198 36 227MB
German Pages 469 [470] Year 2022
Exempla Critica Historisch-kritische Einzelausgaben
Herausgegeben von Gerald Hartung, Rüdiger Nutt-Kofoth und Bodo Plachta
5
Friedrich Adolf Trendelenburg
Ethische Untersuchungen Genetisch-kritische Fragmentedition Herausgegeben von Christian Biehl
ISBN 978-3-11-077332-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077358-3 ISSN 1613-2149 Library of Congress Control Number: 2022948174 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
V
Inhalt Siglen, Bezeichnungen und Abkürzungen Einleitende Worte des Herausgebers Danksagung Vorbemerkungen
VII IX XIII 1
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
3
Einführung in die ›Ethiſchen Unterſuchungen‹
25
Ethiſche Unterſuchungen Diplomatische Umschrift
41 43
Umschlag
45
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
55
Kapitel I – Erste Schlussfassung
145
Kapitel I – Zweite Schlussfassung, dritte Schlussfassung (Teil 1)
155
Kapitel I – Dritte Schlussfassung (Teil 2)
161
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
167
Genetische Darstellung
213
Umschlag
215
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
219
Kapitel I – Erste Schlussfassung
263
Kapitel I – Zweite Schlussfassung, dritte Schlussfassung (Teil 1)
269
Kapitel I – Dritte Schlussfassung (Teil 2)
273
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
277
Klartextangebote
297
Umschlag
299
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
303
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
333
Kapitel I – Erste Schlussfassung
357
VI
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik XXI. Das System (1862) Diplomatischer Abdruck
363 379 381
Editorischer Bericht
401
Überlieferung
403
Zeugenbeschreibung
403
Datierung
406
Aufbau und Zweck
407
Zur Schreibmethodik Trendelenburgs
409
Hinzufügungen, Tilgungen und andere Schreibvorgänge Textdarstellungen Richtlinien der diplomatischen Umschrift
409 413 413
Musterlayout der diplomatischen Umschrift
415
Diakritische Auszeichnung der diplomatischen Umschrift
416
Richtlinien der genetischen Darstellung
422
Leseregeln der genetischen Darstellung
424
Diakritische Auszeichnung der genetischen Darstellung
426
Richtlinien der Klartextangebote
432
Richtlinien des diplomatischen Abdruckes von ›Das System‹
433
Musterlayout des diplomatischen Abdruckes
435
Auflistung der Emendationen
437
Literatur- und Abbildungsverzeichnis
441
Anhang
449
Personenregister
451
Werkregister
455
VII
Siglen, Bezeichnungen und Abkürzungen Siglen: EU NR1, NR2 LU1, LU1.I, LU1.II LU2, LU2.I, LU2.II LU3, LU3.I, LU3.II KA
Ethiſche Unterſuchungen (ca. 1851) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik (1860), – (1868) Logische Untersuchungen (1840), – Band I, – Band II Logische Untersuchungen (1862), – Band I, – Band II Logische Untersuchungen (1870), – Band I, – Band II Hamburger Klopstock-Ausgabe, Abteilung Addenda II, Klopstocks Arbeitstagebuch (1977)
F1 F2 H.1, H.2, H.3 H.1.1, H.1.2, H.2.1 ...
Kapitel I, erste Fassung Kapitel I, zweite Fassung (Vortragsfassung) erste Textstufe, zweite Textstufe, dritte Textstufe Arbeitsschritte innerhalb von Textstufen
Bezeichnungen: Autor Nutzer/-innen
Friedrich Adolf Trendelenburg (Tr.) Nutzer/-innen dieser Edition
Abkürzungen: Hrsg. Dbl., Dbll. Bl., Bll. r v vermutl. unpag. Tr.
Herausgeber Doppelblatt, Doppelblätter Blatt, Blätter recto verso vermutlich unpaginiert Friedrich Adolf Trendelenburg
Abb. 1: B. J. Hirsch’s photogr. Kunst-Verlag: Dr. Trendelenburg, Prof. d. Philos., Berlin 1848. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Portr. Slg / Philos. gr. / Trendelenburg, Friedrich Adolf, Nr. 5.
Einleitende Worte des Herausgebers Für gewöhnlich werden einführende Worte zu Friedrich Adolf Trendelenburg (Abb. 1) mit einem Verweis auf die vielen namhaften Schüler versehen, die in den Genuss seiner Lehre gekommen sind. Und auch der Herausgeber der Ethischen Untersuchungen (EU) kommt nicht umhin, einige bekannte Namen in seinem Vorwort aufzuzählen. Zu diesen Schülern gehören Persönlichkeiten wie der ›Vordenker der Geisteswissenschaften‹ Wilhelm Dilthey, der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1908, Rudolf Eucken, und andere Größen wie Hermann Bonitz, Franz Brentano, Hermann Cohen, Ernst Laas, Jürgen Bona Meyer, Friedrich Paulsen, Carl von Prantl oder Friedrich Ueberweg.1 Die Mehrheit hat Tr. durch seine Persönlichkeit und die Art der Wissensvermittlung zeitlebens inspiriert und mit einigen von ihnen, insbesondere Wilhelm Dilthey, eine lebenslange Freundschaft gepflegt. In zahlreichen Memoiren finden sich Zeugnisse über die Strahlkraft und Persönlichkeit des herausragenden Pädagogen. Trotz dieses hervorragenden Leumunds ist Tr. als Philosoph heute nahezu in Vergessenheit geraten. Von den Veröffentlichungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts abgesehen, konstatiert Frederick Beiser in Late German Idealism. Trendelenburg and Lotze (2013), findet bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre kein größerer Diskurs über die Trendelenburg’sche Philosophie mehr statt.2 Erst in Klaus Christian Köhnkes (1853–2013) Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus (1986) wird Tr. in einem wichtigen Kapitel als eigenständiger Forschungsgegenstand behandelt.3 Davor findet sich sein Name meist in Fußnoten und Randbemerkungen zuallererst in Bezug auf die im Jahre 1840 in seinem ersten, zwei Bände umfassenden Hauptwerk Logische Untersuchungen (LU) vorgetragene Hegelkritik, ferner auf seinen späteren Disput mit Kuno Fischer (1724–1907) über die sogenannte ›Trendelenburg’sche Lücke‹ (auch ›Kant-Lücke‹) sowie im Zusammenhang mit seinen berühmten Schülern. 1 Vgl. Gerald Hartung, Klaus Christian Köhnke: »Einleitung«. In: Eutiner Forschungen. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung zur Förderung der Kultur und Erwachsenenbildung in Ostholstein. Bisher 16 Bde. Hier Bd. 10: Gerald Hartung, Klaus Christian Köhnke (Hg.): Friedrich Adolf Trendelenburgs Wirkung. Eutiner Landesbibliothek. Eutin 2006. S. 7–12, hier 7. 2 Vgl. »Preface« in Frederick C. Beiser: Late German Idealism. Trendelenburg and Lotze. Oxford University Press. New York 2013. unpag. S. 7. 3 Vgl. das »Preface« in ebd., unpag. S. 7 f. sowie das genannte Kapitel in Klaus Christian Köhnke: Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1986. S. 23–57.
X
Einleitende Worte des Herausgebers
Den bisherigen Höhepunkt jüngerer Veröffentlichungen liefert ein Kolloquium, welches vom 23. bis 26. Oktober 2002 in Tr’s Heimatstadt Eutin anlässlich seines 200. Geburtstages veranstaltet wurde.4 Die dort präsentierten Beiträge von von Wilhelm Baumgartner, Uwe Dathe, Eduardo Fugali, Gottfried Gabriel, Gerald Hartung, Klaus Christian Köhnke, Erik Kreiter, Gudrun KühneBertram, Hans-Jürgen Lachmann, Hans-Ulrich Lessing, Ernst Wolfgang Orth, Gunther Scholtz sowie Risto Vilkko, liegen seit 2006 in Herausgabe durch Hartung und Köhnke im zehnten Band der Reihe Eutiner Forschungen unter dem Titel Friedrich Adolf Trendelenburgs Wirkung gesammelt vor. Darin wird Trendelenburg, die »noch immer weithin unbekannte Größe der Philosophie des 19. Jahrhunderts«5, in seiner Bedeutung für die Philosophie sowie in der Wirkung auf einige seiner berühmten Schüler umfassend beleuchtet. Darüber hinaus enthält die Aufsatzsammlung die durch Köhnke zusammengestellte und bisher vollständigste Bibliografie zu Tr’s Veröffentlichungen. Im zehnten Band der Reihe Berlinische Lebensbilder (2012) ist der erste Beitrag, verfasst von Hartung, mit Tr. einem »der wirkungsmächtigsten deutschen Universitätsphilosophen der Mitte des 19. Jahrhunderts«6 gewidmet, welcher sich, so Hartung, »für die Rezeption und Aktualisierung der Philosophie der Antike, insbesondere des Aristoteles, und die Neupositionierung der akademischen Philosophie als einer ›Theorie der Wissenschaften‹«7 verantwortlich zeichne. Es ist wohl in erster Linie den Herausgeberschaften und Veröffentlichungen Köhnkes und Hartungs zu verdanken, dass verglichen mit dem vorherigen Zustand Beiser, welcher mit der im Jahre 2013 erscheinenden Erstauflage des schon erwähnten Late German Idealism die – wenn auch parallel zur Philosophie Hermann Lotzes (1817–1881) – bisher letzte größere Veröffentlichung zur Trendelenburg’schen Philosophie vorgelegt hat, vorsichtig von »promising signs of a revival«8 für die Trendelenburg-Forschung sprechen darf, die allerdings noch »very much in its infancy«9 stecke. Beiser stellt fest, dass es ein Gemeinplatz sei, dass der deutsche Idealismus mit Hegels Tod 1831 zu Ende gehe.10 Diese Betrachtungsweise ignoriere jedoch, dass etwa noch ein halbes Jahrhundert nach dessen Ableben in Deutschland 4 Vgl. Hartung/Köhnke: »Einleitung«. In: Dies.: Trendelenburgs Wirkung, S. 7–12, hier 11. 5 Ebd., S. 7–12, hier 7. 6 Gerald Hartung: »Friedrich Adolf Trendelenburg«. In: Uwe Schaper (Hg.): Berlinische Lebensbilder. Bisher 11 Bde. Hier Bd. 10: Hans-Christof Kraus (Hg.): Geisteswissenschaftler II. Duncker & Humblot Verlag. Berlin 2012. S. 9–26, hier 9. 7 Ebd., S. 9–26, hier 9. 8 Aus dem »Preface« in Frederick C. Beiser: Late German Idealism, unpag. S. 7. 9 Aus dem »Preface« in ebd., unpag. S. 7. 10 Vgl. ebd., S. 1.
Einleitende Worte des Herausgebers
XI
eine idealistische Tradition existiere, in der Tr. und Lotze (1817–1881) »the two most influential philosophers«11 seien.12 Insbesondere in Bezug auf Tr.’s Bemühungen, die aristotelische Ethik als mögliche Alternative zur Ethik Kants zu betrachten, ist noch der jüngst im Jahre 2018 in Aristotelian Studies in 19th Century Philosophy, dem von Hartung, Colin Guthrie King und Christof Rapp herausgegebenen vierten Band der Reihe New Studies in the History and Historiography of Philosophy, veröffentlichte Beitrag Philipp Brüllmanns The Concrete Universal: Friedrich Adolf Trendelenburg on Kant, Aristotle and the Ethical Principle hervorzuheben.13 Vor dem Hintergrund dieser jüngeren Veröffentlichungen versteht sich die vorliegende Edition als ein weiteres ›Mosaikstück‹ in der wiederbelebten Trendelenburg-Forschung und möchte dazu beitragen, ihren Autor nicht mehr bloß als großen Lehrer von berühmten Schülern zu betrachten, sondern seine Philosophie ins Zentrum zu rücken. Die editorische Aufbereitung des Fragmentes dient ferner als Vorbereitung auf eine mögliche spätere Edition der beiden Hauptwerke LU und Naturrecht auf dem Grunde der Ethik (NR). Denn in die Textgeschichte beider Werke sind Elemente und Gedankengänge der EU eingeflossen. Eine Rezeption zu Lebzeiten des Autors findet ausschließlich indirekt über die genannten Hauptwerke statt.14 Zum systematischen Vorgehen dieser Veröffentlichung sei Folgendes angemerkt: Die Edition präsentiert nach einer biografischen und inhaltlichen Einleitung des Herausgebers das Manuskript der EU begleitet von einer diplomatischen Umschrift erstmals vollständig und im Rahmen des Buchformates verkleinert als Faksimile im Graustufendruck. Dem folgt die linear-integrierte genetische Wiedergabe der beiden überlieferten Kapitel nebst gesonderter Darbietung der drei Schlussfassungen des ersten Kapitels. Als Ergebnis der Textkonstitution werden die beiden Fassungen des ersten Kapitels sowie das unvollendete zweite Kapitel im Klartext abgedruckt. Dem Herausgeber ist dabei bewusst, dass im vorliegenden Falle eine Textkonstitution mit anschließendem Abdruck eines Lesetextes kontrovers aufge11 Frederick C. Beiser: Late German Idealism, S. 1. 12 Vgl. ebd., S. 1. 13 Vgl. hierzu Philipp Brüllmann: »The Concrete Universal: Friedrich Adolf Trendelenburg on Kant, Aristotle and the Ethical Principle«. In: New Studies in the History and Historiography of Philosophy. Edited by Gerald Hartung and Sebastian Luft. Bisher 10 Bde. Hier Bd. 4: Gerald Hartung, Colin Guthrie King, Christof Rapp (Hg.): Aristotelian Studies in 19th Century Philosophy. De Gruyter. Berlin/Boston 2018. S. 207–229. 14 Den bisher einzigen Beitrag zum Fragment der EU liefert Hartung im Jahre 2002 in oben erwähntem Kolloquium. Vgl. Gerald Hartung: »Wozu ›Ethische Untersuchungen‹? Trendelenburgs Grundlegung einer Theorie der menschlichen Welt« (2002). In: Hartung/Köhnke: Trendelenburgs Wirkung (2006), S. 83–103.
XII
Einleitende Worte des Herausgebers
nommen werden wird, handelt es sich doch sowohl um eine unvollendete Entwurfshandschrift als auch um ein darin eingeblendetes literarisches Fragment, das lediglich vorgetragen, aber nicht schriftlich publiziert wurde. Das Angebot eines Lesetextes birgt hier unter Umständen die Gefahr des Eindruckes eines fertigen Textes, der so nie existiert hat. Da es sich bei vorliegendem Gegenstand um die Bruchstücke eines bisher unveröffentlichten Hauptwerkes eines dazu heute weniger bekannten Autors handelt, muss neben aller editorischen Redlichkeit, die nach Ansicht des Herausgebers nicht Selbstzweck werden darf, für das Ziel dieser Edition, einen in den Hintergrund geratenen Autor wieder ins Gespräch zu bringen, ein Kompromiss gefunden werden. Um die Zielgruppe nicht weiter zu begrenzen, wählt diese Edition einen salomonischen Weg: Alle abgedruckten Lesetexte der EU verstehen sich als ›Klartextangebote‹, als eine Möglichkeit, das Fragment und die verschiedenen Textfassungen zu lesen. Sie sollen einer erweiterten Nutzerschaft den leichteren Zugang zum Denken Tr.’s ermöglichen. Die Faksimiles, unterstützt durch die diplomatische Umschrift, stellen weiterhin die defintive Wiedergabe der EU dar. Darüber hinaus werden die behutsamen Eingriffe und Entscheidungen des Herausgebers durch alle drei Stufen der Textpräsentation (Umschrift → genetische Darstellung → Klartextangebote) mittels diakritischer Auszeichnung sowie unterstützender Kommentierung kenntlich gemacht und abgesichert. Die Gefahr, mit den Klartextangeboten den Eindruck eines fertigen Textes zu vermitteln, wird dadurch minimiert. Tr. übernimmt einige Textsegmente des ersten von insgesamt zwei überlieferten Kapiteln in die zweite Auflage des zweiten Bandes der LU. Aus diesem Grund präsentiert die Edition das von den Ergänzungen betroffene Kapitel XXI. Das System in einem diplomatischen Abdruck. Hierbei werden in einem positiven Einzelstellenapparat die Textübernahmen aus den EU inklusive aller Varianten sowohl der EU als auch der LU aufgeschlüsselt. Den Textdarstellungen schließt sich der Editionsbericht an, welcher mit einer Zeugenbeschreibung, der Datierung des Fragmentes, Angaben zum Werkaufbau sowie einer Inventur der vorgefundenen Schreibprozesse zunächst die Überlieferung beschreibt. Dem schließen sich die Erörterungen der Textdarstellungen an. Die beigegebenen Register runden die Edition ab. Christian Biehl, Wuppertal, Oktober 2022
Danksagung Bei Gerald Hartung, Rüdiger Nutt-Kofoth und Bodo Plachta, den Herausgebern der Reihe Exempla critica, bedanke ich mich herzlich für die Aufnahme der vorliegenden Edition. Die Finanzierung der Herausgabe wird dabei unterstützt durch das DFGGraduiertenkolleg 2196 ›Dokument – Text – Edition. Bedingungen und Formen ihrer Transformation und Modellierung in transdisziplinärer Perspektive‹ (Wuppertal). In diesem Zusammenhang danke ich nochmals allen an dieser Entscheidung beteiligten Personen. Eine frühere Edition, aus der die vorliegende Veröffentlichung erwachsen ist, wurde von mir als Masterarbeit im Studiengang Editions- und Dokumentwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal im Jahre 2017 vorgelegt. Mein Dank gilt hierbei dem Leiter des Studienganges, Wolfgang Lukas, für die unbürokratische finanzielle Unterstützung bei der damaligen Beschaffung der Digitalisate. Ein ganz besonderer Dank richtet sich nochmals an Gerald Hartung vom Philosophischen Seminar in Wuppertal, ohne den ich auf dieses unveröffentlichte philosophische Kleinod nicht gestoßen wäre und ohne dessen Zuspruch und Vertrauen es diese Edition nicht geben würde. Meine Dankbarkeit richtet sich außerdem an Bernd Füllner sowie Rüdiger Nutt-Kofoth vom Studiengang Editions- und Dokumentwissenschaft für das offene Ohr in editorischen Fragen. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Georg Siegmann und Peter Trawny für deren hilfreiche Augen in Detailfragen, meinem Vater Hans Peter Biehl für die Unterstützung beim Gegenlesen sowie meiner Lebenspartnerin Franziska Fürst, deren still gelegene Räumlichkeiten ich zeitweilig für meine Arbeiten nutzen durfte. Ein weiterer Dank richtet sich an die Mitarbeiter/-innen der Abteilung Handschriften und Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, insbesondere Monika Linder, Eef Overgaauw und Felicitas Rink. Abschließend bedanke ich mich herzlich bei Jessica Bartz und Florian Ruppenstein von De Gruyter für die hervorragende Betreuung dieser Edition. Diese Edition ist Udo Rameil gewidmet.
Vorbemerkungen
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg Wenige Tage nach seinem zweiten Schlaganfall am 16. Januar 1872 wird der Philosoph und Philologe Friedrich Adolf Trendelenburg mit einer Kutsche in die nahegelegene Nervenheilanstalt im Berliner Bezirk Pankow gefahren. Auf seinem letzten Wege lässt der Passagier den Wagen noch einmal an seiner Arbeitsstelle, der Berliner Universität, vorbeifahren und grüßt freudigen Herzens seine »preußischen Jungen«, die in geordneten Reihen vorbeiziehende und von klingender Marschmusik begleitete Schloßwache.1 Die Jugendjahre (1802–1824) Adolf wird am 30. November 1802 als Spross eines schon lange Zeit im Norden Deutschlands verwurzelten Patriziergeschlechtes, das viele Gelehrte hervorgebracht hat,2 im Hause des damaligen Eutiner Postamtes an der Lübecker Straße 10 in Eutin geboren.3 Seit der Verlegung des Posthauses auf die gegenüberliegende Straßenseite in das Gebäude Nr. 9 im Jahre 18384 fungiert das regionaltypische rote Backsteinhaus bis heute als Wohn- und Geschäftsimmobilie. Eine am Geburtshaus angebrachte Gedenktafel erinnert in bronzefarbenen Lettern an Friedrich Adolf Trendelenburg als Philosophieprofessor in Berlin und Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sein Vater, Friedrich Wilhelm Trendelenburg (1761–1835) – ein gelernter Jurist –, ist dänischer Postkommissar in Eutin,5 eine Tätigkeit, welche der Familie mit ihren insgesamt vier Kindern einen bescheidenden Wohlstand beschert.6 Ernst Karl Ludwig Bratuscheck (1837–1883), Adolfs ehemaliger Student und Biograf, beschreibt dessen Vater Wilhelm in seiner 1873 erscheinenden Biografie Adolf Trendelenburg als »Muster eines deutschen Hausvaters«.7 Als dessen einziger Sohn genießt der junge Adolf eine besondere Fürsorge, indem ihm die Liebe zu Wissenschaft und Kunst, aber auch humanistische Werte, vermittelt werden.8 Seine 1 Vgl. Friedrich Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg für Kinder und Enkel. Buchdruckerei des Waisenhauses. Halle a. d. Saale 1921. S. 187. 2 Vgl. Ernst Bratuscheck: Adolf Trendelenburg. F. Henschel Verlag. Berlin 1873. S. 3. 3 Vgl. Ernst-Günther Prühs: Geschichte der Stadt Eutin. 2. Auflage. Struve’s Buchdruckerei und Verlag. Eutin 1994. S. 216 f. 4 Vgl. ebd., S. 216 f. 5 Vgl. Gustav Peters: Geschichte von Eutin. Karl Wachholtz Verlag. Neumünster 1958. S. 184. 6 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 4. 7 Ebd., S. 4. 8 Vgl. ebd., S. 4.
4
Vorbemerkungen
fromme Mutter, Susanna Katharina Trendelenburg (geb. Schroeter, † 1835), ist eine Pastorentochter aus Ratekau bei Lübeck.9 Neben dem häuslichen Unterricht besucht der fünfjährige Adolf zunächst eine Leseklasse und wechselt danach in die Prima der damals noch in der Schlossstraße 9 gelegenen Eutin’schen Stadtschule, dem späteren Gymnasium, in welcher der in Zelle geborene Philosoph, Mathematiker und Philologe Georg Ludwig König (1766–1849) seit 1804 in Nachfolge des gebürtigen Sommersdorfers Johann Heinrich Voß (1751–1826), der noch bis 1802 diesen Posten innehat und nach welchem die heute an anderem Standort existierende Johann HeinrichVoß-Schule benannt ist,10 das Rektorat leitet.11 König führt darüber hinaus den Unterricht aller Fächer in der Primaklasse, welche denjenigen Schülern – so auch Adolf – vorbehalten ist, die auf ein späteres Studium hinstreben.12 Als Kenner antiker Literatur und früher Anhänger der Kant’schen Philosophie übt König auf den jungen Trendelenburg einen ersten wichtigen Einfluß aus, besonders auch, was seine kritische Einstellung zum Hegel’schen ›reinen Denken‹ betrifft, welches von König als πρῶτον ψεῦδος (Proton Pseudos) der moderen Philosophie betrachtet wird.13 Königs Unterrichtsstil ist seinerzeit sehr modern. Er verzichtet auf strenge Disziplinierung und setzt dagegen auf Milde, Geduld und Freiwilligkeit, veranstaltet die Sitzungen im häuslichen Umfeld seines Studierzimmers und achtet nicht auf starre Lehrziele und Zeiteinheiten.14 Mit diesem liberalen Lehrkonzept schafft er eine Atmosphäre, welche die Schüler für die verschiedensten Themen der Sprache, Mathematik und Naturwissenschaft zu interessieren weiß und in ihrem natürlichen Fleiß anspornt.15 Als Beleg für diese Wirkung mag stellvertretend ein Tagebucheintrag des erst fünzehnjährigen Adolf vom Samstag, den 10. Mai 1817, gelten:
9 Vgl. Jendris Alwast: »Trendelenburg«. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein in Lübeck. 13 Bde. Herausgegeben im Auftrag der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte und des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde. Hier Bd. 6. Karl Wachholtz Verlag. Neumünster 1982. S. 285 ff., hier 285. 10 Schon damals kann die Eutin’sche Stadtschule, welche 1309 ursprünglich als Lateinschule gegründet wird, auf eine lange Tradition zurückblicken. Vgl. N. N.: »Geschichte der Voß-Schule«. www.voss-schule.de/geschichte (05.06.2022). 11 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 122 und N. Mutzenbecher: »König, Georg Ludwig«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 16 (1882), S. 508 f. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/pnd116292105.html#adbcontent (05.06.2022). 12 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 122 f. 13 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 8. 14 Vgl. ebd., S. 6. 15 Vgl. ebd., S. 6 f.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
5
Aufgeſtanden um 5¾ Uhr, 5¾—6 Uhr Griechiſche Vokabeln gelernt. 6—6¾ Lateiniſches Exercitium aus Werner (Th. 11, Gen. § 11) gemacht. 6¾—7½ aus Homer Jliade IV. 105—145 präparirt. Weil keine Schule war, ſo habe ich von 8¼—10½ in Ciceros Briefen ad fam. die ſchönen nicht kurzen beiden Briefe IV. 5. 6. Tröſtungen über den Tod von Ciceros Sohn enthaltend zweimal geleſen und die Redensarten exzerpirt. Von 10½ bis 11½ Homer Jliad. V. 145—179 präparirt. Von 11½—1 spazieren gegangen mit Olshauſen und Wallroth. Von 2—4 fuhr ich Sand in den Gartenſteg, machte die ſchwer zuzumachenden Fenſter zu. Von 4—5½ Aufſatz für Herrn Prediger Enke in der Kladde. Von 5½—7 ſah ich ein Theil von Vaters däniſcher Poſtrechnung nach, von 7—8¾ war ich bei Chr. Müller in der Apotheke, um ein Verzeichniß ſeiner Pflanzen mit ihm auszuarbeiten. 10½ Uhr ging ich in’s Bett.16
Schon früh zeigen sich bei Adolf Merkmale eines Universalgelehrten, indem er seine ganze Energie, oft unter Vernachlässigung von Freizeitaktivitäten, in die Bildung seines Geistes investiert und jedes Themengebiet mit gleicher Anstrengung behandelt.17 Neben der Schule fördern ihn seine Eltern – zum Nachteil der Schwestern – zusätzlich mit Privatunterricht in französischer und englischer Sprache.18 Durch den Kantianer König wird Adolf, der sich schnell zu einem seiner bevorzugten Schüler entwickelt, kritisches und selbständiges Denken vermittelt, was dazu führt, dass er, neben anderen Schülern, auch außerhalb der regulären Schulstunden, in den Genuss eines gelehrten Unterrichts kommt.19 In diesen zusätzlichen Lektionen wird den auserwählten Knaben Wissen zu bildender Kunst, Poesie und Naturkunde nähergebracht und als Besonderheit ein ausführlicher Unterricht in der Logik gegeben – letzterer nach den Lehrbüchern Johann Gottfried Karl Christian Kiesewetters (1866–1819) und von Jakob Friedrich Fries (1773–1843).20 Durch den privaten Umgang mit König und dessen bestem Freund, dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829), wird Adolfs Kunstverständnis beeinflusst.21 Bei der Vermittlung der Philosophie legt König den Schwerpunkt auf die Lehre Kants, vernachlässigt dabei jedoch bis auf wenige Dialoge Platons die griechischen Klassiker.22 Dieser gelehrte Unterricht weckt in Adolf früh eine philosophische Neigung. Neben den zusätzlichen Lerneinheiten beschäftigt er sich 16 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 123 f. 17 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 7. 18 Vgl. ebd., S. 7 f. 19 Vgl. ebd., S. 8. 20 Vgl. ebd., S. 8. 21 Vgl. ebd., S. 8. 22 Vgl. ebd., S. 8 f.
