” predatory pricing.45 A similarly important rationale for acting against dumping practices and their underlying market access asymmetries are those caused by State interference, which is often linked to sovereign decisions by third country trading partners. EU antitrust rules will almost never cover sovereign action by third country governments. The EU has in most cases no power to force them to change their policies (expect those that are incompatible with WTO rules) and such policies may not be immediately apparent. For example, large trading partners of the European Union, such as India and China, are sometimes viewed as having both the economic potential and, at times, the political will to limit market access for third countries while expecting market access for their products.46 EU antidumping measures are then one instrument to combat such asymmetry, if the asymmetry leads to price discrimination and if the price discrimination leads to injurious effects in the Union. That State interference in undistorted markets is a concern for antidumping policy and has recently been expressly underscored. The phenomenon of sovereign market intervention, originally attributed mainly to “non‑market economies”, has been recognized to potentially affect also market economies, in no small part as a result of China becoming a market economy after the end of its special transitional period following WTO membership.47 The reasoning for a recent modification of the Basic Antidumping Regulation notes that special calculation rules in determining dumping should be applied if “reported prices or costs, including the costs of raw materials and energy, are not the result of free market forces because they are affected by substantial government intervention” [emphasis supplied].48 In such circumstances the Union can

have sufficient extraterritorial reach, to be able to sanction such behavior within the Union. The practical difficulty is, however, to obtain evidence and in this regard cooperation with antitrust enforcement agencies in a third country may not be a sufficient basis to address these concerns. 44 W. Müller, et. al, op. cit., Fn. 28, para. 1.09, p. 7. 45 Ibid. 46 Ibid. 47 See Artt. 15, 16 of the People’s Republic of China Accession Protocol to the WTO, available at: https://www.wto.org/english/thewto_e/acc_e/completeacc_e.htm, WT/L/432; see e.g., C. Hermann and Sophia Müller, Die Gewährung des “Markt­wirtschaftsstatus” gegenüber China im Antidumpingrecht – Ein Belastungs­test für die Europäische Wirtschaftsverfassung, 13 Europäische Zeitschrift für Wirt­schaftsrecht, 2017, p. 500 et seq.; Christian Tietje and Karten Nowrot, Myth or Reality? China’s Market Economy Status under WTO AntiDumping Law after 2016, 34 Policy Papers on Transnational Economic Law, 2011. 48 Regulation (EU) 2017/2321 of 12 December 2017, OJ 2017 L 338/1, recital 3, amending the EU’s Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22.

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determine normal value by reference to a constructed price, in which costs affected by government intervention are replaced by non‑distorted costs.49 In sum, market segregation is a prerequisite for effective dumping practices. Such market segregation is considered a problem, but it is often difficult to identify and combat the root cause for such segregation. The existence of dumping practices is an indicator of such segregation and, by combatting the dumping practices, the Union is acting against specific effects of such segregation on its domestic industry. However, the Union uses an imperfect tool, which does not directly deal with the root cause of the market access asymmetry but tries to soothe the symptoms by limiting certain harmful effects on the domestic industry. In the absence of other effective mechanisms, this tool is in many cases the only tool available. 4. Commonalities and Differences – 100 Years Later Roughly 100 years after antitrust and antidumping legislation was first introduced in the United States, it is apparent that the objectives of these rules (as applied in the EU (but also in the U.S.)) have significantly broadened, away from any focus or limitation on predatory pricing. Antitrust and competition rules provide broad protection against private behavior aimed at restricting competition. These rules are aimed at protecting the competitive process and at delivering benefits to market participants in a broad sense, including, in particular, consumers of products and services. Consumer welfare should be maximized. By contrast, and while antidumping rules are also aimed at protecting the competitive process and go beyond predatory pricing issues, they are more focused on combatting the effects of market segregation and asymmetrical market access. In light of limitations to the exercise of sovereign powers abroad, they do so by treating price discrimination (whether originating from private or sovereign action) as a proxy for unwanted market segregation, but limiting action to cases where perceived harmful effects on local production are detected (injury) and where “undue” effects on competition can be avoided (Union interest).

III. Competition Issues in the Application of EU Antidumping Laws – ­Peaceful Coexistence? 1. Introduction The legislative framework for antidumping proceedings is not similar to that for competition proceedings, and the substantive requirements and policy objectives are not the same either. Nevertheless, general principles of interpretation and (since 2009) Art. 21 (3)(2) TEU require a “consistent” approach as regards the implementation of 49 Art. 2(6a) Basic Antidumping Regulation, as amended by Regulation (EU) 2017/2321, op. cit., Fn. 48.

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conflicting policies. The Union’s courts have focused on the need to preserve the effet utile of the conflicting policies or interests. 50 The approach the institutions follow in applying and interpreting antidumping rules and competition rules consistently is analyzed below: first, as regards the process leading to the initiation of the procedure (section 2.), second as regards the procedural steps taken once an antidumping proceeding is underway (section 3.) and finally, third, as regards the question whether the measures taken on the basis of the procedure are consistent with the policy objectives under competition law (section 4.). 2. Competition Issues Before an Antidumping Proceeding’s Opened a) Preparing and Submitting a Complaint on Behalf of the “EU Industry” The EU’s Basic Antidumping Regulation51 stipulates, in Art. 5, that antidumping proceedings are normally initiated by the Commission “upon a written complaint” submitted “on behalf of the Union industry”, and that the complaint shall be considered to have been made on behalf of the Union industry “if it is supported by those Union producers whose collective output constitutes more than 50 % of the total production of the like product produced by that portion of the Union industry expressing either support for or opposition to the complaint”. In other words, in many cases the request can only be made on a coordinated basis by several competitors, which jointly request the Commission to initiate a process that is likely to lead to an increase in prices and to restrict product availability.52 Moreover, co‑complainants will need to provide, in the complaint, sensitive and recent information on, for example, their pricing, production, stock variations and sales in the EU market.53 The Commission’s own guide on how to prepare an antidumping complaint suggests that necessary data should be procured from multiple EU undertakings.54 By contrast, EU competition law (i) prohibits agreements between competitors, in particular those aimed at increasing prices and (ii) generally restricts the exchange of commercially sensitive information between competitors. Both the initiation of 50 Case C‑115/97 et. al., Albany v Stichting Bedrijfspensionenfonds [1999] ECR I‑5751, para. 60; see also Case C‑204/90, Bachmann v Belgium [1992] ECR I‑249; Case 53/81, Levin [1982] ECR 1035, para. 15; see also Hannes Rösler, Interpretation of EU law, in J. Basedow, K. J. Hopt and R. Zimmermann (eds.), The Max Planck Encyclopedia of European Private Law, (first ed., Oxford University Press, Oxford, 2012), pp. 978‑982; Gerard Martin Conway, Conflict of Norms in European Union Law and the Legal Reasoning of the European Court of Justice, 2010, available at: https://www.researchgate.net/publication/267238483_conflict_​ of_norms_in_european_union_law_and_the_legal_reasoning_of_the_european_court_ of_justice. 51 The EU’s Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22. 52 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 541 et seq. 53 European Commission, “How to make an anti‑dumping complaint – a guide”, available at: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2017/december/tradoc_156473.​12.12.17_final.pdf, paras. 67 et seq. 54 Ibid, for example at paras. 95, 112.

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antidumping proceedings and even more the adoption of antidumping measures typically lead to price increases so that an agreement between competitors seeking exactly that result would at first sight appear difficult to justify.55 Moreover, the Commission recognizes on the one hand that “information exchange is a common feature of competitive markets that generates various types of efficiency gains. It solves problems of information asymmetries, thereby making markets more efficient.”56 It says on the other hand “information exchange may lead to restrictive effects on competition. Most importantly, in situations where information exchange enables undertakings to be better aware of market strategies of their competitors (reduces strategic uncertainty in the market) it may facilitate collusion”.57 Hence, at first sight, there seems to be an inconsistency between the need to agree on the submission of a joint request and to share information between competitors under the Basic Antidumping Regulation compared to general notions of EU competition law. Before turning to the resolution of such inconsistency under EU law, it is useful to consider the example of the United States, where similar inconsistencies became apparent early on, and were resolved by the U.S. Supreme Court. aa) Background ‑ U.S. law – The Noerr‑Pennington Doctrine Under U.S.  law, cooperation between competitors, which is aimed at influencing government policy, benefits from a limited antitrust immunity that is based on the so‑called Noerr‑Pennington doctrine. The Noerr‑Pennington doctrine permits that competitors will agree to mutually support each other in bringing antidumping complaints to the competent governmental authority in various countries, to agree to provide sensitive information to such authorities, and, to a more limited extent, even share commercially sensitive information between competitors for purposes of bringing an antidumping claim. Under the Noerr‑Pennington58 doctrine, a good faith effort to influence federal or state governmental action is immune from the antitrust laws, even if that effort is anticompetitive in its intent or effect. The doctrine, however, does not immunize 55 See Armin Steinbach, Price Undertakings in EU Anti‑dumping Proceedings  – an Instrument of the Past?, 29 Journal of Economic Integration, 2014, pp. 181 et seq.; D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 541 et seq. 56 See for example, European Commission, [OECD] Roundtable on Information Exchanges between Competitors under Competition Law, Note by the Delegation of the European Union, October 2010, available at: http://ec.europa.eu/competition/international/ multilateral/2010_information_exchange.pdf, paras. 1 et seq. 57 Ibid., para. 2, with reference to the “tractor exchange” case law in Case C‑7/95 P, John Deere [1998] ECR I‑3111, para. 88, see also European Commission, “Guidelines on the applicability of Article 101 of the Treaty on the Functioning of the European Union to horizontal co‑operation agreements”, OJ 2011 C 11/1, paras. 77‑94. 58 The doctrine takes its name from the two Supreme Court cases establishing it: Eastern R.R. Presidents’ Conference v Noerr Motor Freight, Inc., 365 U.S. 127 [1961]; United Mine Workers of Am. v Pennington, 381 U.S. 657 [1965].

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“sham” activities, where the petitioning of governmental authorities is a mere cover for attempts to interfere directly with the competitive process, such as harassing a competitor with onerous, but frivolous, administrative proceedings.59 The doctrine, as construed by the antitrust authorities in the U.S., applies to comparable petitioning to foreign governments. The Department of Justice and FTC Antitrust Enforcement Guidelines For International Operations state that: “Whatever the basis asserted for Noerr‑Pennington immunity (either as an application of the First Amendment or as a limit on the statutory reach of the Sherman Act, or both) the Agencies will apply it in the same manner to the petitioning of foreign governments and the U.S. government.”60 Information exchanged among competitors within the context of an antidumping proceeding therefore implicates the Noerr‑Pennington petitioning immunity. To the extent that these exchanges are reasonably necessary for drafting the petition, Noerr‑Pennington protects against antitrust liability that would otherwise arise. But that protection is not necessarily automatic. Parties need to take care that any such exchange of information tends to be the least collaborative as possible under the circumstances.61 In a similar vein, parties must also take the necessary measures to ensure that the exchange of sensitive information needed for the antidumping petition cannot be used for anticompetitive purposes. Access restrictions or sharing through third parties are measures commonly taken to limit antitrust compliance risks. bb) Analysis under EU Law Similar to U.S. law, EU also recognizes that measures taken in good faith and aimed at influencing government action do not fall within the scope of Art. 101 (1) TFEU, even if the ultimate result of the resulting government action has anticompetitive intentions or effects. As under U.S. law, “sham” activities, where the petitioning of governmental authorities is a mere cover for attempts to interfere directly with the competitive process, are not exempt. EU law recognizes, implicitly, the right of enterprises to join together to request legislative or other governmental policy changes. This right exists even if the changes 59 See Noerr Motor Freight, Inc., 365 U.S.  [1965] at 144; City of Columbia v Omni Outdoor Adver., Inc., 499 U.S. 365, 380 [1991] (emphasis in original); Allied Tube & Conduit Corp. v Indian Head, Inc., 486 U.S. 492, 500 n.4 [1988]. 60 US Department of Justice, Antitrust Enforcement Guidelines for International Operations, 1995, para. 3.34 (Petitioning of Sovereigns), available at: https://www.justice.gov/atr/anti​ trust-enforcement-guidelines-international-operations. 61 Federal Trade Commission and Department of Justice, Antitrust Guidelines for Collaborations Among Competitors, 2000, available at: https://www.ftc.gov/sites/default/ files/documents/public_events/joint-venture-hearings-antitrust-guidelines-collaborationamong-competitors/ftcdojguidelines-2.pdf, para. 3.36 (b), stating: “If the participants could have achieved or could achieve similar efficiencies by practical, significantly less restrictive means, then the Agencies conclude that the relevant agreement is not reasonably necessary to their achievement.”

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desired would restrict competition in a way in which it would be illegal for the enterprises themselves to attempt.62 As regards antidumping proceedings conducted by EU institutions, such a right already follows from generally applicable principles of interpretation of EU law, according to which Art. 207 TFEU and the Basic Antidumping Regulation63on the one hand and Art.  101 TFEU and EU Regulation 1/200364 on competition procedure on the other hand must be interpreted so as to be consistent with one another.65Since the antidumping Regulation expressly requires petitions to be filed by “the Community industry” (defined as companies representing a major proportion of EU production by output) such Regulation requires or assumes that competitors cooperate in requesting antidumping measures. For that reason alone, such cooperation cannot be contrary to competition law, provided that the cooperation is limited to what is reasonably necessary for the purposes of the antidumping procedure.66 This follows, in particular, from the need to preserve the effet utile of EUlegislation, which the Union courts have underscored many times.67 The need for consistent interpretation has only be reinforced by the Lisbon Treaty.68 However, the recognition in EU law of the right to petition the government and to cooperate in such efforts without running afoul of competition law rules is more broadly based. The general approach under EU law has probably best been summarized by Advocate General Jacobs in his opinion in Albany.69 The case concerned a collective bargaining agreement, between unions and employers which provided that the employers would agree on a certain social insurance scheme and, importantly, would petition the competent minister to make the scheme compulsory for all companies in the sector. The Advocate General took the view that the agreement as between the participating employers to adopt a specific social insurance system was an agreement 62 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑43 et seq.; J. Temple Lang, European Union law Rules on State Measures Restricting Competition, Kilpailouikeudellinen Vuosikira  – Finish Competition Law Yearbook 2003, Chapter 3.5.2, p. 215 et seq., in particular p. 234. 63 The EU’s Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22. 64 Council Regulation (EC) No 1/2003 of 16 December 2002 on the implementation of the rules on competition laid down in Articles 81 and 82 of the Treaty, OJ 2003 L 1/1, as amended. 65 See on this for example J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7-4 and 7-90, explaining that “[this paper] is to explain that when, as in antidumping situations, the EC Institutions are obliged to reconcile and balance competition and other considerations, they are obliged to do so in such a way as to make all EC policies consistent with one another, and obliged, when appropriate, to do so explicitly, explaining the reasons, for their conclusions, and subject to judicial review.”; similarly F. C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 81. 66 J. Bourgeois, op. cit., Fn. 6, p. 63; J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7-43; D. Schroeder, op. cit, Fn. 2, p. 543 took an opposing view, noting that Art. 207 TFEU (then Art. 113 EEC) does not provide powers to derogate from Art. 101 TFEU (then Art. 85 EEC). 67 See section III.1. 68 See Art. 21 (3)2 TEU and section II.3., above. 69 Opinion of Advocate General Jacobs, Case C‑115/97 et. al., Albany v Stichting Bedrijfspensionenfonds [1999] ECR I‑5751; the Advocate General confirmed his views later in his Opinion in Case C‑180/98 et. al., Pavlov v Stichting Pensioenfonds [2000] ECR I‑6451, para. 153.

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between undertakings that could trigger the application of Art. 101 TFEU but that it was not a problem in the specific case, because the restrictive effect was minimal. From this AG Jacobs distinguished the agreement to petition the minister:70 ”Mere efforts on the part of undertakings to convince public authorities to extend the effects of a certain agreement to other economic actors are not caught by Article [101] (1). (…) First, such action by itself does not affect the competitive process or the freedom to compete of anyone. Any restriction is a consequence of subsequent State action. Secondly, coordinated application to the State authorities is part of our democratic societies. Natural or legal persons are entitled to organise themselves and to submit jointly their requests to the government or the legislature. The public authorities then have to decide whether the proposed action is in the public interest. They have sole power, but also sole responsibility for their decision. Accordingly, joint application to make affiliation compulsory is not caught by Article [101] (1) either” [emphasis supplied]. In both cases the Court of Justice implicitly concurred with the results of AG Jacobs. The Court’s reasoning puts the emphasis on a finding that the authorities of the Member States to be petitioned would not undermine the proper functioning of the competition rules, if they adopted the measures requested.71 Moreover, the Court concluded “that a request by the members of a profession for membership to be made compulsory cannot constitute an infringement of Article 85(1) of the Treaty”.72 The reference of AG Jacobs to the rights of coordinated application to the State authorities [being] part of our democratic societies is both an implicit reference to (i) the conceptual basis of the Noerr‑Pennington doctrine under U.S. law, and (ii) the right to associate in order to lobby for official action as protected by Art. 10 (freedom of expression) and Art. 11 (freedom of association) of the European Convention on Human Rights. The approach is consistent with that taken by both the Commission and the Court in the ITT Promedia,73 were both accepted and emphasized that companies always have the right to bring claims before courts. Since the Opinion was rendered, these rights, and the right to good governance, have been elevated to become part of the constitutional law of the EU by virtue of the Charter on Human Rights, that is annexed to the Treaties (in particular Artt. 10, 11 and 41 thereof). This Treaty development, in particular Art. 41, undoubtedly confirms the principle stated by Advocate General Jacobs, and gives it the same standing in the hierarchy of EU legal principles as the competition rules in Artt. 101‑102 of the TFEU. cc) Application in Practice The right to agree to file a joint antidumping complaint and the right to exchange information for that purpose, do not extend beyond what is reasonably necessary for 70 Opinion of AG Jacobs in Albany, op. cit., Fn. 69 paras. 288 et seq. 71 Opinion of AG Jacobs in Albany and Pavlov, op. cit., Fn. 69. 72 In Pavlov, op. cit., Fn. 69, paras. 98‑99. 73 Case T‑111/96, ITT Promedia v Commission [1998] ECR II‑2937.

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that purpose.74 As a practical matter, companies intending to request the initiation of trade defense procedures would therefore be well advised to take a number of practical measures to reduce the risk that cooperation with competitors in connection with the filing of an antidumping request could be viewed as anti‑competitive. A distinction can be drawn between the agreement in principle between competitors to cooperate in petitioning the government and the various ancillary measures and steps that may be taken in order to actually cooperate, such as, in particular the exchange of information needed or considered useful in the process of preparing a petition to the government. The agreement in principle among competitors to cooperate in requesting government action is at the heart of the antitrust immunity provisions outlined above. Such an agreement in principle will thus squarely fall within the scope of the antitrust immunity outlined above (unless it is a sham, see below). As regards the ancillary steps needed to formulate an effective petition, antitrust immunity may be heightened if the otherwise sensitive information needed for that purpose is not exchanged directly between the parties in question, and by not releasing any individual company’s commercially sensitive information that has been submitted to a third party (such as an accountant or lawyer) to anyone other than the party that provided it and the government or Commission (as part of the request to initiate proceedings). Drafts of the petition (incl. confidential annexes to the petition) should be prepared and exchanged by counsel with the participating complainants in such a way that the confidential information of each party is maintained to the extent possible.75 b) Sham Proceedings and Other Exceptions It is equally clear, however, that attempts by undertakings to take “their rights into their own hands” or use government action to sanction pre‑existing illegal behavior will not escape antitrust scrutiny. Legally, the principle outlined above allows companies to take all necessary and reasonable steps to ask for legislation or other genuine government action (even if the result is a restriction of competition), but does not allow them to behave as if the legislation had already been enacted or to abuse such process for sham requests.76 One example for the Commission’s approach is its decision in French‑West African Shipowners’ Committees. In that case ship owners had gotten together and entered into a market sharing arrangement for certain shipping services and used the resulting dominant position to force others to join the arrangement. In order to better police the arrangement they took various steps, including by requesting the governments of certain African countries to adopt rules sanctioning violations of their agreements. The Commission took the view that in such circumstances the lobbying efforts were no 74 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑44; P. Vandoren, op. cit., Fn. 6, p. 4. 75 This is essentially the practical solution that was already advocated by D. Schroeder in 1990, op. cit., Fn. 2, p. 543 et seq. 76 See for example J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7-70 et seq.; P. Vandoren, op. cit., Fn. 6; J. Bourgeois, op. cit., Fn. 6.

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longer legitimate and could not benefit from the principle, that lobbying is not, in and by itself, an antitrust violation.77 The Community Courts have endorsed that position. For example, in Compagnie Maritime Belge,78 the defendant argued that its dominant position and its enforcement of a dominant position resulted from an agreement with the government of Zaire and that its negotiation and the nature of its agreement with the government should be immune from antitrust scrutiny, referring expressly to the U.S.  Noerr‑Pennington case law.79 The Commission80 and the General Court81 did not accept that argument, because the agreement (and a subsequent international agreement between Belgium and Zaire) did not mandate the unilateral, abusive behavior. On appeal the ECJ took a slightly different approach. The Court held that attempting to enforce contractual rights (in an abusive manner) arising under a contract with a government is not the same as attempting to influence government policy, because in the former case the State (as a contracting party) is required to honor the contract, while in case of genuine attempts to influence government policy, it is the State that exercises its discretion.82 That approach is squarely consistent with the position taken by AG Jacobs in Albany. A few examples for behavior that would be unlikely to be covered by the exception are outlined below: Frivolous claims. If several EU producers agree to file an antidumping complaint even though they know that the requirements for the initiation of a proceeding are clearly not met, such action is unlikely to be exempt from antitrust scrutiny. Such frivolous claims may be made in order to intimidate exporters, or in the hope, that the simple fact that a complaint has been submitted alone will be enough to influence markets and to increase prices.83 Proceedings with ulterior anticompetitive objectives. As mentioned above, antidumping proceedings will, by nature, be aimed at restricting competition and will typically lead to higher prices. That is part of the design and cannot, therefore, be objected to. However, antidumping complaints may in some cases have the objective of consolidating other anticompetitive conduct, for example, helping to police an existing anticompetitive arrangement. The ferro‑silicon case84 is an example that EU 77 Commission Decision of 1 April, 1992, in Case IV/32.450 “French‑West African shipowners’ committees”, OJ 1992 L 134/1, para. 68. 78 Case T‑24/93 et. al., Compagnie Maritime Belge Transports v Commission [1996] ECR II‑1201. 79 Ibid., para. 88. 80 Commission Decision in Case 93/82/EEC of 23 December 1992, OJ 1993 L 34/20, para. 97. 81 Case T‑24/93 et. al., op. cit., Fn. 78, paras. 103‑112. 82 Case C‑395/96P, Compagnie Maritime Belge v Commission [2000] ECR I‑1365 at para. 82. 83 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑44. 84 Commission Regulation (EEC) No 1361/87 of 18 May 1987, imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of ferro‑silico‑calcium/calcium silicide originating in Brazil, OJ 1987 L 129/5; see also Commission Decision in Case IV/32.450 and the ECJ judgment in Case T-24/93, op. cit., Fn. 78 and 80.

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producers tried to strengthen and improve the effects of and the control over a cartel arrangement. The use of antidumping proceedings for such illicit purposes is abusive and no antitrust immunity will arise as regards such agreements and the measures taken to implement them, even if antidumping protection is requested or granted.85 Signaling. The European Industry might try to influence the market behavior of their competitors by publicly threatening to file antidumping complaints or to make a public announcement that such a complaint has been filed. In principle, such public statements may be used to signal to competitors that they cannot sell below a certain price threshold.86 Nevertheless, such signaling is unlikely to be a problem per se. It may be appropriate to make public statements to attract the attention of other, perhaps unknown EU producers or to alert the user industry. However, if such an announcement is made, even though no complaint has or will be filed, or if the complaint would be frivolous, than such action is itself frivolous and more akin to “taking the matter in one’s own hands” (because no real government action is envisaged or expected). In such a case, antitrust immunity is unlikely to be available.87 The European Commission, to my knowledge, has never taken action under EU competition law against companies that had cooperated in good faith with the aim of convincing the Commission to adopt antidumping measures under the Basic Antidumping Regulation or its predecessors,88 even though exporters have made attempts to characterize the filing of antidumping complaints as an abuse of a dominant position under Art. 102 TFEU (see below at III.2.c)). It is nevertheless surprising that the Commission (DG Trade), in its guide to the preparation of antidumping complaints, suggests submission of very sensitive, company specific data, without at the same time providing any guidance on potential antitrust pitfalls of the underlying information exchange. c) Market Power of the EU Industry A further important question that arises in connection with filing an antidumping complaint is whether the complaint as such can be an abuse of market power (or a dominant position) under Art. 102 TFEU by the Union industry. A dominant position 85 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑45, with reference to the ferro‑silicon case; some of the underlying issues are discussed – in a different context – by the General Court’s judgment in Case T-472/13, H. Lundbeck A/S and Lundbeck Ltd. v Commission [2016] ECLI:EU:​ T:2016:449. 86 P. Vandoren, op. cit., Fn. 6, p. 5. For concrete examples of public statements on anti‑dumping complaints, see e.g. P. Bullock, Chinese steel‑pricing complaint lodged at EU Commission, (MLex), March 6, 2015, P. Bullock, EU steelmakers weigh dumping complaint on Chinese rebar, (MLex), December 16, 2014, and P. Bullock, EU solar‑glass makers prepare complaint against Chinese tariff dodging, (MLex), December 24, 2014. 87 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 66, leaving open the question in which circumstances signaling would be problematic. 88 Similarly, but as regards to a much earlier point in time, J. Temple Lang, op. cit., Fn.  4, p. 7-46 et seq.

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may be present as a result of the strong market position of a particular producer in the  Union,89 or can take the form of collective dominance by all participating complainants.90 The short answer is that a filing of a complaint as such (with the exception of a meritless, frivolous claim) is not abusive. The answer follows quite clearly from the need to read EU antidumping laws and competition rules in such a way that both are consistent with one another and with the EU’s equivalent of the Noerr‑Pennington doctrine, as outlined above.91 This conclusion was endorsed by the General Court in Industrie des Poudres Sphériques (“IPS”). IPS (a user of calcium metal) appealed a Commission (DG Comp) decision rejecting its complaint that the sole EU producer of calcium metal (Pechiney Electrométallurgie) abused its dominant position contrary to Art. 102 TFEU (then Art. 86 EC) by filing a (successful) antidumping complaint against imports of calcium metal originating in China and Russia. The General Court confirmed that the use of the antidumping procedure could not, by and in itself, constitute an abuse: “recourse to a remedy in law and, in particular, participation by an undertaking in an investigation conducted by the Community institutions, cannot be deemed, of itself, to be contrary to Article 86 of the Treaty”.92 However, this holding does not insulate complainants from exposure resulting from related but independent abuses or from frivolous claims. The Commission and the EU courts have exceptionally held that the frivolous use of administrative and judicial proceedings can constitute an abuse of dominance under limited circumstances. In ITT Promedia93 and Protege International,94 the General Court held that the initiation of legal proceedings could constitute an abuse of a dominant position when the legal action (i) is manifestly baseless, and (ii) proves to be part of a plan to eliminate competition, i.e. in case of frivolous claims.95 At the same time, the EU’s Noerr‑­ Pennington doctrine equivalent does not justify taking “the law into one’s own hands”. Hence, unilateral conduct (going beyond the submission of an antidumping complaint) which seeks to ensure results similar to (but which are not a direct result 89 For a definition of the term “dominant position” see ECJ, Case 27/76, United Brands v Commission [1978] ECR 207, at para. 65 or the Guidance on the Commission’s enforcement priorities, op. cit., Fn. 20, at para. 10. 90 Art. 102 TFEU applies to “one or more undertakings”, meaning that a dominant position may be shared by two or more undertakings, see e.g., Case T-68/89 et. al., Società Italiana Vetro SpA, Fabbrica Pisana SpA and PPG Vernante Pennitalia SpA v Commission (“Italian Flat Glass”) [1992] ECR-II-01403, at para 358; Case C-393/92, Almelo v NV Energiebedrijf Iysselmij, 1994, ECR I-1477, at para. 42; see also Richard Wish and David Bailey, Competition Law, (8th ed., Oxford University Press, Oxford, 2015), p. 607 et seq.; and J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑47. 91 See section III.2.a)aa). 92 Case T‑5/97, Industrie des Poudres Sphériques v Commission [2000] ECR II‑3755, para. 213; see also Case C-170/13, Huawei Technologies Co. Ltd v ZTE Corp [2015] ECLI:EU:C:2015:477 at paras. 46-47. 93 Case T‑111/96 ITT Promedia NV v Commission [1998] ECR II‑2937. 94 Case T‑119/09 Protégé International v Commission [2012] ECLI:EU:T:2012:421. 95 F. C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 77; J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7-46 et seq.

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of) the outcome of administrative proceedings are unlikely to benefit from antitrust immunity.96 There are, moreover, a few exceptional cases, which appear to turn on the specifics of the respective situations. The Commission, in AstraZeneca, considered as an abuse the application to a public authority by a holder of a market authorization for a medicinal product to end such authorization (which had a competition restricting knock‑on effect on generic manufacturers), “in particular where the authorities or bodies applying such procedures or regulations have no or little discretion.”97 Limited exceptions may exist in yet another specific context, namely “standard essential patents”, generally characterized by a commitment by the holder of such a patent to license it on “fair, reasonable and non‑discriminatory [FRAN] terms” to anyone.98 Against this background the Commission held in Motorola that it may in “exceptional circumstances” be an abuse to “seek and enforce” an injunction on a patent (rather than litigating the terms of the license).99 In Samsung, the EU Commission even suggested that the mere application to a court to seek an injunction can be abusive, even if it is not granted or not enforced.100 The Court of Justice, in Huawei, has recently attempted to further clarify the issues surrounding standard essential patents, which the Court expressly distinguishes from other instances, in which court proceedings are initiated as regards intellectual property rights.101 These cases are fairly specific to the context in which they arise. This risk of such a context spilling over to the lodging of an antidumping complaint appears to be remote. 3. Competition Issues During the Investigation Competition issues also arise once the Commission has initiated an antidumping proceeding. By way of introduction it is useful to explain some of the procedural differences that play a role in this context, because although antitrust investigations and

96 Some related underlying issues are discussed — in a different context — in the General Court’s judgment in Case T-472/13, H. Lundbeck A/S, op. cit., Fn. 85. 97 Commission Decision 2006/857/EC of 15 June 2005 relating to a proceeding under ­Article 82 of the EC Treaty and Article 54 of the EEA Agreement (Case COMP/A.37.507/ F3 — AstraZeneca), OJ 2006 L 332, p. 24, the full text being available at: http://ec.europa.eu/ competition/antitrust/cases/dec_docs/37507/37507_193_6.pdf, para. 747. 98 In this context, see also F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 77. 99 Commission Decision of 29 April 2014 in Case AT.39985, Motorola  – Enforcement of GPRS Standard Essential Patents, OJ 2014 C 45/7; as “exceptional circumstances”, the Commission referred to the standard‑setting context and the SEP owner’s commitment to give a license on FRAND terms. 100 Commission Decision of 29 April 2014 in Case AT.39939, Samsung  – Enforcement of UMTS Standard Essential Patent, OJ 2014 C 350/8; F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 77, takes the view that the Samsung case is difficult to reconcile with the ITT Promedia case law and Samsung may be equally difficult to reconcile with the more recent Huawei judgment (see Fn. 93). 101 Case C-170/13, Huawei Technologies Co. Ltd v ZTE Corp, ECLI:EU:C:2015:477, paras. 4651.

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antidumping proceedings are conducted by the Commission, the procedural setting is quite different. Antidumping proceedings are characterized by the input provided by complainants and exporters (and other interested parties) who make their case to the Commission. Real own‑initiative investigations of the Commission are very rare. Consistent with this approach, the Commission has very limited powers of compulsion. Rather, interested parties make “voluntary” submission of facts to the Commission. No party is required to respond to Commission questionnaires. However, if no information is submitted, the Commission is entitled to use “facts available”,102 which will normally be facts detrimental to the interest of the non‑cooperating party. The Commission decides on the basis of the resulting record. In antidumping cases the Commission must come to a decision within 15 months from initiating the proceedings.103 By contrast, in regular competition cases, the Commission investigates, both on its own motion or at the request of interested parties. Parties located or doing business in the Union must cooperate, provide information and submit to searches, based on orders issued by the Commission (in the form of decisions), but subject also to the traditional territorial limitations of sovereign powers outside the Union. Cooperation is an obligation for undertakings and failure to comply may lead to the imposition of fines.104 There are practically no limitations on the duration of antitrust investigations. Against this procedural background a number of competition issues can be identified as regards the conduct of antidumping proceedings. a) Confidentiality and Access to File The Commission acts on the basis of the factual information provided by interested parties. Typically, the information provided is very detailed and (at the time the proceedings are initiated) very recent. It includes, in particular, information, which the Commission considers, in an antitrust context to be “strategic”,105 (i.e., which relates to actual prices, discounts, increases, reductions and rebates) both in the EU and (as regards exporters) in the country of export, customer lists, a very detailed breakdown of production costs, quantities sold and produced, turnovers, production capacities, stock levels, investments and investment plans, etc. In principle, interested parties have access to a case file version of the Commission that is “open to inspection by interested parties”. To protect the confidentiality of 102 Art. 18 of the Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22. 103 Art. 6(9) of the Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22, which follows an imposition from Art. 5.10 of the WTO Anti‑Dumping Agreement, stating that investigations should be concluded within one year and under special circumstances within a maximum of 18 months. 104 Council Regulation (EC) No 1/2003 of 16 December 2002, on the implementation of the rules on competition laid down in Article 81 and 82 of the Treaty, OJ 2002 L1/1, Artt. 20(4) and 23. 105 See section III.2.a).

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information, Art. 19 of the Basic Antidumping Regulation provides, on the one hand, that “any information which is by nature confidential (…) or which is provided on a confidential basis by parties to an investigation shall, if good cause is shown, be treated as such”. On the other hand, Art. 19 specifies, that interested parties requesting confidential treatment are “required to provide non‑confidential summaries thereof. Those summaries shall be in sufficient detail to permit a reasonable understanding of the substance of the information submitted in confidence.” Given the strategic nature of the information, issues under EU antitrust rules arise if such information is exchanged between competitors, and the interested parties in an antidumping proceeding will, to a significant extent, be competitors.106 Since the Basic Antidumping Regulation does not require each party to make information available, and provides for certain tools to limit access to confidential information, one could argue that the normal antitrust rules fully apply. Yet at the same time, it is  clear that the Basic Antidumping Regulation encourages full information to be  provided to the Commission and that confidential information provided to the  Commission must be summarized in “sufficient detail to permit a reasonable understanding of the substance of the information” and disclosed to all interested parties. In real life, parties typically err on the side of disclosing as little information as possible. That also limits their antitrust risks. However, access to the file and the level of information in the non‑confidential summaries are actively monitored, and additional disclosure is often encouraged or requested by the staff of DG Trade’s Hearing Officer. It is submitted that, to the extent the hearing officer is requesting that a particular level of information be made available to the non‑confidential file (accessible to competitors), compliance with such request should not normally be considered an antitrust infringement, as the disclosure of such information is less likely to be conducive to collusion between the parties, if done openly and under the control of the Commission (even if the Commission, strictly speaking, cannot force parties to disclose anything). b) Joint Commission Hearings of Exporters and Importers The Basic Antidumping regulation provides in Art. 6(6) for the possibility that the Commission would organize hearings in which all interested parties, and particularly the opposing Union industry parties and the exporters are present. It is obviously useful for the conduct of an antidumping investigation that parties have an opportunity to present “their” evidence and that the opposing parties have an opportunity to rebut such arguments, with an aim to identify strengths and weaknesses, which the Commission can then take into account in adjudicating on the merits. 107 From a competition perspective three potential issues arise. First, the Union industry and exporters might have an interest in settling the matter, or coming to some kind of 106 See section III.2.a). 107 See D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 544.

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an agreement on the “appropriate” level of measures to be taken, or to agree that specific types of measures (undertakings, rather than ad‑valorem duties) should be used.108 By reaching that kind of an agreement, parties will typically be “taking the law into their own hands” and losing any protection from the EU’s equivalent of the Noerr‑Pennington doctrine. Hence any discussions of this kind would be inappropriate and parties would be well advised not to participate (and even distance themselves from any suggestion that any such agreement had been reached). The Hearing Officer and its staff presiding over such meetings should, if necessary, interfere and discourage any such discussions. Second, exporters can, on the basis of unilateral decisions, offer “undertakings” to the Commission, which in effect are agreements with the Commission to limit volumes or respect certain minimum prices or both of exports to the EU in lieu of the Commission adopting measures. Undertakings are not agreements between competitors (but with the Commission) and are specifically provided for in Art. 8 of the Basic Antidumping Regulation. They may be undesirable from a competition policy perspective, but they are lawful agreements, even from a competition law standpoint.109 However, agreements between exporters and the Union industry that undertakings will be offered and that the Union Industry will support the Commission accepting them are unlikely to be covered by the EU’s Noerr-Pennington equivalent. The third concern is again the risk of engaging in an illicit exchange of information. That concern has been partially addressed by the drafters of the Basic Antidumping Regulation. Art. 6(6) 2nd and 3rd subparagraphs provide as regards such joint hearing: “(2) Provision of such opportunities shall take account of the need to preserve confidentiality and of the convenience to the parties. (3) There shall be no obligation on any party to attend a meeting, and failure to do so shall not be prejudicial to that party’s case.” Hence, interested parties can take measures to maintain the confidential nature of information provided to the Commission. Nevertheless, a certain level of exchange of relevant information can be justified. Such hearings, if organized at all, are usually held at a time, when the proceedings are at a reasonably advanced stage, and underlying data will usually refer to an “investigation period” which ended just prior to the initiation of the proceeding, so that most of the concrete “strategic” information will then be at least a year old, and hence competitively less relevant. And, disclosure of information to make a particular point during such a hearing is at the same time likely to facilitate a Commission investigation (public policy interest) and less likely to be indicative or conducive to collusion or coordination between the (at that point adversarial) parties. Both elements will affect the balancing of interests under Art. 101 (3) TFEU. As a result, there should be additional room for disclosure of some specific information in the framework of such a hearing, but parties (and DG Trade’s hearing officer) need to remain vigilant and restrictive as regards the disclosure of confidential information.

108 Ibid. 109 See section III.4.b) for more details.

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4. Competition Issues in Adopting Measures a) General Competition Issues Considered in Adopting Measures Competition issues play an actual role and need to be considered by the Commission when it decides on the imposition of measures. As mentioned, Art. 9 of the Basic Antidumping Regulation requires that measures cannot be imposed if they are not in the Union interest, and Art. 21 details that “the need to eliminate the trade distorting effects of injurious dumping and to restore effective competition shall be given special consideration” (emphasis supplied). The Commission (as well as the other EU institutions) is aware of the potential for conflict between general competition and antidumping policies. The Commission’s attempt to take account of competition policy objectives is indeed apparent from its decisional practice. aa) Competitive Effects on Users and Consumers The Commission has repeatedly indicated that it is concerned about the effect antidumping measures would have on the users of the product concerned in the Union.110 The Commission has considered, in particular, whether the users in Union users would continue to have access to sufficient volume of the product concerned from various sources of supply at prices not directly affected by the antidumping measures. A few examples are indicative of the Commission’s approach which has, in some cases, led it to conclude that certain measures should not be adopted:111 ȤȤ In Calcium metal the Union imposed measures against imports from China and Russia.112 The Commission concluded that users would be able to source calcium metal not only from the EU producer but also from producers in the United States and Canada that were not subject to measures. It added the EU users would also be able to source from Russia and China at non‑dumped prices. ȤȤ In citric acid originating in China, the Commission113 noted that even if the production of the Union industry would run at full capacity, it would only be able to meet 75 % of the EU demand. In addition, there was only one non‑Chinese source of citric acid which could supply 3 % of Union demand. Nevertheless, measures were, after review, extended, because the low price level of the Chinese exporters had led to the elimination of three other Union producers. On balance, 110 See also F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, paras. 21-26. 111 See also F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, paras. 30-40, with a number of additional examples, for competition related concerns, including those used as a “competition offense”. 112 Commission Regulation (EC) No 892/94 of 21 April 1994 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of calcium metal originating in the people’s Republic of China and Russia, OJ 1994 L104/5 paras. 43-45. 113 Commission Regulation (EC) No 488/2008 of 2 June 2008 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of citric acid originating in the People’s Republic of China, OJ 2008 L 143/13.

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the Commission considered that the restrictions of available capacity and the duopolistic market structure was a consequence, not of the measures, but of the dumped prices of the Chinese exporters. In addition, and in spite of earlier measures, citric acid from China continued to have a market share of between 35 % and 45 %. In such circumstances, the Commission saw a risk that the only two remaining EU producers would be forced to exit the market if measures were discontinued and prices would revert to dumped levels. On balance, the Commission found that because security of supply was an important consideration, it would not be in the Union’s interest if EU users of citric acid became even more dependent on Chinese imports.114 ȤȤ A similar approach was taken in Graphite electrode systems.115 The Commission explained that “restoring fair market conditions” through the imposition of measures would “not only benefit Community producers, but also alternative supply sources like for example non‑dumped imports.”116 Therefore, the risk of negative effects on competition and the market structure would be reduced. ȤȤ In Coumarin there were no actual alternative suppliers, but account was taken of potential entrants since “there are indications that other coumarin production regions are emerging, e.g. in India. Consequently, it is very unlikely that the Community producer would find itself in a monopolistic situation as a consequence of the imposition of an antidumping duty.”117 ȤȤ By contrast, the EU institutions did not impose measures and held that there were “compelling reasons why the imposition of definitive measures on imports of synthetic handbags [was] not in the interest of the Community”, because, “should a definitive duty be imposed, a shortage in supply will occur, at least in the short term, thus restricting consumer choice”.118 The relevance of measures for the various downstream users is also considered from the perspective of the cost increase for the Union users and their customers. The Institutions seem to accept, in this context, that measures will generally increase prices (and hence, costs) for users. In Peroxosulphates, users had argued “that prices increased after the imposition of the provisional Regulation from suppliers not subject to 114 Commission Implementing Regulation (EU) 2015/82 of 21 January 2015 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of citric acid originating in the People’s Republic of China, OJ 2015 L 15/8, paras. 157 et seq. 115 See also F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 33. 116 Commission Regulation (EC) No 1009/2004 of 19 May 2014 imposing a provisional antidumping duty on imports of certain graphite electrode systems originating in India, OJ 2004 L 183/61, para. 105. 117 Council Regulation (RC) No 600/96 of 25 March 1996 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of coumarin originating in the People’s Republic of China, OJ 1996 L 86/1, para. 26. 118 Council Regulation (EC) No 1567/97 of 1 August 1997 imposing a definitive anti-dumping duty on imports of leather handbags originating in the People’s Republic of China and terminating the proceeding concerning imports of plastic and textile handbags originating in the People’s Republic of China, OJ 1997 L 208/31, paras. 105‑111.

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any antidumping duty.” The Commission, however, took the view “that the expected effect of an antidumping duty is to increase price levels in the Community market and thus to compensate for the price pressure suffered by the Community industry from the dumped imports. It is noted that non‑dumped imports are in competition with the dumped imports and may also be affected by the same price pressure”.119 In the majority of cases the institutions have justified cost increases , because the impact on the costs for users was limited.120 But even if cost consequences were not negligible, measures have been adopted. A good example is the bicycles case (probably the case in which measures have lasted longer than in any other case), where the Commission considered that the “temporary inconvenience” (sic!) of higher prices generated by antidumping measures on Chinese bicycles was less significant than the negative consequences of renouncing to duties for the EU industry in terms of jobs and activity. 121 In sum, it appears that to the extent measures are likely to lead to an actual shortage of supply, the Union had taken action by limiting the scope or scale of its antidumping measures. By contrast, if antidumping measures “merely” lead to price (and hence cost) increases, the institutions have often concluded that the price increase is a natural consequences of the earlier artificially low price, which would disappear (return to normal) after the imposition of measures.122 Such increase will therefore often be unavoidable, and the objective of protecting the Union industry, at the expense of its customers reflects differences in the underlying policy objectives. bb) Effect on Market Structure The Commission has also repeatedly indicated that it is concerned about the effect antidumping measures would have on effective competition. For that reason it has considered arguments that the imposition of antidumping duties would reduce

119 Council Regulation (EC) No 1184/2007 of 9 October 2007 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of peroxosulphates (persulphates) originating in the United States of America, the People’s Republic of China and Taiwan, OJ 2007 L 265/1, paras. 125‑126. 120 See for example, Council Regulation (EC) No 383/2009 of 5 May 2009 imposing a definitive anti‑dumping duty pre‑ and post‑stressing wires and wire strands of non‑alloy steel (PSC wires and strands) originating in the People’s Republic of China, OJ 2009 L 118/1, para. 67; see also Commission Regulation (EC) No  1187/2008 of 27 November 2008 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of monosodium glutamate originating in the People’s Republic of China, OJ 2008 L 322/1, para. 55. 121 Commission Regulation (EEC) No 550/93 of 5 March 1993 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of bicycles originating in the People’s Republic of China, OJ 1993 L5 8/12, para. 64; see also for example Case C‑179/87 Sharp Corp. v Council [1992] ECR I‑1635, para. 59: “The institutions therefore took the view that the need to protect Community industry was more important than the need to protect the immediate interests of consumers.” 122 See above, see J. Temple Lang, op. cit., Fn. 3, p. 7‑24 et seq.

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competition, would lead to a monopolistic123 or oligopolistic124 market structure in the Union or would reduce the number of supply sources in the EU by effectively eliminating exporters from the market.125 The institutions have, in a relatively small number of cases, referred to the effects measures would have on the structure of the market of the product concerned. However, when they decided not to adopt measures, that was generally primarily related to the adverse effect of such measures on legitimate consumer interests, while references to adverse effects on market structure were of secondary nature, more like an afterthought. Examples can be found in Photo albums, Handbags and Certain laser optical reading systems.126 Nevertheless, the Institutions have considered the effect of taking antidumping measures on market structure in a broader context. The counterfactual used is often not the situation before and after the imposition of measures, but account is taken of the longer term market development127 and the effects of the price discrimination (dumping) prior to the initiation of proceedings. In more recent cases institutions have also analyzed the expected market situation post imposition of measures in some degree of detail. The Threaded tube or pipe case fittings case is an example. Several parties had claimed that the adoption of measures would lead to a “duopoly” of the two main complainants in the Union. The Council considered the argument but came to the conclusion that “the current market share of 123 Council Regulation (EC) No 137/96 of 22 January 1996 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of refractory chamottes originating in the People’s Republic of China, OJ 1996 L21/1, para. 24. See also, Council Regulation (EC) No 1331/2007 of 13 November 2007 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of dicyandiamide originating in the People’s Republic of China, OJ 2007 L296/1, para. 106. 124 Council Regulation (EC) No 1193/2008 of 1 December 2008 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of citric acid originating in the People’s Republic of China, OJ 2008 L 323/1, para. 74; see also Commission Regulation (EU) No 1071/2012 of 14 November 2012 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of threaded tube or pipe cast fittings, of malleable cast iron, originating in the People’s Republic of China and Thailand, OJ 2012 L 318/10. 125 Commission Regulation (EC) No 394/96 of 4 March 1996 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of polyester staple fiber originating in Belarus, OJ 1996 L 54/10, para. 73; see also, Council Regulation (EC) No 172/2008 of 25 February 2008 imposing a definitive anti‑dumping duty (…) on imports of ferro‑­silicon originating in the People’s Republic of China, Egypt, Kazakhstan, the former Yugoslav Republic of Macedonia and Russia, OJ 2008 L 55/6, para. 107. 126 Commission Decision of 22 May 1990 accepting undertakings given in connection with the anti‑dumping proceeding concerning imports of photo albums originating in South Korea and Hong Kong, (…), OJ 1990 L138/48, para. 43; Regulation 1567/97, op. cit., Fn.  118, paras. 105‑111; Commission Decision of 21 December 1998 terminating the anti‑dumping proceeding concerning imports of certain laser optical reading systems (…) originating in Japan, Korea, Malaysia, the People’s Republic of China and Taiwan, OJ 1999 L 18/62, para. 18. 127 Regulation 1193/2008, op. cit., Fn. 124, paras. 74‑75.

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these two groups are comparably low, giving the alleged “duopoly” a rather moderate market share of around 30 %. [The Council then analyzes the prospects of other players.] All in all, the presence of such a substantial number of players on the Union market indicates that the risk of an anti‑competitive duopoly dominating the Union market is low”.128 By contrast, in Potassium Chloride,129 competitive concerns linked to the market structure were rejected (because duties were found to stabilize the Union industry, which would otherwise disappear) but the Commission decided to put a complex minimum import price system in place, plus a system to manage imported volumes, which was so complex that it could not be established in the framework of the definitive duty regulation, but required a separate, subsequent Commission implementing regulation. It is a fair question whether that system, in particular the minimum import prices and the intended quantitative restrictions really improved (or were able to retain) a competitive market structure.130 Some authors have taken the view that the complaining EU industry is generally more likely to have market power than the dumping exporters and that the imposition of duties against exporters with low market shares will often lead to anti‑competitive effects.131 But the general approach of the Commission, to consider both the effects of the dumping practices and the effects of the envisaged measures in determining whether the market structure changes unduly to the detriment of consumers, seems in line with its obligation to come to a consistent application of both antidumping and antitrust policy. cc) Relevance of Anticompetitive Behavior or Motivation There is some correlation between the Union industry requesting antidumping protection and the existence of anticompetitive agreements (in particular cartels) in the same industry. 132 F.C. Laprévote has identified 12 such cases in which antidumping proceedings were initiated in the EU in circumstances where cartel agreements have also existed.133 In six of these case, the cartel activity existed but had come to an end before antidumping protection was sought and measures were imposed.134 In these cases the 128 Commission Regulation (EU) No 1071/2012, op. cit., Fn. 124, paras. 162‑163. 129 Council Regulation (EC) No 1050/2006 of 11 July 2006 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of potassium chloride originating in Belarus and Russia, OJ 2006 L 191/1, paras. 152‑154, 169. 130 See also section III.4.b) on the undesirability of minimum price duties. 131 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 10; P.A. Messerlin, op. cit., Fn. 8, p. 41. 132 See also D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 548 et seq. 133 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, paras. 70 et seq. 134 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, table at para. 70, with reference to Council Regulation (EC) No 393/2009 of 11 May 2009, imposing a definitive anti-dumping duty […] on imports of  certain candles, tapers and the like originating in the People’s Republic of China, OJ 2009, L 119/1; Commission Regulation (EC) No 1009/2004, op. cit., Fn. 116; Council

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institutions could rightly impose measures, because after the end of the cartel, the measures could no longer be seen as a means of policing or enforcing illegal activity. The request for measures could even be seen as a step by the EU industry away from the illegal “taking the law into their own hands” towards acceptance of a regulated government procedure aimed at responding to perceived grievances. In two other cases,135 antidumping measures were adopted and expired before the cartel activities began. Again, in an absence of a cartel at the time antidumping measures were requested, imposed or remained in force, the legality of the measures cannot be questioned, but the parties moved from a regulated government controlled process to illegal cartel activity. Particularly problematic are the four remaining cases, in which the industry “combined” antidumping proceedings with cartel activities. In such cases there is a particularly high risk that the antidumping measures are used to reinforce the cartel. In such cases the adoption of antidumping measures is unlikely to be in the Union’s interest, as the fight against cartels is at the heart of EU antitrust policy, and any EU measures that could facilitate such activity can not correspond to a coherent application of antidumping policy.136 It is therefore no surprise that in some cases exporters have requested that the Commission terminate proceedings, because the EU industry was engaging in alleged

Implementing Regulation (EU) No 451/2011 of 6 May 2011, imposing a definitive antidumping duty […] on imports of coated fine paper originating in the People’s Republic of China, OJ 2011 L 128/1; Council Implementing Regulation (EU) No 965/2010 of 25 October 2010, imposing a definitive anti-dumping duty […] on imports of sodium gluconate originating in the People’s Republic of China, OJ 2010 L 282/24; Commission Implementing Regulation (EU) No 470/2014 of 13 May 2014, imposing a definitive antidumping duty […] on imports of solar glass originating in the People’s Republic of China, OJ 2014 L 142/1; Regulation 1193/2008, op. cit., Fn. 124. 135 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, table at para. 70, with reference to Council Regulation (EEC) No 2112/90 of 23 July 1990, imposing a definitive anti-dumping duty on imports of certain types of electronic microcircuits known as DRAMs […] originating in Japan, OJ 1990 L 193/1; Council Regulation (EEC) No 1768/89 of 19 June 1989 imposing a definitive antidumping duty on imports of video cassettes originating in the Republic of Korea and Hong Kong […], OJ 1989 L174/1. 136 F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, table at para. 70, with reference to Council Regulation (EC) No 1289/2006 of 25 August 2006, imposing a definitive anti-dumping duty […] on imports of certain side-by-side refrigerators originating in the Republic of Korea, OJ 2006 L 236/11; Among others, Council Regulation (EC) No 954/2006 of 27 June 2006, imposing definitive anti-dumping duty on imports of certain seamless pipes and tubes, of iron or steel originating in Croatia, Romania, Russia and Ukraine […], OJ 2006 L 175/4; Council Regulation (EC) No 1994/2000 of 18 September 2000, imposing a definitive countervailing duty […] on imports of styrene-butadiene-styrene thermoplastic rubber originating in Taiwan, OJ 2000 L 238/8; Council Regulation (EC) No 2313/2000 of 17 October 2000 imposing a definitive anti-dumping duty […] on imports of certain cathode-ray colour television picture tubes originating in India and the Republic of Korea […], OJ 2000 L 267/1.

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anticompetitive agreements, in particular, cartels.137 When faced with concrete allegations the Commission has usually considered the question. In cases where no indications of anti‑competitive contact could be identified, the Commission has rejected such allegations.138 By contrast, if an investigation of anticompetitive conduct (by DG COMP) was already ongoing, the Commission (DG Trade) sought to keep both matters separate. In the case of PSC wires and strands, the Commission noted that “the Commission issued a Statement of Objections in October 2008 to a number of companies active in the supply of pre‑stressing steel. (…) If the existence of a cartel should be shown to have existed on the Community market, the measures may be reviewed as appropriate.”139 That approach of the Commission corresponds to its internal allocation of powers. However, the problem with the approach is linked to the length of the antitrust proceedings.140 The time until a definitive determination is reached in the antitrust case, and until all legal remedies are exhausted, it is quite likely longer than the fiveyear duration of the antidumping measures. To date, it appears that the Commission has never revoked or even initiated a review of anti-dumping measures after a decision condemning a cartel under Artt. 101 or 102 TFEU was adopted. The Commission seems to have missed important opportunities to better align competition policy and trade policy in such cases. In principle, the Commission should ensure in such cases that antidumping proceedings are not used (and cannot be used) to enforce, police or extend the reach of anticompetitive conduct within the Union. As indicated above, antitrust immunity (under the EU’s equivalent of the Noerr-Pennington doctrine) would not extend to such conduct or an attempt to abuse antidumping proceedings for such purposes.141 It is unlikely that the adoption of measures could be in the Union’s interest, if there is any risk that the Union Industry would simultaneously “benefit” from such illicit agreement and antidumping protection.142 Exceptionally, the Commission took account of the fact that imports actually served an exclusionary purpose. In the Television camera systems case, the Commission identified an exclusionary conduct on the part of the exporter because the Japanese exporters’ dumping “can only be interpreted as a strategy to drive its competitors out of 137 See for example Council Implementing Regulation (EU) 214/2013 of 11 March 2013 imposing a definitive anti‑dumping duty […] on imports of certain organic coated steel products originating in the People’s Republic of China, OJ 2013 L73/1, para. 551: “Users and importers[…] suggested that the Union industry was engaged in oligopolistic arrangements to control the market”. 138 Regulation 1184/2007, op. cit., Fn. 119, paras. 127‑128. 139 Regulation 383/2009, op. cit., Fn. 120, para. 69; for further examples see: D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 549. 140 D. Schroeder, op. cit., Fn.  2, p. 549, rightly suggests that such vague promises do not amount to much of a consolation for the exporters. 141 See section III.2.b). 142 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 549; J. Bourgeois, op. cit., Fn. 6, p. 64.

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the market,” and (ii) such dumping practices were only possible because of the profits made by Japanese exporters on their domestic market, where they were the sole players.143 It held that measures were therefore warranted. b) Relevance of Competitive Effects of Specific Measures Once the Commission has decided that measures should be adopted, it still has a choice as regards to the type of measures to be adopted. The most common form of measures are “ad‑valorem” duties, which impose an antidumping duty as a percentage of the customs value of the product imported. The percentage corresponds to the dumping (or injury) margin established during the investigation. Alternatively, an antidumping duty can be imposed in the form of a minimum price duty, which sets a reference price, and requires that an importer pay an antidumping duty in an amount equal to the difference between the actual price (or customs value) for the imported goods compared to the minimum price (if the actual price is lower than the minimum price). A further alternative consists in the acceptance of undertakings in which the Union does not impose any duties, but the exporter undertakes to sell above a certain minimum price. The Commission benefits from a wide margin of discretion in its choice of measures but is subject to the requirements that injury must be eliminated, and the measure must be in the Union interest.144 The Commission (and the Union industry) usually prefer ad‑valorem duties (which are easy to apply and relatively easy to police), while exporters will normally favor price undertakings because it allows them to reap the full economic benefit of the required price increase (instead of not receiving any benefit because any price increase in the Union is siphoned off to customs authorities in the form of antidumping duties). In exercising its discretion, the Commission has only exceptionally resorted to minimum price duties.145 The reason is linked to the particularly distortive effects of minimum price duties. The Commission would effectively set a target price that would become the market standard because it would be immediately known to market participants. Price competition would be replaced by the reference price146 and that reference price would have effects similar to a price agreement of a cartel, with the 143 Commission Regulation (EEC) No 3029/93 of 29 October 1993 imposing provisional anti‑dumping duties on imports of television camera systems originating in Japan, OJ 1993 L 271/1, para. 38. 144 See Case C-189/88, Cartorobica Spa v Ministero delle Finanze dello Stato [1990] ECR, I-1269, para. 25 and Case T-87/98, International Potash Company v Council [2000] ECR, II-3179, para. 40 (with further references): “Article 14(1) of the basic regulation leaves the Community institutions a wide discretion to determine, in each case, the appropriate type of duty.” 145 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 547. 146 There are also circumvention issues, because exporters selling the product to larger customers active within and outside the union, could price sales for such customers to the Union in line with the minimum price, but provide “discounts” on sales to third countries.

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added “benefit” that the minimum price would be partially policed by the customs authorities.147 In rare cases, however, the Commission has adopted minimum price duties. In barium carbonate from China, the Commission took the view that a minimum price duty was necessary to “ensure efficiency of the measures and discourage any absorption of the anti-dumping measure through a decrease in the export prices.”.148 In an earlier investigation concerning the import of potassium chloride from Belarus, Russia and Ukraine, the Council originally (in 1992) imposed a minimum price duty,149 because “neither a fixed-rate nor an ad valorem duty would be certain to remove the injury caused by dumping”. In 1994 however, the Council amended the measure, which had been circumvented, and imposed a fixed duty coupled with the minimum price duty imposed earlier, which applied only if it was higher than the fixed duty.150 By contrast, the Commission has accepted undertakings much more regularly. One reason is, that under WTO rules, the Union is committed to seriously consider (if not favor) undertakings if offered by producers from developing countries.151 From the perspective of competition law, price undertakings are not illegal because they are not agreements between competitors pursuant to Art. 101 TFEU since the unilateral offer of commitments by each exporter is made to (and accepted by) the Commission (and not by any competitors or private undertakings).152 However, from the perspective of competition policy price undertakings have similar effects to minimum price duties. There are nevertheless differences, because the minimum price pursuant to an undertaking is not published and may (and usually does) differ from one exporter to another (unless the minimum price is established based on the injury margin, not the  dumping margin).153 However, in oligopolistic or otherwise highly transparent markets the undertaking price level will be observable to market participants relatively 147 See also D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 547; F.C. Laprévote, op. cit., Fn. 5, para. 68. 148 Council Regulation (EC) No 145/2005 of 28 January 2005, imposing a provisional antidumping duty on imports of barium carbonate originating in the People’s Republic of China, OJ 2005 L27/4 at para. 138. 149 Council Regulation (EC) No 3068/92 of 23 October 1992, imposing a definitive antidumping duty on imports of potassium chloride originating in Belarus, Russia or Ukraine, OJ 1992 L 308/41. 150 Council Regulation (EC) No 643/94 of 21 March 1994, amending Regulation (EEC) No 3068/92 in respect of definitive anti-dumping duties on imports of potassium chloride originating in Belarus, Russia and Ukraine, OJ 1994, L 80/1, para. 42; see also Case T-87/98, International Potash Company v Council [2000] ECLI:EU:T:​2000:221, paras. 4445. 151 See Art. 15 of the ADA, op. cit., Fn. 27. 152 J. Temple Lang, op. cit., Fn. 4, p. 7‑58. 153 Under the “lesser duty rule” (Artt. 8, 9 and recital 16 of the Preamble to the Basic Antidumping Regulation, op. cit., Fn. 22) antidumping measures are adopted based on the level of dumping, unless a smaller duty or measure is sufficient to eliminate the injury. The injury margin would be the same for the entire Union industry, so that in such cases the required minimum price, to be fixed in an undertaking, would also be the same for all exporters.

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quickly and will then form a reference price (or a reference price range if different undertakings provide for different prices).154 The Commission has therefore tended to reject price undertakings that would provide market participants with a signal for the relevant price level (and thus eliminate (or at  least significantly reduce) price competition).155 In Manganese Dioxide, the Commission expressly noted the risk that a committed price “could become a reference price on the market and thereby reduce competition.”156 That risk is highest in narrow markets. The Commission has therefore repeatedly held (e.g., in Polysulphide Polymers) “that given the duopolistic supply structure of the Community market, price undertaking are not appropriate.”157 Similarly, in Glycine, the Commission refused undertakings in light of the limited number of players on the market but noted that “information with regard to the future role of other Community producers, new entrants or substitute products” could lead it to change its mind.158 Exceptionally, the Commission has accepted undertakings in narrow markets to preserve competition. For example, in a case related to Typewriter Ribbon Fabrics,159 the EU market consisted of only one Union producer and one Chinese exporter (and no outsiders). To ensure that the Chinese exporter could continue to supply the EU market, the Commission accepted a price undertaking (where the resulting price increase benefits the producer and provides an incentive for it to continue supplying the EU), rather than imposing an ad‑valorem antidumping duty (which would benefit the own resources of the Union but would discourage the producer from selling to the EU) with the explicit aim of avoiding a monopolistic market.

IV. Conclusion The policy objectives and the legislative frameworks for antitrust and antidumping legislation have changed quite significantly, since such rules first appeared in the United States, in particular because there is no longer a particular focus on predatory 154 D. Schroeder, op. cit., Fn. 2, p. 546; A. Steinbach, Price Undertakings in EU Anti‑dumping Proceedings – an Instrument of the past?, Journal of Economic Integration, Vol. 29, No 1, 2014, pp. 183, 184. 155 Council Regulation (EEC) No 2322/85 of 12 August 1985 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of glycine originating in Japan, OJ 1985 L 218/1, para. 22; Council Regulation (EC) No 221/2008 of 10 March 2008 imposing a definitive anti‑dumping duty (…) on imports of certain manganese dioxides originating in South Africa, OJ 2008 L 69/1, para. 70; Council Regulation (EC) No 1965/98 of 9 September 1998 imposing a definitive anti‑dumping duty on imports of polysulphide polymers originating in the United States of America, OJ 1998 L 255/1, para. 56. 156 Regulation 221/2008, op. cit., Fn. 155, para. 70. 157 Regulation 1965/98, op. cit., Fn. 155, para. 56. 158 Regulation 2322/85, op. cit., Fn. 155, para. 22. 159 Commission Regulation (EEC) No 1937/90 of 4 July 1990 imposing a provisional anti‑dumping duty on imports of pure silk typewriter ribbon fabrics originating in the people’s Republic of China (…), OJ 1990 L 174/27.

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pricing. Anti-dumping rules focus on asymmetric market access, and the resulting price discrimination, while antitrust rules focus on maximizing consumer welfare. The right to resort to antidumping measures has been regulated and restricted under the GATT 1947 and later the WTO Agreements and, within the Union, by the need to only adopt measures that are in the Union’s overall interest, with “the need to (…) restore effective competition” (Art. 21 (1) Basic Antidumping Regulation). Moreover, broader competition policy objectives must also be taken into account in applying antidumping measures, as is apparent from Art. 21 (3)(2) TEU. The basic approach, namely the need to come to a consistent interpretation of Union law, in which antidumping rules (and trade law more generally) are analyzed in light of the EU competition rules so as to maximize the effet utile of both sets of rules is as true today as it was 30 years ago. And as is apparent from Chapter III. of this article, such an approach yields actual, tangible results as regards the behavior of relevant actors, whether they are private parties or the Union Institutions. Nevertheless, the actual or potential frictions between antidumping and antitrust rules that Dirk Schroeder (and John Temple Lang) identified as early as 1991 and 1988 continue to be relevant, too. This consistency is perhaps surprising against the backdrop of the significant constitutional change that has occurred in the Union, the adoption of a series of major treaty revisions and the confirmation of the need to apply external polies (antidumping) in a consistent fashion to the other (internal) EU policies (such as competition law). One is tempted to refer to a famous quote by Otto Mayer, a German Administrative law scholar. When publishing the 1924 third edition of his treatise on German administrative law, he was faced with the constitutional upheaval in Germany that had just been transformed from a quasi-constitutional empire to a democratic Weimar Republic. Yet Otto Mayer said in the preface to his third edition: „Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen: ‚Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht‘“.160 Even if this statement is unlikely to properly reflect the importance of constitutional law for administrative law and of treaty changes for the interpretation of EU administrative law, it nevertheless reflects that certain overarching issues relating to the interface between diverging policies have a 160 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, (3rd ed., München, 1924), preface, literal translation: „Not much needs to be added since [the] 1914 and 1917 [editions]: ‘Constitutional law passes away, administrative law remains’” (the 2nd edition of his treatise had been published in 1914 (volume I) and 1917 (volume II)). Otto Mayer indicated at the same time that this conclusion had been reached before elsewhere, apparently referring to France. In Otto Mayer’s treatise on French administrative law (Theorie des französischen Verwaltungsrechts, 1886) he quotes a French professor of administrative law, Théophile Ducroque (Cours de droit administrative, 4th ed. 1874, p. 5), for the proposition that from a French law perspective it is natural that constitutional law changes and administrative law persists (see, with more details and more of a historic perspective, Luc Heuschling, Max Planck Handbooks in European Public law, Vol. I  – The Administrative State, in S. Cassese, A. von Bogdandy, et. al. (ed.), (first ed., Oxford University Press, Oxford, 2017), Chapter 14 (The Complex Relationship between Administrative and Constitutional Law […]), p. 502 et seq.

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tendency to remain relevant issues, even with constitutional reform and the passage of time. The relationship between competition rules and policy on the one hand and trade and antidumping rules and policy on the other is of such lasting nature. That is true, even if the details of how the two concepts are interpreted so as to be consistent with one another have evolved and perhaps made clearer with the passage of time and even if constitutional principles, such as the right to free speech and the right to petition the government, have become more important and visible. It is submitted that a “consistent” approach in the application of various EU policies does not require to completely align antidumping rules to competition rules, but that the underlying policies must be interpreted in such a manner that they can co‑exist and be applied in parallel so as to reach an appropriate, harmonious balance,161 in other words so as to maximize their effet utile. Such consistency has been largely achieved because competition law issues and concepts are relevant and are being (and should be) considered by the Commission in the conduct of EU antidumping proceedings and, in particular, when deciding whether (and if so, which) antidumping measures it should impose. One can debate whether the right level of importance has been attached to competition concerns (and in particular, consumer welfare) in each and every one of the cases the EU Institutions had to deal with. But on the whole (with some room for improvement and increased consistency, and even in the face of some missed opportunities), the Union and its institutions have lived up to their obligation to seek consistency between its policy objectives in trade and competition, if one accepts that the aim is to maximize the effet utile of partially different policy objectives.

161 See J. Temple Lang, op. cit., Fn.  4, p. 7‑89 et seq.; From a German perspective the constitutional concept of „Praktische Konkordanz“ comes to mind, a term framed by Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, (20th ed., Heidelberg, 1999), para. 72, and effectively used by the Bundesverfassungs­gericht, e.g., order of 31 May 2006 – 2 BvR 1693/04, ECLI:DE:BVerfG:2006:rk​20060531.2bvr169304, para. 9.

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Competition Law Infringements: Has the Application of the Parental Liability Doctrine Gone Too Far? I. Introduction II. The Single-Economic-Entity Concept 1. The Control Test 2. Shareholdings Below 100 %

III. Extension to the Parent Company of the Reduction or Annulment of the Fine Imposed on the Subsidiary IV. Economic Succession V. Conclusion

I. Introduction Deterrence is the main goal of antitrust fines. To better achieve effective deterrence, settled case-law of EU Courts has extended the liability for antitrust infringements committed by a subsidiary to its parent company, including in cases in which the latter was not directly involved in the sanctioned infringement or was not even aware of its subsidiary’s participation. The attribution of liability to the parent company is therefore solely dependent on the parent company’s exercise of decisive influence over its subsidiary; this is presumed to occur in cases of wholly owned (or nearly wholly owned) subsidiaries. The application of the parental liability doctrine has allowed the European Commission to significantly increase the amount of fines imposed on companies in recent years, considering the worldwide turnover of the entire corporate group and not merely that of the subsidiaries directly involved in the infringement. Despite EU Courts’ initial strict approach on the criteria for determining the exercise of decisive influence, in recent years case-law has progressively broadened the scope thereof. This has led to a nearly insurmountable burden on parent companies when attempting to rebut the presumption, and even extending the parental liability doctrine to minority financial shareholders. This evolution of the case-law has not been free from criticism, particularly with respect to the vagueness of the criteria used to determine the exercise of decisive influence that, in practice, makes it extremely burdensome for parent companies involved in sanctioning proceedings to evidence the autonomy of their subsidiaries.

1 We are grateful for the support of Raquel Lapresta (principal associate at Uría Menéndez).

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II. The Single-Economic-Entity Concept Under EU competition law, it is “the undertaking” – and not the “legal entity” – that is held accountable for a violation of Article 101 (or 102) TFEU. Since EU treaties do not define the concept of an “undertaking”, its meaning has been clarified by the caselaw of the EU Courts. In this regard, an undertaking “must be understood as designating an economic unit for the purpose of the subject-matter of the agreement in question, even if in law that economic unit consists of several persons, natural or legal”.2 Therefore, the concept of an undertaking under Article 101 TFEU is not necessarily synonymous with the definition of a legal person under domestic corporate law, since different legal persons could constitute a single economic unit for competition law purposes. Indeed, formal separation of two companies resulting from their distinct legal identities is not decisive; the test is whether there is unity in their conduct on the market. Using the concept of “undertaking”, the European Commission can penalise a legal person who is not the actual direct participant in the competition law infringement for the unlawful conduct of another legal person.3 In this regard, the conduct of a subsidiary can be imputed to the parent company if the latter exercises decisive influence over the conduct of its subsidiary on the basis of their forming a single economic entity and, hence, they are considered as forming part of the same undertaking.4 This extension of liability is based on the fact that the subsidiary does not enjoy true autonomy when determining its course of action in the market, but instead merely carries out the instructions of the controlling parent company.5 It is important to take into consideration that the concept of “undertaking” is not static since, according to the European Court of Justice (“ECJ”), it could be used for the mere purposes of establishing liability for participation in a particular competition law infringement.6 Moreover, this concept may vary over time due to changes in the structure of corporate groups. These modifications in legal entities that form part of a single undertaking have generated significant issues regarding the attribution of liability to each entity within the undertaking and the corresponding implications in the calculation of fines. The rationale behind the concept of parental liability is to safeguard the European Commission’s ability to fully recover fines imposed for infringements of competition law; it is aimed at preventing companies from circumventing the payment of fines through internal reorganisations. In recent years, it also seems to have been used as an 2 Case C-170/83, Hydrotherm v Compact, ECLI:EU:C:1984:271, para. 11. 3 Case C-233/11, Commission and Others v Siemens Österreich and Others v Commission, ECLI:EU:C:2014:256, para. 45. 4 Case C-97/08, Akzo Nobel and Others v Commission, ECLI:EU:C:2009:536, paras. 58-59. 5 Case C-73/95, Viho Europe BV v Commission, ECLI:EU:C:1996:405, para. 16. 6 Cases C-179/12P, Dow Chemical v Commission, ECLI:EU:C:2013:605, para. 58, and C-172/12P, El du pont de Nemours and Others v Commission, ECLI:EU:C:2013:601, para. 47.

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instrument to enhance the deterrent effect of antitrust fines by allowing the European Commission to significantly increase the amount of fines by taking into consideration a group’s worldwide turnover instead of the turnover of the infringing subsidiary and allowing the application of the aggravating factor of recidivism. Furthermore, the 10  % turnover ceiling under Article 23 of Regulation 1/20037 would apply to the turnover of the corporate group instead of merely to the infringing entity. The parental liability doctrine also leads to the non-application of Article 101 TFEU to agreements between a parent company and its wholly owned subsidiaries.8 However, it is questionable whether it would be applicable to cases of joint ventures.9 1. The Control Test In order to attribute liability to a parent company for a subsidiary’s conduct, the European Commission is not required to prove that the parent company actually directly participated in the antitrust infringement or that it was aware of the subsidiary’s conduct; it must merely prove that the parent company: i. had the ability to exercise decisive influence over the conduct of the subsidiary; and ii. did in fact exercise such influence during the period of the infringement. For these purposes, it is necessary to examine whether the subsidiary acted independently in the market. That assessment will take into consideration all relevant factors in connection with the economic, organisational and legal links between the parent company and the subsidiary. In the Akzo case, the ECJ clarified the application of a rebuttable presumption of actual exercise of decisive influence by the parent company over a subsidiary in cases involving a wholly owned (or nearly wholly owned) subsidiary.10 7 Council Regulation (EC) 1/2003 of 16 December 2002 on the implementation of the rules on competition laid down in Articles 81 and 82 of the Treaty (OJ 2003 L1, 4.1.2003, p. 1). 8 See in this regard, case T-102/92, Viho v Commission, ECLI:EU:T:1995:3, in which the court confirmed that Article 85.1 of the EEC Treaty [now 101 TFEU] did not apply to agreements between a parent company and its wholly owned subsidiary. Paragraph 11 of the Guidelines on the applicability of Article 101 TFEU to horizontal cooperation agreements (OJ C 130, 19.5.2010, p.1) also confirms the applicability of the single economic entity doctrine to exclude the application of competition regulations to agreements between a parent company and its subsidiary, provided the former exercises a decisive influence over the latter. 9 See European Commission decision in case IV/3272 Gosmé/Martell-DMP, where DMP was a 50:50 subsidiary of Gosmé and Martell, the Commission concluded that one of the parent companies and the JV were independent undertakings. 10 Case C-97/08, Akzo Nobel and Others v Commission, ECLI:EU:C:2009:536, paras. 60-61. The Court of First Instance (“CFI”) had confirmed that the presumption would also apply to cases in which the parent company holds “almost entirely the capital of a subsidiary”. The ECJ confirmed the application of the presumption in cases involving a 97.5 % shareholding but has not set a minimum shareholding for the application of the presumption, see CFI Case T-168/05, Arkema v Commission, ECLI:EU:T:2009:367, para. 70.

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Therefore, in cases of wholly owned subsidiaries the ECJ considers that it is sufficient for the European Commission to prove that the subsidiary is wholly owned by the parent company in order to avail itself of the presumption that the parent had exercised a decisive influence over the subsidiary. As a consequence, the parent company can be held liable for the infringement in question, unless it produces sufficient evidence to prove that the subsidiary acts independently in the market. Rebutting this theoretical iuris tantum presumption has proven to be nearly impossible in practice. The elements to determine the exercise of decisive influence and, therefore, to rebut the presumption of its exercise, have been at the forefront of the debate regarding the attribution of joint liability to parent companies. The concept of decisive influence had initially been construed narrowly by reference to the exercise of control over the subsidiary’s commercial policy.11 However, since Akzo, the importance of the commercial policy has been diminished and substituted by an assessment of “all the relevant factors relating to economic, organisational and legal links which tie the subsidiary to the parent company”.12 This assessment raises an issue of determining the actual content of those links since they may vary from case to case and thus, cannot be listed exhaustively. Case-law to date has not succeeded in providing a clear indication of the meaning of this notion; as such, the parties have the burden of putting forward the elements they consider may be useful to combat the presumption. Over the years, companies have sought to rebut the presumption through a wide array of arguments including, among others: (i) the fact that the parent company is a pure financial holding with no operational role;13 (ii) the parent company’s lack of involvement in the subsidiary’s commercial policy;14 (iii) the fact that the parent company operates in markets different from those in which the subsidiary acts;15 (iv) the parent company was only involved in high-level strategic decisions regarding subsidiaries;16 (v) a lack of reporting systems between subsidiary and parent company regarding operational matters;17 or (vi) absence of interlocking board memberships.18 All these arguments have been dismissed by EU Courts as being insufficient to demonstrate the subsidiary’s independence, despite some of them having been accepted as valid pieces of evidence.

11 Case T-48/69, Imperial Chemical Industries Ltd. v Commission, ECLI:EU:C:1972:70, paras. 130-140. 12 Case C-97/08, Akzo Nobel and Others v Commission, ECLI:EU:C:2009:536, para. 74. 13 Case T-168/05, Arkema v Commission, ECLI:EU:T:2009:367, para. 76. 14 Ibid, paras. 78-80. 15 Ibid. 16 Case T-072/06, Gascogne v Commission, ECLI:EU:T:2011:671, paras. 76-88. 17 Case T-197/06, FMC v Commission, ECLI:EU:T:2011:282, para. 76. 18 Cases T-144/07, 147/07 and 154/07, ThyssenKrupp v Commission, ECLI:EU:T:2011:364, para. 139.

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In fact, no company has ever succeeded in rebutting such presumption in court.19 This has led some parties to argue – unsuccessfully – that the proof of total autonomy required by EU Courts amounts to a probatio diabolica and renders the presumption irebuttable.20 Further guidance as to which arguments would, in practice, be sufficient to rebut this presumption would increase legal certainty. The sole reference to possible strategies for rebuttal is found in the opinion of Advocate General Kokott in Akzo,21 which mentions the following elements: i. the parent company is an investment company and behaves like a pure financial investor. This ground has not been successfully asserted in practice to date since even portfolio investors22 have been considered to be engaged in some managerial activity in order to ensure its income and therefore, have not been considered as “pure financial investors”; ii. the parent company holds 100 % of the shares in the subsidiary only temporarily and for a short period; iii. the parent company is prevented for legal reasons from fully exercising its 100 % control over the subsidiary. Based on the strict position adopted by EU Courts to date, it is unclear whether they would in the future be willing to accept any of those arguments, setting an exceptionally high bar for companies’ defence, which have very limited chances of rebutting the presumption.

19 The only cases in which EU Courts have annulled the attribution of liability involve cases in which the Commission failed to state the reasons for rejecting the evidence provided by the parent company to rebut the presumption of the exercise of decisive influence or by application of the principle of equal treatment. 20 Case T-168/05, Arkema v Commission, ECLI:EU:T:2009:367, para. 76. 21 Opinion of A.G. Kokott in case C-97/08, Akzo Nobel and Others v Commission, ECLI:EU:​ C:2009:262, footnote 67. 22 See case C-440/11, Commission v Stichting Administratiekantoor Portielje, Gosselin Group NV in which the ECJ reversed the judgment of the General Court (“GC”) which had concluded that the parent company could not be held liable since it was not engaged in any economic activity. It is notable that some National Competition Authorities (“NCAs”) have followed this approach. For instance, the Dutch Competition Authority has fined private equity firms for the participation of its portfolio company in the “flour cartel” (Decision of 30 December 2014, case number 6306). See also case T-419/14, Goldman Sachs Group Inc. v Commission, ECLI:EU:T:2018:445, para. 180. The GC found Goldman Sachs Group Inc. liable on the basis of the exercise of decisive influence, as parent company, over Prysmian and Prysmian Cavi e Sistemi Energia. The GC considered that “the exercise of voting rights regarding strategic decisions for the business conduct of the subsidiary, such as the appointment of top management and the approval of business and management plans, is evidence of a clear exercise of decisive influence rather than a purely temporary financial investment”.

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2. Shareholdings Below 100 % In cases of partial ownership, in order to hold a shareholder liable for its subsidiary’s conduct, the European Commission has the burden to prove the exercise of decisive influence. There is no clear guidance as regards the minimum shareholding required for the presumption not being applicable. It has been excluded in cases of 60 % ownership but applied in cases of ownership above 96 %.23 Given the impact on fines that such attribution of liability may have, more certainty would be desirable. Assuming the presumption does not apply, the approach taken by EU Courts in recent years as regards the elements that could show the exercise of a decisive influence have indeed made it very easy for the authority to hold parent companies liable for the infringement of their subsidiaries. Given that the application of this extension of liability is an exception to the general rule of personal liability, some may argue that clearer indications as to what actions may significantly increase the exposure of parent companies to fines would be required. Irrespective of the shareholding held in the subsidiary, in cases where one parent company alone can determine the decisions of the bodies of the joint venture, the European Commission has concluded, notwithstanding the parent company providing proof to the contrary, that the latter actually exercised decisive influence over its subsidiary’s decisions. This approach has been confirmed by the EU Courts.24 In practice, the European Commission’s burden in these cases is not very high and mainly involves the obligation to state reasons given that, in order to determine the exercise of decisive influence, it can rely on a body of indicia even if each taken in isolation would not have sufficient probative value. These indicia may be elements that are intrinsic to the condition of shareholder, such as the appointment of members of the board of directors or the mere holding of veto rights over material investments or over the business plan (without requiring that the shareholder actually made use of the right).25 Some may argue that this line of reasoning seems to blur the line between the ability to exercise a decisive influence and its actual exercise, since the mere possibility of exercising certain rights attached to the condition of controlling shareholder is considered enough (by the mere threat of using them) to extend liability to the parent company. It is also important to mention that the EU Courts have allowed, under certain circumstances, the extension of liability to parent companies that hold minority shareholdings (those exceeding 25 %) that do not entitle them to adopt decisions

23 See footnote 10 supra. 24 See footnote 25 infra. 25 Case T‑132/07, Fuji Electric v Commission, ECLI:EU:T:2011:344.

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individually,26 in cases in which they had rights greater than those normally granted to minority shareholders in order to protect their financial interest together with the presence in leading positions of the subsidiary of many individuals who occupy managerial posts within the parent company.27 In this regard, the ECJ’s case-law has considered a number of criteria which typically indicate that the influence is exercised. The holding of overlapping positions between members of the board of directors or supervisory boards of the parent company and the subsidiary or appointment of employees/directors of the parent company on the subsidiary’s boards has been particularly relevant.28 Other elements that have been considered a clear sign of decisive influence include the use of the same trade name or trademark, creating a perception of unity in the eyes of third parties,29 instructions to the subsidiary or reporting lines from the subsidiary up to the parent30 or sales between the parent company and the subsidiary. EU case-law has advanced a step forward in order to extend the liability for the infringements of a 50:50 joint venture to both parent companies, declaring that both, together with the joint venture, constitute a single economic entity in case Dow.31 It is important to mention that the Court at the hearing in that matter dismissed the allegations that parent companies only had the power to block the adoption of strategic decisions regarding the joint venture but not to adopt them and also the claim that the joint venture had been considered “full function” pursuant to the EU Merger Regulation.32

26 For example, a 30 % minority investor was held liable based on the fact that it held board representation as well as specific governance rights over the portfolio companies’ activities. Also in case T-419/14, Goldman Sachs Group Inc. v Commission, ECLI:EU:T:2018:445, para. 178, the GC considered that, at the end of 2007, at a time when Goldman Sachs Group Inc. indirectly held 31.69 % of Prysmian’s shares, the former indirectly controlled all voting rights associated with Prysmian’s shares and held a similar situation to that of a sole owner of Prysmian. Investments made by other stockholders were purely passive and implied relinquishment of the exercise of the voting rights associated with Prysmian’s shares to Goldman Sachs Group Inc. 27 The ECJ considered that “such an accumulation of posts necessarily places the parent company in a position to have a decisive influence on its subsidiary’s market conduct since it enables members of the parent company’s board to ensure, while carrying out their managerial functions within the subsidiary, that the subsidiary’s course of conduct on the market is consistent with the line laid down at management level by the parent company” (case T‑132/07 Fuji Electric v Commission). 28 Case T-38/05, Agroexpansión v Commission, ECLI:EU:T:2001:170. 29 Case C-407/08, Knauf Gips KG v Commission, ECLI:EU:C:2010:389. 30 Ibid. 31 Cases C-179/12P, Dow Chemical v Commission, ECLI:EU:C:2013:605, para. 58, and C-172/​ 12P, El du pont de Nemours and Others v Commission, ECLI:EU:C:2013:601, para. 47. 32 In this regard, the court clarified that the scope of the declaration of the existence of a single economic unit was solely for the purposes of establishing liability for participation in the infringement and therefore, was not inconsistent with the provisions of the EU Merger Regulation regarding the full functionality of the joint venture.

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Strong criticism has arisen as regards the fact that most of the elements cited by EU Courts to justify the extension of liability to both parent companies are common practice for corporations in joint venture agreements.33 Indeed, it had been claimed that the essential feature of a joint venture is that it is neither part of one parent undertaking or the other and therefore, it could not be considered as constituting a single economic unit together with both parent companies. Most NCAs have followed EU Courts and apply the presumption of liability of parent companies for infringements committed by its subsidiaries, at least in relation to fines imposed in cartel cases. One exception to this trend was Germany which, until the amendment of German competition law in June 2017, had no explicit rule imposing liability on the parent company when a subsidiary committed an infringement. Indeed, under certain circumstances, companies had been able to make use of a legal loophole in order to avoid the payment of fines by means of internal restructuring.34 For this reason, the Bundeskartellamt attempted to extend the liability to the parent company based on an infringement of its supervisory duties for failing to take the measures required to prevent violations.35 It maintained that “in principle, every parent company has a duty to monitor that companies under its control do not act in an anticompetitive manner”. However, since June 2017, German law is consistent with EU law.

33 In fact, in this case, the GC found the existence of a single economic unit after carrying out its own assessment of the economic, organisational and legal factors. In particular, it considered: (a) the existence of a Members’ committee (supervisory board of the joint venture) with significant managerial powers composed of representatives of both parent companies; (b) the parent companies were only present in the corresponding markets through the joint venture; (c) the approval of the closure of a plant in the UK; (d) former employees of the parent companies took positions in the joint venture; (e) an internal investigation carried by one of the parent companies in order to examine whether the joint venture may have participated in the cartel was considered as confirming that the parent companies believed they had the means to instruct the joint venture to conduct itself in accordance with competition rules. 34 On 26 June 2017, the Bundeskartellamt had to terminate further proceedings in the sausages cartel case on the basis that orders imposing a fine became invalid due to internal restructuring measures taken by the companies. See case B12-13/09; decisions dated 27  December 2013 until 31 July 2014 (for further information, please see: http://www. bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/EN/Pressemitteilungen/​2017/26_06_2017_ Bell_Wurstkartell.html). 35 In its 2009 decision regarding anticompetitive agreements in the clay-roof-tiles market, the Bundeskartellamt imposed a separate fine on a parent company for the infringement committed by its subsidiaries (in addition to the individual fines imposed on the subsidiaries). In this case, the Bundeskartellamt found evidence that a senior manager of the parent company had found clear evidence of an illegal agreement and yet had done nothing to prevent its implementation. The fine imposed in this case was later revoked. See case B1-200/06; decisions dated 15 December 2008 (regarding the main cartel case) and 9 February 2009 (regarding the duty to monitor companies under control).

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In the context of damage claims, several domestic laws do not provide for the extension of the presumption of parental liability to civil proceedings.36 The ECJ should provide guidance on whether parental liability in damages actions should be established under national law or under EU antitrust rules in reply to a preliminary ruling request from Finland’s Supreme Court.37 In this regard, it is relevant to mention that the recent reform of the Spanish Competition Law in order to implement the Damages Directive extends parental liability to civil proceedings.

III. Extension to the Parent Company of the Reduction or Annulment of the Fine Imposed on the Subsidiary As a general rule, the parent company’s liability cannot exceed that of its subsidiaries. Therefore, in cases in which the parent company has not actually participated in the cartel and is held liable solely on account of its subsidiary’s participation therein, EU Courts have declared that the “parent’s liability is considered to be purely derivative, secondary and dependent and, therefore, cannot exceed that of the subsidiary”.38 A logical consequence of this would be that the parent company’s liability cannot exceed that imposed on its subsidiaries. However, this is not always the case. EU competition law is based on the principle of the personal responsibility of the economic unit that has committed the infringement; therefore the parent company was considered personally liable for the infringement. This has led EU Courts to declare that the joint and several liability between two companies constituting an economic unit cannot be limited (in connection with payment of the fine) to a type of security provided by the parent company to guarantee payment of the fine imposed on the subsidiary.39 For this reason, in cases in which the parent company was also, in addition to being declared jointly and severally liable for the infringement of its subsidiaries, considered personally liable for the same anticompetitive behaviour, it would be possible to treat the parent company differently than its subsidiaries.

36 Dutch courts have ruled that, under Dutch law, a legal entity cannot be held liable for damage caused by an unlawful act by a different legal entity, even when the legal entities form part of the same group. Only in exceptional circumstances would this principle not apply. Indeed, whether the parent company had actual involvement in the infringement was relevant in establishing civil liability (see judgment of 20 July 2016, Rechtbank MiddenNederland East West Debt B.V. / 1. United Technologies Corporation, 2. Otis B.V., 3. Schindler Holding Ltd. e.a. (case C/16/338073 / HA ZA 13-117, ECLI:NL:RBMNE:2016:4284). 37 ECJ case C-724/17 (OJ 2018 C 83, 5.3.2018, p. 14). 38 Case C‑597/13 P, Total v Commission, ECLI:EU:C:2015:613. 39 Case C‑50/12 P, Kendrion v Commission, ECLI:EU:C:2013:771, paras. 55 and 56, and case C-243/12P, FLS Plast v Commission, ECLI:EU:C:2014:2006, para. 107.

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Moreover, in a situation in which the parent company’s liability is derived exclusively from the direct participation of its subsidiary in the infringement, the annulment of the finding that the subsidiary committed an infringement for a specific period of time could lead to an automatic corresponding reduction of the amount of the fine imposed jointly and severally on the parent company with its subsidiary.40 The reduction’s rationale is that, in order to hold any entity within an economic unit liable, it is necessary to prove that one entity has at least committed an infringement of EU competition rules (i.e. in this case, the subsidiary’s unlawful conduct). Consequently, the parent company’s liability inevitably depends on the facts constituting the infringement committed by its subsidiary to which its liability is inextricably linked. On the contrary, a parent company can remain liable for the fines imposed on its subsidiaries even in situations where the fines imposed on the subsidiaries themselves were found to be time-barred if the parent company directly participated in the infringement.41 Another example is the treatment of former parent companies. In those cases, although the liability of former parent companies may purely derive from that of its former subsidiary, the amount of the fines imposed on each may differ. Another reason for a difference in liability may result from the application of the leniency program, since a leniency application submitted by the subsidiary will only benefit the current parent company at the time of the application if the latter has not actually participated in the infringement and is held liable solely on account of its subsidiary’s participation but not a former parent company. Therefore, it is possible to impose a fine on a former parent company even in cases in which no fine had been imposed on the subsidiary as a result of an application under the leniency program. The application of the 10 % cap under Article 23.2 of Regulation 1/2003 may also result in differences in the amount of the fines imposed on the parent company and its subsidiary given that the limit had to be applied to each undertaking at the time of the adoption of the decision.

IV. Economic Succession Case-law of EU Courts has also addressed the issue of changes in the form of the economic unit either during the period of infringement or subsequently, but before the adoption of a sanctioning decision. In order to ensure the effective enforcement of competition rules, the principle of economic continuity would allow the European Commission, in exceptional circumstances, to impose a fine on a legal person that has not committed the infringement.

40 Case C‑286/11 P, Commission v Tomkins, ECLI:EU:C:2013:29, paras. 34, 38, 39 and 49. 41 Case C-97/08, Akzo Nobel and Others v Commission, ECLI:EU:C:2009:536.

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There can be a variety of circumstances under which the rules of economic continuity may apply: i. intra-group reorganization: the liability for the infringement will be transferred along with the assets contributing to the commission of the infringement. ii. sale of the subsidiary directly involved in the infringement: the general rule is that the subsidiary will remain liable unless it had been absorbed by the acquirer or had ceased to exist. Specific questions arise as regards the application of the parental liability doctrine in this case. Three situations can be distinguished: a) if the sale takes place after the infringement, it would be possible to declare the initial parent company jointly and severally liable for the infringement (together with its former subsidiary). In any event, the new parent company would not be considered liable, although it could be considered a single undertaking together with its subsidiary; b) if the sale takes place during the infringement and the infringing business continues with its antitrust infringement after it is acquired, it would be possible for both the seller and the acquirer to be held jointly and severally liable for the infringement of its subsidiary as regards the period in which they exercised decisive influence over the same; c) if the sale takes place during the infringement and the infringing business ends its antitrust infringement after it is acquired, the new parent company could not be declared liable for the subsidiary’s antitrust infringement. In contrast, the former parent company could be declared jointly and severally liable with the subsidiary. The ECJ recognizes the European Commission to hold a broad discretion to decide whether to extend the liability to the current or former parent company. Moreover, the fact that the European Commission holds a parent company liable for the conduct of its subsidiary’s direct participation in the infringement in no way implies that it is also obliged to hold the former parent company jointly liable.42 These conclusions have significant implications in connection with the fine’s calculation. In cases where the fine is imposed exclusively on the subsidiary for the infringement it committed before acquisition, the European Commission must take into account the specific turnover of the subsidiary (and not the turnover of the group of which it formed part at the time the decision was adopted) in order to set the fine. Following this reasoning, the 10 % ceiling under Article 23.2 of Regulation 1/2003 regarding the fine must be determined exclusively on the basis of the subsidiary’s turnover.43 42 Case C‑444/11  P, Team Relocations and Others v Commission, ECLI:EU:C:2013:464, para. 160. 43 Case C‑408/12  P, YKK and Others v Commission, ECLI:EU:C:2014:2153, para.  64 and C-637/12P, Laufen Austria AG v Commission, ECLI:EU:C:2017:51.

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iii. sale of a business unit (not a separate legal entity): under this scenario, the company previously holding the business unit remains liable; however, the liability may be shifted to the company currently holding the business unit if the enforceability of EU competition law so requires (and that company could be held liable for the entire duration of the infringement). 44

V. Conclusion The recent case-law of EU Courts as regards parental liability appears to have blurred the boundaries between the elements required to consider the existence of control under EU Merger Regulations and the exercise of a decisive influence in cartel cases. Although EU Courts have declared that the mere fact that an entity has been declared a controlling shareholding under EU Merger control may not be enough to declare it jointly liable for the infringement of its subsidiary, in practice, the reasoning seems to be very similar. The application of this extensive concept of decisive influence to minority shareholders may result in disproportionate results, especially in cases of financial investors. Although there is consensus on the importance of the deterrence effect of antitrust fines to prevent anticompetitive practices, an excessive use of the parental liability doctrine may result in an unbearable burden on multinational companies or financial investors with many subsidiaries active in different sectors. In this regard, the principle of legal certainty may require clear rules as regards the criteria for attribution of liability to parent companies for the potential infringements of their non-wholly owned subsidiaries.

44 For example, in the following cases: (a) the company previously holding the business unit does not exist at the time of the adoption of the European Commission’s decision; (b) the company previously holding the business unit does exist but is unable to pay the corresponding fine; (c) there has been a proven attempt to circumvent liability; (d) there are structural links between the company previously holding the business unit and the company currently holding the business unit.

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„Einer trage des andern Last …“? – Die Unternehmenssanktion zwischen gesellschaftsrechtlichem Organregress und kartellrechtlichem Sanktionszweck1 I. Einleitung II. Gesellschaftsrechtlicher Haftungs­ durchgriff III. Bußgeld- und kartellrechtlicher ­Wertungseingang 1. Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG a) Belastung des rechtlich verselb­ ständigten Vermögens als ratio des § 30 OWiG b) Sanktionsrechtliche Einheit von ­Organ und Rechtsträger c) Personenkreis möglicher Täter nach § 30 OWiG 2. Unternehmensgerichtete Sanktion im Kartellrecht a) Wertungen des unternehmens­ bezogenen Bußgeldrahmens in § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB

b) Unternehmensbezogene Bußgeld­ festsetzung c) Zweck der unternehmensbezogenen Buße d) Blick nach Europa IV. Ausscheiden beschränkter Regress­ möglichkeiten V. Prävention durch private Schadens­ ersatzklagen, Compliance-Programme und arbeitsvertragliche Individual­ gestaltungen 1. Private Schadensersatzklagen nach § 33 GWB 2. Compliance-Programme der Unter­ nehmen 3. Individualvertragliche Gestaltungen VI. Ausblick

I. Einleitung Das sogenannte Schienenkartell bietet eine Vielzahl von Aspekten. Aus Sicht der Kartellrechtsdurchsetzung handelt es sich um ein Kartell wie aus dem Lehrbuch. Die verhängten Bußgelder von über 230 Mio. €2 sind auch ein Indiz für die wirtschaftliche Bedeutung des Kartells. Darüber hinaus wurde in der Presse ein bemerkenswert facettenreiches und buntes Bild des Kartells der „Schienenfreunde“ gezeichnet, das es sogar zu einem eigenständigen Wikipedia-Eintrag schaffte. Vorliegend soll es um einen nachgelagerten Teilaspekt gehen. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob die handelnden Manager zivilrechtlich für die gegen den geführten 1 Erweiterte und aktualisierte Fassung der Stellungnahme, die der Verf. für das Bundeskartellamt gegenüber dem Bundesarbeitsgericht in der Rechtssache AZR 189/15 abgegeben hat. An der Stellungnahme maßgeblich mitgewirkt haben Frau Daniela Hengst und Herr Dr. Gunnar Kallfaß. 2 Bundeskartellamt, Jahresbericht 2015, S. 39.

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Verband verhängte Geldsanktion haften müssen. Dieses Thema bettet sich in die allgemeine Diskussion um die Reform des Organhaftungsrechts ein.3 Der Fall eines Managers, der von seinem Arbeitgeber auf Regress von rund 190 Mio. € Geldbuße verklagt wurde, macht seit Jahren Schlagzeilen.4 Das Arbeitsgericht Essen sah einen Regress in voller Höhe als rechtsmissbräuchlich an.5 Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sah generell den Sanktionszweck gefährdet, wenn das sanktionierte Unternehmen seine Buße auf seine Organe abwälzen könne.6 Eine endgültige Klärung steht noch aus. Das lang erwartete Urteil des Bundesarbeitsgerichts sah kartellrechtliche Vorfragen und damit den Rechtsweg allein zu den Kartellgerichten eröffnet.7 Das Landesarbeitsgericht hat in der Folge den Fall an ein Landgericht verwiesen.8 In diesem Rechtsstreit zeigt sich wieder einmal, dass das Kartellrecht in besonderer Weise geeignet ist, tradierte Wertungen anderer Rechtsgebiete in Frage zu stellen. So muss in diesem Fall entschieden werden, wie die gesellschaftsrechtliche Betrachtung der Organhaftung mit den Wertungen der Regeln zur ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) in Einklang zu bringen ist.

II. Gesellschaftsrechtlicher Haftungsdurchgriff Nach § 43 Abs. 2 GmbHG sind Geschäftsführer, die schuldhaft ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gilt nichts Anderes für Vorstandsmitglieder im Verhältnis zur Aktiengesellschaft. Die Vorschriften bewirken einen Ausgleich zu Gunsten der Gesellschaft bei Schädigungen durch deren Repräsentanten und dienen damit letztlich dem Schutz der Vermögensinteressen der Gesellschafter. Aufgrund der den Geschäftsleitern obliegenden umfassenden Legalitätspflicht9 können diese sich zu Exkulpationszwecken nicht darauf berufen, dass ein Gesetzesverstoß subjektiv 3 Ackermann, Organhaftung für Kartellgeldbußen: Gedanken zum Zeitvertreib, NZKart 2018, 1, 2 m.w.N. 4 Vgl. z.B. die Berichterstattung im Spiegel: http://www.spiegel.de/karriere/ex-manager-­vonthyssenkrupp-haftet-nicht-fuer-schienenkartell-a-1155104.html. 5 ArbG Essen v. 19.12.2013 – 1 Ca 657/13, juris Rz. 140. 6 LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, juris Rz. 166. 7 BAG v. 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, juris. 8 LAG Düsseldorf v. 29.1.2018 – 14 SA 591/17, mit dem das LAG eine Beweisaufnahme ablehnte und den Rechtsstreit insgesamt an das LG Dortmund als Kartellgericht verwies. Auch hier hatte das Bundeskartellamt schriftlich Stellung genommen und auf die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen verwiesen: Auf den vorliegenden Fall übertragen sprach aus Sicht des Bundeskartellamtes viel dafür, dass auch in der zu entscheidenden prozessualen Situation die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen einschlägig sei. Diese Lehre decke den im Fall vorliegenden Konflikt zwischen „prozessualer“ Richtigkeit, materieller Rechtskraft und Prozessökonomie ab. Eine Beweisaufnahme auch zu kartellrechtlich relevanten Themen hätte auf Grundlage der Entscheidung des BAG bei Erweislichkeit der Tatsachen in einen nicht in materielle Rechtskraft erwachsenden Verweisungsbeschluss münden müssen. 9 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 14; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 74.

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im Interesse der Gesellschaft oder gar objektiv zu ihrem Nutzen erfolgt sei.10 Schließlich können Geldbußen nach der reinen Differenzhypothese als Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB angesehen werden. Dementsprechend geht der überwiegende Teil der gesellschaftsrechtlichen Literatur von einer vollständigen Überwälzbarkeit von (Kartell-)Bußen aus und stützt seine Argumentation im Wesentlichen auf die Abgeschlossenheit des zivilistischen Schadensersatzsystems. Gesellschaftsrecht und öffentliches Sanktionsrecht stünden insoweit ohne Berührungspunkte nebeneinander und seien wechselseitig strikt zu trennen.11

III. Bußgeld- und kartellrechtlicher Wertungseingang Der normative Charakter des Schadensbegriffs12 verlangt hier jedoch, über rein fak­ tische Differenzbetrachtungen hinauszugehen. Dem deutschen Haftungsrecht ist  – ganz im Sinne der seitens des Bundesverfassungsgerichts stets betonten Einheitlichkeit der Rechtsordnung13  –  eine Einbeziehung von Wertungen aus anderen Rechtsgebieten immanent. Vorliegend schließen Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG sowie die unternehmensgerichteten Verhaltens- und Sanktionsregelungen in § 1 und § 81 GWB eine Gleichsetzung von ordnungsrechtlicher Sanktion und zivilrechtlichem Schaden aus. Das zu Zwecken der Wirtschaftsaufsicht konzipierte Kartellrecht ist unternehmensgerichtet. Es zielt auf rechtstreues Verhalten der Unternehmen als Wirtschaftssubjekte im Markt ab. Normadressat des GWB sowie des Unionskartellrechts ist deshalb das Unternehmen im Sinne der im Wettbewerb agierenden wirtschaftlichen Einheit.14 Die EU-Kommission verhängt auf der Grundlage des Art. 23 VO 1/2003 Geldbußen ausschließlich gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht knüpft demgegenüber nicht direkt an das Unter10 BGH v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, NZG 2010, 1190, 1192; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 36. 11 Vgl. u.a.: Hüffer/Koch, AktG, 16. Aufl. 2016, § 93 Rz. 48; Suchy, Schadensumfang bei Haftung von Vorständen und Geschäftsführern wegen Unternehmensgeldbußen für kartellrechtliche Verstöße, NZG 2015, 591 ff.; Bayer/Scholz, Zulässigkeit und Grenzen des Kartellbußgeldregresses, GmbHR 2015, 449 ff.; Bachmann, Die Geschäftsleiterhaftung im Fokus von Rechtsprechung und Rechtspolitik, BB 2015, 771 ff.; Gaul, Regressansprüche bei Kartellbußen im Lichte der Rechtsprechung und der aktuellen Debatte über die Reform der Organhaftung, AG 2015, 109 ff. 12 Oetker in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, §  249 Rz.  23; Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, vor § 249 Rz. 13; BGH v. 9.7.1968, NJW 1968, 1823 ff., 1824. 13 Zuletzt ausdrückl. zum Verhältnis von Bundes- zu Landesgesetzgeber: BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, Rz. 81 – „Treatry Override“; BVerfG v. 20.8.2015 – 1 BvR 980/15, Rz. 15 – Melitta, beides zitiert nach juris. 14 Vgl. Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit im deutschen Kartellsanktionenrecht – Anmerkungen zum Entwurf der 9. GWB-Novelle, NZKart 2016, 447, 447.

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nehmen an, sondern greift auf die Vorschrift zur Verbandsgeldbuße in § 30 OWiG zurück. Dabei ist aber die sanktionsauslösende Pflichtverletzung ebenso wie das resultierende Bußgeld auf das Unternehmen bezogen.15 Im Ergebnis stehen bereits die generellen Wertungen der im deutschen Kartellbußgeld­ recht herangezogenen Sanktionsnorm des § 30 OWiG einer Überwälzung der Unternehmensgeldbuße auf die handelnden Geschäftsführer deutlich entgegen. Dies gilt erst recht, wenn die speziellen kartellrechtlichen Bußgeldvorschriften in den Blick genommen werden, welche bei der Bestimmung des Bußgeldrahmens und der Bußgeldzumessung auf das Unternehmen Anwendung finden.

1. Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG a) Belastung des rechtlich verselbständigten Vermögens als ratio des § 30 OWiG Gemäß §  30 OWiG kann das Bundeskartellamt gegen eine juristische Person oder eine Personenvereinigung ein Bußgeld verhängen, wenn deren Repräsentant für den Kartellrechtsverstoß verantwortlich war. Der Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße besteht darin, das rechtlich verselbständigte Vermögen der juristischen Person bzw. Personenvereinigung nachhaltig zu treffen. Der Gesetzgeber hat dazu in den Gesetzgebungsmaterialien ausgeführt: „Die Ausgestaltung der Vorschrift wird im Einzelnen von dem Zweck bestimmt, der mit der Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verfolgt werden soll. Sie soll namentlich einen Ausgleich dafür ermöglichen, dass der juristischen Person, die nur durch ihre Organe zu handeln imstande ist, zwar die Vorteile dieser in ihrem Interesse vorgenommenen Betätigung zufließen, dass sie aber beim Fehlen einer Sanktionsmöglichkeit nicht den Nachteilen ausgesetzt wäre, die als Folge der Nichtbeachtung der Rechtsordnung im Rahmen der für sie vorgenommenen Betätigung eintreten können. Die juristische Person wäre dann gegenüber der natürlichen Person besser gestellt.“16 In dieser Formulierung kommt erkennbar zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber von einem dauerhaften Verbleiben der Geldbuße bei der juristischen Person oder Personenvereinigung ausgeht, gegen die die Sanktion zuvor verhängt worden ist. Denn nur dann ist der beabsichtigte Gleichlauf mit den Vorteilen hergestellt, die sie aus ihrer Betätigung zieht. Der Bundesgerichtshof hat die soeben genannte Passage der Gesetzesbegründung in seinem Beschluss aus dem Jahr 1986 aufgegriffen und daraus gefolgert: 15 Vgl. Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit im deutschen Kartellsanktionenrecht – Anmerkungen zum Entwurf der 9. GWB-Novelle, NZKart 2016, 447, 450, 456. 16 BT-Drucks. V/1269 v. 8.1.1967, S. 59.

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„Die Nebenfolge des § 30 OWiG soll in derartigen Fällen das rechtlich selbständige, in erster Linie zu bestimmten wirtschaftlichen Zwecken eingesetzte, auch gegenüber den Mitgliedern einer juristischen Person verselbständigte Vermögen treffen und gegebenenfalls die durch eine Ordnungswidrigkeit erlangten Vorteile ausgleichen.“17 Ein Verhaftetbleiben an der Abgeschlossenheit des zivilrechtlichen Schadensersatzsystems und mithin an der Differenzhypothese erscheint vor diesem Hintergrund nur schwerlich möglich. Denn wenn der Zweck der Unternehmensgeldbuße in der dauerhaften Entziehung der durch die Ordnungswidrigkeit erlangten Vorteile liegt, kann dieser nur erreicht werden, sofern das verselbständigte Vermögen materiell durch die Sanktion geschmälert wird. Genau dies würde durch einen Rückgriffsanspruch verhindert, da die Geschäftsführerhaftung – der Ratio des § 30 OWiG konträr entgegenstehend – auf den Schutz der Anteilseigner abzielt. Der Gesetzgeber hat sich mit § 30 OWiG bewusst dafür entschieden, das Unternehmen trotz der persönlichen Verantwortlichkeit des Organs in Haftung zu nehmen. Mit einer Umkehrung dieses Zuschreibungsaktes würde die zivilrechtliche Haftungsregelung die sanktionsrechtliche Entscheidung im Ergebnis wieder aufheben.18 Zwar bestehen zwischen der zivilrechtlichen Haftung und einer staatlichen Sanktion notwendigerweise Unterschiede, etwa hinsichtlich der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Verfahren. Diese Unterschiede bedeuten aber nicht, dass beide Regelungskomplexe isoliert voneinander zu betrachten sind. Der Schadensbegriff öffnet vielmehr das Haftungsrecht für sonstige Wertungen.19 b) Sanktionsrechtliche Einheit von Organ und Rechtsträger Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach dem Konzept und den gesetzlichen Wertungen des Sanktionsrechts das pflichtwidrige Handeln des Organs oder der sonstigen Vertreter nach § 30 OWiG als das Handeln der Gesellschaft selbst angesehen wird. Denn eine juristische Person kann überhaupt nur durch ihre Organe oder andere Repräsentanten handeln. Es handelt sich hierbei um eine untrennbare Verbindung: Die juristische Person ist für das Handeln ihrer Organe verantwortlich und kann sich dieser Verantwortlichkeit nicht entledigen. Dieser sanktionsrechtliche Zuordnungsakt würde unterlaufen, wenn das Organ über einen Regressanspruch der juristischen Person zum außenstehenden „Dritten“ gemacht würde, auf den die Sanktion übergewälzt werden könnte. In dieser sanktionsrechtlichen Wertung des § 30 OWiG liegt auch ein entscheidender Unterschied zu der Fallkonstellation, die der im Schrifttum wiederholt angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung des Steuerberaters für die gegen dessen Mandanten verhängten Bußgelder zugrunde lag.20 In der hier behandelten 17 BGH v. 11.3.1986 – KRB 8/85, Rz. 15, zitiert nach juris. 18 Ähnlich LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, juris Rz. 166 ff. 19 Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 219. 20 BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 189/09, juris.

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Konstellation liegt der Pflichtenverstoß des Beklagten nicht in einer falschen Beratung der Gesellschaft aufgrund eines externen Beratervertrags, sondern vielmehr darin, dass er rechtswidrig für die Gesellschaft und als Teil eben dieser Gesellschaft gehandelt hat.21 Oder anders gewendet: Die Unternehmensbuße kommt hier überhaupt nur in Betracht, weil ein Repräsentant des Unternehmens pflichtwidrig und schuldhaft für das Unternehmen gehandelt hat. c) Personenkreis möglicher Täter nach § 30 OWiG Die zu respektierende Eigenständigkeit der sanktionsrechtlichen Wertentscheidung zeigt sich auch darin, dass die Verantwortlichkeit nicht nur durch eine Pflichtverletzung von Organmitgliedern der juristischen Person ausgelöst wird, sondern ebenso durch Pflichtverletzungen weiterer Repräsentanten, wie sie im Katalog des § 30 Abs. 1 OWiG abschließend aufgezählt sind. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers soll die betreffende juristische Person oder Personenvereinigung für das Handeln aller dort genannten Personen gleichermaßen einstehen. Diese gesetzgeberische Wertung würde konterkariert, wenn bei Pflichtverstößen bestimmter Repräsentanten die Sanktion übergewälzt werden könnte und bei anderen die Sanktion ganz oder teilweise beim Unternehmen verbliebe. 2. Unternehmensgerichtete Sanktion im Kartellrecht Die Wertungen des deutschen und europäischen Kartellrechts, auf denen die in Rede stehende Unternehmensgeldbuße fußt, untermauern die Notwendigkeit einer normativen Korrektur des Schadensbegriffes. Ein Haftungsdurchgriff wäre weder mit den Wertungen des unternehmensbezogenen Bußgeldrahmens noch mit dem Zweck der unternehmensbezogenen Bußgeldsetzung in Einklang zu bringen. a) Wertungen des unternehmensbezogenen Bußgeldrahmens in § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB Normadressat des materiellen Kartellverbotstatbestands in Art. 101 AEUV und § 1 GWB ist nicht ein konkreter Rechtsträger, sondern das „Unternehmen“. Entsprechend der materiellen Regelung knüpft auch die deutsche Sanktionsnorm in §  81 Abs.  4 Satz 3 GWB bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes des zu bebußenden Unternehmens an den Begriff der wirtschaftlichen Einheit und nicht an einzelne Rechtsträger an. Das gegen ein Unternehmen verhängte Bußgeld soll den gesamten Konzern im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit treffen. Letztere definiert der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit“, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Einheit selbst Rechtspersönlichkeit besitzt.22 Sie kann zwar durchaus mit einer natürlichen oder juristischen

21 LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, juris Rz. 180. 22 Vgl. nur EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-97/08 P, Rz 54 ff. – Akzo Nobel.

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Person identisch sein, wird aber häufig – wie auch in der hiesigen Konstellation – aus mehreren bestehen. Diese Loslösung des Normadressaten vom Rechtsträgerprinzip beruht auf der Erkenntnis, dass sich das Wettbewerbsverhalten von Marktteilnehmern kartellrechtlich nur dann steuern lässt, wenn sich die Verhaltensbefehle auch an diejenigen Wirtschaftssubjekte richten, welche tatsächlich auf den Wettbewerbsprozess Einfluss nehmen.23 Das sind in der heutigen Wirtschaftsrealität immer seltener einzelne juris­ tische oder gar natürliche Personen. Statt ihrer hat das Kartellrecht regelmäßig das Handeln der Geschäftsbereiche von Konzernen zu bewerten, die  – ohne selbst Rechtsträger zu sein – sich durch einen eigenständigen Willensbildungsprozess bezüglich des eigenen Marktverhaltens auszeichnen. Rechtstatsächlich ist dabei nicht die einzelne juristische Person das Forum dieses Willensbildungsprozesses, sondern eben der Konzern bzw. dessen Geschäftsbereich. In dessen weitgehenden Belieben steht es, wie er Aufgaben, Betriebsmittel und Früchte eines Verstoßes auf die einzelnen Rechtsträger verteilt. Soll dadurch nicht auch die Beachtung des Kartellrechts dem Belieben der wirtschaftlichen Einheit unterfallen, muss es gerade auf die Erfassung des rechtsträgerübergreifenden Handelns von Wirtschaftssubjekten ausgerichtet sein. Das Kartellrecht verhindert mit anderen Worten, dass die Muttergesellschaft im Hintergrund bleiben und sich dem Zugriff der Kartellbehörden entziehen kann. Für die vorliegende Konstellation folgt daraus, dass das Bundeskartellamt bei der Festlegung der Bußgeldobergrenze im Sinne des §  81 Abs.  4 Satz  2 GWB  die  Gesamtumsätze des betroffenen Konzerns in Ansatz gebracht hat. Dem Bundeskartellamt geht es bei der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße darum, der Einbettung der Tätergesellschaft in einen Konzern – und damit dessen Ahndungsempfindlichkeit24 – Rechnung zu tragen. Dieser bildete den Ausgangspunkt für die Bußgeldzumessung. Es macht also sanktionenrechtlich richtigerweise keinen Unterschied, ob der kartellbeteiligte Geschäftsbereich ein unselbständiger Bereich der Konzernmutter oder ob er als „selbständige“ Konzerntochter organisiert ist. b) Unternehmensbezogene Bußgeldfestsetzung Auch die konkrete Festsetzung der Geldbuße innerhalb des unternehmensbezogenen Bußgeldrahmens erfolgt in Hinblick auf das Unternehmen.25 Ganz maßgeblich ist insoweit das Gewinn- und Schadenspotential, wie es durch den tatbezogenen Umsatz zum Ausdruck gebracht wird.26 Zum tatbezogenen Umsatz zählt dabei der gesamte inländische Umsatz, den das Unternehmen während des Tatzeitraums mit den kar23 Vgl. Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit im deutschen Kartellsanktionenrecht – Anmerkungen zum Entwurf der 9. GWB-Novelle, NZKart 2016, 447, 454. 24 Vgl. dazu BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, Rz. 66 – Grauzement. 25 Bundeskartellamt, Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren v. 25.6.2013, Rz. 3. 26 Bundeskartellamt, Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren v. 25.6.2013, Rz. 4.

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tellbetroffenen Produkten oder Dienstleistungen erzielt hat. Weitere relevante Fak­ toren sind die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit, ihre Stellung auf dem Markt, eine mögliche Wiederholungstäterschaft und das Nachtatverhalten (Bonusantrag, einvernehmliche Verfahrensbeendigung). Auf alle diese Faktoren kann das betroffene Organ in der Regel kaum Einfluss nehmen. Folglich würde ihm im Falle einer Überwälzung der Unternehmensbuße nicht nur die alleine beim Konzern liegende Entscheidung über die Verfahrensgestaltung und damit die Sanktionshöhe aufgebürdet, ohne dass er diese beeinflussen könnte. Auch würde er für eine Buße einstehen müssen, die völlig losgelöst von seinen persönlichen Verhältnissen festgesetzt worden ist.27 c) Zweck der unternehmensbezogenen Buße Die Fokussierung der kartellrechtlichen Sanktionierung auf den Konzern ist sachlich gerechtfertigt. Die Konzernspitze ist für Anreizstrukturen innerhalb des Unternehmens verantwortlich und muss durch effektive und nachhaltige Compliance-Maßnahmen auf die Einhaltung rechtlicher Vorgaben hinwirken. Nur durch die Verhängung von Bußgeldern, die Abschreckungswirkung mit Blick auf den gesamten Konzern entfalten, wird dieses Ziel erreicht.28 Auch dieser Zweck der unternehmensbezogenen Geldbuße würde unterlaufen, wenn sich die Unternehmen hinterher bei ihren Vertretern – gar bei denen beherrschter Tochtergesellschaften – schadlos halten könnten. d) Blick nach Europa Dass eine Überwälzung der Unternehmensgeldbuße mit dem Konzept des Kartellsanktionenrechts nicht vereinbar wäre, verdeutlicht auch ein Blick nach Europa: Wie oben ausgeführt, verhängt die Kommission Bußgelder nach Art. 23 der VO 1/2003 ausschließlich gegen die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen. Ein Unterschied zum deutschen Bußgeldrecht besteht darin, dass jeder zuständige Mitarbeiter (Arbeitnehmer) die Verantwortlichkeit des Unternehmens auslösen kann und diese nicht nur bei der Anstellungskörperschaft besteht, sondern bei allen Rechtsträgern des Unternehmens.29 Die Kommission kann beispielsweise im Falle eines Kartellverstoßes durch einen Mitarbeiter der Tochtergesellschaft Bußen sowohl gegen diese Gesellschaft als auch gegen die Muttergesellschaft verhängen, die als Gesamtschuldner haften. Diese europäische Rechtslage zugrunde gelegt, wäre überhaupt nur in einer Teilmenge eine Geschäftsführerhaftung möglich, die wiederum von Zufälligkeiten abhängen 27 In eine ähnliche Richtung argumentiert LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, juris Rz. 171. 28 Ost/Kallfaß/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit im deutschen Kartellsanktionenrecht – Anmerkungen zum Entwurf der 9. GWB-Novelle, NZKart 2016, 447, 454. 29 Ständige Rspr. seit EuGH v. 7.6.1983 – Rs. 100/80 bis 103/80, Rz 97 – Musique Diffusion française.

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würde und der europäischen Intention, das Unternehmen insgesamt zu treffen und zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, zuwiderliefe. Mit Blick auf die grundsätzlich parallele Zuständigkeit von Bundeskartellamt und Kommission und den Umstand, dass es nicht selten von weichen Kriterien abhängt, ob das deutsche oder das europäische Sanktionsregime zur Anwendung kommt, sollte auch diese Wertung nicht außer Betracht bleiben.

IV. Ausscheiden beschränkter Regressmöglichkeiten Eine vermittelnde Lösung in Gestalt einer vielfach als billig empfundenen beschränkten Regressmöglichkeit30 kommt mangels hinreichenden Anklangs im Gesetz nicht in Betracht. Sie ließe sich in keiner der konkret vorgeschlagenen Ausprägungen ohne Friktionen in das System des deutschen Haftungsrechts integrieren. Noch am ehesten könnte insoweit auf die Bußgeldobergrenze des § 81 Abs. 4 Satz 1 GWB rekurriert werden. Tatsächlich wird teilweise vorgetragen, der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift zum Ausdruck bringen wollen, dass sich an Kartellverstöße keine existenzvernichtenden Folgen für natürliche Personen knüpfen dürfen. Die Grenze von 1 Mio. Euro markiere die Bußgeldhöhe, bei der die Legislative nicht von einer Existenzvernichtung ausgehe.31 Eine Betrachtung der zugehörigen Gesetzesbegründung lässt diesen Schluss jedoch nicht zu. Ausweislich der entsprechenden Passage sollte lediglich „der wirtschaftlichen Entwicklung seit der letzten Erhöhung im Rahmen der 4. GWB-Novelle (1980) Rechnung“ getragen und „eine wirkungsvolle Ahndung der besonders gravierenden Verstöße gegen Wettbewerbsvorschriften“ ermöglicht werden.32 Für eine analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze eingeschränkter Arbeitnehmerhaftung auf die §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG finden sich keinerlei gesetzliche Anhaltspunkte. Hinzu kommt, dass in der Praxis kartellrechtlicher Bußgeldverfahren Fälle leichter und mittlerer Fahrlässigkeit höchst selten vorkommen. Da sich die Verfolgungsbehörden ganz überwiegend mit vorsätzlichen Taten konfrontiert sehen, griffen Haftungsreduzierungen selbst bei Übertragung der Arbeitnehmergrundsätze kaum durch. Schließlich überzeugen im Ergebnis auch organschaftlich vermittelte Beschränkungsansätze nicht. Weder eine Begrenzung auf den Betrag, der bei direkter Sanktionierung des Organs angemessen wäre, noch eine Begrenzung in Relation zur Höhe der Vorstandsvergütung oder eine Begrenzung auf die Deckungssumme der jeweiligen

30 In diese Richtung: ArbG Essen v. 19.12.2013  – 1 Ca 657/13, juris Rz.  140; dazu kritisch Ackermann, Organhaftung für Kartellgeldbußen: Gedanken zum Zeitvertreib, NZKart 2018, 1, 2. 31 So u.a.: Gaul, AG 2015, 109, 116 ff. ablehnend LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, juris Rz. 154 m.w.N. 32 BT-Drucks. 15/3640 v. 12.8.2004, S. 67.

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D&O-Versicherung bzw. auf das Dreifache des Jahresgehaltes33 lassen sich im derzeit geltenden nationalen Recht anbinden.

V. Prävention durch private Schadensersatzklagen, Compliance-­ Programme und arbeitsvertragliche Individualgestaltungen Auch übergreifende präventionspolitische Gesichtspunkte sprechen nicht maßgeblich gegen einen Ausschluss des Regresses in Bezug auf die Unternehmensgeldbuße. Zwar erscheint es unter Präventionsgesichtspunkten äußerst sinnvoll, dass nicht nur die Unternehmen, sondern auch die handelnden Unternehmensvertreter nachdrücklich zur Befolgung der Rechtsordnung angehalten werden. Eine solche persönliche Betroffenheit der handelnden Akteure kann erheblich dazu beitragen, Kartelle langfristig und nachhaltig zu verhindern. Allerdings ist die Verhängung eines persönlichen Bußgelds in den gesetzlich dafür vorgesehenen Fällen das insoweit angebrachte Mittel.34 Hierbei ist die persönliche Leistungsfähigkeit des Unternehmensvertreters zu berücksichtigen, da es von ihr abhängt, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße ihn trifft. Das Bundeskartellamt trägt dem Rechnung und verhängt regelmäßig Geldbußen gegen die Betroffenen.35 Darüber hinaus ist auch eine – über die persönliche Bebußung hinausgehende – zivilrechtliche Verantwortlichkeit der unmittelbar kartellrechtswidrig handelnden Person sinnvoll und notwendig . Der geeignete Weg ist hierfür allerdings nicht die Überwälzung der Unternehmensgeldbuße. Auch ohne die drohende Überwälzung des Unternehmensbußgeldes sieht sich ein künftiger Kartelltäter im Zusammenspiel von möglichen Direktklagen Kartellgeschädigter bzw. vermittelt über Klagen „seines“ bereits in Anspruch genommenen Unternehmens, der Wirkweise effektiver Compliance-­ Programme sowie arbeitsvertraglich ausgehandelter Individualsanktionen einem erheblichen Abschreckungspotential gegenüber. Hinzu kommt, dass schon das langwierige behördliche Verfahren belastend wirkt und regelmäßig einen beachtlichen Reputationsschaden zur Folge hat. 1. Private Schadensersatzklagen nach § 33 GWB Oft bewegen sich die haftungsrechtlich gegen kartellrechtswidrig handelnde Personen im Raum stehenden Forderungen auf dem Niveau der verhängten Geldbußen 33 Nachweise bei: Fabisch, ZWeR 2013, 91, 110; Gaul, AG 2015, 109, 116. 34 Kritisch: Ackermann, Organhaftung für Kartellgeldbußen: Gedanken zum Zeitvertreib, NZKart 2018, 1, 2, der überlegt, ob öffentliche Ressourcen in die Anstrengung investiert werden sollen, präventiv wirkende Sanktionen nicht nur an das Unternehmen, sondern auch an unternehmensangehörige Individuen zu richten und fragt, ob diese Feinsteuerung der unternehmensinternen Anreize zu kartellrechtskonformem Verhalten durch privatrechtliche Corporate Governance und Compliance sachnäher und kostengünstiger gestaltet werden könnte. 35 Krauß, Kurzbericht: Sanktionen gegen kartellbeteiligte Unternehmensangehörige in der Praxis des Bundeskartellamtes, NZKart 2017, 179.

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(oder gar darüber) und können im Realisierungsfall ebenfalls existenzvernichtende Wirkung haben. Schadenersatzansprüche können zum einen direkt gegen den Geschäftsführer geltend gemacht werden.36 Aber auch gegen ihre grundsätzliche Überwälzung im Ziviloder Arbeitsrechtsstreit spricht keines der Argumente, die für eine Ablehnung der Bußgeldüberwälzung streiten. Die Umsetzung der europäischen Schadensersatzrichtlinie in deutsches Recht wird wegen der mit ihr einhergehenden Erleichterungen mutmaßlich auch zu einem weiteren Anstieg entsprechender Ersatzklagen führen und daher die Abschreckungswirkung nochmals steigern. Schließlich erscheint sowohl in der Sache als auch prozessual ein Verfahren über sonstige Schäden nach § 33 GWB als der richtige Ort, um – losgelöst von Fragen des öffentlichen Sanktionsrechts – im Rahmen der Vorteilsausgleichung die „wirtschaftliche Bilanz“ eines Kartells im Detail zu erörtern. 2. Compliance-Programme der Unternehmen Die Einführung effektiver Compliance-Programme ist ein wichtiges Instrument zur eigenverantwortlichen Prävention und Aufklärung von Kartellrechtsverstößen durch die Unternehmen.37 Insbesondere in der Spitze eines Konzerns angesiedelte, diese umfassende und von dort aus auch durchgeführte Programme ermöglichen die Vermeidung von unternehmensbezogenen Pflichtverletzungen. Die Bedeutung, die effektiven Compliance-Programmen unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung beizumessen ist, steht einer gleichzeitigen Ablehnung der Bußgeld­ überwälzung nicht im Wege. Denn den Unternehmen verbleiben auf allen „Sanktionsstufen“ zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, ihr Programm mit hinreichendem Nachdruck zu versehen. Beispielhaft seien hier nur das konsequente Gebrauch­ machen von Abmahnungen, der Einbehalt von Boni bzw. die Ablehnung der Übernahme persönlicher Bußgelder, die Entlassung aufgedeckter Kartelltäter und Aufsichtspflichtverletzenden sowie das rückhaltlose Durchlaufen vergaberechtlicher „Selbstreinigungsprozesse“ im Zusammenhang mit Submissionsabsprachen genannt. 3. Individualvertragliche Gestaltungen Abschließend gesonderte Erwähnung soll das Vorsehen individualvertraglicher Schadensersatzregelungen in Arbeitskontrakten finden. Hier bietet sich die Möglichkeit auf allen Konzernebenen, flankierend zu den soeben umrissenen Maßnahmen, passende Abschreckungspotentiale gegenüber künftigen Kartelltaten zu realisieren und die Effektivität eines Compliance-Programmes weiter zu steigern. 36 OLG Düsseldorf v. 13.11.2013 – VI-U (Kart) 11/13, NZKart 2014, 68-72, WuW/E DE-R 4117-4128 – Badarmaturen. 37 Ost, Much ado about nothing? Zur Forderung stärkerer Berücksichtigung von Compliance-­ Programmen im deutschen Kartellbußgeldverfahren, in Ackermann/Köndgen (Hrsg.), FS für Wulf-Henning Roth, 2015, S. 413, 414.

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VI. Ausblick Der von der Arbeitsgerichtsbarkeit an die Kartellzivilgerichte verwiesene Fall wird wahrscheinlich noch einige Jahre für Gesprächsstoff sorgen. So bietet der Fall nicht nur rechtstatsächlich ein Kaleidoskop von interessanten Aspekten, sondern er hat für einen wichtigen Bereich des Kartell- und Gesellschaftsrechts zu prominenten Entscheidungen geführt und wird weiter zur Fortentwicklung des Rechts beitragen. Im Ergebnis spricht viel dafür, dass im Kartellsanktionenbereich – anders als nach Paulus‘ Galaterbrief (6,2) – jeder seine eigene Last tragen sollte.

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The impact of EU law – Danish examples

I. Danish competition law

II. Cartels III. Abuse of dominance IV. Public procurement

V. State aid

VI. Primacy of EU law – reimbursement of duties VII. Data Protection law VIII. The Ajos case IX. Concluding thoughts

As an old Danish friend of Dirk Schroeder I am grateful for being offered the possibility to write a few lines in Dirk’s honour, congratulating him on the birthday and for his long and distinguished career. From the perspective of a Danish practitioner, it is a good occasion to reflect briefly (and personally) upon the impact of EU law in Denmark over the decades passed since Dirk and I worked in Brussels in the early nineties. During this period Denmark has in practice seen a sequence of waves of EU law coming in.1 I think in particular of competition law (from the mid-nineties), public procurement law (from the late nineties), state aid law (from around 2000, but only gradually taking shape), reimbursement of duties (an old topic but with some important Danish cases in 2007-2012), and data protection law (from 2016).2 Each of these areas have had – besides other effects on society, efficiency, or welfare – significant effect on industry practice as well as the practice of public authorities. This development has been driven by landmark cases and by awareness going from being very limited to being wide.3 Each wave has also offered – and is offering – opportunities to new generations of lawyers.

1 Denmark joined the Community as of 1 January 1973. For the first twenty years, the impact of the rules discussed here was in practice very limited. 2 This is of course not an exhaustive list. In fields such as labour law, immigration law, and copyright the case law of the Court has also had significant effect. 3 This development is also reflected in the growth of the number of professional associations: The Danish Competition Law Society was established in 2000, The Danish Procurement Law Society was established in 2007, the Danish State Aid Law Association was established in 2014, and the Danish Personal Data Law Society was established in 2016.

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I. Danish competition law Until 1997 Denmark had a “soft” competition law which was not based upon what is now Articles 101 and 102. This was altered by the Competition Act of 19974 which in its basic form was modelled upon what was then Articles 81 and 82 EC. However, the Act did not include merger control and abuse of dominance could not be sanctioned with fines. It has taken a number of adjustments and amendments5 to arrive at a piece of legislation6 which is now better in line with EU law.7 By the adjustments a better alignment of the substantial competition rules with EU law has been obtained, merger control rules have been introduced, improved, and

4 Act no. 384 of 10 June 1997. 5 Act no. 416 of 31 May 2002 (Merger control, the composition of the Competition Council, decentralisation etc.), Act no. 426 of 6 June 2002 (Public restrictions of competition, fines etc.), Act no. 1461 of 22 December 2004 (Terms of trade of dominant undertakings, commitments, mergers etc.), Act no. 572 of 6 June 2007 (Strengthened combat of cartels, better control and investigation instruments, more competition for public services), Act no. 495 of 12 May 2010 (Lowering of thresholds in merger control, approval of mergers by a simplified procedure, amended time-limits for merger control, ”unequivocal” prohibition against market sharing agreements etc.), Act no. 1385 of 23 December 2012 (Introduction of prison sentences in cartel cases, higher fine level, leniency, amended procedures etc.), Act no. 620 of 12 June 2013 (Fees for notifications of mergers), Act no. 1371 of 16 December 2014 (Prolongation of time-limits in merger cases, establishment of a Board of Directors for the Competition and Consumer Authority within the area of competition, publication of  judgments with prison sentences etc.), Act no. 741 of 1 June 2015 (adjustments of merger  rules), and Act no. 1545 of 19 December 2017 (Exemption from the prohibition against restrictive agreements, mergers, access to file, data protection, preliminary leniency applications, and Nordic cooperation). 6 Consolidated Version of the Act no. 14 of 10 January 2018. 7 The Competition Act is administered by the Danish Competition and Consumer Authority, a body with around 250 employees in total headed by a Director. The Competition and Consumer Authority publishes around 50 decisions each year, of which the majority is merger cases. Relatively few – around 15 – decisions annually are taken by the Competition Council. Decisions in larger cases are taken by the so-called Competition Council, a collegiate body of 7 permanent members, which is also coordinating competition policy with the Authority. Cases involving possible criminal prosecution are transferred to the State Attorney of International and Economic Crime which is competent to bring cases before the courts. The Competition and Consumer Authority and the State Attorney of International and Economic Crime operate a leniency programme based on Section 23 of the Competition Act. This provides possibilities of relief from, or reduction of, fines subject to full disclosure and co-operation etc. Only the courts are competent to sentence infringers with sanctions (fines, and in certain cartel cases imprisonment). Alternatively, the State Attorney may propose companies and individuals an out-of-court solution whereby the accused voluntarily accepts to admit guilt and to pay the proposed fine.

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fine-tuned,8 leniency procedures have been established, and fine levels have been (moderately) increased. In addition, the possibility of prison sentences has been introduced (but not used). The issue of finding the right level of fines is still fundamentally unsolved and is probably a good example of the balancing problem  – from an international enforcement perspective one would prefer stronger sanctions, especially when enforcing EU competition rules,9 while from the perspective of the national legislator and courts, this could be seen as disproportionately hard and unnecessary and out of line with domestic levels of sanctions in other areas. National sanctions are still at a very low level compared to EU and international standards  – but not necessarily so when compared to sanctions for other business offences under Danish law.

II. Cartels When an international cartel case, the Pre-Insulated Pipe Cartel, for the first time developed from Denmark in the mid-nineties,10 it was naturally dealt with by the Commission. The resulting fines were very high compared to Danish standards and the case did become a standard of reference on some points. In addition the case served to highlight to the Danish business community the deterrent effect of EC competition rules.

8 For a recent Danish example from the merger area, see case C-633/16, Ernst & Young, on the interpretation of the Merger Regulation in relation to the prohibition against early ­implementation or ”gun jumping” with the opinion of AG Wahl of 18 January 2018. 9 See hereto also the Commission’s proposal of 22 March 2017 for a Directive to e­ mpower the competition authorities of the Member States to be more effective e­ nforcers and to ensure the proper functioning of the internal market (COM(2017) 142 final), the so-called ECN+. The proposal aims to ensure that when applying the EU antitrust rules national competition authorities have the appropriate enforcement tools in order to bring about a genuine ­common competition enforcement area. 10 The Commission’s decision 1999/60/EC relating to a proceeding under Article 85 of the EC Treaty (Case No IV/35.691/E-4: - Pre-Insulated Pipe Cartel) (OJ 1999 L 24, p. 1). See hereto a string of judgments of the courts, such as judgment of 20 March 2002, ABB Asea Brown Boveri Ltd v Commission, case T-31/99, EU:T:2002:77, and judgment of the Court (Grand Chamber) of 28 June 2005, Dansk Rørindustri A/S (C-189/02 P), Isoplus Fernwärmetechnik Vertriebsgesellschaft mbH and Others (C-202/02 P), KE KELIT Kunststoffwerk GmbH (C205/02 P), LR af 1998 A/S (C-206/02 P), Brugg Rohrsysteme GmbH (C-207/02 P), LR af 1998 (Deutschland) GmbH (C-208/02 P) and ABB Asea Brown Boveri Ltd (C-213/02 P) v Commission, EU:C:2005:408.

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Since this case significant cartel cases have been rare in Denmark, the most important cases having been related to either international transport11 or to local markets in services (such as the markets for electricians,12 construction13 local banking,14 and driving schools15). Latest, and perhaps due to a fear of being seen as too soft, there are examples of indeed very restrictive views from the Danish Competition Authority on the use of consortia agreements, especially in relation to public procurement, causing practical challenges and a possible loss to society.16 A loss to society may occur when potential bidders refrain from forming consortia out of a fear of infringing the competition rules, while on the other hand feeling unable to make sufficiently competitive bids by themselves. This is partially a problem of lack of clarity and case law. A similar problem may arise if a dogma like: “If you can bid alone, you must bid alone” is applied without regard to the circumstances and the competitive situation of the market.

III. Abuse of dominance Abuse of dominance  – in particular on pricing and rebates - has had its share of Danish case law – but only with civil law consequences – if any at all. To be noted at this occasion are in particular four cases, Elsam III, TV2, and Post Danmark I and II.

11 SAS/Maersk (see hereto Commission decision of 18 July 2001, OJ 2001 L 265/15) and the Airfreight cartel (See hereto Commission decision C(2010) 7694 final relating to a proceeding under Article 101 TFEU, Article 53 of the EEA Agreement and Article 8 of the Swiss Agreement (Case COMP/39258 — Airfreight) and the judgment of the General Court (First Chamber) of 16 December 2015, SAS Cargo Group A/S and  Others v European Commission, case T-56/11, EU:T:2015:990. 12 See links to a number of judgments from 2001-2005 on https://www.kfst.dk/konku​ rrenceforhold/afgoerelser/straffedomme-og-boedevedtagelser/horisontale-aftaler. 13 See for example press release of 6 October 2014 from the Competition and Consumer Authority, concerning a total of 25 agreed fines, totalling DKK 27 million (around 3.5 million euros). The cases concerned bid-rigging of contracts with a value of DKK 400500 million. In the cartel, one company accepted a fine of 10 MDKK (1.3 million euros) which was the largest Danish fine today. 14 See the Competition Council’s decision of 28 March 2007, Lokalbanksamarbejdet, and the Competition Appeal Board’s decision of 8 May 2007. On 15 April 2008 the banks agreed to a fine of 4 MDKK (slightly more than 500,000 euros). 15 Press release of 28 February 2014 according to which 5 local driving schools had jointly announced a price for a driver’s licence. Each school was fined DKK 25,000 (3,350 euros). 16 See the Competition Council’s decision of 24 June 2015, Dansk Vejmarkerings Konsortium, and on appeal the Competition Appeal Board’s decision of 11 April 2016, Eurostar Danmark A/S og LKF Vejmarkering A/S v the Competition Council. The case is now pending before the Maritime and Commercial Court.

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The Elsam III case concerned the pricing behaviour in the electricity market of a Danish utility, Elsam, which was later acquired by DONG Energy, now named Ørsted.17 The Danish Competition Council,18 the Competition Appeal Board19 and the Danish Maritime and Commercial Court20 all found that Elsam enjoyed a dominant position in the market for sale of electricity in Western Denmark and that a certain pricing behaviour involving the use of price offerings which in a not insignificant amount of hours shadowed the expected prices in particular in the German electricity market could not be justified and constituted an abuse in the form of excessive pricing. The case is, at the time of writing, pending on appeal in the Danish Western High Court. Further, significant follow-on damages claims are pending before the Maritime and Commercial Court. The TV2 case involved the use of retroactive and progressive annual rebates for television commercials, offered by the public broadcaster TV2 Danmark. The Danish Competition Council found twice, in 1999 and 2004,21 that these rebates infringed Article 82 EC and the corresponding provision in Section 11 of the Danish Competition Act. These decisions were  – both  – annulled by the Competition Appeal Board22 which found that there had been an insufficient basis for the abuse conclusion. On appeal of the second decision, however, first the Danish Eastern High Court23 and subsequently the Danish Supreme Court24 (by a 3-2 vote) found that the rebates did constitute abuse. Follow-on damages claims are still pending before the Eastern High Court concerning the rebates which were used until 2011. Knowing that cases concerning letters and parcels have been an area of relevance to Dirk, one must also note the two Post Danmark cases, which will be well known to practitioners of EU competition law. These cases concerned the Danish incumbent postal company Post Danmark, a dominant undertaking, and more particular the company’s pricing and use of rebates. In the first case, Post Danmark I, Post Danmark had applied lower prices to three customers which were also customers of a competitor but there was no proof of any intention to eliminate the competitor. 17 Currently the choice of the company name Ørsted, the name of a Danish scientist, is challenged by members of the Ørsted family in Denmark. 18 Decision of 20 June 2007, Elsam III. 19 Decision of 3 March 2008, DONG Energy A/S v Konkurrencerådet. 20 Judgment of 30 August 2016, DONG Energy A/S v Konkurrencerådet. 21 Decision of 29 November 2000, TV2’s priser og betingelser 2000, and Decision of 21 December 2005, TV2’s priser og betingelser (2001-2005). 22 Decisions of 8 April 2002 and 1 December 2006. 23 Judgment of 22 June 2009, 3rd dept. B-3926-06, Viasat Broadcasting UK Ltd. v Konkurrencerådet. 24 Judgment of 18 March 2011, case 183/2009, Konkurrencerådet v Viasat Broadcasting UK Ltd.

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The Court of Justice found that Article 82 EC should be interpreted as meaning that a policy by which a dominant undertaking charges low prices to certain major customers of a competitor may not be considered to amount to an exclusionary abuse merely because the price that undertaking charges one of those customers is lower than the average total costs attributed to the activity concerned, but higher than the average incremental costs pertaining to that activity. In order to assess the existence of  anti-competitive effects in circumstances such as those that were present in the  main proceedings, it was necessary to consider whether that pricing policy, without objective justification, produced an actual or likely exclusionary effect, to the detriment of competition and, thereby, of consumers’ interests.25 In the subsequent judgment of 15 February 201326 the Danish Supreme Court applied the Court’s judgment and found that the elements of the Danish Competition Authority decision which had found an abuse had to be set aside, amongst others, because the Supreme Court did not find it had been shown to be likely that the competitor would be eliminated from the market. The second case, Post Danmark II, concerned a rebate scheme in respect of direct advertising and raised important questions on the use of the “as efficient-competitor” test.27 In a sense both these judgments pointed forward towards the Intel judgment,28 but the judgments have arguably also had the effect in Denmark that the Competition Authority is now very, and probably too hesitant, to open cases on price discrimination or loyalty rebates due to the burden of proof.

IV. Public procurement In the beginning of the nineties, the impact of the Treaty’s free movement rules and the rules on public procurement was brought home to the Danes by the case concerning the construction of the Danish Storebælt (Great Belt) Bridge, decided by the Court in 1993.29 Here the Court struck down certain requirements in the tender materials as unlawful under the rules of free movement of goods (inter alia a later famous “Buy Danish clause”).

25 Judgment of the Court (Grand Chamber) of 27 March 2012, Post Danmark A/S v Konkurrencerådet, Case C-209/10, EU:C:2012:172. 26 Case 2/2008, Post Danmark A/S v Konkurrencerådet. 27 Judgment of the Court (Second Chamber) of 6 October 2015, Post Danmark A/S v Konkurrencerådet, Case C-23/14, EU:C:2015:651. The concept of AEC was also used – with doubtful consequences – in the state aid decisions concerning TV 2. 28 Judgment of the Court (Grand Chamber) of 6 September 2017, Intel Corp. v Commission, Case C-413/14 P, EU:C:2017:632. 29 Judgment of the Court of 22 June 1993, Commission v Kingdom of Denmark, Case C-243/89, EU:C:1993:257.

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As the Great Belt Bridge was the largest Danish infrastructure project at the time, connecting the islands of Zealand and Funen, this case caught the front page of Danish newspapers at the time. It probably set the scene for what later became a very compliant (and from time to time seen as “over-compliant”) Danish regime and case law on public procurement. A recent example was found in the 2015 Danish Act on Public Procurement,30 transposing the fourth generation of procurement directives into national law, where it was assumed that there was, under EU law, an obligation to publish the evaluation model that would be applied. The Court later found that no such obligation was mentioned in the 2004/18 procurement directive.31

V. State aid The impact of state aid rules was felt when the Commission, acting upon a complaint from 1999, in 2001 opened a case against the very visible state-owned public broadcaster TV2 Danmark leading to a Commission decision in May 200432 ordering recovery of DKK 628 million together with interest; thereby requiring a recapitalisation of the broadcaster. Due to the risk of additional recovery orders and claims for damages this case has effectively blocked a privatisation of the broadcaster for close to two decades, as the

30 Act no. 1564 of 15 December 2015, Section 160. 31 Judgment of the Court of 14 July 2016, TNS Dimarso v Vlaams Gewest, Case C-6/15, EU:C:2016:555. 32 Commission Decision 2006/217/EC of 19 May 2004 on measures implemented by Denmark for TV2/Danmark (OJ 2006 L 85, p. 1, corrigendum in OJ 2006 L 368, p. 112; ‘the TV2 I decision’). This decision covered the period from 1995 to 2002 and concerned license fee resources, transfers granted from funds used to finance TV2/Danmark, sums granted on an ad hoc basis, exemption from corporation tax, exemption from interest and servicing charges on loans granted to TV2/Danmark at the time of its formation, and a State guarantee for operating loans and favourable terms for payment of fees by TV2/Danmark for the use of nationwide transmission frequencies. After examining the measures concerned, the Commission concluded that they constituted state aid.The Commission decided that that aid, granted between 1995 and 2002 by the Kingdom of Denmark to TV2/Danmark, was compatible with the internal market under Article 106(2) TFEU, with the exception of an amount of 628.2 million Danish kroner (DKK) (approximately EUR 85 million) which it classified as ‘overcompensation’. The Commission accordingly ordered the  Kingdom of Denmark to recover that sum, together with interest, from TV2/Danmark. The TV2 I decision was the subject of four actions for annulment brought, on the one hand, by TV2/Danmark (Case T‑309/04) and the Kingdom of Denmark (Case T‑317/04) and, on the other, by the competitors of TV2/Danmark, Viasat (Case T‑329/04) and SBS (Case T‑336/04).  By judgment of 22  October 2008, TV2/Danmark and Others v Commission (T‑309/04, T‑317/04, T‑329/04 and T‑336/04, EU:T:2008:​457), the General Court annulled the decision.

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cases concerning state aid to TV 2 were pending (twice) with the Commission33 and subsequently at the courts in Luxembourg from 1999 to 2017.34 Further the follow-up cases are not yet finished in national courts and may trigger further referrals to Luxembourg on the relationship between the case law requiring recovery of interest on unlawful aid35 and the case law concerning Article 106(2) TFEU.

VI. Primacy of EU law – reimbursement of duties The Court’s decision in 2007 in Lady & Kid36 concerning reimbursement of so-called “ambi” duties contained important learning lessons for Danish courts and tax authorities. The ambi duty which was fairly similar to VAT had been collected in 1988 – 1991 (sic) and had been held by the ECJ to infringe the Sixth VAT Directive.37 A very large number of claims for repayment were filed with the Danish State. In most cases repayment was refused due to the application of a passing over defence. The 2007 judgment was caused by a late referral from the Danish Eastern High Court in the very last reimbursement cases and effectively implied that more than 600 Danish judgments and some 27,000 national decisions on (typically the refusal of) repayment of ambi had been decided on a wrong legal basis if the ECJ’s reasoning were to be followed. In practice all other ambi repayment cases had been decided or settled at the time of the Court’s judgment.

33 Following the annulment of the TV2 I decision the Commission issued Decision 2011/839/ EU of 20 April 2011 on the measures implemented by Denmark (C 2/03) for TV2/Danmark (OJ 2011 L 340, p. 1). 34 See, amongst others, judgment of the Court (First Chamber) of 9 November 2017, Commission v TV2/Danmark A/S, Case C-656/15 P, EU:C:2017:836 (Appeal Case before the General Court T-674/11), judgment of the Court (First Chamber) of 9 November 2017, TV2/Danmark A/S v Commission, Case C-649/15 P, EU:C:2017:835 (Appeal Case before the General Court T-674/11), and judgment of the Court (First Chamber) of 9 November 2017, Viasat Broadcasting UK Ltd v TV2/Danmark A/S, Case C-657/15 P, EU:C:2017:837 (Appeal Case before the General Court T-674/11). 35 Judgment of the Court (Fourth Chamber) of 11 March 2010, Centre d’exportation du livre français (CELF) and Ministre de la Culture et de la Communication v Société internationale de diffusion et d’édition (SIDE), Case C-1/09, EU:C:2010:136. 36 Judgment of the Court (Grand Chamber) of 6 September 2011, Lady & Kid A/S and Others v Skatteministeriet, Case C-398/09, EU:C:2011:540. 37 Judgment of the Court of 31 March 1992, Dansk Denkavit and P. Poulsen Trading ApS v Skatteministeriet, Case C-200/90, EU:C:1992:152.

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The impact of EU law – Danish examples

The Danish Supreme Court had originally refused to make any referrals to the ECJ about relevant EU principles on repayment of unlawfully collected duties – a practice subsequently followed by lower courts for many years. The Supreme Court later saved the day of the Danish public finances by holding in a subsequent case that any demands for amendment of the earlier judgments already handed down and refusing repayment of the duty were time-barred; noting that also the State had the right to legal protection created by rules about limitation and force of law (res judicata).38

VII. Data Protection law The most recent wave of EU law coming in, and catching wide awareness, has been the area of data protection in the light of General Data Protection Regulation to be applied from 25 May 2018. A tremendously important area in the light of the technological and commercial developments over the last decade, this regulation and the Danish accompanying legislation is likely to trigger cases about whether a possibly foot-dragging national legislation designed to accompany the regulation is in fact compliant with the regulation. As is well known by now it is further conceivable that also various use of algorithms and data  – which may, or may not, at the same time constitute a breach of the regulation – may lead to parallel questions of abuse of dominance.39

VIII. The Ajos case The growth and development of EU law also occasionally conflicts with strong national positions, creating a risk of potential counter waves. A noteworthy Danish 38 Judgment of 10 September 2012, Sawo Hydraulic A/S and Sawo Holding A/S v Skatteministeriet, UfR 2012.3564 H. A number of more recent Danish referrals within the areas of direct taxation illustrate the challenges of balancing the interests of the public finances in preventing a depletion of the tax base and the EU free movement rules, in particular the free establishment and the free movement of services and capital. See judgment of the Court (Grand Chamber), 17 July 2014, Nordea Bank Danmark A/S, case C‑48/13, EU:C:2014:2087, judgment of the Court (Fourth Chamber) of 21 December 2016, Masco Denmark ApS and Damixa ApS, case C-593/14, EU:C:2016:984, as well as cases C-480/16, Fidelity Funds, C-116/16 and others, T Danmark and Others, C-650/16, Bevola and Jens W. Trock, and C-28/17 NN A/S, all pending at the time of writing. 39 See for example Commission decision of 27 June 2017 in case AT.39740, Google Search (Shopping), as well as the current investigation of Facebook by the Federal Cartel Office. There are at the time of writing no similar Danish cases. A Danish analysis of the market for hotel booking platforms was opened in March 2018.

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example is the 2016 Supreme Court judgment in the so-called Ajos case.40 The case concerned discrimination on grounds of age. On 22 September 2014 the Danish Supreme Court made a referral to the CJEU, asking whether the general EU law principle prohibiting discrimination on grounds of age precluded legislation which deprived an employee of a severance allowance in certain age-related circumstances.41 The Supreme Court further asked whether it was consistent with EU law for a Danish court to weigh the principle prohibiting discrimination on grounds of age and the issue of its direct effect against the principle of legal certainty and the related principle of protection of legitimate expectations, and to conclude on that basis that the principle of legal certainty should take precedence over the principle prohibiting discrimination on grounds of age. The consequence of this would be that the employer, in accordance with national law as interpreted in case law, would be relieved of its obligation to pay the severance allowance. The Supreme Court referred, amongst others, to two opinions of AG Kokott42 and AG Trstnjak43 in which the principle of horizontal effect of general principles of law or fundamental rights was questioned and discussed. The CJEU however confirmed its case law44 by judgment of 19 April 201645 and held that the general principle prohibiting discrimination on grounds of age, as given concrete expression by Council Directive 2000/78/EC46 of 27  November 2000 establishing a general framework for equal treatment in employment and occupation, should be interpreted as precluding, also in disputes between private persons, national legislation which deprived an employee of entitlement to a severance allowance in circumstances as those that were present in the case before the national court. The Court further reiterated that  a national court adjudicating in a dispute between private persons falling within the scope of Directive 2000/78 was required, when 40 Case 15/2014, DI acting on behalf of Ajos A/S v A’s estate. The case concerned an employee who was dismissed by Ajos, his employer, on 25 May 2009 at the age of 60. A few days later, he tendered his notice to Ajos and agreed with Ajos that he would leave his job at the end of June 2009. He was subsequently employed by another undertaking. As the employee had been employed by Ajos since 1  June 1984, he was, in principle, entitled to a severance allowance equal to three months’ salary under Section  2a(1) of the Danish Salaried Employees Act. However, since he had reached the age of 60 by the date of his departure and was entitled to a certain kind of old-age pension, Section 2a(3) of the Danish Salaried Employees Act, as interpreted in national case-law, barred his entitlement to the severance allowance, even though he remained on the employment market after his departure. 41 See foot-note 40. 42 Opinion of 6 May 2010 in case C-499/08, Ingeniørforeningen i Danmark. 43 Opinion of 8 September 2011 in case C-282/10, Dominguez. 44 Mangold (C‑144/04, EU:C:2005:709) and Kücükdeveci (C‑555/07, EU:C:2010:21). 45 Case C-441/14, Dansk Industri (DI), acting on behalf of Ajos A/S, v Estate of Karsten Eigil Rasmussen, EU:C:2016:278. 46 Council Directive 2000/78/EC of 27 November 2000 establishing a general framework for equal treatment in employment and occupation.

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The impact of EU law – Danish examples

applying provisions of national law, to interpret those provisions in such a way that they could be applied in a manner that was consistent with the directive or, if such an interpretation was not possible, to disapply, where necessary, any provision of national law that was contrary to the general principle prohibiting discrimination on grounds of age. Neither the principles of legal certainty and the protection of legitimate expectations nor the fact that it was possible for the private person who considered that he has been wronged by the application of a provision of national law that was at odds with EU law to bring proceedings to establish the liability of the Member State concerned for breach of EU law could alter that obligation. Subsequently the Supreme Court however held, in a remarkable judgment of 6 December 2016, by a split vote and after an in-depth assessment of the legal basis for Denmark’s membership of the Community and now the Union, that  the  Danish Accession Act did not provide the necessary legal basis in a dispute between private parties for letting the “unwritten principle prohibiting discrimination on grounds of age set aside the … provision in Section 2 a (3) in the Danish Salaried Employees Act to the extent that this provision contravenes the prohibition”. If the Supreme Court “in this situation should disapply the provision”, the Court would “act outside the scope of its judicial power”. Consequently the employer was acquitted as the Supreme Court found it was unable to comply with the judgment of the CJEU.

IX. Concluding thoughts Are there any wider lessons to be learned from the above waves and counter-waves? For sure, but each of us may have to define our own lessons. A personal observation is that the view of EU law in practice depends upon the perspective of the viewer – and that this also influences the willingness to proactively apply EU law and the inclination to refer questions to the Court under the preliminary ruling procedure. The Court of Justice typically – and naturally – seeks to find solutions that are in line with the wording, objectives and purpose of the Treaty and/or of the relevant secondary legislation. That may be perceived as uncomfortable, or at least as an uncertain world, for a national judge who at the same time seeks to obtain solutions which appears right to him or her in the light of his or her training in the national legal system and case law which may for example by tradition be inclined to be deferential to the national parliament as law maker. Following the Supreme Court judgment in Ajos, there may even be constitutional (or rather accession law) issues raised from time to time. 611

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There are further similarities in the way that the practical knowledge and application of EU law are affected by each wave. It often takes several years for a particular area of EU law to be truly appreciated and applied domestically. Finally, there are good reasons to apply general principles of EU law across the range of areas of law discussed here, such as the principle of proportionality –even if the application of this, or other unwritten EU principles, such as the prohibition against discrimination, could now be challenged under Danish law, at least in theory, if the Ajos judgment of the Supreme Court were invoked in similar situations. If the Accession Act is amended this problem would be addressed. On another note, and as a topic for another article, there is perhaps some room for increasing harmony between the different areas of law that set out the border between application of EU law and domestic legislation. One example is the criteria of effect on trade between Member States which is applied under various names and with various content, amongst other, in EU competition law, in state aid law, in public procurement law (certain cross-border interest)47 and in free movement law (matters not internal to a Member State), according to four different sets of case law. Another example is the difference when it comes to the principles of de minimis (as illustrated by the formal lack of a de minimis exception in the free movement rules48).

47 Judgment of 16 April 2015, SC Enterprise Focused Solutions SRL v Spitalul Județean de Urgență Alba Iulia, case C-278/14, EU:C:2015:228. 48 See also the dilemma caused by the interplay between free movement rules and de minimis rules in state aid law, AG Wathelet’s opinion of 29 November 2017 in case C-518/16, ZPT, EU:C:2017:912, where it was proposed that Article 1(1)(d) of Commission Regulation (EC) No 1998/2006 of 15 December 2006 on the application of Articles 87 and 88 of the Treaty to de minimis aid was invalid in that it establishes within the de minimis rule a difference in treatment between economic activities which are purely national and those relating to exports to Member States. See in particular para 41. The Court did not follow this approach and reached the opposite result by judgment of 28 February 2018, EU:C:2018:126.

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Außerwettbewerbliche Interessen im Kartellrecht und ihre Grenzen I. Die Lehre von der Reinheit des Kartellrechts II. Typologie der „Verunreinigungen“ 1. Von Politikern entdeckt 2. Ausnahmen durch Gesetzgebung 3. Erweiterung der Befugnisse 4. Politisch motivierte Rücksichtnahme 5. Gezielter Einsatz von Kartellrecht III. Rechtspolitische Anmerkungen 1. Die Stärke des Kartellrechts 2. Notwendiger politischer Diskurs

3. Überbetonung der Steuerungsmöglichkeiten 4. Prioritätensetzung und Befugnis­ erweiterung 5. Das Bedürfnis nach Grenzziehungen IV. Rechtliche Grenzen und Brücken 1. Vorrangiges europäisches Kartellrecht 2. Querschnittsklauseln 3. Grundrechte-Charta V. Die Normalisierung des Kartellrechts

Bisher haben im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle außerwettbewerbliche „Kriterien in der Entscheidungspraxis nie eine ernsthafte Rolle gespielt.“1 Der Zusammenschluss von Bayer und Monsanto2 stellte diese Feststellung auf eine harte Probe: Eine bisher nicht gekannte Flut von Eingaben erreichte die Generaldirektion Wettbewerb. Verbände aus der Umwelt- und Agrarbewegung hatten Bürgerinnen und Bürger mobilisiert, um gegen eine Freigabe des Zusammenschlusses zu protestieren. Im August 2017 hatten sich bereits mehr als 50.000 Petenten per E-Mail, mehr als 5.000 per Post bei Margrethe Vestager, der Kommissarin, gemeldet.3 In den Schreiben an die Kommission geht es nicht nur um wettbewerbliche Bedenken. Vestager antwortete: „Many of you warn about potential negative effects linked to Monsanto’s and Bayer’s products, including risks for human health, food safety, consumer protection, the environment and the climate. (…) While these concerns are of great importance they do not form a basis for a merger assessment.”4 Bayer/Monsanto ist nicht der einzige Fall, in dem außerwettbewerbliche Interessen oder „public policy“-Erwägungen mit Nachdruck ins Kartellrecht hereingetragen werden. Einige Kartellrechtler haben in Auftragsgutachten über die Einbeziehung 1 Schroeder, WuW 2011, 1216, 1222. 2 KOM, Fall M.8084, 21.3.2018 (noch nicht veröffentlicht). 3 S.  Brief von Margrethe Vestager an die Petenten vom 22.8.2017, abrufbar unter http://ec.­ europa.eu/competition/mergers/cases/additional_data/m8084_4719_6.pdf. 4 Brief von Margrethe Vestager an die Petenten vom 22.8.2017, abrufbar unter http://ec.europa.­ eu/competition/mergers/cases/additional_data/m8084_4719_6.pdf.

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verschiedener Interessen im Rahmen des SIEC-Tests nachgedacht.5 In den vergangenen Jahren wurden an verschiedenen Stellen Einfallstore ins Kartellrecht genutzt, um außerwettbewerbliche Interessen durchzusetzen, mal legitim, mal weniger legitim.6 In diesem Beitrag werden nach der Darstellung der sog. „Lehre von der Reinheit des Kartellrechts“ (I.) einige Beispiele für die Politisierung des Kartellrechts typologisiert (II.). Angesichts des Gegenstands sind rechtspolitische Anmerkungen erforderlich (III.). Ziel des Beitrags ist es aber in erster Linie, die durch das europäische Recht gezogenen Grenzen einer Politisierung zu verdeutlichen (IV.). EU-Recht, Grundrechte und Querschnittsklauseln prägen das Kartellrecht immer stärker und bieten eine Brücke zu Gemeinwohlerwägungen  – aber auch einen Damm gegen eine übermäßige Indienstnahme. Im Ausblick (V.) wird vor allem die Rolle der privaten Rechtsdurchsetzung für diese „Normalisierung“ des Kartellrechts angesprochen.

I. Die Lehre von der Reinheit des Kartellrechts Wettbewerb als der wesentliche Funktionsmechanismus der Marktwirtschaft ist seiner Natur nach ein offener Begriff, der im wettbewerbspolitischen, -ökonomischen und -rechtlichen Diskurs immer wieder neu errungen werden muss. Mal ist Wettbewerb „ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen […], die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden“.7 Mal ist Wettbewerb „das selbständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindungen mit Dritten (Kunden) durch Inaussichtstellen möglichst günstiger Geschäftsbedingungen.“8 Doch auch offene Begriffe sind nicht grenzenlos. Zwar mag schwer zu bestimmen sein, was genau Wettbewerbsschutz bedeutet, klar ist aber ein Fokus auf die Funktionsweise von Märkten. Wettbewerbliche Interessen sind nur solche, die wirtschaftlich-funktional für den Güteraustausch relevant sind. Eine Bewertung des Güteraustauschs findet nicht statt. Unter Kartellrechtlern hält sich die Auffassung, dass der Wettbewerbsschutz „rein“ ist, es also eine klare Trennung zwischen wettbewerblichen und außerwettbewerblichen Interessen gibt, wobei nur erstere in der kartellrechtlichen Analyse berücksich5 Vgl. Lianos, Merger Activity in the Factors of Production Segments of the Food Value Chain: A Critical Assessment of the Bayer/Monsanto merger, UCL Centre for Law, Economics and Society, Policy Paper Series 2017/1; Paal, Gutachten zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Berücksichtigung(sfähigkeit) von außer-ökonomischen Zielen auf der Grundlage und am Maßstab der europäischen Fusionskontrollverordnung, 23.4.2017, abrufbar unter h ­ ttps:// www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/gentechnik/ pdf/gutachten-monsanto-2017.pdf. 6 Einen strengen Maßstab legt Schroeder in FS Baur, 2002, S. 567, 575, an, der auch das Ziel der Schaffung von wettbewerbsfreundlichen Rahmenbedingungen durch Zusagen im Zuge eines Fusionskontrollverfahrens durchaus kritisch sieht. 7 von Hayek, Freiburger Studien, 1969, S. 249. 8 Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, 1957, S. 15.

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tigt werden können.9 Wenn überhaupt kann nur im Rahmen von Art. 101 Abs.  3 AEUV eine Berücksichtigung über die dort geschützten Effizienzgewinne stattfinden – dann aber auch nur, soweit die außerwettbewerblichen Interessen im Einzelfall mit dem ökonomischen Effizienzbegriff kongruent sind.10 Außerwettbewerbliche Interessen genießen also nur dann Schutz, wenn sie im Rahmen einer Ausnahme explizit wettbewerblich eingefasst sind. Beispielhaft für diese Sicht ist immer noch die Tariftreue-Entscheidung des Berliner Kammergerichts aus dem Jahr 1998, die freilich nicht in Rechtskraft erwuchs. Die ehrenwerte Idee, bei öffentlichen Bauvorhaben Arbeitsmarktpolitik durch Tarifbindung zu betreiben, ließ das KG – in Einklang mit dem BKartA – dem Land Berlin nicht durchgehen: „Was im Rundschreiben der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen vom 9.2.1995 als zur „Wahrung eines geordneten Wettbewerbs“ verbrämt wird, bedeutet in Wahrheit eine Wettbewerbsbeschränkung. (…) Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und ihre Folgekosten zu dämpfen, liegt zweifellos im Gemeinwohlinteresse. (…) Unabhängig davon darf ein Normadressat des § 26 II GWB [§ 20 GWB] nicht zu Mitteln greifen, die wettbewerbsrechtlich nicht mehr zu tolerieren sind, um solche Ziele zu fördern. Entsprechendes gilt für das Bestreben, die ortsansässigen Unternehmen zu erhalten. Sie dürfen nicht mit wettbewerbsfeindlichen Mitteln protegiert werden.“11 Aus diesen Zeilen spricht der einstmals Berliner Geist der deutschen Kartellrechtsanwendung! Die Ministererlaubnis nach §  42 GWB bildet die die Regel bestätigende Ausnahme.12 Überragende Gemeinwohlinteressen können demnach die kartellrechtliche Beurteilung übertrumpfen. Die Auseinandersetzung um die Ministererlaubnis im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann zeigt aber auch, wie hart die Reinheit des Kartellrechts dennoch verteidigt wird (in diesem Fall zu Recht). Selbst die Gemeinwohltrumpfkarte kann nicht ohne weiteres die Kartellamtsentscheidung stechen. Fehlt eine nachvollziehbare Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffs und werden die verfahrensrechtlichen Sicherungen nicht beachtet, bleibt – zumindest vor dem OLG Düsseldorf – die Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamts bestehen.13 Ausgangspunkt der Überlegungen zur Politisierung des Kartellrechts ist also, dass der Wettbewerbsschutz marktökonomisch-funktional angelegt und in diesem Sinne eine „reine“ Materie ist. Andere Gemeinwohlerwägungen, etwa Umwelt- oder Daten 9 Pohlmann in FK, Art. 81 Abs. 3 Grundfragen Rz. 67 ff. [65. EL April 2008]; Schuh­macher in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 101 AEUV Rz. 269 [62. EL Juli 2017]; Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-­ Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 Abs.  1 AEUV Rz.  320. Kokott/Dittert in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 15, 16, schreiben etwas spöttisch von einem „purely economic approach“ mit dem Hinweis: „das Wettbewerbsrecht ist keine Insel.“ 10 Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 320. 11 KG v. 20.5.1998 – Kart 24/97, WuW/E Verg 111 – Tariftreueerklärung. 12 Podszun, NJW 2016, 617; Bien, NZKart 2016, 445. 13 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.7.2016 – Az. VI – Kart 3/16 (V), WuW 2016, 372 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann.

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schutz, Arbeitsplatzsicherung oder industriepolitischer Protektionismus, können in der kartellrechtlichen Prüfung nur reflexartig geschützt werden. Die Interessen der Zivilgesellschaft an Bayer/Monsanto sind mit einem solchen wettbewerblichen Prüfungsmaßstab nicht zu erfassen, wie von der Kommissarin dargestellt.

II. Typologie der „Verunreinigungen“ Gleichwohl ist – zunehmend – eine Politisierung des Kartellrechts zu erkennen. Sie äußert sich in ganz verschiedenen Formen. 1. Von Politikern entdeckt Das Kartellrecht ist von Politikern entdeckt worden. Die Fachcommunity der Kartellrechtler und Wettbewerbsökonomen, die sich in Deutschland quasi als euckensche Jüngergemeinschaft lange Zeit allein um das Kartellrecht kümmern konnte, muss immer häufiger eine Indienstnahme durch die Politik erleben. Dies zeigt sich besonders bei Diskussionen über die Regulierung der digitalen Ökonomie. Das politische Unbehagen gegenüber großen US-amerikanischen Unternehmen, die das Internet „dominieren“, hat sich in politischen Äußerungen niedergeschlagen, die eine Stärkung des Kartellrechts, eine straffere Anwendung oder eine Neuformulierung fordern. So hat beispielsweise Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister gefordert, politische Konsequenzen aus der Diskussion um die Macht der Plattformen zu ziehen, und eine Zerschlagung von Google mit dezidiert kartellrechtlichem Vokabular vorgeschlagen.14 Ähnlich hat sich das Europäische Parlament geäußert, als es in einer Resolution vom 27.11.2014 festlegte: „Das Europäische Parlament (…) fordert die Kommission darüber hinaus auf, Vorschläge in Betracht zu ziehen, die darauf abzielen, Suchmaschinen von anderen kommerziellen Dienstleistungen abzukoppeln, da dies ein langfristiges Mittel sein kann, die vorstehend genannten Ziele zu erreichen.“15 Der Economist, sonst nicht für Regulierungseifer bekannt, befasste sich 2017 und 2018 mehrfach in Titelgeschichten mit Möglichkeiten „to tame the tech titans“ und verwies dazu auf das Kartellrecht.16

14 Gabriel, „Unsere politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte“, FAZ, 16.5.2014, ­abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-digital-debatte/sig​margabriel-­konsequenzen-der-google-debatte-12941865.html. 15 Europäisches Parlament, Resolution v. 27.11.2014, 2014/2973 (RSP). 16 “How to tame the tech titans”, Economist, 18.1.2018; “The world’s most valuable resource is no longer oil, but data”, Economist, 6.5.2017.

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Jean-Claude Juncker gab als Präsident der Europäischen Kommission seiner Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ein „mission letter“ mit, als diese ihren Dienst in der Kommission antrat, in dem es heißt: „During our mandate, I would like you to focus on the following: Mobilising competition policy tools and market expertise so that they contribute, as appropriate, to our jobs and growth agenda, including in areas such as the digital single market, energy policy, financial services, industrial policy and the fight against tax evasion.“17 Hier wird die Arbeit der Wettbewerbskommissarin und ihrer Generaldirektion ohne Scheu in den Gesamtzusammenhang der Wohlfahrtssteigerung und Industriepolitik eingeordnet. Entsprechend wird Kartellrecht politisiert und mit Erwartungen besetzt, die sich in der Fallpraxis entsprechend manifestieren sollen. Solche politischen Äußerungen verfehlen ihr Ziel nicht unbedingt, sie prägen ggf. unterbewusst das Entscheidungsverhalten von Behördenmitarbeitern und Richtern. Die Unabhängigkeit der Kartellbehörden, beim Bundeskartellamt verwirklicht, bei der Europäischen Kommission nicht, wird zum hohen Gut. Dass ausgerechnet die Kommission die Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden mit der ECNplus-Richtlinie stärken will,18 während sie selbst ihre Wettbewerbspolitik in politischer Umklammerung hält, sei hier nur als ironischer Sachverhalt protokolliert. 2. Ausnahmen durch Gesetzgebung Politische Maßnahmen schlagen sich aber nicht nur im Wunsch nach stärkerer Kartellrechtsdurchsetzung nieder. Der massivere politische Eingriff besteht darin, Ausnahmen von der Kartellrechtsanwendung festzulegen. Zu Beginn der GWB-Gesetzgebung vor sechzig Jahren musste die Anwendung noch erkämpft werden: Das GWB 195819 kannte in §§ 99 ff. zahlreiche Einschränkungen des Anwendungsbereichs. In den §§ 2 ff. GWB 1958 war kleinteilig geregelt, welche Verträge vom Kartellverbot ausgenommen waren. Gemäß § 8 Abs. 1 GWB 1958 gab es sogar eine Ministererlaubnis für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, „wenn ausnahmsweise die Beschränkungen des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist.“ Erst mit der 7. GWB-Novelle entfiel diese (zwischenzeitlich strenger gewordene) Ministererlaubnis und damit ein Einfallstor der Gemeinwohlorientierung im Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen. Ohnehin wurde 2005 eine ganze Reihe von 17 Juncker, Mission Letter to Margrethe Vestager, 1.11.2014, abrufbar unter https://ec.europa. eu/commission/sites/cwt/files/commissioner_mission_letters/vestager_en.pdf. 18 Vgl. Vorschlag der Kommission vom 22.3.2017 für eine Richtlinie zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, COM(2017) 142 final, dort S. 7, 19, Erw.Gr. 14 und Art. 4. 19 BGBl. I 1957, S. 1081.

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Ausnahmetatbeständen zurückgedrängt. Immer mehr Branchen und Vereinbarungen waren im Lauf der Jahre dem Zugriff des Kartellrechts unterworfen worden. Es setzte sich die Auffassung durch, dass das Kartellrecht dem Universalitätsprinzip folgt, also unterschiedslos auf alle Branchen angewandt werden kann.20 Sonderregelungen für einzelne Branchen wurden nur mit äußerster Zurückhaltung im GWB festgeschrieben. Dass gerade 2005 die Residuen der Wettbewerbslosigkeit geschleift wurden, hatte seinen Grund in der weitgehenden Angleichung ans europäische Recht, die mit dieser Novelle vorgenommen wurde. Europa erwies sich als Motor des Wettbewerbsgedankens. Just danach begann allerdings die bis heute andauernde Reintegration außerwettbewerblicher Interessen ins Kartellrecht. Zunächst wurde versucht, kartellrechtliche Instrumente in einer Weise zuzuschneiden, dass für bestimmte Branchen Kartellrecht und Gemeinwohlinteressen Hand in Hand gingen. Die ersten beiden Beispiele dafür sind in der Preismissbrauchsnovelle von 2007 zu finden, mit der eine besondere Missbrauchsregel für die Energiewirtschaft (§ 29 GWB) und eine Verschärfung des Missbrauchsrechts im Lebensmitteleinzelhandel (§ 20 Abs. 4 GWB) geschaffen wurden. Damit lagen zwar formal kartellrechtliche Regelungen vor. Beide Normen lassen sich aber im Prinzip nur vor dem Hintergrund damals aktueller wirtschaftspolitischer Aktivitäten und Lobbybemühungen verstehen. Eine irritierende Ausprägung fand der Versuch, außerwettbewerbliche Interessen ins Kartellrecht zu integrieren, in der 8. GWB-Novelle 2013 mit der Regelung zur Fusionskontrolle bei Krankenkassen.21 Es wurde eine Pflicht des Bundeskartellamts statuiert, mit der Versicherungsaufsicht Benehmen herzustellen, wenn Fusionen von Krankenkassen untersagt werden müssen. Zudem wurde der Rechtsweg angepasst, indem eine fusionskontrollrechtliche Untersagung vor der Sozialgerichtsbarkeit (!) anzufechten ist (§ 172a Abs. 2 Satz 3 SGB V; § 63 Abs. 4 Satz 3 GWB). Äußerst fein ziseliert wurden auch die Regelungen für das Missbrauchsverbot bei Trinkwasser (§§ 31 ff. GWB). Wiederum wurden, statt eindeutige Ausnahmebereiche zu schaffen, kartellrechtliche Regelungen durch Relativierungen aufgeweicht, wobei der Form nach das klassische Instrumentarium des Kartellrechts gewahrt blieb. Hinter den Aufweichungen stehen weitergehende Interessen, die nicht zwingend als wettbewerbliche zu charakterisieren sind. So ist bei der Fusion von Krankenkassen die ökonomische Solidität des Gesundheitssektors von Belang, beim Trinkwasser die sichere Versorgung mit sauberem Trinkwasser. So ehrenwert all diese Interessen sind, so wenig sind sie klassisch als Wettbewerbsschutz einzusortieren. Die 9. GWB-Novelle kehrte zurück zur Komplettausnahme:22 So wurde in §  30 Abs. 2b das GWB um eine Ausnahme verlagswirtschaftlicher Zusammenarbeit aus dem Anwendungsbereich von §  1 GWB „entreichert“. In §  35 Abs.  2 Satz 3 GWB wurde eine beinahe skurril anmutende Miniaturausnahme von der Fusionskontrolle 20 Vgl. Emmerich, Kartellrecht, 2014, § 3, Rz. 52; Podszun in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2010, Kapitel 24, Rz. 11. 21 Vgl. Schweitzer in Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 157 ff. 22 Kritisch Scholl/Weck, WuW 2017, 261.

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für Zusammenschlüsse von Back-Offices von Sparkassen geschaffen. In § 46 Bundeswaldgesetz versuchte der Gesetzgeber, eine Generalfreistellung für wald- und forstwirtschaftliche Aktivitäten vorzusehen. Inzwischen, so hat es den Anschein, können politisch einflussreiche Branchen nach einem für sie unglücklich verlaufenen Verfahren beim Bundeskartellamt in Berlin einen Ausnahmebereich anmelden und sich aus der Grundordnung der Marktwirtschaft verabschieden.23 3. Erweiterung der Befugnisse Der Gesetzgeber kann Kartellbehörden auch neue Aufgaben zuweisen, die nicht im Bereich des unmittelbaren Wettbewerbsschutzes liegen. Ein Amt, das über hohes Ansehen verfügt und sich im Kartellrecht bewährt, ist für eine solche Befugniserweiterung prädestiniert. Typisch ist die Übernahme von regulatorischen Aufgaben. Das Bundeskartellamt hat, quasi im Nebenjob als Regulator, Markttransparenzstellen für Großhandel mit Strom und Gas sowie für Kraftstoffe geschaffen (§§  47a  ff., 47k GWB). Diese sektorbezogenen Informations-Hubs sind mit einem politischen Auftrag versehen. Die Instrumente der laufenden Informationserhebung und -weitergabe weichen von klassischen kartellbehördlichen Instrumenten ab. Teilweise wird sogar eine antiwettbewerbliche Wirkung der Transparenzstellen behauptet.24 Auch im Bereich der Trinkwasserversorgung ähneln die Maßnahmen der Kartellbehörden auf Basis des Regimes in §§ 31-31b GWB eher einer Regulatorenrolle. Auch hier geht es nicht primär um die strukturelle Aufrechterhaltung von Wettbewerb.25 Die neuesten Entdeckungen sind das Führen des Wettbewerbsregisters26 und vor allem die Durchsetzung von Verbraucherrecht.27 Hierfür ist mit § 32e Abs. 5 GWB, der verbraucherrechtlichen Sektoruntersuchung, ein erster Impuls gesetzt, der möglicherweise in Zukunft um echte Durchsetzungsbefugnisse erweitert wird. Mit solchen Befugnisergänzungen nähert sich das Bundeskartellamt anderen Behörden in Europa an, die stärker als Marktordnungsbehörden mit Kompetenzen für ver-

23 Der fusionskontrollrechtlichen Ausnahme der Sparkassen liegt das Verfahren Bundeskartellamt, Fallbericht v. 30.6.2016 – B5-74/15 zugrunde, der Änderung des B ­ undeswaldgesetzes der Beschluss des BKartA v. 9.7.2015 – B1 – 72/12. Ähnliches zeichnet sich nach einem Verfahren für Genossenschaften ab (vgl. BKartA, Pressemitteilung v. 9.1.2018, abrufbar unter: http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publika​tion/DE/Pressemitteilungen/­​ 2018/09_01_2018_Milch_DMK_Einstellung.html und Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD 2018). 24 Vgl. Dewenter/Heimeshoff/Lüth, Applied Economics Letters 2017, 302; Lüdemann/Lüdemann, WuW 2012, 917 ff. 25 Vgl. Reif/Daiber in Münchener Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2015, § 31 GWB Rz. 1 ff. 26 Vgl. Gesetz zur Einrichtung eines Wettbewerbsregisters vom 18.7.2017, BGBl. I 2017, S. 2739. 27 Podszun/Schmieder in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, S. 85.

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schiedene Bereiche ausgestattet sind  – etwa die britische Competition & Markets ­Authority oder die spanische Comisión Nacional de los Mercados y la Competencia.28 4. Politisch motivierte Rücksichtnahme Die Politisierung des Kartellrechts macht nicht beim Gesetzgeber Halt. Auch Kartellbehörden und -gerichte können politisch motiviert arbeiten, allerdings wird dies in der Regel nicht offengelegt. Dies gilt vor allem für die Fälle, in denen aus politischen Gründen Kartellrecht nicht oder nicht streng angewendet wird. Eine solche Rücksichtnahme beginnt durch die Ausübung des Aufgreifermessens. Die Entscheidung, ob ein Fall überhaupt verfolgt wird, steht in der Regel im Ermessen der Behörde. Beim Ermessensgebrauch bzw. der Prioritätensetzung kann die Behörde politische Schwerpunkte setzen. Diese Prioritätensetzung ist in Deutschland faktisch nicht überprüfbar.29 Die rechtliche Überprüfung im europäischen Recht ist denkbar, wenn auf eine Beschwerde bei der Kommission nach VO 773/2004 eine ablehnende Entscheidung ergeht. Sie ist jedoch in aller Regel im Ergebnis fruchtlos.30 Ist ein Verfahren einmal eingeleitet, gibt es einen ersten – natürlich unzuverlässigen – Indikator für politisch motivierte Rücksichtnahmen: Wenn ungeschriebene Tatbestandsmerkmale entdeckt werden oder unübliche Tatbestandsrestriktionen vorgenommen werden, ist dies ein Indiz für eine politisch motivierte Entscheidung. Gerade die Tatbestandsrestriktionen des § 1 GWB bzw. in Art. 101 AEUV sind für Anschauungsmaterial geeignet.31 Je ungewöhnlicher eine rechtliche Analyse wirkt, desto eher drängt sich die Frage auf: Ist dieser Fall möglicherweise nur politisch zu erklären? Beispiel Sport: In der EuGH-Entscheidung Meca-Medina32 etwa wurde zwar die wettbewerblich begrüßenswerte Tat vollbracht, sportliche Regelwerke überhaupt einer kartellrechtlichen Kontrolle zu unterziehen, die Ausgestaltung des Tests durch den EuGH ist aber nur erklärlich mit einer besonderen Rücksichtnahme auf die Branche. Auch bei der Entscheidung des EuGH, den Unternehmensbegriff einzuengen in der Sache Fenin,33 lässt sich spekulieren, dass das Gericht eher sozialpolitisch dachte als kartellrechtlich. Im Urteil wird auf den dem Nicht-Unternehmen Fenin zugrundeliegenden Solidaritätsgedanken ausdrücklich abgestellt.34 Das Urteil ist nach hier vertretener Meinung nur dann verständlich, wenn die außerwettbewerblichen Interessen, nämlich die Absicherung des Sozialversicherungssystems in Spanien, als tragend für 28 Vgl. Ottow, Market & Competition Authorities, 2015, S. 31 f.; Podszun, WuW 2017, 266. 29 BGH v. 6.3.2001 – KVZ 20/00, ZIP 2001, 807 m.w.N. – Fachklinik für Herzchirurgie. 30 Vgl. de Bronett, WuW 2015, 26 ff.; Kreifels, Die Prioritätensetzung der Europäischen Kommission, i.E. 31 Vgl. Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 307 ff. 32 EuGH v. 18.7.2006 – C-519/04 P, ECLI:EU:C:2006:492, WuW/E EU-R 1493 – Meca Medina. 33 EuGH v. 11.7.2006 – C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453, WuW/E EU-R 1213 – Fenin. 34 EuGH v. 11.7.2006 – C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453, WuW/E EU-R 1213, Rz. 39 – Fenin.

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die Begründung des Unternehmensbegriffs angesehen wird. Ansonsten läge in Fenin ein wirklicher Bruch zu früheren Entscheidungen vor. An diesem Beispiel lässt sich die Gefahr solcher Brüche darstellen: Wird eine Entscheidung wie Fenin auf den Sozialversicherungssektor beschränkt, so mag dies wettbewerbsökonomisch falsch sein, es würde jedoch die Dogmatik des Kartellrechts nicht wesentlich verändern, da es sich um eine Ausnahme handeln würde. Werden die in Fenin aufgestellten Grundsätze aber verallgemeinert und auf alle Branchen ausgedehnt, verwässert der Unternehmensbegriff des Kartellrechts auf Basis einer gemeinwohlorientierten Auslegung aus einem Sonderbereich. Dies zu erkennen, wird nur schwieriger, wenn die politischen Interessen in einem Fall nicht transparent werden. 5. Gezielter Einsatz von Kartellrecht Der umgekehrte Fall ist der gezielte Einsatz von Kartellrecht durch die Wettbewerbsbehörde zur Erreichung außerwettbewerblicher Ziele. Immer wieder fechten die Kartellbehörden mit Verve Fälle aus, deren kartellrechtliche Bedeutung hinter ihrer sonstigen gesellschaftlichen Bedeutung zurücktritt. Bei der Behandlung des Google-Verfahrens drängt sich etwa dieser Eindruck auf: Aus einem kartellrechtlich interessanten, aber komplexen Fall wurde im Zuge politischer Debatten über die „Internet-Giganten“ aus dem Silicon Valley die höchste je verhängte Geldbuße des europäischen Kartellrechts.35 In ähnlicher Form wird das Bundeskartellamt mit der Kritik konfrontiert, das Verfahren gegen Facebook wegen Datenschutzverstößen diene vor allem der Durchsetzung von Datenschutzrecht  – nicht dem Schutz des freien Wettbewerbs.36 Vor der Digitalwirtschaft stand der Pharmasektor unter besonderer Beobachtung der Europäischen Kommission. Im Verfahren AstraZeneca wegen der Täuschung von Patentämtern bei Verlängerung der Schutzdauer für ein Blockbuster-Medikament war offensichtlich, dass der kartellrechtliche Missbrauchsvorwurf erheblich hinter einem patentrechtlichen Missbrauchsvorwurf zurücktreten musste.37 Da aber das Patentrecht Abhilfe nicht vorsah, wurde das Kartellrecht dienstbar gemacht, um den Überschutz von Medikamenten zu verhindern und ein Zeichen gegen ausufernde Paten­ tierungspraktiken zu setzen. Die Kommission ergriff im Pharmasektor vielfältige weitere Initiativen mit der Sektoruntersuchung, einschließlich eines in ihrem Befugnisarsenal überhaupt nicht vorgesehenen „Monitorings“ von Patent-Settlements zwischen Originalherstellern und Generika-Herstellern.38 Mit Blick auf das Ziel der Kommission, hohe Arzneimittelpreise zu senken und so die Sozial- und Krankenkas35 KOM v. 27.6.2017, Fall 39740 – Google Search (Shopping). 36 Vgl. Körber, NZKart 2016, 348, 351 f.; Thomas, NZKart 2017, 92. 37 EuGH v. 6.12.2012 – C-457/10 P, ECLI:EU:C:2012:770, WuW/E EU-R 2650 – AstraZeneca; vgl. Müller-Graff/Fischmann, GRUR Int 2010, 792. 38 Abschlussbericht zur Untersuchung des Arzneimittelsektors der Kommission v. 8.7.2009, http://ec.europa.eu/competition/sectors/pharmaceuticals/inquiry/index.html.

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sen in der EU zu entlasten, sind solche Entscheidungen besser verständlich als mit einer rein kartellrechtlichen Betrachtung. Da politische Wertungen in aller Regel nicht offengelegt werden, bleibt es letztlich Spekulation, welchen Einfluss wettbewerbliche oder außerwettbewerbliche Interessen auf eine Entscheidung haben. Entscheidend ist der diskursive Ansatz: Statt stets zu versuchen, irritierende Entscheidungen in ein kartellrechtlich „reines“ Schema zu pressen, sollte eher der Diskurs eröffnet werden, inwieweit Entscheidungen als politisch motivierte Solitäre überhaupt Präzedenzkraft im Kartellrecht haben sollten. Die Offenheit, das ausdrücklich zu formulieren, fehlt in aller Regel in der Rezeption solcher Entscheidungen.

III. Rechtspolitische Anmerkungen Es stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben die oben typologisierten Fälle zu beurteilen sind: Welche außerwettbewerblichen Interessen und Maßnahmen können anerkannt werden? Diese Anerkennung unterliegt rechtlichen Grenzen (dazu IV.). Außerwettbewerbliche Interessen weisen aber über das Rechtsgebiet hinaus in den politischen Bereich.39 1. Die Stärke des Kartellrechts Erst einmal ist es ein Kompliment an die Kartellbehörden, wenn sie in den Blick der Politik geraten, sei es weil Unternehmen von besorgten Politikern „in Schutz“ genommen werden müssen, sei es weil den Behörden zugetraut wird, Probleme zu lösen, die Menschen bewegen. Kartellrecht löst insofern offenbar Phantasien aus: Mal als Bedrohung von Besitzständen, etwa in der staatlichen Forstwirtschaft, mal als Reparaturbetrieb anderer Rechtsgebiete, die ihre Regelungsziele nicht mehr erreichen, wie der Pharmasektor. In beiden Fällen wird das Kartellrecht als durchsetzungsstarkes Instrument angesehen. Mit Recht: In wenigen anderen Bereichen gelingt es derart, gerade auch große und mächtige Unternehmen zu „zähmen“. Die Behörden genießen einen guten Ruf und weltweite Akzeptanz. Dem politischen Tagesgeschäft entziehen sich die Kartellbehörden weitgehend, sie strahlen dadurch eine technokratische Eleganz aus, sodass man sie ungern zum Feind, aber gern zum Freund hat. 2. Notwendiger politischer Diskurs Diese Erhabenheit ist freilich auch eine Gefahr. Denn die Anbindung des Rechtsgebiets an politische Entscheidungen und Wünsche ist letztlich Ausdruck einer legitimen demokratischen Rückkopplung. Auch das Ziel der Wettbewerbsfreiheit muss 39 Vgl. die Einführung von Zimmer in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 8; s. auch Weck, NZKart 2014, 510.

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sich im politischen Diskurs bewähren.40 Es wäre undemokratisch, die Erreichung ­außerwettbewerblicher Ziele durch das Kartellrecht per se zurückzuweisen. Dafür spricht, neben der Einbindung der Kartellbehörden in den rechtsstaatlich-demokratischen Staatsaufbau, schon eine pragmatische Erwägung: Auch die Behörden sind darauf angewiesen, Rückhalt in der Politik zu finden, etwa damit das Budget und die Personalausstattung stimmen. Mag man die diversen politischen Anliegen auch für falsch halten, so ist es doch Aufgabe der Kartellrechtler, sich diesem Diskurs zu stellen und den Eigenwert eines möglichst unverfälschten und universal geltenden Wettbewerbsprinzips zu betonen. In dieser Diskussion gilt es also, dem Wettbewerb die Lobby zu verschaffen, die er nach dem berühmten, Franz Böhm zugeschriebenen Diktum nicht hat.41 3. Überbetonung der Steuerungsmöglichkeiten An der (bei aller Liebe zum demokratischen Diskurs doch sehr problematischen) politischen „Indienstnahme“ sind die Vertreterinnen und Vertreter des Kartellrechts nicht unschuldig, die in den vergangenen Jahren durch die Betonung konkreter Wohlfahrtsziele Erwartungen geweckt haben. Kartellrecht bedeutete traditionell den Schutz offener Märkte und freien Wettbewerbs. Konkrete Marktergebnisse konnten nicht versprochen werden, da erst im „Entdeckungsverfahren“ festgestellt wurde, wie die Akteure mit ihren kartellrechtlich abgesicherten Freiheiten umgehen. Diese abstrakte Schutzrichtung wurde zunehmend verlassen, als mit einem auswirkungsbasierten Ansatz immer konkreter modelliert wurde, welche Marktergebnisse ein bestimmtes Verhalten zeigen wird. Der Zuwachs ökonomischer Erkenntnis hat dazu geführt, dass an Steuerungsmöglichkeiten in einer Weise geglaubt wird, die überwunden schien.42 Wer „Marktdesign“ oder „market engineering“ verspricht,43 kann für konkrete politische Ziele einfacher instrumentalisiert werden als jemand, der als Ziel seiner Bemühungen lediglich ein abstraktes Gut, den Schutz des freien Wettbewerbs, versprechen kann. Die Generaldirektion Wettbewerb hat den Glauben an die Steuerungsfähigkeit weiter genährt. Sie nimmt in beinahe jeder Veröffentlichung auf die konkreten Verbraucherschutzaspekte ihrer Arbeit Bezug. So erklärte die Wettbewerbskommissarin in der Pressemitteilung zu Dow/DuPont 2017 beispielsweise: „Pesticides are products that matter – to farmers, consumers and the environment. We need effective competition in this sector so companies are pushed to develop products that are ever safer for people and better for the environment. Our decision today 40 Vgl. Drexl in FS 50 Jahre FIW, 2010, S. 175 ff. mit Betonung der Folgen des ökonomischen Ansatzes für diese Frage. 41 Vgl. Mundt, Mehr Wettbewerb wagen, ifo-Schnelldienst 20/2017, S. 13. 42 Zur Paradoxie von komplexitätsbedingtem Steuerungsverlust einerseits und erneuertem Steuerungsglauben andererseits s. Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S. 556 ff. 43 Prototypisch Roth, Who gets what and why?, 2015.

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ensures that the merger between Dow and DuPont does not reduce price competition for existing pesticides or innovation for safer and better products in the future.“44 Diese Rhetorik zeugt von hoher Gewissheit. Ob dies tatsächlich die Leistungsfähigkeit des Kartellrechts abbildet, darf bezweifelt werden. Dafür sind Marktentwicklungen immer noch zu stark von einer Vielzahl komplexer Einflüsse abhängig – und von den autonomen Entscheidungen der Marktteilnehmer. Das Ergebnis einer solch starken Auswirkungsorientierung ist aber, dass eine politische Steuerung der Wirtschaft mit Hilfe des Kartellrechts möglich erscheint.45 4. Prioritätensetzung und Befugniserweiterung Legitim ist es, den Kartellbehörden durch legislative Entscheidung weitere Befugnisse zuzuweisen. Wenn sich beispielsweise der Gesetzgeber entschließt, dem Bundeskartellamt Befugnisse im Verbraucherrecht zuzuweisen, so ist das unproblematisch. Gelegentlich wird dagegen eingewendet, dass es zu einem overenforcement kommen wird und negative Feedbackeffekte für die Kartellrechtsanwendung entstehen.46 Solche Befugniserweiterungen bieten aber die Chance, wettbewerbliche Erkenntnisse in den allgemeinen Regulierungsdiskurs einzubringen. „Verwässerung“ ist ein wechselseitiger Prozess: So wie Kartellbeamte möglicherweise mit Verbraucherrecht in Berührung kommen, so werden sonstige regulatorischen Rechtsgebiete durch den Einfluss des Kartellrechts in ihren Regelungszielen „verwässert“ und wettbewerblich aufgeladen. Das eigentliche Ziel des Kartellrechts, die Förderung des Wettbewerbs, würde umso besser funktionieren, wenn in anderen Rechtsgebieten wettbewerbsorientierter gedacht würde. Daher ist eine Beteiligung geschulter Wettbewerbsexperten in politischen Projekten (etwa bei der Ausarbeitung neuer Richtlinien und Gesetze) oder in der Durchsetzung anderer Regelungsziele durchaus begrüßenswert. Die Gefahr der Infizierung des Kartellrechts durch Verbraucherschutzparadigmen wäre durch geeignete interne Organisationsmechanismen abzumildern. Gesetzgeberische Eingriffe sind vom Praktiker letztlich hinzunehmen.47 Das gilt auch für die Prioritätensetzung der Kartellbehörde. Damit ist die Frage gemeint, welche Fälle eine Behörde überhaupt aufgreift, soweit sie insoweit frei ist (wie im Kartellrecht üblich) und mit welchen Ressourcen sie das Verfahren angeht. Leitet die Kommission ein Missbrauchsverfahren gegen ein Unternehmen ein, so beginnt möglicherweise ein jahrelanger Kampf, der mit einer hohen Geldbuße endet. Entscheidet hingegen die Behörde, dass kein Anlass zum Tätigwerden besteht, weil vielleicht die Marktbeherrschung zu unsicher, der Missbrauch zu uneindeutig oder gerade andere Verfahren wichtiger sind, passiert all das nicht.

44 Europäische Kommission, Pressemitteilung v. 27.3.2017, IP/17/772. 45 Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, 2008, S. 34. 46 Ackermann, NZKart 2016, 397; Monopolkommission, 22. Hauptgutachten, 2018, Rz. 962 f. 47 Kirchhoff in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 11, 14.

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Das Setzen von Prioritäten ist ein legitimer Bereich politischer Steuerung der Behörde. Hierin liegt die Rückkopplung zwischen unabhängiger Rechtsanwendung einerseits und Einbindung in den demokratischen Staatsaufbau andererseits. Während die Fallbearbeitung nach rein rechtlichen Kriterien verlaufen soll, kann die Prioritätensetzung politisch getrieben werden. Die Wettbewerbsbehörden können also ihre Ressourcen auf Fälle verlegen, die sie für besonders wichtig halten, sei es aus wettbewerblichen oder außerwettbewerblichen Gründen. Zur Einordnung der Tätigkeiten und zur Ausfüllung von Begriffen wie der „Schwere“ eines Kartellverstoßes wäre allerdings wünschenswert, dass die Prioritätensetzung deutlich gemacht würde. Die Art, wie die britische Competition and Markets Authority ihre Prioritäten offenlegt und sogar dazu konsultiert, findet in Deutschland bislang keine Nachahmung.48 5. Das Bedürfnis nach Grenzziehungen Es gibt Gründe für die politische Indienstnahme, und es gibt sogar gelegentlich gute Gründe dafür. Ganz dominant ist aber für Kartellrechtler letztlich doch das Bedürfnis, dieser Tendenz Grenzen zu setzen. Eine Politisierung des Kartellrechts führt ökonomisch und dogmatisch in die Irre. Ökonomisch ist es kaum zu rechtfertigen, einzelne Branchen dem Kartellrecht zu entziehen oder Sonderregeln zu schaffen. Sie gehen zu Lasten von Effizienz und Innovation in der betroffenen Branche und zahlen sich langfristig nicht aus. Kartellrecht ist eine Bedingung für das Funktionieren von Märkten. Es soll das Funktionieren der Verteilung knapper Ressourcen auf Märkten durch den Wettbewerbsmechanismus möglichst effizient sicherstellen. Wo es ausgeschaltet oder von nicht-funktionalen Überlegungen überlagert wird, kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen, die Kosten haben. Seine Unbestechlichkeit und damit seine Wirkung bezieht das Kartellrecht gerade aus dem rein wettbewerblichen Prüfungsmaßstab. Alle weiteren Interessen, von Umweltschutz über die Versorgung mit schnellem Internet bis zur Förderung der landwirtschaftlichen Erzeuger, können die Effizienz der rein wettbewerblichen Verteilung mindern. Wenn sie politisch erwünscht sind, müssen sie systematisch anders gewährleistet werden, z.B. durch öffentlich-rechtliche Regelungen. Das macht die ökonomischen Kosten eines entsprechenden Eingriffs transparent. Rechtlich ist dann ein Ausgleich zu schaffen zwischen dem freiheitsgetriebenen, ökonomisch wirkenden Kartellrecht einerseits und sonstigen Gemeinwohlinteressen andererseits. Internalisiert man diesen Ausgleich im Kartellrecht durch Immanenztheorien, Ausnahmebestimmungen oder eine besondere Härte der Anwendung, führt dies zu einer undurchschaubaren Verwischung. Wird das GWB durch zahlreiche Sonderregelungen und Modifikationen durchlöchert, besteht die Gefahr, dass ein funktionierendes, systematisch durchdachtes Gesetz nur noch regulatorisches Flickwerk bietet – und die Märkte ihre Verteilungsfunktion immer schlechter wahrnehmen können. 48 Vgl. z.B. Competition and Markets Authority, Annual Plan consultation 2018/19, abrufbar  unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/​ 664451/annual-plan-consultation-2018-2019-web-accessible.pdf.

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IV. Rechtliche Grenzen und Brücken Der Indienstnahme des Kartellrechts werden rechtliche Grenzen vor allem im europäischen Recht gesetzt. Das europäische Recht kennt aber auch Brücken zu Gemeinwohlerwägungen. 1. Vorrangiges europäisches Kartellrecht Dem deutschen Gesetzgeber ist bei der Statuierung von Ausnahmen im GWB immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass seine Möglichkeiten europarechtlich beschränkt sind. Sobald der zwischenstaatliche Handel spürbar betroffen ist, was in der Vergangenheit ausufernd bejaht wurde,49 helfen deutsche Sonderwege bei wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen nicht. Bei der neu eingeführten Ausnahme für Presseverlage in § 30 Abs. 2b GWB führt dies zu einer schwer erträglichen Situation: Ob eine Absprache zwischen Verlagen als Hardcore-Beschränkung mit Bußgelddrohung nach Art. 101 AEUV angesehen wird oder gar nicht dem Kartellrecht unterfällt, ist anhand des bislang eher vernachlässigten, kollisionsrechtlichen Tatbestandsmerkmals der Berührung des zwischenstaatlichen Handelns zu entscheiden. Hier kommt es zu einem nicht mehr für möglich gehaltenen Auseinanderfallen von europäischem und deutschem Kartellrecht. Immerhin bildet Art. 101 AEUV in solchen Fällen aber noch eine Abwehrlinie gegen grenzüberschreitend wirkende Wettbewerbsbeschränkungen. Da folglich das eigentliche Regelungsziel in derartigen Fällen (Rechtssicherheit für politisch erwünschte Absprachen) vom nationalen Gesetzgeber mit einer nur national wirkenden Ausnahme kaum erreicht werden kann, hat dieser als Regelungstechnik die „Betrauung“ mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Art. 106 AEUV wiederentdeckt. Art. 106 AEUV galt eigentlich als Norm für die regulierten Industrien, Telekommunikation, Energie und ähnliche; seine Blütezeit erlebte die Vorschrift mit ihrem ausgefeilten Regel-Ausnahme-Verhältnis folgerichtig im Zuge der Liberalisierung dieser Sektoren.50 Die Einstufung des Presse-Grosso im Zuge der 8. GWB-Novelle als eine von Art. 106 AEUV erfasste Dienstleistung war insofern überraschend. Erst recht gilt dies für die Regelung in § 46 Bundeswaldgesetz. In beiden Fällen hat sich das OLG Düsseldorf als Hüter des europäischen Rechts erwiesen.51 Das OLG füllt damit die Lücke, die Art. 106 Abs. 3 AEUV institutionell lässt. Zwar ist dort der Kommission aufgetragen, auf die Anwendung des Artikels zu ach49 Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 81 ff., dazu Eilmansberger in Streinz, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rz. 27. 50 Vgl. Gundel in Münchener Kommentar, Kartellrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 106 AEUV Rz. 76, 121 ff. 51 OLG Düsseldorf v. 26.2.2014 – VI-U (Kart) 7/12, WuW/E DE-R 4242 – Presse-Grosso; OLG Düsseldorf v. 15.3.2017 – VI-Kart 10/15 (V), WuW 2017, 338 – Rundholzvermarktung.

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ten. Bevor sich jedoch die Kommission in einem langjährigen Vertragsverletzungsverfahren dieser Thematik widmet, kann der wettbewerbliche Schaden bereits eingetreten sein.52 Der Kartellsenat des BGH teilte im Presse-Grosso-Fall die Bedenken des OLG Düsseldorf gegen die Betrauung nicht.53 Streitpunkt war insbesondere, ob der Betrauungsakt im Gesetz wirksam erfolgte, wenn an eine Branchenvereinbarung angeknüpft wird. Diese Frage braucht hier nicht näher erörtert zu werden.54 Festzuhalten ist aber, dass die Voraussetzungen des Art. 106 AEUV eng auszulegen sind.55 Andernfalls würde das europaweit geltende kartellrechtliche Universalprinzip ausgehöhlt. 2. Querschnittsklauseln Außerhalb des Kartellrechts kommen auf europäischer Ebene nur gleich- oder höherrangige Normen in Betracht, um der Kartellrechtsanwendung Grenzen zu setzen. Höherrangiges europäisches Recht gibt es gegenüber den Vorschriften des AEUV nicht. Normhierarchisch auf derselben Ebene sind aber sowohl die  Querschnittsklauseln des AEUV, die Grundfreiheiten und die Unionsziele (Art. 3 AEUV) angesiedelt als auch die in der Grundrechtecharta verankerten Normen. Mit den Unionszielen (Art. 3 AEUV), die noch allgemeiner gehalten sind, und den Grundfreiheiten dürften sich im Kartellrecht regelmäßig keine Konflikte ergeben. Die Querschnittsklauseln des AEUV sind ein Instrument, um Politikziele, also außerwettbewerbliche Interessen, die im europäischen Recht für wichtig gehalten werden, auf primärrechtlicher Ebene zu verankern.56 Die Querschnittsklauseln bestimmen allerdings nur allgemeine Politikziele und Prinzipien, sie sind also anders als Art. 101 und Art. 102 AEUV nicht als handlungsanweisende Befugnisnormen mit Tatbestand-Rechtsfolge-Struktur ausgestaltet.57 Damit stehen sie zwar abstrakt auf gleichgeordneter Ebene, konkret können sie aber nicht den selben Handlungsdruck erzeugen. Auch hier gilt, dass es bestenfalls zu einer Berücksichtigung im Rahmen von Art. 101 Abs. 3 AEUV kommen kann.58 52 Zum Verfahren vgl. Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 106 Abs. 3 AEUV Rz. 7 ff. 53 BGH v. 6.10.2015 – KZR 17/14 – Zentrales Verhandlungsmandat. 54 Vgl. Bach, NJW 2016, 1630; Kühling, ZUM 2013, 18; Nordemann in FS Köhler, 2014, S. 495; Hennemann, NZKart 2016, 160; Haus, WuW 2014, 830. 55 Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 106 Abs. 2 AEUV Rz. 95; Dohms in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, §  35 Rz.  336; Koenig/Paul in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 106 AEUV Rz. 78. 56 Umfassend Gasse, Die Bedeutung der Querschnittsklausel für die Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts, 2000. 57 Wegener in ders., Europäische Querschnittpolitiken, 2014, § 1, Rz. 7. 58 Vgl. Schweitzer in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 21, 26 f.; Kirchhoff in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 11, 12, der weitergehenden Überlegungen – z.B. mit Blick

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Der EuGH hat dennoch Querschnittsklauseln in Ausnahmefällen herangezogen, um das Kartellrecht einzuschränken. So heißt es in Albany, einem Urteil zu Arbeitnehmerrechten und Kartellrecht: „Zwar sind mit Tarifverträgen zwischen Organisationen, die die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer vertreten, zwangsläufig gewisse den Wettbewerb beschränkende Wirkungen verbunden. Die Erreichung der mit derartigen Verträgen angestrebten sozialpolitischen Ziele wäre jedoch ernsthaft gefährdet, wenn für die Sozialpartner bei der gemeinsamen Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Art. 85 Abs. 1 Geltung hätte.“59 Der EuGH entscheidet sich beim Konflikt zwischen den sozialpolitischen Zielen des Tarifrechts mit dem Wettbewerbsprinzip für die Arbeitnehmerrechte und erklärt konsequent, dass diese nicht unter das Wettbewerbsverbot fallen. Methodisch nimmt der EuGH hier also Bezug auf eine kohärente Gesamtauslegung der europäischen Verträge. Die Konsequenz daraus ist, dass die Wettbewerbsregeln nicht zur Anwendung kommen. Einen ähnlich harten Eingriff in das Kartellrecht hat der EuGH kaum einmal statuiert. In FNV Kunsten hat er die Anwendung der Albany-­ Regel auf einen engen Anwendungsbereich beschränkt.60 Es gibt in der EuGH-Rechtsprechung aber durchaus weitere Präzedenzfälle für eine Berücksichtigung der ­Querschnittsklauseln. Zu denken ist an Fälle wie Wouters (für freie Berufe) und Meca-Medina (für den Sport).61 Eine Ausdehnung oder Verschärfung des Kartellrechts auf Basis solcher Klauseln kommt nicht in Betracht. Die Zahl der Fälle, in denen sich der EuGH auf die Querschnittsklauseln beruft, ist insgesamt überschaubar. Weniger überschaubar ist allerdings, was in den Querschnittsklauseln alles geregelt ist: der Katalog in Art. 8 bis 17 AEUV und weiteren Normen sieht etwa die Gleichstellung von Mann und Frau, die Sozialpolitik, den Umwelt-, Verbraucher- oder Tierschutz, den Datenschutz oder kirchliche Angelegenheiten als Aufgaben an, bei denen gemäß Art. 7 AEUV die Kohärenz der Wettbewerbsregeln mit den entsprechenden Politikbereichen hergestellt werden könnte. Die Querschnittsklauseln sind jedoch Programmsätze, deren rechtliche Wirkung gering ist. Erfasst werden daher nur Fälle, in denen ein in einer solchen Norm geschütztes Ziel ganz fundamental ausgehöhlt würde (wie die Tariffreiheit durch das Kar­

auf eine Einschränkung schon des Tatbestandes des Art. 101 Abs. 1 AEUV – eine Absage erteilt (S. 13). 59 EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C-67/96, ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 59 f. – Albany. 60 EuGH v. 4.12.2014  – Rs. C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411  – FNV Kunsten Informatie en Media. 61 EuGH v. 18.2.2002  – Rs. C-309/99, ECLI:EU:C:2002:98, WuW/E EU-R 533  – Wouters; EuGH v. 18.7.2006 – Rs. C-519/04, ECLI:EU:C:2006:492, WuW/E EU-R 1493 – Meca-Medina.

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tellverbot).62 Nur wenn das Kartellrecht das Funktionieren des anderen Bereichs ausschalten würde, kann sich das in der Querschnittsklausel geschützte Ziel durchsetzen. Die Vertreter der gegenteiligen Auffassungen, die eine stärkere Berücksichtigung wünschen,63 sind bislang den Beweis schuldig geblieben, dass die Begriffe auch unterhalb der Ebene des Extremfalls praktikabel und justitiabel angewendet werden können. Der Verweis auf eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung kann letztlich den Konflikt zwischen Wettbewerbsbeschränkung und Gemeinwohlziel kaum auflösen – es käme bestenfalls zu einer erhöhten Begründungslast.64 Aufgeflammt ist diese Diskussion aber wieder mit dem eingangs erwähnten Bayer/ Monsanto-Fall, diesmal für die Fusionskontrolle. Paal kommt in einem Gutachten explizit zu der Auffassung, dass außerwettbewerbliche Ziele zu berücksichtigen sind: „Berücksichtigungsfähig sind dabei jedenfalls solche außer-ökonomischen Ziele, die normhierarchisch auf der Ebene des Primärrechts zu verorten sind – worunter auch und gerade der Umweltschutz fällt.“65 Der Umweltschutz wäre demnach als Querschnittsziel (Art. 11 AEUV) in die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „wirksamer Wettbewerb“ (Art. 2 FKVO) zu integrieren. Nach Paal soll so „ein schonender Ausgleich der betroffenen Interessen im Sinne einer praktischen Konkordanz“ gelingen.66 Hier wird ein Konzept des deutschen Verfassungsrechts ins europäische Kartellrecht transplantiert. Schon im deutschen Verfassungsrecht setzt der Ausgleich widerstreitender verfassungsrechtlicher Rechtsgüter jedoch voraus, dass die gegenüberstehenden Schutzgüter gleichgeordnet sind und ernsthaft kollidieren. Ein Ausgleich aller denkbaren vage formulierten Interessen ist nicht vorgesehen. Schon aus diesem Grund trägt das Modell für die Berücksichtigung außerwettbewerblicher Interessen im europäischen Recht nicht. Die vage formulierten Querschnittsklauseln können mit dem – gerade in der Fusionskontrolle! – konkret ausgestalteten und durch jahrzehntelange Praxis konturierten Wettbewerbsschutz nicht abgewogen werden. Es ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der Fusionskontrollverordnung die Ab62 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, §  1 GWB Rz.  171 spricht von „Sonderkonstellationen“. Vgl. Schweitzer in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, S. 21, 25. 63 Z.B. Kokott/Dittert in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbs­ ent­ scheidungen, 2015, S.  15  ff.; Kahl in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 11 AEUV Rz. 29 ff.; Rittner/Dreher, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 5 Rz. 10. 64 Vgl. Kokott/Dittert in Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbs­ ent­ scheidungen, 2015, S. 20. 65 Paal, Gutachten zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Berücksichtigung(sfähigkeit) von außer-ökonomischen Zielen auf der Grundlage und am Maßstab der europäischen Fusionskontrollverordnung, 23.4.2017, S.  2, s. auch S.  19  f., abrufbar unter https://www. gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/the​men_az/gentechnik/pdf/ gutachten-monsanto-2017.pdf. 66 Paal, a.a.O., S. 20.

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wägung mit anderen Interessen vorgenommen hat. In dieses Spezialgesetz nun außerwettbewerbliche Interessen einzubeziehen, erst recht, um eine Verschärfung des Grundrechtseingriffs gegen die Unternehmen zu legitimieren, wäre systemwidrig.67 3. Grundrechte-Charta Die Europäische Grundrechte-Charta bewegt sich normhierarchisch auf der selben Ebene wie der AEUV. Gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh sind bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts durch deutsche Behörden und Gerichte die EU-Grundrechte zu berücksichtigen. Während die Querschnittsklauseln in ihrer Wirkung begrenzt blieben, hat die Grundrechte-Charta seit 2009 erheblich an Prominenz auch in wettbewerblichen Fällen gewonnen. In zahlreichen kartellrechtlichen Fällen des EuGH wurde die Charta bereits bemüht. Seit 2004 ist die Zahl der vom EuGH verhandelten Fälle, in denen die Grundrechte zitiert werden, gestiegen, insbesondere seit 2011 wird immer wieder in zahlreichen Fällen auf die Grundrechte Bezug genommen.68 Dabei geht es in den meisten Fragen um Hardcorekartellfälle, in denen das Argument vorgebracht wird, dass die Bußgeldbemessung durch die Europäische Kommission Grundrechte der Betroffenen verletzt.69 Es gibt allerdings auch Fälle nach Art. 102 AEUV und der FKVO, in denen die Grundrechte zitiert werden. Im spektakulären Intel-Urteil des EuGH waren Verfahrensgrundrechte Anlass der Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.70 Die Verfahrensgrundrechte (Art. 41, 47, 48, 49 GRCh) dominieren die Anwendung. Allerdings gibt es auch Ansätze zu einer verstärkten Berücksichtigung materieller Bestimmungen. So hat Generalanwältin Kokott im Impala-Verfahren vorgeschlagen, eine Grundrechtsabwägung als Ausgangspunkt der Überprüfung der Fusionskontroll­ entscheidung anzusehen.71 So seien die Art. 16 und 17 GRCh zugunsten der fusionswilligen Unternehmen abzuwägen mit dem Interesse der Öffentlichkeit am Schutz

67 Ebenso Lettl, Rechtsgutachten zu kartellrechtlichen Fragen der Marktkonzentration, o.J. [2017], S.  18, abrufbar unter https://www.oxfam.de/system/files/rechtsgutachten_von_ prof._​dr._tobias_lettl.pdf; Körber in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 2 FKVO Rz. 214. 68 Vgl. nur EuGH v. 11.7.2013 – C-439/11 P, ECLI:EU:C:2013:513, Rz. 154 ff. – Ziegler; EuGH v. 26.11.2013  – Rs. C-50/12 P ECLI:EU:C:2013:771, Rz.  77  ff.  – Kendrion; EuGH v. 26.11.2013 – Rs. C-58/12 P, ECLI:EU:C:2013:770, Rz. 72 ff. – Groupe Gas­cogne; EuGH v. 9.6.2016 – Rs. C-608/13 P, ECLI:EU:C:2016:414, Rz. 64 ff. – CEPSA. 69 Vgl. EuGH v. 18.7.2013  – Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:522  – Schindler; EuGH v. 26.11.2013 – Rs. C-58/12 P, ECLI:EU:C:2013:770 – Groupe Gascogne; EuGH v. 9.6.2016 – Rs. C-617/13 P, ECLI:EU:C:2016:416  – Repsol; EuGH v. 9.6.2016  – Rs. C-608/13 P, ECLI:EU:C:2016:414 – CEPSA. 70 EuGH v. 6.9.2017 – Rs. C-413/14 P, ECLI:EU:C:2017:632 – Intel. 71 GA Kokott, Rs. C-413/06 P, ECLI:EU:C:2007:790, Rn. 214 – Impala.

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des Wettbewerbs gegen Verzerrungen. Der EuGH hat diesen Ansatz in dieser Entscheidung allerdings nicht aufgegriffen. Beispielhaft kann auch das Huawei-Vorlageverfahren genannt werden.72 Generalanwalt Wathelet hatte hier, ähnlich wie Kokott, als Ausgangspunkt seiner kartellrechtlichen Prüfung formuliert: „Die Beantwortung der Vorlagefragen des vorliegend genannten Gerichts erfordert unter Berücksichtigung des Wettbewerbsrechts eine Abwägung zwischen einerseits dem Recht des geistigen Eigentums und dem Recht des SEP-Inhabers auf Zugang zu den Gerichten (Huawei) und andererseits der unternehmerischen Freiheit, die den Wirtschaftsteilnehmern – wie etwa den Unternehmen, die den LTE Standard umsetzen, – nach Art. 16 der Charta zusteht (ZTE).“73 In diesem Fall, in dem es um den kartellrechtlich begründeten Zwangslizenzeinwand in einem Patentverletzungsverfahren ging, nimmt der Generalanwalt also „unter Berücksichtigung des Wettbewerbsrechts“ eine grundrechtliche Abwägungsentscheidung vor. Der EuGH folgt diesem Ansatz in seinem Urteil teilweise und schreibt: „Um dem vorlegenden Gericht zu antworten (…), sind die Erhaltung eines freien Wettbewerbs, zu dessen Schutz das Primärrecht, insbesondere Art. 102 AEUV, die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung verbietet, und die notwendige Gewährleistung von Rechten des geistigen Eigentums des Patentinhabers und dessen Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, die in Art. 17 Abs.  2 bzw. Art. 47 der Charta garantiert werden, gegeneinander abzuwägen.“74 Eine Akzentverschiebung liegt darin, dass der EuGH das Kartellrecht direkt mit dem Immaterialgüterrecht abwägt, während Wathelet noch weitergehend nicht mehr das Kartellrecht in die Abwägung einbrachte, sondern das Recht auf unternehmerische Freiheit. Die grundrechtliche Abwägung bleibt aber Ausgangspunkt der materiellen Würdigung des Falls. Das ist für das Kartellrecht ein Novum. Außerwettbewerbliche Interessen werden damit über die Brücke der Grundrechte in die Prüfung einbezogen. Voraussetzung dafür ist aber grundrechtlicher Schutz in Form eines subjektiven Rechts. Hier stehen sie dann für Individualinteressen unmittelbar betroffener Parteien. Aus deutscher Perspektive ist bemerkenswert, dass in einem Rechtsstreit zwischen gleichgeordneten Privaten (es handelt sich um ein Vorlageverfahren, in dem am LG Düsseldorf Patentinhaber und Patentverletzer miteinander streiten) auf diese Weise die Grundrechte bemüht werden. Für das europäische Grundrechtesystem ist eine unmittelbare Drittwirkung im Privatrechtsverhältnis jedenfalls nicht unstrittig.75 Al72 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-170/13, ECLI:EU:C:2015:477 – Huawei/ZTE. 73 GA Wathelet, 20.11.2014 – Rs. C-170/13, ECLI:EU:C:2014:2391, Rz. 59 – Huawei/ZTE. 74 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-170/13, ECLI:EU:C:2015:477, Rz. 42 – Huawei/ZTE. 75 Zu dieser viel diskutierten Frage, vgl. Jarass, EU-Grundrechte-Charta, 3. Aufl. 2016, Art. 51 Rz. 36 ff.; Jarass, ZEuP 2017, 310; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016,

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lerdings ist die grundrechtliche Dogmatik auf europäischer Ebene auch noch im Fluss. Die Grundrechte-Charta hat die Verfahrensstandards im europäischen Recht bereits erheblich erhöht. Das Potenzial, materielle Wettbewerbsinteressen mit anderen Interessen gleichwertig abzuwägen, ist gegeben. Die Grundrechte sind damit ein Einfallstor für außerwettbewerbliche Interessen.

V. Die Normalisierung des Kartellrechts In diesem Text wurde auf das behördliche Verfahren abgestellt. Offen bleibt, welche Akzente die zunehmende private Rechtsdurchsetzung setzt. Es steht zu erwarten, dass mit Zunahme von Gerichtsentscheidungen durch nicht-hochspezialisierte Spruchkörper das Kartellrecht „normalisiert“ wird. Dies bedeutet, dass das Kartellrecht in die typische privatrechtliche Abwägungsmaschinerie eingespeist wird. Die Fälle, in denen patentrechtlich um kartellrechtliche Zwangslizenzen gestritten wird, sind ein Beispiel dafür, wie Kartellrecht als Hilfsinstrument in einem anderen Rechtsstreit Verwendung findet. Die Steuerungsfähigkeit für das Rechtsgebiet und damit die Chance zu seiner „Reinhaltung“ nimmt mit der Wende zur privaten Rechtsdurchsetzung ab. Es ist kein Nischengebiet für Spezialisten mehr, sondern ein offenes Rechtsgebiet, das Einflüsse aus anderen Rechtsgebieten aufgreift und gleichzeitig in diese hineinwirkt. Beispiele dafür bieten auch das Pechstein-Verfahren, in dem das Kartellrecht in Konflikt mit der Sportschiedsgerichtsbarkeit trat, oder das Porsche-Verfahren, in dem das Kartellrecht im Bereich der Marktmanipulationen im Kapitalmarktrecht aufgegriffen wurde.76 Es ist nicht völlig undenkbar, dass manch ein Zivilgericht eines Tages mit Argumenten der Sorte „Treu und Glauben“ Marktordnung betreibt. Das wäre dann freilich ein Rückfall in Zeiten des sächsischen Holzstoffkartells.77 Wenn das Kartellrecht stärker in einen allgemeinen regulatorischen Kanon einsortiert wird, verliert es ein Stück weit seine Prägekraft als „Grundgesetz der Marktwirtschaft“. Daher ist die Politisierung des Rechtsgebiets mit Vorsicht zu betrachten. Wesentlich ist es, die rechtlichen Grenzen jeder politischen Indienstnahme einzuhalten. Hier bildet insbesondere das europäische Recht einen Damm gegen die politische Vereinnahmung, sei es durch die fein austarierten Regeln des Art.106 AEUV, den allgemeinen Vorrang von Art. 101 und 102 AEUV in Fällen von zwischenstaatlicher Bedeutung oder durch die Eingrenzung der Berücksichtigung außerwettbewerblicher Interessen auf Fälle, in denen Grundrechte berührt sind. In Extremfällen kann auch eine europäische Querschnittsklausel Berücksichtigung finden. Den besten Schutz gegen die Politisierung des Kartellrechts bietet freilich das geduldige Werben für den Wettbewerb. Märkte selbst sind demokratische Institutionen, das Kartellrecht sichert ihr Funktionieren. Wird es missbraucht für weitergehende Zwecke, geraten die Märkte in Gefahr. Die „Reinheit“ des Kartellrechts ist dann nur ein Kollateralschaden. Art. 51 EU-GRCharta Rz. 21; Kahl/Schwind, EuR 2014, 170, 175 ff.; Frantziou, ELJ 2015, 657, 669 ff.; Müller-Graff, EuR 2014, 1, 5. 76 BGH v. 7.6.2016  – KZR 6/15, WuW 2016, 364 m. Anm. Bunte; OLG Braunschweig v. 29.10.2013 – 1 W 42/13. 77 RG v. 4.2.1897 – Rep. VI. 307/96, RGZ 38, 155 – Sächsisches Holzstoffkartell.

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Algorithmen als Kartellverstöße1 I. Algorithmen: “End of competition” or “We shouldn’t panic”? II. Algorithmen als besondere Heraus­ forderung für das Kartellrecht? III. Algorithmen als Handwerkszeug zur ­Begehung von Kartellverstößen 1. Umsetzung einer Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV 2. Verhalten nach vorheriger Abstimmung im Sinne von Art. 101 AEUV 3. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung a) Ausbeutung b) Google Shopping 4. Zwischenergebnis zu III. IV. Spezifische Rechtsfragen im Zusammenhang mit Algorithmen

1. Vereinbarung oder Abstimmung mittels Algorithmus a) Fragestellung b) Informationstechnische und ökonomische Vorfragen c) Vereinbarung oder Abstimmung im Sinne von Art. 101 AEUV 2. Machtmissbrauch a) Autonomer Machtmissbrauch durch einen Algorithmus b) Preisdiskriminierung 3. Stillschweigende Kollusion 4. Zwischenergebnis zu IV. V. Mittelbare Bedeutung von Algorithmen für Kartellverstöße VI. Fazit

I. Algorithmen: “End of competition” or “We shouldn’t panic”? Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems, bestehend aus einer endlichen Zahl von wohldefinierten Einzelschritten.2 Bezogen auf die Informationstechnologie ist der Algorithmus eine wohldefinierte Rechenvorschrift, die eine Größe oder eine Menge von Größen als Eingabe verwendet und nach Ausführung bestimmter Befehle eine Größe oder eine Menge von Größen ausgibt.3 Praktisch bedeutsame Beispiele sind Preisalgorithmen, wie etwa diejenigen von Buchungsplattformen, die u.a. aus Daten über Angebot und Nachfrage den Preis ausgeben, und Suchmaschinenalgorithmen wie derjenige von Google, die aus den mit der Suchanfrage eingegebenen und weiteren Daten eine Liste von Websites ausgeben.

1 Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag auf dem 10. Speyerer Kartellrechtsforum der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer am 24.4.2018. Herrn Wiss. Mit. Stefan Schmidt und Herrn RA Dipl. Kfm. Dr. Eugen Wingerter danke ich für die kritische Lektüre. 2 Rogers, Hartley, Theory of Recursive Functions and Effective Computability, 1987, S. 2. 3 Gal, Avigdor, OECD Round Table on Algorithms and Collusion, 2017, Tz. 2; Cormen, Thomas H./Leiserson, Charles E./Rivest, Ronald/Stein, Clifford, Algorithmen – Eine Einführung, 4. Aufl. 2013, S. 5.

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Algorithmen sind damit eine Technologie wie andere auch und im Wettbewerb auf den Märkten allgegenwärtig. Das allein erklärt nicht, warum die Diskussion um Algorithmen im Kartellrecht in der letzten Zeit deutlich an Intensität gewonnen hat,4 denn auch andere Technologien sind allgegenwärtig. Man könnte also geneigt sein zu fragen: Gibt es das im Titel angesprochene Problem überhaupt? Haben wir im Kartellrecht ein spezifisch algorithmenbezogenes Problem, das spezifischer Lösungsansätze bedarf? Hierzu lassen sich – vereinfacht dargestellt – zwei Meinungsgruppen ausmachen: Die erste wird angeführt von Ariel Ezráchi und Maurice Stucke, die in der juristischen Literatur das Thema als erste umfassend behandelt haben. Sie sehen uns konfrontiert mit “the end of competition as we know it”.5 Ihnen folgen nicht wenige Autoren, so in Deutschland im Ansatz – um hier zunächst nur einige zu nennen – Thorsten Käseberg und Jonas von Kalben,6 Uwe Salaschek und Mariya Serafimova.7 Auch die OECD-Studie von 2017 geht in diese Richtung.8 Die zentralen Aussagen, die sich als Folge dieser Einschätzung ergeben  – wenn auch nicht bei jedem Autor zu jedem Punkt –, sind die Folgenden: Unser Verständnis von der Vereinbarung im Sinne des Kartellverbots stoße an seine Grenzen. Insbesondere das bewusste Parallelverhalten durch Algorithmen, das noch nicht zu einem abgestimmten Verhalten führe, müsse verboten werden. Auch sei der Wettbewerbsschutz vorzuverlagern, algorithmusgeprägte Marktbedingungen seien vor allem in Verbindung mit Marktmacht zu verhindern. Schließlich müsse eine Verhaltenskontrolle zur Nutzung von Algorithmen eingeführt werden. Das kann an allgemeine Überlegungen anknüpfen, Algorithmen stärker zu kontrollieren, wie sie in der letzten Legislaturperiode vor allem im Hinblick auf Diskriminierung angestellt wurden. Eine zweite Gruppe setzt vorsichtiger an. Ihr kann man einen Leitspruch zuschreiben, der von Magarete Verstager stammt: „We certainly shouldn’t panic about how algorithms are affecting markets.“9 Das steht für Autoren, die derzeit in Algorithmen kei4 Einen Überblick über einschlägige Veröffentlichungen geben Pohlmann/Schütte, Algo­rithms As Cartel Infringements – A Bibliography, Stand Juni 2018, abrufbar unter SSRN: https:// ssrn.com/abstract=3200004. 5 Ezrachi, Ariel/Stucke, Maurice E., Virtual Competition. The Promise and Perils of the ­Algorithm-Driven Economy, 2016, 203, 233; Ezrachi, Ariel/Stucke, Maurice E., The rise of behavioural discrimination, European Competition Law Review 2016, 37(12), S. 485, 492. 6 Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2–8. 7 Salaschek, Uwe/Serafimova, Mariya, Preissetzungsalgorithmen im Lichte von Art.  101 AEUV. Innovation des Preiswettbewerbs oder kartellrechtliche Grauzone?, WuW 2018, 8–17. 8 OECD, Algorithms and Collusion: Competition Policy in the Digital Age, 2017, online abrufbar unter: http://www.oecd.org/daf/competition/Algorithms-and-colllusion-competition-­ policy-in-the-digital-age.pdf. 9 Vestager, Margrethe, Algorithms and Competition, Rede anlässlich der 18. Kartellrechtstagung des BKartA, Berlin, 16.3.2017, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/​ commissioners/2014-2019/vestager/announcements/bundeskartellamt-18th-conference-­ competition-berlin-16-march-2017_en (zuletzt abgerufen am 16.7.2018).

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ne oder nur geringe spezifische Gefahren sehen, sei es, weil diese informationstechnologisch und ökonomisch nicht begründet seien, sei es, weil der juristische Rahmen ausreiche. Hierzu zählen zum Beispiel Nicolas Petit,10 Daniel Hennes und Ulrich Schwalbe,11 Thibault Schrepel („doctrinal cheese soufflé“),12 Maurits Dolmans, Jacob Truner und Ricardo Zimbron,13 und die Studie von Oxera,14 um nur einige zu nennen. Dieser Beitrag möchte klären, welche dieser  – hier holzschnittartig dargestellten  – Einschätzungen die besseren Argumente auf ihrer Seite hat. Zunächst wird untersucht, welche Eigenschaften der Algorithmen ihnen kartellrechtlich eine Sonderrolle zuweisen könnten (II). Dann werden Fälle erörtert, in denen Algorithmen als Handwerkszeug zur Begehung von Kartellverstößen notwendig oder hilfreich sind, aber sie keine aus ihrer spezifischen Technologie folgenden neuen Rechtsfragen aufwerfen (III). Im Anschluss werden drei Fallgruppen behandelt, in denen Algorithmen aufgrund ihrer spezifischen Wirkungsweise neue Rechtsfragen aufwerfen (IV). Nach einem kurzen Blick auf die mittelbare Bedeutung von Algorithmen für Kartellverstöße (V) wird ein Fazit gezogen (VI).

II. Algorithmen als besondere Herausforderung für das Kartellrecht? Anknüpfend an die obige Definition von Algorithmen ist weiter zu differenzieren: Einfache Algorithmen arbeiten programmierte Befehle ab und verändern sich selbst nicht. Man kann heuristische Algorithmen, die sich auf Informationen in einem bestimmten Zeitpunkt stützen, und analytische Algorithmen, die auch historische Daten auswerten, graduell unterscheiden.15 Selbstlernende Algorithmen nutzen die wachsenden Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und ermitteln selbst die Merkmale, mit denen die beste Problemlösung erreicht wird. Sie lernen, indem sie auf große Datenmengen (Big Data) angewendet werden. Soll der Output des Algorithmus etwa eine Prognose der Benzinpreise einer bestimmten Tankstelle sein, analysiert der Algorithmus zunächst eine Fülle von Daten über vergangene Preise. Er gewichtet dann, ob für zutreffende Prognosen der 10 Petit, Nicolas, Antitrust and Artificial Intelligence: A Research Agenda, Journal of European Competition Law & Practice, Volume 8, Issue 6, 2017, S. 361–362. 11 Hennes, Daniel/Schwalbe, Ulrich, Kartellbildung durch lernende Algorithmen?, FAZ v. 13.7.2018 S. 18. 12 Schrepel, Thibault, Here’s why algorithms are NOT (really) a thing, Concurrentialiste, May 2017 (online) (zuletzt abgerufen am 16.7.2018). 13 Dolmans, Maurits/Turner, Jacob/Zimbron, Ricardo, Pandora’s box of online ills: We should turn to technology and market-driven solutions before imposing regulation or using competition law, Concurrences No. 3-2017, S. 1–9. 14 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017. 15 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 5, online abrufbar unter https://www.oxera.com/getmedia/3243dc6d-9c69-4292-8b47-4366d1890 3d1/​When-algorithms-set-prices-winners-and-losers.pdf.aspx?ext=.pdf (zuletzt abgerufen am 16.7.2018).

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Benzinpreise z.B. die Uhrzeit, die Verkehrsdichte oder die Farbe der Fahne auf dem Dach der Tankstelle geeignete Kriterien sind.16 Für seine Voraussage stützt er sich dann auf die als relevant befundenen Kriterien, überprüft und korrigiert diese aber weiterhin laufend.17 Praktisch nutzen z.B. Fluglinien fortgeschrittene selbstlernende Algorithmen.18 Deep-learning-Algorithmen sind als eine besonders fortgeschrittene Form von Algorithmen eine Teilmenge selbstlernender Algorithmen. Sie nutzen künstliche neuro­ nale Netze,19 mit denen Abläufe im menschlichen Gehirn nachgebildet werden sollen. Beim deep learning arbeitet der Algorithmus nicht mehr nur eine lineare Folge programmierter Schritte im Hinblick auf bestimmte Merkmale ab, sondern er lernt durch Versuch und Irrtum,20 wie der berühmte Algorithmus Libratus,21 der vier Poker-Profis besiegte und dabei sogar das Bluffen lernte.22 Solche Algorithmen verwandeln Input in Output, ohne dass im Nachhinein in allen Punkten nachvollziehbar ist, welcher Input verwendet wurde und welche Rechenschritte unternommen wurden.23 Die Programmierung von Algorithmen ist regelmäßig ein wohl gehütetes Geschäftsgeheimnis. Manchmal wird zwar bekanntgemacht, welche Inputdaten verwendet werden, nicht aber, welche Schritte der Algorithmus methodisch geht, so z.B. bei Uber.24 Algorithmen werden in Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt: Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion, Vertrieb, Service. Nur wenn das vom Algorithmus ausgegebene Ergebnis Bezug zum Markt hat, kommt ein Kartellverstoß in Betracht. Rein intern genutzte Algorithmen, etwa für die Logistik oder die Produktion, scheiden als Kartellverstöße aus und können allenfalls als Knowhow oder geistiges Eigentum im Rahmen der Marktmacht eine Rolle spielen. Dabei ist der Marktbezug weit zu verstehen: Sobald die Ausgabe des Algorithmus das Verhalten auf dem Markt beeinflusst, kommt ein solcher Bezug zu einem Markt in Betracht. Neben Preisen können sämtliche Wettbewerbsparameter wie Konditionen, Mengen oder Kundenkreise Output des Algorithmus sein, ebenso Produktionskapazitäten oder Innovationsaktivitäten. Der Output eines Algorithmus kann auch selbst ein Produkt sein, z.B. die Vermittlungsleistung einer Plattform.

16 Bsp. nach Gal, Avigdor, OECD Round Table on Algorithms and Collusion, 2017, Tz. 9. 17 Vgl. Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 5 (autonomous algorithm). 18 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 6. 19 Näher Surblythé, Gintaré, Data-Driven Economy and Artificial Intelligence. Emerging Competition Law Issues?, WuW 2017, 120 f. 20 Surblythé, Gintaré, Data-Driven Economy and Artificial Intelligence. Emerging Compe­ tition Law Issues?, WuW 2017, 120, 121 f. 21 Entwickelt von Tuomas Sandholm und Noam Brown, Carnegie Mellon University, USA. 22 OECD, Algorithms and Collusion: Competition Policy in the Digital Age, 2017, S. 10. 23 OECD, Algorithms and Collusion: Competition Policy in the Digital Age, 2017, S.  11; ­Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2, 3; Gal, Avigdor, OECD Round Table on Algorithms and Collusion, 2017, Tz. 12. 24 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 6.

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Algorithmen ermöglichen zusammen mit dem Zugriff auf große Datenmengen also ein automatisiertes, schnell auf Veränderungen reagierendes Marktverhalten, das nicht in allen Punkten durch die Programmierung festgelegt sein muss und das auf eine Fülle von Informationen gestützt werden kann. Sie ersetzen damit partiell den entscheidenden und handelnden Menschen.

III. Algorithmen als Handwerkszeug zur Begehung von Kartellverstößen Praktisch sind Algorithmen bisher vor allem zur Unterstützung oder Durchführung von klassischen Kartellabsprachen oder Verhaltensabstimmungen sowie gezielt für missbräuchliche Praktiken eingesetzt worden. 1. Umsetzung einer Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV Im Poster-Kartell, das von der englischen CMA und dem US-DOJ verfolgt wurde, hatten mehrere Verkäufer von Postern auf Amazon Marketplace sich über parallele Preisgestaltung geeinigt. Angesichts der Vielzahl von Postern erwies sich die Durchführung als schwierig. Man kam daher überein, jeweils eigene Preisalgorithmen zu nutzen, die darauf programmiert waren, Preisänderungen entsprechend der Abrede vorzunehmen, die allerdings nicht miteinander kommunizierten.25 Hier lag der Verstoß gegen das Kartellverbot schon in der Abrede darüber, die Preise anzupassen und dies mit entsprechender Preissetzungssoftware zu bewerkstelligen. Die Anwendung des Algorithmus ist dann ebenso zu bewerten wie jede Umsetzung eines Kartells durch Telefonate, E-Mail-Korrespondenz oder bunte Flaggen auf dem Tankstellendach. Es wird laufend und willentlich Verhalten koordiniert. Ausgehend von einem Verstoß gegen Sec. 1 Sherman Act kam in den USA ein Plea Agreement zustande,26 während die CMA in einer Entscheidung einen Verstoß gegen das englische Kartellverbot in Sec. 2 (1) Competition Act 1998 annahm.27 Ebenso wäre der Fall zu bewerten, dass Unternehmen sich darauf verständigen, ihre Preise durch ein und denselben Algorithmus festlegen zu lassen,28 der auf bestimmte externe Merkmale abstellt. Ähnlich ist es im Fall Uber Taxi. Uber vermittelt die Taxifahrten und versteht sich als Vermittler, nicht als Transportunternehmen. Die Fahrer sind nicht bei Uber angestellt, sie bieten selbständig Fahrten an. Über Ubers zentralen Preisalgorithmus werden einheitlich die Preise festgesetzt. Das Preissystem des Produktes UberX berechnet dabei den Grundpreis wie Taxiunternehmen das üblicherweise tun, also ausgehend von einem Minimumpreis nach Entfernung und Zeit. Zusätzlich werden über eine 25 Im englischen Fall nutzten die Parteien verschiedene Algorithmen zur Erreichung dieses Ziels, im US-Fall wird das nicht ganz deutlich, aber vermutlich wurden auch hier keine identischen Algorithmen genutzt. 26 United States v. David Topkins, US District Court for the Northern District of California, San Francisco Div., 30.4.2015, Az. CR 15-00201 WHO, S. 3 f., https://www.justice.gov/atr/ case/us-v-david-topkins (zuletzt abgerufen am 16.7.2018). 27 Competition and Markets Authority, 12.8.2016, Case 50223. 28 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 2.

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dynamische Komponente Angebot und Nachfrage berücksichtigt. Darüber wird ein Faktor berechnet, mit dem der Grundpreis multipliziert wird. Eine Untersuchung von knapp 50 Mio. Fällen, in denen Verbraucher UberX nutzten, ergab: Für die meisten Fahrten, bei denen der Grundpreis durch einen Faktor über 1,0 erhöht wird, liegt der Faktor bei 1,2 – 1,5, er erhöht sich aber in vereinzelten Fällen (Samstagnacht) auf bis zu 45,6.29 Fahrer, die für Uber fahren wollen, müssen dem System zustimmen. Ein Anteil des Preises fließt als Provision an Uber. Auch hier liegt die Grundabrede in den klassischen Vereinbarungen über die Preissetzung, der vereinbarte Algorithmus führt die Abrede durch. Allerdings wird hier anders als im Posterkartell die Vereinbarung über die Plattform als Mittelsmann getroffen, nicht zwischen den Fahrern. Auch in den USA beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Preissetzung durch Uber eine Kartellabsprache sein kann. Spencer Meyer, ein Uber-Fahrgast, erhob in den USA eine kartellrechtliche class action gegen den CEO von Uber, Travis Kalanick, vor dem New York Southern District Court (N.Y.S.D.) mit der Behauptung, dass Kalanick ein horizontales Preiskartell und auch vertikale Preisbindung orga­ nisiert und erleichtert hat. Das Gericht wies die motion to dismiss des Beklagten ­zurück.30 Daraus lässt sich schließen, dass das Gericht die Klage immerhin für „plausible on its face“ hielt.31 In den USA gibt es neben diesem Verfahren und einem weiteren nach Sec. 2 Sherman Act32 einen anderen Prozess, der über arbeitsrechtliche Fragen auch zum Kartellrecht kommt. Seattle erlaubte den Uber-Fahrern durch ­Gesetz eine gewerkschaftliche Verbindung. Das Gesetz wurde auf Betreiben der U.S. Chamber of Commerce gerichtlich gestoppt. Diese führt vor dem US Court of Appeal for the Ninth Circuit einen Rechtsstreit gegen Seattle, unterstützt durch DOJ und die FTC als amicus curiae. Sie alle sehen in der Funktionsweise der Uber-Plattform ein price fixing unter selbständigen Unternehmen. In der Literatur ist jüngst vorgeschlagen worden, den Unternehmensbegriff als gleitende Skala zu verstehen, abhängig davon, in welchem Maße die Beteiligten unternehmerische Risiken teilen und ihr Verhalten koordinieren.33 Zwei weitere Plattform-Fälle untersucht die Kommission derzeit. Die Valve Corporation, die die Plattform Steam betreibt, und mehrere Videospielherausgeber haben 29 Cohen, Peter/Hahn, Robert/Hall, Jonathan/Levitt, Steven/Metcalfe, Robert, Using Big Data to Estimate Consumer Surplus: The Case of Uber, National Bureau of Economic Research, Working Paper 22672, September 2016, S. 7. 30 Meyer v. Kalanick, US District Court for the Southern District of New York, 31.3.2016, Az. 15 Civ. 9796, S. 2 ff., 11 ff., https://law.justia.com/cases/federal/district-courts/new-york/ nysdce/1:2015cv09796/451250/37/ (zuletzt abgerufen am 16.4.2018), 174 F. Supp. 3d 817 (S.D.N.Y. 2016). 31 Näher zum Fall und der sharing economy Anderson, Mark/Huffman, Max, Indiana University Robert H. McKinney School of Law Research Paper No. 2017-8, S. 31, 46 ff., https:// ssrn.com/abstract=2954632.S. 46 ff. (zuletzt abgerufen am 16.4.2018); Dohrn, Daniel/Huck, Linda, Der Algorithmus als “Kartellgehilfe”? – Kartellrechtliche Compliance im Zeitalter der Digitalisierung, DB 2018, 173, 177 f. 32 Vor dem U.S. Court of Appeals for the Third Circuit. 33 Anderson, Mark/Huffman, Max, The Sharing Economy Meets the Sherman Act: Is Uber a Firm, a Cartel or Something in Between?, Indiana University Robert H. McKinney School

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Vereinbarungen getroffen, aufgrund derer Käufer einen Aktivierungsschlüssel nutzen müssen; dieser wird jedoch u.U. zum Geoblocking und damit zur Marktaufteilung genutzt.34 Im Fall der Meliá Hotels überprüft die Kommission deren Vereinbarungen mit den Reiseveranstaltern über Preissetzungsmechanismen, die evtl. Kunden aufgrund von Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz diskriminieren.35 In beiden Fällen liegt möglicherweise eine klassische Vereinbarung vor, die mit Hilfe von Algorithmen umgesetzt wird. Aber auch Preisbindungen der zweiten Hand lassen sich durch Algorithmen durchführen, etwa wenn der Hersteller mit dem Händler die Benutzung einer Preissoftware vereinbart, die die Einhaltung der Preisbindung sicherstellt. Fälle solcher Art sind bisher soweit ersichtlich nicht praktisch geworden. Im Fall Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer36 erleichterten Algorithmen in Gestalt von „sophis­ticated monitoring tools“ aber die Überwachung einer vertikalen Preisbindung und das rasche Einschreiten bei Verstößen. Alle diese Fälle haben gemeinsam, dass eine klassische Vereinbarung im Sinne des vom EuGH verlangten übereinstimmenden Willens vorliegt. Der Algorithmus ist nur das Handwerkszeug, das die Durchführung der Vereinbarung erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. 2. Verhalten nach vorheriger Abstimmung im Sinne von Art. 101 AEUV Auch beim abgestimmten Verhalten werden Algorithmen genutzt, um ein durch klassische Fühlungnahme abgestimmtes Verhalten zu praktizieren. Hierfür steht der vom EuGH entschiedene Fall Eturas. An die gleichnamige Onlinebuchungsplattform sind Reisebüros über Nutzerkonten angeschlossen, über die sie auf der Plattform zu den von ihnen festgelegten Preisen Reisen anbieten. Eturas informierte die Reisebüros darüber, dass der Internetrabattsatz der Reisebüros auf 3 % herabgesetzt werde. Nicht alle Reisebüros reagierten auf diese Mitteilung. Sie hätten in der Folgezeit bei Buchungen zwar höhere Rabatte geben können, das hätte aber zusätzlicher technischer Formalitäten bedurft. In der Folge waren die Rabatte der Reisebüros aufgrund des entsprechend der Mitteilung programmierten Algorithmus auf 3 % begrenzt. Der EuGH sah die rechtliche Problematik des Falles zu Recht nicht bei den Algorithmen, sondern zum einen im Beweismaß und der Beweiswürdigung hinsichtlich der Abstimmung des Verhaltens, da einige Beteiligte den Zugang Mitteilung bestritten hatten.37 Zum anderen klärte die Kommission, dass von einem Reisebüro, das Kenntnis vom Inhalt der Mitteilung hatte, vermutet werden, dass es sich ab Kenntniserlan-

of Law Research Paper No. 2017-8, S. 31, 46 ff., https://ssrn.com/abstract=2954632.S. 46 ff. (zuletzt abgerufen am 16.4.2018). 34 Kommission, 2.2.2017, IP/17/201. 35 Kommission, 2.2.2017, IP/17/201. 36 Kommission, 24.7.2018, IP/18/4601. 37 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14 – Eturas, Rz. 29 ff.

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gung an der Abstimmung beteiligt habe.38 Widerlegen könne ein Reisebüro seine Beteiligung nur, wenn es sich öffentlich distanziert habe – wozu eine Nachricht an den Administrator von Eturas genügt hätte –, den Fall der Behörde angezeigt habe oder systematisch höhere Rabatte gewährt habe.39 3. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Beim Machtmissbrauch können Algorithmen eingesetzt werden, um Wettbewerber zu behindern oder zu diskriminieren, um die Marktgegenseite auszubeuten oder andere missbräuchliche Aktionen zu ergreifen. a) Ausbeutung Wird über algorithmische Preissetzung am Markt ein supra-kompetitiver Preis erzielt, kann hierin ein Preishöhenmissbrauch liegen. Im Fall der Lufthansa, die nach dem Wegfall von Air Berlin auf vielen Strecken marktbeherrschend war, hat das Kartellamt Preissteigerungen von 25–30 % festgestellt. Da diese nach dem Markteintritt von Easyjet wieder zurückgingen, leitete das Bundeskartellamt kein Verfahren gegen Lufthansa ein. Es stellte allerdings klar, dass die Rechtfertigung von Lufthansa, die Preiserhöhung habe sich durch die verwendeten Algorithmen ergeben, nicht trage. Der Präsident des BKartA wies ironisch darauf hin, dass Algorithmen „nicht im Himmel vom lieben Gott geschrieben“ würden. Anders als bei Art. 101 AEUV kommt es für den Tatbestand des Missbrauchs von Marktmacht ohnehin nicht auf einen entsprechenden Willen des Unternehmens an, sondern nur auf die objektive Missbräuchlichkeit. Das missbräuchliche Verhalten muss dem Unternehmen zwar auch zurechenbar sein. Ein Zurechnungsproblem auf Tatbestandsseite gibt es hier solange nicht, wie die Algorithmen gezielt vom Unternehmen eingesetzt werden; zum Fall eines selbstlernenden Algorithmus s. unten IV. 2. a). Ausbeutung kann im Übrigen auch durch Erhebung zu vieler Daten geschehen. Man kann die Daten als – ggf. zu hohe – Gegenleistung, aber auch als Reduktion der Qualität ansehen.40 Bei Algorithmen spielen ihr Datenhunger und der Datenschutz also als „Entgelt“, aber auch als Qualitätsmerkmal eine Rolle. Das Erheben zu vieler Daten mindert die Qualität. b) Google Shopping Google hat nach Auffassung der EU-Kommission seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Internetsuche missbraucht, indem es seinen Suchalgorithmus so programmiert hat, dass es seinem Dienst Google Shopping auf dem Markt für Preisvergleichsdienste einen Vorteil gegenüber anderen Preisvergleichsdiensten

38 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14 – Eturas, Rz. 44. 39 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14 – Eturas, Rz. 46-49. 40 Stucke, Maurice E./Grunes, Allan, Big Data and Competition Policy, 2016, Tz. 6.38  f., 17.03 ff.

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verschafft hat.41 Die rechtlichen Probleme liegen hier nicht in der spezifischen Technologie der Algorithmen, sondern in den durch sie entstehenden neuen Möglichkeiten des Wettbewerbs auf und unter Einsatz von Plattformen (z.B. mehrseitiger Markt, Unentgeltlichkeit, Marktmachttransfer). Im Google-Shopping-Fall hat die Kommis­ sion sich nicht konkret auf eine der anerkannten Fallgruppen, insbesondere nicht auf diejenige der Diskriminierung gestützt, sondern eine individuelle Bewertung vorgenommen und geprüft, ob Wettbewerber vom Marktzutritt abgehalten wurden, ob unterschiedliche Konditionen auf gleichartige Transaktionen angewandt und dadurch Handelspartner im Wettbewerb benachteiligt wurden oder ob eine marktbeherrschende Stellung durch eine Verzerrung von Wettbewerb verstärkt wurde.42 Technologiespezifisch ist dagegen die tatsächliche Schwierigkeit, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären, weil sie u.a. auf der Datenfülle und der Komplexität und Veränderlichkeit von Algorithmen beruht. 4. Zwischenergebnis zu III. Algorithmen werden bisher in vielfältiger Weise eingesetzt, um Kartelle und Machtmissbräuche zu begehen. Spezifische Rechtsfragen haben sie als solche in den erwähnten Fallgruppen nicht aufgeworfen, eher liegen die Schwierigkeiten im tatsächlichen Bereich der Aufklärung des Sachverhalts. Allerdings werfen Online-Plattformen, die ihrerseits regelmäßig nur mit Algorithmen funktionieren, neue Fragen auf, die aber mit dem Algorithmus als solchem und seiner Technik nicht zusammenhängen.

IV. Spezifische Rechtsfragen im Zusammenhang mit Algorithmen 1. Vereinbarung oder Abstimmung mittels Algorithmus a) Fragestellung Diskutiert wird, ob eine autonome Vereinbarung oder Abstimmung von Verhalten zwischen Algorithmen vom Kartellverbot erfasst ist. Ezráchi und Stucke haben das gedachte Szenario so formuliert: „Two neural networks and one nash equilibrium meet in an online (pub) hub. After a few milliseconds, a unique silent friendship is formed…“. Im Unterschied zu den bisher behandelten Fällen werden hier die Algorithmen nicht nur eingesetzt, um eine auf den üblichen Wegen erzielte Vereinbarung oder Abstimmung umzusetzen oder zu überprüfen, sondern es geht um Fälle, in denen das Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung oder der Abstimmung durch den Algorithmus selbst erfüllt wird. Der Beschluss spielt bei diesen noch fiktiven Szenarien bisher keine Rolle, weil eine autonome Vereinbarung/Verhaltensabstimmung unter mehreren Algorithmen noch schwieriger vorstellbar ist. 41 Kommission, 27.6.2017, Case AT.39740 – Google Search (Shopping), Rz. 331 ff., 341 ff.; s. näher zur Dogmatik Siegmund, Julian, Suchmaschinenalgorithmen im Kartellrecht der EU und der USA, 2017, S. 348 ff. 42 Kommission, 27.6.2017, Case AT.39740 – Google Search (Shopping), Rz. 336.

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Es könnte ein Algorithmus gezielt so programmiert werden, dass er mit Algorithmen von Wettbewerbern kommuniziert und mit ihnen eine Übereinkunft zu erzielen sucht, allerdings ohne dass die betreffenden Unternehmen vorher dahingehende Absprachen getroffen haben. Der Algorithmus geht gewissermaßen selbständig auf die Suche nach Kartellpartnern, weil er so programmiert wurde. Stößt er auf ebenso programmierte Algorithmen, kann es zu einem „Konsens“ kommen (dazu näher sogleich). Dabei könnte es sich aber auch um einen Algorithmus handeln, der durch deep learn­ ing selbst den Weg der Kartellabsprache findet, und der dann auf einen anderen kommunikationsbereiten Algorithmus trifft. In der Diskussion wird derzeit meist der letztgenannte Fall in den Vordergrund gerückt, weil man das Schreckgespenst einer unbeabsichtigten und unkontrollierten Kartellabsprache vor Augen hat. b) Informationstechnische und ökonomische Vorfragen Kann es nun dazu kommen, dass Algorithmen zweier Unternehmen Vereinbarungen treffen oder sich abstimmen? Ist das Science Fiction und sollten wir uns besser um drängendere Wettbewerbsprobleme kümmern? Das hängt davon ab, ob solche algorithmischen Absprachen informationstechnisch möglich und ökonomisch zu erwarten sind. Direkte Kommunikation zwischen Algorithmen setzt ein gemeinsames Kommunikationsprotokoll voraus. Des Weiteren müssen die Algorithmen in der Lage sein, sich gegenseitig zu verstehen, also zu entschlüsseln, was heute noch nicht ohne weiteres denkbar ist. Unterstellen wir aber für die weiteren Überlegungen, dass Algorithmen miteinander Informationen austauschen können. Auch dann ist aus Sicht der Informationstechnologie keineswegs ausgemacht, ob und unter welchen Bedingungen sie tatsächlich zu einer expliziten oder stillschweigenden Kollusion kämen.43 Gerade komplexere Algorithmen könnten andere Wege zur Gewinnmaximierung errechnen. Kommunikation erleichtert es aber jedenfalls auch Algorithmen, zu einer Koordination zu kommen, im Vergleich zu der schwieriger zu erreichenden stillschweigenden Kollusion.44 Auch ökonomisch ist keineswegs klar, ob und unter welchen Voraussetzungen Algorithmen ein Kartell vereinbaren würden.45 Schließlich finden auch unter Menschen, die immer kommunizieren können, glücklicherweise nicht laufend Kartellabsprachen statt. Auch dürfte den Unternehmen selbst meist daran gelegen sein, die eigenen Algorithmen so zu gestalten, dass sie nicht entschlüsselbar sind, es sei denn, sie haben sich zuvor mit anderen auf ein Kartell mittels Algorithmen geeinigt, was wiederum der unproblematische Fall oben unter III. 1. und 2. ist. Aber immerhin 43 Hennes, Daniel/Schwalbe, Ulrich, Kartellbildung durch lernende Algorithmen?, FAZ v. 13.7.2018 S. 18. 44 Deng, Ai, When Machines Learn to Collude: Lessons from a Recent Research Study on Artificial Intelligence, August 30, 2017, https://ssrn.com/abstract=3029662 with footnote 23. 45 Hennes, Daniel/Schwalbe, Ulrich, Kartellbildung durch lernende Algorithmen?, FAZ v. 13.7.2018 S. 18.

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mag es eines Tages Konstellationen geben, in denen Algorithmen ein Kartell vereinbaren können und es auch tun würden. Das soll hier unterstellt werden. c) Vereinbarung oder Abstimmung im Sinne von Art. 101 AEUV aa) Beispiel Anlehnen können wir uns an ein Beispiel von Bruno Salcedo aus einer duopolistischen Situation,46 das hier stark vereinfacht und abgewandelt wird: Das Unternehmen 1 verwendet einen Algorithmus, der allen Preiserhöhungen des Unternehmens 2 folgt. Diese Strategie ist für einen Zeitraum X festgelegt, während dessen Algorithmus 1 nicht verändert wird. Der Algorithmus 1 wird von dem des Unternehmens 2 entschlüsselt. Der decodierende Algorithmus 2 verfügt nun über die Information, ȤȤ dass 1 ihm folgt, ȤȤ und zwar für den bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitraum X. Somit verfügt er über eine Ex-ante-Information über die Preissetzung von Unternehmen 1. Algorithmus 2, ausgehend von dieser Information, erhöht für den aktuell laufenden Zeitraum des Algorithmus 1 seine Preise, weil dies für ihn ohne Risiko ist, jedenfalls was den Wettbewerber 1 betrifft, da dieser ihm im Preis folgt. Unternehmen 1 erhöht also nun auch die Preise. Kann nun Algorithmus 1 den Algorithmus 2 ebenfalls decodieren, hat Algorithmus 1 folgende Informationen, ȤȤ dass der andere ihn decodiert hat, ȤȤ daraufhin Preise erhöht hat und ȤȤ sich darauf für einen bestimmten, zukünftigen Zeitraum X, nämlich den der Gültigkeit des Algorithmus 1, festgelegt hat. Aus diesen Informationen leitet Algo­ rithmus 1 ab, dass seine Folgestrategie für den betreffenden Zeitraum gewinnmaximierend ist, und behält sie bei. Das ist eine Ex-ante-Koordination der Preise, und zwar unabhängig davon, ob die Algorithmen gezielt so programmiert wurden, dass sie Kartellabsprachen treffen, oder ob sie das selbst gelernt haben. Übersetzt man den Sachverhalt in menschliches Verhalten, sähe der Sachverhalt so aus: Vorstand 1 äußert gegenüber Vorstand 2, man habe sich entschieden, die Preise denen des Unternehmens 2 im Zeitraum X immer anzupassen. Vorstand 2 nimmt das zur Kenntnis und erhöht daraufhin die Preise. Unternehmen 1 schließt sich an. Beides zusammen, die Aussage des Vorstands 1 und die Reaktion des Vorstands 2, kann

46 Salcedo, Bruno, Pricing Algorithms and Tacit Collusion, 1.11.2015, http://www.brunosalcedo.​ com/docs/collusion.pdf; dazu auch Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 19 f.

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je nach konkretem Ablauf, als Vereinbarung oder als Abstimmung von Verhalten angesehen werden. Kann eine solche algorithmische Koordination im Sinne von Art. 101 Abs. 1 eine Vereinbarung der Unternehmen oder eine Verhaltensabstimmung sein, ggf. auch ein Beschluss? bb) Vereinbarung, Beschluss und abgestimmtes Verhalten im üblichen Sinne? Für eine Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV wird verlangt, dass der übereinstimmende Willen zum Ausdruck gebracht wird, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.47 Eine solche Willensübereinstimmung setzt einen menschlichen Willen voraus. Das Tatbestandsmerkmal des abgestimmten Verhaltens verlangt eine bewusste Fühlungnahme zwischen den Unternehmen und ein darauf beruhendes Verhalten (Willensbetätigung48). Auch dem Beschluss als dritte Begehungsform eines Kartells ist als Rechtsakt, durch den eine Unternehmensvereinigung ihren Willen bildet, ein Willenselement eigen. Die Praxis grenzt zwischen Vereinbarung, abgestimmtem Verhalten und Beschluss immer häufiger nicht mehr ab.49 Die Literatur verhält sich zu der Frage, ob algorithmische Kooperation den Tatbestand erfüllen kann, nur knapp, und sie ist gespalten: Einige verneinen einen Kartellverstoß, denn es fehle an Willensübereinstimmung50 oder wissentlicher Fühlungnahme.51 Andere wollen das Verhalten des Algorithmus jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen als willentlichen Informationsaustausch ansehen, etwa bei Kenntnis des Unternehmens,52 nicht aber schon aufgrund der entsprechenden Programmierung, wenn nicht absehbar ist, was der Algorithmus später „tut“ .53 Hat ein Unternehmen seinen Algorithmus gezielt so programmiert, dass er Kartellabsprachen zu treffen versucht oder Verhalten abstimmt, lassen sich Wissen und Willen bejahen. Im Unterschied zum menschlichen Kartell ist die Auswahl von Zeitpunkt 47 EuGH v. 6.1.2004 – Rs. C-2/01 P – BAI und Kommission/Bayer, Rz. 123 ff. 48 Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, Wettbewerb 2018, Tz. 209. 49 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 59, 61, 80 u. 83 ff. 50 Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2, 5. 51 Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2, 5 f., die allerdings das Problem hier nicht bei der „wissentlichen“ Fühlungnahme, sondern bei der Grenze zur stillschweigenden Kollusion sehen; ebenso Göhsl, Jan-Frederik, Algorithm Pricing and Article 101 TFEU – Can Competition Law deal with algorithm pricing?, WuW 2018, 121, 122 f. 52 Salaschek, Uwe/Serafimova, Mariya, Preissetzungsalgorithmen im Lichte von Art. 101 AEUV. Innovation des Preiswettbewerbs oder kartellrechtliche Grauzone?, WuW 2018, 8, 14. 53 Salaschek, Uwe/Serafimova, Mariya, Preissetzungsalgorithmen im Lichte von Art. 101 AEUV. Innovation des Preiswettbewerbs oder kartellrechtliche Grauzone?, WuW 2018, 8, 14.

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und Partner der Absprache zunächst offen, da sie dem Algorithmus überlassen ist. Sie sind aber von Wissen und Wollen gedeckt. Haben die Verantwortlichen im Unternehmen beim Einsatz der Algorithmen nicht im Entferntesten an die Möglichkeit der algorithmischen Vereinbarung gedacht, fehlt es an Wissen und Willen. Diese lassen sich nicht dadurch ersetzen, dass die Verantwortlichen hätten wissen müssen, dass es zu einer Vereinbarung kommen kann. Fahrlässigkeit genügt im Rahmen des Verschuldens, nicht jedoch für eine Willensübereinstimmung im bisherigen Sinne.54 Man kann auch nicht damit argumentieren, dass ein Unternehmen, das lernende Algorithmen zur Festlegung seines Marktverhaltens nutzt, zumindest die voraussehbaren und vermeidbaren Handlungen des Algorithmus in seinen Willen und sein Wissen aufnehme, also jeden Input, alle Rechenschritte und jeden Output des Algorithmus. Das wäre eine Fiktion, da ein entsprechender Wille und entsprechendes Wissen eben nicht vorliegen, wenn das Unternehmen die Möglichkeiten der eingesetzten Algorithmen subjektiv nicht vorausgesehen hat. cc) Kartellverbot als objektiver Deliktstatbestand Das Tatbestandsmerkmale der Vereinbarung, des Beschlusses und des abgestimmten Verhaltens (im Folgenden auch als „Maßnahmentrias“ oder „Maßnahmenkatalog“ bezeichnet) könnten aber auf einen gemeinsamen objektiven Kern zurückzuführen sein. Lässt man das Vorliegen dieses Kerns für die unternehmerische Maßnahme genügen, spielen Wissen und Wollen nur im Rahmen der Zurechnung dieser Maßnahme (als objektivierter Maßstab) und beim Verschulden (als subjektiver Maßstab) eine Rolle. Vorab ist noch einmal zu betonen, dass die für eine Vereinbarung geforderte Willens­ übereinstimmung und die für einen Beschluss verlangte gemeinsame Willensbildung im Rahmen von Art. 101 AEUV ohnehin keine Kategorien sind, die mit den entsprechenden rechtsgeschäftlichen Kategorien vergleichbar sind. Das ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Zwecksetzung der Rechtsmaterien. Im Vertrags- und Beschlussrecht gewährleisten die Rechtsgeschäftsformen des Vertrages und des Beschlusses die Privatautonomie der Beteiligten, indem man ihnen privatautonome Gestaltung ermöglicht. Die Anforderungen, die an einen Vertrag und einen Beschluss gestellt werden, schützen zugleich die Privatautonomie, indem man die Parteien grds. nur an wissentlich und willentlich abgeschlossene Verträge und getroffene Beschlüsse bindet.

54 Ebenso Heinemann, Andreas/Gebicka, Aleksandra, Can Computers Form Cartels? About the Need for European Institutions to Revise the Concertation Doctrine in the Information Age, Journal of European Competition Law & Practice, 2016, Vol. 7, No. 7, S. 431, 435 f.; vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, Wettbewerb 2018, Tz. 212: Das kollusive Marktergebnis müsse wissentlich und willentlich in Kauf genommen werden.

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Dagegen ist die Zielrichtung des Art. 101 AEUV eine andere. Der Binnenmarkt soll vor privaten Beschränkungen des Handels geschützt werden.55 Den drei unternehmerischen Maßnahmen, die der Tatbestand nennt, kommen dabei, wie jedem Tatbestandsmerkmal, eine Einbeziehungs- und eine Ausschlussfunktion zu. Die ­Tatbestandsmerkmale stammen aus der Zeit der Entstehung des EGKS- und des EWG-Vertrages. Man wollte damals möglichst alle in Betracht kommenden Maßnahmen erfassen, die Handelsschranken aufbauen können. So wurde schon 1950 von „Vereinbarungen oder Praktiken“ der Unternehmen gesprochen, die zu verbieten seien, wenn sie den Wettbewerb unterbinden.56 Bald darauf wurde die Maßnahmentrias so, wie sie auch in Art. 101 AEUV normiert ist, für den EGKS-Vertrag formuliert57 und später auch für den EWG-Vertrag vorgeschlagen,58 wenn auch in den Diskussionen immer wieder engere Fassungen (ohne das abgestimmte Verhalten59) oder weitere („Praktiken auf dem Gebiet der Kartelle“60) in den Texten auftauchen. Es setzte sich jedoch die Trias durch, weil man möglichst weitgehend alle Praktiken erfassen wollte (Einbeziehungsfunktion). Die Ausschlussfunktion wird überwiegend darin gesehen, zwei- oder mehrseitiges Vorgehen von einseitigem, nur von Art. 102 AEUV erfasstem Vorgehen zu unterscheiden.61 Bezogen auf die Kollusion im ökonomischen Sinne soll die explizite Kollusion durch Kommunikation (auch overt collusion) von der impliziten (stillschweigenden) Kollusion (auch tacit collusion) abgegrenzt werden. Diese Grenze ist insofern sachlich begründbar, als bei Kollusion durch Kommunikation die Unsicherheit über das Vorgehen des jeweils anderen deutlicher beseitigt wird, als wenn man aus erfolgtem Marktverhalten auf dessen Pläne schließen muss.62 Wie schwer diese Grenze zu ziehen ist, hat jüngst Kaplow thematisiert, und vorgeschlagen, sich von dem kommunikationsbasierten Ansatz zu lösen und anhand bestimmter Kriterien direkt zu untersuchen, ob die Preise über dem Wettbewerbsniveau liegen, eine Methode, die insbesondere auf oligopolistischen Märkten zur Anwen55 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 5. 56 Vorschläge der französischen Delegation über die Inkraftsetzung des Schuman-Plans im Hinblick auf Vereinbarungen und Praktiken, die einschränkender Natur sind oder die zur Errichtung von Monopolen tendieren, 27.10.1950, abgedruckt bei Schulze/Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Europäischen Recht, Band 3, Kartellrecht (bis 1957), 2000, S. 25. 57 Entwurf v. 19.11.1950, Art. 41, abgedruckt bei Schulze/Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Europäischen Recht, Band 3, Kartellrecht (bis 1957), 2000, S. 33. 58 Memorandum der deutschen Delegation über die Ausschaltung wettbewerbsbeschränkender privater Praktiken v. 10.2.1954, S. 2, abgedruckt bei Schulze/Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Europäischen Recht, Band 3, Kartellrecht (bis 1957), 2000, S. 102. 59 2. Entwurf zu Art. 42a v. 7.9.1956, S. 1, abgedruckt bei Schulze/Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Europäischen Recht, Band 3, Kartellrecht (bis 1957), 2000, S. 165. 60 Synoptische Darstellung der Artikelentwürfe über die Wettbewerbsregeln für die Unternehmen v. 9.10.1956 S. 3 (französischer Entwurf, während der deutsche Entwurf nur Vereinbarungen erwähnt), abgedruckt bei Schulze/Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Euro­ päischen Recht, Band 3, Kartellrecht (bis 1957), 2000, S. 175, 177. 61 Paschke, Marian in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, Band 1, 2. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rz. 5. 62 Paschke, Marian in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, Band 1, 2. Aufl. 2015, Art. 101 AEUV Rz. 69 m.w.N.

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dung kommen soll.63 Auf diesem Weg gelangt man zu einem objektiven Kartelltatbestand, der explizite und implizite Kollusion erfasst. Der Kommunikation zwischen Unternehmen kommt nach Kaplows Konzept nur die Bedeutung eines Beweismittels für kollusives Vorgehen (implizit oder explizit) zu. De lege lata dürfte das zu weit gehen. Die Ein- und Ausschlussfunktion der Maßnahmentrias wird am deutlichsten, wenn man sich die Auslegung des Merkmals der Verhaltensabstimmung ansieht. Es ist das weiteste Tatbestandsmerkmal und zugleich Auffangtatbestand.64 Verboten sei, so der EuGH in ständiger Rechtsprechung, jede Form der Koordinierung, die bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lasse.65 Es sei jede mittelbare und unmittelbare Fühlungnahme untersagt, die mit dem Ziel erfolge, (a) andere über Verhalten zu informieren, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht, oder (b) das Verhalten anderer Unternehmen zu beeinflussen.66 Eine solche Fühlungnahme verletze das Selbstständigkeitspostulat, wonach jeder sein Verhalten im Wettbewerb autonom bestimmen soll.67 Diese Umschreibung des Tatbestandmerkmals geht schon einen Schritt in die Richtung eines objektiven Tatbestandes. Erst ist zwar die Rede von bewusster praktischer Zusammenarbeit, dann aber wird die Fühlungnahme in einer Weise beschrieben, die den Koordinierungswillen nicht mehr für maßgeblich hält, sondern die Verschaffung oder Berücksichtigung von Ex-ante-Informationen in Bezug auf den jeweils anderen Wettbewerber. Bereits die objektiv vorliegende Information über das geplante Vorgehen des anderen reduziert die Unsicherheit darüber, wie dieser sich im Wettbewerb verhalten wird.68 Die Verhaltensabstimmung wird so weit wie möglich definiert, um alle Fälle expliziter Kollusion zu erfassen. Für sie genügt es bereits, einem Wettbe­ werber eine Ex-ante-Information zukommen zu lassen.69 Zugleich soll die stillschweigende Kollusion ausgeschlossen sein, die nicht durch Verschaffung von Ex-ante-­ Informationen geschieht, sondern durch Fühlungnahme bezüglich des aktuellen Wettbewerbsverhaltens. Es ist hier nicht der Raum, die Tragfähigkeit eines solchen objektiven Ansatzes und seine Tauglichkeit zur Fortentwicklung der lex lata umfassend zu untersuchen. Auch 63 Kaplow, Louis, Price-fixing Policy, Harvard John M. Olin Center for Law, Economics and Business, Discussion Paper No. 945, 1/2018, demnächst in International Journal of Indus­ trial Economics (2018), abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_ id=3101088 (zuletzt abgerufen am 16. 7. 2018). 64 Zu diesem Verständnis des Tatbestandsmerkmals Emmerich in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 85. 65 EuGH v. 8.10.2008 – Rs. T-69/04 – Schunk SKT, Rz. 116. 66 EuGH v. 8.10.2008 – Rs. T-69/04 – Schunk SKT, Rz. 116. 67 EuGH v. 8.10.2008 – Rs. T-69/04 – Schunk SKT, Rz. 116. 68 EuGH v. 14.7.1971 – Rs. 48/69 – ICI, Rz. 115/119. 69 Vgl. EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-609/13 P – Duravit, Rz. 73, wonach der Versuch, eine Verhaltensabstimmung durch Kontaktaufnahme zu erreichen, bereits gegen Art. 101 AEUV verstößt; enger Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, Wettbewerb 2018, Tz. 211.

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kann an dieser Stelle eine objektive Fassung der Maßnahmentrias nicht genau definiert werden. Vielmehr soll hier die – anderweitig zu überprüfende – Arbeitshypothese aufgestellt werden, dass Vereinbarung, Beschluss und Abstimmung als kleinsten gemeinsamen Nenner haben, dass unter mindestens zwei Beteiligten objektiv Ex-ante-Informationen über wettbewerbsrelevantes Verhalten verschafft oder solche Informationen berücksichtigt werden.70 Es würde zur Erfüllung des Merkmals der Abstimmung dann genügen, dass der selbstlernende Algorithmus so agiert wie im o.g. Beispiel beschrieben.71 dd) Zurechnung Die objektive Verletzung des Selbstständigkeitspostulats durch den Algorithmus muss jedoch dem Unternehmen objektiv zurechenbar sein. Dabei hat der Mensch unstreitig die Letztverantwortung für von ihm eingesetzte Maschinen und Technologien. Es muss daher auf den Einsatz des Algorithmus und das Unterlassen seiner Kontrolle abgestellt werden. Ein Unternehmen muss Risiken von Algorithmen vor Ingebrauchnahme identifizieren, begrenzen und laufend überwachen (compliance by design). Fühlungnahmen des Algorithmus mit Wettbewerbern in der oben beschriebenen Weise sind dem Unternehmen als objektive Verletzungen des Selbständkeitspostulats zurechenbar, wenn sie voraussehbar und vermeidbar waren. Im Beispiel wäre insbesondere sicherzustellen gewesen, dass der Algorithmus keinen Austausch von Ex-ante-Informationen herbeiführt. ee) Verschulden Auf der Verschuldensebene gelten die allgemeinen Grundsätze. Das Verschulden muss sich auf den Einsatz und die fehlende Überwachung des Algorithmus beziehen. Am Verschulden kann es z.B. fehlen, wenn der zuständige Unternehmensvertreter eine objektiv voraussehbare koordinierende Maßnahme des Algorithmus nicht ­voraussehen konnte, weil er sich auf eine – falsche – Auskunft eines IT-Spezialisten verlassen hat und verlassen durfte. ff) Haftung von IT-Dienstleistern Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die Haftung des IT-Spezialisten, insbesondere eines mit der Programmierung beauftragten Dienstleisters. Eine bußgeld­ rechtliche Haftung kommt unter bestimmten Voraussetzungen sowohl nach europäischem72 als auch nach deutschem Recht in Betracht. Letzteres rechnet die für den Kartellverstoß als Sonderdelikt erforderliche Unternehmenseigenschaft gemäß §  9 OWiG zwar nur bestimmten Personen zu (Organe, gesetzliche Vertreter, Beauftrag70 Vgl. EuGH v. 26.1.2017 – Rs. C-609/13 P – Duravit, Rz. 73. 71 Darauf beruhendes Marktverhalten muss dann noch hinzukommen. 72 Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, Wettbewerb 2018, Tz. 215.

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te). Es folgt aber aus § 14 Abs. 1 Satz 2 OWiG, dass die besonderen Merkmale nur bei einem Beteiligten vorliegen müssen, so dass auch jemand haften kann, der nicht zu den genannten Personenkreisen gehört. 2. Machtmissbrauch a) Autonomer Machtmissbrauch durch einen Algorithmus Der Missbrauch durch Einsatz eines Algorithmus ist auch beim Machtmissbrauch in der Weise denkbar, dass das Unternehmen den Algorithmus nicht bewusst dahin­ gehend programmiert, sondern dass dieser als selbstlernender Algorithmus z.B. ­missbräuchlich hohe Preise errechnet, ohne dass das Unternehmen dies gewollt hat. Anders als Art. 101 AEUV verlangt Art. 102 AEUV für einen Missbrauch keine subjektiven Merkmale, also kein Wissen und Wollen (Vorsatz).73 Es handelt sich um einen objektiven Tatbestand, der aber Zurechenbarkeit des Missbrauchs voraussetzt, die allerdings i.d.R. ganz unproblematisch gegeben ist, weil die marktbeherrschenden Unternehmen die Marktsituation kennen. Subjektive Merkmale wie der Vorsatz sind hier nur Indizien für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes, ähnlich wie Kaplow das für die Maßnahmentrias in Art. 101 Abs. 1 AEUV (Vereinbarung, Verhaltensabstimmung, Beschluss) auch annimmt. Daher sind Missbräuche durch autonome Algorithmen dem Unternehmen nach denselben Regeln wie oben dargelegt (IV. 1. c) dd)) zuzurechnen. b) Preisdiskriminierung Algorithmen ermöglichen es in ganz neuem Maße, individuelle Zahlungsbereitschaften zu ermitteln, wenn hinreichende Kundendaten vorliegen. Das Unternehmen weiß möglicherweise, wie preissensibel der Kunde bei den letzten Einkäufen war, ob er ein teures oder preiswertes Endgerät verwendet, dass er das Produkt wegen einer unmittelbar bevorstehenden Reise dringend braucht und dass er gerade jetzt, nach einem langen Arbeitstag, nicht voll konzentriert ist, im Sinne Kahnemanns74 also sein wohl abwägendes „System 2“ geschwächt ist.75 Nutzt das Unternehmen all dies aus, führt das zu einer fast perfekten Preisdifferenzierung, bei der jeder den Preis zahlt, der seiner maximalen Zahlungsbereitschaft entspricht (Preisdiskriminierung ersten ­ ­Grades). Man spricht bei einer solchen Preissetzung auch von behavioural discri­ mination76 oder behavioural pricing. Auf welchen Märkten solche Methoden überhaupt schon eingesetzt werden, ist erst in Ansätzen untersucht. Bisher ist die Verbreitung offenbar noch nicht weit. Das liegt zum einen daran, dass Preisdiskriminierung ersten Grades erst durch Big Data i.V.m. Algorithmen vom theoretischen Konzept in 73 Busche, Jan in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, 2016, Art. 102 AEUV Rz. 80. 74 Kahnemann, Daniel, Thinking fast, thinking slow, 2011. 75 Calo, Ryan, Digital Market Manipulation, George Washington Law Review, 2014, Vol. 82, S. 995, 1007 ff. 76 Ezrachi, Ariel/Stucke, Maurice E., The rise of behavioural discrimination, European Competition Law Review 2016, 37(12), S. 485 ff.

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den Bereich des Machbaren gelangt ist.77 Zum anderen befürchtet man aber auch die fehlende Akzeptanz bei den Kunden.78 Es wird bezweifelt, ob die Preisdifferenzierung ersten Grades überhaupt ein kartellrechtliches Problem ist.79 Das Lauterkeitsrecht ist u.U. einschlägig. wenn etwa über die Art und Weise der Preisbildung auf dem Markt getäuscht wird. Auch das Antidiskriminierungsrecht als Teilgebiet des Verbraucherschutzrechts kann Preisdiskriminierung verbieten. Ob das Kartellrecht hier greift, hängt von den Wirkungen der Preisdifferenzierung ersten Grades ab. Preisdifferenzierung ersten Grades kann zu erhöhtem Output und besserer Versorgung führen, weil mehr Produkte verkauft werden können, wenn Kunden, die mehr zahlen wollen und können, diejenigen subventionieren, die weniger zahlen wollen oder können. Ein weiterer Vorteil ist, dass auf Märkten mit personalisierter Preissetzung eine Kollusion nicht nahe liegt.80 Preisdifferenzierung kann aber im Extremfall dazu führen, dass kein Kunde mehr einen Preis zahlt, der unter seiner Zahlungsbereitschaft liegt, also dass keine Konsumentenrente mehr entsteht.81 Das wiederum kann den Absatz von Produkten insgesamt senken. Das behavioural pricing als einseitige Verhaltensweise ist allenfalls dann kartellrechtswidrig, wenn ein Marktbeherrscher es praktiziert. Es kommt ein Missbrauch durch Ausbeutung und durch Diskriminierung in Betracht. Im deutschen Recht kann, wenn ein Endabnehmer betroffen ist, § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB eingreifen (Preisspaltung). Die Vorschrift stellt auf unterschiedliche Preise oder Konditionen auf vergleichbaren Märkten ab. Die Situation gespaltener Preise auf demselben Markt hatte der Gesetzgeber nicht vor Augen. Der BGH und Teile der Literatur sehen auch unterschiedliche Preise auf Teilmärkten eines einheitlichen Marktes erfasst.82 Dafür lässt sich ein Erstrecht-Schluss anführen. Andere wollen § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB bei Preisunterschieden auf einem Markt nicht anwenden,83 was bedeuten würde, dass behavioural pricing auch durch Marktbeherrscher unbegrenzt zulässig wäre. Die These wird darauf gestützt, dass der BGH es als zulässig angesehen hat, den Zutritt zu einem Sportstadion für den Rundfunk, der über das Ereignis berichten will, von einem höheren Entgelt abhängig zu machen als bei normalen Zuschauern.84 Aus der Entscheidung lässt sich indes nicht schließen, dass das Kartellrecht personalisierte Preissetzung nicht be77 OECD, Price Discrimination  – Background note by the Secretariat, 13.10.2016, DAF/ (COMP(2016)15, Tz. 16, abrufbar unter http://www.oecd.org/competition/price-discrimi​ nation.htm (zuletzt abgerufen am 16.7.2018). 78 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 27. 79 Mehra, Salil K., Robo-Seller and Prosecutions and Antitrust’s Error-Cost Framework, CPI Antitrust Chronicle, May 2017, S.  2 (unter I), abrufbar unter https://www.competition​ ­policyinternational.com/wp-content/uploads/2017/05/CPI-Mehra.pdf. 80 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 23. 81 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 26. 82 BGH v. 23.6.2009 – KZR 21/08, WM 2009, 1997, 1999 Rz. 20; Busche, Jan in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, 2017, § 19 GWB Rz. 38. 83 Nothdurft, Jörg in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 GWB Rz. 172. 84 BGH v. 7.12.2010 – KZR 5/10, NJW-RR 2011, 774, 775 ff. – Entega II.

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grenzt,85 denn der BGH hat die Frage ausführlich geprüft und nur in diesem Fall die Preisdifferenzierung für zulässig erachtet. Es sind daher Kriterien dafür zu entwickeln, wann behavioural pricing durch einen Marktbeherrscher nicht sachlich gerechtfertigt ist. Sie hängen davon ab, ob funktionsfähiger Wettbewerb nur vorliegt, wenn eine gewisse Konsumentenrente erzielt wird, also bestimmte Abnehmer (die einen Preis unterhalb ihrer maximalen Zahlungsbereitschaft zahlen) durch andere (die einen Preis entsprechend ihrer maximalen Zahlungsbereitschaft zahlen) subventioniert werden. Wäre das ein Element des Wettbewerbs, so wie AEUV und GWB ihn anstreben, würde das zugleich bedeuten, dass der Anbieter die Konsumentenrente nicht ganz abschöpfen darf. Zu dieser Frage bedarf es weiterer – deskriptiver und normativer – ökonomischer Forschung. Einige sehen in der Tat den Verlust der Konsumentenrente als Schaden an, der durch Kartellrecht zu verhindern ist.86 Andere begründen die Notwendigkeit kartellrechtlicher Grenzen auch mit dem Wohlfahrtsverlust, der durch wachsendes Misstrauen der Käufer in eine gerechte Preisgestaltung entsteht.87 3. Stillschweigende Kollusion Intensiv wird diskutiert, ob stillschweigende Kollusion, also das bewusste Parallelverhalten ohne explizite Abstimmung, in algorithmischen Märkten leichter oder sogar als unvermeidliche Folge eintritt, und ob hier einzugreifen ist. Im Vordergrund steht in der Diskussion die kollusive Festsetzung der Preise. Die Notwendigkeit von Eingriffen bei stillschweigender Kollusion ist zwischen Ökonomen und Juristen ein ­Dauerthema. Wettbewerbsschädlich ist eine Kollusion nicht erst, wenn eine Fühlungnahme vorangegangen ist, also wenn sich mindestens zwei Beteiligte Ex-ante-Informationen über wettbewerbsrelevantes Verhalten verschafft oder es berücksichtigt haben. Wettbewerbsschädlich ist es bereits, wenn sich durch das Verhalten auf dem Markt ohne Austausch von Ex-ante-Informationen supra-kompetitive Preise einstellen. Allerdings lassen sich diese Sachverhalte nicht mit einem formalen Tatbestandsmerkmal wie der Vereinbarung oder den anderen in Art. 101 AEUV genannten Maßnahmen erfassen, sondern nur anhand ihrer ökonomischen Wirkungen. Auch der hier vorgeschlagene objektive Kartelltatbestand knüpft an Ex-ante-Austausch an, löst das Problem also nicht. Von dem jüngsten Vorschlag Kaplows, das Kartellverbot jedenfalls auf oligopolistischen Märkten ganz von dem Maßnahmenkatalog abzukoppeln, war schon die Rede (oben unter IV. 3. c) cc)). Dass diese Problematik durch

85 So aber wohl Nothdurft, Jörg in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, §  19 GWB Rz. 172. 86 Petit, Nicolas, Antitrust and Artificial Intelligence: A Research Agenda, Journal of European Competition Law & Practice, 2017, Volume 8, Issue 6, S. 361, 362; OECD, Price Discrimination – Background note by the Secretariat, 13.10.2016, DAF/(COMP(2016)15, Tz. 61 ff., abrufbar unter http://www.oecd.org/competition/price-discrimination.htm (zuletzt abgerufen am 16.7.2018). 87 Ezrachi, Ariel/Stucke, Maurice E., The rise of behavioural discrimination, European Competition Law Review 2016, 37(12), 485, 491 f.

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Algorithmen zunimmt, wird zum Teil angenommen,88 während andere – vor allem Informatiker und Ökonomen – bisher nur unter engen, in der Realität kaum einmal vorliegenden Voraussetzungen diesen Zusammenhang bestätigen.89 Das Thema kann hier nicht vertieft werden. Hier soll nur in einem ersten Zugriff gefragt werden, ob die Merkmale, die anerkanntermaßen stillschweigende Kolllusion erleichtern oder erschweren,90 durch Algorithmen in kollusionsfördernder Weise, beeinflusst werden.91 Auf drei Merkmale trifft das wohl zu: Die Markttransparenz ist auf Märkten mit algorithmischer Preissetzung höher, Vorstöße können schneller vergolten werden und es gibt durch Algorithmen u.U. höhere Interaktionsfrequenzen. Nicht eindeutig beeinflusst sind die Möglichkeiten des Marktzutritts, denn Algorithmen wirken hier ambivalent (s. unten V.). Auch die Zahl der Unternehmen auf dem Markt wird durch Algorithmen nicht unbedingt reduziert, wenn auch manche durch Algorithmen geprägte Märkte durch Netzwerkeffekte und Tipping monopolähnlich sind. Auf die Homogenität der Produkte haben Algorithmen u.U. abmildernden Einfluss, weil es leichter möglich ist, Produkte, insbesondere Dienstleistungen, zur personalisieren. Horizontale Verflechtungen, die ebenfalls Kollusion fördern können, werden durch Algorithmen nicht beeinflusst. Der Innovationsgrad schließlich dürfte durch Algorithmen eher in kollusionsverhindernder Weise steigen. In dieser Situation eine Erweiterung des Tatbestandes des Art. 101 AEUV auf stillschweigende Kollusion zu fordern,92 erscheint verfrüht. Eine gesetzliche Regelung sollte ohnehin nur für wiederkehrende Probleme getroffen werden.93 Das ließe sich für die implizite Kollusion generell noch bejahen, nach jetzigem Stand aber nicht für die Bedeutung der Algorithmen hierfür. Regulierung ist darüber hinaus nur dann sinnvoll, wenn der Gegenstand präzise definierbar und die Eingriffsschwelle klar sind. Hieran fehlt es. Die Rechtssicherheit wäre gefährdet. Gezielte Abhilfe, ein weiteres notwendiges Ziel einer gesetzlichen Regelung, wäre auch nicht möglich, denn man kann Algorithmen nicht insgesamt auf einem Markt verbieten. Zudem würde ein zu früher gesetzlicher Eingriff dazu führen, dass Verbraucher und ihre Verbände es nicht mehr für nötig befinden würden, ihrerseits Gegenstrategien zu entwickeln 88 Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2, 5; Göhsl, Jan-Frederik, Algorithm Pricing and Article 101 TFEU – Can Competition Law deal with algorithm pricing?, WuW 2018, 121 f. 89 Hennes, Daniel/Schwalbe, Ulrich, Kartellbildung durch lernende Algorithmen?, FAZ v. 13.7.2018 S. 18; s. das Beispiel bei Salcedo, Bruno, Pricing Algorithms and Tacit Collusion, 1.11.2015, http://www.bruno. salcedo.com/docs/collusion.pdf. 90 Zu diesen Kerber, Wolfgang/Schwalbe, Ulrich in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2015, Einl. Rz. 302 ff. 91 Vgl. dazu auch Gal, Michal, Algorithmic-facilitated coordination: Market and Legal So­ lutions, CPI Anti-trust Chronicle, May 2017, pp. 22–28, https://www.competitionpolicyin​ ternational.com/wp-content/uploads/2017/05/CPI-Gal.pdf (zuletzt abgerufen am 16.7.2018). 92 Käseberg, Thorsten/von Kalben, Jonas, Herausforderungen der künstlichen Intelligenz für die Wettbewerbspolitik – Preissetzung durch Algorithmen, WuW 2018, 2, 5. 93 Zu den Voraussetzungen sinnvoller Regulierung (auch den im Folgenden genannten) Ritter, Cyrill, Vortrag v. 24.6.2017 (Oxford).

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wie Datenschutzforderungen und den algorithmischen Nachfrager, der seinerseits Algorithmen einsetzt, z.B. über Verbraucherschutzverbände.94 Daher bietet sich derzeit kein Verbot der stillschweigenden Kollusion an. Es bleibt, die Märkte über Sektoruntersuchungen zu beobachten und die Wirksamkeit des vorhandenen Instrumentariums (Kartellrecht, Lauterkeitsrecht, sektorspezifische Regulierung) im Auge zu behalten. 4. Zwischenergebnis zu IV. Autonomes, also nicht gezielt programmiertes, Marktverhalten eines Algorithmus bereitet im Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV Probleme, weil nach bisherigem Stand jede der drei Begehungsformen eine willentliche Koordination durch Kommunikation voraussetzt. Als Lösung könnte eine objektive Fassung des Tatbestandes in Betracht kommen, die nur verlangt, dass zwischen mindestens zwei Beteiligten objektiv Ex-ante-Informationen über wettbewerbsrelevantes Verhalten verschafft oder berücksichtigt werden. Wissen und Wollen spielen dann bei der Zurechnung (objektive Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit) und beim Verschulden eine Rolle. Autonomes Marktverhalten eines Algorithmus lässt sich unproblematisch unter den objektiven Tatbestand des Art. 102 AEUV subsumieren; Zurechnung ist ebenso zu prüfen wie erläutert. Preisdiskriminierung ersten Grades rückt durch Algorithmen von der Theorie in den Bereich des Machbaren. Hier sind grundlegende ökonomische Vorarbeiten zu leisten, um die Bedeutung der Konsumentenrente für den Wettbewerb zu klären. Schließlich mag es sein, dass Algorithmen stillschweigende Kollusion erleichtern. Noch ist das aber nicht absehbar. Insbesondere dürften die Probleme eher bei den Plattformen als bei den Algorithmen liegen. Hier besteht aktuell kein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.

V. Mittelbare Bedeutung von Algorithmen für Kartellverstöße Algorithmen prägen aufgrund ihrer Charakteristika in vielfältiger Weise Märkte. Sie spielen für die kartellrechtliche Bewertung oft auch dann eine Rolle, wenn nicht der Algorithmus selbst in den Kartellverstoß eingebunden ist. Einige Beispiele sollen das bisher gezeichnete Bild abrunden. Algorithmisch bestimmtes Marktverhalten kann die Auswirkungen von anderweitig begangenen Kartellverstößen verstärken. Das war der Fall bei den vertikalen Preisbindungen von Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer. Die vier Hersteller ­hatten Fest- und Mindestpreise festgelegt. Die preiserhöhenden Wirkungen der Preis94 Elkin-Koren, Niva/Gal, Michal, ‘Algorithmic Consumers’, Harvard Journal of Law & Technology, 2017, Vol 30, No. 2, pp. 309–353, https://ssrn.com/abstract=2876201.

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bindungen vervielfachten sich dadurch, dass die Händler ihre Preise durch Algo­ rithmen aneinander anpassten.95 Die Verfügungsmacht über Algorithmen kann Marktmacht begründen. Das gilt allerdings nur zusammen mit Verfügungsmacht über den notwendigen Input, also Daten (s. § 18 Abs. 3a Nr. 4 GWB). Kommt dann noch vertikale Integration, z.B. über Produkte des Internet of Things hinzu, etwa über den digital butler als Tor zu Datenbeständen, kann Marktmacht vorliegen, die sich zumindest auch auf Verfügungsmacht über Algorithmen stützt. So ist z.B. ein Unternehmenserwerb wie Google ihn tätigte, als es NestLabs erwarb, unter diesem Aspekt genau zu prüfen, ist doch NestLabs ein Unternehmen, das smarte Haushaltsgeräte wie Rauchmelder produziert, also Google ein weiteres Tor zu Daten öffnet.96 Algorithmen können den Markt abschotten, z.B. wenn sie eine direkte Reaktion auf niedrige Preise erwarten lassen und so potentielle Wettbewerber abschrecken. Algorithmen können den Markteintritt indes auch erleichtern, indem sie marktspezifisches Wissen entbehrlich machen und Kosten senken.97 Sie können, da sie nicht menschlichen Befangenheiten unterliegen, vermeiden, dass Unternehmen Gewinnchancen wegen irrationaler Einschätzungen verstreichen lassen. In Märkten, die durch algorithmische Preissetzung im Internet geprägt sind, liegen u.U. die Voraussetzungen kollektiver Marktbeherrschung im Sinne des Airtours-Urteils98 eher vor als in vergleichbaren klassischen Märkten. Die Markttransparenz für die Mitglieder eines beherrschenden Oligopols ist höher. Vergeltungsmaßnahmen der Oligopolisten, d.h. insbesondere durch ein sofortiges Einsteigen auf niedrigere Preise, können durch Algorithmen schneller erfolgen. Neben diesen beiden Kriterien darf drittens die voraussichtliche Reaktion der Wettbewerber und der Marktgegenseite das Ergebnis nicht in Frage stellen. Auf das dieses Merkmal haben Algorithmen insofern Einfluss, als sie, wie dargelegt, den Markt abschotten können.

VI. Fazit Algorithmen bestimmen zunehmend anstelle des Menschen das Marktverhalten von Unternehmen. Soweit sie zu eben diesem Zweck von den Unternehmen eingesetzt werden, ergeben sich für die Erfüllung der kartellrechtlichen Tatbestände keine spezifischen neuen Rechtsfragen. Algorithmen sind die Gestalt, in der heute vielfach Kartellverstöße begangen werden. Sie erleichtern Verstöße oder machen sie überhaupt erst möglich.

95 EU-Kommission, 24.7.2018, IP/18/4601. 96 Surblythé, Gintaré, Data-Driven Economy and Artificial Intelligence. Emerging Compe­ tition Law Issues?, WuW 2017, 120, 122. 97 Oxera, When algorithms set prices: winners and losers, Discussion Paper 2017, S. 16. 98 EuGH v. 6.6.2002 – Rs. T-342/99 – Airtours, Rz. 56 ff.

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Sollten eines Tages selbstlernende Algorithmen autonom kartellrechtswidrig handeln, muss und kann man die Zurechnungsfragen lösen. Das gilt auch für Art. 101 AEUV, wofür es allerdings eines Verzichts auf subjektive Wissens- und Wollenselemente im Tatbestand (nicht im Verschulden) bedarf. Sollte eines Tages die Preisdifferenzierung 1. Grades weitere Verbreitung finden, muss über die Bedeutung der – dann entfal­ lenden  – Konsumentenrente für den Wettbewerb sowie andere Schadenstheorien ­geforscht werden. Sollte sich eines Tages herausstellen, dass die stillschweigende Kollusion durch Algorithmen zunimmt, auf oligopolistischen oder auch auf nicht oligopolistischen Märkten, ist über Abhilfe nachzudenken. Das materiellrechtliche Instrumentarium des Kartellrechts genügt also derzeit, um Kartellverstößen durch Algorithmen zu begegnen. Probleme gibt es hier in erster Linie auf der Sachverhaltsebene, wie der Fall Google Shopping eindrücklich gezeigt hat. Ich komme zurück zur Ausgangsfrage: Algorithmen müssen uns nicht, wie Margrethe Vestager zu recht sagt, in Panik verfallen lassen. Die Tatsache, dass ihr Output, beruhend auf dem Input großer Datenmengen, ein automatisiertes, informiertes und schnell auf Veränderungen reagierendes Marktverhalten sein kann, macht sie jedoch zu einer Technologie, die den Wettbewerb verändert. Daher liegt es näher, eine Forschungsagenda zusammenzustellen, als konkrete rechtpolitische Schritte anzumahnen. Insofern sollte das Augenmerk der Wissenschaft und der Behörden derzeit da­ rauf liegen, die Wirkungsweise von Algorithmen als solchen und ihre Wirkungen auf dem Markt besser zu verstehen. Dabei sollte ein Schwerpunkt auf Plattformmärkten liegen, auf denen Algorithmen der Plattform und/oder Algorithmen der Nutzer zur Anwendung kommen. Das ist eine interdisziplinäre Aufgabe, zu der Ökonomen, Informatiker und Juristen zusammenwirken müssen.

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Auswirkungen der 9. GWB-Novelle auf den Zusammenschlussbegriff I. Einleitung II. Behandlung der Unentgeltlichkeit von Märkten vor und nach der 9. GWB-­ Novelle III. Unentgeltlichkeit in der Fusionskontrolle IV. Bisherige Rechtsprechung des BGH zum Vermögenserwerb/Kontrollerwerb

1. Warenzeichenerwerb 2. National Geographic V. Änderungen der 9. GWB-Novelle beim Zusammenschlussbegriff 1. Auffassung des Bundeskartellamts 2. Alternative Interpretation VI. Fazit

I. Einleitung Im Rahmen der 9. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber eine Reihe von Änderungen vorgenommen, die neuen Geschäftsmodellen der Internetökonomie geschuldet sind.1 So wurde in § 18 Abs. 2a GWB klargestellt, dass der Annahme eines Marktes für kartellrechtliche Zwecke nicht entgegensteht, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird. Gleichzeitig wurde zusätzlich zu den bestehenden Umsatzschwellen eine neue Transaktionswertschwelle in die deutsche Fusionskontrolle eingeführt (§ 35 Abs. 1a GWB). Weitere Änderungen aus Konsistenzgründen betrafen die Regelung zu Bagatellmärkten (§ 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 letzter Halbsatz GWB), die Definition der Gegenleistung in einer Transaktion im Rahmen der Vorschrift zur Umsatzberechnung (§ 38 Abs. 4a GWB) und die Zusammenschlusstatbestände des Vermögens- und Kontroll­ erwerbs (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB). Die de Minimis-Klausel § 35 Abs. 2 GWB blieb am Ende unberührt.2 Der Gesetzgeber verfolgte mit diesen Änderungen das Ziel, das GWB im Hinblick auf bestimmte Phänomene in der digitalen Ökonomie anzupassen, die sich in der Fallpraxis des Bundeskartellamts und der Europäischen Kommission gezeigt hatten.3 Insbesondere ging es um den kartellrechtlichen Umgang mit dem bei mehrseitigen Märkten (vom Bundeskartellamt auch als „Plattform“ definiert)4 verbreiteten Geschäftsmodell, wonach von verschiedenen Nutzergruppen nur eine Gruppe ein Entgelt zahlt, während anderen Nutzern eine unentgeltliche Leistung erbracht wird, z.B. die Suchmaschinenleistung von Google oder das Soziale Netzwerk von Facebook, die von Werbetreibenden finanziert werden, die auf den Webseiten dieser Unternehmen Werbung platzieren. Aufgrund indirekter Netzwerkeffekte zwischen verschiedenen 1 Vgl. Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 39. 2 Vgl. noch Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 23, 76. 3 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 48. 4 BKartA, Arbeitspapier Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 2016, S. 14 m.w.N.

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Nutzerseiten ist es eine ökonomisch rationale Strategie für Anbieter durch unentgeltliche Angebote für eine Nutzergruppe die Attraktivität der Plattform zu steigern, was zu höheren Entgelten auf der entgeltlichen Marktseite führt.5 In der Gesetzesbegründung werden zum einen derartige werbefinanzierte Produkte auf mehrseitigen Märkten angesprochen.6 Zu Recht wurde im Schrifttum darauf hingewiesen, dass die Unentgeltlichkeit nicht auf Plattformen beschränkt ist, sondern auch Konstellationen betrifft, in denen auf einem vertikal nachgelagerten Markt Entgelte verlangt werden,7 oder zu Werbezwecken Dienstleistungen unentgeltlich angeboten werden.8 Die Gesetzesbegründung zur 9. GWB-Novelle erwähnt zum anderen Geschäftsmodelle, in denen Leistungen zur Markteinführung zunächst unentgeltlich angeboten werden, bis eine bestimmte Nutzerzahl erreicht ist. Erst dann werde ein Entgelt verlangt.9

II. Behandlung der Unentgeltlichkeit von Märkten vor und nach der 9. GWB-Novelle Während die Europäische Kommission schon seit längerem Märkte auch bei unentgeltlicher Leistungserbringung annimmt,10 war der Umgang des Bundeskartellamts und der zuständigen Gerichte in Deutschland mit dem Phänomen unentgeltlicher Leistungserbringung bis zur 9. GWB-Novelle uneinheitlich. Während das Bundeskartellamt zumindest in jüngeren Fällen trotz unentgeltlicher Leistungserbringung Märkte annahm,11 hatte das OLG Düsseldorf im „Hotelplattform“-Fall noch 2015 entschieden, dass im Verhältnis Hotelbuchungsplattform zu Nutzern mangels entgeltlicher Leistungserbringung kein Markt vorliege.12 Dagegen schien der Bundesgerichts 5 Podszun, Unentgeltliche Leistungen, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 1 Rz. 3. 6 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 48. 7 Podszun, Unentgeltliche Leistungen, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 1, Rz. 23. 8 Podszun, Unentgeltliche Leistungen, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 1, Rz. 25. 9 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 48; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 258. 10 Komm, Entsch. v. 7.10.2011  – M.6281, Rz.  75, 78  ff.  – Microsoft/Skype, Ziff. 75,78  ff.; Komm, Entsch. v. 6.12.2016  – M.8124, Rz.  83  – Microsoft/LinkedIn; Komm., Entsch. v. 3.10.2014 – COMP/M.7217, Rz. 47, 90, 96-98 – Facebook/WhatsApp; Komm, Entsch. v. 27.6.2017 – AT.39740, Rz. 158 ff. – Google Shopping; so auch Körber, WuW 2015, 120, 126; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 99. 11 BKartA, Beschl. v. 22.10.2015 – B6-57/15, Rz. 81 ff. – Online-Dating-Plattformen; BKartA, Fallbericht v. 22.10.2015 – B6-57/15, S. 2 – Online-Dating-Plattformen; BKartA, Beschl. v. 8.9.2015 – B6-126/14, Rz. 129 ff. – Google/VG Media u.a.; BKartA, Beschl. v. 4.12.2017 – B6-132/14-2 – CTS Eventim Exklusivbindung; vgl. jedoch die ältere Praxis z.B. in Fernsehfällen BKartA, Beschl. v. 19.1.2006 – B6-103/05 – Axel Springer/ProSiebenSat1. 12 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.1.2015 – VI Kart 1/14, WUW/DE-R, 4572 Rz. 43 – HRS-Bestpreisklauseln; OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.2014  – VI-U (Kart) 15/13, WUW/E DE-R 4425 – Einspeisung von Fernsehprogrammsignalen II; OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.9.2016 – VI-U (Kart) 3/16, WUW 2016, 539 – Das Örtliche.

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hof („BGH“) bei unentgeltlicher Leistungserbringung zur Annahme eines Marktes zu tendieren.13 Durch die 9. GWB-Novelle sollte in Bezug auf unentgeltliche wirtschaftliche Tätigkeit nicht nur Rechtssicherheit geschaffen werden, sondern auch verhindert werden, dass von der Anwendung des Kartellrechts befreite Räume entstehen.14 Die Formulierung des § 18 Abs. 2a GWB „Der Annahme eines Marktes steht nicht entgegen, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird.“ ist nicht geglückt.15 Es wird nicht hinreichend deutlich, dass lediglich eine Marktseite unentgeltlich ist, insgesamt aber eine wirtschaftliche Betätigung vorliegen muss.16 Ansonsten dürfte die Anwendbarkeit des Kartellrechts auch am Unternehmensbegriff scheitern.17 In der Regierungsbegründung wird dazu ausgeführt, dass eine unentgeltliche Austauschbeziehung nicht stets die Annahme eines wettbewerblich relevanten Marktes rechtfertige.18 Es wird das Beispiel der Vergabe von Stipendien genannt, um zu zeigen, dass trotz Unentgeltlichkeit für die Annahme eines Marktes eine erwerbsausgerichtete Gesamtstrategie gegeben sein muss, was bei zweiseitigen Märkten oder aufgeschobener Monetarisierung ja unproblematisch der Fall ist. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn sich direkt aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 2 GWB ergäbe, dass nicht jede unentgeltliche Beziehung einen Markt darstellt.19 So wird aus der Vorschrift selbst nicht deutlich, dass es letztlich doch um einen Markt geht, bei dem sowohl die entgeltlichen als auch die unentgeltlichen Seiten betrachtet werden können. In der Gesetzesbegründung wird der Ansatz des OLG Düsseldorf, nur die entgeltliche Marktseite zu betrachten, kritisiert.20 Auch bei der Erbringung unentgeltlicher Leistungen könnten Unternehmen eine starke Marktstellung erlangen. Eine nur mittelbare Betrachtung der unentgeltlichen Marktseite könne die effektive kartellrechtliche Prüfung erschweren. Obwohl die Kommission bereits seit einigen Jahren unentgeltliche Märkte anerkennt, hat sich die Kommission bei der Bewertung des „Facebook/WhatsApp“-Zusammenschlusses gleichwohl auf die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf dem Online-Werbemarkt konzentriert und eine mögliche Verschlechterung der Produktqualität auf der unentgeltlichen Nutzerseite nicht als mögliche Schadenstheorie aufgebracht.21 13 BGH, Urt. v. 12.4.2016  – KZR 30/14, WUW 2016, 427  – NetCologne Einspeiseentgelte; BGH, Beschl. v. 16.1.2008 – KVR 26/07, WuW/E DE-R 2327 – Krankenhaus Bad Neustadt; so auch OLG Jena, Urt. v. 27.9.2006 – 2 U 60/60, BeckRS 2006, 13794; OLG Stuttgart, Urt. v. 21.11.2013 – 2 U 46/13, BeckRS 2013, 22052. 14 Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 556; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 103. 15 Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 557; Pohlmann, WuW 2016, 563; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 99. 16 Pohlmann, WuW 2016, 563 unter Verweis auf die Notwendigkeit unternehmerischer Betätigung; so auch Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 99. 17 Podszun, Unentgeltliche Leistungen, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 1, Rz. 8. 18 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 48. 19 So auch Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 559. 20 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 48. 21 Komm., Entsch. v. 3.10.2014 – COMP/M.7217 – Facebook/WhatsApp, Rz. 164.

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Dadurch, dass seit Einführung des § 18 Abs. 2a GWB nicht mehr nur die entgeltliche Seite des Marktes zu betrachten ist, dürfte es zu neuartigen Schadenstheorien kommen, was sich bereits am „Facebook“-Verfahren des Amtes zeigt.22 Bei unentgelt­ lichen Marktseiten geht es um nicht-preisbezogene Wettbewerbseffekte, etwa eine Qualitätsverschlechterung, z.B. in Form eines niedrigen Datenschutzstandards, der übrigens auch in „Facebook/Whatsapp“ relevant war, von der Kommission aber nicht als Schadenstheorie geprüft wurde, obwohl sie auf die Bedeutung von Privacy Policies für Nutzer in der Entscheidung hinwies,23 oder die Beschränkung der Innovation, Erhöhung von Eintrittsbarrieren für Wettbewerber, z.B. durch exklusiven Zugang zu Daten, etc. Allerdings ist aus der seit Inkrafttreten der 9. GWB- Novelle entstandenen Notwendigkeit der Betrachtung aller (auch der unentgeltlichen) Marktseiten nicht zu folgern, dass eine isolierte Betrachtung beider Marktseiten zu erfolgen hat. Vielmehr sind diese immer im Gesamtzusammenhang zu betrachten, weil gerade die Rückwirkungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen kartellrechtlich interessant sind.24 Während § 18 Abs. 2a GWB die Konsequenzen teilweise unentgeltlicher Geschäftsmodelle für die Marktabgrenzung behandelt, die alle Bereiche des Kartellrechts betreffen, ist die neue transaktionswertbezogene Aufgreifschwelle die spezifisch fusionskontrollrechtliche Antwort auf das Phänomen der zunehmenden Unentgeltlichkeit von Leistungen.

III. Unentgeltlichkeit in der Fusionskontrolle Hintergrund der neuen Aufgreifschwelle ist die Besorgnis des Gesetzgebers, dass Umsatzschwellen angesichts teilweise kostenloser Geschäftsmodelle die wirtschaftliche Bedeutung von Unternehmen nicht richtig abbilden und es aufgrund dessen zu einem „Under-Enforcement“ kommt. Als Beispiel eines nicht kontrollpflichtigen Zusammenschlusses mit erheblicher Marktauswirkung wird in der Gesetzesbegründung der „Facebook/WhatsApp“ Zusammenschluss genannt.25 Da WhatsApp kaum Umsätze erzielte, jedoch eine erhebliche Nutzerbasis hatte, wurde zwar ein erheblicher Kaufpreis von Facebook gezahlt, die Anmeldepflicht scheiterte jedoch in Deutsch22 BKartA, PM v. 19.12.2017 – Vorläufige Einschätzung im Facebook-Verfahren; einige Merger-­ Fälle in den USA hatten “non-price effects” zum Gegenstand: United States v. Charter Communications, Inc., No. 16-00759 (RCL) (D.D.C. Sept. 9, 2016); United States v. H&R Block, Inc., No. 11-00948 (BAH) (D.D.C. Nov. 10, 2011); der AMAT/TEL-Fall wurde nach vom DOJ geäußerten Bedenken aufgegeben: https://www.justice.gov/opa/pr/appliedmaterials-inc-and-tokyo-electron-ltd-abandon-merger-plans-after-justice-department; Gundlach, Non-price effects of mergers: A Primer, American Antitrust Institute, Invitational Symposium on the non-price effects of mergers, June 15, 2016, Washington DC. 23 Kritisch dazu Costa-Cabral/Lynskey, Common Market Law Review 2017, 11, 19, 26 f. 24 BKartA, Beschl. v. 8.9.2015 – B6-126/14 – Google/VG Media u.a.; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 99; Körber, WuW 2015, 120, 125, 127; Podszun, Unentgeltliche Leistungen, in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 1, Rz. 13. 25 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 70 ff.

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land an der zweiten Inlandsumsatzschwelle. Der Fall kam nur aufgrund Verweisung nach Art. 4 (5) FKVO zur Kommission. Die Bundesregierung hatte auch in Bezug auf Start Up-Unternehmen Bedenken geäußert, dass deren Geschäftsideen ohne Umsätze erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben könnten,26 und die Monopolkommission sah eine Schutzlücke, weil große, etablierte Unternehmen innovative, aber noch umsatzschwache Wettbewerber in einem frühen Stadium kontrollfrei aufkaufen, um konkurrierende Geschäftsmodelle vom Markt zu nehmen.27 Es ginge auch hier um das in der Internetökonomie verbreitete Phänomen, dass, um eine gewisse Unternehmensgröße und Akzeptanz bei Nutzern zu erzielen, in einer jungen Marktphase auf Umsatz verzichtet werde, um ein Produkt populär zu machen. So erzielten innovative Geschäftsmodelle Umsätze häufig erst mit zeitlicher Verzögerung. Dies war auch bei WhatsApp der Hintergrund, da das Produkt unentgeltlich angeboten wurde.28 Ausweislich der Regierungsbegründung geht es aber auch um Konstellationen außerhalb der Internetökonomie wie den Erwerb von Pipeline-Produkten von Unternehmen, die ausschließlich in Forschung & Entwicklung und der Entwicklung von Technologien tätig seien, die vom Erwerber auf den Markt gebracht werden.29 Das Missverhältnis zwischen Umsatz und Kaufpreis indiziere ein hohes Marktpotential und damit die wettbewerbliche Relevanz. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift des § 35a GWB auf die genannten Phänomene reagiert und nimmt eine Kontrollpflicht für Zusammenschlüsse an, wenn die weltweiten Umsätze der beteiligten Unternehmen über 500 Euro liegen, ein beteiligtes Unternehmen die Inlandsumsatzschwelle von 25 Mio. Euro erfüllt, das zu erwerbende Unternehmen Umsatzerlöse von weniger als 5 Mio. Euro hat (so dass die Umsatzschwellen des § 35 GWB nicht erfüllt sind), aber der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Mio. Euro beträgt. Zu den mit der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale verbundenen Schwierigkeiten ist schon einiges geschrieben worden.30 Angesichts der verschiedenen Unklarheiten hat das Bundeskartellamt gemeinsam mit der österreichischen Wettbewerbsbehörde (Österreich hat eine ähnliche Transaktionswertschwelle) nach Durchführung eines Konsultationsverfahrens einen Leitfaden zur Interpretation der neuen Schwelle zur Konsultation veröffentlicht.31 Probleme bereiten insbesondere die Berechnung der Gegenleistung und die Interpretation der erheblichen Inlandstätigkeit. Dabei ist es kein Trost, dass angesichts der relativ hohen Schwelle von 400 Mio. Euro nur wenig Fälle erfasst wer-

26 Meyer-Lindemann, Die neue Auftragsschwelle in der deutschen Fusionskontrolle, in Kerstin/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 12, Rz. 4. 27 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 28 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 29 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 30 Barth/dos Santos Goncalves, GWR 2017, 289; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 103 ff.; Pohlmann/Wismann, NZKart 2016, 555, 559 ff.; Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 259. 31 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018; abrufbar unter https://www.bundeskartellamt.de/Shared​ Docs/Publikation/DE/Leitfaden/Leitfaden_Transaktionsschwelle.pdf?_blob=publication​ File&v=2.

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den. Problematisch ist aber nicht nur die durch den neuen Tatbestand geschaffene Rechtsunsicherheit. In Zusammenhang mit der Einführung der neuen Transaktionswertschwelle gab es einige Folgeänderungen: Die Anschlussklausel (§ 35 Abs. 2 Satz 1 GWB) wurde entgegen dem ursprünglichen Entwurf32 nicht geändert,33 was zu einem Wertungswiderspruch führt.34 Bei der Bagatellmarktklausel wurde in § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 letzter Halbsatz GWB klargestellt, dass diese bei unentgeltlichen Märkten nicht zur Anwendung kommt. Bei mehrseitigen Märkten hat das Bundeskartellamt jüngst bei einer Ticketing-Plattform für Zwecke der Bagatellmarktklausel beide Marktseiten zusammen betrachtet.35 Etwas weniger im Fokus standen bisher die Auswirkungen der 9. GWB-Novelle auf den Zusammenschussbegriff (§ 37 GWB). Geändert wurden nämlich auch § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB. Nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB liegt ein Zusammenschluss beim Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil vor. Neu ist die Ergänzung im 2. Halbsatz, dass dies auch gilt, wenn ein im Inland tätiges Unternehmen, dessen Vermögen erworben wird, noch keine Umsatzerlöse erzielt hat. Der in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB geregelte Kontrollerwerb enthält für die Fallgruppe des Erwerbs von Unternehmensteilen den gleichen Zusatz wie beim Vermögenserwerb. Beim Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen stellt sich die Frage nicht, weil das Erfordernis des Eintritts in eine bestehende Marktstellung nur für den Vermögenserwerb bzw. Kontrollerwerb über Teilgeschäftsbereiche entwickelt wurde.36 Die Gesetzesbegründung erläutert, dass die Ergänzungen in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB dem Umstand Rechnung tragen, dass die Rechtsprechung insbesondere Vermögenserwerbe, beispielsweise den Erwerb von Schutzrechten, etwa von Patent-Portfolien, nicht als Zusammenschlusstatbestand erfasst, wenn sie mit keiner aktuellen Marktposition verbunden sind.37 Eine solche Annahme liege im Allgemeinen nahe, wenn noch kein Umsatz erzielt werde. Die Ergänzungen in § 37 GWB würden der Klarstellung dienen, dass dieser Rückschluss nicht zwingend sei und Konsistenz mit den neuen Regelungen in § 18 Abs. 2a und § 35a Abs. 1a GWB herstellen, wonach auch bei unentgeltlichen Leistungen ein Markt gegeben sein könne, der eine fusionskontrollrechtliche Prüfung ermögliche, wenn das im Inland tätige Unternehmen, keine oder geringe Umsatzerlöse erziele, aber die hohe Gegenleistung indiziere, dass um den Erwerb einer vorhandenen Marktstellung und damit um externes Wachstum ginge. Die wettbewerblich relevante Position zeige sich darin, dass das Unternehmen am 32 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 23, 76. 33 Pohlmann/Wismann, WuW 2017, 257, 258. 34 Meyer-Lindemann, Die neue Auftragsschwelle in der deutschen Fusionskontrolle, in K ­ erstin/​ Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kapitel 12, Rz. 21. 35 BKartA, Beschl. v. 4.12.2017 – B6-132/14-2 – CTS Eventim. 36 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018, Rz. 107 ff. 37 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 76.

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Markt tätig sei und seine angebotenen Leistungen, wenn auch ggf. unentgeltlich, in Anspruch genommen würden.38

IV. Bisherige Rechtsprechung des BGH zum Vermögenserwerb/­ Kontrollerwerb Es fragt sich, in welchem Verhältnis diese neuen Zusätze beim Vermögens- und Kontrollerwerb zur etablierten Rechtsprechung des BGH in Sachen „Warenzeichener­ werb“39 und „National Geographic“40 stehen. 1. Warenzeichenerwerb Im „Warenzeichenerwerb“-Fall beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob es sich bei der Übertragung von Markenrechten an der Marke „FRAPAN“ für eine Frischhaltefolie um den Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens „zu einem wesentlichen Teil“ handele, und hat in diesem Zusammenhang Kriterien für die Auslegung dieses Merkmals entwickelt.41 Welcher Art die Vorgänge sein müssen, die als Erwerb von Teilen des Vermögens eines anderen Unternehmens gemäß §  23 Abs.  2 Nr.  1 GWB a.F. als Zusammenschluss erfasst werden, ergäbe sich aus dem Grund, weshalb der Erwerb des ganzen Vermögens eines anderen Unternehmens als Zusammenschluss gelte. Ein solcher Erwerb biete die Möglichkeit, in die Marktstellung des Veräußerers an dessen Stelle einzutreten. Aus eben diesem Grund gelte nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 GWB a.F. auch ein Erwerb als Zusammenschluss, bei dem das Vermögen des anderen Unternehmens, nicht ganz, sondern nur „zu einem wesentlichen Teil“ übernommen werde. Es könne bei diesem Zusammenschlusstatbestand deshalb nicht um die Erfassung jedweder Art von Vermögenserwerb gehen, sondern nur solche Vorgänge, mit denen – in gleicher Weise wie bei einem Vermögenserwerb im Ganzen – die Gelegenheit verbunden ist, in die Marktstellung des Veräußerers einzutreten. Als Vermögensteil, dessen Erwerb als Zusammenschluss gilt, könne demzufolge nur ein – vom übrigen Vermögen abtrennbares – Vermögen eines Unternehmens angesehen werden, das – in gleicher Weise wie das Vermögen eines Unternehmens als Ganzes – tragende Grundlage (Substrat) seiner Stellung auf dem für die Zusammenschlusskontrolle relevanten Markt ist und demgemäß geeignet ist, diese Marktstellung von dem – insoweit aus dem Markt ausscheidenden – Veräußerer auf einen Erwerber zu übertragen. Im Ergebnis wurde ein anmeldepflichtiger Vermögenserwerb vom BGH mit Blick auf die mit der Marke „FRAPAN“ verbundene Markstellung angenommen.

38 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 72. 39 BGH, Beschl. v. 7.7.1992 – KVR 14/91, WuW/E BGH 2783 – Warenzeichenerwerb. 40 BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – KVR 32/05, WuW/E DE-R 1979 – National Geographic I. 41 BGH, Beschl. v. 7.7.1992 – KVR 14/91, WuW/E BGH 2783 – Warenzeichenerwerb.

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2. National Geographic Im Verfahren „National Geographic“42 beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob in Anknüpfung an die genannte „Warenzeichenerwerb“-Rechtsprechung im Erwerb eines Lizenzvertrags ein Kontrollerwerb i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GWB liegen könne. Es ging konkret um den Erwerb der Lizenzrechte für eine deutschsprachige Ausgabe der im Ausland bereits eingeführten Zeitschrift National Geographic. Der BGH verwarf zunächst das Vorliegen eines Vermögenserwerbs mangels Erwerb eines Vollrechts und wandte sich dann der Prüfung des Kontrollerwerbs zu. Er stellte fest, dass es sich wie beim Vermögenserwerb um einen wesentlichen Teil der Vermögensgegenstände handeln müsse, was in qualitativer Hinsicht zu bestimmen sei, auch wenn dies anders als bei Nr. 1 so nicht ausdrücklich in Nr. 2 stünde. Das Bundeskartellamt war von einem Zusammenschluss ausgegangen, obwohl mit der deutschsprachigen Ausgabe mangels Markteinführung zum Zeitpunkt des Erwerbs der Lizenz noch kein Umsatz erzielt wurde. Entscheidend sei, dass die Marke „National Geographic“ bereits zuvor auf dem deutschen Markt existiert habe und Lesern ein Begriff sei. Es habe auch Verkäufe der englischen Zeitschrift in Deutschland gegeben und die Umsätze der deutschen Version seien von der ersten Ausgabe an konstant hoch gewesen. Das OLG Düsseldorf sah keinen Zusammenschlusstatbestand, weil es am Eintritt in eine bestehende Marktstellung des Veräußerers fehle.43 Der BGH bestätigte die Auffassung des OLG Düsseldorf und ließ die Annahme eines Zusammenschlusses daran scheitern, dass die im Rahmen des Lizenzvertrags eingeräumten Rechte an der deutschsprachigen Ausgabe von „National Geographic“ nicht die tragende Grundlage einer bereits vorhandenen Marktstellung von National Geographic Deutschland waren, in die die Erwerber hätten einrücken können. Das Merkmal der Wesentlichkeit sei deswegen von entscheidender Bedeutung, weil es im Rahmen sowohl des § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB als auch des § 37 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GWB darum gehe, das externe vom internen Wachstum abzugrenzen. Während das Gesetz das externe Wachstum der Zusammenschlusskontrolle unterwerfe und in der Regel die Untersagung gebiete, wenn durch den Erwerb eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird (§ 36 Abs. 1 GWB a.F.), sei das interne Wachstum auch dem an der Grenze zur Marktbeherrschung stehenden oder bereits marktbeherrschenden Unternehmen ohne weiteres gestattet.44 So sei es beispielsweise einem marktbeherrschenden Mineralölunternehmen nicht untersagt, sich mit einem großen Posten Erdöl einzudecken, auch wenn von dieser Menge – hätte ein Wettbewerber sie erworben – erheblicher Wettbewerb hätte ausgehen können. Einem marktbeherrschenden Filmverleiher sei es ebenso wenig verwehrt, sich die Rechte an einem Erfolg versprechenden Kinofilm zu sichern, wie es einem seinen Markt dominierenden Verlag nicht verboten werden kann, sich die Rechte für die deutsche Ausgabe eines amerikanischen Bestsellers einräumen zu lassen, auch wenn dadurch je42 BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – KVR 32/05, WuW/E DE-R 1979 – National Geographic I. 43 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.6.2005 – VI – Kart 24/04, WuW/E DE-R 1504, 1505 f. 44 BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – KVR 32/05, WuW/E DE-R 1979, 1981 – National Geographic I.

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weils die beherrschende Marktstellung abgesichert und verstärkt werde. Mit dem Zusammenschlusstatbestand des Vermögens- oder Kontrollerwerbs sollen nicht derartige, dem internen Wachstum zuzurechnende Erwerbsvorgänge der Zusammenschlusskontrolle unterworfen werden. Vielmehr ginge es darum, diejenigen Fälle zu erfassen, in denen der Erwerber mit Hilfe des Vermögens- oder Kontrollerwerbs anstelle des Veräußerers in dessen Marktstellung einrückt. Dies könnten Fälle sein, in denen der Erwerb eine betriebliche Teileinheit oder einen bestimmten Geschäftsbereich eines Unternehmens beträfe.45 Der Zusammenschlusstatbestand des Vermögens- oder Kontrollerwerbs könne allerdings auch bei einem Erwerbsvorgang erfüllt sein, bei dem kein produzierender Geschäftsbereich samt den dafür erforderlichen Mitteln übertragen werde, bei dem sich jedoch dem Erwerber in gleicher Weise wie bei einem Vermögenserwerb im Ganzen die Gelegenheit biete, in die Marktstellung des Veräußerers einzutreten. Voraussetzung sei dabei, dass der Vermögensteil als ein vom übrigen Vermögen abtrennbares Vermögen eines Unternehmens angesehen werden könne, das  – in gleicher Weise wie das Vermögen eines Unternehmens als Ganzes – tragende Grundlage (Substrat) seiner Stellung auf dem für die Zusammenschlusskontrolle relevanten Markt und demgemäß geeignet sei, diese Marktstellung von dem – insoweit aus dem Markt ausscheidenden – Veräußerer auf den Erwerber zu übertragen. Unter dem Gesichtspunkt der Zusammenschlusskontrolle könne zudem ein Vermögensteil in diesem Sinn nur dann wesentlich sein, wenn er geeignet sei, die Stellung eines Erwerbers auf dem betreffenden Markt spürbar zu stärken. Bei dem der Abgrenzung von externem zu internem Wachstum dienenden Begriff der Wesentlichkeit sei ferner zu beachten, dass die Merkmale für den Zusammenschlusstatbestand möglichst klare Konturen aufweisen sollten. Zwar seien beim Zusammenschlusstatbestand die formalen, an bestimmte Anteile anknüpfenden Merkmale infolge mehrerer Gesetzesänderungen immer stärker durch materielle Merkmale ergänzt und in der Praxis verdrängt worden, die für die Gesetzesauslegung einen größeren Spielraum ließen. Es dürfe jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich um ein Aufgreifkriterium handelt, das zunächst von den Unternehmen selbst einzuschätzen sei. Auch die Wirksamkeit der Bußgeldbewehrung in § 81 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 39 Abs.  1 GWB hinge davon ab, dass den betroffenen Unternehmen die Nichtanmeldung zum Vorwurf gemacht werden könne. Mit Recht habe das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund das Vorliegen eines Zusammenschlusses davon abhängig gemacht, ob die im Rahmen des fraglichen Lizenzvertrags eingeräumten Rechte schon in der Hand des Veräußerers NGS die tragende Grundlage einer bereits vorhandenen Marktstellung auf dem für das Zusammenschlussvorhaben maßgeblichen Lesermarkt waren. Da diese Frage zu verneinen sei, habe das Beschwerdegericht den Zusammenschlusstatbestand mit Recht als nicht erfüllt angesehen. 45 Vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.1975 – KVR 1/75, WuW/E BGH 1377 – Zementmahlanlage I; ferner BGH, Beschl. v. 23.10.1979 – KVR 3/78, WuW/E BGH 1655 – Zementmahlanlage II; BGH, Beschl. v. 13.3.1979 – KVR 8/77, WuW/E BGH 1570, 1571 – Kettenstichnähmaschinen; BGH, Beschl. v. 12.2.1980  – KVR 4/79, WuW/E BGH 1763, 1771  – Bituminöses ­Mischgut; BGH, Beschl. v. 7.7.1992 – KVR 14/91, WuW/E BGH 2783 – Warenzeichenerwerb.

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Die Monopolkommission begrüßte in ihrem damaligen Hauptgutachten die „National Geographic“-Entscheidung des BGH.46 Es müsse auch für ein marktbeherrschendes Unternehmen möglich sein, ein neues Produkt auf dem Markt einzuführen. Das Bundeskartellamt habe das unternehmerische Risiko des Erwerbers ignoriert. Ex ante sei nicht klar gewesen, ob die Markteinführung der Zeitschrift erfolgreich sein werde und eine Nachfrage für das Produkt bestand. Sei mit dem Erwerb von Vermögensgegenständen ein unternehmerisches Risiko verbunden, handele es sich um eine Investition und nicht um einen Zusammenschluss. Die Behandlung des Erwerbs der Lizenzrechte als Zusammenschluss wirke wie eine Bestrafung des ökonomischen Erfolgs, die den Anreiz der mit Risiken verbundenen Einführung eines neuen Produkts mindere. Ziel des Wettbewerbsrechts sei es jedoch nicht, Investitionen zu verhindern. Insoweit sollte die Zusammenschlusskontrolle auf keinen Fall auf Tatbestände wie diesen angewandt werden.47

V. Änderungen der 9. GWB-Novelle beim Zusammenschlussbegriff Es fragt sich, was mit der im Rahmen der 9. GWB-Novelle in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2  GWB aufgenommenen Klarstellung gemeint ist, wonach ein Vermögenserwerb (ganz oder in Teilen) und ein Kontrollerwerb in Bezug auf einen Unternehmensteil auch vorliegen kann, wenn ein im Inland tätiges Unternehmen, dessen Vermögen erworben wird, noch keine Umsatzerlöse erzielt hat. Entweder geht es bei dem Zusatz nur darum, bestehende Nutzeranteile bei unentgeltlichen Märkten entsprechend § 18 Abs. 2a GWB in die Betrachtung des Erwerbs bestehender Marktpositionen einzubeziehen, oder es ist auch eine Änderung des Zusammenschlussbegriffs beim Vermögens- und Kontrollerwerb im Sinne einer Vorverlagerung der Fusionskontrolle auf reine Marktpotentiale beabsichtigt. 1. Auffassung des Bundeskartellamts Von der letztgenannten Interpretation geht das Bundeskartellamt im gemeinsam mit der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde erarbeiteten Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben (§ 35 Abs. 1a GWB und § 9 Abs. 4 KartG) aus.48 Der Zusammenschlusstatbestand sei problemlos gegeben, soweit Unternehmensanteile in Höhe der Schwellen des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB erworben werden. Beim Erwerb einzelner Vermögensgegenstände stelle sich jedoch die Frage, ob ein Zusammenschlusstatbestand im Sinne eines wesentlichen Vermögensteils oder des Kontrollerwerbs gegeben sei. Unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des BGH in „Warenzeichenerwerb“ und „National Geographic“ wird vom Amt gefolgert, dass nach der 9. GWB-Novelle daran nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden könne. Mit der Novelle sei nicht nur die neue Transaktionswert46 Monopolkommission, 16. Hauptgutachten, BT-Drucks. 16/2460. 47 Monopolkommission, 16. Hauptgutachten, BT-Drucks. 16/2460, S. 264. 48 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018, Rz. 107 ff.

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schwelle eingeführt worden. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber klargestellt, dass ein Zusammenschluss auch vorliegen könne, wenn ein Unternehmen noch keine Umsätze erzielt hat (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Halbsatz 2 GWB). Der Gesetzgeber habe auch deutlich gemacht, dass der Annahme eines Marktes nicht die Unentgeltlichkeit entgegensteht (§ 18 Abs. 2a GWB). Zudem sei in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass auch solche Fälle erfasst sein sollen, in denen Unternehmen erworben werden, deren Umsatzpotential sich erst nach ihrer Veräußerung entwickelt. Als Beispiel werden Unternehmen genannt, deren Geschäftsmodell gerade darauf gerichtet ist, Technologien oder Produkte, z.B. pharmazeutische Wirkstoffe) zu entwickeln. Nach der 9. GWB-Novelle werde man daher nicht mehr verlangen können, dass der zu erwerbende Unternehmensteil Substrat einer gegenwärtigen Marktstellung ist. Ausreichend müsse für Fälle der Forschung & Entwicklung sein, dass die künftige Marktstellung des Erwerbers beeinflusst werden kann.49 Schon die Möglichkeit, dass sich ein umsatzstarkes Unternehmen mithilfe eines erworbenen Unternehmensteils eine Marktstellung aufbaut oder den erworbenen Unternehmensteil marktmäßig nutzt, solle im Hinblick auf den Schutz von Innovationspotentialen in Technologiemärkten nach Auffassung des Amtes der Fusionskontrolle unterliegen. Die Regierungsbegründung zu § 35a Abs. 1a GWB verweise darauf, dass durch einen Erwerb Marktverschließungs-Effekte auftreten, Markteintrittsbarrieren geschaffen und Innovationspotential wettbewerblich bedenklich behindert werden könne, indem etwa marktführende Unternehmen aufstrebende Konkurrenten in einem frühen Entwicklungsstadium vollständig in das eigene Geschäft integrieren, die ursprüngliche Tätigkeit des erworbenen Unternehmens verändern oder sogar gänzlich einstellen. Dies gilt nach Auffassung des Bundeskartellamts unabhängig davon, ob Anteile an einer juristischen Person erworben werden oder ob Lizenzen oder sonstige Rechte an den Forschungsergebnissen übertragen werden. Es ergäbe sich ein Wertungswiderspruch, wenn z.B. der Erwerb aller Anteile an einem Biotechnologie-Start-Up, das ein vielversprechendes Arzneimittel entwickelt, durch ein etablierten Pharma-Konzern der Fusionskontrolle unterläge, aber nicht die Übertragung der Rechte an dem neuen Arzneimittel an den Pharma-Konzern. In beiden Fällen liegt nach Auffassung des Amtes ein Vorgang vor, der im Sinne der erwähnten Rechtsprechung eher externem als internem Wachstum entspricht. Dies soll nach Auffassung des Amtes auch gelten, wenn der Erwerber weitere Entwicklungsschritte unternehmen muss, um das Produkt zur Marktreife zu entwickeln.50 Nachdem infolge der 9. GWB-Novelle die Fortgeltung der „National Geographic“-Rechtsprechung zweifelhaft sei, würde das Amt in Fällen, wo keine künftige Marktstellung des Erwerbers beeinflusst werden könne, zumindest im Einzelfall prüfen wollen, so dass sich eine Voranfrage empfehle.51

49 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018, Rz. 12. 50 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018, Rz. 13. 51 BKartA, Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben, Stand Juli 2018, Rz. 114.