6
Vorbemerkungen
autodidaktisch mit Aristoteles und organisiert, z.B. für einige seiner Mitschüler, eine philosophische Privatvorlesung durch den Großneffen des Justizrates Ludwig Bendix Trede (1731–1819).23 Nach seinem Schulabschluss im Jahre 1820 bleibt Adolf auf Bitten Königs der Eutin’schen Stadtschule noch knapp zwei Jahre als Vetretungslehrer für die unteren Klassen erhalten und nutzt diese Chance, um erste pädagogische Erfahrungen zu sammeln und sich gleichzeitig auf sein späteres Studium vorzubereiten.24 Nach der Auffassung Königs leistet Adolf bessere Arbeit als sein ausgeschiedener Vorgänger.25 Wie wichtig Adolf eine praktische Auszeit für die Bildung seines Geistes bewertet, wird in einem Brief an seine Schwester Marianne Trendelenburg vom Montag, den 25. Dezember 1820 (1. Weihnachtsfeiertag), deutlich: Ob ich das nächſte Jahr meinen Geburtſtag im väterlichen Hauſe wiederſehe oder nicht, kann ich dir nicht beſtimmen. Jch hoffe es noch ſehr, indeſſen Vater ſpricht leider häufig und zu beſtimmt das unangenehme Wort aus, daß ich nächſten Michaelis aus guten Gründen zur Univerſität müßte. Nun ich will dieſe Gründe hier nicht prüfen, mögen ſie immerhin nicht gewichtlos ſeyn, das aber weiß ich, daß 1½ Jahre leicht noch erfordert werden, um ganz und gar das durchzumachen, was ich vor der Univerſität nach meiner Anſicht noch durchmachen ſollte, falls ich nämlich die Wiſſenſchaften als etwas höheres betrachte, als eine Kuh, die uns mit Milch und Butter verſorgt. Fruchten meine Vorſtellungen bei Vater nicht, ſo ſehe ich meine Bildung auf eine höchſt nachtheilige Weiſe unterbrochen. Jch hoffe jedoch noch ſehr, daß Vater meinen inſtändigen Bitten Gehör giebt.26
Adolfs Bitte scheint erfolgreich zu sein, denn erst zu Ostern 1822 verlässt er zusammen mit einem exzellenten durch König ausgestellten lateinischen Arbeitszeugnis seine Heimatstadt Eutin für ein Studium der Philologie und Theologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.27 In seiner bemerkenswerten Abschiedsrede vom Freitag, den 29. März 1822, dankt er für seine Erfahrungen in der Eutin’schen Stadtschule und hebt die Institution Schule insgesamt als die wirksamste Anstalt bürgerlicher Gemeinschaften hervor, die den Zweck habe, »den Menschen im Menschen zu bilden [...].«28
23 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 9. 24 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 124. 25 Vgl. Peters: Geschichte von Eutin, S. 184. 26 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 124. 27 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 17. 28 Ebd., S. 13.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
7
In Kiel angekommen, meldet sich Adolf zeitnah zur Aufnahmeprüfung für die Universität, welche er mit der nur selten vergebenen Wertung ›vorzüglich würdig‹ besteht, wodurch der Neuling sich von Beginn an einen Namen bei den Kieler Dozenten machen kann.29 Auch dort zeigt sich seine Neigung zum Universalgelehrten. Neben dem Besuch theologischer Vorlesungen von August Detlev Christian Twesten (1789–1876) und Jakob Christoph Rudolf Eckermann (1754–1837) oder den philologischen Veranstaltungen des Historikers Ernst Wilhelm Wachsmuth (1787–1866) stillt Adolf seinen Wissensdurst über den regulären Stundenplan hinaus mit Kollegien in Physik und Meteorologie bei Christoph Heinrich Pfaff (1772–1852), in höherer Mathematik bei Nicolaus Theodor Reimer (1772–1832), in Kunstgeschichte beim Ästhetiker Johann Adolf Nasser (1753–1828), in deutscher und griechischer Geschichte bei Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), zu Aulus Gellius sowie römischem Recht beim Juristen Andreas Wilhelm Cramer (1760–1833) und schließlich in Philosophie sowohl bei Karl Leonhard Reinhold (1757/58–1823/25) in den Bereichen Anthropologie und Philosophiegeschichte30 als auch bei Johann Erich von Berger (1772–1833).31 Unter seinen bekannteren akademischen Kontakten sind besonders Reinhold und Berger hervorzuheben. Wie Adolfs späterer Sohn, der heute noch für diverse medizinische Diagnoseverfahren berühmte Arzt Friedrich Trendelenburg (1844–1924), in der von ihm zusammengetragenen Familiengeschichte zu berichten weiß, ist es unter den Dozierenden zunächst Reinhold, dem, so Bratuscheck (1873), eigentlichen »Apostel« der Lehre Kants, mit welchem Adolf in Kiel freundschaftlichen Umgang pflegt.32 Neben dessen Vorlesungen besucht Adolf ein von ihm veranstaltetes Privatissimum unter dem Titel Über den Grund und die Beschaffenheit des philosophischen Wissens.33 In einem Brief an seine Schwester Marianne, der um Weihnachten 1822 verfasst wird, bewertet er seinen Kontakt zu Reinhold als einen »Gewinn fürs Leben. Ewig wird er mir als Urbild vorſchweben, dem ich nachzuſtreben habe. Denn in ihm ſtehen mehr wie in jedem andern, den ich kenne, Verſtand und Herz im wundervollſten Einklang.«34 Nach dessen plötzlichem Tod im April 1823 bemerkt er in einem weiteren Brief, dass es nie »einen Mann gegeben [habe], der redlicher die Wahrheit ſuchte, als er.«35 Wie Bratuscheck (1873) berichtet, ist es Reinholds Verständnis der Lehre 29 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 17. 30 Vgl. ebd., S. 18. 31 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 130. 32 Vgl. ebd., S. 130 und Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 18. 33 Vgl. ebd., S. 18. 34 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 130. 35 Zitiert nach ebd., S. 130.
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Vorbemerkungen
Kants als »Evangelium der reinen Vernunft«,36 welches den Ursprung für Adolfs lebenslange Auffassung von der Philosophie als ›Religion der Wissenschaft‹, die »das Ideale im Realen fest zu begründen und thatkräftig zu verwirklichen«37 habe, darstellen würde.38 Johann Erich von Berger, mit welchem Adolf in seinem dritten Semester in Kontakt tritt, liefert mit einer Vorlesung Über das Prinzip des Wissens, die er schon in seinem zweiten Semester besucht,39 nahezu alle wichtigen Bausteine für seine Philosophie. Dieser, als Vermittlerin aller Einzeldisziplinen, stelle sich darin für Berger die Aufgabe, die Prinzipien der Einzelwissenschaften im Zusammenhang zu erkennen und auf einen Ursprung zurückzuführen, zu deren Bewältigung die Erforschung der Sprache eine wichtige Voraussetzung darstelle, da diese nicht zufällig, sondern einer Gesetzmäßigkeit folgend, ihm als »sinnliches Gegenbild des übersinnlichen Gedankens«40 gelte.41 Auch das für die Trendelenburg’sche Philosophie so essenzielle ›Prinzip der Bewegung‹, das selbst auf nichts anderes zurückführbar allen Vorgängen in der materiellen Welt und dem Reich des Denkens zugrundeliegt und somit zwischen Denken und Sein vermittelt, finde sich schon bei Berger, der wie der spätere Trendelenburg ein stufenartiges Aufsteigen, eine Entwicklung der Bewegung vom Materiellen über das Organische bis in das selbstbewusste Denken vertrete, bei der über die teleologische Weltbetrachtung mit Hilfe der Anthropologie (Psychologie und Logik) sowie einer genetischen Betrachtung der Zweck des Menschen selbst erkannt werde und dadurch erst freies auf jene Bestimmung gerichtetes Handeln, der eigentliche Gegenstand praktischer Philosophie, möglich sei.42 Diese inhaltliche Deckung zwischen der Berger’schen und der Trendelenburg’schen Philosophie findet sich angefangen von den theoretischen Grundlagen in Logische Untersuchungen (LU, 1840) bis in seine praktische Schrift Naturrecht auf dem Grunde der Ethik (NR, 1860) wieder. Selbst Trendelenburgs Eigenart, seine Weltsicht aus der Philosophiegeschichte abzuleiten und zu begründen, ist, so Bratuscheck (1873), eine Anregung der philosophiehistorischen Kollegien bei Berger.43 In seinem Selbststudium setzt Adolf den Schwerpunkt mit der Zeit stärker auf die Philosophie, wodurch die Theologie für ihn an Bedeutung verliert. Neben Fichte und Leibniz interessieren ihn besonders Platon und Aristoteles, die, wie 36 Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 19. 37 Ebd., S. 20. 38 Vgl. ebd., S. 19 f. 39 Vgl. ebd., S. 20 f. 40 Ebd., S. 21. 41 Vgl. ebd., S. 21. 42 Vgl. ebd., S. 21 ff. 43 Vgl. ebd., S. 23 f.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
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er in Bergers philosophiegeschichtlichen Vorlesungen erfährt, fast ein Jahrtausend lang den philosopischen Diskurs der Gelehrten bestimmten.44 In der Philologie kann der junge Trendelenburg sich gegen Ende des zweiten Semesters seine ersten wissenschaftlichen Sporen verdienen, indem er bei einem Schreibwettbewerb mit dem Aufsatz Die Bereicherung des lateinischen Wortschatzes durch Plautus den ersten Platz gewinnt, welcher mit einem Preisgeld von 100 Talern dotiert ist.45 Unter den mit Adolf in Kiel befreundeten Kommilitonen finden sich z.B. Persönlichkeiten wie der spätere Theologe Christian Nikolaus Theodor Heinrich Thomsen (1803–1872), der damalige dänische Leutnant August Baggesen (1795–1865)46 und Peter Wilhelm Forchhammer (1801–1894),47 der spätere Professor für Altertumswissenschaften. Besonders zu Forchhammer, mit dem er seine Leidenschaft für Aristoteles teilt und zusammen die Kollegien besucht, verbindet Adolf schon seit Beginn des ersten Semesters ein enges freundschaftliches Verhältnis.48 Im Laufe des dritten Semesters wird ihm jedoch bewusst, dass die Universität Kiel ihm in Bezug auf altgriechische Philologie nicht das bieten kann, was er nach seiner Auffassung lernen muss.49 Ursprünglich plant er in Bonn unter Brandis, der einst zusammen mit dem großen Immanuel Bekker die Vorarbeiten der Berliner Akademieausgabe zum Gesamtwerk des Aristoteles zugeteilt bekam,50 sein Studium fortzusetzen.51 Aufgrund von Zerwürfnissen52 der Bonner Studierendenschaft mit der Universität entscheidet sich Adolf nach Leipzig zu wechseln, um unter dem Altphilologen Gottfried Johann Jakob Hermann (1772–1848) seine Sprachkenntnisse zu vertiefen.53 Vor seiner Wanderung nach Leipzig besucht er in den Ferien seine Eltern in Eutin, um schließlich am 26. Sepember 1823 von dort seine Reise anzutreten.54 Wie Adolfs Sohn Friedrich in der Familienbiografie berichtet, besteht schon seit der frühesten Jugend seines Vaters der Wunsch, »›[d]ie Welt 44 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 26 f. 45 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 130. 46 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 31. 47 Vgl. ebd., S. 29 f. 48 Vgl. ebd., S. 29. 49 Vgl. ebd., S. 32. 50 Vgl. N. von Hertling: »Brandis, Christian August«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 3 (1876), S. 245. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/gnd116402326. html#adbcontent (05.06.2022). 51 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 131. 52 Vgl. ebd., S. 131. 53 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 32. 54 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 131.
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Vorbemerkungen
am Wanderstabe zu durchmessen‹«,55 und so nutzt Adolf die Möglichkeit, um Sehenswürdigkeiten, kulturelle Einrichtungen, Erziehungsinstitute, Kliniken, Unternehmen und Bergwerke zu besichtigen.56 In Celle macht er, da er sich für die damals noch junge klinische Psychologie interessiert, einen prägenden Besuch in einer Nervenheilanstalt und in Eisenach nimmt er an einer Führung durch die Wartburg teil, beschwert sich in einem Brief über den »seelenlos« durchgeführten Rundgang und beschreibt, wie er ehrfürchtig in das Schreibzimmer blickte, in dem Luther einst die Bibel übersetzte.57 Nach einer Station in Gotha, wo er den Astronomen Johann Franz Encke (1791–1865) besucht, den späteren Astronomieprofessor in Berlin, welcher seit 1822 den Posten des Direktors der Sternwarte auf dem Seeberg innehat,58 macht Adolf einen Kurzbesuch in Schnepfental,59 um sich einen Eindruck von der einst durch den Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) gegründeten Schnepfentaler Erziehungsanstalt zu verschaffen, die auf Johann Bernhard Basedows (1723/24–1790) Philantropin basiert,60 und vermerkt in wohlwollender Kritik über die Lektüre von Salzmanns Der Himmel auf Erden (1797) in einem aus dieser Zeit stammenden Brief an seine Schwester Julie Trendelenburg: Salzmann hat mehr die Seite der Religion aufgefaßt, die ins thätige Leben eingreift, als die innere Sehnſucht des Gemüths nach dem Ewigen und Unendlichen, die wir gewiß auch in ſtiller Bruſt nähren wollen, aber die a l l e i n genährt ſo Manche zu müßiger Schwärmerei führt.61
Weil ihm seine Schüchternheit gegenüber dem, wie er an einem Mittwoch, dem 15. Oktober 1823, ins Tagebuch notiert: »größte[n] Geiſt unſerer Zeit[...]«62 im Wege steht, kann Adolf sich bei seinem Aufenthalt in Weimar nicht überwinden, Goethe zu besuchen und ihm Tischbeins Grüße aus Eutin zu übermitteln.63 Diese Ehre sollte Adolf erst im Januar 1828 zuteilwerden.64
55 F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 131. 56 Vgl. ebd., S. 131. 57 Vgl. ebd., S. 131. 58 Vgl. August Kopf: »Encke, Franz«. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 489 f. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/gnd116471727.html#ndbcontent (05.06.2022). 59 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 131 f. 60 Vgl. N. Binder: »Salzmann, Christian Gotthilf«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), S. 293–297. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/gnd118605232.html #adbcontent (05.06.2022). 61 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 132. 62 Zitiert nach ebd., S. 132. 63 Vgl. ebd., S. 132. 64 Vgl. ebd., S. 156 f.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
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In Jena kommt er mit Jakob Friedrich Fries in Kontakt,65 dem Philosophen, dessen Lehrbuch in Königs außerplanmäßigen Logiksitzungen, die ihm als Knabe erteilt wurden, eine Grundlage bildete und der aufgrund einer Rede, welche er auf dem Wartburgfest vor den als staatsfeindlich betrachteten Burschenhaftlern gehalten hatte, zu dieser Zeit suspendiert ist.66 Von Jena nach Chemnitz, dann über Dresden und Meißen erreicht er schließlich Ende Oktober sein Ziel Leipzig, welches sich jedoch als nicht so ertragreich erweist, wie Adolf es sich erhofft. Eine andere und weniger gastfreundliche Mentalität als in Kiel führt lediglich zu spärlichen Kontakten mit Kommilitonen der von der Obrigkeit verpönten Burschenschaften, und von den zurückhaltenden Professoren ist einzig Friedrich August Wilhelm Spohn (1792–1824) zu nennen, bei dem er ein Kolleg zu Horaz’ Sermones besucht und mit welchem er drei Monate bis zu dessen plötzlichen Tod privat Umgang pflegt.67 In den Pfingstferien des Jahres 1824 unternimmt Adolf mit seinem Kieler Freund Forchhammer eine Reise zunächst nach Wien, in deren Rahmen er neben österreichischen Sehenswürdigkeiten den – nach seinem Eindruck – betagten Schlegel aufsucht.68 Da die von ihm mit Interesse konsultierten Vorlesungen bei Hermann ihren Schwerpunkt auf die Grammatik setzen und die anderen philologischen Kollegien ihn enttäuschen,69 beendet Adolf mit dem Sommersemester 1824 seine Studienzeit in Leipzig, um nach Berlin zu wechseln, wo er unter August Boeckh (1785–1867) seine Wissenslücken in Altertumsgeschichte schließen will, welche ihm in Leipzig zu sehr vernachlässigt wird.70 In einem Brief vom Mittwoch, den 4. August 1824, an seinen Vater in Eutin schreibt er dazu: Boeckh steht in der griechischen Literatur neben Hermann in Leipzig unübertroffen da. Es ist folgerecht, zuerst Hermann zu hören, der mehr an dem grammatischen Grund baut und dann Boeckh, der mehr den Blick auf das historische Resultat der Philologie richtet. Ich hatte gleich anfangs diese Reihenfolge im Kopf. [...] Gestehe ich nun auch gern, dass ich in dieser Hinsicht auch manches in Bonn haben werde: so sind doch keine Philosophen da, die ich suche, keine, wie Schleiermacher und Hegel [...]. Den ersteren nennen gewiss Theologen, Philologen und Philosophen nur mit Achtung. Ueber den zweiten ist man getheilt. Ich selbst bin von seiner Ansicht, soweit ich sie kenne, ein entschiedener Gegner und glaube nicht, dass Klarheit und Wahrheit 65 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 133. 66 Vgl. N. Eggeling: »Fries, Jakob«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 3 (1876), S. 245. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/gnd11853601X.html#adbcontent (05.06.2022). 67 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 32 f. 68 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 135 f. 69 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 33. 70 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 136 f.
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Vorbemerkungen in Wissenschaft und Leben durch sie gross wird gefördert werden. Aber der Mann macht gross Aufsehen und man sieht auf ihn, wie auf die Spitze unserer Zeit.71
Schließlich, nach einer weiteren ereignisreichen Wanderschaft, trifft er Oktober 1824 »auf einem vollgeſtopften Perſonenwagen [...] in Berlin [ein].«72 Der Weg zur Promotion (1824–1826) In den nun folgenden drei Semestern, für welche er sich in einer spartanisch eingerichteten Studierstube einmietet,73 besucht Adolf an der Berliner Universität Kollegien zu christlicher Archäologie, der Geschichte des apostolischen Zeitalters sowie zur Patristik von Synesius bis Augustin bei dem Theologen August Neander (1789–1850), zu Pindar und Metrik bei dem Altertumsforscher und Altphilologen August Boeckh, über Thukydides bei Bekker, zur Astronomie des Aratos von Soloi bei dem Astronomen und Philologen Ludwig Ideler (1766–1846), zur allgemeinen Sprachgeschichte sowie Grammatik des Sanskrit bei dem Sprach- und Sanskritforscher Franz Bopp (1791–1867), über die Philosophie der Weltgeschichte bei Hegel, zu dessen Logik beim Philosophen Leopold Dorotheus Henning (1791–1866) und zu Ästhetik bei Friedrich Schleiermacher.74 Über die ›Mäeutik‹ Schleiermachers schreibt Adolf in einem Brief vom Montag, den 2. Mai 1825: Es ist feſſelnd, wie Schleiermacher in der Aufbauung einer philoſophiſchen Wiſſenſchaft ſucht und findet und uns ſelbſt mitſuchen und mitfinden läßt. [...] Jn den philoſophiſchen Vorträgen pflegt man ſonſt das Gefundene mit ſeinen Beweiſen, oft wie vom Dreifuß herunter, zu geben [...]. Schleiermacher lehrt ſelbſt den Weg gehen [...]. Jch wüßte nicht, wo ich mehr lernen könnte für die Gedankenentwicklung in mir und in andern.75
Vermutlich ist es jener Erfahrung mit Schleiermachers dialogischer Wissensvermittlung geschuldet, dass Trendelenburg später als einer der ersten Professoren gilt,
71 Zitiert nach Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 39. 72 F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 137. 73 Vgl. ebd., S. 137. 74 Vgl. ebd., S. 138. 75 Zitiert nach ebd., S. 138.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
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welche die Unterrichtsform sogennanter ›Übungen‹ an deutschen Universitäten für ihre jeweiligen Fachbereiche einführen.76 Seiner Wissbegierde folgend besucht Adolf in Berlin wieder Vorlesungen aus anderen Disziplinen: Er hört Kollegien Ermans in Physik und des Geografen Carl Ritter (1779–1859) in allgemeiner Erdkunde sowie der Chorografie Palästinas.77 Neben Schleiermacher beeindruckt ihn die Vortragsweise des an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Breslau tätigen Naturphilosophen und Naturforschers Henrich Steffens (1773–1845), der in einem Gastsemester an der Berliner Universität unter großem Andrang eine Vorlesung zu den Resultaten der philosophischen Naturwissenschaften anbietet.78 Bei Friedrich Rosen (1805–1837), einem befreundeten Kommilitonen aus seiner Studienzeit in Leipzig, nimmt Adolf Privatunterricht in Sanskrit und vom Medizinstudenten und ehemaligen Klassenkameraden aus Eutiner Tagen, Rudolph Kindt, erhält er eine Einführung in die Physiologie.79 Im Selbststudium beschäftigt sich Adolf wieder intensiv mit den philosophischen Systemen Platons und Aristoteles’, die er historisch sowie miteinander vergleichend im Sinne Schleiermachers als grundlegende Bestandteile für ein modernes Verständnis der Philosophie herausarbeiten will.80 Die persönliche Motivation dahinter offenbart Adolf in seinem gegen Ende des ersten Semesters verfassten Brief vom Dienstag, den 19. April 1825, an Baggesen: Wenn mich Jemand fragte, welchem Syſtem ich folge, ich könnte nicht anders als in meinem Sinn negativ antworten. Wol mag es für den folgerechten Denker ebenſo nothwendig ſeyn, ein Syſtem zu haben, wie man ein Haus haben muß. Aber ich denke ein Haus, in dem es mir geiſtig wöhnlich und gemüthlich ſeyn ſoll, das muß ich mir ſelbſt bauen. [...] Den Kant habe ich jetzt ziemlich ſtudirt. So viel ſehe ich, daß ich mich auf der einen theologiſchen Seite in Einigem an ihn anlehnen werde, wenn ich auch auf der anderen Seite ein tieferes Element des Lebens ſuche, als ſein bloßer ſtarrer Begriff iſt. Dann wiederum kann wol ſchwerlich ein Seyn ohne ſein Werden begriffen werden. Darin liegt die tiefe Wurzel einer geſchichtlichen Anſicht des ganzen Lebens [...].81
Für die Bewerkstelligung dieses Großprojektes beschäftigt er sich schon zu Beginn seiner Berliner Studienzeit mit der Ergründung Platons und stützt sich 76 Vgl. Friedrich Paulsen: »Adolf Trendelenburg. Ein Blatt persönlicher Erinnerungen«. In: Berliner Akademische Wochenschrift 24 (1907). S. 187–289, hier 188. 77 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 138. 78 Vgl. ebd., S. 138 f. 79 Vgl. ebd., S. 139 f. u. 142. 80 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 43 f. 81 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 139.
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Vorbemerkungen
dabei auf Schleiermachers Forschung, welche die platonischen Dialoge in einem Gesamtzusammenhang betrachtet, und zieht daraus für sich den Schluss, dass sich jene Systematik auch auf den mündlichen Unterricht in der platonischen Akademie, in welcher Aristoteles zwanzig Jahre lang Schüler war, ausgewirkt haben muss und dessen Werk somit den Schlüssel für das bessere Verständnis der Platon’schen Philosophie enthalte.82 Er sammelt und sichtet zunächst akribisch jede Textstelle, welche sich auf Platon bezieht, um in den folgenden drei Semestern intensiver in das Werk des Aristoteles einzutauchen sowie im Vergleich mit Platon ein tieferes Verständnis beider Philosophen zu entwickeln, wobei er zu dem Schluss kommt, dass der Schüler Aristoteles bisher zu Unrecht im Schatten seines Meisters steht.83 Endlich, am 10. Mai 1826, promoviert Adolf Trendelenburg mit einer seinem ehemaligen Lehrer König gewidmeten Dissertation zum Thema: Platonis de ideis et numeris doctrina ex Aristotele illustrata.84 Die Arbeit schlägt nach Richter (1894) erstmals den »seitdem vielfach mit Erfolg betretenen Weg ein, den Aristoteles als historische Quelle und kritische Norm bei Darstellung der Geschichte der griechischen Philosophie zu verwerthen.«85 Der Weg zur ordentlichen Professur (1826–1837) Nach erfolgreichem Abschluss und einer mehrmonatigen Orientierungszeit bezüglich seiner beruflichen Zukunft tritt Adolf am 17. November 1826 eine Anstellung als Hauslehrer bei Karl Ferdinand von Nagler (1770–1846) an, der damals als preußischer Generalpostmeister sowie als Minister im Frankfurter Bundestag tätig ist und dessen zwölfjährigen Sohn, Karl von Nagler, er für das Abiturexamen vorbereiten soll.86 An diese Anstellung gerät er im Rahmen der für die Promotion üblichen Konsultationen durch den Besuch bei Ober-Regierungsrat Johannes Schulze (1786–1869), dem er zuvor durch Boeckh empfohlen worden war.87 In einem Brief an seine Eltern in Eutin schreibt Adolf über das Treffen mit Schulze: »Der Geheimrat Schulze wußte es mir beſonders beizubringen, daß der Herr v. Nagler ein Schwager des Herrn v. Altenſtein ſei, und daß für
82 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 43 f. 83 Vgl. ebd., S. 44. 84 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 145. 85 A. Richter: »Trendelenburg, Friedrich Adolf«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 38 (1894), S. 569–572. Onlineversion: www.deutsche-biographie.de/gnd11862380X.html #adbcontent (05.06.2022). 86 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 147 f. 87 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 52 f.