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2. Alternative Interpretation Die Gesetzesbegründung ist leider nicht eindeutig, ob der Zusammenschlussbegriff des Vermögenserwerbs tatsächlich um Fälle internen Wachstums im Vorfeld einer aufgebauten Marktposition erweitert werden sollte, oder ob nur unentgeltliche aber bestehende Marktstellungen vom Vermögens- und Kontrollerwerb in der Fallgruppe des Erwerbs eines Teilgeschäfts erfasst sein sollen. Ginge es nur darum, entsprechend §  18 Abs.  2a GWB Fälle zu erfassen, in denen von Unternehmen zunächst keine ­Umsätze erzielt werden, um Nutzer zu gewinnen, wäre dies mit der bestehenden BGH-Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Übertragung einer bestehenden Marktstellung vereinbar. Dadurch dass der Verkäufer bereits eine Nutzerbasis aufgebaut hat, handelt es sich bei der Übertragung des Produktes um externes Wachstum. Wegen der Unentgeltlichkeit spiegelt sich diese nur nicht in Umsätzen sondern nur in vorhandenen Nutzern wieder. Der Erwerber tritt gleichwohl in eine bereits am Markt aufgebaute Position ein. Es mag noch ein gewisses unternehmerisches Risiko mit der Entscheidung verbunden sein, wann und wie auf ein entgeltliches Geschäftsmodell umgestellt wird. Es ist jedoch bereits klar, dass eine Nachfrage nach dem Produkt besteht und dieses von Verbrauchern angenommen wurde. Für diese Interpretation der Ergänzungen in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB spricht der letzte Satz im letzten Absatz auf S. 76 der Gesetzesbegründung, wonach sich die wettbewerbliche Position darin zeige, dass das übernommene Unternehmen am Markt tätig sei und seine Leistungen, wenn auch unentgeltlich, in Anspruch genommen würden. Dafür, dass nicht beabsichtigt war, die „National Geographic“-Rechtsprechung des BGH aufzugeben, spricht auch die Formulierung im selben Absatz, dass es darum gehe, die Konsistenz des Zusammenschlussbegriffs mit den Regelungen § 18 Abs. 2a GWB und § 35 Abs. 1a GWB herzustellen, und eine fusionskontrollrechtliche Prüfung dort nötig sein solle, wo bei fehlenden oder geringen Umsatzerlösen des Ziel­unternehmens die hohe Gegenleistung indiziere, dass es um den Erwerb einer vorhandenen Marktstellung und somit um externes Wachstum gehe. Dies ist jedoch beim Erwerb von Pipeline-Produkten und Entwicklungen von reinen F&E-Unternehmen, die auf S.  71 zweiter Absatz der Gesetzesbegründung genannt werden, nicht der Fall. So wird dort auch nur von dem Erwerb innovativer Geschäftsideen mit einem hohen Marktpotential gesprochen (S. 71 erster Absatz), was deutlich von der Terminologie auf S. 76 abweicht. Zwar prüft die Kommission bereits seit Jahren bei Zusammenschlüssen die Aus­ wirkung auf Pipeline-Produkte,52 und das Bundeskartellamt verweist in seinem ­Arbeitspapier „Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis“53 zustimmend auf diese Praxis. Allerdings war in keinem dieser Fälle der Zusammen­ 52 Vgl. z.B. Komm., Entsch. v. 22.10.2009 – M.5502 – Merck/Schering-Plough; Komm, Entsch. v. 28.1.2015 – M.7275 – Novartis/Glaxosmithkline Oncology; Komm, Entsch. v. 4.8.2015 – M.7559 – Pfizer/Hospira. 53 Schriftenreihe „Wettbewerb und Verbraucherschutz in der digitalen Wirtschaft“, November 2017, S. 20.

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Auswirkungen der 9. GWB-Novelle auf den Zusammenschlussbegriff

schlussbegriff fraglich, weil immer Unternehmen erworben wurden, die mit existierenden Produkten Umsätze erzielten und die relevanten Schwellenwerte der FKVO erfüllten. Da die Aussagen zu Pipeline-Produkten und Entwicklungen von F&E-­ Unternehmen in der Gesetzesbegründung nicht spezifisch in Bezug auf den Zusammenschlussbegriff getätigt wurden, und sich die Frage nach der Wesentlichkeit der Vermögensgegenstände z.B. beim reinen Anteilserwerb oder Kontrollerwerb an Unternehmen nicht stellt, ist es entgegen der Darstellung des Bundeskartellamts nicht zwingend, dass die „National Geographic“-Rechtsprechung zum Vermögenserwerb aufgegeben werden sollte. Das Beispiel des Erwerbs einer von einem auf F&E spezialisierten Unternehmen noch nicht zur Marktreife entwickelten Technologie, das in der Gesetzesbegründung zu §  35a GWB angesprochen wird,54 ist mit der bisherigen fusionskontrollrechtlichen Abgrenzung zwischen internem und externem Wachstum in Einklang zu bringen. Hier würde sich das Umsatzpotenzial von Unternehmen erst nach ihrer Veräußerung verwirklichen, wenn ihr Geschäftsmodell gerade darauf gerichtet sei, Technologien oder Produkte (z.B. pharmazeutische Wirkstoffe vor der Arzneimittelzulassung) zu entwickeln.55 Derartige Entwicklungen würden sich im Investitionsverhalten größerer, etablierter Unternehmen widerspiegeln. So würden Unternehmen versuchen, Wettbewerber mit hohem Innovationspotential aufzukaufen. Dies könne der Erweiterung des eigenen Angebotsportfolios dienen. Ziel des Erwerbs könne aber auch sein, das Innovationspotential nicht zu nutzen , sondern konkurrierende Geschäftsmodelle oder Produkte vom Markt zu nehmen.56 Bei Einbeziehung derartiger Fälle von Investitionsentscheidungen wäre der vom BGH in Beispielen genannte Erwerb von Produktionsmitteln auf einmal ein Zusammenschluss. Entscheidend gegen die Annahme spricht in diesem Fall die Überlegung der Monopolkommission, dass Investitionsentscheidungen von Zusammenschlüssen abzugrenzen sind, weil noch ein erhebliches unternehmerisches Risiko verbleibt.57 Dies dürfte bei Pipeline-Produkten normalerweise der Fall sein. In der Regel sind bis zur Markteinführung noch eine Reihe von Hürden zu nehmen, z.B. die Weiterentwicklung des Produkte, umfangreiche Tests, die Produktzulassung, Durchführung von Markstudien, etc. Da der Erfolg keineswegs garantiert ist und ein erheblicher Einsatz des Erwerbers erforderlich ist, handelt es sich um eine Investition und nicht externes Wachstum, wo in eine am Markt etablierte Position eingetreten wird. Eine Vorverlagerung der Fusionskontrolle in derart ungewisse Sachverhalte dürfte die ohnehin nicht einfache Prognoseentscheidung über die Auswirkungen des Zusammenschlusses weiter erschweren und würde erhebliche Unsicherheiten auslösen und sich investitionshemmend auswirken. Hätte der Gesetzgeber eine derart fundamentale Verschiebung der Grenze zwischen externem und internem Wachstum beim Zusammenschlussbegriff gewollt, hätte es 54 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 55 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 56 Begr. RegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 71. 57 Monopolkommission, 16. Hauptgutachten, BT-Drucks. 16/2460, S. 264.

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eine ausführlichere Diskussion der damit verbundenen Vorteile und Risiken in diesem Kontext gebraucht. Da sich die Ausführungen zur Erfassung von Marktpotenzialen auf §  35a GWB bezogen, spricht viel dafür, dass es dem Gesetzgeber bei den Änderungen in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB lediglich um die Berücksichtigung bereits aufgebauter unentgeltlicher Marktstellungen ging, jedoch nicht um die Erfassung von reinen Investitionsentscheidungen und die damit verbundene Vorverlagerung der Fusionskontrolle. Es bleibt abzuwarten, ob die Frage von der Rechtsprechung geklärt werden wird. Die Erstreckung des Zusammenschlussbegriffs auf Sachverhalte, in denen noch keine Position am Markt besteht, wäre auch mit dem Sinn und Zweck der Fusionskontrolle als Marktstrukturkontrolle schwer vereinbar. Der Erwerb von reinen Produktionsmitteln sollte der Missbrauchskontrolle und dem Kartellverbot vorbehalten werden. So könnte der zwischen dem Veräußerer und Erwerber vereinbarte Verkauf einer noch nicht am Markt eingeführten Technologie, um sie vom Markt fernzuhalten, einen Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) beinhalten. Sollte ein Unternehmen nach Weiterentwicklung eines erworbenen Pipeline-Produktes nach erfolgreicher Markteinführung marktbeherrschend sein, ist einem Missbrauch dieser Machtposition aufgrund von §§  19, 20 GWB, Art. 102 AEUV Einhalt geboten. Es wäre nicht gerechtfertigt, eine noch mit unternehmerischem Risiko verbundene Investitionsentscheidung der Fusionskontrolle zu unterwerfen, weil sich dies abschreckend auf das Eingehen von Risiken durch Unternehmen auswirken würde.

VI. Fazit Eine Betrachtung der geänderten Vorschriften zum Vermögens- und Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB) im Gesamtzusammenhang der 9. GWB-Novelle ergibt, dass kein Bruch mit der „National Geographic“-Rechtsprechung des BGH beabsichtigt war, sondern der Gesetzgeber lediglich eine Klarstellung dahingehend vornehmen wollte, dass eine Marktposition auch in unentgeltlichen Nutzerbeziehungen bestehen kann, in denen (noch) kein Umsatz erzielt wird. Eine weitergehende Ausdehnung des Zusammenschlussbegriffs auf Sachverhalte, in denen eine rein potentielle Markstellung ohne aktuelle Nutzerbasis erworben wird, z.B. bei Pipeline-Produkten, würde die Grenze zwischen internem und externem Wachstum in ungerechtfertigter Weise verschieben. Für einen solchen Paradigmenwechsel bestand keine Notwendigkeit, weil das Kartellverbot und das Missbrauchsverbot ausreichenden Schutz vor Wettbewerbsgefährdungen bieten, und er wäre auch nicht sinnvoll, weil die ohnehin schwierige Prognoseentscheidung in der Fusionskontrolle bei einer derartigen Vorverlagerung der Prüfung zusätzlich erschwert würde.

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Auflagen in der Zusammenschlusskontrolle in kleinen ­EU- Mitgliedstaaten am Beispiel Österreichs I. Einleitung II. Zur Auflagenpraxis der Europäischen Kommission III. Ausgangssituation in kleineren Juris­ diktionen IV. Auflagen bei der Zusammenschluss­ kontrolle in Österreich

1. Verfahrensrechtlicher Rahmen und ­Häufigkeit von Auflagenfällen 2. Natur und Inhalte von Auflagen in der österreichischen Zusammenschlusskontrolle V. Zusammenfassung und Conclusio

I. Einleitung Dirk Schroeder führt seit Jahrzenten eine sehr breite Kartellrechtspraxis, zu der naturgemäß auch komplexe Fälle der Zusammenschlusskontrolle gehören. Bei derartigen Fällen stellen sich regelmäßig Fragen nach möglichen wettbewerbsfördernden Zusagen bzw. Auflagen der Unternehmen, die zur Erreichung der Freigabe eines Zusammenschlusses notwendig sein könnten. Für jeden Kartellrechts-Praktiker gehört es zum „kleinen Einmaleins“, dass die Europäische Kommission immer dann, wenn für die Genehmigung eines Zusam­ menschlusses Auflagen bzw. Zusagen der Anmelder erforderlich sind (weil der Zusammenschluss ansonsten zu untersagen wäre), eine ausgeprägte Präferenz für sogenannte „strukturelle Auflagen“ hat, also typischerweise den Verkauf bestimmter Unternehmenseinheiten (typischerweise Produktionseinheiten) an Dritte. Die zweite Kategorie von Auflagen, nämlich sogenannte Verhaltensauflagen, sind bei der Kommission deutlich weniger beliebt. Begründet wird dies üblicherweise damit, dass strukturelle Auflagen dauerhaft klare Marktverhältnisse mit genügend Wettbewerb schaffen, weil die abzugebenden Teile auf einen Wettbewerber übergehen.1 Hinzu kommt, dass die behördliche Überwachung der Einhaltung der Auflagen in diesen Fällen typischerweise einfacher ist und weniger Aufwand erfordert als bei Verhaltensauflagen. Betrachtet man hingegen Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden, insbesondere in kleineren EU-Mitgliedstaaten, so fällt auf, dass hier der Anteil an Auflagen­ entscheidungen mit sogenannten Verhaltensauflagen deutlich höher ist. Im vorlie1 Vgl. Mitteilung der Kommission über nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates und der Verordnung (EG) Nr.  802/2004 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2008 C 267/1, Rz. 15.

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genden Beitrag soll näher beleuchtet werden, woran dies liegt und eine kritische Analyse dieser vermeintlichen Diskrepanz zwischen der Auflagenpraxis der Euro­ päischen Kommission und jener der kleineren EU-Mitgliedstaaten am Beispiel Österreichs versucht werden.

II. Zur Auflagenpraxis der Europäischen Kommission Nach der EuGH-Rechtsprechung sollen Abhilfemaßnahmen wettbewerbsfähige Marktstrukturen gewährleisten.2 Nach Ansicht der Kommission sollen daher Verpflichtungen struktureller Art – insbesondere zur Veräußerung eines Geschäfts – idR den Vorzug verdienen, weil diese die vom Zusammenschluss aufgeworfenen wettbewerbsrechtlichen Bedenken auf Dauer verhindern und auch keine mittel- oder langfristigen Kontrollmaßnahmen erfordern. Dennoch räumt die Kommission ein, dass nicht auszuschließen ist, dass auch andere Arten von Verpflichtungen ebenfalls eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs verhindern können.3 Von der Kommission akzeptierte Abhilfemaßnahmen sind im Wesentlichen Veräußerungen eines lebens- und wettbewerbsfähigen Geschäfts an einen geeigneten Erwerber (dies ist die von der Kommission bevorzugte Maßnahme), ferner insbeson­ dere die Zerschlagung von Bindungen zu Mitbewerbern (durch die Aufgabe von Minderheitsbeteiligungen an Wettbewerbern oder Gemeinschaftsunternehmen) und andere Abhilfemaßnahmen, nämlich Zugangserleichterungen zu wichtiger Infrastruktur, zu Netzen oder Schlüsseltechnologie und die Änderung langfristiger Ausschließlichkeitsvereinbarungen. Die Kommission weist darauf hin, dass in manchen Fällen auch eine Kombination von Veräußerung und anderen Abhilfemaßnahmen erforderlich sein kann. Als „geeigneten Erwerber“ betrachtet die Kommission einen von den beteiligten Unternehmen unabhängigen Erwerber, der über die finanziellen Mittel und ausgewiesene Fachkenntnisse und das Interesse und die Fähigkeit verfügt, die notwendig sind, um das zu veräußernde Geschäft als lebensfähigen, aktiven Wettbewerber in Konkurrenz zu den beteiligten Unternehmen und den anderen Mitbewerbern weiterzuführen und auszubauen.4 Die Veräußerung muss jedenfalls binnen einer gewissen Frist nach Genehmigung des Zusammenschlusses erfolgen, häufig verlangt die Kommission aber auch bereits eine verbindliche Vereinbarung mit einem bestimmten Erwerber als Voraussetzung für die Durchführung des Zusammenschlusses (Up-front buyer) oder sogar während des laufenden Verfahrens (Fix-it-first).5

2 EuGH, Rs. C-12/03P, Kommission/Tetra Laval, Slg. 2005, I-987, Rz. 86. 3 Mitteilung der Kommission über zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2008 C 267/1, Rz. 15 m.w.N. 4 Mitteilung der Kommission über zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2008 C 267/1, Rz. 48 f. 5 Mitteilung der Kommission über zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2008 C 267/1, Rz. 50 ff.

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In manchen Fällen eignen sich aber auch für die Kommission andere Abhilfemaßnahmen als Veräußerungen zur Beseitigung von Wettbewerbsproblemen sogar besser als Veräußerungen, insbesondere dann, wenn es darum geht, Ausschließlichkeitsvereinbarungen aufzulösen6 oder Netzwerkeffekte zu vermeiden. Marktzutrittsschranken, welche durch eine Veränderung der Marktstruktur im Zuge eines Zusam­ menschlusses entstehen können, insbesondere durch die Gewinnung von Kontrolle über Infrastrukturen (z.B. Netze)7 oder über Schlüsseltechnologien (Patente, Knowhow, etc.) sind am besten durch die Gewährung von Zugang für Wettbewerber zu diesen Infrastrukturen,8 sonstigen Ressourcen9 und Schlüsseltechnologien10 auszuräumen. Ebenfalls bereits im Rahmen der EU-FKVO praktiziert wurden Zusagen betreffend Abnahmeverpflichtungen und die Aufrechterhaltung von Kooperationen11 und Zusagen der Einräumung ausschließlicher Vertriebsrechte für bestimmte Produkte.12 In

6 Vgl. dazu auch KomE vom 4.12.1997, IV/M.958, Watt AG II, ABl. 1998 C 116/2, Rz. 14; dazu Wagemann, WuW 1998, 156. 7 Vgl. in KomE (EG) Nr. 2003/26, Shell/Dea, ABl. 2003 L 15/35, die Verpflichtung von Shell, Dritten die Abwicklung von Ethylen-Einfuhren in Höhe von 250 000 t pro Jahr über ein bestimmtes Einfuhrterminal zu nicht diskriminierenden Bestimmungen zu gestatten, und in KomE (EG) 2002/792, ABl. 2002 L 276/31, BP/E. ON, die Verpflichtung von BP und E. ON, Zugang zu einer Verbindungsleitung zu gewähren. 8 Zum Zugang zu einer technischen (digitalen) Plattform für Pay-TV und interaktive Dienste vgl. KomE vom 21.3.2000, COMP/JV.37, BSkyB/Kirch Pay TV, Anhang 1, Rz. 8, WuW 2000, 795. 9 Hier können Zusagen auch die Zugangsgewährung zu Lieferkapazitäten betreffen, vgl. etwa die (von der Kommission jeweils als geeignet betrachteten) Zusagen: Verpflichtung der EdF (in KomE (EG) Nr. 2002/164, EdF/EnBW, ABl. 2002 L 59/1, Rz. 93–104), Wettbewerbern Zugang zu 6000 MW in Frankreich gelegener Erzeugungskapazitäten für die Dauer von vorläufig fünf Jahren zu gewähren (vgl. Pape, WuW 2001, 263 f.); Verpflichtung von Südzucker (in KomE (EG) Nr. 2003/259, Südzucker/Saint Louis Sucre, ABl. 2003 L 103/1), einem unabhängigen Handelsunternehmen bzw. Zuckerhersteller bis zu 90 000 t Quotenzucker pro Jahr aus süddeutschen Zuckerfabriken für die Belieferung von Industriekunden zur Verfügung zu stellen. 10 Die Kommission bevorzugt die Veräußerung der betreffenden Technologie an einen Wettbewerber, akzeptiert aber in gewissen Fällen auch die bloße Lizenzgewährung, vgl. Mitteilung der Kommission über zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2001 C 68/3, Rz. 29. – Technologielizenzen waren der Gegenstand von Zusagen in KomE (EG) Nr.  2001/684, Dow Chemical/Union Carbide, ABl. 2001 L 245/1; dazu Pape, WuW 2000, 615. – Zu Markenlizenzen vgl. z.B. KomE vom 8.1.2002, COMP/M.2621, SEB/Moulinex, ABl. 2002 C 49/18, wo SEB die von der Kommission als geeignet betrachtete Zusage abgab, Wettbewerbern für bestimmte Gerätetypen eine fünfjährige Exklusivlizenz für die Nutzung der Marke Moulinex einzuräumen und für einen weiteren Zeitraum von drei Jahren keine Haushaltsgeräte unter der Marke Moulinex anzubieten: WuW 2002, 371. 11 KomE (EG) Nr. 2002/191, Bombardier/ADtranz, ABl. 2002 L 69/50; vgl. Pape, WuW 2001, 480 f. 12 KomE vom 26.2.1999, COMP/M.1403, Astra/Zeneca, ABl. 1999 C 335/3 (nur englische Fassung), WuW 2000, 318.

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jüngerer Zeit wurden auch die Veräußerung von Know-How,13 die Erleichterung des Zugangs zu Seetransportleistungen für Bananen,14 die Einräumung einer Option an einen Kunden, ein laufendes Forschungs- und Entwicklungsprojekt zu übernehmen und die Veräußerung von Vertriebskapazitäten an Dritte15 als Zusagen der Zusammenschlussparteien angenommen. Selbst die Zusage, bei Preisveränderungen kleinere Abnehmer gegenüber einem großen nicht zu diskriminieren, kann im Einzelfall geeignet sein.16 Trotzdem sind Veräußerungen von Beteiligungen oder Vermögensgegenständen der von der Europäischen Kommission am häufigsten angewendete (und jedenfalls bevorzugte) Typ von Abhilfemaßnahmen, gefolgt von Zugangsmaßnahmen und sonstigen Maßnahmen.17 Die Kommission hat somit für strukturelle Auflagen regelmäßig ein großes geographisches „Spielfeld“ zur Verfügung, typischerweise (wenn der örtlich relevante Markt entsprechend groß ist) das Gebiet des gesamten EWR und alle dort angesiedelten Betriebseinheiten der Unternehmen, die zusammengeschlossen werden sollen. In den allermeisten Fällen handelt es sich um Zusammenschlüsse zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die jeweils über eigene Produktionseinheiten auf dem Territorium des EWR verfügen. Der lange Arm der Kommission hat dann auch faktisch Zugriff auf die entsprechenden Produktionseinheiten. Als gutes Beispiel für strukturelle Auflagen sind Zusammenschlüsse in der Zementindustrie zu nennen, wo häufig als „Gegenleistung“ für die Freigabe des Zusammenschlusses durch die Kommission die Veräußerung einzelner Werke angeboten werden muss – etwa 2014 im Fall Holcim/Lafarge. Da die beiden Unternehmen einander in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten als Wettbewerber gegenüberstanden, verpflichteten sich Holcim und Lafarge zur Veräußerung zahlreicher Werke im gesamten EWR an Wettbewerber.18 Ähnliche Beispiele ließen sich für viele andere Industriezweige finden, beispielsweise die Stahlindustrie – zuletzt im Mai 2018 für die Genehmigung der Übernahme von Ilva durch ArcelorMittal nur mit weitreichenden Auflagen (Abgabe von Stahlwerken bzw Produktionseinheiten in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten).19 13 Z.B. 2014 im Fall M.7061 Huntsman/Sachtleben, s. dazu Di Martile/Lallemand-Kirche/­ Pieber/Seritti/Stril, The „White Powder“ Case: Balancing the Evidence, European Commission, Competition Merger Brief 1/2015, 16. 14 KomE vom 3.10.2014, Chiquita Brands International/Fyffes (M.7220), s. Europa-Report, EuZW 2014, 805. 15 KomE vom 14.7.2014, SSAB/Rautaruukki (M.7155), 16 KomE (EG) Nr.  1999/641, Enso/Stora, ABl. 1999 L 254/9, Rz.  101 lit.  a). Dieser „Preisschutzme­chanis­mus“ sollte durch einen zur Vertraulichkeit verpflichteten unabhängigen Revisor überwacht werden. 17 S. konkrete Verteilung für den Zeitraum 2010-2013: Rede von C. Esteva-Mosso, „EU Merger Control: The Big Picture“, am 12.11.2014 in Brüssel, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ competition/speeches/text/sp2014_06_en.pdf. 18 Vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 15.12.2014 http://europa.eu/rapid/press-relea​ se_IP-14-2683_de.htm. 19 Vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 8.5.2018 http://europa.eu/rapid/press-­release_ IP-18-3721_de.htm.

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III. Ausgangssituation in kleineren Jurisdiktionen Bevor die Auflagenpraxis in kleineren EU-Mitgliedstaaten näher dargestellt und analysiert werden soll, ist zunächst kurz daran zu erinnern, wie – nach dem sogenannten „One stop shop-Prinzip“ der Fusionskontrollbestimmungen der EU-Fusionskontrollverordnung – ein Zusammenschluss entweder der Europäischen Kommission oder den jeweils zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zur Prüfung zugewiesen wird. Bekanntlich geschieht dies anhand der jeweiligen Umsätze, die von den beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr in bestimmten Territorien (weltweit, im EWR, in einzelnen EU-Mitgliedstaaten) erzielt wurden. Auf Details muss hier nicht näher eingegangen werden – es genügt der Hinweis, dass die Zuständigkeitsregeln zwangsläufig schablonenartig einen Fall entweder der Kommission zuweisen oder eben nicht. Für die Zwecke des vorliegenden Beitrags ist insbesondere zu betonen, dass die umsatzbasierten Zuständigkeitsregeln in keiner Weise darauf Rücksicht nehmen, ob die jeweiligen Behörden (insbesondere jene von einzelnen Mitgliedstaaten) überhaupt in der Lage sind, im Falle von Wettbewerbsproblemen, die sich aus dem betreffenden Zusammenschluss ergeben könnten, passende Auflagen gegenüber den Zusammenschlusswerbern durchzusetzen. Anders gesagt: Zusammenschlüsse können aufgrund der jeweiligen nationalen Umsätze durchaus bei der Wettbewerbsbehörde eines EU-Mitgliedstaates anzumelden und dann von dieser zu prüfen sein, ohne dass auch nur eines der beiden am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen eine Produktionseinheit im betreffenden Mitgliedstaat hält. Zwar sind die Zuständigkeitsvorschriften der EU-FKVO keineswegs starr: Vielmehr enthalten die Artikel 4 (4) und 4 (5) sowie Artikel 9 und Artikel 22 der FKVO Verweisungsregeln, nach denen das jeweilige Zusammenschlussvorhaben entweder von der Kommission an einen Mitgliedstaat (oder mehrere) verwiesen werden kann oder von einem Mitgliedstaat (oder mehreren Mitgliedstaaten) an die Kommission. Allerdings kommen solche Verweisungen – im Vergleich zu den Anmeldungen insgesamt (einschließlich jener in den Mitgliedstaaten) – vergleichsweise selten vor.20 Typischerweise bleibt es somit bei der Zuständigkeit anhand der jeweiligen Umsätze der beteiligten Unternehmen in den jeweiligen Jurisdiktionen bzw Gebieten (weltweit, EWR, einzelne Mitgliedstaaten). All dies führt häufig zu Situationen, in denen ein Zusammenschlussvorhaben von einer oder mehreren nationalen Wettbewerbsbehörden zu prüfen ist, obwohl sich dessen Auswirkungen keineswegs auf das Territorium der betreffenden Wettbewerbsbehörden beschränken. Damit stellt sich jedoch die Frage, wie die Wettbewerbsbehörde eines kleinen Mitgliedstaates mit einem derartigen Fall umgehen soll, wenn er grenzüberschreitende Auswirkungen hat (zB in einem europaweit abzugrenzenden örtlich relevanten 20 Vgl. die jeweils aktuelle Statistik seit Beginn der EU-FKVO auf der Website der Kommis­ sion: http://ec.europa.eu/competition/mergers/statistics.pdf.

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Markt) und – zumindest aus ihrer Sicht – durchaus die Untersagungsvoraussetzungen ihrer eigenen Fusionskontrollvorschriften erfüllt. Insbesondere kann die Abstimmung möglicher Auflagen mit jenen, die von anderen Behörden in anderen Mitgliedstaaten verhängt werden, erforderlich werden.

IV. Auflagen bei der Zusammenschlusskontrolle in Österreich 1. Verfahrensrechtlicher Rahmen und Häufigkeit von Auflagenfällen In Österreich wurde die Zusammenschlusskontrolle im heutigen Sinne mit der Kartellgesetznovelle 1993 (zum damaligen Kartellgesetz 1988) eingeführt, die am 1.11.1993 (also kurz vor Inkrafttreten des EWR-Abkommens am 1.1.1994) in Kraft trat. Auch wenn seither zahlreiche verfahrensrechtliche Entwicklungen zu beobachten waren, so sind „Beschränkungen oder Auflagen“ für die Genehmigung eines Zusammenschlusses grundsätzlich seit Ende 1993 möglich. Somit lässt sich heute, im Jahr 2018, bereits auf ein Vierteljahrhundert „Auflagenpraxis“ in Österreich zurückblicken. Im derzeit geltenden Kartellgesetz 2006 regelt §  12 (3) 1. Satz: „Wenn die Voraussetzungen sonst nicht gegeben sind, kann das Kartellgericht den Ausspruch, dass der Zusammenschluss nicht untersagt wird, mit entsprechenden Beschränkungen oder Auflagen verbinden.“ Bei einer ersten Annäherung an dieses Thema fällt auf, dass in Österreich im Vergleich zur Anzahl der Anmeldungen pro Jahr nur sehr wenige Zusammenschlüsse unter Auflagen genehmigt werden. Dies hängt allerdings insbesondere mit den besonders niedrigen Umsatzschwellenwerten im österreichischen Recht zusammen – es gibt also in Österreich besonders viele Anmeldungen von Zusammenschlüssen, die mangels relevanter Auswirkungen im österreichischen Markt (oder im relevanten geographischen Markt, zu dem Österreich jeweils gehört) für Auflagen gar nicht in Frage kommen; von den 4.600 in den letzten 15 Jahren geprüften Zusammenschlüssen führten nur 126, d.h. 2,7 %, zu einer vertieften Prüfung am Kartellgericht („Phase II-Verfahren“).21 In Österreich gab es 2017 mehr als 400 Zusammenschlussanmeldungen – dies dürfte für ein Land mit weniger als 10 Millionen Einwohnern weltweit nahezu einmalig sein. Im Vergleich dazu gibt es etwa in der Schweiz (mit fast gleich vielen Einwohnern und einer höheren Wirtschaftsleistung (BIP)) nur rund 30 Anmeldungen pro Jahr, wegen der dort deutlich höheren Schwellenwerte für inländische Umsätze. Die Forderung der Praxis,22 (auch) in Österreich Anmeldungen nur dann zu verlangen, wenn mindestens zwei beteiligte Unternehmen (typischerweise Käufer und Zielunternehmen) im letzten Jahr vor der Anmeldung einen gewissen Mindestumsatz im Inland erzielt

21 Vgl. dazu Thanner, Kartellrecht neu denken, ÖZK 2018, 43. 22 Vgl. etwa Polster, Reformansätze für die österreichische Fusionskontrolle, in Matousek/ Müller/Thanner (Hrsg.), Jahrbuch Kartell- und Wettbewerbsrecht 10, 77.

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haben (wie dies in den meisten Ländern üblich ist und auch vom International Competition Network empfohlen wird23), wurde vom Gesetzgeber bisher nicht erfüllt.24 Eine grobe Schätzung ergibt, dass von den mehr als 400 Anmeldungen bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde nicht mehr als 5 bis 10 % überhaupt wettbewerbliche Fragen aufwerfen könnten. In den meisten dieser Fälle werden diese Punkte in der Praxis bereits in „Phase 1“ zwischen den Anmeldern und den in Phase 1 zuständigen Behörden (Bundeswettbewerbsbehörde, Bundeskartellanwalt) erörtert und – soweit möglich – gelöst; dazu kann auch die Abgabe einer Verpflichtungserklärung an diese beiden Behörden seitens der Anmelder bereits in Phase 1 gehören, in der bestimmte Zusagen enthalten sind, welche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb ausräumen sollen. Lediglich in einer Handvoll Fälle pro Jahr erfolgt eine vertiefte Prüfung in Phase 2 durch das Kartellgericht. Soweit die ursprünglichen Bedenken in diesem vertieften Prüfungsverfahren bestätigt werden (in der Regel auf der Grundlage eines Gutachtens eines externen Sachverständigen für Wettbewerbsökonomie), ist die Freigabe unter Auflagen eine verfahrensrechtliche Option des Kartellgerichts. Diese Abhilfemaßnahmen werden dann  – wie auch in anderen Jurisdiktionen üblich  – mit den Anmeldern abgestimmt; (nur) wenn die Anmelder keine aus der Sicht des Gerichts geeigneten Zusagen abgeben wollen, erfolgt eine Untersagung des Zusammenschlusses (vgl. zuletzt 2016 Novomatic/Casinos Austria25). 2. Natur und Inhalte von Auflagen in der österreichischen Zusammenschlusskontrolle Eine Rückschau auf die vergangenen 25 Jahre – mit einem Fokus auf die letzten Jahre – zeigt, dass Auflagen in österreichischen Zusammenschlusskontrollverfahren in den allermeisten Fällen sogenannte „Verhaltensauflagen“ waren, während sogenannte „strukturelle Auflagen“ nur selten vorkamen. Nach der in diesem Beitrag vertretenen These liegt dieses „Phänomen“ vor allem daran, dass in einer kleinen Jurisdiktion die Veräußerung eines Teils der nach dem Zusammenschlussvorhaben vom Zusammenschluss betroffenen Unternehmen häufig unrealistisch ist, entweder weil dies de facto auf die komplette Aufgabe des Zusam-

23 International Competition Network, Recommended Practices for Merger Notifi­cation Procedures, s. http://www.internationalcompetitionnetwork.org/uploads/libr​ary/doc588.pdf. 24 Die Einführung einer zweiten Inlandsschwelle betrachtet nun auch BWB-GD Thanner als überlegenswert, weil sie zu einer höheren Treffsicherheit bei der Zusammenschlusskontrolle führt: s. Thanner, Kartellrecht neu denken, ÖZK 2018, 43. 25 Vgl. Pressemitteilung der BWB https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/zusammenschluss​ verfahren_z_2906_novomatic_ag_casinos_austria_ag_oesterreichische_lotterien_gesells/; s. auch die Bestätigung der Untersagung durch den OGH mit der Entscheidung 16 Ok 11/​ 16b: http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_201612​21_​OGH0002_0160OK​00011_​ 16B0000_000/JJT_20161221_OGH0002_0160OK​00011_16B0000_000.pdf.

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menschlusses hinauslaufen würde oder weil die dann abzugebenden Unternehmens­ einheiten außerhalb des Territoriums Österreichs liegen würden. In Österreich wurden in solchen Fällen ganz vereinzelt Auflagenentscheidungen getroffen, die ausschließlich Markenrechte in Österreich betrafen. So wurde der Zusammenschluss Atlas Copco/ABAC (BWB Z-169) im Jahr 2007 unter der Verpflichtung zur Abtretung der Marke „AGRE“ für das Gebiet der Republik Österreich nicht untersagt.26 Das Kartellgericht kam zum Ergebnis, dass der Zusammenschluss ohne Verhängung von Auflagen zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung auf Märkten für öleingespritzte Schraubenkompressoren führen würde. Atlas Copco musste sich daher verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass AGRE die Marke „AGRE“ für das Gebiet der Republik Österreich in das Eigentum eines Dritten überträgt. Atlas musste außerdem ihren Kunden, die im Bereich stationärer öleingespritzter Schraubenkompressoren >22kW über bestehende Wartungs- oder Serviceverträge verfügten, das Recht zu einer vorzeitigen Kündigung einräumen. Die markenbezogene Auflage im Fall Atlas Copco/ABAC zeigt ein grundsätzliches Dilemma auf, welches sich immer dann stellt, wenn Wettbewerbsbehörden einzelner Mitgliedstaaten über Zusammenschlüsse betreffend Markenprodukte zu entscheiden haben, insbesondere wenn es um nationale geographische Märkte geht: Auflagen betreffend die Nutzung von Marken in einzelnen Mitgliedstaaten könne zwangsläufig in einem Spannungsverhältnis zu den Zielen des EU-Binnenmarktes stehen.27 Dieses Problem stellt sich insbesondere in jenen Fällen, wo die Marktanteile der wichtigsten Anbieter in einem bestimmten Produktmarkt je nach Mitgliedstaat sehr unterschiedlich sind: Dabei kann es vorkommen, dass der Zusammenschluss in fast allen Mitgliedstaaten keinerlei wettbewerbliche Probleme mit sich bringt, jedoch in einem Mitgliedstaat die Marktanteilsadditionen durchaus erheblich sind. Ein gutes Beispiel dafür stellte etwa der Zusammenschluss Amer/Salomon im Jahr 2005 dar, der damals jedoch von der Kommission zu prüfen war.28 Es lagen nationale Märkte vor und die Marktanteilsadditionen zwischen den Skimarken Atomic (von Amer) und Salomon erreichten von allen Mitgliedstaaten nur in Österreich im Bereich Alpinski und -bindungen ein „kritisches“ Ausmaß (von bis zu 60 %). Die Kommission verzichtete schließlich darauf, zur Behebung dieses Problems konkrete Auflagen zu verlangen (und begnügte sich mit einer Auflage im Bereich Langlaufski, die mit diesem Thema nichts zu tun hatte). Mag auch jener Fall von der Kommission (und nicht von mitgliedstaatlichen Behörden) zu entscheiden gewesen sein, so zeigt er doch, vor welchen Problemen die Wettbewerbsbehörden einzelner Mitgliedstaaten bei der Gestaltung von Auflagen in derartigen Fällen stehen können, wo eine „treffsichere“ Auflage sich nicht finden lässt: Es 26 S.  BWB-Tätigkeitsbericht 2006/07 https://www.bwb.gv.at/fileadmin/user_upload/Taetig​ keiten/Taetigkeitsbericht20062007.pdf. 27 Vgl. EuGH Centrafarm/Sterling Drug C-15/74. 28 AMER/Salomon, COMP/M.3765, s. http://ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_de​ tails.cfm?proc_code=2_M_3765.

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wäre wohl schlicht nicht möglich gewesen, für Österreich eine „Sonderlösung“ zu finden (etwa die Verpflichtung zur Abtretung der österreichischen Markenrechte für eine der beiden Skimarken an einen Wettbewerber), weil diese den freien Warenverkehr (Artikel 34 AEUV) erheblich beeinträchtigt hätte. Aber auch bei Zusammenschlüssen mit inländischem Schwerpunkt sind Verhaltensauflagen in Österreich durchaus üblich:29 Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Zusammenschluss ProSiebenSat.1PULS4 („P7S1P4“)/ATV Privat TV aus dem Jahr 2017: Damals sollten die zwei größten privaten österreichischen TV-Unternehmen (also PULS4 und ATV) fusioniert werden, wobei der Erwerber bereits eine österreichische Tochtergesellschaft von ProSiebenSat.1 war, die auch mit ihren deutschen Sendern (und dazugehörigen „Österreich-Werbefenstern“) eine bedeutende Stellung im österreichischen TV-Markt hat. Die Auflagen im Fall P7S1P4/ATV (die hier ohne Involvierung des Kartellgerichts bereits in Phase  1  – allerdings nach einem umfangreichen Pränotifikationsverfahren und einem Markttest durch die BWB – von BWB und Bundeskartellanwalt in Abstimmung mit dem Medienregulator RTR festgelegt wurden) betrafen im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt (diese wird in ­Österreich ebenfalls im Rahmen der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle geprüft) und darüber hinaus den Werbemarkt. Für den Werbemarkt wurde von P7S1P4 die Zusage abgegeben, dass Werbung auf ATV weiterhin eigenständig gebucht werden kann und ein Direktkunde Anspruch darauf hat, dass eine eigenständige Rabattstaffel zur Anwendung gelangt. Darüber hinaus gab es eine Beschränkung für die zulässige Erhöhung der Werbezeit auf ATV und die Auflage, dass Naturalrabatte für Werbung auf ATV sich ausschließlich auf Werbezeiten auf den Sendern von ATV beziehen dürfen. All diese Auflagen sollten Bedenken entgegenwirken, dass durch sogenannte Bündelangebote zwischen PULS 4 und ATV die Stellung der ProSiebenSat.1-Gruppe auf dem Werbemarkt weiter verstärkt werden könnte. Von strukturellen Auflagen wurde hier Abstand genommen, obwohl zumindest theoretisch durchaus vorstellbar gewesen wäre, dass etwa der Sender ATV 2 an einen dritten Wettbewerber veräußert hätte werden können. Ebenfalls mit Verhaltensauflagen freigegeben wurde im Jahr 2017  – in diesem Fall nach einem vollständigen Prüfungsverfahren vor dem Kartellgericht („Phase 2“) – die Erhöhung der Beteiligung an der Ankünder GmbH (einer Außenwerbungsgesellschaft mit Schwerpunkt in der Steiermark) durch Gewista (die führende österreichische Außenwerbungsgesellschaft) von 24,9 % auf 33,3 %. In diesem Fall verpflichtete sich Ankünder, anderen Außenwerbungsunternehmen zur Erleichterung der Durchführung nationaler Werbekampagnen den diskriminierungsfreien Zugang zu seinen Außenwerbungsflächen in der Steiermark zu gewähren, und zwar mit genauer Spezifizierung der dafür anzubietenden Werbeflächen pro Außenwerbungsmedium und entsprechender Buchungsfristen. Dabei wurde auch festgehalten, dass dieser Zugang zu den Außenwerbungsflächen jeweils zu „marktüblichen Preisen und Konditionen“ zu gewähren sei (das waren „je nach Medium, Saisonalität und Auftragsumfang vari29 S. die Übersicht „Zusammenschlussfreigaben unter Auflagen“ bei Urlesberger in Petsche/ Urlesberger/Vartian, KartG2, Rz. 91 zu § 12.

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ierende Rabatte, welche im Markt als bisher üblich verstanden wurden“). In diesem Fall wurden ebenfalls keine strukturellen Auflagen verlangt, und zwar auf der Grundlage des Gutachtens des vom Kartellgericht bestellten Sachverständigen für Wettbewerbsökonomie. Beim Zusammenschluss Pfeiffer/Nussbaumer (Lebensmittelgroßhandel, BWB Z-­1387 = Kartellgericht 29 Kt 12/11) äußerte die Bundeswettbewerbsbehörde Bedenken, dass in bestimmten Regionen der Steiermark dadurch eine marktbeherrschende Stellung entstehen könnte; das Kartellgericht legte als Auflagen ein 10-jährigen Preis-Monitoring und eine zeitlich unbegrenzte Akquisitionssperre für Pfeiffer in der Steiermark und im Südburgenland fest; die BWB rechtfertigte diese Auflagen damit, dass „strukturelle Auflagen die Standortschließung in Bruck an der Mur bedingt hätten“.30 Unter den grenzüberschreitenden Fällen, in denen Verhaltensauflagen die Voraussetzung für die Freigabe von Zusammenschlüssen verlangt wurden, sind in den letzten Jahren insbesondere Zusammenschlüsse im Printmedienbereich mit Schwerpunkt in Deutschland zu erwähnen, die auch in Österreich anmeldepflichtig waren. Diese betrafen Transaktionen zwischen der Funke-Gruppe und der Axel Springer-Gruppe, vor allem betreffend die Zusammenarbeit bei der Anzeigenvermarktung (BWB Z-2220 = Kartellgericht 27 Kt 164, 165/13 sowie 29 Kt 1, 2/14, ferner ähnlich Z-2660). Auch in diesen beiden Fällen wurde das Verbot einer gebündelten Vermarktung seitens der österreichischen Wettbewerbsbehörden als geeignete Maßnahme betrachtet, um negative Auswirkungen aus diesen Kooperationen zu verhindern. Konkret bezog sich das Verbot auf „jede Form der gebündelten internationalen Vermarktung von Anzeigen in Publikumszeitschriften von Funke und Axel Springer, die in Österreich verbreitet werden“. Der Terminus „internationale Vermarktung“ wurde dabei definiert als „die Vermarktung österreichischer Reichweiten der Publikumszeitschriften (durch zusätzliche, gesonderte Entgeltleistungen für die Verbreitung in Österreich) und die Vermarktung von sogenannten Teilbelegungen, also Werbebuchungen, die nur den nach Österreich exportierten Publikumszeitschriften beigelegt/beigeheftet werden“. Zusätzlich durften Funke und Axel Springer auch nicht die internationale Vermarktung von österreichischen Titeln übernehmen, an denen sie jeweils beteiligt waren. Auch in diesem Fall gab es darüber hinaus Auflagen zur Sicherung der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt.31 Dieses Beispiel zeigt vielleicht am besten, dass bei grenzüberschreitenden Auswirkungen von Zusammenschlüssen häufig Verhaltensauflagen treffsicher gerade jenen Aspekt des Zusammenschlusses erfassen können, der sich auf das jeweilige Territorium des für einen „ausländischen Zusammenschluss“ zuständigen Mitgliedstaates bezieht. Eine strukturelle Auflage wäre in diesem Fall gar nicht vorstellbar gewesen.

30 S. BWB-Pressemitteilung https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/zusammensch​luss_im_ lebensmittelgrosshandel_mit_umfangreichen_auflagen_genehmigt/. 31 BWB-Pressemitteilung https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/erwerbsvorgaenge_von_ funke_axel_springer_rechtskraeftig_unter_auflagen_gem_12_abs_3_kartg_vom_kart/.

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Auflagen in der Zusammenschlusskontrolle in Österreich

Weitere Freigaben von Zusammenschlüssen in den letzten Jahren mit Verhaltensauflagen betrafen in Österreich etwa die Fälle ȤȤ Morawa Pressevertrieb/Pressegroßvertrieb Austria Trunk (BWB Z-1976 = Kartellgericht 25 Kt 33/13): hier wurde ein Kündigungsverzicht für Verlagsverträge zugesagt;32 ȤȤ SIX Austria Holding GmbH/PayLife Bank GmbH (BWB Z-1993 = Kartellgericht 29 Kt 48,49/13), unbarer Zahlungsverkehr: die Auflagen sahen eine für Wettbewerber verwertbare Form der Konteninformation auf der „Bankomatkarte“ und ein verpflichtendes Angebot an Wettbewerber zum Zugang zum gegenüber dem üblichen „Maestro-“Vorgang deutlich kostengünstigeren sogenannten „Short-Cut“ vor;33 ȤȤ Brau Union/Vereinigte Kärntner Brauereien (BWB Z-2495 = Kartellgericht 26 Kt 73/14): Fortführungszusage/Bestandsgarantie zur Aufrechterhaltung des Standortes in Villach sowie getrennter Marktauftritt von Brau Union und VKB am „Point of Sale“; ȤȤ PremiQaMed Holding (UNIQA Versicherung)/Goldenes Kreuz Privatspital (Krankenhausdienstleistungen) (BWB Z-2750 = Kartellgericht 27 Kt 2/16)  – Auflage: Nicht-Diskriminierungszusage und Kontrahierungszwang für UNIQA gegenüber den verbleibenden Privatspitälern sowie Mindestsicherung im Hinblick auf die Zahlungen an die jeweiligen Privatspitäler bei gleichbleibenden Leistungen.34 Manche der soeben genannten Fälle betrafen Zusammenschlüsse in Märkten mit nur wenigen Anbietern, so dass eine strukturelle Auflage praktisch kaum zu realisieren gewesen wäre. Zur Einhaltung der Verhaltensauflagen wird häufig ein Treuhänder eingesetzt, der dann an die Behörden regelmäßig zu berichten hat. Bei der Prüfung von Zusammenschlüssen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen stimmt sich die BWB häufig zweckmäßigerweise auch mit den jeweiligen anderen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden ab, vor allem mit dem Bundeskartellamt. Dann werden auch manchmal strukturelle Auflagen festgelegt: Als prominentester Fall der jüngeren Zeit gilt hier sicher der Fall VTG Rail Assets/CIT Rail Holdings (Europe)/NACCO-Gruppe, der die Geschäftsbereiche Waggonvermietung, Schienenlogistik und Tankcontainerlogistik betraf (BWB Z-3633 = Kartellgericht 24 Kt 8/17g). Durch den Zusammenschluss kam es zu einer Marktanteilsaddition im Bereich der Waggonvermietung. Der Fall wurde zugleich durch das Bundeskartellamt 32 BWB-Pressemitteilung https://www.bwb.gv.at/zusammenschluesse/detail/id/2959/; vgl. auch Tätigkeitsbericht des Bundeskartellanwalts: file:///H:/Downloads/bkanw​ 2013_final_hp. pdf. 33 S.  Tätigkeitsbericht des Bundeskartellanwalts: file:///H:/Downloads/bkanw2013_fi​ nal_ hp.pdf. 34 Vgl. BWB-Pressemitteilung https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/bwbz_2750_zusam​ menschluss_goldenes_kreuz_privatklinik_betriebsgmbhpremiqamed_hol​ding_gmbh/.

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geprüft. Die wettbewerbliche Beurteilung und die Gestaltung der Auflagen wurden zwischen dem Bundeskartellamt und der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde bzw. dem Bundeskartellanwalt eng abgestimmt. In Österreich gab es zusätzlich auch das Sachverständigengutachten eines externen Wettbewerbsökonomen, das das Kartellgericht eingeholt hatte. In einem Ergänzungsgutachten hatte der Sachverständige das angebotene Auflagenpaket für geeignet befunden, die wettbewerblichen Bedenken auszuräumen. In den Auflagen wurde festgehalten, dass VTG rund 30 % des zu erwerbenden NACCO-Geschäfts vorab an Dritte zu veräußern hat.35 Die Auflagen waren identisch mit jenen, die das deutsche Bundeskartellamt festgelegt hatte.36 Im Jahr 2010 startete die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eine Überprüfung aller Zusammenschluss- und Kartellfälle von 2002 bis 2010 im Hinblick auf die Einhaltung und Effektivität von Beschränkungen, Auflagen oder Verpflichtungen.37 Mit der Untersuchung wollte die BWB sowohl die bis dahin festgelegten Auflagen evaluieren, um zukünftige Zusagen und Verpflichtungen besser einschätzen zu können. Allerdings wurden die Erkenntnisse dieser Untersuchung soweit ersichtlich nicht veröffentlicht.

V. Zusammenfassung und Conclusio Aus den Erfahrungen der österreichischen Zusammenschlusskontrolle lässt sich erkennen, dass der Vorrang für strukturelle Auflagen, den die Europäische Kommission postuliert, zwar aus wettbewerbspolitischer Sicht sinnvoll sein mag, dass dieser aber aufgrund der Granularität der betroffenen Märkte (und der geographischen Verteilung der jeweiligen Unternehmensstandorte) in EU-FKVO-Verfahren wesentlich besser durchgesetzt werden kann als in Zusammenschlusskontrollverfahren in (insbesondere kleineren) Mitgliedstaaten. Insoweit haben sinnvolle und gut überprüfbare Verhaltensauflagen in der Zusammenschlusskontrolle kleinerer Mitgliedstaaten jedenfalls eine wichtige Funktion.

35 S. BWB-Pressemitteilung https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/bwb_z_3633_vtg_rail_ assets_gmbh_cit_rail_holdings_europe_sas_nacco_gruppe-1/. 36 Beschluss vom 21.3.2018 – B9-124/17. S. https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/ Entscheidung/DE/Entscheidungen/Fusionskontrolle/2018/B9-124-17.html;jsessionid=​ 73DE3D​7C2F4FAE33DF0866E3D8DF289E.2_cid362. 37 Vgl. Pressemitteilung vom 3.5.2010 https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/bwb_ueber​ prueft_alle_auflagenentscheidungen_und_verpflichtungszusagen_in_wettbe​werbsfaellen/.

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Preisalgorithmen, Informationsaustausch und Signaling – Kartellrechtliche Herausforderungen im Online-Vertrieb I. Einleitung II. Kartellrechtlicher Beurteilungsrahmen aus horizontaler Perspektive 1. Wettbewerbs- und Handelsvertreter­ verhältnisse im Plattformvertrieb a) Horizontale Handelskooperation ­zwischen Wettbewerbern b) Handelsvertreterverhältnis zwischen Nutzer und Betreiber 2. Vereinbarungen und aufeinander ­abgestimmte Verhaltensweisen a) Selbständigkeitspostulat und ­Verhaltensabstimmung b) Abgestimmte Verhaltensweise und Kausalität III. Abstimmung über Dritte (sog. Hub-and-Spoke-Konstellation) 1. Hub-and-Spoke-Konstellationen in der klassischen Entscheidungspraxis 2. Hub-and-Spoke-Konstellationen im ­digitalen Kontext a) Entscheidung des EuGH in Sachen „Eturas“

b) Folgen für die Unternehmenspraxis 3. Hub-and-Spoke-Konstellationen im ­integrierten Plattformvertrieb IV. Öffentliche Preisankündigungen (sog. ­Signaling) 1. Öffentliche Preisankündigungen in der klassischen Entscheidungspraxis 2. Öffentliche Preisankündigungen nach „Container Shipping“ 3. Öffentliche Preisankündigungen im ­Online-Handel V. Preisalgorithmen (sog. Algorithmic ­Pricing) 1. Preisalgorithmen als Mittel oder Gegenstand klassischer Kartellverstöße 2. Preisalgorithmen eines identischen ­Dritten 3. Preisalgorithmen als Mittel öffentlicher Preisankündigungen 4. Vollautomatisierte „Verständigung“ durch selbstlernende Algorithmen? VI. Fazit

I. Einleitung Der Jubilar hat zum Thema abgestimmter Verhaltensweisen mittels horizontalen Informationsaustauschs einen vielbeachteten Aufsatz verfasst,2 der seit fast einem Jahr1 Der vorliegende Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Ihr besonderer Dank gilt Herrn wiss. Mit. Aurélien Hömann für die Unterstützung bei der Recherche und Vorbereitung des Beitrags. 2 Schroeder, WuW 2009, 718; s. nur Bechold, NJW 2009, 3699, 3700; Bechtold, GRUR 2012, 107, 110; Bechtold/Bosch, GWB, 8. Aufl. 2015, § 1 Rz. 95b; Besen/Gronemeyer, CCZ 2013, 137, 139; Brouwer in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 59 Rz. 56, 79; Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1186; Dreher/Körner, WuW 2013, 104, 107; Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686, 687; Hauck, CCZ 2010, 53, 56; Heyers, NZKart 2013, 99, 103; Heyers, WuW 2012, 557, 558; Imgrund, WuW 2017, 530, 533; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 19 Rz. 108, 112; Peter in Compliance-Handbuch Kartellrecht, Teil A

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zehnt zum festen Kanon der Kartellrechtsliteratur gehört.3 In der Einleitung stellt der Jubilar zutreffend fest, dass die kartellrechtliche Beurteilung entsprechender Interaktion ein „ewig aktuelles Thema“ darstelle.4 Damit ist die Aktualität des Aufsatzes – trotz einer für kartellrechtliche Verhältnisse langen Zeitspanne und zweier zwischenzeitlicher GWB-Novellen – bereits hinreichend umschrieben. Die fortschreitende Digitalisierung von Geschäftsprozessen, der technische Fortschritt sowie die Entstehung und Vernetzung neuer Geschäftsmodelle erfordern eine erneute Befassung mit dem Tatbestand abgestimmter Verhaltensweisen im digitalen Kontext. Der Handel hat Geschäftsmodelle geschaffen, die nicht als Ersatz für herkömmliche Geschäftsmodelle gedacht sind, sondern gerade durch ihre Parallelität und Vernetzung zu optimierten Vertriebsmöglichkeiten führen sollen.5 Integrierte Vertriebskonzepte bieten zahlreiche Vorteile z.B. hinsichtlich der erweiterten Produktsortimente, erreichbaren Verfügbarkeitsquoten oder angesprochenen Kundenkreise. Solche Integrationsbestrebungen führen aber zugleich zu einem Verschwimmen der Grenzen zwischen den einzelnen Geschäftsmodellen und zu zahlreichen Verflechtungen im Distributionsprozess. Handelsunternehmen treten längst nicht mehr ausschließlich als Eigenhändler auf, die Ware von ihren Lieferanten beziehen und entlang klassischer Vertriebsketten an ihre Endkunden weiterliefern (sog. klassisches Vertriebsmodell). Vielmehr führen sie vermehrt sog. Online-Marktplätze ein, auf denen Kunden Waren von Dritthändlern – direkt oder durch ihre Vermittlung – erwerben können (sog. Plattform-Modell). Diese Modelle werden dann häufig zu einer integrierten Gesamtlösung ausgebaut (sog. Integrationsmodell).6 Handelsunternehmen treten im integrierten Vertrieb je nach Fallgestaltung als Eigenhändler, Rz. 301; Pischel, CCZ 2016, 95, 96; Pischel/Hausner, EuZW 2013, 498; Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 8. Aufl. 2014, Rz. 827; Stefan Schmidt, WuW 2016, 572, 577; J. P. Schmidt/Koyuncu, BB 2009, 2551; Schwintowski, NZKart 2016, 575; Stöcker, WuW 2012, 935, 937; Weiß in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 101 AEUV Rz. 61. 3 S. allein die Literaturnachweise in der Kommentarliteratur: Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2014, §  81 GWB; Rahlmeyer in FK Kartellrecht, Stand: 76. Lfg. (März 2012), Fallgruppen II.6. zu Art. 101 AEUV; Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Stand: 73.  Lfg. (Januar 2011), §  1 GWB 2005; Schröter/Voet van Vormizeele in von der ­Groeben/Schwarze/Hatje, II. Kartellverbot (Art. 101 AEUV); Vollmer in MünchKomm. Kartellrecht, 2.  Aufl. 2015, §  81 GWB; Weiß in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art.  101 AEUV; Wollmann/Herzog in MünchKomm. Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, Art. 101 Abs. 1, D. Horizontale Vereinbarungen; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB. 4 Schroeder, WuW 2009, 718; s. bereits Moosecker in FIW, Schwerpunkte des Kartellrechts 1998, H. 178, S. 87 zu Marktinformationsverfahren („never ending story“). 5 BKartA, Digitale Ökonomie – Internetplattformen zwischen Wettbewerbsrecht, Privatsphäre und Verbraucherschutz, Hintergrundpapier zur Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht v. 1.10.2015 (im Folgenden: Hintergrundpapier Digitale Ökonomie), abrufbar unter: www. bundeskartellamt.de, S. 8. 6 S.  BKartA v. 26.8.2015  – B2-98/11, BeckRS 2016, 9244, Rz.  611  – ASICS; BKartA v. 26.11.2013 – B6-46/12 – Amazon Marketplace (s. Fallbericht v. 9.12.2013, abrufbar unter: www.bundeskartellamt.de); Kommission, Staff Working Document accompanying the Final Report on the E-commerce Sector Inquiry (im Folgenden: Staff Working Document E-Commerce), SWD(2017) 154 final, Rz. 103.

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Kommissionär, Handelsvertreter, Kooperationspartner und/oder Plattformanbieter auf und stehen zueinander teilweise in einem vertikalen (Vertriebs-)Verhältnis,7 teilweise in einem horizontalen (Wettbewerbs-)Verhältnis, teilweise in einem kartellrechtlich beschränkt relevanten (Handelsvertreter-)Verhältnis. Eine kartellrechtliche (Selbst-)Beurteilung wird durch diese Vielgestaltigkeit im Detail ebenso erschwert wie durch die rasante technische Entwicklung, die der Herausbildung einer aussagekräftigen Entscheidungspraxis vielfach entgegensteht.8 Das Fehlen einer aussagekräftigen Entscheidungspraxis ist nicht mit einer Untätigkeit der zuständigen Behörden und Gerichte zu erklären. Im Gegenteil haben sie die besonderen Herausforderungen erkannt und angenommen, die mit dem Eintritt in das digitale Zeitalter für ihre Verfolgungstätigkeit verbunden sind. Ihre intensive Befassung mit dem Thema belegt die stetig zunehmende Anzahl und Häufigkeit einschlägiger Pressemeldungen,9 Veröffentlichungen10 und sonstiger Aussagen11 sowie Verfahren,12 die spezifische Fragen der Digitalökonomie im kartellrechtlichen Kontext 7 S. aber BKartA, Hintergrundpapier Digitale Ökonomie, S. 27. 8 S. BKartA, Hintergrundpapier Digitale Ökonomie, S. 7. 9 Kommission, Meldung v. 2.2.2017, Commission opens three investigations into suspected anticompetitive practices in e-commerce; BKartA, Meldung v.  30.5.2018, Arbeitskreis Wettbewerbsökonomie diskutiert über Strommärkte, hochauflösende Datenanalyse und Plattformökonomie; BKartA, Meldung v. 29.5.2018, Lufthansa-Tickets nach Air Berlin Insolvenz um 25-30 Prozent teurer; BKartA, Meldung v. 1.2.2018, Bundeskartellamt startet Untersuchung der Marktverhältnisse bei Online-Werbung; BKartA, Meldung v. 25.1.2018, ASICS-Händler dürfen mit Preissuchmaschinen zusammenarbeiten; BKartA, Meldung v.  2.1.2018, Bundeskartellamt setzt sich seit 60 Jahren für den Wettbewerb ein; BKartA, Meldung v. 21.12.2017, Jahresrückblick 2017; BKartA, Meldung v. 19.12.2017, Vorläufige Einschätzung im Facebook-Verfahren; BKartA, Meldung v. 7.12.2017, Bundeskartellamt begrüßt geplante Einführung einer Zementhandelsplattform. 10 Kommission, Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel (im Folgenden: Abschlussbericht E-Commerce), COM(2017) 229 final; Staff Working ­Document E-Commerce, a.a.O. (Fn. 6); BKartA, Schriftenreihe Digitales: Online-Werbung (Februar 2018); BKartA, Schriftenreihe Digitales: Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis (November 2017); BKartA, Schriftenreihe Digitales: Big Data und Wettbewerb (Oktober 2017); Marktmacht von Plattformen und Netzwerken (Juni 2016); BKartA, Competition Law and Data (Mai 2016; gemeinsam mit der französischen Kartellbehörde); BKartA, Hintergrundpapier Digitale Ökonomie, a.a.O. (Fn. 5; jeweils abzurufen unter www.bundeskartellamt.de). 11 Laitenberger, „Vertical restraints, digital marketplaces, and enforcement tools“, Rede v. 22.3.2018 auf der ICN Annual Conference 2018; Mundt, JAE 2018, 1; Mundt in Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.), Wohlstand für Alle  – Geht’s noch?, S.  60; Mundt, CPI Antitrust Chronicle 2/2017, S. 1; Mundt, „Algorithmen können Kartelle bilden“, Interview geführt von Matheis, WiWo v. 14.7.2017, S. 24; Mundt, zitiert nach Busse, „Bundeskartellamt rügt Lufthansa“, SZ v. 28.12.2017; Mundt, Rede v. 17.11.2017 auf der fireu-Konferenz zum Thema „Digitale Märkte im Fadenkreuz des europäischen Kartellrechts“; Ritter, „Data, algorithms & EU competition law“, Präsentation v. 7.9.2017, Brussels Matters; Vestager, „Fair markets in a digital world“, Rede v. 9.3.2018; Vestager, „Algorithms and competition“, Rede v. 16.3.2017 auf der 18. Internationalen Kartellkonferenz (IKK) in Berlin. 12 EuGH v. 6.12.2017 – Rs. C-230/16, ECLI:EU:C:2017:941 – Coty; EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42 – Eturas; Kommission v. 27.6.2017 – Rs. AT.39740 – Google

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betreffen. Zuletzt kündigten das BKartA und die ADLC ein gemeinsames Projekt an, in dessen Rahmen sie die kartellrechtlichen Implikationen der Nutzung von Algorithmen untersuchen wollen,13 die Gegenstand dieses Beitrags sind. Sachverhalte mit digitalem Einschlag bieten die Gelegenheit, die konkrete Anwendung kartellrechtlicher Grundsätze zu aktualisieren und die bestehenden Durchsetzungsinstrumente an die veränderten Gegebenheiten der Digitalökonomie anzupassen. Dass dies nicht immer gelingt, wird im Folgenden zu zeigen sein. Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle prägte auch die 9. GWB-Novelle ganz wesentlich, die im Zeichen der Digitalisierung stand.14 Im Mittelpunkt standen jedoch insoweit die Vorschriften zur Missbrauchsund Fusionskontrolle. Der vorliegende Beitrag beleuchtet drei horizontale Aspekte des Online-Vertriebs, die ohne klassische Kontaktaufnahme unmittelbar zwischen Wettbewerbern zu kartellrechtlichen Risiken für die Beteiligten führen. Das betrifft eine mögliche Verständigung der Dritthändler untereinander über ihre bilateralen Kontakte zum Plattform­ anbieter (sog. Hub-and-Spoke-Konstellation). Eine solche horizontale Verständigung kann auch ohne Einschaltung des Plattformanbieters über öffentliche Preisankün­ digungen erfolgen (sog.  Signaling). Schließlich birgt der zunehmende Einsatz von Preisalgorithmen, die regelmäßig zum Leistungsspektrum des Plattformanbieters gehören (sog. Algorithmic Pricing), kartellrechtliche Risiken in sich. Diese Themengebiete weisen vielfache Verknüpfungen auf, die darzulegen sein werden.

II. Kartellrechtlicher Beurteilungsrahmen aus horizontaler Perspektive Die Verfolgung des Austauschs wettbewerblich relevanter Informationen sowie von wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen stützt sich in materieller Hinsicht auf das Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB). 1. Wettbewerbs- und Handelsvertreterverhältnisse im Plattformvertrieb Ein Austausch wettbewerblich relevanter Informationen zwischen Marktplätzen und Dritthändlern kann kartellrechtliche Bedenken aufwerfen, wenn zwischen diesen Marktteilnehmern ein Wettbewerbsverhältnis besteht.15 Ein Wettbewerbsverhältnis

Search (Shopping); Kommission v. 4.5.2017 – Rs. AT.40153 – Amazon; OLG Düsseldorf v. 4.12.2007 – VI-U (Kart) 5/17 – Expedia; OLG Düsseldorf v. 4.5.2016 – VI-Kart 1/16 (V) – Enge Bestpreisklausel; OLG Düsseldorf v. 9.1.2015  – VI-Kart 1/14 (V)  – Bestpreisklausel; BKartA v. 29.5.2018 – B9-175/17 – Luftverkehr; BKartA v. 27.3.2018 – B5-1/18-01 – Handel mit Stahlprodukten; BKartA v. 26.8.2015 – B2-98/11, BeckRS 2016, 9244, Rz. 14 ff. – ASICS. 13 BKartA, Meldung v. 19.6.2018, „Französische und deutsche Wettbewerbsbehörde starten ein gemeinsames Projekt zu Algorithmen und deren Auswirken auf den Wettbewerb“. 14 BT-Drucks. 10/10807, S. 1. 15 Kommission, Abschlussbericht E-Commerce, Rz. 56.

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liegt vor, wenn und soweit Plattformanbieter und Dritthändler als Eigenhändler auf den Einzelhandelsmärkten tätig sind (z.B. im integrierten Online-Vertrieb).16 a) Horizontale Handelskooperation zwischen Wettbewerbern Online-Handelsplattformen dienen der gemeinsamen integrierten Präsentation eines Gesamtsortiments unter einheitlicher Adresse und vereinfachter Navigation, kommen insofern dem Betrieb einer gemeinsamen Plattform nahe und werden daher als horizontale Handelskooperation eingestuft.17 Eine solche Handelskooperation über Online-Handelsplattformen gibt regelmäßig keinen Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken, weil sie trotz der Harmonisierung bestimmter Wettbewerbsparameter regelmäßig durch erhebliche Effizienzvorteile gerechtfertigt sein wird.18 Unzulässig sind im Rahmen einer solchen Kooperation vielmehr erst Verhaltensweisen, die über diese Wettbewerbsparamater hinausgehen und zur Erzielung geschilderter Effizienzvorteile nicht unerlässlich sind bzw. unangemessene Nachteile mit sich bringen (z.B. Preis­ paritätsklauseln).19 Die Beurteilung eines Austauschs wettbewerblich relevanter Informationen richtet sich maßgeblich nach der Beurteilung der Kooperation.20 Ein solcher Informationsaustausch ist daher zulässig, wenn und soweit er zur Umsetzung einer zulässigen Kooperation erforderlich ist.21 Diese Rechtslage impliziert für Betreiber und Nutzer integrierter Online-Plattformen die regelmäßige Prüfung der Frage, ob ihre Vereinbarungen und sonstigen Abstimmungen im Einzelfall nach Art und Ausmaß mit kartellrechtlichen Bestimmungen im Einklang stehen und der Austausch relevanter Informationen – bejahendenfalls – zu ihrer Umsetzung erforderlich und verhältnismäßig ist. Die Ausgestaltung der Plattform gibt dabei den Beurteilungsrahmen vor. Bei einer rein technischen Plattform mit direktem Vertrieb durch angebundene Partner werden sich z.B. viele Fragen praktisch nicht oder anders stellen als im indirekten Vertrieb der Partnerprodukte durch den konkurrierenden Plattformbetreiber. Preisbezogene Absprachen sind bei bestehendem Wettbewerbsverhältnis zwischen Betreiber und Nutzer einer Plattform nur zu rechtfertigen, wenn sie für die Integration anderer Marketingfunktionen erforderlich sind und durch diese Integration erhebliche Effizienzgewinne entstehen.22 Außerdem kann die Einbindung der Produkte von Dritthändlern kartellrechtliche Fragen aufwerfen. Zwar ist es durchaus möglich, dass Betreiber und Nutzer der Plattform jeweils eigenständige Sortimente führen, sodass sich die etwaigen Vorteile einer 16 S. Kommission, Abschlussbericht E-Commerce, Rz. 56; Staff Working Document E-Commerce, Rz. 651; BKartA v. 26.11.2013 – B6-46/12 – Amazon Marketplace (s. Fallbericht v. 9.12.2013, S. 2). 17 BKartA v. 26.11.2013 – B6-46/12 – Amazon Marketplace (s. Fallbericht v. 9.12.2013, S. 2). 18 Ibid. 19 Ibid. 20 Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand: 62. EL (Juli 2017), Art. 101 Rz. 718. 21 Rahlmeyer in FK Kartellrecht, Stand: 76. Lfg. (März 2012), Fallgruppen II.6. zu Art. 101 AEUV Rz. 48; vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Rz. 56. 22 Kommission, Horizontalleitlinien, Rz. 246. 

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höheren Produktvielfalt oder -verfügbarkeit als bloße Reflexe der Zusammenführung teilweise kongruenter bzw. inkongruenter Sortimente einstellen. Allerdings werden sich die Beteiligten regelmäßig fragen, ob sich Effizienzvorteile in zulässiger Weise auch durch eine Sortimentsregelung erreichen oder steigern lassen. Entsprechende Überlegungen müssen insbesondere das kartellrechtliche Verbot von Markt- und Kundenaufteilungen im Auge haben. Damit dürfte z.B. die Ablösung im Verkauf bestimmter Waren durch einen Dritthändler nach Ende des Lagerbestands des Plattformbetreibers zu jeweils eigenständig bestimmten Preisen zulässig sein, eine vorvertragliche Aufteilung der Bestellungen nach Lager- und Lieferort zu einem einheitlichen Preis dagegen nicht.23 b) Handelsvertreterverhältnis zwischen Nutzer und Betreiber In der Praxis ist stets zu prüfen, ob Plattformanbieter und Dritthändler nicht vielmehr in einem (echten) Handelsvertreterverhältnis stehen, in dem sich der Plattformanbieter für den Dritthändler als „unselbständiges Hilfsorgan“ darstellt, dem weitgehende Beschränkungen auferlegt werden können (sog.  Handelsvertreterprivileg).24 Diese Einschätzung erfolgt unter Berücksichtigung der Risikoverteilung im Einzelfall und ist gerade im integrierten Online-Vertrieb durch gewisse Unsicherheiten belastet. Eine vertiefte Darstellung kann im vorliegenden Zusammenhang jedoch dahinstehen.25 Das Kartellverbot findet nämlich auch im Rahmen echter Handelsvertreterverträge Anwendung, wenn sie kollusive Verhaltensweisen fördern, die gerade Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind (z.B. Hub-and-Spoke-Konstellationen).26 2. Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen Das Kartellverbot erfasst Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken und – im Falle des Art. 101 Abs. 1 AEUV – den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind. Vereinbarungen oder Beschlüsse in diesem Sinne liegen nur vor, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.27 Eine Willensübereinstimmung hinsichtlich des künftigen Marktverhaltens wird bei einem Informationsaustausch in der Praxis regelmäßig nicht vorliegen, sodass es bei der Beurteilung entsprechender Fallgestaltungen auf den Auffangtatbestand der abgestimmten Verhaltensweise ankom23 Anders dagegen die nachträgliche Abwicklung in integrierten Logistiksystemen; s. Kommission, Horizontalleitlinien, Rz. 247. 24 Dazu Schroeder in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 5 m.w.N. 25 S. die Darstellungen in Kirchhoff in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 11 Rz. 4 ff.; Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Stand: 67. Lfg. (Januar 2009), Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG Rz. 72 ff.; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 3. Aufl. 2011, Rz. 271 ff. 26 Kommission, Vertikalleitlinien, Rz. 20. 27 EuGH v. 15.7.1970  – Rs. C-45/69, Slg. 1970, 769, Rz.  28  – Chinin-Boehringer; BGH v. 14.8.2008 – KVR 54/07, Rz. 26 – Lottoblock I; Schroeder, WuW 2009, 718.

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men wird,28 der eine Einigung oder Verpflichtung zu einem bestimmten Marktverhalten gerade nicht voraussetzt.29 a) Selbständigkeitspostulat und Verhaltensabstimmung Ausgangspunkt der kartellrechtlichen Beurteilung abgestimmter Verhaltensweisen ist das Selbständigkeitspostulat, wonach Marktteilnehmer ihr Marktverhalten selbständig zu bestimmen haben.30 Den Marktteilnehmern bleibt es zwar unbenommen, sich dem festgestellten oder erwarteten Wettbewerberverhalten „mit wachem Sinn“ anzupassen (sog.  bewusstes Parallelverhalten).31 Das Selbständigkeitspostulat steht aber jedem „Zusammenwirken“ im Sinne einer „unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen“ entgegen, die eine Beeinflussung des Marktverhaltens aktueller oder potenzieller Wettbewerber oder die Mitteilung eigener Pläne und Absichten an Wettbewerber bezweckt oder bewirkt.32 Eine abgestimmte Verhaltensweise stellt sich auf dieser Grundlage als eine Koordinierungsform zwischen Unternehmen dar, die zwar nicht zu einer Vereinbarung gediehen ist, den risikobehafteten Wettbewerb jedoch „bewusst“ durch eine praktische Zusammenarbeit ersetzt.33 Anstatt einer förmlichen Einigung oder Verpflichtung zu einem bestimmten Marktverhalten genügt es daher, dass zumindest ein Wettbewerber die „strategische Ungewissheit“ über das von ihm zu erwartende Verhalten beseitigt oder zumindest erheblich verringert.34 Dabei ist die Wahl des Mediums unerheblich, sodass eine Abstimmung z.B. über elektronische Kommunikationsmittel stattfinden kann.35 Distanziert sich ein Wettbewerber nicht offen von einer Erklärung mit wettbewerbswidrigem Inhalt oder erstattet er nicht Anzeige bei den Behörden, liegt nach der Entscheidungspraxis eine passive Beteiligung an der Zuwiderhandlung vor.36

28 Schroeder, WuW 2009, 718. 29 EuG v. 5.4.2006  – Rs. T-279/02, Slg. 2006, II-897, Rz.  133  – Degussa; Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 34 – Container Shipping. 30 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 116 – Anic. 31 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 27 – Eturas; EuGH v. 16.12.1975 – verb. Rs. C-40/73 et al., Slg. 1975, 1663, Rz. 174 – Suiker Unie; EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, Rz. 115/119 – ICI; BGH v. 22.3.1994 – KVR 23/93, WuW/E BGH 2923, 2925 – Mustermietverträge; Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 101. 32 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 27 – Eturas; EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, Slg. 2009, I-4529, Rz. 33 – T-Mobile Netherlands; EuGH v. 16.12.1975 – verb. Rs. C-40/73 et al., Slg. 1975, 1663, Rz. 174 – Suiker Unie; EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, Rz. 115/119 – ICI; Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz.  33  – Container Shipping; BGH v. 22.3.1994  – KVR 23/93, WuW/E BGH 2923, 2925 – Mustermietverträge. 33 EuGH v. 16.12.1975 – verb. Rs. C-40/73 et al., Slg. 1975, 1963, Rz. 26 – Suiker Unie; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 115 – Anic. 34 EuG v. 5.4.2006 – Rs. T-279/02, Slg. 2006, II-897, Rz. 133 m.w.N. – Degussa. 35 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 28 f. – Eturas. 36 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 28 – Eturas; EuGH v. 22.10.2015 – Rs.  C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717, Rz.  31  – AC-Treuhand II (jeweils m.w.N.); OLG

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b) Abgestimmte Verhaltensweise und Kausalität Als zweigliedriger Tatbestand setzt die abgestimmte Verhaltensweise über die Ver­ haltensabstimmung hinaus ein kausal auf dieser Abstimmung beruhendes Markt­ verhalten voraus,37 das nicht notwendigerweise gleichförmig sein muss.38 Die Unionsgerichte haben eine (widerlegliche) Vermutung entwickelt, wonach ein an der Abstimmung beteiligtes und weiterhin auf dem Markt tätiges Unternehmen bei der Bestimmung seines Marktverhaltens solche Informationen berücksichtigt, die es mit seinen Wettbewerbern ausgetauscht hat (sog. widerlegliche Kausalitätsvermutung).39 Bei dieser Kausalitätsvermutung handelt es sich nach Ansicht der Unionsgerichte um einen Bestandteil des materiellen Primärrechts und nicht um eine Verfahrensregel, deren Anwendung den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie freistünde.40 Der BGH hat die Kausalitätsvermutung auf den Anwendungsbereich des § 1 GWB erstreckt.41 Schließlich müssen wettbewerbswidrige Wirkungen zur Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung nach herkömmlicher Dogmatik nicht nachgewiesen werden, wenn sich eine Koordinierungsform ihrer Natur nach zur Beschränkung des Wettbewerbs eignet (sog. bezweckte Wettbewerbsbeschränkung).42 Ein Austausch über Preisinformationen erfüllt den Verbotstatbestand daher gegebenenfalls unabhängig von etwaigen Auswirkungen auf den Wettbewerb.

III. Abstimmung über Dritte (sog. Hub-and-Spoke-Konstellation) Bei der Nutzung von Online-Marktplätzen stellt sich die Frage einer mittelbaren Abstimmung der Einzelhändler über den Marktplatzbetreiber (sog. Hub-and-Spoke-­ Konstellation). Solche Konstellationen sind dadurch gekennzeichnet, dass die finale Abstimmung im Horizontalverhältnis nicht unmittelbar zwischen den Wettbewerbern, sondern vielmehr durch ein „Bündel“ bilateraler Absprachen und Abstimmun-

­ üsseldorf v. 29.10.2012 – V-1 Kart 1 – 6/12 (OWi), WuW/E DE-R 3889 – SilostellgebühD ren I. 37 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, Slg. 2009, I-4529, Rz. 51 – T-Mobile Netherlands; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 118 – Anic; Schroeder, WuW 2009, 718. 38 BKartA, TB 1961, BT-Drucks. IV/378, S. 61; Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Stand: 67. Lfg. (Januar 2009), Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG Rz. 199. 39 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, Slg. 2009, I-4529, Rz. 51 – T-Mobile Netherlands; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 121 – Anic; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. 199/92 P, Slg. 1999, I-1427, Rz. 161 – Hüls; Kommission v. 26.10.2004 – Rs. COMP/38.338, Rz. 255 – Hartkurzwaren. 40 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, Slg. 2009, I-4529, Rz. 53 – T-Mobile Netherlands; zu Recht krit. zur Übertragbarkeit dieser Kausalitätsvermutung in das nationale Recht Dannecker/ Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 81 GWB Rz. 59; zur Übertragung täternachteiliger Vermutungsregelungen im Allgemeinen: BT-Drucks. 15/3640, S. 44; Klusmann in FS Canenbley, S. 291, 297 f.; Klusmann, ZGR 2016, 252, 264 (jeweils m.w.N.). 41 BGHv. 12.4.2016 − KZR 31/14, NZKart 2016, 371, Rz. 44, 51 – Gemeinschaftsprogramme. 42 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 122 f. – Anic.

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gen mit einem identischen Dritten erfolgt.43 Im Regelfall werden diese bilateralen Absprachen und Abstimmungen zwischen Wettbewerbern und Drittem unzweifelhaft feststehen.44 In diesem Fall stellt sich aus kartellrechtlicher Sicht vielmehr die Frage, ob aus der bildlichen Verbindung der „Radnabe“ (d.h. dem vermeintlichen Vermittler) zu ihren „Speichen“ (d.h. den bilateralen Verhältnissen zu den Wettbewerbern) auf eine diese Wettbewerber unmittelbar verbindende „Felge“ geschlossen werden kann.45 1. Hub-and-Spoke-Konstellationen in der klassischen Entscheidungspraxis Diese Frage ist in klassischen Konstellationen – z.B. im analogen Vertrieb oder im Verband – mit unterschiedlicher Begründungsdichte bejaht worden.46 In diesen Fällen stehen die gebündelten Absprachen und Abstimmungen mit dem Dritten jedoch stets auf einer unmittelbar horizontalen Grundlage.47 Eine „horizontale Abstimmung“ zur Einschaltung des Dritten ist im deutschen Kartellrecht explizite Voraussetzung für eine rechtswidrige Abstimmung über Dritte.48 Sie muss zwar nicht in einem „besonderen Horizontalvertrag“ bestehen, aber jedenfalls aus der Regelung des „Nebeneinanders der mehreren Unternehmen“ in den bilateralen Vereinbarungen mit dem Dritten resultieren, die sich „gegenseitig bedingen“ und nicht eingegangen wer-

43 OGH v. 8.10.2015 − 16 Ok 2/15 b (16 Ok 8/15 k), NZKart 2016, 92, 95 – Kartellstrafe für Spar; BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E DE-R 1087, 1089 – Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge; Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13.  Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 105; Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 82; Röhling/Haus, KSzW 2011, 32, 35 f.; K. Schmidt, Kartellverbot, S. 136 („Kartellsurrogat“). 44 Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686; Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 82. 45 Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686. 46 EuGH v. 3.7.1995 – Rs. C-243/83, Slg. 1985, 2015, Rz. 11–18 – Binon; BGH v. 11.5.2004 – KZR 37/02, WuW/E DE-R 1267, 1268 – Nachbaugebühr (im Einzelfall verneint); BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E DE-R 1087, 1089 – Ausrüstungsgegenstände für Feuer­ löschzügeI; BGH v. 19.6.1975 – KVR 2/74, WuW/E DE-R 1367, 1369 – Zementverkaufsstelle Niedersachsen; KG v. 24.10.1979 – Kart 24/78, WuW/E OLG 2259, 2262 – Siegerländer Transportbeton; KG v. 5.1.1977 –Kart. 19/76, WuW/E OLG 1863, 1865 – Gema; OLG Stuttgart v. 20.2.1970 – 2 U (Kart) 66/89, WuW/E OLG 1083, 1086 f. – Fahrschulverkauf; BKartA v. 24.6.1993 – B10-763400-A-8293, WuW/E BKartA 2561, 2567 – Entsorgung von Transportverpackungen; TB 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 57; TB 1965, BT-Drucks. V/530, S. 25; TB 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 25, 66. 47 EuGH v. 3.7.1995 – Rs. C-243/83, Slg. 1985, 2015, Rz. 16 f. – Binon; BGH v. 19.6.1975 – KVR 2/74, WuW/E DE-R 1367, 1369 – Zementverkaufsstelle Niedersachsen; OLG Düsseldorf v. 12.6.1990 – U (Kart.) 10/90,WuW/E OLG 4691, 4692 – Sternvertrag. 48 OLG Düsseldorf v. 12.6.1990 – U (Kart.) 10/90,WuW/E OLG 4691, 4692 m.w.N. – Sternvertrag; Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686; Immenga in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 1 Rz. 173; K. Schmidt, Kartellverbot und „sonstige Wettbewerbsbeschränkungen“, S. 135 f.; offengelassen in BGH v. 11.5.2004 – KZR 37/02, WuW/E DE-R 1267, 1268 – Nachbaugebühr.

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den können, ohne der horizontal wirkenden Abstimmung zuzustimmen.49 Zudem liegt stets ein „Bewusstsein“ der horizontalen Abstimmung bis hin zu einer entsprechenden „Absicht“ vor.50 Die klassische Entscheidungspraxis erfasst daher jedenfalls vorrangig solche Fälle, in denen nachgewiesen werden kann, dass Wettbewerber sich eigeninitiativ, bewusst und untereinander abgestimmt eines identischen Dritten zur Übermittlung tatbestandsrelevanter Inhalte bedienen.51 2. Hub-and-Spoke-Konstellationen im digitalen Kontext Im Plattformvertrieb werden Sachverhalte in aller Regel wesentlich anders gelagert sein. Händler entscheiden sich nicht für die Nutzung eines Online-Marktplatzes, um eine wechselseitige Abstimmung über den Plattformbetreiber zu erreichen. Vielmehr möchten sie von der sachlich und räumlich erhöhten Reichweite ihres Angebots und der besseren Auffindbarkeit ihrer Produkte profitieren, die zu einer effizienteren und preissenkenden Warenverteilung führen sollen.52 Die Durchsetzungspraxis zu Hub-­ and-Spoke-Konstellationen verlagert sich aber derzeit in einer für Betreiber und Nutzer von Online-Plattformen relevanten Weise. Während die klassische Entscheidungspraxis die Regelung horizontaler Verhältnisse durch  – aktive  – Einschaltung eines Dritten durch Wettbewerber zum Gegenstand hatten (sog.  klassische Hub-and-Spoke-Konstellation), steht aktuell vielmehr die Initiative des Dritten zur Einführung tatbestandsrelevanter Inhalte in seine bilateralen Verhältnisse, die jedenfalls aus horizontaler Perspektive zunächst kartellrechtsneutral, oft sogar wettbewerbsfördernd sind (sog. invertierte Hub-and-Spoke-Konstellation). Dem stehen keine grundsätzlichen Bedenken entgegen, wenn und soweit festgestellt werden kann, dass die Wettbewerber sich einer solchen Regelung ihrer horizontalen Verhältnisse bewusst sind und durch wechselseitige Verständigung – reaktiv – mit ihr einverstanden erklären. Eine kritische Entwicklung nimmt die Entscheidungspraxis dagegen, wenn eine horizontale Verständigung über – passive – Verhaltensweisen konstruiert werden soll, die erst über die mehrfache Heranziehung generischer Vermutungsregelungen zu einer horizontalen Verständigung verbunden werden. a) Entscheidung des EuGH in Sachen „Eturas“ Ein solches Vorgehen wählte der EuGH kürzlich in seiner Vorabentscheidung in Sachen „Eturas“.53 Der Vorlageentscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Ad49 BGH v. 19.6.1975 – KVR 2/74, WuW/E DE-R 1367, 1369 – Zementverkaufsstelle Niedersachsen; OLG Düsseldorf v. 12.6.1990 – U (Kart.) 10/90,WuW/E OLG 4691, 4692 m.w.N. – Sternvertrag; BKartA, TB 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 57 („zweckbedingter untrennbarer Zusammenhang“); Biedenkopf, BB 1966, 1113, 1117. 50 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E DE-R 1087, 1089 – Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge. 51 S.  BGH v. 11.5.2004  – KZR 37/02, WuW/E DE-R 1267, 1268  – Nachbaugebühr; BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E DE-R 1087, 1089 – Ausrüstungsgegenstände für Feuer­ löschzüge. 52 BKartA v. 26.8.2015 – B2-98/11, BeckRS 2016, 9244, Rz. 14 ff. – ASICS. 53 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42 – Eturas.

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ministrator eines Online-Reisebuchungssystems, welches das Anbieten von Reisen auf dem Internetauftritt von Reisebüros in einheitlicher Buchungsform ermöglicht, diesen Reisebüros über den internen Mitteilungsdienst dieses Systems eine Mitteilung des Inhalts sendet, dass fortan eine grundsätzliche Rabattobergrenze bei Buchungen über dieses System gelten werde, die im Anschluss an diese Mitteilung technisch umgesetzt wird.54 Eine Kenntnisnahme der Mitteilung durch die Reisebüros war nicht nachzuweisen.55 Darüber hilft sich der EuGH jedoch mit der Anwendung einer widerleglichen Vermutung hinweg, wonach die Reisebüros den Inhalt der Mitteilung ab dem Zeitpunkt ihres Versands kannten.56 Auf dieser Grundlage gelangt der EuGH über eine – angesichts ihres Schweigens ebenfalls vermutete – Billigungserklärung der Wettbewerber zu einer Abstimmung, die – unter Heranziehung einer dritten Vermutung – die kausale Grundlage ihres Marktverhaltens gebildet habe.57 Eine solche Konstruktion ist mit den Grundsätzen zur Abstimmung über Dritte nicht zu vereinbaren. Der EuGH verwechselt die Fragen der „Horizontalität“ eines Bündels bilateraler Vereinbarungen mit einem identischen Dritten (sog. Hub-and-Spoke-Konstellation) und einer  – klassischerweise vertikalen  – „Wettbewerbsbeschränkung“ durch ein Bündel bilateraler Vereinbarungen mit einer Vielzahl beliebiger Dritter (sog. Bündeltheorie).58 Zwar haben beide Fragen zum Ausgangspunkt, dass sie formal nicht unmittelbar intendierte Folgen bilateraler Regelungen in die kartellrechtliche Betrachtung einbeziehen. Auch ist die Eignung einer technischen Rabattobergrenze zu einer „Wettbewerbsbeschränkung“ plausibel. Allerdings ist eine solche Eignung für die Beantwortung der Frage nicht zielführend, ob insoweit auch eine „horizontale“ Verständigung über einen Dritten stattgefunden hat. Die Einführung der technischen Rabattbeschränkung durch den Dritten reicht hierzu explizit nicht aus.59 Ebenso wenig kann die bloße Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nach technischen Änderungen eine solche Abstimmung begründen.60 Die horizontale Komponente umschreibt der EuGH in ständiger Rechtsprechung mit jeder „unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme“, welche den „bewussten“ Austausch des risikobehafteten Wettbewerbs mit einer „praktischen Zusammenarbeit“ zum Gegenstand hat. Eine solche Fühlungnahme lässt sich hier nicht begründen. Zwar hat der EuGH passive Formen der Beteiligung an einer Verhaltensabstimmung als tatbestandsrelevant angesehen. Allerdings beruht diese Tatbestandsrelevanz auf einer „stillschweigend“ zum Ausdruck kommenden „Billigung der rechtswidrigen Ini­tiative“.61 Nach der Typik abgestimmter Verhaltensweisen wird der Erklärende in 54 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 26 – Eturas. 55 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 10, 19, 22 – Eturas. 56 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 40 – Eturas. 57 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 42, 44 – Eturas. 58 S. Kling/Thomas, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 5 Rz. 137. 59 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 44 – Eturas. 60 S.  Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 107. 61 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 28 – Eturas; EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717, Rz. 31 – AC-Treuhand II.

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seinem rechtswidrigen Vorhaben bestätigt, wenn er dieses Vorhaben – z.B. im Rahmen einer Sitzung mit wettbewerbswidrigem Inhalt – unmittelbar gegenüber seinen Wettbewerbern erklärt oder verwirklicht und diese ihm nicht widersprechen, obwohl ein Widerspruch bei Missbilligung seiner Initiative zu erwarten wäre. Nach allgemeinen Erfahrungssätzen wird dann die unmittelbar zwischen den Anwesenden erreichte Abstimmung bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigt. Die Konstellation einer Abstimmung über Dritte entzieht sich dieser Typik. In klassischen Dreiecksverhältnissen gibt der Erklärende eine Erklärung gegenüber einem marktfremden Dritten – z.B. im Rahmen ständiger Geschäftsbeziehungen oder Verhandlungen – ab, von der er weder sicher sein kann noch möglicherweise will oder sich dessen bewusst ist, dass sie an einen Wettbewerber weitergeleitet werde.62 Auf der anderen Seite gibt wiederum ein marktfremder Dritter gegenüber einem Wettbewerber eine Erklärung ab, der weder von der Richtigkeit der Information ausgehen kann noch den Urheber kennen oder sich der Personenverschiedenheit von Urheber und Drittem überhaupt bewusst ist.63 Es kann weder davon ausgegangen werden, dass die „strategische Ungewissheit“ für den Erklärenden durch die Abgabe seiner Erklärung gegenüber dem Dritten in irgendeiner Weise tangiert wird, noch dass der Empfänger die Erklärung des Dritten ernstnehmen, billigen, geschweige denn seinem Marktverhalten zugrunde legen wird.64 Schließlich ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Billigung der Erklärung gegenüber diesem Dritten ohne Hinzutreten weiterer Umstände zu einer „wechselseitigen Abstimmung“ mit dem zumindest insoweit ignoranten Urheber führen soll.65 Solche konstruktiven Unebenheiten entstehen erst recht in invertierten Hub-and-Spoke-Konstellationen, bei denen der Urheber der relevanten Information der Dritte selbst ist, während die Wettbewerber ohne jegliche Interaktion allesamt auf Empfängerseite stehen. Diese konstruktiven Unebenheiten beruhen auf einer unbesehenen Übertragung allgemeiner Judikate auf Hub-and-Spoke-Konstellationen. Eine abgestimmte Verhaltensweise ist eine Form bewusster und gewollter Koordinierung zwischen mindestens zwei Unternehmen.66 Eine Erklärung ist dagegen zunächst ein einseitiger Tatbestand, der nicht unter das Kartellverbot fällt.67 Erst ihre Einbindung in einen wechselseitigen Kommunikationsvorgang kann zu einer horizontalen Koordinierung führen.68 Die Einbeziehung passiver Beteiligungsformen lässt diesen Befund unberührt. Die notwendige Erklärung des Empfängers entfällt bei passiver Teilnahme nicht, sondern 62 Stöcker, WuW 2012, 935, 937. 63 Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686, 689. 64 Dazu Stöcker, WuW 2012, 935, 937 f. 65 S. aber EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 47 f. – Eturas. 66 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 115 – Anic; EuGH v. 16.12.1975 – verb. Rs. C-40/73 et al., Slg. 1975, 1963, Rz. 26 – Suiker Unie; Stöcker, WuW 2012, 935, 936 m.w.N. 67 Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 106 f.; Stöcker, WuW 2012, 935, 938 (jeweils m.w.N.). 68 Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 107; Schroeder, WuW 2009, 718, 720 f.; Stöcker, WuW 2012, 935, 938.

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liegt in seiner stillschweigenden Billigungserklärung. Diese Erklärung ist gegenüber dem erklärenden Wettbewerber abzugeben, damit eine wechselseitige Verständigung zustande kommen kann.69 Das gilt in Hub-and-Spoke-Konstellationen gleicher­ maßen.70 Zwar wird die maßgebliche Kommunikation zwischen den Wettbewerbern erst durch einen Dritten vermittelt, jedoch nicht – auch nicht teilweise – durch die Kommunikation mit dem Dritten ersetzt. Diese Kommunikation entbehrt jeder horizontalen Relevanz, solange sie die einzelnen Kommunikationsvorgänge mit den Wettbewerbern nicht zu einem ununterbrochenen Informationsfluss zwischen den Wettbewerbern verbindet. b) Folgen für die Unternehmenspraxis Betreiber und Nutzer von Online-Marktplätzen werden diesem Abstimmungsrisiko Rechnung tragen müssen.71 Betreiber werden beim Versand interner Mitteilungen oder der sonstigen Kommunikation mit ihren Nutzern darauf zu achten haben, dass weder tatbestandsrelevante Inhalte zum Kommunikationsgegenstand gemacht werden noch der Eindruck einer solchen Kommunikation durch zweideutige Formu­ lierungen entsteht. Auch für neutrale Plattformbetreiber ohne Eigengeschäft ist mit solchen Mitteilungen ein unmittelbares Bußgeldrisiko verbunden.72 Nutzer werden gegebenenfalls vorhandene Kommunikationssysteme regelmäßig überprüfen und bei Bedarf reagieren müssen.73 Insoweit soll aber der Widerspruch gegenüber dem Dritten ausreichen, ohne dass ein Widerspruch gegenüber den Wettbewerbern zwingend erforderlich sei.74 Das ist aus praktischer Sicht zwar gerade im Rahmen invertierter Hub-and-Spoke-Konstellationen zu begrüßen, offenbart aber zugleich die konstruktiven Schwächen des Haftungskonzepts. Denn die Distanzierung von einer mög­ lichen Verständigung mit Wettbewerbern beurteilt sich naturgemäß nach deren Empfängerhorizont.75 Außerdem können sich Unternehmen in Hub-and-Spoke-Konstellationen  – anders als bei unmittelbarer Kommunikation zwischen Wettbewerbern76 – damit verteidigen, dass sie die Abstimmungsergebnisse bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens nicht umgesetzt hätten.77

69 Stöcker, WuW 2012, 935, 939 m.w.N. 70 S. Odudu, ECJ 2011, 205, 232; Stöcker, WuW 2012, 935, 936 f. 71 Eufinger, GWR 2016, 307, 309. 72 S. EuGH v. 22.10.2015 – Rs. C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717 – AC-Treuhand II; Kommission v. 10.12.2003 – Rs. COMP/E-2/37.857, C(2003)4570, Rz. 332–340 – Organische Per­ oxide. 73 Eufinger, GWR 2016, 307, 309. 74 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 47 f. – Eturas. 75 EuGH v. 20.1.2016 – Rs. C-373/14 P, Rz. 62 m.w.N. – Toshiba; OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V - 4 Kart 6/15 (OWi), juris, Rz. 1014 – Süßwaren. 76 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 95 ff. – Anic. 77 EuGH v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 49 – Eturas.

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3. Hub-and-Spoke-Konstellationen im integrierten Plattformvertrieb Im integrierten Online-Vertrieb steht der Plattformbetreiber im direkten Wettbewerb zu sonstigen Plattformnutzern. Dieses Wettbewerbsverhältnis stellt die Geltung der vorstehenden Ausführungen nicht grundsätzlich in Frage. Auch ein Wettbewerber kann ein Kartell zwischen nicht im unmittelbaren Dialog stehenden Wettbewerbern vermitteln, mag darin auch eine atypische Situation gesehen werden.78 Allerdings besteht insoweit das Risiko einer Überlagerung des Konzepts einer Haftung in Hub-and-Spoke-Konstellationen. Kommission und Unionsgerichte haben sich nämlich in vergleichbaren Situationen teilweise des „bequemeren“ Konzepts der fortgesetzten und einheitlichen Zuwiderhandlung bedient, die nach ihrer Entscheidungspraxis den Nachweis einer über die Verbindung zur „Radnabe“ hinausgehenden Abstimmung zwischen den unverbundenen Wettbewerbern (der „Felge“) wohl nicht zwingend voraussetzt. Der EuGH stellte z.B. im „Bananen“-Kartellverfahren das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fest, die aus zwei bilateralen Absprachen mit jeweils einem identischen Wettbewerber bestand, ohne dass es bei den anderen Wettbewerbern auf die Kenntnis des Bestehens einer zweiten bilateralen Absprache angekommen wäre.79 Zuverlässige Aussagen zu einer solchen Überlagerung sind jedoch nicht möglich, da die Rechtsprechung zum Konzept der fortgesetzten Zuwiderhandlung erhebliche Unstimmigkeiten aufweist.80 In ihrer „Perindopril“-Entscheidung hat die Kommission z.B. einen separaten Kartellverstoß pro bilaterale Absprache gesehen, die jeweils mit einem identischen Unternehmen und dem gleichen Ziel abgeschlossen worden war.81 Plattformnutzer sollten ihr Vorgehen bei Erhalt kartellrechtswidriger Inhalte durch den Plattformbetreiber vorzugsweise auf der Grundlage der strikteren Grundsätze zur Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung orientieren und sich z.B. nicht auf den späteren Nachweis eines abweichenden Marktver­ haltens ohne offene Distanzierung verlassen, der in einer klassischen Hub-and-­ Spoke-Konstellation möglich wäre.

IV. Öffentliche Preisankündigungen (sog. Signaling) Eine weitere Konstellation möglicher horizontaler Abstimmung ohne unmittelbare Kontaktaufnahme zwischen Wettbewerbern stellen öffentliche Preisankündigungen dar (sog. Signaling). Bei öffentlichen Preisankündigungen handelt es sich ebenfalls um ein kartellrechtliches Themenfeld, das nicht grundsätzlich neu ist und insoweit auch bereits zu einer relativ überschaubaren Entscheidungspraxis geführt hat, in den 78 S. den Fall „Uber“: U.S. District Court of the Southern District of New York, Case 15 Civ. 9796 – Meyer/Kalanick [2016]. 79 S. EuGH v. 24.6.2015 – verb. Rs. C-293/13 P et al., ECLI:EU:C:2015:416, Rz. 21, 160 – Fresh Del Monte. 80 Zur einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung s. Klusmann (in dieser Festschrift), S. 387. 81 Kommission v. 9.7.2014 – Rs. AT.39612, C(2014) 4955 final – Perindopril (Servier).

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letzten Jahren jedoch durch die Digitalisierung und beinahe unermessliche Zunahme online veröffentlichter Informationen erheblichen Aufwind bekommen hat.82 Häufig besteht ein sachliches Bedürfnis dafür, eine mehr oder weniger eng umgrenzte Öffentlichkeit über eine Preiserhöhung oder Konditionenänderung zu informieren.83 Ein Informationsbedürfnis kann z.B. für die Marktgegenseite bestehen, um eine bestimmte Ware oder Dienstleistung zum bevorzugten Preis zu beziehen.84 Eine frühe Vermittlung der Änderung von Preisen oder Konditionen kann außerdem durch die Einbeziehung der Marktgegenseite und/oder betreffender Interessengruppen unerwünschte Gegenreaktionen nach Grund oder Intensität vermeiden.85 Bei Online-Handelsplattformen (B2C) wäre insoweit z.B. an die Einführung oder Erhöhung der Kosten für den Versand und Rückversand zu denken (z.B. im Buch- oder Textil­ einzelhandel), bei denen der Status quo oft eine zentrale Rolle bei der Kunden­bindung spielt. Schließlich kann das Kapitalmarktrecht Veröffentlichungspflichten festlegen, die wettbewerblich relevante Informationen erfassen können.86 Solche Informationsinteressen darf die Kartellrechtsanwendung nicht systematisch übergehen.87 1. Öffentliche Preisankündigungen in der klassischen Entscheidungspraxis Die Beurteilung öffentlicher Preisankündigungen folgt den geschilderten Grundsätzen zu abgestimmten Verhaltensweisen. Daher führen weder die einseitige Ankündigung oder Umsetzung einer Preiserhöhung durch das ankündigende Unternehmen noch ein Nachziehen durch seine Wettbewerber zu einer tatbestandsrelevanten Abstimmung, wenn diesen Verhaltensweisen nicht eine wechselseitige Verständigung zugrunde liegt.88 Das gilt auch, wenn das ankündigende Unternehmen die Weitergabe der Information an oder ein Nachziehen durch seine Wettbewerber nicht ausschließen kann.89 Umgekehrt ist eine Beobachtung des Marktes und Sammlung öffentlich verfügbarer Informationen zulässig.90 Zur Annahme einer abgestimmten Verhaltensweise müssen vielmehr besondere Umstände vorliegen, auf deren Grundlage sich die 82 Fiedler/Frey, CPI Antitrust Chronicle 6/2016, 14. 83 S. EuGH v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85, Slg. 1993, I-1307, Rz. 77 f., 126 – Ahlström. 84 Kommission, Horizontalleitlinien, Fn. 4 zu Rz. 74; Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 113. 85 S.  OECD, Unilateral Disclosure of Information with Anticompetitive Effects, DAF/ COMP(2012)17, S. 228. 86 Schröter/Voet van Vormizeele in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 63; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 1 Rz. 36a. 87 Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Grundfragen zu Art. 81 Abs. 1 EG Rz. 205. 88 Füller in KölnKomm. zum Kartellrecht, 2016, Art. 101 AEUV Rz. 154; Krauß in Langen/ Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 113. 89 Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 121; Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 113; Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Grundfragen zu Art. 81 Abs. 1 EGV Rz. 205. 90 Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 AEUV Rz. 237.

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scheinbar einseitigen Ankündigungen zu einer abgestimmten Verhaltensweise zusammenfügen.91 Solche besonderen Umstände hat der EuGH im „Farbstoff “-Kartell angenommen, in dem Wettbewerber ihre Preiserhöhungsabsicht vor einheitlichen Preiserhöhungen teilweise öffentlich angekündigt hatten.92 Der EuGH urteilte, die – unverbindliche – Ankündigung einer Preiserhöhungsabsicht habe den Wettbewerbern die Gelegenheit gegeben, ihre wechselseitigen Reaktionen zu beobachten und sich diesen Reaktionen anzupassen.93 Dadurch hätten die Wettbewerber jede strategische Ungewissheit über ihr zukünftiges Marktverhalten beseitigt und durch eine künstliche Transparenz und verbotswidrige Zusammenarbeit ersetzt.94 Dagegen erklärte der EuGH die Entscheidung der Kommission im späteren „Zellstoff “-Verfahren für weitgehend nichtig, der ein nach Ansicht der Kommission unzulässiges System vierteljährlicher Ankündigungen zugrunde lag, in dessen Rahmen die Hersteller ihren Abnehmern und Agenten einige Wochen oder Tage vor Quartalsbeginn ihre Preisvorstellungen mitteilten und in der Fachpresse veröffentlichten.95 Die tatsächlichen Verkaufspreise stimmten entweder mit diesen angekündigten Preisen überein oder wichen nach individueller Preisverhandlung nach unten ab, sodass die angekündigten Preise faktisch als  – verbindliche  – Höchstpreise fungierten.96 Der EuGH sprach den streitgegenständlichen Preisankündigungen die Eignung ab, die Ungewissheit über das Wettbewerberverhalten zu beseitigen, da das ankündigende Unternehmen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ankündigung des verbindlichen Höchstpreises keine Gewissheit über das Wettbewerberverhalten habe.97 Vielmehr sei das System vorangekündigter Höchstpreise eine vernünftige Reaktion auf die Marktgegebenheiten und eine Abstimmung nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ohnehin gegebenen Markttransparenz nicht die einzige plausible Erklärung für ein Parallelverhalten gewesen.98 In der Folgezeit fanden öffentliche Ankündigungen in der Entscheidungspraxis nur noch vereinzelt Berücksichtigung.99 2. Öffentliche Preisankündigungen nach „Container Shipping“ Die Diskussion um das Konzept einer Abstimmung durch öffentliche Ankündigungen sollte erst in der jüngeren Vergangenheit neu entfachen. Den Anstoß hierzu gab das Kommissionsverfahren in Sachen „Container Shipping“, das am 7.7.2016 mit ei91 Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 117; Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 8. Aufl. 2014, Rz. 827. 92 S. EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, 651 – ICI. 93 EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, Rz. 99/103 – ICI. 94 EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, Rz. 115/119 – ICI; insoweit übereinstimmend Kommission, Horizontalleitlinien, Rz. 63. 95 EuGH v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85, Slg. 1993, I-1307, Rz. 14 – Ahlström. 96 EuGH v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85, Slg. 1993, I-1307, Rz. 15, 64, 77 – Ahlström. 97 EuGH v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85, Slg. 1993, I-1307, Rz. 64 – Ahlström. 98 EuGH v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85, Slg. 1993, I-1307, Rz. 126 – Ahlström. 99 S. EuG v. 12.7.2001 – verb. Rs. T-202/98 et al., Slg. 2001, II-2035, Rz. 59 f. – Tate & Lyle.

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ner Verpflichtungsentscheidung abgeschlossen wurde.100 Bestimmte Reedereien hatten regelmäßig geplante Erhöhungen ihrer Frachtraten pro Einheit, das Datum ihres Inkrafttretens und die betroffenen Routen auf ihrer Internetseite, über die Presse und in sonstiger Weise veröffentlicht.101 Die geplanten Frachtratenerhöhungen wurden im Voraus in Preiserhöhungsrunden angekündigt, die in einem Zeitraum von mehreren Wochen vor der geplanten Ratenerhöhung von der Ankündigung eines Unternehmens angestoßen wurden, der sich einige oder alle anderen Reedereien anschlossen.102 Die tatsächlichen Ratenerhöhungen wurden im Anschluss an die Ankündigungen teilweise verschoben oder angepasst.103 Die Kommission äußerte nach vorläufiger Beurteilung kartellrechtliche Bedenken hinsichtlich der Nützlichkeit der Informationen für die Kunden als eigentliche Adressaten, da die Ankündigungen keinen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf den tatsächlich berechneten Gesamtpreis boten,104 sowie hinsichtlich der begrenzten Bindungswirkung der Ankündigungen.105 Nach Ansicht der Kommission bestand die Gefahr, dass das System öffentlicher Vorankündigungen einer bloßen Überprüfung der tatsächlichen Durchsetzbarkeit geplanter Ratenerhöhungen ohne Gefahr etwaiger Kundenverluste diene.106 Das Verfahren wurde abgeschlossen, nachdem die Kommission die angebotenen Zusagen für verbindlich erklärte. Die Zusagen hatten insbesondere zum Inhalt, dass die Wettbewerber keine als Betrag oder Prozentsatz ausgedrückten Preiserhöhungen mehr veröffentlichen würden, sondern allenfalls für die Kunden verständliche und transparente Gesamtpreise einschließlich einer genauen Aufgliederung nach konkreten Preishauptbestandteilen.107 Die angekündigten Preise sollten als Höchstpreise verbindlich sein und höchstens 31 Tage vor der geplanten Erhöhung angekündigt werden.108 Die Kommission begründete ihre Entscheidung damit, dass rechtzeitige, transparente und bindende Preisankündigungen informierte Entscheidungen der Marktgegenseite ermöglichen, die ein kollusives Verhalten der ankündigenden Unternehmen gerade erschwerten.109 3. Öffentliche Preisankündigungen im Online-Handel Die Entscheidung in Sachen „Container Shipping“ hat zahlreiche Fragen aufgeworfen und teilweise in einer Weise beantwortet, die möglicherweise eine Neuinterpretation

100 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final – Container Shipping. 101 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 1, 26 – Container Shipping. 102 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 27 – Container Shipping. 103 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 27 – Container Shipping. 104 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 41–44 – Container Shipping. 105 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 43 – Container Shipping. 106 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 37–39 – Container Shipping. 107 Kommission v. 7.7.2016  – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz.  63  f., 78  – Container ­Shipping. 108 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 64 a.E., 65 – Container Shipping. 109 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 84 – Container Shipping.

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der Entscheidungspraxis zu öffentlichen Bekanntmachungen erfordern könnte.110 Im Grundsatz werden öffentliche Ankündigungen vorrangig bei Vorliegen eines sachlich begründeten Bedürfnisses und im Rahmen des insoweit Erforderlichen zulässig sein.111 Die Erforderlichkeit impliziert, dass öffentliche Bekanntmachungen nicht mit unnötigem zeitlichem Vorlauf erfolgen,112 wofür der Zeitpunkt der Erwerbsentscheidung durch die Marktgegenseite maßgeblich sein wird.113 Außerdem wird die Verbindlichkeit öffentlicher Ankündigungen nach oben regelmäßig eine gutes Argument gegen den Vorwurf abgestimmter Verhaltensweisen bieten.114 Ein Argument könnte im Online-Handel zudem das Kriterium der Markttransparenz sein, denn gerade die ihn kennzeichnende Transparenz hat regelmäßig wettbewerbsfördernde Wirkung.115 Zum einen wird eine Abstimmung vor dem Hintergrund der gegebenen Transparenz häufig nicht der einzige plausible Grund für ein etwaiges Parallelverhalten sein. Zum anderen schien die Kommission zuletzt selbst im Falle künstlich geschaffener Markttransparenz differenzierter zu fragen, inwiefern sie einer informierten Marktgegenseite vorrangig nützen könne. Ein solcher Nutzen für den Verbraucher ist im vorliegenden Kontext mehrfach betont worden.116 Schließlich wird mit guten Gründen empfohlen, etwaige Informationen nicht „unnötig präzise“ zu formulieren.117 Allerdings hat die neuerdings in der Entscheidungspraxis betonte Anpassung etwaiger Ankündigungsinhalte an die primäre Zielgruppe zugleich zu detaillierten Anforderungskatalogen hinsichtlich ihres Inhalts geführt.118 Unternehmen sehen sich daher mit der sybillinischen Handlungsanweisung konfrontiert, öffentliche Ankündigungen weder zu genau – für ihre Wettbewerber – noch zu ungenau – für den Adressatenkreis – zu formulieren.

V. Preisalgorithmen (sog. Algorithmic Pricing) Ein letzter Aspekt möglicher Koordinierung ohne klassische Kontaktaufnahme ist die Nutzung von Preisalgorithmen, die zum regelmäßigen Leistungsumfang von On110 S.  Hengst in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rz. 121. 111 S. Füller in KölnKomm. zum Kartellrecht, 2016, Art. 101 AEUV Rz. 157. 112 Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 113; ­Schröter/Voet van Vormizeele in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rz. 63. 113 S. Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 80 – Container Shipping. 114 S. Kommission, Horizontalleitlinien, Fn. 4 zu Rz. 74. 115 Kommission, Abschlussbericht E-Commerce, Rz. 11 f.; BKartA v. 26.8.2015 – B2-98/11, Rz. 17 f. – ASICS; Dohrn/Huck, DB 2018, 173. 116 S. Kommission, Staff Working Document E-Commerce, Rz. 11; ADLC/BKartA, Competition Law and Data, S. 14. 117 Krauß in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rz. 113; Roth/Ackermann in FK Kartellrecht, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG Rz. 208. 118 Kommission v. 7.7.2016 – Rs. AT.39850, C(2016) 4215 final, Rz. 78 – Container Shipping; CMA, Market investigation into the supply or acquisition of aggregates, c­ement and ­ready-mix concrete, Price Announcement Order 2016, S. 7.

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Preisalgorithmen, Informationsaustausch und Signaling

line-Handelsplattformen gehören (sog.  Algorithmic Pricing). Preisalgorithmen bestehen aus einer Programmierung oder Kodierung, die eine optimale Ausschöpfung von Absatz- und Gewinnpotenzialen durch die Beobachtung hoher Datenmengen zum wettbewerblichen Preissetzungsverhalten, der Nachfrageentwicklung und sonstigen preisrelevanten Faktoren gewährleisten soll.119 Sie ermöglichen je nach Fallgestaltung auch eine automatische Anpassung an geänderte Marktgegebenheiten (sog. Dynamic Pricing).120 Preisalgorithmen werden in der Wirtschaft und gerade im Online-Handel vielfach eingesetzt.121 Eine kartellrechtliche Beurteilung konnte bislang aber nur in Ansätzen unternommen werden.122 Kartellbehörden und ihre Vertreter haben wiederholt ein erhebliches Interesse signalisiert.123 Zwar werden Effizienzvorteile gesehen, wie z.B. die Förderung innovativer Dienste, die Reduktion von Suchkosten oder die Optimierung der Lagerhaltung.124 Zugleich haben sich die Kartellbehörden auf den Standpunkt gestellt, dass Unternehmen „sich nicht hinter Algorithmen verstecken“ könnten.125 Solche Aussagen gehen jedoch ins Leere, wenn nicht zuvor geklärt ist, ob und wovor sich Unternehmen hypothetisch zu verstecken hätten. Eine Klärung dieser Fragen wollen das BKartA und die ADLC in ihrem gemeinsamen Projekt zur kartellrechtlichen Beurteilung von Algorithmen erreichen. 1. Preisalgorithmen als Mittel oder Gegenstand klassischer Kartellverstöße Die autonome Anpassung an das festgestellte oder erwartete Wettbewerberverhalten ist zulässig, solange eine etwaige Verständigung unterbleibt. Eine solche Anpassung umfasst auch vorbereitende Maßnahmen wie z.B. die Beobachtung des Marktes oder die Sammlung öffentlich verfügbarer Informationen über Wettbewerber.126 Der Einsatz individueller Preisalgorithmen, die öffentlich verfügbare Informationen auslesen und bei der internen Preissetzung auf der Grundlage autonom bestimmter Parameter 119 Ebers, NZKart 2016, 554; Künstner/Franz, K&R 2017, 688, 689; Schintowski, VuR 2017, 455, 462. 120 Künstner/Franz, K&R 2017, 688, 689; Zander-Hayat/Reisch/Steffen, VuR 2016, 403, 404. 121 S. Kommission, Abschlussbericht E-Commerce, Rz. 13; Künstner/Franz, K&R 2017, 688, 689; Zander-Hayat/Reisch/Steffen, VuR 2016, 403 (jeweils m.w.N.). 122 S. Dohrn/Huck, DB 2018, 173; Ebers, NZKart 2016, 554; Göhsl, WUW1259005; ­Kaseberg/ Kalben, WuW 2018, 2; Künstner/Franz, K&R 2017, 688; Salaschek/Serafimova, WuW 2018, 8. 123 S. Anger, „Kartell ohne Mensch“, Handelsblatt v. 12.9.2017, S. 13; Lindsay/McCarthy, ECLR 2017, 533; Roman, ECLR 2018, 37. 124 De Silva, Präsidentin der ADLC, zitiert nach BKartA, Meldung v. 19.6.2018, „Französische und deutsche Wettbewerbsbehörde starten ein gemeinsames Projekt zu Algorithmen und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb“. 125 BKartA, Fallbericht v. 29.5.2018  –   B9-175/17, S.  4; Vestager, „Algorithms and compe­ tition“, Rede v. 16.3.2017 auf der 18. Internationalen Kartellkonferenz (IKK) in  Berlin; Mundt, „Algorithmen können Kartelle bilden“, Interview geführt von M ­ atheis, WiWo v. 14.7.2017, S.  24; Mundt, zitiert nach Busse, „Bundeskartellamt rügt Lufthansa“, SZ v. 28.12.2017; s. Dohrn/Huck, DB 2018, 173. 126 Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 AEUV Rz. 237.

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berücksichtigen, ist daher im Regelfall zulässig.127 Denn das Unternehmen könnte zulässigerweise eine natürliche Person mit entsprechenden Aufgaben betrauen (sog. Äquivalenztest).128 Dagegen verstößt die Umsetzung, Optimierung und/oder Überwachung klassischer Kartellabsprachen mittels Preisalgorithmen gegen das Kartellrecht.129 Problematisch sind auch Fallgestaltungen, in denen Preisalgorithmen bzw. einzelne ihrer Parameter sogar zum Gegenstand horizontaler Kommunikation gemacht werden. Denn als Gegenstand kartellrechtswidriger Verhaltensweisen kommt nicht nur der Endpreis in Frage, sondern auch einzelne Parameter und Methoden der Preiskalkulation.130 Entsprechende Sachverhalte sind bereits Gegenstand behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen geworden. Im „Posterkartell“ hatten sich z.B. Wettbewerber darüber verständigt, ihre klassischen Preisabsprachen hinsichtlich einer Vielzahl auf „Amazon Marketplace“ angebotener Produkte durch die Verwendung eigens hierfür konzipierter Preisalgorithmen umzusetzen.131 Diese Befunde sind aus kartellrechtlicher Sicht unspektakulär und im vorliegenden Zusammenhang nur aufgrund des besonderen Anwendungskontexts bemerkenswert. Während im ersten Fall eine zulässige Anpassung an das Wettbewerberverhalten stattfindet, liegt in den übrigen Fällen eine klassische Absprache oder Fühlungnahme mit digitalem Einschlag vor. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert jedoch, ob ein kartellrechtlicher Anknüpfungspunkt besteht, wenn gerade keine gemeinsame Willensbildung auf klassischem Wege stattgefunden hat. Einer näheren Betrachtung bedürfen insoweit  – gegenwärtig  – die Nutzung von Preisalgorithmen desselben Dritt­anbieters und eine Verständigung über kodierte Signale sowie – zukünftig – die Frage einer vollautomatisierten Verständigung durch intelligente Algorithmen. 2. Preisalgorithmen eines identischen Dritten Die zunehmende Komplexität wirtschaftlicher Betätigung bringt die spiegelbildliche Auslagerung hochspezialisierter Dienstleistungen auf Drittanbieter mit sich.132 Das gilt besonders für die kostengünstige Auslagerung der eigenen Preiskalkulation durch Online-Händler auf Anbieter von Preisalgorithmen.133 Solche Anbieter können reine Software-Anbieter sein, aber auch Plattformbetreiber, die die Bereitstellung von Preis­algorithmen häufig als Bestandteil ihres umfassenden Dienstleistungsportfolios

127 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 175; Ebers, NZKart 2016, 554, 555; vgl. BKartA, Fallbericht v. 29.5.2018 –  B9-175/17, S. 4. 128 S.  Ritter, „Data, algorithms & EU competition law“, Präsentation v. 7.9.2017, Brussels ­Matters („What’s illegal offline (is) likely to be illegal online“). 129 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 175. 130 Kommission v. 11.6.2002  – Rs. COMP/36.571/D-1, ABl. EU Nr.  L 56 v. 24.2.2004, S.  1 Rz. 426, 435 – Österreichische Banken („Lombard Club“). 131 CMA v. 12.8.2016, U.S. District Court of the Northern District of California, San Francisco Division, Case CR 15-0419 WHO, Plea Agreement – U.S./Trod Limited et al. [2016]; Case CR 15-00201 WHO, Plea Agreement – U.S./David Topkins [2015]. 132 Salaschek/Serafimova, WuW 2018, 8, 15. 133 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 177.

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anbieten werden.134 Eine solche Auslagerung kann zu kartellrechtlichen Bedenken führen, wenn Wettbewerber die Leistungen desselben Dritten in Anspruch nehmen und die Preisstrategie dieser Wettbewerber in der Folge auf identischen oder im ­Wesentlichen übereinstimmenden Preisalgorithmen beruht (sog. digitale Hub-and-­ Spoke-Konstellation).135 Zwar wird auch die Auslagerung auf denselben Anbieter zulässig sein, solange eine Verständigung unter den Wettbewerbern unterbleibt.136 Der EuGH hat jedoch in Sachen „Eturas“ gezeigt, wie eng die Grenzen einer solchen Verständigung in der digitalen Wirtschaft gezogen werden könnten. Daher ist bei der Nutzung fremder Preisalgorithmen durch Online-Händler zunächst darauf zu achten, dass ihnen hinreichend individuelle Parameter zwecks individualisierter Preissetzung zugrunde liegen. Der Fall „Eturas“ verdeutlicht außerdem, dass bei der kartellrechtlichen Beurteilung nicht nur die  – punktuelle  – Nutzung (weitgehend) übereinstimmender Preisalgorithmen maßgebend ist, sondern auch die – dynamische – Einführung und Umsetzung von Änderungen an den verwendeten Preisalgorithmen. Online-Händler sollten interne Kommunikationssysteme und sonstige Kommunikationswege mit dem Plattformanbieter regelmäßig auf Mitteilungen etwaiger Änderungen überprüfen. Bei Erhalt einer solchen Mitteilung sollte der Inhalt selbst bei scheinbar rein technischem Inhalt genau auf mögliche Folgen für die Preissetzung und sonstige Konditionen überprüft werden. Sollten kartellrechtlich relevante Punkte identifiziert werden, ist der Änderung gegenüber dem Plattformbetreiber gegebenenfalls zu widersprechen und sind – bei Möglichkeit – nachweisbare Gegenvorkehrungen zu treffen, die eine relevante Änderung verwendeter Preisalgorithmen durch den Anbieter neutralisieren. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Wettbewerber über die Preisalgorithmen unmittelbar oder mittelbar Zugang zu wettbewerblich relevanten Daten ihrer Wettbewerber erlangen, die über die Online-Plattform geteilt werden.137 Durch Datentrennung muss gewährleistet sein, dass die individualisierten Preisalgorithmen keinen Zugriff auf wettbewerblich sensible Informationen der Wettbewerber erhalten. Kartellbehörden dürften sich kaum auf ein Vorbringen einlassen, wonach der Händler selbst keinen Zugriff auf wettbewerblich sensible Daten seiner Wettbewerber erlangt habe, sondern „nur“ die von ihm verwendeten Algorithmen. Denn diese bestimmen und/oder konkretisieren seine Preisstrategie, sodass ein programmierter Zugriff auf wettbewerblich sensible Informationen selbst ohne unmittelbare Kenntnisnahme durch den Händler geeignet sein dürfte, die strategische Ungewissheit über das Wettbewerberverhalten zu beseitigen oder zu verringern.138 134 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 177. 135 ADLC/BKartA, Competition Law and Data, S.  15; OECD, Algorithms and Collu­sion  – Background Note by the Secretariat, DAF/COMP(2017)4, Rz. 68. 136 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 177; Göhsl, WUW1259005; a.A. Heinemann/Gebicka, JECLaP 2016, 431, 440 (die im Gegenteil eine abgestimmte Verhaltensweisen vermuten wollen). 137 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 177. 138 S. EuG v. 5.4.2006 – Rs. T-279/02, Slg. 2006, II-897, Rz. 133 m.w.N. – Degussa; Kommis­ sion, Horizontalleitlinien, Rz. 61 f.

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Die Thematik einer Auslagerung der (Weiter-)Entwicklung von Preisalgorithmen auf Dritte wird naturgemäß akzentuiert, wenn der Dritte selbst auf der Einzelhandelsstufe konkurriert (z.B. im integrierten Plattformvertrieb). Denn dann kann ein Wettbewerber faktisch Einfluss auf die Preissetzung des auslagernden Unternehmens erlangen und umgekehrt an aktuelle, preisrelevante Informationen dieses Unternehmens gelangen. Insofern sollten die beteiligten Unternehmen nachweisen können, dass die Nutzung durch den Plattformbetreiber zur Verfügung gestellter Preisalgorithmen für die Integration anderer Marketingfunktionen erforderlich ist und durch diese Inte­ gration erhebliche Effizienzgewinne entstehen.139 Der Austausch über Preisalgorithmen sollte sich nach seiner Erforderlichkeit im Hinblick auf berechtigte Informationsbedürfnisse des Plattformnutzers richten und sich regelmäßig auf ihre abstrakte Funktionsweise unter Ausschluss individualisierter Parameter beschränken. Darüber hinaus sollte der Betreiber sein Plattformgeschäft nachweislich durch organisatorische, personelle und physische Vorkehrungen vom Eigengeschäft trennen, um wettbewerblich relevante Datenflüsse zu verhindern.140 Schließlich wirkt sich das Wettbewerbsverhältnis auf den Handlungsspielraum der Plattformnutzer aus, wenn sie eine Mitteilung des Betreibers mit kartellrechtlich relevantem Inhalt erhalten. Denn in diesem Fall dürfte ihre bloße Nichtberücksichtigung nach der Entscheidungspraxis nicht mehr zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung ausreichen.141 Vielmehr ist in solchen Fällen eine offene Distanzierung vom Inhalt der Mitteilung erforderlich. 3. Preisalgorithmen als Mittel öffentlicher Preisankündigungen Preisalgorithmen können außerdem Funktionen beinhalten, die unter dem Gesichtspunkt öffentlicher Preisankündigungen möglicherweise relevant werden (sog.  Sig­ naling Algorithms).142 Unternehmen können gewollte Preisänderungen durch schnelle, iterative Kurzsignale mittels Preisalgorithmen kundtun, die von Kunden oder Abnehmern nicht wahrgenommen werden können.143 Das führt zu kartellrechtlichen Bedenken, wenn Wettbewerber ihr eigenes Marktverhalten auf dieser Grundlage anpassen können, weil ihre eigenen Preisalgorithmen solche Signale erkennen und analysieren können sowie möglicherweise selbst darauf programmiert sind, Preissignale in entsprechender Weise in den Markt zu senden und so zu interagieren (sog. Snapshot Price Communication). In solchen Fällen sind die gesendeten Signale für die primären Adressaten öffentlicher Preisankündigungen (z.B. Kunden und Abnehmer) nicht einmal wahrnehmbar, geschweige denn brauchbar. Ein weiteres Beispiel für Signaling-Praktiken mittels Algorithmen kann dem „ATP“-­ Fall entnommen werden.144 Darin meldeten Fluggesellschaften einer gemeinsamen 139 Kommission, Horizontalleitlinien, Rz. 246.  140 Lübbig in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 234. 141 EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Rz. 95 ff. – Anic. 142 Ylinen, NZKart 2018, 19, 21. 143 OECD, Algorithms and Collusion  – Background Note by the Secretariat, DAF/ COMP(2017)4, Rz. 68. 144 U.S. District Court for the District of Columbia, Case 92-2854 SSH – U.S./Airline Tariff Publishing Company et al. [1994]; dazu Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 176 f.

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elektronischen Datenbank, an die sie neben Reisebüros und Verbraucher selbst angeschlossen waren, täglich aktuelle Informationen einschließlich eines Basiscodes zur Bezeichnung der jeweiligen Route, Ticketpreisen, Reisedaten sowie – mittels alphanumerischer Codes  – Anfangs- und Enddaten von Ticketverkäufen. Durch eine Kombination dieser Angaben konnten die Fluggesellschaften konkret geplante Preis­ erhöhungen ankündigen, die ihre Wettbewerber nach ihrem Empfang mittels eigener oder fremder Software auslesen, zu ausführlichen Berichten zusammenstellen (lassen) und analysieren konnten. Der Fall wurde mit einem Vergleich abgeschlossen, nachdem sich die Fluggesellschaften im Wesentlichen zur Unterlassung solcher Meldungen verpflichtet hatten, die durch die Kombination enthaltener Informationen Rückschlüsse auf künftige Preisentwicklungen zuließen.145 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch die Auswahl durch Algorithmen gesendeter und prozessierter Daten kartellrechtliche Bedenken auslösen können, wenn durch eine Kombination dieser Daten Rückschlüsse auf das geplante Marktverhalten möglich sind und sich Unternehmen dem erwarteten Verhalten ihrer Wettbewerber nach wechselseitiger Beobachtung anpassen können. 4. Vollautomatisierte „Verständigung“ durch selbstlernende Algorithmen? Schließlich stellt sich die Frage, wie in Zukunft die hypothetischen Fälle zu behandeln sein werden, in denen mehrere Algorithmen eigenständig zu einer Übereinstimmung gelangen, die sich nicht als Ergebnis einer zurechenbaren (Fehl-)Programmierung darstellt, sondern als Produkt eines eigenständigen Lernprozesses (sog. selbstlernende Algorithmen). Aktuell sind keine Preisalgorithmen auf dem Markt, die eine solche „vollautomatisierte Verständigung“ erreichen könnten.146 Eine abschließende Beurteilung ist daher nicht möglich. Allerdings haben sich Kartellbehörden schon dahingehend positioniert, dass Unternehmen bei der Nutzung selbstlernender Algorithmen dafür verantwortlich sein werden, dass diese nicht miteinander in einer Weise interagieren, die sich nicht mit dem Kartellrecht vereinbaren ließe (sog. compliance by design).147 Eine solche Position wird zwar im Einzelfall mit dem Gesetzlichkeitsprinzip in Einklang zu bringen sein, das einer Sanktionierung bloß „gefühlter“ Gesetzesverstöße entgegensteht und insoweit ein „willentliches“ Zusammenwirken von Unternehmen voraussetzt, die den risikobehafteten Wettbewerb „bewusst“ durch eine praktische Zusammenarbeit ersetzt. Allerdings sollte die Entwicklung intelligenter Algorithmen technische Vorkehrungen umfassen, die eine „vollautomatisierte Verständigung“ verhindern sollen.148 Dafür wird eine enge Abstimmung mit Ökonomen und Informatikern erforderlich sein.149 Durch den Einsatz selbstlernender Preis­ 145 U.S. District Court for the District of Columbia, Case 92-2854 SSH – U.S./Airline Tariff Publishing Company et al. [1994] (insbes. S. 5). 146 Vestager, „Algorithms and competition“, Rede v. 16.3.2017 auf der 18. Internationalen Kartellkonferenz (IKK) in Berlin („science fiction“). 147 Vestager, „Algorithms and competition“, Rede v. 16.3.2017 auf der 18. Internationalen Kartellkonferenz (IKK) in Berlin. 148 Dohrn/Huck, DB 2018, 173, 178; Käseberg/Kolben, WuW 2018, 2, 6; Salaschek/Serafimova, WuW 2018, 8, 14. 149 Käseberg/Kolben, WuW 2018, 2, 6.

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algorithmen dürfte die Komplexität von Kartellverfahren damit insgesamt auf beiden Seiten wachsen.150

VI. Fazit Die Digitalisierung der Wirtschaft bietet erhebliche Wachstumspotenziale für den Online-Handel. Unternehmen können diese Potenziale nutzen, indem sie ihre Vertriebsmöglichkeiten durch die Nutzung und Vernetzung bestehender und neuer Geschäftsmodelle optimieren. Diese optimierten Vertriebsmöglichkeiten bieten den Händlern zahlreiche Vorteile, die dem Verbraucher z.B. in Form erweiterter Produktsortimente, optimierter Vergleichsmöglichkeiten und besserer Produktverfügbarkeit unmittelbar zugutekommen. Zugleich rücken Verhaltensweisen in den Fokus der Kartellbehörden, die zwar jeder horizontalen Kommunikation im klassischen Sinne entbehren, sich jedoch im Einzelfall als digitale Surrogate für eine solche Kommunikation darstellen könnten. Nach dem Selbständigkeitspostulat sind autonome Preisanpassungen und sonstiges Parallelverhalten als Reaktion auf gleichgerichtetes Wettbewerberverhalten zulässig.151 Kartellrechtlich unzulässig ist erst ein „willentliches“ Zusammenwirken zur „bewussten“ Ausschaltung des risikobehafteten Wettbewerbs. Häufig werden sukzessive, gleichgerichtete Verhaltensweisen mehrerer Wettbewerber in einem relativ engen Zeitfenster jedoch die Aufmerksamkeit der Kartellbehörden auf sich ziehen.152 Ein gleichförmiges Parallelverhalten kann dann unter Umständen ein „wichtiges Indiz“ für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise darstellen, wenn es sich nicht durch andere Gründe als durch eine Verhaltensabstimmung plausibel erklären lässt.153 Dieser Ansatz spiegelt sich verfahrenstechnisch in den kartellbehördlichen Screening-Methoden wider, die auf der Grundlage einer teilweise über Jahre an­ dauernden Datensammlung mögliche Kollusionseffekte herausfiltern und fragen, ob außerhalb dieser Effekte liegende Indizien für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise oder Vereinbarung bestehen. Die Kartellbehörden werden sich in Zukunft auch algorithmenbezogenen Ermittlungsmethoden widmen.154 Unternehmen werden sich bei der Festlegung ihrer digitalen Risikostrategie die Frage stellen müssen, ob sich ihre an sich autonome unternehmerische Entscheidung nach 150 Salaschek/Serafimova, WuW 2018, 8, 13. 151 Emmerich in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: 43. Lfg. (Oktober 2017), § 2 Rz. 25; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 2 Rz. 2. 152 Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 2 Rz. 2. 153 EuGH v. 31.3.1993 – Rs. C-89/85. Slg. 1993, I-1575, Rz. 71 – Ahlström; EuGH v. 13.7.1989 – Rs. C-395/87, Slg. 1989, 2521, Rz. 24 – Tournier; EuGH v. 14.7.1972 – Rs. C-48/69, Slg. 1972, 619, Rz. 64/67, 104/109 – ICI; BKartA, TB 1961, BT-Drucks. IV/378, S. 61; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rz. 90. 154 BKartA, Meldung v. 19.6.2018, „Französische und deutsche Wettbewerbsbehörde starten ein gemeinsames Projekt zu Algorithmen und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb“.

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außen in eine abgestimmte Verhaltensweise oder gar Vereinbarung einzufügen scheint und nach Abwägung der Gewinnchancen mit den kartellrechtlichen Risiken  bejahendenfalls mit den Regeln wirtschaftlicher Vernunft vereinbaren lassen. ­Behördliche Verfahren binden erhebliche Ressourcen in personeller und zeitlicher Hinsicht und führen auch bei lediglich mutmaßlichen Kartellverstößen zu einer erheblichen Kostenbelastung für betroffene Unternehmen.155 Diese Kosten tragen Unternehmen regelmäßig selbst im Falle einer dann in Frage kommenden, außergerichtlichen Verfahrenseinstellung.156 Der bloße Schein inkriminierten Verhaltens kann daher für Unternehmen unter Umständen schädlich sein und ein an sich zulässiges Verhalten letztlich als wirtschaftlich wenig sinnvoll oder gar unvertretbar erscheinen lassen.157 Die vorstehenden Erwägungen gelten gerade in kartellrechtlichen Grauzonen, die der Online-Handel zuhauf bietet und eine zuverlässige Prognose künftiger Rechtsanwendung erschweren. Insoweit steckt die Entscheidungspraxis im Online-Sektor naturgemäß noch in den Kinderschuhen, wenngleich sie mit großen Schritten voranschreitet. Die kartellrechtliche Beurteilung der hier gegenständlichen Fallkonstellationen steht in ebendiesem Spannungsverhältnis zwischen herkömmlichen kartellrechtlichen Grundsätzen und ihren zahlreichen Unbekannten in einem hochdynamischen Anwendungskontext. Dieses Spannungsverhältnis gilt es sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch aus behördlicher Sicht aufzulösen.

155 Seeliger/Mross in FK Kartellrecht, Stand: 79. Lfg. (November 2013), Allgemeiner Teil E Rz. 55; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1. 156 Klusmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 57 Rz. 121; Wrage-Molkenthin/Bauer in FK Kartellrecht, Vorbem. §§ 81–86 GWB Rz. 16 f. (jeweils m.w.N.). 157 Wohlmann in Schwerpunkte des Kartellrechts 2001, FIW H. 186, S. 127, 128.

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Zur Aktivlegitimation im deutschen Kartelldeliktsrecht

I. Einführung

II. Problemstellung III. Zum Stand der Rechtsprechung und der Diskussion 1. Rechtsprechung 2. Schrifttum IV. Zum Verhältnis des § 33a Abs. 1 GWB zu § 33 Abs. 1 GWB



V. Unionsrechtliche Vorgaben 1. Schadensersatz 2. Abwehransprüche

VI. Folgerungen für das deutsche Recht 1. Marktbeteiligte i.S.v. § 33 Abs. 3 GWB 2. Mittelbare Abnehmer und Lieferanten als „Betroffene“? 3. Auswirkungen auf § 33a Abs. 1 GWB? VII. Zusammenfassung

I. Einführung Die 9. GWB-Novelle hat – in Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU zum Kartellschadensersatz1 – zu einigen wesentlichen Konkretisierungen und Ergänzungen des überkommenen deutschen Kartelldeliktsrechts geführt. Dagegen sind die grundlegenden materiell-rechtlichen Regelungen über die Abwehransprüche – den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch – und den Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 1 und Abs.  3 GWB a.F. trotz ihrer systematischen Neugliederung in Form der §  33 Abs. 1 bis Abs. 3 GWB n.F. einerseits und § 33a Abs. 1 GWB n.F.2 andererseits inhaltlich unangetastet geblieben und nur redaktionell leicht verändert worden. Diese Überarbeitung sollte ausweislich der Gesetzesbegründung allein der besseren Verständlichkeit und Übersichtlichkeit dienen.3 Neu im Text des § 33 Abs. 1 GWB ist im Hinblick auf die Passivlegitimation der Begriff des „Rechtsverletzers“, der aus Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2014/104/EU übernommen worden ist, jedoch ohne den in Frage kommenden Personenkreis näher zu bestimmen: Während die Richtlinie „Unternehmen“ und „Unternehmensvereinigungen“ als Rechtsverletzer aufführt, vermeidet § 33 Abs. 1 GWB diese Begriffe und verweist stattdessen auf die Adressaten der in Bezug genommenen Verbotsnormen des europäischen und deutschen Wettbewerbsrechts.4 1 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. Nr. L 349 v. 5.12.2014, S. 1. 2 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1.6.2017, BGBl. I 2017, S. 1416. Im Folgenden wird das GWB in der Fassung dieses Gesetzes ohne „GWB n.F.“ zitiert. 3 Reg.-Begr., BT-Drucks. 18/10207, S. 55. 4 Damit versucht der GWB-Gesetzgeber offensichtlich einer Problematik aus dem Wege zu gehen, die mit dem Begriff des Unternehmens unmittelbar verbunden ist: Ob und welche zu einer „wirtschaftlichen Einheit“ zählenden Gesellschaften als Adressaten der kartelldelikts-

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Wulf-Henning Roth

Dagegen ist für die Aktivlegitimation  – Prozessführungsbefugnis und Anspruchsberechtigung – alles beim Alten geblieben: Für die Abwehransprüche des § 33 Abs. 1 GWB stellt der Normtext auf die „betroffenen“ Personen ab, die in § 33 Abs. 3 GWB näher umschrieben werden, während in § 33a Abs. 1 GWB (wie bisher in § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F.) allein vom Schadensersatzanspruch die Rede ist, ohne konkret die Person zu benennen, der dieser Anspruch zustehen soll. Im Folgenden soll der Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten bei diesen Normen näher nachgegangen werden – obwohl es sich dabei um ein rechtliches Problem handelt, das uns schon seit mehr als zehn Jahren begleitet. Dabei kann nicht die gesamte Palette der damit verbundenen Fragen diskutiert werden. Es geht vielmehr vorrangig um die Wechselbeziehungen im persönlichen Anwendungsbereich der § 33 und § 33a GWB und dabei um die Frage, ob und inwieweit der Schadensersatzanspruch des §  33a Abs. 1 GWB vom Merkmal der „Betroffenheit“ in § 33 Abs. 1 GWB abhängt, und umgekehrt darum, ob das Merkmal der „Betroffenheit“ im Lichte der Aktivlegitimation bei §  33a Abs.  1 GWB zu interpretieren ist. Gewidmet sind diese Zeilen dem hoch angesehenen Jubilar, dem ich innerhalb und außerhalb des Kartellrechtlichen Gesprächskreises in Bonn viele wertvolle Anregungen (auch was anstehende Opernpremieren angeht) zu verdanken habe.5

II. Problemstellung In § 33 Abs. 1 GWB wird bei einem Verstoß gegen eine Verbotsnorm des europäischen und des deutschen Wettbewerbsrechts (beschränkt auf die §§ 1–47l GWB) oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde die Aktivlegitimation für den daraus re­ sultierenden Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch dem „Betroffenen“ des Verstoßes eingeräumt. Als „Betroffener“ wird in § 33 Abs. 3 GWB diejenige Person bezeichnet, die „als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist“ oder  – so wird man für den vorbeugenden Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 2 GWB ergänzen müssen – durch eine drohende Zuwiderhandlung beeinträchtigt werden kann. Die Aktivlegitimation wird hiermit in zweierlei Richtung eingegrenzt. Anspruchsberechtigt sind nur solche Personen, die durch den Rechtsverstoß (gegenwärtig oder in Zukunft) „beeinträchtigt“ werden. Diese Beeinträchtigung kann in einer Beschränkung der wettbewerblichen Handlungs- und Auswahlfreiheit liegen, aber auch in einer Vermögensbeeinträchtigung, die durch eine gegenwärtige Störungsquelle eingetreten ist oder durch künftiges Verhalten einzutreten droht. Anspruchsberechtigt sind des weiteren (nur) Mitbewerber und sonstige rechtlichen Ansprüche in Frage kommen. Dazu z.B. Kersting in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, S. 123 ff. (Rz. 23 ff. m.w.N. in Fn. 33). 5 Die folgenden Überlegungen sind Grundlage für die Überarbeitung der Kommentierung der §§  33  ff. GWB im Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, dessen Herausgabe der Jubilar mitverantwortet. Verf. dieser Zeilen hat sich mit Aspekten der Thematik bereits kurz nach Erlass der 7. GWB-Novelle beschäftigt: Roth, Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Ulrich Huber, 2007, S. 1133; Roth, Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht, in FS Harm Peter Westermann, 2008, S. 1355.

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Marktbeteiligte. Die „Mitbewerber“ werden eigens genannt, sind aber wohl (nur) als Untergruppe der „Marktbeteiligten“ anzusehen. Wer als „Marktbeteiligter“ zu gelten hat, bleibt offen. Die Gesetzesbegründung zur 7. GWB-Novelle gibt dazu keine Auskunft.6 Unverkennbar ist freilich, dass der Gesetzgeber sich in der Terminologie des § 33 Abs. 3 GWB an die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 UWG enthaltenen Definitionen anlehnen wollte, wonach als Mitbewerber „jeder Unternehmer“ anzusehen ist, „der mit einem oder mehreren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht“, und als „Marktteilnehmer“ „neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind.“ In einem ersten Zugriff lässt sich damit behaupten, dass mit dem Begriff des „Marktbeteiligten“ der Personenkreis auf jene Akteure beschränkt werden soll, die am Marktgeschehen teilnehmen, während mit dem Kriterium der „Beeinträchtigung“ einer Popularklagebefugnis dieses Personenkreises vorgebeugt werden soll. Mit der Formulierung „als“ Marktbeteiligter wird angedeutet, dass nicht nur eine durch den Wettbewerbsverstoß verursachte Beeinträchtigung gegeben, sondern dass diese dem Beeinträchtigten in seiner Rolle am Markt – also marktvermittelt – zugestoßen sein muss. Im Gegensatz dazu ist in § 33a Abs. 1 GWB von einem „Betroffenen“ nicht die Rede. Die Norm gibt einen Schadensersatzanspruch, der – jedenfalls auf den ersten Blick – jedem zusteht, der einen durch den Wettbewerbsverstoß verursachten Schaden erleidet – ohne ersichtliche Eingrenzungen. § 33a Abs. 1 GWB verweist für den maßgeblichen Wettbewerbsverstoß auf § 33 Abs. 1 GWB und damit ist die Frage verknüpft, ob darüber hinausgehend Wechselbeziehungen zwischen den beiden Normen bestehen: Sind als „Betroffene“ i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB all diejenigen Personen anzusehen, die nach § 33a Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt sein können (evtl. begrenzt durch die Figur des „Marktbeteiligten“) – oder gilt umgekehrt, dass als Schadensersatzberechtigte nur diejenigen in Frage kommen, die für einen Abwehranspruch auch aktiv legitimiert sind?

III. Zum Stand der Rechtsprechung und der Diskussion 1. Rechtsprechung In der unter- und instanzgerichtlichen Rechtsprechung finden sich Judikate, die sowohl von einer Wechselbeziehung zwischen beiden Normen ausgehen wie auch solche, die diese Wechselbeziehung in gegensätzliche Richtung entfalten. Das OLG Düsseldorf hat in einem Urteil aus dem Jahr 20147 die Klage eines Aktionärs im Hinblick auf den ihm durch ein missbräuchliches Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber seiner Gesellschaft entstandenen Schaden – Unterbewertung 6 Reg.-Begr., BT-Drucks. 15/3640, S.  53. Dazu auch Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, 2006, S. 113; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010, S. 352 f.; Roth, Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht, in FS Harm Peter Westermann, 2008, S. 1355, 1363. 7 OLG Düsseldorf v. 2.7.2014 – VI U (Kart) 22/13, juris Rz. 39 ff., 48.

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der Aktien aufgrund der der AG entstandenen Nachteile; Verwässerungsschaden wegen mehrerer sich als notwendig erweisender Kapitalerhöhungen – abgelehnt: Der im Lichte der EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Courage8 und Manfredi9 auszulegende Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB erstrecke sich zwar auf die Beteiligten einer vertikalen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sowie auf die Marktgegenseite (einschließlich der Endverbraucher), nicht aber auf die Aktionäre einer durch missbräuchliches Verhalten geschädigten Gesellschaft als bloß mittelbar Geschädigte.10 Unabhängig von dieser  – der EuGH-Rechtsprechung kaum gerecht werdenden – Analyse wird aber auch ein auf eine autonome Interpretation des § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. gestützter Schadensersatzanspruch mit der Begründung abgelehnt, der Schadensersatzanspruch greife nur für Mitbewerber und andere Marktbeteiligte i.S.v. §  33 Abs.  1 GWB, zu denen der Aktionär einer geschädigten Aktiengesellschaft gerade nicht gehöre.11 In der Sache wird damit das für die Abwehransprüche maßgebende Merkmal der „Betroffenheit“ – eingrenzend – auf den Schadensersatzanspruch erstreckt.12 In gegensätzliche Richtung gehen Urteile aus jüngerer Zeit, die für die Geltendmachung der Abwehransprüche des § 33 Abs. 1 GWB a.F. jede Person als „betroffen“ im Sinne dieser Norm ansehen wollen, die durch den Wettbewerbsverstoß einen Schaden erlitten hat oder für die vorstellbar ist, dass sie einen auf den Wettbewerbsverstoß zurückzuführenden Schaden erleiden könnte.13 In der Sache bedeutet dies, dass die Courage-Rechtsprechung mit ihrer (weit greifenden) „Jedermann“-Formel14 auf den Unterlassungsanspruch i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB a.F. übertragen wird und die Reichweite der Aktivlegitimation beeinflusst.15 Allerdings ist – soweit ersichtlich – diese weite Bestimmung der Aktivlegitimation bisher nur im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Abwehransprüchen von unmittelbaren Abnehmern bzw. von einer Kartellabrede unmittelbar behinderten Marktakteuren – und damit im Anwendungsbereich der von § 33 Abs. 3 GWB angeführten Marktbeteiligten – angenommen worden, so dass die Tragweite dieses Ansatzes als in der Rechtsprechung noch nicht ausgelotet anzusehen ist. 2. Schrifttum Im Schrifttum wird weitgehend von einem Gleichlauf der Aktivlegitimation beim Schadensersatzanspruch und den Abwehransprüchen in der Weise ausgegangen, dass 8 EuGH v. 20.9.2001 – Rs. C-453/99 – Courage, EU:C:2001.465. 9 EuGH v. 13.7.2006 – Rs. C-295 bis C-298/04 – Manfredi, EU:C:2006:461. 10 OLG Düsseldorf v. 2.7.2014 – VI U (Kart) 22/13, juris Rz. 39 ff. (in Anwendung des von § 823 Abs. 2 BGB geprägten Schutzzweckerfordernisses). 11 OLG Düsseldorf v. 2.7.2014 – VI U (Kart) 22/13, juris Rz. 48 und 52. 12 Eingehende Besprechung (und Kritik) des Urteils bei Zetzsche, WuW 2016, 65. 13 OLG Düsseldorf v. 26.2.2014 – VI-U (Kart) 7/12, juris Rz. 12; OLG Frankfurt v. 26.1.2010 – 11 U 13/07 (Kart)  – Entega, WuW/E DE-R 2860, juris Rz.  24; s. auch LG München I v. 2.6.2016 – 1 HK O 8/26/16, juris Rz. 5. 14 EuGH v. 20.9.2001 – Rs. C-453/99 – Courage, EU:C:2001:465 Rz. 26. 15 LG Köln v. 14.2.2012 – 88 O (Kart) 17/11, WuW/E DE-R 3532, juris Rz. 82.

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der Begriff des „Betroffenen“ in besonders großzügiger Weise16 auszulegen ist: Für Zwecke der Abwehransprüche soll jeder als „betroffen“ gelten, für den vorstellbar ist, dass er einen auf den Wettbewerbsverstoß zurückzuführenden Schaden erleiden könnte.17 Für die Kommentarliteratur ist charakteristisch, dass der Begriff des „Betroffenen“ für die Anspruchsberechtigung bei den Abwehransprüchen und dem Schadensersatzanspruch verbreitet einheitlich bestimmt wird:18 Der Begriff wird damit als ein für § 33 Abs. 1 GWB a.F. und § 33 Abs. 3 GWB a.F. gemeinsam geltendes Merkmal behandelt, teilweise ausdrücklich auch so bezeichnet19 und deshalb ausführlich vorab erörtert, bevor auf die Einzelheiten der jeweiligen Ansprüche eingegangen wird.20 In der Sache wird so ein bei § 33 Abs. 1 GWB a.F./§ 33 Abs. 1 GWB existierendes Merkmal bewusst auf den Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 3 GWB a.F./§ 33a Abs. 1 GWB übertragen, obwohl letztere Norm den Begriff des Betroffenen nicht nennt.21 Fragt man nach einer Erklärung für diese einheitliche Bestimmung der Aktivlegi­ timation, so liegt eine solche (ausdrücklich oder implizit) in der von der 7. GWB-­ Novelle vollzogenen Abkehr vom Schutzgesetzerfordernis.22 Nach dem bis 2005 ­geltenden Recht konnten nur diejenigen Personen einen Abwehr- oder Schadensersatzanspruch geltend machen, deren Schutz die Verbotsnorm (zumindest auch) bezweckte.23 Dieses von der Rechtsprechung teilweise sehr einschränkend verstandene 16 Etwa Lahme in Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 2017, § 27 Rz. 13. 17 In diesem Sinne Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 8. Aufl. 2015, § 33 Rz. 11, unter Verweis auf Verf., Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Huber, 2007, S. 1133, 1140 – allerdings mit Einschränkungen auf S. 1142; Lübbig in Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, hrsg. von Bornkamm/Montag/Säcker, Band II GWB, 2. Aufl. 2015, § 33 Rz. 37; Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Europäisches und Deutsches Kartellrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2016, § 33 Rz. 18 (Übertragung der für den Schadensersatz entwickelten Kriterien der Betroffenheit auf den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch). 18 Zuletzt auch Mäsch in Berg/Mäsch, Deutsches und Europäisches Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 Rz. 23, zu § 33a Abs. 1 GWB und § 33 Abs. 1 GWB n.F. Anders Bechtold/Bosch, § 33 Rz. 11-13, nach denen der Begriff der Betroffenheit für den Schadensersatz­anspruch enger als bei den Abwehransprüchen zu verstehen sein soll. 19 Krohs in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, hrsg. von Busche/Röhling, Bd. 1 §§ 1-34a GWB, 2017, § 33 Rz. 40 ff. 20 Exemplarisch: Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1 – Deutsches Kartellrecht, 12. Aufl. 2014, § 33 Rz. 29 ff.; ebenso im Ergebnis Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1 – Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 33 Rz. 18; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Bd. 2 GWB/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 Rz. 10 ff.; Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, § 33 Rz. 10 ff., 18. 21 So ausdrücklich Krohs in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 33 Rz. 71. 22 Zur damaligen Diskussion im Einzelnen s. Lübbig in Münchener Kommentar, Europäisches und deutsches Wettbewerbsrecht, Bd. II GWB, § 33 Rz. 18 ff. 23 Roth in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, hrsg. von Jaeger/Kokott/Pohlmann/​ Schroeder, Loseblatt, § 33 GWB 1999 Rz. 19-23.

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Kriterium hat der Gesetzgeber der 7. GWB-Novelle abgeschafft und in § 33 Abs. 1 Satz 1 und 3 GWB a.F. für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch durch das Merkmal der „Betroffenheit“ ersetzt.24 Dieser Wandel scheint die Grundlage für ein Verständnis zu sein, wonach mit dem Begriff der „Betroffenheit“ ganz allgemein die Anspruchsberechtigung bestimmt werden kann, die dann auch für den Schadensersatzanspruch Geltung beansprucht.25 Dieses „Narrativ“ wird gestützt durch die Verweisung in § 33 Abs. 3 GWB a.F. auf § 33 Abs. 1 GWB a.F., aus der gefolgert wird, dass alle Vorgaben des § 33 Abs. 1 GWB a.F. hinsichtlich der Anspruchsberechtigung und Anspruchsverpflichtung auch für die Ansprüche aus § 33 Abs. 3 GWB a.F. anwendbar sein sollen.26

IV. Zum Verhältnis des § 33a Abs. 1 GWB zu § 33 Abs. 1 GWB Das in Rechtsprechung und Schrifttum vertretene Verständnis von der einheitlichen Anspruchsberechtigung bei den Abwehransprüchen und dem Schadensersatzanspruch steht auf schwachen Füßen,27 wenn man einen näheren Blick auf Wortlaut und Struktur der Normen wirft. § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F./§ 33a Abs. 1 GWB verweist für den Schadensersatzanspruch auf einen Verstoß gegen die in §  33 Abs.  1 Satz 1 GWB a.F./§ 33 Abs. 1 GWB in Bezug genommenen Verbotsnormen des deutschen und europäischen Rechts (oder gegen die Verfügung der Kartellbehörde). Damit wird nicht etwa auf die in § 33 Abs. 1 GWB a.F./§ 33 Abs. 1 GWB angeordnete Rechtsfolgenbestimmung verwiesen,28 sondern allein auf den Tatbestand der Norm, in dem aber der Begriff des „Betroffenen“ nicht auftaucht. Soweit im Schrifttum das Merkmal der „Betroffenheit“ zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs gezählt und nicht als Ausformung der Rechtsfolgenanordnung gedeutet wird,29 liegt dem ein grundlegendes Missverständnis über die Normstruktur, insbesondere die Unterscheidung zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite des § 33 Abs. 1 GWB a.F./§ 33 Abs. 1 GWB zugrunde. Die Unterscheidung ist essentiell, weil und soweit der Schadensersatzanspruch verschuldensabhängig ausgestaltet ist: Das Verschulden i.S.v. § 33 Abs. 3 GWB a.F./§ 33a Abs. 1 GWB bezieht sich allein auf den Tatbestand und damit auf die haftungsbegründende Kausalität (zwischen dem Handeln und dem Normverstoß), während die haftungsausfüllende Kausalität und der Schaden als Teil der Rechtsfolgenanordnung vom Verschulden nicht umfasst wird. Damit hängt bereits von der Normstruktur der § 33 Abs. 3 GWB a.F. i.V.m. § 33 Abs. 1 GWB a.F./§ 33a Abs. 1 GWB i.V.m. § 33 Abs. 1 GWB her 24 Bornkamm in Langen/Bunte, § 33 Rz. 29 ff. 25 Krohs in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 33 Rz. 70-71. 26 Krohs in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 33 Rz. 71. 27 Dagegen auch schon Roth, Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht, in FS Westermann, 2008, S. 1355, 1371-1372, wo die maßgebliche Eingrenzung (und Differenzierung) beim Tatbestandsmerkmal der „Beeinträchtigung“ vorgenommen wird. 28 Anders aber wohl Mäsch in Berg/Mäsch, § 33 Rz. 23. 29 Z.B. Lübbig in Münchener Kommentar, Wettbewerbsrecht, § 33 Rz. 37; ähnlich Lahme in Kamann/Ohlhoff/Völcker, § 27 Rz. 13.

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die einheitliche Bestimmung der Anspruchsberechtigung mittels des Begriffs des „Betroffenen“ in der Luft. Damit stellen sich zwei, im Folgenden zu behandelnde Fragen: Macht das Unionsrecht Vorgaben für die Ausgestaltung der Anspruchsberechtigung (unter V.), und in welcher Weise ist – im Rahmen dieser Vorgaben – die Anspruchsberechtigung sinnvoll zu gestalten (unter VI.)?

V. Unionsrechtliche Vorgaben 1. Schadensersatz Für die Anspruchsberechtigung beim Schadensersatzanspruch ist zunächst die Courage-Rechtsprechung des EuGH in Erinnerung zu rufen, wonach die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen die „volle Wirkung“ der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten und die dem Einzelnen durch das europäische Wettbewerbsrecht verliehenen Rechte zu schützen haben, woran die Folgerung geknüpft wird, dass „Jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen kann, der durch ein wettbewerbswidriges Verhalten einen Schaden erlitten hat.30 Diese Anspruchsberechtigung verlangt nach Kausalität des wettbewerbswidrigen Verhaltens für den Schaden;31 und sie umfasst Personen (einschließlich Verbraucher32) auf der Marktgegenseite, Vertragspartner in Vertikalsachverhalten,33 aber auch nur mittelbar Betroffene wie die Abnehmer eines Kartellaußenseiters, der unter dem Schirm eines Preiskartells erhöhte Preise durchsetzen kann.34 Aus dieser Judikatur lässt sich folgern, dass die „Jedermann“-Formel die Anspruchsberechtigung für Schadensersatz jedenfalls im Grundsatz für alle direkten und indirekten Marktbeteiligten eröffnen will, die durch das wettbewerbswidrige Verhalten einen Nachteil erlitten haben. Dies soll zumindest insoweit gelten, als der Eintritt des Schadens bei den nur mittelbar Geschädigten für den Normverletzer vo­ raussehbar ist.35 Ob die „Jedermann“-Formel sich auch auf Personen erstreckt, die nicht als Marktbeteiligte angesehen werden können, wie etwa Arbeitnehmer oder Aktionäre eines geschädigten Unternehmens, ist derzeit noch offen. Die Richtlinie 2014/104/EU zum Kartellschadensersatz hat die „Jedermann“-Formel übernommen: Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie geben „jeder“ Person, die durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht einen Schaden erlitten hat, einen Anspruch auf Schadensersatz. Darüber hinaus wird in Art. 12-15 der Richtlinie für die mittelbaren Abnehmer in einer Lieferkette wie auch für die mittelbaren Lieferanten (Zulieferer der Lieferanten) klargestellt, dass sie im Hinblick auf möglicher30 EuGH v. 20.9.2001 – Rs. C-453/99 – Courage, EU:C:2001:465 Rz. 23-26; seitdem st. Rspr. 31 EuGH v. 13.7.2006 – Rs. C-295/04 bis C-298/04 – Manfredi, EU:C:2006:461 Rz. 32. 32 EuGH v. 13.7.2006 – Rs. C-295/04 bis C-298/04 – Manfredi, EU:C:2006:461 Rz. 60-61. 33 EuGH v. 20.9.2001 – Rs. C-453/99 – Courage, EU:C:2001:465 Rz. 26 ff. 34 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 33. 35 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 30 („nicht verborgen geblieben sein kann“).

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weise durch einen Wettbewerbsverstoß verursachte Schäden klagebefugt sind. Und im Erwägungsgrund Nr. 11 der Richtlinie wird ausdrücklich auf die „Jedermann“-Judikatur verwiesen, ohne eine insoweit durchaus mögliche36 Konkretisierung oder Eingrenzung anzudeuten. Festzuhalten bleibt, dass der Unionsgesetzgeber Anregungen aus dem Schrifttum, die Anspruchsberechtigung auf an den Marktprozessen beteiligte Personen zu begrenzen,37 nicht aufgegriffen hat. Damit ist jedoch noch keine grenzenlose Schadensersatzhaftung/-berechtigung vorprogrammiert. Zum einen enthält das Kone-Urteil des EuGH zu den mittelbar Geschädigten eines umbrella-pricing die Aussage, dass den Mitgliedern eines Preiskartells die marktpreiserhöhenden Wirkungen ihres Verhaltens und damit der Schaden bei Abnehmern von Kartellaußenseitern nicht verborgen bleiben können.38 Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten (vorbehaltlich einer Regelung in der Richtlinie) über eine Anwendung des Kriteriums der Vorhersehbarkeit des Schadens – etwa im Rahmen einer auf die Problematik eingestellten Adäquanz-Betrachtung  – zu einer sinnvollen Eingrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten kommen können.39 Der Unionsgesetzgeber hat insoweit in der Richtlinie keine Vorgaben gemacht, aber im Erwägungsgrund Nr. 11 auf die Kompetenz der Mitgliedstaaten hingewiesen, über das Adäquanzerfordernis den Schadensersatzanspruch zu steuern. 2. Abwehransprüche Vom Gerichtshof bisher nicht entschieden ist die Frage, ob das Primärrecht nach einem mitgliedstaatlichen Rechtsschutz in Form (jedenfalls) eines Unterlassungsanspruchs (als prozessualem oder materiell-rechtlichem Anspruch40) verlangt. Auf der Grundlage der im Courage-Urteil vorgetragenen These, wonach die aus Art. 101 und 102 AEUV folgenden Rechte der Einzelnen und der Grundsatz praktischer Wirksamkeit die Existenz eines Schadensersatzanspruchs verlangen, wird man die Frage – mit Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache AOK 41 – ohne weiteres bejahen müssen.42 Der Unterlassungsanspruch richtet sich unmittelbar gegen 36 Zu dieser Frage s. Roth, Privatrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht, ZHR 179 (2015), 668; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 620 ff. 37 Z.B. Roth, Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Huber, 2006, S. 1133, 1141. 38 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:2014:1317 Rz. 30. 39 Die Festlegung der Kausalität ist grundsätzlich (weiterhin) Sache der Mitgliedstaaten, soweit die praktische Wirksamkeit der Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts nicht in Frage gestellt wird; EuGH v. 5.6.2014  – Rs. C-557/12  – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 32. 40 Vgl. EuGH v. 17.9.2001 – Rs. C-253/00 – Munoz, EU:C:2002:497 Rz. 28 f.; dazu Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 200 f. 41 GA Jacobs, Schlussanträge v. 22.5.2003  – verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01 – AOK-Bundesverband u.a., EU:C:2003:304 Rz. 104 a.E. 42 Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach §  33 GWB, 2007, S.  75; Roth, Zivilrechtliche Durchsetzung des europäischen Kartellrechts, in FS Walter Gerhardt, 2004, S. 815, 829.

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künftige Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht und ist insoweit noch effektiver an der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts und den zu schützenden Rechten Einzelner ausgerichtet als der nur ex post eingreifende Schadensersatzanspruch, von dem man sich eine mittelbar wirkende Abschreckung erwartet. Die Existenz eines solchen (prozessual oder materiell-rechtlich ausgestalteten) Anspruchs erscheint zudem als ein Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GR-Charta), wobei die Mitgliedstaaten zum Schutze gegenüber Beeinträchtigungen wohl auch vorläufigen Rechtsschutz vorsehen müssen.43 Eine unmittelbare Übertragung der Grundsätze der Courage-Judikatur auf die im mitgliedstaatlichen Recht zu schaffenden Abwehransprüche ist freilich nicht möglich, da und soweit zwischen der Eigenart der in Frage stehenden Ansprüche unterschieden werden muss. Während ein Schadensersatzanspruch nur als materiell-rechtlicher Anspruch denkbar ist, lässt sich der Unterlassungsanspruch sowohl als prozessualer wie auch als materiell-rechtlicher Anspruch ausgestalten; soweit das Erfordernis der praktischen Wirksamkeit erfüllt wird, bleibt den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht bei der Ausgestaltung. Und hinsichtlich der Aktivlegitimation liegt es nahe, dass das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten überlässt, zwischen dem Schadensersatzanspruch und den Abwehransprüchen zu differenzieren: Während beim Schadensersatzanspruch aufgrund einer ex post-Betrachtung des von dem Wettbewerbsverstoß verursachten Schadens der Personenkreis der Aktivlegitimierten auf alle Geschädigten ausgedehnt werden kann, spricht manches dafür, beim Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die erst künftig drohenden Wettbewerbsverstöße den Personenkreis enger zu ziehen, um nicht Tor und Tür für eine Popularklagebefugnis zu öffnen.44 Die Mitgliedstaaten sollten etwa die Möglichkeit haben, all diejenigen Personen von der Aktivlegitimation auszuschließen, bei denen der Eintritt eines Nachteils (etwa in Form eines Schadens) spekulativ ist. Im Ergebnis wird man davon ausgehen dürfen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer zivilrechtlichen Regelungen zur Verhinderung von Wettbewerbsverstößen einen weitgehenden Gestaltungsspielraum genießen. Dieser Gestaltungsspielraum wird auch nicht durch die Richtlinie 2014/104/ EU eingeschränkt, da diese nur den Schadensersatzanspruch regelt. Sie macht insofern keine Vorgaben, die die Mitgliedstaaten bei der Ausfüllung ihres Gestaltungsspielraums binden könnten.

VI. Folgerungen für das deutsche Recht Das deutsche Recht stellt für den Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB in unionsrechtskonformer Umsetzung der Vorgaben der Kartellschadensersatzrichtlinie durch die Regelungen in § 33c Abs. 2 bis 4 GWB klar, dass als Anspruchssteller nicht nur die unmittelbaren Abnehmer und Lieferanten, sondern in gleicher Weise die mittelbaren (indirekten) Abnehmer und Lieferanten in Frage kommen (aber vor allem 43 Für den Beseitigungsanspruch gilt Entsprechendes, soweit er sich gegen eine gegenwärtige Störungsquelle richtet. 44 Genau umgekehrt argumentieren Bechtold/Bosch, § 33 Rz. 11.

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die Frage offen bleibt, ob anspruchsberechtigt auch diejenigen sein können, die wie etwa Arbeitnehmer oder aber Gesellschafter/Aktionäre einen Schaden in nicht marktvermittelter Weise erleiden können). Eine solche Klarstellung fehlt für die Abwehransprüche des § 33 Abs. 1 GWB – und es ist in der Tat alles andere als klar, welche Bedeutung und Reichweite das Merkmal der „Betroffenheit“ haben soll. Eine im Schrifttum weit verbreitete Ansicht geht – wie bereits erwähnt – dahin, das Merkmal der „Betroffenheit“ im Lichte der beim Schadensersatzanspruch maßgebenden Aktiv­ legitimation zu konkretisieren und damit alle diejenigen als „betroffen“ anzusehen, die durch einen Wettbewerbsverstoß einen Schaden erleiden oder erleiden könnten.45 Dies hat zur Konsequenz, dass auch für Zwecke der Abwehransprüche die mittelbaren Abnehmer und Lieferanten, die durch eine Schadensweiterwälzung geschädigt werden können, als anspruchsberechtigt anzusehen sind. Diese Folgerungen sind indessen alles andere als zwingend. 1. Marktbeteiligte i.S.v. § 33 Abs. 3 GWB „Betroffene“ i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB sind gemäß Abs. 3 Personen, die als Mitbewerber oder sonstige Marktbeteiligte durch den Verstoß i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB beeinträchtigt werden. Mit dem Begriff des „Marktbeteiligten“ wird eine – im Vergleich zu § 33a Abs. 1 GWB – ausdrückliche Eingrenzung insofern vorgenommen, als die mögliche Beeinträchtigung nur dann eine Aktivlegitimation i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB vermittelt, wenn die Person sich am Marktgeschehen beteiligt. Diese Auslegung des Begriffs des „Marktbeteiligten“ wird gestützt durch die Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG – eine Norm, an die die Formulierung in § 33 Abs. 3 GWB offensichtlich eng angelehnt ist. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG definiert „Marktteilnehmer“ als Personen, die – neben Mitbewerbern und Verbrauchern – „als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig“ sind. Die zu dem Begriff des „Marktteilnehmers“ ergangene Rechtsprechung signalisiert, dass es um Personen gehen muss, die marktbezogen tätig werden46 (und zu deren Schutz Marktverhaltensregeln existieren). Eine damit eng verknüpfte Frage stellt sich dahingehend, ob die Beeinträchtigung den Marktteilnehmer/Marktbeteiligten in spezifischer Weise, nämlich bei seiner Angebots- oder Nachfragetätigkeit treffen muss. Als zweites ist zu überlegen, ob der Begriff des Marktbeteiligten weiter dahingehend einzugrenzen ist, dass er (neben den Mitbewerbern) nur Personen umfasst, die unmittelbar auf der Marktgegenseite als Abnehmer oder Nachfrager tätig sind. Soweit im Wortlaut des § 33 Abs. 3 GWB darauf abgestellt wird, dass die Beeinträchtigung die Person in ihrer Rolle „als“ Mitbewerber oder „als“ sonstiger Marktbeteiligter treffen muss, liegt die Folgerung nahe, dass die Beeinträchtigung durch den Wett­ bewerbsverstoß in marktvermittelter Weise eintreten muss.47 Es geht also um Transak45 Bechtold/Bosch, § 33 Rz. 11. 46 Z.B. OLG Hamburg v. 26.11.2009 – 3 U 23/09, juris Rz. 22; OLG Köln v. 7.7.2006 – 6 U 35/06, juris Rz. 19. 47 S. Roth, Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Huber, 2006, S. 1133, 1141; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Bd. 2 GWB/Teil 1, 2015, § 33 Rz. 36.

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tionen am Markt, die von dem Wettbewerbsverstoß in negativer Weise beeinflusst werden. Damit lassen sich in einem ersten Zugriff solche Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 GWB ausklammern, in denen zwar durchaus Beeinträchtigungen nachweisbar sind, diese aber nicht marktvermittelt eintreten: so etwa die Nachteile, die Arbeitnehmer48 erleiden mögen, wenn ihr arbeitgebendes Unternehmen durch das missbräuchliche Verhalten eines Wettbewerbers in Schieflage (oder gar in die Insolvenz) gerät. So auch die Nachteile, die ein Aktionär (in Form eines Wertverlustes) erleiden mag, wenn die betreffende Gesellschaft durch ein wettbewerbswidriges Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens Verluste bzw. Umsatzrückgänge erleidet. 2. Mittelbare Abnehmer und Lieferanten als „Betroffene“? Die darüber hinausgehende und wesentlich bedeutsamere Frage ist freilich, ob mittelbare Abnehmer oder Lieferanten, die marktvermittelt, nämlich durch Transaktionen mit direkten Abnehmern oder Lieferanten aufgrund des Wettbewerbsverstoßes beeinträchtigt werden bzw. werden könnten, als „Marktbeteiligte“ und damit als „Betroffene“ i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB zu behandeln und somit als aktiv legitimiert für die Geltendmachung der Abwehransprüche anzusehen sind. Diese Frage sollte verneint werden. Soweit im Schrifttum vorgeschlagen wird, den Kreis der Anspruchsberechtigten i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB (orientiert an § 33a Abs. 1 GWB) danach zu bestimmen, wer einen Schaden erleidet oder erleiden könnte,49 ist diesem Ansatz – wenn und soweit zu den Anspruchsberechtigten auch mittelbare Abnehmer und Lieferanten zählen sollen – entgegen zu halten, dass dieses Kriterium mit beträchtlichen Problemen behaftet ist: Denn bei mittelbaren Abnehmern und Lieferanten hängt der künftige Schadenseintritt davon ab, ob die unmittelbaren Abnehmer oder Lieferanten ihren (Kartell-) Schaden tatsächlich weiterwälzen (werden); solange diese Transaktionen nicht stattgefunden haben, lassen sich keine sicheren Aussagen zum Schadenseintritt treffen. Und allein die Gefahr eines Weiterwälzens des Schadens genügt nicht dafür, den Kreis der Aktivlegitimierten in rechtssicherer Weise zu bestimmen: Steht noch gar nicht fest, ob die Personen, die als mittelbare Abnehmer oder Lieferanten in Frage kommen, einen Vertrag mit den unmittelbaren Abnehmern oder Lieferanten schließen, würde das Kriterium eines bloß möglichen Schadenseintritts die Bestimmung des Kreises der für die Geltendmachung von Abwehransprüchen legitimierten Personen völlig unscharf werden lassen und dieses Institut in die Nähe einer Popularklage rücken. Die Erstreckung der Aktivlegitimation bei § 33 Abs. 1 GWB auf mittelbare Abnehmer und Lieferanten als „Betroffene“ stößt auch aus einem anderen Grunde auf Beden48 Dagegen hält BGH v. 7.7.2005 – I ZR 253/02 – Werbung mit Testergebnis, GRUR 2005, 877, 879, zu Recht einen Arbeitnehmer für einen „Marktteilnehmer”, soweit dieser auf dem Arbeitsmarkt tätig ist. 49 Bechtold/Bosch, § 33 Rz. 11; Lahme in Kamann/Ohlhoff/Völcker, § 27 Rz. 13; zuletzt Mäsch in Berg/Mäsch, § 33 Rz. 25.

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ken. Abwehransprüche mittelbarer Abnehmer oder Lieferanten betreffen nicht die Geschäftsbeziehungen, an denen sie selbst beteiligt sind, sondern solche zwischen anderen Marktbeteiligten. Wenn man die Geltendmachung solcher Abwehransprüche zuließe, hätte dies zur Folge, dass mittelbare Abnehmer oder Lieferanten, anders als bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, in ihnen fremde Vertragsbeziehungen eingreifen würden.50 Ein erstes Beispiel: Bei einer Liefersperre eines marktbeherrschenden Unternehmens hat der gesperrte Abnehmer u.U. einen Unterlassungsanspruch, der auch auf Belieferung gehen kann. Dem mittelbaren Abnehmer kann gegen das sperrende Unternehmen ohne weiteres ein Schadensersatzanspruch zugebilligt werden, wird doch dadurch das Vertragsverhältnis zwischen Sperrendem und Gesperrtem nicht tangiert. Anders stellt sich die Lage dar, wenn man dem mittelbaren Abnehmer einen Unterlassungsanspruch gegen das sperrende Unternehmen zubilligen würde: Durch die Geltendmachung eines solchen Anspruchs könnte ein Eingriff in ein Vertragsverhältnis vorgenommen werden, an dem der mittelbare Abnehmer nicht beteiligt ist und das der Gestaltung durch die unmittelbar an diesem Vertragsverhältnis beteiligten Parteien überlassen bleiben sollte. Denn es sollte allein in der Entscheidungskompetenz des Gesperrten liegen, ob und zu welchen Bedingungen er die Vertragsbeziehungen mit dem sperrenden Unternehmen fortsetzen oder auf einen anderen Anbieter ausweichen oder aber den Bezug und den Vertrieb des Produkts ganz einstellen will. Ein weiteres Beispiel: Bei einem Preiskartell zielt der Beseitigungsanspruch des unmittelbaren Abnehmers neben einer Rückerstattung in Höhe der Differenz zwischen gezahltem Preis und hypothetischen Marktpreis51 auch auf eine ex nunc wirkende Preisanpassung durch die am Folgevertrag beteiligten Vertragspartner. Dasselbe gilt etwa bei einem Konditionenkartell, bei dem die unmittelbaren Abnehmer mittels des Beseitigungsanspruchs eine Vertragsanpassung verlangen können. Ob dieser Anspruch geltend gemacht wird, sollte ebenso in der alleinigen Entscheidungszuständigkeit des unmittelbaren Abnehmers liegen wie die Einigung über die Vertragsanpassung im einzelnen. Um die hiermit angedeuteten nachteiligen Wirkungen für das Vertragsverhältnis der unmittelbaren Abnehmer und Lieferanten mit der den Wettbewerbsverstoß begehenden Partei zu vermeiden, ist die Aktivlegitimation bei den Abwehransprüchen des § 33 Abs. 1 GWB für die mittelbaren Abnehmer und Lieferanten auszuschließen: Der Begriff des „Betroffenen“ umfasst neben den in § 33 Abs. 3 GWB genannten Mitbewerbern nur solche Marktbeteiligte, die unmittelbar auf der Marktgegenseite tätig sind. Diese hiermit vorgeschlagene Deutung verträgt sich auch mit dem Unionsrecht. Wie erwähnt,52 verlangt dieses – neben einem Anspruch auf Schadensersatz – auch nach einem im mitgliedstaatlichen Recht verankerten vorbeugenden Rechtsschutz für die von einem Wettbewerbsverstoß in ihren Rechten betroffenen Personen in Form eines Unterlassungsanspruchs, doch ist bei der Ausgestaltung dieses Rechts50 So bereits Roth, Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Huber, 2006, S. 1133, 1142; insoweit zustimmend Mäsch in Berg/Mäsch, § 33 Rz. 25. 51 Vgl. zu einer missbräuchlich vorenthaltenen angemessenen Vergütung durch einen marktbeherrschenden Nachfrager: BGH v. 6.10.1992 – KZR 10/91 – Stromeinspeisung, WuW/E BGH 2805, 2811 f. 52 S. im Text unter V.2.

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Zur Aktivlegitimation im deutschen Kartelldeliktsrecht

schutzes den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Das insoweit zu beachtende Gebot der praktischen Wirksamkeit steht nicht entgegen: Zum einen sind die unmittelbar betroffenen Abnehmer und Lieferanten diejenigen Parteien, die für eine effektive Durchsetzung der Abwehransprüche Sorge tragen können. Und zum anderen stößt das Gebot der praktischen Wirksamkeit dort auf immanente Schranken, wo die Geltendmachung von Abwehransprüchen in unzulässiger Weise in die Entscheidungsautonomie der unmittelbaren Abnehmer und Lieferanten eingreifen würde. Die Existenz eines Schadensersatzanspruchs für die mittelbaren Abnehmer und Lieferanten sollte insoweit als ausreichend angesehen werden. 3. Auswirkungen auf § 33a Abs. 1 GWB? Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kreis der Aktivlegitimierten bei den Abwehransprüchen nach § 33 Abs. 1 GWB enger zu ziehen ist als beim Schadensersatz­ anspruch nach § 33a Abs. 1 GWB. Dies schließt es aber nicht aus, Wertungen, die bei § 33 Abs. 1 GWB zu einer Eingrenzung der Aktivlegitimation führen, auch bei § 33a Abs. 1 GWB zumindest zu berücksichtigen: Wenn und soweit im Rahmen von § 33 Abs. 1 und Abs. 3 GWB als von einem Wettbewerbsverstoß Betroffene nur Mitbewerber und sonstige „Marktbeteiligte“ angesehen werden können, liegt darin eine Einschränkung der Anspruchsberechtigung auf solche Teilnehmer am Marktgeschehen, die den maßgeblichen Nachteil in marktvermittelter Weise erlitten haben bzw. (vo­ raussichtlich) erleiden werden.53 Dahinter steht die Wertung des Gesetzgebers, die Aktivlegitimation für Abwehransprüche in rechtssicherer und voraussehbarer Weise einzugrenzen. Dieser Gesichtspunkt kann auf den Schadensersatzanspruch des § 33a Abs. 1 GWB übertragen werden. In seinem Kone-Urteil hat der Gerichtshof die Schadensersatzberechtigung bloß mittelbar Geschädigter beim umbrella pricing gegenüber der mitgliedstaatlichen Anforderung eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abgesichert,54 zugleich aber auch angedeutet, dass es in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten fällt, nicht nur die Einzelheiten der Erfordernisse eines Kausalzusammenhangs zu regeln, sondern auch, dass in diesem Zusammenhang die Vorhersehbarkeit des Schadens eine Rolle spielen kann.55 Und die Richtlinie 2014/104/EU betont in ihrem Erwägungsgrund Nr.  11, dass der Schadensersatzanspruch durch mitgliedstaatliches Recht von der Voraussetzung der Adäquanz abhängig gemacht werden kann. Hier liegt der Schlüssel, um die Aktivlegitimation derjenigen Geschädigten einzugrenzen, deren Schäden nicht marktvermittelt eintreten. Die Adäquanzprüfung darf – aus unionsrechtlicher Perspektive – hierbei zwar nicht in der Weise praktiziert werden, dass damit in kategorischer Weise und unabhängig von den Umständen des Einzelfalls56 die Aktivlegitimation der Geschädigten ausgeschlossen wird, doch wird man bei den hier in Frage stehenden potentiell Geschädigten – Arbeitnehmer oder Gesellschafter eines geschädigten Unternehmens – davon ausgehen kön-

53 S. oben im Text bei Fn. 47. 54 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 31, 33. 55 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 30, 34. 56 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-557/12 – Kone, EU:C:2014:1317 Rz. 33.

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nen, dass die Schadensentstehung und der Schadensumfang oft nur sehr schwer vorausgesehen werden können.57

VII. Zusammenfassung 1. Bei der Aktivlegitimation besteht – abweichend von der herrschenden Lehre – kein Gleichlauf zwischen § 33a Abs. 1 GWB und § 33 Abs. 1 GWB. 2. Zu den „Betroffenen“ i.S.v. § 33 Abs. 1 und 3 GWB zählen nicht solche Geschädigte, deren Beeinträchtigung nicht marktvermittelt verursacht wird. Sie sind nicht als „Marktbeteiligte“ anzusehen. 3. Mittelbare Abnehmer und Lieferanten sind nicht „betroffen“ i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB. 4. Bei nicht marktvermittelten Schäden (von Arbeitnehmern oder Gesellschaftern) kann der Gesichtspunkt der Adäquanz zu einer Einschränkung des Schadensersatz­ anspruchs nach § 33a Abs. 1 GWB führen.

57 Die Anwendung des Adäquanztests wirft allerdings die Frage auf, ob ein vom allgemeinen Deliktsrecht abweichender Prüfungsstandard mit dem Äquivalenzgrundsatz des Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU vereinbar ist.

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Die Anpassung von Energielieferverträgen an durch die Energiewende veränderte Umstände I. Auslegung der vertraglichen Wirtschaftsklausel II. Die Voraussetzungen für die Anpassung im Einzelnen 1. Die Verhältnisse der Energiemärkte vor Inkrafttreten der EEG-Reform 2009 a) Rechtliche Rahmenbedingungen ­langfristiger Stromlieferverträge b) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen c) Technische Verhältnisse beim Vertrags­schluss

2. Wesentliche, außerhalb der Risikosphäre einer Partei liegende Änderungen nach Abschluss des Vertrages 3. Vorhersehbarkeit der Änderungen 4. Vorliegen einer unbilligen Härte III. Besonderheiten bei der Feststellung der unbilligen Härte bei Kraftwerks­ beteiligungsverträgen (Gemeinschaftskraftwerken) IV. Zusammenfassung

I. Auslegung der vertraglichen Wirtschaftsklausel Die Parteien der vor dem Inkrafttreten des EEG 2009 abgeschlossenen Stromlieferverträge sind von der Energiewendepolitik der Gesetzgebung überrascht worden. In den Verträgen finden sich aber Wirtschaftsklauseln (Hardshipklauseln), die bei Er­ füllung der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen eine unbillige Härte aus­ gleichen sollen. Es soll im Folgenden geprüft werden, ob die Energiewende für diese Verträge die Anwendungsvoraussetzungen der Wirtschaftsklausel erfüllt.1 Die Wirtschaftsklausel ist Bestandteil der Preisregeln des Vertrages. Sie schützt denjenigen, der an die Preisregelungen des Vertrages gebunden ist, vor unbilliger Härte bei nachträglichen, unvorhersehbaren Änderungen der Vertragsgrundlagen, auf denen die Parteien den Vertrag gebaut haben. Ist der Vertrag in seiner Gesamtheit zwischen den Parteien ausgehandelt, kommt seinen Einzelbestimmungen bei einer den Vertrag als Sinnganzes harmonisch auslegenden Betrachtung grundsätzlich gleiches Gewicht zu. Ist die Wirtschaftsklausel dagegen nicht mitverhandelt, sondern als Formularklausel von einer Seite mit Zustimmung

1 Näher dazu: Säcker, Die Anpassung von langfristigen Verträgen an bei Vertragsschluss unvorhergesehene und unvorhersehbare Umstände im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung, in Festschrift Westermann, 2008, S.  617  ff.; zu den unterschiedlichen Gestaltungen von Hardship-Klauseln vgl. Säcker, Die kollisionsrechtliche Verweisung auf Prinzipien europäischen oder internationalen Vertragsrechts in grenzüberschreitenden Schuldverträgen in ihrer Bedeutung für vertragliche Hardship-Klauseln, in Festschrift Beys, 2003, S. 1391 ff.

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der anderen in den Vertrag aufgenommen, kann ihr Gewicht nach § 305b BGB zurücktreten.2 Diese vertraglich ausgehandelten Klauseln sind grundsätzlich individuell gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Dies gilt auch, wenn dabei die Parteien typische, in der Praxis allgemein verwandte Begriffe und Klauseln verwenden.3 Diese sind nach dem in ihnen ausgedrückten Sinngehalt auszulegen und mit den übrigen Bestimmungen zu harmonisieren.4 Die Wirtschaftsklausel definiert gemäß dem von den Parteien gewählten Inhalt,5 unter welchen Voraussetzungen ein Strombezugsvertrag an später eingetretene Entwicklungen anzupassen ist, um das vereinbarte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung über die Laufzeit des Vertrages auch bei schwerwiegenden Änderungen aufrecht zu erhalten.6 Dabei sind die notwendige Stabilität, aber auch die Flexibilität der auf die langfristige Durchführung des Vertrages bezogenen Regelungen, die in einem natürlichen Spannungsverhältnis zueinanderstehen, situationsrelativ zum Ausgleich zu bringen. Die Wirtschaftsklausel konkretisiert die in allen europäischen Privatrechtsordnungen in unterschiedlichen Ausprägungen anerkannte Lehre der „clausula rebus sic stantibus“, nach der jedes Rechtsgeschäft von beiden Parteien unter der stillschweigenden Erwartung abgeschlossen wird, dass die Umstände so bleiben, wie sie bei Vertragsabschluss liegen bzw. für die Zukunft prognostiziert worden sind.7 Wenn diese gemeinsame Erwartung enttäuscht wird, soll die clausula rebus sic stantibus bei erheblichen Störungen des vertraglichen Gleichgewichts eingreifen und eine billige, gerechte Lösung ermöglichen. Die in § 242 BGB wurzelnde8 und heute in § 313 BGB positivierte Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses zwischen Stabilität (pacta sunt servanda) und der Wiederherstellung immanenter Vertragsgerechtigkeit. Sie greift unabhängig vom konkreten Willen der Parteien im Zeitpunkt des Ereignisses, das den Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirkt, ein.9 Dieses Prinzip des Vorrangs der vertraglichen Loyalität vor starrem Festhalten am einmal ausgehandelten Vertrag ist unabdingbar. Diese Anforderungen können nicht verschärft werden. Der Rechtssatz „pacta sunt servanda“ stößt kraft zwingenden Rechts an seine immanenten Schranken, wenn die Geschäftsgrundlage des Vertrages durch nachträgliche, unvorhersehbare Entwicklungen grundlegend gestört wird.

2 BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 47/12, Rz. 22. 3 So schon Büdenbender in Festschrift Baur, 2002, S. 415, 419; Steindorff, BB 1983, 1127, 1129. 4 Näher Säcker in MünchKomm. BGB, Bd. 1 7. Aufl. 2015, Einl. Rz. 177 ff. 5 Vgl. zu den verschiedenen Spielarten Säcker in Festschrift Beys, 2003, S. 1391 ff. 6 Vgl. dazu näher: Säcker in Festschrift Sonnenschein, 2002, S. 597. 7 Vgl. Finkenauer in MünchKomm. BGB, Bd. 2 7. Aufl. 2016, § 313 Rz. 20. 8 Schubert in MünchKomm. BGB, Bd. 2 7. Aufl. 2016, § 242 Rz. 502 f. 9 Säcker in Festschrift Sonnenschein, 2002, S. 597 ff.

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Energiewende und Anpassung von Energielieferverträgen

Die Parteien können aber im Rahmen ihrer privatautonomen Gestaltungsfreiheit im Vorfeld des Eingreifens von §  313 BGB, d.h. auch ohne dass eine Unzumutbarkeit gegeben sein muss, bei sich ändernden wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Verhältnissen Anpassungsklauseln vereinbaren, die an weniger schwerwiegende Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten anknüpfen, als dies § 313 BGB tut,10 sofern die Parteien die abstrakte gesetzliche Risikoverteilung für den konkret von ihnen gewählten Vertragstyp als zu hart oder als nicht spezifiziert genug ansehen.11 An die Stelle des Gesetzes treten dann die konkreten vertraglichen Mindestanforderungen an die Anpassungsberechtigung.12 Die Wirtschaftsklausel verpflichtet die Vertragsparteien auf Antrag einer Partei, bei Vorliegen der vertraglich vereinbarten Voraussetzungen den Vertrag für die Zukunft vom Tage des Zugangs des Anpassungsbegehrens anzupassen.13 Solche Klauseln zielen auf einen vernünftigen und billigen Interessenausgleich ab, wenn die Fortsetzung des Vertrages für eine der Parteien eine unbillige Härte bedeuten würde. Die Anpassung des Vertrages kann dann nur insoweit gefordert werden, als sie notwendig ist, um die unbillige Härte zu beseitigen.14 Im Übrigen ist das im Vertrag vereinbarte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu wahren.15 In der Vertragspraxis bilden solche Anpassungsklauseln die Grundlage dafür, dass langfristige Bindungen eingegangen werden können, da so sichergestellt ist, dass wesentliche nachträgliche Veränderungen berücksichtigt werden können.16 Der Bundesgerichtshof legt die Anwendungsvoraussetzungen von Anpassungsklauseln grundsätzlich teleologisch weit aus; denn die Entscheidung der Parteien für die Aufnahme einer Anpassungsklausel in den Vertrag zeige ihren gemeinsamen Willen, auf nachträgliche rechtliche und tatsächliche Änderungen der Vertragsgrundlagen zu reagieren, wenn diese bei langfristigen Verträgen das vereinbarte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung signifikant verändern.17 Wird das vertraglich geschuldete Entgelt für die gesamte Laufzeit eines langfristigen Vertrages fest fixiert oder durch eine Preisformel im Voraus bestimmt, so bringen die Parteien durch Aufnahme der Anpassungsklausel zum Ausdruck, dass sie die bei Vertragsschluss in An10 Vgl. Säcker in Festschrift Sonnenschein, 2002, S. 597; Horn, NJW 1985, 1118, 1119. 11 Baur in Festschrift Steindorf, 1990, S. 514. 12 Säcker in Festschrift Sonnenschein, 2002, S. 597, 604; exemplarisch dazu: BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 47/12 – AOS, Rz. 16. 13 de Wyl/Soetebeer in Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, Handbuch, 4. Aufl. 2013, S. 712. 14 BGH v. 13.5.1974 – VIII ZR 38/73, BGHZ 62, 314 = BB 1974, 1270; BGH v. 4.6.1975 – VIII ZR 243/72, BB 1975, 898 = NJW 1975, 1557. 15 Büdenbender in Festschrift Baur, 2002, S.  415, 433; Baur in Festschrift Steindorf, 1990, S. 509, 516. 16 So bereits BGH v. 21.10.1958 – VIII ZR 1/58, BB 1958, 1220 ff.; BGH v. 4.7.1979 – VIII ZR 245/78, BB 1979, 1213 ff.; OLG Karlsruhe v. 22.4.1980 – 8 U 56/76, ZIP 1981, 283 ff. 17 Vgl. BGH v. 18.11.2011 – V ZR 31/11, Rz. 13 mit Verweis auf BGH v. 8.11.1972 – VIII ZR 123/71, WM 1972, 1442; BGH v. 3.2.1984  – V ZR 191/82, WM 1984, 406, 407; BGH v. 3.7.1981 – V ZR 100/80, BGHZ 81, 135, 141 = NJW 1981, 2241; näher Säcker in MünchKomm. BGB, Bd. 1 7. Aufl. 2015, Einl. Rz. 156 ff.

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betracht der bestehenden oder erwarteten Marktverhältnisse vereinbarte Wertrela­ tion von Leistung und Gegenleistung auch bei wesentlichen Veränderungen der Umstände mit Hilfe der Klausel gewahrt wissen wollen. Deshalb sind Anpassungsklauseln zu Recht weit auszulegen bzw. nach ihren Grundgedanken fortzubilden, um sicherzustellen, dass sie ihren vertragsimmanenten Zweck erfüllen können.18 In Hinblick auf den steigenden Anteil erneuerbarer Energien hatte der Bundesgerichtshof über eine Steuer- und Abgabenklausel in einem langfristigen Liefervertrag zu entscheiden, wo höhere Beschaffungskosten durch das EEG 2000 und das KWKG 2000 entstanden waren.19 Zunächst stellte das Gericht fest, dass es sich bei den durch das EEG und das KWKG entstandenen Mehraufwendungen entsprechend den Leistungspflichten nach dem Stromeinspeisungsgesetz vom 7.12.1990 nicht um Steuern oder öffentlich-rechtliche Abgaben i.S. des Wortlauts der Klausel handele, da keine Einnahmen zugunsten der öffentlichen Hand generiert werden.20 Das Gericht erkennt aber eine Vertragslücke, da die Parteien im Vertrag noch keine Regelung bezüglich der Frage treffen konnten, wer die zusätzlichen Kosten für die Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu staatlich bestimmten Festpreisen zu tragen hat; denn bei Vertragsschluss existierte diese staatliche Form der Förderung noch nicht und war auch nicht vorhersehbar.21 Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung legte das Gericht die Klausel, die ihrem Wortlaut nach nur Steuern und öffentlich-rechtliche Lasten erfasste, weit aus: „Entgegen der Auffassung des BerGer. kann nicht angenommen werden, dass aus der Sicht der Bekl. die Kl. hinsichtlich der nicht aufgeführten Kostenfaktoren festpreistypisch bewusst das Risiko einer Störung des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung in Kauf genommen hat. [...] Nichts anderes gilt für die hier in Rede stehenden Belastungen der Kl. infolge der Neuregelung der Subventionierung des aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gewonnenen Stroms. Diese durch staatliche Eingriffe veranlassten Mehrkosten sind von sonstigen Änderungen der Beschaffungs- und Vertriebskosten auf dem Strommarkt zu unterscheiden, deren Veränderung in den Risikobereich der Klägerin fällt.“22 Was für staatlich veranlasste Mehrkosten gilt, muss sinngemäß auch für staatlich veranlasste Preissenkungen gelten, die auf den Großhandelsmärkten durch die Vermarktung staatlich massiv subventionierter erneuerbarer Energien eingetreten sind. Die Auslegung des Bundesgerichtshofs verdeutlicht die Aufgabe der Anpassungsklausel 18 Vgl. statt anderer Lettl, JuS 2001, 347 m.w.N. 19 BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 90/02, WM 2004, 262 zur Klausel: „Soweit künftig eine Kohlensteuer, eine Energiesteuer oder sonstige die Beschaffung, die Übertragung oder die Verteilung von elektrischer Energie belastende Steuern oder Abgaben irgendwelcher Art wirksam werden sollten, trägt diese der Kunde, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.” 20 BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 90/02, Rz. 12 mit Verweis auf Rechtsprechung zum Strom­ EinspG: BGH v. 22.10.1996 – KZR 19/95, BGHZ 134, 1, 27 f. und BVerfG v. 9.1.1996 – 2 BvL 12/95, NJW 1997, 573. 21 BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 90/02, Rz. 16. 22 BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 47/12, NJW 2013, 2745 Rz. 17; vgl. Büdenbender, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2001, 298, 313 f.

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in einem langfristigen Vertrag, nämlich den Leistungsaustausch über die gesamte Vertragslaufzeit in Reaktion auf die Veränderungen der Marktbedingungen im inneren Gleichgewicht zu halten. Nach Vertragsschluss neu eintretende, außerhalb der Risikosphäre der Parteien liegende Umstände müssen bei Vereinbarung einer Anpassungsklausel deshalb daraufhin überprüft werden, ob sie das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung beeinträchtigen.

II. Die Voraussetzungen für die Anpassung im Einzelnen Eine Wirtschaftsklausel enthält typischerweise vier Tatbestandselemente, die kumulativ gegeben sein müssen: ȤȤ Die dem Vertrag zugrundeliegenden technischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse müssen sich nachträglich geändert haben. ȤȤ Die Änderungen müssen wesentlich sein. ȤȤ Die nachträgliche Änderung muss unvorhergesehen und unvorhersehbar eingetreten sein. ȤȤ Die Änderung muss eine unbillige Härte zur Folge haben. Ein langfristiger Stromlieferungsvertrag wird unter den technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten abgeschlossen, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehen. Diese Umstände bilden die Grundlage des Vertrages, von der ausgehend beide Parteien erwarteten, dass der Vertrag für sie ein positives Ergebnis bringen würde. Ohne eine solche Erwartung hätten die Parteien den Vertrag nicht abgeschlossen. 1. Die Verhältnisse der Energiemärkte vor Inkrafttreten der EEG-Reform 2009 a) Rechtliche Rahmenbedingungen langfristiger Stromlieferverträge Stromlieferungsverträge standen vor 2009 unter dem Regime des EnWG 199823 i.d.F. durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des EnWG von 200324 und unter dem Rechtsregime des EEG 2004.25 Das EEG 2004 zielte auf die Erreichung eines ökologischen Politikziels der Bundesrepublik und auf die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der RL 2001/77/ EG ab. Es regelte die Abnahme und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Ener­ giequellen und den Ausgleich regional unterschiedlicher Strom- und Vergütungsmengen.26 Zur Realisierung einer nachhaltigen ökologisch orientierten Energie­ versorgung betonte das EEG 2004 die Notwendigkeit der Steigerung des Anteils 23 Energiewirtschaftsgesetz v. 24.4.1998 (BGBl. I 1998, S. 730). 24 BGBl. I 2003, S. 686. 25 Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich v. 21.7.2004 (BGBl. I 2004, S. 1918). 26 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 13.

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erneuerbarer Energien.27 Als ein Kernelement setzte das Gesetz Zwischenziele für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung.28 Nach dem in §  1 Abs. 2 EEG 2004 aufgestellten Zweck zielte das Gesetz darauf, den Anteil erneuer­ barer Energien bis zum Jahr 2010 auf 12,5 % und bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20 % zu erhöhen. Nach der im Februar 2018 abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD soll der Anteil erneuerbarer Energien auf 65 % bis 2030 erhöht werden. Die Zielvorgaben dienen der Reduktion der Treibhausgasemissionen, zu der sich die Bundesrepublik im Rahmen der Lastenverteilung des Kyoto-Protokolls verpflichtet hat.29 Die Kernelemente des EEG 2004 beruhen auf dem Stromeinspeisungsgesetz aus dem Jahr 1991. Entsprechend sah das EEG 2004 ein gestuftes Abnahme- und Vergütungssystem für Strom aus erneuerbaren Energiequellen vor.30 Im Einzelnen war ein Netzbetreiber gemäß § 4 EEG 2004 verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Grubengas unverzüglich vorrangig an sein Netz anzuschließen und den gesamten angebotenen Strom aus diesen Anlagen vorrangig für den Verkauf in seinem Netzgebiet abzunehmen oder an Dritte zu übertragen. Für diesen Strom statuierte § 5 Abs. 1 EEG 2004 eine Vergütungspflicht der Netzbetreiber an den Betreiber der Kraftwerke mit Einsatz regenerativer Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung in gesetzlich festgelegter Höhe (vgl. §§ 6-12 EEG 2004).31 Der Anlagenbetreiber erhielt nach diesem System eine feste Vergütung vom aufnehmenden Netzbetreiber. § 14 EEG 2004 normierte zusätzlich eine bundesweite Ausgleichsregelung, nach der die Übertragungsnetzbetreiber den unterschiedlichen Umfang der zu vergütenden Strommengen untereinander auszugleichen haben, um eine unterschiedliche Belastung der Netzbetreiber und indirekt damit der Verbraucher zu vermeiden, die in Regionen mit hoher Einspeisung erneuerbarer Energien wie zum Beispiel in Nordund Ostdeutschland leben.32 Eine Direktvermarktung war nicht vorgesehen. Dieses Instrument der Direktvermarktung wurde erstmals in § 17 EEG 2009 eingeführt.33 Durch für Investoren höchst attraktive und im Vergleich zu anderen EU-Staa-

27 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 13. 28 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 13. 29 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 13. 30 Zur Entwicklung der Gesetzgebung zum EEG, Salje, EEG 2014, Einleitung Rz. 452 ff.; das Prinzip des Mengenausgleichs galt unter dem EEG 2004 und EEG 2009 und wurde erst durch die Ausgleichsmechanismusverordnung 2010 abgelöst. 31 Da es sich nicht um eine Zahlungspflicht an eine öffentliche Einrichtung handelt, liegt keine Abgabenlast, sondern eine Preisfestsetzung im Rahmen des Austauschverhältnisses der beteiligten Unternehmen vor, so zutreffend BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 90/02, WM 2004, 748 Rz. 12; so auch OLG Düsseldorf v. 10.10.2002 – 17 U 76/02, RdE 2003, 74, 75; Gent, RdE 2001, 50, 54; Ebel, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2001, 812, 814; Büdenbender, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2001, 298, 308. 32 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 37. 33 Dort galt das Instrument aber noch als unattraktiv; vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Aufl. 2013, S. 512.

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ten wesentlich höhere Förderung des Absatzes erneuerbarer Energien34 i.V.m. der Einspeiseverpflichtung sank die typische Auslastung der Kohlekraftwerke von 6.000 – 7.500 h pro Jahr auf deutlich unter 5.000 h. Einen weiteren Pfeiler des für langfristige Stromverträge relevanten Rechtsregimes vor 2009 stellt das im Jahr 2004 in Kraft getretene Emissionshandelssystem nach dem TEHG 2004 dar,35 das die Vorgaben der Emissionshandelsrichtlinie36 umsetzte. Die Unternehmen konnten bis zum Jahr 2009 eine im Wesentlichen kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten erwarten. Im Rahmen der Novellierung der Richtlinie 2002/87/EG wurde die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten ab der dritten Handels­ periode 2013 drastisch reduziert. b) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Bei Abschluss eines langfristigen Vertrages gehen die Parteien als Geschäftsgrundlage davon aus, dass Leistung und Gegenleistung für die gesamte Vertragslaufzeit in dem bei Vertragsschluss vereinbarten Äquivalenzverhältnis zueinander stehen sollen. Bei langfristigen Kohlestromlieferverträgen, die vor 2009 abgeschlossen wurden, erwarteten die Vertragsparteien, dass ein an den Gestehungskosten orientierter Beschaffungspreis angesichts knapper Kohlestromkapazitäten in Zukunft unter den Preisen auf den Stromabsatzmärkten liegen werde, so dass ein weiterverteilendes Unternehmen mit einem profitablen Absatz des Stroms rechnen konnte. Dieses Verständnis der Vertragsgrundlage basiert auf folgenden drei Gesichtspunkten: (1) Die Parteien erwarten, wenn sie sich an den Gestehungskosten des Verkäufers orientieren, dass dieser Preis ein positives Ergebnis beim Weiterverkauf auf den Absatzmärkten zulässt. (2) Erfahrene Kaufleute schließen einen langfristigen Vertrag nur ab, wenn sie einen angemessenen Gewinn für sehr wahrscheinlich halten und überzeugt sind, dass der Absatz des Produkts über die Vertragslaufzeit hinweg zu marktgerechten Preisen mit Gewinn möglich ist. Ein Vertrag macht nur bei Beachtung dieser kaufmännischen Maxime Sinn, weil nur so die Abnahmefähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit des Händlers für den gelieferten Strom erhalten bleibt.37 (3) Gestützt auf die Erfahrungen der Vergangenheit, gingen die Unternehmen vor 2009 auch für die Zukunft von Preissteigerungen beim Strom aus. Kein Unternehmen rechnete damals mit sinkenden Preisen. Die Unternehmen schlossen damals die Verträge in der Erwartung weiterhin hoher Strompreise ab, während 34 Zur EU-rechtlichen Zulässigkeit nationaler Subventionen für erneuerbare Energien, solange eine gemeinsame europäische Energieumweltpolitik fehlt, vgl. Steffens, Erneuerbare Energien im Europäischen Binnenmarkt für Elektrizität. Zugleich eine Abgrenzung von Warenverkehrs- und Beihilfenrecht Elektrizität, 2018. 35 Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen, (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz - TEHG) v. 8.7.2004 (BGBl. I 2004, S. 1578). 36 ABl. EU Nr. L 338 v. 13.11.2004, S. 18. 37 Vgl. BGH v. 7.11.2006 – KVR 39/05, WuW/E DE-R 1890, 1893.

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sie glaubten, dass angesichts weltweit hoher Kohlereserven die Kosten für Steinkohle in Zukunft relativ stabil blieben. Sie konnten sich für diese Annahme auf ihre Erfahrung mit der Preisbildung auf den Großhandelsmärkten anhand der Merit-Order der Kraftwerke stützen,38 für deren Veränderung damals keine belastbaren Anhaltspunkte bestanden. Der Zubau erneuerbarer Energien war zwar geeignet, die Merit-Order zugunsten grenzkostenniedrigerer EEG-Anlagen zu verändern, da diese bei ausreichender Quantität des Eintritts in den Markt die Merit-Order nach rechts (also zu Lasten fossiler Brennstoffe) verschieben würden. Vor 2009 gingen Experten aber von einem nur bescheidenen Zubau erneuerbarer Energien aus; der prognostizierte Umfang war nach den damaligen Wachstumserwartungen nicht geeignet, die Merit-Order mit Einfluss auf die Großhandelspreise erheblich zu verändern. c) Technische Verhältnisse beim Vertragsschluss Die technischen Probleme bei Verträgen mit Kraftwerken im Bau führten vor 2009 vor allem wegen nachträglicher teurer staatlicher Umweltschutzauflagen wie z.B. beim Kohlekraftwerk Moorbug zu nicht vorhergesehenen Verzögerungen der Inbetriebnahme, häufig auch zur Verringerung des Wirkungsgrads des Kraftwerks. Durch die technische Nachrüstung und die dadurch bedingten Verzögerungen verteuert sich der Bau des Kraftwerks und führt zu einer nicht eingeplanten unvorhersehbaren Erhöhung des ursprünglich vereinbarten Preises. 2. Wesentliche, außerhalb der Risikosphäre einer Partei liegende Änderungen nach Abschluss des Vertrages Voraussetzung für die Anwendung der Wirtschaftsklausel ist, dass sich die beim Vertragsschluss zugrundeliegenden Umstände wesentlich geändert haben. Nicht jede nachträgliche Veränderung der Vertragsgrundlagen oder der Vertragsperipherie stellt die Stabilität des Vertrages vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit in Frage.39 Im Sinne einer hypothetischen Kausalitätsbetrachtung muss der entsprechende Umstand vielmehr so bedeutsam sein, dass die Parteien den Vertrag so nicht abgeschlossen hätten, wenn sie die spätere Änderung eines für den Vertragsschluss wichtigen Wertungsmoments vorhergesehen hätten. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima beschloss die Bundesregierung am 6.6.2011 ein Energiepaket, dessen Regelungsschwerpunkt auf dem schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie lag und das den massiv verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien durch staatliche Beihilfen vorsah.40 Die gesetzlichen Ausbau38 Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 176 ff. 39 Finkenauer in MünchKomm. BGB, Bd. 2 7. Aufl. 2016, § 313 Rz. 58. 40 Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 59: Energie 2011, Wettbewerbsentwicklungen mit Licht und Schatten, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß §  62 Abs.  1 EnWG, S. 34 ff.

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ziele des EEG 2012 wurden deshalb deutlich gegenüber der bestehenden Regelung angehoben. Bis 2020 sollten gemäß §  1 EEG 2012 mindestens 35  % und bis 2050 mindestens 50 % der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien erfolgen. Verträge, die vor 2004 abgeschlossen wurden, mussten sich dagegen noch am Ausbauziel des EEG 2004 von 20 % bis zum Jahr 2020 orientieren. Das EEG vom 25.10.200841 sah dann bereits bis zum Jahr 2020 30% und später eine kontinuierliche Erhöhung vor. Das Maßnahmenpaket war der Startschuss für die deutsche Energiewende, deren Schwerpunkt auf der Abkehr von Strom aus Kernkraftwerken und dem massiven Zubau erneuerbarer Energienanlagen lag.42 Zusätzlich forcierte die Ausgleichsmechanismusverordnung im Jahr 2009 die Marktintegration erneuerbarer Energien.43 Das EEG 2012 verpflichtete auf der Grundlage der Ausgleichsmechanismusverordnung alle größeren Betreiber erneuerbarer Energienanlagen zur vollständigen Vermarktung ihres Stroms an der Börse und trug damit weiter zur Senkung des Börsenpreises bei. Aufgrund der niedrigen Grenzkosten von EEG-Anlagen wurden mit wachsendem Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion teurere Kraftwerke aus der Merit-Order verdrängt; die Großhandelspreise sanken. Zudem ließ die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa die Nachfrage nach Energie nicht unerheblich sinken. In den USA führte die „unkonventionelle“ Förderung von Gas aus Schiefergestein mit der sog. Frackingmethode zur Selbstversorgung mit Gas und machte die USA importunabhängig und inzwischen sogar exportbereit. Die nicht mehr in die USA exportierten Gasmengen drückten auf die europäischen Gasmärkte. Dadurch veränderten sich seit 2011 die wirtschaftlichen Vertragsbedingungen gravierend mit der Folge drastisch sinkender Großhandelspreise für Elektrizität. Diese Veränderungen haben das Äquivalenzverhältnis von Leistung (Wert des gelieferten Kohlestroms an der Börse) und Gegenleistung (kostenorientierter Vertragspreis) gravierend gestört,44 zumal zu befürchten ist, dass diese Schere zwischen dem Vertragspreis und dem Großhandelspreis in Zukunft noch weiter auseinanderdriftet.

41 BGBl. I 2008, S. 2074. 42 Vgl. BMU, Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland unter Verwendung von Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik (AGEE-Stat), Stand: Januar 2015, Tabelle 4. 43 Vgl. Steffens in Säcker, BerlKommEnR, EEG, 2014, Einl. Rz. 2 ff. 44 Das OLG Hamm v. 16.12.2011 – I-19 U 154/10 hat ein Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle bei Erdgaslieferverträgen bereits dann angenommen, wenn sich der Marktpreis um mehr als 10 Prozent geändert hat. Das Gericht überträgt eine Entscheidung des BGH (v. 4.7.1979  – VIII ZR 245/78, WM 1979, 1097) zu Wirtschaftsklauseln in langfristigen Pacht- und Mietverträgen damit auf Energielieferverträge. Richtig ist, dass jeder Individualvertrag einschließlich seiner Risikoverteilung und der Begleitumstände konkret zu würdigen ist. Der vorübergehende oder geringfügige Verlust der Profitabilität des Vertrages für eine Partei stellt noch keine wesentliche Veränderung dar. Vielmehr muss als Folge der Veränderungen das wirtschaftliche Vertragsgleichgewicht betroffen sein und für eine Partei muss die wirtschaftliche Opfergrenze überschritten sein.

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Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesetzgeber die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten, beginnend mit dem Jahr 2013, entgegen den vor 2009 bestehenden Erwartungen der Parteien beendete. Diese Änderungen gehören nicht zur genuinen Risikosphäre des Kaufs von Kohlestrom.45 Die Änderungen des gesetzlichen Ordnungsrahmens („Energiewende“), insbesondere die Förderung eines forcierten Ausbaus der erneuerbaren Energien hat von außen her die wirtschaftlichen Grundlagen dieser Verträge verändert und das vereinbarte Synallagma von Leistung und Gegenleistung aus den Angeln gehoben hat, indem sie den kostendeckenden Absatz des Steinkohlestroms angesichts der gesunkenen Großhandelspreise und des intensiven Wettbewerbs unmöglich gemacht hat. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern. Diese Veränderungen sind sämtlich nach Inkrafttreten des EEG 2009 eingetreten, wobei die Sicht- und Wertungsweise der Parteien bezüglich der beim Abschluss des Vertrages erwarteten zukünftigen Situation maßgebend ist.46 Die gravierenden rechtlichen Änderungen traten mit der EEG-Novelle 2009 und verschärft mit dem EEG 2012 mit dem Verfall der Großhandelspreise für Strom durch die massive staatliche Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien ein. Die politischen Forderungen nach Beendigung der Verstromung von Braun- und Steinkohle lassen erwarten, dass dieses Ziel in den nächsten Jahren durch massive staatliche Anhebung der Mindestpreise für CO2-Zertifikate bis zur Höhe des Dreifachen des heutigen Preises vorangetrieben wird. Diese externen Änderungen liegen außerhalb des von den Parteien bei Vertragsschluss vor 2009 übernommenen und zu tragenden Risikos. 3. Vorhersehbarkeit der Änderungen Die nachträglichen Änderungen müssen, auch wenn dies in der Wirtschaftsklausel nicht ausdrücklich erwähnt ist, als allgemein anerkanntes stillschweigend mitgeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Parteien unvorhergesehen und unvorhersehbar gewesen sein. Es muss feststehen, dass die Parteien den Vertrag nicht in dieser Form abgeschlossen hätten, wenn sie die spätere Entwicklung vorausgesehen hätten.47 Wäre der Eintritt der Veränderungen und die Auswirkungen auf den Vertrag aus objektiver Sicht unter Berücksichtigung des Wissens von Fachleuten ex-ante konkret vorhersehbar gewesen, so müsste jene Partei das Risiko des „unforseen, but forsee­ able“ tragen, die das Risiko getroffen hat. Die Fehleinschätzung fiele dann ihr allein zur Last.48 Die energiepolitischen und daraus resultierenden rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die die Durchführung des Vertrages für den Strombezieher bei Verkauf des Kohlestroms zu Marktpreisen zum Fiasko machen, waren bei

45 Vgl. Büdenbender in Festschrift Baur, 2003, S. 415, 417. 46 Vgl. zu § 313 BGB Teichmann in Soergel, BGB Schuldrecht Bd. 3/1 a, 13. Aufl. 2014, § 313 Rz. 78. 47 Vgl. Säcker in Festschrift Sonnenschein, 2002, S. 597, 609. 48 Vgl. zu §  313 BGB Teichmann in Soergel, BGB Schuldrecht 3/1 a, 13. Auf. 2014, §  313 Rz. 86.

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Vertragsschluss vor 2009 noch nicht erkennbar. Sie konnten deshalb bei den Vertragsverhandlungen auch nicht diskutiert und einer Seite zugeordnet werden. Die Bundesregierung hat nach der Reaktorkatastrophe in Japan im Jahre 2011 unter Inkaufnahme sogar verfassungsrechtlicher Fehler49 „den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg“50 aus der Atomenergie beschlossen, und als Alternative dazu den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien beschlossen. Damit konnten die Vertragsparteien nicht rechnen, hatte die Bundesregierung doch erst kurz zuvor eine Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke beschlossen.51 Bezüglich der Ausbauziele für EEG-Anlagen war mit einer solchen staatlichen Förderung des Zubaus vor 2009 nicht zu rechnen. Europarechtlich bestanden auch keine entsprechenden Vorgaben für diesen Ausbau, so dass die Parteien bei Vertragsschluss mit dem Fortbestand der damaligen Rechtslage rechnen konnten. Zwar bewirkte bereits das EEG 2000 in den Jahren bis 2004 einen Anstieg der Nutzung erneuerbarer Energien zur Stromerzeugung.52 Dennoch waren die Dimensionen des späteren Ausbaus keinesfalls absehbar. So stieg der Anteil von erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von 4,6 % im Jahr 1998 auf rund 8 % im Jahr 2004;53 der Zuwachs blieb aber im einstelligen Bereich und löste noch keine Besorgnisse i.S. der Gefahr einer Verdrängung von fossilen Brennstoffen oder gar einer Dekarbonisierung aus. Mit der nahezu vollständigen Marktintegration der erneuerbaren Energien durch das EEG 2009 und 2012 sank die Auslastung der konventionellen Kraftwerke dramatisch. Die Senkung des Niveaus der Großhandelspreise und die Reduktion der Laufzeiten als Folge der rasant ansteigenden Erzeugung von Strom aus Wind- und Sonnenenergie waren beim Vertragsschluss für alle Marktbeteiligten völlig überraschend. Der spätere Ausbau gemäß den Zielvorgaben des EEG 2012 überstieg alle Erwartungen der Experten.54 In der Steigerung der EEG-Umlagen von 0,54 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2004 auf 6,68 Cent pro Kilowattstunde im Jahre 2017 zeigt sich das Ausmaß der staatlich dem Verbraucher auferlegten Subventionierung des EEGStroms, das den Absatz des in konventionellen Kraftwerken erzeugten Stroms über die Börse in Zukunft immer stärker auf Phasen begrenzt, in denen Wind und Sonne wegen der Wetterlage bzw. der Nachtzeit als Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. Die aus dem mit staatlichen Garantien gestützten rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien resultierenden preissenkenden Effekte waren nicht vorhersehbar und konnten vor 2009 auch bei Beachtung aller kaufmännischen Sorgfalt in seiner Dimension auch nicht annährend prognostiziert werden. 49 BVerfG v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 2 BvR 321/12, 2 BvR 1456/12, NJW 2017, 217. 50 Vgl. Artikel, Die Zeit v. 24.3.2011, http://www.zeit.de/2011/13/Regierungsvertrauen (letzter Abruf 3.1.2017). 51 Deutscher Bundestag, Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zugestimmt, 22.10.2010, http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/32009392_kw43_de_atompolitik/​ 203098. 52 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 15. 53 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 15/2327, S. 15. 54 DENA, Netzstudie II.

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4. Vorliegen einer unbilligen Härte Um die Wirtschaftsklausel anwenden zu können, muss das Festhalten an den ursprünglichen Vertragsbedingungen unter den veränderten Bedingungen eine unbillige Härte darstellen. Der Bundesgerichtshof55 hat dazu ausgeführt: „Denn nach ihr [Anm.: der vorliegenden Vertragsbestimmung] besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung nur dann, wenn einem Vertragspartner infolge grundlegender Veränderung die Beibehaltung der Vertragsbestimmungen nicht mehr zugemutet werden kann, weil die auf einen gerechten Ausgleich der beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen abzielenden Absichten der Vertragspartner nicht mehr erfüllt werden. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Partei nach der vertraglichen Vereinbarung das Risiko von Veränderungen in einem bestimmten Bereich zu tragen hat. Insoweit enthält die vorliegende Klausel ähnliche Kriterien wie die gesetzliche Regelung über eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage, die ebenfalls darauf abstellt, ob einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag unter Berücksichtigung insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung nicht zugemutet werden kann (§ 313 Abs. 1 BGB).“ Die Entscheidung bezieht sich zwar auf einen Sachverhalt, der die Unzumutbarkeit einer weiteren Vertragserfüllung i.S.d. § 313 BGB zum Gegenstand hat. Eine unbillige Härte i.S.d. Wirtschaftsklausel ist aber bereits unterhalb der Schwelle der Unzumutbarkeit gegeben, da der Begriff geringere Anforderungen an das Anpassungsrecht stellt als der Begriff der unzumutbaren Härte. Wenn Unzumutbarkeit i.S.d. Rechtsprechung zu bejahen ist, liegt daher auch immer eine unbillige Härte vor. Bei der Feststellung einer unbilligen Härte geht es um die vertragsrechtliche Frage, ob das Festhalten einer Seite am Vertrag unter den konkreten Umständen unbillig hart ist oder nicht. Die Anpassungsklausel ist immer auf den konkreten Vertrag bezogen, um für diesen Vertrag56 einen fairen, gerechten Interessenausgleich vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit wiederherzustellen. Das Tatbestandsmerkmal der unbilligen Härte knüpft an die vertragliche Risikoverteilung an. Mit dem Vertragspreis haben die Parteien das Preisrisiko nach ihrem situativen Verständnis der rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände bei Vertragsschluss für die Laufzeit des Vertrages in der Annahme verteilt, dass die Vereinbarung eines kostenbasierten Preisindex zu einem Preis für den im Kraftwerk produzierten Strom führen würde, der sich auf der Höhe des Großhandelspreises bewegte und dabei gleichzeitig noch einen Gewinn ermöglichen sollte. Die unbillige Härte ergibt sich aus der Höhe der eingetretenen Verluste.57 Der erwartete Nettovertragswert eines Vertrages als ökonomisch maßgeblicher Bewertungsfaktor für die Qualität eines langfristigen Vertrages hat zum Zeitpunkt des Vertrags55 BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 47/12, Rz. 25, ZNER 2013, 507 ff. 56 Typischerweise stellen daher auch die Wirtschaftsklauseln nicht auf die Gesamtheit der Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien, sondern auf die Wirkungen des konkreten Vertrags ab. 57 Finkenauer in MünchKomm. BGB, Bd. 2 7. Aufl. 2016, § 313 Rz. 77.

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schlusses vor 2009 bei Annahme von mindestens 6.000 Volllaststunden pro Jahr einen deutlich positiven Wert, der sich bei nahezu allen Verträgen durch den aus der Energiewende folgenden Preisverfall bei Steinkohle- und Gaskraftwerken ins Negative gewendet hat. In dem Verfall des Vertragswertes spiegeln sich die Verluste, die der Vertrag dem Käufer bereitet. Dauerhafte unvermeidbare Verluste, die als Folge unvorhersehbarer, außerhalb der Risikosphäre der Parteien liegender nachträglicher Umstandsänderungen eine Partei bei einem Vertrag mit noch langer Laufzeit treffen, sind dann ausgleichspflichtig, wenn sie den von den Parteien gewollten billigen und gerechten Interessensausgleich zunichtemachen. Im Kontext von Marktbeherrschungsfällen wird bereits eine Überschreitung des angemessenen Preises von mehr als 10 % als wesentlich angesehen und als missbräuchlich eingestuft.58 Der Vertragspreis wird dann auf den wettbewerbsanalogen Preis abgesenkt. Diese Wertung lässt sich in aller Vorsicht auf die hier vorliegende Situation übertragen. Überschreitet der Vertragspreis für die Beschaffung den Marktpreis langfristig um mehr als 10 %, ist eine unbillige Härte i.S.d. Wirtschaftsklausel zu bejahen. Vertrags- oder Vermögensverhältnisse außerhalb der vertraglichen Sphäre der Parteien können die unbillige Härte nicht beseitigen, die der konkrete Vertrag für eine Partei hat. Entscheidend ist, dass der Vertrag bei unverändertem Fortbestand zu der unbilligen Härte führt. Vergleicht man die heutige Situation mit der vor 2009 erwarteten Situation, so spricht vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit alles dafür, eine unbillige Härte zu bejahen und für die Zukunft eine Anpassung dieses Vertrages zu bejahen.

III. Besonderheiten bei der Feststellung der unbilligen Härte bei ­Kraftwerksbeteiligungsverträgen (Gemeinschaftskraftwerken) Eine nach vorstehenden Maßstäben festgestellte unbillige Härte könnte aber entfallen, wenn der Stromliefervertrag ein Kraftwerksbeteiligungsvertrag ist und deshalb der Kunde das Risiko von Marktpreisveränderungen voll mitübernommen habe.59 Von einem Kraftwerksbeteiligungsvertrag als einem vom Austauschvertrag wesensverschiedenen gesellschaftsrechtlich strukturierten kooperativen Vertrag lässt sich 58 BGH v. 16.12.1976 – KVR 2/76, BGHZ 68, 23 – Valium/Librium; BGH v. 22.7.1999 – KVR 12/98, WuW/E DE-R 375, 379 – Flugpreisspaltung; BGH v. 28.6.2005 – KVR 17/04, NVwZ 2006, 853, 855  f.  – Stadtwerke Mainz; OLG Düsseldorf v. 17.3.2004  – Kart 18/03 (V), ­WuW/E DE-R 1439, 1443 Stadtwerke Mainz, näher dazu Säcker, Der wettbewerbsanaloge Preis als Kontrollmaßstab im Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, in Freiheit durch Recht, 2016, S. 449 ff. 59 So der Kartellsenat des OLG München (v. 27.4.2017 – U 3922/15 Kart, WuW 2017, 618; ebenso LG Essen v. 12.3.2018 – 3 O 28/17), wenn er unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 23.1.2013 die Ansicht vertritt, dass es sich bei dem konkreten Stromliefervertrag um einen Vertrag handele, der einem „Kraftwerkskauf“ ähnele, bei dem der Kunde das Risiko fallender Marktpreise übernommen habe.

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indes nur sprechen „bei Konstellationen, bei denen die Belieferung aus einem Kraftwerk nach der Vorstellung der Vertragspartner eine Eigenerzeugung darstellen solle, indem sich Letztverbraucher anteilige Nutzungsrechte an der Anlage gesichert haben.“60 Ist der Betreiber kein Letztverbraucher, sondern ein Weiterverteiler, der Kunden am Markt suchen muss und diese nur zu Marktpreisen finden kann, so ist seine Bindung an den Vertrag nicht deshalb intensiver, weil er sich mit einem Geldbetrag (forward payment) am Bau des Kraftwerks beteiligt hat, um dadurch später einen günstigeren Preis zu erlangen. Das OLG München hat den Unterschied zwischen letztverbrauchenden und weiterverteilenden Unternehmen nicht angemessen berücksichtigt. Wenn der Strom nicht der Eigenversorgung des Unternehmens dient, sondern zum Absatz an Dritte (Endverbraucher oder Weiterverteiler) bestimmt ist, sind solche Verträge bei langfristiger Bindung nicht ohne Wirtschaftsklausel denkbar; denn das Risiko fallender Marktpreise ohne Anpassungsmöglichkeit an veränderte Markt- oder Börsenpreise würde kein nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer, gewissenhafter Geschäftsführung handelndes Unternehmen eingehen. Die Geschäftsführung machte sich dann schadensersatzpflichtig. Die kostenbasierte Preisformel in solchen Kraftwerksscheibenverträgen hat die Aufgabe, während der Laufzeit des Vertrages Strom zu Preisen zu liefern, der sich mit Gewinn weiterveräußern lässt. Wenn dies aufgrund völlig veränderter Umstände verfehlt wird, so bedarf es der Korrektur durch Anwendung der Wirtschaftsklausel. Das OLG München61 ist zu seiner Fehlbeurteilung gekommen, weil es die essentialia negotii des abgeschlossenen Vertrages allein anhand des Wortlauts und nicht anhand einer Inhaltsanalyse bestimmt hat. Ein langfristiger Liefervertrag über eine ungesicherte Strommenge, der als Entgelt eine sog. Leistungskomponente und eine Arbeitskomponente enthält, ist und bleibt ein (lediglich durch die Aufsplitterung der Kaufpreiszahlung atypischer) Kaufvertrag und wird dadurch nicht zu einem aus zwei Hauptleistungspflichten bestehenden gemischt-typischen Vertrag. Das OLG München verkennt, dass der Kunde gar kein eigenes Interesse an der Vorhaltung von Strom hat; er will einen für ihn möglichst günstigen Kaufpreis erreichen. Er benötigt keine Vorhaltung von Strom. Strom ist ein homogenes Gut, das auch in den nächsten Jahren im Überfluss vorhanden ist. Es geht daher nicht um die Sicherung eines knappen Guts durch Vorhaltung dieses Guts für den Kunden, da im deutsch-österreichischen Markt immer jede gewünschte Strommenge verfügbar ist. Die Volkswirtschaft leidet nicht unter zu wenig, sondern unter zu vielen (stillgelegten) Kraftwerken. Bei langfristigen Lieferverträgen hat ausschließlich der Kraftwerksbetreiber, der ein neues Kraftwerk baut, und nicht der Kunde ein Interesse, eine für ihn möglichst günstige Finanzierung seiner Investition nicht nur mit Bankkrediten, sondern auch mit Krediten seiner Kunden zu erreichen, die dann wirtschaftlich in Kraftwerksscheibenverträge eingebettet werden. Der „Leistungspreis“ ist in diesen Fällen Bestandteil des 60 Vgl. § 104 Abs. 4 EEG 2017; dazu Bundesnetzagentur, Hinweis zur EEG-Umlagepflicht für Stromlieferungen in Scheibenpacht-Modellen und ähnlichen Mehrpersonen-Konstellationen und zum Leistungsverweigerungsrecht nach der „Amnestie-Regelung“ des §  104 Abs. 4 EEG 2017, 26.1.2017. 61 OLG München v. 27.4.2017 – U 3922/15 Kart, WuW 2017, 618.

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Kaufpreises. Mit der Zahlung erfüllt der Käufer seine Pflicht nach § 433 Abs. 2 BGB; er übernimmt damit aber keine Risiken, die der Verkäufer als Betreiber eines Kraftwerks zu tragen hat. Angesichts der langfristigen Bindung des Kunden stellt sich im Einzelfall auch die Frage, ob nicht die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllt sind, und zwar auch dann, wenn der Kunde nicht verpflichtet ist, seinen Bedarf beim Kraftwerksbetreiber zu decken; denn er ist wirtschaftlich durch die Pflicht zur Zahlung des Leistungspreises für die ganze Laufzeit des Vertrages gezwungen, den Strom zum vereinbarten Arbeitspreis, der, isoliert betrachtet, unter dem Gesamtpreis potentieller Konkurrenten liegt, abzunehmen.

VI. Zusammenfassung 1. Die für die Abnahme von Kraftwerkstrom vor 2009 vereinbarten gestehungskostenbasierten Preisformeln waren von beiden Parteien typischerweise mit der Erwartung verbunden, dass der Vertragspreis die Weiterveräußerung des Stroms profitabel ermöglichte. Für den Fall, dass sich die Weiterveräußerung aufgrund unvorhersehbarer Umstände dauerhaft als „unbillige Härte“ darstellt, sollte die mit dem Vertrag verbundene Wirtschaftsklausel der benachteiligten Partei die Anpassung des Vertrages erlauben. Der rasante Verfall des Vertragswertes aufgrund nachträglicher Veränderung des relevanten Vertragsumfeldes als Folge der dauerhaft tief unter den Vertragspreis gefallenen Marktpreise ist ein unvorhersehbares Ereignis. 2. Die Wirtschaftsklausel erlaubt bei unbilliger Härte eine Anpassung des Vertrages an veränderte rechtliche, wirtschaftliche und technische Bedingungen, soweit diese außerhalb der Risiko- und Verantwortungssphäre der von der unbilligen Härte betroffenen Partei liegen. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn durch den Verfall des Strompreises am Markt das vertraglich vereinbarte Äquivalenzverhältnis zwischen dem Vertragspreis für den gelieferten Kraftwerkstrom und dem Wert des Kraftwerkstromes an der Börse inzwischen grundlegend gestört ist und eine Besserung während der Laufzeit des Vertrages nach Expertenansicht unrealistisch ist. 3. In das Urteil, ob eine unbillige Härte vorliegt, ist die Gesamtvermögenssituation einer Partei einschließlich ihrer sonstigen Verträge nicht miteinzubeziehen. Die unbillige Härte ist, wenn keine andere Regelung getroffen ist, nur bezogen auf den abgeschlossenen langfristigen Vertrag festzustellen. Bei einem Stromliefervertrag mit einem weiterverteilenden Unternehmen ist nach der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte und der Gesetze zur Energiewende eine unbillige Härte zu bejahen, wenn eine Weiterveräußerung des gelieferten Stroms zu annähernd kostendeckenden Preisen dauerhaft nicht mehr möglich ist. In einem solchen Falle ist die Anpassung des Vertragspreises, ggf. auch eine Aufhebung des Vertrages analog § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB angemessen und billig.

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Ulrich Schwalbe

Algorithmen, maschinelles Lernen und kollusives Verhalten 1. Einleitung 2. Algorithmen als Instrument zur Kollusion 2.1 Algorithmen und strukturelle Marktbedingungen 2.2 Algorithmen als Instrument zur ­Erleichterung einer Verhaltens­ koordination 2.3 Kollusion zwischen Algorithmen 3. Algorithmen und maschinelles Lernen 3.1 Überwachtes Lernen 3.2 Unüberwachtes Lernen 3.3 Reinforcement Learning 3.4 Deep Learning 4. Algorithmische Koordination in der ­Literatur 4.1 Algorithmen, Lernen und wiederholte Spiele 4.2 Bestärkendes Lernen in Spielen

4.3 Bestärkendes Lernen und Koope­ ration von Algorithmen in der ­Informatik 4.4 Bestärkendes Lernen in Oligopol-Spielen 5. Oligopolistische Kollusion – Ergebnisse der experimentellen Wirtschaftsforschung 5.1 Auswirkungen der Anzahl der ­Akteure 5.2 Kollusion und Kommunikation 6. Können Algorithmen lernen, miteinander zu kommunizieren? 7. Algorithmische Kollusion und Wett­ bewerbspolitik 8. Fazit Literatur

1. Einleitung Die wachsende Bedeutung von Big Data in der digitalen Wirtschaft und die zunehmende Verbreitung preissetzender Algorithmen haben Befürchtungen genährt, dass diese Technologien neuartige Wettbewerbsprobleme aufwerfen könnten. Eines der Themen, das von Wettbewerbsjuristen und -politikern derzeit intensiv diskutiert wird, ist die Frage, ob intelligente, lernende, preissetzende Algorithmen, die von vielen Unternehmen im Rahmen eines dynamischen Preismanagements genutzt werden, kollusives Verhalten in oligopolistischen Märkten erleichtern oder sogar verursachen können. Es wird vermutet, dass solche Algorithmen durch die Beobachtung des Preissetzungsverhaltens der Algorithmen von Wettbewerbern in kurzer Zeit lernen könnten, ihre Preise zu koordinieren und sich gemeinsam wie ein Kartell zu verhalten, um den gesamten Gewinn der Unternehmen im Markt zu maximieren. Es wird befürchtet, dass diese Art von „algorithmischer Kollusion“ nicht nur auf Märkten mit wenigen Akteuren, sondern auch im Fall einer größeren Anzahl von Unternehmen, in so genannten weiten Oligopolen, auftreten kann. Diese neue Art kollusiven Verhaltens bringt auch eine Reihe wettbewerbsrechtlicher Probleme mit sich, die z.B. Fragen der Haftung, der Definition einer „Vereinbarung“, der Überwachung von Algorithmen als auch der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Falle algorithmischer Kollusion betreffen. 739

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Diese Bedenken wurden vor allem von juristischer Seite geäußert, die darauf hingewiesen hat, dass intelligente, lernende Algorithmen in der Lage sein könnten, schnell zu lernen, ein koordiniertes Gleichgewicht in oligopolistischen Märkten zu erreichen. Seit 2015 wurden mehrere Beiträge zu diesen vermeintlichen negativen Auswirkungen von Algorithmen auf den Wettbewerb veröffentlicht. Hier sind z.B. die Arbeiten von Ezrachi/Stucke (2015, 2016a, 2016b, 2017), Mehra (2015), Oxera (2017), Pas­quale (2016), Woodcock (2017) zu nennen. Die Diskussion hat auch die breitere Öffentlichkeit erreicht und Berichte über die vermeintlichen Gefahren algorithmischer Kollusion wurden unter anderem im Economist, im New Yorker, in der Harvard Business Review, in der Financial Times veröffentlicht und haben zu einer beachtlichen Publizität dieses Themas geführt.1 Die Zeitschrift Antitrust Chronicle hat eine ganze Ausgabe den Bedenken bezüglich der Auswirkungen von Algorithmen auf den Wettbewerb gewidmet.2 Viele Wettbewerbsbehörden, darunter auch die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, das Bundeskartellamt und auch die französische Wettbewerbsbehörde, scheinen dieses Thema sehr ernst zu nehmen. Algorithmische Kollusion wurde auch auf mehreren wettbewerbspolitischen Konferenzen diskutiert, z.B. auf der Internationalen Kartellkonferenz in Berlin, einem OECD Roundtable,3 aber auch auf wissenschaftlichen Tagungen wie z.B. der Cresse Con­ ference zur Industrieökonomik. Allerdings wird auch die Ansicht vertreten, dass die Sorge, lernende, preissetzende Algorithmen könnten sich tatsächlich koordiniert verhalten und überhöhte Preise verlangen, nicht gerechtfertigt ist und die Thematik eher in das Gebiet der „juristischen Science Fiction“ verwiesen werden muss.4 In der aktuellen Diskussion über algorithmische Kollusion gibt es zumindest zwei Aspekte, die unbefriedigend sind. Erstens werden preissetzende Algorithmen in vielen juristischen Beiträgen wie eine mysteriöse Black Box behandelt – es wird nicht erklärt, wie diese Algorithmen funktionieren, was maschinelles Lernen ist, welche Arten von maschinellem Lernen in preissetzenden Algorithmen eingesetzt werden, wie Algorithmen lernen und was sie lernen können. Im Allgemeinen gehen diese Beiträge nur davon aus, dass es für derartige autonome Akteure überaus einfach und geradezu unvermeidlich ist, sich koordiniert zu verhalten. Die Frage, unter welchen Bedingungen im Fall mehrerer interagierender Algorithmen in einer sich ändernden Umwelt eine derartige Koordination erreicht werden kann, wird nicht näher erörtert. Zweitens lassen diese Beiträge sowohl die computerwissenschaftliche Literatur zu koordiniertem Verhalten von Algorithmen als auch die experimentelle ökonomische Forschung zu kollusivem Verhalten in Oligopolen außer Acht. Diese Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass es für Unternehmen in der Regel recht schwierig ist, durch eine stillschweigende Kollusion ein gemeinsames Gewinnmaximum zu erreichen. Insbesondere hat sich herausgestellt, dass die Kommunikation zwischen den 1 Price-Bots Can Collude Against Consumers, in: Economist, May 6, 2017; When Bots Collude, in: The New Yorker, 25. April 2015; How Pricing Bots Could Form Cartels and Make Things More Expensive, in: Harvard Business Review, 27. Oktober 2016; Policing the Digital Cartels, in: Financial Times, 8. Januar 2017. 2 Antitrust Chronicle, Mai, Vol. 2, Spring 2017. 3 OECD (2017). 4 Schrepel (2017).

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Akteuren in Situationen mit mehr als zwei Firmen ein entscheidender Faktor für das Erreichen eines koordinierten Gleichgewichtes ist. Im vorliegenden Beitrag werden die in der juristischen Literatur geäußerten Bedenken bezüglich der befürchteten algorithmischen Kollusion unter Berücksichtigung einiger Beiträge aus der Computerwissenschaft über maschinelles Lernen und algorithmische Koordination in Szenarien mit mehreren Akteuren, so genannten Multi-Agenten-Szenarios, untersucht. Diese Literatur zeigt, dass ein koordinierten Verhalten oftmals nur schwer erreicht werden kann und stark von der spezifischen Modellierung abhängt. Außerdem scheint eine Kollusion umso schwieriger erreichbar zu sein, je komplexer die Algorithmen sind. Da die in der Praxis verwendeten Algorithmen aufgrund der raschen Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz immer ausdifferenzierter werden, führt dies tendenziell zu einer geringeren Kollusionswahrscheinlichkeit. Dies entspricht auch den Resultaten der experimentellen Wirtschaftsforschung, die deutlich gemacht hat, dass kollusives Verhalten im Falle von mehr als zwei Akteuren in aller Regel nur dann auftritt, wenn die Akteure die Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren. Es ist daher zu fragen, ob Algorithmen lernen können, miteinander zu kommunizieren, da dies eine wesentliche Voraussetzung für Kollusionen zu sein scheint. Einige neuere Arbeiten lassen vermuten, dass Algorithmen tatsächlich in der Lage sein können, selbstständig zu erlernen, untereinander Nachrichten auszutauschen, wenn auch in sehr begrenzter und eingeschränkter Form. Die Forschung steht hier allerdings noch am Anfang. Es zeigt sich daher, dass bei Algorithmen mit höherem Komplexitätsgrad die Koordination einerseits schwieriger wird; andererseits können komplexere Algorithmen jedoch lernen, miteinander zu kommunizieren, was eine Koordination wiederum erleichtern könnte. Angesichts des derzeitigen Forschungsstandes im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens scheinen die Bedenken hinsichtlich der algorithmischen Kollusion jedoch gegenwärtig nicht gerechtfertigt zu sein. Angesichts des rasanten Fortschritts in der KI-Forschung kann nicht ausgeschlossen werden, dass Algorithmen in Zukunft in der Lage sind, zu lernen, miteinander zu kommunizieren und sich kollusiv zu verhalten. Daher wird die Frage untersucht, ob und welche Änderungen im Wettbewerbsrecht aufgrund des Problems der algorithmischen Kollusion gegebenenfalls angezeigt sind. Der Beitrag ist wie folgt gegliedert: In Abschnitt 2 werden die in der juristischen Literatur angeführten Argumente bezüglich der Gefahr algorithmischer Kollusion vorgestellt. Im 3. Abschnitt wird eine kurze Einführung in die verschiedenen Arten des maschinellen Lernens gegeben, des überwachten, des nichtüberwachten sowie des verstärkenden Lernens. In Abschnitt 4 werden einige Ergebnisse aus der Spieltheorie und der Informatik zur algorithmischen Koordination vorgestellt. Anschließend werden in Abschnitt 5 die wesentlichen Ergebnisse der experimentellen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur zur stillschweigenden Kollusion kurz zusammengefasst. Hier zeigt sich, dass im Fall von mehr als zwei Akteuren die Kommunikation zwischen ihnen von zentraler Bedeutung ist, damit ein kollusives Gleichgewicht erreicht werden kann. Abschnitt 6 gibt einen kurzen Überblick über die Literatur, die sich mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen Algorithmen lernen kön741

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nen, miteinander zu kommunizieren. Es zeigt sich, dass dies in der Tat möglich zu sein scheint, wenn bislang jedoch nur in sehr reduzierter Form. Im 7. Abschnitt werden einige Probleme angesprochen, die sich für das Wettbewerbsrecht und die Wettbewerbspolitik in Beziehung auf den Umgang mit algorithmischer Kollusion stellen. Im letzten Abschnitt werden die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung kurz zusammengefasst.

2. Algorithmen als Instrument zur Kollusion Im Zusammenhang mit preissetzenden Algorithmen werden zumeist zwei verschiedene Wettbewerbsprobleme diskutiert. Erstens können Unternehmen mithilfe des Einsatzes von Algorithmen in Verbindung mit Daten über die Verbraucherpräferenzen, die Kaufgewohnheiten, die Suchhistorie ihrer einzelnen Kunden usw. personalisierte Preise berechnen, die es den Unternehmen ermöglichen, die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher weitgehend abzuschöpfen, um durch eine solche Preisdifferenzierung ihre Gewinne zu steigern. Das zweite Wettbewerbsproblem bezieht sich auf die Möglichkeit, dass preissetzende Algorithmen auf Märkten mit unvollständigem Wettbewerb zu einer Verhaltenskoordination, d.h. zu einem kartellähnlichen Verhalten der Unternehmen führen können. Im Folgenden liegt der Fokus ausschließlich auf dem zweiten Problem, der Frage der algorithmischen Kollusion. 2.1 Algorithmen und strukturelle Marktbedingungen Preissetzende Algorithmen können das kollusive Verhalten von Unternehmen auf unterschiedliche Weise beeinflussen. So können sie zum einen die strukturellen Marktbedingungen derart verändern, dass ein koordiniertes Verhalten der Unternehmen erleichtert wird. Wenn Unternehmen beispielsweise Algorithmen einsetzen, die die von ihren Wettbewerbern geforderten Preise in Echtzeit erfassen und analysieren, wird dadurch die Markttransparenz erhöht, und Abweichungen von einem kollusivem Gleichgewicht können schneller und einfacher erkannt werden. Außerdem werden dadurch auch die Sanktionsmechanismen effektiver, da Preise sehr schnell geändert werden können und durch eine entsprechende Preisanpassung eine wirksame Vergeltungsmaßnahme bei einem Abweichen vom koordinierten Gleichgewicht zur Verfügung steht. Fraglich ist jedoch, ob durch preissetzende Algorithmen Marktzutrittsschranken, ein wichtiger Faktor für ein koordiniertes Gleichgewicht, errichtet oder erhöht werden. Bei vielen Unternehmen, die Algorithmen zur Preisbestimmung einsetzen, handelt es sich um Online-Plattformen, die durch Netzwerk- und Skaleneffekte gekennzeichnet sind und bei denen in kurzer Zeit große Datenmengen anfallen. Dadurch werden die preissetzenden Algorithmen präziser und effektiver, was einen Markteintritt für Neueinsteiger erschweren könnte, da diese nicht über vergleichbare Informationen verfügen, weil sie erst seit kurzem auf dem Markt sind und ihnen aufgrund ihrer zumeist geringen Größe nur vergleichsweise kleine Datenmengen zur Verfügung stehen. Andererseits gibt es seit einiger Zeit eine Reihe unabhängiger Unternehmen, die algo742

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rithmische Preissetzung als Dienstleistung anbieten, wie z.B. Feedvisor, PricingPro oder Intelligence Node. Dies wiederum erleichtert den Markteintritt, da keine Fixkosten für die Installation von Kapazitäten zur Datenspeicherung und -analyse mehr anfallen, sondern lediglich variable Kosten in Höhe der Nutzung der Dienstleistung. Algorithmen können die Möglichkeiten für ein koordiniertes Verhalten aber auch reduzieren. Insbesondere in Märkten, die durch Innovationswettbewerb gekennzeichnet sind, bedeuten verbesserte Algorithmen einen Wettbewerbsvorteil, da sie es ermöglichen, den Verbrauchern personalisierte Angebote zu machen und individuelle Produkte anzubieten, was den Spielraum für Kollusionen beschränkt. Auch können durch effiziente Algorithmen Kosten eingespart werden, wie z.B. in der Logistik aufgrund einer optimierten Routenplanung. Weiterhin ist zu vermuten, dass zwischen einer Verhaltenskoordination der Unternehmen einerseits und der Möglichkeit personalisierter Preise und Angebote andererseits ein erhebliches Spannungsverhältnis besteht. So kann in Märkten, in denen eine personalisierte Preisgestaltung möglich ist, durch eine entsprechende Preisdifferenzierung bereits der größte Teil der Konsumentenrente abgeschöpft werden, so dass nur geringe Anreize zu einer koordinierten Preissetzung bestehen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Anreize zu kollusivem Verhalten vor allem dann besonders hoch sind, wenn es keine Möglichkeiten zu einer personalisierten Preis- und Angebotsgestaltung gibt, wie das bei vielen standardisierten Produkten der Fall sein dürfte. Auch ist eine Reihe von Effizienzvorteilen im Zusammenhang mit der Verwendung von Algorithmen zu berücksichtigen. So wird z.B. die Änderung von Preisen einfacher, da kein menschliches Eingreifen mehr erforderlich ist und die Preise somit leichter an veränderte Nachfragebedingungen angepasst werden können, was zu einer verbesserten Effizienz führt. Da durch Algorithmen die Markttransparenz erhöht wird, stehen auch den Verbrauchern durch die Angebote von Preisvergleichsportalen mehr und genauere Informationen über die aktuellen Preise zur Verfügung. Weiterhin ist es denkbar, dass auch Wettbewerbsbehörden Algorithmen zur Preisbeobachtung und -analyse einsetzen, um ungewöhnliches und auffälliges Preisverhalten festzustellen, das auf mögliche Wettbewerbsprobleme wie z.B. Kartelle oder koordiniertes Verhalten hindeutet. Es kann daher keine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, ob eine breite Verwendung lernender, preissetzender Algorithmen die strukturellen Marktbedingungen so verändert, dass ein kollusives Verhalten erleichtert wird oder ob dies den Wettbewerbsdruck erhöht. Dies dürfte von den spezifischen Bedingungen jedes einzelnen Marktes abhängen. So könnten in einigen Märkten die Bedingungen durch Algorithmen so verändert werden, dass ein koordiniertes Verhalten eher unwahrscheinlicher wird. In anderen Märkten könnte genau das Gegenteil der Fall sein. 2.2 Algorithmen als Instrument zur Erleichterung einer Verhaltenskoordination Algorithmen können jedoch nicht nur die strukturellen Marktbedingungen verändern, sondern auch direkt als Instrument zur Koordinierung eines Kartells eingesetzt werden. Algorithmen haben dann die Funktion eines so genannten „Facilitating de743

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vice“. Auf diese Weise wurden Algorithmen z.B. in den Fällen Topkins und Trod eingesetzt.5 Hier haben sich Online-Firmen, die Plakate auf der Plattform „Amazon Marketplace“ verkaufen, darauf geeinigt, den gleichen Algorithmus zu verwenden, um auf diese Weise ein Preiskartell zu etablieren. Ein weiterer Fall, in dem Preisbildungsalgorithmen als Koordinationsinstrument eingesetzt wurden, ist der EturasFall, in dem ein Buchungssystem als Werkzeug zur Koordinierung der Aktionen der Unternehmen diente. Im Hinblick auf die Untersuchung der direkten Auswirkungen von Algorithmen auf den Wettbewerb haben Ezrachi/Stucke (2015, 2016) eine Kategorisierung anhand verschiedener Szenarien vorgeschlagen, um die unterschiedlichen Funktionen, die Algorithmen in Bezug auf die Koordinierung der Handlungen und Preise der Unternehmen haben können, systematisch zu untersuchen. Das erste Szenario ist das „Messenger-Szenario“. Hier setzen Unternehmen Algorithmen als Werkzeug ein, um damit ein Kartell zu etablieren, wie das in den oben genannten Fällen Topkins und Trod geschehen ist. Die Unternehmen kommen überein, einen einheitlichen Algorithmus zu verwenden, der dafür sorgt, dass der gewinnmaximierende Preis auch bei sich ändernden Marktbedingungen gesetzt wird. Ein solches Verhalten wirft jedoch keine neuartigen Wettbewerbsprobleme auf, da in diesem Fall eine explizite Vereinbarung zwischen den am Kartell beteiligten Unternehmen erforderlich ist. Bisher haben Unternehmen immer die ihnen zur Verfügung stehende Technologien eingesetzt, um ein Kartell zu bilden, es zu gestalten und zu organisieren. Algorithmen haben in diesem Szenario also eine ähnliche Funktion wie Telefon oder E-mail. In diesen Fällen dürfte das bestehende Wettbewerbsrecht völlig ausreichen, um diese Art von Wettbewerbsproblemen zu erfassen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Algorithmen z.B. bezüglich des Informationsaustausches zwischen Unternehmen zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnen, indem kodierte oder versteckte Informationen gesendet und empfangen werden, die Dritten gegenüber unverständlich oder unentdeckt bleiben. Das „Hub-Spoke“-Szenario unterscheidet sich vom Messenger-Szenario dadurch, dass hier mehrere Unternehmen denselben Algorithmus verwenden, indem sie Preis­ entscheidungen an einen Dritten auslagern, der eine algorithmische Preissetzung als Dienstleistung anbietet, wie beispielsweise die Preisberatungsunternehmen Boom­ erang Commerce oder PricingPro. Dieser Dritte würde dann als „Nabe“ in einem Radnaben-Kartell fungieren. In diesem Szenario könnte, so wird vermutet, ein koordiniertes Gleichgewicht entstehen, wenn die Preisbildung durch einen zentralen Algorithmus zu Preisen führt, die den gemeinsamen Gewinn der Unternehmen maximieren. Es ist jedoch zum einen unklar, ob ein Preisberatungsunternehmen, d.h. die „Nabe“, differenzierte und kundenspezifische Algorithmen einsetzt. Zum anderen gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die eine algorithmische Preissetzung als Dienstleistung anbieten und es ist keineswegs offensichtlich, welches Marktergebnis sich einstellen würde, wenn Wettbewerber mit unterschiedlichen Preisoptimierern, wie z.B. Feedvisor, PricingPro oder Boomerang, zusammenarbeiten würden. Da diese 5 https://www.justice.gov/atr/case/us-v-david-topkins; https://www.justice.gov/atr/case/​us-vdaniel-­william-aston-and-trod-limited.

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Firmen miteinander im Wettbewerb stehen, hat jede einen Anreiz, seinen Kunden die bestmögliche Lösung anzubieten, so dass sich die eingesetzten Algorithmen in aller Regel hinsichtlich ihrer Programmierung unterscheiden, verschiedene Daten erfassen und verschiedenes Lernverhalten aufweisen. Es ist daher fraglich, ob diese Algorithmen zu einer stabilen Menge von (gewinnmaximierenden) Preisen konvergieren würden. Für ein kollusives Ergebnis wäre dann das Koordinationsproblem zwischen den verschiedenen „Naben“, also auf höherer Ebene zu lösen. Wenn Firmen sich hinsichtlich ihrer Technologie und damit ihrer Kostenfunktion unterscheiden, ist eine Lösung, die den gemeinsamen Gewinn aller Firmen maximiert, möglicherweise nicht erreichbar. Damit ein „Hub-Spoke“-Szenario entstehen kann, ist also auch eine gewisse Kommunikation oder Vereinbarung notwendig, damit sich die Firmen koordinieren, welche „Nabe“, d.h. welche der verschiedenen Preisoptimierer sie mit der Preissetzung beauftragen, der dann wiederum dafür Sorge tragen müsste, dass der bzw. die von ihm verwendeten Algorithmen zu einem koordinierten Gleichgewicht führen. Hinzu kommt, dass zumindest alle größeren Unternehmen ihre Preissetzung an einen Preisoptimierer auslagern. Allerdings dürften einige davon ihre Preissetzung intern durch eigene Algorithmen organisieren. Eine entsprechende Vereinbarung bzw. Abstimmung würde dem üblichen Fall eines Radnaben-Kartells entsprechen und mithin keine neuen wettbewerbsrechtlichen Probleme aufwerfen. Das dritte Szenario, das als „predictable agent“ bezeichnet wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass jedes Unternehmen auf einem Markt seinen eigenen Algorithmus einsetzt, zwischen den Unternehmen also weder eine Vereinbarung noch eine explizite Verhaltensabstimmung erfolgt. Da jeder Algorithmus die Preise, die von den anderen Algorithmen gesetzt werden, permanent beobachtet und auf Preisänderungen unmittelbar reagiert, wird die zwischen den Unternehmen bestehende Interdependenz verstärkt. Insbesondere weil Algorithmen auf Preisänderungen von Wettbewerbern sehr schnell mit einer Anpassung des eigenen Preises reagieren können, reduziert sich, so wird befürchtet, der Anreiz, durch eine Preissenkung zusätzliche Nachfrage zu generieren, Marktanteile zu vergrößern und Gewinne zu erhöhen, und der Wettbewerbsdruck im Markt nimmt ab. Dies könne, vor allem wenn solche preissetzenden Algorithmen branchenweit eingesetzt werden, zu einem kollusiven Marktergebnis führen. Die Funktionsweise eines Algorithmus in diesem Szenario entspricht der einer Preisgarantie, die, wenn sie von vielen Unternehmen in einem Markt eingesetzt wird, ebenfalls den Wettbewerbsdruck verringern und daher als Instrument zur Erleichterung einer Verhaltenskoordination interpretiert werden kann.6 Allerdings ist unklar, welche Marktergebnisse resultieren, wenn Unternehmen verschiedene Algorithmen verwenden, die auf die Marktbedingungen in leicht unterschiedlicher Weise reagieren. Dies dürfte in aller Regel der Fall sein, denn die von einem Unternehmen eingesetzten Algorithmen sind häufig anderen Unternehmen nicht bekannt. Ein häufig angeführtes Beispiel, das deutlich macht, welche Ergebnisse auftreten können, wenn unterschiedliche Algorithmen eingesetzt werden, ist der Fall des Genetik-Lehrbuches „Making of a Fly“, das von zwei Händlern auf Amazon Marketplace angeboten wurde. Der Algorithmus des einen Händlers lautete: Verlange für das Buch einen Preis, der 6 Vgl. Arnold/Baake/Schwalbe (2012).

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1,27059 mal höher ist als der Durchschnittspreis des Buches auf dem Markt. Der andere Händler hatte einen Algorithmus verwendet, der einen Preis in Höhe des niedrigsten Preises auf dem Markt, multipliziert mit dem Faktor 0.9983, gesetzt hat. Das Zusammenspiel der beiden sehr einfachen „Algorithmen“ führte zu einem Preis des Buches von mehr als 23 Mio. US $. Allerdings wurde zu diesem Preis kein einziges Exemplar verkauft.7 Aber selbst wenn die Unternehmen identische und komplexere lernende Algorithmen verwenden würden, ist davon auszugehen, dass diese nach einiger Zeit unterschiedlich auf die Marktgegebenheiten reagieren werden, denn solche Algorithmen enthalten stochastische Elemente, bekommen möglicherweise andere Informationen und lernen daher unterschiedliche Verhaltensweisen. Es ist daher fraglich, ob sich im „predictable agent“-Szenario Preise herausbilden, die über dem Wettbewerbspreis liegen oder gar den gemeinsamen Gewinn der Unternehmen maximieren. 2.3 Kollusion zwischen Algorithmen Das für die vorliegende Untersuchung wichtigste Szenario ist das des autonomen Agenten. Es unterscheidet sich von den oben beschriebenen drei Szenarien, da die Algorithmen hier nicht nur als Instrumente dienen, die von Menschen eingesetzt werden, um ein Kartell zu begründen oder seine Entstehung zu erleichtern, sondern es handelt sich um autonome Agenten, die von den Unternehmen genutzt werden, um ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, wie z.B. die Gewinnmaximierung: “The ma­ chines, through self-learning and experiment, determine independently the means to optimise profit.”8 Die Autoren gehen davon aus, dass jeder Algorithmus, vor allem auch durch die Informationen aus dem „Internet der Dinge“, nicht nur über die Logistik, Produktion, Kunden, Verkäufe, Lieferungen usw. des eigenen Unternehmens vollständig informiert ist, sondern ihm auch alle Informationen über die Wettbewerber, den Markt, die Verbraucher etc. zur Verfügung stehen würden. Diese Algorithmen wären gleichsam „allwissend“ (Stucke/Ezrachi sprechen von „God view“), und eine stillschweigende Kollusion wäre fast unvermeidlich: “Two Artificial Neural Networks and one Nash equilibrium meet in an (pub) hub. After a few milliseconds, a unique silent friendship is formed…”9 Weiterhin wird vermutet, dass nun auch auf Märkten mit vielen Unternehmen, auf denen eine stillschweigende Kollusion bislang nicht möglich gewesen wäre, aufgrund der algorithmischen Kollusion mit einem kartellähnlichen Marktergebnis gerechnet werden muss. Es ist jedoch unklar, ob es im Szenario des autonomen Agenten tatsächlich zu einer derartigen Verhaltenskoordination kommen wird. Dies hängt vor allem davon ab, ob Algorithmen tatsächlich zu einem solchen Verhalten in der Lage sind, d.h., ob sie lernen können, ihr Verhalten implizit abzustimmen, und ob sie sogar lernen können, 7 Es ist zu vermuten, dass eine algorithmische Preissetzung in einer Reihe von Fällen zu einer „Preisimplosion“ geführt hat. Dies wäre z.B. dann der Fall gewesen, wenn beide Händler die zweite Preissetzungsregel verwendet hätten. 8 Ezrachi/Stucke (2015), S. 9. 9 Ezrachi/Stucke (2017), S. 1.

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miteinander zu kommunizieren. Um diese Fragen näher zu untersuchen, enthält der nächste Abschnitt einen kurzen Überblick über das Konzept des maschinellen Lernens und skizziert verschiedene Arten des maschinellen Lernens, die in der KI-Forschung angewendet werden. Auch einige wesentliche Beiträge aus der Informatik werden vorgestellt, in denen untersucht wird, ob und unter welchen Bedingungen Algorithmen lernen können, ihr Verhalten zu koordinieren, wenn sie sich in einem so genannten „sozialen Dilemma“, wie z.B. einem Gefangenendilemma, befinden.

3. Algorithmen und maschinelles Lernen Zu Beginn sei darauf hingewiesen, dass es sich bei einem „Algorithmus“ im Grunde um nichts anderes handelt als um Software, d.h. ein Computerprogramm. Genauer gesagt ist ein Algorithmus eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung einer Klasse von Problemen, die aus einer endlichen Anzahl von Einzelschritten besteht. Bei der Lösung eines Problems wird eine bestimmte Eingabe in eine bestimmte Ausgabe überführt.10 Wesentliche Eigenschaften eines Algorithmus sind seine Endlichkeit, d.h. er muss immer nach einer endlichen Anzahl von Schritten beendet sein, jeder einzelne Schritt muss wohldefiniert sein und die auszuführenden Aktionen müssen für jeden Fall klar und eindeutig spezifiziert sein. Die Algorithmen, die von den Unternehmen zur Preissetzung verwendet werden, können sich in Bezug auf ihren Komplexitätsgrad erheblich unterscheiden. Bei einigen handelt es sich um sehr einfache heuristische Regeln, wie z.B. die endlichen Automaten, die in frühen spieltheoretischen Beiträgen zur Analyse von begrenzt rationalem Verhalten verwendet wurden. Am anderen Ende des Spektrums stehen wesentlich komplexere Preisbildungsalgorithmen in Form tiefer neuronaler Netze, wie sie z.B. auch bei selbstfahrenden Autos, bei der Sprach- und Bilderkennung oder der automatischen Übersetzung zum Einsatz kommen. Diese Algorithmen können sich, abhängig von den Eingaben, die sie erhalten, im Laufe der Zeit selbst modifizieren, wobei diese Veränderung als „Lernen“ aufgefasst werden kann. Das maschinelle Lernen ist ein Teilgebiet der Informatik, insbesondere der Künstlichen Intelligenz, das als allgemeiner Ansatz beschrieben werden kann, funktionale Zusammenhänge aus Daten zu lernen, ohne dass diese Zusammenhänge a priori definiert werden müssen, d.h. ohne dass eine explizite Programmierung erfolgt. Eine gängige Definition maschinellen Lernens wurde von Mitchell (1997) vorgeschlagen: „A computer program is said to learn from experience E with respect to some class of tasks T and performance measure P if its performance at tasks in T, as measured by P, improves with experience E.”11 Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Arten des maschinellen Lernens: überwachtes Lernen (supervised ­learning), unüberwachtes Lernen (unsupervised learning) und bestärkendes Lernen

10 Leiserson et al. (2010), S. 5. 11 Mitchell (1997), S. 2.

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(reinforcement learning). Im Folgenden werden diese verschiedenen Arten des maschinellen Lernens kurz vorgestellt. 3.1 Überwachtes Lernen Beim überwachten Lernen wird ein Algorithmus mithilfe von Beispieldaten und zugehörigen Zielwerten trainiert, damit er nach Abschluss des Trainings in der Lage ist, die richtigen Zielwerte vorherzusagen, wenn dem Algorithmus neue Daten präsentiert werden. Erweisen sich die Vorhersagen zu Beginn des Trainings als unzu­ treffend, wird der Algorithmus modifiziert. Dieser Trainingsprozess wird so lange fortgesetzt, bis er bei den im Training verwendeten Beispieldaten die gewünschte Vorhersagegenauigkeit erreicht. Aus einer Reihe von Beispielen wird also eine allgemeine Regel abgeleitet. Grundsätzlich gibt es zwei Aufgabenklassen, für die ein Algorithmus mittels überwachtem Lernen eingesetzt wird: Regressionsanalysen und Klassifizierungen. Bei einer Regression ist das Ergebnis eine reelle Zahl (oder eine Liste reeller Zahlen), z.B. die Vorhersage des Preises eines Hauses. Dabei wurde der Algorithmus anhand einer Reihe von Daten über Häuser und deren Merkmale wie Lage, Größe, Anzahl der Etagen und Räume etc. sowie mit den jeweiligen Preisen trainiert, um den Preis eines Hauses anhand von dessen Merkmalen vorherzusagen. Bei einem Klassifikationsproblem werden die Beispieldaten in zwei oder mehrere Klassen unterteilt, z.B. ob es sich bei einer E-Mail um Werbung oder keine Werbung handelt, oder ob ein Tumor bösartig oder gutartig ist. Der Algorithmus soll nach dem Training in der Lage sein, eine möglichst korrekte Einteilung von E-Mails bzw. Tumoren in die entsprechenden Klassen vorzunehmen. Das Resultat ist dann eine Zuordnung, wie im einfachen Beispiel von E-Mails entweder 0 (Werbung) oder 1 (keine Werbung). Die Beispieldaten, mit denen der Algorithmus trainiert wird, bestehen im Fall von E-Mails z.B. aus einer Reihe von Wörtern, die häufig mit Werbung verknüpft sind (Angebot, Schnäppchen etc.) und der Algorithmus wird solange modifiziert, bis er gelernt hat, bei E-Mails möglichst genau zwischen „Werbung“ und „keine Werbung“ zu unterscheiden. Ähnliche Klassifizierungsprobleme stellen sich bei der Mustererkennung, wie z.B. bei der richtigen Erkennung handgeschriebener Ziffern oder der Zuordnung einzelner Personen zu bestimmten Gruppen. 3.2 Unüberwachtes Lernen Eine zweite Form des maschinellen Lernens ist das unüberwachte Lernen, bei dem es vor allem um das Erkennen von Strukturen oder Mustern geht, die in den Eingabedaten vorhanden sind. Daraus werden allgemeine Regeln abgeleitet, ohne dass es eine Rückmeldung gibt, ob die erkannte Struktur „richtig“ ist oder nicht. Es erfolgt also, anders als beim überwachten Lernen, keine Bewertung des Ergebnisses. So struk­ turiert ein Algorithmus Daten neu, indem er sie z.B. nach Ähnlichkeit oder Ge­ meinsamkeiten ordnet, also eine Clusteranalyse durchführt. Dabei entsteht ein neues Muster mit verschiedenen Segmenten oder Clustern, die jeweils ähnliche Beispiele 748

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enthalten, während die Gemeinsamkeiten der Beispiele in unterschiedlichen Clustern gering sind. Beispiele für unüberwachtes Lernen sind die Gruppierung von Nachrichten nach Themen, wobei alle Nachrichten zum gleichen Thema jeweils einem Cluster zugeordnet werden. Ein weiteres Beispiel für unüberwachtes Lernen sind Empfehlungssysteme, bei denen die Empfehlungen, die ein bestimmter Kunde erhält, darauf basieren, welcher Kundengruppe dieser am ehesten entspricht. Daraus werden dann Rückschlüsse auf die Präferenzen des Kunden gezogen und entsprechende Empfehlungen generiert. Da das Aufdecken verborgener Muster und Strukturen zusätzliche Einsichten in den Gehalt der Daten liefert, kann das Ergebnis unüberwachten Lernens wichtige Hinweise für die Entwicklung von Algorithmen bei überwachtem Lernen geben. 3.3 Reinforcement Learning Schließlich ist die Form des maschinellen Lernens zu nennen, die im Zusammenhang mit der algorithmischen Preissetzung von besonderem Interesse ist, das bestärkende Lernen (reinforcement learning). Hier lernen Algorithmen in einer ihnen unbekannten, aber fest gegebenen Umwelt, Handlungen so zu wählen, dass eine kumulierte Auszahlung maximiert wird. Der Algorithmus wählt eine Aktion oder eine Folge von Aktionen, wobei die einzige Rückmeldung, die der Algorithmus bezüglich der gewählten Aktion erhält, eine positive oder negative Auszahlung ist. Bei bestärkendem Lernen wird ein Algorithmus in der Regel nicht dahingehend trainiert, zu lernen, welche Aktion in einer gegebenen Situation die beste ist, sondern erhält eine „Belohnung“, wenn er eine erfolgreiche Aktion gewählt hat. Das Ziel ist dabei, Aktionen so zu wählen, dass der Erwartungswert der Summe der diskontierten zukünftigen Belohnungen maximiert wird.12 Das bestärkende Lernen unterscheidet sich vom üblichen überwachten Lernen dadurch, dass weder richtige Input/Output-Kombinationen vorgegeben werden, wie z.B. ein Haus mit bestimmten Merkmalen und dessen Preis, noch dass Aktionen, die sich als nicht erfolgreich erwiesen haben, explizit korrigiert werden. Stattdessen liegt der Schwerpunkt des bestärkenden Lernens darauf, erfolgreiche Strategien zu entwickeln, die den langfristigen Ertrag maximieren. Dabei kommt es auch darauf an, bei der Wahl einer Aktion ein Gleichgewicht zwischen der Erforschung der zum Teil unbekannten Umwelt und der Ausnutzung der vorhandenen Information zu finden. Der Algorithmus lernt durch Versuch und Irrtum, weil Verhaltensweisen, die sich als erfolglos erwiesen haben, bestraft, erfolgreiche Aktionen jedoch belohnt werden. Erfolglose Strategien werden daher weniger häufig verwendet, erfolgreiche hingegen bestärkt, da diese höhere erwartete Auszahlungen versprechen. Um ein möglichst optimales Ergebnis zu erzielen, muss der Algorithmus die langfristigen Folgen seines Handelns berücksichtigen. Dies kann bedeuten, dass für die Maximierung der langfristigen Auszahlung auch kurzfristige Sanktionen in Kauf genommen werden müssen.

12 Für eine umfassende Einführung in das bestärkende Lernen vgl. Sutton/Barto (2017).

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Eine wichtige Form des bestärkenden Lernens ist das Q-Learning, bei dem der Algorithmus den Nutzen einer Aktion bewertet. Der Algorithmus lernt dabei eine Funktion Q(s,a), wobei s den aktuellen Zustand und a die gewählte Aktion bezeichnet. Der Algorithmus führt nun eine Aktion a entsprechend der gewählten Strategie für den Zustand a aus und enthält eine Auszahlung r. Die Aktion führt zu einem neuen Zustand s’ und der Algorithmus wählt nun die Aktion a’ aus, die gemäß der aktuellen Funktion Q(s,a) die höchste Auszahlung erwarten lässt. Die Funktion Q(s,a) wird dann entsprechend dem Ergebnis der letzten Periode modifiziert. Neben den drei oben skizzierten Arten des maschinellen Lernens findet sich in der Literatur auch das Konzept des so genannten deep learning. 3.4 Deep Learning Im Unterschied zu überwachtem, unüberwachtem und bestärkendem maschinellen Lernen bezieht sich „deep learning“ nicht auf die Art, wie gelernt wird, sondern auf die eingesetzten Computerprogramme, so genannte künstliche neuronale Netze (Articifical Neural Networks (ANN)). Neuronale Netze sind Programme, die versuchen, die Funktion des Gehirns nachzuahmen, indem sie aus Erfahrungen lernen und die Welt in Form einer Hierarchie von Konzepten auffassen, wobei jedes Konzept durch seine Beziehung zu einfacheren Konzepten definiert wird. Komplizierte Konzepte werden am Computer erlernt, indem der Algorithmus sie aus einfacheren zusammensetzt.13 Ein ANN besteht aus mehreren Schichten künstlicher Neuronen, einer Eingangsschicht (input layer), einer Ausgabeschicht (output layer) und einer oder mehreren Zwischenschichten (hidden layer). Die Neuronen der Eingangsschicht empfangen Eingangsdaten und ändern ihren inneren Zustand, d.h. sie werden „aktiviert“, wenn durch die Eingangsdaten ein vorgegebener Schwellenwert überschritten wird, und senden dann einen Output an die Neuronen der ersten Zwischenschicht, die dann diese Daten modifizieren und an die nächste Zwischenschicht weiterleiten etc. Die Eingangsdaten werden also nach und nach an die weiteren Zwischenschichten übertragen, wobei sie von den jeweiligen Neuronen einer Zwischenschicht weiterverarbeitet werden. Abhängig von den empfangenen Daten bzw. der Aktivierung „lernt“ das neuronale Netz durch die Modifikation der Verbindungen zwischen den Neuronen und den Schwellenwerten. Bei diesem Lernen kann es sich um überwachtes, unüberwachtes oder auch bestärkendes Lernen handeln. Das Ergebnis der Berechnung wird schließlich von den Neuronen der Ausgabeschicht ausgegeben. Zwar sind neuronale Netze ein vergleichsweise altes Konzept, aber die ersten Netze bestanden aufgrund begrenzter Rechen- und Speicherkapazitäten nur aus wenigen Neuronen und Zwischenschichten. Erst in jüngster Zeit konnten ANNs mit einer großen Zahl von Schichten, so genannte tiefe neuronale Netze (deep neural networks (DNNs)) realisiert werden, da durch Grafikprozessoren (GPU), die paralleles Rechnen schneller und kostengünstiger machen, ein entsprechendes Hochleistungsrech13 Goodfellow et al. (2016), S. 1.

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nen ermöglicht wurde. Darüber hinaus stehen nahezu unbegrenzte Speicherkapazitäten und Datenmengen zur Verfügung. Solche DNNs bestehen heute typischerweise aus einigen tausend bis einigen Millionen Neuronen und Milliarden von Verbindungen. Das Lernen durch DNNs wird als „deep learning“ bezeichnet, das wichtige Anwendungen z.B. bei Spracherkennung und der Verarbeitung natürlicher Sprache (automatische Übersetzung), beim Direktmarketing oder auch bei Empfehlungssystemen findet. DNNs sind in der Lage, auch komplexe nichtlineare Zusammenhänge zu erlernen, wie z.B. die Spiele Go (AlphaGoZero) oder Poker (Libratus). Dabei lernen DNNs zumeist, indem sie eine große Zahl von Runden gegen sich selbst spielen.14 Der nächste Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die Literatur über maschinelles Lernen und zur Interaktion von Algorithmen in strategischen Multi-Agenten-Systemen, die für die Untersuchung oligopolistischer Koordination von besonderer Bedeutung sind, da hier mehrere Unternehmen auf einem Markt miteinander interagieren. Das zentrale Problem, das sich in solchen Multi-Agenten-Systemen stellt, ist die Nicht-Stationarität der Umwelt, die sich dadurch ergibt, dass es weitere Agenten gibt, die ihrerseits lernen und versuchen, möglichst erfolgreich in der sich verändernden Umwelt zu agieren. Die Algorithmen müssen also ein bewegliches Ziel erlernen. Im Folgenden werden vor allem Arbeiten diskutiert, die sich mit dem Verhalten von Algorithmen in so genannten sozialen Dilemmasituationen, wie z.B. dem Gefangenendilemma, befassen, weil diese strategischen Szenarien dem strategischen Problem der Koordination in einem oligopolistischen Markt am ehesten entsprechen.

4. Algorithmische Koordination in der Literatur Es gibt verschiedene Stränge der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, die das Problem der Koordination in oligopolistischen Märkten oder in vergleichbaren strategischen Entscheidungssituationen, wie z.B. in einem Gefangenendilemma, untersucht haben. So ist der Ausgangspunkt der überwiegenden Zahl der theoretischen Ansätze die wiederholte Interaktion von Unternehmen auf einem Markt. Diese Situation wird zumeist mithilfe eines wiederholten Spiels modelliert. Hier ergibt sich jedoch das Problem, dass selbst in der einfachsten Form des Gefangenendilemmas mit zwei Spielern und zwei möglichen Aktionen überabzählbar unendlich viele Nash-Gleichgewichte existieren, wie die bekannten Folk-Theoreme aus der Theorie der wiederholten Spiele zeigen. Diese Gleichgewichte decken das ganze Spektrum möglicher Verhaltensweisen zwischen dem Extrem der perfekten Koordination und dem ohne jegliche Verhaltensabstimmung ab. Neben der Vielzahl möglicher Gleichgewichte ist nicht klar, wie die Spieler eines von diesen Gleichgewichten wählen, denn die Spieltheorie trifft lediglich Aussagen über die Existenz und die Eigenschaften von Nash-Gleichgewichten, nicht aber darüber, wie oder ob bestimmte Gleichgewichte von den Spielern erreicht werden. 14 Für die Entwicklung und die Leistungsfähigkeit von AlphaGoZero s. Silver et al. (2017), für den Algorithmus Libratus s. Hsu (2017). Deep-Learning-Software ist im Internet frei verfügbar, z.B. CNTK (Microsoft), Torch (Facebook), MXNet oder Google‘s Tensorflow.

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Daher hat man in der Spieltheorie versucht, das Problem der Gleichgewichtsauswahl in Spielen dadurch zu lösen, dass die Annahme der vollkommenen Rationalität der Spieler gelockert wurde, da man vermutete, die Vielzahl möglicher Gleichgewichte gäbe es vor allem deshalb, weil die Spieler „zu rational“ seien. Es wurde daher auch ein begrenzt rationales Verhalten zugelassen und um die Möglichkeit des Lernens ergänzt. Eine Reihe von Beiträgen hat zur Modellierung begrenzter Rationalität endliche Automaten verwendet, die als sehr einfache Algorithmen aufgefasst werden können. Der dritte Literaturstrang umfasst die Beiträge der experimentellen Ökonomie, die das Verhalten menschlicher Subjekte, z.B. im Kontext eines Oligopolspiels in einem Computerlabor untersuchen. Der nächste Abschnitt befasst sich mit den Beiträgen der Wirtschaftstheorie, die analysieren, welche Ergebnisse sich einstellen, wenn endliche Automaten ein wiederholtes Gefangenendilemma spielen. Weiterhin werden auch einige verwandte Modelle über das Lernen in Spielen vorgestellt. 4.1 Algorithmen, Lernen und wiederholte Spiele Die ersten Modelle von Algorithmen, die ein wiederholtes Gefangenendilemma spielen, stammen aus der Mitte der 1980er Jahre. Diese Modelle wurden im Kontext der Analyse begrenzt rationalen Verhaltens entwickelt, bei dem einem Spieler nur Strategien in Form einfacher Algorithmen, so genannte endliche Automaten, zur Verfügung stehen.15 Ein endlicher Automat besteht aus einer endlichen Menge von inneren Zuständen, einer Eingangs- und einer Ausgangsfunktion sowie einer Übergangsfunktion. Der Automat empfängt ein Eingangssignal, z.B. eine Information über die Aktion des Gegenspielers, ändert daraufhin gegebenenfalls seinen inneren Zustand entsprechend der Übergangsfunktion und sendet daraufhin ein Outputsignal, d.h. er wählt eine Aktion. Es hat sich gezeigt, dass in diesem Rahmen das kooperative Ergebnis im Allgemeinen kein Gleichgewicht ist. Dies liegt vor allem an der Annahme, dass jeder innere Zustand eines Automaten Kosten verursacht. Im Gleichgewicht werden daher nur Automaten ohne redundante Zustände verwendet. Tit-for-Tat- und auch Grim-Trigger-Strategien bilden kein Gleichgewicht, da die Bestrafungszustände im Gleichgewicht nicht verwendet werden und daher redundant sind. Ein etwas anderer Ansatz zur Modellierung begrenzter Rationalität wurde von Cho (1994) verfolgt, der ein einfaches neuronales Netzwerk betrachtet und zeigt, dass das Folk-Theorem der Spieltheorie auch im Fall eines einfachen neuronalen Netzes mit nur wenigen Neuronen weiterhin gilt, d.h. auch in diesem Fall können alle denkbaren Ergebnisse als Gleichgewicht auftreten. Die ökonomische Forschung zur begrenzten Rationalität hat aber auch berücksichtigt, dass Spieler, selbst wenn sie nur eingeschränkt rational sind, dennoch in der Lage sind, aus ihren Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen. Dieser Aspekt wurde von der Literatur über endliche Automaten aufgenommen und die einfachen Algorithmen der ersten Arbeiten wurden so modifiziert, dass bestimmte Lernformen betrachtet werden konnten, die zu einem wichtigen Forschungsthema im Kontext begrenzten 15 S. z.B. Rubinstein (1986) und Abreu/Rubinstein (1988), Banks/Sundaram (1990). Für einen Überblick über diese Literatur s. Marks (1992).

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rationalen Verhaltens wurden. Die Forschung über das Lernen in Spielen hat zu einer Reihe von wichtigen Ergebnissen über verschiedene Arten des Lernens, wie z.B. ­adaptives Lernen, Imitation, fiktives Spiel oder die Replikatordynamik der evolutionären Spieltheorie geführt.16 Auch im Zusammenhang mit endlichen Automaten wurden verschiedene Lernkonzepte analysiert. So untersucht Miller (1996) mit Hilfe eines genetischen Algorithmus die Frage, ob Kooperation als Ergebnis in einem ­wiederholten Gefangenendilemma auftreten kann. In seinem Modell werden durch einen genetischen Algorithmus nach dem Zufallsprinzip binär codierte Strategien ­rekombiniert, wobei zusätzlich einige zufällige Modifikationen („Mutationen“) auftreten. Erfolgreiche Strategien, d.h. Strategien, die zu einem hohen Gewinn geführt haben, werden an die nächste Generation von Strategien eher weitergegeben als erfolglose Strategien. Durch diese Methode wird versucht, den evolutionären Prozess der Rekombination, Mutation und Selektion zu modellieren. Es stellt sich heraus, dass diese Art der Replikatordynamik zu einem koordinierten Verhalten in einem Zwei-­ Personen-Gefangenendilemma mit zwei endlichen Automaten konvergiert. Der Grad der Kooperation, den die Spieler erreichen können, hängt jedoch stark von der Genauigkeit ab, mit der ein Spieler die Züge des anderen beobachten kann. Wenn die Information über das Verhalten des Gegners nicht vollkommen ist, d.h., wenn es zu Verzerrungen bei der Beobachtung kommt, resultiert nur eine sehr begrenzte Koordination zwischen den Spielern. Zu einer Kooperation in einem wiederholten Gefangenendilemma kann es auch dann kommen, wenn die Akteure durch „satisficing“-Lernen gekennzeichnet sind, wie Stimpson et al. (2001) gezeigt haben. Diese Art des Lernens geht davon aus, dass in jeder Periode ein Spieler die Auszahlung, die er erhält, mit einem Anspruchsniveau (aspiration level) vergleicht. Ist die Auszahlung mindestens so hoch wie das Anspruchsniveau, ist also zufriedenstellend (satisficing), so wird die Aktion der letzten Periode in der nächsten Runde wiederholt. Andernfalls wird das Anspruchsniveau aktualisiert, indem ein neues Anspruchsniveau als gewichteter Durchschnitt aus dem alten Niveau sowie der erhaltenen Auszahlung berechnet wird. Die Simulationen haben ergeben, dass diese Art des Lernens in der überwiegenden Zahl der Fälle zum nichtkooperativen Nash-Gleichgewicht konvergiert, aber in einigen Fällen kam es auch zu einem koordinierten Verhalten der Spieler. 4.2 Bestärkendes Lernen in Spielen Da die neueren Ansätze des maschinellen Lernens durch autonome Agenten, vor allem auch die Untersuchungen über koordiniertes Verhalten von Algorithmen, zumeist den Ansatz des bestärkenden Lernens verwenden, liegt der Schwerpunkt des folgenden Abschnitts auf Anwendungen dieser Lernmethodik in der spieltheoretischen und computerwissenschaftlichen Literatur.

16 Für eine ausführliche und umfassende Darstellung der verschiedenen Aspekte des Lernens in Spielen s. Fudenberg/Levine (1999).

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In der Spieltheorie scheint die Methode des bestärkenden Lernens zuerst von Roth/ Erev (1995) verwendet worden zu sein, um damit experimentell gewonnene Daten zu erklären, indem gezeigt wird, dass durch diese Art des Lernens das beobachtete Verhalten gut charakterisiert werden kann. Daneben wurde bestärkendes Lernen in einem Aufsatz von Börgers/Sarin (1997) mit der Replikatordynamik verglichen, wie sie aus der evolutionären Spieltheorie bekannt ist. Hier wird eine Population von Spielern betrachtet, bei der jeder Spieler eine von endlich vielen (reinen) Strategien anwendet. Die Spieler werden in jeder Runde paarweise nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und spielen gegeneinander. Der Anteil der Spieler in der Population, der durch eine Strategie gekennzeichnet ist, die einen Gewinn erzielt, der über dem durchschnittlichen Gewinn in der Population liegt, wird erhöht. Lernen bezieht sich in diesem Ansatz also auf eine ganze Spielerpopulation und nicht auf einzelne Spieler. Börgers/Sarin stellen fest, dass unter bestimmten Bedingungen das bestärkende Lernen, das sich auf das individuelle Lernverhalten bezieht, und die Replikatordynamik der evolutionären Spieltheorie zum selben Gleichgewicht konvergieren. Allerdings wird in diesen Arbeiten nicht untersucht, ob bestärkendes Lernen zu kooperativem Verhalten bei einem wiederholten Gefangenendilemma oder in oligopolistischen Märkten führen kann. In einem frühen Aufsatz, der sich mit verschiedenen Lernformen in einem Oligopol-Experiment befasst (Huck et al. (1997)), wird das bestärkende Lernen nicht als besonders hilfreich angesehen: „In particular, information about the market and information about the individual play of others turned out to be very important treatment effects …. Neither effect can be explained by reinforcement learning.“17 In zwei Beiträgen von Erev/Roth (1999, 2001) wird bestärkendes Lernen auf wiederholte Gefangenendilemma-Spiele angewandt und es wird gezeigt, dass eine einfache Form des bestärkenden Lernens im Allgemeinen nicht zu einem kooperativen Ergebnis führt. Einige Jahre später wurde in einem allgemeineren Rahmen nachgewiesen (Beggs (2005)), dass die naive Form des bestärkenden Lernens, wie sie von Erev/Roth (1999, 2001) und Börgers/Sarin (1997) unterstellt wurde, zum nicht kooperativen NashGleich­gewicht eines Spiels konvergiert, da bei diesem Lernen dominierte Strategien eliminiert werden. Ein weiteres Modell, das einen einfachen Algorithmus mit be­ stärkendem Lernen im Kontext endlicher Automaten verwendet, stammt von Hanaki et al. (2005). Die Autoren betrachten alle 26 Strategien, die durch einen endlichen Automaten mit zwei Zuständen implementiert werden können, und gehen von einem zweistufigen Lernprozess aus. In der ersten Stufe erforschen die Spieler ihre Umwelt, d.h. sie experimentieren mit den verschiedenen Strategien. In der zweiten Stufe verwenden die Spieler dann die Strategien, die sich in der ersten Stufe als erfolgreich erwiesen haben. Die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen haben gezeigt, dass in diesem Rahmen Strategien mit begrenzter Komplexität zu einem kooperativen Gleichgewicht in einem wiederholten Gefangenendilemma führen. Insgesamt wurde deutlich, dass die Ergebnisse der ersten spieltheoretischen Analysen bestärkenden Lernens im Gefangenendilemma nur in wenigen Fällen zu einem kooperativen Ergebnis führen. 17 Huck et al. (1997), S. 22.

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4.3 Bestärkendes Lernen und Kooperation von Algorithmen in der Informatik Es gibt jedoch auch in der Informatik zahlreiche Untersuchungen zu bestärkendem Lernen und kooperativem Verhalten im wiederholten Gefangenendilemma, die unter Ökonomen nicht sehr bekannt zu sein scheinen. Aufgrund der Vielzahl der Studien können an dieser Stelle nur einige repräsentative Beiträge berücksichtigt werden.18 Ein früher Beitrag aus der Informatik, der bestärkendes Lernen in einer Multi-Agenten-Umgebung anwendet, ist Tan (1993), der zeigt, dass die Kommunikation zwischen Agenten über aktuelle und vergangene Aktionen, über Auszahlungen oder über erlernte Strategien das Ergebnis für jeden Agenten verbessert. Dieses Ergebnis deutet bereits auf einen engen Zusammenhang zwischen Lernen, Kommunikation und Kooperation in Spielen hin, denn in diesem Modell zeigt sich, dass eine Kommunikation zwischen Agenten kooperatives Verhalten erleichtert. Eine Reihe von Studien untersucht verschiedene Varianten des Q-Learning, einer speziellen Form des bestärkenden Lernens, in Situationen eines Gefangenendilemmas.19 Die Ergebnisse dieser Arbeiten zeigen, dass kooperatives Verhalten unter spezifischen Annahmen über das Gedächtnis der Agenten, die Lernrate, aber auch der Höhe der Auszahlungen oder die Informationen, die die Spieler über die Auszahlungen der anderen Spieler besitzen, ein mögliches, aber keineswegs das einzige Ergebnis bei bestärkendem Lernen ist.20 Es hat sich gezeigt, dass die spezifischen Eigenschaften des verwendeten Lernverfahrens von zentraler Bedeutung für die Art des Gleichgewichts sind, zu dem die Algorithmen konvergieren. Wird z.B. eine variable Lernrate angenommen, die sich durch eine niedrige Lernrate auszeichnet, wenn der Agent eine hohe Auszahlung (Win) erhält, und eine hohe Lernrate bei einer niedrigen Auszahlung („Win-or-Learn-Fast“ (WoLF)), so konvergiert der Lernprozess in der Regel nicht zu einem kooperativen Ergebnis. Wird jedoch eine variable Lernrate verwendet, die eine hohe Lernrate vorsieht, wenn sich die Auszahlung ändert, und eine niedrige sonst („Change-or-Learn-Fast“ (Colf)), so konvergiert das Q-Learning zu einem kooperativen Ergebnis.21 Die Konvergenz zum nicht-koordinierten Nash-Gleichgewicht ist jedoch weiterhin noch ein regelmäßiges Ergebnis vieler Q-Learning-Modelle in einem Multi-Agenten-Setting.22 18 Für einen Überblick über die frühen Beiträge zum Verstärkungslernen und seinen Bezug zur Spieltheorie, s. Shoham et al. (2007) sowie die Kommentare von Fudenberg/Levine (2007). 19 Banerjee/Sen (2007), De Cote et al. (2008), Kaymak/Waltman (2006), Moriyama (2007, 2008). 20 Die Lernrate gibt an, wie stark der Algorithmus aufgrund neuer Informationen modifiziert wird. In der Regel wird davon ausgegangen, dass alle Agenten durch den gleichen Algorithmus charakterisiert sind, d.h. der Algorithmus spielt gleichsam gegen sich selbst. 21 De Cote et al. (2008). 22 Für eine Übersicht über die Ergebnisse verschiedener Algorithmen in Hinsicht auf kooperatives Verhalten s. Crandall/Goodrich (2011). Es sollte an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass das Ziel vieler Modelle zu bestärkendem Lernen in der Informatik nicht die Erklärung ist, unter welchen Bedingungen ein kooperatives Ergebnis zustande kommt, sondern vielmehr die Frage, wie ein lernender Algorithmus konstruiert werden sollte, um ein kooperatives Ergebnis zu gewährleisten.

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In den letzten Jahren wurden in Bezug auf lernende Algorithmen aufgrund der immensen Steigerung der Rechenleistung moderner Prozessoren, der fast unbegrenzten Speicherkapazitäten einerseits und der rasanten Fortschritte in den Bereichen Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und „deep Learning“ andererseits bedeutende neue Ergebnisse in Bezug auf das koordinierte Verhalten  von Algorithmen erzielt. Zwei neuere Arbeiten (Leibo et al. (2017) und Crandall et al. (2017)) untersuchen das Problem der algorithmischen Koordination in sozialen Dilemmasituationen, d.h. strategischen Situationen, die durch ein Spannungsverhältnis zwischen kollektiver und individueller Rationalität gekennzeichnet sind, wie z.B. das Gefangenendilemma, das „Stag-hunt“-Spiel oder das Spiel „Chicken“, wenn die Algorithmen durch „deep reinforcement learning“ gekennzeichnet sind. In Leibo et al. (2017) werden verschiedene soziale Dilemmasituationen in komplexen Multi-Agenten-Umgebungen betrachtet, die sich durch eine Auszahlungsstruktur ähnlich der in einem Gefangenendilemma auszeichnen. Die Agenten werden als „deep neural networks“ modelliert und mit zwei verschiedenen sozialen Dilemma­ situationen konfrontiert, einem Sammel- und einem Jagdspiel, in denen die Spieler wiederholt miteinander interagieren. Im Sammelspiel müssen die Spieler Ressourcen sammeln und jeder Spieler hat die Möglichkeit, einen anderen Spieler zu „markieren“, d.h. vorübergehend aus dem Spiel zu entfernen. Es stellt sich heraus, dass das Ergebnis des Lernprozesses davon abhängig ist, ob die Ressourcen reichlich vorhanden sind oder nicht. Im ersten Fall lernen die Agenten, sich kooperativ zu verhalten, d.h. andere Spieler nicht zu markieren. Sind die Ressourcen hingegen knapp, dann führt dies zu einem nicht-kooperativen Verhalten der Agenten, indem sie versuchen, andere Akteure vorübergehend aus dem Spiel zu eliminieren. Im Jagdspiel müssen zwei Spieler (die „Wölfe“) einen dritten Spieler jagen (berühren). Wenn einer der Wölfe die Beute berührt, erhalten die anderen Wölfe eine Belohnung, die von der Anzahl der Wölfe in der Umgebung abhängt. Wenn jedoch zwei Wölfe die Beute gemeinsam fangen, erhalten sie eine höhere Auszahlung, weil sie die Beute z.B. besser gegen Aasfresser verteidigen können. Es stellt sich heraus, dass das Erlernen kooperativen Verhaltens im Jagdspiel schwieriger ist als im Sammelspiel, da sich die Spieler bei letzterem nur um die Ressourcen kümmern müssen und nicht von den Handlungen des anderen Spielers abhängig sind. Im Jagdspiel erfordert eine Kooperation zwischen den Spielern eine stärkere Koordination, da die eigenen Aktionen davon abhängen, ob sich ein weiterer Wolf in der Nähe befindet. Das Papier von Crandall et al. (2017) beschäftigt sich mit der Entwicklung von Algorithmen, die in der Lage sind, sowohl mit anderen Algorithmen als auch mit Menschen zu kooperieren. Dabei sollen die Algorithmen in einer Vielzahl möglicher Szenarien überdurchschnittlich leistungsfähig sein, kooperative Beziehungen zu anderen Algorithmen oder Menschen ohne Vorkenntnisse über deren Verhalten aufbauen können, von ausbeuterischem Verhalten abschrecken und in der Lage sein, einen (­potentiell misstrauischen) Partner, der möglicherweise nicht kooperieren möchte, zur Kooperation zu veranlassen. Darüber hinaus sollte der Algorithmus eine hohe Lerngeschwindigkeit aufweisen. Crandall et al. untersuchen 25 verschiedene Algorithmen, einschließlich klassischer Strategien wie Tit-for-Tat, Win-Stay-Lose-Shift, sowie evolutionäre stochastische Strategien, maschinelle Lernalgorithmen (einschließ756

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lich Reinforcement Learning), und so genannte Expertenalgorithmen. Die Funktionsweise eines Expertenalgorithmus kann wie folgt beschrieben werden: Vor Beginn des Spiels berechnet der Algorithmus anhand der Beschreibung des Spiels eine Reihe von „Experten“, wobei ein Experte durch eine Strategie bzw. einen Lernalgorithmus beschrieben wird, der das Verhalten des Experten im Spiel bestimmt. Der Algorithmus berechnet die höchste Auszahlung, die jeder Experte erreichen kann. Diese Auszahlungen werden dann mit einem Anspruchsniveau verglichen, das der Algorithmus für erreichbar hält. Der Algorithmus ermittelt dann die Experten, die dieses Anspruchsniveau erreichen können, und deren Verhalten mit dem eingehenden Signal, d.h. dem Vorschlag des Partners, kompatibel sind. Einer dieser Experten wird ausgewählt, der das Spiel dann über mehrere Runden spielt. Danach wird das Anspruchsniveau entsprechend der Ergebnisse der letzten Runden aktualisiert und es werden diejenigen Experten identifiziert, die das Potenzial haben, die aktualisierte Aspirationsstufe zu erreichen usw. Die durchgeführten Simulationen haben gezeigt, dass komplexe Algorithmen, die auf „Deep neural networks“ basieren und bestärkendes Lernen wie Deep-Q Lernen, modellbasiertes bestärkendes Lernen oder eine Win-or-Learn-Fast-Regel verwenden, in einem wiederholten Gefangenendilemma meist nicht zu einem kooperativen Ergebnis führen.23 Als erfolgreichste Algorithmen haben sich Expertenalgorithmen erwiesen, die zwar nicht trivial, aber letztlich doch recht einfache algorithmische Mechanismen sind. Dabei haben sie sich als wesentlich effektiver erwiesen, wenn sie sich Signale senden, d.h. miteinander kommunizieren konnten. Die Kommunikation zwischen Algorithmen wurde dabei durch ein gemeinsames Kommunikationsprotokoll modelliert, das eine Reihe von vordefinierten Nachrichten enthält, die die Algorithmen verstehen, wie z.B. „Wir sollten immer aktion, aktion spielen“ oder „Ich akzeptiere deinen letzten Vorschlag‘‘. 4.4 Bestärkendes Lernen in Oligopol-Spielen Einige Modelle des bestärkenden Lernens in Spielen berücksichtigen nicht nur einfache Situationen mit zwei Spielern und zwei möglichen Aktionen in einem sozialen Dilemma, sondern wenden bestärkendes Lernen auch auf die Untersuchung von Oligopolmodellen an, insbesondere auf Cournot-Oligopole. Hervorzuheben sind hier die Beiträge von Izquierdo/Izquierdo (2015), Kaymak/Waltman (2008), Kimbrough/ Lu (2003), Kimbrough et al. (2005) sowie Tesauro/Kephart (2002). In diesen Modellen wird gezeigt, dass Akteure tatsächlich zu einem koordinierten Ergebnis kommen können, wobei die spezifischen Details des unterliegenden Lernprozesses hierfür von entscheidender Bedeutung sind. Während einfache Formen des bestärkenden Lernens oft zum nicht-koordinierten Nash-Gleichgewicht konvergieren, wurde unter gewissen Restriktionen an die zur Verfügung stehenden Strategien eine Konvergenz zu kooperativeren Ergebnissen beobachtet (Kimbrough/Lu (2003), Kimbrough et al. (2005)). So zeigen Izquierdo/Izquierdo (2015), dass eine einfache Art des bestärken23 Für eine Diskussion dieser Ergebnisse im Zusammenhang mit algorithmischer Kollusion und Kartellrecht, s. Deng (2017).

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den Lernens, die „Win-Continue, Lose-Reverse“ (WCLR)-Regel, zu einem kooperativen Ergebnis führt. Diese Regel bewertet die Ergebnisse der Aktion, die in der letzten Runde durchgeführt wurde, d.h. die Änderung der Produktionsmenge. Hat diese Änderung zu einem höheren Gewinn geführt, dann wird die Ausbringungsmenge weiter erhöht, andernfalls, wird die Produktionsmenge reduziert. Allerdings erweist sich dieses Ergebnis als nicht robust gegenüber kleinen, unabhängigen Änderungen in den Kosten- oder Gewinnfunktionen der Unternehmen, und die WCLR-Regel führt in diesen Fällen dazu, dass keine Kooperation zustande kommt. Der zentrale Grund für dieses Ergebnis ist, dass selbst kleine Änderungen der Kosten- oder Gewinnfunktionen zu einer Fehlkoordination zwischen den Unternehmen führen und dadurch ein koordiniertes Verhalten verhindert wird. In einem Modell des Q-Learning in einem Cournot-Oligopol mit zwei möglichen Produktionsmengen zeigen Kaymak/Waltman (2008) anhand von Computersimulationen, dass diese Art des Lernens zu einem gewissen Maß an Kooperation führt, selbst wenn die Firmen kein „Gedächtnis“ haben, d.h. wenn z.B. Triggerstrategien nicht eingesetzt werden können und es mehr als zwei Firmen gibt. Dabei nimmt die Koordination mit der Zahl der Unternehmen im Markt ab. Als wichtiger Bestandteil des Modells hat sich die Wahrscheinlichkeit erwiesen, mit der die Firmen die ihnen zu Beginn der Simulation unbekannte Umwelt erforschen, d.h. die Wahrscheinlichkeit, mit der sie bei der Wahl ihrer Aktionen experimentieren. Eine Kooperation entsteht vor allem dann, wenn der Algorithmus für diese Wahrscheinlichkeit keinen festen Wert vorsieht, sondern sie von der Erfahrung eines Spielers abhängt. Ein Gleichgewicht mit vollkommener Koordination, d.h. ein Verhalten, das dem eines Monopols entspricht, wird jedoch in der Regel nicht erreicht. In einem Duopol­ modell, im dem die Produktionsmenge fest gegeben ist, die Unternehmen mittels Preisen konkurrieren und beide Firmen einem Q-Learning-Algorithmus folgen, finden ­Tesauro/Kephart (2002) eine Konvergenz zu Preisen, die höher sind als die Preise bei Wettbewerb, aber geringer als bei vollkommener Koordination. Eine ökonomische Analyse algorithmischer Preissetzung, die in letzter Zeit beträchtliche Aufmerksamkeit erhalten hat, ist Salcedo (2015). Er betrachtet ein dynamisches Duopolmodell mit einem homogenen Gut und preissetzenden Algorithmen. Die Algorithmen werden durch endliche Automaten beschrieben, verwenden jedoch kein bestärkendes Lernen, können aber alle Marktergebnisse fehlerfrei aufzeichnen und speichern. Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass jeder Algorithmus von Zeit zu Zeit in der Lage ist, den vom Wettbewerber verwendeten Algorithmus zu ‚dekodieren’ und den eigenen Algorithmus zu modifizieren. Dadurch ist die Preispolitik des Wettbewerbers zu jedem Zeitpunkt, an dem eine Änderung des eigenen Algorithmus erfolgen kann, genau bekannt.24 Diese Dekodierung kann als Informationsaustausch oder Kommunikation zwischen den beiden Algorithmen verstanden werden. In der 24 Diese Annahmen sind jedoch vergleichsweise restriktiv, da z.B. tiefe neuronale Netze nur schwer zu entschlüsseln sind, weil nicht bekannt ist, wie und was sie gelernt haben. Dies gilt jedoch in gleicher Weise auch für umfangreiche herkömmliche Programme, die viele Millionen Zeilen Code enthalten und daher in der Regel kaum nachvollzogen werden können. Außerdem nutzen die Unternehmen in der Regel private Informationen und proprietäre

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Zeit zwischen möglichen Änderungen des eigenen Algorithmus ist man jedoch an die dadurch festgelegte Preispolitik gebunden, d.h. man kann diese nicht ändern. Angenommen, das Spiel beginnt damit, dass die Algorithmen Wettbewerbspreise setzen. Ergibt sich nun die Möglichkeit, den Algorithmus zu ändern, könnte er so modifiziert werden, dass er die Regelung enthält, bei einer Preiserhöhung des Wettbewerbers den eigenen Preis ebenfalls heraufzusetzen. Diese Information würde vom Wettbewerber dann dekodiert und zu einer Änderung seines Algorithmus führen. Diese Modifikation wiederum könnte dann im Zuge der Dekodierung vom ersten Unternehmen beobachtet werden. Da das zweite Unternehmen für die Zeiträume zwischen den Revisionen an den Algorithmus gebunden ist, würde der erste Algorithmus einen höheren Preis setzen und der Wettbewerber würde seinen Preis entsprechend seiner Preissetzungsregel ebenfalls erhöhen. Diese Möglichkeit der „Nachverhandlung“ und die Tatsache, dass die Unternehmen für bestimmte Zeiträume an die Algorithmen gebunden sind, führen dazu, dass sie ihre Preise im Zeitablauf immer weiter erhöhen, bis die Preise realisiert sind, die den gemeinsamen Gewinn maximieren. Gleichgewichte mit niedrigen Preisen sind dadurch ausgeschlossen und ein kollusives Verhalten der Unternehmen wird „unvermeidlich“. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich bei diesem Modell nicht um eines mit stillschweigender Kollusion handelt, wie der Titel des Papiers vermuten lässt, sondern aufgrund der Annahme, ein Algorithmus könne den anderen „dekodieren“, wird eine explizite Kommunikation zwischen den Unternehmen unterstellt, was im Grunde einer expliziten Absprache entspricht. Gäbe es keinen solchen Informationsaustausch zwischen den Unternehmen, dann würde sich auch das kollusive Gleichgewicht nicht einstellen. Dieser kurze Überblick über einige Beiträge über algorithmische Kollusion aus der Informatik zeigt, dass koordiniertes Verhalten von Algorithmen zwar ein mögliches Ergebnis ist. Aber eine Koordination ist weder so schnell und einfach zu erreichen noch ist sie unvermeidbar, wie es in einigen Beiträgen zu diesem Thema häufig unterstellt wird. Die Literatur legt eine Reihe von Schlussfolgerungen nahe. Erstens: Ob zwischen den Algorithmen eine Koordination zustande kommt, hängt sehr stark von den spezifischen Details der jeweilig unterstellten Umwelt ab, in der die Algorithmen agieren, aber auch von der Art der verwendeten Algorithmen. Oftmals wird eine Koordination mit relativ einfachen Mechanismen erreicht, während komplexe Algorithmen, die auf tiefen neuronalen Netzen basieren und Methoden des tiefen bestärkenden Lernens einsetzen, in vielen Fällen nicht kooperieren. Zweitens gehen diese Modelle davon aus, dass die Umwelt fest gegeben ist und sich nicht verändert, während reale Märkte durch permanenten und zum Teil drastischen Wandel gekennzeichnet sind, wie z.B. Markteintritt oder -austritt, Fusionen oder Innovationen usw. So führen Produktinnovationen dazu, dass sich die Nachfrage der Konsumenten und die Substitutionsbeziehungen zu anderen Gütern ändern und der Algorithmus diese Veränderungen erneut erlernen müsste. Drittens sind die Umgebungen, in denen die Algorithmen agieren, im Vergleich zu realen Märkten sehr einfach strukturiert, HäuSoftware. Die Annahme der perfekten Beobachtbarkeit des vom Wettbewerber verwendeten Algorithmus ist daher in Bezug auf reale Märkten nicht überzeugend (vgl. Oxera (2017), S. 19).

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fig wird algorithmische Koordination in Spielen mit nur zwei Akteuren untersucht, in denen jeder Spieler nur über zwei mögliche Aktionen („kooperieren“ oder „nicht kooperieren“) verfügt. In realen Märkten hingegen konkurrieren Unternehmen indem sie gleichzeitig über ein Spektrum verschiedener Wettbewerbsparameter, wie Preise, Qualität, Quantität, Konditionen etc. entscheiden müssen. Viertens wird koordiniertes Verhalten von Algorithmen untersucht, indem ein Algorithmus gegen sich selbst spielt, und es ist häufig nicht klar, welches Ergebnis sich einstellen würde, wenn ­verschiedene Algorithmen gegeneinander spielen würden. Viele Ergebnisse aus der Computerwissenschaft über die Möglichkeiten algorithmischer Kollusionen legen daher begründete Zweifel daran nahe, dass ein solches koordiniertes Verhalten von Algorithmen auch auf realen Märkten wahrscheinlich ist. Allerdings kann, auch aufgrund der raschen Fortschritte in der künstlichen Intelligenz, nicht ausgeschlossen werden, dass künftig komplexe, lernende Algorithmen in der Lage sein könnten, ihr Verhalten zu koordinieren und ein kollusives Gleichgewicht zu erreichen. Da die in der Praxis eingesetzten Preisbildungsalgorithmen in den letzten Jahren sehr viel komplexer geworden sind und Algorithmen in spezifischen, sehr reduzierten Umgebungen, wie z.B. in Spielen wie Schach oder Go, Leistungen erbringen, die menschlichen Leistungen entsprechen oder sie sogar übertreffen, könnten Untersuchungen des menschlichen Verhaltens in Situationen strategischer Interdependenz weiteren Aufschluss darüber geben, unter welchen Bedingungen koordiniertes und kollusives Verhalten von Algorithmen zu erwarten ist. Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Informatik zu diesem Thema mit den Resultaten der experimentellen Wirtschaftsforschung über stillschweigende bzw. explizite Kollusion in oligopolistischen Märkten verglichen.

5. Oligopolistische Kollusion – Ergebnisse der experimentellen ­Wirtschaftsforschung Häufig wird in der Literatur zur algorithmischen Kollusion davon ausgegangen, dass eine Verhaltenskoordination stillschweigend erfolgt, d.h. ohne ausdrückliche Vereinbarung oder Kommunikation zwischen den Unternehmen bzw. den  Algorithmen. Daher wird in diesem Abschnitt zuerst ein Überblick über die experimentelle Wirtschaftsforschung zu stillschweigender Kollusion auf oligopolistischen Märkten gegeben, ein Thema, das bereits seit mehreren Jahrzehnten im Fokus der Forschung steht. Dabei werden zuerst die Faktoren herausgearbeitet, die für das Entstehen und die Stabilität eines koordinierten Gleichgewichtes verantwortlich sind. Hierzu wird eine Reihe von Metastudien über kollusives Verhalten in oligopolistischen Märkten herangezogen,25 und es werden die Ergebnisse einiger Studien vorgestellt, die die Auswirkungen der Anzahl der Akteure und den Einfluss der Kommunikation auf eine Verhaltenskoordination untersuchen. Diese experimentellen Analysen haben gezeigt, dass Kommunikation zwischen den Akteuren von entscheidender Bedeutung für ein koordiniertes Gleichgewicht ist, vor allem dann, wenn mehr als zwei Unternehmen 25 Engel (2015), Haan et al. (2006), Horstmann et al. (2016), Potters/Suetens (2014).

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auf dem Markt aktiv sind. Dies deutet darauf hin, dass die Möglichkeit der Kommunikation auch im Kontext algorithmischer Kollusion von wesentlicher Bedeutung sein könnte. 5.1 Auswirkungen der Anzahl der Akteure Der wichtigste Aspekt bei stillschweigender Kollusion ist die Zahl der Wettbewerber auf dem Markt. Dies wurde unter anderem in einer Studie über die Auswirkungen der Größe experimenteller Oligopole gezeigt, wobei Märkte mit zwei, drei, vier und fünf Unternehmen untersucht wurden.26 Die Autoren fanden kollusives Verhalten in duopolistischen Märkten, während in oligopolistischen Märkten mit drei Unternehmen tendenziell wettbewerbliche Marktergebnisse beobachtet wurden. In oligopolistischen Märkten mit vier oder mehr Unternehmen kam es nie zu einer Verhaltenskoordination. In ihrer Untersuchung der jüngsten Literatur des experimentellen oligopolistischen Marktes bestätigen Potters/Suetens (2014) dieses Ergebnis: „… implicit coordination on a joint-profit maximizing price is frequently observed in markets with two sellers, rarely in markets with three sellers, and almost never in markets with four or more sellers.”27 Zu einem ähnlichen Resultat gelangt auch die Meta-Analyse von Horstmann et al. (2016): „Within and across the surveyed oligopoly experiments, markets with two firms are significantly more prone to tacit collusion than markets with three as well as four firms, everything else being equal.“28 Auch Engel (2015) zeigt, dass experimentelle Studien im Allgemeinen zu dem Resultat gelangen, dass kollusives Verhalten stark von der Anzahl der Teilnehmer abhängt, wobei koordiniertes Verhalten nur im Fall sehr weniger Akteure zu beobachten ist. Diese Ergebnisse gelten sowohl für den Mengen- als auch für Preiswettbewerb. 5.2 Kollusion und Kommunikation Aber nicht nur die Anzahl der Teilnehmer ist für ein koordiniertes Verhalten relevant. Mehrere Studien haben darauf hingewiesen, dass die Kommunikation zwischen Agenten eine wichtige Determinante dafür ist, ob ein koordiniertes Verhalten auch in Märkten mit mehr als zwei Akteuren auftreten kann. Da es in wiederholten Spielen in der Regel unendlich viele Nash-Gleichgewichte gibt, macht es die Kommunikation den Akteuren leichter, sich auf ein bestimmtes kollusives Gleichgewicht zu verständigen. Darauf hat bereits Friedman (1967) hingewiesen, der festgestellt hat, dass die Marktpreise signifikant höher sind, wenn die Akteure durch das Senden von Botschaften miteinander kommunizieren können, als wenn diese Möglichkeit nicht besteht.29 Dies ist auch das Ergebnis der Metastudie von Engel (2015): “If participants are additionally allowed to communicate price or quantity choices, collusion in­creases 26 Huck et al. (2001). 27 Potters/Suetens (2014), S. 448. 28 Horstmann et al. (2016), S. 9. 29 Es gibt auch eine umfangreiche theoretische Literatur, die die Rolle der Kommunikation für die Existenz kollusiver Gleichgewichte in wiederholten Spielen untersucht, die hier nicht diskutiert wird. S. z.B. Aoyagi (2005), Awaya/Krishna (2015), Compte (1998), G ­ arrod/

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substantially and significantly…”30 Die Bedeutung der Kommunikation für ein kollusives Verhalten wurde nicht nur im Rahmen experimenteller Oligopole beobachtet, sondern auch in einer Fallstudie zum „Airline Tariff Publishing Case“ nachgewiesen.31 In diesem Fall war die Möglichkeit, Informationen über Preise schnell auszutauschen ein wichtiger Faktor, um ein koordiniertes Gleichgewicht zu etablieren. In einer weiteren Studie haben Fonseca/Normann untersucht, wie sich die Wirkung von Kommunikation mit der Anzahl der Teilnehmer in einem Markt verändert.32 Sie stellten fest, dass sich die Kommunikationsmöglichkeit, abhängig von der Anzahl der Unternehmen im Markt, unterschiedlich auf den zusätzlichen Gewinn der Firmen auswirkt. Während in duopolistischen Märkten die Kommunikation für ein Kollusionsergebnis im Allgemeinen nicht erforderlich ist, ergibt sich in Märkten mit einer großen Zahl von Unternehmen kein kollusives Ergebnis, selbst wenn die Unter­ nehmen kommunizieren können. In Märkten mit einer mittleren Anzahl von Unternehmen kann die Kommunikationsmöglichkeit das Marktergebnis jedoch drastisch verändern: Während ohne die Möglichkeit, Nachrichten auszutauschen, ein wettbewerbliches Marktergebnis resultiert, führt Kommunikation dazu, dass auf solchen Märkten zumindest ein gewisses Maß an Koordination erreicht werden kann, d.h. die Preise sind höher als im Wettbewerb. Ein ähnliches Ergebnis wird von Harrington et al. (2016) berichtet. Sie stellen fest, dass unverbindliche Preisankündigungen nur bei einem Duopol mit symmetrischen Unternehmen, d.h. gleicher Größe, Technologie und Kosten, zu einem koordinierten Gleichgewicht führen. Konnten die Akteure hingegen uneingeschränkt kommunizieren, dann waren sie in der Lage, sich auch dann auf einen hohen Preis zu koordinieren, wenn sie sich hinsichtlich ihrer Größe, Technologie oder Kosten unterschieden. Diese Ergebnisse experimenteller Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Möglichkeit zur Kommunikation ein wesentlicher Faktor ist, um in experimentellen Oligopolen ein koordiniertes Gleichgewicht zu erreichen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass dies in ähnlicher Weise auch für algorithmische Kollusion gilt. Dieser Aspekt ist insbesondere im Zusammenhang mit der in der juristischen Literatur geäußerten Behauptung von zentraler Bedeutung, algorithmische Koordination würde auch auf Märkten mit einer mittleren oder großen Anzahl von Unternehmen zu koordiniertem Verhalten führen. Mehrere Beiträge sowohl aus der Computerwissenschaft als auch der Ökonomie haben deutlich gemacht, dass die Kommunikation zwischen Algorithmen eine erhebliche positive Wirkung auf das Erreichen eines koordinierten Gleichgewichtes hat, wie z.B. in den Papieren von Tan (1993) oder Crandall et al. (2017) sowie auch implizit in der Arbeit von Salcedo (2015). Es stellt sich daher die Frage, ob Algorithmen in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, oder ob unterschiedliche Algorithmen sogar lernen können, miteinander zu kommunizieren, ohne hierfür explizit programmiert zu sein, d.h. ohne ein gemeinsaOlczak (2017), Kandori (2003), Kandori/Matsushima (1998), Obara (2009), Spector (2015) oder Tomala (2009). 30 Engel (2015), S. 19. 31 Borenstein (1999). 32 Fonseca/Normann (2012).

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mes vorher festgelegtes Kommunikationsprotokoll. Dieses Thema hat in jüngster Zeit sowohl in der Literatur zu maschinellem Lernen und zu koordiniertem Verhalten von Algorithmen, aber auch in der Robotik-Literatur zunehmend Beachtung gefunden. Im Folgenden wird daher die Frage, ob Algorithmen in der Lage sind, Kommunikation zu erlernen, näher beleuchtet.

6. Können Algorithmen lernen, miteinander zu kommunizieren? Die Frage der Kommunikation zwischen Algorithmen hat in der Informatik und der Literatur zu maschinellem Lernen in letzter Zeit einige Aufmerksamkeit gefunden, da die Lösung zahlreicher Probleme im Bereich der künstlichen Intelligenz die Zusammenarbeit mehrerer Agenten erfordert. Bislang wurde die Kommunikation zwischen Algorithmen durch ein vorgegebenes Kommunikationsprotokoll gelöst, in dem bestimmte Nachrichten vordefiniert wurden, die von den Algorithmen für die Kommunikation verwendet werden konnten, wie das z.B. im Papier von Crandall et al. der Fall ist. Auch unterstellen die meisten Beiträge über das Erlernen von Kommunikation ein rein kooperatives Umfeld, d.h. ein Szenario, in dem es keine Divergenz zwischen individueller und kollektiver Rationalität gibt. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den Situationen, wie sie auf oligopolistischen Märkten vorliegen. Ein frühes Papier darüber, wie Algorithmen lernen, in einer Multi-Agenten-Umgebung zu kommunizieren, ist die Arbeit von Giles/Jim (2002). Die Autoren betrachten eine so genannte „Raubtier-Beute-Umwelt“, in der die Raubtiere miteinander über ein Message-Board kommunizieren. Das Erlernen der Kommunikation wird durch einen genetischen Algorithmus modelliert. Anhand von Simulationen des Modells wurde gezeigt, dass die Raubtiere, die eine Kommunikation entwickelt haben, signifikant bessere Leistungen erbracht haben als diejenigen, bei denen dies nicht der Fall war. Im Rahmen dieses Ansatzes erlernten die Akteure selbstständig Kommunikationsstrategien, die nicht vom Programmierer vorgegeben waren. In einem ähnlichen Multi-­ Agenten-Modell betrachten Kasai et al. (2008) bestärkendes Lernen mit einer Kommunikation zwischen den Akteuren, wobei die Agenten Kommunikationscodes erlernen. Ein Kommunikationscode ist eine Bitfolge mit einer Länge zwischen 0 bis 4 Bit. Wenn die Akteure einen oder mehrere Bits lernen, waren die Ergebnisse mit Kommunikation besser als die, die ohne Kommunikation erzielt wurden. Zur Untersuchung der Frage, inwieweit Algorithmen lernen können, miteinander zu kommunizieren, betrachten Foerster et al. (2016) sequentielle Entscheidungsprobleme in einem rein kooperativen Multi-Agenten Modell, in dem die Akteure nur unvollkommen über ihre Umwelt informiert sind. Die Akteure maximieren die diskontierte Summe der Auszahlungen und jeder Agent verfügt über private Informationen über die Umwelt. Jeder Akteur kann Aktionen ausführen, die die Umwelt beeinflussen, und kann mit den anderen Akteuren kommunizieren. Dabei müssen die Akteure ein Kommunikationsprotokoll erlernen, das es ihnen ermöglicht, ihr Verhalten zu koordinieren und die gestellte Aufgabe zu lösen. Das Lernen der Kommunikation erfolgt dabei zentralisiert. D.h., während des Lernens, das von einem zentralisierten 763

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Algorithmus durchgeführt wird, ist die Kommunikation zwischen Agenten nicht eingeschränkt. Während der Ausführung der erlernten Strategien können die Agenten jedoch nur über einen Kanal mit begrenzter Bandbreite kommunizieren. Die Autoren betrachten zwei verschiedene Arten des Erlernens der Kommunikation: zum einen ein Q-Learning im Rahmen eines tiefen neuronalen Netzwerkes und zum anderen ein Lernverfahren mittels Fehlerrückführung (Backpropagation).33 Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Lernmethode, die auf der Methode der Fehlerrückführung basiert, bessere Ergebnisse erzielt als das Q-Learning. Die Autoren betrachten ihre Ergebnisse jedoch nur als einen “…first attempt at learning communication and language with deep learning approaches”.34 In einem kürzlich erschienenen Beitrag betrachten Sukhbaatar et al. (2016) ein kooperatives Modell, in dem die Agenten nur begrenzte Informationen über ihre Umwelt haben und zusammenarbeiten müssen, um eine komplexe Aufgabe zu erfüllen. Das Erlernen der Kommunikation wird mithilfe eines neuronalen Netzes modelliert. Dieser Ansatz wird dann auf verschiedene Aufgabenstellungen angewandt, wie z.B. die „Hebel“-Aufgabe. Dabei werden m Akteure zufällig ausgewählt, von denen gleichzeitig jeder an einem von m Hebeln ziehen soll. Ziel der Aufgabe ist es, dass jeder Akteur einen anderen Hebel betätigt, denn die Auszahlung jedes Akteurs steigt proportional zur Anzahl der unterschiedlichen Hebel, die betätigt werden. Simulationen haben deutlich gemacht, dass die Akteure lernen, miteinander zu kommunizieren, und dadurch ein besseres Ergebnis erzielen. In einigen Fällen lässt sich die von den Akteuren entwickelte „Sprache“ interpretieren und es lassen sich einfache, aber effektive Strategien zur Lösung der jeweiligen Aufgabe erkennen. Ein verwandtes Problem wurde kürzlich in der Robotik-Literatur untersucht (Barrett et al. (2017)). Ausgangspunkt dieser Analyse sind Roboter verschiedener Hersteller, die über kein gemeinsames Kommunikations- oder Koordinationsprotokoll verfügen; denn es kann vorkommen, dass Roboter auch ohne ein standardisiertes Kommunikationsprotokoll mit verschiedenen „Teammitgliedern“ zusammenarbeiten müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Das Hauptproblem in einer solchen Situation besteht darin, dass bisher unbekannte Akteure als Teammitglieder erkannt werden und eine Anpassung an die bisher nicht bekannten Akteure erfolgen soll, damit eine ad hoc Teamarbeit möglich wird. Die Autoren haben hierzu einen allgemeinen Algorithmus entwickelt, der in der Lage war, neue Teammitglieder als solche zu identifizieren, zu lernen, sich an diese neuen Akteure anzupassen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ein interessantes Experiment von Abadi/Anderson (2016) aus dem Google Brain Projekt hat gezeigt, dass Algorithmen sogar lernen können, ihre Kommunikation vor Dritten zu verbergen. Die Autoren betrachteten zwei neuronale Netze, die lernen, 33 Weicht das Ergebnis des Netzes von gewünschten Zielwert ab, wird dieser Fehler von der Ausgabeschicht des Netzes zurück an die Eingabeschicht übermittelt (Fehlerrückführung oder backpropagation) und die Gewichtungen der Neuronen werden entsprechend ihres Beitrags zum Fehler geändert. 34 Foerster et al. (2016), S. 9.

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Nachrichten, die sie einander schicken, zu verschlüsseln, damit ein drittes neuronales Netz möglichst wenig Informationen aus dem Abhören des Gesprächs zwischen den ersten beiden Netzen gewinnen kann. Die Autoren zeigen, dass neuronale Netze tatsächlich in der Lage sind, zu lernen, wie man Nachrichten ver- und entschlüsselt und wie man diese Strategien einsetzt, um vertrauliche Informationen zu schützen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Entwicklung von Algorithmen, die in der Lage sind, zu lernen, miteinander zu kommunizieren, noch am Anfang steht und es ist schwer zu prognostizieren, welche Arten der Kommunikation zwischen den Algorithmen entstehen könnten.35 Gegenwärtig ist jedoch nicht zu erwarten, dass unterschiedliche, preissetzende Algorithmen miteinander kommunizieren können oder, wie von Salcedo (2015) unterstellt, andere Algorithmen dekodieren und auf diese Weise ein koordiniertes Gleichgewicht erreichen können. Unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes im Bereich der künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens auch in tiefen neuronalen Netzen sowie in Bezug auf Kooperation und Kommunikation zwischen Algorithmen dürfte die Aussage von Ezrachi/Stucke: “Two Artificial Neural Network and one Nash equilibrium meet in an online (pub) hub. After a few milliseconds, a unique silent friendship is formed …”36 die aktuelle Situation nicht angemessen beschreiben. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass – unter Berücksichtigung der raschen Fortschritte in der KI-Forschung  – in Zukunft die Wahrscheinlichkeit einer algorithmischen Kollusion steigt, wenn z.B. Algorithmen lernen können, miteinander zu kommunizieren. Es ist daher die Frage zu klären, wie künftig mit diesem Problem aus wettbewerbsrechtlicher und wettbewerbspolitischer Sicht umgegangen werden sollte.

7. Algorithmische Kollusion und Wettbewerbspolitik Bis heute ist kein Fall bekannt, in dem lernende Algorithmen ihr Preissetzungsverhalten selbstständig koordiniert haben, um die Gesamtgewinne zu maximieren, d.h. ein koordiniertes Gleichgewicht erreicht haben. Es gibt jedoch einige Fälle, in denen Algorithmen als „facilitating devices“ eingesetzt wurden, ähnlich wie z.B. bei Preisgarantien, beim Informationsaustausch oder bei der Verwendung einer Preisformel, um eine Koordination zu vereinfachen. In diesen Fällen war jedoch die Bildung eines Kartells eine bewusste und vorsätzliche Entscheidung der Manager der beteiligten 35 In einem kürzlich von der Forschungsabteilung für künstliche Intelligenz bei Facebook durchgeführten Experiment wurden zwei mit künstlicher Intelligenz ausge­statte Chatbots vor die Aufgabe gestellt, über eine Transaktion miteinander zu verhandeln. Die Chatbots modifizierten jedoch das Englisch, das sie während der Verhandlungen benutzten, und entwickelten ihre eigene Sprache, eine Art Stenografie. Während die Chatbots die Sprache zu verstehen schienen und Transaktionen nur in dieser Sprache abwickelten, war sie für die  Experimentatoren unverständlich. Das Experiment wurde daraufhin abgebrochen. S. Griffin (2017). 36 Ezrachi/Stucke (2017).

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Unternehmen. Dadurch ergeben sich aber keine neuen Wettbewerbsprobleme, und die vorhandenen Instrumente der Wettbewerbspolitik und des Wettbewerbsrechts sind ausreichend, um diese Probleme zu lösen. In Bezug auf intelligente Algorithmen, die ein kollusives Verhalten selbstständig erlernen, ist das Problem anders gelagert, da in diesen Fällen keine Person direkt am Zustandekommen eines koordinierten Verhaltens der Unternehmen beteiligt ist. Es gab keine Abstimmung, Vereinbarung oder ein „meeting of the minds“ im üblichen Sinne, und es ist sehr wohl möglich, dass die Unternehmen ein solches Ergebnis in keiner Weise beabsichtigt haben. Ihre Intention, Algorithmen einzusetzen, könnte vor allem darin bestanden haben, einen effizienten und kompetitiven Preissetzungsmechanismus zu nutzen. Ein koordiniertes Verhalten war ein Resultat, das von den Unternehmen möglicherweise weder geplant noch vorhergesehen wurde, sondern von den Algorithmen selbst erlernt wurde. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob eine derartige Verhaltenskoordination bei der Preissetzung durch lernende, intelligente Algorithmen, überhaupt einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellt. Nach geltenden Recht dürfte dies in der Regel nicht der Fall sein.37 Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, könnte darin bestehen, die Bedeutung der Begriffe „Vereinbarung“ bzw. „aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen“ auch auf Fälle algorithmischer Kollusion auszudehnen. Ähnliche Probleme werden im Kontext „stillschweigender Kollusion (tacit collusion)“ im Oligopol bereits seit längerer Zeit diskutiert. So hat beispielsweise Posner bereits 1976 vorgeschlagen, eine stillschweigende Kollusion in gleicher Weise zu behandeln wie eine explizite Absprache: “If seller A restricts his output in the expectation that B will do likewise, and B ­restricts his output in a like expectation, there is a literal meeting of the minds, a mutual ­understanding, even if there is no overt communication. In forbearing to seek shortterm gains at each other’s expense in order to reap monopoly benefits that only such mutual forbearance will allow, A and B are like the parties to a “unilateral contract” which is treated by the law as concerted rather than individual behaviour.”38 Aber selbst wenn kollusives Verhalten von Algorithmen als Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht betrachtet würde, stellt sich die Frage, wie überprüft werden kann, ob tatsächlich ein solches koordiniertes Verhalten von Algorithmen vorliegt, d.h. ob die gesetzten Preise tatsächlich auf eine Kollusion hindeuten. Damit Wettbewerbsbehörden einen solchen Fall näher untersuchen können, muss zuerst ein Anfangsverdacht vorhanden sein, dass tatsächlich eine Verhaltenskoordination vorliegt. Zu diesem Zweck könnten die Wettbewerbsbehörden selbst Algorithmen einsetzen, die die Marktpreise beobachten, um Anzeichen eines koordinierten Verhaltens aufzudecken.39 Besteht der begründete Verdacht, dass tatsächlich eine algorithmische Kollusion vorliegt, ist die Frage der Beweislast zu klären. Sollten Unternehmen, die Preis37 Salaschek/Serafimowa (2018), S. 12 f. 38 Posner (1976), S. 71 f. 39 Allerdings könnte es schwierig sein, kollusives Verhalten aufzudecken, da lernende Algorithmen auch überhöhte Preise nach dem Zufallsprinzip geringfügig verändern würden, um Möglichkeiten einer Gewinnsteigerung zu eruieren, so dass diese Preisvariabilität als

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bildungsalgorithmen einsetzen, verpflichtet sein, den Wettbewerbsbehörden und Gerichten die Funktionsweise ihrer Algorithmen verständlich zu erklären und überzeugend darzulegen, dass die verwendeten Algorithmen zu einem koordinierten Verhalten prinzipiell nicht in der Lage sind? Diese Anforderung würde implizit die Klasse der Algorithmen einschränken, die verwendet werden können. Zum einen könnte es sich als schwierig erweisen, die Funktionsweise eines tiefen neuronalen Netzes Dritten gegenüber, die keine Ausbildung in Informatik haben, in überzeugender und nachvollziehbarer Weise zu erklären. Zum anderen könnte das kollusive Verhalten von den Algorithmen selbst erlernt worden sein und war in der ursprünglichen Programmierung des Netzes weder vorgesehen noch beabsichtigt. Alternativ könnte die Beweislast auch bei den Wettbewerbsbehörden liegen, die nachweisen müssten, dass die von den Unternehmen eingesetzten Algorithmen tatsächlich zu einem koordinierten Marktergebnis geführt haben. In beiden Fällen benötigen die Wettbewerbsbehörden jedoch ausreichende interne oder externe Fachkenntnisse im Bereich der Informatik und insbesondere der künstlichen Intelligenz, um den Sachverhalt kompetent beurteilen zu können. Kann jedoch nachgewiesen werden, dass die Algorithmen tatsächlich ein kollusives, kartellähnliches Verhalten zeigen und handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, so stellt sich die Frage, wer für diesen Verstoß haftet. Ist es der (externe) Programmierer des Algorithmus oder sind es die Inhaber des Unternehmens, das den Algorithmus eingesetzt hat? Die Antwort auf diese Frage kann sehr stark von den spezifischen Regelungen der jeweiligen Rechtsordnung abhängen. Nach europäischem Recht würden externe Programmierer oder Software-Dienstleister vermutlich nicht für Wettbewerbsverstöße haftbar gemacht, da Programmierer überwiegend nach den Vorgaben und Spezifikationen des Unternehmens arbeiten, das den Algorithmus verwendet.40 „Grundsätzlich ist den Unternehmen jede Handlung von „Personen“ zuzurechnen, die berechtigt sind, für das Unternehmen tätig zu werden. Dabei kann offen bleiben, ob lernende Algorithmen selbst als für das Unternehmen handelnde „Personen“ oder als verlängerter Arm der sie einsetzenden natürlichen Personen einzustufen sind.“41 Aber dies könnte in anderen Rechtsordnungen in unterschiedlicher Weise geregelt sein. Um das Problem der algorithmischen Kollusion von vornherein zu vermeiden, könnte man die Verwendung lernender Algorithmen zur Preissetzung an sich untersagen. Dies ist jedoch keine akzeptable Lösung, da hierdurch auch die Realisierung zahlreicher Effizienzen verhindert würde. Auch der Vorschlag von Ezrachi/Stucke „…to condemn and challenge the creation of market conditions which led to sustaining tacit collusion – the creation of a transparent market in which monitoring and pun­ish­

normales Wettbewerbsverhalten erscheinen würde. Würden die Algorithmen sich jedoch so verhalten, wie Ezrachi/Stucke (2017) vermuten, d.h. in wenigen Millisekunden den gewinnmaximierenden Preis verlangen, wäre eine solche Unstetigkeit in der Preissetzung leicht erkennbar. 40 Salaschek/Serafimowa (2018), S. 16. 41 Käseberg/von Kalben (2018), S. 5.