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mein weiteres Fortkommen im Preußiſchen dadurch ſchon geſorgt ſei.«88 Mit dem Kontakt zu Schulze, dem damals das gesamte höhere Schulwesen unterstellt ist,89 öffnet Boeckh dem jungen Trendelenburg tatsächlich eine für seine spätere akademische Zukunft erste wichtige Tür. Die Anstellung bei Naglers, welche 34–36 Stunden90 pro Woche umfasst, lässt diesem zwar kaum Zeit für seine Forschung, jedoch kann er neben der praktischen Lehrerfahrung im Dunstkreis der Naglers und des Ministers Karl Freiherr von Altenstein (1770–1840) in Berlin und Frankfurt wichtige Kontakte in mächtige und hochgebildete Kreise knüpfen,91 daneben auch zu seinem späteren Schwiegervater, dem Sprachwissenschaftler Karl Ferdinand Becker (1775–1849).92 Seine Tätigkeit als Hauslehrer endet schließlich zwei Jahre später als geplant am 9. März 1833 nach insgesamt sieben Jahren mit dem ausgezeichnet bestandenen Examen seines Schützlings.93 Die jahrelangen Mühen im Hause der Naglers sollten sich kurz nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für Trendelenburg auszahlen: Während seines Aufenthalts in Paris, wo er in der Königlichen Bibliothek für den Kommentar seiner Edition von Aristoteles’ De Anima die Manuskripte sichtet,94 erreicht ihn ein Dankschreiben Naglers sowie ein Dekret von Minister Altenstein, welches ihm eine zunächst95 unbezahlte außerordentliche Professur an der Berliner Universität sowie einen ersten bezahlten Arbeitsplatz im Kultusministerium mit Aussicht auf einen späteren Posten als Schulrat in der preußischen Unterrichtsverwaltung verkündet.96 »[N]icht der übliche Weg«,97 wie sein Sohn Friedrich später in der Familienbiografie bemerkt. Zurück in Berlin bezieht er ein kleines Appartement in der Jägerstraße 15 im heutigen Bezirk Mitte und beginnt zum Sommersemester 1833 mit seiner ersten Vorlesung zum Leben und System des Aristoteles.98 Mit dem Erscheinen der Aristotelis de Anima Libri Tres (1833), in welchen Trendelenburg, so Bratuscheck (1873), »epochemachend« die Philosophie des Aristoteles aus der vollständigen Überlieferung inklusive der Zitate aus alten Sekundärquellen erläuternd kommentiert, wird Adolf 88 Zitiert nach F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 146. 89 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 52. 90 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 149. 91 Vgl. Hartung/Köhnke: »Einleitung«. In: Dieselb.: Trendelenburgs Wirkung, S. 7–12, hier 8. 92 Vgl. Hartung: »Friedrich Adolf Trendelenburg«. In: Kraus: Geisteswissenschaftler II, S. 9–26, hier 11. 93 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 149. 94 Vgl. Alwast: »Trendelenburg«, In: Biographisches Lexikon, S. 285 ff., hier 285. 95 Ab 1835 erhält Adolf wegen seiner akademischen Leistungen ein Gehalt von 800 Talern. Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 83. 96 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 149. 97 Ebd., S. 149. 98 Vgl. ebd., S. 160 f.
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Vorbemerkungen
Trendelenburg in akademischen Kreisen endgültig zu einer philosophischen und philologischen Autorität.99 Die Jahre 1834 bis 1835 sind für Adolf durch eine Reihe von schmerzhaften Todesfällen geprägt: Es beginnt am 12. Februar 1834 mit dem Tod des von ihm sehr verehrten Schleiermacher sowie dem Verscheiden seines Freundes Ferdinand Becker am 22. Juni und setzt sich im darauffolgenden Jahr mit dem Ableben der von Krankheit geschwächten Eltern fort, wobei die Mutter, welche erst gegen Ende des Jahres 1835 verstirbt, noch die Verlobung ihres Sohnes mit Ferdinande Becker (1811–1893) erleben darf.100 Aus der am 30. September 1835 geschlossenen Ehe101 mit Ferdinande gehen insgesamt sechs Töchter und zwei Söhne102 hervor.103 Die Familie Trendelenburg wechselt von der Jägerstraße zunächst in die Luisenstraße, lebt dann in der Zeit von 1846 bis 1863 in der Linienstraße, um schließlich ab 1863 in die Charlottenstraße im heutigen Bezirk Kreuzberg zu ziehen.104 Die Ferien mit der Familie wurden entweder in der alten Heimat Eutin oder aber in der Schweiz verbracht, wobei der Besuch der Weltausstellung in London 1851 eine Besonderheit darstellt.105 Im Sommersemester 1837 erhält Trendelenburg, nachdem zuvor ein Ruf aus Kiel erfolgt ist, eine ordentliche Professur in praktischer Philosophie sowie in Pädagogik, die er bis zu seinem Tod 1872 bekleiden wird.106 Die Schaffensjahre (1837–1872) Mit der ordentlichen Professur beginnt Trendelenburg neben seinen Vorlesungen als einer der ersten Hochschullehrer seiner Zeit sogenannte ›Übungen‹ in das Fach Philosophie einzuführen.107 Diese Seminare bestehen darin – so erinnert sein ehemaliger Schüler, Pädagoge und Philosoph Friedrich Paulsen (1846–1908), kurz vor seinem Tod im Jahre 1907 – zu »lesen und aufmerken zu lehren. Ein kleiner Abschnitt des Textes wurde erst gelesen und übersetzt; dann analysiert und erklärt, bis der Gedankengehalt klar herausgebracht war.«108 99 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 79 f. 100 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 163 ff. 101 Vgl. ebd., S. 165. 102 Sohn Karl Trendelenburg, stirbt schon ein Jahr nach der Geburt. Vgl. ebd., S. 170. 103 Vgl. Alwast: »Trendelenburg«, In: Biographisches Lexikon, S. 285 ff., hier 285. 104 Vgl. Hartung: »Friedrich Adolf Trendelenburg«. In: Kraus: Geisteswissenschaftler II, S. 9–26, hier 12. 105 Vgl. ebd., S. 12. 106 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 83. 107 Vgl. Friedrich Paulsen: »Adolf Trendelenburg«, S. 187 ff., hier 188. 108 Ebd., S. 187 ff., hier 188.
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Nachdem Trendelenburg mit Aristotelis de Anima Libri Tres sowie den Elementa Logices Aristotelae (1836) schon zwei beachtliche Veröffentlichungen vorgelegt hat, wovon letztere zusammen mit den Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik. Zunächst für den Unterricht in Gymnasien (1842) seinerzeit als maßgebliches Lehrbuch des Oberstufenunterrichts an preußischen Schulen verwendet wird,109 folgt neben seinen philologischen Publikationen dieser Zeit im Jahr 1840 die erste Auflage seines zweibändigen Hauptwerkes Logische Untersuchungen (drei Aufl.: 1840, 1862, 1870), welches die berühmte Kritik an Hegels dialektischer Methode enthält, in welcher er diesem schon bei dessen Logik des Anfangs vorwirft, dass beim Übertritt vom Sein oder NichtSein zum Werden stillschweigend das ›Prinzip der Bewegung‹ vorausgesetzt wird. Denn [d]as reine Sein iſt Ruhe; das Nichts — das ſich selbſt Gleiche — iſt ebenfalls Ruhe. Wie kommt aus der Einheit zweier ruhender Vorſtellungen das bewegte Werden heraus? Nirgends liegt in den Vorſtufen die Bewegung vorgebildet, ohne welche das Werden nur ein Sein wäre. Da ſowol das reine Sein als auch das Nicht=Sein Ruhe ausdrückt, ſo kann folgerichtig die nächſte Aufgabe des Denkens, wenn die Einheit beider geſetzt werden ſoll, nur die ſein, eine ruhende Vereinigung zu finden. Wenn aber das Denken aus jener Einheit etwas Anders erzeugt, trägt es offenbar dies Andere hinzu [...].110
Die Bewegung muss somit schon vorher gedacht sein, da, so könnte man sagen, dem Passiven nichts aktives ausfließen kann. Es ist eben jene »elementare Vermittlung«111 von Denken und Sein durch das ›Prinzip der Bewegung‹, welches zentral für die Trendelenburg’sche Philosophie ist: Weil die Bewegung eine in sich einfache Thätigkeit ist, die sich nur erzeugen, nicht zerlegen lässt, wird sie zugleich die letzte sein, die aus keiner andern stammt, und wird darum auch aus sich erkannt werden; weil sie die letzte ist, wird sie allgemein sein und jeder Thätigkeit zum Grunde liegen; und wenn sich das Denken als höchste Blüte der Thätigkeiten in der Welt erhebt, aber diese Blüte die übrigen gleichsam als nährenden Boden und tragenden Stamm voraussetzt: so wird um dieser Allgemeinheit willen die Bewegung dem Denken und Sein gemeinschaftlich angehören.112
109 Vgl. Hartung: »Friedrich Adolf Trendelenburg«. In: Kraus: Geisteswissenschaftler II, S. 9–26, hier 12 f. 110 LU1.I, S. 25. 111 LU2.I, S. 139. 112 Ebd., S. 153 f.
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Vorbemerkungen
Erst in der Vermittlung von Denken und Sein, in der Verbindung von Logik und Metaphysik, der, so die LU2.I, »Logik im weitern Sinne«,113 kommen das Logische und das Reale zur Deckung, können Denkformen mit den Formen der Wirklichkeit übereinstimmen: Die dargestellte Gemeinschaft von Denken und Sein zeigt sich weiter darin, dass die Formen des Denkens den Formen des Seins entsprechen [...]. Wie im Sein aus der Thätigkeit die Substanz hervorgeht und wiederum aus der Substanz Thätigkeiten: so werden aus Urtheilen Begriffe, aus Begriffen Urtheile. Das Verhältniss von Grund und Folge im Denken entspricht im Sein dem Verhältniss von Ursache und Wirkung.114
Dem anschauungslosen ›reinen Denken‹ Hegels erteilen die LU damit eine Absage oder wie es Gerald Hartung in seinem Aufsatz Wozu ›Ethische Untersuchungen‹? (2006) noch eindeutiger formuliert, gibt es für Trendelenburg »keinen rein logischen Anfang im Denken, sondern dieser setzt die Anschauung von Seiendem – und zwar in seiner radikalen Singularität und irreduziblen Pluralität – voraus.«115 Die Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen Hegel. Auch eine streng auf sich selbst bezogene »formale Logik verfehlt [nach Trendelenburg] das Ziel, indem sie den fertigen Begriff auf sich beschränkt und [diesen] nur sich selbst gleichsetzt [...].«116 In seinen beiden zunächst in der Neuen Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung getrennt erscheinenden und später in Die logische Frage in Hegels System. Zwei Streitschriften (1843) erneut publizierten gleichnamigen Aufsätzen formuliert Trendelenburg seine Hegelkritik drastischer, verneint – fast schon polemisch – die Wissenschaftlichkeit der dialektischen Methode und stellt erstmals im Wortlaut ›die logische Frage‹,117 welche von der Mitte des 19. Jahrhundert an den allgemeinen Diskurs in der Philosophie prägen sollte, und versteht seine Beiträge, so der Titel des ersten Kapitels, als »[e]ine Aufforderung zu ihrer wissenschaftlichen Erledigung.«118 »[E]ine der glänzenſten Leiſtungen der Streitliteratur«,119 113 LU2.I, S. 12. 114 LU2.II, S. 493 115 Vgl. Hartung: »Wozu ›Ethische Untersuchungen‹?«. In: Hartung/Köhnke: Trendelenburgs Wirkung, S. 83–103, hier 88. 116 LU2.I, S. 130. 117 Vgl. Risto Vilkko: »Trendelenburgs Kritik an der Herbartschen Logik und ihr Einfluß auf die Reform der Logik« (2002). In: Hartung/Köhnke: Trendelenburgs Wirkung (2006), S. 43–53, hier 43. 118 [Friedrich] Adolf Trendelenburg: Die logische Frage in Hegel’s System. Zwei Streitschriften. F. A. Brockhaus Verlag. Leipzig 1843. S. 1. 119 Rudolf Eucken: »Zur Charakteriſtik der Philoſophie Trendelenburgs«. In: Ders. (Hg.): Beiträge zur Geſchichte der neuern Philoſophie vornehmlich der deutſchen. Georg Weiß Verlag. Heidelberg 1886. S. 117–144, hier 130.
Über den Autor Friedrich Adolf Trendelenburg
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wie sein ehemaliger Weggefährte, der Literaturnobelpreisträger und Philosoph Rudolf Eucken (1846–1926), einige Jahre nach Adolfs Tod urteilt. Neben der ersten Veröffentlichung der LU ist im Jahre 1840 noch Adolfs Aufnahme als jüngstes Mitglied in die einst von Schleiermacher mitgegründete griechische Gesellschaft Die Griechheit hervorzuheben.120 In den Jahren danach beschäftigt er sich in Forschung und Lehre sowohl mit der Psychologie als auch besonders mit Philosophiegeschichte, wobei er in seinen Vorlesungen den Schwerpunkt auf die für ihn wichtigen Klassiker Platon, Aristoteles, Spinoza und Kant legt.121 Die Historischen Beiträge zur Philosophie, von denen mit den Jahren 1846, 1855 und 1867 insgesamt drei Bände erscheinen, fassen Trendelenburgs philosophiehistorischen Forschungen zusammen. 1841 wird die Berliner Universität durch die Berufung Schellings sowie Wilhelm und Jakob Grimms um drei bedeutende Größen der wissenschaftlichen Welt bereichert.122 Zu den Grimms entsteht besonders über Ferdinande Trendelenburg, welche sich mit Wilhelms Frau Henrietta Dorothea Grimm (geb. Wild, 1846–1926) anfreundet, ein persönlicher Kontakt.123 Ab 1842, dem Jahr der Grundsteinlegung des Kölner Doms, an dessen Feierlichkeiten Trendelenburg teilnimmt,124 ist die nächste Dekade durch eine Reihe von Ereignissen bestimmt, welche seinen akademischen Einfluss ausweiten: In den Jahren 1842, 1845, 1853, 1859 und 1868 wird er zum Dekan ernannt und bekleidet 1845, 1856 und 1863 das Amt des Rektors.125 Darüber hinaus ist er ab 1842 Mitglied der Gesetzlosen Gesellschaft zu Berlin, übernimmt nahezu durchgehend von 1847 bis 1860 den Vorsitz der wissenschaftlichen Prüfungskommission126 und bekleidet als ordentliches Mitglied127 von 1847 bis 1872 den Posten des ständigen Sekretärs der philosophisch-historischen Klasse der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.128 Die stetig größer werdende Zahl an institutionellen Verpflichtungen, das tägliche Geschäft in der Universität und die Teilnahme in verschiedenen Vereinigungen führen dazu, dass Pflicht und philosophischer Forschergeist mehr und mehr in Konflikt geraten. Schon der erste Band seiner Historischen Beiträge zur Philosophie (1846) erscheint später als geplant.129 In den 1850er Jahren nutzt 120 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 170. 121 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 88 f. 122 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 171. 123 Vgl. ebd., S. 171. 124 Vgl. ebd., S. 172. 125 Vgl. Hartung/Köhnke: »Einleitung«. In: Dieselb.: Trendelenburgs Wirkung, S. 7–12, hier 9. 126 bereits seit 1837 Mitglied. 127 bereits seit 1846 ordentliches Mitglied. 128 Vgl. Hartung: »Friedrich Adolf Trendelenburg«. In: Kraus: Geisteswissenschaftler II, S. 9–26, hier 13. 129 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 173.
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Vorbemerkungen
Trendelenburg deshalb für seine philosophischen Untersuchungen besonders gerne die Herbstferien, in welchen er sich an einsame Orte wie Wyk auf Föhr, Helgoland, dem heute zu Polen gehörenden Sopot (damals Zoppot), stille Täler in der Schweiz und in Süddeutschland oder ab 1858 in Städte wie Heringsdorf, Kleve oder auch Barmen (heute ein Teil Wuppertals) zurückzieht.130 Bei einem solchen Herbstaufenthalt in Auerbach im Jahre 1858 vollendet er schließlich sein zweites philosophisches Hauptwerk Naturrecht auf dem Grunde der Ethik (zwei Aufl.: 1862 und 1870), an dem er schon seit 1840 arbeitet131 und das als »praktischer Ausläufer« einerseits seines in den LU1 vorgestellten Systems sowie andererseits der zeitlebens unvollendet gebliebenen Ethiſchen Unterſuchungen (EU) fungiert.132 Im auf Dienstag, den 10. April 1860, datierten Vorwort stellt das NR1 sich selbst die Aufgabe, zuerst das Princip des Rechtes zu finden und darzuthun, und im zweiten das gefundene und dargethane Princip in den Rechtsordnungen — vom Rechte des Eigenthums bis zum Völkerrechte — darzustellen und durchzuführen. [...] [Und dabei] das Recht ethisch, und das Ethische organisch, und das Organische ideal im Realen aufzufassen.133
Trendelenburg ist sich bewusst, dass die dem NR1 mitgegebenen einleitenden Kapitel für sich nicht ausreichen, um seine Rechtsphilosophie befriedigend zu fundieren. Daraus erwächst für ihn die Notwendigkeit, in ›ethischen Untersuchungen‹ von welchen diese Rechtsphilosophie ein praktischer Ausläufer ist, die psychologischen und ethischen Grundgedanken, welche hier angedeutet oder vorausgesetzt sind, so auszuführen, dass sie in der Helle der Kraft erscheinen, deren sie fähig sind. 134
Bereits zu Beginn der 1850er Jahre macht er den Versuch, eine Ethik unter dem Titel Etiſche Unterſuchungen zu schreiben. Der Entschluss, die EU über die beiden vorliegenden Kapitel hinaus nicht fertigzustellen, muss schon 1851 gefallen sein, da ab einem unbestimmten Zeitpunkt – vermutlich als ein Kompromiss – das erste der beiden vorliegenden Kapitel in ein Vorlesungsmanuskript umgearbeitet und unter dem gleichlautenden Titel Ueber den Ort der Ethik im Inbe-
130 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 182. 131 Vgl. ebd., S. 182. 132 Vgl. NR1, S. V. 133 Ebd., S. IV. 134 Ebd., S. V.
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griff der Wiſſenſchaften im Jahre 1851 in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen wird.135 In späteren Jahren übernimmt Trendelenburg einzelne Textsegmente aus dem ersten Kapitel der EU in das dadurch stark erweiterte Kapitel XXI. Das System der LU2.II. Die Textstellen werden hier teilweise wörtlich, teilweise sinngemäß, in den Text übernommen. Wie Rudolf Eucken zu berichten weiß, scheitern Trendelenburgs ursprüngliche Pläne, »eine Pſychologie und eine Ethik zu vollenden«,136 an dessen zahlreichen amtlichen Verpflichtungen.137 Eucken, der im Jahre 1866 mit einer Reihe von Empfehlungen sowie der Hoffnung auf eine »bleibende Stellung« frisch promoviert von Göttingen nach Berlin reist, um neben anderen akademischen Persönlichkeiten auch bei Adolf Trendelenburg vorstellig zu werden,138 bringt in seinen Lebenserinnerungen (1922) dessen damalige Bedeutung auf den Punkt: Trendelenburg ſtand damals auf der Höhe ſeines Wirkens. Er hatte eine hervorragende literariſche Tätigkeit, die ſowohl eine ſelbſtändige Weltanschauung vertrat, als ſich klar und kräftig mit anderen Denkern auseinanderſetzte, welche geiſtige Führer der Zeit waren, ſo namentlich mit Hegel und mit Herbart. Seine Vorleſungen waren ſehr beſucht; er war nicht nur Mitglied, ſondern auch Sekretär der Preußiſchen Akademie, auch ein Hauptmitglied der Staatsprüfungen. Ohne ihn ſchien damals in Berlin nichts möglich.139
In seinen späten Jahren gewöhnt sich Trendelenburg an, ein- bis zweimal die Woche, meist sonntags, in peripatetischer Tradition einen philosophischen Spaziergang zu machen, bei dem er z.B. von seinem Freund Dilthey begleitet wird.140 Darüber hinaus öffnet er als Erweiterung seiner Lehre für erlesene Studenten einmal wöchentlich sein Heim, gibt in familiärem Umfeld hilfreiche Hinweise für deren Studien oder lässt so manchen in seine aktuellen wissenschaftlichen Projekte blicken.141 Der Herbst seines Lebens (1869–1872) In der letzten Etappe seines Lebens ist besonders der literarische Schlagabtausch mit Kuno Fischer (1824–1907) hervorzuheben, bei dem um die richtige Ausle135 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180. 136 Rudolf Eucken: Lebenserinnerungen. Ein Stück deutſchen Lebens. 2. erweiterte Auflage. K. F. Koehler Verlag. Leipzig 1922. S. 39. 137 Vgl. ebd., S. 39. 138 Vgl. ebd., S. 38. 139 Ebd., S. 38 f. 140 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 213. 141 Vgl. ebd., S. 213 f.
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Vorbemerkungen
gung der Kant’schen Philosophie in Bezug auf die ›Trendelenburg’sche Lücke‹ (auch ›Kant-Lücke‹) gestritten wird.142 Fischer argumentiert dabei in der zweiten Auflage seiner Schrift System der Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre (1865) gegen die These Trendelenburgs, Kant habe »[d]ie Möglichkeit, daß der Raum [und die Zeit] auch objektiv ſei, d.h. eine von der Anſchauung unabhängige Realität haben könne [...] überſehen [...]«.143 Auf seine Lesart der Trendelenburg’schen Kritik entgegnet Fischer nun, dass Kant in Kritik der reinen Vernunft (1781) nachgewiesen habe, dass eine transzendentale Realität von Raum und Zeit unmöglich, »daß der Raum kein Ding an ſich [...] d.h. nichts unabhängig von der Anſchauung«144 sei und man Kant deswegen nicht vorwerfen könne, etwas übersehen oder nicht bewiesen zu haben.145 Der Streit sollte mit Trendelenburgs Kuno Fischer und sein Kant (1869) sowie Fischers polemisch betiteltem Gegenschlag Anti-Trendelenburg (1870) schließlich sein Ende finden. Am 21. Januar 1870 erleidet Trendelenburg einen leichten Schlaganfall, kann jedoch nur wenige Wochen danach unter ärztlichen Auflagen seine wissenschaftliche Arbeit wieder fortsetzen.146 Während der beiden Genesungsaufenthalte in der Schweiz und im Thüringer Wald im Sommer 1870 vollendet er noch die dritte vermehrte Auflage der LU,147 die bis auf kleinere Aktualisierungen und Hinzufügungen besonders den deutschen Darwinismus148 kritisch berücksichtigt, welcher »der vordringenste Angriff auf den Zweck als einen Gedanken im Grunde der Wesen«149 seit Spinoza sei. Als er zum Wintersemester 1870/71 in vermindertem Umfang wieder mit seiner Vorlesungstätigkeit beginnt, erscheinen kurz darauf als letzte größere Veröffentlichung die Kleinen Schriften (1871), eine zweibändige Sammlung seiner Festreden in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften.150 142 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 195 f. 143 Kuno Fischer: Syſtem der Logik und Metaphyſik oder Wiſſenschaftſlehre. 2. völlig überarbeitete Auflage. Friedrich Bassermann Verlag. Heidelberg 1865. S. 175. 144 Fischer: Syſtem der Logik und Metaphyſik, S. 175. 145 Vgl. ebd., S. 175. 146 A. Richter: »Trendelenburg, Friedrich Adolf«. In: Allgemeine Deutsche Biographie 38 (1894), S. 569–572. Online: www.deutsche-biographie.de/gnd11862380X.html (05.06.2022). 147 Vgl. Hermann Bonitz: Zur Erinnerung an Friedrich Adolf Trendelenburg. Vortrag. Gehalten am Leibniztage 1872 in der Königlichen Akademie der Wissenschaften. F. Dümmlers Verlag. Berlin 1872. S. 30 f. 148 Schon im Jahre 1862 studiert Adolf das kurz zuvor erschienene Hauptwerk Darwins On the Origin of Species, by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1859). Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 183. 149 LU3.I, S. XI. 150 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 196.
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Schließlich, nachdem er noch im Dezember 1871 das Ableben seiner Schwägerin und Freundin Sophie Helmsdörfer zu verkraften hat, ruft Adolf am Morgen des 16. Januars 1872 nach einer schlaflosen Nacht seinen Sohn Friedrich zu sich, um diesem im Falle einer Verschlechterung seines geistigen Zustandes die Vollmacht über das Haus und seine Person zu erteilen.151 Nur wenige Tage danach, am 24. Januar 1872, stirbt Trendelenburg in einer nahegelegenen Nervenheilanstalt in Pankow.152 Nach dem Erhalt der Todesnachricht überbringt ein Bote der Familie den Orden Pour le mérite, die höchste damals denkbare Auszeichnung, welcher Friedrich Adolf Trendelenburg traditionsgemäß am Gedenktag der Geburt Friedrichs des Großen verliehen wird.153 Meine Vorlesungen sollen ruhen.154
151 Vgl. F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg, S. 187. 152 Vgl. ebd., S. 187. 153 Vgl. ebd., S. 187. 154 Adolfs letzte niedergeschriebenen Worte während des Schlaganfalles in der Nacht vom 16. Januar 1872. Zitiert nach Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 219.