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ment mechanisms are present”42 ist nicht überzeugend. Erstens ist es im Allgemeinen schwierig zu beurteilen, ob die strukturellen Marktbedingungen eine stillschweigende Kollusion ermöglichen und in welchem Grade dies der Fall ist, und zweitens ist unklar, was die Wettbewerbsbehörden tun könnten, um die Schaffung eines transparenten Marktes mit Preisbeobachtungs- und Sanktionsinstrumenten zu verhindern. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich Markttransparenz für die Verbraucher auch positiv auswirken kann, da sie dadurch die Möglichkeit haben, Preise zu vergleichen und das beste Angebot zu finden. In einem kürzlich erschienenen Papier zur Frage, wie wettbewerbsrechtlich mit autonomen, preissetzenden Algorithmen umgegangen werden sollte, hat Harrington angeregt, das Haftungsproblem dadurch zu lösen, dass die Klasse der zulässigen Algorithmen beschränkt oder die Verwendung von Algorithmen mit Eigenschaften, die zu Preisen über dem Wettbewerbsniveau führen, untersagt wird.43 Harrington schlägt hierzu ein dreistufiges Verfahren vor, um festzustellen, welche Arten bzw. Eigenschaften von Algorithmen sich als problematisch erweisen könnten und untersagt werden sollten. Der Ansatz basiert auf einem simulierten Markt, in dem unter verschiedenen Marktbedingungen die Eigenschaften von Algorithmen ermittelt werden, die zu einem koordinierten Verhalten führen. Diese Simulation müsste von den Wettbewerbsbehörden oder einer spezialisierten Institution durchgeführt werden. Eine solche Überprüfung von Algorithmen ist jedoch eine kaum zu bewältigende Aufgabe, da es erstens eine Vielzahl unterschiedlichster Algorithmen gibt, die ständig entweder von den Programmierern verändert werden oder sich durch autonomes Lernen selbst modifizieren und auf diese Weise neue, bislang noch nicht erfasste Eigenschaften entwickeln könnten, die ebenfalls geeignet sind, ein kollusives Marktergebnis herbeizuführen. Alle für die Preissetzung verwendeten Algorithmen müssten daher regelmäßig überprüft werden. Schließlich könnte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, bestimmte Regelungen und Beschränkungen auf einer grundlegenden Ebene der Programmierung eines Algorithmus zu integrieren, ähnlich den von Asimov vorgeschlagenen drei Robotergesetzen. So könnten z.B. nur solche Algorithmen als zulässig akzeptiert werden, die nicht in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Es ist jedoch fraglich, wie dies konkret für die Programmierung eines Algorithmus umgesetzt werden sollte. Da Algorithmen das Preisverhalten ihrer Konkurrenten beobachten, könnten sie selbstständig lernen zu kommunizieren, indem sie z.B. Nachrichten verschlüsselt in den gesetzten Preisen versenden, ähnlich dem „Code Bidding“, das bei Auktionen beobachtet wurde und bei dem Botschaften an die anderen Bieter in den Geboten selbst enthalten waren. Es stellt sich also die Frage, ob komplexe Algorithmen lernen könnten, solche Regelungen zu umgehen. Alles in allem scheinen die wettbewerbsrechtlichen Möglichkeiten eher begrenzt zu sein, das Problem der algorithmischen Kollusion – wenn es sich dabei tatsächlich um ein relevantes Problem handeln sollte, was jedoch zumindest gegenwärtig nicht der 42 Ezrachi/Stucke (2015), S. 21. 43 Harrington (2017).

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Fall zu sein scheint – zu lösen. Werden Algorithmen von Akteuren bewusst eingesetzt, um damit eine Verhaltenskoordination zu erreichen, dann entstehen keine neuen wettbewerbsrechtlichen Probleme; denn hier liegt eine Absprache oder Vereinbarung im üblichen Sinne vor. Bei einer rein algorithmischen Kollusion, d.h. einer Situation, in der die Algorithmen selbst lernen, ihr Verhalten zu koordinieren, ist die Situation jedoch eine andere. Um dies zu erfassen, wäre der Begriff der Vereinbarung auch auf den Fall eines solchen Kollusionsverhaltens auszudehnen, um auf diese Weise ein koordiniertes Verhalten von Algorithmen als Verletzung des Wettbewerbsrechts auffassen zu können. Aber auch dann bleiben gravierende Probleme in Bezug auf die Feststellung und Verifikation algorithmischer Kollusionen bestehen. Darüber hinaus würden die Vorschläge, wie man dies verhindern kann, entweder, wie bei einer Untersagung der Verwendung preissetzender Algorithmen, erhebliche Effizienzverluste bedeuten, oder würden für die Wettbewerbsbehörden zu erheblichen zusätzlichen Belastungen führen, da dies eine beträchtliche Expertise in der Informatik, insbesondere auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, erfordern würde. Außerdem müssten erhebliche zusätzliche Ressourcen für die Prüfung der zahlreichen unterschiedlichen und sich ständig ändernden Algorithmen zur Preisfestsetzung eingesetzt werden.

8. Fazit Die computerwissenschaftliche Literatur zu koordiniertem Verhalten von Algorithmen und die Studien über Kollusionen in experimentellen Oligopolen haben gezeigt, dass ein stillschweigendes Kollusionsverhalten weder besonders wahrscheinlich oder gar unvermeidbar ist, wie dies von einigen Rechtswissenschaftlern vermutet wird. Man kann jedoch nicht völlig ausschließen, dass lernende Algorithmen künftig in der Lage sein könnten, stillschweigend ihr Preissetzungsverhalten zu koordinieren und überhöhte Preise zu verlangen, die ihren gemeinsamen Gewinn maximieren. Aber es ist zu beachten, dass kollusives Verhalten von Algorithmen ein wesentlich komplexeres Problem darstellt, als in vielen Beiträgen zu diesem Thema angenommen wird. Wenn Algorithmen in bestimmten speziellen Anwendungen und in einer festen und sich nicht verändernden Umwelt, wie z.B. in Spielen wie Schach oder Go, Leistungen erbringen, die dem menschlichen Leistungsvermögen entsprechen oder sogar noch darüber hinausgehen, dann liegt die Vermutung nahe, dass vergleichbare Probleme auftreten können, wie sie in vielen Studien zur Kollusion in experimentellen Oligopolen nachgewiesen wurden. Diese Experimente haben gezeigt, dass ohne jegliche Kommunikation zwischen den Teilnehmern ein koordiniertes Verhalten in der Regel nur in Duopolen stattfindet. Das deutet darauf hin, dass Algorithmen, insbesondere in Märkten mit mehreren Akteuren, möglicherweise erst lernen müssen, miteinander zu kommunizieren, um ein kollusives Gleichgewicht zu erreichen. In der Forschung über maschinelles Lernen wurden die ersten Schritte in diese Richtung bereits unternommen, aber derzeit scheint es noch ein langer Weg, bis unterschiedliche Algorithmen lernen, auch in Szenarien, wie sie auf oligopolistischen Märkten vorliegen, miteinander zu kommunizieren, ohne dass es ein vordefiniertes Kommunikationsprotokoll gibt. 769

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Aber selbst dann, wenn Algorithmen in der Lage wären, ihr Preisbildungsverhalten zu koordinieren, ist es keineswegs klar, wie dieses Problem durch die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht gelöst werden soll. Selbst wenn das Wettbewerbsrecht dahingehend angepasst werden würde, auch eine algorithmische Kollusion als Verstoß einzustufen, ist die Aufdeckung und der Nachweis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Dies gilt auch für das Problem der Verhinderung algorithmischer Kollusionen. Wenn der Einsatz von lernenden preissetzenden Algorithmen nicht gänzlich untersagt wird, müssten Algorithmen regelmäßig überwacht werden, was zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung der Wettbewerbsbehörden führen und umfangreiche zusätzliche Ressourcen erforderlich machen würde. Derzeit dürfte das Thema der algorithmischen Kollusion eher in den Bereich der „juristischen Science-Fiction“ fallen, als ein aktuelles und konkretes Wettbewerbsproblem darzustellen. Es erscheint daher ratsam, die begrenzten Ressourcen der Wettbewerbsbehörden eher für dringendere Wettbewerbsprobleme einzusetzen, wie z.B. die Untersuchung missbräuchlichen Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen insbesondere in der digitalen Ökonomie als im Zusammenhang mit den spekulativen Vermutungen über algorithmische Kollusion.

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Nachlese zur Ministererlaubnis EDEKA/Tengelmann I. Die Gerichtsverfahren 1. Die Entscheidungen zum Vollzugsverbot 2. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen die Ministererlaubnis a) Die Kontrolle der Ministererlaubnis durch das OLG Düsseldorf b) Die Kostenentscheidungen des BGH vom 10.4.2018 3. Die Parallelität von Anfechtung der ­Untersagung und Antrag auf Minister­ erlaubnis 4. Die Neuregelung des Rechtsschutzes ­gegen eine Ministererlaubnis II. Die Politisierung der Ministererlaubnis 1. Die öffentliche Diskussion der Ministererlaubnis im KT-Verfahren

2. Forderungen zur Umgestaltung der ­Ministererlaubnis I II. Prognosen im Ministererlaubnisverfahren 1. Erfahrungen mit Prognosen in Ministererlaubnisverfahren 2. Verringerung der Risiken durch stringente Bedingungen und Auflagen IV. Einzelne Aspekte der Ministererlaubnis 1. Keine Befangenheit des Ministers 2. Transparenz des Verfahrens 3. Zulässigkeit des Arbeitnehmerschutzes 4. Kontrolle der Bedingungen und Auflagen V. Abschließende Bewertung 1. Kritik an der Ministererlaubnis 2. Vorteile der Ministererlaubnis

Ohne den Jubilar, Dirk Schroeder, hätte das Institut der Ministererlaubnis wohl kaum Eingang in mein Leben gefunden. Als herausragender Kartellrechtler betreute er BP im Ministererlaubnisverfahren EON/Ruhrgas. Als hervorragender Mentor betreute er zu diesem Zeitpunkt mich. Noch heute ist er bei schwierigen Lebens- und Rechtsfragen mein Anlaufpunkt. Das Fusionskontrollverfahren EDEKA/Kaiser’s Tengelmann (im Folgenden KT abgekürzt) hat Bundeskartellamt und Gerichte seit dem Beginn des Anmeldeverfahrens beim Bundeskartellamt Anfang Oktober 20141 bis zu den beiden Kostenentscheidungen des BGH vom 10.4.2018,2 mit denen das Ministererlaubnisverfahren endgültig abgeschlossen wurde, insgesamt rund 3,5 Jahre beschäftigt. Das Zusammenschlussvorhaben wurde nach der Untersagung durch das Bundeskartellamt am 31.3.2015 durch die Ministererlaubnis von Bundes­minister Gabriel am 9.3.2016 genehmigt.3 1 Der verbindliche Kaufvertrag zwischen EDEKA und KT wurde am 1.10.2014 unterzeichnet. Nachdem das Bundeskartellamt von den Zusammenschlussparteien im Laufe des Oktober 2014 informell über den geplanten Erwerb informiert worden war, leitete es am 30.10.2014 von Amts wegen ohne förmliche An­meldung das Fusionskontrollverfahren ein (Beschluss Bundeskartellamt B2-96/14 vom 31.3.2014, Rz. 69 f.; veröffentlicht auf der Internetseite des Bundeskartellamts). 2 Kostenentscheidung KVR 38/16 sowie Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde KVZ 37/17 betr. die Kostenentscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.3.2017. 3 Öffentliche Entscheidung Ministererlaubnis EDEKA/Kaiser’s Tengelmann (KT) – IB2-220850/​ 01 – vom 9.3.2016, abgedruckt auf der Internetseite des Bundeministeriums für Wirtschaft und Energie.

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Bestandskräftig wurde die Ministererlaubnis am 8.12.2016, nachdem Rewe als letztes Unternehmen seine Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des OLG Düsseldorf im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückgenommen hatte. Grundlage hierfür war die Schlichtungsvereinbarung vom 31.10.2016, in der sich die beteiligten Unternehmen unter Vorsitz des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder auf eine einvernehmliche Regelung verständigt hatten.4 Der Schlichterspruch und die dort bestätigte Einigung von EDEKA und Rewe wurden ihrerseits nicht weiter angegriffen. Das Bundeskartellamt hat die fusionskontrollrechtliche Erlaubnis für die Übertragung der KT-Filialen von EDEKA an Rewe nach Abschluss der Schlichtung erteilt.5 Die Ministererlaubnis enthält Nebenbestimmungen (Bedingungen und Auflagen), die für die Dauer von 5 Jahren die Einhaltung der mit der Genehmigung angestrebten Ziele sicherstellen. Für Bundesminister Gabriel stand die Sicherung der Arbeitsplätze und der Schutz der Arbeitnehmerrechte der KT-Beschäftigten im Vordergrund.6 Seit Inkrafttreten der Ministererlaubnis ist einige Zeit verstrichen, so dass eine Nachlese mit einer ersten vorsichtigen Bewertung gewagt werden kann.7

I. Die Gerichtsverfahren Der Zusammenschluss EDEKA/KT war Gegenstand einer ungewöhnlich großen Zahl von Gerichtsverfahren. Allein sechs Mal hat sich der Bundesgerichtshof unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten mit dem Zusammenschluss befasst.8 4 Vgl. Mitteilung „Die Ministererlaubnis im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann“ auf der Themenseite Wettbewerbspolitik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, abgedruckt auf der Internetseite des Ministeriums (m.w.N.). 5 Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 8.12.2016, veröffentlicht auf der Internetseite des Bundeskartellamts. 6 Dies hat Minister Gabriel wiederholt öffentlich bekräftigt; vgl. z.B. Pressemitteilung vom 17.3.2016 und Pressestatement vom 13.7.2016, beides abgedruckt auf der Internetseite des Ministeriums. 7 Die Unterzeichnerin war Prozessbevollmächtigte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und im anschließenden Kostenverfahren. 8 Im Einzelnen handelt es sich um die Verfahren: BGH KVZ 5/16 (Entscheidung vom 18.7.2017 über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 9.12.2015 betr. die einstweiligen Anordnungen des Bundeskartellamts vom 3.12.2014; im daran anschließenden Rechtsbeschwerdeverfahren steht die Entscheidung noch aus); BGH KVR 10/16 (Kostenentscheidung vom 24.1.2017 nach Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens betr. den Eilrechtsschutz gegen die Anordnungen des Bundeskartellamts); BGH KVR 57/16 (Rechts­beschwerdeverfahren gegen die Anordnungen des Bundeskartellamts zur Absicherung des Vollzugs­verbots); BGH KVZ 65/17 (anhängiges Verfahren betr. die Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren gegen die Untersagung des Zusammenschlusses); BGH KVR 38/16 (Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsbeschwerde- und Nicht­zulassungs­beschwerdeverfahrens gegen die Eilentscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.7.2016); schließlich BGH KVZ 37/17 (Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde betr. die Kostenentscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.3.2017).

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Nachlese zur Ministererlaubnis EDEKA/Tengelmann

Von besonderem Interesse ist neben dem Ministererlaubnisverfahren selbst vor allem das Beschwerdeverfahren gegen die Anordnungen, mit denen das Bundeskartellamt das Vollzugsverbot konkretisiert und abgesichert hat.9 Dieses hat dem Bundesgerichtshof die Möglichkeit geboten, bislang umstrittene Rechtsfragen zu Inhalt und Umfang des Vollzugsverbots zu klären. 1. Die Entscheidungen zum Vollzugsverbot Bereits vor der Untersagungsverfügung hatte das Bundeskartellamt durch Beschluss vom 3.12.2014 den Unternehmen durch einstweilige Anordnung, befristet bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache, bestimmte Handlungen untersagt, in denen es einen unzulässigen Vollzug des Zusammenschlusses sah.10 Diese vorläufigen Regelungen zur Absicherung des Vollzugsverbots wurden in die Ziff. 2-5 des Tenors der Untersagungs­verfügung vom 31.3.2015 ohne Befristung übernommen. Das OLG Düsseldorf11 hat die Entscheidung des Bundeskartellamts in Teilen bestätigt.12 Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der BGH zurückgewiesen und sich im Ergebnis der Auffassung des OLG Düsseldorf angeschlossen.13 Nach der Entscheidung des BGH kann ein Vollzug i.S.d. § 41 Abs. 1 GWB auch in Hand­lungen bestehen, die zwar für sich allein keinen Zusammenschlusstatbestand erfüllen, aber die Wirkungen des Zusammenschlusses ganz oder teilweise vorwegnehmen. Das gelte jedenfalls dann, wenn die strukturelle Verschlechterung der Wettbewerbs­bedingungen nur schwer oder gar nicht mehr korrigierbar sei. Nach diesen Grundsätzen sei die faktische Integration von KT in den EDEKA-Einkaufsverbund eine unzulässige Vorwegnahme des Zusammenschlusses gewesen. Dagegen hat der BGH offengelassen, ob dies auch für die vorzeitige Schließung der Carve-Out-Filialen von KT zutreffe. Damit gibt es nun eine der wenigen höchstrichterlichen Entscheidungen zum Vollzugsverbot im GWB. Die Auslegung des Vollzugsverbots durch den BGH ist weitreichend. Sie wird Einschränkungen des Spielraums für Absicherungs- und Umsetzungsmaßnahmen im Vorfeld eines Zusammenschlusses zur Folge haben. So war auch die vom Bundeskartellamt verbotene Zusammenlegung des Einkaufs von EDEKA und KT eine geschäftspolitisch sinnvolle Maßnahme, um eine der wichtigsten Verlustquellen von KT einzudämmen und damit den Fortbestand der KT-Filialen bis zur Genehmigung der Fusion bzw. bis zur Erteilung der Ministererlaubnis zu gewährleis 9 OLG Düsseldorf VI-Kart 5/15 (V), Entscheidung vom 26.10.2016; BGH KVR 57/16, Entscheidung vom 14.11.2017; vgl. dazu Bischke/Brack, NZG 2016, 903, 904 f. 10 Vgl. Untersagungsverfügung vom 31.3.2015, Rz. 944; Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 4.12.2014 „Fusionsverfahren EDEKA / Tengelmann. Bundeskartellamt unterbindet Vorab-Maßnahmen der Beteiligten“ (auf der Internetseite des Bundeskartellamts abgedruckt). 11 Beschluss vom 26.10.2016 – VI Kart 5/15 (V). 12 Das Verbot der Veräußerung bestimmter Carve-Out-Filialen sah das OLG Düsseldorf nicht mehr als durch das Vollzugsverbot umfasst an. 13 Beschluss vom 14.11.2017 – KVR 57/16 – EDEKA/Kaiser’s Tengelmann.

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ten. Der BGH hält die Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch das Vollzugsverbot trotzdem für nicht unzumutbar, wobei er auf die „vergleichsweise kurzen Fristen“, die dem Bundeskartellamt und dem Bundeswirtschaftsminister zur Verfügung stehen, und die Möglichkeit der Befreiung vom Vollzugsverbot aus wichtigem Grund nach § 41 Abs. 2 GWB verweist.14 Unabhängig davon schafft der BGH zumindest für das deutsche Recht mehr Rechtssicherheit, was für den künftigen Umgang mit dem Vollzugsverbot für Unternehmen und Anwälte natürlich hilfreich ist. In der Begründung weist der BGH u.a. darauf hin, dass seine Auffassung mit der europäischen Rechtslage in diesem Punkt weitgehend übereinstimme.15 Diese Parallelität war aber nur von kurzer Dauer. Der EuGH hat – insoweit dem Votum des Generalanwalts folgend  – für das europäische Recht wenig später eine abweichende Entscheidung getroffen.16 Ein Zusammenschluss werde i.S.d. Art. 7 Abs. 1 FKVO nur durch einen Vorgang vollzogen, der ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer (dauerhaften) Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beiträgt.17 Auch der EuGH stellt, wie der BGH, entscheidend darauf ab, dass das Vollzugsverbot die Wirksamkeit der Fusionskontrolle sichern soll. Im Gegensatz zum BGH folgert er aber aus dem Begriff „Zusammenschluss“, dass die Wirksamkeit der Fusionskontrolle nur dann beeinträchtigt sei, wenn die Handlungen einen unmittelbaren funktionellen Zusammenhang mit dem Vollzug aufweisen. Mit diesem Urteil ist die strikte Auslegung des Verbots des gun jumping in der bisherigen Praxis der Kommission18 auf den Prüfstand gestellt. So begrüßenswert die einschränkende Auslegung des Vollzugsverbots durch den EuGH ist, schafft sie doch neue Rechtsunsicherheit. Einerseits wird der Spielraum für die Vorbereitung und Absicherung eines Zusammenschlusses im Vorfeld der Genehmigung hierdurch spürbar erweitert. Ein für die Praxis besonders wichtiges Beispiel hierfür sind Warehouse-Konstruktionen. In den Fällen, in denen es den Parteien auf die rasche Umsetzung des Zusammenschlussvorhabens ankommt, besteht hierfür ein unabweisbares Bedürfnis. Nach der bisherigen Praxis der Kommission wurden sie aber bereits als Vollzug angesehen und waren deshalb verboten.19 Die theoretisch bestehende Möglichkeit der Befreiung vom Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 3 FKVO ist angesichts des weiten Ermessensspielraums und der restriktiven Linie der Kommission20 kein ausreichender Ersatz. 14 Rz. 67 des Beschlusses vom 14.11.2017. 15 Rz. 63 ff. des Beschlusses vom 14.11.2017. 16 Urteil im Verfahren Ernst&Young vom 31.5.2018 – Rs. C-633/16; Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 18.1.2018. 17 Rz. 49, 59 des Urteils. 18 Vgl. zuletzt Verfahren M.8228 Facebook/WhatsApp, Pressemitteilung der GD Wettbewerb vom 18.5.2017  – IP/17/1369  – und Verfahren M.1994 Electrabel, Pressemitteilung der Kommission vom 10.6.2009 – IP/09/895. 19 Der letzte Beispielsfall ist das noch anhängige Kommissions-Verfahren Canon/Toshiba Medical Systems (M.8179; vgl. dazu Pressemitteilung vom 6.7.2017, IP/17/1924). 20 Vgl. die Nachweise bei Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 7 FKVO Rz.  30  ff. Aller­dings könnte sich eine weniger restriktive Haltung der Kommission zur Freistellung nach Art. 7 Abs. 3 FKVO abzeichnen. Darauf deutet hin, dass sie am 23.3.2018

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Nachlese zur Ministererlaubnis EDEKA/Tengelmann

Andererseits ist nicht gesichert, dass derartige Maßnahmen vor der Genehmigung der Fusion künftig ohne Weiteres erlaubt sein werden. Denn vorbereitende Handlungen im Zusammenhang mit dem Vollzug eines Zusammenschlusses stellen vielfach eine Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB dar. Ein Beispiel dafür ist der Fall Alice/SFR, in dem die französische Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld in Höhe von 80 Mio. Euro verhängt hat.21 Der Vorwurf des gun jumping wurde vor allem mit der Abstimmung der Geschäftspolitik der Zusammenschlussparteien vor der Genehmigung des Zusammenschlusses begründet, u.a. durch den Austausch von strategischen Informationen und die Einflussnahme auf die Preis- und Werbepolitik des Zielunternehmens. Für das deutsche Recht wird man davon auszugehen haben, dass der BGH an seiner Auffassung auf absehbare Zeit festhalten wird. Die abweichende europäische Rechtslage ist in diesem Fall nicht bindend, weil es im Bereich der Fusionskontrolle keinen Vorrang des europäischen Rechts gibt. Die Folge ist, dass im deutschen Recht eine verbotene Vollzugshandlung weiterhin als Verstoß gegen das Kartellverbot des §  1 GWB gewertet werden kann. Daran ändert auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf nichts, mit der es die Anordnungen des Bundeskartellamts zur Absicherung des Vollzugsverbots, soweit sie zusätzlich auf § 32a GWB gestützt waren, für unzulässig erklärt und aufgehoben hat.22 Begründet ist dies allein damit, dass eine Untersagung nur dann auf § 32a GWB gestützt werden könne, wenn das Bundeskartellamt zuvor ein Verfahren nach § 32 GWB eingeleitet habe, was nicht der Fall gewesen sei. Die grundsätzliche Möglichkeit, Vollzugshandlungen vor der Genehmigung des Zusammenschlusses als Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB zu bewerten, ist damit nicht in Frage gestellt.23 2. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen die Ministererlaubnis Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand die Anfechtung der Ministererlaubnis durch mehrere Unternehmen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.24 Dies ist inzwischen der zweite Fall, in dem Wettbewerber gegen den Vollzug einer Ministererlaubnis eine einstweilige Anordnung bei Gericht beantragt und durchge-

Ryanair die Erlaubnis erteilt hat, Flugtickets von Laudamotion bereits vor der Anmeldung des Zusammenschlusses zu verkaufen. 21 Entscheidung vom 8.11.2016; vgl. Pressemitteilung 8.11.2016, veröffentlicht auf der site institutionnel der Autorité de la Concurrence. 22 Entscheidung vom 26.10.2016 – VI-Kart 5/15 (V). 23 Im Übrigen hat der BGH angekündigt, dass auch die Auslegung des § 32a GWB durch das OLG Düsseldorf Gegenstand der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren BGH KVZ 5/16 sein werde (Entscheidung vom 18.7.2017, Rz. 11). 24 Vgl. nur Bien, BB 2016, 1; Martin-Ehlers, WuW 2017, 9 ff.; Bunte, EWiR 2016, 483 f.; Podszun, NJW 2016, 617 ff.; Bechtold, NZKart 2016, 553 f.; Bischke/Brack, NZG 2016, 903 ff.; Huerkamp/Maak, NZKart 2017, 294 ff.; Körber, NZKart 2016, 245 f.; Gieseler, NZKart 2018, 33; Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1155 ff.; von Wangenheim/Dose, WuW 2017, 182 ff.; Rummel/Buchwald, WuW 2016, 111 ff.

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setzt haben, nach dem Erfolg der Antragsteller im Fall EON/Ruhrgas.25 Zwischen dem EON/Ruhrgas-Verfahren – an dem der Jubilar an maßgeblicher Stelle beteiligt war und auf das deshalb hier näher eingegangen werden soll – und dem neuen Verfahren EDEKA/KT bestehen erstaunliche Übereinstimmungen, die bis in die Wortwahl des Gerichts reichen,26 aber auch einige Unterschiede. a) Die Kontrolle der Ministererlaubnis durch das OLG Düsseldorf Im Fall EON/Ruhrgas waren es im Wesentlichen Verfahrensmängel gewesen, die zur (vorübergehenden) Aufhebung der Ministererlaubnis führten. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf hatte die nach § 56 Abs. 3 GWB vorgeschriebene öffentliche mündliche Ver­handlung nicht in ordnungsgemäßer Form stattgefunden; außerdem sei den Beteiligten zu einigen entscheidungserheblichen Erklärungen kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden.27 Auch die erneute abgeänderte Ministererlaubnis, durch die die Mängel des ersten Verfahrens geheilt werden sollten, beruhte nach dem Verständnis des OLG erneut auf Verfahrensfehlern, da den Beteiligten in mehreren Fällen wiederum kein rechtliches Gehör gewährt worden sei.28 In diesem letzten Beschluss hat sich das OLG zusätzlich auf einen (angeblichen) materiell-rechtlichen Verstoß gegen das Verbot der laufenden Verhaltenskontrolle (§ 42 Abs. 2 Satz 2, § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB) berufen.29 Im KT-Verfahren hat das OLG Düsseldorf seine Entscheidung erneut maßgeblich auf einen angeblichen Verfahrensmangel gestützt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat es damit begründet, der Minister habe durch zwei Unterredungen mit einzelnen Beteiligten nach seiner Ansicht „die Besorgnis der Befangenheit gesetzt“.30 Dieser Gesichtspunkt ist vom Gericht ausdrücklich als einziger tragender Grund der Entscheidung bezeichnet worden.31 Daneben hat das OLG fünf weitere Mängel behauptet, die zu „durchgreifenden Rechtmäßigkeitsbedenken“ gegen die Ministererlaubnis führen sollen.32 Alle diese Punkte betrafen die sachliche Beurteilung der Ministererlaubnis. In der späteren Kostenentscheidung wurde sogar einer dieser Gründe, nämlich der angebliche Arbeitsplatzabbau bei EDEKA, der in der Ministererlaubnis zu Unrecht nicht berücksichtigt sei, als tragender Grund dafür benannt, dass die Mi25 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 11.7., 25.7., 4.9. und 18.9.2002 – VI Kart 25/02 (V), bestätigt durch Beschluss vom 16.12.2002 – VI-Kart 25/02 (V). 26 In beiden Fällen hat das OLG Düsseldorf gesonderte Unterredungen des Ministers mit den Antragstellern der Ministererlaubnis als „Genheimgespräche“ tituliert (Beschluss vom 16.12.2002 – VI Kart 25/02 (V), Rz. 112 und Beschluss vom 12.7.2016, Rz. 80, 84) sowie den „bösen Anschein“ der Befangenheit (Beschluss vom 16.12.2002, Rz. 113) bzw. den „bösen Schein“ einer inkorrekten Verfahrensführung (Beschluss vom 12.7.2016, Rz. 52) behauptet. 27 Beschlüsse vom 11.7. und 25.7.2002  – VI Kart 25/02 (V), abgedruckt in WuW/E DE-R 885 ff. und 926 ff. 28 Rz. 75 ff. des Beschlusses vom 16.12.2002 – VI Kart 25/02 (V). 29 Rz. 113 ff. 30 Beschluss vom 12.7.2016 – VI-Kart 3/16 (V), Rz. 48. 31 Rz. 120 des Beschlusses vom 12.7.2016. 32 Rz. 85 ff. des Beschlusses vom 12.7.2016.

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nistererlaubnis rechtswidrig gewesen sein soll und die Kosten deshalb dem Ministe­ rium aufzuerlegen seien.33 Dass das OLG Düsseldorf die Ministererlaubnis in dieser Intensität einer materiell-rechtlichen Überprüfung unterzieht, ist problematisch. Nach dem Gesetz ist die „Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung … der Nachprüfung des Gerichts entzogen“ (§ 71 Abs. 5 Satz 2 GWB). Der einzige Zweck dieser Vorschrift ist eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der Abwägung der Gemeinwohl­gründe in einer Ministererlaubnis.34 Lediglich besonders schwerwiegende materiell-rechtliche Beurteilungsfehler müssen vom Gericht überprüfbar bleiben. Ob die Ministererlaubnis tatsächlich in einzelnen Punkten auf einer unzutreffenden Beurteilung der geltend gemachten Gemeinwohlgründe beruhte, blieb umstritten. Im Ergebnis hat das OLG Düsseldorf mit seiner weiten Auslegung der Kontrollbefugnis den im GWB angeordneten Ausschluss der Anfechtbarkeit einer Ministererlaubnis weitgehend außer Kraft gesetzt. Zwischen der Anfechtung einer Ministererlaubnis, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist, und einer „normalen“ behördlichen Ermessensentscheidung besteht bei diesem Verständnis kein wesentlicher Unterschied mehr. b) Die Kostenentscheidungen des BGH vom 10.4.2018 Bisher war kein Ministererlaubnis-Verfahren bis zum BGH gelangt. Die (teilweise) Ablehnung einer Ministererlaubnis ist nur in einem einzigen Fall – im Ergebnis ohne Erfolg  – gerichtlich angefochten worden.35 Erfolgreicher war in neuerer Zeit der Drittrechtsschutz durch Abnehmer bzw. Lieferanten und Wettbewerber gegen die Erteilung einer Ministererlaubnis. Das OLG Düsseldorf hat sowohl im Verfahren EON/ Ruhrgas als auch erneut im KT-Verfahren im Wege des einstweiligen Rechts­schutzes wegen möglicher Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis den Vollzug der Genehmigung ausgesetzt. In beiden Fällen endeten die Gerichtsverfahren durch eine Einigung der Parteien, die zur Rücknahme aller Anträge auf Eilrechtsschutz und der Beschwerden gegen die Erteilung der Ministererlaubnis führten. Anders als im Fall EON/Ruhrgas ist im KT-Verfahren erstmals auch der BGH mit einer Ministererlaubnis befasst worden. Zu beurteilen hatte der BGH allerdings nicht materiell-rechtliche Fragen der Ministererlaubnis, sondern in zwei Verfahren allein kostenrechtliche Aspekte. Das Verfahren KVZ 37/17 betraf die Kostenentscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.3.2017, in der das Gericht die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, soweit sie nicht durch Vergleich geregelt waren, dem Bundeswirtschaftsminister auferlegt hat, weil dieser nach Einschätzung des Gerichts im Ergebnis unterlegen gewe33 Vgl. Kostenbeschluss vom 15.3.2017  – VI-Kart 4/16 (V), Rz.  50 (abgedruckt auf der Entscheidungsdaten­bank www.justiz.nrw.de). 34 Vgl. statt aller Kühnen in Loewenheim u.a., Kartellrecht, §  71 GWB Rz.  58; Lembach in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 71 GWB Rz. 71. 35 Verfahren Thyssen/Hüller-Hille. Die Ministererlaubnis vom 1.8.1977 mit Entflechtungsanordnung war auf den Erwerb von 45 % der Anteile beschränkt. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Kammergericht abgewiesen (WuW/E OLG 1937 ff.).

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sen wäre. Eine Rechtsbeschwerde hatte das OLG nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der BGH zurückgewiesen. Zur Begründung stützt er sich im Wesentlichen auf das formale Argument, dass im Kostenverfahren nach gefestigter Rechtsprechung keine Fragen des materiellen Rechts zu entscheiden seien.36 Als offene Rechtsfrage sieht es der BGH an, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Kostenentscheidung abzustellen sei. Im konkreten Fall sei diese Frage aber nicht erheblich, da es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ministererlaubnis auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Ministererlaubnis ankomme.37 Dieser Entscheidung kann somit nichts entnommen werden, was darauf hindeuten könnte, wie der BGH die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Minister­erlaubnis im KT-Verfahren beurteilen würde. Aufschlussreicher ist in dieser Hinsicht die weitere Entscheidung KVR 38/16 hinsichtlich der Rechts- und der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Eilentscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.7.2016. Alle Beschwerdeführerinnen hatten ihre Anträge zurück­genommen, so dass der BGH nur noch über die in seiner Instanz angefallenen Kosten zu befinden hatte. Bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sieht der BGH den Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als offen an. Insbesondere habe der Ausgang voraussichtlich davon abgehangen, welche Anforderungen an die Gestaltung eines Ministererlaubnisverfahrens zu stellen sind.38 Aufgrund dessen hat der BGH die Kosten in diesem Fall gegeneinander aufgehoben. Die Bewertung des BGH, dass der Ausgang „offen“ sei, steht in klarem Widerspruch zur Auffassung des OLG Düsseldorf von der „eindeutigen Rechtswidrigkeit“ der Minister­ erlaubnis.39 Die Begründung, die Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis ergebe sich aus einer angeblichen Befangenheit des Ministers, hat das OLG im Kostenbeschluss vom 15.3.2017 nicht mehr aufgegriffen. Es ist somit davon auszugehen, dass das OLG diesen Vorwurf nicht mehr aufrechterhält. Durch den Kostenbeschluss des BGH ist jetzt auch hinsichtlich der übrigen Beanstan­dungen des OLG Düsseldorf offen, wie die gerichtliche Entscheidung im Ergebnis ausgefallen wäre. 3. Die Parallelität von Anfechtung der Untersagung und Antrag auf ­Ministererlaubnis Die Ministererlaubnis weist hinsichtlich des Rechtsschutzes einige Besonderheiten auf. Gemäß § 42 Abs. 3 GWB haben die Zusammenschlussparteien nach der Unter­ sagung eines Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt eine dreifache Wahlmöglichkeit. Sie können entweder Beschwerde gegen die Untersagung bei Gericht einlegen; sie können stattdessen eine Ministererlaubnis beantragen; und sie können beide Rechts­mittel nebeneinander oder nacheinander geltend machen. Erstmals haben die Zusammenschlussparteien im Fall KT von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, beide Instrumente nebeneinander zu nutzen. Dabei hat sich gezeigt, dass das 36 Rz. 10 – 14 des Beschlusses. 37 Rz. 17 – 19 des Beschlusses. 38 Rz. 7 des Beschlusses. 39 Rz. 20 der Kostenentscheidung vom 15.3.2017.

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Zusammenspiel von Anfechtung der Untersagung und Beantragung der Minister­ erlaubnis eine Reihe von Fragen aufwirft. Das OLG Düsseldorf hat ein Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde gegen die Untersagung verneint, falls die Ministererlaubnis bestandskräftig geworden ist.40 Damit wird allerdings die vom Gesetz intendierte Parallelität beider Instrumente eingeschränkt. Im konkreten Fall blieb dies ohne Bedeutung, da das OLG aus dem Gesichtspunkt der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht hat, das im Ergebnis gleichwertig ist.41 Der umgekehrte Fall erscheint dagegen eindeutig. Falls die Beschwerde gegen die Untersagung erfolgreich war, ist kein Raum mehr für eine Ministererlaubnis. Voraussetzung ist natürlich, dass die Frist für die Anfechtung der Freigabe des Zusammenschlusses durch Dritte endgültig abgelaufen ist. Bis zur Rechtskraft der Entscheidung, mit der die Untersagung aufgehoben ist, kann den Zusammenschluss­parteien ein Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis nicht abgesprochen werden. In der Sache hat das OLG Düsseldorf die Untersagungsentscheidung des Bundes­ kartellamts bestätigt, jedoch mit einer davon abweichenden Begründung. Das Bundeskartellamt hatte seine Untersagung (erstmalig im Bereich des Lebensmittelhandels) auf die Anwendung des SIEC-Kriteriums gestützt. Sowohl EDEKA als auch Rewe hätten eine derart starke Stellung auf der Vertriebsseite wie auch auf der Nachfrageseite, dass jede weitere Verstärkung ihrer Position den effektiven Wettbewerb im Lebensmittelhandel erheblich behindere.42 Dagegen hat das OLG Düsseldorf – ohne auf das SIEC-Kriterium näher einzugehen – die Untersagung mit der Erlangung bzw. Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung von EDEKA in einem Berliner Bezirk bzw. in einem Teil desselben begründet.43 Das wird nicht nur der bundesweiten Bedeutung des Zusammenschlusses nicht gerecht, sondern lässt auch die Chance einer gerichtlichen Klärung des SIEC-Kriteriums ungenutzt. Im Übrigen hätte EDEKA, wenn von Anfang an festgestanden hätte, dass die Entscheidung nur auf die marktbeherrschende Stellung in einem Berliner Bezirk oder in den beiden Ortsteilen dieses Bezirks gestützt ist, die Untersagung wahrscheinlich durch entsprechende Zusagen für diesen einen Bezirk ohne Mühe abwenden können. 4. Die Neuregelung des Rechtsschutzes gegen eine Ministererlaubnis Der Gesetzgeber hat auf die Art und Weise, wie die Ministererlaubnis im Fall KT von den Wettbewerbern angegriffen wurde, mit der 9. GWB-Novelle reagiert. Eingefügt wurde, dass die Beschwerde gegen eine Ministererlaubnis nur noch bei Verletzung von subjektiven Rechten zulässig ist (§ 63 Abs. 2 Satz 2 GWB).44 Grundlage hierfür 40 Beschluss vom 23.8.2017 – VI-Kart 5/16, Rz. 22 ff. 41 Beschluss vom 23.8.2017 – VI-Kart 5/16, Rz. 26. 42 Verfügung vom 31.3.2015 – B2-96/14, Rz. 141 ff. 43 Beschluss vom 23.8.2017 – VI-Kart 5/16, Rz. 59 ff. 44 Vgl. Bechtold, NZKart 2016, 553 f.; Kühling/Wambach, WuW 2017, 1.

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war eine Beschlussempfehlung des BT-Wirtschaftsausschusses45 zur „Beschleunigung des Verfahrens“.46 Zudem verhindert diese Regelung zukünftig das „Abkaufen“ von wirtschaftlichen Vorteilen. Im Ergebnis ist unverkennbar, dass alle Antragsteller in beiden Verfahren, nachdem sie eine Entschädigung ausgehandelt hatten, bereit waren, auf ihre Rechtsmittel gegen die Ministererlaubnis zu verzichten. Diese Ausnutzung des Rechtsschutzes für die Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen hat der Gesetzgeber als unangemessen bewertet.

II. Die Politisierung der Ministererlaubnis 1. Die öffentliche Diskussion der Ministererlaubnis im KT-Verfahren Nicht alle Ministererlaubnisse haben größeres öffentliches Aufsehen erregt. Weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt blieben z.B. die Verfahren PCS/Kali und Salz (Ministererlaubnis abgelehnt) und die beiden Krankenhausverfahren (Ministererlaubnis Rhön Klinikum abgelehnt, Uniklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast Ministererlaubnis ohne Auflagen erteilt).47 In der Liste der Ministererlaubnis-Verfahren (22 Anträge) gibt es nur drei Verfahren, die eine breitere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden haben: der Zusammenschluss im Bereich der deutschen Flugzeughersteller Daimler-Benz/MBB im Jahr 1989, der Zusammenschluss EON/ Ruhrgas 2002 und zuletzt das Verfahren EDEKA/Tengelmann um die Kaiser’s-Lebensmittelfilialen. Wesentlich beeinflusst wurde die öffentliche Diskussion im KT-Verfahren durch den Rücktritt des Vorsitzenden der Monopolkommission. Auch dies hat ein Vorbild im Fall Daimler-Benz/MBB. Dabei sind Anlass und Motive des Rücktritts im KT-Verfahren nicht recht einleuchtend. Zwar hatten die Monopolkommission und mit besonderem Nachdruck ihr Vorsitzender zum Schluss des Ministererlaubnis-Verfahrens die Erteilung einer Ministererlaubnis aus Gründen abgelehnt, denen der Minister nicht gefolgt ist.48 Das allein kann kaum einen Rücktritt begründen, da die Mehrzahl der Ministererlaubnisse gegen das Votum der Monopolkommission zustande gekommen ist. Vor allem aber hatte die Monopolkommission in ihrem schriftlichen Votum49 ihre ablehnende Haltung ganz überwiegend damit begründet, dass die Rechte der Arbeitnehmer durch den Erwerber EDEKA nicht ausreichend gesichert seien. Diesem Argument hat der Minister sehr eingehend Rechnung getragen, indem er die Erlaubnis 45 BT-Drucks. 18/11446 vom 8.3.2017, Beschlussempfehlung Buchst. a Nr. 1 Buchst. j = Nr. 44a, S. 9. 46 BT-Drucks. 18/11446 vom 8.3.2017, S. 30. 47 Vgl. die Übersicht über die Anträge auf Ministererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB vom 21.3.2016, abgedruckt auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. 48 Vgl. die Presseerklärung der Monopolkommission und ihres Vorsitzenden vom 17.3.2016, abgedruckt auf der Internetseite der Monopolkommission; vgl. dazu Körber, NZKart 2016, 245; von Wangenheim/Dose, WuW 2017, 182, 187. 49 Sondergutachten 70 der Monopolkommission vom 3.8.2015, S. 41 ff.

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an eine Reihe konkreter Bedingungen und Auflagen geknüpft hat, die ein Abweichen von dem Schutzniveau praktisch unmöglich machen. 2. Forderungen zur Umgestaltung der Ministererlaubnis Erstmals war das KT-Verfahren Anlass für politische Forderungen nach einer Änderung der gesetzlichen Vorschriften der Ministererlaubnis.50 Alle Initiativen zielten auf eine Begrenzung der Ministererlaubnis ab. Die radikalste Position vertrat dabei die BT-Fraktion DIE LINKE, die die Übertragung der Kompetenz vom Bundeswirtschaftsminister auf den Bundestag forderte.51 Nach Vorstößen aus den Reihen der CDU/CSU und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollte der Minister entweder an das Votum der Monopolkommission gebunden sein oder einen Beschluss des Bundestages herbeiführen. Keine der genannten Forderungen fand im Parlament eine Mehrheit.52 Im Ergebnis wurde die gerichtliche Kontrolle des Ministers reduziert, indem die Erteilung einer Ministererlaubnis nach § 63 Abs. 2 Satz 2 GWB künftig nur noch in seltenen Ausnahmefällen durch Dritte angefochten werden kann.

III. Prognosen im Ministererlaubnisverfahren 1. Erfahrungen mit Prognosen in Ministererlaubnisverfahren Alle Ministererlaubnisse beruhten im Wesentlichen auf der Annahme bestimmter wirtschaftlicher Entwicklungen (Prognosen). Darin unterscheidet sich die Minis­ tererlaubnis nicht von den Entscheidungen des Bundeskartellamts im Fusions­ kontrollverfahren. Gerade im Bereich der Ministererlaubnis hat sich aber gezeigt, wie problematisch Prognosen sein können.53 Besonders deutlich wurde dies im EON/ Ruhrgas-Verfahren. Von den vielen, durchaus auch gegensätzlichen Prognosen hat sich schon nach kurzer Frist keine einzige als zutreffend erwiesen. Weder führte der Zusammenschluss mit Ruhrgas zu einer deutschland- oder sogar europaweiten Übermacht von EON auf den Energiemärkten von der Exploration bis zum Verbraucher, wie es das Bundeskartellamt54 und die Monopolkommission55 befürchtet hatten, noch ergaben sich aus der Fusion wesentliche dauerhafte Synergieeffekte, die EON angestrebt hatte. Auch die Erwartung des BMWi, EON werde nach dem Zusammenschluss

50 Vgl. nur die Kritik von Podszun, NJW 2016, 617 ff. 51 BT-Drucks. 18/10240 Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht. Vgl. dazu den Bericht des BT-Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. 18/11446 vom 8.3.2017, S. 24. 52 Vgl. die Beschlussempfehlung des BT-Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. 18/11446 vom 8.3.2017 zu Buchst. b sowie den Bericht auf S. 15 ff. 53 Näheres dazu unten. 54 Untersagungsverfügung vom 26.2.2002, B8-149/01, insbesondere Rz. 18 ff., 27 ff. und 76 ff. 55 Sondergutachten 34 vom Mai 2002, insbesondere Rz. 112 ff., 119 ff. und 128 ff.

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eine Pionierrolle bei der Exploration neuer Erdgasvorkommen in Sibirien spielen, die als Grundlage für die Erteilung der Ministererlaubnis diente,56 erfüllte sich nicht. Auch im KT-Verfahren wurde erneut die Problematik von Prognosen deutlich. Bundeskartellamt und auch Monopolkommission57 haben sich in diesem Verfahren mit Prognosen sehr zurückgehalten. Insbesondere hinsichtlich der Beschaffungsmärkte hat das Bundeskartellamt zwar ausführlich zu den langfristigen Folgen der Konzentration Stellung genommen.58 Untersucht hat es dabei nur die Auswirkungen auf die Marktstruktur, aber keine konkreten Prognosen zu den erwarteten geschäftlichen Entwicklungen abgegeben. Anders war dies in der einstweiligen Anordnung des OLG Düsseldorf. Eines der Argumente, mit der die Eilentscheidung vom 12.7.2016 begründet ist, war die Erwartung, dass es nach dem Zusammenschluss zu einem spürbaren Arbeitsplatzabbau durch die Schließung von EDEKA-Filialen kommen werde. Das OLG machte dem Minister zum Vorwurf, dass er diese – aus seiner Sicht hochwahrscheinliche  – Entwicklung nicht berücksichtigt habe.59 In der späteren Kostenentscheidung bildete dieses Argument sogar die tragende Begründung.60 Im Gegensatz dazu hatte das Bundeskartellamt ein erhebliches Umsatzwachstum der übernommenen KT-Filialen nach einer „überschaubaren Renovierung“ durch EDEKA erwartet.61 Auch wenn die 5-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen ist, spricht bislang nichts dafür, dass sich die Prognose des OLG Düsseldorf bewahrheiten wird. Das OLG selbst hat auch dieses Argument in der späteren Entscheidung, mit der es den Zusammenschluss wegen der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung von EDEKA untersagt hat, nicht mehr aufgegriffen, obwohl dies an sich nahegelegen hätte. 2. Verringerung der Risiken durch stringente Bedingungen und Auflagen Das besondere Charakteristikum dieser Ministererlaubnis ist, dass sich der Minister nicht mit Prognosen begnügt hat. Erstmals ist jedenfalls in dieser Prägnanz das Gemeinwohlziel so klar und bindend durch Bedingungen und Auflagen „festgezurrt“, dass es durch die Unternehmen nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Außerdem ist durch die vorgeschriebene regelmäßige Überprüfung sichergestellt, dass ein Abweichen von dem vorgegebenen Gemeinwohlziel nicht möglich sein wird.62 Deshalb ist für den angenommenen Zeitraum der Bindung (5 Jahre) so weit wie möglich sichergestellt, dass das angestrebte Gemeinwohlziel erreicht wird. 56 Ministererlaubnis vom 5.7.2002 – IB1-220840/129, abgedruckt in WuW 2002, 751 = WuW/​ E DE-V 573, abgeändert durch Ministererlaubnis vom 18.9.2002 – IB1-220840/129, abgedruckt in WuW 2002, 1095 = WuW/E DE-V 643. 57 Vgl. Sondergutachten 70, Rz. 114 ff. zu den Absatzmärkten und Rz. 123 ff. zu den Beschaffungsmärkten. 58 Insbesondere Rz. 629 ff., 763 ff. und 869 ff. der Untersagungsverfügung vom 31.3.2015. 59 Beschluss vom 12.7.2016 – VI-Kart 3/16 (V), Rz. 91 ff. 60 Kostenbeschluss vom 15.3.2017 – VI-Kart 4/16 (V), Rz. 50 (abgedruckt auf der Entscheidungsdatenbank www.justiz.nrw.de). 61 Untersagungsverfügung vom 31.3.2015, Rz. 377 f. 62 Diesem Ziel dienen die Nebenstimmungen in den Ziffern 1.1.1 bis 1.5.5 des Tenors der Ministererlaubnis.

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IV. Einzelne Aspekte der Ministererlaubnis In sachlicher Hinsicht ist jede Ministererlaubnis durch die Umstände des Einzelfalls bedingt. Da künftig der Rechtsschutz gegen eine Ministererlaubnis weitgehend ausgeschlossen ist, kommt einem ordnungsgemäßen Verfahren wesentliche Bedeutung zu. Der Gesetzgeber hat das Bundeswirtschaftsministerium verpflichtet, Leitlinien für die Durchführung des Verfahrens zu erlassen (§ 42 Abs. 6 GWB).63 Im Folgenden wird, ohne auf Einzelheiten einzugehen, zu einigen Aspekten der Ministererlaubnis im KT-Verfahren Stellung genommen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung erscheinen. 1. Keine Befangenheit des Ministers Das OLG Düsseldorf hat seine einstweilige Anordnung, mit der es die Ministererlaubnis vorübergehend außer Kraft setzte, damit begründet, der Minister habe bei seiner Entscheidung den Anschein der Parteilichkeit erweckt und sei deshalb als befangen anzusehen. Dies hat das OLG in seiner Anordnung selbst als einzigen tragenden Grund bezeichnet.64 Die Ansicht des OLG wurde  – nach meiner Auffassung ­zutreffend – stark kritisiert.65 Dabei sollen hier nicht alle Argumente erneut aufgearbeitet werden. Im Kern hat das OLG zivilprozessuale Grundsätze auf ein Verwaltungsverfahren angewandt. Dies ist so im GWB gerade nicht vorgesehen. Das Ministererlaubnisverfahren ist ein Verwaltungsverfahren. Anders als im Zivilprozess darf im Verwaltungsverfahren aber mit den Beteiligten formlos gesprochen werden. Das handhabt das Bundeskartellamt entsprechend in den Fusionskontrollverfahren bis heute so. Sinnvollerweise können nur die Beteiligten zu Auflagen und Bedingungen Stellung nehmen. Im Verwaltungsverfahren ist die Akteneinsicht auch auf einen Antrag hin zu erteilen. Anders als im Zivilprozess wird nicht automatisch jede neue Eingabe in wenigen Tagen an alle Beteiligten zirkuliert. Schließlich soll ein Punkt erwähnt werden, der nicht streitbefangen war: Nach Auffassung des OLG Düsseldorf hatte der Minister den Anschein erweckt, er sei zugunsten von EDEKA und damit zum Nachteil von Rewe voreingenommen. In auffälligem Kontrast dazu steht die Tatsache, dass der damalige Vorstandsvorsitzende von Rewe Minister Gabriel als Schlichter für die Vergleichsverhandlungen von EDEKA und Rewe ins Gespräch gebracht hat.66 Rewe befürchtete also offensichtlich keine Voreingenommenheit des Ministers zu seinen Ungunsten. Deshalb ist es vielleicht auch kein Zufall, dass das OLG später bei der Kostenentscheidung das von ihm erwartete Ob63 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat die Leitlinien in der Bekanntmachung vom 27.10.2017 auf seiner Internetseite veröffentlicht. 64 Beschluss vom 12.7.2016, Rz. 78 ff., 120. 65 Vgl. nur Martin-Ehlers, WuW 2017, 9, 11  f.; Bechtold, NZKart 2016, 553, 554; Bien, BB 2016, 1. 66 Vgl. Der Tagesspiegel, Interview mit Rewe-Vorstandsvorsitzendem Caparros, vom 14.10.2016.

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siegen von Rewe im Hauptsacheverfahren nicht mehr auf die angebliche Befangenheit des Ministers gestützt hat.67 Das lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass das OLG selbst von diesem Argument nicht mehr so recht überzeugt war. Im EON/Ruhrgas-Verfahren hatte sich der damalige Bundeswirtschaftsminister wegen öffentlicher Äußerungen zu dem Verfahren, die als parteilich angesehen wurden, selbst wegen Befangenheit abgelehnt. Vom OLG Düsseldorf ist dies akzeptiert worden.68 Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass dem Minister das Recht streitig gemacht wird, zu einer wichtigen von ihm zu treffenden Entscheidung in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, ohne das Ergebnis der Entscheidung vorwegzunehmen. Im KT-Verfahren leitete das OLG Düsseldorf die Befangenheit des Ministers aus angeblichen Verfahrensfehlern ab. Derartige Verfahrensfehler, die die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zur Folge haben, sind als Rechtsfragen vom BGH als Revisionsgericht rechtlich nachprüfbar. Das OLG hat die Befangenheit dagegen als Tatsachentscheidung gewertet und deshalb die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.69 Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde aufgrund der Einigung zwischen EDEKA und Rewe zurückgezogen. Deshalb hatte der BGH nicht die Gelegenheit zur Klärung, nach welchen Grundsätzen eine angebliche Befangenheit des Ministers im Ministererlaubnisverfahren zu beurteilen ist. 2. Transparenz des Verfahrens Eine hohe Transparenz ist nicht nur entscheidend für die Fairness des Verfahrens, sondern auch für die öffentliche Akzeptanz des Ergebnisses. In der 9. GWB-Novelle ist die Transparenz des Verfahrens um einen weiteren Baustein ergänzt worden, indem der Minister ein Abweichen vom Votum der Monopolkommission künftig ausdrücklich begründen muss.70 Allerdings hat er dies in der Vergangenheit ohnehin in der Ministererlaubnis selbst getan. Insgesamt dürfen die Anforderungen an das Verfahren aber nicht überspannt werden. Das Ministererlaubnis-Verfahren ist und bleibt ein Verwaltungsverfahren. Es kann deshalb nur an verwaltungsrechtlichen Grundsätzen gemessen werden. Maßstäbe des gerichtlichen Verfahrens können dagegen nicht unmittelbar oder analog herangezogen werden. Die Anforderungen, die das OLG Düsseldorf an die Verfahrensführung des Ministers gestellt hat, gingen weit über die im Verwaltungsverfahren gebotenen Erfordernisse hinaus. Der entscheidenden Verwaltungsbehörde muss ein ausreichendes Maß an Flexibilität gewahrt bleiben, damit sie das Verfahren zügig und zielgerichtet durchführen kann. Auch die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs muss den Bedürfnissen der Praxis angemessen Rechnung tragen.

67 Kostenbeschluss vom 15.3.2017 – VI-Kart 4/16 (V), Rz. 50. 68 Das OLG ist dabei der Auffassung des Ministeriums gefolgt, dass in einem solchen Fall der Minister durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird. Vgl. Beschluss vom 11.7.2002 – Kart 25/02 (V), Rz. 6 und Beschluss vom 25.7.2002, Rz. 52. 69 Beschluss vom 12.7.2016, Rz. 120. 70 Letzter Satz des § 42 Abs. 1 GWB.

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Zu den Merkwürdigkeiten des KT-Verfahrens gehört, dass das OLG Düsseldorf, das dem Grundsatz der Verfahrenstransparenz (zu Recht) großes Gewicht beigemessen hat, sich selbst nicht daran gehalten hat. Die Argumentation des OLG, der Minister sei bei seiner Entscheidung befangen gewesen, war von keinem Prozessbeteiligten vorausgesehen und erwartet worden. In den Schriftsätzen war zuvor von keiner Seite eine mögliche Befangenheit des Ministers thematisiert worden. Aus diesem Grund sah sich das OLG Düsseldorf dem Vorwurf ausgesetzt, es habe im einstweiligen Anordnungsverfahren seinerseits den Parteien das rechtliche Gehör versagt. Die Eilentscheidung des Gerichts vom 12.7.2016 wurde deshalb nicht nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde, sondern auch mit einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nach § 74 Abs. 4 Nr. 3 GWB (Versagung des rechtlichen Gehörs) angefochten. 3. Zulässigkeit des Arbeitnehmerschutzes Die Sicherung von Arbeitsplätzen kann in einem Ministererlaubnis-Verfahren im Normalfall nicht als Gemeinwohlgrund anerkannt werden. Denn die Synergieeffekte eines Zusammenschlusses beruhen in aller Regel auch darauf, dass Einsparungen bei den Arbeitskosten realisiert werden können. Aus diesem Grund hatte der Bundeswirtschaftsminister das Arbeitsplatzargument, das praktisch in allen Ministererlaubnis-Verfahren geltend gemacht wird, zuvor in keinem Fall berücksichtigt. Auch die Monopolkommission hält den Schutz von Arbeitsplätzen zwar theoretisch für ein zulässiges Gemeinwohlziel, aber aus tatsächlichen Gründen in aller Regel für ungeeignet.71 Im KT-Verfahren bestand eine besondere Situation, weil hier gerade ohne den Zusammenschluss die Mehrzahl der KT-Arbeitsplätze gefährdet war. Dieser Umstand ist typisch für Sanierungsfusionen. Das Bundeskartellamt konnte dies bei seiner Untersagung aus verschiedenen Gründen nicht als Sanierungseinwand berücksichtigen, u.a. weil zu diesem Zeitpunkt noch ein Erwerb der KT-Filialen durch andere Interessenten denkbar war.72 Im Verlauf des Ministererlaubnis-Verfahrens änderte sich dies dadurch, dass Tengelmann nach dem Scheitern der direkten Verhandlungen zwischen EDEKA und Rewe Mitte Oktober 2016 kurzfristig eine Zerschlagung des KT-Filialnetzes und Schließung aller verbliebenen Filialen und Betriebsstätten ankündigte.73 Damit war eine erhebliche Anzahl der Arbeitsplätze der KT-Filialen unmittelbar bedroht. Außerdem bestand die Gefahr, dass die Veräußerung der Filialen außerhalb der Ministererlaubnis eine gravierende Einschränkung der Arbeitnehmerrechte der KT-Beschäftigten zur Folge gehabt hätte. Auch dies konnte das Bundeskartellamt bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen, da es sich allein auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte beschränken muss. Die Ministererlaubnis war deshalb der einzige, aber auch geeignete Weg, um die Beschäftigten bei KT vor dem drohenden Verlust 71 Sondergutachten 70, Rz. 149 ff., 156. 72 Die Zusammenschlussparteien haben sich gegenüber dem Bundeskartellamt nicht auf den Sanierungseinwand berufen. Das Bundeskartellamt hat deshalb in der Untersagungsentscheidung hierzu keine Ausführungen gemacht. 73 Vgl. Handelsblatt 14.10.2016 „Das ist ein Horrorszenario“.

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ihrer Arbeitsplätze und den zu erwartenden Einbußen bei ihren Arbeitnehmerrechten zu schützen. Neben dem Erhalt der Arbeitsplätze ist die Ministererlaubnis im KT-Verfahren  – auch insoweit erstmals – auf einen weiteren Gemeinwohlgrund, die Absicherung der Arbeitnehmerrechte, gestützt. An der Aufrechterhaltung der Tarifbindung und der Mitbestimmungsstrukturen der KT-Beschäftigten besteht nach der Einschätzung des Ministers ein herausragendes öffentliches Interesse.74 Überraschend hat das OLG Düsseldorf entschieden, der Erhalt und die Absicherung kollektiver Arbeitnehmerrechte könne kein Gemeinwohlgrund sein, da dies gegen die negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) verstoße.75 Das OLG hat seine Auffassung im Einzelnen weder begründet noch durch Nachweise belegt. Offensichtlich beanstandet es vor allem, dass die Vergünstigungen für die KT-Beschäftigten an den Abschluss entsprechender Tarifverträge geknüpft wurden. Unbestritten dürfte aber sein, dass der Schutz der Arbeitnehmer durch Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung ein hohes Gut ist, dem sich alle Bundesregierungen – gleich welcher Couleur – verpflichtet gefühlt haben.76 Nicht umstritten dürfte ferner sein, dass gesetzliche Vorschriften wie z.B. § 613a Abs.  1 Sätze 2-4 BGB, die einen Bestandsschutz der tariflichen und betrieblichen Rechte der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang absichern, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.77 Schließlich kann auch nicht bezweifelt werden, dass § 613a Abs. 1 BGB keine Obergrenze für den Schutz von Arbeitnehmerrechten bei Betriebsübergang, sondern nur einen Mindestschutz festlegt.78 Die praktischen Konsequenzen der Auffassung des OLG Düsseldorf– selbst wenn sie zutreffend wäre – dürften ohnehin nur sehr gering sein. Der Erhalt der Arbeitsplätze ist hiervon nicht betroffen. In der restriktiven Handhabung, wie es in der Ministererlaubnis-Praxis des Bundeswirtschaftsministers bislang der Fall gewesen ist, bestehen gegen das Arbeitsplatzargument als Gemeinwohlziel keine Bedenken. Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit kann auch nicht darin bestehen, dass Beschäftigte eines Unternehmens oder einer Branche davor geschützt werden, dass ihnen kollektive Arbeitnehmerschutzrechte gegen ihren Willen entzogen werden. Im Grundsatz ist deshalb auch der Schutz der Arbeitnehmerrechte ein zulässiges Gemeinwohlziel. Der 74 Rz. 227 ff. der Ministererlaubnis vom 9.3.2016. 75 Beschluss vom 12.7.2016, Rz. 85 ff. 76 Auch die Monopolkommission bewertet den Schutz der Arbeitnehmerrechte im Grundsatz als denkbaren Gemeinwohlgrund (Sondergutachten 70, Rz. 203 f.). 77 § 613a BGB beruht auf Art. 3 der Richtlinie 2001/23 EG und ist deshalb europarechtskonform auszulegen. Verfassungsrechtliche Bedenken werden gegen die Vorschrift soweit ersichtlich nicht geltend gemacht. Zu der zeitlich und inhaltlich eingeschränkten Bestands­ garantie der tariflichen und betrieblichen Arbeitnehmerrechte bei Betriebsübergang nach §  613a Abs.  1 Sätze 2-4 BGB vgl. auch Sondergutachten 70 der Monopolkommission, Rz. 163 ff. 78 Die Richtlinie 2001/23 EG sieht nach ihrem Art. 8 nur einen Mindestschutz der Arbeitnehmer vor. Weitergehende Rechtsgrundlagen bleiben neben § 613a BGB anwendbar (vgl. z.B. Edenfeld in Erman, 15. Aufl. 2017, § 613a BGB Rz. 68).

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Streit kann nur die Frage betreffen, auf welche Weise dieser Schutz abgesichert wird. Im Übrigen kommt es dann, wenn die Ministererlaubnis daneben auf den Erhalt der Arbeitsplätze als Gemeinwohlziel gestützt ist, auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte nicht mehr kausal an. 4. Kontrolle der Bedingungen und Auflagen Falls eine Ministererlaubnis an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, muss der Minister sicherstellen, dass die Einhaltung der Bedingungen ausreichend kontrolliert wird. Das gilt für die gesamte Laufzeit, in der die Bedingungen in Kraft sind. Auch insoweit gilt für die Ministererlaubnis nichts anderes als für Freigabeentscheidungen des Bundeskartellamts, die mit Bedingungen und Auflagen versehen sind. Das OLG Düsseldorf hat die Kontrolle der Nebenbestimmungen im KT-Verfahren als Verstoß gegen das Verbot der laufenden Verhaltenskontrolle (§ 42 Abs. 2, § 40 Abs. 3 Satz  2 GWB) gewertet.79 Mit der gleichen Begründung hatte das OLG Düsseldorf bereits die Nebenbestimmungen in der Ministererlaubnis EON/Ruhrgas als unzulässig angesehen.80 Auch zu diesem Punkt ist die Begründung des OLG Düsseldorf im KT-Verfahren äußerst knapp und wenig aussagekräftig. Das OLG legt die Rechtsprechung des BGH81 dahin aus, auflösende Bedingungen in einer Ministererlaubnis dürften sich nicht auf die „betriebswirtschaftliche Führung“ bzw. „die Betriebsleitung des Zielunternehmens“ ausrichten.82 Falls diese Auffassung des OLG zutreffend wäre, würde dies den Spielraum zumindest für Verhaltenszusagen erheblich einschränken. Eine Ministererlaubnis kann den Unternehmen nur Vorgaben auferlegen, die sie selbst erfüllen können. Es ist schwer ­vorstellbar, dass Nebenbestimmungen einer Genehmigung ausschließlich oder überwiegend eine Änderung der Marktstruktur bewirken können, ohne das betriebswirtschaftliche Verhalten der Unternehmen zu steuern. Das betrifft nicht nur die Ministererlaubnis, wo verhaltensbezogene Bedingungen eher vorherrschend sein dürften. Freigabeentscheidungen des Bundeskartellamts, soweit sie auf Verhaltenszusagen beruhen, wären gleichermaßen betroffen. Der BGH hat in der vom OLG zitierten Entscheidung DB Regio/üstra ausdrücklich betont, dass es bei der Beurteilung von Verhaltenszusagen weniger darauf ankommt, ob auf das Verhalten eingewirkt wird. Entscheidend sei vielmehr, ob ein struktureller Effekt erzielt wird, der hinreichend wirksam und nachhaltig ist.83 Entsprechend dem 79 Entscheidung vom 12.7.2016, Rz. 108 ff. 80 Entscheidung vom 16.12.2002 – VI-Kart 25/02, Rz. 115 ff. 81 BGH 7.2.2006 – KVR 5/05, WuW/DE-R 1681, Rz. 56 – DB Regio/üstra. 82 Rz. 112 der Entscheidung vom 12.7.2016. 83 Entscheidung vom 7.2.2006 – KVR 5/05, WuW/DE-R 1681, Rz. 57 – DB Regio/üstra. Das OLG Düsseldorf lässt offen, ob der Ansicht des BGH zu folgen sei, dass es für die Frage einer laufenden Verhaltenskontrolle maßgeblich darauf ankomme, ob die Nebenbestimmungen auf die Herbeiführung eines nachhaltigen strukturellen Effekts gerichtet sind. Bei der Entscheidung über die Ministererlaubnis legt es aber die Auffassung des BGH zugrunde.

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Ziel der Fusionskontrolle muss dieser Struktureffekt darin bestehen, eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen durch den Zusammenschluss zu verhindern oder zu kompensieren. Noch deutlicher formuliert das Bundeskartellamt, dass die Nebenbestimmungen geeignet sein müssen, „die Wettbewerbsbeschränkung zu heilen“84. Scheinbar in Übereinstimmung hiermit verlangt das OLG Düsseldorf, die ­Nebenbestimmungen der Ministererlaubnis müssten auf die Marktstruktur zielen. Die auflösende Bedingung „adressiert nicht die Struktur des Lebensmitteleinzel­ handelsmarktes“.85 Bei der Ministererlaubnis geht es aber nicht wie bei der Fu­ sionskontrollentscheidung des Bundeskartellamts darum, eine Verschlechterung der ­Wettbewerbsbedingungen zu verhindern. Vielmehr soll das in der Ministererlaubnis definierte überwiegende Gemeinwohlinteresse verwirklicht werden. Die Absicherung der Marktstruktur ist nach der allgemein anerkannten Aufgabenteilung allein dem Bundeskartellamt vorbehalten; der Minister darf in diese Kompetenz nicht eingreifen.86 Die Nebenbestimmungen können daher nicht auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Der strukturelle Effekt, der auch hier zu fordern ist, muss darin bestehen, die Durchsetzung des Gemeinwohlgrundes wirksam und nachhaltig abzusichern. Es spricht somit viel dafür, dass die Grundsätze des BGH in der Entscheidung DB Regio/üstra nicht unverändert auf die Ministererlaubnis übertragen werden können. Vielmehr muss die Aussage des BGH entsprechend dem Ziel der Ministererlaubnis angepasst werden. Für die künftige Praxis wäre es hilfreich gewesen, wenn der BGH die Anforderungen an die Kontrolle verhaltensbezogener Bedingungen und Auflagen im Fall der Ministererlaubnis hätte klarstellen können. Dabei hätte er auch dazu Stellung nehmen können, inwieweit die Einwirkung auf die „betriebswirtschaftliche Führung des Zielunternehmens“ für sich allein eine unzulässige laufende Verhaltenskontrolle i.S.d. §  42 Abs.  2, §  40 Abs.  3 Satz  4 GWB bewirkt. Leider bleiben diese Rechtsfragen wegen der Beschwerderücknahmen ebenfalls ungeklärt.

V. Abschließende Bewertung Die Ministererlaubnis gilt einerseits als deutsches Erfolgsmodell. Andererseits steht sie in der Kritik, seit es sie gibt.87

84 Leitfaden Zusagen in der Fusionskontrolle, Mai 2017, Rz. 27. 85 Rz. 112 der Entscheidung vom 12.7.2016. 86 Vgl. z.B. Kallfaß in Langen/Bunte, §  42 GWB Rz.  2. Kritisch dazu Bechtold/Bosch, §  42 GWB Rz. 5. 87 Die Ministererlaubnis wurde zusammen mit der Fusionskontrolle durch die 2. GWB-Novelle 1973 geschaffen. Zu den damaligen Erwägungen des Gesetzgebers vgl. Riesenkampff/ Steinbarth in Loewenheim u.a., § 42 GWB Rz. 1. Eine umfassende Übersicht über den Diskussionsstand findet sich bei Heimann, Die Ministererlaubnis in der deutschen Fusionskontrolle, 2008, sowie Mattes, Die Ministererlaubnis in der deutschen Fusionskontrolle, 2004.

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1. Kritik an der Ministererlaubnis a) Im KT-Verfahren stand dabei die befürchtete „Macht“ des Ministers im Vordergrund.88 Grundsätzlich unterscheidet sich die Macht des Ministers nicht von der „Macht“ einer sonstigen Verwaltungsbehörde, die Entscheidungen in einer öffentlich umstrittenen Angelegenheit zu treffen hat. Eine Besonderheit besteht im Minister­ erlaubnis-Verfahren nur darin, dass der Rechtsschutz hinsichtlich der Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung eingeschränkt ist (§ 71 Abs. 5 Satz 2 GWB). Bislang hatte dies jedoch keine übermäßigen Auswirkungen. Bereits im Fall EON/Ruhrgas hatte das OLG Düsseldorf, wie jetzt erneut im KT-Verfahren, die Erteilung der Ministererlaubnis expansiv kontrolliert und dabei auch die Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht wegen angeblicher Verfahrensfehler in weitem Umfang überprüft.89 Der Gesetzgeber hat in beiden Fällen die Entscheidung des OLG Düsseldorf zum Anlass für gesetzliche Korrekturen des Rechtsschutzes genommen. Im Rahmen der 7. GWB-Novelle wurde klargestellt, dass eine Heilung von Verfahrensfehlern der Ministererlaubnis entgegen der Auffassung des OLG Düsseldorf möglich ist.90 Nunmehr ist durch die 9. GWB-Novelle der Rechtsschutz gegen die Erteilung einer Minister­ erlaubnis gegenüber der bisherigen Regelung deutlich eingeschränkt worden.91 Entsprechend der allgemeinen Regelung für begünstigende Verwaltungsakte muss der Beschwerdeführer eine Verletzung eigener Rechte geltend machen können. Dadurch ist die Anfechtung der Ministererlaubnis durch Beigeladene, die (nur) in ihren wirtschaftlichen Interessen betroffen sind, nahezu ausgeschlossen.92 b) Grundsätzliche Kritik an dem Institut der Ministererlaubnis richtet sich vor allem gegen den industriepolitischen Charakter der Maßnahme. Derartige Gesichtspunkte seien einem Wettbewerbsverfahren fremd und sollten dort nicht berücksichtigt wer-

88 So u.a. Zagouras, WRP 2007, 1429. 89 Im Fall EON/Ruhrgas betraf dies allein die Kontrolle der Nebenbestimmungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbot der laufenden Verhaltenskontrolle (Entscheidung vom 16.12.2002 – VI-Kart 25/02, Rz. 115 ff.). Die Eilentscheidung vom 12.7.2016 – VIKart 3/16 im Fall KT stützt sich dagegen auf mehrere materiell-rechtliche Gründe. 90 § 56 Abs. 4 GWB verweist zu diesem Zweck auf die allgemeine Regelung in den §§ 45 und 46 VwVfG. 91 § 63 Abs. 2 Satz 2 GWB. Vgl. dazu oben unter II.2. 92 So auch Podszun/Kreifels in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 14. Kapitel, Rz.  59. Anders Bremer/Scheffczyk, NZKart 2017, 464, 466 ff., wonach die Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter durch die Neuregelung im Ergebnis nicht signifikant beschnitten seien; dies folge daraus, dass § 36 GWB drittschützende Wirkung habe. Damit widersprechen sie jedoch der gefestigten Rechtsprechung, dass die Fusionskontrolle im Interesse der All­ gemeinheit allein den Wettbewerb als Institution schützt und daher keinen Schutzcharakter zugunsten der betroffenen Konkurrenten beinhaltet (BGH vom 7.2.2006 – KVZ 40/05; OLG Düsseldorf vom 25.10.2005 – VI-Kart 15/05, WuW/E DE-R 1644 f. – Wehrhahn). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann eine Anfechtung der Ministererlaubnis durch Dritte noch in Betracht kommen.

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den.93 Außerdem wird darauf verwiesen, dass die EU-Kommission keine der Minister­ erlaubnis vergleichbare Befugnis habe.94 Diese Argumente überzeugen nicht. Dass die Kommission keine Ministererlaubnis erteilen kann, ergibt sich zwangsläufig aus dem Umstand, dass sie über keine allgemeine industriepolitische Kompetenz verfügt. Nur in bestimmten Sektoren (z.B. im Energie- oder TK-Bereich) ist sie zu industriepolitischen Maßnahmen befugt. Da­ gegen steht die industriepolitische Kompetenz des BMWi außer Zweifel. Einen vergleichbaren industriepolitischen Eingriff stellt die Untersagung von Zusammenschlüssen nach dem Außenwirtschaftsgesetz dar.95 Deshalb ist nicht einzusehen, dass der Minister nicht befugt sein soll, einen Zusammenschluss aus indus­trie- oder anderen politischen Gründen zu genehmigen, zumal dies unter starker öffentlicher Kon­ trolle geschieht. 2. Vorteile der Ministererlaubnis a) Das wohl häufigste Argument, das zugunsten der Ministererlaubnis angeführt wird, lautet, dass auf diese Weise eine „Entlastung“ des Bundeskartellamts von politischer Einflussnahme bewirkt wird.96 Das Institut der Ministererlaubnis macht es für das Bundeskartellamt sehr viel leichter, sich auf die wettbewerblichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zu beschränken. Der politische Druck, weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, kann auf den Bundeswirtschaftsminister als zuständige Stelle abgeleitet werden. Aus diesem Grund tritt auch das Bundeskartellamt selbst für die Beibehaltung der Ministererlaubnis ein. b) Ein weiterer Vorteil ist die Transparenz des Verfahrens.97 In allen wichtigen Fällen kann das Für und Wider, ob ein Zusammenschluss entgegen der Entscheidung des Bundeskartellamts genehmigt werden soll, offen diskutiert und abgewogen werden. Wenn es das Institut der Ministererlaubnis nicht gäbe, bestünde dagegen die Gefahr, dass politische Gesichtspunkte verdeckt in Entscheidungsprozesse und die Entscheidung einfließen könnten. So wird in anderen Jurisdiktionen befürchtet, dass wettbewerbsrechtliche Entscheidungen – in einem nicht bekannten Ausmaß – politisch beeinflusst seien. c) Es gibt ein legitimes Bedürfnis, dass der Staat in eng begrenzten Ausnahmesituationen korrigierend in die Wettbewerbskontrolle eingreifen kann. Der Schutz der wett93 So vor allem Podszun, Die Ministererlaubnis – Einbruch der Politik ins Recht der Wirtschaft, NJW 2016, 617 und 619; Podszun/Kreifels in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 14. Kapitel, Rz. 5 ff., 58. 94 Vgl. Säcker, BB 2016, 1859, 1863; Podszun, NJW 2016, 617, 618. 95 Die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums ist in § 13 Abs. 2 Nr. 2 AWG geregelt. 96 Begründung der Bundesregierung der 8. GWB-Novelle, BT-Drucks. 17/9852, S. 20 linke Spalte oben; Dreher, WuW 2002, 665; Kühling/Wambach, WuW 2017, 1. 97 Im Grundsatz ist dies unbestritten. Auch Huerkamp/Maack, NZKart 2017, 294, 299 heben diesen Aspekt trotz ihrer grundsätzlichen Kritik an der Ministererlaubnis als positiv hervor. Vgl. ferner Bardong, NZKart 2013, 303, 306; Bien, NZKart 2016, 445, 446.

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bewerblichen Ordnung ist ein hohes Ziel. Aber im Einzelfall können andere Ziele gleichwertig oder sogar höherrangig sein.98 Für derartige Fälle muss das Gesetz eine Lösung bieten, indem es für einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen sorgt. Andernfalls würde der Wettbewerbsordnung im Ergebnis ein verfassungsrechtlicher Rang zukommen, was zweifellos nicht der Fall ist.99 Bestätigt wird die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen dem Wettbewerbsprinzip und anderen politischen Belangen dadurch, dass inzwischen immer mehr Staaten vergleichbare Regelungen geschaffen haben.100 Die deutsche Ministererlaubnis hat dabei in vielen Fällen als Vorbild gedient. d) Der vielleicht wichtigste Vorteil der Ministererlaubnis ist, dass das Ausmaß möglicher interventionistischer Eingriffe eng begrenzt bleibt. Die Ministererlaubnis hat einen klaren Ausnahmecharakter.101 In den 45 Jahren, seit es die Vorschrift gibt, ist nur in neun Fällen – überwiegend mit Auflagen und Einschränkungen – eine Erlaubnis erteilt worden.102 Für die Vergangenheit kann somit festgestellt werden, dass „der befürchtete Missbrauch zur Wirtschaftslenkung“ ausgeblieben ist.103 Dazu hat die langjährige Selbstverpflichtung des Bundeswirtschaftsministers, von der Möglichkeit der Ministererlaubnis nur zurückhaltenden Gebrauch zu machen, wesentlich beigetragen. Ergebnis: Es überwiegen bei Weitem die positiven Aspekte des Instituts der Minister­ erlaubnis.104 Das gilt insbesondere dann, wenn das Gemeinwohlziel – wie es im Fall KT geschehen ist – durch präzis formulierte Bedingungen und Auflagen effektiv abgesichert ist.

98 In diesem Sinn auch Kühling/Wambach, WuW 2017, 1; Bergmann/Burholt in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 42 GWB Rz. 1; Bardong, NZKart 2013, 303, 306; Bien, NZKart 2016, 445. Kritisch dagegen Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1155, 1161. 99 Dieses Argument findet sich sinngemäß auch bei Kantzenbach in Röper, Der Einfluss des Staates auf den Wettbewerb, S.  41 (zitiert nach Thomas in Immenga/Mestmäcker, §  42 GWB Fn. 32). 100 Inzwischen umfasst die Liste neben dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden eine Vielzahl weiterer Länder. Vgl. die Aufzählung bei Thomas in Immenga/Mestmäcker, § 42 GWB Rz. 12 sowie bei Bien, NZKart 2016, 445, 446. 101 Wohl allgemeine Meinung. Vgl. Kallfaß in Langen/Bunte, § 42 GWB Rz. 1; Bergmann/ Burholt in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 42 GWB Rz. 1. 102 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Übersicht über die bisherigen Anträge auf Ministererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB (abgedruckt auf der Internetseite des Ministeriums). 103 So Thomas in Immenga/Mestmäcker, § 42 GWB Rz. 3. 104 Das dürfte der überwiegenden Meinung in der Literatur entsprechen. Vgl. Thomas in Immenga/Mestmäcker, § 42 GWB Rz. 3 m.w.N. in Fn. 32.

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Disapplication of National Law Conflicting with EU Competition Rules: the Italian Competition Authority’s Decision-Making Practice I. The CIF Case 1. NCA’s Duties in Case of Conflict ­Between EU Competition Rules and ­National Law 2. Disapplication of Domestic Law ­Contrary to EU Competition Rules by the National Competition Authority ­Having Jurisdiction and Resulting ­Limitations on the Availability of the ­State Action Defense

3. Liability of Undertakings for Restricting Residual Competition Through Conduct not Compelled by State Legislation 4. Analysis and Implications II. Disapplication in the ICA’s Decision-­ Making Practice 1. The Case of the VAT Exemption of ­Universal Postal Services Individually Negotiated with Customers 2. The SIAE Case 3. The Intesa Sanpaolo-Venetian Banks Case

Over the last two decades, the Italian Competition Authority (the “ICA”) disapplied national legislation found to be in breach of Article 102 of the Treaty on the Functioning of the European Union (“TFEU”) only in one case,1 and more recently announced its  intention to proceed to such disapplication in a second abuse of dominance investigation, which is still pending at the time of the drafting of this note.2 Moreover, in a 2017 decision concerning the acquisition by Intesa Sanpaolo of selected assets and liabilities and certain legal relationships of Banca Popolare di Vicenza and Veneto Banca, both of which were “failing or likely to fail” banks in liquidation proceedings, the ICA exercised its review power under the domestic merger control rules after disapplying a national provision that authorized ex ante the said transaction on the ground that it promoted certain significant general interests of the Italian economy.3 In all of the above cases, discussed in this note, the ICA based its intervention  – expressly or by implication – on the principles established by the Court of Justice (the “Court”) in the well-known CIF case.4 The CIF judgment developed the Court’s traditional analysis and elaboration of the State action doctrine as a defense under EU 1 See Case A441, Applicazione dell’IVA sui servizi postali, Decision No. 24293 of March 27, 2013. 2 See Case A508, SIAE/Servizi intermediazione diritti d’autore, Decision No. 26531 of April 5, 2017 (decision to open an investigation; case pending). 3 Case C12103, Intesa Sanpaolo/Rami di azienda di Banca Popolare Vicenza-Veneto Banca, Decision No. 26658 of July 5, 2017. 4 See Case C-198/01, CIF, EU:C:2003:430.

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competition rules in situations in which market players engage in anti-competitive conduct that is required by national legislation. The Court’s decision also shed new light on the duty of national competition authorities (“NCAs”) to disapply national legislation that contravenes EU competition rules. The novelty of the case lies in the Court’s definition of the limitations on the availability of the State action defense in the case of enforcement of the Treaty competition rules by NCAs, whereas prior litigation in this matter originated from European Commission’s investigations.5 As established in CIF, an NCA (“NCA”) – in casu, the Italian Competition Authority (the “ICA” or the “Authority”) – where it investigates certain anticompetitive conduct required or facilitated by national legislation contrary to EU competition rules: (i) has a duty to disapply such national legislation; (ii) may not impose penalties on the undertakings concerned in respect of past conduct to the extent that it was required by the national legislation in question; (iii) may impose penalties in respect of any further anticompetitive conduct taking place after the decision to disapply the national law; and (iv) may, in any event, impose penalties in respect of past conduct where this was merely facilitated or encouraged by the national legislation.6

I. The CIF Case Case C-198/01 was referred to the Court by the Tribunale Amministrativo del Lazio (the “TAR Lazio”), the lower administrative court having sole jurisdiction to review the decisions adopted by the ICA. In a decision issued in 2000, the ICA established that the Italian legislation establishing and governing the operation of CIF, a consortium of Italian match manufacturers, was contrary to Articles 10 and 81 EC (now Article 4(3) TEU and 101 TFEU). The ICA further found that the CIF and its members had infringed Article 81 by allocating production quotas, and ordered the consortium and its members to cease such violations. The ICA held that the regulatory framework, prior to its amendment in 1994, created a “legal shield” for the otherwise prohibited conduct of the CIF and its members, insofar as it required participation in the consortium to produce and sell matches in Italy. In the Authority’s view, such regulatory framework had to be disapplied by any Italian court of law or the public administration as it was contrary to Treaty competition rules, and such disapplication would imply the removal of the legal shield. However, the ICA found that, despite the national legislation’s substantial interference with the working of competition, the undertakings concerned still had the ability to restrict competition in the relevant market even further. According to the Authority, the CIF and its member undertakings took decisions as a consortium and entered into agreements that adversely affected competition. 5 See generally C. Rizza, The Duty of National Competition Authorities to Disapply AntiCompetitive Domestic Legislation and the Resulting Limitations on the Avail­ability of the State Action Defense (Case C-198/01 CIF), in Eur. Comp. L. Rev. 2004, 126. 6 See CIF as per note 4 above, § 58.

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In its reply to the referring court’s first preliminary question, the Court discussed separately the obligations that the Treaty competition rules impose upon, respectively, Member States, in conjunction with their general duty of loyal cooperation, and undertakings. 1. NCA’s Duties in Case of Conflict Between EU Competition Rules and ­National Law The Court referred to its established case law concerning the obligation of the Member States to abstain from introducing or maintaining in force measures, including of a legislative or regulatory nature, that may render ineffective the Treaty competition rules applicable to undertakings. That is the case where, e.g., domestic legislation requires or favors the adoption of agreements, decisions or concerted practices contrary to Article 101 TFEU or reinforces their effects, or where a Member State deprives its own legislation of its official character by delegating to private traders responsibility for taking decisions affecting the economic sphere. In light of the primacy of EU law, such Member States’ obligation involves the duty of all organs of the Member State, including national courts and administrative authorities, to take all appropriate measures to enable EU rules having direct effect to be fully applied, including by refusing on their own initiative to apply conflicting provisions of national law. Based on these considerations, the Court stated that the EU competition rules would be rendered less effective if, in the course of an investigation into the conduct of undertakings, an enforcement agency such as the Authority were not able to declare a national measure contrary to the provisions of Articles 4(3) TEU and 101 TFEU, and to disapply it. The Court emphasized that, contrary to CIF’s allegations, the NCA’s duty to disapply any measure contrary to EU competition rules exists even where such measure requires undertakings to engage in anti-competitive conduct and, therefore, market players cannot be held accountable for an infringement of those rules attributable to their autonomous conduct. 2. Disapplication of Domestic Law Contrary to EU Competition Rules by the National Competition Authority Having Jurisdiction and Resulting ­Limitations on the Availability of the State Action Defense The Court then assessed the liability of the undertakings whose anti-competitive conduct is mandated or simply encouraged by national legislation contrary to the Treaty. Firstly, the Court referred to the general EU law principle of legal certainty and held that, where the private conduct being challenged is compelled by State law, the duty of the NCA having jurisdiction to disapply such an anti-competitive law is such that the undertakings concerned can only be subject to criminal or administrative penalties for their future conduct. In the Court’s view, once the NCA’s decision finding a 801

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violation of Article 101 TFEU and disapplying the domestic anti-competitive rules becomes definitive vis-à-vis the addressees, the decision becomes binding on them. As a result, from that time onwards the undertakings concerned can no longer rely on the State action doctrine as a defense. Secondly, the Court held that NCAs may not impose penalties in respect of past conduct of the undertakings concerned if their conduct was required by the national legislation. The Court reasoned that, prior to the NCA’s decision to declare the anticompetitive domestic rules inapplicable, the rules on which the undertakings concerned relied constituted a justification, which shields them from liability. 3. Liability of Undertakings for Restricting Residual Competition Through Conduct not Compelled by State Legislation Thirdly, the Court reiterated its case law according to which, where State law did not require, but simply facilitated or encouraged, the private conduct being challenged, such conduct (including prior to the NCA’s decision to disapply national law) is held to likely further to restrict residual competition and may be sanctioned. In such a scenario, however, as the Court clarified, when the level of the penalty is set, the conduct of the undertakings concerned may be assessed in the light of the national legal framework, which is a mitigating factor. As far as the disputed conduct in the main proceedings was concerned, the Court indirectly suggested, in reply to the referring court’s second preliminary question, that the national legislation did not remove all room for autonomous conduct by the CIF and its members. With regard to the exclusion of price competition resulting from the government’s responsibility to fix selling prices for matches, the Court observed that price competition does not constitute the only effective form of competition and should not be given absolute priority in all circumstances. Moreover, the Court found that the national legislation did not establish the criteria for the allocation of production quotas, and that the CIF’s members autonomously entered into anticompetitive agreements that were not provided for by the law. 4. Analysis and Implications7 A noteworthy feature of the CIF judgment is the incidental statement in § 54 thereof: the Court held that reliance by the undertakings concerned on prior State action, which compelled the conduct being investigated, shields them “from all the consequences of an infringement of Articles [101 and 102 TFEU] and does so vis-à-vis both public authorities and other economic operators” (emphasis added). In strict terms, this statement appears unnecessary for the sake of replying to the first preliminary question, which referred only to the NCA’s powers and the legal consequences of their exercise. The Court thus seems to have gone to great pains to clarify that the State action defence may protect undertakings, for the period prior to 7 See C. Rizza as per note 5 above.

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the decision to disapply the law concerned, not only (i) from the imposition of fines, but also (ii) from any damage claims in the context of private antitrust litigation, as  well as, finally, (iii) with regard in particular to restrictive agreements contrary to  Article 101 TFEU, from the consequences of the agreement’s being void and unenforceable, including as between the parties. The CIF judgment also makes clear that, where an NCA, in adopting an infringement decision, refuses to apply domestic legislation on the ground that it contravenes EU competition rules, not only undertakings relying on such legislation as a shield from antitrust liability are barred from invoking this defense, but also can they be sanctioned, if they continue to engage in the prohibited conduct after the NCA’s decision becomes binding in their respect (see below). As a result, the undertakings concerned may be required, as a matter of legal obligation, to disregard such domestic legislation even if the latter is not repealed by the legislature (or set aside by other constitutional means) and so long as it remains in force. In his Opinion in the CIF Case, Advocate General Jacobs took the view that this result is tantamount to “in effect imposing on undertakings the duty to enforce Community law which rather belongs to Community and national authorities” (§  50). Between the danger of Member State action rendering EU competition rules ineffective and the protection of legal certainty, which inspired the A.G.’s stance, the Court seems to have chosen the former. The CIF judgment thus makes it all the more necessary for undertakings operating in sectors still subject to intense State regulation to assess accurately compliance with EU competition law, both as to the lawfulness of their business activities and the compatibility of applicable regulations with the Treaty competition rules. One issue left open by the Court is the determination of the moment from when the State action defense is lost. At § 55 of the judgment, the Court took the view that, where an NCA adopts a decision finding a violation of EU competition rules and declaring the anti-competitive domestic rules inapplicable to the past conduct of the addressee undertakings, the latter are bound by that decision only after it becomes definitive in their regard. To the extent that this general statement refers to such decision becoming res iudicata, its accuracy appears questionable under the administrative law principles of many Member States. As far as the Italian competition regime is concerned, the ICA’s decisions are immediately binding on the recipient undertakings as of the date of their notification and any infringement found must be removed within the deadline that the ICA establishes to this effect in the same decision. This is so unless the effect of the decision is suspended by an interim order of the TAR Lazio in the context of proceedings for its annulment. The Court’s ambiguous language in § 55 of the judgment arguably betrays a concern similar to the one raised by A.G. Jacobs, according to whom even the NCA’s decision refusing to apply State legislation incompatible with the Treaty may be insufficient to remove legal uncertainty for the undertakings concerned, confronted with conflicting obligations (one under EU competition law, one under national legislation) and likely to face adverse consequences whatever the option chosen. The A.G. opined that the case may be different only if an official pronouncement removes any doubt in this respect, e.g. where the incompatibility of the national legislation with EU law is 803

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definitely established by a national court, if necessary after a preliminary reference to the Court of Justice.8 Against this background, the principle, reiterated in the operative part of the judgment, according to which the State action defense is lost only after the NCA’s decision becomes definitive in regard to the undertakings concerned, seems to imply that such undertakings cannot be fined even in the case of non-compliance with the prior decision, unless either the time limit for instituting annulment proceedings against the  ICA’s decision has expired, or the finding of incompatibility is affirmed by the administrative judge exercising its power of review over the ICA decision. However, where the ICA decision is challenged before a court, it is not entirely clear whether reference to its definitive character also means that a ruling of the court of last instance, or a ruling by the lower court that is no longer subject to appeal, is required. In any event, according to this interpretation of the judgment, it is clear that the Court was not persuaded by the Authority’s argument, according to which its declaration of the State legislation’s incompatibility with the Treaty has the effect of obliging all national courts and administrative bodies called on to consider such legislation, to disapply it, too. Finally, the Court did not elaborate upon the effects vis-à-vis third parties of the NCA’s decision refusing to apply the national legislation contrary to the Treaty competition rules, or of the ruling of the reviewing court upholding such decision, if any. This issue, which the TAR Lazio did not raise in the preliminary questions submitted to the Court, would seem to be a matter of national law. As far as the Italian legal system is concerned, decisions adopted by the ICA are not effective erga omnes but only in respect of the undertakings to which they are addressed. Likewise, judgments are only binding on the parties to the judicial proceedings in which they are delivered. Therefore, at least in strict terms, third-party undertakings will not be prevented by the ICA’s decision (or the subsequent national judge’s ruling) setting aside the provisions of national law conflicting with EU competition rules, from invoking the State action defense in any future investigation proceedings, with respect to the same domestic legislation. Also, third-party undertakings will not be subject to the ICA’s power to impose fines for any past conduct of the kind prohibited by its prior decision. However, this theoretical conclusion seems to be of limited practical value because, in most instances in which national law substantially interferes with the working of competition, it may be expected that all of the undertakings that can potentially rely on the State action defense will be involved in the ICA investigation resulting in the disapplication decision.

8 See § 59 of the Opinion. Accordingly, the A.G. took the view (opposite to the Court’s) that EU law, in particular the fundamental principles of legal certainty and the prohibition of penalties with retroactive effect, precludes disapplication of anti-competitive national legislation by a NCA, where such disapplication leads to a prohibition for the future sanctioned by the possibility of the imposition of penalties (see §§ 55-58 of the Opinion).

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II. Disapplication in the ICA’s Decision-Making Practice 1. The Case of the VAT Exemption of Universal Postal Services Individually ­Negotiated with Customers In a case closed in 2013 concerning the application of the value added tax exemption regime to the services provided by Poste Italiane S.p.A. (“Poste”), the Italian incumbent postal service operator, the ICA ruled that Poste abused its dominant position in violation of Article 102 TFEU by not applying VAT to its universal postal services individually negotiated with customers.9 The VAT exemption regime10 had been the object of a preliminary ruling by the Court in 2009. In the TNT Post UK case,11 the Court held that the said exemption has to be interpreted strictly, and consistently with the objective to encourage an activity in the public interest. It follows from the nature of such objective that the VAT exemption is not to apply to specific services dissociable from the service of public interest, including services that meet special needs of economic operators. As a result, postal services for which the terms and conditions have been individually negotiated are not VAT exempt, even if such services fall within the scope of the universal service. In light of the TNT Post UK judgment, the VAT Directive must therefore be interpreted in the sense that postal services within the scope of the universal service obligation, as well as the supply of goods incidental thereto, are VAT exempt to the extent that: (i) they are provided by the public postal service acting in its capacity as an operator providing all or part of the universal postal service in a Member State; and (ii) their conditions are not individually negotiated. The Italian legal system was not compliant with the EU rules, as interpreted by the Court: according to Article 10(1)(16) of Presidential Decree of October 26, 1972, No. 633 (the “Presidential Decree”),12 the VAT exemption applied to the supply of universal postal services, and the goods and services incidental thereto, by the operator entrusted with the universal service obligation. Therefore, the provision of universal postal services by operators other than Poste was excluded from the scope of the 9 See Case A441 as per note 1. According to Art. 3(1) of Directive 97/67/EC of the European Parliament and of the Council of 15 December 1997 on common rules for the development of the internal market of Community postal services and the improvement of quality of service (OJ 1998 L 15/14), as amended, “Member States shall ensure that users enjoy the right to a universal service involving the permanent provision of a postal service of specified quality at all points in their territory at affordable prices for all users”. Poste was entrusted with the exclusive provision of the universal postal service in Italy pursuant to Articles 3 and 23 of Legislative Decree of July 22, 1999, No. 261. 10 See Art. 132(1) of Council Directive 2006/112/EC of November 28, 2006 (OJ L 347/1; the “VAT Directive”): “Member States shall exempt the following transactions: (a) the supply by the public postal service of services other than passenger transport and telecommunications services, and the supply of goods incidental thereto; …”. 11 Case C-357/07, EU:C:2009:248, §§ 44-46 and 49. 12 As modified by Article 2(4-bis) of Law Decree No. 40 of March 25, 2010, converted into Law No. 73 of May 22, 2010.

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exemption. Moreover, the national rules exempted from VAT the provision of any postal services falling within the scope of the universal service obligation  – to the extent they were provided by Poste – even where they were provided at individually negotiated conditions. As a result, the national legislation provided for a wider scope of application of the exemption than Article 132(1)(a) of the VAT Directive did. The ICA took the view that the conduct of Poste was lawful under the domestic legislation. This was confirmed by statements from the Italian Ministry of Economy and Finance and the Italian Revenue Agency in the course of the investigation. However, the ICA held that the relevant Italian law provisions were incompatible with the VAT Directive, as well as Articles 102 und 106 TFEU and 4(3) TEU, and disapplied them. As a result, it took the view that Poste’s conduct amounted to an exclusionary abuse of dominant position, to the extent that Poste exempted from VAT the provision of postal services: (i) whose prices were below regulatory tariffs; and (ii) whose conditions were different from the general conditions for the provision of the universal service, including those relating to offers bundling different postal services and/or other ancillary services. In the ICA’s view, such “ad hoc agreements” fell, instead, within the notion of “individually negotiated agreements” and, therefore, outside the scope of the exemption.13 The ICA concluded that this practice effectively represented a form of discounting that could not be replicated by Poste’s competitors, given that they were legally required to apply a VAT rate of 21% to their respective services. However, the ICA imposed no fine on Poste for its unlawful conduct since, as mentioned, Article 10(1)(16) of the Presidential Decree required Poste to apply the VAT exemption regime even to individually negotiated agreements, leaving it no discretion in this respect.14 Therefore, the past conduct of Poste was deemed to be “shielded” by the national legislation, up to the date of adoption of the decision of the ICA to disapply it. On February 6, 2014, the TAR Lazio upheld the decision of the ICA. The Italian judge held, inter alia, that the ICA did not depart from the principles established by the 13 The ICA dismissed Poste’s argument that the Italian legislation complied with the VAT Directive because national rules on the universal postal service expressly allowed Poste to enter into ad hoc agreements and to offer special prices, to the extent that they complied with the non-discrimination and publicity requirements (application of regulated tariffs, on the basis of general contractual conditions established in advanced and uniform for all clients). Furthermore, Poste noted that, since in any event the domestic rules on ad hoc agreements legislation were consistent with the principles of universal service, the notion, elaborated by the Court, of “individually negotiated agreements”  – which as such fall outside of the scope of the universal service and are not subject to the same statutory restrictions – could never apply in Italy. 14 Article 10(1)(16) was replaced by Article 32bis(1) of Law Decree No. 91 of June 24, 2014, converted into Law No. 116 of August 11, 2014, expressly providing that the VAT exemption does not extend to the supply of universal postal services, and the supply of goods and services incidental thereto, where individually negotiated.

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Court in CIF when it ordered Poste to comply with its cease and desist order within a time limit that run from the date of notification of the decision, as opposed to the date when that decision would become definitive in regard of Poste. Poste’s later appeal of the judgment to the Council of State was eventually withdrawn before adjudication. 2. The SIAE Case On April 5, 2017, the ICA  – acting upon a complaint filed by UK independent management entity Soundreef Ltd. – initiated an investigation into certain conducts of Italian collective management organization Società Italiana degli Autori ed Editori (“SIAE”),15 which at the time operated as a legal monopoly, under Article 180 of the Italian Copyright Law (No. 633 of April 22, 1941),16 in providing intermediation services relating to the management of copyright. According to the ICA’s concerns, SIAE may have violated Article 102 TFEU by engaging in a complex exclusionary strategy aimed in the markets for (i) copyright management services provided to right-holders, (ii) the granting of licenses to users of copyrighted works, and (iii) copyright management services provided on behalf of foreign collecting societies. In the ICA’s view, the said strategy – allegedly consisting in the bundling of the managed rights to the detriment of authors, discriminatory practices and undue royalty collections to the detriment of users, as well as other abusive limitations to the provision of intermediation services by foreign collecting societies  – is aimed at preventing new competitors, such as Soundreef, from entering the Italian market, and

15 See Case A508 as per note 2 above. Separate complaints were filed by Innovaetica, an Italian company managing a web platform that offers protection from plagiarism of artworks and creative works, and an author member of Soundreef. The ICA’s investigation also covered the potential violation of Art. 101 by Associazione Italiana Organizzatori e Produttori Spettacoli di Musica dal vivo–Assomusica, an association of organizers of live-music events. This part of the ICA decision is not discussed in this note. Please note that Assomusica offered certain commitments aimed at overcoming the ICA’s concerns, and, that, after the customary market test, the said commitments were accepted and made binding on Assomusica by decision of January 31, 2018. 16 Without prejudice to the authors’ power to exercise directly their copyright/related rights under Art. 180(4) of the Copyright Law. Moreover, the said Art. 180 was amended by Law Decree No. 148 of October 16, 2017 (later converted into Law No. 172), resulting in the management of copyright and related rights in Italy now being reserved to SIAE as well as all other collective management organizations (“CMOs”), as opposed to independent management entities (“IMEs”), as respectively defined in Art. 3, (a) and (b), of Directive 2014/26/EU of the European Parliament and of the Council of 26 February 2014 on collective management of copyright and related rights and multi-territorial licensing of rights in musical works for online use in the internal market (OJ L 84/72; the “Barnier Directive”). The Barnier Directive was implemented in the Italian legal system by Legislative Decree No. 35 of 15 March 2017 (“Legislative Decree No. 35”), whose Art. 4 states that right-holders may entrust the management of their rights to a CMO or an IME without prejudice to Art. 180 of the Italian Law on Copyright. Pursuant to Art. 20 of Legislative Decree No. 35, the collection of rights revenues in Italy by foreign IMEs shall be regulated by means of representation agreements with local CMOs.

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new and more innovative markets from developing, and thus at strengthening SIAE’s market power and extending it outside the scope of its legal monopoly. In its decision to open the investigation, the ICA raised doubts as to whether the relevant conducts of SIAE were required, or merely facilitated, by Article 180 of the Copyright Law and, if this were the case, whether it would be necessary to disapply the said provision, on the basis of the CIF principles, in order to ensure the practical effectiveness not only of EU competition law (Articles 101, 102 and 106 TFEU, in connection with Article 4(3) TEU), but also of the Treaty provisions protecting the right of establishment and the freedom to provide services (Articles 49 and 56 TFEU, respectively) and the Barnier Directive. However, the decision does not offer any explanation on the reasons why Article 180 of Copyright Law violated EU law and should be disapplied. First, it is questionable as a matter of principle whether the disapplication of a national provision allegedly in contrast with Articles 49 and 56 TFEU and with the Barnier Directive (as opposed to EU competition rules) would fall within the scope of the ICA’s powers. Indeed, without prejudice to the principles of primacy and direct effect of EU law, the ICA was granted only the powers expressly envisaged in the law which established it and in the following legislation that expressly broadened its jurisdiction. Accordingly, it is questionable whether the ICA has the power to apply any EU provision having direct effect, and to disapply any incompatible domestic rules; or rather its power/duty of disapplication is limited to any national legislation in contrast with EU competition rules, as the Court held in CIF – in which case Articles 49 and 56 TFEU could not provide solid ground for disapplication of Article 180 of the Copyright Law. Secondly, as to the alleged conflict between Article 180 and the Barnier Directive, it may be noted that, on the basis of general principles, where a directive is properly transposed into national law, no need to disapply national rules contrary to the provisions of that directive having direct effect may arise. At most, if the relevant conditions are met, an issue of conflict between national rules will arise, which has to be dealt with in light of the ordinary interpretative criteria. In this case, nothing supports the proposition that Legislative Decree No. 35 failed properly to implement the Barnier Directive in the Italian legal system, including by referring to SIAE’s continuing monopoly under Article 180 of Copyright Law. Moreover, as noted, as of October 16, 2017, any CMOs other than SIAE can also lawfully offer intermediation services in the market for the management of copyright and related rights in Italy. This is the effect of an amendment of Article 180 that, as widely reported in the Italian press, the Italian government put into effect in compliance with a political agreement with the Commissioner for the Digital Economy and Society, for the purpose of avoiding the opening of a possible infringement procedure under Article 258 TFEU.17 17 A previous infringement procedure against Italy (No. 2016/0368), initiated in June 2016, only dealt with the non-communication of the measures transposing the Barnier Directive into Italian law. The case was closed in October 2017, when the Commission received the notification of Legislative Decree No. 35/17.

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In these circumstances, the disapplication of Article 180 of Copyright Law by the ICA would, therefore, take place without the relevant requirements being met – and could hardly strengthen the position of complainant Soundreef, which purported to compete with SIAE in the Italian market despite operating as an IME (as opposed to a CMO). Thirdly, Art. 180 of Copyright Law is not in contrast either with Article 56 TFEU, in light of the case law of the Court concerning the compatibility of national monopolies with the freedom to provide services,18 or – in view of the need to ensure the coherent interpretation of the EU provisions on the fundamental freedoms – with Article 49 TFEU on the freedom of establishment. This is without prejudice to the fact that Article 49 and 56 TFEU do not seem to apply to the case at issue in light of Article 51 TFEU, as SIAE’s activities in Italy “are connected, even occasionally, with the exercise of official authority”. Finally, as to the possible conflict with EU competition rules, it must be noted that, according to the established case law of the EU Courts, the mere creation of a dominant position through the grant of exclusive rights within the meaning of Article 106(1) TFEU is not in itself incompatible with Article 102 TFEU.19 A national law is deemed to infringe Articles 102 and 106(1) TFEU only if the undertaking in question, by merely exercising the exclusive rights conferred upon it, is led to abuse its dominant position or where such rights are liable to create a situation in which that undertaking is led to commit such abuses. However, according to the ICA decision to open the investigation into SIAE’s conducts, Article 180 of the Copyright Law does not remove all room for autonomous conduct likely to further restrict residual competition. Therefore, holding SIAE liable under Article 102 TFEU would not require the prior disapplication of the provision in question – which, furthermore, would result in the obstruction of the performance by SIAE of the particular tasks it was entrusted with by the State, within the meaning of Article 106(2) TFEU. The investigation in the SIAE case shall be closed by September 30, 2018, unless this time limit is further extended. 3. The Intesa Sanpaolo-Venetian Banks Case In the Intesa Sanpaolo-Venetian Banks case, the ICA gave an unconditional go-ahead to a rescue merger in the banking sector, namely the acquisition by a major Italian bank, Intesa Sanpaolo S.p.A. (“Intesa”), of the banking activities of ailing regional banks Banca Popolare di Vicenza S.p.A. (“BPVI”) and Veneto Banca S.p.A. (“Veneto

18 See Case C-351/12, OSA, EU:C:2014:110, §§ 67-79 and point 3 of the operative part of the judgment. 19 E.g., Id., §§ 83 and 84: “the mere fact that a Member State grants a collecting society, such as OSA, a monopoly over the management of copyright relating to a category of protected works in the territory of that Member State is not, as such, contrary to Article 102 TFEU”.

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Banca”).20 The said transaction was notified to the ICA on July 3, 2017, just a week after the two banks were put in compulsory administrative liquidation proceedings by Law Decree of June 25, 2017, No. 99 (“Law Decree No. 99”). The proposed acquisition did not have a Community dimension within the meaning of Article 1 of the Council Regulation No. 139/2004 of January 20, 2004 on the control of concentrations between undertakings (the “EU Merger Regulation”). Therefore, it fell within the scope of Law No. 287 of October 10, 1990 (the “Italian Competition Law”). However, under Article 3(4) of Law Decree No. 99, where the transfer of the banks’ assets amounted to a concentration falling outside of the scope of the EU Merger Regulation, such a concentration should be deemed as automatically authorized without being subject to the ICA’s review, on the ground that it promotes certain significant general interests of the Italian economy. As noted, the ICA exercised nevertheless its review power under the Italian Competition Law after disapplying Article 3(4) of Law Decree No. 99, after noting that the latter “may” be in contrast with Article 22 of the EU Merger Regulation21 and, thus, be disapplied, but without providing any reasoning for this statement.

20 See Case C12103 as per note 3 above. In the ICA’s view, the acquisition would not threaten competition in the funding and lending markets, asset management and administration markets, life insurance products markets, and payment instruments markets, mainly because of: (i) the risk of shrinking supply, given that other operators did not manifest any interest in acquiring BPVI and Veneto Banca; (ii) the marginality of the post-merger shares’ increase in the relevant markets; (iii) the existence of many well-established competitors capable of influencing the strategic and commercial dynamics of the sector; and (iv) the fact that the targets were ailing firms with declining market shares over the previous three years. 21 Under Article 22 of the EU Merger Regulation, a Member State may request the Commission to examine a concentration that does not have a Community dimension but affects trade between Member States and threatens significantly to affect competition within the territory of the Member State making the request.

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Zur Sanktionierung schwerer Kartellverstöße natürlicher Personen I. Einleitung II. Internationale Erfahrungen III. Strafwürdigkeit IV. Strafbedürftigkeit 1. Argumente gegen die Strafbedürftigkeit a) Wirksame Abschreckung durch ­aktuelle Sanktionen b) Bei einer Kriminalisierung zu ­besorgende Effizienzverluste

2. Argumente für die Strafbedürftigkeit a) Abschreckungsdefizite aktueller ­Sanktionen b) Defizite hinsichtlich anderer ­Sanktionsfunktionen V. Optionen einer Kriminalisierung und flankierende Maßnahmen VI. Fazit

I. Einleitung Die Frage, ob schwere Kartellverstöße natürlicher Personen mit Kriminalstrafen sanktioniert werden sollten, ist nicht neu. Sie begleitet das GWB seit seiner Entstehung bis heute.1 Ein Grund für die sich in letzter Zeit wieder belebende Debatte ist das sich in der Öffentlichkeit verbreitende Gefühl, dass zwischen dem angeblich so hohen Rang des wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen Unternehmen, des Motors unserer Marktwirtschaft, und seiner angeblich so ernsthaften Gefährdung durch schwerwiegende Verstöße gegen das Kartellrecht einerseits und dem ihm vom Gesetz aktuell gewährten Schutz andererseits ein weiter Abstand liegt. Bei feierlichen Anlässen und auch sonst wird das GWB gerne als „Grundgesetz“ unserer Wirtschaft bezeichnet, Angriffe auf dieses aber nicht wie Angriffe auf die Verfassung oder auch nur wie schwere Wirtschaftsvergehen sanktioniert, sondern wie Falschparken. An der Qualität der Sanktion ändert sich nichts dadurch, dass sich die Geldbußen gegen natürliche Personen als Kartelltäter und als Parksünder quantitativ erheblich unterscheiden. Der in diesem Zusammenhang gerne gegebene Hinweis auf die enormen, gegen Unternehmen verhängten Geldbußen vergleicht Unvergleichbares. Die Diskrepanz zwischen dem Rang des Rechtsguts Wettbewerb, seiner Gefährdung durch schwere Kartellverstöße und einer kein schweres ethisches Fehlverhalten signalisierenden Sanktion erscheint dem Außenseiter als aktuelle wettbewerbspolitische Glaubwürdigkeitslücke. In der Strafrechtslehre wird diese Lücke zwischen dem Schutzgut Wettbewerb, wie immer man diesen präzisieren mag, und dem gewährten Schutz von kompetenter Seite taktvoll „erstaunlich“ genannt2 und nach den heutigen Maß1 Ausführliche Nachweise zu befürwortenden und ablehnenden Meinungsäußerungen in den letzten Jahrzehnten bei Dreher in Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 9. Aufl. 2016, Rz. 1756 Fn. 331. 2 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band  2. GWB/​Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 38.

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stäben der Abgrenzung von Straftat und Ordnungswidrigkeit die Einstufung gravierender Kartellverstöße als bloße Ordnungswidrigkeit für verfehlt und im Gesamtsystem der Sanktionen für nicht mehr zu rechtfertigen gehalten.3 Warum muss ein Betrüger, der einen Schaden von 50.000 € verursacht hat, ins Gefängnis, warum bleibt ein Kartelltäter, der einen Schaden von 500 Mio. € verursacht, frei oder wird höchstens mit einer Geldbuße belegt? Für die Vereinigten Staaten stellt sich die Frage nicht, weil dort Kartellverstöße von vornherein klassischen Delikten wie Einbruchsdiebstahl und Untreue gleichbewertet wurden. Dem weltweiten Sieg der Marktwirtschaft folgt, mit zeitlicher Verzögerung, ein weltweiter Trend, deren zentrales Rechtsgut, den Wettbewerb, mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Deutschland ist diesem Trend bislang, sieht man von dem in § 298 StGB seit 2009 strafbedrohten Submissionsbetrug ab, nicht gefolgt. Das Bundeskartellamt und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie halten das geltende Recht nach wie vor für ausreichend, zweckmäßig und seine Anwendung für erfolgreich. Die Monopolkommission empfiehlt dagegen, eine Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße zu erwägen. Die folgenden Anmerkungen beschränken sich aus Raumgründen auf knappe Überlegungen zur Strafwürdigkeit und etwas ausführlichere zur Strafbedürftigkeit, ohne im Detail auf die unterschiedlichen Optionen einer Kriminalisierung eingehen zu können.

II. Internationale Erfahrungen International hat sich in den letzten Jahrzehnten die Überzeugung durchgesetzt, dass die Verhängung von Kriminalstrafen gegen natürliche Personen angebracht ist und deren Androhung und Vollstreckung eine höhere Abschreckung von schweren Kartellverstößen bewirkt als Geldbußen gegen Unternehmen oder natürliche Personen.4 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die langjährigen Erfahrungen der USA mit der wiederholt verschärften und für ihr Kartellrecht zentralen strafrechtlichen Durchsetzung des Kartellverbots5 in Europa nur unzureichend wahrgenommen oder für europäische Verhältnisse irrelevant gehalten worden sind, obwohl andere, 3 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band  2. GWB/Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 37. 4 Vgl. OECD, Cartels: Sanctions against Individuals, DAF/COMP (2004) 39 vom 10. Januar 2005, S.  7  ff. Zahlreiche w.N. in Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz.  155. Österreich und die Niederlande haben Kriminalstrafen für Kartellverstöße (mit Ausnahme des Submissionsbetrugs) nicht wegen mangelder Strafwürdigkeit, sondern aus Gründen aktuell mangelnder Praktikabilität, wieder abgeschafft, vgl. Monopolkommission a.a.O. Tz. 166. 5 Gregory J. Werden Scott, D. Hammond, Belinda A. Barnett, Deterrence and Detection of Cartels: Using all the Tools and Sanctions, Antitrust Bulletin (56 Antitrust Bulletin 207 [2011]): “the proposition that a fine can achieve the same level of deterrence as a prison sentence is completely at odds with what prosecutors and counsel representing cartel defendants observe almost on a daily basis.” Vgl. auch Tefft W. Smith, Comments for the Antitrust Modernization Commission Hearing on Criminal Antitrust Remedies at 15 (Nov. 3, 2005), ABA Section of Antitrust Law, Antitrust Compliance: Perspectives and Resources for Corporate Counselors 55, 258, 277-78 (2010). Vgl. ferner Donald I. Baker, The Use of Criminal Law Remedies to Deter and Punish Cartels and Bid-Rigging, 69 GEO. Wash. L. Rev. 693, 705 (2001).

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der kontinentaleuropäischen Mentalität und den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen einschließlich des deutschen eher fremdere Institutionen wie die Kronzeugenregelung und das Settlementverfahren ohne weiteres übernommen wurden. In den USA wird die Freiheitsstrafe mittlerweile häufiger als in Deutschland die Geldbuße gegen natürliche Personen und nach der empirisch belegten Einschätzung aller Beteiligten erfolgreich eingesetzt.6 In den Jahren 2016 und 2017 gehörte die Strafverfolgung natürlicher Personen wegen schwerer Kartellverstöße unverändert zu den Hauptzielen der Antitrust Division des DOJ. Nach einer Statistik der Behörde haben sich die durchschnittlich gegen natürliche Personen verhängten Freiheitsstrafen, die in der Zeit 1990 bis 1999 bei 8 Monaten und in der Zeit von 2000 bis 2009 bei 20 Monaten lagen, für die Zeit zwischen 2010 und 2016 auf 22 Monate erhöht.7 Im Schnitt kam es in diesen Jahren jeweils zu knapp 50 Verurteilungen, eine Zahl, die deutlich über der in den Jahren 2008 bis 2016 vom Bundeskartellamt im Schnitt jährlich rund 37 verhängten Geldbußen liegt.8 Auch in den letzten Monaten kam es wieder zu einer Reihe von Verurteilungen zu Freiheitsstrafen. Andere Staaten sind in neuerer Zeit dem Beispiel der USA gefolgt und haben strafrechtliche Sanktionen für schwere Kartellverstöße eingeführt, planen die Einführung entsprechender Regelungen9 oder verschärfen bestehende Regelungen.10 Tatsächlich ist der Einführung selten sofort und in allen Fällen eine konsequente Anwendung solcher Sanktionen gefolgt. Das ist allerdings keine Besonderheit der Sanktionierung von Kartellverstößen, sondern gilt auch für auf dem Papier eindrucksvolle Missbrauchs- und Fusionskontrollen. Dass zwischen der Einführung strafrechtlicher Sanktionen für Kartellverstöße und einer erfolgreichen Umsetzung praktische Pro­ bleme zu erwarten sind, die Gesetzesänderungen erforderlich machen können, zeigt die Entwicklung im Vereinigten Königreich. Dort wurde im Jahre 2002 ein Straftatbestand für schwere Kartellverstöße natürlicher Personen eingeführt, zunächst aber nur in wenigen Fällen angewendet.11 Gleichwohl wurde die Strafdrohung schon fünf Jah 6 In den Vereinigten Staaten erhöhte der Gesetzgeber mit dem Antitrust Criminal Penalty Enhancement and Reform Act 2004, 108th Congress Public Law 237, die Höchststrafe für Kartellverstöße von drei auf zehn Jahre. Zur Empirie der abschreckenden Wirkung von Kriminalstrafen in Kartellsachen in den USA vgl. Steven D. Levitt & Thomas J. Miles, Empirical Study of Criminal Punishment, in 1 Handbook of Law and Economics 455, 470–74 (A. Mitchell Polinsky & Steven Shavell eds., 2007). Der Erfolg strafrechtlicher Sanktionen zeigte sich u.a. auch in einem in Deutschland bislang nicht zu beobachtenden Rückgang inländischer Kartelle, vgl. Wils, Efficiency and Justice in European Antitrust Enforcement, 2008, Tz. 568 ff. 7 US Department of Justice, Antitrust Division, home page, Criminal Enforcement, Trends, Charts. 8 Tätigkeitsbericht 2015/16, S. 34. 9 Vgl. Gregory J. Werden Scott, D. Hammond, Belinda A. Barnett, Deterrence and De­tection of Cartels: Using all the Tools and Sanctions, Antitrust Bulletin (56 Antitrust Bulletin 207 [2011], Fn. 57 m.w.N.). 10 So hat der irische Gesetzgeber im Juli 2012 die Höchststrafe für schwere Kartell­verstöße von fünf auf zehn Jahre heraufgesetzt, vgl. Section 8 paragraph (b) of subsection (1) Competition Act 2002 as amended by Competition (Amendment) Act 2012. 11 In einer ersten Entscheidung im „Marine Hose“-Fall wurden im Jahre 2008 nach ­Section 188 des 2002 Enterprise Act 2002, die Freiheitsstrafen für Kartellverstöße bis zu 5 Jahren

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re nach ihrer Einführung von Unternehmen und Kartelljuristen übereinstimmend als die eindeutig wichtigste unter den möglichen Sanktionen bewertet.12 Im Jahre 2014 verabschiedete der britische Gesetzgeber im Lichte der praktischen Erfahrungen mit dem Straftatbestand eine Novelle, die seine Anwendung erleichtern soll. Beobachter erwarten im Vereinigten Königreich eine entsprechende Intensivierung der strafrechtlichen Verfolgung von Kartellverstößen. Ein weiteres Beispiel für den anhaltenden Trend zur Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße bietet die im Sommer 2016 verabschiedete Novelle zum Chilenischen Kartellgesetz.13 Das Gesetz erlaubt nunmehr, gegen an Hardcore-Kartellverstößen beteiligte natürliche Personen Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren zu verhängen. Begründet wurde die Novelle mit der als unzulänglich erkannten Abschreckungswirkung der zuvor geltenden Sanktionsmöglichkeiten. 2017 hat der Gesetzgeber der Südafrikanischen Republik das Kartellrecht auf ähnliche Weise novelliert, das nunmehr gegenüber an schweren Kartellverstößen beteiligten natürlich Personen ebenfalls die Verhängung von Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren erlaubt.14 Beispiele für die Anwendung geltender kartellrechtlicher Strafbestimmungen in jüngster Zeit bieten u.a. Australien, Israel und Kanada. In Australien brachte die Kartellbehörde ACCC im Jahre 2016 zwei kartellrechtliche Strafsachen in Fällen, die den internationalen Schiffstransport betrafen.15 In mehr als 10 weiteren kartellrechtlichen Strafsachen wurde Anfang 2017 ermittelt. ACCC Chairman Rod Sims erwartet, dass sich der Trend zur strafrechtlichen Verfolgung von Hardcore-Kartellverstößen auch in Australien fortsetzt.16 In Israel sind im Januar 2017 gegen die Manager von Unternehmen im Backwarenbereich wegen Preisabsprachen neben Geldstrafen auch ein-

vorsieht, Gefängnisstrafen verhängt. Seitdem wurde eine Reihe von weiteren Verfahren eingeleitet, bei denen die Verhängung von Freiheitsstrafen vor allem daran scheiterte, dass das Tatbestandsmerkmal „dishonestly“ in Section 188 (1) nicht nachzuweisen war. Dieses Tatbestandmerkmal ist, um die Abschreckung und Sanktionierung natürlicher Personen effizienter zu machen, durch Section 47 (2) des insoweit am 1. April 2014 in Kraft getretenen Enterprise and Regulatory Reform Act 2013 gestrichen worden. Die seit dem 1. April 2014 aufgrund der Enterprise and Regulatory Reform Act 2013 [ERRA] zuständige Competition and Markets Authority (CMA) hat vom OFT die seinerzeit laufenden Strafverfahren übernommen und inzwischen selbst neue Verfahren eingeleitet. Vgl. hierzu und zu den irischen Er­fahrungen mit weiteren Einzelheiten Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 169-171. 12 Bericht des britischen OFT vom November 2007, The deterrent effect of competition enforcement, A report prepared for the OFT by Deloitte, S. 72, Table 5.11: Perceived impor­ tance of sanctions, und S. 10 Fn. 3. 13 Ley No 20.945 vom 30. August 2016. 14 Competition Act, 1998, as amended June 9th, 2016, Article 74. (a). 15 Australian Competition & Consumer Commission, Home page. Der erste Fall betraf die Nippon Yusen Kabushiki Kaisha (CNYKK), die sich schuldig bekannte, der zweite die Kawasaki Kisen Kaisha (K-Line). 16 Australian Competition & Consumer Commission, Home page, Chairman’s address to CEDA Wa, August 24th, 2017.

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jährige Freiheitsstrafen verhängt worden.17 Die israelische Kartellbehörde hat gleichzeitig wissen lassen, dass sie beabsichtigt, verstärkt strafrechtliche Sanktionen in Kartellsachen einzusetzen. In einem Fall, in dem gegen Reiseunternehmen wegen des Verdachts von Preisabsprachen eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden war, kam es inzwischen zur Verhaftung von neun Verdächtigen. In Kanada verurteilte ein Gericht im Oktober 2017 den Manager einer IT-Firma wegen Absprachen im Zusammenhang mit öffentlichen Ausschreibungen über Schulbauten zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Ende Oktober 2017 leitete das Bureau of Competition ein Strafverfahren wegen des Verdachts von Absprachen im Brotsektor ein.18 Relativiert wird der internationale Trend, den Wettbewerb zunehmend mit Mitteln des Strafrechts zu schützen, auch nicht durch den gelegentlichen Verzicht auf den Einsatz solcher Mittel. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in den von der Monopolkommission in ihrem Hauptgutachten XX zitierten Beispielen von Österreich und der Niederlande diese ihre Kriminalstrafdrohungen für schwere Kartellverstöße (mit Ausnahme des Submissionsbetrugs) u.a. mit der Begründung mangelnder kartellrechtlicher Expertise der Staatsanwaltschaft in den Jahren 2002 bzw. 1997 wieder abschafften.19 Dieses Argument wird auch von den Gegnern einer Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße in Deutschland vorgetragen.20

III. Strafwürdigkeit Der Gesetzgeber des GWB ordnete das Kartellsanktionsrecht vorläufig dem Ordnungswidrigkeitenrecht zu, rechnete aber für spätere Zeiten, in denen der Gedanke des freien Wettbewerbs „lebendiger und werterfüllter“ sein werde, mit einer Verschärfung zu echten Straftaten.21 Dieser Zeitpunkt eines mit Leben erfüllten und betont werthaltigen Begriffs des Wettbewerbs dürfte schon, denkt man an das seit wenigstens einem halben Jahrhundert allseits dem Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft gespendete Lob, schon vor Jahren eingetreten sein. An dieser Bewertung sind das Bundeskartellamt und das zuständige Ministerium nicht nur in den Tätigkeitsberichten des Amtes und der Stellungnahme der Bundesregierung dazu an prominenter Stelle beteiligt.22 Dem entsprechend kann heute keine Rede mehr davon sein, dass es in der Allgemeinheit, wie beim Inkrafttreten des GWB, noch an einem Konsens über 17 Vgl. hierzu und zum Folgenden Israel Competition Authority (IAA), Home page, Press Releases. 18 Canada, Bureau of Competition, Press Release of October 31st, 2017. 19 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 211. 20 Vgl. hierzu unten IV. 1. b). 21 Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BTDrucks. 02/1158, Anlage 1, S.  28. S.  hierzu schon Biermann, Neubestimmung des deutschen und europäischen Kartellsanktionenrechts, ZWeR 2007, 1, 47. 22 Vgl. z.B. Zwischenbericht des Bundeskartellamtes zum Expertenkreis Kartellsanktionsrecht, Reformimpulse für das Kartellbußgeldverfahren, NZKart 2015, 2 ff., Fn. 39, wo es heißt, dass die Durchsetzung freier Märkte zu den Kernaufgaben eines Staates mit marktwirtschaftlicher Grundordnung gehört.

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den hohen Wert des Wettbewerbs und demzufolge über die hohe Sozialschädlichkeit schwerer Kartellverstöße fehle. Vor allem bei den horizontalen Hardcore-Kartellen sind Handlungs- und Erfolgsunrecht entsprechend dem hohen Rang des Rechtsguts zweifellos gravierend.23 Die allseits positive Aufnahme der in den ­letzten Jahren von der Europäischen Kommission und dem Bundeskartellamt verhängten, drastisch gestiegenen Bußgeldsanktionen gegenüber den tatbeteiligten Unternehmen24 bestätigen diesen Konsens. Sanktionen in Millionen- wenn nicht Mil­liardenhöhe als bloße „Pflichtenmahnung“ eines allenfalls geringfügig unethischen Verhaltens einzuordnen25 hat mit der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit nichts mehr zu tun, die nicht nur aus Unternehmern, Kartellanwälten und Kartellbeamten besteht, die aus unterschiedlichen Gründen dazu neigen mögen, am Status quo zu hängen, sondern mehrheitlich aus anderen Betroffenen, darunter nicht zuletzt aus Verbrauchern als den von überhöhten Kartellpreisen geschädigten Opfern. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass bei den noch höheren Geldbußen der Kommission die Diskussion über deren Nähe zu strafrechtlichen Sanktionen und den sich daraus ergebenden Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in den letztem Jahren an Schärfe zugenommen hat.26 Auch diese Diskussion illustriert den Abstand zwischen der für erforderlich gehaltenen Verteidigung des Rechtsguts Wettbewerb und dem Instrument der nichtstrafrechtlichen Geldbuße. Die Unzulänglichkeit des Instruments wird durch seine Überbeanspruchung nicht ausgeglichen, sondern eher noch verdeutlicht. Nicht zuletzt dank der erfolgreichen Aufklärungsarbeit des Bundeskartellamtes, das unermüdlich auf die außerordentlichen wirtschaftlichen Schäden in Millionen- und Milliardenhöhe hingewiesen hat, die solche Verstöße verursachen, sieht die breite Öffentlichkeit in schweren Kartellverstößen heute keine Kavaliersdelikte mehr, sondern ordnet sie zutreffend in der Nähe schwerer Wirtschaftsvergehen, etwa im Steuerrecht, 23 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 163. 24 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 138 m.w.N. Die vom Bundeskartellamt in den Jahren 2008 bis heute verhängten Geldbußen lagen jährlich stets im dreistelligen Millionenbereich, in einem Jahr ausnahmsweise sogar bei über einer Milliarde, Tätigkeitsbericht 2015/16, S. 31. 25 In der Strafrechtslehre ist mittlerweile weitgehend anerkannt, schon oben angemerkt, dass nach den heutigen Maßstäben der Abgrenzung von Straftat und Ordnungs­widrigkeit die Einstufung gravierender Kartellverstöße als bloße Ordnungswidrigkeit verfehlt und im Gesamtsystem des Strafrechts nicht mehr zu rechtfertigen ist, vgl. Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band 2. GWB/Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 37 m.w.N. zu beiden Meinungen. Ein Teil der kartellrechtlichen Literatur folgt dieser Einschätzung, so Möschel, Erweiterter Privatrechtsschutz im Kartellrecht?, WuW 2006, 15; Möschel, Behördliche oder privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts?, WuW 2007, 483 f.; Säcker, Kronzeugenregelung – weiter so pragmatisch wie bisher?, WuW 2009, 3 ff.; Wagner-von Papp, Zur Kriminalisierung von Kartellen, WuW 2010, 268 ff., 276 f. m.w.N.; Fischer, Das Ermessen des Bundeskartellamtes zur Verfolgung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen das Kartellverbot, 2014, S. 146 f. m.w.N.; Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 163. A.A. Achenbach mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ZStW 119 (2007), 789 ff.; Dreher, Wider die Kriminalisierung des Kartellrechts, WuW 2011, 232, 236 f., 240 ff. 26 Hierauf weist Dreher hin in Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 9. Aufl. 2016, Rz. 1734 mit zahlreichen w.N.

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ein,27 bei denen ihr Rechtsempfinden auch mit vollstreckten Freiheitsstrafen durchaus einverstanden ist. Entsprechend fiel auch die Reaktion der Öffentlichkeit schon beim Verdacht gesetzwidriger Kartellabsprachen der Autoindustrie aus, und mehr als ein Verdacht lag zur Zeit des Berichts im „Der Spiegel“ nicht vor. Dieses aktuelle, durch die Aufklärungsarbeit des Bundeskartellamtes entscheidend geförderte Rechtsempfinden der Öffentlichkeit spiegelt sich in den letzten Jahren immer deutlicher auch in den Medien.28 Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 298 StGB den Straftatbestand Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen geschaffen und damit den Wettbewerb als strafrechtlich zu schützendes Rechtsgut anerkannt hat. Die unterschiedliche Behandlung von Submissionsabsprachen und sonstigen Verstößen gegen das Kartellverbot, deren Schadenspotenzial weit über das von Absprachen bei Ausschreibungen hinausgehen kann,29 ist ein weiteres Argument für die Strafwürdigkeit schwerer Kartellverstöße.30 Dass der Gesetzgeber bei diesem Tatbestand auch auf die häufig mit Submissionsabsprachen verbundenen Korruptionstatbestände zielte,31 ändert nichts daran, dass er ein Segment von Hardcore-Kartellen mit Kriminalstrafe bedrohte und nicht eine aktive oder passive Korruptionsbeteiligung.

IV. Strafbedürftigkeit 1. Argumente gegen die Strafbedürftigkeit a) Wirksame Abschreckung durch aktuelle Sanktionen Das Bundeskartellamt und die Bundesregierung halten ihre langjährige ablehnende Haltung zur Kriminalisierung kartellrechtlicher Verstöße32 bis heute konsequent auf27 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band 2. GWB/Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 39. 28 Nur ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Süddeutsche Zeitung vom 20./21. Juni 2015 zum Lebensmittelkartell, S. 23: „Gesetzwidrige Absprachen sind kein Kavaliersdelikt“; Der Spiegel vom 22. Juli 2017, S. 12 ff. 29 Biermann, Neubestimmung des deutschen und europäischen Kartellsanktionenrechts, ZWeR 2007, 1, 20 m.w.N. 30 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band  2. GWB/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rz. 39 f. m.w.N. Zur internationalen Entwicklung vgl. unten IV. Selbst wenn es, wofür wenig spricht, in kleineren Teilen der Allgemeinheit, insbesondere innerhalb der Wirtschaft, tatsächlich noch an einem Konsens über die gravierende Sozialschädlichkeit schwerer Kartellverstöße fehlte, so wäre nicht nur nach den Gründen zu fragen, sondern auch, worauf die Monopolkommission hinweist, zu prüfen, ob nicht insoweit das Gefühl der Verwerflichkeit und außerordentlichen Sozialschädlichkeit schwerer Kartellverstöße als Folge einer weitergehenden Kriminalisierung entwickelt werden müsste, vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 172; Baumann/Arzt, Kartellrecht und allgemeines Strafrecht, ZHR 134(1970), 24, 32; Wagner-von Papp, Zur Kriminalisierung von Kartellen, WuW 2010, 268, 275. 31 Hierauf weist Dreher in Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 9. Aufl. 2016, Rz. 1757, zu Recht hin. 32 Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von MdB Sabine Zimmermann et al., BTDrucks. 16/8681 vom 1. April 2008, Antwort zu Frage 7.

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recht. Diese Zurückhaltung wird nicht mit einem geringen Rang des Rechtsguts Wettbewerb und einer geringen Schädlichkeit schwerer Kartellverstöße begründet und auch kaum noch mit einem fehlenden Konsens über deren Verwerflichkeit, sondern mit einer mangelnden Strafbedürftigkeit. Insofern sind Anmerkungen wie in der „Diskrepanz zwischen dem ausgeprägten öffentlichen Interesse an der Verfolgung von Kartellverstößen und ihrem eher gering ausgeprägten sozial-ethischen Unwertgehalt“ sei „kein Widerspruch“ zu sehen33 in neuerer Zeit von dieser Seite eher selten. In seinem letzten Tätigkeitsbericht34 schließt sich das Bundeskartellamt den Über­ legungen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder und der von ihr eingesetzten Arbeitsgruppe an, nach denen die Verfolgung von Kartellverstößen als ­Ordnungswidrigkeit zweckmäßig und angemessen ist. Hohe Fallzahlen und hohe Geldbußen belegten die Abschreckungswirkung, wobei die hohen Geldbußen gegen Unternehmen zusätzlich noch abschreckend auf die handelnden natürlichen Personen wirkten. Ein aktueller Handlungsbedarf im Hinblick auf Kriminalstrafen bestehe auch deshalb nicht, weil das Amt bereits jetzt konsequent gegen die handelnden Unternehmensvertreter vorgehe. In den Jahren 2008 bis 2016 habe es gegen insgesamt 333 und im Jahresdurchschnitt 37 natürliche Personen Bußgelder von insgesamt 24.394.000 € verhängt, wobei die höchste Einzelbuße 800.000 €, die niedrigste 500 € und die durchschnittliche Einzelbuße 73.000 € betrug.35 In einem Großteil der Verfahren habe die Bonusregelung zu erheblichen Reduktionen der Sanktionen geführt. Das Bundeskartellamt bestätigt in seinem letzten Tätigkeitsbericht36 seine Auffassung, dass eine Kriminalisierung des Kartellrechts nicht zielführend wäre. In ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes teilt die Bundesregierung ausdrücklich dessen Einschätzung und die der Justizministerinnen und Justizminister der Länder.37 Angesichts der konsequenten Bebußung der verantwortlichen handelnden Personen bei Kartellrechtsverstößen durch das Bundeskartellamt sei die gegenwärtige Rechtslage ausreichend wirksam und zweckmäßig. Mit dem Bundeskartellamt geht die Bundesregierung davon aus, dass von einer effektiven Sanktionierung der Unternehmen bei Kartellrechtsverstößen mittelbar eine präventi33 „Zwischenbericht des Bundeskartellamtes zum Expertenkreis Kartellsanktionenrecht, Reformimpulse für das Kartellbußgeldverfahren“, NZKart 2015, 2  ff. Der Zwischenbericht konzediert, dass heute zwar eine „Diskrepanz zwischen dem ausgeprägten öffentlichen Interesse an der Verfolgung von Kartellverstößen und ihrem eher gering ausgeprägten sozial-ethischen Unwertgehalt“ besteht, doch sei darin „kein Widerspruch“ zu sehen, Fn. 39. Ähnlich K. Schmidt, Zur Verantwortlichkeit von Gesellschaften und Verbänden im Kartell-Ordnungswidrigkeitenrecht, wistra 1990, 131, 137, zustimmend zitiert im „Zwischenbericht des Bundeskartellamtes“, 2  ff. Noch deutlicher Ackermann, Grundrechte juristischer Personen im kartellrechtlichen Sanktionsverfahren: ein Reformhindernis?, NZKart 2015, 17, 23: In der Verhängung von Kartellgeldbußen gegen juristische Personen liege „kein Ausdruck ethischer Missbilligung“ und „Mit der Kartellgeldbuße wird auch kein Unwerturteil gegenüber den Gesellschaftern, den geschäftsführenden Personen und den unmittelbar am Verstoß beteiligten Mitarbeitern zum Ausdruck gebracht, (…)“. 34 Tätigkeitsbericht 2015/16, S 13. 35 Tätigkeitsbericht 2015/16, S. 34. 36 Vgl. Tätigkeitsbericht 2015/16, S. 34 und Tätigkeitsbericht 2013/14, S. 13. 37 Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht 2015/16, Tz. 25 f.

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ve Wirkung gegenüber den handelnden Personen ausgehe. Das zeige sich unter anderem nach der Beobachtung des Bundeskartellamtes darin, dass Unternehmen verstärkt in Compliance investieren, um kartellrechtswidriges Verhalten von Mitarbeitern zu verhindern. b) Bei einer Kriminalisierung zu besorgende Effizienzverluste In ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes teilt die Bundesregierung ausdrücklich auch dessen Befürchtung, die Einführung einer strafrechtlichen Sanktionierung für Kartelltäter könnte die Effizienz des Wettbewerbsschutzes beeinträchtigen:38 Es könnte zu einer weiteren Verfahrenszersplitterung kommen und das Kronzeugenprogramm des Bundeskartellamtes als Quelle der Informationsgewinnung dadurch entwertet werden, dass Beteiligte wegen der drohenden Strafverfolgung davon absehen, Kartellverstöße gegenüber den Kartellbehörden zu offenbaren. Andere Gegner einer Kriminalisierung des Kartellrechts stimmen dem Bundeskartellamt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie insoweit zu, als es auch bei schweren Verstößen an der Strafbedürftigkeit fehle. Eine Strafdrohung könnte praktisch keine verstärkten Präventionswirkungen entfalten und letztlich die Effektivität und Praktikabilität des Wettbewerbsschutzes beeinträchtigen, zu dem auch das Bonus- und das Settlementverfahren gehörten.39 Schwierigkeiten ergäben sich darüber hinaus schon bei der Formulierung eines den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Straftatbestandes. Die für die Durchsetzung eines solchen Tatbestandes zuständigen Staatsanwaltschaften seien kartellrechtlich wenig erfahren und interessiert und hohe Verfahrens- und Beweisstandards würden zu schwierigeren, nach den Regeln der StPO sehr viel zeitaufwändigeren Prozessen und damit zu einer im Ergebnis eingeschränkteren Kartellverfolgung führen. Das Legalitätsprinzip erlaube keine Konzentration auf wichtige Fälle und die Zuständigkeitsspaltung bei Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren würde die Ressourcen aller Beteiligten verstärkt binden. 2. Argumente für die Strafbedürftigkeit a) Abschreckungsdefizite aktueller Sanktionen Zur Frage nach der Strafbedürftigkeit schwerer Kartellverstöße sind die aktuellen Sanktionsmöglichkeiten und ihre tatsächliche Anwendung unter dem Aspekt ihrer Erforderlichkeit, Praktikabilität und Effektivität zu bewerten.40 Abgesehen davon, dass sich die Sanktionsfunktionen bei begangenem schwerem Unrecht nicht auf eine 38 Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht 2015/16, Tz. 25 f. 39 Vgl. hierzu insbesondere Dreher, Wider die Kriminalisierung des Kartellrechts, WuW 2011, 232, 236 f., 240 ff. und in Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 9. Aufl. 2016, Rz.  1715. Vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 172  ff. m.w.N. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass Österreich und die Niederlande eingeführte Kriminalstrafen für Kartellverstöße wegen mangelnder Praktikabilität wieder abgeschafft haben, vgl. Monopolkommission a. a. O. Tz. 166. 40 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 166.

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effektive Abschreckung (Generalprävention und Spezialprävention) beschränken, son­ dern auch eine angemessene Ahndung für solches Unrecht (Repression) umfassen,41 lässt sich ein Abschreckungserfolg kaum allein aus hohen Fallzahlen und den immer noch steigenden Geldbußen der Kommission und des Bundeskartellamtes ableiten.42 Die hohen Fallzahlen und die im Fall der Kommission enorm hohen Geldbußen lassen nicht erkennen, dass durch sie die Begehung neuer schwerer Verstöße zumindest weniger wahrscheinlich geworden ist. Auch trägt die Bonusregelung, die erst die hohe Zahl gelöster Fälle ermöglicht, insofern zu einer Senkung der Abschreckungswirkung bei, als Unternehmen im bestehenden Sanktionssystem darauf hoffen dürfen, doch bußgeldfrei zu bleiben oder nur geringer bebußt zu werden, wenn sie das Kartell aufdecken oder an seiner Aufdeckung mitwirken.43 Für eine vom Bundeskartellamt und der Bundesregierung angenommene, von einer effektiven Sanktionierung der Unternehmen bei Kartellrechtsverstößen ausgehende mittelbare präventive Wirkung gegenüber den handelnden Personen fehlen empirische Anhaltspunkte.44 Ähnliches ist zur Einrichtung von Compliance-Programmen zu sagen. Auch hier fehlt es an Anhaltspunkten für eine effektive Abschreckungsfunktion.45 Außerdem spielen bei der Einrichtung solcher Programme erfahrungsgemäß neben dem Motiv, ein kartellrechtswidriges Verhalten von Mitarbeitern zu verhindern, noch andere Überlegungen eine Rolle. Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die zunehmende Zahl zivilrechtlicher Schadensersatzverfahren gegenüber kartellbeteiligten Unternehmen zu einer Abnahme von Verstößen geführt hätte. Zu bezweifeln ist eine Abschreckungswirkung nach alledem auch bei weiter drastisch erhöhten Bußen sowohl hinsichtlich anderer Unternehmen und der für diese handelnden Personen (Generalprävention), sowie der Wirkung auf mit Geldbußen sanktionierte Unternehmen und die für diese handelnden Personen.46 Eine die Abschreckungswirkung reduzierende Wirkung geht auch von der Praxis aus, von den Möglichkeiten des § 34 GWB keinen Gebrauch zu machen. Das Bundeskartellamt wendet die in für ein aufwändiges Verfahren nach dieser Bestimmung erforderlichen Ressourcen lieber für die Verfolgung eines neuen Falles auf, weil das im Ergebnis erfolgversprechender sei. Das bedeutet im Ergebnis, dass den kartellbeteiligten Unternehmen, die von ihnen aufgrund ihres Verstoßes erlangten kartellwidrigen Vorteile verbleiben, wenn diese nicht von den verhängten Bußen erfasst werden können. Nach alledem spricht viel dafür, dass das geltende Sanktionssystem hinsichtlich seiner Abschreckungswirkungen erhebliche Defizite aufweist. Geht man mit der Monopolkommission47 und ihrer vorsichtigen Einschätzung davon aus, dass die Aufdeckungswahrscheinlichkeit bei Zuwiderhandlungen gegen das Kartellrecht bei ca. 30 Prozent liegt, dass an Kartellen regelmäßig eine Vielzahl natürli41 Vgl. unten IV. 2. b). 42 Vgl. hierzu im Einzelnen Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 172 ff. 43 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 149. 44 Zutreffend hierzu Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 183, Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 160. 45 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 178. 46 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 171, 179, 181, 182, Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 213 f. (zur Unternehmensstrafe). 47 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 151.

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cher Personen mitwirkt und das Bundeskartellamt in den Jahren 2008 bis 2016 im Jahresdurchschnitt gegen 37 natürliche Personen Bußgelder von durchschnittlich 73.000 € verhängt hat, dann kann man das Sanktionsrisiko kaum als besonders eindrucksvoll ansehen. Das gilt insbesondere dann, wenn man es mit den rund 50 jährlich verhängten Freiheitsstrafen von jeweils rund zwei Jahren in den USA vergleicht. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang nochmals auf den Umstand, dass die für ein „europäisches“ Kartell handelnden Personen de facto kein persönliches Sanktionsrisiko trifft. Das folgt aus der Praxis der nationalen Kartellbehörden, bei den von der Kommission gegen Unternehmen sanktionierten Kartellen keine rechtlich möglichen Verfahren gegen die handelnden Personen durchzuführen. Aus alledem folgt, dass die unmittelbare Abschreckungswirkung gegenüber natürlichen Personen bei „europäischen“ Kartellen de facto nicht existiert und bei „deutschen“ Kartellen gering ist. In dieser Hinsicht hat sich durch die Erhöhung des Regelbußgeldrahmens auf 1 Mio. € für die schwerwiegenden Kartellordnungswidrigkeiten durch die 7. GWB-Novelle nichts geändert. In ihrem letzten Hauptgutachten und ihrem Sondergutachten 72 kommt die Monopolkommission zu dem im Ergebnis überzeugenden Schluss, dass die Voraussetzungen einer Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße als ultima ratio des Gesetzgebers vorliegen, also neben der Strafwürdigkeit auch angesichts fehlender wirksamerer oder gleich wirksamer Sanktion die Strafbedürftigkeit.48 Natürliche Personen müssten für den Fall der Kriminalisierung künftig auch mit der Verhängung längerer ­Freiheitsstrafen rechnen.49 Als Ergebnis ihrer Untersuchung hatte die Monopolkommission festgehalten, dass einer strafrechtlichen Ergänzung des gegenwärtigen Regelungsrahmens keine verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte entgegenstehen.50 Die gegen eine stärkere Einbindung von Staatsanwaltschaften in die Kartellverfolgung sprechenden Aspekte seien durchweg auszuräumen und eine Gefährdung der kartellbehördlichen Kronzeugensysteme sei nicht zu erwarten, sofern die Strafverfolgung durch einen automatischen Straferlass für Kronzeugen, denen die Kartellbehörden die Geldbuße erlassen, ergänzt werde.51 Eine strafrechtliche Sanktionierung wäre auch insofern zielgenauer, als sie nur handelnde Unternehmensangehörige und nicht andere wie Arbeitnehmer und Kapitalgeber treffen würde.52 Ebenso geht die Strafrechtslehre nahezu einhellig davon aus, dass bei schweren Kartellverstößen außer der Strafwürdigkeit auch die Strafbedürftigkeit zu bejahen ist. Dass die bestehenden Möglichkeiten einer strafrechtlichen Ahndung von Kartellverstößen nach geltendem Recht, §§ 263, 298 StGB, eventuell § 266 StGB, insoweit nicht ausreichen, ist wiederholt festgestellt worden.53 48 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015). Näher hierzu schon Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 151 ff., 154, 156, 158, 160, 162 ff. 49 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 158. 50 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 199 m.w.N. 51 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 197; Hauptgutachten XX (2012/​ 2013), Tz. 176. 52 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 198. 53 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 192 m.w.N.

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b) Defizite hinsichtlich anderer Sanktionsfunktionen Die Gegner einer Kriminalisierung argumentieren meist, als ginge es bei der Sank­ tionierung auch schwerer Kartellverstöße nur um die Abschreckung (Prävention) und nicht auch um andere Funktionen einer Sanktionierung, insbesondere eine angemessene Ahndung (Repression). Diese Beschränkung fördert letztlich den unzutreffenden Eindruck, als seien doch nur Kavaliersdelikte von geringem ethischen Unwert zu bekämpfen, bei denen eine „Pflichtenmahnung“ ausreiche. Nimmt man den Rang des Rechtsguts Wettbewerb ernst, dann kann von einer angemessenen Ahndung begangenen schweren Unrechts bei den gegen natürliche Personen verhängten Geldbußen nicht die Rede sein. Folgt man der Rechtsprechung der deutschen Gerichte, nach der die verschieden Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen sind, dann sind bei einer Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße natürlicher Personen sowohl die Präventions- wie die Repressionsfunktion angemessen zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass bei leichteren Kartellverstößen, um die es hier nicht geht, die Präventionsfunktion im Vordergrund stehen wird, bei schweren Fällen dagegen die Repression (Ahndung).54 Anerkannt ist im deutschen Recht seit langem, dass bloße Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Praktikabilität für die Beschränkung der Ahndung gravierenden Unrechts als bloße Ordnungswidrigkeit nicht entscheidend sein können.55

V. Optionen einer Kriminalisierung und flankierende Maßnahmen Das Argument der Gegner einer Kriminalisierung, diese würde voraussichtlich zu einem Rückgang der aufgeklärten Fälle und zu einem Rückgang der insgesamt verhängten Sanktionen führen, ist plausibel. Nicht überzeugend wäre es allerdings, einen Rückgang sanktionierter Fälle nach der Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße nur mit dem anspruchsvolleren Verfahren und den Reibungsverlusten bei der Umstellung zuzuschreiben. Ein Teil des Rückgangs wäre sicherlich der höheren Abschreckungswirkung der Kriminalstrafe zuzuschreiben. Quantifizieren ließe sich der jeweilige Anteil mit den verfügbaren Mitteln kaum. Zutreffend ist sicher auch die Einschätzung der zurzeit bestehenden Möglichkeiten der Staatsanwaltschaften, mit strafbedrohten Kartellverstößen angemessen zu verfahren. Dass sich bei Änderungen im Sanktionssystem oder auch nur der mit diesem betrauten Institutionen Reibungsverluste ergeben können, ist nur natürlich. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Anlaufschwierigkeiten, die auch das Bundeskartellamt nach seiner Einrichtung zunächst gerade bei der Sanktionierung von Kartellverstößen hatte. Entsprechendes gilt für die Kartellsenate des Kammergerichts und später des OLG Düsseldorf, die sämtlich in akzeptabler Zeit überwunden wurden. Spricht alles für eine Kriminalisierung von Kartellverstößen natürlicher Personen, 54 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band 2. GWB/Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 440. 55 Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Band 2. GWB/Teil 1, 5. Aufl 2014, Vor § 81 GWB Rz. 38.

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dann dürfen Praktikabilitätserwägungen nicht den Ausschlag geben, wenn sich Lösungen anbieten, die zwar Anlaufschwierigkeiten nicht ausschließen, auf Dauer aber wirksamere Sanktionen schwerer Kartellverstöße erwarten lassen. Der betont vorsichtige, konkrete Formulierungsvorschlag der Monopolkommission zur Diskussion eines Straftatbestandes beschränkt sich aus Gründen des Bestimmtheitsgebots in Art. 103 Abs.  2 GG unter Ausschluss anderer unter diese Verbote ­fallender Wettbewerbsbeschränkungen auf Kartellvereinbarungen und kartellrechtswidrige Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, mit denen im Sinne von Art.  101 AEUV und §  1 GWB eine unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Preisen oder Geschäftsbedingungen, Mengenbeschränkung oder Marktaufteilung bezweckt wird.56 Verfassungsrechtliche Bedenken sind bei diesem Wortlaut nicht erkennbar. In Bezug auf solche Kartelle werden die Normadressaten weder mit unbestimmten Rechtsbegriffen, noch mit rechtlichen Graubereichen konfrontiert, Unsicherheiten über das Verbot derartiger Verhaltensweisen können daher nicht aufkommen.57 Der Tatbestand sollte als ein von allen Angestellten eines Unternehmens und nicht lediglich als ein von den Tätern des § 9 OWiG verübbares Sonderdelikt ausgestaltet werden, weil es sonst zu Haftungsumgehungen kommen könnte.58 Nach Ansicht der Monopolkommission spricht das bisherige Fehlen strafrechtlicher Sanktionen für allgemeine Kartellabsprachen tendenziell dagegen, über das Strafmaß von §  298 StGB hinauszugehen, auch wenn sich angesichts der breiter gestreuten Schäden grundsätzlich eine strengere Regelung empfehlen würde.59 Zu bedenken wäre allerdings, ob sich der Strafrahmen angesichts des höher als bei § 298 StGB liegenden Schadenspotenzials nicht an dieser Bestimmung, sondern eher an den international üblicher werdenden höheren Strafrahmen orientieren sollte.60 56 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 201. 57 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 122. 58 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 202. 59 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 203. Der in Tz. 204 ausformulierte Vorschlag der Monopolkommission lautet: Wer sich 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft, 3. als gesetzlicher Vertreter oder 4. als Angestellter an Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 AEUV oder § 1 GWB beteiligt, die a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An-oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen, b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen oder c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen, bezwecken, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 60 In den Vereinigten Staaten erhöhte der Gesetzgeber mit dem Antitrust Criminal ­Penalty Enhancement and Reform Act 2004 die Höchststrafe für Kartellverstöße von drei auf zehn Jahre. Der irische Gesetzgeber erhöhte im Juli 2012 die Höchststrafe für schwere Kartellver-

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Die Monopolkommission spricht sich für eine Ausgestaltung des Tatbestandes als Offizialdelikt aus, doch könnte nach ihrer Ansicht bei verfahrenstechnischen Schwierigkeiten hinsichtlich der Zusammenarbeit von Kartellbehörden und Staatsanwaltschaften die Verfolgung alternativ auch von einer Bejahung des öffentlichen Interesses oder einem Antrag etwa von Schadenersatzberechtigten (§  77 StGB) abhängig gemacht werden.61 Die Ausgestaltung als Offizialdelikt verdient jedoch den Vorzug. Die Verfolgung von der Feststellung eines öffentlichen Interesses oder einem Antrag eines Schadensberechtigten abhängig zu machen würde den Rang des Rechtsguts Wettbewerb wieder in Frage stellen bzw. den Interessen Privater einen in diesem Zusammenhang unangemessenen Einfluss einräumen. Die Frage, wie sich die Reibungsverluste bei einer Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße möglichst gering gehalten oder womöglich ausgeschlossen werden könnten, lässt sich im Rahmen dieser Anmerkungen nicht im Detail untersuchen. Die Monopolkommission hat hierzu eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die ihrerseits zwar auch noch zu präzisieren und zu ergänzen wären, aber doch erkennen lassen, dass es keineswegs an Möglichkeiten fehlt, die Übergangsphase reibungsarm und kurz zu halten. Erforderlich sind in diesem Zusammenhang vor allem Verfahrensregelungen für die Zusammenarbeit zwischen Kartellbehörden und Staatsanwaltschaften. Den Bedenken der Kriminalisierungsgegner hinsichtlich der Kompetenz und der Motivation der Staatsanwaltschaften ist vorab entgegenzuhalten, dass die Erweiterung der Strafbarkeit von Kartellverstößen zu einem entsprechend verstärkten Interesse und zu entsprechenden Kompetenz- und Kapazitätserweiterungen bei der Staatsanwaltschaft führen dürfte.62 Der Umstand, dass Österreich und die Niederlande ihre zunächst eingeführten Kriminalstrafdrohungen für schwere Kartellverstöße auch mit der Begründung mangelnder kartellrechtlicher Expertise der Staatsanwaltschaften wieder abschafften,63 spricht nicht dafür, dass sich Deutschland gerade an diesen Beispielen orientieren sollte. In beiden Ländern, die wie Deutschland dem Rechtsgut Wettbewerb als dem Motor ihrer Marktwirtschaft einen höchsten Rang zusprechen, klafft nach der Abschaffung wieder die strukturelle Sanktionslücke, die mit der Kriminalisierung geschlossen werden sollte. In Deutschland erlaubt das rechtliche Umfeld eine erfolgversprechende Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Kartellbehörden und Staatsanwaltschaften. Eine Orientierung an den Regeln für die Steuerstrafverfolgung bietet sich an.64 Die erforderliche Flexibilität der Verfolgungsbehörden ließe sich auch im Rahmen des Legalitätsprinzips über die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung erreichen. Eine dauernde Überforderung der Strafgerichtsbarkeit durch Kartellverfahren ist nicht zu erwarten. Die auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Kamstöße von fünf auf zehn Jahre, vgl. oben Fn. 6 und 10. Die Kartellgesetze Chiles und der Republik Südafrika sehen ebenfalls Höchststrafen von 10 Jahren vor, vgl. oben II. 61 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 204. 62 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 173. 63 Vgl. oben II. und Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 211. 64 Hierzu und zum Folgenden Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz.  209, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 190 f.

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mern bewältigten auch in anderen Bereichen höchst komplexe Fälle erfolgreich.65 Eine strafrechtliche Verfolgung natürlicher Personen würde zwar einen höheren zeitlichen und materiellen Aufwand erfordern und die Beteiligten stärker belasten, doch wären diese Folgen im Interesse einer stärkeren Abschreckungswirkung in Kauf zu nehmen. Die Bereitschaft der Unternehmen, von den Möglichkeiten der Bonusregelung oder eines Settlementverfahrens Gebrauch zu machen, könnte im Einzelfall zwar sinken, wenn sich dadurch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Strafverfolgung natürlicher Personen erhöhen würde.66 Wie hoch diese Risiken eingeschätzt werden müssen, ist unklar und dürfte nicht zuletzt auch von den Umständen des Einzelfalls abhängen.67 Abgesehen davon, dass Maßnahmen wie die Einführung einer speziellen strafrechtlichen Kronzeugenregelung68 zur Risikosenkung denkbar sind,69 dürften diese Risiken bei der Abwägung mit einer deutlich erhöhten Präventionswirkung aber nicht den Ausschlag geben. Sowohl in Bezug auf die Bonusregelung wie auf das Settlementverfahren betonen die Gegner einer Kriminalisierung deren hohen Wert für eine effiziente Fallerledigung, ohne deren negative Aspekte, die bei der Abwägung berücksichtigt werden müssten, hinreichend zu würdigen. So ist bei der Bonusregelung anzumerken, dass diese zahlreiche Fragen hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen auf Dritte aufwirft. Die weltweit zum Dogma erhobene Überzeugung, leniency policies seien unverzichtbare und überwältigend erfolgreiche Instrumente der Verfolgung illegaler Kartelle,70 zeigt zunehmend Risse. Beim Settlementverfahren ist zu bedenken, dass dieses mittlerweile weitgehend zu einem im Interesse der Allgemeinheit kaum wünschenswerten Ausschluss einer gerichtlichen Kontrolle von kartellbehördlichen Entscheidungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt hat.71 Schützen ließe sich die Bonusregelung des Bundeskartellamtes im Übrigen entsprechend den Empfehlungen der Monopolkommission, sich an den Regelungen der § 371 AO, §§ 261 Abs. 9, 266a Abs. 6 Satz 2, 298 Abs. 3 StGB zu orientieren72 und eine strafbefreiende Wirkung der Kooperation von Kartellbeteiligten zumindest dann eintreten zu lassen, wenn die Voraussetzungen der kartellbehördlichen Bonusregelung für einen Erlass der Geldbuße erfüllt sind.73 In Bezug auf Settlementverfahren gibt die 65 Wagner-von Papp, Zur Kriminalisierung von Kartellen, WuW 2010, 268 ff., 279 f.; Hanke, Haftung bei überlangen Kartellbußgeldverfahren, 2017, S. 156. 66 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 185 f. 67 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 186. 68 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 176-181. 69 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 187. 70 Frédéric Jenny in Anti-Cartel Enforcement in a Contemporary Age – Leniency Religion, 2015, Foreword S.  V. Das Werk enthält zahlreiche sich überwiegend ausgewogen, wenn auch kritisch mit den verschiedenen Aspekten von Leniency Programmen auseinandersetzende Beiträge. 71 Vgl. Stockmann, Zur neueren Bußgeldpraxis bei Kartellverstößen, ZWeR 2012, 20, 40 ff. 72 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 177 ff. Vgl. hierzu auch Hanke, Haftung bei überlangen Kartellbußgeldverfahren, 2017, S. 108 ff. 73 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 210. In Fällen, in denen nach der Bonusregelung des Bundeskartellamtes nur eine Bußgeldreduktion in Betracht kommt,

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Monopolkommission zu Recht zu bedenken, dass diese nicht der Aufdeckung von Kartellverstößen, sondern einer Entlastung der Kartellbehörde im laufenden Verfahren dienen und eine Strafmilderung deshalb nicht zwingend sei.74

VI. Fazit Angesichts der Diskrepanz zwischen der Bewertung des Rechtsguts Wettbewerb als Institution und dem ihm nach dem geltenden Recht nur unzureichend gewährten Schutz sind die zu erwartenden, überwiegend vorübergehenden Reibungsverluste bei der Umstellung auf ein durch Straftatbestände für schwerwiegende Kartellverstöße natürlicher Personen ergänztes Sanktionssystem hinzunehmen. Bleibt es bei dem geltenden Sanktionsrahmen, dann weitet sich die bestehende wettbewerbspolitische Glaubwürdigkeitslücke weiter aus. Es ist der Öffentlichkeit nicht zuzumuten, einerseits ständig vom außerordentlichen hohen Rang des Rechtsguts Wettbewerb zu hören, dessen Gefährdung andererseits aber nur durch von keinem ethischen Vorwurf begleitende Geldbußen geahndet und die persönlich handelnden Täter nur einem nicht sehr beeindruckenden Sanktionsrisiko („deutsche“ Kartellfälle) bzw. praktisch keinem solchen („europäische“ Kartellfälle) ausgesetzt zu sehen. Käme es zu einer Kriminalisierung von Kartellverstößen natürlicher Personen, dann würde eine vorherige, den Thesen des Zwischenberichts des Bundeskartellamtes75 entsprechende und insgesamt wünschenswerte Novellierung des Kartellverfahrens diese in mancher Hinsicht erleichtern. Das Risiko, dass bei einer Kriminalisierung die Unternehmen weniger von den Möglichkeiten eines Bonusverfahrens oder eines Settle­ mentverfahrens Gebrauch machen, läge beim reformierten Regelverfahren nicht über dem, das bei einer Kriminalisierung ohne die im Zwischenbericht vorgeschlagenen Reformen zu erwarten wäre. Das bedeutet allerdings auch, dass die Marginalisierung des Regelverfahrens gegenüber diesen in der Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes weit häufiger eingesetzten besonderen Formen der Fallerledigung mit ihren Nachteilen fortbestehen würde. Insbesondere würde der Öffentlichkeit bei der Fallerledigung im Settlementverfahren weiter nicht hinreichend erkennbar werden, wie massive würde eine automatische strafbefreiende Wirkung nach Meinung der Monopolkommission zu weit gehen und die schon bestehenden einzelfallbezogenen Regelungen der § 46b StGB, §§ 153 ff. StPO ausreichen. 74 Monopolkommission, Sondergutachten 72 (2015), Tz. 211. Für den Fall, dass sie dennoch in Betracht gezogen wird, schlägt die Monopolkommission die folgende weitere Ergänzung der in Tz. 204 und 207 empfohlenen Strafvorschriften vor: Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden, wenn das Unternehmen, dem der Täter im Zeitpunkt des Verstoßes gegen Art. 101 AEUV oder § 1 GWB angehörte, eine Reduktion der nach § 81 GWB festgesetzten Geldbuße aufgrund der Teilnahme an einem Kartellvergleichsverfahren erhalten hat. 75 Vgl. hierzu und zum Folgenden „Zwischenbericht des Bundeskartellamtes zum Expertenkreis Kartellsanktionsrecht, Reformimpulse für das Kartellbußgeldverfahren“, NZKart 2015, 2 ff., sowie Stockmann, Stellungnahme zum Zwischenbericht des Bundeskartellamtes zum Expertenkreis Kartellsanktionsrecht, ZWeR 2015, 189 ff.

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staatliche Sanktionen von schwerwiegendem Wirtschaftsunrecht zustande kommen, so dass sie sich selbst ein Urteil über deren Angemessenheit bilden könnte. Sollten bei einer Kriminalisierung die Staatsanwaltschaften unverkürzt zuständig bleiben, dann könnten sich die Kartellbehörden ganz auf die von ihnen ohnehin präferierte Verfolgung von Unternehmen konzentrieren. Sollten sie nach dem Vorbild der AO selbst mit Kompetenzen der Strafverfolgung ausgestattet werden, dann müssten ihnen die dafür erforderlichen zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.76 Angesichts der bisherigen Bußgeldpraxis und der geschätzten durch schwere Kartellverstöße verursachten Schäden dürften die hierbei zu erwartenden Kosten kein ernsthaftes Hindernis darstellen. Ungeachtet der sich belebenden Debatte über die Kriminalisierung schwerer Kartellverstöße dürften die Aussichten auf eine schnelle Änderung begrenzt sein. Die Kartellbehörden und zuständigen Ministerien sind, vor allem auf Bundesebene, zufrieden mit der aktuellen Lage. Die Kartellbehörden können auf hohe Fallzahlen und hohe Bußgeldeinnahmen verweisen, beides Faktoren, die sie sich als Erfolg zurechnen und die von den zuständigen Ministerien als solcher bewertet werden. Eine Debatte darüber, was als „Erfolg“ beim Schutz des Wettbewerbs anzusehen ist und über die für diese Erfolge mit welchen Folgen und Nebenfolgen eingesetzten Instrumente der Bonusregelung und des Settlementverfahrens, die die Rolle der Gerichte und den Einblick der Öffentlichkeit stark einschränken, spielt zurzeit kaum eine Rolle. Demgegenüber werden die sicher zu erwartenden und auch mit flankierenden Maßnahmen nur zu begrenzenden, aber kaum auszuschließenden Reibungsverluste bei einer Teilkriminalisierung des Kartellrechts deutlich dargestellt. Das bedeutet, dass die unmittelbar an der Durchsetzung des Kartellrechts nach den geltenden Regeln Beteiligten nach ihrer eigenen Einschätzung der Lage kaum etwas zu gewinnen, wohl aber einiges zu verlieren haben. Die möglichen Gewinner einer Teilkriminalisierung, also vor allem die Allgemeinheit und die Opfer schwerer Kartellverstöße, haben ihr Inte­ resse an einer Änderung bislang nur unzureichend erkannt und bekundet. Es bleibt abzuwarten, ob das Staunen über die Kluft zwischen dem Rang des in Frage stehenden Rechtsguts und seinem ihm aktuell gewährten Schutz und die Initiative der Monopolkommission daran etwas zu ändern vermag.

76 Monopolkommission, Hauptgutachten XX (2012/2013), Tz. 172. Hanke, Haftung bei überlangen Kartellbußgeldverfahren, 2017, S. 156 f.

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A Single Interpretation Of The “Single Concentration” Concept I. The “Single Concentration” Concept II. Marine Harvest: Not The Regular ­Approach III. Rethinking The Application Of The “Single Concentration” Concept

1. A Link Between Transactions Is Not ­Broken By Control 2. Over-Complication Of The Merger ­Regulation 3. Balancing Antitrust And Takeover Aims IV. Conclusion

Recital 20 of Council Regulation (EC) No. 139/2004 (the “Merger Regulation”) provides for the concept of a “single concentration”, according to which, closely connected transactions should be treated as one. This concept has primarily been applied to bring within the Commission’s jurisdiction initial share acquisitions which, taken on their own, would not be subject to review under the Merger Regulation. The European Courts have approved such application of the “single concentration” concept. Recently, however, in Marine Harvest v Commission, the General Court upheld the Commission’s refusal to apply the “single concentration” concept to treat an initial share acquisition that conferred de facto control and an ensuing mandatory public bid as one under the Merger Regulation.2 According to the Commission, the “single concentration” concept is not intended to apply in situations where control has been acquired in the first one of several transactions.3 This carve out to the “single concentration” concept was pertinent in Marine Harvest because the parties had not notified the Commission until after the implementation of both the private share acquisition and public bid under the  belief that the transactions together constituted a public bid that could benefit from the public bid exception in Article 7(2) of the Merger Regulation (“Article 7(2)”). As a result, the Commission imposed fines on Marine Harvest under Article 14(2) of the Merger Regulation totalling €20 million. While the General Court’s judgment is currently in the process of being appealed to the European Court of Justice on the basis, inter alia, that the General Court erred in law in the interpretation of the “single concentration” concept, the Commission and General Court’s shared interpretation gives rise to important questions about the 1 I am grateful for the support of Clare Kelly, without whom this article would not have been possible. 2 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753. 3 Case COMP/M.7184 Marine Harvest/Morpol (Art. 14(2) proc.), Commission decision of July 23, 2014.

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proper application of the concept. Chief among them is whether the “single concentration” concept should apply to all transactions that are sufficiently connected, or rather only to transactions that are sufficiently connected and where control is not acquired through the first one of the transactions. Nothing in the Merger Regulation itself nor any wider considerations of public policy call for limiting the application of the “single concentration” concept in such a manner. To the contrary, both the Merger Regulation and public policy considerations dictate that the concept is applied so that all transactions that are sufficiently connected are treated as “single concentrations”. Section I below provides a summary of the “single concentration” concept and the way that it has been applied by the Commission and courts to date. Section II sets out the factual background in Marine Harvest and the manner in which the “single concentration” concept was addressed in that case. Section III explains why the approach adopted in Marine Harvest fits neither with the wording nor rationale of the Merger Regulation, nor with wider public policy considerations. First, the Commission and General Court both failed to give due account to the wording of Recital 20 of the Merger Regulation (“Recital 20”) in the interpretation of the “single concentration” concept which clearly evinces the legislature’s intent that transactions that are closely connected should be treated as a “single concentration”. Additionally, the interpretation of the “single concentration” concept in Marine Harvest is inconsistent with the application of the concept in previous cases. Secondly, the refusal to apply the “single concentration” concept in situations where control happens to be acquired in the first of multiple connected transactions unnecessarily complicates the application of the Merger Regulation and also makes the substantive assessment of a concentration less effective. Thirdly, limiting the scope of application of the “single concentration” concept upsets the legislature’s well-crafted balance between antitrust and takeover aims. Section IV concludes.

I. The “Single Concentration” Concept Recital 20 provides that it is: “appropriate to treat as a single concentration transactions that are closely connected in that they are linked by condition or take the form of a series of transactions in securities taking place within a reasonably short period of time”. According to the Commission’s Consolidated Jurisdictional Notice, two or several transactions constitute a single concentration where they are linked de jure or de facto. Transactions are linked de jure where the agreements themselves are linked by “mutual conditionality”.4 De facto, conditionality is established through an “economic 4 Commission Consolidated Jurisdictional Notice under Council Regulation (EC) No 139/​ 2004 on the control of concentrations between undertakings (2008/C 95/01), para. 43 (“Consolidated Jurisdictional Notice”). See also, Case COMP/M.3188 ADM/VDBO, Commission decision of July 31, 2003, paras. 5–6.

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assessment” of whether the undertakings would have been inclined to conclude each transaction in isolation, or whether each transaction constitutes only an element of a more complex operation, without which they would not have concluded the entire operation.5 The Commission has determined that two transactions are linked and constituted a single concentration inter alia if (i) the parties’ documents made the  realization of the  second transaction conditional on completion of the first transaction; (ii) they were negotiated simultaneously by the parties; (iii) both steps had the same economic objective; and (iv) the parties regarded the transactions as interdependent and intended to execute them as quickly as possible.6 In Ryanair/Aer Lingus, the Commission applied the “single concentration” concept to treat an acquisition of shares before a public bid and the public bid itself as a single concentration.7 In that case, Ryanair purchased approximately 19 % of shares of Aer Lingus and subsequently initiated a public bid. The acquisition of 19 % of the shares in Aer Lingus was not sufficient to confer control. The Commission viewed both transactions as forming a single concentration, concluding that “[a]s Ryanair acquired the first 10 % of the share capital of Aer Lingus within a period of less than 10 days before launching the public bid, and the further 6% shortly thereafter, and in view of Ryanair’s explanations of the economic purpose it pursued at the time it concluded the transactions, the entire operation comprising the acquisition of shares before and during the public bid period as well as the public bid itself is considered to constitute a single concentration”.8 The General Court upheld the Commission’s decision to treat the totality of transactions as a single concentration.9 In Cementbouw v Commission, the General Court echoed this approach, holding that several legally distinct transactions are of “unitary nature”, and therefore constitute a  single concentration under the Merger Regulation, if “those transactions are interdependent in such a way that one transaction would not have been carried out without the other.”10 The relevant legal standard, according to the Court, focuses on “the economic reality underlying the transactions, the economic aim pursued by the parties by examining, when faced with a number of legally distinct transactions, whether the undertakings concerned would have been inclined to conclude each transaction taken in isolation or whether, on the contrary, each transaction constitutes only an 5 Consolidated Jurisdictional Notice, para. 43. See also COMP/M.4439 Ryanair/Aer Lingus, Commission decision of June 27, 2007, para. 12. 6 Case COMP/M.6263 Aelia/Aéroports de Paris/JV, Commission decision of October 20, 2011, paras. 10–12. See also Case COMP/M.6403 Volkswagen/KPI Polska/Skoda Auto ­Polska/VW Bank Polska/VW Leasing Polska, Commission decision of December 19, 2011, paras. 11–13. 7 COMP/M.4439 Ryanair/Aer Lingus, Commission decision of June 27, 2007. 8 COMP/M.4439 Ryanair/Aer Lingus, Commission decision of June 27, 2007, para. 12. 9 Case T-411/07 Aer Lingus Group plc v Commission, EU:T:2010:281, para. 79:  “[t]he ­Commission considered, during the examination procedure, that the shareholding acquired by Ryanair on the market just before and during the public bid – which, in its words, constituted a ‘single concentration’– should be regarded as falling within the scope of that bid.” 10 Case T-282/02 Cementbouw Handel & Industrie v Commission, EU:T:2006:64, para. 107.

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element of a more complex operation, without which it would not have been concluded by the parties.”11 The Consolidated Jurisdictional Notice recognizes that the criteria laid down in Cementbouw reflect “[the] general approach […] that under the Merger Regulation transactions which stand or fall together according to the economic objectives pursued by the parties should also be analysed in one procedure. […] On the other hand, if different transactions are not interdependent and if the parties would proceed with one of the transactions if the other ones would not succeed, it seems appropriate to assess these transactions individually under the Merger Regulation”.12 Despite this apparently clear legal framework, both the Commission and General Court departed from this purported “general approach” in Marine Harvest.

II. Marine Harvest: Not The Regular Approach Marine Harvest acquired all of the shares in Morpol through multiple transactions over the course of 11 months. In the first of these transactions, Marine Harvest acquired 48.5 % of the shares in Morpol by entering into a share purchase agreement (“SPA”) with two private limited companies for the shares that they held in Morpol (“the December 2012 Acquisition”). These two companies were both owned by the founder and former CEO of Morpol. Pursuant to the Norwegian Securities Trading Act this initial acquisition of 48.5 % mandated Marine Harvest to launch a public bid for the outstanding shares in Morpol, which it did; three days after the signing of the SPA and one day before the closing of the SPA, Marine Harvest issued a public announcement on the Oslo Stock Exchange of its intention to submit a public offer for the remaining shares in Morpol.13 Just under one month later, Marine Harvest submitted the mandatory public offer for the remaining shares in Morpol. Through the public bid and some further acquisitions, Marine Harvest ultimately acquired all outstanding shares in Morpol. According to Marine Harvest, the acquisition of 100 % of the shares in Morpol was its intention from the outset.14 Marine Harvest had received legal advice to the effect that, because the transactions constituted a “single concentration”, its acquisition of Morpol came within the public bid exception contained in Article 7(2) so that it could close the acquisition of the 48.5  % shareholding, which would trigger a mandatory public bid under the Norwegian Securities Trading Act, provided that Marine Harvest would not exercise

11 Case T-282/02 Cementbouw Handel & Industrie v Commission, EU:T:2006:64, para. 106. 12 Consolidated Jurisdictional Notice, para. 40. 13 The Norwegian Securities Trading Act provides that a company that becomes the owner of more than one third of the voting rights in a publicly traded company must launch without delay a public bid for the remaining shares in that company. 14 GC, para. 115.

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voting rights prior to merger clearance.15 Marine Harvest complied with this advice. Marine Harvest had submitted a case team allocation request shortly after its public announcement on the Oslo Stock Exchange, which was also after the implementation of the SPA. In its clearance decision, which was subject to certain commitments to eliminate concerns that the Commission had identified, the Commission concluded that the December 2012 Acquisition had already conferred upon the applicant de facto sole control over Morpol, and that infringements of the notification requirement in Article 4(1) of the Regulation and the standstill obligation in Article 7(1) of the Regulation could not be excluded.16 The Commission found that, because the December 2012 Acquisition conferred de facto control on Marine Harvest, the transactions could not constitute a “single concentration”. In a separate decision, the Commission ultimately found that, since the transactions did not constitute a “single concentration”, the public bid exception of Article 7(2) did not apply. The Commission therefore found that Marine Harvest had infringed Article 4(1) because it had implemented a concentration prior to notification and had also infringed Article 7(1) because it had implemented a concentration prior to clearance. The Commission imposed two fines for this €10 million once on the basis of Article 14(2)(a) EUMR for implementing the concentration prior to notification and €10 million a second time on the basis of Article 14(2)(b) EUMR for implementing the concentration prior to clearance. According to the Commission, “the application of Article 7(2) of the Merger Regulation to the December 2012 Acquisition is excluded by […] the wording […] of this provision”.17 The Commission further explained that this was because “Article 7(2) applies only to public bids or series of transactions in securities including those convertible into other securities admitted to trading on a market such as a stock exchange, by which control within the meaning of Article 3 is acquired from various sellers [while] in this case it is not contested that control has been acquired from one seller, by means of the December 2012 Acquisition” (emphasis added).18 It concluded that the principle that interrelated transactions form a single concentration does not apply for the purposes of Article 7(2) where a purchaser has already acquired de facto control over the target with the 15 Article 7(2) of the Merger Regulation provides: Paragraph 1 shall not prevent the implementation of a public bid or of a series of transactions in securities including those convertible into other securities admitted to trading on a market such as a stock exchange, by which control within the meaning of Article 3 is acquired from various sellers, provided that: (a) the concentration is notified to the Commission pursuant to Article 4 without delay; and (b) the acquirer does not exercise the voting rights attached to the securities in question or does so only to maintain the full value of its investments based on a derogation granted by the Commission under paragraph 3. 16 Case COMP/M.6850 Marine Harvest/Morpol, Commission decision of September 30, 2013. 17 Case COMP/M.7184 Marine Harvest/Morpol (Art. 14(2) proc.), Commission decision of July 23, 2014, para. 104. 18 Case COMP/M.7184 Marine Harvest/Morpol (Art. 14(2) proc.), Commission decision of July 23, 2014, para. 101.

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first of several interrelated steps, explaining that the concept of a “single concentration” “mainly address[es] the situation where one purchaser acquires control of a single business or undertaking via several legal transactions of different companies or assets of these companies and the assets form a single economic entity, or when several acquisitions of control over different targets can be considered as one single concentration because these transactions fulfil the same economic purpose”.19 The General Court similarly concluded that the transactions did not constitute a  “single concentration”. Although the Judgment contains a lengthy assessment (~100  paragraphs) of the “single concentration” concept, before providing that assessment, the General Court held that the Commission correctly found that the December 2012 Acquisition conferred control on Marine Harvest, that this transaction constituted a concentration in its own right, and therefore, Marine Harvest “would, in principle, have been obliged […] to notify that concentration to the Commission before implementing it, and not to implement it until it had been declared compatible with the internal market by the Commission”.20 Only after having set out that position did the General Court assess the applicability of the “single concentration” concept to the transactions. In a short three-paragraph discussion, the General Court dismissed Recital 20 as a basis for interpreting the EU legislator’s intent to treat as a “single concentration” all transactions that “are linked by a condition.” In particular, the Judgment concludes that “the single, very short, sentence […] is not an exhaustive definition of the circumstances in which two transactions constitute a single concentration,” because “the effect of that would be that any transactions which are linked by condition […] should be treated as a single concentration, even if those transactions, taken as a whole, are not sufficient to transfer control of the target undertaking, which would make no sense.”21 The General Court ultimately found that, because the December 2012 acquisition conferred control on Marine Harvest, it was “not necessary, therefore, to examine the parties’ arguments” that there existed a conditionality between the December 2012 Acquisition and the Public Offer.22

III. Rethinking The Application Of The “Single Concentration” Concept The Commission and the General Court adopted a misconceived interpretation of the “single concentration” concept. In dismissing its application, both the Commission and the General Court failed to recognize that whether several transactions can be treated as a single concentration does not depend on precisely when, or through which one of several transactions, control is acquired. The determinative issue, as stated unequivocally in Recital 20, is whether those transactions are “linked by a 19 Case COMP/M.7184 Marine Harvest/Morpol (Art. 14(2) proc.), Commission decision of July 23, 2014, paras. 114-5. 20 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, paras. 46–64. 21 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, paras. 150–1. 22 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, para. 230.

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condition”. Any other interpretation risks complicating the application of the Merger Regulation, adversely affecting both undertakings in their implementation of concentrations and the Commission in its substantive assessment of concentrations. Moreover, excluding certain transaction structures, upsets the balance between the competing aims of antitrust and facilitating takeovers. These problems are evident in Marine Harvest itself where the application of Article 7(2) was refused, despite the parties’ belief that they could benefit from that exception. 1. A Link Between Transactions Is Not Broken By Control Both the Commission and the General Court dismissed Recital 20 as a basis for interpreting the EU legislator’s intent to treat as a “single concentration” all transactions that “are linked by a condition.” The General Court did so on the basis that Recital 20 is a “single, very short, sentence.”23 This reasoning is inconsistent with general principles of legislative interpretation. It is well-settled that recitals of the Merger Regulation show the legislator’s intent.24 Indeed, the Court of Justice has relied on recitals to interpret the legislature’s intent in

23 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, para. 150. 24 See Case C 248/16, Austria Asphalt GmbH & Co OG v Bundeskartellanwalt, ECLI:​ EU:C:2017:643, para. 21 (“As regards the objectives pursued by Regulation No 139/2004, it appears from recitals 5 and 6 thereof that the regulation seeks to ensure that the process of reorganisation of undertakings does not result in lasting damage to competition. According to those recitals, EU law must therefore include provisions governing those concentrations that may significantly impede effective competition in the internal market or in a substantial part of it and permitting effective control of all concentrations in terms of their effect on the structure of competition in the European Union. Accordingly, that regulation should apply to significant structural changes the impact of which on the market goes beyond the national borders of any one Member  State.”); Case C-170/02 P, Schlüsselverlag J.S.  Moser GmbH v Commission EU:C:2003:501, paras. 32–34 (“The 29th recital in its preamble provides that “concentrations not covered by this Regulation come, in principle, within the jurisdiction of the Member States”. Conversely, the Commission has sole jurisdiction to take all the decisions relating to  concentrations with a Community dimension”); Cases 68/94 and C 30/95, France and Others v Commission, EU:C:1998:148, paras. 168–170 (“Since the textual and historical interpretations of the Regulation, and in particular Article 2 thereof, do not permit its precise scope to be assessed as regards the type of dominant position concerned, the provision in question must be interpreted by reference to its purpose and general structure (see, to that effect, Case 11/76Netherlands v Commission [1979] ECR 245, paragraph 6). As may be seen from the first and second recitals in its preamble, the Regulation is founded on the premise that the objective of instituting a system to ensure that competition in the common market is not distorted is essential for the achievement of the internal market by 1992 and for its future development. It follows from the sixth, seventh, tenth and eleventh recitals in the preamble that the Regulation, unlike Articles 85 and 86 of the Treaty, is intended to apply to all concentrations with a Community dimension in so far as they are likely, because of their effect on the structure of competition within the Community, to prove incompatible with the system of undistorted competition envisaged by the Treaty.”).

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respect of a variety of other EU regulations.25 It should be irrelevant that Recital 20 is a “single, very short, sentence”. It is the legislator’s prerogative to use the preamble to express its intent. This cannot be called into question merely because the wording is concise. Nor should the relevance of Recital 20 be dismissed on the basis that it is not a rule itself and it is not legally binding. Recital 20 is an interpretative basis for the application of the articles of the Merger Regulation – this is the essence of recitals’ purpose. The General Court justified its dismissal of the idea that Recital 20 should apply to all transactions that are linked by condition on the basis that otherwise “the effect of that would be that any transactions which are linked by condition […] should be treated as a single concentration, even if those transactions, taken as a whole, are not sufficient to transfer control of the target undertaking, which would make no sense”.26 This is not correct. Two elements are required to establish a “single concentration”: (i) transactions being linked by condition and (ii) acquisition of control. The point that the General Court appears to miss is that the order in which those two elements are assessed is of upmost importance in determining whether a “single concentration” exists. The General Court’s error lies in assessing the existence of control, which, as explained above, it did in its “preliminary observations”, prior to assessing the existence of a link between the transactions. This interpretation is supported by national laws, which also reflect the principle that a private acquisition of a controlling shareholding followed by a public bid for the remaining shares must be treated as a single concentration. The French merger control authorities have commented on: “the acquisition […], pursuant to a private agreement, of a so-called ‘controlling’ stake leading to an obligation to make a public takeover bid for the remaining shares. These two events are two steps in a same operation subject to 25 See e.g., Case C-435/06, C, EU:C:2007:714, para. 52: “That interpretation is, moreover, supported by Recital 10 in the preamble to Regulation No 2201/2003, according to which that regulation is not intended to apply ‘to matters relating to social security, public measures of a general nature in matters of education or health ...’ Those exceptions confirm that the Community legislature did not intend to exclude all measures falling under public law from the scope of the regulation.”; Case C-244/95, P. Moskof AE v Ethnikos Organismos Kapnou, EU:C:1997:551, paras. 78, 86: “According to the first recital in the preamble to Regulation No 3813/92, the new agrimonetary rules were intended to make agrimonetary arrangements compatible with the completion of the internal market provided for by Article 8a of the Treaty. […] The first point to be made in that respect is that the regulation at issue implements Regulation No 3813/92, the main purpose of which, according to the second and third recitals in the preamble, is to make it possible to use the ecu to fix and express the prices or amounts established in the context of the common agricultural policy by determining the conditions for payment of those prices or amounts in national currency.”; Case C-173/99, The Queen v Secretary of State for Trade and Industry, EU:C:2001:356, para. 37: “As regards, first, the purpose of Directive 93/104, it is clear both from Article 118a of the Treaty, which is its legal basis, and from the first, fourth, seventh and eighth recitals in its preamble as well as the wording of Article 1(1) itself, that its purpose is to lay down minimum requirements intended to improve the living and working conditions of workers through approximation of national provisions concerning, in particular, the duration of working time.” 26 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, para. 151.

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merger control, whose inseparable nature derives from the provisions of the above stock exchange regulation. The triggering event for merger control therefore consists in the two steps taken together, which, by the way, occur in quick succession […] It is thus obvious that the suspension of the effective implementation of the concentration with the meaning of Article 6 above then applies both to the rights deriving from the shares acquired pursuant to the private agreement and from the shares subject to the public takeover bid”27 (emphasis added). This interpretation of the “single concentration” concept is also at odds with its application in previous cases. Had the reasoning in the Decision and Judgment been applied to Ryanair/Aer Lingus, it would have disregarded Ryanair’s purchases of shares via a private agreement prior to the launch of a public bid, particularly given that such private purchases did not result in the acquisition of control over the target. The Commission would also have considered solely the public offer launched by Ryanair, since control was acquired only through this public offer. However, the Commission focused on the transactions’ economic aim and economic reality, considering that they formed a “single concentration.”28 Marine Harvest’s rejection that legally distinct operations can constitute one operation because control happened to be acquired before the public bid therefore overlooks the key principle under EU law that one and the same concept must be interpreted uniformly in whichever context it appears.29 There is no basis on which to deny the application of the single concentration concept in the context of Article 7(2). 2. Over-Complication Of The Merger Regulation The refusal to apply the “single concentration” concept in certain situations has consequences for the application of all provisions of the Merger Regulation. That the Commission concluded in Marine Harvest that the parties could not benefit from the Article 7(2) exception to the standstill obligation highlights a number of these potential problems. According to the Commission, Article 7(2) did not apply because it “is not intended to apply to situations where it is straightforward to establish” de facto control.30 The 27 See C2002-39 / Lettre du ministre de l’économie, des finances et de l’industrie en date du 18  novembre 2002, au conseil de la société Atria Capital Partenaires, relative à une concentration dans le secteur de la coiffure à domicile (translated from French). See also French Competition Authority, 2013 Merger Control Guidelines, para. 132; and French Competition Authority, 2009 Merger Control Guidelines, para. 113. 28 See also Green Paper on the review of Council regulation (EEC) No. 4064/89, December 11, 2001, para. 134. 29 See, e.g., Case C-135/13 Szatmári Malom Kft. v Mezogazdasági és Vidékfejlesztési Hivatal Központi Szerve, EU:C:2014:327, para. 29; Case C-327/82 Ekro, EU:C:1984:11, para. 11; Case C-287/98 Linster, EU:C:2000:468, para. 43, and Case C-357/98 Yiadom, EU:C:2000:604, para. 26. 30 Case COMP/M.7184 Marine Harvest/Morpol (Art. 14(2) proc.), Commission decision of July 23, 2014, para. 103.

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General Court opined that the Commission did not solely rely on the fact that it was straightforward to establish control in refusing to apply Article 7(2), but “also relied on the fact that the procurement of a significant block of shares conferring de facto sole control of the target company had been carried out from just one seller”.31 Even if that is so, both reasons stem from the purported simplicity of the case at hand. But the line between cases like Marine Harvest and “harder” cases that might arise is necessarily unclear. For example, in some cases acquiring 24 % of the shares in a company will be sufficient to confer de facto control, but in most cases it will not be.32 Based on the Commission’s previous decisional practice, the distinction would also appear only to apply to the acquisition of de facto sole control, but not de facto joint control. In RAG/Degussa the Commission treated two separate steps that led to the acquisition of sole control as a “single concentration” “although effectuated in two separate steps, with a starting up period of joint control.”33 There is no discernible reason why several transactions can be treated as a “single concentration” where de facto joint control is acquired through the first one of those transactions, but not where de facto sole control is acquired though the first one of those transactions. The Decision’s reasoning in Marine Harvest also ignores Article 7(2)’s true rationale that the Commission itself explicitly articulated when proposing an expansion of its scope in 2003, namely that “[i]n line with what had been proposed in the Green Paper, it is proposed to enlarge the scope of application of the automatic derogation in Article 7(2) (ex-Article 7(3)) beyond public bids, so as to cover all acquisitions made from various sellers through the stock market, e.g. the so called creeping takeovers, and thereby remove any legal uncertainty caused by Article 7(1) in relation to such acquisitions”34 (emphasis added). In its proposal to expand the application of the exemption contained in Article 7(2) to creeping takeovers, the Commission’s Green Paper explained that “[c]reeping takeovers via stock exchange is another example of multiple transaction concentrations. Such transactions can be implemented in a number of more or less sophisticated ways, ranging from relatively straightforward direct share purchases from a number of previous shareholders to transaction structures that involve any number of financial intermediaries using a variety of financial instruments”35 (emphasis added). The Commission recognized that a publicly traded company may also be acquired via straightforward direct share purchases, but nonetheless proposed that such transactions benefit from the Article 7(2) derogation because “in such scenarios, it will normally be both impractical and artificial to consider the concentration as occurring via the acquisition of the particular share or block of shares that will put the acquirer in 31 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, para. 170. 32 Case COMP/M.5121 NewsCorp/Première, Commission decision of June 25, 2008. 33 Case COMP/M.2854 RAG/Degussa, Commission decision of November 18, 2002, para. 11. 34 Proposal for a Council Regulation on the control of concentrations between undertakings, January 28, 2003, para. 66. 35 Green Paper on the review of Council regulation (EEC) No. 4064/89, December 11, 2001, para. 134.

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a situation of (de facto) control over the target company. Instead, it will normally be clear from the viewpoint of all parties involved that a number of legally separate acquisitions of rights, from an economic viewpoint, form a unity, and that the intention is to acquire control over the target company.”36 The Commission’s Green Paper equally recognized a policy choice to provide market participants with a sufficient degree of legal certainty in the case of public bids or creeping takeovers in order to facilitate takeovers of public companies and to preserve the liquidity of stock markets.37 The Commission itself refrained from drawing a line between different transaction structures in the context of public bids or creeping takeovers, consistent with its proposal to extend the derogation of Article 7(2) to relatively straightforward direct share deals, which must therefore be interpreted in a manner consistent with the aim of providing a “sufficient degree of legal certainty in the case of public bids or creeping takeovers.”38 The General Court’s interpretation of the rationale of Article 7(2) in Marine Harvest is also incompatible with the General Court’s interpretation in Ryanair where it held: “The acquisition of a shareholding which does not, as such, confer control for the purposes of Article 3 of the merger regulation may fall within the scope of Article 7. The Commission’s approach must be understood as using the concept of ‘single concentration’ to limit the risk of finding itself in a situation in which a decision finding incompatibility would need to be supplemented by a decision to dissolve in order to put an end to control acquired even before the Commission has taken a decision on its effects on competition. When the Commission requested Ryanair not to exercise its voting rights, whereby it was also pointed out that those voting rights did not grant Ryanair control of Aer Lingus (see paragraph 14 above), it merely asked Ryanair to avoid putting itself in a situation in which it would be implementing a concentration liable to give rise to a measure adopted on the basis of Article 8(4) and (5) if found to be incompatible with the common market.”39 The General Court in Ryanair thus upheld the Commission’s approach of applying Article 7(2) to a purchase of a minority stake of 19% in Aer Lingus made prior to a launch of a public bid, which it considered to be unitary in nature and to constitute one single concentration, even though it was presumably straightforward to conclude that such minority stake did not confer control. In Orkla/Elkem, which also involved Norwegian takeover rules and a similar transaction structure as in Marine Harvest, the Commission recognized practical difficulties encountered by public bids that allegedly cannot benefit from the Article 7(2) exemption. The Commission accepted that a buyer acquiring a stake that triggers a mandatory public bid faces serious financial risks pending merger approval of that initial acquisition. The mandatory bid could be launched only after that 36 Ibid. 37 Decision, para. 102. 38 Decision, para. 102. 39 Case T-411/07, Aer Lingus Group plc v. Commission, EU:T:2010:281, para. 83.

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acquisition was closed following merger approval; in the interim period prior to launching the public bid, there was a significant risk that the remaining shareholders would manipulate the target’s share price to increase the mandatory offer price.40 The suspension obligation therefore “could seriously affect the financial interests of [the acquirer]” in such cases.41 This should also be viewed in the context of a typical duration of Phase II merger cases such as Marine Harvest. In the period of 2011–2016, the average time from a public announcement to Commission decision was 1 year.42 Given these difficulties, and the antitrust safeguards inherent in Article 7(2), there is no reason to refuse the application of Article 7(2) to any public bid. Moreover, the application of Article 7(3) of the Merger Regulation, used in Orkla/ Elkem, is not a practical solution. The granting of the Article 7(3) derogation requires the Commission to take into account “the threat to competition posed by the concentration.” The lack of prima facie competitive concerns in Orkla/Elkem facilitated an expedited granting of the derogation in that case. However, this will unlikely be the case with transactions that raise prima facie concerns or more complex transactions involving numerous products where the Commission will likely engage in a more protracted substantive review before concluding that the Article 7(3) derogation may be granted. In the context of an expedited tender, such as in the case at hand, such delays may effectively preclude a buyer in need of an EU merger approval from being selected in the first place. Moreover, buyers that fail to obtain the Article 7(3) derogation will be left with serious financial risks – a scenario for which there is no policy justification. The inherent uncertainty of the Article 7(3) regime alone speaks in favour of applying Article 7(2) to all public bids. In addition, the application of Article 7(2) to all public bids in fact facilitates merger control goals as well. In particular, it allows the Commission to take account of the ultimate size of the shareholding acquired by the purchaser in the context of a public bid or a creeping takeover. This is not relevant solely for the determination of “control.” It also has a significant impact on the substantive merger assessment of a particular transaction that may vary depending on whether a buyer acquires, e.g., 50 % or 100 % of the equity shares in the target. In fact, the Commission’s assessment of concentrations in many cases has turned on the size of the buyer’s equity stake in the target.

40 Orkla/Elkem Case COMP/M.3709, Commission Decision of January 20, 2005, para. 12: “It appears from the application that the suspension of the operation may have the effect on Orkla that, when complying to the applicable Norwegian securities legislation, Orkla would incur a considerable risk to have to make an offer for the outstanding shares in Elkem for a considerably higher price after the operation has been declared compatible with the common market than the price applicable if it were able to transfer the shares acquired through the operation to its VPS account and, thus, trigger the mandatory offer immediately.” 41 Orkla/Elkem Case COMP/M.3709, Commission Decision of January 20, 2005, para. 19. 42 337 days precisely. See C. Cook, Real review timetables under the EU Merger Regulation, Concurrences, 2-2017.

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First, the assessment of unilateral effects43 of a transaction commonly includes an economic analysis of a likely diversion of sales from buyer to target in case of an attempted price increase by the merged entity post-transaction. The merged entity may have a financial incentive to increase the price of the buyer’s products because it will recapture some of the lost sales via customers’ switches to the target’s (substitutable) product instead. However, the incentive of the merged entity to engage in such a foreclosure strategy will depend on its profitability. That in turn does not depend on whether the buyer has a sole control over the target (which may be the case even with less than 50 % of equity shares) but on the level of equity share participation the buyer hold in the target. Indeed, there is a financial difference between recapturing 50 % and 100 % of the sales diverted to the target. Second, the analysis of “coordinated effects”44 will take into account the size of a shareholding that a competitor of the buyer may have in the target. There is therefore a difference whether the buyer acquires 100 % share in the target (including the competitors’ stake) or less. The General Court has also recognized that “it is necessary, in each individual case, to ascertain whether those transactions are interdependent, in such a way that one transaction would not have been carried out without the other”. This is because, according to the Court,“[t]hat approach tends, on the one hand, to ensure that undertakings which notify a concentration have the advantage of legal certainty for all the transactions which complete that operation and, on the other, to enable the Commission to carry out an effective control of concentrations capable of significantly impeding competition in the common market or a significant part thereof. Those two aims constitute, moreover, the principal objective of [the Merger Regulation]”.45 This was also recognized in the Commission’s Green Paper: “The application of the one stop shop principle to the types of multiple transaction described below would better serve the overall aim of maintaining effective competition, as it would ensure that the totality of effects of such concentrations are subject to one coherent assessment”.46 Accordingly, applying the Article 7(2) exemption to all public bids, regardless of a  formalistic differentiation between transaction structures, ensures that the Commission’s merger assessment is based on the totality of effects of a particular public bid. In contrast, if a party were to launch the public bid only after the Commission approved the initial transaction, the Commission would not be able to assume that such party would acquire 100 % of the target as the precise outcome of a public bid is uncertain. Its substantive assessment of the merger might therefore be 43 In assessing horizontal mergers, the Commission examines “unilateral” effects (also referred to as “non-coordinated” effects), meaning transactions that permit the merging firms to increase prices or reduce output unilaterally. 44 In assessing horizontal mergers, the Commission also examines “coordinated” effects, meaning transactions that facilitate tacit collusion on prices or output among the merging firms and their principal competitors. 45 Case T-282/02 Cementbouw Handel & Industrie v Commission, EU:T:2006:64, paras. 107–8. 46 The Commission Green Paper, para. 130.

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different. In fact, the interpretation of the Article 7(2) rationale adopted by the General Court may even incentivize the parties to delay the launching of a public bid insofar as it would render it more difficult for the Commission to identify potential competitive concerns.47 3. Balancing Antitrust And Takeover Aims Article 7(1) of the Merger Regulation establishes a suspensory obligation requiring parties not to close a transaction prior to its clearance by the Commission. The twofold purpose is clear: (i) avoiding changes in the market structure before the Commission has had an opportunity to clear (with or without remedies) or prohibit such changes; and (ii) in cases where the Commission imposes remedies or prohibits the transaction, avoiding practical difficulties in restoring the situation prior to closing. However, Article 7(2) is an exception to Article 7(1) of the Merger Regulation. This means there is a policy objective that the legislator deemed important: the facilitation of public bids and creeping takeovers. The analysis of this objective therefore requires Article 7(2) to be interpreted in light of its “context and the provisions of EU law as a whole”.48 In this case, the relevant EU law aims in the area of corporate takeover bids, as formalized in the EU Takeover Directive, are: (i) the protection of shareholders of public companies;49 (ii) the prevention of market abuse;50 and (iii) the facilitation of takeover bids.51 47 Moreover, encouraging a voluntary bid relieves the purchaser from an obligation to launch a subsequent mandatory bid (see EU Takeover Directive, Article 5(2)). Yet this is the opposite of the policy the Commission pursues under the EU Takeover Directive, which actively seeks to prevent the acquirer from replacing a mandatory bid structure with a voluntary bid because it allows “offerors to avoid having to launch a mandatory bid for an equitable price” (see Commission Report on the EU Takeover Directive, para. 25). Indeed, “the Directive does not regulate the price of a voluntary bid” (see Commission Report on the EU Takeover Directive, para. 25). 48 C-583/11 P Inuit Tapiriit Kanatami and Others v Parliament and Council, EU:C:​2013:625, para. 50; Case 283/81 Cilfit and Others, EU:C:1982:335, para. 20. 49 EU Takeover Directive, recital 8: “Member States should take the necessary steps to protect the holders of securities, in particular those with minority holdings, when control of their companies has been acquired”); Report from the Commission on takeover bids, June 28, 2012, attached as Annex A.8 (the “Commission Report on the EU Takeover Directive”); para. 3: “the objectives of the [EU Takeover] Directive are […] protection of the interests of shareholders”. 50 EU Takeover Directive, Article 13(1)(d): “false markets must not be created in the securities of the offeree company, of the offeror company or of any other company concerned by the bid in such a way that the rise or fall of the prices of the securities becomes artificial and the normal functioning of the markets is distorted”. 51 Commission Report on the EU Takeover Directive (Annex A.8), para. 3: “the objectives of the [EU Takeover] Directive are […] [f]acilitation of takeover bids, through reinforcement of the freedom to deal in and vote on securities of companies and prevention of operations which could frustrate a bid”.

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A Single Interpretation Of The “Single Concentration” Concept

The legislator achieved a well-crafted balance between the facilitation of public takeovers and the antitrust goals inherent in the suspensory obligation. Article 7(2) contains strict safeguards that seek to prevent any changes in the market structure prior to the Commission’s decision regarding a proposed concentration: the parties cannot exercise voting rights and therefore cannot effectively intervene in the commercial behaviour of the target company. The exemption is therefore of a technical nature – the buyer can nominally acquire shares of the target (which would otherwise breach the suspensory obligation) but cannot effectively use them pending merger clearance. This means that facilitating public bids through the Article 7(2) exemption regime has virtually no impact on the Commission’s ability to effectively enforce its merger control powers. And, public bids only account for a negligible portion of the Commission’s merger cases. In the period of 2012–2017, the Commission received on average 10 public bid cases annually, accounting on average for around 3% of all merger notifications received during this period.52 Against this background, there is no reason to refuse the application of the Article 7(2) exemption to a transaction structure where control may be acquired at a point prior to launching a public bid. The Commission’s Green Paper recognized that the acquisition of a publicly traded company should benefit from the Article 7(2) derogation because “in such scenarios, it will normally be both impractical and artificial to consider the concentration as occurring via the acquisition of the particular share or block of shares that will put the acquirer in a situation of (de facto) control over the target company.53 This statement was made in the context of creeping takeovers under Article 7(2). But the exact same consideration applies to public bids under the same Article. It follows that “control,” strictly speaking, is always acquired from just one seller (through a particular share or a block of shares) even in the context of public bids and creeping takeovers. But it is “impractical and artificial” to consider it so. The distinction the General Court draws in this case therefore rests on the premise that it was somewhat clearer in this case than in others at what point the control was acquired in the series of transactions. However, such a formalistic differentiation between transaction structures is in itself “impractical.” It raises uncertainty about the type of structures that are subject to the exemption. The General Court admitted that “Article 7(2) of Regulation No 139/2004 can indeed apply even to a case of straightforward transaction structure.”54 But the dividing line is entirely unclear. It is far from certain whether the acquisition of control through two or three private purchases followed by a public bid or with the second or third purchase in a creeping takeover would benefit from the exemption and if so whether these are materially different from Marine 52 Between 2012 and 2017 there were 59 such notifications made to the Commission. This accounts for only just over 3 % of all 1,922 transactions notified to the Commission for that period. 53 Green Paper on the review of Council regulation (EEC) No. 4064/89, December 11, 2001, para. 134. 54 Case T-704/14, Marine Harvest v Commission, EU:T:2017:753, para. 184.

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Harvest. Indeed, it is certainly “artificial” to consider “one” purchase materially different than “two” purchases. These formalistic distinctions undermine the rationale of Article 7(2) to have a clear exemption regime that facilitates public bids.55 This is even more striking when considered in the appropriate context: the legislator intended to remove the suspensory obligation as a technical obstacle to public bids, but imposed stringent safeguards to prevent the exemption regime from being abused and frustrating merger control goals.

IV. Conclusion The interpretation of the “single concentration” concept adopted by the Commission and General Court in Marine Harvest fits neither with the wording nor rationale of the Merger Regulation, nor with wider public policy considerations. A “single concentration” should be a “single concentration” regardless of when control is acquired. The ECJ may yet take a more practical stance that recognises the business realities of acquisitions through mandatory public bids. If it does, this would be welcome. It would avoid undue hindrance to the takeovers and avoid adding unnecessary uncertainty into what should be straightforward articles of the Merger Regulation. The Commission’s refusal to apply Article 7(2) in Marine Harvest demonstrates the practical difficulties in drawing artificial distinctions between transaction structures. If, on the other hand, the ECJ upholds the decision of the Commission and the judgment of the General Court, there will no doubt be more cases in the future that seek to clarify the exact limits of the exception to the “single concentration” concept that would be carved out from the “general approach” to the application of that concept.

55 As explained above, the French authorities recognized this and established a policy whereby that a private acquisition of a controlling shareholding followed by a public bid for the remaining shares benefits from a standstill exemption.

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Implementing the EU Directive on national competition authorities I. Introduction II. Ensuring the independence and quality of national competition authorities III. The procedures of national competition authorities 1. Procedures of national competition ­authorities – investigations 2. Procedures of national competition ­authorities – good administration and awareness of judicial review

3. Procedures of national competition ­authorities – rights of intervening parties 4. Commitment decisions 5. Remedies IV. Cooperation between national ­competition authorities V. National courts VI. Conclusion

I. Introduction The proposed directive to strengthen the powers of national competition authorities1 (“NCAs”) does too little in several respects. In particular, it gives NCAs and legislators considering NCAs’ powers little guidance about efficacy and sound procedures.  Also, it says almost nothing about the duties of courts when dealing with challenges to NCAs’ decisions. The directive is uneven, in the sense that it goes into detail on certain matters and says little or nothing about others. There are several unfortunate consequences. An opportunity to encourage adoption of better procedures and harmonisation has been missed. Many procedural rights are left unidentified, undefined and unmentioned, making controversy, delay, cost and litigation inevitable, although they could have been avoided or minimised. Too little guidance has been given to legislators, NCAs and courts of Member States with less experience, or which have not been satisfied with their own experiences. Although NCAs are intended to cooperate with one another, too little guidance is given about how they should do so, or to resolve the issues that will certainly arise. Cooperation would be easier and more efficient if all NCAs were following the same principles. The Commission’s own Manual of Procedure is incomplete in several respects, and is not sufficient as a guide to NCAs.2 The decentralisation Regulation, Reg. 1/2003 had done little to harmonise national competition procedures. 1 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council to empower the competition authorities of the Member States to be more effective enforcers and to ensure the proper functioning of the internal market, Commission proposal doc. 7621/17. 2 Temple Lang, The Strengths and Weaknesses of the Commission’s Manual of Procedure, 1 Journal of Antitrust Law Enforcement (2013) 132; Temple Lang, European Experience on

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John Temple Lang

This paper discusses some of the principal issues that need to be considered, most of which would usefully be dealt with by legislation. Some of these issues have already been dealt with in some EU Member States, but there does not seem to be any Member State in which the national law is thought to provide clear and satisfactory answers to all the questions that arise. This paper does not include a model law, but it discusses, with some effort at objectivity, the issues that need to be considered when drafting the national measures implementing the directive. National legislation in all Member States should clarify the law and procedure as far as possible, to keep down the costs to society that are caused by legal uncertainty and unresolved issues. EU Member States should not only ensure that all the rights of companies under the Charter are clearly stated, but should establish sound rightsbased practices and procedures, drawing on the best national practices and traditions, as well as EU principles. If the powers and duties of NCAs were made clear, on many issues not dealt with by the directive, NCAs would be more likely to follow good practices, and reviewing courts would find it easier to see whether they had been correctly followed. The whole system of EU competition law would work more smoothly.

II. Ensuring the independence and quality of national competition ­authorities The directive is intended to ensure the independence of NCAs from interference by governments, but it says little about how this should be guaranteed.3 Essentially members of NCAs should be given the same protection as judges. They should be appointed for long periods on the basis of formal selection procedures and, like judges, removable only for proved misconduct or incapacity. Their salaries should not be subject to reduction. They must be given resources sufficient to enable them to do their jobs. If their appointment is not renewable, their independence will be strengthened. They must be clearly separate from any Ministry or any other part of the government. They should be guaranteed freedom from any pressure or influence, and should be prohibited from consulting anyone, except in the formal course of their procedures, and with the full knowledge of interested parties. They should be legally obliged to be objective and impartial, not only between officials responsible for criticising companies and the companies themselves, but also as between complainants and companies criticised. They must avoid all conflicts of interests, and should probably be obliged to disclose their assets. Not all the NCAs in EU Member States have been given the financial and other resources that they need. This is short-sighted and unwise: an active and effective Convergence of Antitrust Laws, in Keyte (ed.), 2016 Fordham Competition Law Institute International Antitrust Law and Policy (2017, Juris) 201-217. It is noticeable that the EFTA Surveillance Authority has not adopted anything corresponding to the Commission’s Manual of Procedure. 3 Recitals 14 and 15 deal with the impartiality of members of NCAs, and conflicts of interest.

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Implementing the EU Directive on NCA

competition authority, by making the economy more competitive, will more than pay for itself. A competition authority should not be expected to finance itself from fines (or fees for merger notifications). If it were successful enough, there would be few companies to be fined. If any authority is given power to overrule or override any decision of an NCA, the power must be exercised formally and openly, with full reasons given, and must be open to review by a court. The quality of the members and officials of NCAs is crucially important. They should receive training in law and economics, if they are not already trained in both. They should be well paid, or they will not stay.4 This is all setting a high standard. It is meant to: well written legislation is of little value unless it is applied by well-trained people. It is easier to write sound legislation than to make sure that it is correctly and fully applied and enforced. Even when high standards have been attained, they need to be maintained. Quality standards can be raised and strengthened in various ways, e.g. by regular peer review by other NCAs, by regular exchanges of officials between NCAs, and by conferences. This needs to be done deliberately and systematically, not merely occasionally.

III. The procedures of national competition authorities The most important objective of the directive is to ensure the impartiality of NCAs. But the directive does not say enough about the need for impartiality between companies and the officials making the case against them, and between the defendant companies and complainants. The need to impartiality in these respects arises in almost every competition case: the need to ensure impartiality in the sense of immunity from governmental influence or pressure (dealt with explicitly in the directive) should arise only rarely. Members of NCAs and officials in NCAs must not allow themselves to be influenced by any evidence or argument that has not been fully disclosed to the defendants.5 All contacts with all parties must be fully recorded in the NCA’s file. Members and officials of the NCA must not discuss cases with anyone outside the formal proceedings. To ensure impartiality, the officials drafting the statement of objections or other statement of the case against the defendants must be separate from the officials drafting the decision. This separation should be ensured 4 Recital 18 requires NCAs to have qualified staff able to conduct legal and economic assessments, financial means, technical expertise and adequate information technology tools. 5 Recital 12 is intended to explain Article 3, which refers to rights of defence and the right to an effective remedy before a tribunal, in accordance with general principles of EU law and with the Charter. Recital 12 refers to the right to be heard and the right of access to the NCA’s case file, the right to have NCA’s decisions reasoned, and the right to good administration, as well as the right to an effective remedy.

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even in a small competition authority: small size is not a reason for lower standards (although it may be a reason for having part time members of an authority). If evidence or arguments have been received or relied upon that were not disclosed to the defendants, the parts of the decision based on them must be annulled. The duty of impartiality between companies also creates a duty not to discriminate between companies seeking leniency or immunity from fines, and the duty to treat equally all companies that are in the same position in each individual case. NCAs need to be reminded that even informal arguments by lobbyists should be recorded on the official file: informal submissions are permissible only if they are properly recorded. 1. Procedures of national competition authorities – investigations NCAs should be required by specific legislative provisions not to send unnecessarily broad requests for information and not to carry out unnecessarily broad inspections. Officials who have little experience of business often fail to realise the amount of work involved in answering questions that sometimes have little to do with the key issues. This self-restraint is required by the principle of proportionality. It is not easy to write specific substantive rules on these issues, since the facts of cases vary widely. Perhaps the best solution is to allow the companies to challenge unnecessarily broad information demands immediately, and to obtain interim measures. Another possibility is to require broad requests for information to be expressly explained and justified in the decisions requesting them. Officials in NCAs should be aware that it is sometimes necessary to revise the scope of an excessively broad request for information, and they should be willing to do this in appropriate cases, in particular if the burdens imposed have not been foreseen. This is particularly important when the NCA is dealing with digital evidence, which happens now in most cases.6 Some NCAs have claimed the right to copy the entire database of the companies being investigated, instead of limiting themselves to copying data that appears to be relevant to the legitimately required information. NCAs should copy no more than is unavoidable, given the way the company’s system is set up, and should return or destroy data which there was no need to copy. NCAs should be required to disclose, during inspections, the search words being used, including any additional search words adopted during the inspection. If the search words being used are not disclosed, the company being investigated cannot know whether the forensic software is operating within the scope of the decision ordering disclosure. The company is entitled to know this, at the time of the inspection, and not only later. It is particularly important that companies should be able to exercise the right to seek interim measures immediately to deal with these issues. Courts can make interim orders to allow investigations to continue without using evidence that seems to have been unjustifiably obtained. 

6 Temple Lang, Legal problems of Digital Evidence, 1 Journal of Antitrust Enforcement (2013) 1-25.

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Article 6 requires Member States to give NCAs power to examine books and records “irrespective of the medium on which they are stored” and the right “to access any information which is accessible to the entity subject to the inspection.” This covers information stored outside the European Union, if it is accessible from the place where the inspection is being carried out.7 It is unfortunate that the EU directives say nothing about the important question of legal privilege, confidential communications between lawyers and their clients. The EU law rules are not as clear as they need to be. The traditional laws of EU Member States differ, and not only because some of them are vague and undeveloped. All of them are (or should be) based on the principal that in a democracy governed by the rule of law everyone is entitled to get legal advice about his rights and freedoms without creating evidence against himself. Several rules should be made clear. Privilege applies to legal advice on all areas of law, not only competition law, and it applies to legal advice given before any controversy or procedure begins. The lawyers must be subject to rules of professional ethics and discipline. There must be a clear procedure for deciding whether communications are privileged. In return, legislation could provide that lawyers have a duty not to mislead national competition authorities and courts, and have a duty not knowingly to help their clients to infringe competition law (two duties that the Consultative Commission of European Bars and Law Societies has unfortunately failed to confirm). These rules are important in themselves, and because they imply that the advice of employed lawyers who are bound by these duties should be privileged. Recognising this would significantly facilitate and increase voluntary compliance with competition law. If two NCAs are cooperating to investigate the same case, they should ensure that they comply with both the national law rules on privileged communications (as well of course as with the EU law rules). In effect, they must comply with the rule that gives greater protection to communications. This means that NCAs with laws that strictly protect privileged communications must not try to obtain evidence from NCAs with less strict rules. 2. Procedures of national competition authorities – good administration and awareness of judicial review NCAs need to be reminded that they must keep full records of all submissions, oral and written, made to them by anyone in connection with any individual case or company. These records must be kept in a complete and properly indexed file, which is to be made available to the defendants and to any court carrying out a review of the case. Officials need to be constantly aware that the companies have a right of access to the file, and that courts reviewing NCAs‘ decisions are required by the European Charter of Fundamental Rights and the European Convention on Human Rights to

7 Digital evidence is referred to in recitals 4, 6, 18 and 21 and in Article 6.

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consider every argument of law or fact raised by the parties.8 NCAs should not expect to rely on the courts giving deference to their findings. 3. Procedures of national competition authorities – rights of intervening ­parties Any national or legal person who has suffered loss as a result of a breach of EU competition law is entitled to complain to a NCA, and to claim compensation or an injunction in a national court. Any person who is entitled to bring a complaint should be entitled to intervene in any related case. It would be useful to have some ground rules on what interested parties should be allowed to intervene even if they have not suffered direct loss. In particular the rights of trade associations and of labour unions should be clarified. Consumer protection organisations, which should be a useful source of information, should be encouraged. Courts may need to make arrangements to ensure that confidential information legitimately obtained for the purposes of litigation is not misused for commercial purposes. The rights of complainants and interveners in the procedures of NCAs need to be clarified, to make clear what documents and evidence they are entitled to receive. In principle they should be given access, at the administrative stage, to all the documents that they would be entitled to see in court proceedings challenging the NCA’s decision, and in proceedings claiming damages or injunctions. Complainants should not need  to issue court proceedings before finding out what evidence is available: that is  inefficient, and would unjustifiably limit their procedural rights. It would be inconsistent with their right to a fair trial. Recital 27 says that NCAs must have power to order interim measures. Interim measures should be given when necessary to preserve or protect the rights of complainants: the practice of the European Commission, which is almost never to adopt interim measures in spite of the fact that they are provided for in Regulation 1/2003, is deplorable. The practice of the French competition authority is very much better. If the principle is accepted that parties during the administrative stage should be able to obtain the documents to which they would be entitled later in court, the NCA must know what those documents are, so the courts’ rules must be clear and known to the NCA. This necessitates legislation. 4. Commitment decisions The recitals of the directive refer to commitments, but the principles that should apply to commitment decisions should be clarified, (if they are not, NCAs’ commitment 8 See in particular Case 43509/08, A. Menarini Diagnostics v Italy [2011] ECLI:EU:​C:2011:810; Case E-15/10, Posten Norge [2012] EFTA Court Report 246; Case C-272/09 P, KME Germany and Others v Commission, ECLI:EU:C:2011:810. See Temple Lang, Judicial Review of Competition Decisions under the European Convention on Human Rights, and the importance of the EFTA Court; the Norway Post Judgment, 37 European Law Review 454 (2012).

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decisions will be undesirably inconsistent). Commitments should be requested and accepted only when it is clear that the conduct in question would be unlawful: commitments should not be used to impose extra-legal obligations or to promote regulatory objectives. The obligations imposed should not be significantly different from those that could be imposed in a prohibition decision. In other words, commitments should be proportionate: the Alrosa judgment of the European Court of Justice9 has been generally criticised, and is widely regarded as wrong. Commitments should not be obtained by threatening fines: if fines are justified, commitments are not appropriate, as Regulation 1/2003 makes clear. In commitment cases, the risks of bribery must be kept in mind, because bribery is particularly likely to occur during negotiations, including negotiations on commitments. (There is also a risk of bribery when fines are discussed and negotiated.) 5. Remedies The directive rightly requires that remedies ordered by NCAs must be proportionate, but allows structural remedies such as divestiture, if they would be more effective than behavioural remedies. One Recital says that the effectiveness of a remedy depends on its enforceability, and that it must be possible to implement the remedy within a short period of time, and to monitor compliance. This implies that a remedy may need to impose substantial obligations if that is necessary to make it enforceable.

IV. Cooperation between national competition authorities All NCAs are bound by the principle ne bis in idem, confirmed by Article 50 of the Charter. This means that only one fine may be imposed for any given economic effects. Because more than one NCA may be involved, this means that each NCA must be careful to impose fines only for effects within its Member State. (EU law confers no extra-territorial jurisdiction on NCAs). This may necessitate coordination between NCAs, to prevent overlap, which may not always be easy to avoid e.g. because the statistics in the two (or more) States may not be compiled on the same basis. There may also be questions if the infringement involved market allocation, which means that a company‘s conduct may have effects in a State in which it agreed not to sell, so that it has no turnover there. A single cartel, or what appears to be a single cartel, may have separate effects in different Member States. These effects may be the subject of separate NCA procedures, without necessarily the risk of infringing the ne bis in idem rule. But NCAs should also try to avoid multiple procedures wherever possible. NCAs have a duty, under the 9 Case C-441/07 P, Commission v Alrosa, EU:C:2010:377: Jenny. Worst Decision of the EU Court of Justice: The Alrosa judgment in context and the future of commitment decisions, and Monti, Alrosa and commitment decisions in perspective, in Hawk (ed.), 2014 Fordham Competition Law Institute, International Antitrust Law & Policy (2015, Juris) 405-460 and 461-480.

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principle of “sincere cooperation” stated in Article 4 (3) of the Treaty on the European Union, to avoid or minimise the onerous consequences of multiple procedures. It is not desirable for one NCA to rely on findings made by another NCA concerning the same cartel. If this were done, the companies involved might need to challenge both NCA’s decisions in the courts of both Member States. A defect in the first NCA’s procedure would invalidate the second NCA‘s reliance on the first decision. However, it would be wise for NCAs to explain their reasons for reaching different conclusions, if that occurs. The facts might be different, or some statistics more reliable than others. NCAs need to be particularly careful when they are cooperating with other NCAs that have powers in criminal law procedures, or regulatory powers that they may exercise in cases initially regarded as competition law cases. Such situations are particularly likely to give rise to misuse of powers for purposes for which they were not designed, or use of evidence obtained for purposes other than those for which it is being used.

V. National courts The directive refers to the right to “an effective remedy before a tribunal” (Article 3 of the directive) but recital 12 does not mention the right to „a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal“, as required by Article 47 of the Charter. The directive assumes that in most Member States competition cases will be initially decided by administrative authorities, which are not tribunals. But the directive says nothing about how a fair hearing and an effective remedy are to be ensured. Article 47 corresponds to Article 6 of the European Convention on Human Rights. This has been interpreted by the European Court of Human Rights as allowing cases to be decided initially by administrative authorities, on condition that their decisions can be reviewed by appropriate tribunals, that is, by independent courts. The case law of the European Courts now makes it clear that the reviewing court must review all the questions of law and fact that the parties wish to raise.10 This must include economic assessments made by the authorities in question, although there is as yet no authoritative ruling on how far a court must be ready to review such assessments, or how much deference, if any, the court should give to an authority that may have more economic expertise than the court itself. Courts probably should have power to appoint their own economists, although it is not clear how useful this power is in practice. Even with the advice of their own economists, most courts are reluctant to overrule economic assessments by NCAs on economic (as distinct from legal) grounds.

10 Case 43509/08, A. Menarini Diagnostics v Italy [2011] ECLI:EU:C:2011:810; Case C-272/09 P, KME Germany and Others v Commission, ECLI:EU:C:2011:810; Case E-15/10, Posten Norge [2012] EFTA Court Report 246.

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The directive is undesirably limited to the subject of NCAs, and does not say enough about national courts and how they should exercise their powers. The directive should have said that Member States should ensure that they have one or more courts that are specialised competition law courts. This helps to ensure efficiency, consistency and expertise. It is usually desirable for the same courts to deal both with competition cases based on NCA decisions and with claims for competition, although in some Member States it may be thought necessary to have the two kinds of cases dealt with separately by administrative and commercial courts, respectively. The directive should have said that national measures should instruct courts to enforce EU competition law by injunctions, including interlocutory injunctions, when appropriate: this is much more common in some Member States than in others. National measures implementing the directive should deal with a number of issues that otherwise will have to be resolved by the national courts, leading to delays, uncertainty, cost and divergences between the practices of the different Member States. One important question on which the EU directives fail to give guidance, either to legislators or to national courts, is what documents should be disclosed to companies claiming injunctions or damages, whether the documents are in the possession of defendant companies or of NCAs. Documents used by NCAs as evidence of infringements are not necessarily relevant to causation or quantum of illegal gains or of losses caused, but if they are relevant, the courts should order them to be disclosed. The rights of companies intervening, on one side or the other, should be clarified. If a claimant is not relying on the decision of an NCA, the courts should be careful to ensure that all the necessary evidence is disclosed. National Courts should be encouraged to manage competition law cases, to keep down costs and to minimise delays. Case management can identify key issues and make legal proceedings more efficient. Judges should attend courses in case management using modern electronic methods (case management is more common in some Member States than in others). Many judges are not familiar with competition economics, and dislike being asked to decide economic issues. They could be encouraged to order the litigants to agree with one another as far as possible on the facts and the key issues. This minimises the scope for delaying tactics. Courts should have power to make immediate orders for costs against companies submitting unnecessarily long pleadings and pleadings on unnecessary or irrelevant issues. Courts should also be discouraged from allowing lengthy exchanges of written arguments and late production of evidence that was previously available – in short, courts should be clearly reminded of their obligations to decide cases within a reasonable time, (if necessary by penalising long-winded or disorganised lawyers). The courts of some Member States are particularly open to criticism in this respect.

VI. Conclusion National measures on the lines summarised here could be adopted in all EU Member States. National competition authorities could be organised in such a way as to avoid 853

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the two serious defects in the European Commission: the practice of having the same officials write both the statement of objections and the final decision, and the fact that decisions are adopted by Commissioners none of whom have read the arguments or studied the evidence or attended the hearing.11 The more difficult problem is to improve the quality of the officials of national competition authorities, and to train and equip judges with the knowledge and skills needed to apply competition law efficiently and effectively. Because sound application of competition law requires both economics and law, it depends, even more than most areas of law, on good lawyers. It is understandable that the Commission was primarily concerned with government interference with NCAs, and was reluctant to expose itself to criticism for overregulation, or to propose a directive so complex and detailed that it would take years to negotiate. Nevertheless, the Commission missed a valuable opportunity to suggest, e.g. by a recommendation or a model law, a much more coordinated and efficient regime of competition law throughout Europe. The Commission should also set a good example by improving its own procedure. All these criticisms of the directive do not alter the fact that it is valuable to achieve its primary purpose, which is to protect NCAs from political interference. National courts will be obliged by general principles of EU law to interpret national legislation in such a way that it complies fully with the requirements of the directive. So even if some of the legislation implementing the directive may prove inadequate, the courts should ensure that its objectives are achieved. The directive could be supplemented in the future by Commission recommendations if that were seen to be useful.

11 Temple Lang, Three Possibilities for Reform of the Procedure of the European Commission in competition cases under Regulation 1/2003, in Baudenbacher (ed.), Current Developments in European and International Competition Law, 17th St. Gallen International Competition Law Forum (2011) 219-256.

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Die gesamtschuldnerische Haftung von Kronzeugen nach der 9. GWB-Novelle I. Einleitung II. Außenhaftung 1. Allgemeine Regeln 2. Kronzeugenprivilegierung nach § 33e Abs. 1 GWB a) Beschränkung auf Kronzeugenkunden und -lieferanten b) Probleme auf mittelbaren Abnehmerstufen c) Teilweiser Bezug beim Kronzeugen 3. Ausfallhaftung

III. Innenhaftung 1. Allgemeine Grundsätze 2. Innenhaftung des Kronzeugen a) Haftungsprivilegierung gegenüber den unmittelbaren und mittelbaren Kunden der anderen Kartellanten b) Keine Privilegierung für Schäden der Kunden und Lieferanten von Kartellaußenseitern IV. Schluss

I. Einleitung Die Verschärfung der kartellzivilrechtlichen Haftung hat zu dem Grundproblem geführt, dass die Attraktivität der Kronzeugenprogramme abnimmt, was eine Schwächung des public enforcement der Wettbewerbsregeln bedeutet. Das Wechselspiel von Kartellzivilrecht und Kartellbußgeldrecht ist zu einer wichtigen Debatte über die Konstruktion der geltenden Wettbewerbsordnung in Europa geworden. Es handelt sich dabei um ein Themengebiet, in dem der zu Ehrende nicht nur durch seine praktische Arbeit im europäischen und deutschen Rechtskreis, sondern auch durch seine wissenschaftliche Betätigung maßgeblich gewirkt hat. Die damit verbundenen Fragen sind zahlreich und betrafen bislang insbesondere die Möglichkeiten von Klägern, Einsicht in Kronzeugenunterlagen zu erhalten. Dieses Problem ist nunmehr in § 33g und §§  89b bis e GWB einer umfassenden Neuregelung zugeführt worden. Mit der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie1 (im Folg. auch „Rili“) und ihrer Umsetzung durch die 9. GWB-Novelle ist aber auch eine neue Fragestellung hinzugetreten. Die Richtlinie und das neue GWB sehen nämlich eine materiellrechtliche Haftungsprivilegierung von Kronzeugen vor, die im deutschen Recht in § 33e GWB geregelt ist.2 Nach Begründungserwägung 38 der Richtlinie soll hierdurch der „Schlüsselrolle bei der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ Rechnung getragen werden, die Kronzeu1 Richtlinie  2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union Text von Bedeutung für den EWR ABl. Nr. L 349 v. 5.12.2014, S. 1. 2 Zur zeitlichen Anwendbarkeit der neuen Gesamtschuldregeln s. § 186 Abs. 3 GWB.

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gen zugeschrieben wird. Die Richtlinie will dadurch widerspiegeln, dass durch das Vorgehen des Kronzeugen „häufig der Schaden gemindert wird, der möglicherweise im Falle einer Fortsetzung der Zuwiderhandlung entstanden wäre.“ Daher sei die entsprechende Privilegierung „angebracht“. Die Richtlinie und ihr folgend das GWB wählen hinsichtlich der Privilegierung einen Mittelweg. Der Kronzeuge haftet weder im Außen- noch im Innenverhältnis der Gesamtschuld unbegrenzt, noch ist er im Außen- oder Innenverhältnis vollständig von der Haftung befreit. Die Richtlinie versucht vielmehr, eine Schadensersatzhaftung im wirtschaftlichen Ergebnis auf den Umfang zu begrenzen, der denjenigen Kunden entstanden ist, die Waren unmittelbar oder mittelbar vom Kronzeugen bezogen haben bzw. bei einer nachfrageseitigen Zuwiderhandlung den Kronzeugen unmittelbar oder mittelbar beliefert haben.3 Eine vergleichbare Regelung sieht das GWB in Umsetzung der Richtlinie auch für sog. kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in §  33d Abs. 3-5 GWB vor.4 Die KMU-Privilegierung war rechtspolitisch höchst umstritten und wurde jedenfalls von den deutschen wissenschaftlichen Stimmen ohne Ausnahme in mehr oder minder scharfen Worten kritisiert.5 Hierauf ist im Folgenden jedoch nicht näher einzugehen.6 Vielmehr soll der Frage der Haftungsprivilegierung in Zusammenhang mit dem Kronzeugen nachgegangen werden.7 Auch wenn das Regelungsanliegen scheinbar klar ist, so wirft die Auslegung des neuen § 33e GWB (einschließlich der Richtlinienvorgaben in Art. 11 Abs. 4 bis 6 Rili) eine Reihe von Fragen auf. Die gesetzlichen Unklarheiten resultieren daher, dass das gesetzgeberische Ziel nur unzureichend Niederschlag im Wortlaut gefunden hat und mit der Haftungsquote im Innenverhältnis i.S.v. § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB einerseits und einer absoluten Höchstgrenze i.S.v. § 33e Abs. 3 GWB andererseits letztlich zwei 3 Im Folgenden wird aus Vereinfachungsgründen nur auf die Abnehmer abgestellt. Das Gesagte gilt für Lieferanten sinngemäß. 4 Das GWB weicht hier teilweise von den Vorgaben der Richtlinie ab, weil eine Haftung des KMU auch gegenüber unmittelbaren und mittelbaren Lieferanten vorgesehen ist, was in der Richtlinie nicht geregelt war. S.  hierzu BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 58. 5 Zur Richtlinie bereits Lettl, WuW 2015, 692 ff.; Kersting, VersR 2017, 581, 589: „…bilanzieller Unsinn“; s. ferner Rust, NZKart 2015, 502, 510; Mackenrodt in Kersting/Preuß, Die 9. GWB-­Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 99 f. 6 Dazu Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl. 2018 (im Druck), XI.3.3.4.2. 7 Viele der insoweit gewonnenen Ergebnisse können zwar auf die Haftung von KMU nach § 33d Abs. 3-5 GWB übertragen werden. Hinsichtlich der KMU-Privilegierung stellen sich aber zusätzliche Auslegungsfragen, die hier nicht behandelt werden sollen. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass die Anforderungen an das Eingreifen der KMU-Privilegierung so hoch sind, dass sie in der Praxis kaum jemals erfüllt sein werden. Es ist daher fraglich, ob die KMU-Privilegierung überhaupt eine praktische Bedeutung erlangen wird. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass beim Zusammentreffen der KMU-Privilegierung und der Kronzeugen-Privilegierung die Rangfolge in der Weise gelöst ist, dass eine nachrangige Haftung von KMU vor der nachrangigen Haftung eines Kronzeugen eintritt, sofern die Geschädigten von den übrigen Kartellanten keinen vollständigen Ersatz verlangen können, dazu BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 59.

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inkommensurable Größen miteinander vermischt werden. Den damit zusammenhängenden Problemen geht der vorliegende Beitrag nach. Er wird hierbei zunächst das Außenverhältnis der gesamtschuldnerischen Haftung behandeln (sub II.) und sich sodann dem Innenverhältnis zuwenden (sub III.). Die Betrachtung schließt mit einer praktischen und rechtspolitischen Bewertung (sub IV.).

II. Außenhaftung 1. Allgemeine Regeln Die allgemeinen Grundsätze der gesamtschuldnerischen Haftung von Kartellanten (d.h. mit Ausnahme von KMU und Kronzeugen) haben im Außenverhältnis durch die 9. GWB-Novelle grds. keine materielle Änderung erfahren. § 33d Abs. 1 GWB stellt lediglich klar, dass eine gesamtschuldnerische Haftung gilt und die §§ 830 und 840 Abs. 1 BGB Anwendung finden, was aber auch bislang schon der Fall war. 2. Kronzeugenprivilegierung nach § 33e Abs. 1 GWB a) Beschränkung auf Kronzeugenkunden und -lieferanten Wie § 33e Abs. 1 Satz 1 GWB anordnet, ist der Kronzeuge nun allerdings „nur zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der seinen oder ihren unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten aus dem Verstoß entsteht.“ Für andere Geschädigte sieht § 33e Abs. 1 Satz 2 GWB lediglich eine Ausfallhaftung vor, wenn diese von den übrigen Rechtsverletzern keinen vollständigen Ersatz erlangen konnten (dazu später sub d)). Als „Kronzeuge“ erfasst das Gesetz nur denjenigen, dem vollständiger Bußgeld­ erlass zuteil wurde. Eine Bußgeldermäßigung genügt nicht. Der Kronzeugenstatus ist jedoch davon unabhängig, ob die Immunität durch Verfügung erfolgt, wie dies bei Entscheidungen der Kommission der Fall ist, oder ob die Bußgeldfreiheit aus der Einstellung des Verfahrens resultiert, wie es der Praxis des BKartA entspricht.8 Wenn in demselben Kartell verschiedene nationale Behörden jeweils anderen Unternehmen den Kronzeugenstatus zugesprochen haben, kommt es auf den Ort des jeweiligen Schadenseintritts beim Kunden an.9 Fraglich ist, wer die Beweislast dafür trägt, dass die bezogenen Mengen des Anspruchstellers vom Kronzeugen stammen. Die Kommission ging in ihrem Weißbuch zur Kartellschadensersatzrichtlinie und dem darauf bezogenen Staff Working Paper davon aus, dass die Beweislast beim Kronzeugen liegt.10 Der Kronzeuge müsste dann 8 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 59 f. 9 Dazu Katt, Die gesamtschuldnerische Haftung des Kronzeugen im Private Enforcement nach europäischem und deutschem Kartellrecht, 2018, Kap. 4 I.1 (im Erscheinen). 10 Kommission Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, 2.4.2008, KOM(2008) 165 (verfügbar auf der Homepage der Kommission), Ziff. 2.9: „Das Unternehmen, dem der Erlass einer Geldbuße zuerkannt wurde, würde nachweisen müssen, in welchem Umfang seine zivilrechtliche Haftung einzuschränken ist.“ So auch Com-

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beweisen, dass der betreffende Anspruchsteller nicht sein unmittelbarer oder mittelbarer Kunde war. Diese Ansicht überzeugt indes rechtssystematisch nicht. Sowohl der Wortlaut der Richtlinie als auch das GWB definieren den Bezug vom Kronzeugen als anspruchsbegründende Voraussetzung.11 Daher obliegt die Beweislast hierfür beim Anspruchsteller.12 Das Gesetz enthält keine Umkehr der Beweislast bzw. Vermutung für diese Voraussetzung.13 b) Probleme auf mittelbaren Abnehmerstufen Indem das Gesetz auf unmittelbare und mittelbare Kronzeugenkunden abstellt, löst es unabhängig von der Beweislastfrage Anwendungsprobleme aus, soweit es sich um homogene Massengüter und mögliche Schäden mittelbarer Kunden handelt. Während der Kreis der unmittelbaren Abnehmer in solchen Fällen noch anhand der erfolgten Vertragsschlüsse ermittelt und nachgewiesen werden kann (etwa durch Vorlage von Kaufbelegen), wird dies hinsichtlich mittelbarer Abnehmer vielfach kaum möglich sein. Zwar spricht die Regierungsbegründung davon, mit mittelbaren Abnehmern seien solche gemeint, die eine „mittelbare Austauschbeziehung zu dem Kronzeugen unterhalten“ haben.14 Eine solche „mittelbare Austauschbeziehung“ ist aber eine bloße Vorstellung, die es in der Realität weder rechtlich noch tatsächlich gibt. Zwischen dem mittelbaren Abnehmer und dem Kronzeugen besteht grundsätzlich keine Vertragsbeziehung. Nach überzeugender Ansicht ist auch kein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter anzunehmen.15 Losgelöst davon wird es jedenfalls vielfach nicht möglich sein, den Kreis dieser mittelbaren Abnehmer festzustellen, wenn kartellierte Waren unterschiedlicher Kartellanten bzw. nicht kartellbeteiligter Lieferanten (Umbrella-Lieferanten) auf der Handelsebene vermischt und sodann weiterveräußert wurden. Man denke an kartelliertes Gas, kartellierten Strom oder Zemission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for ­breach of the EC antitrust rules, 2.4.2008 SEC(2008)404 (verfügbar auf der Homepage der Kommission), Tz. 314: “The immunity recipient would then not be held liable for the damage suffered by a victim that did not directly or indirectly purchase cartelised products from him nor for the harm caused by products or services bought from another cartelist. The burden of proving the extent to which his liability is limited would have to be borne by the immunity recipient.“ 11 Der Kronzeuge ist „nur zum Ersatz“ des Schadens seiner mittelbaren oder unmittelbaren Abnehmer verpflichtet. Wie die Regierungsbegründung darstellt, handelt es sich hierbei nicht lediglich um eine summenmäßige Haftungsbegrenzung, die insgesamt gegenüber allen Geschädigten griffe. Vielmehr soll die Aktivlegitimation (vorbehaltlich der Ausfall­ haftung nach § 33e Abs. 1 Satz 2 GWB) von vornherein hinsichtlich des Kronzeugen „beschränkt“ sein „auf dessen eigene Abnehmer bzw. Lieferanten sowie deren Abnehmer bzw. Lieferanten.“ 12 So Weinhold, Der Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern, 2014, S. 225 f. 13 Anders als an anderen Stellen des Gesetzes, an denen mit expliziten Vermutungen gearbeitet wird, vgl. § 33a Abs. 2 GWB oder § 33c Abs. 2 GWB. 14 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60. 15 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, XII.4.2.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl. 2018, XII.

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ment. Wer von einem Handelsunternehmen kauft, welches seinerseits sowohl vom Kronzeugen als auch von Dritten bezogen hat, kann dann nicht anhand der Gestalt der in seinem Bestand vorfindlichen Güter nachweisen, von welchem Produzenten die Ware herrührt. Dies führt zu der Frage, wie mit diesen Nachweisschwierigkeiten umzugehen ist. Abhängig von der Beweislast würde entweder das Kronzeugenprivileg entwertet, oder es wäre der Geschädigte auf die übrigen Kartellteilnehmer zu verweisen, und es würde dadurch seine Stellung verschlechtert. Hinzu kommt, dass über § 33e Abs. 3 GWB auch eine entsprechende Haftungsbefreiung im Innenverhältnis eintreten würde, wenn es sich nicht um nachweislich indirekte Kronzeugenkunden handelt. Das könnte im Ergebnis zu einer sehr weitgehenden Freizeichnung des Kronzeugen bei Kartellen über homogene Massengüter führen, wenn man, wie hier befürwortet, die Beweislast dafür beim Anspruchsteller sähe. Um diese Unbilligkeiten aufgrund von Nachweisschwierigkeiten zu vermeiden, könnte eine mengenmäßige Betrachtung angestellt werden. Soweit innerhalb bestimmter Zeiträume die direkte Abnehmerstufe bestimmte Mengen vom Kronzeugen bezogen hat, so dass die restlichen Mengen auf Drittbezüge bzw. Eigenfertigung entfallen, so könnte hinsichtlich aller mittelbaren Abnehmer, die in dieser Referenzperiode vom unmittelbaren Abnehmer Güter erworben haben, deren Eigenschaft als mittelbare Kronzeugenkunden in dem Verhältnis angenommen werden, die der Kronzeugen-­ Menge zu den übrigen Mengen auf der direkten Abnehmerstufe entspricht. Eine solche Auslegung würde einen Ausgleich schaffen zwischen dem bezweckten Kronzeugenschutz einerseits und den Interessen geschädigter mittelbarer Kunden andererseits. c) Teilweiser Bezug beim Kronzeugen Ein weiteres Auslegungsproblem ist das folgende: Manche Stimmen im Schrifttum vertreten die Ansicht, dass jeder unmittelbare oder mittelbare Kunde, der auch lediglich einen Teil vom Kronzeugen bezogen hat, seinen gesamten Schaden (also einschließlich der Schäden aus Drittmengen) beim Kronzeugen geltend machen kann.16 Die Regierungsbegründung ist insoweit nicht eindeutig. Zu § 33e Abs. 1 GWB heißt es, dass Geschädigte „die im Hinblick auf die von dem Verstoß betroffenen Waren oder 16 Kersting, VersR 2017, 581, 590: „Der Status als unmittelbarer bzw. mittelbarer Abnehmer oder Lieferant des Kronzeugen wird dabei einheitlich festgestellt und nicht auf einzelne Vertragsbeziehungen bezogen. Gegenüber einem bestimmten Abnehmer oder Lieferanten entfällt die Privilegierung des Kronzeugen daher vollständig, wenn dieser auch nur eine Vertragsbeziehung als Abnehmer oder Lieferant mit dem Kronzeugen eingegangen ist.“; so wohl auch Krüger, WuW 2017, 229, 231: „So haftet ein Kronzeuge, dem die Geldbuße ganz erlassen wurde (vgl. Art. 2 Nr. 19 i. V. mit Nr. 15 Richtlinie), unbeschränkt nur noch seinen unmit­ telbaren oder mittelbaren Kunden und Lieferanten (). Hierfür dürfte freilich eine einzige Vertragsbeziehung genügen.“; s. zu dem Problem (noch bezogen auf die Richtlinie) Inderst/ Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S.  416 (die dort gemachten Anmerkungen zur Richtlinie müssen im Lichte des nunmehr geänderten GWB und der darauf bezogenen Regierungsbegründung nun einer Neubewertung unterzogen werden).

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Dienstleistungen keine unmittelbare oder mittelbare Austauschbeziehung zu dem Kronzeugen unterhalten, den Ersatz ihres vollständigen Schadens zunächst nur von den ­übrigen an dem Kartell beteiligten beanspruchen“ können.17 Für diese Ansicht lässt sich möglicherweise auf die Ausführungen der Gesetzesbegründung zu § 33e Abs. 3 GWB abstellen,18 wonach andere Abnehmer als die unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer definiert werden als solche Kunden, die „ausschließlich Austauschbeziehungen“ zu anderen Unternehmen unterhalten haben.19 Das könnte bedeuten, dass bei Mischbezug der gesamte Schaden gegen den Kronzeugen geltend gemacht werden kann, denn solche Kunden wären insgesamt als Kronzeugenkunden qualifizierten, weil sie nicht (ausschließliche) Drittkunden wären. Die Gegenansicht erscheint indes wohl mit Blick auf den neuen § 33e GWB überzeugender.20 So sollte hinsichtlich des Gläubigerprivilegs, den Kronzeugen in Anspruch zu nehmen, anhand der Liefermengen differenziert werden.21 Nur hinsichtlich der unmittelbar oder mittelbar vom Kronzeugen stammenden Mengen sollte dieser dem Gläubiger haften. Hinsichtlich sonstiger Mengen könnte sich der Kunde nur an die anderen Kartellanten halten. Für diese Lösung könnte neben der Angemessenheit des Interessenausgleichs auch eine Passage in der Regierungsbegründung sprechen, die sich auf § 33e Abs. 1 GWB bezieht. Dazu heißt es nämlich, dass solche Kunden, die „keine“ unmittelbare oder mittelbare Austauschbeziehung zu dem Kronzeugen unterhalten haben, den Ersatz „ihres vollständigen Schadens“ zunächst nur von den übrigen Kartellteilnehmern beanspruchen können.22 Indem die Regierungsbegründung betont, dass der Ersatz des „vollständigen Schadens“ in diesen Fällen nur von den anderen Beteiligten möglich ist, lässt sie die Auslegungsvariante offen, dass im Falle des 17 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60. 18 Vgl. Kersting/Preuß, WuW 2016, 304, LS 8: „Zu ersetzen ist also der gesamte Schaden aus dem Verstoß und nicht nur der Schaden, der aus den konkreten Austauschbeziehungen zwischen den Abnehmern oder Lieferanten und dem Kronzeugen“. Diese beziehen sich noch auf die Begründung des RefE, wobei sich die relevante Passage auch in der BegrRegE findet (BegrRegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, S. 60). 19 BegrRegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, S. 60: „Dies betrifft die Abnehmer oder Lieferanten von kartellbefangenen Produkten oder Dienstleistungen, die diesbezüglich ausschließlich Austauschbeziehungen zu Unternehmen unterhalten haben, die nicht an dem Verstoß beteiligt waren.“ 20 Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Aussagen in Regierungsbegründungen zu GWB-­ Novellen eine abweichende Auslegung des Gesetzes nicht hindern. Beispielsweise hat der Gesetzgeber in Zusammenhang mit § 33 Abs. 4 GWB a.F. (jetzt § 33b GWB) den Begriff „Tatbestandswirkung“ verwendet, obwohl es sich nicht um eine solche handelt, sondern um eine „Feststellungswirkung“. Der Gesetzgeber hat beispielsweise ferner bei Einführung des § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB eine „Kappungsgrenze“ im Sinne der EU-Bußgeldpraxis einführen wollen, die Auslegung des BGH weicht aber davon ab und nimmt einen „Bußgeldrahmen“ an. Es wäre daher nicht überzeugend, die Auslegung des Gesetzes allein auf eine Passage der Regierungsbegründung zu stützen. 21 Dazu Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 37 ff. m.w.N.; ferner Krüger, NZKart 2013, 483, 485; Schwenke, NZKart 2015, 383; zum österreichischen Recht Innerhofer/Jeneral, ÖZK 2016, 209, 214. 22 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60.

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teilweisen Bezugs von einem Kronzeugen ein entsprechender Teil des Schadens gegenüber dem Kronzeugen liquidiert wird, nicht aber der übrige Schaden. So sieht es im Übrigen auch das Commission Staff Working Paper, das insoweit (anders als hinsichtlich des Beweislastfrage) inhaltlich überzeugt, indem es von einer anteiligen Kronzeugenhaftung ausgeht.23 3. Ausfallhaftung § 33e Abs. 1 Satz 2 GWB sieht schließlich eine Ausfallhaftung des Kronzeugen vor, die dann greift, wenn die Geschädigten von den übrigen Rechtsverletzern „keinen vollständigen Ersatz verlangen konnten“. Es ist fraglich, welche Anforderungen an den Fehlschlag des Versuchs, vollständigen Ersatz zu erhalten, zu stellen sind. Die Regierungsbegründung setzt diese hoch an und führt aus, es sei „zumutbar, zumindest einmal eine Zwangsvollstreckung wegen der Schadensersatzforderung gegen jeden der übrigen, nicht zahlungsunfähigen Schädiger zu versuchen.“24 Wenn der Gläubiger mit der Durchsetzung seiner Forderung lediglich teilweise Erfolg hat, soll es nach der Regierungsbegründung möglich sein, den „verbliebenen Schaden“ von dem Kronzeugen zu beanspruchen.25 Die Ausfallhaftung erhöht nicht den Innenhaftungsanteil des Kronzeugen i.S.v. § 33e Abs. 3 GWB.26

III. Innenhaftung 1. Allgemeine Grundsätze Der gesamtschuldnerische Innenausgleich wird durch § 33d Abs. 2 GWB vorbehaltlich der Sonderregeln für KMU und Kronzeugen nur geringfügig modifiziert. Nach § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB gilt nicht die allgemeine Regel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach im Zweifel nach Kopfteilen ausgeglichen wird. Vielmehr ordnet § 33d Abs. 2 23 Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages ­actions for breach of the EC antitrust rules, 2.4.2008 SEC(2008)404 (verfügbar auf der Homepage der Kommission), Tz. 314 Fn. 160: “For instance, where 30 % of a victim’s total purchases of cartelised products originate from the immunity recipient, the latter would only be liable for 30 % of the total harm suffered by this victim due to the overcharge of the cartelised products.” 24 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60. 25 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60; a.A. Kersting, VersR 2017, 581, 590: „Auch wenn es in der Sache naheläge, die Privilegierung nur insoweit entfallen zu lassen, als die Geschädigten mit ihrem Anspruch ausfallen, so kann das Gesetz nicht in diesem Sinn korrigierend gelesen werden.“ S.  zur Diskussion des Problems nach der Richtlinie bereits Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S.  416; ferner Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/​104/EU), 2015, Rz. 129; zum geltenden GWB s. Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 48 f. Inwieweit diese Streitfrage überhaupt praktische Bedeutung erlangen kann, steht auf einem anderen Blatt. Denn wenn der Kunde einen Teil seines Schadens erfolgreich bei den anderen Kartellanten liquidiert hat, wird insoweit grds. keine Notwendigkeit für eine Ausfallhaftung mehr bestehen. 26 Dazu BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60 f.

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Satz 1 GWB unmittelbar an, dass der Ausgleich von den Umständen abhängt und insbesondere davon, in welchem Maß die Kartellanten den Schaden verursacht haben. Dieser Maßstab galt der Sache nach aber auch nach dem Recht der 8. GWB-Novelle und war insoweit § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB in Abweichung von der Zweifelsregel zugrunde zu legen.27 Da § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB an die Stelle von § 426 Abs. 1 Satz 1 GWB tritt, begründet die Norm insoweit auch einen eigenen kartellrechtlichen Ausgleichsanspruch, der § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB funktional ersetzt. Als weitere mögliche Anspruchsgrundlage besteht die Forderung aus der cessio legis nach § 426 Abs. 2 BGB. Im Übrigen bleibt es bei den Gesamtschuldregeln, auf die § 33d Abs. 2 Satz 2 GWB verweist. Spezielle Verjährungsvorschriften sieht § 33h Abs. 7 GWB für den Innenausgleichsanspruch vor. Hier bestand in der Praxis bislang das Problem, dass der Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB28 häufig bereits verjährt war,29 und auch der Ausgleichsanspruch aus cessio legis nach § 426 Abs. 2 BGB30 gemäß § 412 BGB i.V.m. § 404 BGB vielfach einredebehaftet.31 Ob ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB einen Ausweg bot, hing davon ab, ob dieser überhaupt griff und wann dessen Verjährung begann, was im Einzelnen umstritten ist.32 Auf die damit zusammenhängenden Probleme ist vorliegend nicht näher einzugehen. Vielmehr geht es darum, inwieweit die allgemeinen Ausgleichsmechanismen der Gesamtschuld durch §  33e Abs. 3 GWB modifiziert werden.

27 Zur Haftungsquote in Kartellfällen ausf. Dreher in Festschrift für Möschel, 2011, S. 149; Krüger, WuW 2012, 6; Krüger, Kartellregress, 2010, S. 111 ff.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, XI. 28 Die Regierungsbegründung spricht in diesem Zusammenhang von §  426 Abs.  1 Satz 2 BGB, meint aber wohl Satz 1, vgl. BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 67. 29 Zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs BGH v. 18.6.2009 – VII ZR 167/08, juris-­Rz. 21: „Für eine Kenntnis aller Umstände, die einen Ausgleichsanspruch nach §  426 Abs.  1 BGB begründen, ist es erforderlich, dass der Ausgleichsberechtigte Kenntnisse von den Umständen hat, die einen Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichsverpflichteten begründen, von denjenigen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst begründen, sowie von denjenigen, die das Gesamtschuldverhältnis begründen, und schließlich von den Umständen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen.“; BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 66; Ollerdißen in K ­ ersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 11 Rz. 42. Zum Problem grundlegend Bydlinski in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 426 Rz. 15; Pfeiffer, NJW 2010, 23 ff. Zu abweichenden Lösungsvorschlägen in der Lit. s. den Überblick bei Gänswein, NZKart 2016, 50, 55; ferner Petrasincu, NZKart 2014, 437, 440 unter Berufung auf BGH v. 5.5.2010 – III ZR 209/09, NJW 2010, 2197, 2199. 30 Vgl. BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 66: „Der Ausgleich unter den Gesamtschuldnern muss deshalb bislang nach § 426 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit dem an den leistenden Gesamtschuldner übergegangen Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden.“ 31 Vgl. BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S.  66; Ollerdißen in Kersting/­ Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 11 Rz. 42; Gänswein, NZKart 2016, 50, 57. 32 Vgl. Gänswein, NZKart 2016, 50, 57  f. Zum Problem der Verjährung des Restschadens­ ersatzanspruchs s. Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl. 2018, sub I.3.5.

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2. Innenhaftung des Kronzeugen a) Haftungsprivilegierung gegenüber den unmittelbaren und mittelbaren ­Kunden der anderen Kartellanten aa) Das Problem Wie bereits angesprochen, will die Richtlinie und ihr folgend das novellierte GWB den Kronzeugen besserstellen als die übrigen Kartellanten. Indes will sie nicht so weit gehen, dass der Kronzeuge vollständig aus der Haftung befreit wird. Dies wird im Innenverhältnis durch die Regelung umgesetzt, dass die „übrigen Rechtsverletzer… von dem Kronzeugen Ausgleichung nach § 33d Absatz 2 nur bis zur Höhe des Schadens verlangen (können), den dieser seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten verursacht hat.“ Allerdings ist fraglich, was diese Norm für die konkrete Anwendung auf den Gesamtschuldnerinnenausgleich zu bedeuten hat. Zwar heißt es zur Erklärung in der Literatur, die Schadensersatzrichtlinie (und nun §  33e Abs.  3 GWB) führe hinsichtlich des Kronzeugen zu einem „Gleichlauf von Außen- und Innenhaftung“.33 Problematisch erscheint indes, dass ein solcher Gleichlauf von Außenund Innenhaftung gerade nicht dem Funktionsprinzip der Gesamtschuld entspricht, bei der Außen- und Innenhaftung auseinanderfallen können. Soweit sich die Literatur vertieft mit der Problematik befasst hat, deuten sich durchaus unterschiedliche Lösungsansätze ab. bb) Auslegungsansätze (I.) Teilweise Aufhebung der gesamtschuldnerischen Haftung Manche betonen den Gleichlauf von Außen- und Innenhaftung. Es heißt, der Kronzeuge hafte „nur für den Schaden, den seine eigenen“ (direkten oder indirekten) Abnehmer erlitten haben.34 Wie sich aus dem Richtlinienvorschlag ergebe, gelte dies „sowohl für das Außenverhältnis gegenüber den Geschädigten wie beim Gesamtschuldnerinnenausgleich.“35 Es bleibt jedoch auch bei Betonung des Gleichlaufpostulats fraglich, wie dieses umzusetzen ist. Man könnte es in einem radikalen Auslegungsschritt so bewältigen, dass man die Verantwortlichkeit des Kronzeugen im Außenund Innenverhältnis – sofern nicht die Ausfallhaftung des § 33e Abs. 1 Satz 2 GWB greift  – überhaupt nicht als gesamtschuldnerische Haftung ansieht, sondern der Kronzeuge von vornherein nur seinen unmittelbaren und mittelbaren Kunden allein haftet, insoweit allerdings dann aber auch keine Rückgriffsansprüche nach § 426 BGB bzw. § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB gegen die anderen Kartellanten hat. Zugleich müssten bei dieser Auslegung die Rückgriffsansprüche der anderen Kartellanten gegen den Kronzeugen gesperrt sein, soweit es um Schäden der unmittelbaren und mittelbaren Kunden der anderen Kartellanten geht. Lediglich soweit die anderen Kartellanten 33 Weinhold, Der Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern, 2014, S. 224. 34 Vollrath, NZKart 2013, 434, 443. 35 Vollrath, NZKart 2013, 434, 443, unter Bezugnahme auf Art. 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 des Richtlinienvorschlags.

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Schäden der unmittelbaren und mittelbaren Kunden des Kronzeugen im Außenverhältnis ersetzen, müssten diese rückgriffsberechtigt sein (und ferner für sonstige Geschädigte i.S.v. Abs. 3 Satz 2). Für durch die übrigen Kartellanten ersetzten Schäden der Kronzeugenkunden müsste dann aber eine vollständige Abwälzung der im Außenverhältnis geleisteten Zahlungen auf den Kronzeugen erfolgen, um das wirtschaftliche Ergebnis eines „Gleichlaufs“ von Außen- und Innenhaftung für den Kronzeugen herzustellen. Ob ein solches Haftungsregime gewollt war, ist fraglich, denn es hat im Wortlaut der Richtlinie und des GWB nicht eindeutig Ausdruck gefunden. Vielmehr folgt aus § 33e Abs. 1 Satz 1 GWB, dass der Kronzeuge trotz der angestrebten Privilegierung weiterhin grundsätzlich als Gesamtschuldner im Außen- und Innenverhältnis haftbar ist, und es findet bis auf die Festlegung der Haftungsgrenze keine sonstige Einschränkung der Ausgleichsmechanismen statt. Zwar heißt es in Begründungserwägung 38 der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie, dass der „Kronzeuge grundsätzlich von der gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Schaden ausgenommen wird“. Diese Aussage ist aber wohl nur so zu verstehen, dass die Regressansprüche der übrigen Kartellanten gegen den Kronzeugen summenmäßig eingeschränkt werden, nicht aber, dass eine Gesamtschuld entfällt. Dies wird wiederum durch den zweiten Halbsatz in Begründungserwägung 38 deutlich, wo davon die Rede ist, dass der Ausgleichsbetrag, den der Kronzeuge gegenüber den anderen Rechtsverletzern leisten muss, der Höhe nach beschränkt ist. Und schließlich stellt auch Art. 11 Abs. 4 Rili klar, dass die Haftung des Kronzeugen eine gesamtschuldnerische ist.36 (II.) Begrenzung der gesamtschuldnerischen Haftung (1.) Regress des Kronzeugen gegenüber den anderen Kartellanten Geht man also davon aus, dass der Kronzeuge Gesamtschuldner bleibt und seine Innenhaftung lediglich summenmäßig begrenzt ist, so ergeben sich daraus zunächst folgende Konsequenzen: Wenn der Kronzeuge im Außenverhältnis von seinen eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden in Anspruch genommen wird, stehen ihm Regressansprüche nach §  426 BGB gegen die übrigen Kartellanten zu.37 Dem Gesetz ist weder zu entnehmen, dass der Kronzeuge keine Ausgleichsansprüche haben soll, noch, dass diese der Höhe nach begrenzt wären. Er kann daher gegenüber den anderen Kartellanten nach dem Maßstab des § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB regressieren.

36 „(4) Abweichend von Absatz 1 gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass ein Kronzeuge gesamtschuldnerisch haftbar ist a) gegenüber seinen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten…“ 37 Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 74.

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(2.) Regress der anderen Kartellanten gegenüber dem Kronzeugen (a) Regress für den Ausgleich der Schäden von Kronezugenkunden Da § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB von einer Einstandspflicht des Kronzeugen im Innenverhältnis ausgeht, deren Höhe lediglich begrenzt wird, haftet umgekehrt der Kronzeuge den übrigen Kartellanten jedenfalls insoweit auf Ausgleich, als diese die Schadensersatzansprüche von unmittelbaren und mittelbaren Kunden38 des Kronzeugen ersetzen.39 Diese Rückgriffshaftung wird nur durch § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB beschränkt, so dass sie „bis zur Höhe des Schadens …, den dieser seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten verursacht hat“ gilt. Auf die Probleme bei der Anwendung dieser Begrenzung ist später zurückzukommen. (b) Regress für den Ausgleich der Schäden von Kunden der übrigen ­Kartellanten Es fragt sich, ob die übrigen Kartellanten auch hinsichtlich der Schäden der eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden (soweit es sich also nicht um Kronzeugen-Schäden handelt) beim Kronzeugen Rückgriff nach §  33d Abs.  2 Satz 1 GWB i.V.m. § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB und ggf. § 426 Abs. 2 BGB nehmen können. Der Wortlaut des Gesetzes und der Richtlinie schließen das nicht ausdrücklich aus. Dennoch nimmt die Lit. zu § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB teilweise an, dass die übrigen Kartellanten für die Schäden eigener Kunden keinen Rückgriff beim Kronzeugen nehmen können.40 Hierfür könnte der bereits erwähnte Halbsatz in Begründungserwägung 38 der Schadensersatzrichtlinie sprechen, wonach der Kronzeuge „grundsätzlich von der gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Schaden ausgenommen wird“. Dies könnte man dahingehend verstehen, dass er nur gesamtschuldnerisch haftet, soweit es um Schäden seiner eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden geht, nicht jedoch hinsichtlich der Schäden unmittelbarer und mittelbarer Kunden der Kartellanten. In diese Richtung ist möglicherweise auch ein Satz der Regierungsbegründung zur 9. Novelle zu verstehen, in dem es in Zusammenhang mit der Haftungsgrenze des § 33e Abs. 3 Satz1 GWB wie folgt heißt: „Darüber hinaus haftet der Kronzeuge gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern nicht für solche Schäden, die anderen Abnehmern oder Lieferanten der Schädiger entstanden sind.“ Sodann heißt es in der Regierungsbe38 Im Außenverhältnis können Kronzeugen-Kunden ihre Ansprüche nicht nur gegenüber dem Kronzeugen geltend machen, sondern auch gegenüber den anderen Kartellanten. 39 Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 59 ff. Wenn im Innenverhältnis einer der Kartellanten ausfällt, könnte den Kronzeugen dann auch eine Ausfallhaftung nach § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB treffen, vgl. Mackenrodt, a.a.O. Rz. 80. 40 Krüger, WuW 2017, 229, 231: „Im Verhältnis zu seinen Mitkartellanten ist die Haftung des Kronzeugen der Höhe nach auf den Betrag beschränkt, den er seinen Abnehmern (bzw. Lieferanten) als Schaden durch den Verstoß verursacht hat (§ 33e Abs. 3 Satz 1 GWB). Für die Schäden anderer Abnehmer des Kartells haftet er intern also nicht. Der verbleibende Anteil des Kronzeugen, den dieser nach § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB … ohne die Haftungsbegrenzung zu tragen hätte, wächst anteilig bei den Mitkartellanten entsprechend ihrer Haftungsquote an.“; so auch Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 64 ff.

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gründung, dass der verbleibende Anteil des Kronzeugen, „den dieser über den Höchstbetrag nach Satz 1 hinaus zu tragen hätte, … anteilig bei den übrigen Schädigern ­entsprechend ihrer eigenen jeweiligen nach Absatz 2 ermittelten Haftungsquote im Innenverhältnis“ anwächst.41 Möglicherweise hat eine solche Differenzierung zwischen dem gesamten Schaden der unmittelbaren und mittelbaren Kunden einerseits sowie dem Verursachungsbeitrag des Kronzeugen an diesem Schaden, auf den es im Innenverhältnis ankäme, andererseits im Wortlaut des § 33e GWB Niederschlag gefunden. So spricht das Gesetz in § 33e Abs. 1 GWB hinsichtlich der Außenhaftung davon, dass der Kronzeuge zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der den eigenen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern aus dem Verstoß „entsteht“. In § 33e Abs. 3 GWB ist jedoch hinsichtlich der Höhe des Schadens die Rede davon, dass der Kronzeuge diesen „seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern … verursacht hat.“ Mit letzterem könnten damit der auf den Kronzeugen-Schaden entfallende Innenhaftungsanteil des Kronzeugen gemeint sein.42 Dieser Teil wäre dann im Ergebnis der Betrag, den der Kronzeuge als Gesamtschuldner nach durchgeführtem Innenausgleich zu tragen hätte. Im wirtschaftlichen Ergebnis würde eine solche Auslegung allerdings zu einer sehr weitreichenden Privilegierung des Kronzeugen führen. Dieser müsste nämlich nach Durchführung des Gesamtschuldnerinnenausgleichs nur für den auf ihn gemäß § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB entfallenden Anteil an den Schäden der eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden haften. Für den übrigen Teil der Schäden seiner eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden wären im Innenverhältnis die anderen Kartellanten nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB zu beteiligen (wie hoch auch immer diese Teile hinsichtlich der jeweiligen Schadensersatzforderung sind). Diese könnten aber nicht für die Schäden ihrer eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden Rückgriff beim Kronzeugen nehmen, sondern müssten insoweit dessen Anteil im Wege der Anwachsung mittragen. Somit hätten die übrigen Kartellanten die Schäden ihrer eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden vollständig zu tragen und zusätzlich einen Teil der Schäden der unmittelbaren und mittelbaren Kunden des Kronzeugen. Anders formuliert würden die übrigen Kartellanten also die Schadensersatzlast des Kronzeugen zu einem Teil übernehmen. Es ist fraglich, ob die Richtlinie und das Gesetz eine so weitgehende Privilegierung des Kronzeugen beabsichtigt haben, jedenfalls wäre dies sachlich kaum gerechtfertigt. Es käme gerade nicht zu einem Gleichlauf von Außen- und Innenhaftung, sondern die Innenhaftung betrüge im Ergebnis regelmäßig nur einen Bruchteil der Außenhaftung des Kronzeugen. Außerdem muss gesehen werden, dass derselbe Ausgleichsmechanismus nach § 33d Abs. 4 Satz 1 GWB auch für privilegierte kleine und mittlerer Unternehmen gilt. Es wäre aber auch in einer ohnehin rechtspolitisch verfehlten Privilegierungsvorschrift wie §  33d Abs.  4 GWB nur noch schwer erklärbar, weshalb kleine und mittlere Unternehmen im Innenverhältnis einen Teil des durch sie ange41 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60, wonach sich der Verweis auf „Absatz 2“ auf § 33d GWB bezieht. 42 Vgl. Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 32.

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richteten Schadens auf die übrigen Kartellanten abwälzen können sollten, ohne selbst für die Schäden der Kunden der anderen Kartellanten anteilig einzustehen. Diese Erwägungen sprechen wohl dafür, dass die übrigen Kartellanten gegenüber dem Kronzeugen auch hinsichtlich solcher Schäden Regressansprüche geltend machen können, die ihren eigenen unmittelbaren und mittelbaren Kunden entstanden sind. Bei dieser Auslegung ist dann freilich das in §  33 Abs.  3 Satz 1 GWB in Bezug genommene Kronzeugen-Schadensvolumen als absolute Belastungsgrenze zu beachten. Eine Regressierung der übrigen Kartellanten gegenüber dem Kronzeugen wäre somit nur möglich, solange diese Grenze nicht ausgeschöpft ist. Ab Erreichen der Grenze würde die Anwachsung auf die Haftungsanteile der übrigen Kartellanten erfolgen, auf die die Regierungsbegründung verweist. (c) Bestimmung der Innenhaftungsgrenze Hinsichtlich der Anwendung dieser Rückgriffssperre, die sich nach § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB am Schadensvolumen der Kronzeugen-Kunden bemisst, bestehen allerdings ebenfalls Auslegungsfragen. Zunächst ist zu klären, inwieweit durch §  33a Abs.  3 Satz 1 GWB eine Grenze definiert wird, die von dem Haftungsanteil nach den allgemeinen Grundsätzen des § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB überhaupt abweicht. Letztere Vorschrift stellt für die Bemessung der Innenausgleichsquote auf die Umstände des Falls ab, wozu insbesondere der Verursachungsbeitrag gehören soll. Andere Faktoren werden aber nicht ausgeschlossen. Der Umfang der bei unmittelbaren und mittelbaren Kunden verursachten Schäden wird vielfach eine Relation zum eigenen Marktanteil und damit mittelbar auch zum Verursachungsbeitrag haben. Es kann daher durchaus der Fall eintreten, dass der Innenhaftungsanteil des Kronzeugen, wenn man ihn nach § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB bestimmt, (mehr oder weniger) genau so hoch ist wie das Kronzeugen-Schadensvolumen i.S.v. § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB. Ausnahmen davon, in denen die Grenze des § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB eigenständige Bedeutung erlangt, wären denkbar, wenn der Kronzeuge durch hervorgehobene Tatbeiträge, etwa hinsichtlich der Kartellorganisation, einen besonderen Verursachungsbeitrag geleistet hat, der sich nicht in einem erhöhten Schadensvolumen niedergeschlagen hat.43 Soweit zwischen beiden Quoten eine Abweichung bestünde, würde diese Differenz dann den Haftungsanteilen der übrigen Gesamtschuldner anwachsen.44 Ferner erlangt die Haftungsgrenze des § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB eigenständige Bedeutung, wenn einzelne Gesamtschuldner ausfallen, so dass der offene Haftungsanteil den übrigen Gesamtschuldnern nach § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB anwächst. Eine solche Anwachsung trifft den Kronzeugen dann nur, bis seine Haftungshöchstgrenze nach § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB erreicht ist.45

43 Stets vorausgesetzt, dass eine solche hervorgehobene Rolle im Kartell nicht der Gewährung von Bußgeldimmunität nach den einschlägigen Kronzeugenregelungen entgegengestanden hat. 44 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60. 45 BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60; Mackenrodt in Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 8 Rz. 81.

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Unklar ist, ob es sich bei der Schadenshöhe der unmittelbaren und mittelbaren Kronzeugenkunden um eine Gesamthaftungsgrenze handelt oder ob die Grenze für jede zu regressierende Forderung separat zu ermitteln und anzuwenden ist. Wenn es sich um eine Gesamthaftungsgrenze handeln würde, würde das Schadensvolumen als ein cap fungieren, ab dem eine weitere Innenhaftung ausgeschlossen ist. Es könnten also die übrigen Gesamtschuldner Regressansprüche solange ungekürzt gegenüber dem Kronzeugen geltend machen, bis das Kronzeugen-Schadensvolumen als abstrakte Summe erreicht wäre. Dann könnten sie überhaupt nicht mehr regressieren. Denkbar wäre indes auch, dass das Kronzeugenschadensvolumen zu dem Schadensvolumen der unmittelbaren und mittelbaren Kunden der übrigen Kartellanten in Bezug gesetzt wird und hinsichtlich jeder Forderung, die gegenüber dem Kronzeugen regressiert wird, der Anspruch in diesem Verhältnis gekürzt wird, sofern die nach § 33d Abs. 2 Satz 1 GWB errechnete Innenhaftungsquote andernfalls darüber hinausreichen würde. Für diese Auslegung könnte sprechen, dass die gesamtschuldnerische Haftung aus den jeweiligen Einzelforderungen der Geschädigten resultiert, so dass es systemkohärent wäre, auch die Haftungsbegrenzung auf die einzelnen Forderungen, hinsichtlich derer Rückgriff verlangt wird, zu beziehen. Losgelöst von dieser Frage kann die Bestimmung der Haftungsgrenze des § 33e Abs. 3 Satz 1 GWB mit Nachweisschwierigkeiten verbunden sein. Dann wird auch hier die Beweislast relevant. Wie oben ausgeführt, ging die Kommission in ihrem Weißbuch und dem darauf bezogenen Staff Working Paper davon aus, dass die Beweislast für das Eingreifen der Haftungsprivilegierung im Außenverhältnis beim Kronzeugen liege. Wenn man davon ausginge, könnte man dasselbe auch für die Innenhaftungsprivilegierung vertreten. Indes hat diese Ansicht bereits hinsichtlich der Außenhaftung nicht überzeugt, weil es sich insoweit um eine anspruchsbegründende Voraussetzung handelt und keine gesetzliche Vermutung die Beweislast umkehrt. Dasselbe gilt für die Innenhaftungsgrenze. Auch sprechen das Telos des Kronzeugenschutzes und die Formulierung des Gesetzes („nur bis“) dafür, insoweit den übrigen Kartellanten als Regressgläubigern die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass diese Grenze noch nicht erreicht ist. Um Beweisschwierigkeiten zu mildern, kommt die Annahme einer sekundären Darlegungslast des Kronzeugen in Betracht, sofern die Regressgläubiger auf Informationen angewiesen sind, die sich in der Sphäre des Kronzeugen befinden. b) Keine Privilegierung für Schäden der Kunden und Lieferanten von ­Kartellaußenseitern Aus § 33e Abs. 3 Satz 2 GWB folgt weiters, dass die Kronzeugenprivilegierung nicht gilt für die Ausgleichung von Schäden, die anderen als den unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten der kartellbeteiligten Unternehmen entstanden sind. Damit sind insbesondere Umbrella-Schäden gemeint. Diesbezüglich gelten die allgemeinen Haftungsanteile nach §  33d Abs.  2 Satz 1 GWB.46 Zu beachten ist aber, dass diese Geschädigten nach § 33e Abs. 1 GWB im Außenverhältnis nicht den 46 S. hierzu auch BegrRegE 9. GWB-Novelle BT-Drucks. 18/10207, S. 60 sowie Begründungserwägung 38 der Kartellschadensersatzrichtlinie.

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Gesamtschuldnerische Kronzeugenhaftung nach 9. GWB-Novelle

Kronzeugen, sondern nur die übrigen Kartellanten in Anspruch nehmen dürfen. Die Einstandspflicht des Kronzeugen beschränkt sich insoweit also auf die Innenhaftung.

IV. Schluss Das Postulat eines Haftungsgleichlaufs im Außen- und Innenverhältnis ist nur schwer umsetzbar, weil es dem Wesen der Gesamtschuld widerspricht. Das gesetzgeberische Bekenntnis zu einem haftungsrechtlichen (und nicht lediglich beweisrechtlichen) Kronzeugenschutz hat daher zu schwierigen Auslegungsfragen geführt und dürfte in verschiedenen Bereichen erhebliche Nachweisprobleme bereiten. Ob ein so weitgehender Schutz des Kronzeugen überhaupt sachgerecht war, wenn man berücksichtigt, dass Kronzeugeninformationen bereits nach § 33g sowie §§ 89b bis e GWB weitgehenden Schutz genießen, ist zweifelhaft. Desungeachtet weisen §  33e Abs.  3 GWB und die entsprechende Rechtsgrundlage in Art. 11 der Richtlinie so erhebliche Auslegungsunsicherheiten auf, dass vermutlich eine Vorlage an den EuGH erforderlich wird.

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Bieter- und Liefergemeinschaften – aktuelle Aspekte der Bewertung nach § 1 GWB I. Einleitung 1. Begriffsbestimmung 2. Wirtschaftliche Relevanz und betroffene Märkte 3. Vergaberechtliche Bedeutung II. Kartellrechtliche Einordnung 1. Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) – eine Wettbewerbsbeschränkung? 2. Zwischen subjektiver Einschätzungsprärogative und objektiver Nachvollziehbarkeit – Anforderungen an eine nach § 1 GWB zulässige Bieter-/Liefergemeinschaft

a) Rechtliche Anforderungen an eine ­zulässige Bieter-/Liefergemeinschaft b) Informationsaustausch im Rahmen von Bieter- und Liefergemeinschaften 3. Die Freistellungsprüfung nach §§ 2 und 3 GWB, Art. 101 Abs. 3 AEUV a) Freistellung als Mittelstandskartell (§ 3 GWB) b) Freistellung nach § 2 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV III. Ausblick

I. Einleitung Die Bieter- oder Liefergemeinschaft – als Ausdrucksform der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ (ARGE)  – ist ein dem Kartellrechtlicher seit Jahrzehnten  vertrautes Thema im Rahmen von §  1 GWB. Aus dem Kanon bekannter höchstrichterlicher Entscheidungen zum Kartellrecht wird schnell „Bauvorhaben Schramberg“1 in die Debatte geworfen, und die Kenner nicken wissend. Dass das Thema in der Entscheidungspraxis der Kartellbehörden, der Vergabekammern und der Gerichte immer wieder relevant wurde, dürfte zum einen an der großen  wirtschaftlichen Relevanz von Bieter-/Liefergemeinschaften in bestimmten Branchen, insbesondere der Bauund Baustoffindustrie, und zum anderen daran liegen, dass sie mit der Prüfung einer Wettbewerbsbeschränkung und damit mit dem grundlegenden Tatbestandsmerkmal des § 1 GWB/Art. 101 Abs. 1 AEUV verknüpft sind. Gelingt es den an einer Bieter-/ Liefergemeinschaft beteiligten Unternehmen, die Erforderlichkeit ihrer Kooperation für ein Angebot im Bieterwettbewerb darzulegen und damit als ein gemeinschaftlicher und nicht als zwei Bieter/Lieferanten zu erscheinen, fehlt es an einer Wettbewerbsbeschränkung und fehlt es an der Tatbestandserfüllung des § 1 GWB/Art. 101 Abs. 1 AEUV. Den Nachweis einer Freistellung nach §§ 2, 3 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV brauchen die Beteiligten nicht mehr zu führen. Die Kartellfreiheit einer Bieter-/Liefergemeinschaft wird damit begründet, dass mit der Ermöglichung eines ­weiteren Angebots im Markt eher eine Wettbewerbsförderung als eine Wettbewerbs1 BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW/E BGH 2050.

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beeinträchtigung bewirkt wird.2 Ein Vorgehen gegen eine solche Bieter-/Liefergemeinschaft wäre deshalb nicht vertretbar, mindestens aber unverhältnismäßig.3 In jüngerer Zeit haben Bieter-/Liefergemeinschaften im Rahmen der Sektoruntersuchungen Walzasphalt (2012) und Zement/Transportbeton (2017) des Bundeskartellamtes erneut Aufmerksamkeit erlangt.4 Im Bereich des Walzasphalts kam es zu einer umfangreichen  – überwiegend freiwillig erfolgenden  – Entflechtung von Gemeinschaftsunternehmen5 und sind Bieter-/Liefergemeinschaften seitdem ein für kleine und mittelständische Unternehmen bedeutsames Instrument im Wettbewerb mit großen Anbietern. Auch die Gerichte (u.a. die Vergabesenate verschiedener Oberlandesgerichte) sowie die EU-Kommission und die europäischen Gerichte haben sich in jüngerer Zeit mit Bietergemeinschaften befasst. Welchen Anforderungen eine Bieter-/Liefergemeinschaft zu genügen hat, um vom Kartellverbot ausgenommen zu sein, verdient deshalb im Lichte der jüngeren Entwicklung eine genauere Analyse. Hierzu gehört auch ein Blick auf Risiken des Informationsaustauschs, die sich im Rahmen von Bieter-/Liefergemeinschaften besonders stellen können. Mit der Anwendung von § 1 GWB/Art. 101 AEUV auf den Informationsaustausch hat sich auch der Jubilar dieser Festschrift bereits beschäftigt.6 1. Begriffsbestimmung Eine Liefergemeinschaft ist eine projektbezogene Kooperation mehrerer Anbieter zur gemeinschaftlichen Belieferung mit einem Produkt, z.B. für Asphalt oder Beton im Rahmen einer bestimmten Baumaßnahme, oder zur gemeinschaftlichen Erbringung einer Dienstleistung. Meistens folgt die Liefergemeinschaft einer aus den gleichen Unternehmen bestehenden Bietergemeinschaft im Rahmen der vorangehenden Ausschreibung.7 Die beteiligten Unternehmen treten koordiniert auf und bieten einen gemeinsamen Preis an. Teilweise – bei Auftragsvergaben durch nichtöffentliche Auftraggeber – mag nicht erkennbar sein, ob ein abgegebenes Angebot von einer Kooperation oder einem einzelnen Bieterunternehmen stammt. Im Fall einer Kooperation ist dann vorab intern vereinbart, dass das bietende Unternehmen sich den Auftrag mit dem Kooperationspartner in bestimmter Weise aufteilt. In anderen Fällen treten 2 In der Literatur wird sogar die Frage aufgeworfen, ob man die Frage der Marktfähigkeit eines Anbieters und auch einer Bieter-/Liefergemeinschaft nicht eher am Unternehmensbegriff fest machen sollte, s. Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126 ff., Fn. 19. 3 Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446. 4 Bericht v. Sept. 2012 „Sektoruntersuchung Walzasphalt. Unternehmensverflechtungen in Form von Gemeinschaftsunternehmen“; Bericht v. Juli 2017 „Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton“, beide abrufbar über www.bundeskartellamt.de. 5 S.  Bericht „Entflechtung von Gemeinschaftsunternehmen im Bereich Walzasphalt“ v. Juli 2015 zu den Verfahren B1-100/12 nach der Sektoruntersuchung Walzasphalt, www.bundes​ kartellamt.de (nachfolgend „BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt“). 6 Schroeder, WuW 2009, 718 ff. 7 Nach erfolgreicher Erlangung des Auftrags wandelt sich der Gesellschaftszweck und wird auch von „Arbeitsgemeinschaft“ (ARGE) oder „Konsortium“ gesprochen, vgl. Overbuschmann, VergabeR 2014, 634.

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Bieter- und Liefergemeinschaften – Bewertung nach § 1 GWB

durchaus mehrere Bieterunternehmen auf, geben getrennte Angebote ab und schließt das im Bieterwettbewerb erfolgreiche Unternehmen einen Liefervertrag mit dem Auftraggeber ab. Im Hintergrund hat der oder haben die Bieter aber Liefergemeinschaften dergestalt vereinbart, dass bei Lieferengpässen wechselseitig Kollegenlieferungen erfolgen sollen („bedingte Kollegenlieferungen“).8 Rechtlich dürfte die Bieter-/Liefergemeinschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu werten sein.9 Sie haftet (gesamtschuldnerisch) gegenüber dem Auftraggeber. Dies unterscheidet die Liefergemeinschaft von anderen Formen der Kooperation, z.B. sog. Kollegenlieferungen. Liefergemeinschaften sind eine projektbezogene Form der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern. Sie unterscheiden sich von dauerhaften Formen der Zusammenarbeit oder von der Zusammenarbeit in einem Gemeinschaftsunternehmen.10 Teilweise gehen Liefergemeinschaften auch über ein einzelnes Projekt hinaus, z.B. bei Ergänzungs- oder Ersatzlieferungen, und nähern sich dann Kollegenlieferbeziehungen an. Ob ausnahmsweise auch längerfristige Kooperationen als ARGE von § 1 GWB ausgenommen sein können, entscheidet sich nach dem jeweils betroffenen Markt. So mag bei der Zusammenarbeit privater Rundfunkveranstalter oder beim Betrieb eines gemeinsamen Taxirufsystems ein Angebot im Wettbewerb erst bei einer gewissen Dauerhaftigkeit möglich sein, während in Baustoffmärkten mit zahlreichen kurzfristigen Beschaffungsvorgängen die Aufträge jeweils projektbezogen zu betrachten sind.11 Dauer-Liefergemeinschaften werden hier nicht als zulässig angesehen.12 2. Wirtschaftliche Relevanz und betroffene Märkte Bieter-/Liefergemeinschaften finden sich vor allem in der Bau- und Baustoffindustrie. Hier wurden als typische Gründe für die Eingehung einer Bieter-/Liefergemeinschaft die folgenden Aspekte genannt: ȤȤ Beschränkte Produktionskapazitäten ȤȤ Logistische Herausforderungen ȤȤ Technische Anforderungen ȤȤ Vorangegangene Kooperation ȤȤ Unternehmerisches Risikomanagement.13 8 Zu Kollegenlieferungen s. auch unter II.2 a ad(3). 9 Teilweise wird bei Ausschreibungen die Gründung einer Projektgesellschaft, also eines Gemeinschaftsunternehmens, gefordert. Diese kann z.B. die Rechtsform einer GmbH haben. Sofern die Umsatzschwellen der deutschen oder europäischen Fusionskontrolle (§ 35 GWB bzw. Art. 1 FKVO) erreicht werden, unterliegen die Projektgesellschaften der präventiven Anmeldepflicht. 10 BKartA, Tätigkeitsbericht 2015/2016, S. 67. 11 So auch Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 133 f. 12 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 574. 13 S. im Einzelnen BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 552.

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Die besondere Projektgröße oder das große Auftragsvolumen war in jüngerer Zeit Anlass für diverse Konsortien in sog ÖPP-Projekten (öffentlich-private Partnerschaften oder public private partnerships = PPP) im Autobahnneu- oder ausbau.14 Insoweit haben Bieter-/Liefergemeinschaften nicht nur Bedeutung für kleine und mittelständische Unternehmen, sondern auch für größere Unternehmen, da Großprojekte in Planung, Ausführung und Finanzierung nicht immer allein zu bewältigen sind. Dies gilt z.B. bei Infrastrukturbauten (Brücken, Tunnel, Bahnstrecken, Flughäfen) oder bei Bauprojekten mittlerer Größe, die zeitweise hohe Anforderungen an die Stundenleistung in der Betonlieferung stellen. Aber auch in anderen Bereichen haben Bieter-/Liefergemeinschaften eine erhebliche Relevanz, z.B. bei Mitversicherungsgemeinschaften und im Pressegrosso.15 3. Vergaberechtliche Bedeutung Bietergemeinschaften in Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber können zudem vergaberechtliche Fragen aufwerfen. Dies gilt heute umso mehr, als seit der 9. GWB-­ Novelle (2017) öffentliche Auftraggeber gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB „unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen können, wenn … (Nr.  4) der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken“. Dieser fakultative Ausschlussgrund erfordert im Einzelfall die Klärung, ob eine Kooperation zwischen zwei Bietern eine zulässige Bietergemeinschaft oder eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung darstellt. Allerdings stellt die Rechtsprechung an die „hinreichenden Anhaltspunkte“ für eine wettbewerbs­ beschränkende Vereinbarung hohe Anforderungen. Ein Verstoß gegen §  1 GWB/ Art. 101 Abs. 1 AEUV muss mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen, und die Tatsachen beziehungsweise Anhaltspunkte müssen so konkret und aussagekräftig sein, dass die Verwirklichung eines Kartellverstoßes zwar noch nicht feststeht, jedoch ­hierüber nahezu Gewissheit besteht.16 Dies wird damit begründet, dass die weit­ reichende Entscheidung über den Ausschluss eines Bieters auf einer gesicherten Erkenntnisgrundlage beruhen muss.17 Für einen öffentlichen Auftraggeber bzw. die Vergabekammer ist es im fristgebundenen Ausschreibungsverfahren bzw. im Nachprüfungsverfahren allerdings schwierig, wenn nicht unmöglich, die kartellrechtlichen Grenzen für eine Bietergemeinschaft mit entsprechenden Ermittlungen zu prüfen. 14 S. auch bei Fn. 42. 15 BKartA v.10.8.2007 – B4-31/05, WuW/E DE-V 1459, 1463 f. Wirtschaftsprüferhaftpflicht; OLG Düsseldorf v. 30.3.2016 – VI-U(Kart) 10/15, Rz. 54. Zu weiteren Fälle aus anderen Branchen s. Lübbig in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 9 Rz. 232 m.N.; Koenig/ Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 127. 16 OLG Düsseldorf v. 17.1.2018 – VII Verg 39/17, zit. nach juris, Rz. 58; s. auch Opitz in Burgi/ Dreher, Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Aufl., § 124 GWB Rz. 52. 17 OLG Düsseldorf, aaO, S. 13.

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Bieter- und Liefergemeinschaften – Bewertung nach § 1 GWB

Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sind kartellrechtliche Ermittlungen, wie sie das Bundeskartellamt durchführt, dem öffentlichen Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren weder möglich noch zumutbar.18 Von daher dürfte es letztlich in der Praxis selten vorkommen, dass der neue Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zum Tragen kommt.

II. Kartellrechtliche Einordnung Bieter-/Liefergemeinschaften sind immer wieder Gegenstand der Entscheidungspraxis der Kartellbehörden und Gerichte gewesen. Die diesbezüglich entwickelten Grundsätze zur sog. Arbeitsgemeinschaft (ARGE) bestehen seit der Frühzeit des deutschen Kartellrechts und wurden zunächst in der BGH-Entscheidung „Bauvorhaben Schramberg“ (1983)19 wegweisend für Bieter-/Liefergemeinschaften ausgeformt. Seitdem sind gewisse Veränderungen in der Bewertung festzustellen. Die Rechtsprechung von Kartell- und Vergabesenaten zu Bieter-/Liefergemeinschaften erschien dabei in den vergangenen Jahren nicht immer einheitlich. Seit 2005 hat die kartellrechtliche Bewertung derartiger Kooperationen im Übrigen neue Relevanz gewonnen, nachdem die behördliche Freistellung bestimmter Kartelle durch das System von Verbot und Legalausnahme ersetzt und eine Selbstveranlagung seitens der Unternehmen und ihrer anwaltlichen Berater erforderlich wurde. Möglicherweise haben auch die Leitlinien der EU-Kommission zur horizontalen Zusammenarbeit sowie zu Art. 81 Abs.  3 EGV (jetzt Art. 101 Abs.  3 AEUV) und die Rechtsprechung von EuG und EuGH den Fokus in den Maßstäben für zulässige Bieter-/Liefergemeinschaften verschoben. Auch dies soll im Folgenden näher dargestellt werden. Dabei wird für Einzelaspekte der Prüfung wiederholt auf die jüngst erfolgten Untersuchungen des Bundeskartellamtes zu Bieter-/Liefergemeinschaften in den Märkten für Walzasphalt und Transportbeton zurückgegriffen werden.20 1. Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) – eine Wettbewerbsbeschränkung? Die Vereinbarung einer Arbeitsgemeinschaft, d.h. einer Bieter-/Liefergemeinschaft zwischen zwei miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, über die gemeinschaftliche Abgabe eines Angebots im Rahmen einer Ausschreibung oder sonstigen Auftragsvergabe kann gegen § 1 GWB (bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV) verstoßen, wenn sie geeignet ist, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs spürbar zu beeinflussen. Auf eine Bietergemeinschaft zwischen Wettbewerbern trifft 18 OLG Düsseldorf, aaO, S. 17; ähnlich Overbuschmann, VergabeR 2014, 634, 640. 19 BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW/E BGH 2050. 20 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz. 199 ff.; das ­BKartA hat bei Walzasphalt eine Vielzahl von Betreibergesellschaften und Liefergemeinschaften untersucht (s. Abschlussbericht, S. 73 ff.). Es ging dabei um die Zu­sammenarbeit mehrerer Asphalthersteller zur gemeinschaftlichen Belieferung einer Straßenbaumaßnahme mit Asphaltmischgut aus mehreren Asphaltmischanlagen. S.  auch BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 545 ff.

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dies grundsätzlich zu, da sich durch die Vergemeinschaftung die Zahl der Angebote im Wettbewerb reduziert.21 Eine noch größere Schädlichkeit im Wettbewerb können Bieter-/Liefergemeinschaften in kollusionsanfälligen Märkten – z.B. bei Transportbeton oder Walzasphalt – entfalten, wenn es zu einem Geflecht zahlreicher Bieter-/Liefergemeinschaften in denselben oder benachbarten räumlich relevanten Märkten kommt.22 Anders verhält es sich unter dem Blickwinkel des § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn die an der ARGE beteiligten Unternehmen im konkreten Fall jeweils allein nicht in der Lage sind, ein eigenes Angebot abzugeben. In diesem Fall erwächst erst aus der Bietergemeinschaft ein wettbewerbsfähiges Angebot und fehlt es somit an einer Wettbewerbsbeschränkung. Der Tatbestand des § 1 GWB (Art. 101 Abs. 1 AEUV) ist dann nicht erfüllt; auf eine etwaige Freistellung nach §§ 2, 3 GWB (Art. 101 Abs. 3 AEUV) kommt es nicht mehr an.23 Auch die Prüfung, ob eine ARGE von § 1 GWB ausgenommen ist, unterfällt der Pflicht der Beteiligten zur kartellrechtlichen Selbstveranlagung, worauf das Bundeskartellamt in den jüngsten Sektoruntersuchungen besonders hingewiesen hat.24 Von vornherein nicht unter § 1 GWB fällt eine Bieter-/Liefergemeinschaft zwischen Betreibergesellschaften, die demselben Konzern angehören, weil sie als einheitliches Unternehmen anzunehmen ist; hier fehlt es überhaupt an einem beschränkbaren Wettbewerbsverhältnis.25 Bei Beteiligung von zwei oder mehr voneinander unabhängigen Unternehmen fehlt es an einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von §  1 GWB bzw. Art.  101 Abs.  1 AEUV, wenn die Unternehmen gar keine Wettbewerber oder aber nur potenzielle Wettbewerber26 sind, die das Projekt jeweils allein nicht ausführen können. Durch die Arbeitsgemeinschaft entsteht mithin neuer Wettbewerb, insbesondere im Rahmen von Ausschreibungen.27 Entscheidendes Kriterium für die (Nicht-)Tatbestandsmäßigkeit einer Bieter-/Liefergemeinschaft ist deshalb, ob die beteiligten Unternehmen eigenständig in der Lage 21 Besonders kritisch gegenüber Liefergemeinschaften KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792. 22 Vgl. BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 549. 23 Mit der Bieter-/Liefergemeinschaft einhergehende Nebenabreden können gleichwohl noch der Prüfung nach §  1 GWB unterliegen, Zimmer in Immenga/Mest­mäcker, §  1 GWB Rz. 383 ff.; LG München I v. 19.7.1989 – 1 HK O 7898/89 AirPlay, WuW/E LG/AG 655, 657. 24 So im Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 571. 25 OLG Düsseldorf v. 20.6.2007 – VI Kart 14/06, WuW/E DE-R 2146 Nord-KS/Xella; Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 450. 26 Zu Bietergemeinschaften und potenziellem Wettbewerb s. Immenga, DB 1984, 385 ff. Auf den Gesichtspunkt, dass Unternehmen bei fehlender Angebotsfähigkeit streng genommen nicht einmal potenzielle Wettbewerber sind, weist Lübbig in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl., § 9 Rz. 229, hin. Die Kommission bezieht deshalb in ihren aktuellen Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit (ABl. 2011 C 11/1, Rz. 1 und 30) generell auch Nichtwettbewerber, die keine potenzielle Wettbewerber sind, ein. 27 So ausdrücklich KG v. 19.1.1984 – Kart 8/82 Rohrleitungsbau, WuW/E OLG 3115, 3116 f.

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sind, Angebote abzugeben, oder nicht. Von dieser Markteintrittsfähigkeit hängt ihre Wettbewerberstellung und damit das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung ab. Die Prüfung der Markteintrittsfähigkeit stand deshalb jeweils im Mittelpunkt der einschlägigen Gerichtsentscheidungen, wie nachfolgend dargelegt wird. Von besonderem Interesse ist dabei, ob und inwieweit es auf die objektive Markteintrittsfähigkeit oder (auch) auf die subjektive Markteintrittsbereitschaft der Unternehmen ankommt. Nicht überzeugend erscheint demgegenüber der Ansatz, Bietergemeinschaften anhand des Kriteriums der Spürbarkeit zu prüfen.28 Denn es geht, wie eben festgestellt, um die Eigenschaft als Wettbewerber an sich und nicht um den Grad der Wettbewerbsbeschränkung. 2. Zwischen subjektiver Einschätzungsprärogative und objektiver Nachvollziehbarkeit – Anforderungen an eine nach § 1 GWB zulässige Bieter-/Liefergemeinschaft a) Rechtliche Anforderungen an eine zulässige Bieter-/Liefergemeinschaft Die deutsche Rechtsprechung hat ausgehend von der BGH-Entscheidung Bauvorhaben Schramberg folgende drei Voraussetzungen für eine von § 1 GWB ausgenommene Bieter- und Liefergemeinschaft formuliert: (1) Keines der beteiligten Unternehmen ist im Hinblick auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt allein leistungsfähig; (2) die konkrete Zusammenarbeit stellt eine im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Unternehmerentscheidung dar und (3) erst die Kooperation ermöglicht ein (für sich genommen wirtschaftlich tragfähiges) Angebot.29 Ad (1): Es muss objektiv nachvollziehbar sein, dass es jedem der an der Bieter-/Liefergemeinschaft beteiligten Unternehmen an der technischen oder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu einem selbständigen Angebot bzw. einer selbständigen Lieferung fehlt.30 Nur wenn das Ob eines eigenständigen Angebots zu verneinen ist, fehlt es an einer Wettbewerbsbeschränkung und damit an der Tatbestandsmäßigkeit nach § 1 GWB/ Art. 101 Abs. 1 AEUV. Geht es nur um eine Kooperation zwecks Abgabe eines besse28 So interpretiert für „Bauvorhaben Schramberg“ von Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 128. 29 BGH v. 13.12.1983 – KRB 3/83 Bauvorhaben Schramberg, WuW/E BGH 2050 f.; BGH v. 5.2.2002 – KZR 3/01 WuW/E DE-R 876, 878 Jugend- und Frauennachtfahrten; OLG Düsseldorf v. 17.2.2014 – Verg 2/14, zit. nach juris, Rz. 35. 30 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz. 210, m.w.N. zur Rspr.

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ren oder erfolgversprechenderen Angebots, sind die Freistellungsvoraussetzungen nach §§ 2, 3 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV zu prüfen.31 Die technische Leistungsfähigkeit bezieht sich auf Kapazitäten, technische Einrich­ tungen oder Fachkenntnisse. Insbesondere bei Kapazitäten stellen sich schwierige Einzelfragen, wie sich anhand der vom Bundeskartellamt untersuchten Sektoren Walzasphalt und Transportbeton belegen lässt (Stunden- oder Gesamtkapazität? Berücksichtigung einer Kapazität für die Aufnahme von Asphaltfräsgut als Vorgabe des BImSchG und KrWG?).32 In jedem Fall dürfte ein pauschales Freihalten von künftigen Kapazitäten für mögliche andere Kunden keine fehlende Leistungsfähigkeit sein, denn die Absatzplanung und die damit einhergehende Planung der künftigen Auslastung der Produktion ist notwendiger Teil selbständigen unternehmerischen Handelns, wie es auch in anderen wettbewerblichen Produktmärkten üblich ist.33 Umgekehrt ist die vom Bundeskartellamt als Untergrenze für Liefergemeinschaften genannte Tagesmenge von 2.000 t Walzasphalt34 nur als Indiz und nicht als absolute Grenze zu verstehen; sie macht eine Prüfung der Liefergemeinschaft nach den hier genannten Kriterien nicht überflüssig. An der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fehlt es insbesondere, wenn dem einzelnen Unternehmen die Abgabe eines konkurrenzfähigen und betriebswirtschaftlich vertretbaren Angebots nicht möglich ist.35 Dies ist z.B. der Fall, wenn das Angebot nur unter Verzicht auf die Deckung der variablen Kosten möglich wäre. Auch ein erhebliches Haftungsrisiko für Stillstandskosten bei einem technischen Ausfall des Lieferwerks kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ausschließen.36 Demgegenüber rechtfertigen kurze Bauzeitfenster oder eine – z.B. witterungsbedingte – Unsicherheit über den Abrufzeitpunkt für die Lieferung von Transportbeton oder Walzasphalt nicht automatisch eine Liefergemeinschaft; hier kommt es zunächst auf eine enge Terminabstimmung mit dem jeweiligen Straßenbauunternehmen an und sind für einzelne Unternehmen unüberwindbare Risiken sowie das Fehlen von Ersatz-Lieferwerken im Einzelfall genau darzulegen.37 Schwierig zu bewerten erscheint auch eine etwaige wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit, weil die Abgabe eines selbständigen Angebots im Hinblick auf weitere Projekte und deren voraussichtliche Gewinnmöglichkeiten

31 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz.  574, 5. Spiegelstrich. 32 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 577 ff. 33 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz.  215; BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 579. 34 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz.  236; kritisch hierzu Deutscher Asphaltverband, Positionspapier v. 9.10.2015 zur Bildung von Bieter- und Liefergemeinschaften, S. 66 ff. 35 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz.  574, 4. Spiegelstrich. 36 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz.  221; BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 583. 37 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz.  218; BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 581.

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betriebswirtschaftlich untragbar wäre.38 Maßstab sollte hier sein, ob die betriebswirtschaftliche Einschätzung objektiv nachvollziehbar ist.39 Weil die Leistungsfähigkeit mit Blick auf ein bestimmtes Projekt zu bestimmen ist, kommt eine Kartellfreiheit der Bieter-/Liefergemeinschaft im Übrigen nicht nur dann in Betracht, wenn kleine und mittlere Unternehmen eine solche ARGE gründen. Vielmehr kann die Ausnahme vom Kartellverbot auch Großunternehmen zugute­ kommen, wenn diese jeweils für sich – z.B. wegen des Volumens oder sonstiger Besonderheiten des Projekts – nicht in der Lage sind, jeweils mit einem eigenständigen Angebot aufzutreten.40 Dies unterscheidet die Kartellfreiheit einer ARGE auf der Tatbestandsebene des § 1 GWB/Art. 101 Abs. 1 AEUV systematisch von nach § 3 GWB freigestellten Mittelstandskartellen, an denen – jedenfalls im Regelfall – Großunternehmen nicht teilnehmen dürfen.41 Weniger bei Baustoffen und mehr bei Straßenbauunternehmen zeichnet sich in jüngerer Zeit eine Tendenz zu Bieter- und Liefergemeinschaften ab, weil die insbesondere von der öffentlichen Hand ausgeschriebenen Projekte immer größere Volumina aufweisen. So wird ein Auftrag im Bundesfernstraßenbau heute sehr häufig als Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) ausgeschrieben42 und führt aufgrund der Risikoverlagerung, der planerischen Herausforderungen und des oftmals erheblichen Auftragsvolumens zur Bildung von Bieterkonsortien. An solchen Konsortien sind teilweise große sowie mittelständische Bauunternehmen, zunehmend aber ausschließlich große Anbieter beteiligt. Dies verengt nicht nur die Zahl der Bieter im Ausschreibungswettbewerb, sondern ist auch in kartellrechtlicher Hinsicht nur mit erheblichem Aufwand auf die Zulässigkeit als Bieter- und Liefergemeinschaft hin nachprüfbar.43 Ad (2): Die zum zweiten geforderte wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und kaufmännische Vernunft der Zusammenarbeit in einer Bieter-/Liefergemeinschaft steht in schwer trennbarem Zusammenhang mit der zuvor behandelten fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen beteiligten Unternehmen. Wie nachfolgend dargestellt wird, muss es objektiv nachvollziehbar bzw. überprüfbar sein, aus welchen Gründen den beteiligten Unternehmen eigenständige tragfähige Angebote nicht möglich sind und eine Zusammenarbeit in der ARGE zweckmäßig und vernünftig ist. Dieser Maß-

38 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz. 226. 39 So auch Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 457, wenn auch allein auf die ältere BGH-Entscheidung Bauvorhaben Schramberg v. 13.12.1983 – KRB 3/83, WuW/E BGH 2050f., abstellend. 40 OLG Stuttgart v. 15.7.1983 – 2 Kart. 3/83, WuW/E OLG 3108, 3110 Parkhaus. 41 Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 129 a.E. und Fn. 24. 42 S.  dazu http://www.bmvi.de/DE/Themen/Mobilitaet/Strasse/OEPP-Bundesfernstras​sen​ bau/oepp-bundesfernstrassenbau.html. 43 BKartA, Tätigkeitsbericht 2015/2016, S. 67 f.; zur Kritik aus mittelstandspolitischer Sicht s. https://www.bvmb.de/publikationen/pressemitteilungen/1248-pressemitteilung-oepp-­imbundesfernstrassenbau-droht-zu-scheitern.

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stab hat sich in jüngerer Zeit verfestigt, war aber in Rechtsprechung und Literatur nicht immer eindeutig.44 Die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Kooperation  – zuweilen wird auch von Marktfähigkeit gesprochen – bezieht sich auf das konkrete im Wettbewerb stehende Projekt, nicht auf die absolute Fähigkeit, auf einem Markt überhaupt tätig zu sein („relative Marktunfähigkeit“45). Dementsprechend hängt es von Größe und Umfang des Ausschreibungsprojekts ab, ob ein Anbieter – z.B. in Bezug auf die notwendige Produktionskapazität – allein oder nur in Kooperation mit einem anderen Anbieter in der Lage ist, ein Angebot abzugeben. Ein Sonderproblem stellt sich bei sog. gemischten Arbeitsgemeinschaften, in denen nichtmarktfähige Unternehmen nur dann gemeinsam zu einem selbständigen Marktauftritt in der Lage sind, wenn sich an der ARGE auch ein an sich allein marktfähiges Unternehmen beteiligt. Eine Wettbewerbsförderung als das die ARGE rechtfertigende Argument liegt hier nur eingeschränkt vor, da es auch ohne die ARGE voraussichtlich zum Marktauftritt jedenfalls des größeren, marktfähigen Anbieters käme. Es lässt sich andererseits vertreten, dass die Bildung einer solchen Bietergemeinschaft auch nicht zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs der Bieter untereinander führt, weil ohne Bietergemeinschaft auch nur ein Unternehmen in der Lage wäre, ein Angebot abzugeben.46 Auch erreichen die kleineren Beteiligten unter Umständen durch die Teilnahme an der ARGE eine gewisse Verbesserung ihrer Marktposition, die sie in künftigen Ausschreibungen, u.a. durch den Nachweis von Referenzen, zu einem eigenständigen Marktauftritt befähigt. Eine Grenze für die Zulässigkeit solcher „gemischten“ ARGEn sollte allerdings  – in Anlehnung an die Horizontalleitlinien der EU-Kommission – bei erheblicher Marktmacht des großen beteiligten Unternehmens sowie bei einer etwaigen Abschottungswirkung der ARGE gegenüber Dritten gezogen werden.47 Die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und kaufmännische Vernunft einer Bieter-/Liefergemeinschaft sind weiterhin daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie eine gewisse subjektive „Einschätzungsprärogative“ der beteiligten Unternehmen beinhalten. Da es im Rahmen von §  1 GWB um die Markteintrittsfähigkeit geht, reicht es zunächst 44 Vgl. Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 451; OLG Frankfurt v. 27.6.2003 – 11 Verg 2/03, zit. nach juris, Rz. 22; BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 574, 3. Spiegelstrich. Für ein objektiviertes Verständnis s. auch: Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 131 unter Hinweis auf OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00, WuW/E Verg 493; Säcker in MünchKomm. Wettbewerbsrecht, Band 2, 2. Aufl., § 1 GWB Rz. 39 f.; Emmerich, Kartellrecht, 13. Aufl., § 21 Rz. 37. 45 Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 132 f. 46 OLG Saarbrücken v. 27.6.2016 – 1 Verg 2/16, zit. nach juris, Rz. 105; OLG Düsseldorf v. 17.1.2018 – VII Verg 39/17, zit. nach juris, Rz. 69. Ebenso OLG Brandenburg v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, zit. nach juris, Rz.  50: Die Bildung einer Bietergemeinschaft ist nur dann wettbewerbswidrig, wenn der Entschluss zur Mitgliedschaft für auch nur eines der beteiligten Unternehmen keine im Rahmen zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handels liegende Entscheidung ist. 47 Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 134; Horizontalleitlinien, ABl. 2001 C 3/2, Rz. 24.

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nicht aus, dass ein gemeinsames Angebot für die beteiligten Unternehmen wirtschaftlich vorteilhafter und gewinnbringender ist bzw. die Zuschlagchancen erhöht. Maßstab sollten vielmehr die Anforderungen sein, die ein wettbewerblicher Markt an ­Anbieter stellt. Mit einem Auftrag verbundene (und einzupreisende) Ausfall- und Auslastungsrisiken sind hinzunehmen. Es gibt insoweit keinen Anspruch auf die generelle Vermeidung wirtschaftlicher Risiken durch die Bildung von Liefergemeinschaften. Ob die Vermeidung spezifischer bzw. erheblicher wirtschaftlicher Risiken eine Liefergemeinschaft rechtfertigt, ist eine Frage der Prüfung im Einzelfall. So reicht es für einen Tatbestandsausschluss des § 1 GWB noch nicht aus, wenn zwei Unternehmen durch die ARGE Aufwendungen sparen und eine optimale Vergütung erzielen wollen.48 Allerdings wird man nicht gänzlich leugnen können, dass mit den Kriterien der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und kaufmännischen Vernunft ein gewisses subjektives Element verbunden ist, das durch die Kartellbehörde nur begrenzt nachprüfbar ist. Hieraus leiten zuweilen die Industrie und Teile der Literatur eine generelle „Einschätzungsprärogative“ der Unternehmen für die Eingehung einer Bieter- und Liefergemeinschaft ab.49 Vorübergehend deutete auch die Rechtsprechung der Obergerichte auf ein solches subjektives Element hin.50 Dies ist jedoch durch die jüngere Rechtsprechung51 und insbesondere durch das auf objektive Faktoren abstellende europäische Wettbewerbsrecht relativiert worden. Sowohl die Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 3 AEUV; 2004) als auch die Leitlinien für die Beurteilung der horizontalen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen (2011) stellen auf objektive Faktoren und objektive Erforderlichkeit zum Zwecke der Teilnahme am Ausschreibungswettbewerb ab.52 Auch die Rechtsprechung der europäischen Gerichte stellt auf die objektive, d.h. auf Nachvollziehbarkeit überprüfbare, Fähigkeit zur Abgabe eines konkurrierenden Angebots und nicht auf die subjektive Einschätzung der Vorteilhaftigkeit einer Kooperation ab.53 Von daher ist das Eingehen einer Bieterund Liefergemeinschaft nicht in das Belieben der Unternehmen gestellt, und die Ent48 KG v. 8.11.1995 – Kart 21/94, WuW/E OLG 5565, 5576 Fußball-TV-Übertragungsrechte. 49 Lübbig in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 9 Rz. 231; Overbuschmann, VergabeR 2014, 634, 636. 50 OLG Naumburg v. 21.12.2000 – 1 Verg 10/00 Abschleppaufträge, zit. nach juris, Rz. 43; OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, ZfBR 2012, 305 HMV-Rohrschlacke; OLG Brandenburg v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866 m. Anm. Gabriel/Voll. 51 BGH v. 11.7.2006 – KVZ44/05, zit. nach juris, Rz. 5; s. OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – VIIVerg 17/15, zit. nach Juris, Rz. 14 ff.; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – VII-Verg 3/16, zit. nach juris, Rz. 12 ff.; ebenso OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, zit. nach juris, Rz. 13 ff.; OLG Düsseldorf v. 17.1.2018 – VII Verg 39/17, zit. nach juris, Rz. 69 Wasserbau; s. insbes. OLG Düsseldorf v. 15.3.2017 – VI Kart 10/15(V) Rundholz, zit. nach juris, Rz. 206 („Entscheidend ist allein die Fähigkeit zum selbständigen Markteintritt“). 52 ABl. 2004 C 101/08, Rz. 18; ABl. 2011 C 11/01, Rz. 237; ausführlich hierzu Lübbig in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 9 Rz. 229 ff.; Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126, 129 m.N. in Fn. 26 ff. 53 EuG v. 15.9.1998  – T-374/94 European Night Services, zit. nach juris, Rz.  137; EuG v. 29.6.2012 – T-360/09 E.ON Ruhrgas AG, zit. nach juris, Rz. 85 f.; EuG v. 8.9.2016 – T-472/13 Antidepressivum-Generika (Lundbeck), zit. nach juris, Rz.  98  ff. („… zwar die Markter-

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scheidung muss sich im Rahmen eines auch gerichtlich nachvollziehbaren vernünftigen kaufmännischen Handelns halten.54 Ad (3): Dass erst die Kooperation ein (für sich genommen wirtschaftlich tragfähiges) Angebot ermöglicht, ergibt sich in der Regel ohne weiteres aus der Erfüllung der beiden vorgenannten Voraussetzungen. An der dritten Voraussetzung kann es nach Auffassung des Bundeskartellamtes in Fällen des teilweisen Drittbezuges fehlen, zum Beispiel wenn ein vertikal integriertes Straßenbauunternehmen mit eigener Asphaltproduktion die für einen Auftrag erforderliche Asphaltmenge nur teilweise selbst liefern kann und wegen des erforderlichen Drittbezuges eine Liefergemeinschaft eingeht. Hier wäre ein Zukauf im Wege einer Kollegenlieferung ausreichend, sofern ein solcher Zukauf ohne größere Unsicherheiten getätigt werden kann.55 Eine Kollegenlieferung kann anlassbezogen oder auch durch einen vorab geschlossenen Vertrag über bestimmte abrufbare Mengen erfolgen. Gleiches gilt, wenn Auftraggeber Ersatzlieferwerke anfragen, über die ein individuell lieferfähiger Anbieter möglicherweise nicht verfügt. Hier sind Kollegen- bzw. Ersatzlieferverträge das den Wettbewerb weniger beeinträchtigende Instrument als eine mit einheitlichem Preis auftretenden Bieteroder Liefergemeinschaft.56 Anbieter können ihre Angebote (einschließlich Ersatzlieferung) so weiterhin selbständig kalkulieren und in eine Ausschreibung einbringen. Zur Aufrechterhaltung des Geheimwettbewerbs ist es allerdings entscheidend, dass Bieter ihre Gesamtangebote und ihre interne Kalkulation von Eigen- und Ersatzlieferung nicht untereinander offenlegen. b) Informationsaustausch im Rahmen von Bieter- und Liefergemeinschaften Überlegungen zur Möglichkeit eines eigenständigen Angebots im Wettbewerb oder zur Eingehung einer Bieter-/Liefergemeinschaft setzen im ersten Schritt eine unternehmensinterne Selbstveranlagung voraus. Im zweiten Schritt ist eine Kontaktaufnahme zu potenziellen Kooperationspartnern mit einem Informationsaustausch in gewissem Umfang unumgänglich. Hinsichtlich des ersten Schritts hat das Bundeskartellamt in seinen Hinweisen im Rahmen der Sektoruntersuchungen Walzasphalt und Zement/Transportbeton betont, dass eine sorgfältige schriftliche Dokumentation der im Rahmen der Selbstveranlagung maßgeblichen Überlegungen ratsam ist, um ggf. schließungsabsicht … von Bedeutung ist, aber der wesentliche Gesichtspunkt … in der Markteintrittsfähigkeit des Unternehmens besteht“). 54 BKartA, Tätigkeitsbericht 2015/2016, S. 67; Krauß in Langen/Bunte, § 1 GWB Rz. 219 m.N. zur Rspr.; s. auch Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 1, 5. Aufl., § 1 GWB Rz. 256; Maasch, ZHR 150 (1986), 657 ff. 55 BKartA, Abschlussbericht Entflechtungsverfahren Walzasphalt, Rz.  222; kritisch Steinbarth/Hürter, ZWeR 2016, 446, 458. 56 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 582. Zur Möglichkeit von einpreisbaren Verfügbarkeitszuschlägen aaO, Rz. 584; kritisch dazu Deutscher Asphaltverband, Positionspapier v. 9.10.2015 zur Bildung von Bieter- und Liefergemeinschaften, S. 70 f.

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später belegen zu können, dass die Selbstveranlagung stattgefunden hat.57 Letzteres wird teilweise auch von öffentlichen Auftraggebern in Vergabeverfahren gefordert. Der Informationsaustausch im zweiten Schritt muss sich, da möglicherweise zwischen aktuellen oder potenziellen Wettbewerbern stattfindend, wiederum an §  1 GWB/Art. 101 AEUV messen lassen. Denn die Bildung von Liefergemeinschaften kann – insbesondere wenn sie zeitlich oder regional gehäuft auftritt – zu einer wettbewerbsdämpfenden Markttransparenz führen, beispielsweise wenn daraus markt­ bezogene Geschäftsgeheimnisse eines Anbieters mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus für andere Anbieter erkennbar werden. Deswegen kommt dem kartellrechtskonformen Informationsaustausch bei der Prüfung von Einzelprojekten eine wichtige Bedeutung zu. Ein Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen ist auf das für die Bildung der konkreten Bieter-/Liefergemeinschaft erforderliche Maß zu beschränken.58 Der Austausch ist zunächst auf den Einzelfall, d.h. das in Rede stehende Projekt, zu beschränken. Weder darf er der Etablierung einer Dauer-Liefergemeinschaft noch der Kopplung mehrerer (selbst zeitgleich oder zeitnah) ausgeschriebener Aufträge dienen. Zu unterlassen sind ferner Informationen über Angebotsstrategie, Kapazitätsplanung und die gewünschte Preishöhe, deren interne Kalkulation und ähnlich wettbewerbssensible Daten.59 Die Erstkommunikation zwischen potenziellen Kooperationspartnern sollte sich daher auf die Mitteilung der jeweils nicht gegebenen eigenen Angebotsfähigkeit und auf das Ausloten der Bereitschaft und der Möglichkeit für eine Kooperation in Bezug auf das konkrete Projekt beziehen. Eine aktive Nachprüfung, ob dem Partner ebenfalls die individuelle Markteintrittsfähigkeit fehlt, ist dabei nicht gefordert. Wenn die Kooperation auf dieser Basis zulässig und vorstellbar erscheint, kann es zu einem weitergehenden Austausch über die Modalitäten eines gemeinsamen Angebots in einer Bieter-/Liefergemeinschaft kommen. 3. Die Freistellungsprüfung nach §§ 2 und 3 GWB, Art. 101 Abs. 3 AEUV Sofern eine Bieter-/Liefergemeinschaft nicht die – in diesem Beitrag schwerpunktmäßig betrachtete – Voraussetzung der Erforderlichkeit der Kooperation für die Abgabe eines wettbewerbsfähigen Angebotes erfüllt, kann sie trotzdem kartellrechtlich zulässig sein, wenn sie den Freistellungsvoraussetzungen des § 3 GWB oder des § 2 GWB/ Art. 101 Abs.  3 AEUV genügt.60 Während es bei der Prüfung der Bieter-/Liefergemeinschaft im Rahmen von § 1 GWB/Art. 101 Abs. 1 AEUV um das „Ob“ eines Angebots und damit um das (Nicht-)Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung geht, werfen die Freistellungsnormen Fragen von Rationalisierungs- und Effizienzaspek57 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 574, ltzt. Spiegelstrich. 58 BKartA, Tätigkeitsbericht 2015/2016, S. 67. 59 BKartA, Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz.  573; s. auch zu den allg. Grenzen für Marktinformationssysteme, aaO, Rz. 598 ff. 60 Der Vollständigkeit halber seien auch Freistellungen nach EU-Gruppenfreistellungs-­ Verordnungen erwähnt, z.B. die Spezialisierungs-GVO (VO Nr.  1218/2010, ABl. 2010 L  335/43) und die GVO zu Forschung & Entwicklung (VO Nr.  1217/2010, ABl. 2010 L 335/36).

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ten, d.h. eines besseren und erfolgversprechenderen Angebots als ohne Kooperation, auf. Die Darlegungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 sowie § 3 Abs. 1 GWB obliegt den Unternehmen. Die Freistellungsmöglichkeiten nach §§ 2, 3 GWB sollen hier nur noch kurz angesprochen werden. a) Freistellung als Mittelstandskartell (§ 3 GWB) Die Freistellung nach § 3 GWB beschränkt sich – im Unterschied zur Kartellfreiheit einer ARGE im oben beschriebenen Sinne  – grundsätzlich auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU), d.h. Kooperationen zwischen Großunternehmen sind hier ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des BGH können sich im Einzelfall allerdings auch große Unternehmen an einer Kooperationsvereinbarung von KMU beteiligen.61 Entscheidend ist in diesen Fällen, ob die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen erst durch die Beteiligung auch großer Unternehmen an der Kooperation ermöglicht wird. Die Freistellung ist nur unter den drei Voraussetzungen a) Rationalisierungszweck, b) keine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem betroffenen Markt und c) Ziel der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten KMU möglich. Das Bundeskartellamt hat den Begriff der KMU und die Reichweite der Freistellung im Merkblatt vom 1. März 2007 über Kooperationsmöglichkeiten für kleine und ­mittlere Unternehmen im Einzelnen beschrieben.62 Damit sollte den KMU nach der 7. GWB-Novelle (2005) bei der Einschätzung von kartellrechtlich zulässigen Kooperationen mehr Rechtssicherheit in ihrer Selbstveranlagung gegeben werden. Die Regelung des § 3 GWB findet allerdings nur dann Anwendung, wenn der Fall den zwischenstaatlichen Handel in der Europäischen Union nicht berührt (arg. e § 22 Abs. 1 GWB).63 Der wahrscheinlich wichtigste – ungeschriebene, sich aus der Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes ergebende – Aspekt für Mittelstandskartelle ist darin zu sehen, dass das Bundeskartellamt davon ausgeht, dass die kritische Grenze für eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs in der Regel bei einem kartellierten Marktanteil von 10–15 % liegt, wenn es um wesentliche Wettbewerbsparameter geht. Preisabreden sind nur ganz ausnahmsweise, Quotenabsprachen per se nicht nach § 3 GWB freistellungsfähig.64

61 BGH v. 30.9.1986  – KVR 8/85, WuW/E BGH 2321, 2325 Mischguthersteller; BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E DE-R 1087, 1090 Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge. 62 http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Merkbl%C3%A4tter/Merk​ blatt%20-%20Kooperationsm%C3%B6glichkeiten%20f%C3%BCr%20KMUs.html?nn​ =4151538. 63 Eine § 3 Abs. 1 GWB vergleichbare Spezialnorm für Mittelstandskooperationen existiert im europäischen Wettbewerbsrecht nicht. Zur Anwendbarkeit des europäischen Rechts auf derartige Kooperationen s. Merkblatt des BKartA, aaO Fn. 62, Rz. 18 ff. 64 Merkblatt, aaO Fn. 62, Rz. 32 f.

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b) Freistellung nach § 2 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV Auch hinsichtlich der allgemeinen Freistellung nach § 2 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV und ihrer vier Voraussetzungen (Effizienzen, angemessene Verbraucherbeteiligung, Unerlässlichkeit der Vereinbarung, kein Ausschluss von Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren) liegt die Beweislast bei den sich auf die Freistellung berufenden Unternehmen. Dies gilt jedenfalls im Verwaltungsverfahren und im Zivilprozess.65 Die Anforderungen an eine Freistellung von Vertriebskooperationen wie Bieter-/Liefergemeinschaften sind hoch.66 Bereits wegen des zeitlich beschränkten und pro­ jektbezogenen Charakters tätigen die beteiligten Unternehmen kaum solche Inte­ grationsschritte oder gemeinsame Investitionen, aus denen sich quantifizierbare Kosteneinsparungen oder qualitative Effizienzen (z.B. technische Verbesserungen) für das konkrete einzelne Leistungsangebot ergeben können.67 Allerdings erwarten die Horizontalleitlinien der EU-Kommission mit Blick auf eine Effizienzverbesserung die Tätigung bestimmter Investitionen, da sonst der Verdacht nahe liege, dass es sich bei der gemeinsamen Vermarktung um ein „verschleiertes Kartell“ handele.68 Des Weiteren sei eine Weitergabe der Effizienzen an die Verbraucher nur dann wahrscheinlich, wenn der gemeinsame Marktanteil der Beteiligten unter 15 % liege; liege er höher, bedürfe es einer genauen Einzelfallprüfung.69 Schließlich sind auch an die Unerlässlichkeit der Kooperation für die Erreichung der Effizienzen hohe Anforderungen zu stellen. Die Festlegung eines gemeinsamen Preises in einer Bieter-/Liefergemeinschaft ist den EU-Horizontalleitlinien zufolge „nur bei außergewöhnlichen Umständen“ als unerlässlich anzusehen.70 Bilden ein allein leistungsfähiges Unternehmen und ein allein nicht leistungsfähiges Unternehmen eine Bieter-/Liefergemeinschaft, ist genau zu prüfen, ob und in welchem Umfang tatsächlich greifbare andere Effizienzen, z.B. bessere Kapazitätsauslastungen, aufgrund der Kooperation realisierbar sind. Bei der Unerlässlichkeit der Vereinbarung ist zu berücksichtigen, inwieweit weniger beschränkende, alternative Formen der Zusammenarbeit wie Kollegenlieferungen anstelle von Bieter-/Liefergemeinschaften möglich sind.

III. Ausblick Die Analyse der Entscheidungspraxis von Behörden und Gerichten zu Bieter- und Liefergemeinschaften ergibt, dass sich einerseits an dem vom Bundesgerichtshof in 65 Für das Verwaltungsverfahren s. Art. 2 VO 1/2003, ABl. 2003 L 1/1, zuletzt geänd. am 25.5.2009, ABl. 2009 L 148/1, und § 22 Abs. 1 und 2 GWB; Bechtold/Bosch, § 2 GWB Rz. 7. 66 S. auch Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 562 ff. 67 Abschlussbericht Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton, Rz. 565. 68 ABl. 2011 C 11/1, Rz. 248. 69 ABl. 2011 C 11/1, Rz. 250. 70 ABl. 2011 C 11/1, Rz. 249.

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„Bauvorhaben Schramberg“ (1983) formulierten Grundsatz der ARGE nichts geändert hat: Eine solche Kooperation stellt dann keine Wettbewerbsbeschränkung dar, wenn die beteiligten Unternehmen aus wirtschaftlichen und kaufmännischen Erwägungen auf die Abgabe selbstständiger Angebote verzichten.71 Diese Entscheidung muss andererseits, wie ebenso deutlich wurde, objektiv nachvollziehbar für Kartellbehörden und Gerichte sein. Zugleich stößt die bei § 1 GWB/Art. 101 AEUV gebotene Selbstveranlagung durch die beteiligten Unternehmen, wie erkennbar geworden sein dürfte, auf anspruchsvolle und nicht immer leicht zu beantwortende Fragen in der Subsumtion des konkreten Einzelfalles. Allerdings haben die nicht wenigen einschlägigen Entscheidungen und die in den vergangenen Jahren durchgeführten Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamtes und deren Abschlussberichte die Maßstäbe für zulässige Kooperationen ausführlich und transparent dargelegt. Dies veranlasst denn auch gegenwärtig mehrere Branchenverbände dazu, Leitfäden für ihre Mitgliedsunternehmen zu entwickeln, um ihnen eine belastbare Prüfung ihrer Bieter-/Liefergemeinschaften zu ermöglichen und so die Rechtssicherheit zu erhöhen. Auch für Auftraggeber, insbesondere die Öffentliche Hand, können sich aus den hier dargelegten Maßstäben für Bieter-/Liefergemeinschaften Empfehlungen und Hinweise für wettbewerbsoffene Ausschreibungen und Projektaufträge ergeben. Dies gilt z.B. für angemessene Losgrößen, Anforderungen bei Ausfallrisiken und sonstigen mit Bauvorhaben verbundenen Risiken oder dem Umgang mit Ersatzlieferwerken. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Projektanforderungen auf der einen Seite und der Leistungsfähigkeit potenzieller Auftragnehmer auf der anderen Seite ist der beste Garant für ein wettbewerbsoffenes und zugleich wettbewerbsintensives Bieterverfahren.

71 Vgl. schon BKartA, Tätigkeitsbericht 1983/84, S. 32.

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Economic reasoning before the European Union Courts in competition law I. Introduction

3. Methodologies

II. The standard of judicial review

IV. Selected case law 1. Market definition 2. Tying/Bundling 3. Rebates 4. Predatory Pricing 5. Margin squeeze 6. Excessive Pricing

I II. The acceptance of economics 1. Economic instruments (data and surveys) and economists’ expert opinions 2. Economic theories a) Competition (and competitors) that should be protected b) Competition on the merits c) Market entry, freedom of choice, and availability of various sources of supply

V. Conclusion

I. Introduction Competition law is “economic law” “par excellence”. To state the obvious, the application of the legal provisions, whether at national or European level, governing the rules on competition, requires the regulatory authorities, the parties and ultimately the judges to at the very least understand the products and the markets concerned, the competitive situation on these markets, and more broadly the economic context of the behaviour of the undertakings. The  understanding and assessment of economic principles, phenomena, and mechanisms form the necessary background not only for the enforcement of the competition rules in individual cases, but also for shaping the competition policies adopted and conducted by the competent authorities. The practice of competition law is very often, if not always, fact-intensive. “Economic facts” that are needed for an appropriate analysis in competition law are, on top of more circumstantial information and evidence, at some stage gathered and submitted according to econometric methods and models, which not only generate data but also attempt to distil from such numbers the information that is relevant for applying the competition rules. The extent to which economic concepts and methods are indeed used and applied (visibly or more implicitly) vary according to the evolution of the case law in history, the set of legal rules to be applied (e.g., antitrust proceedings or merger control), the  procedural situation or stages in the proceedings (from the administrative proceedings to appeal proceedings before the competent jurisdictions), the nature of the case (the analysis of contractual clauses, the finding of evidence of

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cartel behaviour, assessment of the existence of a dominant position, or the ex-ante control of a concentration), and eventually the nature and intensity of judicial review. Competition law is largely if not essentially case law based. As in many other jurisdictions, the substantive European Union treaty provisions that contain the basic competition rules are very general and of a quasi-constitutional nature. The examples listed in Article 101 (1) sub (a) to (e) TFEU and in Article 102 (1) sub (a) to (d) TFEU provide a more concrete roadmap for finding behaviour that constitutes infringements of the competition rules. Where, on the basis of the facts of the case, an agreement or conduct can be brought into one of these categories, the Union Courts may have little hesitation to find an infringement. In many cases, not much economics is considered as being necessary to make that assessment. The Courts have repeatedly stated that these lists are not exhaustive.1 The treaty texts have not changed since the signing of the EEC treaty in 1957, showing the adaptability of the fundamental norms to a completely different, and still rapidly changing, economic environment. And indeed, the modernisation reform of 2003 has drastically reduced the importance of the more prescriptive rules resulting from the now abandoned prior exemption system, which allowed for a more formal mechanical approach. There is of course the special situation of the rules on the control of concentrations, based on secondary law that emerged much later. However, since the introduction of the “significant lessening of effective competition” test in 2004, the essential standards are stabilised. Since the very beginning of the application of the competition rules of the then EEC, the Court of Justice, since its landmark judgment in Technique Minière of 1966,2 constantly reaffirmed that, in the finding of a restriction of competition, regard must be had to the whole economic context in which the competition would occur in the absence of the agreement concerned. This includes “the nature and quantity… of the products covered by the agreement” and “the position of the parties on the market for the products concerned”. This very basic law is more generally applicable, well beyond situations regarding disputes over agreements, and the ruling has indeed affirmed the requirement for the assessment of the relevant facts and use of economics in competition policy and enforcement. As mentioned in the book by Faull and Nikpay back in 1999, “it is now normal to discuss competition cases in terms of market power, entry barriers, sunk costs, etc, and to evaluate cases according to their effects on the market”.3 Since then, economic concepts are used with ever increased sophistication including among others the notion of average avoidable costs, the “as efficient competitor test” and the conditions for finding a risk of coordinated effects in merger control. 1 Case 6/72, Europemballage Corp & Continental Can v Commission [1973] ECR 215, para. 26 (“Continental Can”); Case C-95/04 P, British Airways v Commission [2007] ECR I-2331, para. 57 (“British Airways”); Case C-333/94 P, Tetra Pak v Commission [1996] ECR I-5951, para. 37 (“Tetra Pak”); Case C-549/10, Tomra and Others v Commission [2012] ECLI:EU:​ C:2012:221, para. 69 [“Tomra (CJ)”]. 2 Case 56/65 Société Technique Minière v Maschinenbau Ulm, [1966] ECR 235. 3 J. Faull and A. Nikpay, The EU Law of Competition, OUP 1999, p. 4.

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It is not the purpose here to discuss the economics of competition.4 It suffices to mention that over time, and between the United States and Europe, economists and their various schools, have diverged sometimes fundamentally about the aims of competition law, how it should be enforced, when a given behaviour should be regarded as unlawful, which interests should be protected and how markets (should) work. These discussions and the successive positions which were advocated more politically, even the different views and accents as to the aims and purposes of the Union competition policy as they may have been expressed by the European Commission itself, have not markedly influenced the case law of the Union Courts. The Courts have firmly maintained the reference to the goal of preserving undistorted competition in the internal market, and have tried to decide cases as much as possible by reference to and in consistency with previous case law, albeit allowing for evolution, additional criteria and distinctive features. The Court proceeds in that way because it applies the rule of law, which entails providing legal certainty and predictability. The consequence of such judicial technique is that economic concepts, though accepted, lose their identity and become absorbed as legal notions in their own right. Law is not economics, although law that ignores economics cannot be good law. In this contribution we illustrate to what extent, how and to what effect the Union Courts have accepted economic theories and applied economic models and reasonings.5 Such review does not discuss the much-debated issue whether the Union Courts should adopt a (more) effects-based approach (in particular in the field of Article 102 TFEU), rather than applying a form-based or presumptive system.6 While a “pure” effects-based approach will require more and in-depth economic analysis specific to the case (and a special effort to state reasons at the level of the General Court), even a more form-based approach must be based on a correct assessment of the economic facts, including the functioning of the market concerned, allowing one 4 E. Deutscher and S.  Makris, “Exploring the Ordoliberal Paradigm: The CompetitionDemocracy Nexus”, The Competition Law Review, Vol. 11, Issue 2 (2016), pp. 181-214. 5 This topic was extensively and even exhaustively discussed by A.L. Sibony, Le juge et le raisonnement économique en droit de la concurrence, L.G.D.G. Paris 2008. See also: D. Neven, “Competition economics and antitrust in Europe”, pp. 1-34, available at: http://ec.europa.eu/ dgs/competition/economist/economic_policy.pdf; M. Merola and J. Derenne (ed), The Role of the Court of Justice of the European Union in Competition, GCLC Annual Conference Series, Vol. 2, Proceedings of the Sixth Annual Conference (2010), Brussels 2011; P. Hubkovà, “Economic Reasoning in the Court of Justice of the EU”, Thesis, European University Institute, Florence, 2014. 6 See i.a. W.J. Wils, “The judgment of the EU General Court in Intel and the so-called ‘more economic approach’ to abuse of dominance”, World Competition, Vol. 37, Issue 4 (2014), pp. 405-434; P. Rey and J.S. Venit, “An Effects-based Approach to Article 102: A Response to Wouter Wils”, World Competition, Vol. 38, Issue 1 (2015), pp. 3-30; see also more generally: J. Bourgeois and D. Waelbroeck (ed), “Ten years of effects-based approach in EU competition law”, GCLC Annual Conference Series, Vol. 3, Proceedings of the Seventh Annual Conference (2011), Brussels, 2012.