Einführung in die Ethiſchen Unterſuchungen Über die Hintergründe der Ethiſchen Unterſuchungen (EU) ist nur wenig bekannt. Etwa um 1851 muss Tr. mit seiner Arbeit daran begonnen haben. Ursprünglich als eigenständiges Werk konzipiert bricht die Untersuchung mitten im zweiten Kapitel ab. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt arbeitet Tr. den Text des ersten Kapitels in ein literarisches Fragment um, welches 1851 in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen wird.1 Die folgende Einführung bezieht sich auf die ursprüngliche Textfassung (F1) des ersten sowie die einzige Fassung des unvollendeten zweiten Kapitels. Inhalte der ›Vortragsfassung‹ (F2) werden nur insoweit berücksichtigt, als sie für das Verständnis der Zusammenhänge relevant sein könnten. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften Im ersten Kapitel beschäftigen sich die EU mit der Grundfrage, »welche Stelle die Ethik, inwiefern ſie einzelne Wiſſenſchaft iſt«,2 im System der Wissenschaften einnimmt. Zunächst wird einleitend die allgemeine Feststellung getroffen, dass die Ethik ›im weiteren Sinne‹ überall da beginne, wo der Menschengeist seine ihm ›eigentümlichen‹ Tätigkeiten ausführe.3 Wie dieses ›Eigentümliche‹ genauer zu bestimmen ist, bleiben die EU bis auf vage Umschreibungen jedoch schuldig. Erst im NR1 (1860), welches maßgeblich von den Inhalten der EU beeinflusst wird und dessen theoretische Paragraphen man als eine Weiterentwicklung der Erörterungen der EU betrachten kann, wird das ›eigentümlich Menschliche‹ als »[d]ie Wechselwirkung des Denkens mit dem Begehren und der Empfindung, [als] das bewusste Allgemeine in seiner Wirkung auf die blinden Regungen des Besondern«4 genauer gefasst. Was das bedeutet, wird erst an späterer Stelle bei der Beschreibung des genetischen Systems der Wissenschaften deutlich werden. Weil die Wissenschaft eine dem Menschengeist entflossene Bildung sei, fielen »alle Wiſſenſchaften in die Ethik; denn die Erforſchung des Wahren iſt eine ethiſche That«.5 Für die EU ist das ›Ganze der Erkenntnis‹ von der Ethik im weiteren Sinne durchdrungen, umfasst das Ethische den Inbegriff der Wissenschaften. Die Suche nach dem Ort der Ethik als philosophische Einzeldisziplin führt die Betrachtung nun dahin, zuerst den ›Einteilungsgrund der Philosophie‹ zu überprüfen. 1 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180. 2 EU, Dbl. 1/1v f. 3 Vgl. ebd., Dbl. 1/1r. 4 NR1, S. 40. 5 EU, Dbl. 1/1v.
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Vorbemerkungen
In der Geistesgeschichte würden die philosophischen Wissenschaften entweder nach dem verschiedenen Verhalten zu ihren Gegenständen in ›theoretische und praktische‹ oder aber nach den spezifischen Gegenständen wie beispielsweise in ›Logik, Physik und Ethik‹ eingeteilt.6 Die erste Differenzierung wird nun einer näheren Prüfung unterzogen. Ihr Ursprung liegt für die EU in ihren Anlagen schon bei der in Platons Politikos getroffenen Unterscheidung der Erkenntnisse in ›handelnde‹ und ›einsehende‹.7 Aber erst Aristoteles entwickele diese mit seiner Unterteilung in ›theoretische, praktische und poietische Erkenntnisse‹ in philosophiehistorisch wirksamer Weise fort.8 Zunächst unterscheide er dabei zwischen den unwandelbar-notwendigen und den wandelbaren Gegenständen, wobei erstere dem wissenschaftlichen und letztere dem beratenden Vermögen zugeteilt würden.9 Unter das Betrachtende subsumiere Aristoteles wiederum die theoretische (betrachtende) und unter das Beratende die praktische (handelnde) und die poietische (bildende) Philosophie.10 Diese beiden Einteilungen unterziehen die EU nun der kritischen Würdigung. Hauptkritikpunkt ist hierbei die scharfe Trennung der jeweiligen Gebiete. So sei schon die Scheidung zwischen wissenschaftlichem und beratendem Vermögen nicht haltbar, weil diese sich wechselseitig bedingten.11 Vielmehr bestehe die Aufgabe »der Wiſſenſchaft [darin], das Zufällige in Nothwendiges zu verwandeln und im Veränderlichen das Unveränderliche zu erkennen.«12 Aber auch die strikte Aufteilung in drei Geistestätigkeiten, in unterschiedliche Arten, wie sie beispielsweise bei der Unterscheidung der verschiedenen Formen des Parallelogramms möglich sei, wäre nicht angemessen, da Betrachten, Handeln und Bilden nicht ohne einander gedacht werden könnten:13 Denn das Handeln muß von Vernunft durchdrungen ſein und das Bilden ſoll eine Jdee darſtellen u[.] zur Anſchauung bringen. Ebenſo iſt das Bilden in dem Handeln, wie in dem Betrachten enthalten; denn das Handeln vollendet ſich erſt 6 Vgl. EU, Dbl. 1/2r. 7 »Fremder: Auf diese Art also teile uns sämtliche Erkenntnisse, und nenne die eine handelnd, die andere lediglich einsehend.« Platon: Politikos, 258e. 8 Vgl. EU, Dbl. 1/2r f. 9 »Und zwar sei zugrunde gelegt, dass es zwei Vernunft besitzende Bestandteile gibt, einen, mit dem wir dasjenige Seiende betrachten, dessen Ursprünge nicht (so oder) anders sein können, und einen, mit dem wir das betrachten, was (so oder) anders sein kann. [...] Der eine Teil heiße nun ›wissenschaftlich‹ (epistēmonikos), der andere ›überlegend‹ (logistikos).« Aristoteles: Nicomachische Ethik VI, 1139a. 10 Vgl. EU, Dbl. 1/2v. 11 Vgl. ebd., Dbl. 2/1r f. 12 Ebd., Dbl. 2/1r. 13 Vgl. ebd., Dbl. 2/1v–3/1r
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in der ſittlichen Schönheit, in einer Darſtellung, die, wie das Kunſtwerk, ihrer Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf [...] des Hervorbringens, um ſich zu verwirklichen, und muß ſich darſtellen, um ſich ſelbſt klar und andern zugänglich zu werden.14
Der eigentliche Unterschied zwischen den genannten Tätigkeiten liegt für die EU in den verschiedenen Richtungen ihres Zweckes: »Das Betrachten will erkennen[,] um zu erkennen; das Bilden will hervorbringen, um einen Gedanken anzuſchauen oder eine Empfindung hinzuheften; das Handeln hingegen will eine Wirkung als ſolche.«15 Dennoch reicht den EU diese zugestandene Differenz nicht aus, um eine scharfe Trennung zwischen den drei philosophischen Tätigkeiten zu rechtfertigen, da die jeweiligen Zwecke der einen die Mittel der anderen darstellen würden.16 Aristoteles Unterscheidung habe sich durch das Mittelalter erhalten und erscheine bei Wolff, Kant und Fichte in der Zweiteilung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, welche bei Baumgarten durch die Hinzufügung der Ästhetik wieder die alte Dreiteilung bilde.17 Da ihnen eine Unterscheidung der verschiedenen menschlichen Tätigkeiten als Einteilungsgrund der Philosophie nicht taugt, wenden die EU sich der Frage zu, ob die Einteilung nach den inneren Unterschieden der wissenschaftlichen Gegenstände eine Alternative darstellen kann.18 So hätten sich die frühen Stoiker mit ihrer Aufteilung der Philosophie in Physik, Ethik und Logik, neben dem eben erörterten aristotelischen Modell bis in die jüngere Zeit durchgesetzt.19 Die ersten Stoiker platzierten noch die hervorbringende Physik, ihre Nachfolger hingegen die Ethik in das Zentrum ihrer Einteilung, wobei die Logik wie die Schale das Ei das Ganze zusammenhalte.20 In Descartes’ ›Baum des Wissens‹ meinen die EU eine weitestgehend mit dem Einteilungsgrund der Stoiker übereinstimmende Darstellung zu erkennen. Die cartesische Metaphysik, welche sinnbildlich die Funktion der Wurzel übernehme, entspreche in ihrer Bestimmung einer Kombination aus stoischer Logik und Physik – insoweit letztere metaphysisch sei – und über den Stamm, welcher durch die übrige Physik verkörpert werde, treibe dann die Medizin, Mechanik und Ethik, gefolgt von den Einzeldisziplinen, als Verästelungen aus.21 Eine ähnliche Aufteilung lasse sich des Weiteren auch bei Spinoza im Aufbau seiner Ethica (1677) ableiten: 14 EU, Dbl. 2/2v f. 15 Ebd., Dbl. 3/1r. 16 Vgl. ebd., Dbl. 3/1r f. 17 Vgl. ebd., Dbl. 3/1v f. 18 Vgl. ebd., Dbl. 4/2r. 19 Vgl. ebd., Dbl. 5/1r. 20 Vgl. ebd., Dbl. 4/2r f. 21 Vgl. ebd., Dbl. 5/1r f.
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Vorbemerkungen [V]on der Metaphÿſik im erſten Buche zu logiſchen Betrachtungen im zweiten, wobei er die Principien der Phÿſik lemmatiſch zwiſchen legt, von da zur Pſÿchologie der Leidenſchaften im 3t. u. 4t. Buch u. endlich im 5ten zur Ethik im engern Sinne, dem Ziel des Ganzen.22
Sowohl in der stoischen, cartesischen als auch spinozistischen Aufteilung erkennen die EU Andeutungen einer genetischen Abfolge, in welcher sich die einzelnen Wissenschaften »wie Bedingung und Bedingtes, Vorausſetzung und Folge an einander reihen.«23 Besonders Hegel, so erkennen die EU an, habe mit seiner Aufteilung in ›Philosophie der Logik‹, ›Philosophie der Natur‹ und ›Philosophie des Geistes‹, einen solchen genetischen Gang gezeichnet, bei dem die Logik methodisch notwendig im Ursprung verortet sei.24 Mit einem indirekten Verweis auf die schon in den LU1 kritisierte Hegel’sche Dialektik würde allerdings auch das daraus abgeleitete System zweifelhaft und somit als sicherer Einteilungsgrund ausscheiden. Denn, so formulieren es die LU2.I: »Das geschlossene Auge sieht nur Phantasmen. [Absatz] Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben soll, den Hungertod.«25 Auf der Suche nach einem besseren Weg stellen die EU nun fest, dass es in der Geschichte der philosophischen Systeme zwei grundlegende Ordnungsprinzipien gebe: »[D]ie Ordnung, welche der Entſtehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche der Gang des Lehrens und Lernens nöthig macht.«26 Erstere sei genetisch, letztere methodisch an die Lernpsychologie des Menschen angepasst.27 Die meisten philosophischen Systeme von Platon bis Hegel seien jedoch keine rein genetischen Betrachtungen, sondern seien Mischformen oder besäßen zumindest mehr oder weniger methodische Anteile,28 wie im Folgenden durch die EU am Beispiel der Stellung der Logik verdeutlicht wird: Obwohl die Logik erst aus ihrem Gegenstand, den Wissenschaften, hervorgegangen sei, stünde sie in den meisten genetischen Systemen methodisch am Anfang: Als Ergründung des Denkens wird ſie im genetiſchen Sÿſtem zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer Seite der Pſÿchologie. Aber als Logik hat ſie die Aufga-
22 EU, Dbl. 5/1v. 23 Ebd., Dbl. 5/2r. 24 Vgl. ebd., Dbl. 5/2r. 25 LU2.I, S. 109. 26 EU, Dbl. 5/2v. 27 Vgl. ebd., Dbl. 5/2v. 28 Vgl. ebd., Dbl. 5/2v f.
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be, nicht blo[ß] der Pſÿchologie, ſondern auch den Wiſſenſchaften, welche dieſer nothwendig vorangehen, zur Wegweiſerın zu dienen.29
An diesem Punkt der Untersuchung fällt auf, dass die EU nun von der allgemeinen Betrachtung stillschweigend – zumindest aber mit einem Begründungsdefizit – in Tr.’s eigene in den LU1.I vorgelegte Philosophie überleiten und die Metaphysik vor das genetische System neben die Logik stellen. Auch die Philosophie als ›Theorie der Wissenschaften‹ entstehe erst »im Gegensatz gegen die besondern Wissenschaften«30 und da sich »[i]n jeder Wissenschaft [nach zwei Seiten Elemente] finden [...], welche auf gleiche Weise dem Theil wie dem Ganzen angehören oder im Besondern die Macht eines Allgemeinern offenbaren«,31 eröffneten Logik und Metaphysik die Philosophie, welche zusammen als ›Logik im weiteren Sinne‹ bezeichnet werden könnten.32 Schon in den LU1.I sei in Abgrenzung zur rein formalen Methode nachgewiesen worden, dass wahre Erkenntnis nur durch »den Erwerb oder Beſitz der realen Principien, welche den erkannten Dingen zum Grunde liegen«,33 möglich sei.34 In I. Die Formale Logik setzten die LU die Beziehung von ›Denken und Gegenstand‹ analog zu ›Spiegel und Licht‹.35 Genau wie man das Gesetz der Reflexion nur erklären könne, indem man zuerst die Natur des einfallenden Lichtstrahles in seiner Wechselwirkung mit dem Spiegel untersuche, so könne das Denken und seine Kategorien nur in der Wechselwirkung zum Sein richtig erfasst werden:36 Alle Sinne haben eine unmittelbare Verwandſchaft mit dem Gegenſtande, für den ſie beſtimmt ſind. [...] Das Denken iſt gleichſam das höchſte Organ der Welt und zeigt daher, wenn man es in ſeinen Formen verſtehn will, auf die Natur der Dinge hin, die es geiſtig faſſen und begreifen ſoll.37
Dies bedeutet, dass erst durch die Vermittlung von Denken und Sein, Logik und Metaphysik, die Denkformen mit dem Realen in Deckung gebracht und dadurch eine adäquate Erkenntnis über die Welt gewonnen werden kann. Dahinter steckt ein philosophisches Konzept, welches in Abgrenzung zu Hegels 29 EU, Dbl. 6/1r f. 30 LU2.I, S. 4. 31 Ebd., S. 6. 32 Vgl. EU, Dbl. 6/1v f. 33 Ebd., Dbl. 6/2r. 34 Vgl. ebd., Dbl. 6/2r. 35 Vgl. LU1.I, S. 5 f. 36 Vgl. ebd., S. 5. f. 37 Ebd., S. 5 f.
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Vorbemerkungen
»blinder« dialektischer Methode und zur »leeren« formalen Logik Kants das gesamte Programm der LU bestimmt. Nach dieser Feststellung begeben sich die EU in einer Zeitspanne von Thales bis Hegel auf einen historischen Exkurs, welcher die ursprüngliche Einheit der Philosophie, die anschließende sukzessive Abspaltung und Ausdifferenzierung der Einzeldisziplinen sowie das Verhältnis der Philosophie zu den Einzeldisziplinen, beleuchtet. Bei den Vorsokratikern seien Philosophie und Einzelwissenschaften noch nicht getrennt.38 Erst bei Platon werde die Dialektik zur Fundamentalwissenschaft eines philosophischen Systems,39 »ein[es] ſelbſtbewußte[n] Ganze[n].«40 Jedoch vernachlässige er beim Hinauf- und Hinabsteigen ins Reich der Ideen den Weg zurück zum Besonderen, zum »Verhältniß der vereinzelten Wiſſenſchaften und ihrer Methoden zur Philoſophie [...].«.41 Aristoteles hingegen differenziere zwischen der Tatsache (hoti) und der Erforschung des Grundes (di hoti).42 Man könne aber beide Seiten der Erkenntnis »nicht wie zwei Gebiete der Wiſſenſchaft [unter-]ſcheiden [...].«43 Während des alexandrinischen Zeitalters hätten sich dann erste Einzeldisziplinen wie z.B. die Grammatik, die Geografie, die Astronomie und besonders die Geometrie immer stärker von der Philosophie abgelöst.44 Im Anschluss an das Mittelalter, welches lediglich den Kenntnisstand des Altertums tradiert habe, finde sich erst wieder bei Tommaso Campanella (1568–1639) ein Systematisierungsversuch, jedoch ohne die Wechselwirkung der Philosophie mit den Einzelwissenschaften richtig zu erfassen, was auch für Descartes’ und Spinozas Bemühungen gelte.45 Wolff hingegen trenne zwischen rationaler und empirischer Philosophie, während Kant »das Rationale auf das Allgemeine und Nothwendige und das Allgemeine und Nothwendige [...] auf das Element des a priorie zurück[führe]«,46 aus welchem er dann seine Kategorien gewinne.47 Die Lücke, die durch Kants Transzendentalphilosophie zwischen dem Subjektiven und Objektiven entstehe, äußere sich bis in die Gegenwart durch ein inadäquates Verhältnis zwischen der Philosophie und den Einzeldisziplinen.48 38 Vgl. EU, Dbl. 7/1r. 39 Vgl. ebd., Dbl. 7/1r f. 40 Ebd., Dbl. 7/1v. 41 Ebd., Dbl. 7/1v. 42 Vgl. ebd., Dbl. 7/2r. 43 Ebd., Dbl. 7/2r. 44 Vgl. ebd., Dbl. 8/1r. 45 Vgl. ebd., Dbl. 8/1v f. 46 Ebd., Dbl. 8/2r. 47 Vgl. ebd., Dbl. 8/2r f. 48 Vgl. ebd., Dbl. 8/2v.
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Nach dieser philosophiehistorischen Betrachtung formulieren die EU das Programm, die verlorene Ganzheit der Philosophie wiederherzustellen, was weder die formale Logik, noch die anschauungslose Hegel’sche Dialektik leisten könne. Die Philosophie habe die blinden Vorausſetzungen der einzelnen Wiſſenſchaften, ſei es in der Methode, ſei es in den Principien, zu unterſuchen u[.] auf den letzten Grund zurückzuführen, die Wechſelwirkung, in welche die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich nur beiläufig treten, zu einer durchgehenden und nothwendigen zu erheben, die einzelnen Wiſſenſchaften aus dem Gedanken des Ganzen zu begreifen und von dieſem Mittelpunkt aus zu beleuchten und zu beleben.49
Das genetische System der Wissenschaften, welches die EU einführen, versteht sich als Lösungsansatz. Das somit schon vermutlich seit 1851 vorliegende Konzept hat direkte Einflüsse auf die theoretischen Teile des späteren NR1 sowie die das System betreffenden Ergänzungen in den LU2.50 Vor dem Hintergrund des Scheiterns der EU sind diese Anleihen mitunter vollständiger und werden deswegen bei folgenden Erläuterungen mitberücksichtigt. Das System Bisher haben wir durch die EU erfahren, dass nur in der Vermittlung des Gegensatzes von ›Denken und Sein‹ das Ganze von seinem Ursprung her erfasst werden kann, jedoch nicht wie diese zustande kommt. Ein Blick in die LU2 verschafft hier Klarheit: Auf der Suche nach einem Vermittler wurde im ersten Band zunächst die Forderung aufgestellt, dass dieser den beiden Gliedern des Gegensatzes gemeinsam sein und notwendig eine Tätigkeit, d.h. dynamisch sein müsse, da eine ruhende Eigenschaft nichts vermitteln könne, sondern beharre.51 Als weitere Bedingungen müsse diese Tätigkeit einfach und aus sich selbst zu erkennen sein, ohne dabei aus etwas anderem abgeleitet werden zu können.52 Alle diese Bestimmungen sind für die LU2 durch das ›Prinzip der Bewegung‹ erfüllt: Weil die Bewegung eine in sich einfache Thätigkeit ist, die sich nur erzeugen, nicht zerlegen lässt, wird sie zugleich die letzte sein, die aus keiner andern stammt, und wird darum auch aus sich erkannt werden; weil sie die letzte ist, wird 49 EU, Dbl. 9/1v f., zitiert nach F2. 50 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180 f. 51 Vgl. LU2.I, S. 137 f. 52 Vgl. ebd., S. 146.
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Vorbemerkungen sie allgemein sein und jeder Thätigkeit zum Grunde liegen; und wenn sich das Denken als die höchste Blüte der Thätigkeiten in der Welt erhebt, aber diese Blüte die übrigen gleichsam als nährenden Boden und tragenden Stamm voraussetzt: so wird um dieser Allgemeinheit willen die Bewegung dem Denken und Sein gemeinschaftlich angehören.53
Sowohl der Raum des Denkens als auch die Welt der Natur basieren auf demselben dynamischen Grundprinzip: In der äussern Welt ist jede Thätigkeit mit Bewegung verknüpft; die mechanischen Eindrücke, die chemischen Erregungen, die organischen Verrichtungen sind ohne Bewegung und zwar räumliche Bewegung nicht zu fassen. [...] Dieselbe Bewegung gehört dem Denken an, freilich nicht in der Weise dieselbe, dass der Punkt in der Bewegung des Denkens den entsprechenden Punkt der Bewegung in der Natur äusserlich deckt.54
Dass sich die innere und äußere Bewegung scheinbar unterscheiden, liegt somit an der verschiedenen Beschaffenheit der Räume. Denn auch Analyse und Synthese, die beiden Grundtätigkeiten des Denkens, sind für die EU als Tätigkeiten durch dieselbe Bewegung bestimmt.55 Die Bewegungsvorgänge im Raum des Denkens werden von den LU2 im Unterschied zur materiellen Bewegung als ›konstruktive Bewegung‹ bezeichnet.56 Diese sei die »apriorische Bedingung der sinnlichen«57 und, so EU und NR1, »das Princip der reinen mathematiſchen Erkenntniß«,58 in welcher »der erſte Grund der Nothwendigkeit«59 liege, »der Nothwendigkeit in Figur und Zahl [...].«60 Als erstes Prinzip eröffnet die ›konstruktive Bewegung‹ das vierstufige genetische System der Wissenschaften, welches die EU gegen Ende des ersten Kapitels etablieren. Jede »vorangehende Stufe [ist hier] die Bedingung der folgenden; jene kann ohne dieſe, aber dieſe nicht ohne jene gedacht werden; jene muß voran als Bedingung da ſein, damit dieſe werde.«61 Die erste Stufe dieses Systems definiert das Reich der theoretischen Mathematik.62
53 LU2.I, S. 153 f. 54 Ebd., S. 141 f. 55 Vgl. ebd., S. 144. f. 56 Vgl. ebd., S. 142 f. 57 LU2.II, S. 491. 58 EU, Dbl. 10/2r. 59 Ebd., Dbl. 10/2r. 60 NR1, S. 3. 61 EU, Dbl. 11/2r. 62 Vgl. ebd., Dbl. 10/2r.
Einführung in die Ethiſchen Unterſuchungen
33
Dagegen sei die zweite Stufe das Gebiet der physikalischen Wissenschaften.63 Hier erscheine die ›konstruktive Bewegung‹ in der sinnlichen Anschauung als kausale Notwendigkeit: »In der Materie ist die Bewegung causal, setzt Substanzen in bestimmter Gestalt, erzeugt in ihnen Eigenschaften, giebt ihnen Grösse und Mass und umfasst sie mit der Einheit, welche die Theile in Wechselwirkung bindet.«64 Mithilfe der ›konstruktiven Bewegung‹ entwerfe der Geist aus der sinnlichen Anschauung der Bewegung die ›realen Kategorien‹.65 Nachdem die zweite Stufe durch die EU als das Gebiet der physikalischen Wissenschaften bestimmt wurde, erhebe sich nun auf der dritten mit ›dem Zweck‹ ein zweites ›eigentümliches‹ Grundprinzip:66 »Von Neuem stellt sich hier eine Macht dar, die dem Denken und Sein gemeinschaftlich gehört.«67 Der Zweck laufe dabei der kausalen Stoßrichtung der materiellen Welt entgegen und verschmelze mit der Bewegung; denn da er die Bewegung richtet, ist er selbst Bewegung. Indem die wirkende Ursache als das Woher angeschauet wird, erscheint der Zweck als das Wohin. Der Zweck bestimmt die aus der räumlichen Bewegung entsprungenen realen Kategorien, indem er sich in ihnen ausprägt. Dadurch empfangen sie eine ideale und geistige Bedeutung [...].68
Dem Zweck entspringe nun die ›organische Notwendigkeit‹ und die mathematische und physische der ersten beiden Stufen dienten ihm dafür zum Mittel:69 »Die Nothwendigkeit der frühern Stufe bleibt, aber ein Gedanke verfügt über ſie für die Einheit eines Ganzen: für die Erzeugung neuer Thätigkeiten. Der Gedanke eines Ganzen wird die Seele einer phÿſiſchen Nothwendigkeit.«70 Die dritte Stufe umfasse somit das Gebiet der organischen Wissenschaften, deren Aufgabe es sei, die immanente »Zweckmäßigkeit in den Kräften des Lebens«71 zu erkennen.72
63 Vgl. EU, Dbl. 10/2v. 64 LU2.II, S. 491. 65 Vgl. ebd., S. 491. 66 Vgl. EU, Dbl. 10/2v f. 67 LU2.II, S. 492. 68 Ebd., S. 492. 69 Vgl. EU, Dbl. 11/1r. 70 Ebd., Dbl. 11/1r. 71 Ebd., Dbl. 11/1v. 72 Vgl. ebd., Dbl. 11/1r f.