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to identify at least a likely or plausible distortion or restriction of competition. No theory of harm can be upheld on the basis of a mere formal and abstract characterisation of a type of conduct. This short study deliberately concentrates on the case law of the Court of Justice (including some leading preliminary ruling cases) because ultimately it is at that level that the prevailing rule of law is formulated. This has the inherent limitation that the Court of Justice, on appeal, cannot review the facts.7 However, the acceptance or rejection of an economic theory or method in the finding of a restriction or distortion of competition is within the scope of the Court’s jurisdiction. Nevertheless, a number of important cases decided by the General Court are taken into account as well. The highest intensity of the use of economics, both in terms of volume of data and economic analysis inevitably occurs in the area of merger control, at the stage of the administrative proceedings and in the Commission’s decisions. In that domain, it is undisputed that “economists are kings”. However, relatively few concentration cases are brought before the Union Courts. Yet those that are decided are often of paramount importance for the competition enforcement regarding merger control. Next in importance for economic assessment, is, by far, the interpretation and enforcement of Article 102 TFEU, a domain of law where the case law of the Union Courts plays a decisive role. Economic analysis plays a certain role in State aid law as well. However, a discussion of that case law would exceed the limits of this article.8

II. The standard of judicial review As a rule, the Union Courts, which conduct a legality review and only have unlimited jurisdiction regarding the imposition of fines,9 afford the Commission a broad discretion on questions entailing a “complex economic assessment”.10 The Court must, regarding the control of concentrations, “confine itself to the position adopted by the Commission (…) it must examine the way in which the law has been applied to the facts and adjudicate on the merits of the Commission’s findings concerning the effects of 7 In preliminary ruling proceedings the Court of Justice is dependent on the extent and the quality of the economic analysis conducted before the national judge. 8 See generally J. Derenne, M. Merola, Economic analysis of State aid rules – contributions and limits – Proceedings of the Third annual conference of the Global Competition Law Center (GCLC), September 2006, College of Europe, Lexxion, Berlin 2007. Prominent areas of economic reasoning in the domain of State aid are (i) the determination of the compensation for the performance of services of general interest; (ii) the assessment of the private market operator condition; (iii) the notion of operators in a comparable situation for the definition of the conditions of advantage and selectivity. 9 L.M. Baudenbacher, “Aspects of competition law enforcement in selected European ­jurisdictions”, European Competition Law Review 2016, p. 343; D. Geradin and N. Petit, “Droit de la concurrence et recours en annulation à l’ère post-moderne”, GCLC working paper 06/05. 10 Case C-7/95 P, Deere v Commission [1998] ECR I-3111, para. 34; Case T-340/03, France Télécom v Commission [2007] ECR II-107, paras. 129 and 163 (“France Télécom (GC)”).

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the concentration on competition”11. It therefore limits its review “to verifying whether the relevant rules on procedure and on the statement of reasons have been complied with, whether the facts have been accurately stated and whether there have been any manifest errors of appraisal or a misuse of powers”.12 Elements requiring complex economic or technical assessments include among others: ȤȤ Cost calculation methods in order to determine whether pricing is above average variable costs, total fixed costs or incremental costs. ȤȤ Methods and tests, including cost and profit margin calculations in order to discern an “as efficient competitor” and its capability to enter the market or remain on it. ȤȤ The choice of a method of calculation as to the rate of recovery of costs and the application of such method. ȤȤ The definition of a product or service relevant market on the basis of supply- and demand-side elasticity analysis. ȤȤ The determination of the importance of a contestable market. ȤȤ The determination of a margin squeeze on the basis of charges and costs of a vertically integrated undertaking. ȤȤ Methods to determine the likelihood of supra-competitive pricing in case of concentration or market power. ȤȤ The technical features of information technology or telecommunication products. Yet, the general rule of Union law that the Union Courts cannot substitute their own assessment of matters of fact for the Commission has never prevented the Courts, when reviewing whether there has been a manifest error of appraisal, from conducting inquiries as to the soundness of the Commission’s decisions.13 The Union Courts do so by verifying whether the Commission has considered all the circumstances of the case and all the relevant facts,14 and also whether it has adduced adequate legal proof of the facts and evaluations which formed the basis of the finding of an infringement.15 The issue rather shifts to the question of the intensity of such review and at what point the Courts will defer to the assessments of the Commission. In Tetra Laval (2005),16 which concerned the control of concentrations, the Court of Justice, while recognising that the Commission has a margin of discretion in economic 11 Case T-342/99, Airtours v Commission [2002] ECR II-2585, para. 53 (“Airtours”). 12 France Télécom (GC), para. 129; Case T-201/04, Microsoft v Commission [2007] ECR II3601, para. 87 [“Microsoft”]. 13 Microsoft, para. 86. 14 Tomra (CJ), para. 18; British Airways, para. 67; Case C-23/14, Post Danmark II, [2015] ECLI:EU:C:2015:651, para. 68 (“Post Danmark II”). 15 Case 27/76, United Brands v Commission [1978] ECR 207, para. 267 (“United Brands”). 16 Case C-12/03 P, Commission v Tetra Laval [2005] ECR I-987 (“Tetra Laval”).

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matters, clarified that this “does not mean that the Community Courts must refrain from reviewing the Commission’s interpretation of information of an economic nature. Not only must the Community Courts, inter alia establish whether the evidence relied upon is factually accurate, reliable and consistent but also whether that evidence contains all the information which must be taken into account in order to assess a complex situation and whether it is capable of substantiating the conclusions drawn from it (…).”17 This standard of review was adopted in subsequent cases, not least by the General Court in its Microsoft judgment (2007) in the application of Article 102 TFEU.18 Interestingly, the General Court added more explicitly that even though the assessment of complex economic assessments is subject only to a limited review, “this does not prevent the Community judicature from examining the Commission’s assessment of economic data.”19 The formula was taken over, in the cartel sector, in the KME and Chalkor judgments of the Court of Justice (2011).20 Again, such guiding principle of judicial review says nothing as to how, in a particular case, the Court will conduct its examination: whether it will want to stay away from reviewing economic tests and methods (which may be uncertain or controversial), checking the robustness of data and the soundness of the conclusions derived from them, engaging in the understanding of matters requiring deep technical knowledge, or on the contrary will want to allocate capacity to conduct an in-depth and thorough review and discussion of the economic arguments submitted. In any event, the Court’s abovementioned formula sets the framework of review that parties are entitled to expect. Much concrete economic analysis can be avoided and dispensed with in view of the fact that the Court’s constant case law regarding certain practices is that, for the purposes of establishing an infringement, it is sufficient to show that such practices “tend to restrict competition” or that a certain conduct “is capable to have that effect”.21 Thus, the Court’s control of legality does not go beyond assessing whether the

17 Tetra Laval, para. 39. 18 Microsoft, para. 89. 19 Microsoft, para. 482. 20 Case C-389/10 P, KME Germany and Others v Commission [2011] ECR I-13125, para. 121; Case C-272/09 P, KME Germany and Others v Commission [2011] ECR I-12789, para. 94; Case C-386/10 P, Chalkor v Commission [2011] ECR I-13085, para. 54. See also the Opinion of Advocate General M. Wathelet of 21 February 2018 in case C-123/16P Orange Polska S.A. v. Commission at para 103. 21 British Airways, para. 293; Case T-155/06, Tomra Systems and Others v Commission [2010] ECR II-4361, paras. 287-89 [“Tomra (GC)”]; Case C-413/14P, Intel v Commission [2017] EU:C:2017:632, para. 142 (“Intel”); Post Danmark II, para. 66; Case C-52/09, TeliaSonera Sverige [2011] ECR I-527, para. 64 (“TeliaSonera”).

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Commission has plausibly demonstrated the likelihood of such effects. Actual effects on the market need not be proven.22 Without entering here into the heated debate as to whether the Court’s analysis should be (more concretely) “effects-based”, it should be noted that for example in France Télécom the General Court observed that showing an anticompetitive object and an anticompetitive effect “may in some cases be one and the same thing”. This is because “if it is shown that the object pursued by the conduct of an undertaking in a dominant position is to restrict competition that conduct will also be liable to have such an effect.”23 Another consideration to bear in mind is that, as already mentioned above, gradually and over time, economics are imported and translated into law.24 The legal categories so created – when is there predation? when are rebates capable of being exclusionary? when is tying or bundling likely or bound to foreclose? – will themselves entail certain conditions and a check-list of factors that allow one to identify and assess the conduct under the competition law rules. The reference then becomes the settled or constant case law,25 rather than the underlying (accepted) economic theory or method. In that next step, the Court’s review will focus on the question whether what has become a given rule of competition law, was correctly applied to the facts in a particular case (which again may require complex economic assessment), and whether the legal conditions to find the existence of a restriction or distortion of competition are satisfied or should be distinguished. Some will characterise this judicial technique as a return to formalism, which can be criticised if it introduces a review by presumptions, sacrificing economic reality to a certain vision of the desired structure of competition on the market, and also where it contains new rigidity. It must be noted that, when such transposition into a rule of law has occurred, the economics are no longer points of fact (which the Court of Justice is barred from examining on appeal) but points of law which can be confirmed, qualified or distinguished in later case law.

III. The acceptance of economics 1. Economic instruments (data and surveys) and economists’ expert opinions The EU Courts have due regard to and take into account, just as all relevant factual evidence, data, surveys and economic studies submitted (whether part of the administrative file or adduced  – if admissible  – at the judiciary stage), needed or 22 On the contrary the Court sometimes finds comfort on evidence that competitors were not foreclosed, Case C-209/10, Post Danmark A/S v Konkurrenceradet [2012] ECLI:EU:C:​ 2012:172, para. 39 (“Post Danmark I”). 23 In the next paragraphs the Court invokes practices (selling below AVC) that are deemed to be abusive. In the reasoning of the Court such practices are so necessarily harmful that they cannot but have the object of restricting competition. 24 A.L. Sibony, “Limits of imports from Economics into Competition Law”, in I. Lianos and D. Sokol (eds.), The Global Limits of Competition Law, Stanford 2012. 25 See e.g. Case T-203/01, Michelin II [2003] ECR II-4071, paras. 56-60, 100 and 243 (“Michelin II”).

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useful for the economic analysis. The lack of robust data or uncertainty may lead to annulment.26 The Courts used to be elliptic as to the nature of the evidence that they had reviewed, using vague references such as “studies in the Court’s file”27, to “the facts as established in the parties’ statements”28 or referring to unspecified “economic theory”29. However, the more recent case law is much more specific and discusses by name the studies and surveys undertaken by the parties, which can be of technical or econometric nature. In France Télécom, the Court relied on a study examining the high-speed and low-speed technologies and how they are used.30 In Hilti, it discussed technical characteristics and market descriptions by engineers.31 In AKZO, data on  costs structure were closely analysed, comparing the Commission’s estimates with  reports produced by AKZO.32 The General Court’s judgment in Microsoft systematically refers to various consultants’ surveys and data33 and even finds flaws in some reports. In Airtours, the General Court had special regard to the expertise of an economist mentioned by name,34 which is more exceptional. However, as already studied in detail,35 beyond the (partisan) experts’ evidence already in the administrative file or submitted at the judiciary stage, the EU Courts hardly rely on expert witnesses and never or only very exceptionally resort to a court-appointed (neutral) expert. The flip side regarding the use of economic data or studies is that the observance of the rights of defence requires that the undertaking concerned be given the opportunity to “make known its views on the truth and relevance of the facts and documents used by the Commission to support its claims”. In the UPS36 case, the Commission’s decision to prohibit the merger between UPS and TNT was annulled because the Commission had failed to communicate to the parties an econometric model on which it relied in its decision. In Intel, the Court of Justice ruled that the arguments of the applicant to call into question the validity of the Commission’s finding concerning the foreclosure capacity of rebates must be examined and it annulled the judgment of the General Court that had failed to take into account Intel’s arguments concerning alleged errors of the Commission in applying the “as efficient competitor test”.37

26 Continental Can, para. 31; United Brands, paras. 264-265. 27 United Brands, para. 28. 28 Case 322/81, Michelin I [1983] ECR 346, para. 149 (“Michelin I”). 29 United Brands, para. 253. 30 France Télécom (GC), para. 82. 31 Case T-30/89, Hilti v Commission [1991] ECR II-1439, paras. 48, 51, 72-77 (“Hilti”). 32 Case C-62/86, AKZO Chemie BV v Commission [1991] ECR I-3359, para. 83 (“AKZO”). 33 Microsoft, paras. 365 et seq. and 565-643. 34 Airtours, paras. 212 and 226. 35 E. Barbier de la Serre and A.L. Sibony, “Expert evidence before the EC Courts”, Common Market Law Review, Vol. 45 no. 4, pp. 941-985 (2008). 36 Case T-194/13, United Parcel Service v Commission [2017] ECLI:EU:T:2017:144. 37 Intel, paras. 139-147.

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2. Economic theories It is difficult to distinguish the acceptance of economic theories and their translation into legal concepts and benchmarks from the objectives and aims of the competition policy and rules. There is an intimate relationship between the economic rules that (at a certain moment in time) will favour a certain form of the functioning of the markets, in view of desired outcomes such as economic growth, wealth creation, consumer welfare, appropriate allocation of resources and fair re-distribution of income (none of which is politically neutral), and the political vision or economic constitutions that  govern economic policies within jurisdictions as well as in the international relationships. There is constant interaction between these two sets of principles that fluctuates over time. Economic schools can influence public opinion and politics while politics may manipulate economic thinking. Courts have the mission to apply the rule of law. This, in European Union law, means ensuring that the aims and objectives of the treaties (including as interpreted by the Courts’ case law) are respected and that the attainment of these objectives occurs in compliance not only with the treaty rules but with all applicable legal principles. At the same time, the rule of law must provide predictability and legal certainty. Therefore, it is not the Court’s task to assess the merits or soundness of certain economic theories nor to exercise judgment on political choices that are made from time to time by the competent authorities or regulators (except to the extent that the Courts are exercising their duty of control of the validity of decisions and acts). Nevertheless, in the performance of these tasks, the Courts, having the duty to take into account all the circumstances of a case, will systematically use and refer to certain basic economic assumptions elevated to forms of legal principles or paradigms about which there is a large consensus. Although constant refinement is possible, as well as the gradual addition of novel norms, there are some established pre-supposed beliefs that are not fundamentally put in doubt. These points of reference all originate in economic reasoning, but have lost that nature to become generally accepted legal rules. Economic theory is absorbed into legal doctrine, which allows the Courts to refer (as much as possible and appropriate) to their own sets of precedents or “settled case law”. a) Competition (and competitors) that should be protected The Continental Can judgment of 1973 contains a developed theory on relationship between the objectives of the treaty and on the spirit, scheme and wording of Article [86 EEC Treaty]. The Court had to rule in special circumstances, as it had to decide whether Article 86 was applicable to the acquisition of an undertaking by an undertaking in a dominant position. However, this landmark judgment goes well beyond that specific issue. The Court based itself on the then Article 3 (f) EEC Treaty, according to which the Community’s activity shall include the institution of a system that ensures that competition in the common market “is not distorted”. A fortiori, competition must not be eliminated. In addition, the Court emphasised that according to the then Article 2 EEC Treaty, the task of the Community is to promote 895

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“a harmonious development of economic activities”, and it considered that the “weakening of competition” would conflict with the aims of the common market. Hence, Articles [85] and [86] seek to achieve the same aim i.e. “the maintenance of effective competition within the common market”. This quasi-constitutional ruling does not of course decide what type of competition should be protected, what degree of competition must be maintained, which restraints can be admitted when a distortion occurs, nor as from what moment competition is weakened to an unacceptable level. This is left to policy and case law, as they develop over time and according to changing circumstances. It is unnecessary to repeat here the intense debates, including between economic schools, that discuss these various factors. And indeed, differing accents and visions can influence the case law. The EU Courts have never radically opted, at least not explicitly, for one or other model of competition. The case law is well settled on the principles that the competition rules concern the “structure of the market”38 and that “genuine undistorted competition” should not be impaired. Whether such distortion exists is decided according to the (type of) conduct and (type of) practice concerned, taking into account “all the circumstances of the case”. Recent decisions include a rather remarkable statement in TeliaSonera, implicitly referring to the Continental Can judgment, according to which the function of the competition rules is “to prevent competition from being distorted to the detriment of the public interest, individual undertakings and consumers, thereby ensuring the well-being of the European Union”.39 Here, the Court puts the emphasis on the interests to be protected, rather than referring to the structure of the market. The judgment goes on by clarifying that Article 102 TFEU refers not only to practices which may cause damage to consumers directly but also to those which are detrimental to them through their impact on competition.40 The “as efficient competitor test” provided the occasion to qualify the notion of a competitor worth protecting. In Post Danmark I,41 and more famously in Intel,42 the Court of Justice ruled that Article 102 TFEU does not seek to ensure that competitors who are less efficient than the undertaking with the dominant position should remain on the market.

38 Case 85/76, Hoffmann-La Roche & Co v Commission [1979] ECR 461, para. 91 (“HoffmanLa Roche”); AKZO, para. 69; Michelin II, paras. 70 and 97; British Airways, para. 106; France Télécom (GC), para. 103. 39 TeliaSonera, para. 22. 40 TeliaSonera, para. 22. 41 Post Danmark I, para. 21. 42 Intel, para. 133.

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b) Competition on the merits There is a well-accepted belief that competition should be “on the merits” and that the use of “methods different from those governing normal competition” hurt the maintenance or development of the level of competition.43 This paradigm raises a number of issues and questions at least as to its consequences at the stage of applying the law. First, it requires a term of comparison: what is “normal competition” at a given moment, in a given sector or in a certain market? What is understood by “the merits” as opposed to “other methods”? How to assess whether a  certain pattern of an undertaking’s commercial relationships with its suppliers or  customers (e.g., exclusivities, privileged terms, rebates, bundling, duration of contracts) is a method that “differs” from a “normal” method of operating? There is the recurrent ambiguity that an undertaking is held dominant (also) because it is able to impose such conditions or clauses on its customers or suppliers, whereas the correct analysis should be whether such methods are abusive. In this respect, the criterion that such “differing” methods are used only by undertakings in a dominant position (and are evidence that the undertaking can behave independently from its customers and suppliers) seems to be flawed: in many situations, such methods are used by other undertakings as well, but they are considered to be harmful and abusive (exclusionary or exploitative), only when applied by a dominant operator that has “special duties” not to (further) impede competition.44 Thus, the most striking feature is that the use of such methods is assumed to produce, or to be capable of having the effect of, lessening or impeding competition, which, in view of the presence of a dominant operator, is already weakened.45 Depending on the behaviour or practice at stake, the formulation may be more precise. Regarding rebates, a much-used qualification is that it procures an advantage “that is not based on an economic transaction” or more appropriately, “not based on a service” (i.e., conditions that are not linked to an advantage accruing to the undertaking concerned, such as economies of scale owing to volume, cost savings from the reduction of transport costs or logistics services performed by the customer). Hence, the conclusion is that such rebates are therefore designed in order to tie customers, to reduce the buyers’ freedom of choice and to foreclose competitors from the market. Quantity discounts are in principle regarded as “economically justified” if they reward an economy of scale because of orders made for large quantities.46 However, in the same Michelin II judgment the Court required that a quantity discount granted by an undertaking in a dominant position must be based on a countervailing advantage which may be economically justified.47 In that respect, just invoking economies of scale is insufficient: the actual cost savings must be demonstrated, and “economic

43 Michelin I, para. 70; Tomra (CJ), para. 17. 44 Hoffmann-La Roche, para. 91; AKZO, para. 69; Michelin II, para. 97. 45 Hoffmann-La Roche, para. 90; Post Danmark II, para. 29. 46 Michelin II, para. 98. 47 Michelin II, paras. 98-100.

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reasons” must explain specifically not only the rebate scheme, but “specifically the discount rate chosen for the various steps in the rebate system in question”.48 Similarly, the Court repeatedly judges that “competition on price is not always legitimate” where it leads to the elimination of competitors and the strengthening of a dominant position.49 A bundling policy is decided not to be a “legitimate mode of competition” when it emanates from an undertaking in a dominant position, inasmuch as it is liable to deter other undertakings from entering the market,50 or put differently, bundling allows (a dominant undertaking) not to compete on the merits.51 The above shows that “methods of competition” are in principle not assessed by themselves, but only when, if and because they are applied by an undertaking in a dominant position. This is best expressed in France Télécom of 2007: “… in specific circumstances, undertakings in dominant position may be deprived of the right to adopt a course of conduct or take measures which are not in themselves abuses and which would even be unobjectionable if adopted or taken by non-dominant undertakings”.52 In Michelin II,53 the General Court stated that “an undertaking in a dominant position cannot have recourse to means other than those within the scope of competition on the merits”. Mutatis mutandis the same can apply under Article 101 TFEU about commercial terms that are not obtained by the individual merits and autonomous action of undertakings in individual negotiations, but are the result of, or influenced by, restrictive agreements, collusion or parallel conduct in oligopolistic markets. The notion that competition must be “on the merits” thus means that a dominant undertaking is in principle free to compete (meaning: gaining market shares, strengthening its innovative edge, increasing its profitability and financial power, and even excluding competitors) where its competitive advantages result from the quality of its products or services, obtained through innovation, manufacturing excellence, from efficiency in marketing and in the provision of services, and through smart adaptation to market and customer needs. Indeed, the Court of Justice repeated in Intel that “competition on the merits may by definition lead to the departure from the market or the marginalisation of competitors that are less efficient and so less attractive to customers from the point of view of … price, choice, quality or innovation”54. Because this statement is made about exclusionary practices, it suggests that the Court accepted that a method that is by definition “not on the merits” (because it is not based on a countervailing advantage) may not be detrimental to competition where the dominant 48 Michelin II, para. 108. 49 AKZO, para. 70; Case C-280/08 P, Deutsche Telekom v Commission [2010] ECR I-9555, para. 177 (“Deutsche Telekom”); Post Danmark II, para. 25; Michelin II, para. 57; Case C-202/07 P, France Télécom v Commission [2009] ECR I-2369, para. 106 (“France Télécom (CJ)”). 50 Hilti, para. 100. 51 Microsoft, para. 1038. 52 France Télécom (GC), para. 186. 53 Michelin II, para. 97; Tomra (CJ), para. 17. 54 Intel, para. 134.

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undertaking excludes a competitor that is not “as efficient” and would leave the market anyway because of the “merits” of the dominant undertaking. Every advantage that is not linked to and the result of such intrinsic merits is deemed to be obtained by means outside “normal competition”. This leaves open the next step issues, namely, to what extent the anticompetitive consequences can be presumed or must be demonstrated by an effects-based analysis, whether the presumption can be rebutted by evidence of the absence of any effect on competition, and/or whether the behaviour can be justified. More intriguing is the cryptic formula used in TeliaSonera55 and repeated ever since,56 according to which a dominant position is not in itself a ground for criticism, provided that the undertaking has acquired such position “on its own merits”. This seems to be at odds with the above interpretation suggesting that it is on the basis of its special responsibility that an undertaking in a dominant position has a duty to compete on the merits and to refrain from using methods different from those which condition “normal operators”.57 This is the case where a dominant undertaking thereby strengthens its existing dominant position or leverages such position to reap additional advantages. In contrast, the way whereby a dominant position is acquired (organic growth, acquisitions, technological supremacy, incumbent monopoly position after liberalisation etc) is neutral, provided that the conduct of the undertaking (which may not yet be dominant but can have market power) was not in itself illegal under the competition rules. Presumably, it is the latter concern that the Court intended to address when introducing such qualification. However, in case of past infringements they should be investigated in their own right. There are no “good” or “bad” dominant positions as such. The concern that the Court would be introducing an additional test may be caused by the Microsoft judgment, where the General Court found that Microsoft impaired the effective competition structure on the work group server market “by acquiring a significant market share”.58 Perhaps the judgment merely alluded to the well-known consideration that competition is already weakened due to the presence of the dominant undertaking. However, if given a wider or standalone application (acquiring a significant market share impairs competition and is an abuse), such rule would dangerously blur the well-established distinction between dominance and abuse. c) Market entry, freedom of choice, and availability of various sources of ­supply The Court’s vision of what “genuine”, “undistorted” and “effective” competition means is best reflected in its rulings highlighting the need to preserve market entry and the freedom of choice for suppliers, buyers or consumers. 55 TeliaSonera, para. 24. 56 Post Danmark II; Intel, para. 133. 57 Hoffmann-La Roche, para. 91. 58 Microsoft, para. 664.

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When analysing practices, one needs to investigate whether they tend to remove or restrict the buyers’ freedom to choose their sources of supply, or to bar competitors from access to the market.59 It is also emphasised that Article 102 TFEU prohibits practices which make market entry very difficult or impossible for equally efficient competitors. This similarly applies to practices that make it more difficult or impossible for co-contractors to choose between various sources of supply or commercial partners.60 This is sometimes expressed in terms of “equal opportunity” or by requiring that equally efficient competitors be placed “on the same footing”.61 Practices of dominant undertakings may not interfere with the freedom of choice of operators. Discrimination is an infringement when it tends to distort the competitive relationships by hindering the competitive position of some of the business partners of the dominant undertaking in relation to others.62 In other words, operators cannot be (unduly) restricted (by tying clauses, fidelity rebates, exclusivities or bundling) from exercising their freedom to choose their business partners and to seize the best  business opportunities. More precisely, rebates are objectionable if they are calculated to prevent dealers from being able to select freely at any time, in light of the market situation, the most favourable of the offers made by competitors and to change suppliers. Conversely, limiting the dealers’ or purchasers’ choice of supply makes access to the market more difficult for competitors.63 Or, expressed differently at the  downstream level, loyalty rebates are prohibited because they tend to prevent customers from obtaining all or most of their requirements from competing manufacturers.64 Conduct that prevents the appearance of a new product on the market falls under Article 102 b) TFEU.65 The remaining competition must be “effective”. That condition is not fulfilled when competitors maintain a marginal presence in certain niches.66 Similarly, it is to no avail to justify foreclosure because a “contestable part of the market” (whatever the threshold of significance) is still sufficient to accommodate a sufficient number of competitors. In Tomra, the Court decided that customers on the foreclosed part of the market should have the opportunity to benefit from “whatever degree of competition” is possible and that competitors should be able to compete “on the merits” for the “entire market” and not only part of it.67 All these examples of reasoning and finding of the law illustrate that economic and commercial freedom (under various aspects), which must allow an appropriate allocation of resources and is needed to attain what is viewed as the optimal structure

59 TeliaSonera, para. 28. 60 Deutsche Telekom, para. 175. 61 Deutsche Telekom, para. 233; Microsoft, para. 230. 62 British Airways, paras. 143-145. 63 Michelin I, para. 85; Tomra (GC), para. 298. 64 Post Danmark II, para. 27. 65 Microsoft, para. 230. 66 Microsoft, para. 643. 67 Tomra (CJ).

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and functioning of the markets in the interest of all stakeholders, is at the basis of the notion of competition that must be maintained by the treaty’s competition law rules. 3. Methodologies The judgments of the EU Courts often and increasingly reflect the use and the discussion of methodologies applied in order to substantiate economic assessments, or at the very least they acknowledge them. Examples include: ȤȤ The use of econometric methods such as the SSNIP test to measure demand-side substitutability for the purposes of market definition.68 ȤȤ The method of discounted cash flow to calculate the discounted net value of telecommunication service subscribers.69 ȤȤ The various methods than can be used in order to determine whether prices are below average variable costs or rather below average total costs but above average variable costs (i.e. accounting basis; actual recovery of adjusted costs; the recovery of the adjusted costs foreseeable ex ante etc).70 ȤȤ The method to determine the rates of recovery of cost (as opposed to the mere calculation of such costs.71 ȤȤ The use of the test of the own costs (and strategy) of the dominant undertaking to assess whether the pricing practices of such undertaking are likely to eliminate an (equally efficient) competitor.72 ȤȤ The notion of “incremental costs” and the costs to be included to estimate the average incremental costs” and the method of attribution of the common variable costs.73 ȤȤ The various methods that can be used in order to determine whether a price is excessive and the conditions for such methods to be valid.74 ȤȤ The various conditions that are required (or tests to be conducted) in order to assess whether a refusal to deal is an abuse of dominant position.75

68 France Télécom (GC), paras. 86 et seq. 69 France Télécom (GC), para. 125. 70 France Télécom (GC), paras. 131-133. 71 France Télécom (GC), para. 162; France Télécom (CJ), para. 78. 72 Deutsche Telekom, paras. 196-202. At para. 201, the Court of Justice clarifies that such approach is justified because “such a test can establish whether the appellant would itself have been able to offer its retail services to end-users otherwise than at a loss had it been first obliged to pay its own wholesale prices for local loop access services …”. 73 Post Danmark II, paras. 31-33. 74 Case C-177/16, Biedrība Autortiesību un komunicēšanās konsultāciju aģentūra - Latvijas Autoru apvienība v Konkurences padome, EU:C:2017:689, paras. 36-40 (“AKKA-LAA”). 75 Microsoft.

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It is revealing that once such methodology is adopted as being appropriate to find and to qualify a conduct as an infringement of the competition rules, these instruments or tests become part of the “settled case law” and are therefore replicated as benchmarks in later cases.

IV. Selected case law 1. Market definition In Continental Can, the Court of Justice stressed that the definition of the relevant market is of essential significance, for the possibilities of competition can only be judged in relation to those characteristics of the products in question by virtue of which those products are particularly apt to satisfy an inelastic need and are only to a limited extent interchangeable with other products.76 The Court drew attention to demand-side substitutability, i.e., the degree to which consumers view other products as interchangeable (being able to satisfy the same need the consumer has) with the product at issue. It also highlighted the significance of supply-side substitutability, i.e., the ease with which other firms can enter the market for the product at issue and therefore increase competition and reduce dominance. Such review led to the annulment of the Commission’s decision because it had not defined the relevant market. In particular, the Commission had not distinguished the markets at issue – as light containers for canned meat products, light containers for canned seafood, and metal closures for the food packaging industry – both from each other and from the general market for light metal containers (e.g., for fruit and vegetables, condensed milk, olive oil, fruit juice). In United Brands, the Court used demand-side substitutability to discern the relevant market and focused in particular on the unique features of the product in question. The inelastic demand of the consumers who would eat bananas – the old, the young and the sick (the famous “toothless fallacy”) – coupled with bananas’ specific product characteristics, exemplifies that the Court’s economic analysis did not just focus on price, but instead assessed the qualitative characteristics and purposes of the product in question. The analysis was further refined in Hoffmann-La Roche, where the Court utilised not only the concept of demand-side substitutability but also the degree of substitutability to discern the relevant market, by finding that if a product could be used for different purposes and if these different uses are in accordance with economic needs, which are themselves also different, there are good grounds for accepting that this product may belong to separate markets. It also clarified that the concept of the relevant market in fact implies that there can be effective competition between the products which form part of it, and this presupposes that there is a sufficient degree of interchangeability 76 M. Sousa Ferro, “Judicial review: Do European Courts Care about Market Definition?”, Journal of Competition Law and Practice, 2015, Vol. 6, No 6, pp. 400-410.

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between all the products forming part of the same market in so far as a specific use of such products is concerned. The concept of demand-side substitutability was further developed in Michelin,77 incorporating market structure in its analysis. The Court focused its analysis on the underlying reasons for which the two groups of consumers (tyres for vans and cars) demand different kinds of tyres by reference to the types of activities those consumers engage in. Here, the Court elaborates upon supply-side substitutability first highlighted in Continental Can. The Court specifies the transaction costs involved in switching production from one product to another and concludes that these costs are prohibitive in the case of switching from light-vehicle to heavy-vehicle tyre production. In France Télécom the General Court, in determining demand-substitutability of the different internet access speeds, relied on the hypothetical SSNIP test – as defined in the Commission’s 1997 Notice on the definition of the relevant market78  – and concluded that the great majority of customers would not switch to low-speed access in response to a 5-10 % increase in price of high-speed access, thus holding that these markets were separate. The acceptance of the SSNIP test represents a shift towards a  more quantitative analysis of demand-substitutability. However, the product’s characteristics still informs the General Court’s analysis. For example, the fact that the great majority of customers would switch to high-speed internet access from lowspeed internet access (but not vice versa) highlighted the clear superiority of highspeed internet access from consumers’ perspectives. Indeed, the General Court was mindful of the kinds of activities that could be undertaken with high-speed access but not low-speed access. Thus, the General Court’s analysis is similar to the reasoning in Michelin I in the sense that it adopted a functional analysis of the product’s purposes and potential uses, not just its inherent features. Market definition, although a general requirement, plays a much lesser role in cartel cases. It is only relevant in cases where such analysis is necessary for the assessment of the conduct.79 2. Tying/Bundling In Hilti, the General Court upheld the Commission’s decision, which had found that Hilti had abused its dominant position by mandating the purchase of nails from it when consumers also purchased nail cartridges. On the basis of a foreclosure theory of harm. It took the view that the practice aimed at eliminating small undertakings which were doing nothing more than exercising their rights, namely the right to produce and sell nails intended for use in Hilti nail guns. However, the Court’s use of economic analysis was very limited. 77 Case 322/81, Michelin I. 78 OJ 1997 C372/5. 79 A.L. Sibony, Le juge et le raisonnement économique.., pp. 333-354.

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Similarly, in Tetra Pak, regarding the abuse of a dominant position consisting in tying machinery for packaging cartons with the cartons themselves, little economic analysis was conducted. The Court of Justice relied on the nature of the practice and rather formally approved the General Court’s reasoning that even where tied sales are in accordance with commercial usage or there is a natural link between the two products in question, they may still constitute an Article 102 TFEU infringement, unless they can be objectively justified. Bundling was at the heart of the Microsoft case. The analysis of the General Court in this case was thorough and developed and, as mentioned above, economic evidence was intensely discussed. In terms of analytical framework, the Court assessed the following factors in order to determine the existence of an infringement80: (i) The original product and the tied product must be two separate products; (ii) Dominance must be found in the market for the tying product; (iii) Consumers must be unable to choose to obtain the tying product without the tied product; (iv) There must be a finding of foreclosure of competition. This assessment necessitated the Court to review in depth, and in the concrete circumstances of the case, issues such as: ȤȤ The various factors based among others on the nature and the technical feature of the products concerned and whether there is separate consumer demand. In this respect, technology products will almost always result in an independent demand because of the distinction between hardware and software. ȤȤ To what extent the existence of transaction costs when switching products, taking consumers time and expense to switch from one media player to another, may make illusory the possibility to install competitors’ media players. ȤȤ In order to find foreclosure, to examine the actual effects which the bundling had already had on the streaming media player market and also the way in which that market was likely to evolve. In that context, the Court alluded to (indirect) network effects, and it discussed the notion, the characteristics and the functioning of twosided markets (or “platforms”).

3. Rebates The assessment of rebates and discount schemes is, undoubtedly, together with predatory pricing the most productive and also the most controversial area of competition law analysis.81

80 Microsoft, paras. 842 et seq. 81 Among the abundant literature see i.a. N. Petit, “Intel, Leveraging rebates and the goals of Article 102 TFEU”, European Competition Journal, 2015, Vol. 11, No 1, pp. 26-68.

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The current state of the Court’s doctrine is summarised in the 2017 Intel judgment of the Court of Justice82 at para 137: “In that regard, the Court has already held that an undertaking which is in a dominant position on a market and ties purchasers – even if it does so at their request – by an obligation or promise on their part to obtain all or most of their requirements exclusively from that undertaking abuses its dominant position within the meaning of Article 102 TFEU, whether the obligation is stipulated without further qualification or whether it is undertaken in consideration of the grant of a rebate. The same applies if the undertaking in question, without tying the purchasers by a formal obligation, applies, either under the terms of agreements concluded with these purchasers or unilaterally, a system of loyalty rebates, that is to say, discounts conditional on the customer’s obtaining all or most of its requirements – whether the quantity of its purchases be large or small – from the undertaking in a dominant position.” (see judgment of 13 February 1979, HoffmannLa Roche v Commission, 85/76, EU:C:1979:36, paragraph 89) In Hoffmann-La Roche, the Court decided, going beyond formal tying obligations, that where a dominant undertaking applies, either under the terms of agreement concluded with these purchasers or unilaterally, a system of fidelity (or loyalty) rebate, that is to say discounts conditional on the customer’s obtaining all or most of its requirements from the undertaking in a dominant position, such practice amounts to an abuse of dominance. As discussed above, such conduct is deemed incompatible with the objective of undistorted competition within the [internal] market, because – unless there are exceptional circumstances which may make an agreement between undertakings permissible  – they are not based on an economic transaction which justifies this burden or benefit but are designed to deprive the purchaser of or restrict his possible choices of sources of supply and to deny other producers access to the market. The Court ruled on that basis that fidelity rebates are by their nature illegal. It refrained from an economic analysis of the probability of foreclosure and whether, indeed, there existed a genuine prospect of “as efficient” firms being able to enter the market. In Michelin I, the Court examined a progressive rebate scheme that, although different from loyalty rebates of the type assessed in Hoffmann-La Roche, was found to be capable of having the same effects. The Court admitted that pure quantity discounts (linked solely to volume) are unobjectionable if they yield countervailing advantages “based on an economic service”. However, it characterised the scheme as a loyalty rebate, which by offering customers financial advantages tends to prevent them from obtaining their supplies from competing manufacturers. In order to find the abuse, it analysed the likely effects of such rebates on the behaviour of dealers, in view of the pressure exercised on them, and the correlative difficulty for competitors to match those conditions and to access the market. Although the Michelin I case illustrates that the Court was willing to undertake a demand-side effects-based analysis to discern the type of discount at issue, it largely analyses the phenomenon on a form-based approach, although informed by an understanding of the reactions of economic 82 Case C-413/14P, Intel.

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operators, and essentially driven by the theory that rebates that are not based on an economic service are by definition abusive. In Michelin II, the Court refined its doctrine, in this case about a loyalty-inducing incremental rebate system. Although the Commission had not analysed the economic effects of the criticised practices, the General Court upheld the finding that the mere intent of the dominant firm implies anti-competitive behaviour. It also stressed the need for an economic justification of the rebate scheme, in other words, the need for proof that the rebate is based on an economically justified countervailing advantage. In that respect, it raised the standard of proof by considering that invoking economies of scale is too general and insufficient to provide economic reasons to explain specifically the discount rates chosen for the various steps in the rebate system in question.83 Not only are economic justifications difficult to provide, but later case law also confirmed that actual effects of the rebates do not need to be demonstrated. Thus, in British Airways the Court of Justice rejected the argument that the General Court did not examine the probable effects of the bonus schemes at issue, because it is sufficient to explain the mechanism of the schemes, which on the facts had a fidelity-building effect.84 Little or no supply-side analysis was conducted. Similarly, in the Tomra case, involving exclusivity agreements, quantity commitments and loyalty-inducing discounts, the EU Courts upheld the Commission’s finding of abuse, sticking to the formalistic notion of foreclosure and holding that effects need not be proven in rebate cases. According to now well-established language, “it is sufficient to show that the abusive conduct of the undertaking in a dominant position tends to restrict competition or that the conduct is capable of having that effect”.85 In view of the possible efficiencies of the bottle return system, a concrete analysis of the actual repercussions on workable competition would have been welcome. A small step towards some more economic analysis was taken in Post Danmark II (a preliminary ruling case), which was about retroactive rebates in the market for direct mail advertising, in a case litigated against the Danish Competition Council. The Court of Justice was requested to clarify the analytic criteria for assessing the legality of rebates. It held, on the basis of settled case law, that the effects of an abusive practice need not be demonstrated nor be concrete for an abuse to be found. However, it also held that the “as-efficient-competitor test” can play a complementary role in rebate cases.86 The case was particular, since Post Danmark enjoyed a statutory monopoly, and the emergence of an “as efficient” competitor would be impossible. However, without 83 A. Ezrachi, EU Competition Law An Analytical Guide to the Leading Cases, Bloomsbury 2016, 5th ed., p. 250. 84 British Airways, para. 98. 85 Tomra, para. 68. 86 Post Danmark II, paras. 51 et seq.

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establishing the AEC test as a benchmark, it suggests that this test is a useful tool “among others” to assess the abusive nature of a rebate. The Intel case provided the Court with an opportunity to reinforce – to some extent – the requirement of economic analysis of the market circumstances before concluding too mechanically that an abuse existed in rebate cases. Referring to Post Danmark I (which was about price predation), the Court reaffirmed that “not every exclusionary practice is necessarily detrimental to competition” and that Article 102 TFEU does not seek to ensure that competitors less efficient that the undertaking with the dominant position should remain on the market.87 Therefore, since the existence of an abuse may depend on the resolution of the AEC test, this test is at least implicitly elevated to a necessary analytical standard. The Court was keen not to deviate from its settled case law as built up since Hoffmann-La Roche. However, that case law was “further clarified”: “in the case where the undertaking concerned submits, during the administrative procedure, on the basis of supporting evidence, that its conduct was not capable of restricting competition and, in particular, of producing the alleged foreclosure effects.” (…) “the Commission is not only required to analyse, first, the extent of the undertaking’s dominant position on the relevant market and, secondly, the share of the market covered by the challenged practice, as well as the conditions and arrangements for granting the rebates in question, their duration and their amount; it is also required to assess the possible existence of a strategy aiming to exclude competitors that are at least as efficient as the dominant undertaking from the market.” It also calls for an assessment of whether a system of rebates may be objectively justified. More precisely: “It has to be determined whether the exclusionary effect arising from such a  system, which is disadvantageous for competition, may be counterbalanced, or outweighed, by advantages in terms of efficiency which also benefit the consumer”, adding that such “balancing of the favourable and unfavourable effects of the practice in question on competition can be carried out in the Commission’s decision only after an analysis of the intrinsic capacity of that practice to foreclose competitors which are at least as efficient as the dominant undertaking”.88 The immediate consequences of the judgment may be limited in that particular case, because the Commission had indeed conducted the AEC analysis, and it was the General Court that was blamed for not having taken Intel’s arguments for the AEC test carried out by the Commission into account. Nevertheless, the more general considerations that precede the application of the legal principles to the specific case strongly suggest that abuse cases will henceforth have to be decided, and judged, with much more economic and concrete analysis, such as a price–cost analysis aiming to demonstrate if a competitor would be able to enter the market while the dominant undertaking was applying the alleged exclusionary conduct. However, the insistence on the need to analyse the “intrinsic capacity to

87 Intel, para. 134. 88 Intel, paras 138-142.

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foreclose” and on the requirement to conduct a “balancing test” demonstrates that the ruling applies well beyond the case of the AEC test.89 4. Predatory Pricing In this important area of regulatory intervention, the EU Courts rather soon developed the economic assessment test or standard used to determine whether certain pricing practices are “predatory” and are therefore abuses of a dominant position.90 Since AKZO in 1991, it is established that pricing by an undertaking in a dominant position below the average variable costs of the product (i.e., those which vary depending on the quantity produced) are abusive.91 That is because, in the view of the Court, a dominant undertaking has no interest in applying such prices except in order to eliminate competitors so as to enable it subsequently to raise its prices by taking advantage of its monopolistic position, since each sale generates a loss, namely the total amount of the fixed costs (i.e., those which remain constant regardless of the quantities produced) and, at least, part of the variable costs relating to the unit produced. Thus, such pricing inherently means that a dominant undertaking seeks to eliminate a competitor, and such behaviour is abusive. The next question, which will be fiercely discussed in the later case law, is whether the prospect of loss recoupment, is a condition to find abusive predation. At the same time, the Court affirmed the rule that prices below average total costs – fixed costs plus variable costs, but above average variable costs – must be regarded as abusive (only) if they are part of a plan to eliminate an (as efficient) competitor. One of the few cases where, after AKZO, such plan was examined and found to have existed, is France Télécom.92 In such circumstances the Court exercises a traditional control of the interpretation and significance of documentary evidence. The Tetra Pak case clarified (on appeal) that where prices are below AVC, no recoupment analysis need be performed, because below-AVC predatory pricing cases must always be held to be abusive. This was confirmed in the France Télécom judgments of 2007 and 2009. First, while the General Court admitted that price alignment by a dominant undertaking with those of its competitors is not in itself abusive or objectionable, it might become so where it is aimed not only at protecting its interests but also at strengthening and

89 See the Opinion of Advocate General M. Wathelet of 21 February 2018 in case C-123/16P Orange Polska S.A. v. Commission, at paras 98-101. 90 D. Petzold, “It Is All Predatory Pricing: Margin Squeeze Abuse and the Concept of Opportunity Costs in EU Competition Law”, Journal of European Competition Law and Practice, 2015, Vol. 6, No 5, pp. 346-350. 91 AKZO, para. 71. 92 France Télécom (GC), paras. 195 et seq.

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abusing its dominant position (which will be assumed in the case when recovery of costs is not possible). The Court of Justice clarified that proof of the possibility of recoupment of losses suffered by an undertaking in a dominant position and of prices lower than a certain level of costs does not constitute a necessary precondition to establishing that such a pricing policy is abusive. Again, such proof can be dispensed with in circumstances where the eliminatory intent of the undertaking at issue can be presumed in view of that undertaking’s application of prices lower than average variable costs. The Post Danmark I preliminary ruling case faced the Court of Justice with a situation where the undertaking, dominant in the market for distributing unaddressed mail, but which also held a legal monopoly in the distribution of addressed mail, offered preferential prices to the clients of its nearest competitor in the market for unaddressed mail. Such prices did not allow for the recovery of average total costs but did cover average incremental costs.93 Indeed, the cost-comparison carried out by the Danish competition authorities was based not on the well-known concept of “variable costs” but on another concept termed as “incremental costs”. This concept was accepted as the correct tool to conduct a price comparison in circumstances where there are considerable costs related both to the activities within the ambit of the universal service obligation and to the postal operator’s activity of distributing unaddressed mail. It was recognised that “common” costs are due, in particular, to the fact that, at the material time, the undertaking was using the same infrastructure and the same staff both for the activity of distributing unaddressed mail and for its monopoly of distributing addressed mail. The consequence was that to the extent that a dominant undertaking sets its prices at a level covering the great bulk of the costs attributable to the supply of the goods or services in question, it will, as a general rule, be possible for an equally efficient competitor to compete with those prices without suffering losses that are unsustainable in the long term. There was factual evidence to that effect in the case at hand. Consequently, such policy may not be regarded as exclusionary, and no abuse can be found. It is worth noting that in paragraphs 63-66 of the Commission’s 2009 Guidance on enforcement priorities in applying Article 102 TFEU to abusive exclusionary conduct by dominant undertakings,94 the Commission takes average avoidable cost (AAC) as a starting point for assessing whether the dominant undertaking is incurring avoidable losses. Pricing below AAC would be usually viewed by the Commission as an indication of a predatory strategy. The Court does not explicitly quote the Commission’s Guidelines, but the application of the AAC test implies that the Guidelines (published the year before the judgment) influenced the way in which the Court carried out the assessment of the pricing scheme. The Court and the Commission are on the same page when it comes to the assessment of the “long run average incremental cost (LRAIC)”. In Post Danmark I, the incremental costs were said to be those costs destined to disappear in the short or medium term (three to five years) but it was not 93 Post Danmark I, para. 9. 94 OJ 2009 C 45/7.

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specified whether these costs were short- or long-run incremental costs.95 This case is a good example of interaction between the Commission’s policy statements and the Court’s case law: the Commission’s notices largely “codify” the past case law and systematise the concepts (announcing how they will be applied by the Commission), while in turn the Court will use such notices (which of course are in no way binding on it96) as a source of analytical concepts (to which economists have contributed) and for inspiration towards further refinement of the law. 5. Margin squeeze “Margin squeeze” conduct occurs where an undertaking which is dominant in one market (typically the telecommunications market of broadband access to local fixed networks) charges its competitors for unbundled access at wholesale level more than it does its own subscribers at retail level. But according to what reasoning will the abuse be established? Does the abusive nature of a margin squeeze arise only from the abusive nature of the dominant undertaking’s retail prices for end-user access services, or does such abuse occur when the difference between the retail prices charged by a dominant undertaking and the wholesale prices it charges its (at least as efficient) competitors for comparable services is negative, or insufficient to cover the productspecific costs to the dominant operator of providing its own retail services to the enduser. In Deutsche Telekom, the Court of Justice agreed that the anticompetitive effect which the Commission is required to demonstrate, as regards pricing practices of a dominant undertaking resulting in a margin squeeze of its equally efficient competitors, relates to the possible barriers which the appellant’s pricing practices could have created for the growth of products on the retail market in end-user access services and, therefore, on the degree of competition in that market. In order to assess abusive conduct, the Commission had used the method of the “unfairness” of the spread between wholesale prices and retail prices. The Court, once more, based its assessment on the exclusionary effects of the practice on competitors who are at least as efficient as the dominant undertaking itself by squeezing their margins. It ruled that such practice is “capable of ” making market entry more difficult or impossible for those competitors, and thus of strengthening its dominant position on that market to the detriment of consumers’ interests. In TeliaSonera (a preliminary ruling case),97 the Court held that in order for a price squeeze to be abusive, it must have the ability to exclude competitors who are at least as efficient. Actual exclusion is not necessary. An important question to be asked is whether the wholesale product is indispensable for the sale of retail product. If this is the case, a dominant position in the first market clearly has an effect in the latter. This 95 E. Rousseva and M. Marquis, “Hell Freezes Over: A Climate Change for Assessing Exclusionary Conduct under Article 102 TFEU”, Journal of European Competition Law and Practice, 2012 pp. 1-19. 96 Post Danmark II, para. 52. 97 Case C-52/09, TeliaSonera.

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judgment, just as the previous case law, treats the margin squeeze not as a refusal to supply (which cannot in itself establish an abuse of dominance98) but as a standalone abuse. The Court added that if such a margin remains positive, it must then be demonstrated that the application of that pricing practice was, by reason for example of reduced profitability, likely to have the consequence that it would be at least more difficult for the operators concerned to trade on the market concerned. It also recalled that an undertaking remains at liberty to demonstrate that its pricing practice, albeit producing an exclusionary effect, is “economically justified”. However, the burden of  proof lies on the dominant undertaking establishing efficiency gains that counterbalance the negative effect, and, more precisely, if the exclusionary effect of that practice bears no relation to advantages for the market and consumers, or if it goes beyond what is necessary in order to attain those advantages, that practice must be regarded as abusive. 6. Excessive Pricing Although explicitly mentioned under Article 102 (1) sub (a) TFEU, “exploitative abuses” remain somewhat the “parent pauvre” of the Court’s case law. This is notwithstanding the prominent role of the concern of supra-competitive pricing in competition law at large, either “ex post” as the object or effect of restrictive agreements or conduct under Article 101 (1) TFEU, or “ex ante” as a benchmark to assess the compatibility of concentrations. In the General Motors case of 1975,99 the Court reviewed the Commission’s finding of an abuse of dominant position for charging excessive prices for producing certain documentation which was required by drivers of GM cars in Belgium. The Court acknowledged that excessive prices “in relation to the economic value of the service” can have the effect of “curbing parallel imports” or “leading to unfair trade” (an unsubstantiated concept). However, it sided with the applicant for merely circumstantial reasons: the Court held that even though the pricing was excessive, there was no abuse by GMC because it accepted GMC’s defence that the inspections concerned during this period represented an unusual activity, and that very soon GM brought its rates into line with the “real economic cost” of the operation. In view of the simplicity of the facts, the assessment of the charges in comparison to costs and the economic value of the service presented no difficulty. The United Brands case of 1978100 concerned the accusation that United Brands not only had charges that were discriminatory but also excessive prices for its branded bananas.

98 See the Pacific Bell Telephone Co v linkLine Communications, Inc. 29 S Ct 1109 (2009) case. 99 Case 26/75, General Motors v Commission [1975] ECR 1367 (“General Motors”). 100 Case 27/76, United Brands.

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The Court established that charging a price which is excessive because it has no reasonable relation to the economic value of the product supplied would be an abuse. It specified that an excess could be determined objectively if it were possible for it to be calculated by making a comparison between the selling price of the product in question and its cost of production, which would disclose the amount of the profit margin. In the absence of an analysis of UBC’s costs structure, it had to be determined whether the difference between the costs actually incurred and the price actually charged is excessive, and, if the answer to this question is in the affirmative, whether a price has been imposed which is either “unfair in itself ” or when compared with competing products. To this purpose, the Court acknowledged that “economic theorists” have come up with several ways “for determining whether the price of a product is unfair”. The Commission had based its view that prices are excessive on an analysis of the difference between the prices charged in the various Member States. However, the largest percentage of difference was flawed on the facts. The Court found that a difference of about 7% cannot automatically be regarded as excessive and consequently unfair. While the Court accepted that the Commission’s comparison between prices charged by UBC in various Member States101 can in principle provide the basis for a finding of excessive pricing,102 the Commission had failed to conduct a proper comparison of prices while taking all circumstances into account. In British Leyland (1986),103 the Court of Justice considered, in a situation presenting some analogy with the General Motors case, the pricing behaviour of an undertaking enjoying a legal monopoly, for the provision of an ancillary service. The Court related the price charged by the dominant company to some indicator of the “economic value” of the service in question. Again, the Court satisfied itself with a simple factual analysis, based on the explanations of the parties and common sense rather than on 101 However, the geographic approach can entail a flaw; it implicitly assumes that the price in the low-price country is a benchmark for the competitive price in the country where the alleged abuse took place (R. O’Donoghue and J. Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, Hart 2013, p. 754). In Case 30/87 Bodson v Pompes funèbres des régions libérées [1988] ECR 2507, which concerned funeral services in areas of France where there were monopoly concessions granted by local authorities, the Court relied on a comparison with prices in areas where there were no such concessions. 102 Note that in Case 395/87 Ministère Public v Jean-Louis Tournier [1989] ECR 2521, the Court of Justice indicated that when a dominant undertaking charges higher fees for its services in one Member State than in others, then “where a comparison of the fee levels has been made on a consistent basis, that difference must be regarded as indicative of an abuse of a dominant position. In such a case it is for the undertaking in question to justify the difference by reference to objective dissimilarities between the situation in the Member State concerned and the situation prevailing in all the other Member States.” (para 38). Similarly in Joined Cases 110/88, 241/88 and 242/88, Lucazeau and Others, EU:C:1989:326, para. 25. 103 Case 226/84, British Leyland v Commission [1986] ECR 3263.

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Economic reasoning before the European Union Courts

economic reasoning. It found that the issuance of a conformity certificate was a very simple administrative process and that on the basis of the costs incurred cannot therefore justify the charging of different fees for the issue of certificates of conformity according to whether the vehicles are right-hand drive or left-hand drive. However, the decisive factor was that BL’s conduct could only be construed as a manifestation of a deliberate intention to create barriers to re-importations, which come into competition with its approved distributors. In order to find an abuse, the difference between the cost incurred and the price charged must be excessive and the price imposed must be either unfair in itself or unfair when compared with competing products. In AKKA/LAA (a preliminary ruling case),104 the Court of Justice recognised that there are other methods by which it can be determined whether a price is excessive. It held that a comparison of prices applied in the Member State concerned with those applied in other Member States must be considered valid when an undertaking holding a dominant position imposes scales of fees for its services which are appreciably higher than those charged in other Member States, and where a comparison of the fee levels has been made on a consistent basis, that difference must be regarded as indicative of an abuse of a dominant position. The Court added in more detail that in order to characterise a price as “unfair”, this price can be compared to those applicable in neighbouring Member States as well as other Member States, as long as the purchasing power parity (PPP) index is adjusted and provided that the reference Member States have been selected in accordance with objective, appropriate and verifiable criteria. However, the Court acknowledged that there is “no single adequate method”.105

V. Conclusion This brief survey allows to conclude that, despite the limitations that are inherent to the system of the control of legality, the European Union Courts duly review economic facts and evidence, and increasingly so over many decades of case law history. The Union jurisdictions are largely familiar with economic concepts and methods of reasoning usually applied in competition law cases. They also  have shaped many economic concepts into legal standards, which have penetrated competition law and have become part of the settled case law which must be taken into account in later cases. In exercising their jurisdiction the Union Courts apply the rule of law and they are inspired by the objectives of the treaties. This approach aims at bringing stability and at ensuring some degree of legal certainty, to the extent the Union Courts do not seem to be directly influenced by the sometimes controversial thinking of economic schools as they may vary over time and according to the world regions concerned. Neither are the Union Courts inclined to take into account fluctuating political views 104 Case C-177/16, AKKA-LAA. 105 AKKA-LAA, para. 49.

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about the purposes of competition. In that respect the case law is based on the broad consensus on the basic values of competition in the internal market, and it will ignore controversy at the margin. This careful approach can be seen by some as new rigidity. However the case law is constantly evolving, bringing refinements and further distinctions, depending on the underlying economic phenomena and market changes. The current trend shows increased requirements on the Commission to fully discharge its duties of investigation and careful decision making. The usual tools of the control on manifest errors, on the reasoning and on compliance with the rights of defence allow the Union Courts to scrutinise closely the correct assessment of economic facts and data, the soundness of the  economic reasoning and the correct application of economic concepts as accepted in the Union Courts’ case law.

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Zum Normzweck des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB I. Fragestellung II. Methodischer Ansatz III. Regelungsrahmen 1. Ausgangsproblem 2. Lösungsraum a) Präventive Regelung b) Vermeidung unmittelbarer Gefahren des Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen c) Vorbeugende Vermeidung von Marktmacht 3. Bedeutung für die Normzweck­ bestimmung IV. Normzweck des § 19 Abs. 1 und 2 GWB 1. Inwieweit richtet sich der Normzweck gegen Marktmacht als solche? a) Originärer Regelungsgehalt des § 19 Abs. 1 und 2 GWB

b) Regelungsgehalt bei erfolgtem Verstoß gegen § 19 Abs. 1 und 2 GWB 2. Inwieweit richtet sich der Normzweck (nur) gegen marktmachtbedingtes ­Verhalten? a) Verhalten auf dem beherrschten Markt b) Verhalten außerhalb des beherrschten Marktes, insbesondere § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB 3. Inwieweit dient der Normzweck dem Schutz der Wettbewerbsprozesse oder der Verhinderung unerwünschter ­Wettbewerbsauswirkungen? a) Schutz der Wettbewerbsprozesse b) Verhinderung unerwünschter ­Wettbewerbsauswirkungen V. Ergebnisse

I. Fragestellung Der Normzweck ist das zentrale Mittel zur Auslegung einer Norm,1 seine Bestimmung daher wichtig für das Verständnis des § 19 GWB. Der Normzweck des § 19 GWB ist allerdings nicht vollständig geklärt.2 Dies beruht nicht zuletzt auf dem generalklauselartigen Charakter des § 19 Abs. 1 GWB wie auch der „kleinen Generalklauseln“ des § 19 Abs. 2 Nr. 1 (unbillige Behinderung oder ungerechtfertigte Diskriminierung) und Nr.  2 (Preis- und Konditionenmissbrauch) GWB. Die Unklarheiten haben zu wiederholten Änderungen der Norm im Laufe ihres Bestehens geführt, um die relevanten Fallgestaltungen in möglichst umfassender, gleichzeitig aber hinreichend bestimmter Form zu erfassen und von Fällen unbedenklicher Ausnutzung der Marktmacht abzugrenzen.3 Die Beschreibungen des Normzwecks des § 19 GWB sind daher in der Regel einerseits inhaltlich begrenzt und bleiben andererseits teilweise unscharf. 1 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, Rz. 730a; Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 160. 2 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 4; Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 2. 3 K. Schmidt, ZRP 1979, 38 ff., spricht von einem Konflikt zwischen dem Effektivitäts- und dem Legalitätsanliegen des GWB.

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Vor diesem Hintergrund soll versucht werden, einen Beitrag zur Konkretisierung des Normzwecks des § 19 Abs. 1 und 2 GWB zu leisten.4 Hierzu wird ein methodischer Ansatz verfolgt, der zunächst den allgemeinen Regelungsrahmen ermittelt, in den sich der Normzweck einfügen muss. Auf dieser Grundlage soll dann zu einigen grundsätzlichen Fragen der Normzweckbestimmung des § 19 Abs. 1 und 2 GWB Stellung genommen werden. Denn je größer die Unklarheiten in Grundsatzfragen sind, desto weniger überzeugend werden die Lösungen in Einzelfragen ausfallen. Trotz vieler Übereinstimmungen mit der unionsrechtlichen Parallelnorm des Art. 102 AEUV ist es nicht Ziel dieses Beitrags, zum Normzweck des Art. 102 AEUV Stellung zu nehmen. Ein Gleichlauf der Normzwecke ist von Gesetzes wegen nicht zwingend, vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie § 22 Abs. 3 GWB. Der deutsche Gesetzgeber strebt auch keine vollständige Angleichung an.5 Daher sind ­Abweichungen im Normzweckverständnis möglich und schon allein aufgrund unterschiedlicher normativer Ausgestaltung (z.B. Sonderregelungen für relative Marktmacht in §  20 Abs.  1 und 2 GWB) kaum vermeidbar. Allerdings wird das Norm­ zweckverständnis des Art. 102 AEUV in der Folge verschiedentlich zum Vergleich herangezogen. Grundsätzlich sind Abweichungen des Normzweckverständnisses möglichst gering zu halten.6 Daher können Wertungen des Art. 102 AEUV berücksichtigt werden.7

II. Methodischer Ansatz Der Normzweck des Gesetzes ist durch Auslegung zu ermitteln.8 Die Normzweckermittlung bei Generalklauseln bereitet angesichts ihrer allgemeinen Fassung besondere Schwierigkeiten. Sie stellen in Teilbereichen „offengelassene Gesetzgebung“ dar; die weitere Klärung ist insoweit bewusst Rechtsprechung und Lehre überlassen.9 Eine Normzweckbestimmung ist dennoch auch bei Generalklauseln möglich. Bei der Ermittlung des Normzwecks einer Generalklausel ist allerdings zu differenzieren. Die Auslegung und Anwendung einer Norm hat Ziel- und Zweckmäßigkeitsentscheidungen des Gesetzgebers bzgl. der juristischen Mittel zu beachten, soweit der Gesetzgeber 4 Der Normzweck des § 19 Abs. 3 GWB wird nicht betrachtet, da sich Unterschiede aus der abweichenden Problemlage ergeben können, vgl. Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 23 f. 5 Näher Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 35 f. 6 Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 77. 7 So auch Wolf in MünchKomm. GWB, 2. Aufl. 2015, § 19 Rz. 2. Vgl. auch BGH v. 6.11.2013 – KZR 58/11 – VBL-Gegenwert, WuW/E DE-R 4037, Rz. 59, zu einem Grundsatz, dass zur Auslegung des nationalen Kartellrechts die Rechtsprechung der Unionsgerichte und die Entscheidungspraxis der Kommission heranzuziehen sind. 8 Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 164; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, Rz. 725 ff.; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 5. Aufl. 2011, S. 27 ff. 9 Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 5. Aufl. 2011, S. 82 f. Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 193 f. spricht von „Lücken infra legem“; vgl. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 269, 621 f.

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diese nicht offengelassen hat oder ein legitimer Sinnwandel eingetreten ist.10 Soweit es hieran aber fehlt, ist die Klärung Rechtsprechung und Lehre überlassen. Insoweit handelt es sich eher um eine gesetzesübersteigende Auslegung bzw. Richterrecht.11 Bei der Bestimmung des Normzwecks sind zudem Veränderungen des Verständnisses im Zeitablauf zu berücksichtigen („Alterung von Gesetzen“).12 Angesichts ihrer allgemeinen Fassung gewinnen diese bei Generalklauseln besondere Bedeutung. Veränderungen des Normzweckverständnisses in Bezug auf den Marktmachtmissbrauch können sich in ausdrücklichen Änderungen des Wortlauts des § 19 GWB niederschlagen, wobei nicht jeder Änderung des Wortlauts auch eine Änderung des Normzwecks entsprechen muss.13 Sie können ihren Ausdruck aber auch außerhalb dieser Norm in anderen, damit in Zusammenhang stehenden Tatbeständen finden, wie etwa das (gescheiterte) Vorhaben der Einführung einer Entflechtungsregelung in einem §  41a GWB-Entwurf zeigt (dazu unten IV.1.a)bb)).14 In einem solchen Fall ist zu prüfen, welche Rückwirkungen sich daraus auf das Normzweckverständnis des §  19 GWB ergeben können. Darüber hinaus können sich Normzweckveränderungen auch bei einer im Wortlaut unveränderten Norm ergeben. Derartige Entwicklungen sind etwa bei den Anforderungen an den Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und Unternehmensverhalten zu prüfen. Zudem wird die Beurteilung eines Verhaltens als Missbrauch davon beeinflusst, wenn eine verstärkte ökonomische Analyse der Wettbewerbsauswirkungen verlangt wird. Ein solcher Ansatz wird von der Europäischen Kommission zu Art. 102 AEUV verfolgt („more economic approach“)15 und vom EuGH in Teilaspekten anerkannt.16 Auch für § 19 GWB wird die verstärkte Berücksichtigung einer ökonomischen Analyse der Wettbewerbsauswirkungen in gewissem Umfang befürwortet.17

10 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, S. 41 f. 11 Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 59. 12 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, Rz. 721; Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 143 ff. 13 Zur Entstehungsgeschichte des §  19 GWB vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 51 ff.; Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 25 ff. 14 Vgl. Referentenentwurf (Stand: 8.1.2010), abgedruckt in Monopolkommission, Sondergutachten 58, Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Unternehmensentflechtung, 2010, S. 46 f. 15 Vgl. insbesondere die sog. Prioritäten-Mitteilung der Kommission (Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen), ABl. EU Nr. C 45 v. 24.2.2009, S. 7. 16 Vgl. etwa zum Konzept des „as efficient competitor“ bei der Prüfung einer Preis-Kosten-­ Schere EuGH v. 14.10.2010 – Rs. C-280/08 – Deutsche Telekom/Kommission, Slg. 2010, I-9555, Rz. 183; EuGH v. 17.2.2011 – Rs. C-52/09 – Konkurrensverket/­TeliaSonera Sverige AB, Slg. 2011, I-527, Rz. 31. 17 Kirchhoff, Ökonomie und Kartellrecht aus der Sicht des deutschen Richters, in FS Tolksdorf, 2014, S. 521, 522 ff., 530 f.; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 43 ff.

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Um dem Charakter als Generalklausel Rechnung zu tragen, wird in der Folge zunächst der Regelungsrahmen herausgearbeitet, in den sich der Normzweck des § 19 GWB einfügen muss. Hierzu werden das Ausgangsproblem, das Anlass zu der Regelung gibt, und die Lösungsmöglichkeiten untersucht (unten III.). Auf einer zweiten Stufe wird dann versucht, den Normzweck des § 19 GWB zu konkretisieren. Hierbei sind sowohl gesetzgeberische Ziel- und Zweckmäßigkeitsentscheidungen als auch ergänzende Normzweckvorgaben in „offengelassenen“ Regelungsbereichen zu ermitteln (unten IV). Ausgewählt werden drei aus Sicht des Verfassers interessante grundsätzliche Fragestellungen: Inwieweit richtet sich der Normzweck gegen Marktmacht als solche? Inwieweit richtet er sich (nur) gegen marktmachtbedingtes Verhalten? Und inwieweit dient der Normzweck dem Schutz der Wettbewerbsprozesse oder der Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen?

III. Regelungsrahmen 1. Ausgangsproblem Gemäß §  19 Abs.  1 GWB ist die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten. Ausgangspunkt der Regelung ist das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung und somit eine Situation eingeschränkten Wettbewerbs auf einem Markt. Die Regelung des §  19 Abs. 1 GWB bringt zum Ausdruck, ebenso wie die zugrunde liegende Kompetenznorm des Art. 74 Abs.  1 Nr.  16 GG („Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung“), dass der Gesetzgeber in derartigen Situationen ein besonderes Gefahrenpotenzial sieht. Hierin liegt ersichtlich das Ausgangsproblem, für das §  19 GWB eine gesetzliche Regelung bieten soll. Näherer Bestimmung bedarf das auslösende Gefahrenpotenzial. Dieses kann in wirtschaftlicher Hinsicht darin liegen, dass die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen nicht eintreten. Zu diesen positiven Wirkungen werden insbesondere die optimale Faktorallokation sowie die Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts gezählt.18 In diesem Sinne kann ein Missbrauch gemäß Art.  102 Abs. 2 lit. b AEUV in der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher liegen; Art. 101 Abs. 3 AEUV und § 2 Abs. 1 GWB enthalten eine Freistellungsmöglichkeit für Kartelle, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder Warenverteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Für ein marktbeherrschendes Unternehmen können sich infolge des fehlenden wirksamen Wettbewerbs erweiterte 18 Vgl. BT-Drucks. II/1158, S. 22: Mittel zur Leistungssteigerung und Fortschrittsförderung; Roth in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 33 Rz. 25; Weyer in Frank­ furter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 10; Zimmer, The basic goal of competition law: to protect the opposite side of the market, in Zimmer, The Goals of Competition Law, 2012, S. 486, 490.

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Möglichkeiten zu einem Verhalten ergeben, das dem Eintritt der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen zuwiderläuft. Darüber hinaus kann die Gefahr bestehen, dass die wirtschaftliche Machtstellung erweiterte Möglichkeiten zu einer politischen Einflussnahme eröffnet, die demokratischen Prinzipien zuwiderläuft. Auch diese Gefahr wurde bereits bei der Regelung der Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG angesprochen.19 In den Materialien zum GWB wird die Wettbewerbswirtschaft ausdrücklich als Gegenstück zur politischen Demokratie eingestuft und werden die Arbeiter- und Konsumentenrechte sowie die Machtbegrenzung des Staates betont.20 Insoweit wird §  19 GWB als im Dienste der gesellschaftspolitischen Funktionen des Kartellrechts insgesamt stehend angesehen.21 2. Lösungsraum a) Präventive Regelung Ausgehend von dem beschriebenen Ausgangsproblem liegt der Missbrauchskontrolle die Vorstellung eines besonderen Kontrollbedürfnisses infolge fehlenden wirksamen Wettbewerbs zugrunde. Ziel der Missbrauchskontrolle ist daher zu verhindern, dass sich die angesprochenen Gefahren des fehlenden wirksamen Wettbewerbs realisieren. Es geht insoweit um ein präventives hoheitliches Eingreifen. Dies kommt bereits in der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG („Verhütung“ des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung) deutlich zum Ausdruck. Nothdurft spricht plastisch von dem Primärzweck der Missbrauchsaufsicht, Gefahren für den Wettbewerbsprozess abzuwehren und nicht ihre Verwirklichung „posthum“ zu sanktionieren.22 b) Vermeidung unmittelbarer Gefahren des Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen Zielrichtung der Missbrauchskontrolle kann zum einen die Vermeidung von Verhaltensweisen sein, die unmittelbar die oben (III.1.) genannten wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gefahren begründen. Erfasst werden können damit Verhaltensweisen, die unmittelbar die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven wirtschaftlichen Wirkungen beinträchtigen können. Die Missbrauchskontrolle betrifft insoweit solche Verhaltensweisen marktbeherrschen-

19 Vgl. insbesondere Parlamentarischer Rat, 12. Sitzung des Ausschusses für Zustän­ digkeitsabgrenzung v. 14.10.1948, abgedruckt in Werner, Der Parlamentarische Rat 19481949, Akten und Protokolle, Bd. III, 1986, S. 512, 513. 20 BT-Drucks. II/1159, S.  21; dazu auch Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13.  Aufl. 2018, §  19 Rz.  3; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2.  Aufl. 2012, S. 95 ff. 21 Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 1. 22 Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 46.

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der Unternehmen, die drei wesentliche Voraussetzungen erfüllen (wobei sich jeweils eine Anknüpfung im Wortlaut des § 19 Abs. 1 GWB findet): ȤȤ so stark eingeschränkte Wettbewerbsintensität auf einem Markt, dass die oben (III.1.) genannten Gefahren bestehen („marktbeherrschende Stellung“), ȤȤ ein Zusammenhang zwischen Unternehmensverhalten und marktbeherrschender Stellung („Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung“), sowie ȤȤ eine negative Beurteilung dieses Verhaltens, weil sich das in der marktbeherrschenden Stellung liegende Gefahrenpotenzial verwirklichen kann („missbräuchliche Ausnutzung“). Bei allen drei Voraussetzungen besteht erheblicher Konkretisierungsbedarf. Im Rahmen des §  19 GWB sind insbesondere der Marktmachtzusammenhang und das ­Missbrauchsurteil von Bedeutung. Was den Zusammenhang zwischen Unternehmensverhalten und marktbeherrschender Stellung angeht, so kommen zunächst Verhaltensweisen in Betracht, in denen die marktbeherrschende Stellung „zum Tragen kommt“, deren Durchführbarkeit oder Wirkungen also von der marktbeherrschenden Stellung abhängen. Daneben könnten im Hinblick auf die Beeinträchtigung der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen auch Verhaltensweisen einbezogen werden, deren Auswirkungen bei „kumulierter Betrachtung“ mit den Wirkungen der schon bestehenden marktbeherrschenden Stellung zu einer besonders weitreichenden Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen, auch wenn die Auswirkungen des fraglichen Verhaltens für sich betrachtet durch die marktbeherrschende Stellung nicht verstärkt werden (näher unten IV.2.). Hinsichtlich der Beeinträchtigung der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen kommen zunächst Verhaltensweisen in Betracht, die konkrete unerwünschte Wettbewerbsauswirkungen erwarten lassen, z.B. überhöhte Preise. Daneben könnten auch Verhaltensweisen erfasst werden, die zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse führen können, auch wenn die Gefahr konkreter  unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen nicht nachgewiesen ist. Auch insoweit könnte noch von „unmittelbaren“ Gefahren für die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen gesprochen werden, obwohl die Missbrauchskontrolle in gewissem Maß vorverlagert wird (näher unten IV.3.). Daneben ist im Anschluss an das oben geschilderte Gefahrenpotenzial zu fragen, ob Zielrichtung der Missbrauchskontrolle auch die Vermeidung von Verhaltensweisen sein könnte, die unmittelbar und entgegen demokratischen Prinzipien den politischen Meinungsbildungsprozess beeinträchtigen können. Der Schutz politischer Meinungsbildungsprozesse liegt jedoch außerhalb der Missbrauchskontrolle als einer Regelung des Wirtschaftslebens und damit außerhalb des hier zu betrachtenden Regelungsrahmens. Dementsprechend lässt die Ausgestaltung des § 19 GWB auch keinerlei Hinweise auf eine Regelung der politischen Meinungsbildung erkennen.

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c) Vorbeugende Vermeidung von Marktmacht Ausgehend von dem beschriebenen Ausgangsproblem ist zum anderen eine Zielrichtung der Missbrauchskontrolle denkbar, die sich bereits gegen die Entstehung, Existenz oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung richtet. Es geht insoweit um eine Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle, die Situationen fehlenden wirksamen Wettbewerbs und das darin liegende Gefahrenpotenzial vorbeugend ausschließt oder einschränkt. Vermieden werden sollte nach diesem Ansatz, dass Unternehmen infolge ihrer marktbeherrschenden Stellung erweiterte Möglichkeiten zu einem ­Verhalten haben, das dem Eintritt der angestrebten positiven Wirkungen des Wett­ bewerbs zuwiderläuft oder das eine politische Einflussnahme entgegen demokratischen Prinzipien ermöglicht. Denkbar wären vorbeugende verhaltensbezogene oder strukturelle Regelungen, die zu einer Einschränkung der Verhaltensspielräume des marktbeherrschenden Unternehmens führen (z.B. Verbot marktmachtverstärkender Verhaltensweisen) oder gesonderte hoheitliche Eingriffsrechte begründen (z.B. Entflechtung). Derartige vorbeugende Regelungen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht wären nach herrschendem Verständnis grundsätzlich durch die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG gedeckt.23 Daher konnten (außerhalb der Missbrauchskontrolle) insbesondere die Regelungen zur Zusammenschlusskontrolle nach §§ 35 ff. GWB auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG gestützt werden.24 Vorbeugende Regelungen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht lassen sich unter den Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG fassen („Verhütung“ des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung). Sie sind grundsätzlich auch von dessen Normzweck erfasst. Zwar fand eine Erweiterung des Kompetenztitels auf die Verhütung der wirtschaftlichen Machtstellung selbst (und nicht nur deren „Missbrauch“) im Parlamentarischen Rat keine Mehrheit. Die Diskussion lässt jedoch erkennen, dass wirtschaftliche Machtstellungen als Gefahrenquellen für (politischen und wirtschaftlichen) Machtmissbrauch angesehen wurden und deren Verhinderung, soweit praktisch umsetzbar (z.B. durch ein Kartellverbot), nicht aus dem Anwendungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG ausgeschlossen werden sollte. Allerdings wurde die Entstehung wirtschaftlicher Machtstellungen aufgrund produktionstech-

23 Degenhart in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rz. 65; Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 74 Rz.  194; Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rz. 116; wohl auch Wittreck in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rz. 73; Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl. 2016, Art. 74 Rz. 40; Kunig in v. Münch/ Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rz. 62. A.A. wohl Maunz in Maunz/Dürig, GG, Loseblatt, Art. 74 Rz. 192, der aber zumindest ein Verbot von für Missbrauch besonders anfälligen Tätigkeiten als gedeckt ansieht. 24 Degenhart in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rz. 65 (auch für Entflechtungsmaßnahmen); Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 74 Rz. 194; Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rz. 116; Wittreck in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rz.  73; Kunig in v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rz. 62.

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nisch notwendiger Größe der Unternehmen als teilweise unabwendbar angesehen.25 Es wäre daher nicht aus Kompetenzgründen ausgeschlossen, den Normzweck des Missbrauchsverbots auch auf vorbeugende verhaltensbezogene Regelungen zu erstrecken. Materiell wären bei der Ausgestaltung die grundrechtlichen Grenzen, insbesondere nach Art. 12 und 14 GG, zu beachten. 3. Bedeutung für die Normzweckbestimmung Aus den vorstehenden Überlegungen zu Ausgangsproblem und Lösungsraum ergeben sich Konsequenzen für die Konkretisierung des Normzwecks des §  19 GWB. ­Zunächst muss der Normzweck innerhalb des vorstehend beschriebenen Regelungsrahmens liegen. Angesichts des weiten gesetzgeberischen Ermessens muss der Gesetzgeber den Regelungsrahmen aber nicht ausschöpfen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass in erster Linie Verhaltensweisen unterbunden werden sollen, die unmittelbar (d.h. aufgrund unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen oder durch Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse) die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen beinträchtigen können. Denn hierbei handelt es sich um die Problemlage, die Anlass zur Einführung einer Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen gegeben hat. Bei der näheren Ausgestaltung verfügt der Gesetzgeber allerdings über einen weiten Gestaltungspielraum, der insbesondere durch die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG grundsätzlich nicht eingeschränkt wird.26 Doch kann sich aus den Grundrechten eine Pflicht zu staatlichen Eingriffen bei starkem Machtgefälle ergeben, um die Selbstbestimmung der Betroffenen zu gewährleisten.27 Daher sind die Grundrechte insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln, zu denen auch §  19 GWB gerechnet werden kann, heranzuziehen.28 Ob und inwieweit der Normzweck des § 19 GWB darüber hinaus auf die vorbeugende Vermeidung der Entstehung, Existenz oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung ausgedehnt werden soll, unterliegt gleichfalls der gesetzgeberischen Gestaltung. Ausgehend von dem beschriebenen Ausgangsproblem liegt es nahe, für eine solche Ausdehnung des Normzwecks besondere Anhaltspunkte zu verlangen. Insbesondere der gesetzgeberische Hinweis auf die ungenügenden Erfahrungen mit der Missbrauchsaufsicht und auf die Möglichkeit, bei deren Versagen eine Wiederherstellung des Wettbewerbs anzustreben,29 lässt eine solche Ausweitung des Normzwecks 25 Vgl. Parlamentarischer Rat, 12. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 14.10.1948, abgedruckt in Werner, Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. III, 1986, S. 511-513. 26 Vgl. dazu allgemein Wittreck in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Vorb. zu Art. 70-74 Rz.  54  f. Weitergehend Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 1: implizites Schutzversprechen. 27 Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 2. 28 Vgl. BGH v. 7.6.2016  – KZR 6/15  – Pechstein/International Skating Union, NJW 2016, 2266, Rz. 55, 57. 29 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 22.

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allerdings nicht fernliegend erscheinen. Auch der Hinweis in den Gesetzgebungsmaterialien auf die politischen Gefahren von Marktmacht könnte für einen bereits gegen die Entstehung, Existenz oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung gerichteten Normzweck des § 19 GWB sprechen. Zu prüfen ist schließlich, ob eine rechtliche Regelung zur Vermeidung des Missbrauchs von Marktmacht dem § 19 GWB oder möglicherweise einer anderen Norm unterfallen soll. So ergibt sich aus § 20 Abs. 1 und 2 GWB und der Beschränkung des §  19 Abs.  1 GWB auf marktbeherrschende Stellungen, dass das Gefahrenpotenzial relativer Marktmacht außerhalb des § 19 GWB geregelt werden soll. Ebenso legen die Vorschriften zur Zusammenschlusskontrolle nach §§ 35 ff. GWB nahe, dass das Gefahrenpotenzial der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung jedenfalls bei externem Unternehmenswachstums nicht in § 19 GWB geregelt werden soll.

IV. Normzweck des § 19 Abs. 1 und 2 GWB 1. Inwieweit richtet sich der Normzweck gegen Marktmacht als solche? Bei der Prüfung, inwieweit sich der Normzweck gegen die Entstehung, Existenz oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung richtet, ist zwischen dem originären Regelungsgehalt des § 19 Abs. 1 und 2 GWB und dem Regelungsgehalt bei erfolgter Verletzung des Missbrauchsverbots zu unterscheiden. a) Originärer Regelungsgehalt des § 19 Abs. 1 und 2 GWB aa) Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung Der oben beschriebene Regelungsrahmen würde es unter dem Gesichtspunkt der Vorbeugung zulassen, in den Normzweck der Missbrauchskontrolle bereits die Vermeidung der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung aufzunehmen.30 Eine solche Ausgestaltung wäre, wie dargestellt, nach herrschendem Verständnis auch durch die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG gedeckt (oben III.2.c)). Dem Gesetzgeber steht insoweit jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Gesetzgeber hat seinen Gestaltungsspielraum in § 19 GWB ersichtlich dahin ausgeübt, dass nur Verhaltensweisen erfasst werden sollen, in denen sich das Fehlen wirksamen Wettbewerbs auswirken kann („missbräuchliche Ausnutzung einer 30 Vgl. auch das US-amerikanische Monopolisierungsverbot nach Sect. 2 Sherman Act. Allerdings wird auch dieses einschränkend dahin ausgelegt, dass es nicht den Erwerb oder die Aufrechterhaltung einer Monopolstellung aufgrund überlegener Produkte, eigener Geschäftstüchtigkeit oder historischen Zufalls untersagt, vgl. US v Grinnell Corp., 384 U.S. 563, 570 f. (1966); U.S. Supreme Court v. 13.1.2004 – 124 S.Ct. 872 – Verizon v. Trinko, WuW/E KRInt 59, 60. Vgl. auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl. 2012, S. 28 ff.

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marktbeherrschenden Stellung“). In der Regierungsbegründung zum GWB wurde zwar als zweifelsfrei angesehen, dass jede Monopolstellung die Gefahr der Übervorteilung der Konsumenten und der Hemmung oder gar Erstarrung des wirtschaftlichen Fortschritts mit sich bringe. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, Störungsfaktoren im Marktablauf dadurch auszuschließen, dass er die vollständige Konkurrenz in einem möglichst großen Umfang erhalte; die gesamte Wirtschaftspolitik sei darauf ­auszurichten, der Entstehung wettbewerbsausschließender Marktgebilde entgegen­ zuwirken.31 Die weiteren Ausführungen verdeutlichen jedoch, dass die Erhaltung wettbewerblicher Strukturen (und damit die Verhütung wirtschaftlicher Machtstellungen) durch das GWB nur im Rahmen des Kartellverbots und der Zusammenschlusskontrolle verfolgt werden sollte, während bei Erwerb der marktbeherrschenden Stellung durch internes Unternehmenswachstum lediglich Maßnahmen gegen den Missbrauch der Marktstellung möglich sein sollten.32 Der Aufbau marktbeherrschender Stellungen unterliegt daher noch nicht dem Missbrauchsverbot.33 Dieser Begrenzung des Normzwecks korrespondiert, dass auch die Existenz einer marktbeherrschenden Stellung hingenommen wird (unten bb)). Sofern mit der Auffassung, das Entstehen und Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung würden (nur) hingenommen, wenn diese auf unternehmensinternem Wachstum „durch überlegene Leistung am Markt“ beruhen,34 eine Ausweitung des Normzwecks auf bestimmte Fälle des Aufbaus marktbeherrschender Stellungen verbunden sein sollte, lassen sich Anhaltspunkte hierfür – anders als im Falle der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung (unten cc)) – nicht erkennen. Zur Sonderfrage des Aufbaus einer marktbeherrschenden Stellung auf einem Drittmarkt vgl. unten IV.2.a)bb). bb) Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung Dieser Begrenzung des Normzwecks bzgl. der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung entspricht, dass § 19 GWB auch die Existenz einer marktbeherrschenden Stellung als solcher nicht in Frage stellt.35 Dies kommt auch in der gesetzlichen ­Konzeption zum Ausdruck, die mit dem Begriff der „missbräuchlichen Ausnutzung“ einer marktbeherrschenden Stellung nur an einzelne Verhaltensweisen marktbe­ herrschender Unternehmen anknüpft.36 Dem entspricht weiterhin, dass auch dem marktbeherrschenden Unternehmen eine wirtschaftliche Tätigkeit – bis zur Grenze 31 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 21, 22. 32 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 26 f. 33 OLG Düsseldorf v. 28.4.2010 – VI-U (Kart) 4/10, juris Rz. 60; zu § 26 Abs. 2 GWB a.F. KG v. 21.11.1991 – Kart 2/91 – Offizieller Volleyball, WuW/E OLG 4907, 4913; Fuchs in Immen­ ga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 24; Wiedemann in Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 23 Rz. 1. 34 Wolf in MünchKomm. GWB, 2. Aufl. 2015, § 19 Rz. 3; ähnlich auch Wiedemann in Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 23 Rz. 1. 35 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 37 („zunächst rechtlich ohne Folgen“); Begr. RegE zur 7. GWB-Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 33. Vgl. entsprechend zu Art. 102 AEUV EuGH v. 9.11.1983 – Rs. C-322/81 – Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Rz. 57; EuGH v. 6.7.2017 – Rs. C-413/14 P – Intel/Kommission, Rz. 133. 36 Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 43.

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missbräuchlicher Ausnutzung der Marktmacht  – nicht untersagt ist.37 Der Begriff „missbräuchlich“ impliziert insoweit eine über die bloße Betätigung eines marktbeherrschenden Unternehmens hinausgehende negative Qualifikation des Verhaltens. Diese Begrenzung des Normzwecks gilt ungeachtet des Umstands, dass mit einer marktbeherrschenden Stellung notwendig Einschränkungen der Wettbewerbsprozesse verbunden sind.38 Zur Begründung wird teilweise auf die Unabwendbarkeit der Entstehung wirtschaftlicher Machtstellungen verwiesen.39 Teilweise wird das Streben nach einer besseren Marktstellung und letztendlich nach Marktbeherrschung auch als essentiell für einen funktionierenden Wettbewerb angesehen40 und auf die Anreize zur Leistungssteigerung und Fortschrittsförderung verwiesen.41 Zudem genießt die unternehmerische Handlungsfreiheit des marktbeherrschenden Unternehmens verfassungsrechtlichen Schutz.42 Dieser Ansatz wurde in der Zwischenzeit auch nicht aufgegeben. Zwar hatte bereits die Begründung zum GWB-Entwurf auf ungenügende Erfahrungen mit der Missbrauchsaufsicht hingewiesen und für den Fall ihres Versagens die Beseitigung des Monopols und die Wiederherstellung des Wettbewerbs auf den betreffenden Märkten in Betracht gezogen.43 Es gab auch wiederholte Anregungen zur Einführung einer Entflechtungsregelung.44 Zuletzt sah der (nicht umgesetzte) Entwurf eines §  41a GWB vor, dass das Bundeskartellamt auf Grundlage einer aktuellen Untersuchung des betroffenen Wirtschaftszweigs von Unternehmen mit beherrschender Stellung auf einem Markt mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung die Veräußerung von Ver­ mögensteilen verlangen könne, wenn das Fortbestehen der Marktbeherrschung auf absehbare Zeit zu erwarten sei, obwohl Wettbewerb technisch und wirtschaftlich möglich wäre, und wenn außerdem eine wesentliche Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen zu erwarten und die Maßnahme verhältnismäßig sei.45 Zum einen wä37 Wolf in MünchKomm. GWB, 2. Aufl. 2015, §  19 Rz.  3; Fuchs in Immenga/Mest­mäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 24. 38 Vgl. Begr. RegE zur 7. GWB-Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 33; auch bereits Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 22 (Schwierigkeit einer „Eingliederung des Monopols in die Wettbewerbsordnung“). Aus der Literatur deutlich Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 23 f. 39 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 22. 40 Deister in Schulte/Just, Kartellrecht, 2012, § 19 GWB Rz. 6; ähnlich Bunte/Stancke, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, S. 21 f. 41 Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 36. 42 Vgl. etwa BVerfG v. 9.10.2000 – 1 BvR 1627/95 – Importarzneimittel-Boykott, WuW/E DE-R 557, 560; BGH v. 15.11.1994 – KVR 29/93 – Gasdurchleitung, WuW/E BGH 2953, 2964. 43 Begr. RegE zum GWB, BT-Drucks. II/1158, S. 22. 44 Vgl. Stellungnahme der BReg., BT-Drucks. 9/460, Rz. 19 ff. zu den diesbezüglichen Vorschlägen der Monopolkommission, Hauptgutachten III, 1980, Rz. 723 ff.; Monopolkommission, Hauptgutachten VI, 1986, Rz. 403, 407. Vgl. auch Engel, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Entflechtungstatbestandes im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als ultima ratio zur Beseitigung eines Wettbewerbsversagens, Reprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods, Bonn 2007/22, Dezember 2007. 45 Vgl. Referentenentwurf (Stand: 8.1.2010), abgedruckt in Monopolkommission, Sonder­ gutachten 58, Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Unter-

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ren derartige Regelungen teilweise jedoch außerhalb des § 19 GWB zu treffen und würden daher nicht ohne weiteres eine Änderung seines Normzwecks implizieren. Zum anderen ist eine Gesetzesänderung in diesem Sinne nicht erfolgt und auch ein geändertes Normzweckverständnis des § 19 GWB nicht erkennbar. Die Begrenzung des Normzwecks des § 19 GWB, wonach marktbeherrschende Stellungen und deren (nicht missbräuchliche) Ausnutzung nicht verboten sind, wird vielmehr weiterhin anerkannt.46 cc) Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung Schwierig zu bestimmen ist, inwieweit sich der Normzweck des §  19 GWB gegen Verhaltensweisen richtet, die zu einer Verstärkung der vorhandenen marktbeherrschenden Stellung im Vergleich zu der sonst zu erwartenden Marktentwicklung führen. Hier werden die Wettbewerbsintensität und somit die Funktion wettbewerblicher Prozesse zusätzlich eingeschränkt. Daher gehen derartige Fallgestaltungen über den Fortbestand und die „bloße“ Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung hinaus. Ein Normzweckverständnis, das sich gegen eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung richtet, wäre grundsätzlich vom Regelungsrahmen der Missbrauchskontrolle gedeckt. Dass sich §  19 GWB nicht gegen Aufbau, Existenz und Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen richtet, und zwar ungeachtet der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse, könnte bei systematischer Betrachtung allerdings die Wertung nahelegen, dass sich der Normzweck des §  19 GWB auch nicht gegen die Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse durch Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung richtet. Andererseits ist anerkannt, dass die Erheblichkeit der Beeinträchtigung bei der Prüfung eines Behinderungsmissbrauchs nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.47 Vertreten wird auch, dass die Zugangsverweigerung auf einem nicht beherrschten Infrastrukturmarkt, die zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung auf einem vor- oder nachgelagerten Markt führt, als missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB anzusehen sei.48 Im Rahmen des Art. 102 AEUV entspricht es ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein missbräuchliches Verhalten vorliegen kann, wenn ein Unternehmen in beherrschender Stellung diese dergestalt verstärkt, dass der erreichte Beherrschungsgrad den Wettbewerb wesentlich behindert, dass also nur noch Unternehmen auf dem Markt bleiben, die in ihrem Marktverhalten von dem

nehmensentflechtung, 2010, S. 46 f. Zur Diskussion vgl. etwa Monopolkommission, Sondergutachten 58, Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Unternehmensentflechtung, 2010; BKartA, Entflechtung als Instrument des Kartellrechts, 2010, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de; Bechtold, BB 2010, 451 ff.; Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, 2011; Satzky, WuW 2010, 614 ff. 46 Vgl. etwa Emmerich, Kartellrecht, 13. Aufl. 2014, §  27 Rz.  5; Fuchs in Immenga/Mest­ mäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 23 f. 47 Vgl. nur Begr. RegE, BT-Drucks. 17/9852, S. 23. 48 Vgl. nur Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 315 f.

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beherrschenden Unternehmen abhängen.49 Daher könnte §  19 GWB dahingehend verstanden werden, dass er sich gegen die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung richtet.50 Hierauf ist in der Folge sowohl bei der Frage des erforderlichen Marktmachtzusammenhangs (IV.2.a)bb)) als auch bei der Qualifizierung als Missbrauch (IV.3.a)bb)) zurückzukommen. b) Regelungsgehalt bei erfolgtem Verstoß gegen § 19 Abs. 1 und 2 GWB Der deutsche Gesetzgeber stellt, wie ausgeführt, Entstehung und Bestand einer marktbeherrschenden Stellung nicht originär in Frage. Davon zu unterscheiden ist die Prüfung, welche Regelung dem Normzweck des § 19 GWB entspricht, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen gegen diese Norm verstößt, also seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt. Aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit können stärkere Eingriffe in die unternehmerische Freiheit des marktbeherrschenden Unternehmens gerechtfertigt sein, wenn dieses dem Verbot des § 19 GWB zuwiderhandelt bzw. zuwidergehandelt hat.51 Insoweit ist seit der 8. GWB-Novelle52 in § 32 Abs. 2 Satz 1 GWB ausdrücklich geregelt, dass die Kartellbehörden alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben können, die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind. Allerdings können Abhilfemaßnahmen struktureller Art gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 GWB nur festgelegt werden, wenn verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen von gleicher Wirksamkeit nicht zur Verfügung stehen oder im Vergleich zu Abhilfemaßnahmen struktureller Art mit einer größeren Belastung für die beteiligten Unternehmen verbunden wären. Als Abhilfemaßnahmen struktureller Art kommt etwa die Veräußerung von Unternehmensteilen in Betracht, hierunter kann aber auch die Gewährung des Zugangs zu wichtiger Infrastruktur gerechnet werden.53 Insoweit richtet sich der Normzweck, soweit erforderlich, auch gegen das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung. Denkbar erscheint darüber hinaus, dass eine Kartellbehörde nach § 32 Abs. 2 GWB im Falle vorangegangener Verstöße verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen an­ ordnet, die die Verhaltensspielräume des marktbeherrschenden Unternehmens im

49 EuGH v. 21.2.1973 – Rs. 6/72 – Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Rz. 26; EuGH v. 6.4.1995 – Rs. C-241/91 P und Rs. C-242/91 P – RTE und ITP/ Kommission, Slg. 1995, I-743, Rz. 48 ff.; EuGH v. 26.11.1998 – Rs. C-7/97 – Bronner, Slg. 1998, I-7791, Rz. 23 ff.; EuGH v. 16.3.2000 – Rs. C-395/96 P und C-396/96 P – Compagnie maritime belge transports, Slg. 2000, I-1365, Rz. 113; EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-202/07 P – France Télécom/Komission, Slg. 2009, I-2369, Rz. 105. 50 So etwa Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 191. 51 In diesem Sinne auch Begr. RegE 7. GWB-Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 33. 52 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 17/9852, S. 21, 26. 53 Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 32 Rz. 33, 35.

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Vergleich zu dem originären Verbot des § 19 GWB weitergehend einschränken.54 Insoweit sind engere Grenzen der Ausnutzung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nicht ausgeschlossen. 2. Inwieweit richtet sich der Normzweck (nur) gegen marktmachtbedingtes Verhalten? a) Verhalten auf dem beherrschten Markt aa) Wettbewerbsauswirkungen auf dem beherrschten Markt Die Missbrauchskontrolle dient der Überprüfung von Verhaltensweisen, in denen sich die mit einer marktbeherrschenden Stellung verbundene Gefahrenlage verwirklichen kann. Im Vordergrund steht hierbei, wie ausgeführt, die Gefahr, dass das Unternehmensverhalten die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen unmittelbar beinträchtigen kann. Erforderlich ist dann ein Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und überprüftem Unternehmensverhalten, der die Gefahr einer solchen unmittelbaren Beeinträchtigung begründen kann. Nach herkömmlichem Verständnis liegt ein hinreichender Marktmachtzusammenhang vor, wenn die marktbeherrschende Stellung in dem Verhalten „zum Tragen kommt“. Es geht um eine Begrenzung des „Einsatzes“ gesteigerter Marktmacht.55 Diese Anforderung wird auch durch den Wortlaut des §  19 Abs.  1 GWB nahegelegt („Ausnutzung“ einer marktbeherrschenden Stellung). Insoweit wird ein Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und Verhalten verlangt.56 Dieser liegt zum einen vor, wenn eine Verhaltensweise nur aufgrund der bestehenden marktbeherrschenden Stellung durchsetzbar oder sinnvoll ist.57 Zum anderen wird ein hinreichender Marktmachtzusammenhang auch bejaht, wenn das Verhalten aufgrund der marktbeherrschenden Stellung eine besondere Gefährlichkeit für die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen gewinnt.58 Auch insoweit geht es um einen Zusammenhang zwischen Marktmacht und Verhalten, soweit gerade die Auswirkungen des Verhaltens durch die marktbeherrschende Stellung verstärkt werden,59 also nicht nur allgemein die Auswirkungen auf den betroffenen Markt durch das Zusammen54 Vgl. Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 32 Rz. 28 f.; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 32 Rz. 40 f. 55 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 19. 56 Vgl. nur Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 6. 57 Näher Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, §  19 GWB 2013 Rz. 49. 58 Vgl. Baur, Der Mißbrauch im deutschen Kartellrecht, 1972, S.  197; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rz.  550; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 365, 471 ff. 59 Aufgrund der Anknüpfung an die verstärkten Wirkungen des Unternehmensverhaltens wird auch insoweit allerdings teilweise von einem Zusammenhang von Marktmacht und Wirkungen, im Gegensatz zu dem Zusammenhang zwischen Marktmacht und Verhalten, gesprochen, vgl. etwa Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 50.

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treffen der Auswirkungen des Verhaltens mit der bereits bestehenden marktbeherrschenden Stellung (dazu sogleich). Der Zusammenhang von Marktmacht und Verhalten drückt sich hier allerdings nicht in erweiterten Verhaltensspielräumen, sondern in verstärkten Wettbewerbsauswirkungen des Verhaltens aus.60 Bei dem beschriebenen herkömmlichen Normzweckverständnis richtet sich § 19 GWB gegen solche Beeinträchtigungen der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen, die sich gerade aus dem Wirksamwerden der Marktmacht in dem fraglichen Verhalten ergeben. Nach anderem Verständnis kann sich ein hinreichender Marktmachtzusammenhang daraus ergeben, dass das Unternehmensverhalten zu einer weiteren Einschränkung der Wettbewerbsintensität auf dem beherrschten Markt führt. Dieser Ansatz sollte von dem vorstehend dargestellten Verständnis abgegrenzt werden, das immerhin noch auf einen Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und Verhalten abstellt.61 In die Richtung dieses weitergehenden Verständnisses weist die Auffassung, Aufgabe des § 19 GWB sei die Erhaltung des bereits geschwächten, aber noch vorhandenen Restwettbewerbs.62 In diesem Sinne lassen sich auch Ausführungen verstehen, normativer Anknüpfungspunkt für eine Missbrauchskontrolle nach § 19 Abs. 1 GWB sei die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens i.S. einer Gefährdungsschwelle.63 Auch der EuGH versteht den Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV in ständiger Rechtsprechung als einen objektiven Begriff, der solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung betrifft, die die Struktur eines Marktes beeinflussen ­können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unter­ nehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, dass die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistung der Marktbürger unterscheiden.64 Dieser Ansatz findet in der Literatur zu Art. 102 AEUV verbreitet Zustimmung.65 Im Ergebnis ergibt sich ein hinreichender Marktmachtzusammenhang daraus, dass die Auswirkungen der Verhaltensweise bei „kumulierter Betrachtung“ mit den Wirkungen der schon bestehenden marktbeherrschenden Stel60 Generell von der Wahrnehmung marktmachtbedingter Verhaltensspielräume sprechend aber etwa Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 21 ; Wolf in Münch­ Komm. GWB, 2. Aufl. 2015, § 19 Rz. 1; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 4. 61 Vgl. etwa Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 471 ff. 62 So etwa Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 21 f.; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 4, 191. 63 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 315. 64 EuGH v. 13.2.1979 – Rs. 85/76 – Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Rz. 91; EuGH v. 6.12.2012  – Rs. C-457/10 P  – AstraZeneca/Kommission, ECLI:EU:​C:2012:770, Rz. 74. 65 Vgl. etwa Schröter/Bartl in Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 102 AEUV Rz. 26, 166 ff.; Jung in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Losebl., Art. 102 AEUV Rz. 135 ff.; abweichend aber etwa Eilmansberger/ Bien in MünchKomm. EuWettbR, 2. Aufl. 2015, Art. 102 AEUV Rz. 131 ff.

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lung zu einer weiteren Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen, unabhängig davon, ob die Auswirkungen des fraglichen Verhaltens für sich betrachtet durch die marktbeherrschende Stellung verstärkt werden. Ein solcher Ansatz passt vor allem zu einem Normzweckverständnis, wonach sich § 19 GWB gegen die Verstärkung von Marktmacht als solche richtet. Betreffen die Verhaltensweise und deren Wettbewerbsauswirkungen den beherrschten Markt, so ergeben sich keine Unterschiede zwischen beiden Ansätzen. Ein Marktmachtzusammenhang ist jeweils zu bejahen. bb) Wettbewerbsauswirkungen auf einem Drittmarkt Zusatzfragen stellen sich, wenn das auf dem beherrschten Markt gezeigte Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens die Wettbewerbsverhältnisse auf einem von diesem Unternehmen nicht beherrschten Drittmarkt beeinträchtigt, z.B. bei Kopplungsgeschäften mit einem Drittmarktprodukt, wenn auf dem Drittmarkt keine beherrschende Stellung des koppelnden Unternehmens besteht. Es ist anerkannt, dass sich das Missbrauchsverbot des § 19 GWB grundsätzlich auch gegen solche Verhaltensweisen richtet.66 Unklar erscheint hingegen, inwieweit nach dem Normzweck des § 19 GWB berücksichtigt werden muss, in welchem Maß die Wettbewerbsintensität auf dem Drittmarkt eingeschränkt wird. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Verhaltensspielraum des marktbeherrschenden Unternehmens umso stärker eingeschränkt, je stärker seine Stellung auf dem beherrschten Markt und je größer die Gefahr ist, dass sich die Marktmacht mit Hilfe des fraglichen Verhaltens auf den Drittmarkt ausdehnen lässt. Diese Gefahr sei wiederum in der Regel umso größer, je stärker schon die bisherige Marktposition des Normadressaten oder seines Konzernunternehmens auf dem Drittmarkt sei.67 Als problematisch angesehen wird eine vollständige Ausschaltung des Leistungswettbewerbs mit der Folge einer nachhaltigen Gefährdung des Bestands des Wettbewerbs.68 Der Freiheit der Vertriebsgestaltung und der Auswahl der Vertriebspartner sind Grenzen gesetzt, wenn eine Beschränkung des Vertriebs von Ersatzteilen auf die Begründung eines Monopols auch auf dem Markt für Wartungs- und Reparaturarbeiten hinausläuft.69 Untersagt ist eine Vertriebsumstellung, die dem Normadressaten ein Monopol auf einem nachgelagerten Markt verschafft – oder zumindest die Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenten wesentlich beeinträchtigt –, auf dem bisher von ihm unabhängige Unternehmen aufgrund eigener, erheblicher Wertschöpfung ein 66 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. IV/2564, S. 15; Begr. RegE zur 8. GWB-Novelle, BT-Drucks. 17/9852, S. 23; BGH v. 4.11.2003 – KZR 38/02 – Strom und Telefon II, W ­ uW/E DE-R 1210, 1211; BGH v. 21.7.2005 – I ZR 170/02 – Friedhofsruhe, WuW/E DE-R 1555, 1556. 67 BGH v. 30.3.2004 – KZR 1/03 – Der Oberhammer, WuW/E DE-R 1283, 1286. 68 Vgl. zu § 26 Abs. 2 GWB a.F. BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97 – Schilderpräger im Landrats­ amt, WuW/E DE-R 201, 204 f. 69 BGH v. 27.4.1999 – KZR 35/97 – Feuerwehrgeräte, WuW/E DE-R 357, 359, zu § 20 Abs. 1, 2 GWB. Vgl. auch zu Art. 102 AEUV: EuGH v. 5.10.1988 – Rs. C-238/87 – Volvo, Slg. 1988, 6211, Rz. 9.

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eigenes Leistungsergebnis anbieten, für das die bisher vom Normadressaten bezogene Waren oder Dienstleistung Voraussetzung ist.70 Ähnlich wird auch nach Art. 102 AEUV die Möglichkeit eines Missbrauchs dann anerkannt, wenn durch die Verweigerung eines Geschäftsabschlusses jeglicher Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt ausgeschlossen wird.71 Die dargestellte Rechtsprechung bringt zum Ausdruck, dass teilweise sehr weitgehende Einschränkungen der Wettbewerbsintensität auf dem Drittmarkt verlangt werden.72 Dies könnte auf ein Normzweckverständnis hinweisen, wonach sich § 19 GWB gegen die Entstehung oder Verstärkung von Marktmacht auf Drittmärkten richtet. Demgegenüber ist nach dem oben beschriebenen herkömmlichen Verständnis des Marktmachtzusammenhangs ausreichend, dass sich Beeinträchtigungen der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen gerade aus dem Wirksamwerden der Marktmacht in dem fraglichen Verhalten ergeben. Dies gilt auch im Falle von Drittmarktwirkungen.73 Allerdings sind die Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität im Rahmen der Interessenabwägung bei der Beurteilung des fraglichen Verhaltens als Missbrauch zu berücksichtigen (unten IV.3.a)aa)). Bei eindeutig leistungswidrigem Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem beherrschten Markt und unter Einsatz seiner Marktmacht erscheint eine Einschränkung des Missbrauchsverbots hinsichtlich des betroffenen Drittmarkts jedoch als Widerspruch zum Normzweck des § 19 GWB. Allenfalls kann eine Ergänzung dahingehend erwogen werden, dass die fragliche Verhaltensweise überhaupt relevante Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität auf dem Drittmarkt hat. Im Ergebnis sollte, ungeachtet eines möglicherweise auch gegen Marktmacht als solche gerichteten Normzwecks des § 19 GWB, jedenfalls auch das herkömmliche Verständnis Anwendung finden, wonach Beeinträchtigungen der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen verhindert werden sollen, die sich gerade aus dem Wirksamwerden der Marktmacht in dem fraglichen Verhalten ergeben.

70 BGH v. 31.1.2012 – KZR 65/10 – Werbeanzeigen, WuW/E DE-R 3549, Rz. 31, 35. 71 Vgl. etwa EuGH v. 6.4.1995 – Rs. C-241/91 P, Rs. C-242/91 P – RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Rz. 48 ff.; EuGH v. 26.11.1998 – Rs. C-7/97 – Bronner, Slg. 1998, I-7791, Rz. 23 ff.; EuG v. 30.9.2003 – Rs. T-158/00 – ARD/Kommission, Slg. 2003, II-3825, Rz. 224; EuG v. 22.12.2004 – Rs. T-201/04 R – Microsoft/Kommission, Slg. 2004, II-4463, Rz. 203, 209 = WuW/E EU-R 863. Vgl. zu Art. 102 AEUV auch etwa BGH v. 3.3.2009 – KZR 82/07 – Reisestellenkarte, WuW/E DE-R 2708, Rz. 35; BGH v. 29.6.2010 – KZR 24/08 – GSM-Gate­ way, WuW/E DE-R 2963, 2967 f. 72 Ohne solche Anforderungen aber etwa BGH v. 4.11.2003 – KZR 38/02 – Strom und Telefon II, WuW/E DE-R 1210 ff.; BGH v. 21.7.2005 – I ZR 170/02 – Friedhofsruhe, WuW/E DE-R 1555 ff. 73 Ähnlich Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 285: Es komme nicht darauf an, wie stark die Marktposition des behindernden Unternehmens auf dem Drittmarkt sei.

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b) Verhalten außerhalb des beherrschten Marktes, insbesondere § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB Liegt das fragliche Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens außerhalb des beherrschten Markts, so erscheint ein Marktmachtzusammenhang im beschriebenen herkömmlichen Verständnis häufig ausgeschlossen, da die beherrschende Stellung für das Verhalten in der Regel keine Bedeutung gewinnt.74 Je nach Ausgestaltung kann aber auch bei Verhaltensweisen außerhalb des beherrschten Marktes ein hinreichender Marktmachtzusammenhang bestehen.75 Denkbar ist dies etwa bei Rabatten für Produkte eines nicht beherrschten Marktes im Falle der gleichzeitigen Abnahme von Produkten des beherrschten Marktes, da diese Geschäftsstrategie ihren wirtschaftlichen Sinn aufgrund der beherrschenden Stellung gewinnt, die ein besonderes Interesse der Kunden an der Wahrnehmung des Rabattangebotes begründet.76 Es ist auch nicht erforderlich, dass die fragliche Verhaltensweise in unmittelbarem Zusammenhang mit Angebot oder Nachfrage von Waren oder Leistungen steht, es sich also um ein Verhalten am Markt handelt. Ein hinreichender Marktmachtzusammenhang kann z.B. vorliegen, wenn die Nichtaufnahme in eine Molkereigenossenschaft zu einer Behinderung oder Diskriminierung beim Milchverkauf führt.77 Anders ist die Anwendbarkeit des § 19 GWB zu beurteilen, wenn das oben beschriebene abweichende Normzweckverständnis zugrunde gelegt wird, wonach sich ein hinreichender Marktmachtzusammenhang daraus ergeben kann, dass das Unternehmensverhalten zu einer weiteren Einschränkung der Wettbewerbsintensität auf dem beherrschten Markt führt. Bei dieser Sichtweise ergibt sich die von § 19 GWB zu verhindernde Gefahr aus der „Kumulierung“ der Auswirkungen des Verhaltens (außerhalb des beherrschten Markts) auf den beherrschten Markt und der dortigen Auswirkungen der bereits bestehenden marktbeherrschenden Stellung. Die Auswirkungen des Verhaltens selbst müssen aber nicht durch die marktbeherrschende Stellung verstärkt werden, sondern nur die „kumulierten“ Wirkungen nehmen zu. Vertreten wird eine solche Sichtweise insbesondere für § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB. Ein Missbrauch liegt nach diesem Beispielstatbestand insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen „sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die 74 Grundsätzlich ähnlich zu Art. 102 AEUV EuGH v. 17.2.2011 – Rs. C-52/09 – Konkurrensverket/TeliaSonera Sverige AB, Slg. 2011, I-527, Rz. 86. Eine Ausnutzung von Marktmacht verneinend etwa OLG Düsseldorf v. 19.5.1965 – 20 U (Kart) 222/65 – Marktfreie Milcherzeugnisse, WuW/E OLG 725, 731 (Handlung ganz außerhalb des Monopolbereichs); OLG Celle v. 7.4.2005 – 13 U 248/04 (Kart) – Einkauf Aktuell, WuW/E DE-R 1592, 1593 f. 75 So ausdrücklich zu Art. 102 AEUV: EuG v. 6.10.1994 – Rs. T-83/91 – Tetra Pak, Slg. 1994, II-755, Rz. 115 ff.; EuGH v. 14.11.1996 – Rs. C-333/94 P – Tetra Pak II, Slg. 1996, I-5951, Rz. 24 ff. 76 Vgl. auch Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 57. 77 Vgl. BGH v. 7.11.1960 – VII ZR 82/59 – Molkerei-Genossenschaft, BGHZ 33, 259, 263 f.

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Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.“ Insoweit wird vertreten, dass eine missbräuchliche Verweigerung des Infrastrukturzugangs nur78 oder zumindest auch79 vorliegt, wenn das betreffende Unternehmen auf dem vor- oder nachgelagerten Markt über eine marktbeherrschende Stellung ­verfügt. Ein solcher Marktmachtzusammenhang i.S.  einer Stärkung der marktbe­ herrschenden Stellung auf dem vor- oder nachgelagerten Markt weist auf ein Normzweckverständnis hin, das sich gegen die Marktmacht als solche richtet, also den beherrschten (vor- oder nachgelagerten) Markt vor weiterer Strukturverschlechterung schützen soll.80 Da es sich bei § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB um einen Beispielstatbestand zu § 19 Abs. 1 GWB handelt, setzt die Anerkennung eines Marktmachtzusammenhangs im Rahmen des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB zwingend voraus, dass ein solcher Marktmachtzusammenhang auch im Rahmen des §  19 Abs.  1 GWB anerkannt werden kann.81 Ein solches Verständnis wäre, wie ausgeführt, vom Regelungsrahmen der Missbrauchskontrolle gedeckt. Es erscheint allerdings nicht abschließend geklärt, ob ein solcher Normzweck des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB und damit auch des § 19 Abs. 1 GWB zu bejahen ist.82 Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass das herkömmliche Verständnis des Marktmachtzusammenhangs zugunsten des beschriebenen abweichenden Verständnisses vollständig aufgegeben werden sollte. Daher ist zumindest davon auszugehen, dass § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB auch Anwendung finden kann, wenn Beeinträchtigungen der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen sich gerade aus dem Wirksamwerden der Marktmacht in dem fraglichen Verhalten ergeben.83 Selbst im Falle einer engeren Auslegung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB wäre jedenfalls weiterhin von der Anwendbarkeit der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB auszugehen. § 19 GWB kann daher jedenfalls (auch) Anwendung finden, wenn die marktbeherrschende Stellung auf dem Infrastrukturmarkt besteht. In diesem Sinne hat es der BGH in der Mainova-­ 78 So etwa Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 315 f. (mit Ausnahme bei Fehlen tatsächlicher Marktprozesse auf dem abgeleiteten Markt); Dreher, DB 1999, 833, 835; Haus, WuW 1999, 1190, 1191. 79 So etwa Bechtold, GWB, 8. Aufl. 2015, § 19 Rz. 72; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 434; Lettl, WuW 2011, 579, 589. 80 Vgl. auch Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 307: „verhaltensgebundene Marktstrukturkontrolle“; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 150: „Marktstrukturkorrektur“. 81 Insofern hilft es nicht weiter, wenn von einer „dem Missbrauchsverbot an sich fremde[n]“ Regelung gesprochen wird, so Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 150. 82 So auch Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 314; Lettl, WuW 2011, 579, 583 ff. 83 Allein auf die marktbeherrschende Stellung auf dem Infrastrukturmarkt abstellend etwa Wolf in MünchKomm. GWB, 2. Aufl. 2015, § 19 Rz. 147; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 152; Weyer, AG 1999, 257, 261.

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Entscheidung zumindest als ausreichend, wenn nicht erforderlich, angesehen, dass die beherrschende Stellung auf dem Markt für die Mitbenutzung der Infrastruktureinrichtung besteht. Die Gefahr, dass sich ein Unternehmen durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen vor Wettbewerb auf einem vor- oder nachgelagerten Markt schütze, bestehe insbesondere dann, wenn das Unternehmen auf dem Markt für die Mitbenutzung der Infrastruktureinrichtung über eine beherrschende Stellung verfüge. Denn wenn auf diesem Markt Wettbewerb herrsche, seien die wettbewerbsschädlichen Wirkungen der Sperre ungleich geringer.84 Damit stellt der BGH darauf ab, dass gerade die Wirkungen des fraglichen Verhaltens (Zugangsverweigerung) durch die marktbeherrschende Stellung verstärkt werden, und nicht nur auf die Verschlechterung der Marktstruktur auf dem abgeleiteten Markt. 3. Inwieweit dient der Normzweck dem Schutz der Wettbewerbsprozesse oder der Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen? Die Missbrauchskontrolle dient der Überprüfung von Verhaltensweisen, in denen sich die mit einer marktbeherrschenden Stellung verbundene Gefahrenlage verwirklichen kann. Abgestellt wird in der Regel einerseits auf die Gefahr einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse (unten a)), andererseits auf die Gefahr unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen (unten b)). a) Schutz der Wettbewerbsprozesse Hinsichtlich der Gefahr einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse steht, wie ausgeführt, die Gefahr im Vordergrund, dass das Unternehmensverhalten die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen unmittelbar beinträchtigen kann (unten aa)). Nicht auszuschließen ist aber auch, dass sich die Missbrauchskontrolle nach § 19 GWB gegen die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung als solche richtet, um das in der Marktmacht liegende Gefahrenpotenzial bereits vorbeugend einzuschränken (unten bb)). Beide Zielrichtungen könnten unter den Schutz der Wettbewerbsprozesse gefasst werden. Insoweit ist näher zu bestimmen, welche Gefahren nach dem Normzweck des § 19 GWB als relevant anzusehen sind mit der Folge, dass diesbezügliches Verhalten als „missbräuchlich“ einzustufen ist. aa) Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen als Ziel Der Wortlaut des § 19 Abs. 1 GWB („missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung … ist verboten“) gibt keinen Hinweis darauf, ob die Beurteilung (bereits) an der Funktion der Wettbewerbsprozesse oder (erst) an konkreten Wettbewerbsauswirkungen auszurichten ist. Für einen Schutz bereits der Wettbewerbsprozesse spricht aber insbesondere der Charakter als präventive Regelung (oben III.1.). Ein solcher Ansatz wird auch vom BVerfG („Zweck, den freien Wettbewerb

84 BGH v. 28.6.2005 – KVR 27/04 – Arealnetz, WuW/E DE-R 1520, 1523 f.

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vor missbräuchlicher Ausübung wirtschaftlicher Machtstellungen zu schützen“),85 vom BGH („auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung“ des GWB)86 und einem Großteil der Literatur87 geteilt. Diesem Ansatz entspricht es auch, den Wettbewerb selbst als schützenswertes Gut der unionsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften anzusehen.88 Nicht erforderlich sind damit weitere Darlegungen, inwieweit die Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse zu konkreten unerwünschten Wettbewerbsauswirkungen führen könnte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Überlegungen zu einem „more economic approach“.89 Wie ausgeführt richtet sich der Normzweck grundsätzlich nicht gegen die Entstehung oder das Bestehen von Marktmacht. Die hiermit notwendig verbundenen Gefahren für die Wettbewerbsprozesse sind damit hinzunehmen. Dementsprechend steht auch dem marktbeherrschenden Unternehmen ein unternehmerischer Freiraum zu, die Art seiner wirtschaftlichen Betätigung zu bestimmen und zu entscheiden, mit welchen Waren oder Leistungen es am Markt teilnehmen will, solange es sich nicht solcher Mittel bedient, die der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zuwiderlaufen.90 Diesem Normzweckverständnis sind Abgrenzungsschwierigkeiten immanent. Erforderlich sind Kriterien zur Abgrenzung der zulässigen Verhaltensweisen (auch wenn diese die Wettbewerbsprozesse beeinträchtigen) von einer missbräuchlichen Einflussnahme auf die Wettbewerbsprozesse.91 Wiedemann hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass die Anknüpfung an die Wettbewerbsprozesse und die Annahme eines daraus resultierenden Schutzes effizienter Strukturen und der Konsumenteninteressen besser auf die Zusammenschlusskontrolle und das Kartellverbot passt als auf § 19 GWB.92 Zur Abgrenzung der missbräuchlichen Verhaltensweisen ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB vorzunehmen.93 Im Hinblick auf die Funktion der Wettbewerbsprozesse erscheinen insbesondere die Offenheit der Marktzugänge, der Gedanke des Leistungs85 BVerfG v. 9.10.2000 – 1 BVR 1627/95– Importarzneimittel-Boykott, GRUR 2001, 266, 267. 86 Vgl. etwa BGH v. 23.1.2018 – KVR 3/17 – Hochzeitsrabatte, Rz. 17. 87 Vgl. etwa Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 42; Kirchhoff, Ökonomie und Kartellrecht aus der Sicht des deutschen Richters, in FS Tolksdorf, 2014, S. 521. 88 In diesem Sinne etwa EuGH v. 4.6.2009 – C-8/08 – T-Mobile Netherland, Slg. 2009, I-4529, Rz. 38 f.; EuGH v. 27.3.2012, C-209/10 – Post Danmark, ECLI:EU:C:2012:172, Rz. 20. 89 In diesem Sinne auch Kirchhoff, Ökonomie und Kartellrecht aus der Sicht des deutschen Richters, in FS Tolksdorf, 2014, S.  521, 530  f.; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 42, 293; Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 90. 90 BGH v. 7.3.1989 – KZR 15/87 – Staatslotterie, BGHZ 107, 273, 279; BGH v. 4.11.2003 – KZR 16/02 – Strom und Telefon I, BGH WuW/E DE-R 1206, 1210 m.w.N. 91 Vgl. auch Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 22, 24. 92 Wiedemann in Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 23 Rz. 1. 93 Vgl. nur BGH v. 23.1.2018 – KVR 3/17 – Hochzeitsrabatte, Rz. 17; BGH v. 17.12.2013 – KZR 65/12 – Stromnetz Heiligenhafen, WuW/E DE-R 4139, 4146 (Rz. 51).

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wettbewerbs, die Möglichkeit eigenständiger Geschäftsentscheidungen der Markt­ teilnehmer sowie die Auswirkungen des Verhaltens auf die Wettbewerbsintensität relevant. Diese Aspekte sind jeweils nicht nur zu Lasten, sondern auch zu Gunsten des marktbeherrschenden Unternehmens zu berücksichtigen.94 Damit wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass der Normzweck des §  19 GWB sich nicht gegen das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung als solcher richtet. Besondere Betrachtung verdient die Berücksichtigung der Auswirkungen des Verhaltens auf die Wettbewerbsintensität. Soweit auf die Gefahr abgestellt wird, dass das Unternehmensverhalten die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen unmittelbar beinträchtigen kann, können die Auswirkungen des Verhaltens auf die Wettbewerbsintensität nicht als missbrauchsbegründend angesehen werden (zur vorbeugenden Verhinderung einer Verstärkung von Marktmacht vgl. unten bb)). Dies gilt umso mehr, als ein Schutz der bestehenden Marktstrukturen und der anderen Marktteilnehmer als solcher gegen eine Verstärkung der bestehenden marktbeherrschenden Stellung dem dynamischen Moment der Wettbewerbsprozesse und der erwünschten Durchsetzung besserer Leistungen zuwiderliefe.95 Den Auswirkungen eines Verhaltens auf die Wettbewerbsintensität kann jedoch ergänzende Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten bereits aus anderen Gründen dem Schutz der Wettbewerbsprozesse zuwiderläuft. In diesen Fällen können die Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität bei der Beurteilung berücksichtigt werden, ob eine Verhaltensweise als relevante Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse anzusehen ist. Ein solches einschränkendes Normzweckverständnis erscheint auch mit der o.g. Begründung zur 8. GWB-Novelle 2013 vereinbar, wonach die Erheblichkeit der Beeinträchtigung bei der Prüfung eines Behinderungsmissbrauchs im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden soll.96 bb) Verhinderung einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung als Ziel Nicht ausschließen lässt sich allerdings ein erweitertes Normzweckverständnis, wonach §  19 GWB in gewissem Umfang, insbesondere bei sehr weitgehenden Einschränkungen der Wettbewerbsintensität, eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung verhindern soll. Auch insoweit lässt sich von einem Schutz der Wettbewerbsprozesse sprechen, weil eine gewisse Wettbewerbsintensität notwendige Voraussetzung für einen (mehr oder weniger) funktionierenden Wettbewerb ist. Diese Betrachtung ist jedoch zu unterscheiden von der vorstehend (oben aa)) betrachteten Konstellation, dass das Unternehmensverhalten die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen unmittelbar beeinträchtigen kann. Im Unterschied dazu geht es hier um die vorgelagerte Verhinderung einer Verstärkung von Marktmacht. Bei einem solchen Verständnis, das von dem oben beschriebenen Regelungsrahmen 94 Vgl. auch Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 101 ff. 95 Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 115. 96 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/9852, S. 23.

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der Missbrauchskontrolle gedeckt wäre, könnte die Missbräuchlichkeit des Verhaltens bereits allein aus den weitreichenden Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität hergeleitet werden. Die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung könnte insoweit „missbrauchsbegründend“ wirken. Auf ein solches Normzweckverständnis könnte die Auffassung hinweisen, Aufgabe des § 19 GWB sei die Erhaltung des bereits geschwächten, aber noch vorhandenen Restwettbewerbs. Einschränkend wird allerdings zugleich darauf verwiesen, dies dürfe nicht mit einem Bestands- oder Sozialschutz zugunsten verbliebener Konkurrenten verwechselt werden; eine ausschließlich auf überlegener Leistungsfähigkeit beruhende Absicherung oder Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung sei keinesfalls missbräuchlich.97 Auch die Begründung zur 8. GWB-Novelle 2013, wonach die Erheblichkeit der Beeinträchtigung bei der Prüfung eines Behinderungsmissbrauchs im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist,98 lässt die Möglichkeit offen, dass die Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität missbrauchsbegründend wirken könnten. Auf ein solches Verständnis weist deutlich, jedenfalls in Fällen sehr weitgehender Einschränkung der Wettbewerbsintensität, die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 102 AEUV. Nach der – vor Schaffung einer unionsrechtlichen Zusammenschlusskontrolle ergangenen – Entscheidung Continental Can kann Art. 102 AEUV in Parallele zu Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht zulassen, dass Unternehmen durch ihren Zusammenschluss zu einer organischen Einheit eine so beherrschende Stellung erlangen, dass jede ernst zu nehmende Wettbewerbsmöglichkeit praktisch ausgeschlossen ist.99 Art. 102 AEUV bezieht sich daher, in ständiger Rechtsprechung des EuGH bestätigt, auch auf solche Verhaltensweisen, die den Verbrauchern durch einen Eingriff in die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs mittelbar Schaden zufügen. Ein missbräuchliches Verhalten könne deshalb vorliegen, wenn ein Unternehmen in beherrschender Stellung diese dergestalt verstärke, dass der erreichte Beherrschungsgrad den Wettbewerb wesentlich behindere, dass also nur noch Unternehmen auf dem Markt blieben, die in ihrem Marktverhalten von dem beherrschenden Unternehmen abhingen.100 Dieser Ansatz findet auch im Rahmen des § 19 GWB Zustimmung.101 97 So etwa Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, §  19 Rz.  21  f.; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 4, 191. 98 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/9852, S. 23. 99 EuGH v. 21.2.1973 – Rs. 6/72 – Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Rz. 25. 100 EuGH v. 21.2.1973 – Rs. 6/72 – Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Rz. 26; EuGH v. 6.4.1995 – Rs. C-241/91 P und Rs. C-242/91 P – RTE und ITP/ Kommission, Slg. 1995, I-743, Rz. 48 ff.; EuGH v. 26.11.1998 – Rs. C-7/97 – Bronner, Slg. 1998, I-7791, Rz. 23 ff.; EuGH v. 16.3.2000 – Rs. C-395/96 P und C-396/96 P – Compagnie maritime belge transports, Slg. 2000, I-1365, Rz. 113; EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-202/07 P – France Télécom/Komission, Slg. 2009, I-2369, Rz. 105. 101 Vgl. etwa Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 191; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 467; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 90b.

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Andererseits werden, wie ausgeführt (oben IV.1.), Aufbau, Existenz und Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen ungeachtet der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse hingenommen. Dies könnte bei systematischer Betrachtung die Wertung nahelegen, dass sich der Normzweck des § 19 GWB nicht gegen die Beeinträchtigung der Wettbewerbsintensität als solche richtet. Ein Schutz der bestehenden Marktstrukturen und der anderen Marktteilnehmer als solche liefe auch dem dynamischen Moment der Wettbewerbsprozesse und der erwünschten Durchsetzung besserer Leistungen zuwider.102 Insoweit müssen Wertungswidersprüche bei der Normzweckbestimmung vermieden werden. Zu berücksichtigen ist einerseits die Einschränkung des Normzwecks dahingehend, dass Aufbau und Existenz sowie (nicht missbräuchliche) Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nicht in Frage gestellt werden sollen. Zum anderen muss der auf den Schutz der Wettbewerbs­ prozesse gerichtete Normzweck auch zugunsten des marktbeherrschenden Unternehmens berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund kommt eine Ausweitung des Normzweckverständnisses, wonach sich dieses gegen die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung richtet, nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Erforderlich erscheint zum einen, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zu einer deutlichen Verstärkung der vorhandenen marktbeherrschenden Stellung im Vergleich zu der bei „gewöhnlicher“ Geschäftstätigkeit zu erwartenden Marktentwicklung führt. Das Verhalten muss allerdings nicht notwendig zu einer „absoluten“ Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung führen. Ausreichend sind vielmehr auch eine Absicherung der beherrschenden Stellung gegenüber einem sonst zu erwartenden Abschmelzen oder auch nur die Verzögerung des Verlusts von Marktmacht, sofern hierbei die vorhandene marktbeherrschende Stellung zum Tragen kommt. Darüber hinaus ist die Ausrichtung an der Funktion der Wettbewerbsprozesse zu berücksichtigen. Daher erscheint die Einordnung als Missbrauch, trotz der Auswir­ kungen auf die Wettbewerbsintensität, jedenfalls dann nicht zutreffend, wenn die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auf überlegener Leistung des marktbeherrschenden Unternehmens beruht und damit Ausdruck erwünschter Wettbewerbsprozesse ist.103 Die Unterbindung von Verhaltensweisen, die eindeutig den mit der Wettbewerbsordnung verfolgten Zielen entsprechen („Leistungswettbewerb“), entspricht jedenfalls in aller Regel nicht dem Normzweck des § 19 GWB.104 b) Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen Wie vorstehend dargestellt, ist der Normzweck des § 19 GWB darauf gerichtet, die Wettbewerbsprozesse zu schützen. Dies schließt nicht aus, den Normzweck auch darin zu sehen, konkrete unerwünschte Wettbewerbsauswirkungen zu verhindern. Bei102 Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, § 19 GWB 2013 Rz. 115. 103 So i.E. auch Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 21 f.; Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, GWB, 2017, § 19 Rz. 4. 104 Vgl. Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Loseblatt, §  19 GWB 2013 Rz. 107 ff., 111.

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Zum Normzweck des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB

de Ansätze sind grundsätzlich vereinbar, wenn Wettbewerb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Hervorbringung positiver Wirkungen angesehen wird.105 Es liegt dann sogar nahe, dass sich der Normzweck gegen solche konkreten Wettbewerbs­ auswirkungen richtet, die in Widerspruch zu den angestrebten positiven Wirkungen von Wettbewerb stehen. Ein an den Wettbewerbsauswirkungen ausgerichtetes Normzweckverständnis erfordert eine Konkretisierung der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen. Diese können insbesondere in der optimalen Faktorallokation und in der Förderung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts gesehen werden (oben III.1.). Die nähere Ausformung eines bei den Wettbewerbsauswirkungen ansetzenden Normzwecks ist allerdings unklar. Abgestellt wird z.B. auf die Gesamtwohlfahrt, auf die Konsumentenwohlfahrt oder auf den Schutz der Marktgegenseite.106 Hieraus ergeben sich erhebliche Unsicherheiten für eine an den Wettbewerbsauswirkungen ausgerichtete Normzweckbestimmung. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass § 19 GWB nicht jede Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung untersagt, sondern nur die „missbräuchliche“ Ausnutzung (oben IV.1.a)bb)). Dies legt nahe, bei der Anwendung des §  19 GWB nicht uneingeschränkt auf einen Vergleich mit den Wirkungen wirksamen Wett­ bewerbs abzustellen. Erforderlich ist aus diesem Blickwinkel eine zusätzliche Be­ gründung, warum bestimmte Auswirkungen des Verhaltens nicht Ausdruck der ­zulässigerweise genutzten marktbeherrschenden Stellung sind, sondern eine „missbräuchliche“ Ausnutzung von Marktmacht darstellen. Insoweit stellen sich ähnliche Abgrenzungsprobleme wie bei der Anknüpfung an die Wettbewerbsprozesse.107 Einer Normzweckbestimmung, die bei der Beeinträchtigung der Wettbewerbsauswirkungen ansetzt, wird im Rahmen des Behinderungsmissbrauchs nur geringe Bedeutung zukommen, da hier bereits auf die Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse abgestellt werden kann. Anwendung findet der Ansatz bei den Wettbewerbsauswirkungen hingegen im Bereich des Ausbeutungsmissbrauchs. Nach den vorstehenden Überlegungen liegt nahe, dass § 19 GWB nicht jedes Marktergebnis verhindern soll, das bei wirksamem Wettbewerb nicht eingetreten wäre. Demgegenüber untersagt § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 GWB ausdrücklich das Fordern von Entgelten oder sonstigen Geschäftsbedingungen, die „von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden“, lässt also keine Einschränkungen erkennen. Möglicherweise kann die von der Rechtsprechung eingeführte Voraussetzung, dass es sich um eine „erhebliche“ Abweichung vom wettbe-

105 Ähnlich Zimmer, The basic goal of competition law: to protect the opposite side of the market, in Zimmer, The Goals of Competition Law, 2012, S. 486, 490, 500 f. A.A. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, §  19 Rz.  37, der von einem Systembruch spricht. 106 Vgl. etwa Zimmer, The basic goal of competition law: to protect the opposite side of the market, in Zimmer, The Goals of Competition Law, 2012, S. 486, 490 ff. 107 A.A. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 24.

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werbsanalogen Marktergebnis handeln muss,108 als Ausdruck des dargestellten Normzweckverständnisses aufgefasst werden. Zusätzliche Bedenken gegen eine Ausrichtung an den Wettbewerbsauswirkungen ergeben sich aus der Überlegung, dass eine Ausbeutungskontrolle den Anreiz für Neueintritte in den Markt oder für die Expansion von Außenseitern vermindern kann. Die Marktergebniskontrolle soll daher nach verbreiteter Auffassung nur einen Notbehelf darstellen, dessen Anwendung insbesondere dann gerechtfertigt ist, wenn Märkte strukturell so stark gestört sind, dass eine Wiederherstellung wirksamen Wettbewerbs in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.109 Hinweise auf eine nur nachrangige Anwendung lassen sich der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 GWB aber nicht entnehmen. Bei der Bestimmung des Normzwecks ist zudem zu berücksichtigen, dass eine Wiederherstellung wirksamen Wettbewerbs in der Regel keineswegs gesichert ist, sondern das marktbeherrschende Unternehmen bei hohen Gewinnpotentialen alles daran setzen wird, seine Marktposition zumindest bis an die Grenze des Zulässigen zu verteidigen. Umgekehrt sinkt im Falle begrenzter Gewinnpotentiale ggf. das Interesse an der Aufrechterhaltung der marktbeherrschenden Stellung.110 Entscheidend ist daher eine genaue Prüfung der möglichen Auswirkungen einer Preismissbrauchskontrolle auf die weitere Entwicklung der Marktverhältnisse.111 Der Normzweck des § 19 Abs. 1 und 2 GWB ist insoweit jedenfalls auch auf die Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen gerichtet.

V. Ergebnisse 1. Der Regelungsrahmen der Missbrauchskontrolle kann präventive Regelungen zur Vermeidung unmittelbarer Gefahren für die Verwirklichung der dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen decken. Darüber hinaus kann er auch vorgelagerte Regelungen zur Vermeidung der Entstehung, Existenz oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung decken. 2. Der Normzweck des § 19 GWB ist nicht darauf gerichtet, die Entstehung oder Existenz einer marktbeherrschenden Stellung zu verhindern. Daher begründen dahingehende Verhaltensweisen auch keine missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht. 108 Vgl. BGH v. 28.6.2005 – KVR 17/04 – Stadtwerke Mainz, WuW/E DE-R 1513, 1519; BGH v. 12.4.2016 – KZR 30/14 – NetCologne, WuW/E DE-R 2016, 427, Rz. 48; differenzierend Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 19 Rz. 156 ff. 109 KG v. 26.11.1997 – Kart 9/97 – Flugpreis Berlin-Frankfurt/M., WuW/E DE-R 124, 129; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 38 f., und Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 19 Rz. 250 f.; Wiedemann in Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 23 Rz. 1. 110 Die Netzentgeltregulierung der Strom- und Gasnetzbetreiber hat teilweise zum Rückzug der bisher auf diesen Märkten tätigen Unternehmen geführt. 111 In diesem Sinne auch BGH v. 3.7.1976 – KVR 4/75 – Vitamin B12, BGHZ 67, 104, 115 f.; Fischer, ZGR 1978, 235, 249 f.; Jickeli, Marktzutrittsschranken im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1990, S. 238 sowie S. 261 Fn. 72.

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Zum Normzweck des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB

Dagegen kommt ein Verständnis in Betracht, wonach sich der Normzweck gegen die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung richtet. Dahingehendes Verhalten könnte als missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht anzusehen sein. 3. Die Missbrauchskontrolle dient der Überprüfung von Verhaltensweisen, in denen sich die mit einer marktbeherrschenden Stellung verbundene Gefahrenlage verwirklichen kann. Erforderlich ist daher ein Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und überprüftem Verhalten. Nach herkömmlichem Verständnis liegt ein hinreichender Marktmachtzusammenhang bei „Einsatz“ der Marktmacht vor. Davon zu unterscheiden ist die Anerkennung eines hinreichenden Marktmachtzusammenhangs, wenn das Unternehmensverhalten zu einer weiteren Einschränkung der ­Wettbewerbsintensität auf dem beherrschten Markt führt. Ein solcher Ansatz passt insbesondere zu einem gegen die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung gerichteten Normzweckverständnis. Er schließt die Anwendung des herkömmlichen Verständnisses des Marktmachtzusammenhangs aber nicht aus. Dies gilt insbesondere auch für den Infrastrukturmissbrauch nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB. 4. Der Normzweck des § 19 GWB richtet sich jedenfalls gegen Verhaltensweisen, die zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsprozesse führen können. Der Schutz der Wettbewerbsprozesse kann einerseits dazu dienen, Unternehmensverhalten zu verhindern, das die dem Wettbewerb zugeschriebenen positiven Wirkungen unmittelbar beeinträchtigen kann. Andererseits kann er auch die vorbeugende Verhinderung einer Verstärkung von Marktmacht umfassen. Im letztgenannten Fall kann die Verstärkung von Marktmacht, d.h. die weitere Einschränkung der Wettbewerbsintensität auf dem Markt, missbrauchsbegründend wirken. Voraussetzung ist, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zu einer deutlichen Verstärkung der vorhandenen marktbeherrschenden Stellung im Vergleich zu der bei „gewöhnlicher“ Geschäftstätigkeit zu erwartenden Marktentwicklung führt und nicht auf überlegener Leistung des marktbeherrschenden Unternehmens beruht. 5. Die Anerkennung eines auf den Schutz der Wettbewerbsprozesse gerichteten Normzwecks des § 19 GWB ist vereinbar mit einem – auch – auf die Verhinderung unerwünschter Wettbewerbsauswirkungen gerichteten Normzweck. Dieser gewinnt insbesondere im Bereich des Ausbeutungsmissbrauchs Bedeutung. Ein solcher Normzweck ist nicht generell nachrangig gegenüber dem Schutz der Wettbewerbsprozesse.

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Zur Anwendbarkeit der EG-Fusionskontroll-VO auf die ­Gründung von Gemeinschaftsunternehmen – ­Anmerkungen zum Austria Asphalt-Urteil des EuGH vom 7.9.2017 I. Fragestellung und Themenbegrenzung II. Hintergrund und wesentlicher Inhalt des Urteils 1. Sachverhalt, Vorlagebeschluss des OGH und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott 2. Die Entscheidung des EuGH III. Bewertung IV. Ergänzende Fragen 1. Welche GU-Fallgruppen deckt das Urteil ab?

2. Anpassungsbedarf im Hinblick auf Rz. 91 der Konsolidierten Mitteilung der ­Kommission zu Zuständigkeitsfragen? 3. Problematik einer etwaigen Schutzlücke 4. Das „Verschwinden“ von Gemeinschaftsunternehmen 5. Eintritt eines neuen Gesellschafters 6. Konsequenzen für Entscheidungen mit fehlender Zuständigkeit der Kommission V. Zusammenfassung

I. Fragestellung und Themenbegrenzung Die kartellrechtliche Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen (im Folg.: GU) gilt seit jeher als schwierig, weil hinter dieser gesellschaftsrechtlich verfestigten Art der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen sehr unterschiedliche Gefährdungstatbestände stehen können. Dies beginnt bei Kartellorganen wie Vertriebssyndikaten und geht von Produktionsgemeinschaften bis hin zu sog. Teilfusions-GU, bei denen zwei Unternehmen ihre gesamten Aktivitäten in einem bestimmten Geschäftszweig zusammenlegen. Diese Ausgangslage führt zu der Frage, ob die Gründung von GU den Vorschriften für Kartellverträge (§§ 1 ff. GWB bzw. Art. 101 AEUV) unterfällt oder nach den jeweils einschlägigen Fusionskontrollregimes oder nach beiden Normenkomplexen (parallel) zu prüfen ist. Die Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung, weil in den beiden Regelungsbereichen unterschiedliche verfahrensrechtliche Anforderungen und materiellrechtliche Tatbestandsvoraussetzungen gelten. Der EU-Gesetzgeber hat sich im Grundsatz für eine getrennte Prüfung ausgesprochen, indem er sog. GU mit Vollfunktionen der EU-Fusionskontrolle unterworfen hat (s. Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 139/2001, im Folg.: FKVO), die anderen – also insbesondere solche mit Teilfunktionen wie Vertriebssyndikate, Produktionsgemeinschaften und F&E-GU – dem allgemeinem Kartellverbot des Art. 101 AEUV.1 1 Dazu z.B. Schroeder in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 22 ff., 25; zur abweichenden Beurteilung im deutschen Recht (Doppelkontrolle für kooperative GU) s. z.B. BGH v. 1.10.1985 – KVR 6/84, BGHZ 96, 70 = WuW/E BGH 2170 – Mischwerke.

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Der EuGH hatte nunmehr im Austria Asphalt-Urteil vom 7.9.20172 in einem Vorabentscheidungsverfahren (dazu II.1.) erstmals Gelegenheit, sich mit der Auslegung des Art. 3 FKVO im Hinblick auf die Erfassung von Gemeinschaftsunternehmen zu befassen. Er hat dabei zwei wichtige Grundsatzfragen entschieden (dazu bei II.2.). Zu klären bleibt jedoch, ob und inwieweit die Entscheidung auch für andere bzw. ähnlich gelagerte GU-Sachverhalte gilt (dazu unter IV.). Der Beitrag ist Dirk Schroeder gewidmet, einem der herausragenden Kartellrechtsanwälte seiner Generation, dem sich der Verf. insbesondere aufgrund der gemeinsamen Jahre als Vorstandsmitglied der Studienvereinigung Kartellrecht, wegen des geteilten Interesses an wissenschaftlicher Durchdringung des Stoffes sowie als Mitautor des Kartellrechts-Handbuches besonders verbunden fühlt. Da sich der Jubilar u.a. auch mit der kartellrechtlichen Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen befasst hat,3 darf gehofft werden, dass dieser Beitrag sein Interesse findet.

II. Hintergrund und wesentlicher Inhalt des Urteils 1. Sachverhalt, Vorlagebeschluss des OGH und Schlussanträge der ­Generalanwältin Kokott a) Das EuGH-Urteil erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Austria ­Asphalt GmbH & Co. OG (im Folg.: Austria Asphalt) und dem österreichischen Bundeskartellanwalt über einen behaupteten Zusammenschluss. Austria Asphalt ist eine indirekte Tochtergesellschaft der STRABAG SE, einem internationalen Baukonzern, der u.a. im Straßenbau tätig ist. Die PORR AG, die ebenfalls zu einem internationalen, im Straßenbau tätigen Baukonzern gehört, ist mittelbar Alleineigentümerin der Asphaltmischanlage Mürzzuschlag (im Folg. auch Zielunternehmen) die den für den Straßenbau benötigten Asphalt herstellt. Aus der Vorlageentscheidung des Obersten Gerichtshofs von Österreich (im Folg.: OGH) ging hervor, dass der überwiegende Teil der Produktion dieses Unternehmens für die PORR-Gruppe bzw. künftig für beide Muttergesellschaften bestimmt ist, so dass es nicht als Vollfunktionsunternehmen i.S.d. Art. 3 Abs. 4 FKVO qualifiziert werden konnte. Austria Asphalt und PORR beabsichtigen die Gründung einer Gesellschaft nach österreichischem Recht, die das Zielunternehmen erwerben soll, wobei beide Gesellschafter jeweils 50 % des Kapitals halten und gemeinsam die Kontrolle über das Unternehmen ausüben sollen. Austria Asphalt meldete das Zusammenschlussvorhaben im August 2015 bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde an. Im Laufe dieses Verfahrens stellte der Bundeskartellanwalt zwar einen Prüfungsantrag beim (österreichischen) Kartellge2 EuGH, U. v. 7.9.2017 – Rs. C-248/16, ECLI:EU:C:2017:643 − Austria Asphalt GmbH & Co. OG gegen Bundeskartellanwalt = WuW 2017, 505; EuZW 2017, 816 mit Anm. Klauß/dos Santos-Goncalves; NZKart 2017, 535; GWR 2017, 361 mit Anm. v. Graevenitz/Slobodenjuk sowie BB 2017, 2321 (nur Tenor) mit Anm. Pichler; s. außerdem von Brevern, Vollfunktion muss sein – Das Urteil des EuGH i.S. Austria Asphalt, NZKart 2017, 522 ff. 3 Zuletzt in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 22 ff.

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richt. Dieses war der Auffassung, dass der beabsichtigte Vorgang nicht dem österreichischen Recht unterfiel, sondern einen Zusammenschluss i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO darstelle. Es erklärte sich daher für unzuständig und wies den Prüfungsantrag zurück. Austria Asphalt griff diesen Beschluss beim OGH an und machte geltend, dass die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nach Art. 3 Abs. 4 FKVO nur dann einen Zusammenschluss bewirke, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfülle. Das sei hier nicht der Fall, so dass die FKVO keine Anwendung finde. Das vorlegende Gericht4 stellte zunächst fest, dass keine einschlägige europäische Rechtsprechung vorliege, die Art. 3 Abs. 4 FKVO hinsichtlich des Ausdrucks „Gründung“ (eines Gemeinschaftsunternehmens) präzisiere oder das Verhältnis zwischen dieser Bestimmung und Art. 3 Abs. 1 der Verordnung erläutere. Weder aus der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung Nr. 139/20045 noch aus der Entscheidungspraxis der Kommission ergebe sich eine eindeutige Auslegung dieser Bestimmungen. Vor diesem Hintergrund beschloss der OGH, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Art. 3 Abs. 1 lit. b und Abs. 4 der FKVO dahin auszulegen seien, dass im Fall des Wechsels von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen, wobei das vormals allein kontrollierende Unternehmen weiterhin mitkontrollierend beteiligt bleibt, nur dann ein Zusammenschluss bewirkt wird, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen Einheit aufweist. b) Die Generalanwältin Kokott legte ihre Schlussanträge in dieser Rechtssache am 27. April 20176 vor. Aus ihren Ausführungen7 geht hervor, dass die Kommission in der zentralen Auslegungsfrage im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Zuordnungen vorgenommen hat: Im informellen Vorverfahren hat die Generaldirektion Wettbewerb den Beteiligten in einem Verwaltungsschreiben mitgeteilt, dass das Vorhaben keinen Zusammenschluss i.S.d. Art. 3 FKVO darzustellen scheine; allerdings war diese Aussage – wie stets – mit dem ausdrücklichen Hinweis verbunden, dass darin lediglich die Ansicht einer Kommissionsdienststelle zum Ausdruck komme, welche für die Kommission als Unionsorgan nicht bindend sei. Im Vorlageverfahren beim EuGH vertrat die Kommission sodann (vertreten durch Beamte des Juristischen Dienstes) die Auffassung, dass Art. 3 Abs. 4 FKVO mit dem Erfordernis der Vollfunktionen allein bei der Gründung neuer GU zum Tragen komme, nicht aber bei der Umwandlung eines bestehenden Unternehmens in ein von zwei Konzernen gemeinsam kon­ trolliertes GU; danach würden der Fusionskontrolle letztlich alle Vorgänge unterfallen, bei denen sich i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO die Kontrolle über bestehende GU dauerhaft verändere, unabhängig davon, ob es sich um ein Vollfunktions-GU handelt oder – wie im Streitfall – um bloße Produktionseinheiten ohne eigenständige Markt4 OGH, B. v. 31.3.2016 – 16 Ok 1/16g , NZKart 2016, 239 f. 5 ABl. Nr. C 43 v. 21.2.2009 Nr. C 43, S. 10. 6 ECLI:EU:C:2017:322. 7 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 14, 21, 22.

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präsenz. Die unterbliebene Festlegung der Kommission auf eine „klare, einheitliche Linie“ wird von der Generalanwältin ausdrücklich bedauert.8 Die Generalanwältin analysierte in ihrer Würdigung die beiden einschlägigen Ab­ sätze des Art. 3 FKVO im Lichte ihres Wortlautes, ihrer Zielsetzung und des Kontextes der FKVO sowie der verwandten Verordnung Nr. 1/2003 sowie der Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 4 FKVO. Bei der Prüfung der Zielsetzung der einschlägigen Vorschriften ging die Generalanwältin zunächst davon aus, dass die Präambel der FKVO keine Unterscheidung zwischen neugegründeten GU und solchen treffe, die – wie hier – aus der Überführung bereits bestehender Unternehmen von der alleinigen Kontrolle eines Konzerns in die gemeinsame Kontrolle zweier Konzerne hervorgehen. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass auch in Art. 3 Abs. 4 FKVO keine derartige Unterscheidung angelegt sei, sondern dass dort „ganz generell für alle Gemeinschaftsunternehmen das Erfordernis der Vollfunktionalität aufgestellt“ werde, gleichviel, ob das betreffende GU eine Neugründung sei oder ob seine „Gründung“ auf die Verwandlung eines bestehenden Unternehmens in ein GU zurückgehe.9 Hierfür spreche auch die allgemeine Zielsetzung der EU-FKVO. Aus dem 8. Erwägungsgrund der FKVO ergebe sich, dass die Verordnung für bedeutende Strukturveränderungen gelten solle, deren Auswirkungen auf dem Markt die Grenzen eines Mitgliedstaats überschreiten. Im selben Sinne werde im 20. Erwägungsgrund auf Vorgänge abgestellt, die zu einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle an den beteiligten Unternehmen und damit an der Marktstruktur führen.10 Die europäische Fusionskontrolle sei also auf solche Vorgänge gemünzt, die zu einer Veränderung der Marktstruktur führten. Zu einer Änderung der Marktstruktur komme es aber nur, „wenn sich nennenswerte Änderungen an den Kontrollverhältnissen von Unternehmen ergeben, die tatsächlich auf dem Markt tätig sind oder dies zumindest ernsthaft planen“11. Auch in den daran anschließenden Überlegungen stellt die Generalanwältin mehrfach darauf ab, dass die FKVO nur GU-Sachverhalte betreffe, wenn diese eine „eigenständige Marktpräsenz“ hätten bzw. dass sie „ohne eigenständige Marktpräsenz – d.h. ohne Vollfunktionscharakter – von vornherein nicht unter Art. 3 Abs.  1 Buchst. b FKVO fallen“12. Am späterer Stelle heißt es, dass der Zusammenschlussbegriff so auszulegen sei, dass „nur veritable Veränderungen der Marktstruktur der europäischen Fusionskontrolle unterworfen werden, nicht hingegen das bloße Marktverhalten von Unternehmen“13. Ergänzend führt die Generalanwältin aus, dass „bloße Kooperationen“ von Unternehmen, die zwar zur Schaffung von GU führen, aber nicht zu einer eigenen Marktpräsenz dieser GU, noch nie Gegenstand der europäischen Fusionskontrolle gewesen seien.14

8 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 22. 9 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 28. 10 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 29. 11 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 30. 12 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 31 und 33. 13 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 37. 14 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 43.

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Im Ergebnis schlug die Generalanwältin vor, die Frage des vorlegenden Gerichts so zu beantworten, dass die Überführung eines bestehenden Unternehmens oder Unternehmensteils aus der alleinigen Kontrolle eines Konzerns in die gemeinsame Kontrolle eben dieses Konzerns und eines weiteren, von ihm unabhängigen Konzerns nur dann einen Unternehmenszusammenschluss i.S.v. Art. 3 FKVO darstelle, wenn das aus dieser Transaktion hervorgehende GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfülle.15 2. Die Entscheidung des EuGH Der EuGH befasst sich zunächst mit dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, also Art. 3 Abs. 1 lit. b und Abs. 4 FKVO. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO werde ein Zusammenschluss u.a. dadurch bewirkt, dass eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle in der Weise stattfinde, dass ein oder mehrere Unternehmen die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erwerben. Nach Art. 3 Abs. 4 FKVO stelle jedoch die Gründung eines GUs nur dann einen Zusammenschluss i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO dar, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfülle.16 Der EuGH folgerte daraus, dass sich dem Wortlaut von Art. 3 FKVO für sich genommen nicht entnehmen lasse, ob ein Zusammenschluss i.S. dieser Vorschrift durch einen Vorgang bewirkt werde, der zu einem Wechsel von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen führe, wenn das daraus hervorgehende GU nicht alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfülle. Entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung legt der EuGH die Vorschrift(en) sodann i.S. ihrer Zielsetzung und Systematik aus.17 Er folgt dabei im Wesentlichen den Ausführungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott und verweist zunächst darauf, dass die FKVO in ihren Erwägungsgründen nicht danach unterscheide, ob das betreffende Unternehmen durch den betrachteten Vorgang neu gegründet wurde oder ob es sich um ein bereits bestehendes und bisher unter der alleinigen Kontrolle eines einzigen Konzerns stehendes Unternehmen handele, das nunmehr in die gemeinsame Kontrolle mehrerer Unternehmen übergehe; außerdem erfasse Art. 3 FKVO Gemeinschaftsunternehmen nur, soweit sich ihre Gründung dauerhaft auf die Marktstruktur auswirke.18 Als Gründung i.S.d. Art. 3 Abs. 4 FKVO sieht der EuGH m.a.W. einen Vorgang an, der dazu führt, dass ein von mindestens zwei anderen Unternehmen gemeinsam kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt auftritt, ohne dass es darauf ankommt, ob es das neu gemeinsam kontrollierte Unternehmen vor diesem Vorgang gab.19

15 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 19 ff., 48. 16 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 16/17. 17 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 20 ff. 18 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 23, 25 et seq. 19 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 28.

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Bezogen auf die eigentliche Vorlagefrage des OGH entschied der EuGH sodann, dass die von der Kommission in dem Verfahren vertretene Auslegung, wonach ein Wechsel von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle über ein Unternehmen auch dann unter den Begriff des Zusammenschlusses falle, wenn dieses GU nicht auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfülle, nicht mit den Zuständigkeitsregelungen des Art. 21 Abs. 1 FKVO im Einklang stehe. Eine solche Auslegung würde nämlich dazu führen, dass die in der Verordnung vorgesehene präventive Kontrolle auf Vorgänge erstreckt würde, die keine Auswirkungen auf die Struktur des betreffenden Marktes haben können, und dass der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1/2003 entsprechend reduziert würde. Sie wäre dann auf solche Vorgänge nicht mehr anwendbar, auch wenn diese eine Koordinierung zwischen Unternehmen i.S.v. Art. 101 AEUV bewirken können.20 Nach alledem beantwortete der EuGH die Vorlagefrage so, dass Art. 3 FKVO dahin auszulegen sei, dass infolge einer Änderung der Art der Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle nur dann ein Zusammenschluss bewirkt werde, wenn das daraus hervorgegangene GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt.21 Im Anschluss an die EuGH-Entscheidung hat der OGH mit einem Beschluss vom 19.10.2017 angeordnet, dass das seinerzeit ausgesetzte Verfahren von Amts wegen fortgesetzt und dem Rekurs von Austria Asphalt Folge gegeben werde. Der Fall hätte danach also nach den Grundsätzen der österreichischen Fusionskontrolle geprüft werden müssen. Inzwischen hat die dortige Anmelderin allerdings die Anmeldung bei der BWB zurückgenommen, so dass das Verfahren beendet ist.22

III. Bewertung Der EuGH hat somit – im Einklang mit den Schlussanträgen der Generalanwältin – vor allem zwei Fragen entschieden: Zum einen hat er klargestellt, dass der Begriff der „Gründung eines GU“ in Art. 3 Abs. 4 FKVO weit auszulegen ist, so dass es nicht darauf ankommt, ob das neu gemeinsam kontrollierte Unternehmen bereits vorher existierte. Zum anderen und vor allem hat er die Vorschrift so ausgelegt, dass das in Art. 3 Abs. 4 FKVO genannte Vollfunktionskriterium auch für Fälle des Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO Geltung beansprucht, so dass ein GU (nur) mit Teilfunktionen nicht der FKVO, sondern ggf. dem Regime des Art. 101 AEUV unterfällt. Dem ist im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen. Die Entscheidung ist auch sonst in der Literatur, soweit ersichtlich, überwiegend auf Zustimmung gestoßen.23 20 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 34, 35. 21 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Tenor des Urteils. 22 Bekanntmachung der BWB v. 3.8.2015, BWB/Z-2754, aktualisiert per 16.11.2017, veröff. auf der Homepage der BWB. 23 S. dazu die Stellungnahmen von Klauß/dos Santos-Goncalves, v. Graevenitz//Slobodenjuk, Pichler sowie von Brevern, a.a.O. Fn. 2. A.A. – nämlich im Wesentlichen wie die Komm. in ihrer Konsolidierten Mitteilung – Mayr, Austria Asphalt – Some observations on the Euro-

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IV. Ergänzende Fragen Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass der EuGH in Vorabentscheidungsverfahren immer nur den konkret zu prüfenden Sachverhalt würdigt und dass sich hinsichtlich der Reichweite seiner Antworten Zweifelsfragen ergeben können. Darauf wird auch in den Urteilsanmerkungen hingewiesen.24 Die folgenden Überlegungen befassen sich daher mit verschiedenen Themen, hinsichtlich derer die Reichweite des Urteils Zweifelsfragen aufwirft. 1. Welche GU-Fallgruppen deckt das Urteil ab? Das Vorlageverfahren betraf eine sog. Produktionsgemeinschaft, also ein GU, das (ganz überwiegend) Produkte für seine Gesellschafter herstellen soll; es wird also im Regelfall nicht selbst als Anbieter der fraglichen Produkte auf dem Markt tätig sein (ob das GU Vorprodukte für seine Erzeugung auf dem Markt einkauft, wurde in dem Verfahren nicht erörtert). Die Generalanwältin hat nun allerdings bei der Auslegung des Art. 3 FKVO mehrfach auf das Kriterium einer „eigenständigen Marktpräsenz“ des GU für die Zwecke der Zuordnung zur FKVO abgestellt. Sie hat dabei ausgeführt, dass GU „ohne eigenständige Marktpräsenz“ von vornherein nicht unter Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO fallen. Für den entschiedenen Sachverhalt ist das richtig und naheliegend; dennoch weckt dieser Aspekt der Begründung der Schlussanträge Zweifel an der Reichweite der dortigen Überlegungen für andere GU-Typen. Es gibt nämlich einige Varianten von GU mit Teilfunktionen, die durchaus eine „Marktpräsenz“ aufweisen. Dies betrifft insbesondere Vertriebs-GU, die aufgrund der Kooperation der Muttergesellschaften in diesem Teilbereich erhebliche Marktanteile halten können; ferner betrifft es Einkaufs-GU, für die hinsichtlich ihrer Markttätigkeit umgekehrt Vergleichbares gilt. Dies führt zu der Frage, ob man die Hervorhebung der „eigenständigen Marktpräsenz“ als Kriterium so verstehen muss, dass andere GU mit Teilfunktionen, die als Anbieter oder Nachfrager eine eigene Tätigkeit auf einem Markt aufweisen, doch von Art. 3 FKVO erfasst werden können, obwohl sie das Vollfunktionskriterium nicht erfüllen. Man wird diese Frage wohl aus mehreren Gründen verneinen müssen. Erstens setzt die Generalanwältin die Begriffe „ohne eigenständige Marktpräsenz“ und „ohne Vollfunktionen“ ausdrücklich gleich25 und erwähnt das erstgenannte Kriterium in ihrem Auslegungsvorschlag26 nicht. Zum Zweiten verwendet der EuGH diesen Begriff nicht, sondern spricht nur im Zusammenhang mit dem Begriff der Gründung des GU von einem Vorgang, der dazu führt, dass ein gemeinsam kontrolliertes Unternehmen „auf

pean Court of Justice’s judgment, Kluwer Competition Law Blog, September 14 2017. Differenzierend Rudolf, JECL&P 2018, 107 ff. 24 S. dazu Klauß/dos Santos-Goncalves, EuZW 2017, 819 und Mayr, Kluwer Compe­tition Law Blog, September 14 2017; ferner von Brevern, NZKart 2017, 522, 524 f. 25 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 33. 26 ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 48.

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dem Markt auftritt“27. Umgekehrt stellt der EuGH ausdrücklich klar,28 dass das Vollfunktionskriterium maßgeblich ist, nicht aber (allein) eine Tätigkeit auf dem Markt. Die Erklärung für die prima vista möglicherweise missverständliche Argumentation mit der „Marktpräsenz“ liegt in der Verknüpfung dieses Begriffes mit dem der „Marktstruktur(-Veränderung)“, die sowohl vom EuGH als auch von der Generalanwältin vorgenommen wird, wobei Bezugspunkt für die Auslegung der Wortlaut der 20. Begründungserwägung der FKVO ist.29 Maßgebend ist also nicht eine irgendwie geartete Markttätigkeit, sondern die Eigenständigkeit dieser Tätigkeit (in der englischen Fassung: „autonomous presence on the market“). Ein GU, das nur Hilfsfunktionen für seine Gesellschafter ausübt, setzt seine Preise aber typischerweise nicht eigenständig bzw. autonom fest, sondern folgt insoweit den Vorgaben und Interessen der Gesellschafter, die die fraglichen Produkte herstellen oder verarbeiten.30 Ein GU mit Vollfunktionen i.S.d. Art. 3 Abs. 4 FKVO („alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit“) verkörpert dagegen eine im Hinblick auf den Markt „autonom“ handelnde Einheit. Die Kommission hat dies in ihrer Mitteilung über Zuständigkeitsfragen31 in die Worte gekleidet, dass ein GU mit Vollfunktionen „in operativer Hinsicht wirtschaftlich völlig selbstständig ist“; dies bedeute jedoch nicht, dass es auch seine strategischen Entscheidungen selbstständig treffen könne, weil andernfalls ein gemeinsam kontrolliertes Unternehmen niemals als Vollfunktions-GU angesehen werden und die Anforderung des Art. 3 Abs. 4 FKVO niemals erfüllen könnte. Bestätigt wird dies durch eine andere Passage der Konsolidierten Mitteilung. Die Kommission führt in Rz. 95 zunächst aus, dass GU, die nur eine bestimmte Funktion in der Geschäftstätigkeit der Muttergesellschaften übernehmen und „keinen eigenen Marktzugang bzw. keine eigene Marktpräsenz (haben), kein Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen sind“. Genannt werden in diesem Zusammenhang zunächst nur F&E-GU oder Produktionsgemeinschaften. Die Kommission fügt dann allerdings hinzu, dass als GU mit derartigen Hilfsfunktionen in der Geschäftstätigkeit ihrer Muttergesellschaften auch solche Fälle angesehen werden, in denen ein GU „im Wesentlichen auf den Vertrieb bzw. den Verkauf der Erzeugnisse der Muttergesellschaften beschränkt und damit überwiegend als Verkaufsagentur tätig ist“. Der Begriff der „Marktpräsenz“ wird also auch von der Kommission funktionell ausgelegt; eine eigenständige (Markt‑)Tätigkeit liegt offenbar nur bei GU mit Vollfunktionscharakter vor. Auch wenn die Begriffsbildung vertrackt bleibt, macht diese Zuordnung doch Sinn, weil sie die typologisch eher „konzentrativen“ GU der Fusionskontrolle zuweist, während die „kooperativen“, eher verhaltensgeprägten Typen dem Kartellverbot un-

27 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 28 28 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 34/35 und in der Beantwortung der Vorlagefrage. 29 EuGH ECLI:EU:C:2017:643, Rz. 34; Schlussanträge, ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 29/30. 30 So auch Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht, 3.  Aufl. 2014, S.  57 („Teilfunktions-GU … verfolgen keine eigenen, von den Gründern unabhängige Interessen am Markt“). 31 Kommission ABl. Nr. C 43 v. 21.2.2009, S. 10, Rz. 93.

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terfallen.32 Die eingangs gestellte Frage ist somit entsprechend dem Tenor und der Begründung der EuGH-Entscheidung so zu beantworten, dass alle GU mit Teilfunktionen grundsätzlich der Beurteilung nach Art. 101 AEUV zu unterwerfen sind, nicht aber der EU-FKVO. 2. Anpassungsbedarf im Hinblick auf Rz. 91 der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen? Weiter verbindet sich mit dem Urteil die Frage, ob die Kommission die Passage in ihrer Konsolidierten Mitteilung anpassen sollte, die sich mit der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 3 Abs. 4 FKVO befasst. Es geht dabei um die Rz. 91 und 92 der Mitteilung. In Rz.  91 Satz 3 hat die Kommission unter der Überschrift „Gemeinschaftsunternehmen  – Begriff der Vollfunktion“ ausgeführt, dass der Erwerb eines anderen Unternehmens durch mehrere Unternehmen, die gemeinsam die Kontrolle ausüben, einen Zusammenschluss im Sinne der FKVO darstelle; ein solcher Erwerb gemeinsamer Kontrolle werde die Marktstruktur verändern, „selbst wenn nach den Plänen der erwerbenden Unternehmen das übernommene Unternehmen nach der Transaktion nicht mehr als Vollfunktionsunternehmen anzusehen wäre (z.B. weil es künftig nur noch an die Muttergesellschaften verkaufen wird)“33. Weiter heißt es im anschließenden Satz 4 der Mitteilung, dass eine Transaktion, bei der mehrere beteiligte Unternehmen gemeinsam von Dritten die Kontrolle über ein anderes Unternehmen oder Teile eines anderen Unternehmens erwerben und die die unter Nr.  (24) aufgeführten Kriterien erfüllt, einen Zusammenschluss i.S.d. Art.  3 Abs.  1 FKVO ­darstellt, „ohne dass das Vollfunktionskriterium geprüft werden müsste“. In Rz.  92 wird Art. 3 Abs.  4 FKVO von der Kommission anscheinend so ausgelegt, dass die ­Vorschrift neben Abs. 1 lit. b tritt, nicht aber zugleich für Fälle des Abs. 1 lit. b gilt („… unter diesen Umständen …“). Die Auslegung der FKVO durch die Kommission in dieser „berüchtigten“ Passage34 bildet gleichsam die Erklärung für den verfahrensgegenständlichen Rechtsstreit. Sie propagiert verschiedene Ausnahmen von dem Erfordernis des Vollfunktionskriteriums in Art. 3 Abs. 4 FKVO. Dies war im Schrifttum verschiedentlich auf Kritik gestoßen.35 Nachdem der EuGH jetzt entschieden hat, dass das Vollfunktionskriterium nach Art. 3 Abs. 4 FKVO generell Maßstab für die Einbeziehung von GU in die FKVO

32 Zu den GU als Problem für die Grenzlinie zwischen Struktur- und Verhaltenskon­trolle s. Schütz in Busche/Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Bd. 4, 2013, Art. 3 FKVO Rz. 58. 33 Kommission, Konsolidierte Mitteilung, Rz. 91 Satz 3. 34 So von Brevern, NZKart 2017, 524. 35 So z.B. von Brevern, WuW 2012, 225 ff.; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 15 Rz. 60a; zust. jedoch Rosenthal/Thomas, European Merger Control, 2010, Rz. 69 sowie Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 8 Rz. 60 (für Rz. 91 Satz 4 der Mitteilung) und Körber in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 5. Aufl. 2012, FKVO, Art. 3 Rz. 126.