34
Vorbemerkungen
Doch erst im Ethischen, der vierten Stufe, könne der dem Naturablauf innwohnende zweckvolle Gedanke erkannt werden:73 Das Organische ist der allgemeine Boden, das Ethische die höhere Stufe; denn die innern Zwecke, welche das Organische der Natur blind durchwalten, werden im Ethischen gewusst und gewollt und das Gebundene der Natur wird dadurch im Menschen frei.74
Hierdurch wird auch das zu Beginn des ersten Kapitels der EU angedeutete Menschenbild verständlich. Im Unterschied zum Tier, dem sich der immanente Gedanke hinter seinem Organismus und der Natur nur symptomatisch über die hedonistischen Gefühle der Lust und Unlust offenbare,75 könne der Mensch durch seine Fähigkeit zu denken sich den »im blinden Leben gebundenen Zweck«76 bewusst machen und gleichzeitig befreien77 und dadurch ethisches Handeln erst ermöglichen. Dies geschehe, so Hartung (2006), zunächst in einer Selbstreflexion, in welcher »der Mensch sich selbst als zweckdenkendes und -handelndes Wesen [begreife,] und [...] diesen Gedanken [qua Analogieschluss] auf die Struktur der gesamten Welt des Lebendigen [übertrage].«78 Der Gedanke, der den Dingen der Welt zum Grunde liegt, wird erkannt und gewollt; er erzeugt, um sich zu verwirklichen, neue Gedanken, welche dem ersten untergeordnet von Neuem Mittelpunkt des Wollens und Handelns werden.79
Der Ort der Ethik im System der Wissenschaften hat sich somit in einem ersten Schritt als die Sphäre der menschlichen Welt, als das Gebiet des menschlichen Handelns ergeben. Das erste Kapitel endet mit der Aufgabe, die »hervorbringenden Bedingungen«80 der Ethik zu untersuchen.81 Mit Ausblick auf das NR1 liegt für Tr. der
73 Vgl. EU, Dbl. 11/1v. 74 [Friedrich] Adolf Trendelenburg: »Herbart’s praktische Philosophie und die Ethik der Alten.« In: Ders. (Hg.): Historische Beiträge zur Philosophie. 3 Bde. Hier Bd. 3: Vermischte Abhandlungen. Gustav Bethge Verlag. Berlin 1867. S. 122–170, hier 165. 75 Vgl. LU2.II, S. 88 und 90. 76 EU, Dbl. 11/1v. 77 Vgl. ebd., Dbl. 11/1v. 78 Hartung: »Wozu ›Ethische Untersuchungen‹?«. In: Hartung/Köhnke: Trendelenburgs Wirkung, S. 83–103, hier S. 99. 79 LU2.II, S. 91. 80 EU, Dbl. 12a/1v. 81 Vgl. ebd., Dbl. 12a/1v.
Einführung in die Ethiſchen Unterſuchungen
35
Schlüssel zur Erkenntnis des ›ethischen Princips‹ in der ›organischen Weltansicht‹ und der psychologischen Entwicklung des Menschen:82 Es müssen aus der Metaphysik die letzte Idee, welche sich in die Ethik hinein verzweigt, und aus der Psychologie die Einsicht in das Wesen des Menchen und in die realen Bedingungen der Verwirklichung desselben die Untersuchung des ethischen Princips leiten.83
In einer Randnotiz zu Beginn des zweiten Kapitels der EU vermerkt Tr.: »Eigentlich voran: Über die metaphyſıſche Grundlage der Ethik — Dann üb. d. pſycholog. (phyſ.) —«.84 Beide Kapitel werden nie verfasst. Zumindest sind dazu keinerlei Zeugnisse überliefert. Das ergeizige Projekt der EU scheitert somit an beiden Punkten. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik Das unvollendete zweite Kapitel stellt eine Zusammenfassung derjenigen Überlegungen dar, wie sie einige Jahre zuvor in Über den letzten Unterschied der philosophischen Systeme (1847) in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen wurden:85 Zu Beginn des zweiten Kapitels wiederholen die EU zunächt die im vorherigen Kapitel formulierte Aufgabe der Philosophie, »das Ganze der Erkenntniß in ſeinem Urſprung zu beſtimmen.«86 Da jedes Ganze nur in seinen Gegensätzen am deutlichsten erfasst werden könne, müsse die Philosophie zur Lösung ihrer Aufgabe den »weiteſten Gegenſatz der Erkenntniß«87 untersuchen.88 Derselbe äußere sich je nach Hinsicht in unterschiedlicher Weise mal als ›bewusster innerer Gedanke und blinde äußere Kraft‹, mal als ›Idee und Materie‹, mal als ›Logos und Hypokeimenon‹, mal als ›extensio und cogitatio‹ oder mal als ›das Subjektive und das Objektive‹.89 Für die EU existieren ausschließlich drei mögliche Wege, wie man aus diesem Gegensatz zwischen ›bewusstem Gedanken und blinder Kraft‹ das Ganze auffassen kann:
82 Vgl. NR1, S. 21 f. 83 Ebd., S. 22. 84 EU, Dbl. 12a/2r. 85 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180. 86 EU, Dbl. 12a/2v. 87 Ebd., Dbl. 13/1r. 88 Vgl. ebd., Dbl. 12a/2v f. 89 Vgl. ebd., Dbl. 13/1r.
36
Vorbemerkungen Entweder ſteht die nackte Kraft vor dem Gedanken, ſo daß der Gedanke nicht das Urſprüngliche iſt, ſondern das von blinden Bewegungen Hervorgebrachte, ein Product und Accidenz der materiellen Kräfte; − oder der Gedanke ſteht voran, ſo daß die blinden Kräfte nichts für ſich ſind, ſondern vielmehr nur der Ausfluß oder das Erzeugniß des Gedankens; oder endlich Gedanke und Kräfte ſind im Grunde dieſelben und unterſcheiden ſich nur in unſerm Verſtande.90
Die erstere Grundansicht werde in der Philosophie durch die Materialisten (Demokritismus), die zweite durch die Idealisten (Platonismus) und die ›indifferente‹ dritte91 durch Spinoza vertreten.92 Insofern Letzterer jedoch die Zweckursache ablehne, könne man ihn wieder der physischen Auffassung zuordnen, wodurch von den ursprünglich drei Möglichkeiten am Ende nur noch das physische und idealistische Weltbild übrig blieben,93 zwischen denen ein stetiger Kampf ausgefochten werde.94 Vor dieser Folie hatte Tr. schon 1847 in obigem Vortrag in einer Zusammenschau der einzelnen philosophischen Systeme von den Atomikern bis Herbart festgestellt, dass jedes System in unterschiedlicher Weise von diesem Kampf betroffen sei,95 »einem Kampfe,« so die EU, »der zuletzt den Glauben an unſer eigenes Weſen u. unſern eigenen Werth trifft«,96 einem »Kampf zwischen Physik und Ethik«,97 der, würde er jeweils zu der einen oder der anderen Seite konsequent gedacht, zu folgenden Ergebnissen führe: Wer die Menſchen nur wie die Kräfte der Phÿſik oder die Zahlen in einer Gleichung auffaßt − und im äußern Verkehr, im Austauſch der Thätigkeit[,] unterliegen ſie vielfach einer ſolchen Betrachtung: der dehnt die phÿſiſche Weltanſicht in die Ethik aus. Wer umgekehrt die materiellen Kräfte als Thätigkeiten anſieht, die nur durch iſolirte Auffaſſung von dem Leben und dadurch von einem zum Grunde liegenden Gedanken losgeriſſen ſind; der arbeitet an der Erweiterung und dem Siege der organiſchen Weltanſicht.98 90 EU, Dbl. 13/2r. 91 Vgl. [Friedrich] Adolf Trendelenburg: »Über den letzten Unterschied der philosophischen Systeme« (1847). In: Philologische und historische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1847. F. Dümmlers Verlag. Berlin 1849. S. 241–262, hier 249. 92 Vgl. EU, Dbl. 13/2v. 93 Vgl. ebd., Dbl. 13/2v f. 94 Vgl. ebd., Dbl. 12a/2v. 95 Vgl. Trendelenburg: »Über den letzten Unterschied«. In: Philologische und historische Abhandlungen, S. 241–262, hier 250–255. 96 EU, Dbl. 12a/2v. 97 Trendelenburg: »Über den letzten Unterschied«. In: Philologische und historische Abhandlungen, S. 241–262, hier 259. 98 EU, Dbl. 14/1r f.
Einführung in die Ethiſchen Unterſuchungen
37
Den EU ist bewusst, dass die Philosophie für die endgültige Entscheidung zwischen physikalischer und idealistischer Weltauffassung einen langen Weg vor sich habe, könne aber in der akuten Frage der Ethik nicht auf das Ergebnis warten, sondern müsse einen Boden gewinnen, der auch im Wechsel der Systeme eine feste Grundlage bilden kann.99 Genau wie es in der Mathematik möglich sei, mit der euklidischen Geometrie erfolgreich den Raum zu berechnen, ohne bisher die metaphysische Frage danach, was der Raum sei, eindeutig beantwortet zu haben, müsse dies auch mit der Ethik gelingen.100 Für diesen Zweck planen die EU, einen prüfenden Blick auf die oben genannten drei Modelle zu werfen und beginnen zunächst mit der spinozistischen Weltansicht.101 Darin werden im Schnelldurchlauf einige Ergebnisse des zwei Jahre zuvor in der Akademie gehaltenen Vortrages Über Spinoza’s Grundgedanken und dessen Erfolg (1849) wiederholt. Besonders Spinozas Bestimmung des Verhältnisses zwischen ›Denken und Ausdehnung‹ – hier ›Geist und Körper‹ –, der beiden parallel laufenden Attribute der unendlichen göttlichen Substanz, wie sie im zweiten Lehrsatz des dritten Buches der Ethica vorgetragen wird, steht dabei im Fokus der kritischen Betrachtung: »Der Körper kann weder den Geiſt zum Denken, noch der Geiſt den Körper zur Bewegung, oder zur Ruhe, oder zu etwas anderem (wenn es ein ſolches giebt) beſtimmen.«102 Für die EU ist es schwer denkbar, dass ein von der Vernunft geleitetes Handeln ohne den vermittelten Zugriff auf Bewegung und Ruhe funktionieren kann, »ohne den [Zweck-]Gedanken im Grunde der Dinge«103 vorauszusetzen.104 Da, so die Grundgedanken, Spinoza jedoch feststelle, dass »das Denken nicht auf die Ausdehnung wirkt, kann es den Begriff nicht geben, der voraussetzt, daß ein Gedanke, eine Idee, die Gestalten der Ausdehnung in ihrem Wesen bestimme.«105 Da Denken und Ausdehnung als Attribute ein und derselben Substanz in keinerlei Wechselwirkung treten, könne Spinoza nicht anders, als den Zweck zu verneinen.106 Dadurch würde nach den EU jedoch unklar, »wie ſich das Denken, noch wie ſich die Ausdehnung vom Unendlichen zum Endlichen beſtimme.«107 Ohne den Zweck fehle Spinoza die Grundlage für individuelles 99 Vgl. EU, Dbl. 14/2r f. 100 Vgl. ebd., Dbl. 14/2v. 101 Vgl. ebd., Dbl. 14/2v f. 102 Spinoza: Ethica III, 2. Lehrsatz. 103 EU, Dbl. 15/2v. 104 Vgl. ebd., Dbl. 15/2r f. 105 [Friedrich] Adolf Trendelenburg: Über Spinoza’s Grundgedanken und dessen Erfolg. Gustav Bethge Verlag. Berlin 1850. S. 6. 106 Vgl. EU, Dbl. 17/1v. 107 Ebd., Dbl. 15/2v.
38
Vorbemerkungen
Leben.108 In der achten Definition des vierten Buches der Ethica hingegen meinen die EU auszumachen, dass Spinoza in die teleologische Betrachtung wechsle, da hier stillschweigend individuelles Leben vorausgesetzt würde:109 8) Unter Tugend und Vermögen (Fähigkeit, Macht, Kraft,) verſtehe ich eins und dasſelbe. Das heißt, [...] die Tugend, ſofern ſie auf den Menſchen bezogen wird, iſt das eigentliche Weſen, oder die eigentliche Natur des Menſchen, ſofern er die Macht hat, etwas zu bewirken, was durch die bloßen Geſetze ſeiner eigenen Natur begriffen werden kann.110
Unter dem ›eigentlichen Wesen‹ verstehe Spinoza »das begreifende Denken, das intelligere u. das Handeln, das aus ſolchen Begriffen folgt [...].«111 Der Mensch, so die Grundgedanken, als »Theil [der einen Substanz] ist nun nicht mehr blos in der Betrachtung da; er ist etwas in sich.«112 Dieses individuelle Leben offenbart sich für die EU besonders in Bezug auf das Sittliche.113 Im Sinne des Spinoza steht, so das NR1, vernünftiges Handeln im Dienste der Selbsterhaltung, dem »bestimmende[n] Naturgesetz des Menschen«114 oder wie die EU es ausdrücken, will [d]as menſchliche Weſen [...] ſein Sein behaupten und erweitern. Jeder leidende Zuſtand, der in ſeinem Jnnern Unluſt oder Furcht trägt, das Zeichen des verminderten Eigenlebens, jeder leidende Zuſtand, der ſtatt Macht Ohnmacht iſt, wird daher vom vernünftigen Handeln ausgeſchloſſen.115
Da der vereinzelte Mensch aus Vernunft danach strebe, seine Macht zu vergrößern, käme es als Wirkung »der Selbſterhaltung«116 zur »Gemeinſchaft der Menſchen«,117 zu der Vereinigung menschlicher Kräfte.118 Die EU betrachten dieses vernünftige Streben als ein Mittel zum Zweck, nämlich der Verstärkung der Macht für den Selbsterhalt.119
108 Vgl. EU, Dbl. 15/2v. 109 Vgl. ebd., Dbl. 15/2v f. 110 Spinoza: Ethica IV, 8. Definition. 111 EU, Dbl. 16/1r. 112 Trendelenburg: Über Spinoza’s Grundgedanken, S. 39. 113 Vgl. EU, Dbl. 16/1v f. 114 NR1, S. 12. 115 EU, Dbl. 16/1v. 116 Ebd., Dbl. 16/2r. 117 Ebd., Dbl. 16/2v. 118 Vgl. ebd., Dbl. 16/1v ff. 119 Vgl. ebd., Dbl. 16/2r.
Einführung in die Ethiſchen Unterſuchungen
39
Am Ende der Betrachtung hat sich somit für die EU die »eigenthümliche Stellung«120 der spinozistischen Auffassung bestätigt, da, soweit Spinoza den Zweck verneine, er sich zur materialistischen Position bewege und, soweit er ihn stillschweigend voraussetze, wieder zur teleologischen Weltansicht hinüberwechsle.121 Das zweite Kapitel bricht unvermittelt an dieser Stelle ab. Die zunächst angekündigte eingehende Untersuchung der beiden verbleibenden Weltansichten entfällt. Die Lösung ihres Konfliktes, die Aufgabe der Philosophie, bleibt jedoch als Problemstellung bestehen.
120 EU, Dbl. 17/2r. 121 Vgl. ebd., Dbl. 17/2r.
Ethiſche Unterſuchungen
Diplomatische Umschrift
Umschlag
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes von Dbl. 0.
46
Diplomatische Umschrift
[Dbl. [0]/1r: Umschl., S. 1]
1
[ Nachl. Trendelenburg B 9,2 ]fr. H. II
2
Ethiſche Unterſuchungen.
3
[II.]fr. H. I
4
5 6
[1⟨=↶ –
fr. H. II⟩17
Doppelbll.. (9 = 3 Bll. 12 u. 12a)]fr. H. I
[ Film M 5950 – 1 ]fr. H. II
Handschrift B 9,2
Faksimile
47
Abb. 2: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. [0]/1r.
48
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 3: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. [0]/1v.
[Dbl. [0]/1v: Umschl., S. 2]
Diplomatische Umschrift
49
50
Diplomatische Umschrift
[Dbl. [0]/2r: Umschl., S. 3]
Handschrift B 9,2
Faksimile
51
Abb. 4: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. [0]/2r.
52
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 5: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. [0]/2v.
[Dbl. [0]/2v: Umschl., S. 4]
Diplomatische Umschrift
53
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes der Dbll. 1–11. Die gesonderte Präsentation der drei Schlussfassungen erfolgt im Anschluss.
Diplomatische Umschrift
56
[Dbl. 1/1r: Kap. I., S. 1] [ 1 ]Pag, fr. H. II r1
Ethiſche Unterſuchungen.
1 2
Da ich mit ethiſchen Unter- r2 ſuchungen beſchäftıgt bın, r3
3 4a 4b 5
I. Der Ort der Ethik ⟪ im ↶i⟨m→n⟩⟨ Jnbegriff ⊄⟩ ⟨dem↘⟩ ⟨ der Wiſſenschaften ↶Jnbegriff der
Wiſſenſchaften.⟩⟫
Wo der Menſchengeiſt, ſei es im Einzel-
6
nen oder in der Menſchheit, ſein eigen=
7 '8 9 '10 11
thümliches Werk beginnt, ein Werk, das ausdrückt: da beginnt die Ethik, wenn
12
wir ſie im weitern Sinne auffaſſen.
ihm
nur dem Menſchen gehört und ſein Weſen auch
13
Jnwiefern ſie philoſophiſche Disciplin iſt,
14 '15 16
hat ſie mit der Philoſophie die Richtung auf
17
ſprung des Ganzen gemein: Denn wie
18 '19 20
ſehr auch die philoſophiſchen Lehren aus einander
21
laufende Kennzeichen der Philoſophie, daß
22
ſie im Gegenſatz gegen die bedingten
23
Stücke nach der Erkenntniß des unbe=
24
dingten ⟨ ↶ ⟩ Ganzen ſtrebt(,) das die Theile trägt.
25
auch
das Ganze der Erkenntniß und den Ur=
es
gehen mögen, ſo bleibt doch das durch=
Die Philoſophie, die unverrückt das Ganze
erlaube ich mır eın
r4
Fragment derſelben anzu- r5 legς – u. zwar üb⟨ ⟩f eıne r6
äußerliche Frage:
r7
üb. d. Ort ⟨dς↶pp⟩E
r8
Erläuterungen:
3 f. I. Der bis Wiſſenſchaften] Tr. ändert den Titel viermal ab, bevor er mit dem Verfassen des eigentlichen Textes beginnt. Die beiden im Faksimile noch erkennbaren nicht mehr gültigen Titelunterstriche in Grafit und Tinte für die ersten zwei der insgesamt vier Titelstufen werden im Sinne der Übersichtlichkeit der Darstellung innerhalb der Textgenese nicht berücksichtigt. r8 pp] Die Abbreviatur steht für lat. ›perge, perge‹. Der nachfolgende -Ansatz wird gestrichen.
⟨ die Theile tragenden ⟳ r9a die Theile tragenden ⟩
[1.]Pag
r9b
Handschrift B 9,2
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57
Abb. 6: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 1/1r.
58
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 7: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 1/1v.
[Dbl. 1/1v: Kap. I., S. 2]
r1 [ and. propoſitio. ]K
Erläuterungen: r1 and. propoſitio.] interne Randnotiz. Vermutl. mit Bezug auf die beiden Ausklammerungen ab der neunten Zeile. 8'–18 Obwol bis einzufügen.] Das in Winkelklammern markierte Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. 19–25 Genau bis Ethik,] wie vorheriger Absatz in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitzulesen. Die schließende Winkelklammer befindet sich auf Dbl. 1/2r, Z. 2.
Diplomatische Umschrift
59
im Auge behalten ſoll, wird eben dadurch
1
Sÿſtem, ideales Gegenbild eines realen
2
Ganzen. Was ſie denkt und darſtellt,
3
muß ſie im Sinne des Ganzen denken
4
und darſtellen. Jeder ihrer Theile
5
muß eine bewußte Beziehung zum Gan-
6
zen haben.
7 8' 9
nun
Obwol ſich ⟨nur↶erſt⟩ durch die Entwicklung
des innern Princips dieſer Zuſammenhang
10
erzeugt, ſo kann man doch auch dann
11
nicht, wenn man noch im Eingang und noch
12
vor der Disciplin ſteht, die Frage
13
umgehen, welches der Ort der Wiſſen-
14
ſchaft im Ganzen des Sÿſtems ſei. Es
15
iſt nöthig, wenigſtens in den äußern
16
Ueberblick des Ganzen den Theil ein=
17
zufügen.
18
Genau genommen, fallen alle Wiſſen=
19
ſchaften in die Ethik; denn die Erforſchung
20
des Wahren iſt eine ethiſche That und die
21
Gründung und Ausbildung der Wiſſenſchaf-
22
ten iſt eins der eigenſten Werke des
23
Menſchen. Aber deſſen ungeachtet bleibt
24
die Frage ſtehen, welche Stelle die Ethik,
25
60
Diplomatische Umschrift
1
inwiefern ſie einzelne Wiſſenſchaft iſt, zu in dem
2
von ihr umfaßten Jnbegriff aller einnehme.
3
Es handelt ſich dabei um den Eintheilungs=
4
grund der Philoſophie, der, wie die ⟨+↶Geſchicht=
5
[Dbl. 1/2r: Kap. I., S. 3]
Wollen wir nun
r1
den Ort einer Disr2 dıeſem r3' ciplin i⟨m→n⟩ Ganzen, r4
liche⟩ Betrachtung lehrt, weſentlich zwei Ge=
den Ort der Ethik im
r5
6
ſichtspunkten pflegt entnommen zu werden.
Jnbegriff der Wiſſen-
r6
7
Man gründet nämlich die Eintheilung ent=
ſchaften beſtimmen, ſo
r7
8
weder auf das verſchiedene Verhalten des
handelt es ſich
r8
9
Menſchen zu den Gegenſtänden der Wiſſen-
10
ſchaft oder auf ⟨ein(+)↶innere⟩ Unterſchiede
Erläuterungen:
13
und praktiſche Philoſophie, von dieſer die
14
Eintheilung in Logik, Phÿſik und Ethik.
15
Es iſt der Mühe werth, beide Weiſen
21 Plat.] Der Abkürzungspunkt befindet sich noch schwach erkennbar auf dem Falz des Korrekturrandes.
16
der Eintheilung zu unterſuchen, ehe
17
wir uns für eine derſelben entſcheiden.
18
Die Eintheilung der Wiſſenſchaft in
19
theoretiſche und praktiſche (,)geht, wenn
20
man die erſten Anſätze aufſucht, bis
21
in Plato’s Staatsmann zurück (Plat.
22
politic. p. 258): Ariſtoteles bildet
23
ſie auf ſeine Weiſe aus und legt ſie
24
dergeſtalt der Betrachtung des Gan-
25 '26 27
zen zum Grunde, daß ſie durch ihn ſich
11 12
der Gegenſtände ſelbſt. Von jener Art
iſt d z.B. die Eintheilung in theoretiſche
fortpflanzte und
bis in die neueſte Zeit ihre Geltung
1 f. inwiefern bis einnehme.] siehe die dritte Anmerkung auf Dbl. 1/1v, Z. 19–25.
r1–r8 Wollen bis ſich] Die spät ergänzte Variante wird in der dritten Textstufe (H.3) anstatt der beiden zuvor ausgelassenen Abschnitte gelesen. Mit einem Grafitstrich wird die Einweisungsstelle in der dritten Zeile gekennzeichnet. Die Variante ist bei Auslassung der unterstrichenen Koppelstelle in den Absatz hineinzulesen.
Handschrift B 9,2
Faksimile
61
Abb. 8: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 1/2r.
62
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 9: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 1/2v.
[Dbl. 1/2v: Kap. I., S. 4]
r1 [ Etwas ausfuhrlıcher r2 f. d. Vortrag. ]K
Diplomatische Umschrift
63
behauptete (Aristot. metaphys.VI. 1. eth. Nicom.
1
VI. 2-5)⟨ ⟩f
2
Ariſtoteles faßt die Gegenſtände theils
3
als unwandelbar und nothwendig - bei-
4
des iſt ihm daſſelbe, das das Nothwendige
5
nicht anders ſein kann - theils als ver-
6
änderlich und daher der Einwirkung
7 8' 9 10' 11
auf.
nach Arıſt.
frei gegeben . Wie nun den Gegenſtänden erkennenden
die Vermögen des E entſprechen, ſo ge= r3 ⟨ ⟩f das Unwandelbare hörte jenes dem wiſſenſchaftlichen Vermögen, r4
Gegenſtänden verhält ſich der Geiſt be=
12 13' 14 15' 16
trachtend, zu dieſen entweder handelnd
17
oder bildend. Darnach iſt die Erkenntniß
18
theils Erkenntniß der Betrachtung, theils
19
des handelnden Lebens, theils der bilden-
20
Erläuterungen:
den Kunſt und die Philoſophie theilt
21
r1 f. Etwas bis Vortrag.] Die Anmerkung gilt dem Hrsg. als ein Indiz dafür, dass es sich bei der dritten Textstufe (H.3) um einen Vortrag handelt.
ſich demgemäß in theoretiſche, praktiſche
22
und poietiſche. Aus welchen weitern
23
Gründen die theoretiſche Philoſophie ſich
24
in erſte Philoſophie, Phÿſik und Mathema-
25
5 Nothwendige] Tr. zeichnet unterhalb der -Schlaufe ein Strichlein, dessen Funktion vom Hrsg. nicht mehr zu ergründen ist.
tik thei, die praktiſche in Ethik, Oekono-
26
mik und Politik theilte und die Logik uals Werkzeug der Disciplinen voran-
27 28' 29
geſtellt wurde: das kann an dieſem Orte
30
und Nothwendige ⟨ ⟩f
11 Vermögen] siehe vorherige Erläuterung.
dagegen - das Veränderliche -
dieſes dem ⟨b↶Berathenden⟩ an; zu jenen Menſch
allen
Diplomatische Umschrift
64 1 2 3
unerörtert bleiben⟨,↶.⟩ ⟨bis↶Wir⟩ prüfen den erſten und allgemeinen Geſichtspunkt⟨ ⟩f Zunächſt bleibt der erſte Eintheilungsgrund
zweifelhaft, wenn für das Nothwendige das
4
wiſſenſchaftliche und für das Veränderliche
5 '6 7
u. poietiſche)
und Zufällige das berathende (praktiſche())
als das Gebiet
r1
Vermögen gewonnen werden ſoll. D⟨ie↶as⟩
der Freiheit
r2
der Thätigkeit Freigegebenen, ⟨↙,⟩ ſondern es
ſo daß beides zwei
r3
beſtimmt wird.
8
Nothwendige als das Unwandelbare liegt
9
nicht ueber dem Veränderlichen und darum
10 11 12
[Dbl. 2/1r: Kap. I., S. 5]
geht vielmehr durch das Veränderliche durch. Es iſt die eigentliche That der Wiſſenſchaft,
13
das Zufällige in Nothwendiges zu ver=
14
wandeln und im Veränderlichen das
15
verſchiedenen ⟪Ver=↶Ge= r4
mögen↶bieten⟫ zufallen r5
könnte,
r6
Unveränderliche zu erkennen. Noch
Durch die Wiſſenſchaft
r7
16
viel weniger kann man die innere Ver-
dehnt ſich das Gebiet
r8
17
wandtſchaft des Erkennens mit dem Gegen-
des Verände Nothwen-
r9
18
ſtande ſo verſtehen, daß das Nothwen-
digen fort u. fort
r10
19
dige durch ein beſonderes wiſſenſchaftliches
aus und ſchränkt
r11
20
Vermögen aufgefaßt werde, während das
ſich das willkürlich
r12
21
Veränderliche entweder der Einſicht ⟨ins Ha⟳ins Han= Veränderliche ⟨und↶ein⟩. r13
22 23 24 25
deln⟩ oder der Kunſt zufalle. Wenn man vielmehr auf den Vorgang der
Wiſſenſchaft ſieht, auf die Weiſe, wie das Nothwendige gefunden wird: ſo geſ hilft ⟨↙dabei⟩
Erläuterungen:
2 erſte] wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. 9 ueber] Tr. vergisst den -Kringel.
[2.]Pag
Handschrift B 9,2
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65
Abb. 10: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 2/1r.
66
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Handschrift B 9,2
Abb. 11: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 2/1v.
[Dbl. 2/1v: Kap. I., S. 6]
Diplomatische Umschrift
67
r1 Man kann in den ⟨↙Disci= fortwährend die Kunſt, die ſich im Ausführ= plinen⟩ 'r2 r3 Wiſſenſchaften die Theoreme baren bewegt, von den Rechnungen und
1 2
r4 und Probleme, die Lehr-
Conſtructionen der Mathematik bis zu
3
r5 ſätze und Aufgaben wie
den Experimenten der Naturwiſſenſchaft.
r6 Wiſſenſchaft und Kunſt
Ariſtoteles hat die Gebiete wie fertige un-
4 5' 6
r7 einander entgegenſtellen.
terſchieden, aber dabei nicht in ihrem Ent-
7
gegebene und
ſtehen u. Werden aufgefaßt. ⟨↙Darin liegt die Urſache⟩ r8 Wer nun beobachtet, wie Aufgaben des Fehlers. Grund dieſer Eintheilung ſchließt 'r9 r10 die ⟪⟨T⟩u↶Löſung ⟫ der Probleme Der andere Eintheilungsgrund(,) der ſich(+)
8 9' 10
r11 durch die Erkenntniß der
an den erſten anſchließt; indem er das
11
r12 Lehrſätze und der Beweis
Verhalten der menſchlichen Thätigkeit ins
r13 der Lehrſätze durch die
Auge faßt, das Betrachten, Handeln
r14 Ausführung von Aufgaben und Bilden. Es fragt ſich, ob ſich dieſe
12 13' 14 15' 16
Thätigkeiten auf ſolche Weiſe einander
17
ausſchließen, uns die Grundlage für
18
r15a bedingt iſt: der ⟪er⟨k↶ſ⟩ r15b ⟨en→ie⟩⟨n↶h⟩⟫t
das
das
r16 leicht ein, ⟨d→wie⟩ Wiſſen- nebengeordnete Arten zu ſein. Die
19
r17 ſchaft und Kunſt, Betrach-
Andeutungen, welche Ariſtoteles zur
20
r18 ten u. Bilden mit einan-
Unterſcheidung giebt, genügen ſchwer-
r19 der fortſchreiten und da=
lich. So ſoll ſich das Bilden dem Han-
21 22' 23
r20 her auch nicht das Gebiet
deln darin entgegenſtehen, daß jenes
r21 des Nothwendigen für die
einen Zweck außer ſich hab⟨e⟳e⟩, das Werk,
nämlich
in
einen
ſei trage,
r22 Wiſſenſchaft und das Gebiet dieſes ſich ſelbſt Zweck iſt , wie überdas
r23 des Veränderlichen für das haupt das richtige ⟨u→Wohlhandeln⟩ Ziel ſei. dergeſtalt 'r24 (die εὐπραξία im Sinne der εὐδαιμονία()) r25a Handeln u⟨ ⟩f die Kunſt r25b ⟨wie↶als⟩
durch drichtiges Handeln erreichten Glückſelig-
r26 geſchieden feſtzuhalten ſind, keit). Die nähere Betrachtung zeigt auch gehörten 'r27 r28 als fielen ſie zwei verſchie- hier eine Uebereinſtimmung. Der bildende r29 denen Vermögen zu(.)⟨↙an.⟩ r30
r31 nicht [Vortrag ]K
Erläuterung: r31 nicht] »nicht« stellt eine Alternativvariante dar, welche in der dritten Textstufe (H.3) in Zeile 21 f. anstatt »ſchwerlich« gelesen wird.
24 25' 26 27' 28 29' 30 31 32 33 34
Diplomatische Umschrift
68
[Dbl. 2/2r: Kap. I., S. 7]
1
Künſtler bringt allerdings ein Werk hervor, das
2
äußerlich daſteht. Wenn aber der Handelnde,
3 '4 5 '6 7 '8 9
z.B. der Tapfere, der Mäßige ⟨+++↶eine⟩ Wirkung
dem äußern Werk(.)(,) des Künſtlers - zu
10
geſchweigen, daß das Handeln, wenn es
11
im größern Maßſtabe erſcheint, in B blei-
12
benden Bildungen und Einrichtungen ⟨ ⟳ ⟩ hervor- ⟨ z.B. Anſtalten ⟳ z.B.
13 14
verhält ſich
bezweckt: ſo iſt dieſe, wie unſichtbar ſie auch dennoch
in die Kette der Ereigniſſe eingreife, gleich wie das
bringt wie lebendige, bewußte Kunſt-
vgl⟨ ⟩f noch Heft
r1
d⟨ ⟩f Geſch⟨ ⟩f dς⟨ ⟩f ⟨P↩olis⟩u. r2a Bog. 10. 1. 2. §. 3
Arıſt⟨ ⟩f polıt.
Anſtalten
werke. Wenn das Handeln ſich darum in
des Staats ⟳des Staats⟩
r2b r3 r4
r5a r5b r6
15
ſich ſelbſt Zweck ſein und ſich darum in
16
ſich ſelbſt vollenden ſoll, weil das Wohl-
Vgl. noch die Stelle
r7
17
handeln das letzte Ziel iſt: ſo iſt
b. Brandis no. 22
r8
18
dieſer Grund offenbar zu weit. Denn
aus eth. Nic. I. 1.
r9
19
das Wohlhandeln in jenem allgemeinen
20
⟨D↶Aber⟩ dagz z. erinnς: r10
Sinne der durch Handeln zu er⟪reic↶ſtre⟨h→b⟩⟫enden d. Werk iſt nicht beſſer
21
Glückſeligkeit (εὐπραξία) wird nicht
r11
als die Thätigkeiten;
r12
bloß durch das Handeln im engern
Denn die eigentliche Thä-
r13
23
Sinne, ſondern gleicher Weiſe durch das
24
wiſſenſchaftliche Betrachten und Künſt-
Conception der Kunſtwerke, r15
25
leriſche Bilden ins Werk geſetzt(.) erreicht.
tigk⟨ ⟩ft, d. urspr⟨ ⟩f, iſt die r14
u. das Kunſtwerk ist
r16
26
Ariſtoteles iſt uns deſſen ſelbſt ein Zeuge,
nur für dieſe da,
r17
27 '28 29
wenn er die menſchliche Glückſeligkeit in
um dieſe Thätıgk⟨ ⟩ft in
r18
22
will
der theoretiſchen für vollende⟨t↶n⟩ erachtet u.
Erläuterungen:
9 Künſtlers] kleines Strichlein unter dem Schluss-. Vermutl. ein zufälliges Artefakt des Schreibprozesses. Siehe auch Dbl. 1/2v, Z.5 und 11.
r1–r4 vgl bis §. 3] Tr. klammert den Verweis – vermutl. auf gleichlautenden Titel mit der Signatur ›B 17,10‹ im Nachlassverzeichnis – aus.
d. Beſchauen zu ver-
r19
vielfältigς⟨ ⟩f
r20
r7–r20 Vgl. bis vielfältigς] interne Randnotiz mit Verweis auf Textstelle in ungenannter Veröffentlichung von Christian August Brandis (1790–1867).
Handschrift B 9,2
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69
Abb. 12: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 2/2r.
70
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Abb. 13: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 2/2v.
[Dbl. 2/2v: Kap. I., S. 8]
Erläuterung: 3' ff. hiernach] Besonderheit. Die Ergänzung in der Interlinearzeile wird anders als für Tr. üblich mit einem langen Einweisungsstrich der übernächsten Zeile zugewiesen. Die Funktion des zweiten Strichleins über der Ergänzung kann vom Hrsg. nicht mehr ermittelt werden.
Diplomatische Umschrift
71
alſo die Eupraxia des betrachtenden Lebens
1
auf die Höhe ſeiner Ethik ſtellt⟨:↶.⟩⟪⟨ſo↶B⟩↶Wenn⟫ hiernach
weit dieſer höhere Begriff des Wohlhandelns,
2 3' 4
des ſich durch Thätigkeit vollziehenden menſch=
5
lichen Zwecks durch alle drei Weiſen,
6
durch das Betrachten, das Handeln und ungeachtet alle drei wie Arten zu ein-
7 8' 9 10' 11
ander verhalten. Dann muß indeſſen ge-
12
fordert werden, daß ſie, obwol in dieſem
13
Allgemeinen übereinkommend, ſich ſonſt nicht mit einander vermiſchen, wie z.B.
14 15' 16
die Arten des Parallelogramms Qua-
17
drat, Rechteck, Rhombus und Rhomboid
18
in der Natur des Parallelogramms
19 20' 21
ſich
das Bilden hindurchgeht, ſo könnten deſſen
gleichwohl
ähnlich
derſelben
übereinkommen, ⟨u→aber⟩ ſonſt keine die eigenthümliche Natur des andern in ſich
22
enthält. Jſt dies nun bei den zum Grun-
23
de gelegten Begriffen der Fall? Das Be-
24
trachten iſt vielmehr ein Theil im Handeln,
25
⟨u↶wie⟩ im Bilden, als Erfordnerniß mit-
26
enthalten. Denn das Handeln muß von
27
Vernunft durchdrungen ſein und das Bilden
28
ſoll eine Jdee darſtellen u⟨ ⟩f zur An=
29
ſchauung bringen. Ebenſo iſt das Bilden
30
Diplomatische Umschrift
72 1
in dem Handeln, und Bet wie in dem Betrach-
2 '3 4
ten enthalten; denn das Handeln vollendet
5
ſtellung, die, wie das Kunſtwerk, ihrer
6
Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf,
7
wie ſchon gezeigt iſt, des Hervorbringens,
8
um ſich zu verwirklichen, und muß ſich
9
darſtellen, um ſich ⟨ander↶ſelbſt⟩ klar und andern
10 11
[Dbl. 3/1r: Kap. I., S. 9]
der
ſich erſt i⟨m→n⟩ ſittlichen Schönheit, in einer Dar=
zugänglich zu werden. Endlich vollzieht ſich
das Handeln im wiſſenſchaftlichen Beruf durch
12
das Betrachten und im künſtleriſchen durch
13
das Bilden auf eigenthümliche Weiſe.
14
Wer dieſe Beziehungen überdenkt, findet
15
die eine Thätigkeit mitten in der andern.
16
Es ſoll dabei nicht verkannt werden, daß
17
ſich die drei Rich Thätigkeiten, das Betrachten,
18
das Handeln und das Bilden nach den Rich-
19
tungen ⟪⟨i↘⟩⟨des↶hres⟩⟫ Zweckes unterſcheiden. Das Betra⟨+↶ch=
20
ten⟩ will erkennen⟨ ⟩f um zu erkennen; das
21
Bilden will hervorbringen, um einen
22
Gedanken anzuſchauen oder eine Empfin-
23
dung hinzuheften; das Handeln hingegen
24
will eine Wirkung als ſolche. Aber
25
dieſe verſchiedenen Zwecke, da ſie die an=
26
dern wechſelsweiſe als Mittel in ſich tragen,
[3.]Pag
Handschrift B 9,2
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73
Abb. 14: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 3/1r.
74
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Abb. 15: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 3/1v.
[Dbl. 3/1v: Kap. I., S. 10]
Diplomatische Umschrift ſind nicht geeignet, um die Theile der
1' 2
Philoſophie mit ſcharfen Unterſchieden zu
3
allein
r1a ⟨ der ſpecif. Diffς ↶ r1b
der ſpecifiſchen
r2 Differenz⟩ r3
Würde daher eine
r4 Eintheilung der Philoſophie
75
begrenzen. Das Quadrat iſt, um zu⟨↙m⟩ obige⟨m→n⟩ 4
Beiſpiele zurückzukehren, in keinem Stücke ⟨ ⟳ ⟩ ein 5
Rhomb⟨b↶oid⟩, aber das Handeln ſchließt das Betrachten und das Bilden und dieſe
das Handeln umgekehrt in ſich(.) ein.
Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich
r5 auf dem Grunde dieſer Be= mit den in neuerer Zeit viel genannten r6 griffe ſtreng ausgeführt,
und neben einander geſtellten Jdeen
r7 ſo wären Wiederholungen
des Guten, Wahren und Schönen. Sie
r8 unvermeidlich.
drücken daſſelbe als Gegenſtand aus, was
2
1
das
6 7 8' 9 10 11 12 13' 14 15' 16
i⟨m→n⟩ den Begriffen des Ha Betrachtens,
17
angeſchauet wird. Nur die oberflächliche
19
r11a kennς) Chalyb⟨a⟩fus
Anſicht vermag ſie zu trennen. Wer
r11b I. S. 7 ⟨5↶2⟩
in ihren Jnhalt tiefer eindringt, wird
20 21' 22
bald gewahr, daß man nicht den Jnhalt
23
der einen heben kann, ohne den Jnhalt
24
der andern mitzuheben.
25
r9 Plato⟨–⟩uGerſon im M. A. Handelns und Bildens als Thätigkeit r10
bonum (Begehrς) verum (Er-
r12 f⟨ ⟩f
r13 [ Jn die log. r14 Unt. 2t. Aufl. r15 aufgenomς. ]Ün
ſie
Wir begegnen im Mittelalter derſelben
18
26
oder einer mit Ariſtoteles verwandten Ein-
27
theilungen. Wir ſehen die Wirkung noch
28
im vorigen Jahrhundert, wenn Chr. Wolf
29 30' 31
u⟨ ⟩f Fıchte
u. nach ihm Kant die Philoſophie in theo= Erläuterungen:
r9 Plato⟨–⟩uGerſon] kann sich im inhaltlichen Kontext nur um einen Bis-Strich handeln.
r11a Chalyb⟨a⟩fus] Tr. vergisst das Trema.
13' f. Guten, Wahren] Umstellung zu ›Wahren, Guten‹.
Diplomatische Umschrift
76 1
retiſche und praktiſche eintheilen. Wenn
2
bald nach Wolf
3
Aeſthetik hinzufügte, ſo trat darin
4
die zurückgedrängte ποιητική des
5
Ariſtoteles von Neuem mit ihrem Rechte
6
hervor. Kant ſteht iſt, was die Einthei-
7
lung der Philoſophie betrifft, von ⟨W↶Chr.⟩ Wolf
8 9 10 11
Baumgarten die
abhängig. Man ſieht es deutlich, wenn man
⟨die↶Kants⟩ Architektonik der reinen Vernunft
mit der Einleitung zu Wolfs Logik ver-
gleicht.1) Wenn Kant, wie Wolf, die Philoſophie
12
zunächſt in theoretiſche und praktiſche eintheilt,
13
ſo hat darauf bei Kant, wie bei Wolf, die
14
Scheidung der Geiſtesthätigkeit in V Erkenntniß=
15
vermögen⟨ ⟩f und Begehrungsvermögen
weſentlichen
16
Einfluß.2) Aber die Ergebniſſe bei Kant
17
zeugen zugleich gegen die Richtigkeit
18 '19 20
dieſer Eintheilung. Die praktiſche Vernunft
21
und erzeugt theoretiſche Vorausſetzungen,
22
Poſtulate, welche der Kritik der reinen
23
Vernunft uzweifelhaft waren.
24 '25 26
und Gefühlsvermögen
r1 r2
beı ıhm
greift in das Gebiet der theoretiſchen zurück
Herbart gehört inſofern hieher, als auch nicht
er nicht die Philoſophie nach den Objecten ein=
27
Kant Kritik der reinen Vernunft. „Methoden⟨“⟩f-
28
1)
29
lehre⟨ ⟩f 3tes. Hauptſtück. 2t. Aufl. S. 874 ff. u. Wolf
30
[Dbl. 3/2r: Kap. I., S. 11]
2) Kant Kritik der Urtheils- r3 kraft. Ein 1790. Einleıtς
r4
III. S. ⟨2↶XX⟩.
r5
philosophia rationalis s. logica. 1728. discursus praeliminaris § 60 ff.
Handschrift B 9,2
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77
Abb. 16: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 3/2r.
78
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Handschrift B 9,2
Abb. 17: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 3/2v.
[Dbl. 3/2v: Kap. I., S. 12]
Diplomatische Umschrift
79
theilt. Wenn er die Philoſophie als Bearbeitung
1
der Begriffe erklärt, ſo theilt er ſie nach
2
der logiſchen Thätigkeit ein, die ſie erforder⟨n⟳n⟩.
3
Aus den Hauptarten, wie die Begriffe bear-
4
beitet werden, ergeben ſich die Haupttheile
5
der Philoſophie: Jnwiefern es der Zweck iſt,
6
die Begriffe klar und deutlich zu machen, entſpringt die Logik. Jnwiefern gegebene
7 8' 9
Begriffe der Erfahrung Widerſprüche in
10
ſich tragen und ſie daher nach ihrer
11
beſondern Beſchaffenheit zu verändern
12
und zu ergänzen ſind, damit ſie denkbar werden: ſo ergibt ſich die Wiſſenſchaft
13 14' 15
der Metaphÿſik, welche auf ähnliche Weiſe,
16
wie bei Wolf und Kant, u in der
17
Pſÿchologie, Naturphiloſophie und natür-
18
liche⟨r→n⟩ Theologie ihre Anwendung findet.
19
ihm
ihm
Endlich werden Begriffe unterſchieden, welche
20
in unſerm Vorſtellen ein Urtheile des
21
Beifalls oder Mißfallens nothwendig her-
22
Erläuterung:
beiführen und die Wiſſenſchaft von ſolchen
27 ſä⟨m⟩ftlich]
Begriffen iſt die Aeſthetik. Angewandt auf
23 24' 25
Beim Vergleich mit der entsprechenden Übernahme der LU2 nutzt Tr. hier entweder eine alternative Schreibung zum dortigen »sämmtlich« oder vergisst den Geminationsstrich. Siehe auch Zeile 536 des in dieser Edition präsentierten Abdruckes von Kapitel ›XXI. Das System‹.
ihm
das Gegebene geht ſie in eine Reihe von Kunſt⟨ ⟩f
lehren über, welche man ſä⟨m⟩ftlich praktiſche
Wiſſenſchaften heißen können; praktiſche Philoihm
ſophie im engern Sinne heißt diejenige der
26 27 28 29' 30
Diplomatische Umschrift
80 1
Kunſtlehren, deren Vorſchriften den Charakter
2
der nothwendigen Befolgung darum an ſich tragen,
3
weil wir unwillkührlich und unaufhörlich den
4
Gegenſtand derſelben darſtellen.1) Dieſe Einthei=
5 '6 7 '8 9 10
lung wurzelt ganz in Herbarts eigenthümlicher
philoſophiſcher
Anſchauung und kann nur mit dieſer beur= ⟨Jndeſſen ſchon↘⟩ ⟨B↶bei⟩ einer
theilt werden: Zur vorläufigen Betrachtung ſpr⟪⟨e→i⟩ch⟨e↶t⟩n⟫ die folgenden einiges gegen die Stren-
11
ge dieſer Eintheilung: Zunächſt treten nach
12
dieſem Eintheilungsgrunde Logik und Aeſthetik
13
nicht ſcharf aus einander. Denn auch die Klar-
14
heit und Deutlichkeit der Begriffe gefällt u.
15
auch darauf kann ſich eine Kunſtlehre richten.
16
Jn Herbarts Schule iſt in der That dieſe Conſe-
17
quenz gezogen. Bobri⟨ck↶ks⟩ Logik2) überträgt
18
[Dbl. 4/1r: Kap. I., S. 13]
überträgt die Analogi⟨k→e⟩ der praktiſchen Philoſo=
19
phie auf die Erkenntnißlehre und entwirft
20
fünf(+) urſprüngliche und fünf abgeleitete logiſche
21
Jdeen, wie Herbart fünf urſprüngliche und
22
fünf abgeleitete praktiſche Jdeen darſtellt.
23
Der Grund der Eintheilung iſt hierdurch nicht ſcharf
24
genug. Ferner iſt es ſehr zweifelhaft, ob eine
25
ſolche Aufgabe be⟨d→i⟩ den Erfahrungs⟨g↶begriffen⟩ eine
26 27 '28 29 30 31
1) Joh. Frdr. Herbart Lehrbuch zur Einleitung in 3t. Aufl. ⟨+++↶1834.⟩
die Philoſophie. § 5 ff.
2) Dr. Ed. Bobri⟨ck↶k⟩ neues praktiſches Syſtem der Logik. I, 1.
urſprüngliche Jdeenlehre. Zürich 1838⟨ ⟩f § 12 ff⟨ ⟩f
[4.]Pag
Handschrift B 9,2
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81
Abb. 18: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 4/1r.
82
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Handschrift B 9,2
Abb. 19: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 4/1v.
[Dbl. 4/1v: Kap. I., S. 14]
Diplomatische Umschrift ſolche Aufgabe vorlieg⟨t↶e⟩⟨.↶,⟩ wie die von Herbart
behauptete metaphÿſiſche Berichtigung und Er-
gänzung. Was ⟨als↶für⟩ Widerſpruch angeſehen gewieſen worden, theils auch in der Bear-
beitung der Begriffe nicht wirklich weggeſchafft,
9
ſondern nur ſcheinbar für den Augenſchein ausgeglichen;1) theils ja, es darf gar nicht als
10 11' 12
Widerſpruch erſcheinen, wenn nicht ein falſcher
13
Maßſtab des Jdentitätsgeſetzes angelegt
14
wird.2) Endlich würde er ſich fragen, ob
15
nicht auch die aeſthetiſchen Begriffe und nament-
16
lich die praktiſchen Jdeen, wenn man den Wider-
17
ſpruch in Herbarts Sinne beſtimmt, denſelben
18
Widerſpruch in ſich enthalten, wie z.B. die
19
Jdee der Billigkeit nach Herbarts Auffaſſung
20
nicht ohne Verä die durch eine Handlung ein-
21
getretene Veränderung gedacht wird, welcher
22
Begriff nach Herbarts Metaphÿſik ſich in ſich
23
erklärt
r2 Aufl. 2 r3 aufgenomς ]Ün
1 2 3' 4 5' 6 7' 8
er in ihnen
r1 [ log. Unt.
83
wird, das wird theils, wie anderswo nach-
ſeiner metaphyſiſchen
wird
24 1) Logiſche Unterſuchungen B. I. S. 137 ff.
25
2) Logiſche Unterſuchungen B. II. S. 95 f.
26
84
Diplomatische Umschrift
1 '2 3
widerſpricht. Aus dieſen Gründen wird Herbarts
4
eigenen Vorausſetzungen, aber viel weniger außer-
5 '6 7
halb ſeines Sÿſtems halten können.
8
eignen, um einen Eintheilungsgrund der Philo-
fehlgeſchlagenen r2
9
ſophie abzugeben: ſo ſuchen wir ihn auf der
Verſuchen
10
andern Seite, in der Verſchiedenheit der Ge-
11
genſtände.
nicht einmal
Fundament der Eintheilung ſich kaum unter ſeinen
verſchiedene Verhalten
Sollte ſich hiernach d⟨ie↶as⟩ menſchliche⟨↙r ⟩ Thätigkeit nicht nach dieſen
12
Es begegnet uns auf dieſem Wege eine alte
13
Eintheilung, die zufolge einer Bemerkung des
14
Sextus Empiricus dem Keime nach bereits
15
in Plato liegt, aber erſt von den Stoikern
16
zur Norm des Sÿſtems genommen wurde. Es
17
iſt die Eintheilung der Philoſophie in Logik,
18
Phÿſik und Ethik.
19
[Dbl. 4/2r: Kap. I., S. 15]
Die alten Stoiker ſahen dabei die Phÿſik als
20
den Kern oder den Quell der Erkenntniß an;
21 '22 23
denn die Phÿſik, welche in die Vernunft der Natur
24
ihnen(,) wie in demſelben Sinne, wie dem Ariſto-
25
teles die Metaphÿſik, die göttlichſte unter
26
den Wiſſenſchaften. Sie vergleichen die Philoſophie
27
dem lebendigen Leibe eines Thieres und zwar
28
den logiſchen Theil den Knochen und Sehnen,
29
den ethiſchen dem Fleiſch und Blut, den phyſiſchen
göttlichen
als in den letzten Urſprung zurückgeht, iſt
Erläuterung: '22 göttlichen] Alternativvariante zu »letzten« in Zeile 23.
r1 r3
Handschrift B 9,2
Faksimile
85
Abb. 20: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 4/2r.
86
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Handschrift B 9,2
Abb. 21: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 4/2v.