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ist, sind die Ausführungen der Kommission allerdings gegenstandslos.36 Gerade der Fall Austria Asphalt ist dadurch gekennzeichnet, dass das GU in Zukunft nur an die Muttergesellschaften verkaufen sollte; ein Unterschied lag lediglich darin, dass die fragliche Einheit vor dem angemeldeten Zusammenschluss kein GU war. Aber auch die in Rz. 91 Satz 4 der Mitteilung genannte Variante einer Transaktion, „bei der mehrere beteiligte Unternehmen gemeinsam von Dritten die Kontrolle über ein anderes Unternehmen“ erwerben, kann nun nicht mehr generell der FKVO unterstellt werden, sondern nur dann, wenn das Vollfunktionskriterium erfüllt ist. Es wäre zu begrüßen, wenn die Kommission den Text der Mitteilung bei Gelegenheit in diesem Sinne anpasst;37 derzeit ist dies aber dem Vernehmen nach nicht geplant. 3. Problematik einer etwaigen Schutzlücke Im Zusammenhang mit dem Vorabentscheidungsverfahren ist von der Kommission und vom österreichischen Kartellanwalt vorgetragen worden, dass „die durchgehende Anwendung des Vollfunktionskriteriums“ auf GU zu einer „Schwachstelle bei der wirksamen Durchsetzung der europäischen Fusionskontrolle führen“ könnte.38 Bereits die Generalanwältin hat diesen Einwand einer Schutzlücke („Enforcement Gap“) nicht nachvollziehen können. Sie hat sich ausdrücklich gegen den von der Kommission favorisierten „Verzicht auf das Vollfunktionskriterium“ ausgesprochen, weil er zu einer „Verwässerung des Zusammenschlussbegriffs“ i.S.v. Art.  3 der FKVO führen und die Aufmerksamkeit der Kommission von den für die Marktstruktur wirklich relevanten Transaktionen ablenken könnte.39 Hinzuzufügen ist, dass die von der Kommission und vom Bundeskartellanwalt vorgetragenen Bedenken unter dem Gesichtspunkt einer Schutzlücke auch sonst nicht überzeugen. Sie beruhen auf einem Fehlverständnis der rechtlichen Risiken. Bei GU sind die beteiligten Unternehmen regelmäßig bestrebt, die Anwendbarkeit der FKVO zu erreichen.40 Wenn nämlich ein GU nicht der EU-Fusionskontrolle unterfällt, gibt es vielfach  – vorbehaltlich nationaler Fusionskontrollregimes (dazu noch bei 6.)  – kein klares, auch hinsichtlich der Dauer definiertes Freistellungsverfahren für diese Formen der Kooperation; die früher im EU-Kartellrecht bestehende Möglichkeit einer Anmeldung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, die u.a. zu einem Schutz vor Bußgeldern führte, wurde mit der VO Nr. 1/2003 abgeschafft. Dies bedeutet, dass die Unternehmen seitdem eine Selbsteinschätzung vornehmen müssen, die mit erheblichen rechtlichen Risiken behaftet ist.41 Insbesondere stellt die Kommission 36 So auch von Brevern, NZKart 2017, 522, 524, dort Ziff. III sowie III. 1. sowie Pichler, BB 2017, 2321. 37 So auch Pichler, BB 2017, 2321. 38 So die von der Generalanwältin Kokott zitierten Hinweise in ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 39 und 46 ihrer Schlussanträge. 39 Schlussanträge ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 46. 40 So auch Käseberg in Langen/Bunte, Kartellrecht – Kommentar, Bd. 2, Europäisches Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, Art. 3 FKVO Rz. 88, 102. 41 Dazu z.B. Wiedemann, Auf der Suche nach der verlorenen Rechtssicherheit, in Festschrift Bechtold, 2006, S. 627 ff.

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in ihren Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag (heute: Art. 101 Abs. 3 AEUV)42 sehr hohe Anforderungen an die Darlegung der einschlägigen materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Dies könnte in der Tendenz dazu führen, dass solche Kooperationen unterbleiben.43 Jedenfalls werden derartige GU, die anders als Hardcore-Kartelle nicht im Geheimen, sondern im Lichte der (Markt‑)Öffentlichkeit stattfinden, in aller Regel nur dann realisiert, wenn zuvor ein zumindest informelles positives Votum der zuständigen (nationalen) Kartellbehörde vorliegt. Umgekehrt hatte die – nunmehr überholte – Auffassung der Kommission in Rz. 91 der Mitteilung über Zuständigkeitsfragen den Charme, dass sie auch bestimmte kooperative GU mit Teilfunktionen dem Zuständigkeitsbereich der FKVO unterwarf und somit das Legalisierungsproblem (ggf. mit oder ohne ergänzender Anwendung von Art.  2 Abs.  4 FKVO) ohne allzu großen Aufwand löste.44 4. Das „Verschwinden“ von Gemeinschaftsunternehmen Aus den Schlussanträgen der Generalanwältin ergibt sich, dass die Kommission im Vorabentscheidungsverfahren auch eine Aussage des EuGH dazu angeregt hatte, unter welchen Voraussetzungen das mögliche „Verschwinden“ eines GU vom Markt der europäischen Zusammenschlusskontrolle unterliegt.45 Die Generalanwältin hat dieses Petitum mit der Begründung abgelehnt, dass der verfahrensgegenständliche Fall nicht das Verschwinden, sondern im Gegenteil die Entstehung eines GU betraf. Sollte es dazu kommen – so die Generalanwältin weiter –, dass ein Unternehmen nach seiner Verwandlung in ein GU – also nach der Veränderung der Kontrollverhältnisse über dieses Unternehmen – von seinen Muttergesellschaften vom Markt genommen wird, so sei dies eher eine Frage des Marktverhaltens der Muttergesellschaften (Art. 101 oder 102 AEUV) als eine Frage der Veränderung von Marktstrukturen. Der EuGH hat sich zu dieser Frage nicht geäußert. Die ohnehin nur als eine Art obiter dictum in die Schlussanträge aufgenommene Anmerkung der Generalanwältin schöpft die Fragestellung allerdings nicht aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man den Begriff „Verschwinden“ nicht (nur) als Funktionswandel46 versteht, sondern als Auflösung oder Liquidation eines GU. Betrachtet man zunächst GU mit Teilfunktionen, also z.B. Vertriebs-, Einkaufs- oder Produktionsgemeinschaften, so unterliegen diese hinsichtlich ihrer Gründung der Prüfung nach Art. 101 AEUV. Wenn die Muttergesellschaften sich aus kommerziellen Gründen entscheiden sollten, das GU aufzulösen, dürfte dies in aller Regel keinen zusätzlichen Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen, sondern tendenziell eher eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen, weil die ggf. wettbewerbsbeschränkenden Ver42 Komm., ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 97 ff., Rz. 48 ff. 43 Man kann nur darüber spekulieren, ob die Beteiligten auch ein Fusionskontrollverfahren bei der EU-Kommission freiwillig beendet hätten (s. oben bei II. a.E.). 44 Dazu Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 15 Rz. 60a. 45 Schlussanträge, ECLI:EU:C:2017:322, Rz. 47. 46 So die von der Komm. in Rz. 91 Satz 3 der Konsolidierten Mitteilung behandelte Konstellation (in Zukunft nur noch Belieferung der Muttergesellschaften), bei der die operative Einheit also fortbesteht, wenngleich nicht mehr unmittelbar auf dem Markt tätig ist.

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einbarungen zwischen den Gesellschaftern beendet werden. Nicht ersichtlich ist, warum etwas anderes gelten soll, wenn die Gesellschafter ein GU mit Vollfunktion beenden, das zuvor nach der FKVO geprüft und freigegeben worden ist. Solche GU verfügen allerdings typischerweise über Vermögenswerte (z.B. Produktionsanlagen), die dann entweder unter den Gesellschaftern aufgeteilt oder durch einen von ihnen insgesamt erworben werden (ggf. auch mittels Anteilserwerbs). Wenn die Auflösung dergestalt erfolgt, dass die Muttergesellschaften sich die Vermögenswerte des GU aufteilen bzw. jeder einen Teil übernimmt, können darin eigenständige Zusammenschlusstatbestände liegen, die wiederum der FKVO unterfallen. Ein Beispiel für eine derartige Auflösung von GU stellt die Aufspaltung des deutschen Ferngasunternehmens BEB dar.47 Es handelt sich dann um eine Entflechtung eines GU mit einem Übergang von der gemeinsamen Kontrolle über die gesamten Vermögenswerte eines GU zur alleinigen Kontrolle über die aufgeteilten Vermögenswerte. Entsprechendes gilt, wenn ein Gesellschafter die Anteile des anderen am GU erwirbt.48 Ein solches „Verschwinden“ eines GU ist ein dekonzentrativer Vorgang, der wettbewerbspolitisch grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Möglicherweise hat die Kommission in ihrer Stellungnahme atypische Sachverhalte beschrieben, in denen die Gesellschafter mit der Auflösung des GU spezifisch wettbewerbsbeschränkende Zwecke verbinden, also z.B. die Stilllegung von Kapazitäten für ein bestimmtes Produkt, um die bei den Gesellschaftern verbleibende Produktion nach einer Verknappung des Angebotes zu einem höheren Preis veräußern zu können. Dann mag im Lichte der Umstände des Einzelfalles auch eine Anwendung von Art. 101 oder 102 AEUV in Betracht kommen.49 5. Eintritt eines neuen Gesellschafters Im Schrifttum ist außerdem die Frage aufgeworfen worden, wie sich das Urteil zu Sachverhalten verhält, in denen sich die Zusammensetzung der kontrollierenden Gesellschafter eines GU verändert. Zu denken ist insbesondere an den Austausch eines oder mehrerer kontrollierender Gesellschafter oder an die Erhöhung der Anzahl der kontrollierenden Gesellschafter.50 Das EuGH-Urteil und die Schlussanträge der Ge47 Kommission, E. v. 20.11.2003 – M.3293 und 3294 – Shell/BEB und ExxonMobil/BEB; zum Ganzen auch Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 15 Rz. 78a. 48 So z.B. BKartA, TB 2015/16, S. 66 – Baustoffe und S. 117, 118 – Rosneft/BP („eher dekonzentrative Wirkungen“); etwas anderes gilt, wenn die geplante Auflösung, d.h. der Anteilserwerb, seinerseits die fusionskontrollrechtlichen Untersagungsvoraussetzungen erfüllt und daran scheitert, so im Fall Gruner+Jahr/National Geographic, BKartA v. 3.8.2004 – B645/04, veröff. auf der Homepage des BKartA. 49 S. dazu den Fall Gemeinschaftskraftwerk Voerde, BKartA TB 2015/16, S. 110, wo einer der beiden Gesellschafter im Zusammenhang mit der geplanten Stilllegung des Kraftwerkes in einer Beschwerde beim BKartA Einwände nach Art. 101 AEUV vortrug; das BKartA eröffnete gleichwohl in Anwendung seines Aufgreifermessens kein Verfahren. Die Sache erledigte sich später durch eine fusionskontrollrechtlich unbedenkliche Übernahme des Anteils des anderen Gesellschafters durch den Beschwerdeführer. 50 So die Fragen von von Brevern, NZKart 2017, 522, 525.

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neralanwältin gehen auf diese Frage nicht ein, weil sie nur die Umwandlung einer bisher allein kontrollierten Unternehmenseinheit in ein durch zwei Unternehmen kontrolliertes GU behandeln. Nach der ständigen Verwaltungspraxis der Kommission, die auch in den einschlägigen Passagen der Mitteilung über Zuständigkeitsfragen ihren Niederschlag gefunden hat (dort insbesondere Rz. 85 ff.), sieht die Kommission den Eintritt eines neuen kontrollierenden Gesellschafters – unabhängig davon, ob er zu den bereits kontrollierenden Gesellschaftern hinzukommt oder einen von ihnen ersetzt – ebenfalls als anmeldepflichtigen Zusammenschluss an, auch wenn das Unternehmen schon vor und auch nach der Transaktion gemeinsam kontrolliert wird.51 Materiell wird dabei an Art. 3 Abs. 1 FKVO angeknüpft, wonach ein Zusammenschluss durch eine „dauerhafte Veränderung der Kontrolle“ bewirkt wird. Auch hier gilt wiederum, dass aus dem Wortlaut des Art. 3 nicht eindeutig hervorgeht, ob Art. 3 Abs. 4 FKVO, also das Vollfunktionserfordernis für GU, generell für alle Arten der Veränderung der Kontrolle gilt oder ob insoweit für GU eine zusätzliche Regelung geschaffen wurde. Nimmt man die vom EuGH im Austria Asphalt-Urteil vorgenommene Weichenstellung bzw. seine teleologische und systematische Auslegung in den Blick, so wird man annehmen müssen, dass die FKVO auch hier nur Anwendung findet, wenn das Vollfunktionskriterium erfüllt ist. Dies bedeutet, dass ein (kooperatives) GU mit Teilfunktionen (also z.B. Produktionsgemeinschaften, Vertriebsgemeinschaften), bei dem sich die Gesellschafterstruktur ändert, weiterhin (nur) Art.  101 AEUV unterfällt; umgekehrt gilt, dass entsprechende gesellschaftsrechtliche Veränderungen bei einem GU mit Vollfunktionen der FKVO unterfallen.52 Soweit ergänzend ein Koordinierungsrisiko im Hinblick auf das Verhalten der Gesellschafter (außerhalb des GU) besteht, kann im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens gemäß Art. 2 Abs. 4 und Abs. 5 FKVO auch Art. 101 AEUV geprüft werden.53 6. Konsequenzen für Entscheidungen mit fehlender Zuständigkeit der ­Kommission Es bleibt schließlich die Frage, wie das rechtliche Schicksal derjenigen Fälle zu beurteilen ist, in denen die Kommission in der Zeit vor dem EuGH-Urteil die Anwendbarkeit der FKVO für GU ohne Vollfunktionen unzutreffend bejaht hat54 und in denen Nichtigkeitsklagen Dritter oder der Beteiligten schon wegen Fristablaufes unzulässig wären. Es ist unklar, wie viele bzw. welche EU-Fälle hier betroffen sind. Dies beruht vor allem darauf, dass zahlreiche GU-Sachverhalte im vereinfachten Verfahren, also ohne materielle Begründung, entschieden worden sind. Hinzu kommt, dass bei einigen Entscheidungen aus der Begründung nicht ersichtlich ist, ob die Vollfunktionalität des

51 Kommission, Konsolidierte Mitteilung, Rz. 87. 52 So im Ergebnis auch von Brevern, NZKart 2017, 522, 525. 53 So wohl auch von Brevern, NZKart 2017, 522, 525. 54 Auch diese Frage wird von von Brevern, NZKart 2017, 522, 525 aufgeworfen (dort jedoch ohne Stellungnahme).

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GU geprüft wurde.55 Unabhängig von ihrer Zahl erfolgte die Entscheidung der Kommission in diesen Fällen ohne Rechtsgrundlage, d.h. sie entschied als unzuständige Behörde. Bei objektiv richtiger Beurteilung waren bzw. sind Art. 101 AEUV bzw. die parallelen Vorschriften der Mitgliedstaaten, unter Umständen aber auch nationale Fusionskontrollvorschriften anwendbar. So unterfallen z.B. in Deutschland grundsätzlich auch GU mit Teilfunktionen gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB der Fusionskontrolle, parallel dazu aber u.U. auch dem Kartellverbot nach (§ 1 GWB).56 Auch im österreichischen Recht werden GU mit Teilfunktionen gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 KG von der nationalen Fusionskontrolle erfasst, obwohl die Vorschrift in Abs. 2 auch eine spezielle Regelung für GU mit Vollfunktionen enthält.57 Daneben können etwaige überschießende Nebenabreden auch von § 1 KG erfasst werden.58 Die von der Kommission ohne Zuständigkeit erlassenen Entscheidungen führen dazu, dass die Anwendbarkeit der nationalen Fusionskontrollvorschriften und der Vorschriften für nationale Kartellverbote ausgeschlossen wurden (§  21 Abs.  3 ­FKVO).59 Darüber hinaus ist hinsichtlich der Anwendung von Art. 101 AEUV die Beschränkung gemäß Art. 21 Abs. 1 FKVO in Bezug auf die Nichtanwendbarkeit der VO Nr. 1/2003 zu beachten. Zu klären bleibt aber, ob die betreffenden Entscheidungen der Kommission bestandskräftig sind oder ob sie nach den einschlägigen Grundsätzen des EU-Rechts60 nichtig, das heißt ohne Rechtswirkungen geblieben sind. Die EU-Rechtsprechung verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der „rechtlich inexistenten“ Entscheidung, wohl in Abgrenzung zum Begriff der Feststellung der Nichtigkeit von Entscheidungen im Rahmen von Nichtigkeitsklagen nach Art. 263, 264 AEUV. Der EuGH stellt an die Anerkennung als inexistente Entscheidung sehr hohe Anforderungen. Für Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane spricht danach grundsätzlich die Vermutung der Gültigkeit, und sie entfalten daher selbst dann, wenn sie fehlerhaft sind, Rechtswirkungen, solange sie nicht aufgehoben oder zurückgenommen werden; als Ausnahme von diesem Grundsatz „entfalten allerdings Rechtsakte, die offenkundig mit einem derart schweren Fehler behaftet sind, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren kann, nicht – nicht einmal vorläufig – Rechtswirkung, sind also rechtlich inexistent“61. Damit soll ein Ausgleich zwischen zwei grundlegenden, manchmal jedoch einander widerstreitenden Erfordernissen hergestellt werden, nämlich der Stabilität der Rechtsbeziehungen und der Wahrung der Rechtmäßigkeit. Hinzugefügt 55 S. dazu von Brevern, WuW 2012, 225, 227 m. Nachw. aus der Kommissions-Praxis. 56 S. dazu insbesondere BGH v. 1.10.1985 – Mischwerke, a.a.O. Fn. 1. S. dazu aus dem Schrifttum Schroeder in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl., § 9 Rz. 82 ff. 57 Zur Fortführung des Austria Asphalt-Verfahrens als österreichischer Fusionskon­trollfall s. bereits oben bei II.2. 58 S. dazu OGH v. 24.1.2014 – 16 Ok 11/13, bei VII. 4.3 – Pressegrosso. 59 S. dazu Westermann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 21 FKVO Rz. 7. 60 Diese Grundsätze entsprechen weitgehend denen des deutschen Verwaltungsrechts, s. dazu § 44 VwVfG. 61 EuGH, U. v. 15.6.1994 – Rs. C-137/92 P, ECLI:EU:C:1994:247, Rz. 48/49 – Komm. ./. BASF (PVC-Kartell).

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hat der EuGH, dass die „Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsaktes der Gemeinschaftsorgane verbunden sind“, aus Gründen der Rechtssicherheit (verlangt), dass diese Feststellung „auf ganz außergewöhnliche Fälle beschränkt wird“62. Ob es sich bei der hier untersuchten Gruppe von Entscheidungen um derartige „ganz außergewöhnliche Fälle“ handelt, ist zweifelhaft. Soweit ersichtlich, hat sich die Rechtsprechung mit dieser Frage bisher nicht befasst. Für die Aberkennung rechtlicher Wirkungen der Freigabeentscheidungen könnte einerseits sprechen, dass die Kommission nicht nur als sachlich unzuständige Behörde gehandelt hat, sondern auch in Überschreitung ihrer unionsrechtlichen Kompetenzen gegenüber den Mitgliedstaaten.63 Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass (auch) die Kommission eine Wettbewerbsbehörde ist und die Zuständigkeit von einer schwierigen materiell-rechtlichen Auslegung des Art. 3 FKVO abhängt. Hinzu kommt, dass im Verhältnis der EU-Fusionskontrolle zur Fusionskontrolle zahlreicher Mitgliedstaaten ein weitestgehend gleicher materieller Prüfungsmaßstab gilt. Letztlich sprechen daher wohl die besseren Gründe gegen die Annahme eines „derart schweren Fehlers“, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht mehr tolerieren kann. Wer – z.B. im Interesse der Rechtssicherheit – die Rechtsfrage geklärt wissen möchte, könnte die Errichtung des GU nachträglich beim BKartA anzeigen und eine Verfahrenseinstellung des Entflechtungsverfahrens nach § 41 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GWB beantragen. Das BKartA müsste dann prüfen, ob dieses Verfahren überhaupt statthaft ist, was nur dann der Fall wäre, wenn es die Entscheidung der Kommission für rechtlich inexistent hält.

V. Zusammenfassung Das EuGH-Urteil i.S. Austria Asphalt verdient im Ergebnis und in der Begründung Zustimmung. Die Entscheidung stellt klar, dass nur GU mit Vollfunktionen i.S.d. Art. 3 Abs. 4 FKVO der europäischen Fusionskontrolle unterliegen; die Vorschrift gilt m.a.W. auch für Fälle des Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO. Etwaige kooperative Aspekte solcher GU mit Vollfunktionen können unverändert nach Art.  2 Abs.  4 und Abs.  5 FKVO geprüft werden. GU mit Teilfunktionen aller Art, also nicht nur Produktionsgemeinschaften, unterfallen ggf. der nationalen Fusionskontrolle, zumeist aber (auch) Art. 101 AEUV bzw. den parallelen Regelungen der Mitgliedstaaten. Auch Umstrukturierungen von Gemeinschaftsunternehmen in Gestalt des Austausches eines oder mehrerer kontrollierender Gesellschafter oder der Erhöhung der Anzahl der kontrollierenden Gesellschafter unterfallen nur nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 4 FKVO der EU-Fusionskontrolle. Eine wettbewerbspolitisch problematische Regelungslücke entsteht durch diese Auslegung des Art. 3 FKVO nicht; vielmehr müssen die beteiligten 62 EuGH ECLI:EU:C:1994:247, Rz.  50. S.  ferner praktisch gleichlautend EuGH, U. v. 5.10.2004 – Rs. C‑475/01, ECLI:EU:C:2004:585, Rz. 18 ff. – Komm. ./. Griechenland. 63 Zur Bejahung der Nichtigkeit bei offenkundig fehlender Verbandskompetenz, z.B. bei Entscheidung einer Bundesbehörde statt einer Landesbehörde im Vollzug von Landesrecht, s. z.B. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl., 2017, § 44 Rz. 16 m. Nachw.

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Gerhard Wiedemann

Unternehmen nunmehr für eine größere Zahl von Fällen nationale Fusionskontrollregimes in Anspruch nehmen bzw. in Verbindung damit eine Selbsteinschätzung nach Art. 101 AEUV für die Gründung von GU mit Teilfunktionen vornehmen. Dies mag im Einzelfall eine eher abschreckende Wirkung haben, so dass das Vorhaben unterbleibt. Das „Verschwinden“ von GU, also ihre Auflösung oder Aufteilung, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen; in der Regel handelt es sich dabei um dekonzentrative Vorgänge, die der Fusionskontrolle unterfallen. Eine Anwendung des Kartellverbots wird nur in atypischen Gestaltungen in Betracht kommen. Soweit die Kommission in der Vergangenheit zu Unrecht GU mit Teilfunktionen der FKVO zugeordnet und freigegeben hat, dürften diese Entscheidungen nach den einschlägigen Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung wohl nicht „rechtlich inexistent“, sondern bestandskräftig sein.

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Antoine Winckler1

How Still is Standstill? “You cannot step into the same river twice” – Heraclitus

I. Introduction II. Historical Perspective and Underlying Rationale I II. What Constitutes Gun Jumping? 1. Acquisition of control through shares a) Contribution to the acquisition of control b) De jure and de facto assessment of control

c) Acquisition of the possibility of ­exercising control d) Acquisition of control irrespective of market effects 2. Acquisition of control inferred from ­behavior of the parties IV. Conclusion

I. Introduction This article examines the existing framework for the prohibition of “gun jumping” in the European Union in light of recent decisional practice of the European Commission and National Competition Authorities (“NCAs”), and case law of the Court of Justice of the EU (“CJEU”). In the field of merger control, “gun jumping” or “early implementation” are umbrella terms that refer to the situation in which the parties to a concentration begin its implementation prior to having secured clearance from the relevant authorities. In the EU, gun jumping can constitute an autonomous infringement of competition law, subject to enforcement by the Commission and NCAs. In recent years, such enforcement has occurred in an increasingly aggressive fashion, as the Commission and certain NCAs have adopted stricter approaches to ensuring compliance with EU competition procedural rules.2 While gun jumping is a concept which is specific to suspensive merger control regimes, it also raises interesting issues of corporate law – in particular what constitutes an acquisition of control and how M&A transactions are to be structured. It also raises 1 Attorney, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP. The author wishes to thank Thomas Verheyden for his help in drafting this article. The views expressed in this article are purely personal. 2 The Commission’s stricter stance extends beyond gun jumping infringements; for instance, in 2017, the Commission imposed a €110 million fine on Facebook for providing incorrect information in the context of the Facebook / WhatsApp merger review proceedings, see Commission Decision of March 17, 2017, Case M.8228, Facebook / WhatsApp.

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issues relating to the relationship between merger control regimes and other antitrust policies. The ever increasing duration of merger control processes, with more complex cases extending over periods often exceeding one year, adds urgency to the gun jumping debate. Moreover, this is an area where increasingly strict application of suspension merger control regimes may put merger control policy on a collision course with M&A practice and even certain well established concepts of corporate law. After a brief historical introduction to gun jumping (II), this article examines the two main types of practices the concept has traditionally encompassed (III), the acquisition of control through shares (1) and the acquisition of control through other means (2).

II. Historical Perspective and Underlying Rationale Although concentrations as a general rule are to be welcomed as vectors for improving the conditions of growth, increasing productivity and ultimately raising the standard of living in the EU,3 corporate reorganizations must not result in lasting damage to competition.4 Such is the purpose of the EU merger control regime, including its gun jumping rules, which are applicable to so-called “concentrations”.5 One of the key criticisms addressed at the earlier ex post application of EU antitrust rules to mergers and acquisitions was that it would not fully prevent competitive 3 Council Regulation (EC) No 139/2004 of 20 January 2004 on the control of concentrations between undertakings OJ [2004] L 24/1 (“Merger Regulation”), recital 4. 4 Merger Regulation, recital 5. 5 The 1951 Treaty of Paris establishing the European Coal and Steel Community already recognized the importance of regulating concentrations by requiring that certain transactions in the coal and steel sectors be notified to the High Authority, Article 66 of the Treaty providing that “[e]st soumise à autorisation préalable de la Haute Autorité (…) toute opération ayant par elle-même pour effet direct ou indirect (…) une concentration entre entreprises (…), qu’elle soit effectuée par fusion, acquisition d’actions ou d’éléments d’actifs, prêt, contrat, ou tout autre moyen de contrôle.” However, the later 1957 European Community Treaty did not provide for any specific rules on the control of concentrations, and prior to the 1989 adoption of the first Merger Regulation, ex post proceedings for the infringement of Articles 85 and 86, now Articles 101 and 102 TFEU (the prohibition of cartels and abuses of dominant positions), were the only paths available to the Commission to exercise control over concentrations, see N. Levy and C. Cook, European Merger Control Law (LexisNexis 2017), 2-2 and following. In Continental Can, the CJEU confirmed that Article 102 could be applied to concentrations strengthening a pre-existing dominant position (Judgment of February 21, 1973, Europemballage Corporation and Continental Can Company v Commission, C-7/72, ECLI:EU:C:1973:22). Then, in Philip Morris, the CJEU established the application of Article 101 to concentrations, where the acquisition of an equity interest in a competitor could “serve as an instrument for influencing the commercial conduct of the companies” (Judgment of November 17, 1987, BAT and Reynolds v Commission, C-142/84, ECLI:EU:C:1987:490). The CJEU’s case law validating the applicability of both antitrust provisions to concentrations prompted the Council to accept that a legal instrument to control concentrations leading to the creation or strengthening of a dominant position was needed.

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damage resulting from anticompetitive transactions, and in addition could give rise to costly and inefficient “unscrambling of the eggs” should a concentration ultimately be deemed anticompetitive. In other terms, avoiding the implementation of anticompetitive mergers was seen as one of the main drivers behind the adoption of an ex ante, suspensive, merger control regime in 1989. A gun jumping prohibition, while in principle not essential to merger control, was then seen as one of its key benefits under EU law.6 The Merger Regulation was enacted in 1989 and subsequently recast in 2004. It now provides that “[a] concentration which would significantly impede effective competition, in the common market or in a substantial part of it, in particular as a result of the creation or strengthening of a dominant position, shall be declared incompatible with the common market.” The key notion of concentration is defined in Article 3(1), and the application of the Merger Regulation is in essence triggered by the acquisition of control on a lasting basis of one undertaking over another.7 Acquisition of control is, in turn, generally understood as the acquisition of the possibility of exercising decisive influence on the target undertaking.8 In parallel, rules prohibiting and setting penalties for the early implementation of concentrations were erected as corollaries to the principle of prior review of concentrations which constitutes a cornerstone of the EU’s merger control regime. The duty of prior notification is set out in Article 4 of the Merger Regulation,9 and is accompanied by a corresponding mandatory standstill period set out in Article 7(1), which prevents parties from implementing a concentration prior to the adoption by  the Commission of its clearance decision.10 Article 14(2) provides that the Commission may impose fines of up to 10 % of the aggregate turnover of the 6 See, e.g., Commission Proposal for a Regulation (EEC) of the Council on the control of concentrations between undertakings, 20 July 1973, OJ [2010] C 92/1, recital 14, “Whereas, to ensure effective supervision, prior notification of major concentrations and the suspension of concentrations by undertakings should be made obligatory” and Article 4. 7 Merger Regulation, Article 3(1), “1. A concentration shall be deemed to arise where a change of control on a lasting basis results from: (…) (b) the acquisition, by one or more persons ­already controlling at least one undertaking, or by one or more undertakings, whether by purchase of securities or assets, by contract or by any other means, of direct or indirect control of the whole or parts of one or more other undertakings.” (emphasis added) 8 Merger Regulation, Article 3(2), “control shall be constituted by rights, contracts or any other means which, either separately or in combination and having regard to the considerations of fact or law involved, confer the possibility of exercising decisive influence on an undertaking.” (emphasis added) 9 Article 4: “Concentrations with a Community dimension defined in this Regulation shall be notified to the Commission prior to their implementation and following the conclusion of the agreement, the announcement of the public bid, or the acquisition of a controlling interest.” (emphasis added) 10 Article 7(1): “A concentration with a Community dimension as defined in Article 1, or which is to be examined by the Commission pursuant to Article 4(5), shall not be implemented either before its notification or until it has been declared compatible with the common market pursuant to a decision under Articles 6(1)(b), 8(1) or 8(2), or on the basis of a presumption according to Article 10(6).” (emphasis added)

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undertakings concerned where they implement a concentration in breach of the standstill obligation,11 and Article 8(4) provides the Commission with the possibility to order structural sanctions, including the unwinding of a concentration, in cases of gun jumping. The rationale underlying the standstill period is the need to prevent concentrations from causing potentially irreparable harm to the market before clearance is officially granted.12 The Commission has in recent years adopted a stricter approach to safeguarding the respect of the notification obligation and standstill period. For instance, in April 2018, Commissioner Vestager publicly asserted, in the context of the Commission’s decision to impose a €124.5 million fine on Altice for implementing its acquisition of the Portuguese telecommunications operator PT Portugal before notification and clearance, that “[c]ompanies that jump the gun and implement mergers before notification or clearance undermine the effectiveness of our merger control system. This is the system that protects European consumers from any merger that would lead to higher prices or reduced choice. The fine imposed by the Commission on Altice today reflects the seriousness of the infringement and should deter other firms from breaking EU merger control rules.”13 The key objective is thus both preempting the occurrence of competitive harm to the structure of the market, and deterring future gun jumping behavior. However, while the Merger Regulation does unequivocally provide for the suspension of concentrations,14 it also recognizes that not all concentrations need necessarily be subject to the standstill rule. Depending on the circumstances of a given case, taking into account factors such as “the nature and gravity of damage to the undertakings concerned or to third parties” and “the threat to competition posed by the concentration”, certain derogations may indeed legitimately be granted.15

11 Article 14(2): “The Commission may by decision impose fines not exceeding 10 % of the aggregate turnover of the undertaking concerned within the meaning of Article 5 on the persons referred to in Article 3(1)b or the undertakings concerned where, either intentionally or negligently, they: (…) (b) implement a concentration in breach of Article 7.” (emphasis added) 12 Commission Press Release of July 6, 2017, “Mergers: Commission alleges Merck and Sigma Aldrich, General Electric, and Canon breached EU merger procedural rules”, IP/17/1924. 13 Commission Press Release of April 24, 2018, “Mergers: Commission fines Altice €125 million for breaching EU rules and controlling PT Portugal before obtaining merger approval”, IP/18/3522. Also see Commission Press Release of July 6, 2017, “Statement by Commissioner Vestager on three Statements of Objections sent to Merck and SigmaAldrich, to General Electric, and to Canon for breaching EU merger procedural rules” STATEMENT/17/1929: “if [companies] do ‘jump the gun’, competition could be harmed beyond repair before we’ve even had a chance to look at the merger.” 14 See Article 7(1) and recital 34 of the Merger Regulation: “The implementation of concentrations should be suspended until a final decision of the Commission has been taken.” 15 Merger Regulation, recital 34; Article 7(3), “The Commission may, on request, grant a derogation from the [suspension] obligation.”

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One of the reasons why gun jumping has recently gained prominence probably results from the Commission’s extreme caution in granting exemptions to the gun jumping prohibition except in the most limited circumstances (e.g., a risk of immediate bankruptcy) as well as its reluctance to give any firm guidance to merging parties based on the assumption that gun jumping should remain an objective, automatic, rule requiring “self-assessment” as opposed to a negotiated approach.16 This is despite the fact that the Regulation was amended in 1998 to facilitate derogations in appropriate circumstances, and that the Commission indicated at the time a greater willingness to grant such derogations. The second reason for the increased urgency of the gun jumping debate lies in increasingly long merger review processes, in particular for the more complex cases. By way of example, from 2000 to 2016, the duration of pre-notification phases (i.e., the time from the public announcement of concentrations to their formal notification to the Commission, during which parties and Commission can discuss jurisdictional and other legal issues, including the scope of the information to be submitted and identifying possible competition concerns)17 increased 54 % from 54 to 83 days on average.18 Likewise, from 2001 to 2016, the duration of Phase II investigations (i.e., in-depth analyses of concentrations initiated by the Commission where, after conclusion of the initial Phase I investigation, concerns remain that the transaction may restrict competition in the internal market) increased 22 % from 104 to 127 days on average.19 This means that although gun jumping may be a minor concern for a great majority of cases under EU rules, a small minority of cases – often involving high visibility, complex, transactions – need to be suspended over more than a year.20 While independent managements can be maintained in the short term, practical and intractable legal issues arise when the “corporate limbo” is maintained for extended periods of time. For example, while companies can run based on existing business plans or yearly budgets barring exceptional circumstances, this becomes impossible in the long term. Prolonged suspension periods and legal/business uncertainty take a heavy toll on management and may lead to accelerated departures or an outright breakdown in the management group. The basic assumption that “ordinary course of business” and status quo can be maintained while complex merger investigations unfold becomes more doubtful with the passage of time. Furthermore, since the period of suspension takes place by definition before the clearance decision, no trustee

16 N. Levy and C. Cook (n 5), 17-15, the derogation from the suspensive period has been granted in less than 2.5 % of the cases since 1990. 17 Directorate General for Competition, “Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings” (2004), paras. 5 and 6. 18 C. Cook, “Real review timetables under the EU Merger Regulation” (2017) Concurrences Competition Law Review, 3. 19 C. Cook (n 18), 4. 20 According to the Commission, from September 21, 1990, to May 31, 2018, 4.5 % of notified concentrations triggered a Phase II investigation (European Commission Merger Statistics).

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can be appointed who could play the role of stop-gap and take decisions in the interim period.21 Moreover, as discussed below, the CJEU itself has recently sought to temper the Commission’s hardline approach to gun jumping. According to AG Wahl, although the standstill obligation may be useful to merger control, “it would seem excessive, as the Commission does, to classify it as an indispensable tool for merger control”.22 In fact, major jurisdictions have not deemed it necessary to enact standstill rules at all; this is notably the case in Italy and the United Kingdom; the latter relying altogether on a “voluntary” notification regime.23 Furthermore, relatively low fines in the area of gun jumping (in particular compared to antitrust fines) has resulted in very few judicial review cases. AG Wahl considers this may have allowed the Commission to proceed unchecked in its regulatory activities.24 There thus appears to be some scope for debate regarding the legitimacy of existing enforcement priorities in the area of gun jumping. In particular, this article argues that, in any given case, the appropriateness of enforcing gun jumping rules – as well as the severity of the penalty to be imposed – ought to be commensurate to the gravity of the competitive harm the alleged infringement has, or could have, given rise to.

III. What Constitutes Gun Jumping? In the eyes of enforcers, gun jumping infringements generally occur where an undertaking either (i) formally acquires control over another undertaking through the acquisition of legal, in particular shareholder voting, rights, or (ii) adopts certain patterns of conduct (e.g., the exchange of business sensitive information or the coordination of commercial conduct) that can serve as indicators that control has in practice been acquired by other means.25 We will now examine both strands of gun jumping situations in light of the CJEU’s case law. 1. Acquisition of control through shares Gun jumping infringements are in essence characterized by actions which contribute to the acquisition of control over the target (a). In practice, the assessment of this criterion is done mostly on a factual basis (b) and the acquisition of the mere possibility of exercising control is sufficient to establish the infringement (c). Finally, under the 21 See judgment of September 5, 2014, Éditions Odile Jacob v Commission, T-471/11, ECLI:EU:T:2014:739, paras. 69, 73 and 80-84; and Judgment of January 28, 2016, Éditions Odile Jacob v Commission, C-514/14P, ECLI:EU:C:2016:55. 22 Opinion of AG Wahl of January 18, 2018, Ernst & Young, C-633/16, ECLI:EU:T:2017:849, para. 35. 23 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 33. 24 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 43. 25 However, neither category is entirely hermetic and, in practice, infringements are likely to involve a combination of both types of gun jumping.

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current state of the law, the existence of market effects is irrelevant in determining whether measures may amount to gun jumping (d). a) Contribution to the acquisition of control On May 31, 2018, the CJEU provided welcome guidance on the scope of the gun jumping prohibition (i.e., standstill obligation) under the EU Merger Regulation. The CJEU first recalled that the standstill obligation only applies to the implementation or  closing of “concentrations” as defined in Article 3 of the Merger Regulation.26 According to this provision, a concentration arises as a result of a “change of control on a lasting basis” resulting from a merger or acquisition by actions that either separately or together “confer the possibility of exercising decisive influence on an undertaking.”27 On this basis, the CJEU held that steps taken by merging parties to implement or close a transaction before clearance will only amount to gun jumping if such steps can be viewed as “contributing to a lasting change in control of the target undertaking.”28 The ECJ also clarified that, where steps taken to implement or close a transaction prior to clearance are “not necessary to achieve a change of control of an undertaking”, they fall outside the scope of the standstill obligation.29 The CJEU reasoned that such steps “do not present a direct functional link” with the implementation of the concentration, and are therefore unlikely to undermine the efficiency of the EU merger control system.30 b) De jure and de facto assessment of control Article 3(2) of the Merger Regulation’s “possibility of exercising decisive influence” criterion for establishing control has been applied broadly by the Commission. This is particularly apparent in the Commission’s reliance on a factual approach to assessing whether control has been acquired through shares. This has led the Commission to adopt a very broad standard and consider that the control threshold could be satisfied by the acquisition of minority shareholdings, when they in practice give the acquirer the possibility – regardless of whether the rights have been exercised – to exert decisive influence. While control based on a minority shareholding partly remains de jure in nature, insofar as it is rooted in voting rights the acquirer is legally entitled to exercise, the assessment of control remains largely factual, as it is based in many cases mostly on the specific circumstances or history of shareholder votes within the relevant general meetings. In Yara / Kemira GrowHow, the Commission found that the acquisition of a 30.05 % shareholding in GrowHow was sufficient to consider Yara had acquired control over 26 Judgment of May 21, 2018, Ernst & Young, C-633/16, ECLI:EU:C:2018:371, para. 43. 27 Ernst & Young (n 26), para. 45. 28 Ernst & Young (n 26), para. 46. 29 Ernst & Young (n 26), para. 49. 30 Ernst & Young (n 26), para. 49.

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the target undertaking.31 The Commission assessed the extent of Yara’s control on the basis of shareholder attendance at GrowHow’s last three Annual General Meetings. At each meeting the 30.05 % shareholding had conferred the ability to cast respectively 54.7 %, 79.9 %, and 82.6 % of the votes. The concentration raised a gun jumping issue, as the acquisition of the shares occurred in May 2007, but was only notified in August of the same year. Moreover, the Commission rejected the application of the Article 7(2) exemption for public bids, finding that it was not applicable where control was acquired through purchasing shares from a single seller, as Yara had done. In its clearance decision, the Commission noted that infringements of the Article 7(1) standstill obligation and Article 4(1) notification requirement could thus not be excluded.32 Interestingly, and in contrast with later decisional practice, the Commission finally dealt with the issue entirely in its clearance decision. It chose to impose commitments on Yara addressing the competitive concerns that arose from the concentration, and later declined to open any further proceedings to pursue the procedural gun jumping violations. The issue of acquisition of control through minority shareholdings was also at the center of the Commission’s Marine Harvest decision33 and of the ensuing and ongoing litigation before the CJEU.34 In December 2012, Marine Harvest acquired a 48.5 % stake in Morpol’s share capital from a single buyer. Marine Harvest later launched a public bid, concluded in November 2013, through which it increased its shareholding to 87.1 %. The concentration was notified to the Commission in August 2013, i.e., before the end of the public bid, but after the acquisition of the initial 48.5 % stake. In September 2013, the Commission cleared the concentration subject to the commitment that Marine Harvest divest the majority of Morpol’s salmon farming activities in Scotland, as the concentration would otherwise have resulted in the combination of two of the largest farmers and primary processors of Scottish salmon.35 However, in 2014, the Commission went on to fine Marine Harvest €20 million for gun jumping, considering it had acquired control over Morpol through its initial minority shareholding acquisition, which it had failed to notify and implemented. Marine Harvest could not rely on the Article 7(2) public bid exemption because the minority shareholding was acquired from a single seller and considered severable from the later public bid, as sufficient in itself to grant control. In assessing whether the acquisition of the minority shareholding effectively granted the acquirer control over the target, the Commission examined such factors as the nature of the acquired undertaking’s shareholding (whether it was dispersed or 31 Commission Decision of September 21, 2007, Yara / Kemira GrowHow, Case M.4730, recital 6. 32 Yara / Kemira GrowHow (n 31), recital 7. 33 Commission Decision of July 23, 2014, Marine Harvest/Morpol, Case M.7184. 34 Judgment of October 26, 2017, Marine Harvest v Commission, T-704/14, ECLI:EU:T:2017:753; the General Court’s judgment rejecting Marine Harvest’s request for annulment of the Commission’s decision is currently under appeal before the Court of Justice (C-10/18P). 35 Commission Decision of 30 September 2013, Marine Harvest / Morpol, Case M.6850 (“Conditional Clearance Decision”).

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whether there were other large shareholders),36 the attendance track record of other shareholders,37 and the target’s voting rights structure.38 Importantly, the Commission chose to pursue39 the gun jumping infringement despite Marine Harvest not having exercised any of its voting rights prior to obtaining clearance.40 In fact, Marine Harvest considered itself legally bound by the Share Purchase Agreement (“SPA”) not to exercise these rights, but the Commission disagreed with this interpretation of the SPA.41 In addition, the mere fact that the concentration had raised competitive concerns at the clearance stage was, in the eyes of the Commission, sufficient to render the infringement more serious in the assessment of gravity.42 The Commission declined to engage in any substantive analysis of the actual effects of the early implementation, limiting itself to highlighting three hypothetical areas of harm to 36 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 54, the remainder of the Morpol shares were dispersed among a large number of shareholders, and after Marine Harvest’s acquisition of its 48.5 % minority shareholding, the top 19 shareholders were financial investors holding an aggregated 39.5 % of shares, with none of them holding a stake above 6 %. 37 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recitals 78 and 145; the possibility of obtaining a majority at a general meeting of shareholders enables the exercise of decisive influence, and is therefore sufficient to establish control within the meaning of Article 3(2) of the Merger Regulation (recital 82). 38 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 55: “voting rights were allocated according to the ‘one share carries one vote’ principle”; a simple majority of shares present and voting was sufficient to carry a motion, including electing board of director members. 39 According to Article 1 of Regulation (EEC) 2988/74 of November 26, 1974, concerning limitation periods in proceedings and the enforcement of sanctions under the rules of the European Economic Community relating to transport and competition OJ [1974] L 319/1, the limitation period for infringements of Article 4(1) is three years and for infringements of Article 7(1), five years. For the purpose of calculating the end of the limitation period, failures to notify under Article 4(1) are instantaneous infringements, whereas infringements of Article 7(1) are continuous ones, see Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 128. 40 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 78; however, the fact that voting rights were not exercised was considered to be a mitigating circumstance (recital 158); the request for allocation of a Commission case team a few days after the closing of the 2012 acquisition was also considered as a mitigating circumstance. 41 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 69; on appeal, the General Court did suggest that had the SPA prevented Marine Harvest from exercising its voting rights pending clearance, the criterion relating to the possibility of exercising decisive influence would not have been satisfied; however, the Court agreed with the Commission that the wording of the SPA was not sufficiently clear in this respect (Marine Harvest General Court Judgment (n 34), para. 59). 42 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 157, “the Commission considers that an ex post analysis of the effect of a concentration on the market cannot reasonably be a decisive factor for the characterisation of the gravity of the breach of the system of ex ante control. As such, the mere fact that the Transaction gave rise to serious doubts as to the compatibility with the internal market is in itself a factor which makes the infringement more serious. In these cases, it is important to ensure legal certainty and a high level of deterrence, regardless of the merits of an ex post assessment.” (emphasis added)

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competition.43 It indeed considers that infringements of Articles 4(1) and 7(1) are by nature serious,44 apparently irrespective of any effects on competition. Given that in many tender offers a bidder gradually builds-up a participation before the offer is launched and sometimes negotiated with key shareholders, the Commission’s particularly restrictive approach is likely to lead to complications. The Commission also relied on a factual assessment of acquisition of control through shares in Electrabel / Compagnie Nationale du Rhône, where it fined Electrabel €20 million for having acquired 47.92 % of the voting rights in the Compagnie Nationale du Rhône (“CNR”) prior to notification and clearance of the concentration.45 Electrabel was unsuccessful in arguing control ought to be assessed on the basis of the shareholder attendance and voting data following the acquisition, not preceding it,46 as such an approach would according to the Commission enable an undertaking to “exercise de facto control (without notification or approval) over another company for three years before notifying the Commission of the operation, on the basis that it would not be absolutely sure that it was exercising control until the three years were up.”47 In addition to the important size of the minority shareholding at stake and the moderate participation of shareholders in general meetings over the three years preceding the acquisition,48 the fact that Electrabel was CNR’s only industrial shareholder and played a central role in the company’s operational management were decisive factors in establishing control.49 The Commission’s findings were confirmed by the General Court on appeal.50 Interestingly, in a very recent Altice / PT Portugal decision,51 the Commission found that negative covenant provisions in an SPA which gave an acquirer veto rights

43 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 151; namely, (i) Marine Harvest may have pushed Morpol’s CEO to resign; (ii) the acquisition may have had reduced incentives to compete; and (iii) it could not be excluded that Marine Harvest had acquired privileged access to market information through becoming Morpol’s largest shareholder. 44 Marine Harvest / Morpol Conditional Clearance Decision (n 35), recital 136. 45 Commission Decision of June 10, 2009, Electrabel / Compagnie Nationale du Rhône (“Early Implementation Decision”), case COMP/M.4994. 46 Electrabel / CNR Early Implementation Decision (n 45), recitals 48 and following. 47 Electrabel / CNR Early Implementation Decision (n 45), recital 56. 48 Electrabel / CNR Early Implementation Decision (n 45), recital 58, with 47.92 % of the voting rights, the rate of attendance had to be 95.84 % or above for Electrabel not to have an absolute majority at the general shareholders’ meeting. 49 Electrabel / CNR Early Implementation Decision (n 45), recitals 103 and following. 50 Judgment of December 12, 2012, Electrabel v Commission, T-332/09, ECLI:EU:T:2012:672, see para. 81 on the acquisition of control; with regards to the type of review exercised by the General Court, no discretion is afforded to the Commission in analyzing the circumstances in which a concentration was put into effect, and the Commission’s assessment is thus amenable to a full review by the General Court (para. 42); also see Judgment of July 6, 2010, Aer Lingus Group v Commission, T-411/07, ECLI:EU:T:2010:281, para. 62. 51 Commission decision of April 24, 2018, Altice / PT Portugal, Case COMP/7993.

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covering a wide-range of financial and commercial decisions constituted an illegal acquisition of control (see below, section III.2.). c) Acquisition of the possibility of exercising control It is sufficient that an undertaking has acquired the possibility of exercising control, irrespective of whether and when such control has been exercised in practice. The Commission has notably applied this reasoning to transactions implemented through special purpose vehicles. On July 6, 2017, the Commission issued a Statement of Objections to Canon Inc., claiming it had implemented a merger before notification and clearance.52 Canon allegedly breached the Merger Regulation’s standstill obligation by implementing its acquisition of Toshiba Medical Systems Corporation (“TMSC”) before notifying (and thus obtaining clearance from) the Commission. The Commission alleged Canon relied on a two-step “warehousing” transaction structure, enabling it, through an interim buyer (special purpose vehicle company, controlled by three 33.33 % shareholders), to acquire TMSC prior to obtaining clearance. As part of the first step, in March 2016, the interim buyer acquired 95 % of TMSC’s shares for €800. Around the same time, Canon purchased for €5.28 billion (i) the remaining 5 % of the shares and (ii) a share purchase option over the 95 % held by the interim buyer. The concentration was then notified in August 2016 and cleared unconditionally in September 2016.53 As a second step, after obtaining clearance, Canon exercised the share option, acquiring the remaining 95 % of shares.54 According to its press release, the Commission is investigating whether the first step, through which Canon acquired an option to purchase the shares held by the special purpose vehicle, was sufficient to establish Canon had acquired control over TMSC, despite Canon having in practice only exercised the option after obtaining clearance. Presumably, the Commission is relying on its current restrictive interpretation of warehousing agreements under its Jurisdictional Notice as giving rise to a filing and suspension obligation even if the first step transaction is not notifiable, independently of whether the ultimate acquirer exercised its control rights or option only after a clearance decision.55 It is worth 52 Commission Press Release of July 6, 2017, IP/17/1924 (n 12); according to the Commission, the on-going investigation is limited to assessing breaches of EU merger procedural rules and will not impact its decision to approve the merger, which will remain effective. 53 Commission Decision of September 19, 2016, Case M.8006, Canon / Toshiba Medical Systems Corporation; combined market shares at the EEA level post-transaction were estimated to be below 20 %. 54 Canon / Toshiba Medical Systems Corporation (n 53), paras. 4 and following. 55 Commission Consolidated Jurisdictional Notice under Council Regulation (EC) No 139/2004 on the control of concentrations between undertakings OJ [2008] C 95/1, see para. 16: “Control is defined by Article 3(2) of the Merger Regulation as the possibility of exercising decisive influence on an undertaking. It is therefore not necessary to show that the decisive influence is or will be actually exercised. However, the possibility of exercising that influence must be effective. Article 3(2) further provides that the possibility of exercising decisive influence on an undertaking can exist on the basis of rights, contracts or any other means, either separately or in combination, and having regard to the considerations of fact and law involved. A concentration therefore may occur on a legal or a de facto basis, may take

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noting this aggressive approach would not only seem at odds with well-established concepts of corporate law by “piercing the corporate veil” for gun jumping purposes, but also effectively treats options as full acquisitions of control. It is not clear from the  Commission press release whether the Commission takes into account specific contractual mechanisms affecting the nature of the option, e.g., the degree of conditionality or the nature of the option (put or call). d) Acquisition of control irrespective of market effects Actual or even potential competitive harm is not a prerequisite for a finding of infringement of the EU standstill obligation. The Commission has for instance investigated gun jumping violations in the context of concentrations it had already found to be pro-competitive in its substantive review. Beyond the minority shareholding aspect of the Electrabel decision, the case is notable for the Commission having chosen to actively pursue a case of early implementation, despite having already unconditionally cleared the concentration.56 The Commission’s 40 page decision focuses on procedural aspects of the case and does not tie the procedural infringements to any actual or potential competitive harm. The purpose of the €20 million fine was to deter future infringements of competition rules,57 not punish the undertaking for harming competition within the internal market. On appeal, the General Court rejected a request for annulment of the early implementation decision in its entirety.58 Similarly, the Canon / Toshiba Medical Systems concentration was cleared unconditionally, and yet the Commission decided to open an investigation and has issued a Statement of Objections alleging an infringement of the standstill obligation. This approach has been confirmed by the CJEU in its recent Ernst & Young judgment. The Court found that an assessment of whether a transaction has had an effect on the market is largely irrelevant to establish a violation of the standstill obligation, because (i) such assessment is carried out in the context of the substantive review of the transaction,59 and (ii) it could not be ruled out that a transaction “having no effect on the market might nevertheless contribute to the change of control”.60

the form of sole or joint control, and extend to the whole or parts of one or more undertakings (cf. Article 3(1)(b))” (emphasis added); and para. 35, with regards to scenarios in which an undertaking is “parked” with an interim buyer, “The Commission will consider the transaction by which the interim buyer acquires control in such circumstances as the first step of a single concentration comprising the lasting acquisition of control by the ultimate buyer.” 56 Commission Decision of April 29, 2008, Electrabel / Compagnie Nationale du Rhône, Case M.4994 (“Clearance Decision”). 57 Electrabel / Compagnie Nationale du Rhône Early Implementation Decision (n 45), recital 226. 58 Judgment of December 12, 2012, Electrabel v Commission, T-332/09, ECLI:EU:T:2012:672. 59 Ernst & Young (n 26), para. 50. 60 Ernst & Young (n 26), para. 51.

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2. Acquisition of control inferred from behavior of the parties The second type of gun jumping infringements that have been pursued by competition authorities are those for which the acquisition of control is established not on the basis of the acquisition of shares, but rather of indicators (e.g., disclosure by the target of commercially sensitive information to the acquirer, appointment of future management teams, or deference of the target’s management towards the acquirer’s) that enable enforcers to infer control has de facto been acquired by other means. From a business perspective, a central issue with this enforcement stance is the reduced scope for parties to concentrations to take preparatory measures for facilitating the future implementation of concentrations. This difficulty was at the center of the investigation led by the Danish Competition and Consumer Authority (“DCCA”) into Ernst & Young’s (“EY”) merger with KPMG’s Denmark affiliates (“KPMG DK”).61 In 2014, the DCCA found that by terminating its existing agreement with KPMG International prior to obtaining clearance for the merger, KPMG DK had infringed the Danish concentration standstill obligation. The rationale behind the termination of the cooperation agreement was to enable the integration of KPMG DK into the EY Group, by severing KPMG DK’s ties with KPMG International. In the context of its assessment of EY’s appeal against the DCCA’s decision, the Danish Maritime and Commercial Court referred a preliminary question to the CJEU. The CJEU ruled that the standstill obligation ought not to have prevented the termination of the agreement, as it was merely a preparatory measure to the actual acquisition of control by EY of KPMG DK. AG Wahl had arrived to a similar conclusion in his January 18, 2018, opinion in the same case.62 To promote both legal certainty and the flexibility necessary for effective merger control, AG Wahl had recommended that the Court of Justice adopt a negative definition of the standstill obligation, by defining which measures it did not catch.63 Three criteria the DCCA had relied on to assess whether the standstill obligation had been breached were successively rejected. First, merger specificity (i.e., that the measure at stake relate in some way to a concentration) was not a criterion for the application of the standstill obligation, but a mandatory prerequisite.64 Second, a measure need not be irreversible to be subject to the standstill obligation.65 Third, the 61 Danish Competition and Consumer Authority Decision of December 17, 2014, available at . 62 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), para. 98; the ECJ was asked to rule on the interpretation of the Danish standstill obligation in light of the Merger Regulation’s standstill obligation, as it raised the issue of the uniform interpretation of a concept taken from EU law (para. 31). 63 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), para. 45. 64 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), para. 48. 65 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), para. 51, Article 8(5)(a) and (c) of Regulation No 139/2004 enables the Commission to order the reversal of measures which implement a concentration prematurely, hence it would be contradictory if the application of the standstill obligation depended on the irreversibility of a measure.

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criterion relating to a measure having “the potential to have market effects” was rejected as being too broad, as commercial measures will almost invariably have some effect on the market.66 AG Wahl confirmed “change of control on a lasting basis” was the key gun jumping concept,67 recalling that while partial implementations were covered by the standstill obligation, mere “preparatory measures” ought not to be caught. The difficulty lies thus in drawing the line between partial implementation and legitimate preparatory measure.68 In this respect, the relevant test according to AG Wahl should be the following, “[a]s long as the measure precedes and is severable from the measures actually leading to the acquisition of the possibility of exercising decisive influence on a target undertaking, it should not be subject to the standstill obligation and, consequently, the Commission’s powers of compliance therewith.”69 Indeed, requiring undertakings to wait until clearance to implement measures not inextricably linked to the transfer of control would be excessive and cause unnecessary delays.70 AG Wahl then concluded that KPMG DK’s termination of its cooperation agreement with KPMG International did not, in any way, contribute to a shift in control between KPMG DK and EY.71 The CJEU confirmed this approach by relying on the contribution to the acquisition of control criterion, on the basis of which it found that while KPMG DK’s withdrawal from the KPMG International network was subject to a conditional link with the concentration and was likely to be ancillary and preparatory in nature, it “[did] not contribute, as such, to the change of control of the target undertaking.”72 This was the case despite the fact that the merger agreement expressly provided for KPMG DK’s withdrawal from the cooperation agreement.73 Thus even though, absent the concentration, KPMG DK would likely not have terminated the agreement, the termination itself did not confer on EY any possibility of exercising influence over KPMG DK, as KPMG DK was independent from EY both before and after the termination.74 The key issue is thus where gun jumping begins, i.e., what constitutes a “tipping point” for the partial or total acquisition of decisive influence. According to the Court, preparatory measures not granting (partial) decisive influence cannot trigger gun 66 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), para. 54; AG Wahl also noted that had the criterion been one of actual market effects, “the scope of the standstill obligation might have been too restrictive.” 67 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 60. 68 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 63. 69 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 65. 70 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 69. 71 Opinion of Advocate General Wahl, Ernst & Young (n 22), see para. 84. 72 Ernst & Young (n 26), para. 60. 73 Ernst & Young (n 26), para. 14. 74 Ernst & Young (n 26), para. 61. It is worth nothing that in this case, the Court seems to treat the termination of a contract which presumably must have had a significant impact on the companies’ market position and on its standing differently from the firm’s positive adherence to a new network contract.

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jumping. Interestingly, the Court notes that such measures could, however, give rise to Article 101 violations since the two merging parties should fully remain competitive if they happen to operate on the same market. Indeed, in the words of the Court, “Regulation No 1/2003 continues to apply to the actions of undertakings which, without constituting a concentration within the meaning of Regulation No 139/2004, are nevertheless capable of leading to coordination between undertakings in breach of Article 101 TFEU and which, for that reason, are subject to the control of the Commission or of the national competition authorities”.75 Conversely, the Court did not opine as to whether such actions likely to constitute gun jumping, as well as “preparatory measures” when taking place between competing companies, may escape the Article 101 prohibition under the traditional “ancillary measures” theory to the extent they are necessary to bring about a concentration.76 Competition authorities have thus had a tendency to expand the notion of “acquisition of control” to include conduct, which – while it may well raise competitive concerns – does not necessarily amount to actually controlling the target undertakings, yet is essential to the successful integration of both businesses. Although the EY judgment seems to reduce the scope for findings of gun jumping, companies may likely find it difficult in the future to distinguish between measures leading to, or reflecting, actual or potential, “partial” decisive influence and “preparatory measures”. Moreover, it is likely that individual “preparatory measures” which would be permissible under the EY “contribution to the acquisition of control” rule, may  – in the eyes of the Commission and depending on the circumstances – still constitute indices of actual acquisition of control when taken together. This convergence of factors approach was central to the French Competition Authority’s (“FCA”) reasoning in its Altice gun jumping decision. In 2016, the FCA imposed a €80 million fine on Altice/Numericable for the early implementation of its back-to-back acquisitions of telecom operators SFR and OTL.77 Regarding SFR, Altice had allegedly been validating strategic decisions regarding the target’s operational projects (e.g., the renegotiation of network sharing agreements), intervening in setting the target’s commercial policies (e.g., by suspending certain commercial offers), intervening in day-to-day management of the target (e.g., by 75 Ernst & Young (n 26), para. 57. 76 Commission Notice on restrictions directly related and necessary to concentrations OJ [2005] C56/24, see para. 10, “A concentration consists of contractual arrangements and agreements establishing control within the meaning of Article 3(2) of the Merger Regulation. All agreements which carry out the main object of the concentration, such as those relating to the sale of shares or assets of an undertaking, are integral parts of the concentration. In addition to these arrangements and agreements, the parties to the concentration may enter into other agreements which do not form an integral part of the concentration but can restrict the parties’ freedom of action in the market. If such agreements contain ancillary restraints, these are automatically covered by the decision declaring the concentration compatible with the Common Market.” (emphasis added) 77 French Competition Authority Decision of November 8, 2016, relative à la situation du groupe Altice au regard du II de l’article L.430-8 du code de commerce, N° 16-D-24 (“Altice FCA Decision”).

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refusing to validate certain IT investments considered necessary for the target’s sound management), coordinating commercial strategies (e.g., through preparing a new internet offering using the target’s network), replacing SFR in its planned acquisition of OTL, a third-party telecom operator (Virgin Mobile), and exchanging business sensitive information with the target in the context of pre-integration meetings. As for the OTL acquisition, Altice had allegedly limited OTL’s commercial freedom with regards to conducting investments exceeding a certain value, opening new shops, and concluding or modifying important commercial contracts, and had exchanged business sensitive information with OTL. Altice had also implicated OTL’s CEO in Numericable and SFR’s management, and had monitored OTL’s activities through monthly reports containing business sensitive information. The FCA has adopted a two-stage analysis in establishing gun jumping infringements, which broadly corresponds to the two strands of gun jumping identified above. First, it will verify whether there has been any transfer in the ownership of the target’s assets and the rights attached thereto prior to clearance.78 Second, if that is not the case, the FCA will look for evidence that, in fact, decisive influence has been acquired over the target prior to clearance.79 On the basis of a “convergence of factors” approach, while each element of early implementation, taken individually, could have been sufficient to conclude as to the existence of a gun jumping infringement, taken together they were considered to constitute overwhelming evidence that decisive influence had been exercised.80 This is in contrast to the situation in which shares have been acquired, where “la situation de fait (le contrôle) se confond avec la situation de droit (les titres de propriété).”81 Nevertheless, the FCA also admitted the need for companies to adopt certain steps inter alia to safeguard the value of the target pending clearance. However, such measures must always be proportionate to the aim pursued: preparatory steps may not allow the acquirer to control the target or be taken in the interest of the future combined undertaking. Covenants, for instance, may in principle not be relied on to micromanage a target’s daily decision-making process due to the limited effect such decisions are likely to have on its value.82 While the overall approach seems consistent with precedents, the FCA’s apparent criticism of a wide range of individual preparatory measures (e.g., in-depth due diligence, integration preparation, pre-closing covenants) was criticized as overly restrictive from a business implementation perspective. Certain preparatory measures are indeed indispensable in making a transaction feasible and ensuring the value of the target does not significantly depreciate during the merger control proceedings. The FCA does recognize the necessity of exchanging information in the context of M&A transactions, in particular for due diligence purposes,83 but according to the Altice decision strategical information could only be exchanged between independent 78 Altice FCA Decision (n 77), para. 193. 79 Altice FCA Decision (n 77), para. 194. 80 Altice FCA Decision (n 77), paras. 298 and 332. 81 Altice FCA Decision (n 77), para. 193. 82 I. de Silva, “Gun-jumping: quelles sont les pratiques à éviter?” (FCA 2018) 14 and following. 83 Altice FCA Decision (n 77), para. 259.

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third parties if at all.84 Likewise, the possibility to include pre-clearance covenants, requiring the prior approval of certain key actions by the acquirer in an M&A agreement – as opposed to price revision provisions – seemed to be questioned in the FCA Altice decision. This approach would result in jeopardizing the traditional distinction between legitimate measures aimed at safeguarding the acquirer’s basic financial interests from the actual acquisition of control. If confirmed by the courts, the legal uncertainty regarding the precise scope of the prohibited measures, and the FCA’s aggressive approach in restricting the implementation of preparatory measures, would considerably complicate the implementation of concentrations, particularly in the absence to date of any formal guidance issued by the Commission or NCAs. The Commission adopted a somewhat similar approach to the FCA’s in its own Altice investigation, relating to the telecom operator’s 2015 acquisition of PT Portugal. The Commission found, in April 2018, that Altice jumped the gun by engaging in behaviors that allowed it to exert decisive influence over PT Portugal prior to clearance.85 Similarly to the FCA, the Commission relied on a two-stage analysis of the litigious behavior, distinguishing between actions resulting in a de jure acquisition of control “conferred by way of the existence of a legal right, for example by rights included in the transaction documentation”, from indicators of the acquisition of de facto control, i.e., the “actual practice of exercising control”.86 The Commission concluded as to the existence of both types of control in its finding of gun jumping, apparently extending the scope of de jure control, beyond the acquisition of control through the legal ownership of shares, to the acquisition of control through other legal instruments, such as covenants included in a share purchase agreement. With regards to the acquisition of control through covenants, the Commission found that the share purchase agreement granted Altice the possibility to exercise decisive influence over PT Portugal prior to the Commission having completed its substantive review of the concentration.87 While the Commission clearly recognized that clauses aimed at protecting the value of an acquired business between signing and closing of the transaction are both common and appropriate, such agreements, when they grant the buyer the possibility of exercising control over the target, are “only justified if strictly limited to that which is necessary to ensure that the value of the target is maintained”.88 Interestingly, the Commission referred to the “ancillary restraints” theory, that pre-dated the Merger Regulation, to justify the existence of competitive restraints that are necessary and proportional for a legitimate transaction to occur. The PT Portugal covenants allegedly fell short of this requirement in two respects, by covering a broad range of commercial matters on the one hand and by setting low monetary thresholds for Altice’s intervention into PT Portugal’s business on the other.89 The covenants covered three main areas: (i) the appointment of senior 84 Altice FCA Decision (n 77), paras. 260 and 261. 85 Commission decision of April 24, 2018, Altice / PT Portugal, Case COMP/7993. 86 Altice / PT Portugal (n 85), recital 43. 87 Altice / PT Portugal (n 85), recital 67. 88 Altice / PT Portugal (n 85), recitals 70 and 71. 89 Altice / PT Portugal (n 85), recital 72.

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management staff (a veto right over the appointment and dismissal of officers and directors went beyond what was necessary for value preservation);90 (ii) pricing policy and commercial terms and conditions (pricing policies and standard offer prices could not be modified without Altice’s consent);91 and (iii) the ability to enter, terminate, or modify a wide range of PT Portugal’s contracts (Altice’s approval was required for both contracts exceeding a certain monetary value and those defined as “material”, e.g., those which included non-compete or restraint of trade provisions or granting exclusive rights).92 As for the de facto exercise of control, the Commission considered that, between signing and clearance, Altice “heavily influenced” PT Portugal’s decision making processes,93 engaging in the “actual exercise of decisive influence” through its involvement inter alia in the conclusion and negotiation of various contracts (e.g., setting targets and negotiating strategies regarding contracts for the distribution of TV channels), the management of PT Portugal financial assets (e.g., encouraging PT Portugal to increase its shareholding in certain partnerships), and exchanges of  commercially sensitive information (through ad hoc meetings, bilateral communications on specific issues, and the systematic exchange of performance data).94 The Commission thus appears to have distinguished legally enforceable control, e.g., control rooted in a right of property over shares or covenants in a contract, from the de facto exercise of control, which by contrast is dependent on the target’s voluntary cooperation. As recalled by the Commission, certain practices at stake in Altice were indeed predicated on PT Portugal “agree[ing] to implement” Altice’s instructions.95 One of the points which may be litigated on appeal – Altice has announced it would file an action for the annulment of the Commission’s decision96 – is whether voluntary exchanges of information and compliance of one undertaking with another one’s instructions, as opposed to the acquisition of a legal right to enforce exchanges of information and compliance, “contribute to a change in control” within the meaning of the Ernst & Young judgment. Indeed, while such practices may be anticompetitive within the meaning of Article 101 TFEU, it is not clear that they per se contribute to shifts in control. Another important issue likely to be raised before the General Court will be the Commission’s view that contracts for the distribution of TV channels and provision of content did indeed relate to the “day-to-day” / “ordinary course” of management of the target,97 whereas such contracts can be concluded for long periods 90 Altice / PT Portugal (n 85), recital 74-76. 91 Altice / PT Portugal (n 85), recital 78-80. 92 Altice / PT Portugal (n 85), recital 87-87. 93 Altice / PT Portugal (n 85), recital 178. 94 Altice / PT Portugal (n 85), recitals 52 and 378. 95 Altice / PT Portugal (n 85), recital 180. 96 Altice Press Release of April 24, 2018, “Altice N.V. Will File an Appeal Against the European Commission’s Decision”, available at . 97 Altice / PT Portugal (n 85), recital 482.

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of time and directly impact strategy and commercial offers to consumers. The key role attributed by the Commission to the “ordinary course of business” as defining an area of management where pre-clearance interference is normally prohibited under the gun jumping rules is, given its fluctuating nature, likely to give rise to many questions in the future.

IV. Conclusion In the wake of an increasingly strict enforcement of EU competition procedural rules, it appears that competition authorities have consistently sought to maximize the scope of the standstill obligation set by the Merger Regulation and national competition laws. This has been apparent on a number of levels, including enforcers’ reliance on factual appraisals of the control acquired by undertakings through the purchase of shares, the prosecution of gun jumping infringements irrespective of the existence of actual effects on the market, and the inference of control from undertakings’ commercial behaviors. Admittedly, a purely formal standard (e.g., majority of votes) for assessing control would be unsatisfactory in policing gun jumping, as many problematic situations of acquisition of control might then escape scrutiny. Similarly, the policy of enforcing procedural rules even in the absence of market effects can legitimately be explained by a need to deter future infringements. Nevertheless, it is not entirely clear that the scope of the standstill obligation can be extended in the same way to situations in which control is only inferred from commercial behavior, particularly in light of the CJEU’s most recent case law. The Ernst & Young judgment sought to provide valuable clarification as to the scope of the Merger Regulation’s standstill obligation. In particular, according to the Court, “a concentration is implemented only by a transaction which, in whole or in part, in fact or in law, contributes to the change in control of the target undertakings”, to the exclusion of other types of measures.98 This article however shows that many areas of uncertainty remain and precedents to date have been highly case-specific. While most concentrations are cleared within a short period of time, very significant complex transactions requiring ever longer merger review processes will necessitate more explicit guidance and clearer standards from the regulators. Paradoxically, the meaning of “standstill” remains in flux.

98 Ernst & Young (n 26), para. 59 (emphasis added).

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Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach Wettbewerbsverstößen – Ein Modellvergleich zwischen Deutschland und Österreich I. Einleitung II. Zum Anschauungsfall „Expedia“ I II. Der „Expedia“-Fall in Österreich 1. Untersuchungen der Bundeswett­ bewerbsbehörde 2. Geltendmachung nach den Bestim­ mungen des UWG 3. Geltendmachung als Schadenersatz­ anspruch – Naturalrestitution

4. Geltendmachung in einem Verfahren vor dem Kartellgericht a) Antragslegitimation b) Begehungs- oder Wiederholungs­ gefahr c) Art der Entscheidung d) Verfahrensrechtliche Aspekte IV. Resümee

I. Einleitung Die Dezentralisierung der Durchsetzung des europäischen Kartellrechts durch die VO  1/20031 im Jahr 2004 war von vielen Befürchtungen begleitet. Dazu zählte die Besorgnis namhafter Vertreter der Europäischen Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden, dass die Kartellaufsicht nach Wegfall der Anmeldepflicht von vielen relevanten Sachverhalten nicht mehr erfährt und es dadurch zu einem „under­ enforcement“ kommt.2 Um dieses vermutete Manko zu kompensieren, war die Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung ein zentraler Baustein der Modernisierung des europäischen Kartellrechts. Zu diesem Zweck erklärte Art.  6 VO 1/2003, dass auch die einzelstaatlichen Gerichte für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zuständig sind. In Erwägungsgrund 7 der Verordnung wird erläutert, dass die Gerichte eine wesentliche Aufgabe bei der Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln erfüllen. In Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen sollen sie die sich aus dem Unionsrecht ergebenden subjektiven Rechte schützen, unter anderem indem sie den durch eine Zuwiderhandlung Geschädigten Schadenersatz zuerkennen. Auf diese Weise ergänzen die Gerichte die Aufgaben der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden.

1 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1 S. 1. 2 Viele Unternehmensvertreter und Anwälte waren demgegenüber besorgt, dass der Entfall der Anmeldemöglichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen eine Phase der Rechtsunsicherheit auslösen könnte, weswegen letztlich auch sinnvolle und kartellrechtlich im Ergebnis „unschuldige“ Kooperationen unterbleiben.

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Zugleich war bei Inkrafttreten der VO 1/2003 die Meinung weit verbreitet, dass die private Kartellrechtsdurchsetzung in den EU-Mitgliedstaaten unterentwickelt sei. In der bekannten Ashurst-Studie3 wurde wörtlich von astonishing diversity and total underdevelopment gesprochen. Der Wunsch, diesen Zustand zu beseitigen und die zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts zu fördern, mündete letztlich in der europäischen Schadenersatzrichtlinie,4 die jüngst in Deutschland mit der 9. GWB-Novelle5 und in Österreich mit dem KaWeRÄG 20176 umgesetzt wurde. Tatsächlich war der Befund über die vermeintliche Unterentwicklung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung nur richtig, wenn man den Blick auf Schadenersatzklagen beschränkt. Zumindest in Deutschland und in Österreich spielt die zivilrechtliche Verfolgung von Wettbewerbsverstößen seit jeher, schon lange vor der Schadenersatzrichtlinie, eine bedeutende Rolle. Wie Bornkamm festhält:7 „Auch ohne die Verheißung von „punitive damages“ und „contingency fees“, ohne die Möglichkeiten einer „­pre-­trial discovery“ und einer „class action“ nach amerikanischem Vorbild, trägt in Deutschland die Mobilisierung Dritter, die von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen sind, jedenfalls in Teilbereichen entscheidend zur Effizienz kartellrechtlicher Verbote bei.“ Das gilt in besonderem Maße für die (Verhaltens-)Kontrolle marktmächtiger Unternehmen (§§ 19, 20 GWB; Art. 102 AEUV), die in Deutschland fast ausschließlich mit Hilfe von Unterlassungs- und Schadenersatzklagen erfolgt. Auch im Bereich der vertikalen Beschränkungen dominiert die private Kartellrechtsdurchsetzung; dort allerdings vorwiegend defensiv, als Verteidigungsmittel gegenüber einem vertraglichen Erfüllungsanspruch.8 Wie wichtig die private Kartellrechtsdurchsetzung ist, zeigt sich bei einem Blick in den jüngsten Jahresbericht des Bundeskartellamts für das Jahr 2016. Dort wird angeführt, dass es in diesem Jahr eine neue Kartellbußgeldsache und vier neue Kartellverwaltungssachen gab, aber 142 neue Kartellzivilsachen. Ganz ähnlich verhält es sich in Österreich. Auch wenn es hierzulande an belastbaren Statistiken mangelt, besteht kein Zweifel, dass nahezu alle Verfahren gegen marktmächtige Unternehmen und deren vermeintliche Missbräuche auf Anträge und Kla3 Denis Waelbroeck/Donald Slater/Gil Even-Shoshan, Study on the conditions of claims for dam­ages in case of infringement of EC competition rules, Comparative Report v. 31. August 2004, http://ec.europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/com​parative_report_clean​ ­_en.pdf 4 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014 L 349 S. 1. 5 BGBl. I 2017, 1416 ff. 6 Bundesgesetz, mit dem das Kartellgesetz 2005, das Wettbewerbsgesetz und das Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen geändert werden (Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz 2017  – KaWeRÄG 2017), BGBl. I Nr. 56/2017. 7 Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rz. 7. 8 Eine Ausnahme bilden Preisbindungen der 2. Hand, deren Verfolgung in den letzten Jahren in vielen EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Österreich, nach Jahren der relativen Ruhe zu einer regelrechten „cash cow“ der Wettbewerbsbehörden wurde.

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gen der betroffenen Unternehmen zurückzuführen sind. Ein Einschreiten der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts in solchen Konstellationen ist ausgesprochen selten. In beiden Jurisdiktionen – Deutschland und Österreich – ist die private Kartellrechtsdurchsetzung somit nicht wegzudenken. Erst dadurch ist die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts „in der Fläche“ gewährleistet. Dabei wird das private enforcement in Deutschland und Österreich auf durchaus unterschiedliche Art und Weise gefördert. In Deutschland enthielt schon die Urfassung des GWB aus dem Jahr 1957 (damals § 35) eine Sonderbestimmung, wonach im Falle eines Verstoßes gegen Vorschriften dieses Gesetzes derjenige, zu dessen Schutz die fragliche Vorschrift bestimmt war, vom Verletzer Unterlassung und Schadenersatz beanspruchen konnte. Der BGH legte das Schutzgesetzerfordernis allerdings so eng aus, dass Klagen auf dieser Grundlage nur selten erfolgreich waren.9 Mit der 7. GWB-Novelle 200510 (die zur Umsetzung der VO 1/2003 in das nationale Recht diente) wurde die Vorschrift deswegen neu konzipiert und mit der 8. GWB-Novelle 201311 durch die Einführung einer Antragslegitimation für Verbraucherverbände nochmals erweitert. Seit der 9. GWB-Novelle12 (Umsetzung der Schadenersatzrichtlinie) lautet diese Bestimmung (nunmehr § 33 GWB) wie folgt:13 § 33 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (1) Wer gegen eine Vorschrift dieses Teils oder gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstößt (Rechtsverletzer) oder wer gegen eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. (2) Der Unterlassungsanspruch besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. (3) Betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist. Eine analoge Regelung sucht man im österreichischen Kartellrecht vergeblich. Auch nach dem KaWeRÄG 2017, mit dem die Schadenersatzrichtlinie umgesetzt wurde, gibt es keine zivilrechtlichen Sonderbestimmungen für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, weder im KartG14 noch in Nebenmaterien wie dem WettbG15 oder 9 Vgl. dazu Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rz. 30f m.w.N. 10 BGBl. I 2005, 1954. 11 BGBl. I 2013, 1738. 12 BGBl. I 2017, 1416 ff. 13 § 33 Abs. 4 GWB, der die Verbandklagebefugnis regelt, ist hier nicht wiedergegeben. 14 Bundesgesetz gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz 2005 – KartG 2005), BGBl. I Nr. 61/2005. 15 Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz – WettbG), BGBl. I Nr. 62/2002.

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dem NahVG.16 Stattdessen sieht das österreichische Recht (und zwar seit 199317) in § 36 Abs. 4 Z 4 KartG Folgendes vor: „[Zur Antragstellung beim Kartellgericht sind] berechtigt: […] Jeder Unternehmer und jede Unternehmervereinigung, der oder die ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat.“ Um die Tragweite des § 36 Abs. 4 Z 4 KartG zu verstehen, muss man wissen, dass Österreich institutionell nicht dem deutschen und europäischen Modell einer „vollfunktionsfähigen“ Wettbewerbsbehörde folgt. Es gibt hierzulande keine Verwaltungsbehörde, die bei vermuteten Wettbewerbsverstößen nicht nur ermitteln, sondern (unter nachprüfender gerichtlicher Kontrolle) in der Sache selbst entscheiden dürfte. Ein solches „Inquisitionsprinzip“ hielt der österreichische Gesetzgeber bislang nicht für sachgerecht. Die beiden österreichischen Wettbewerbsbehörden (Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt) sind ausschließlich mit Aufgriffs- und Ermittlungstätigkeiten befasst. Sie haben praktisch die Rolle einer „Sonderstaatsanwaltschaft“ für Kartelldelikte inne. Die Entscheidungsbefugnis liegt bei einem speziellen Gericht, dem Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht. An dieses Gericht wenden sich Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) oder Bundeskartellanwalt (BKAnw), wenn sie eine Zuwiderhandlung abstellen oder Geldbußen verhängen lassen wollen. Österreich ist damit (soweit ersichtlich) einer der wenigen EU-Mitgliedstaaten, der von der in Art. 35 Abs. 4 VO 1/2003 eingeräumten Möglichkeit eines administrativ-judiziellen Mischsystems Gebrauch macht. Das österreichische Recht nützt diese besonderen institutionellen Gegebenheiten für eine Verzahnung der öffentlichen mit der privaten Kartellrechtsdurchsetzung. Dasselbe Gericht – das Kartellgericht –, das von den Wettbewerbsbehörden zur Entscheidung angerufen werden kann, steht als Forum für Streitigkeiten zwischen Privaten zur Verfügung. Dabei agiert das Kartellgericht auch bei Privatanträgen (die in Österreich als Individualanträge bezeichnet werden) im öffentlichen Interesse, was sich u.a. in einer eingeschränkten Parteiendisposition ausdrückt. Das Kartellgericht ist allerdings nur befugt, Abstellmaßnahmen anzuordnen. Mit Schadenersatzforderungen müssen sich die Betroffenen (allenfalls gestützt auf eine vorangehende Entscheidung des Kartellgerichts, das heißt follow-on) an die ordentlichen Zivilgerichte wenden. Eine Begleiterscheinung der fehlenden materiellen Sonderbestimmung im KartG für zivilrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche ist, dass die österreichische Judikatur das Verhältnis von Wettbewerbs- zum Lauterkeitsrecht anders löst, als dies in Deutschland der Fall ist. Die herrschende Lehre und Rechtsprechung in Deutsch16 Bundesgesetz vom 29. Juni 1977 zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen, BGBl. Nr. 392/1977. 17 Eine Parteistellung von bestimmten privilegierten Verbänden in Verfahren vor dem Kartellgericht – und zwar, der österreichischen Wirtschaftsverfassung entsprechend, der sozialpartnerschaftlichen Institutionen Wirtschaftskammer Österreich, Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte und Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs  – gab es schon wesentlich früher, nämlich bereits seit der 3.  KartG-Novelle 1958 (BGBl. Nr. 136/1958).

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land betrachtet § 33 GWB als lex specialis zu § 1 UWG.18 Nur dann, wenn es um einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand geht, können Ansprüche nach dem UWG neben Ansprüchen nach § 33 GWB geltend gemacht werden (wie etwa bei einer gezielten Behinderung). Nicht statthaft ist es in Deutschland hingegen, kartellrechtliche Verstöße unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs nach §§ 3 f. UWG zu verfolgen. Das wird deswegen abgelehnt, weil das GWB eine umfassende und abschließende Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche enthalte.19 Die österreichische Lehre und Judikatur sieht dies anders.20 Zwar wird auch hierzulande davon ausgegangen, dass ein Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen ohne Hinzutreten weiterer Elemente nicht zugleich als unlauter qualifiziert werden kann, weil das KartG ein besonderes Verfahren und ein besonderes Sanktionensystem für Wettbewerbsverstöße vorsieht. Die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des zuwiderhandelnden Unternehmens über die Zulässigkeit seines Verhaltens wird aber bereits als ein solches zusätzliches Element betrachtet. Sofern sich der Beklagte keinen vertretbaren Rechtsstandpunkt zugutehalten kann, muss er sich für ein kartellrechtswidriges Verhalten demnach gemäß §  1 UWG auch vor dem Handelsgericht verantworten. Damit steht dem Kläger das gesamte Instrumentarium des UWG zur Verfügung. Von dieser Möglichkeit wird in der österreichischen Anwaltspraxis nicht selten Gebrauch gemacht. Im folgenden Beitrag wird ein Modellvergleich zwischen § 33 GWB und § 36 Abs. 4 Z 4 KartG angestellt. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob das österreichische Modell jene Probleme vermeidet, die man in Deutschland trotz der intensiven forensischen Praxis bei der zivilrechtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ortet, bzw. ob umgekehrt das österreichische Modell Defizite gegenüber dem deutschen Lösungsansatz aufweist. Das deutsche Schrifttum sieht strukturelle Nachteile des Zivilprozesses zum einen im Beibringungsgrundsatz. Die Partei eines Zivilprozesses, die eine kartellrechtliche Zuwiderhandlung rügt, muss alle Voraussetzungen für das Eingreifen des Verbots dartun und beweisen. Das könne unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten und zu einem underenforcement führen. Ein weiterer struktureller Nachteil des Zivilprozesses liege im Prinzip der Parteidisposition. Es wird als unbefriedigend betrachtet, dass die Parteien des Zivilprozesses eine gerichtliche Entscheidung vermeiden können, indem sie die Klage oder ein Rechtsmittel (etwa aufgrund eines Vergleichs) zurücknehmen. Damit trage man den Besonderheiten einer Materie wie dem Kartellrecht, bei dem die Rechtsdurchsetzung vor allem im öffentlichen Interesse erfolgt, nur unzureichend Rechnung.21 Methodisch geht der folgende Beitrag so vor, dass als Ausgangspunkt und Anschauungsbeispiel für die weiteren Überlegungen ein jüngst ergangenes Urteil aus der deut18 Vgl. dazu Bornkamm, Das Verhältnis von Kartellrecht und Lauterkeitsrecht: Zwei Seiten derselben Medaille?, in FS Griss, 2011, S. 79 ff., S. 84 ff. m.w.N. 19 Vgl. BGH v. 7.2.2006 – KZR 33/04, Probeabonnement, BGHZ 166, 154, Rz. 13. 20 Vgl. Griss, Schnittstellen zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht, wbl 2010, 1. 21 Vgl. Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2014, §  33 GWB Rz. 17 f.

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schen Gerichtspraxis zu § 33 GWB herangezogen wird (unten Abschnitt II). Im anschließenden Abschnitt III wird skizziert, wie dieser Fall in Österreich abgehandelt werden könnte. Dabei werden zunächst – eher kursorisch – das Szenario einer Geltendmachung in einem UWG-Prozess und die Rechtsverfolgung als Klage auf Naturalrestitution (das heißt nach den Regeln für Schadenersatzansprüche) behandelt. Der Hauptfokus dieses Abschnitts liegt auf einer Darstellung des Verfahrens vor dem Kartellgericht. Im abschließenden Abschnitt IV wird ein Resümee gezogen. Insgesamt hoffe ich, dem Jubilar Dirk Schroeder mit diesen Überlegungen ein spannendes, grenzüberschreitendes Lesevergnügen bieten zu können.

II. Zum Anschauungsfall „Expedia“ Seit 2012 bekämpft das Bundeskartellamt (BKartA) Bestpreisklauseln von Hotelbuchungsportalen. Nach eingehenden Ermittlungshandlungen verfügte das Amt im Dezember 2013, dass dem Plattformbetreiber HRS die weitere Durchführung von solchen Vertragsbestimmungen untersagt wird. HRS hatte ihre Hotelpartner verpflichtet, ihre Zimmer auf der HRS-Buchungsplattform zum jeweils niedrigsten Preis, mit der höchstmöglichen Zimmerverfügbarkeit und den jeweils für die Kunden besten Buchungs- und Stornokonditionen anzubieten. Das BKartA sah darin ein Beeinträchtigung des Wettbewerbs mit anderen Buchungsportalen und eine Marktzutrittsschranke. Diese Verfügung wurde im Jänner 2015 vom Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt22 und rechtskräftig. In weiterer Folge mahnte das BKartA auch die Plattformen booking.com und Expedia ab. Gegen booking.com erging im Dezember 2005 eine Abstellverfügung, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf im Mai 2016 bestätigt wurde.23 Das Verwaltungsverfahren gegen Expedia ist nach wie vor anhängig. In der zweiten Jahreshälfte 2016 leitete der Hotelverband Deutschland (IHA) ein zivilrechtliches Verfahren gegen Expedia ein. Dem war vorausgegangen, dass Expedia zwar im Sommer 2015 gegenüber den IHA-Mitgliedern auf die Anwendung der sogenannten „weiten Bestpreisklausel“ verzichtet hatte; nur noch die vertragliche Regelung, wonach die Hotelpartner auf der eigenen Webseite keine günstigeren Preise, Buchungs- und Stornokonditionen anbieten dürfen, sollte aufrecht bleiben. Zugleich wendete Expedia aber eine Praxis an, die als „Dimming“ bezeichnet wird. Bei der Darstellung des Profils von Hotelpartnern auf dem Expedia-Portal wurden Bildmaterial des Hotels oder andere Informationen, wie etwa Gästebewertungen, nicht mehr angezeigt, wenn das betreffende Hotel seine Zimmer auf anderen Vertriebskanälen zu besseren Konditionen vermarktete. Zudem rückte Expedia diese Hotels in der Auflistung der Anbieter auf ihrer Webseite hinter andere Beherbergungsbetriebe zurück. Im September 2016 gab Expedia das „Dimming“ wieder auf, weil Nutzer der Webseite

22 OLG Düsseldorf v. 9.1.2015 – VI-Kart. 1/14 (V), BB 2015, 593. 23 OLG Düsseldorf v. 4.5.2016 – VI-Kart 1/16 (V), EuZW 2016, 680.

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diese Praxis als Fehlfunktion des Portals gedeutet hatten. Die Zurückstufung im Rating der auf dem Portal angebotenen Hotels blieb aber aufrecht. Dagegen wandte sich IHA mit einer auf § 33 Abs. 1 GWB gestützten Klage vor dem Landgericht Köln. IHA beantragte, das Gericht möge Expedia zur Unterlassung der Verwendung der beanstandeten Vertragsklauseln verpflichten und dem Buchungsportal überdies auftragen, davon abzusehen, die Art und Weise der Darstellung eines Hotels auf der Plattform faktisch von der Einhaltung solcher Klauseln abhängig zu machen. In seiner Entscheidung bestätigte das Landgericht Köln die Aktivlegitimation der IHA nach § 33 Abs. 4 Nr. 1 GWB.24 Trotz des einseitigen Verzichts von Expedia auf die beanstandeten Vertragsklauseln und auf die Dimming-Praktiken ging das Landgericht Köln überdies davon aus, dass weiterhin Wiederholungsgefahr im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 GWB bestand, weil die Beklagte kein strafbewährtes Unterlassungsversprechen abgegeben hatte. Damit war der Weg zu einer meritorischen Entscheidung eröffnet. In der Sache stellte das Landgericht Köln (weitestgehend gestützt auf die Vorerhebungen des BKartA) fest, dass Expedia keinen Marktanteil von 30 % oder mehr erreicht und dass die Hotels auf die Nutzung dieser Plattform nicht angewiesen sind. Gestützt auf diese Feststellungen wurde die Klage von IHA mit der tragenden Begründung abgewiesen, dass die Expedia-Bestpreisklausel gemäß Art. 2 Abs.  1 VertikalGVO25 von der Anwendung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Absprachen freigestellt ist. Einen Antrag auf Aufhebung des Rechtsvorteils aus der VertikalGVO nach Art. 29 Abs.  2 VO 1/2003 hatte IHA nicht gestellt; das Landgericht Köln wäre dafür wohl auch unzuständig gewesen. Mit Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4.12.2017 wurde das erstinstanzliche Urteil bestätigt. IHA hat angekündigt, dagegen Rechtsmittel vor dem BGH zu erheben.

III. Der „Expedia“-Fall in Österreich 1. Untersuchungen der Bundeswettbewerbsbehörde Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat 2012, etwa gleichzeitig mit dem BKartA, begonnen, sich intensiv mit Hotelbuchungsplattformen zu befassen, in enger Abstimmung mit anderen europäischen Wettbewerbsbehörden.26 Im Sommer 2015 traten booking.com und Expedia mit Vorschlägen für Verpflichtungszusagen an die BWB heran, die im Wesentlichen dem entsprachen, was auch in 24 LG Köln v. 16.2.2017 – 88 O (Kart) 17/16. 25 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro­päischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 2010 L 102 S. 1. 26 Vgl. BWB Tätigkeitsbericht 2015, S. 40 f., https://www.bwb.gv.at/fileadmin/user_upload/ Taetigkeiten/T%C3%A4tigkeitsbericht%20der%20BWB%202015.pdf.

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Deutschland vorgeschlagen und von Expedia in Form von einseitigen Verzichtserklärungen auf vertragliche Rechte umgesetzt wurde.27 Nach Durchführung eines Markttests betrachtete die BWB die vorgeschlagenen Maßnahmen der Buchungsplattformen als ausreichend und verzichtete auf die Einleitung eines Verfahrens vor dem Kartellgericht. Die Interessenvertretungen der Hotellerie (Fachverband Hotellerie der Wirtschaftskammer Österreich und Österreichische Hoteliervereinigung) nahmen von eigenen verfahrensrechtlichen Schritten Abstand, nachdem der Gesetzgeber mit einer Novelle zum UWG28 Bestpreisklauseln dieser Art explizit untersagt hat.29 Zu einer Auseinandersetzung vor den ordentlichen Gerichten, einschließlich des Kartellgerichts, ist es somit im hier behandelten Anschauungsfall tatsächlich nicht gekommen. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Rechtsbehelfe – parallel zur Klage der IHA vor dem Landgericht Köln – die österreichischen Hoteliersvereinigungen hätten ergreifen können, um das Anliegen ihrer Mitglieder unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten zu verfolgen. 2. Geltendmachung nach den Bestimmungen des UWG § 1 Abs. 1 Z 1 öUWG30 i.d.F. der UWG-Novelle 2007,31 mit der die europäische Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken32 umgesetzt wurde, gewährt Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz gegen Wirtschaftstreibende, die „im geschäftlichen Verkehr eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwenden, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen.“ Bei der Anwendung dieser Bestimmung geht der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) seit der Entscheidung Stadtrundfahrten33 davon aus, dass eine unlautere Geschäftspraktik auch darin bestehen kann, dass sich ein Wirtschafts­ treibender einen Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch verschafft. Der einschlägige Leitsatz des OGH lautet: „Ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im 27 Die behaupteten „Dimming“-Praktiken von Expedia waren nicht Gegenstand der BWB-Ermittlungen. 28 BGBl. I Nr. 99/2016. Mit dieser Novelle wurde verfügt, dass es als aggressive Geschäftspraktik im Sinne des UWG gilt, wenn der Betreiber einer Buchungsplattform gegenüber einem Beherbergungsunternehmen verlangt, dass dieses auf anderen Vertriebswegen inklusive seiner eigenen Webseite keinen günstigeren Preis oder keine anderen günstigeren Bedingungen als auf der Buchungsplattform anbieten darf. Im gleichen Sinn wurde das Preisauszeichnungsgesetz novelliert. 29 Mit Erkenntnis v. 29.9.2017 – G 44-45/2017 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass das Verbotsgesetz nicht gegen die Grundrechte, insbesondere das gegen Recht auf Eigentum und Privatautonomie, verstößt. Eine Prüfung der Frage, ob das Gesetz mit Europarecht im Einklang ist, steht noch aus. 30 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 – UWG, BGBl. Nr. 448/1984. 31 BGBl. I Nr. 79/2007. 32 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern, ABl. 2005 L 149 S. 22. 33 OGH v. 11.3.2008 – 4 Ob 225/07b, ÖBl 2008, 237 (Mildner).

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engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm ist als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung im Sinne von § 1 Abs. 1 Z 1 öUWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen.“ Den Vertretbarkeitsstandard leitet der OGH aus dem Gedanken ab, dass nur eine Verletzung von beruflichen Sorgfaltspflichten den Marktteilnehmern als unlauter vorgeworfen werden könne. Daran fehle es, wenn die Handlungen eines Unternehmers einer vertretbaren Auslegung der dafür maßgebenden Gesetze entsprechen. In der Entscheidung Anwaltssoftware34 hat der OGH ausgesprochen, dass die gleichen Maßstäbe auch für Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften gelten. Die Sonderbestimmungen über Individualanträge vor dem Kartellgericht stehen dem nicht entgegen, weil es dort wesensmäßig um die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses im Wettbewerbsrecht geht, was bei UWG-Verfahren nicht der Fall ist. Diese Prinzipien hat der OGH in einer Reihe von Judikaten bestätigt, in denen es zumeist um die Verfolgung von missbräuchlichen Verhaltensweisen im Sinne von §  5 KartG, Art. 102 AEUV im Wege von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen ging. In Österreich können somit  – anders als in Deutschland  – offenkundige Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen vor den Handelsgerichten nach den Regelungen des UWG verfolgt werden. Das eröffnet den Klägern das gesamte übliche Instrumentarium des UWG. Dazu zählt etwa die Verbandsklagebefugnis nach § 14 Abs. 1 UWG. Nach dieser Bestimmung kann ein Anspruch auf Unterlassung nicht nur von Mitbewerbern des Beklagten geltend gemacht werden, sondern auch von Vereinigungen zur Förderung wirtschaftlicher Interessen von Unternehmern, soweit diese Vereinigungen Interessen vertreten, die durch die Handlung berührt werden. In manchen Fällen – zu denen allerdings § 1 Abs. 1 Z 1 UWG nicht zählt – kann der Unterlassungsanspruch auch vom Verein für Konsumenteninformation (der führenden Verbraucherschutzorganisation in Österreich) geltend gemacht werden. Zum UWG gibt es eine eingehende Spruchpraxis zur Begehungs- und zur Wiederholungsgefahr, die im Wesentlichen den Gepflogenheiten in Deutschland entspricht.35 Zudem gibt es gut etablierte und ausjudizierte verfahrensrechtliche Sondervorschriften, etwa zur Verjährung oder zum Erlass einstweiliger Verfügungen. Im hier behandelten Anlassfall hätten die Hoteliervereinigungen wohl keine Probleme, ihre Aktivlegitimation nach §  14 UWG zu bescheinigen. Auch die Wiederholungsgefahr wäre gegeben, weil Expedia keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung angeboten hat.

34 OGH v. 14.7.2009 – 4 Ob 60/09s, ÖZK 2010, 98 (Hummer/Meingast). 35 Vgl. Wiltschek/Horak, UWG, 8. Aufl. 2016, § 14 UWG E. 68 ff.

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Voraussichtlich gescheitert wäre ein UWG-Prozess in Österreich aber am Vertretbarkeitsstandard. Der Plattformbetreiber konnte angesichts der eingehenden Unter­ suchungen des BKartA und der Veranlassungen der BWB ohne Verletzung seiner beruflichen Sorgfaltspflicht davon ausgehen, dass die von ihm verwendeten Bestpreisklauseln gemäß Art. 2 Abs. 1 VO 1/2003 von der Anwendung des europäischen wie auch des nationalen Kartellverbots freigestellt sind. Ein Parallelverfahren der IHA (oder ihrer inländischen Pendants) zum Prozess vor dem Landgericht Köln in Österreich hätte deswegen vorhersehbar ebenfalls mit einer Klagsabweisung geendet, allerdings mit einer deutlich knapperen Begründung. Nach österreichischem Rechtsempfinden geht es bei einer Auseinandersetzung dieser Art um Wertungsfragen bei der Anwendung von kartellrechtlichen Bestimmungen, zu deren Lösung ein lauterkeitsrechtlich geprägtes Verfahren nicht bestimmt und nicht gut geeignet ist. 3. Geltendmachung als Schadenersatzanspruch – Naturalrestitution Nach österreichischem Recht ist Schadenersatz in erster Linie als Naturalrestitution zu leisten. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Nur dann, wenn dies „untunlich“ ist, ist der Ausgleich in Geld zu leisten.36 Bei einem andauernden Rechtsverstoß, der dem Opfer einen fortdauernden Schaden zufügt, kommt der Anspruch auf Zurückversetzung in den vorigen Stand praktisch einem Unterlassungsanspruch gleich. Bei einem bereits beendeten Rechtsverstoß, der noch Folgewirkungen zeigt, entspricht die Naturalrestitution weitgehend einem Anspruch auf Beseitigung. Materiell begreift daher ein Schadenersatzanspruch in der Regel Unterlassungs- und/oder Beseitigungsansprüche in sich. Das gilt auch dann, wenn der Grund für die Verpflichtung, Schadenersatz zu leisten, in einer vorwerfbaren Rechtsverletzung liegt. In diesem Fall hat der Kläger zudem den Vorteil, nur das objektive Vorliegen eines Gesetzesverstoßes und seine persönliche Betroffenheit nachweisen zu müssen. Das Verschulden des Klägers an der Rechtsverletzung wird (widerleglich) vermutet.37 Im vorliegenden Anschauungsfall könnten die Hoteliers, die einen Partnervertrag mit Expedia abgeschlossen haben, argumentieren, dass ihnen durch die beanstandete Bestpreisklausel ein laufender Schaden zugefügt wird bzw. bereits zugefügt wurde. Die Tourismusbetriebe könnten dagegen vor den ordentlichen Zivilgerichten mit einem Schadenersatzanspruch auf Zurückversetzung in den vorigen Stand, das heißt praktisch auf Unterlassung und Beseitigung, vorgehen. Der „Charme“ dieses Wegs liegt darin, dass mit dem KaWeRÄG 2017 der österreichische Gesetzgeber pflichtgemäß die Anforderungen der europäischen Richtlinie über Schadenersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Be-

36 § 1323 ABGB (Österreichisches Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie, JGS. Nr. 946/1811). 37 § 1298 ABGB.

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stimmungen38 in das nationale Recht umgesetzt hat. In den §§ 37a ff. KartG finden sich seither eingehende Sonderbestimmungen für Schadenersatzansprüche aufgrund von Wettbewerbsrechtsverletzungen, die nicht nur für Forderungen in Geld gelten. Auch in einem Verfahren, in dem es um die Zurückversetzung in den vorigen Stand geht, könnte der Kläger z.B. eine Offenlegung von Beweismitteln39 fordern. Im hier behandelten Anschauungsbeispiel könnten die Hoteliers etwa auf die Idee kommen, vom Plattformbetreiber die Offenlegung interner Unterlagen zu verlangen, aus denen hervorgeht, nach welchen Regeln die Hotels auf der Plattform gereiht werden. Das wäre für die Frage relevant, ob es faktische Mechanismen zur Durchsetzung der Bestpreisklauseln gibt. Der Nachteil dieses Wegs ist die fehlende Verbandsklagebefugnis. Ein Schadenersatz­ anspruch kann grundsätzlich nur vom Geschädigten selbst geltend gemacht werden. Die Praxis behilft sich in Österreich damit, dass mehrere in gleicher Weise Geschädigte ihre Ansprüche an einen Dritten (wie z.B. einen Interessenverband mit eigener Rechtspersönlichkeit) abtreten. Ob ein reiner Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch zediert werden kann, ist allerdings fraglich, weil nach § 1393 ABGB nur veräußerliche Rechte Gegenstand einer Abtretung sein können. Das bloße Recht, einen Prozess zu führen (sogenannte „gewillkürte Prozessstandschaft“) fällt nicht darunter. Vor diesem Hintergrund würde sich der Weg eines Schadenersatzverfahrens im Anschauungsfall Buchungsplattformen wohl nur in der Form anbieten, dass die Hoteliervereinigung eine Musterklage von einem oder mehreren Tourismusbetrieben finanziell unterstützt. Das würde zwar die negativen Kostenfolgen abfedern, falls die Klage scheitert. Den Musterklägern verbliebe freilich das Risiko, dass der Plattformbetreiber die vermeintliche andauernde Schädigung dadurch beseitigt, indem er deren Partnerverträge kündigt. 4. Geltendmachung in einem Verfahren vor dem Kartellgericht a) Antragslegitimation Nach § 36 Abs. 4 Z 4 KartG kann jeder Unternehmer und jede Unternehmervereinigung, der oder die ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat, die Abstellung einer Zuwiderhandlung gegen nationales oder europäisches Kartellrecht beim Kartellgericht beantragen (sogenannter Individualantrag). Ein rechtliches Interesse an der Entscheidung des Kartellgerichts liegt vor, wenn das dem Antrag zugrundeliegende Verhalten eine unmittelbare rechtliche Wirkung auf die Rechtsposition des Antragstellers oder, im Fall einer Unternehmensvereinigung, auf die Rechtsposition seiner Mitglieder hat. Ein hinreichendes wirtschaftliches Inte38 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014 L 349 S. 1. 39 Vgl. Kapitel II der Richtlinie und § 37j KartG.

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resse ist gegeben, wenn das fragliche Verhalten geeignet ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers oder seiner Mitglieder unmittelbar zu berühren.40 Verglichen mit der Verbandsklagebefugnis nach § 33 Abs. 4 GWB ist das österreichische Recht wohl großzügiger; an die Aktivlegitimation werden keine besonders hohen Anforderungen gestellt. Weder finden sich im österreichischen Recht jene Limitierungen, die § 33 Abs. 4 Nr. 1 lit. a und lit. b GWB vorsehen, noch bedarf es nach österreichischem Recht einer eingehenden Diskussion darüber, ob die Verbandsmitglieder im konkreten Fall im Sinne von § 33 Abs. 3 GWB durch den Verstoß betroffen sind. Die maßgeblichste Einschränkung ergibt sich daraus, dass § 36 Abs. 1 Z 4 KartG ausschließlich auf B2B-Konstellationen abstellt. Eine Antragsbefugnis von Verbraucherschutzverbänden, die materiell die Interessen von Konsumenten im Wettbewerbsrecht wahrnehmen möchten, fehlt. Bis zu einem gewissen Grad wird dieses Manko durch die Antragsbefugnis der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte kompensiert,41 weil sich die Kammer (entgegen ihrer Bezeichnung) mehr als Konsumentenschutzorganisation denn als Arbeitnehmerverband definiert. Die weitgefasste Antragsbefugnis darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verfahren vor dem Kartellgericht – selbst wenn sie auf einem Individualantrag beruhen – ausschließlich im öffentlichen Interesse geführt werden. Dadurch unterscheidet sich dieser Rechtsschutzweg grundlegend von einem Verfahren nach den Bestimmungen des UWG oder des ABGB. Ihrem Wesen nach ist die Individualantragslegitimation vor dem Kartellgericht ein qualifiziertes Beschwerderecht der betroffenen Unternehmen mit Entscheidungsanspruch. Die öffentlich-rechtliche Natur der Verfahren vor dem Kartellgericht äußert sich da­ ran, dass die beiden Wettbewerbsbehörden (BWB und BKAnw) als Amtsparteien an sämtlichen Verfahren beteiligt sind. Mit einem Individualantrag lösen die betroffenen Unternehmer bzw. Unternehmervereinigungen somit einen Mehrparteienprozess aus, der das beanstandete Verhalten unter die Beobachtung der Wettbewerbsbehörden stellt. Das hat beispielsweise zur Folge, dass Vergleiche in einem Verfahren vor dem Kartellgericht nicht nur das Einvernehmen von Antragsteller und Antragsgegner erfordern, sondern auch die Zustimmung von BWB und BKAnw. Noch deutlicher zeigt sich die spezielle Natur des kartellgerichtlichen Verfahrens, wenn der Antragsteller (etwa aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs mit dem Antragsgegner) seinen Antrag zurücknehmen möchte. Gemäß § 36 Abs. 5 KartG ist das zwar (bis zur Entscheidung des Kartellgerichts) möglich. Allerdings können die Amtsparteien (BWB und BKAnw) binnen 14 Tagen nach Verständigung von der Rücknahme die Fortsetzung des Verfahrens beantragen und dadurch das öffentliche Interesse weiter verfolgen. Von diesem Recht machen die Amtsparteien nicht selten 40 OGH als KOG v. 27.2.2006 – 16 Ok 1/06. In der Lehre wird vertreten, dass ein Verband das Kartellgericht nur befassen kann, wenn überindividuelle Interessen seiner Mitglieder auf dem Spiel stehen und nicht nur Partikularinteressen eines bzw. einiger weniger Mitglieder. 41 Vgl. § 36 Abs. 4 Z 4 KartG.

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Gebrauch, wobei die Fortsetzung eines Rechtsstreits als amtswegiges Verfahren gerne mit einem ergänzenden Antrag auf Verhängung von Geldbußen verknüpft wird. Im Anlassfall Expedia hätte IHA somit in Österreich ebenso wenig Probleme wie im deutschen Verfahren gehabt, als Antragsteller zugelassen zu werden. Allerdings hätte die Hoteliersvereinigung damit einen Prozess ausgelöst, der nicht mehr allein in ihrer Disposition steht. b) Begehungs- oder Wiederholungsgefahr Gegenstand eines kartellgerichtlichen Abstellungsauftrags kann nach ständiger Rechtsprechung nur ein im Entscheidungszeitpunkt noch andauerndes verbotswidriges Verhalten sein.42 Der Antragsgegner kann eine gegen ihn gerichtete Verfügung vermeiden, indem er während des Verfahrens sein Verhalten beendet. Ein strafbewehrtes Unterlassungsversprechen muss er dafür nicht abgeben.43 Auch das ist ein Ausfluss aus der öffentlich-rechtlichen Natur von kartellgerichtlichen Streitigkeiten. Das Kartellgericht versteht sich als Institution, deren Aufgabe die Fürsorge für den Wettbewerb als Institution ist, nicht aber die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Privaten. Mit diesem Grundverständnis wäre es unvereinbar, das Kartellgericht mit Themen zu belasten, die für den Markt und sein Funktionieren nicht mehr relevant sind. Vorbeugende Untersagungsverfügungen, wie sie für UWG-Prozesse (auch in Österreich) typisch sind, sind dem kartellgerichtlichen Verfahren wesensfremd. Überträgt man diese Gedanken (hypothetisch) auf den Anlassfall, zeigt sich Folgendes: Im Sommer 2015 hat Expedia in Österreich, ebenso wie in zahlreichen anderen EU-Mitgliedstaaten, den Wettbewerbsbehörden Verpflichtungszusagen zur Einschränkung der vertraglichen Bestpreisklauseln angeboten und ihr Verhalten gegenüber den Hotelpartnern entsprechend angepasst. Aufgrund dieser Vorgehensweise hätte Expedia gute Chancen gehabt, eine gegen sie gerichtete Abstellverfügung des Kartellgerichts abzuwehren. Im Einzelnen ist die Abgrenzung zwischen einem bereits beendeten und einem noch andauernden Verhalten allerdings schwierig. Insbesondere ist nach der Rechtsprechung44 eine Zuwiderhandlung gegen das KartG nicht schon dann beendet, wenn der Antragsgegner das beanstandete Verhalten eingestellt hat. Er muss zudem Sorge dafür tragen, dass die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf die Marktgegebenheiten dauerhaft beseitigt sind. Ein Surrogat für die fehlende Befugnis des Kartellgerichts zum Erlass von vorbeugenden Abstellmaßnahmen findet sich in § 28 Abs. 1 KartG. Nach dieser Bestimmung hat das Kartellgericht die Zuwiderhandlung festzustellen, sofern der fragliche Verstoß bereits beendet wurde und soweit der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der 42 Vartian/Schumacher in Petsche/Urlesberger/Vartian (Hrsg.), Kartellgesetz – KartG, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2016, § 26 KartG Rz. 20 m.w.N. 43 In der Lehre wird allerdings vertreten, dass das Kartellgericht sehr wohl eine Abstellungsverfügung erlassen könne, wenn das fragliche Verhalten lediglich angesichts des Gerichtsverfahrens eingestellt wurde und danach jederzeit wieder aufgenommen werden kann. 44 OGH als KOG 19.1.2009 – 16 Ok 13/08, OZK 2009, 156 (Fischer).

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Feststellung nachweisen kann. Mit dieser Bestimmung soll gewährleistet werden, dass das Kartellgericht zur Klärung strittiger Rechtsfragen, denen auch für die Zukunft Bedeutung im öffentlichen Interesse zukommen könnte, berufen ist. Nach §  28 Abs. 1a Z 2 KartG kann ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne der Bestimmung insbesondere darin liegen, dass der Antragsteller wegen der Zuwiderhandlung Schadenersatz fordern möchte.45 Diese Regelung gibt betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, einen zivilgerichtlichen Schadenersatzanspruch vorzubereiten, indem zunächst das spezialisierte Kartellgericht um eine Vorfrageentscheidung zum Bestehen einer Zuwiderhandlung angerufen wird.46 Im hier behandelten Anschauungsbeispiel würde der Plattformbetreiber auf einen Individualantrag der Hoteliersvereinigung wohl damit reagieren, dass er angesichts seiner Verpflichtungszusagen den Fortbestand einer Zuwiderhandlung bestreitet. Die Hoteliersvereinigung könnte dies wiederum zum Anlass nehmen, um hilfsweise zum Abstellungsantrag eine Feststellung über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung in der Vergangenheit zu beantragen. Eine Klärung der wesentlichen Rechtsfragen durch das Kartellgericht wäre somit jedenfalls zu erwarten. c) Art der Entscheidung Nach § 26 KartG ist das Kartellgericht berechtigt und verpflichtet, die fragliche Zuwiderhandlung „wirksam abzustellen“, und darf dazu den beteiligten Unternehmen alle erforderlichen und verhältnismäßigen Aufträge erteilen. Abstellungsaufträge des Gerichts können nicht nur in einer Unterlassungsanordnung bestehen. Sie können auch auf Beseitigung durch aktives Tun, ja sogar auf strukturelle Maßnahmen gerichtet sein. Die Kognitionsbefugnis des Kartellgerichts geht damit über die Befugnisse eines deutschen Zivilgerichts nach § 33 Abs. 1 GWB hinaus. Die erhebliche „Machtfülle“ des Kartellgerichts wird durch strenge Konkretisierungsanforderungen begrenzt. Nur ein Verhalten, das der Zuwiderhandelnde auf dem betroffenen Markt bereits an den Tag gelegt hat, darf abgestellt werden.47 Eine vorausschauende Marktregulierung ist dem Kartellgericht demnach verwehrt. Sofern es im konkreten Einzelfall erforderlich ist, ist das Kartellgericht auch zum Entzug des Rechtsvorteils einer EU-Gruppenfreistellungsverordnung nach Art. 29 Abs. 2 VO 1/2003 berechtigt. Das ergibt sich daraus, dass das Kartellgericht nach § 83 Abs. 1 KartG ganz generell die für Entscheidungen im Einzelfall nach der VO 1/2003 zuständige Institution ist. Gemäß Art. 83 Abs. 2 KartG hat das Gericht in dieser Funktion – auch dann, wenn es ausschließlich um europäisches Recht geht – die Verfahrensvorschriften des KartG anzuwenden. Dazu zählt auch die Individualantragsbefugnis 45 In der Lehre wird vertreten, dass ein rechtliches Interesse an der Feststellung auch dann gegeben sein könnte, wenn eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht; vgl. Vartian/Schumacher in Petsche/Urlesberger/Vartian (Hrsg.), Kartellgesetz  – KartG, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2016, § 28 KartG Rz. 24 m.w.N. 46 Das Kartellgericht selbst ist nicht befugt, Schadenersatz zuzusprechen. 47 Vgl. OGH als KOG v. 19.1.2009 – 16 Ok 13/08, OZK 2009, 156 (Fischer).

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nach § 36 Abs. 4 Z 4 KartG. Anders als in Verfahren nach § 33 Abs. 1 GWB und anders als in ABGB- und UWG-Verfahren besteht somit im Ergebnis bei nationalen Sachverhalten keine Bindung des Kartellgerichts an die generell-abstrakten Freistellungsverordnungen der Europäischen Kommission. Im hier diskutierten Anlassfall könnte der antragstellende Hoteliersverband somit (hilfsweise, um den Einwand der Freistellung nach der VertikalGVO zu begegnen) die Aufhebung des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung beantragen. Das Kartellgericht wäre verpflichtet, über diesen Antrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls abzusprechen. In diesem Punkt geht das österreichische Recht über § 33 Abs. 1 GWB zweifellos hinaus. Klar ist, dass das Kartellgericht dabei nur innerhalb der Grenzen des Art. 29 Abs. 2 VO 1/2003 agieren kann. Im Anlassfall käme es daher voraussichtlich zu heftigen Diskussionen, ob die Tätigkeit von Hotelbuchungsplattformen auf einem Markt erfolgt, der alle Merkmale eines gesonderten räumlichen (sprich: nationalen) Marktes aufweist. Für reichlich Diskussionsstoff wäre damit gesorgt. d) Verfahrensrechtliche Aspekte In Verfahren vor ordentlichen Zivilgerichten, in denen Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche gestützt auf ABGB oder UWG geltend gemacht werden, gelten die Bestimmungen der allgemeinen Zivilprozessordnung für streitige Verfahren (ZPO),48 mit einigen wenigen Sonderregeln für UWG-Prozesse. Diesbezüglich steht der private Vollzug des Wettbewerbsrechts vor den gleichen Themen wie in Deutschland, nämlich gewissen Limitierungen aufgrund des Beibringungsgrundsatzes. In Verfahren vor dem Kartellgericht gelten demgegenüber einige Besonderheiten, die das private enforcement spürbar erleichtern. Ausgangspunkt dafür ist, dass das Kartellgericht nach § 38 KartG nicht die ZPO anzuwenden hat, sondern im Verfahren außer Streitsachen (das heißt nach den Bestimmungen des Außerstreitgesetzes) entscheidet. Das AußStrG49 ist das österreichische Pendant zum deutschen Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.50 Diese verfahrensrechtliche Zuordnung ist konsequent, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Kartellgericht im Wesentlichen eine öffentliche Fürsorgefunktion wahrnimmt. Warum soll beispielsweise in einer Pflegschaftssache, in der es um die Fürsorge für Kinder und Jugendliche geht, eine grundlegend andere Verfahrensordnung zur Anwendung kommen als in Prozessen, die eine gerichtliche Obsorge für Märkte und deren Funktionieren zum Gegenstand haben?

48 Gesetz vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. Nr. 113/1895. 49 Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl. I Nr. 111/2003. 50 FamFG, BGBl. I 2008, 2586, 2587.

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Die wesentlichste Konsequenz dieser verfahrensrechtlichen Weichenstellung ist die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes51 in Verfahren vor dem Kartellgericht. Das Gericht hat von Amtswegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt und sämtliche Hinweise auf solche Tatsachen entsprechend berücksichtigt werden. Eine Bindung an die Beweisanträge der Parteien besteht nicht. Das bedeutet nicht, dass es für die Parteien eines kartellgerichtlichen Verfahrens keine Behauptungs- und objektive Beweislast gäbe. Zum einen enthebt der Untersuchungsgrundsatz nach ständiger Rechtsprechung den Antragsteller nicht von der Verpflichtung, das Vorhandensein der gesetzlichen Voraussetzungen für seinen Antrag wenigstens qualifiziert zu behaupten.52 Die Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts endet dort, wo es überhaupt kein einschlägiges Vorbringen der Parteien gibt. Zum anderen gelten auch vor dem Kartellgericht die Bestimmungen über die objektive Beweislast. Wenn sich eine bestimmte Tatsache trotz der gerichtlichen Erhebungen nicht feststellen lässt, treffen die nachteiligen Konsequenzen jene Partei, die dafür beweispflichtig ist. Diese Regeln sind in der forensischen Praxis des Kartellgerichts deutlich merkbar. Nehmen wir an, im hier behandelten Illustrationsfall hätten weder der Hoteliersverband noch der Plattformbetreiber ein Interesse daran (etwa wegen der damit verbundenen Kosten), dass ein eingehendes wettbewerbsökonomisches Gutachten eingeholt wird. Trotz des fehlenden Beweisantrags würde das Kartellgericht keine Sekunde zögern, ein solches Gutachten von sich aus in Auftrag zu geben, wenn ihm dies für die Entscheidungsfindung wichtig erscheint. Zwar lässt sich die Vorgehensweise des Kartellgerichts bei Beweisaufnahmen nicht mit der einer Wettbewerbsbehörde vergleichen, die im Rahmen ihrer Ermittlungshandlungen auf behördliche Zwangsbefugnisse zurückgreifen kann; Hausdurchsuchungen durch das Kartellgericht gibt es nicht. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass das besondere Gepräge eines Außerstreitverfahrens die subjektive Beweislast erheblich mildert. Das wirkt sich für das private enforcement förderlich aus. An einem Beweisnotstand des Antragstellers scheitern Verfahren vor dem Kartellgericht höchst selten. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der erleichterte Zugang zu einstweiligen Verfügungen (EV). Nach § 48 Abs. 1 KartG hat das Kartellgericht auf Antrag einer Partei die erforderlichen Abstellaufträge mit EV zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für die Abstellung einer Zuwiderhandlung bescheinigt wurden. Der Antragsteller muss nicht nachweisen, dass der einstweilige Rechtsschutz dringlich ist. Der Vorteil dieser Regelung ist, dass Provisorialverfahren nicht durch ausgiebige Diskussionen über die Zulässigkeit des Antrags dominiert werden, sondern sogleich in medias res gehen. Andererseits ist dem Kartellgericht die fehlende Dringlichkeit bewusst. Das führt in der Praxis dazu, dass Provisorialentscheidungen des Kartellgerichts nicht selten erst nach einer Verfahrensdauer von 4-12 Monaten ergehen, in denen zahlreiche Verhandlungen stattfinden. EV-Verfahren sind daher vor allem dazu geeignet, vergleichsweise rasch eine erstinstanzliche Entscheidung über strittige Rechtsfragen herbeizu51 § 16 AußStrG. 52 Vgl. Hainz-Sator in Petsche/Urlesberger/Vartian (Hrsg.), Kartellgesetz – KartG, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2016, § 38 KartG Rz. 8 m.w.N.

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führen, die (sofern einem Rechtsmittel gegen die EV keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, was höchst selten geschieht) sofort vollstreckbar ist. Dazu kommt, dass die Rechtsprechung § 394 der Exekutionsordnung (EO)53 auf das kartellgerichtliche Verfahren nicht anwendet. § 394 EO statuiert einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch für den Fall, dass eine EV erlassen wurde, sich der behauptete Anspruch der gefährdeten Partei im anschließenden Hauptverfahren aber nicht als berechtigt erweist. Der OGH54 begründet die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in Kartellsachen damit, dass die Erreichung der Zielsetzungen des KartG im öffentlichen Interesse gelegen ist. Deren Wahrnehmung würde empfindlich be­ einträchtigt, stünden die Amtsparteien (also BWB und BKAnw) unter der strengen Haftung des § 394 EO. Ihre Verpflichtung, für eine nachträglich unberechtigte Provisorialmaßnahme einzustehen, bestimme sich ausschließlich nach den Regeln der Amtshaftung. Da aber auch Individualantragsteller das öffentliche Interesse befördern, seien (unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes) hier die gleichen Grundsätze anzuwenden. Praktisch bedeutet das, dass Anträge auf Erlass von einstweiligen Verfügungen im Verfahren vor dem Kartellgericht weitgehend risikofrei gestellt werden können. Auch unter Kostengesichtspunkten fördert das KartG das private enforcement. Nach § 41 KartG kommt es in Verfahren vor dem Kartellgericht nur dann zu einem wechselseitigen Kostenersatz der Verfahrensparteien, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig war. Nach der Judikatur setzt Mutwilligkeit ein geradezu rechtsmissbräuchliches Verhalten des Antragstellers oder Antragsgegners voraus. In aller Regel müssen daher die Verfahrensparteien (unabhängig vom Prozessausgang) ihre eigenen Anwaltskosten selbst tragen. Insbesondere in einer Situation des „David gegen Goliath“ erleichtert dies die Prozessführung. Konterkariert werden diese Regelungen allerdings durch die relativ hohen Gerichtsgebühren, zu denen die erfahrungsgemäß noch höheren Kosten der gerichtlichen Sachverständigen kommen. Die Verpflichtung zur Tragung dieser Kosten folgt dem Verfahrensausgang. Kontrovers diskutiert wird schließlich ein weiteres besonderes Merkmal des kartellgerichtlichen Verfahrens in Österreich, nämlich das Fehlen einer zweiten Tatsacheninstanz. Beim Kartellgericht handelt es sich um besondere Senate des Oberlandesgerichts Wien, das heißt eines Rechtsmittelgerichts, welches hier ausnahmsweise in erster Instanz entscheidet. Der Instanzenzug vom Oberlandesgericht Wien führt auch in Kartellsachen direkt zum OGH. Es gibt also einen nur zweistufigen Instanzenzug. Dabei betrachtet sich der OGH auch in Kartellsachen als reine Rechtsinstanz, die zur Überprüfung von Tatfragen nicht berufen ist. Mit der jüngsten Novelle zum KartG (dem KaWeRÄG 2017) wurde den Verfahrensparteien zwar zumindest die Möglichkeit eingeräumt, offenkundige Fehler in der Beweisaufnahme durch das Kartellgericht zu rügen.55 Dennoch wird es wohl auch in Zukunft so sein, dass Feststel53 Gesetz vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), BGBl. Nr. 79/1896. 54 In OGH als KOG v. 15.12.2003 – 16 Ok 9/03, ÖBl 2004, 178 (Barbist/Marth). 55 Vgl. § 49 Abs. 3 KartG i.d.F. KaWeRÄG 2017.

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lungen, die das Kartellgericht trifft, im Instanzenzug nur in den seltensten Fällen revidiert werden. Aus anwaltlicher Sicht ähnelt dies der marginal review, die das Gericht der Europäischen Union in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen der Europäischen Kommission in Wettbewerbssachen vornimmt. Der Vorteil des bloß zweistufigen Instanzenzugs ohne umfassende Tatsachenrüge ist der Zeitgewinn: In Österreich ist es ohne Weiteres möglich, innerhalb von (nur) 18-24 Monaten ein höchstgerichtliches Urteil in Kartellrechtsstreitigkeiten zu erlangen.

IV. Resümee Das private enforcement in Kartellrechtsangelegenheiten ist in Österreich  – ebenso wie in Deutschland  – außerhalb der viel diskutierten Schadenersatzprozesse schon lange außerordentlich wichtig und lebendig. Ohne Privatinitiativen vor Gerichten, außerhalb des öffentlich-rechtlichen Vollzugs durch die Wettbewerbsbehörden, wäre die Durchsetzung des Kartellrechts „in der Fläche“ nicht gewährleistet. Dabei bietet das österreichische Recht potentiellen Klägern/Antragstellern mehrere alternative Durchsetzungswege. Das beginnt bei einer Prozessführung im Stil einer UWG-Auseinandersetzung, die hierzulande allerdings (wegen des Vertretbarkeitsstandards) auf Fälle beschränkt ist, in denen die Zuwiderhandlung recht eindeutig vorliegt und vergleichsweise leicht zu beweisen ist. Abzuwarten bleibt, inwieweit die von einer Zuwiderhandlung Betroffenen zukünftig versuchen werden, sich die neuen Regeln über den Ersatz des Schadens aus Wettbewerbsrechtsverletzungen auch bei Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen nutzbar zu machen (etwa die Sonderregeln über die Offenlegung von Beweismitteln). Dogmatisch erschiene das durchaus vorstellbar, weil nach österreichischer Auffassung Schadenersatz vorrangig im Wege der Naturalrestitution zu leisten ist und zwischen Naturalrestitution und Beseitigung wenig Unterschied besteht. Ein originär österreichisches Instrument ist die Möglichkeit, sich mit einem Individualantrag an das spezialisierte Kartellgericht zu wenden. Der österreichische Gesetzgeber macht sich zunutze, dass die öffentlich-rechtliche Durchsetzung des Kartellrechts hierzulande noch sehr jung ist (die Wettbewerbsbehörden wurden erst 2002 eingerichtet), gerichtliche Vollzugsmöglichkeiten aber bereits seit 1958 existieren. Kartellgerichtliche Verfahren sind ein „Austriacum“, das in der Praxis gut funktioniert. Die Vorteile gegenüber dem deutschen Modell liegen, soweit ersichtlich, in der besseren Verzahnung des private enforcement mit der Tätigkeit der Wettbewerbsbehörden und der stärkeren Einbeziehung öffentlicher Interessen auch bei Streitigkeiten zwischen Privaten, sowie in der großen verfahrensrechtlichen Flexibilität. Letzteres macht Individualanträge gerade in Zweifelsfällen, in denen der Betroffene Schwierigkeiten hat, seine Beschwerdepunkte ganz ohne öffentliche Hilfe zu beweisen, zu einem klägerfreundlichen Mittel. Die Nachteile dieses österreichischen Sonderwegs liegen im Vergleich mit § 33 GWB zum einen darin, dass die österreichische Praxis vorbeugenden Abstellmaßnahmen zurückhaltend gegenübersteht, und zum anderen in der schlechteren Stellung der Verbraucherschutzorganisationen. 996

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Eine Übertragung des österreichischen Modells auf Deutschland wäre wohl schwierig und ein Fremdkörper. Dafür dürfte es in Deutschland an einer Tradition fehlen, wonach es Gerichte gibt, deren Selbstverständnis in der Fürsorge für Märkte und nicht bloß in der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Wettbewerbsbehörden bzw. zwischen Privaten liegt. Am ehesten könnte man vermutlich daran denken, in kartellrechtlichen Streitigkeiten im Sinne von § 87 GWB – das heißt in Verfahren vor den Kartellsenaten der Landgerichte und vor den anschließenden Rechtsmittelinstanzen – das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden. Die österreichischen Erfahrungen lassen erwarten, dass eine solche Anordnung das private enforcement spürbar erleichtern würde. Umgekehrt wäre eine Übertragung des deutschen Modells auf Österreich ein Leichtes. Dafür würde es genügen, § 36 Abs. 4 Z 4 KartG zu streichen und stattdessen eine Regelung, die § 33 GWB entspricht, in das KartG einzufügen. Aus Sicht eines Praktikers wäre zu befürchten, dass ein solcher Systemwechsel einige Jahre lang die Effizienz der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Österreich verschlechtern würde. Aus diesem Grund verfolgen weite Teile der österreichischen Anwaltschaft die Bestrebungen der Europäischen Kommission zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten mit Besorgnis.56 Art. 10 des Richtlinienvorschlags sieht vor, dass die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden (nicht: die nationalen Gerichte) ermächtigt werden, zumindest in dringenden Fällen, in denen die Gefahr eines ernsten, nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Wettbewerb besteht, auf der Grundlage einer prima facie festgestellten Zuwiderhandlung von Amtswegen durch Entscheidung einstweilige Maßnahmen anzuordnen. Um diese Regelung umzusetzen, müsste die Entscheidungskompetenz des Kartellgerichts nach § 48 KartG beseitigt und durch eine (derzeit nicht bestehende) eigenständige Bescheidbefugnis der BWB ersetzt werden. Private Kläger wären außerhalb der Rechtsschutzmöglichkeiten nach UWG und ABGB darauf angewiesen, dass die BWB ihre Prioritäten entsprechend setzt und den Fall aufgreift. Zu erwarten ist, dass sich in Folge dessen die Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen noch mehr als bisher auf bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einengen würde, bei denen das Risiko der Behörden, vor Gericht zu unterliegen, gering ist. Rechtspolitisch käme es in weiterer Folge wohl zu einer Diskussion, ob das österreichische administrativ-judizielle Mischsystem generell durch eine Institutionenstruktur wie in Deutschland ersetzt werden sollte. Aufgrund der anders gelagerten Rechtstradition in Österreich wäre dies aber zunächst mit einem Rückschritt in der Vollzugspraxis verbunden, unabhängig davon, ob man dies aus dem Blickwinkel der Antragsteller oder der Antragsgegner sieht. Der Modellvergleich zwischen Deutschland und Österreich zeigt vor allem, dass  – ungeachtet der berechtigten Forderung nach einem level playing field innerhalb des gesamten Binnenmarkts – ein one size fits all in Institutionen- und Verfahrensfragen nicht unbedingt ein „Königsweg“ sein muss. 56 Vgl. dazu den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts vom 22.3.2017, COM (2017) 142 Final.

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Algorithmen, Kartellrecht und Regulierung

I. Einleitung

II. Kartellverbot III. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: Kollektive Marktbeherrschung

IV. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: Einzelmarkt­beher­ rschung

V. Zusammenschlusskontrolle

VI. Regulierung algorithmenbasierter Preissetzung? VII. Schlussbemerkungen

I. Einleitung Der zunehmende Einsatz von Algorithmen in Unternehmen wirft auch bei der Anwendung des Kartellrechts grundsätzliche Fragen auf: Kann ein Unternehmen sich in Kartellrechtsverfahren zur eigenen Entlastung darauf berufen, einen Algorithmus eingesetzt zu haben, der – sozusagen autonom – das Marktverhalten gesteuert habe? Im Zusammenhang der Anwendung der Vorschriften über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV, § 19 GWB) gibt das Verhalten der Deutschen Lufthansa im Herbst 2017 ein Beispiel für diese Art der Argumentation: Nachdem infolge des Ausscheidens des Konkurrenten Air Berlin aus dem Markt die Lufthansa auf einer Reihe von Strecken Monopolanbieter geworden war und erheblich höhere Flugpreise als zu Wettbewerbszeiten realisierte, erklärte ihr Vorstandsvorsitzender in den Medien, die Preissetzung des Unternehmens erfolge auf der Grundlage von Algorithmen, die vor wie nach dem Marktaustritt der Konkurrenz eingesetzt worden seien.2

II. Kartellverbot Im Kontext des Kartellverbots (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) wird seit geraumer Zeit über eine sachgerechte Reaktion auf den zunehmenden Einsatz von Algorithmen na1 Der Autor dankt Herrn Wiss. Mitarbeiter Jan-Frederick Göhsl, LL.M., für seine vorzügliche Unterstützung bei der Nachweisrecherche. 2 Das Bundeskartellamt zog zunächst die Einleitung eines Verfahrens wegen überhöhter ­Preise der Lufthansa in Betracht. S.  dazu Mundt, Süddeutsche Zeitung vom 28.12.2017, S.  18  – auch abrufbar unter http://www.bundes​kartellamt.de/SharedDocs/Interviews/DE/​ 2017/​171228_​Sueddeutsche.html. Am 29.5.2018 entschied das Amt, von der Einleitung eines Verfahrens abzusehen, da die Preiserhöhungen nicht von Dauer gewesen sind. S. Fallbericht „Keine Verfahrenseinleitung gegen die Lufthansa wegen Preiserhöhungsmissbrauchs“, Az. B9-175/17.

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mentlich bei der Preissetzung im Onlinehandel diskutiert.3 Wenn mehrere Unternehmen die gleichen oder auch ähnlich arbeitende Algorithmen einsetzen, könnte es – so das Bedenken mancher Wettbewerbsrechtler  – zu einer Preissetzung wie in einem Kartell kommen:4 Interagieren die bei den Unternehmen eingesetzten Preissetzungsprogramme, so könnten sie das Verhalten von Kartellanten nachbilden, ohne dass es einer besonderen direkten Kommunikation zwischen den Unternehmen bedürfte. Je vollkommener die Programme gestaltet sind, um so besser könnte es ihnen gelingen, durch maschinelle Reaktion auf die Entscheidungen der jeweils anderen ein gewinnmaximierendes Preisniveau zu erklimmen – zum Nachteil der Konsumenten. Wird die besondere „Intelligenz“ hochgezüchteter Rechner berücksichtigt (mittlerweile besiegen bei Brettspielen Rechner die weltbesten menschlichen Spieler), erscheint es nicht fernliegend, dass beim allseitigen Einsatz gewinnmaximie­render Preissetzungssoftware die Erzielung eines suprakompetitiven Preisniveaus selbst auf solchen Märkten in Betracht kommt, die herkömmlich nicht als anfällig für eine „stillschweigende Kollusion“ galten:5 Auch auf anderen als Oligopolmärkten könnte ein weit verbreiteter Einsatz von Preissetzungssoftware durch Anbieter zu gewinnmaximierenden Preissteigerungen führen.6 Unter bestimmten Voraussetzungen bereitet die Anwendung des Kartellverbots auf einen Fall der zuletzt genannten Art keine Probleme: Wenn Wettbewerber den Einsatz einer bestimmten Preissetzungssoftware verabreden, liegt hierin eine verbotene Kartellvereinbarung. So lag es im Fall United States v. Topkins, der dem U.S. District Court für den nördlichen Distrikt von Kalifornien zur Entscheidung vorlag: Ein Unternehmen verkaufte Poster und andere Druckwerke über die Plattform Amazon Marketplace. Es vereinbarte mit Konkurrenzunternehmen unter anderem, zur Stabilisierung der Preise bestimmte Preissetzungsalgorithmen einzusetzen. Das Gericht sah in dieser Abrede des Gebrauchs einer spezifizierten Preissetzungssoftware einen Verstoß gegen das Kartellverbot des Sec. 1 Sherman Act.7 Der Europäische Gerichtshof hat 2016 im Fall Eturas8 das Vorliegen einer verbotenen aufeinander abgestimmten Verhaltensweise angenommen. Die Nutzer einer Buchungsplattform waren von deren Administrator darauf aufmerksam gemacht worden, dass für Preisnachlässe für die auf der Plattform angebotenen Reisen künftig eine Obergrenze von 3 Prozent gelte. Höhere Preisnachlässe würden automatisch auf diesen Satz herabgesetzt. Der Gerichtshof sah in dieser Kommunikation eine verbotene 3 S. zur verbreiteten Verwendung von Preisalgorithmen im Onlinehandel Europäische Kommission, Sektoruntersuchung E-Commerce 2017, Staff Working Document, Rz.  603, 605. Aus jüngster Zeit Monopolkommission, Hauptgutachten XXII: Wettbewerb 2018, S. 62–88. 4 Instruktiv Ezrachi/Stucke, Virtual Competition, 2016, S.  35  ff.; Mehra, Minnesota Law ­Review 2016, 1323 ff. Deutlich geringere Bedenken bei Hennes/Schwalbe, FAZ v. 13.7.2018, S. 18. 5 Göhsl, WuW 2018, 121 ff., online WUW1259005. 6 OECD, Competition Enforcement in Oligopolistic Markets, 2015, S. 5. 7 US District Court of the Northern District of California v. 30.4.2015  – Az. CR 15-00201 WHO „United States v. David Topkins”. 8 EuGH Urteil v. 21.1.2016 – C-74/14 – „Eturas“.

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Verhaltensabstimmung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Er stützte diese Beurteilung auf die Erwägung, dass vermutet werden könne, dass die das Buchungssystem nutzenden Unternehmen von der Mitteilung der Plattform Kenntnis erhielten. Hätten sie keine Einwände gegen die in der Mitteilung angekündigte Preissetzung geäußert, liege in diesem Verhalten eine verbotene Abstimmung unter den Konkurrenten.9 Aus kartellrechtlicher Sicht schwieriger zu beurteilen ist der nicht abgestimmte, d.h. auf jeweils autonom gefasste Entscheidungen zurückgehende Einsatz von Software durch mehrere Unternehmen desselben Marktes. Auch das Zusammenwirken solcher jeweils unabgestimmt eingesetzter Algorithmen durch mehrere Unternehmen könnte den Wettbewerb außer Kraft setzen. So könnte namentlich ein Marktergebnis, das Ökonomen mit dem Begriff tacit collusion assoziieren, durch den Einsatz hochleistungsfähiger Software gefördert werden.10 Durch die Zuhilfenahme von Webcrawlern, die das Internet systematisch auf Aktivitäten von Anbietern und Nachfragern bestimmter Güter durchsuchen, können die Markttransparenz gefördert und abweichende Verhaltensweisen – etwa Preisvorstöße einzelner Unternehmen – aufgedeckt werden. Auch kann der Einsatz leistungsfähiger Rechner Anbieter in den Stand setzen, auf Wettbewerbshandlungen anderer automatisiert und damit schneller und wirksamer zu reagieren als ohne solche technische Hilfestellung. Automatisiert einsetzende Vergeltungsmaßnahmen können dafür Sorge tragen, dass vorstoßender Wettbewerb von Anfang an keine Gewinne einträgt.11 Während der EuGH seine Entscheidung im Eturas-Fall auf die (Nicht-)Reaktion der für die Wettbewerber handelnden, durch die Mitteilung der Plattform über die Preissetzung aufgeklärten Personen stützen konnte, fällt eine Subsumtion unter Art. 101 Abs. 1 AEUV bei Sachverhalten schwerer, in denen bei der Setzung von Preisen oder anderen Parametern keine Menschen mehr beteiligt sind. Soll eine nicht mit Wettbewerbern abgestimmte allein maschinengestützte Preissetzung, die auf die gleichfalls rein maschinelle Preissetzung bei Konkurrenzunternehmen reagiert, den Tatbestand des Kartellverbots erfüllen? Hiergegen spricht, dass auch im analogen Fall einer von Menschen vorgenommenen Preissetzung, die auf die am Markt erfolgte Preissetzung von Konkurrenten reagiert, kein Verstoß gegen das Kartellverbot vorliegt. Es ist vielmehr anerkannt, dass sich grundsätzlich wettbewerbskonform verhält, wer sich mit wachem Sinn den auf dem Markt bestehenden Verhältnissen anpasst – auch wenn diese Anpassung im Einzelfall zu beiderseitigen Preiserhöhungen führt.12 Die bisher angestellten Überlegungen führen zu einem gespaltenen Fazit: Zwar kann der zunehmende Einsatz automatischer Systeme das Zustandekommen von Marktergebnissen begünstigen, die Ökonomen gemeinhin mit dem Begriff tacit collusion in Verbindung bringen. Namentlich die maschinelle Erfassung und Auswertung immer größerer Datenmengen zum Marktverhalten anderer Unternehmen und die Möglich 9 EuGH Urteil v. 21.1.2016 – C-74/14, Rz. 50 – „Eturas“. 10 Zum folgenden Göhsl, WuW 2018, 121 ff., online WUW1259005, unter Punkt II. 11 Mehra, Minnesota Law Review 2016, 1323, 1340. 12 In ständiger Rechtsprechung schon EuGH Urteil v. 14.7.1981 – Rs. 172/80, Rz. 14 – „Züchner“.

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keit sofortiger automatischer Reaktion auf Marktdatenveränderungen kann dazu führen, dass Wettbewerbsvorstöße für niemanden mehr lohnen: die „Vergeltung“ kann sofort erfolgen, die Chance zu einer wenigstens kurzzeitigen Absatzsteigerung durch Preisnachlässe wird durch die praktisch zeitgleiche Reaktion der Konkurrenz beseitigt.13 Diese Effekte lassen sich aber durch einen Einsatz des Kartellverbots nicht vermeiden: Wie in anderen Fällen einer bloßen tacit collusion, die nicht durch eine zusätzliche Kommunikation unterstützt wird, greift das Kartellverbot als solches nicht ein.14 Ein anderes gilt nur, wenn der Einsatz der Software durch die Konkurrenten verabredet wird oder in anderer Weise eine Kommunikation erfolgt, die – wie im Eturas-Fall – zusätzlich zur Preis- oder Konditionensetzung hinzutritt.

III. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: Kollektive ­Marktbeherrschung Greift im Einzelfall das Kartellverbot nicht ein, so könnte an einen Einsatz des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gedacht werden. Konkret kommt die Ausnutzung einer kollektiv marktbeherrschenden Stellung durch Unternehmen in Betracht, die zur Erzielung eines höheren Preisniveaus bei der Preis­ setzung Algorithmen einsetzen. Hierfür wäre zunächst die Feststellung kollektiver Marktbeherrschung erforderlich. Seit dem Airtours15-Urteil des Europäischen Gerichts von 2002 gilt als anerkannt, dass kollektive Marktbeherrschung durch drei Faktoren begünstigt wird: Markttransparenz, die Möglichkeit von Vergeltungsmaßnahmen bei Wettbewerbsvorstößen von Konkurrenten und das Fehlen einer Bedrohung der kollektiv beherrschenden Stellung durch außenstehende Wettbewerber.16 Durch den Einsatz hochleistungsfähiger Software kann, wie bereits angedeutet, für das Vorliegen der ersten beiden Voraussetzungen gesorgt werden: Mittels Webcrawlern können Marktverhältnisse und -veränderungen – beispielsweise Preisänderungen – auf Onlinemärkten flächendeckend „in Echtzeit“ aufgedeckt werden. Die so auf Anbieterseite hergestellte Transparenz kann zu automatisierten Vergeltungsreaktionen, etwa einer maschinengestützten sofortigen Imitation von Preiserhöhungen und -senkungen führen. Im Einzelfall kann dies dazu führen, dass keinerlei Anreize zu vorstoßendem Wettbewerb verbleiben. Fraglich ist, worin ein Missbrauch einer solcherart begründeten marktbeherrschenden Stellung liegen könnte. Die zuletzt beschriebenen Akte – Herstellung von Markttransparenz und Imitation des Marktverhaltens von Konkurrenten  – stellen für sich  genommen keinen Missbrauch dar. Allerdings könnte in der Ausnutzung der 13 Ezrachi/Stucke, Virtual Competition, 2016, S. 63 f. 14 EuGH Urteil v. 16.12.1975 – Rs. 40/73, Slg. 1975, 1663, Rz. 26 – „Suiker Unie“; EuGH Urteil v. 31.3.1993  – Rs. C-89, 104, 116, 117, 125, 129/85, Slg. 1993, I-1307, Rz.  59-65  – „Wood Pulp II“. 15 EuG Urteil v. 6.6.2002 – Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 – „Airtours“. 16 EuG Urteil v. 6.6.2002 – Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585, Rz. 61 ff. – „Airtours“.

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geschaffenen Lage durch  – automatisierte  – Setzung suprakompetitiver Preise ein Ausbeutungsmissbrauch (Preishöhenmissbrauch) liegen. Es ist anerkannt, dass ein Marktbeherrscher gegen das Missbrauchsverbot verstoßen kann, indem er seine Marktmacht zur Setzung von Preisen oberhalb des Wettbewerbsniveaus ausnutzt.17 Auf einem anderen Blatt steht, ob Wettbewerbsbehörden gegen einen solchen – angenommenen  – Preishöhenmissbrauch vorgehen sollen. Gegenüber einer Verfolgung von Ausbeutungsmissbräuchen wird eingewandt, dass sie einem dynamischen Wettbewerbsgeschehen entgegenwirke:18 Würden Marktbeherrscher durch Wettbewerbsbehörden auf die Setzung wettbewerbskonformer Preise verpflichtet, gäbe es für potentielle Wettbewerber keinen starken Anreiz mehr, in den Markt einzutreten und den etablierten Anbietern Konkurrenz zu machen. Newcomer könnten im Fall eines Markteintritts nicht mehr verdienen als auf wettbewerblich strukturierten Märkten. Die Marktverhältnisse – und damit bestehende beherrschende Stellungen – würden auf diese Weise zementiert.19 Allerdings stößt diese Argumentation gerade in der hier diskutierten Fallgestaltung an Grenzen: Eine automatisierte Anpassung der Preise der beherrschenden Unternehmen auf das Niveau neu eintretender Anbieter kann Newcomer von vornherein von einem Markteintritt abhalten: Sie haben bei einem Markteintritt nichts zu gewinnen. Preisanpassungsprogramme der hier diskutierten Art haben einen ähnlichen Entmutigungseffekt wie vertragliche Preisgarantien, die mit Recht aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive kritisch betrachtet werden:20 Auch eine Preisgarantie hat den Effekt, dass mit vorstoßendem Wettbewerb nichts zu verdienen ist: Fordert ein Konkurrent niedrigere Preise, so steigt das die Garantie aussprechende Unternehmen ­hierauf ein. Auch diese Folge tritt „automatisch“ ein: Die Garantie eines „Gleichziehens“ mit dem niedrigeren Preis eines Konkurrenten wird automatisch dadurch ausgelöst, dass es ein solches günstigeres Konkurrenzangebot gibt. Wissen die Konkurrenten von der Garantie, minimiert dies den Anreiz zu vorstoßendem Wettbewerb.21 Aus dem Gesagten folgt: Auch ohne preissenkende Interventionen einer Kartellbehörde kann es an Anreizen zu Markteintritten und vorstoßendem Wettbewerb fehlen. Wo – etwa aufgrund automatischer Preisanpassungsmechanismen auf das Niveau der Konkurrenz – von vornherein ein Anreiz zu Markteintritten und Wettbewerbsvorstößen fehlt, kann allein dies zu einer Zementierung der bestehenden Marktstruktur führen. 17 EuGH Urteil v. 14.2.1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207, Rz. 248-250 – „United Brands“. 18 S. Gal in Lianos/Geradin, Handbook on European Competition Law, 2013, S. 385 ff. für eine ausführliche Darstellung der Problematik. 19 Zur Diskussion um das Für und Wider kartellrechtlicher Intervention bei Ausbeutungsmissbräuchen Höft, Die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 2013. 20 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Band 2/1, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rz. 369 f. 21 Zu Preisgarantien z.B. im Kraftstoffmarkt Dewenter/Schwalbe, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2016, 276 ff.; zu den generellen Effekten von Preisgarantien s. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2. Aufl. 2011, S. 369 f.

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Hieraus folgt im Umkehrschluss: Erwägungen zu einem Schutz der Marktstruktur geben keinen Anlass zur kartellbehördlichen Zurückhaltung bei der Verfolgung von Preismissbräuchen in Fällen der hier untersuchten Art: Auch wenn die Behörden Preishöhenmissbräuche in Fällen automatisierter Preisanpassung nicht verfolgten, ist nämlich nicht ohne weiteres von einer Wettbewerbsbelebung auszugehen: Durch automatische Preisanpassung auf Seiten der Marktbeherrscher könnten Vorstöße anderer Unternehmen sofort neutralisiert werden. Soweit deshalb davon auszugehen ist, dass es ohnehin nicht zu einer Wettbewerbsbelebung käme, hätte auch eine zurückhaltende Kartellrechtsanwendung keinen wettbewerbsschützenden Effekt. Der Verfolgung von auf automatisierte Programme gestützten Preishöhenmissbräuchen stehen demnach keine grundsätzlichen Erwägungen entgegen.

IV. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: ­Einzelmarktbeherrschung Die in den vorstehenden Absätzen für Fälle einer kollektiven Marktbeherrschung entwickelte Gedankenführung könnte auch auf die Situation einer Einzelmarktbeherrschung angewandt werden: Nutzt ein marktbeherrschendes Unternehmen automatische Preissetzungsmechanismen, so könnte dies einen Missbrauch seiner Marktmacht begründen. Dem Unternehmen könnte es gelingen, seine Marktstellung durch Preisüberhöhungen auszubeuten, während Konkurrenten durch die Drohung einer auf Seiten des Marktbeherrschers erfolgenden automatischen Preisanpassung von Wettbewerbsvorstößen abgehalten werden könnten. Eine Einlassung wie die eingangs zitierte des Lufthansa-Vorstandsvorsitzenden, die Preissetzung sei nach dem Ausscheiden des Konkurrenten Air Berlin aufgrund derselben Algorithmen erfolgt wie zuvor, vermag das Unternehmen nicht zu entlasten:22 Ein- und derselbe Algorithmus mag bei unterschiedlichen Marktverhältnissen zu unterschiedlichen Marktergebnissen führen. Konzentriert die Nachfrage sich nach dem Wegfall eines Konkurrenten auf ein Unternehmen und kann dieses infolge der hierdurch erlangten marktbeherrschenden Stellung im Hinblick auf sein gesamtes An­ gebot oder einen Teil desselben höhere Preise als im Wettbewerb erzielen, so kann hierin eine missbräuchliche Preisüberhöhung liegen.23 Da das Unternehmen den Algorithmus einsetzt, muss es sich die hierbei zustande kommenden Ergebnisse zurechnen lassen.

22 Mundt, Süddeutsche Zeitung vom 28.12.2017, S.  18  – auch abrufbar unter http://www.­ bundeskartellamt.de/SharedDocs/Interviews/DE/2017/171228_Sueddeutsche.html (letzter Zugriff am 17.2.2018). 23 EuGH Urteil v. 14.2.1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207, Rz. 248-250 – „United Brands“.

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V. Zusammenschlusskontrolle Nach dem bisher Gesagten kann der Einsatz automatischer Systeme das Entstehen einer kollektiv marktbeherrschenden Stellung begünstigen: Eine maschinelle Erfassung aller relevanten Marktdaten und die automatisierte Reaktion auf Veränderungen des Verhaltens – etwa der Preissetzung – von Konkurrenten kann zur Folge haben, dass vorstoßender Wettbewerb für keinen Anbieter mehr lohnt.24 Verbleibt wegen automatisierter „Vergeltungsmaßnahmen“ (etwa: Preissenkungen) von Konkurrenten kein Zeitraum mehr, in dem die eigene Preissenkung eine Absatzsteigerung verspricht, so fehlen Anreize zu vorstoßendem Wettbewerb. Wird die Entstehung einer solchen Situation durch einen Zusammenschluss begünstigt, so spricht dies für die Untersagung der Marktstrukturveränderung. Ob ein Zusammenschluss einen solchen „koordinierten Effekt“ haben wird, kann nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. So ist denkbar, dass die Verringerung der Zahl der Anbieter die Kollusionsanfälligkeit auf einem Markt erhöht. Kommt die Verfügbarkeit automatisierter Vergeltungsmaßnahmen hinzu, kann dies für die Untersagung des Zusammenschlusses sprechen. In diesem Sinne könnte beispielsweise auf Onlinemärkten mit ohnehin begrenzter Anbieterzahl das Bestehen automatischer Preisanpassungsprogramme eine Untersagungsentscheidung stützen.

VI. Regulierung algorithmenbasierter Preissetzung? Anbieter im Onlinehandel können zunehmend Programme nutzen, um die Zahlungskraft und -bereitschaft von Nutzern zu analysieren und abzuschöpfen.25 Beispiele: Wer mittels eines teuren Smartphone-Typs in einem Onlineshop nach Modeartikeln sucht, bekommt Ware zu höheren Preisen angeboten als andere Interessenten, deren Smartphones eine geringere Kaufkraft signalisieren. Wer sich zum zweiten oder dritten Mal für dieselbe Flugverbindung inte­ressiert, bekommt den Flug zu einem höheren Preis als zu Beginn angeboten; sein anhaltendes Interesse signalisiert eine gesteigerte Zahlungsbereitschaft. Wie sind derartige Praktiken einer automatisierten und perfektionierten Differenzierung zwischen Konsumenten zu bewerten? Preisdifferenzierungen gibt es schon lange:26 Dass Studierende im Kino weniger bezahlen als Erwerbstätige, ist allgemein akzeptiert.27 Wie aber sind Programme zu ­bewerten, die bei einem Onlinekauf aufgrund der Auswertung einer Vielzahl von individuellen Informationen jedem Kaufinteressenten ein auf seine (ver­mutete) Zahlungsbereitschaft abgestimmtes „maßgeschneidertes“ Angebot machen?28 Wer bei24 Mehra, Minnesota Law Review 2016, 1323, 1340. 25 Zum folgenden Ezrachi/Stucke, Virtual Competition, 2014, S. 83 ff. 26 Zu den grundsätzlichen Voraussetzungen für erfolgreiche Preisdiskriminierung Niels/​Jenkins/Kavanagh, Economics for Competition Lawyers, 2. Aufl. 2016, Rz. 4.81. 27 Man spricht bei dieser Form von Rabatten von Preisdiskriminierung 3. Grades. 28 Niels/Jenkins/Kavanagh, Economics for Competition Lawyers, 2. Aufl. 2016, Rz. 4.82 – Preisdiskriminierung 1. Grades (nahezu perfekte Abschöpfung der individuellen Zahlungsbe-

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spielsweise in der Vergangenheit überhöhte Preise akzeptiert hat, bekommt auch weiterhin Ware überteuert angeboten. Ist eine solche Preisdifferenzierung unfair, sollte die Rechtsordnung hier eine Kontrolle vornehmen? Ökonomen rechtfertigen Preisdifferenzierungen oft damit, dass sie zu einer besseren Versorgung der Menschen mit den von ihnen begehrten Gütern und Leistungen führen:29 Wenn jeder nach seiner individuellen Zahlungsbereitschaft herangezogen wird, kann ein Gut mehr Menschen zur Verfügung gestellt werden. Die teuer fliegende Geschäftsfrau subventioniert den Flug der im selben Flugzeug sitzenden Studentin. Bei der hier zur Diskussion gestellten algorithmenbasierten Preissetzung eines Onlineshops steht aber ein anderer Aspekt im Vordergrund: Hier geht es nicht um eine Quersubventionierung der weniger Zahlungskräftigen durch kaufkräftige Zeitgenossen. Im Vordergrund steht vielmehr die maximale Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft bei jedem einzelnen Kunden.30 Das nimmt dem Wettbewerb – so könnte man argumentieren – eine wichtige Funktion: Bei einheitlichen Preisen würden Konsumenten davon profitieren, dass die Zahlungskraft und -bereitschaft anderer Verbraucher sich in Grenzen hält: Wenn die meisten Interessenten für eine bestimmte Ray Ban-Sonnenbrille nicht mehr als 88 Euro zu zahlen bereit sind, profitiere ich – als jemand mit eigentlich höherer Zahlungsbereitschaft – davon: Anbieter müssten diese Restriktion bei der Preiskalkulation in Rechnung stellen, sie werden nicht mehr als 88 Euro für die Brille fordern, anderenfalls sinkt ihr Gewinn wegen eines preisüberhöhungsbedingten Absatzrückgangs. Kann man demgegenüber argumentieren, eine vollkommen individualisierte Preissetzung, die bei jedem einzelnen Verbraucher die maximale Zahlungsbereitschaft abschöpfe, stelle die Vorteile der Wettbewerbswirtschaft in Frage? Ein Vorzug der Marktwirtschaft wird im Allgemeinen darin gesehen, dass Verkäufer mit niedrigen Preisen um Kunden konkurrieren. Wenn ich dagegen zu Recht als jemand einsortiert werde, der kritiklos auch 98 Euro für die Brille auszugeben bereit ist, bekomme ich sie von vornherein nur zu diesem Preis angezeigt und bezahle am Ende mehr als andere. Man könnte meinen, dass dies eine Fragestellung ist, die im Bereich des Verbraucherschutzrechts zu verorten ist. Dem Verbraucherschutzrecht geht es da­rum, Ungleichgewichtslagen zu kompensieren, die etwa aufgrund einer zwischen Verbraucher- und Unternehmerseite bestehenden Informationsasymmetrie b ­estehen.31 Es bestehen aber erhebliche Unterschiede zwischen der im (herkömmlichen) Verbraucherschutzrecht angesprochenen Situation und dem hier diskutierten Problem. So geht es im reitschaft) wird auf Online-Märkten durch die Vielzahl der gesammelten Daten wahrscheinlicher werden. 29 Varian, Grundzüge der Mikroökonomik, 8. Aufl. 2011, S. 516 – perfekte Preisdiskriminierung 1. Grades führt ebenso zu Pareto-Effizienz wie Wettbewerb unter vollkommener Konkurrenz. 30 Wie oben dargestellt, handelt es sich dabei um eine Preisdiskriminierung 1. Grades. 31 Micklitz/Purnhagen in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§  13, 14 BGB Rz.  46  ff.; beispielhaft zur Bedeutung einer Informations­asymmetrie im AGB-Recht: AG Hannover Urteil v. 24.9.2009 – 414 C 6115/09, NZM 2010, 197; Mediger, NZM 2015, 185, 187.

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(herkömmlichen) Verbraucherschutzrecht typischerweise um Fälle eines zwischen Unternehmer und Verbraucher bestehenden Informationsgefälles: Der Unternehmer hat es mit einer Vielzahl von mehr oder weniger gleich gelagerten Fällen zu tun. Er hat daher oft eine überlegene Fachkenntnis, für ihn lohnt sich aber auch eher als für den nur einmal hiervon betroffenen Verbraucher die Investition zur Erlangung von Rechts­erkenntnis. Wegen solcher typischerweise bestehender Ungleichgewichtslagen gewährt das Verbraucherschutzrecht Konsumenten besondere Rechte. Demgegenüber geht es bei dem hier behandelten Aspekt um Situationen, in denen Unternehmer aufgrund immer weiter verbesserter Datenlage mehr über die einzelnen Verbraucher (oder allgemeiner: über ihre jeweiligen Verhandlungspartner) wissen als in herkömmlichen Verhandlungssituationen: Der Betreiber einer weltumspannenden Suchmaschine, des führenden sozialen Netzwerks oder der größten Onlinehandels-Plattform weiß womöglich aufgrund einer Auswertung früherer Aktivitäten, dass der Verhandlungspartner mehr als andere für modische Kleidung auszugeben bereit ist; er weiß möglicherweise aufgrund der Auswertung des Email-Verkehrs, dass der Verhandlungspartner am Wochenende eine Verabredung in London hat und deshalb auf die Buchung eines Fluges dorthin angewiesen ist; er weiß womöglich vom Bestehen einer Erkrankung des Verhandlungspartners, die dessen Bedarf an bestimmten Medikamenten steigert und ihn zu einem aus Sicht eines Versicherers riskanteren Versicherungsnehmer macht.32

VII. Schlussbemerkungen Es ist also (anders als in vielen im herkömmlichen Verbraucherschutzrecht angesprochenen Situationen) keine Informationsasymmetrie, die hier die Frage nach dem Bestehen eines Regulierungsbedarfes aufwirft. Man könnte – im Gegenteil – formulieren, dass die neuen informationstechnischen Erkenntnismittel vielmehr in einer ganz bestimmten Hinsicht sogar die Symmetrie des Informationsstandes herstellen: Der Unternehmer weiß so viel über den (einzelnen) Verbraucher wie dieser selbst. Dies verschlechtert freilich dessen Verhandlungsposition. Der Unternehmer kann individuell vorliegende Zahlungsbereitschaften analysieren und sein Angebot – von Person zu Person differenzierend – individuell ausgestalten.33 Für Verbraucher könnte dies bedeuten, dass der Marktprozess ihnen – über den Effekt der schlichten Bedarfsdeckung hinausgehend – keinen Vorteil mehr bietet.34 Die überkommene Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass der Wettbewerbsprozess zu einer Maximierung der sog. Konsumentenrente (i.S.d. Differenz zwischen der maximalen Zahlungsbereitschaft von Konsumenten und dem tatsächlich gezahlten niedri32 Zu wachsenden Verkaufszahlen durch personalisierte Werbung und Angebote UK Competition and Markets Authority, The Commercial Use of Consumer Data: Report on the CMA’s Call for Information, Rz. 2.74 ff., https://www.gov.uk/government/uploads/system/ uploads/attachment_data/file/435817/The_commercial_use_of_consumer_data.pdf (letzter Zugriff am 17.2.2018). 33 Ezrachi/Stucke, Virtual Competition, 2016, S. 102 f. 34 Niels/Jenkins/Kavanagh, Economics for Competition Lawyers, 2. Aufl. 2016, Rz. 4.82.

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geren Marktpreis) führt. Eine perfekt nach Zahlungsbereitschaften differenzierende Preissetzung könnte demgegenüber zu einer Konsumentenrente von Null führen: Es gäbe keinen einheitlichen Marktpreis mehr, jeder Verbraucher würde einen seiner äußersten Zahlungsbereitschaft entsprechenden Preis zahlen. Trotzdem ist gegenüber Forderungen nach einer Beschneidung der Möglichkeit zur algorithmenbasierten Preissetzung Zurückhaltung angezeigt. Zum einen ist die Frage nach dem Bestehen eines Regulierungsbedarfs zu stellen: Besteht tatsächlich ein regelungsbedürftiges Problem? Gute Gründe sprechen für eine Verneinung dieser Frage, soweit Wettbewerb besteht: Solange sich mehrere Anbieter um dieselben Kunden ­bemühen, spricht viel dafür, dass sie diesen Kunden auf die eine oder andere Weise – zum Beispiel durch Preiszugeständnisse  – entgegenkommen. Zwar mögen neue ­technische Möglichkeiten dazu führen, dass unterschiedliche Kunden vermehrt unterschiedlich behandelt werden. Dass aber bei jedem Kunden die maximale Zahlungsbereitschaft – und damit die vollständige Konsumentenrente – abgeschöpft wird, erscheint unplausibel, solange Wettbewerb besteht: Wenn Unternehmen konkurrieren, können Anreize zur Absatzsteigerung beispielsweise durch Preiszugeständnisse bestehen. Dieser Wettbewerb könnte zwar in Frage gestellt sein, wenn alle Anbieter gleiche oder einander ähnelnde Algorithmen zur Preisfindung nutzen. Beruht die Nutzung der gleichen Preisbestimmungssoftware aber auf einer Vereinbarung oder einer anderweitigen Verhaltensabstimmung, so greift das Kartellverbot. Und selbst wenn die parallele Nutzung gleicher Preisbestimmungssoftware nicht auf einem verbotenen Kartell beruht, kommt ein Einsatz des Kartellrechts in Betracht: In einem solchen Fall kommt die Anwendung des Verbots eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Betracht. Für beide Konstellationen – Kartell wie Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung – kann an die zu Anfang dieses Beitrags gemachten Ausführungen angeknüpft werden.

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Veröffentlichungsverzeichnis Dirk Schroeder I. Monographien Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem AGB-Gesetz und die Rechtsgeschäftslehre, Berlin, 1983 (Schriften zum Bürgerlichen Recht, Band 82) Computer Software Protection and Semiconductor Chips, London Dublin Edinburgh ­Munich, 1990 (Current EC Legal Developments Series) Praxis der Europäischen Fusionskontrolle, Köln (mit G. Drauz) 1. Auflage 1993 2. Auflage 1994 3. Auflage 1995

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Veröffentlichungsverzeichnis Dirk Schroeder Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, hrsg. von M. Nettesheim, München Art. 81 EG-Vertrag Rn. 406-634 (konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen, kooperative Gemeinschaftsunternehmen, Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern), 2001 Art. 101 AEUV Rn.  450-844 (konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen, kooperative Gemeinschaftsunternehmen, Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern), 2012 Art. 101 AEUV Rn.  450-844 (konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen, kooperative Gemeinschaftsunternehmen, Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern), 2018 Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht/Kartell­recht, hrsg. v. J. Bornkamm, F. Montag und F.J. Säcker, München 1. Auflage 2007, Art. 4 FKVO 2. Auflage 2015, Art. 4 FKVO Competition Law: European Community Practice and Procedure, general editors G. Hirsch, F. Montag, F.J. Säcker, London, 2008 Article 4 ECMR Hobe/v. Ruckteschell, Kölner Kompendium des Luftrechts, Band 3 – Wirtschaftsrechtliche Aspekte des Luftverkehrs, Köln, 2010 Teile V.A.III.5 Vereinbarungen zwischen Unternehmen  – Allianzen, S.  494-530, und V.A.IV.1 Marktbeherrschende Stellungen – Allianzen, S. 544-560 (mit R. Polley)

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Veröffentlichungsverzeichnis Dirk Schroeder Was ist der “more economic approach” und was bedeutet er für den Unionsrichter?, in: Tagungsband des 6. Luxemburger Expertenforums zur Entwicklung des Unionsrechts – Aktuelle Herausforderungen für den Unionsrichter, Luxemburg, 2012, S. 104-120 Die Behandlung von Optionen in der Fusionskontrolle, in: Festschrift für Cornelis Canenbley, München, 2012, S. 411-421 Der SIEC-Test in der deutschen Fusionskontrolle, Festschrift für Wulf-Henning Roth, München, 2015, S. 583-609 Finanzkraft in der Fusionskontrolle, Liber amicorum Michael Oppenhoff, Köln, 2017, S. 299310 Weniger Wettbewerbsfälle in Luxemburg und was sich dagegen tun ließe, Wirtschaft und Wettbewerb (WuW) 2018 S. 362-368

IV. Urteilsanmerkungen und -kommentare Zahlreiche Urteilsanmerkungen und ‑kommentare u.a. in Archiv PT, DB, ECLR, EC Merger Control Reporter, EMCR, EWiR, GRUR und dem Antitrust Newsletter der International Bar Association Legal Practice Division

V. Herausgeberschaften Mitherausgeber des Frankfurter Kommentars zum Kartellrecht, Köln, seit 2003 (zus. mit W. Jaeger, J. Kokott und P. Pohlmann) Mitherausgeber von Wirtschaft und Wettbewerb – Competition Law and Economics (WuW), Düsseldorf, seit 2006 (zus. mit J. Haucap, W. Kirchhoff, A. Mundt, R. Podszun, P. Pohlmann und D. Zimmer) Mitglied des Board of Editors des EC Merger Control Reporter, Dordrecht, 1991-2003 Mitglied des Editorial Board von Competition Law insight seit 2002

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