[Dbl. 4/2v: Kap. I., S. 16]
Diplomatische Umschrift
87
endlich der Seele⟨.→;⟩ ⟨O↶o⟩der ſie vergleichen nach
1
dem Bilde eines Eies den logiſchen Theil der
2
Schale, den ethiſchen dem Weißen, den phyſi-
3
ſchen dem Dotter; oder nach dem Bilde eines
4
fruchtbaren Ackers den logiſchen Theil
5
der Umzäunung, den ethiſchen der
6
Frucht, den phÿſiſchen dem Boden oder dem
7
Baume. Wie die Logik darnach als das
8
Zuſammenhaltende betrachtet wird, ſo bildet
9
die Phÿſik den geſtaltenden, hervorbringen-
10
den Mittelpunkt. Hiernach würde⟨↩n⟩ die
11
außen gehen, in der Reihe der Phÿſik, Ethık,
13
Folge d⟨er↶ie⟩ Theile, wenn wir von i⟨h⟩unnen nach
12
Logik auf einander folgen. Jndeſſen er-
14
kannten die Stoiker auf der einen Seite dıe
15
Wechſelwirkung der Theile ⟨u(.)↶,⟩ wollten keinen dem andern voranſtellen(,) u. änderten
16 17' 18
die Folge nach dem vorliegenden Zweck des
19
Vortrags u. der Lehre; auf der andern Sei-
20
te ſtellten ſpätere Stoiker nach der vor-
21
wiegenden Richtung, die ſie nahmen, die Ethik
22
in das eigentliche Centrum.1)
23
ſetzen
24 1) Diog. Laert. VII. 40
Sext. Empir. adv.
25
mathem. VII. 16 ff. vgl. Plutarch. De Stoicorum
26
repugnantiis. c. 9.
27
Erläuterung: 1–8 oder bis Baume.] Winkelklammern. Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen.
Diplomatische Umschrift
88 1 2
[Dbl. 5/1r: Kap. I., S. 17]
Da die Philoſophie ſtoiſche Eintheilung der Philoſophie aus der Sache⟨,↙⟩ entnommen iſt, ſo hat ſie ſich
aus dem innern
r1
3
neben jener ariſtoteliſchen bis in die neueſte Zeit
Verhältniß der
r2
4
behauptet.
Gegenſtände⟨ ⟩f
r3
5
Carteſius z.B. hat über die Eintheilung der
6
Philoſophie nur eine allgemeine Bemerkung,1)
7
aber ſie ſtimmt im Weſentlichen mit der ſtoi-
8
ſchen Einth Anſchauung. Carteſius ſagt, die
9
Philoſophie gleiche einem Baume. Seine Wurzeln
10
ſeien die Methaphÿſik - und er beſtimmt
11
ausdrücklich, daß die Principien der Erkennt-
12
niß, die Entwicklung der weſentlichen Attri-
13
bute Gottes, der Jmmaterialität der
14
Seele und aller klaren und einfachen Be-
15
griffe, die ſich in uns finden, zur Meta=
16
phÿſik gehören, ſo daß dieſe Disciplin im
17
carteſiſchen Sinne der B ſLogik der Stoiker
18
und dem metaphyſiſchen Theil ihrer Phÿſik ent-
19
ſprechen würde. Der Stamm jenes Baumes,
20
führt Carteſius fort, ſei die Phÿſik, die aus
21
ihm hervorwachſenden Zweige die übrigen
22
Wiſſenſchaften, welche auf drei zurückgehen,
23
Medizin, Mechanik und Ethik,(1)) ſo daß
24
wi⟨r⟳r⟩ in dieſen den andern Theil der ſtoiſchen
25 26
1) epiſt. ad principiorum philosophiae inter=
27
pretem Gallicum p. 10 f. nach der Amſterd. Aus=
28
gab. (+) 1685. p(.) 10 f(.)
[5.]Pag
Handschrift B 9,2
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89
Abb. 22: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 5/1r.
90
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Handschrift B 9,2
Abb. 23: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 5/1v.
[Dbl. 5/1v: Kap. I., S. 18]
Diplomatische Umschrift Phÿſik ſammt der Ethik vor uns haben. Man hat
Vergebens verſucht man aus Spinoza de intellectus r1
aber vergeblich(,) mit
1 2' 3
emendatione p. 417. f⟨ ⟩f eine Eintheilung de⟨s↶r⟩ Sÿſtems
4 5' 6
der menſchlichen Glückſeligkeit und Vollkommen-
8
heit, von einem Dienſt dieſes Studiums für
9
das ethiſche Ziel u. nicht von einer theore-
10
tiſchen Gliederung der Principien die Rede.
11
Es ſteht nichts im Wege, bei Spinoza eine
12
Eintheilung vorauszuſetzen, welche der des Car-
13
teſius verwandt iſt. ⟨Sein↶Jn⟩ ſeiner Ethik geht
14
tung⟨↙en⟩ im zweiten, wobei er die Principien
17
verſucht
Philoſophie zu gewinnen .⟨↙;⟩ Denn es iſt dort nur
r2 mit Unrecht(.) und ver- von dem Studium der Wiſſenſchaften für den Zweck r3 geblich.
91
7
er einen ähnlichen Gang, von der Metaphÿ-
15
ſik im erſten Buche zur ⟪⟨B→l⟩ogiſche⟨r↶n⟩⟫ Betrach-
16
der Phÿſik lemmatiſch zwiſchen legt, von da
18
zur Pſÿchologie der Leidenſchaften im 3t.
u. 4t. Buch u. endlich zur Ethik im
19 20' 21
engern Sinne, dem Ziel des Ganzen. Zwar
22
ſind auf dieſem Gange die wiſſenſchaft-
23
lichen Lehren durch den ethiſchen Zweck,
24
den das Ganze verfolgt, in ihrem Um-
25
fang beſchränkt und in ihrer Richtung ge-
26
bunden; aber es läßt ſich dennoch daraus
27
ein allgemeiner Entwurf der Eintheilung
28
im Sinne des Spinoza entnehmen.
29
im 5ten
Diplomatische Umschrift
92 1
Jn jenen ⟨B↶Vergleichen⟩ der Stoiker, in dem Bilde
2
des Carteſius und in der Anordnung des Spino-
3
za iſt der genetiſche Gang angedeutet, den die
4
Eintheilung verfolgen will. ⟨D↶Es⟩ ſollen die Disci-
5 6
[Dbl. 5/2r: Kap. I., S. 19]
plinen nicht in einem äußern Ueberblick neben einander geſtellt werden, ſondern ſie ſollen ſich
7
wie Bedingung und Bedingtes, Vorausſetzung
8
und Folge(,) K an einander reihen. Die
9
ſichere ſoll die Baſis der ſpätern ſein. Hegel will dies in einem noch ſtrengern
10 '11 12
Sinn, wenn er, wie die Stoiker, die Philoſophie
13
in Logik, Philoſophie der Natur und Philo-
14
ſophie des Geiſtes (()Ethik()) eintheilt. Die
15
dialektiſche Methode ſoll von Glied zu
16
Glied dieſen innern Zuſammenhang er-
17
zeugen. Wenn man namentlich bei dem
18
meiſt formalen Jnhalt der ſtoiſchen Logik
19
zweifelhaft ſein kann, wohin wo man ihr
20
ihren Ort anzuweiſen hat: ſo ſteht Hegels
21
Logik, die dialektiſche Vorbildnerin alles
22
Concreten, nothwendig im Urſprung. Jndeſſen
23
entſcheidet dieſelbe Kritik, welche genöthigt iſt,
24
⟨die dia↶Hegels⟩ dialektiſche Methode für eine Metho-
25 '26 27
ähnlich
de des Scheins zu erklären, auch über welche
künſtlıchς
dieſe Eintheilung, die aus der Dialektik
28
fließt. Wir müſſen daher die Ordnung der
29
Natur auf einem einfacheren Wege ſuchen.
Handschrift B 9,2
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93
Abb. 24: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 5/2r.
94
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Handschrift B 9,2
Abb. 25: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 5/2v.
[Dbl. 5/2v: Kap. I., S. 20]
r1 [ Schon aufgenomς r2 in d. log. Unt⟨ ⟩f
r3 ⟨IIt↶2t⟩ Aufl⟨ ⟩f ]Ün
Diplomatische Umschrift
95
Jn der Eintheilung und Reihenfolge der
1
Wiſſenſchaften kreuzen ſich leicht zwei lei-
2
tende Geſichtspunkte, die Ordnung ⟨–↶,⟩ welche der
3
Entſtehung der Sache folgt, und die Ordnung,
4
welche der Gang des Lehrens und Lernens
5
nöthig macht. Die methodiſche Rückſicht durch-
6
ſchneidet die genetiſche Strenge. Denn die ge-
7
netiſche Betrachtung ſchöpft aus dem Grunde
8
der Sache, während ſich die methodiſche An-
9
ordnung den Bedürfniſſen des menſc ſich
10
entwickelnden menſchlichen Geiſtes anpaßt.
11
Wir finden dieſe Einſchränkung oder
12
Vermiſchung faſt in allen Sÿſtemen. Jn
13
Plato gehen die epagogiſchen Dialoge den
14
dialektiſchen voran: Ariſtoteles ver=
15
langt, daß man vor der Metaphÿſik, dıe
16
ſonſt von den erſten Gründen anhebt, die Logik vorherwiſſe und die Peripatetiker
17 18' 19
ſtellen überhaupt die Logik als das
20
Werkzeug der Disciplinen, als Organon,
21
vor den Jnbegriff derſelben. Von den
22
Stoikern iſt bereits angeführt, daß ſie die
23
Folge nach dem Zweck veränderten. Car=
24
teſius griff in ſeiner Schrift über die Metho-
25
de ſelbſt in die Ethik vor, um die Freiheit
26
der Unterſuchung zu ſichern: Chr. Wolf
27
Analÿtik
[unter=]Kus
28
96
Diplomatische Umschrift
1
unterſchied ausdrücklich zwiſchen der methodus
2
demonstrandi u. methodus studendi. Kant
3
Kant ſchickte ſeine ſteckte durch ſeine W
4
Kritik den Boden für das Sÿſtem ab und
5
ſchied Kritik u. Architekto⟨l↶nik⟩ ſehr deutlich.
6 7
Jn Hegels Lehre iſt bald die Phaenomeno=
logie als die Erziehung des Bewußtſeins zur
8 '9 10
ſpeculativen Erkenntniß, bald die hiſto-
11
der Philoſophie für eine nothwendige Vor⟨ſ↶be=
12 13 14 '15 16 '17 18 19 '20 21 22
der Encÿklopaedie
riſche Einleitung oder gar die ganze Geſchichte reitung⟩ erklärt, um den Standpunkt der
grundlegenden Wiſſenſchaft, der Logik, auf=
zufaſſen.
Namentlich iſt ein ſolches Hÿſteronprote= in
Logik, der Erkenntniß=
lehre⟨ ⟩f erſcheint ins= beſondere wie ein
wie ein Hyſteronproteron.
unvermeidlich. Als Theorie der Wiſſenſchaft
Hyſteronproteron⟩
ſie von
muß ſie in Principien eingehen, welche den übrigen Wiſſenſchaften angehören, und ⟨doch↶welche⟩
24 '25 26
doch kann ſie ihnen nicht wohl nachfolgen, den
denn ſie ſoll ih⟨r→n⟩en Grund ſichern u. ih den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des
der meiſten Sÿſteme.⟫ im philoſophiſchen
zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer
30
Seite der Pſÿchologie. Aber als Logik hat
31
ſie die Aufgabe, nicht blo⟨s⟩f der Pſÿchologie,
r3b
↶ r4a r4b
↶ r5a r5b r6
r7 r8
Disciplinen
r9
Erläuterung:
31 blo⟨s⟩f.] vom übrigen Fragment abweichende Schreibung. Vermutl. Orthografiefehler.
r2
Syſtem den übrigen
Denkens ſteht wird ſie im genetiſchen Sÿſtem
29
r1
⟨ Die Stellung der Logik ↶ r3a
ron mit der Stellung der Erkenntnißlehre
kann ſie von ihnen erſt überkommt; und
28
⟪Die Stellung der
(Erkenntnißlehre) erſcheint
Bis zu einem gewiſſen Punkte
23
27
[Dbl. 6/1r: Kap. I., S. 21]
[6.]Pag
Handschrift B 9,2
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97
Abb. 26: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 6/1r.
98
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Handschrift B 9,2
Abb. 27: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 6/1v.
[Dbl. 6/1v: Kap. I., S. 22]
Diplomatische Umschrift
99
ſondern auch den Wiſſenſchaften, welche dieſer r1 Dies doppelte Verhält= nothwendig vorangehen, zur Wegweiſerın
1 2
r2 niß bringt in die
zu dienen. Daher wird man die Logik(,)
3
r3 Stellung der Logik
wie ſchon im Alterthum geſchah, d vor das
r4 ein Schwanken, und
ihren Ort an. genetiſche Sÿſtem ſtellen müſſen(.)(,) wobei
4 5' 6
r5 man weiſt ihr
ſich denn freilich mannigfaltige Voraus-
7
r6 meiſtens,
nahmen nicht umgehen laſſen.
8
Die Philoſophie entſteht im Unterſchiede von r7 [ Auf ]Ün
9
den einzelnen Wiſſenſchaften weſentlich daraus,
10
daß die nur vorausgeſetzten Principien der
11
einzelnen Wiſſenſchaften den Beweis ihrer
12
Berechtigung u. die zerſtreunten Anfänge
13 14' 15
Ganzen
den Zuſammenhang de⟨r↶s⟩ Einheit ſuchen.
Es iſt daher nothwendig, daß dieſe allgemeine
16
Aufgabe zunächſt erledigt werde. Denn
17
die beſondern Disciplinen empfangen da= durch ihren Urſprung und gegenſeitige
18 19' 20
Stellung. Es beſchäftigt ſich damit diejenige
21
Wiſſenſchaft, welche es von früh her unter=
22
nommen hat, das Seiende als Seiendes,
23
das Seiende als ſolches zu erkennen d.h.
24
das Seiende in jenem allgemeinen Sinn,
25
in welchem es nicht das Beſondere iſt, aber
26
den Grund des Beſondern in ſich trägt
27
- die Methaphÿſik. Sie wird daher, wie
28
die Logik, allen einzelnen Wiſſenſchaften voran=
29
Wurzeln
ihre
Erläuterung: r7 Auf] vermutl. abgebrochener Verweis auf Textübernahmen in die LU2.
Diplomatische Umschrift
100 1
[Dbl. 6/2r: Kap. I., S. 23] Erläuterungen:
gehen.
2
Logik und Metaphÿſik eröffnen hi nach dieſen
3
Betrachtungen die Philoſophie. Jndeſſen bilden ſie
4
vielleicht nur die beiden ſich einander bedin=
5
genden Seiten Einer und derſelben Wiſſen-
6
ſchaft, die wir als Logik im weitern Sinne
7
bezeichnen können. Dieſe Anſicht iſt
8
nothwendig, wenn es, wie nachgewieſen worden1),
9
ein vergebliches Bemühen iſt, eine formale Lo=
dann
7 ] Tintenfleck. Verursacht durch Tropfen einer unbekannten Flüssigkeit – z.B. Tee oder Wasser. Auch im Korrekturrand sind noch leichte Vergilbungen zu erkennen. r1 ff. den bis herausgegebenen] alternative Lesung der dritten Textstufe (H.3) zu »(dem Sÿſtem der)« in Zeile 23 f.
10
gik feſtzuhalten, wenn vielmehr der Vorgang
11
des Erkennens nur durch den Erwerb oder Beſitz
12
der realen Principien, welche den erkannten
13
Dingen zum Grunde liegen, begriffen werden
14
kann, wenn alle Nothwendigkeit auf eine Ge=
15
meinſchaft des Denkens und Seins als auf
16
ihren letzten Urſprung hinweiſt, wenn end=
17
lich die Lehre der Metaphÿſik nur von den=
18
ſelben Principien der Wiſſenſchaften, welche die
19
Erkenntnißlehre behandelt, und von keiner
20
andern Baſis ausgehen kann. Dieſer Paral=
21
lelismus des Denkens und Seins aus einer
22
innern Gemeinſchaft entſpringend, dieſe Ein=
23
heit der Logik und Metaphÿſik iſt in ( dem
den von mir
r1
24
Sÿſtem der ) logiſchen Unterſuchungen entworfen
früher herausge-
r2
gebenen
r3
25 26
1) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt 1. Th. I. S. 4 ff⟨ ⟩f
Handschrift B 9,2
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101
Abb. 28: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 6/2r.
102
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Abb. 29: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 6/2v.
[Dbl. 6/2v: Kap. I., S. 24]
Diplomatische Umschrift
103
und begründet worden. Erſt aus einer ſolchen
1
Grundlegenden Wiſſenſchaft kann die Gliederung
2
der⟨↩jenigς⟩ Disciplinen folgen, deren Principien ſie
3
auf
6
enthält.
Wenn man ſich in den Punkt hineinſtellt,
r1 [ Jn ⟨l↶die⟩ log.
welchem überhaupt erſt die Philo-
4 5
ſophie in ihrem Unterſchied von den ein-
7
r2 Unterſ. Ausg. 2.
zelnen Wiſſenſchaften entſteht: ſo wird ſich
8
r3 aufgenommen. ]Ün
der ſcheinbare Zirkel löſen, in welchem
9
eine ſolche Wiſſenſchaft die folgenden philo-
10
ſophiſchen Disciplinen zu begründen und doch
11
auf ihrem Grunde zu ſtehen ſchein⟪⟨e↶t⟩n⟫.
12
r4
Obwol die Philoſophie,
r5
wenn wir die Geſchichte fragen,
r6
in einer Einheit mit den
ſchaften in ihrer Zerſtreuung und in der
14
r7a
übrigen ⟪Disc↶Wiſſen
Geſtalt vor, die ſie ſich für ſich gegeben
15
r7b r8 r9
ſchaf⟨ten⟳ten⟩⟫
entſtand, ſo hat ſich durch d. Theilung der Arbeit längſt
r10
dieſer Verband gelöſt u.
r11
die Philoſ. fındet jetzt die
r12
u.ſ.w.
Erläuterungen: 6 ] Fleck von der Rückseite. 25 Vorgang-] schwach angedeuteter Trennstrich auf dem Bogenfalz.
Die Philoſophie findet die einzelnen Wiſſen=
13
haben. Die Logik ⟨wie↶und⟩ die Metaphÿſik ha⟨t→ben⟩ 16
in ihnen ihren Stoff der Betrachtung; ſie
17
finde⟨t↶n⟩ in ihnen Methoden und vorausgeſetz=
18
te Principien vor und ſie haben die
19
Aufgabe, ihren Urſprung und ihre Ein-
20
heit aufzuſuchen⟨↙.⟩(;) u(.) ⟨d↶D⟩urch dieſe höhere Auf- 21 faſſung der gemeinſamen Quelle, durch
22
dieſe gegenſeitige Regelung und Belebung
23
wird erſt der philoſophiſche Gehalt erzeugt:
24
Es kann nicht fehlen, daß in dieſem Vorgan⟨g⟩f-
25 [ge]Kus
26
r4–r12 Obwol bis u.ſ.w.] Die spät ergänzte Variante wird in der dritten Textstufe (H.3) anstatt des Textes in Zeile 5 bis 12 gelesen. Der neue Text ist dafür in Zeile 13 unter Auslassung der ersten vier Wörter in den Absatz hineinzulesen. Das »u.ſ.w« in Zeile r12 entfällt ebenfalls.
Diplomatische Umschrift
104
[Dbl. 7/1r: Kap. I., S. 25]
1
ge diejenigen Keime entſtehen, welche in
Erläuterungen:
2
der Entwicklung des Sÿſtems zu den Princi-
3
pien der philoſophiſchen realen Disciplinen
4
werden. Die vereinzelte⟨↙n⟩u Wiſſenſchaft⟨↙en⟩u
4 f. Die bis Geſtalten] Tr. ergänzt einige Pluralendungen. Die ersten beiden der vier Ergänzungen sind grafisch schwer zu erkennen. Nach Ansicht des Hrsg. müssen diese im Kontext des Änderungszusammenhanges jedoch erfolgt sein.
5 6 7
in ihre⟨r↶n⟩ geſchichtlichen Geſtalt⟨↙en⟩ werden von der grundlegenden Wiſſenſchaft der Logik
und Metaphÿſik vorausgeſetzt, aber die phi=
8 '9 10
loſophiſchen Disciplinen gehen in ihrer
11
Logik und Metaphÿſik greifen daher nicht
12
in die philoſophiſchen Disciplinen vor, ſon-
13
dern in die empiriſchen zurück.
14
dieſer
Gliederung aus derſelben hervor. Die
Es bedarf an dieſer Stelle einer allgemei=
15
nen Orientierung, welche am beſten durch
16
einen Blick auf die Geſchichte der Philoſophie
17
und der Wiſſenſchaften geſchieht:
18
übrigen Philo Wiſſenſchaften eins. Wir führen
20
nicht an, daß wir zur Zeit der Anfänge in
21
Thales, dem ioniſchen Phÿſiologen, einen Aſtronom
22
u. Geometer, in Pÿthagoras(,) einen Geometer
23
u. Harmoniker⟨↙,⟩ ſehen und daß ſchon damals
25
[ Fortzuſetzς auf
r1
Bog. 9. S. 2. ]K
r2
Als die Philoſophie entſtand, war ſie mit den
19
24
14 ff. Winkelklammer. In der dritten Textstufe (H.3) wird der in Zeile 14 beginnende Text übersprungen. Die Textauslassung endet auf Dbl. 9/1v, Z. 9.
die Analogien einzelner Wiſſenſchaften zu Welt-
in Demokrit einen
r3
Mechaniker
r4
anſichten ausgedehnt werden, wie dies ſ in der
26
Lehre des Pÿthagoras von der Zahl u. Harmonie
27
an einem klaren Beiſpiel hervortritt. Erſt in
[7.]Pag
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105
Abb. 30: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 7/1r.
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Abb. 31: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 7/1v.
[Dbl. 7/1v: Kap. I., S. 26]
Diplomatische Umschrift
107
Plato wird die Philoſophie wahrhaft Sÿſtem, ein
1
ſelbſtbewußtes Ganze⟨s⟩u. Schon Plato ſtellt der
2
Dialektik, welche ihm die Methode der Philoſophie
3
iſt, das große Ziel, die bedingten Voraus=
4
ſetzungen der Wiſſenſchaften zum Unbedingten
5
der Jdee und die zerſtreuten Erkenntniſſe
6
zur Ueberſicht der Verwandtſchaft unter ſich
7
und mit der Natur des Seienden zu führen⟨ ⟩f
8
immer neuen, die wie abgeſtumpften An=
10
⟨B↶Jn⟩ dieſer Richtung lie⟪⟨f⟩u↶gen⟫ bei Plato die
9
triebe zu philoſophiſcher Betrachtung. Aber
11
in dem Drange nach der großartigen Ein-
12
heit verſäumt er den Z umgekehrten Zug
13
zum Beſondern. Wir finden bei ihm keine
14
Eintheilung des Ganzen in die einzelnen
15
Disciplinen und nirgends eine ſichere Er=
16
klärung über das Verhältniß der vereinzel=
17
ten Disciplinen Wiſſenſchaften und ihrer Me=
18
thoden uzur Philoſophie u. Dialektik. Denn
19
wenn auch Plato von einem Hinauf= und
20
Herabſteigen auf dem Gebiete der Jdee ſpricht,
21
ſo fehlt ihm doch in jenem vorwiegenden
22
Streben zur Jdee der beſonnene Entwurf
23
des Beſondern, der Gang zu den Wiſſenſchaften
24
zurück. Bei Plato heißt ſelbſt noch eıne
25
einzelne Wiſſenſchaft, wie die Geometrie, eine
26
108
Diplomatische Umschrift
1
Philoſophie (φιλοσοφία τιs), wie noch bei Ariſto-
2
teles ein wiſſenſchaftlicher Schluß φιλοσόφημα heißt.
3
Eine ſcharfe Scheidung, ein ausgeſprochener Gegen-
4
ſatz iſt zwiſchen der Philoſophie u. ihren Theilen
5
auf der einen, und den vereinzelten Wiſſenſchaften
6 '7 8
auf der andern Seite noch nicht da.
9
der Thatſache (τò ὄτι) und die Erforſchung des
nämlich
[Dbl. 7/2r: Kap. I., S. 27]
Es mag ſcheinen,
daß in Ariſtoteles
Ariſtoteles unterſcheidet die Auffaſſung
10
Grundes (τò δίοτι); er nennt jene ἱστορία
11
(z.B. de inceſsu animalium c. 1), u. man
12
hat dieſe hingegen in ⟨ſei↶Ariſtoteles⟩ Sinne
der Gegenſatz zwiſchen der Philoſophie und
r6
entſchieden werdς⟨ ⟩f
r7
er einen ſolchen Gegenſatz ablehnen. Die
15
Thatſache und der Grund gehören nach ſei=
16
ner Anſicht dergeſtalt zuſammen, daß
17
nach ſeiner Anſicht die genügende Erkennt-
18
niß der Thatſache zum Grunde führt (eth.
19
Nic. I. 2) und nur bisweilen erſt mit dem
20
Grunde die Thatſache hervorſpringt (analyt.
21
post. II. 8). Jn Ariſtoteles kann man dieſe
22
zwei Seiten der Erkenntniß nicht wie zwei
23
Gebiete der Wiſſenſchaft ſcheiden und am wenig-
24
ſten die Philoſophie vor jener ἱστορία ent-
25
gegenſtellen. Jn ⟪⟨d↶ſ⟩e⟨r↶i⟩⟨↩ner⟩⟫ oben berührten Ein=
Raum; und wie Ariſtoteles in der Phÿſik
r4
Wiſſenſchaften
14
27
r3 r5
φιλοσοφία nennen wollen. Jndeſſen würde
theilung der Philoſophie haben alle Wiſſenſchaften
r2
den einzelnen
13
26
r1
Erläuterungen: '7 ff. Strich. Der senkrechte oben leicht abgeknickte Strich zwischen Schriftspiegel und Marginaltext grenzt beide topografisch voneinander ab.
r1–r7 Es bis werdς] Der spät ergänzte Text ersetzt die getilgten Zeilen 3 bis 6.
Handschrift B 9,2
Faksimile
109
Abb. 32: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 7/2r.
110
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 33: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 7/2v.
[Dbl. 7/2v: Kap. I., S. 28]
Diplomatische Umschrift
111
diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche die That-
1
ſache und nur dieſe darſtellen, z.B. die Thier-
2
geſchichte u(.) nicht ausſchließt, ſondern als
3
Grundlage für die Erforſchung fordert und
4
in ſie aufnimmt: ſo würde auch folge-
5
richtig zu der Politik die Geſchichte der
6
Staaten und die Beſchreibung der Verfaſſun⟨-⟩u gen, welche ίστορίαι ſind, als die περὶ
7 8' 9
τὰ ζῶα ίστορία, in demſelben Verhält-
10
niß ſtehen. Nach einer andern Seite liegt
11
eine andere Beſtimmung, die hier in Betracht
12
kommen könnte. - Ariſtoteles wendet bisweilen
13
das Bild des Werkmeiſters, der für die ver-
14
ſchiedenen Thätigkeiten der ausführenden Ar=
15
beiter gleichſam der Urſprung und die
16
Einheit iſt, auf die Wiſſenſchaften an und
17
bezeichnet die leitenden im Gegenſatz
18
gegen die ihnen untergeordneten mit dem
19
Namen der α τέχvαι άρχιτεκτονικαι (meta=
20
phys. V. 1) und die Philoſophie könnte
21
nun im vorzüglichen Sinne άρχιτεκτονική
22
heißen. Aber theils nennt Ariſtoteles ſie
23
nirgends ſo u. ſcheint vielmehr die erſte
24
Philoſophie, die Wiſſenſchaft der Urſprünge,
25
mit dieſem Bilde zu erläutern (metaphys.
26
I.⟨2↶1⟩.), theils würde auch auf dieſem Wege
27
ſo gut
Diplomatische Umschrift
112
[Dbl. 8/1r: Kap. I., S. 29]
1
keine beſtimmte Scheidung von den einzelnen
2
Wiſſenſchaften erzeugt werden. Hiernach iſt
3
auch bei Ariſtoteles eine ſcharfer Gegenſatz
Erläuterungen:
4
zwiſchen der Philoſophie und ihren Theilen auf
5 '6 7
der einen, und den vereinzelten Wiſſenſchaften
8
an den Grenzbeſtimmungen.
3 auch bis Ariſtoteles] Die Differenzierung zwischen Streichung und Unterstreichung ist im grafischen Befund nicht eindeutig. In Verbindung mit der Ergänzung aus der Interlinearzeile '6 kann sicher von einer Tilgung durch Streichung ausgegangen werden.
9
auch bei Ariſtoteles
auf der andern Seite noch nicht da. Es fehlt Erſt in de⟨r↶m⟩ alexandriniſchen Zeitalter voll=
10
zog ſich die Theilung der wiſſenſchaftlichen Ar=
11
beit entſchiedener. Die einzelnen Wiſſenſchaften
12
wuchſen damals durch einzelne Pflege, wie die
13
Grammatik in Zenodot, Ariſtarch und Ariſto-
14
phanes, die Geographie in Eratosthenes
15
und ſpäter in Ptolemaeus, die Aſtronomie
16
⟨in⟳in⟩ Hipparch, und die Geometrie gab in Eukli=
17 18
'24 obwohl] zum übrigen Fragment abweichende, heute korrekte Schreibweise mit .
des das große Beiſpiel eines einzelnen ſich
abſchließenden Sÿſtems und der ſich in beſtim=
19
ter Abfolge ergebenden nothwendigen Er=
20
kenntniſſe. Erſt in dieſer Zeit gehen die
21
einzelnen Wiſſenſchaften für ſich ihren Weg
22
und ſie löſen ſich, wie die Aſtronomie, die
23 '24 25
Geographie, die Mathematik, mehr u. mehr
26 '27 28
wie z.B. die hervorragenden Stoiker, fortwährend
obwohl
von der Philoſophie ab, wenn auch die Philoſophen, auch
auch in den einzelnen Wiſſenſchaften forſchten u⟨ ⟩f [8.]Pag
Handschrift B 9,2
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113
Abb. 34: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 8/1r.
114
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Handschrift B 9,2
Abb. 35: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 8/1v.
[Dbl. 8/1v: Kap. I., S. 30]
Diplomatische Umschrift
115
ſie mit dem Ganzen der Lehre zuſammenbrachten,
1
wie wir dies z.B. in den Nachrichten ſehen, welche
2
uns Strabo über die geographiſchen Verdien-
3
ſte einzelner Stoiker erhalten hat. Selbſt
4
die neuplatoniſche Schule zerſchneidet nicht
5
ganz das Band mit den einzelnen Wiſſen=
6
ſchaften und in Proklus στοιχείωσις θεο-
7
λογικὴ verbindet ſie ſich auf ähnliche Weiſe
8
mit der Architektonik von Euklides Elemen=
9
ten, wie ſpäter Spinoza(.) ⟨↙thut.⟩
10
Elemente des Alterthums in träger Ueberlieferung friſtetet; als dann ein
14 15' 16
neues Leben in den einzelnen Wiſſen-
17
ſchaften regte: e⟨rk↶ntwarf⟩ z.B. Campa-
18
Nachdem das Mittelalter geſchieden war,
abgeſehen von das (,) ⟨nur↶der⟩ Theologie nur die wiſſenſchaftlichen ſich nun
11 12' 13
nella, um die Einſeitigkeiten zu vermeiden,
19
welche ſich in der Philoſophie aus dem vor-
20
wiegenden Jntereſſe einer einzelnen Wiſſen-
21
ſchaft erzeugen, eine Encÿklopaedie des Wiſſens. Aber gewiſſenhaft(,) wie Campanella,
22 23' 24
theils in der alten Scholaſtik theils im
25
ſo
neuen Geiſte der neuen Wiſſenſchaften
und Scheidung nicht bringen, welche in dem
26 27' 28 29' 30
Verhältniß der Philoſophie u. der eınzelnen Wıſſen=
31
2
ſtand, konnte er es zu der⟨↩jenigen⟩ Einigung 1
Erläuterung: 27' ff. Einigung bis Scheidung] Umstellung zu ›Scheidung und Einigung‹.
Diplomatische Umschrift
116 1
ſchaften zu einer höhern, aber ſchwierigen Auf=
2
gabe wurde. Unter dieſelbe wird man weder in
3
Carteſius, noch in Spinoza genügende Auskunft
4
finden. Zwar ſucht Carteſius, wie in ſeinen Me-
5
ditationen, in ſeiner Schrift über die Methode,
6 '7 8
für die Erklärung
einfache Prinzipien, und führt ſie⟨↙,⟩ namentlich
[Dbl. 8/2r: Kap. I., S. 31]
, wie in ſeiner
r1
nach der Seite der phÿſiſchen Erſcheinungen
Schrift der prin-
r2
9 '10 11
bi in ihre Folgen hinaus. Aber theils iſt die
cipia philoſophiae,
r3
12
die ethiſche Seite ziemlich leer aus, theils
13
fehlt der Geſichtspunkt, unter welchem ſich die
14
Philoſophie mit den einzelnen Wiſſenſchaften
15
aus einander ſetzen könnte. Spinoza hält
16
ſich überall mehr ⟪⟨i→v⟩⟨m↶om⟩⟫ P Metaphÿſiſchen aus mehr
17 18
es
Anwendung zu beſchränkt u. namentlich geht
im Eth Pſÿchologiſchen und Ethiſchen. Chriſtian
Wolf unterſcheidet das Rationale von dem
19
Empiriſchen und rückt mit dem vermeintlich
20
Rationalen in das Empiriſche, wie mit einem
21
nothwendigen Prinzip in den ⟨+↶gegebenen⟩ Stoff
22 23 24
vor. Aber erſt Kant übt an dieſen Begriffe⟨n⟩u die Kritik. Kant führt das Rationale auf
das Allgemeine und Nothwendige und das
25
Allgemeine und Nothwendige auf den Urſprung
26
im erkennenden Geiſte, auf das Element des
27
a priori zurück. J Aus dieſer Quelle ſchöpfte er Erläuterung: r2 f. principia philoſophiae,] Platzmangel. Komma befindet sich schwach erkennbar versetzt unterhalb der Zeile.
Handschrift B 9,2
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117
Abb. 36: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 8/2r.
118
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Handschrift B 9,2
Abb. 37: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 8/2v.
[Dbl. 8/2v: Kap. I., S. 32]
Diplomatische Umschrift
119
die metaphÿſiſchen Prinzipien, mit denen er alle
1
Wiſſenſchaften befruchtete. Aber indem ihm auf ſubjecti=
2
vem Boden eine Transſcendentalphiloſophie ent=
3 4' 5 6' 7
ihm
ſt⟨and↶eht⟩, befeſtigte ſich eine K⟨u↶luft⟩ zwiſchen dem vermag
Subjective⟨m⟩f u⟨ ⟩f Objective⟨m⟩f und es ſtellt ſich
kein natürliches und geſundes Verhältniß zwiſchen
8
den einzelnen Wiſſenſchaften und der Philoſophie
9
herzuſtellen. Von Kant her überwog in
10
der deutſchen Philoſophie die Richtung auf apri-
11
oriſche Conſtruction und der Zwieſpalt mit
12
den einzelnen Wiſſenſchaften wuchs immer mehr.
13
Denn ſie wurden nicht ſelten ſo behandelt, als
14
gäben ſie für d⟨+↶i⟩e nothwendigen Erzeugniſſe
der Philoſophie nur die Beiſpiele her, und mußten
15 16' 17
ſich viel gefallen laſſen, um der Philoſophie zu
18
dienen. Sie ſträubten ſich dagegen mit dem
19
Triebe ihres eigenthümlichen Weſens und
20
trachteten nach einer autonomen Stellung
21
gegen die Philoſophie, der ſie entrathen zu
22
können meinten. Noch heute leidet das
23
wiſſenſchaftliche Studium an dieſem Widerſpruch.
24
Herbart iſt beſonnener verfahren. Jndem er
25
die Philoſophie in die Bearbeitung der Begriffe
26
ſetzt, empfängt er die Begriffe von der Em=
27
pirie ⟪⟨, ↶un⟩⟨e↶d⟩r⟫ nimmt ⟨di↶von⟩ ihr die Elemente be=
28
ſie
[wußt]Kus
Erläuterung:
7 Subjective⟨m⟩f bis Objective⟨m⟩f.] Deklinationsfehler.
29
Diplomatische Umschrift
120
[Dbl. 9/1r: Kap. I., S. 33]
'1 2
wußt . Bis ſo weit mögen wir ihm folgen. Aber
Erläuterungen:
3
die Weiſe, wie er die Aufgabe der Bearbeitung
4
auffaßt, iſt bereits ⟪⟨a↶o⟩b⟨g↶en⟩⟫ abgelehnt worden.
r4 3 Bll.] Notiz durch fr. H. II.* ergänzt hier die Angabe der fr. H. I auf Dbl. [0]/1r, Z. 5, welche besagt, dass es sich bei Bogen 9 um 3 Bll. handelt. Der Hrsg. konnte jedoch ermitteln, dass jenes in Dbl. 9 eingelegte Einzelblatt falsch zugeordnet wurde und eine Ergänzung von Dbl. 12a darstellt. In vorliegender Edition wird das fälschlich abgelegte vermeintlich dritte Blatt mit der Bogenzählung [12b] versehen. In Kombination von 12a und [12b] ergibt sich die dritte Schlussfassung.
5 6 7 8 9
u. ausdrücklich auf.
Jn den Anfängen der Geſchichte waren die Philo-
ſophie und die einzelnen Wiſſenſchaften eins und
es kann als ⟨ein↶das⟩ Ziel erſcheinen, daß ſie wieder eins werden. Aber dies Ziel iſt nur zu er=
reichen, wenn ſie beide ihre eigenthümliche Auf=
10
gabe und dadurch ihre gegenſeitige Stellung
11
richtig auffaſſen.
12
Es hilft nichts, wenn, wie in Kants Trans-
13
ſcendentalphiloſophie, der innere Zuſammenhang
14
des Allgemeinen mit dem Beſondern, das a
15
priori mit dem a posteriori, der Form⟨↩en⟩ mit
16
dem Stoff, des Jdealen mit dem Realen nicht
17
gefunden werden kann und zwiſchen dieſen Seiten
18
nur ein äußerliches Verhältniß zu Stande ge-
19 '20 21
bracht wird. Es kann nichts helfen und es er=
22
Schein philoſophiſcher Erkenntniß, wenn aus den
23
einzelnen Wiſſenſchaften unkritiſch u. heimlich
24
Elemente aufgenommen werden, welche ſür
21 nichts] Der erste Balken des wird durch Streichung des Kringels und Ergänzung des -Punktes zu einem geändert. Der zweite Balken wird durch das überschrieben.
als
zeugt n⟪⟨u→i↶c⟩⟨r↶ht⟩s⟫ einen verwirrenden, verderblichen
unter dem Namen
des reine⟨n↶r⟩
⟨Denkens↶Gedan= ken⟩
r1 r2a r2b r3
[9.]Pag [ 3 Bll. ]fr. H. II r4
Handschrift B 9,2
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121
Abb. 38: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 9/1r.
122
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Handschrift B 9,2
Abb. 39: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 9/1v.
[Dbl. 9/1v: Kap. I., S. 34]
Diplomatische Umschrift Erzeugniſſe des reinen Denkens galt ausgegeben
1
in vermeintlicher Selbſtbewegung(,) damit ſie ın
2
anſcheinender Selbſtbewegung ein nothwen-
3
diges Wiſſen erzeugen, das ſich hoch über
4
die einzelnen Wiſſenſchaften erhebe. ⟨Bei↶Auf⟩
5
einem ſolchen Wege iſt zwiſchen der Philoſophie
6
und den einzelnen Wiſſenſchaften, ſtatt daß ſie
7
ſi einander beleben ſollen, ein unheilbarer
8
Zwieſpalt unvermeidlich.
9
Es bleibt eine Thatſache, daß die Wiſſen-
r1
indem ſie ſich aus eige-
von ſelbſt
ſchaften, indem ſie aus ſich eine Methode ſuchen,
10 11' 12
welche ſich dem einzelnen Gegenſtande eigen=
13
thümlich anſchmiege,
14
in ſicherem Gange end-
r2 nem Bedürfniß Princi- los wachſen; und als einzelne Wiſſenſchaften r3 pien bilden⟨ ⟩f
ſei es in der Methode,
16
als ſie bei ihnen Hülfe ſuchen und zu Borg
17
gehen.
18 19
den Vorausſetzungen der einzelnen Wiſſenſchaften⟨ ,↙⟩
20
rückzuführen, die Wechſelwirkung, in welcher
22
die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich ſtehen ⟨,↶nur⟩
23
r5 ſei es in den ⟨Me↶Prin= zu unterſuch⟨u→e⟩n u⟨ ⟩f auf den letzten Grund zur6 cipien,⟩
15
ſich nur ſo weit um die übrigen kümmern,
Es bleibt hingegen eine Forderung, die blinr4
123
21
beiläufig treten, zu einer durchgehenden und
24
nothwendigen zu erheben, die einzelnen
25
Wiſſenſchaften ⟨⟨v⟩u↶aus⟩ dem Gedanken des Ganzen
26
Erläuterungen:
9 unvermeidlich.] Der ab Dbl. 7/1r, Z. 14 in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitzulesende Text endet hier. r2 Bedürfniß] vermutl. zufälliges Strichlein.
Diplomatische Umschrift
124 1
zu begreifen und von dieſem Mittelpunkt aus
2
neu zu beleuchten und zu beleben. Wenn die
3
Vorſtellung nicht leer iſt, daß die Wiſſenſchaften zu-
4
letzt Ein Ganzes darſtelle und Ein Leben habe, wie
5
die Welt, deren geiſtiges Gegenbild ſie zu
6
ſein trachtet: ſo ſind die einzelnen Wiſſenſchaften(,)
7
ſo lange ſie nur die aus einander geworfenen
8
Glieder, welche das Ganze ſuchen u. ⟨i→a⟩n dem
9
nie raſtenden Verſuche der Philoſophie Einen Leben
10
Theil zu haben trachten. Es liegt hier die mit
11 '12 13
mit ihr immer
14
es noch keine einzelnen Wiſſenſchaften giebt, da
15 16 17
[Dbl. 9/2r: Kap. I., S. 35]
ewig neue,
der Erkenntniß des Einzelnen wachſende⟨↩,⟩ und ſich nun vertiefende Aufgabe der Philoſophie. Wo
mag es ein Analogon der Philoſophie, ⟨u⟩u insbeſondere ihrer Metaphÿſik, in der Religion ge-
ben, wie bei den orientaliſchen Völkern, aber
18 '19 20
es giebt dort keine eigentliche Philoſophie.
21
ſchaften vorausſetzt, wird ſie damıt beginnen,
22
zu dem bezeichneten Zwecke die Methoden und
23
die Principien derſelben zu unterſuchen und
24
die letzte Quelle ihrer Nothwendigkeit zu erfor=
Erläuterung:
25
ſchen. Wenn es nicht möglich ſein wird, die logiſche
26 '27 28
That in den Wiſſenſchaften anders als aus den
29
Principien anders als in ihrer logiſchen
11 des] Über dem Wort sowie auf Höhe der zehnten Zeile befindet sich jeweils ein schräger Grafitstrich. Ob Tr. hier etwas intendiert – möglicherweise eine alternative Einweisung der älteren Hinzufügung –, ist für den Hrsg. nicht mehr zu erschließen.
die
Jndem die Philoſophie einzelne⟨↙n⟩ Wiſſen=
verſtehen
realen Principien zu begreifen u. die realen
r1
Handschrift B 9,2
Faksimile
125
Abb. 40: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 9/2r.
126
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Handschrift B 9,2
Abb. 41: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 9/2v.
[Dbl. 9/2v: Kap. I., S. 36]
Diplomatische Umschrift
127
Wirkung aufzufaſſen: ſo werden Logik und Meta-
1
phÿſik in Eine Wiſſenſchaft zuſammengehen,
2
welche Logik im weitern Sinne heißen mag.
3
Jndem ſie die Principien und die ⟨einz↶Methoden⟩
4
ſie ihr Material. Wenn ihre Aufgabe gelingt,
5 6' 7
ſo werden aus ihrer Thätigkeit die erſten
8
philoſophiſchen Begriffe hervorgehen, welche
9
nun theils unmittelbar in die einzelnen
10
Wiſſenſchaften zurückfließen, theils die Beſtimmung in ſich tragen, die Principe der realen philo-
11 12' 13
ſopiſchen Disciplinen zu werden.
14
der einzelnen Wiſſenſchaften beobachtet, gewinnt an ihnen
oder der Grundgedanke
Man kann fragen, wie ſich denn dieſe Prin-
15
cipien der philoſophiſchen Realdisciplinen,
16
der Phÿſik und Ethik, zu einer concreten Er=
17
kenntniß entwickeln. Es iſt in dieſem Betracht
18
zweierlei denkbar. Entweder die Logik er=
19
mittelt eine Methode, welche dem abſoluten
20
Erkennen ⟪⟨z↶a⟩u⟨↙s⟩⟨ eig↶ſchließlich⟩⟫ zu eigen gehört, 21 oder die Methode der Philoſophie, wenn ſie
22
auch, nachdem das Princip gefunden iſt,
23
von dieſem her vorwiegend ſÿnthetiſch ver-
24
fährt, regelt ſich auf ähnliche Weiſe, wie
25
in den einzelnen Wiſſenſchaften. Das Erſte
26
iſt bis jetzt trotz kühner und großer
27
Verſuche mißlungen und die Fußſpuren
28
Erläuterung: 15–28 Man bis Fußſpuren] Das in Winkelklammern markierte Textssegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. Gilt bis Dbl. 10/1r, Z. 17.
128
Diplomatische Umschrift
1
ſchrecken, welche, wie in einen Jrrgang, ⟨+↶nur⟩
2 3
[Dbl. 10/1r: Kap. I., S. 37]
hineınführen, aber nicht herausweiſen. Wenn ⟨↙ nun ⟩ ſich vielmehr das Zweite al⟨s↶l↩eın⟩ das Sichere er(=)
4
einen Erfolg verſpricht, ſo wird bei der Ab=
Erläuterungen:
5
leitung aus dem Princip, bei der Entwicklung
1–17 ſchrecken bis fördern.] Das mit der schließenden Winkelklammer markierte Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. Vgl. auch die Erläuterung auf Dbl. 9/2v.
6
des Grundgedankens die Kenntniß der ein-
7
zelnen Wiſſenſchaften wiederum mitwirken. Denn
8
jeder Keim bedarf der erregenden Reize,
9
damit er wachſe⟨(;)→.⟩ Die philoſophiſche That
10
wird darin liegen, daß das philoſophiſche
11
Princip ſ in der Gliederung des Beſon-
12
dern dargethan werde ⟨un↶thätig⟩ ⟨u↶ſei⟩ ⟨↙und für das ⟩ b erzeuge oder
r3
15
ten aufgefaßt wird, ſo werden ſich ihre
r5
16
Thätigkeiten gegenſeitig anerkennen und
anfeinden und hindern, r6
17
fördern.
ſondern ſich
13 14
18
Wenn auf dieſe Weiſe das Verhältniß
untergeordnete Be-
r1
ſondere die Principien
r2
bedinge.
r4
der Philoſophie und der einzelnen Wiſſenſchaf=
ſie einander nicht
r7
Jn dieſem Sinne ſetzen wir die „ logiſchen
19
Unterſuchungen“ voraus und wünſchen ſie
Der Ethik folgt hiernach r8
20 '21 22
als eine Vorbereitung der folgenden Ethik an-
eine Vorbereitung in d.
zuſehen, als das erſte Glied eines in ihrem
23
Logik voraus - u⟨ ⟩f wir ent- r10
⟨S↶Geiſte⟩ entworfenen Sÿſtems(.) Wir müſſen daher nehmen aus ihr nach frühern r11
24 25 26 27
Sÿſtems.
r9
auch von ihnen über den Ort der Ethik Belehrung
Unterſuchungen folgende r12
fordern.
Geſıchtspunkte für die
r13
Frage nach dem Ort
r14
der Ethık⟨ ⟩f
r15
Wenn die Grundbegriffe richtig ſind, welche als der Ertrag der „ logiſchen Unterſuchungen“ er=
26 f. Wenn bis er=] wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. r8–r15 Der bis Ethık] Spätvariante der dritten Textstufe (H.3) für Zeile 18 bis 25. Vgl. auch ausführlichere Erläuterung auf der nächsten Seite.
[10.]Pag
Handschrift B 9,2
Faksimile
129
Abb. 42: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 10/1r.
130
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 43: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 10/1v.
[Dbl. 10/1v: Kap. I., S. 38]
Diplomatische Umschrift
131
⟨ Dıe↶An ⟩
Erläuterung:
ſcheinen: ſo tritt an die Stelle einer nebenord-
Mit der Ausklammerung auf der vorherigen Seite beginnt eine Reihe von kleinteiligen Änderungsvorgängen, welche die dritte Textstufe (H.3), eine eigenständige zweite Fassung (F2), konstituieren. Diese Vorgänge erstrecken sich von Dbl. 10/1r bis Dbl. 11/1v, Z. 23. Wie schon bei den vorherigen Ausklammerungen und Varianten der dritten Textstufe bleibt der Text aus der zweiten Textstufe (H.2) erhalten. Beide Fassungen, (F1) und (F2), verlaufen parallel.
nenden Eintheilung eine Stufenfolge der Wiſſen-
wird
⟨ +↶treten ⟩
ſchaften . Denn dıe Erkenntniß muß ſich die
abſtufen, wie ihre Principien, welche ſie in ſich concentrieren, und die Wiſſenſchaften ſind ihrer
nur die erſchöpfende Darlegung der Erkenntniſſe. Die logiſchen Unterſuchungen gingen nun darauf erg⟨e↶a⟩ben
aus zu zeigen(,)⟨ ⟩f daß der Act des Erkennens, die Vermittlung des Denkens und Seienden,
9 10' 11 12 13' 14
des Subjectiven und Objectiven, durchweg nur
15 16' 17
durch Thätigkeiten geſchehn, welche dem Denken
18
und Seienden gemeinſchaftlich ſind. Sie er-
19
gaben ferner, daß ſich dieſe Principien, welche
20 21' 22 23' 24 25' 26
kann
ſich
logiſch und real zugleich ſind, dergeſta abſtufen r1 ſtufen ſich aus
1' 2 3' 4 5' 6 7' 8
ſetzt
und das Princip d⟨er↶ie⟩ höher⟨n↶e⟩ Stufe die nieist
dere voraus ſetzt und die niedere die
Bedingung der höhern iſt. Sie erg⟨e→a⟩ben,
27
hältniß den G, logiſch und real, den
28 29' 30
Gruppen der Wiſſenſchaften zum Grunde lie-
31
gen. Als logiſches Principien gehen ſie in
32
die Selbſtthätigkeit, in eine erzeu ſich ſelbſt
33
gewiſſe erzeugende That des Geiſtes zurück;
34
woraus die ſub als reale gehen ſie in
35
das thätige Weſen der Dinge. Nur aus dieſer
36
Einheit iſt die mächtige Nothwendigkeit zu
37
daß Principien in ſolchem gegenſeitigen Ver⟨ liegen⟳liegen ⟩
Diplomatische Umschrift
132 1
erklären, welche der Menſchengeiſt als eine
2
reale immer weiter in den Wiſſenſchaften
3
der Dinge hervorbringt. Hierdurch werden
4 '5 6
ſich die Wiſſenſchaften ord in derſelben Folge ordnen müſſen, wie ſich ihre Principien, die
7
Quelle ihrer Nothwendigkeit, abſtufen.
8
Als die erſte Stufe in der aufſtei=
9 '10 11
genden Linie, als die letzte auf dem
12
conſtructive Bewegung, welche als ein=
13
fache und urſprüngliche Thätigkeit nachge=
14
wieſen wurde, das erzeugende Princip
15 '16 17
für die Figuren im Raum, für die Zahlen
18
das Princip der reinen mathematiſchen Er-
19
kenntniß. Von ihr geht alle Möglichkeit
20
zu bilden und nachzubilden aus; in ihr
21
liegt der erſte Grund der Nothwendig-
22 '23 24 '25 26 '27 28
keit, welcher ſich durch alle ſpätern Z Stufen
29 '30 31
die
eint
Wege der Zergliederung erſchiene die
iſt
in der Zeit, überhaupt für die Formen ,
reinen
durchzieht. Die mathematiſchen Wiſſenſchaften im Sÿſtem der Wiſſenſchaften
nehmen hiernach die erſte Stelle ein. eint
Als die zweite Stufe erſchien die Erfahrung der materiellen Kräfte durch die Sinne. Es ſind
wurde nachgewieſen, daß die Sinne , ſo weit
[Dbl. 10/2r: Kap. I., S. 39]
Handschrift B 9,2
Faksimile
133
Abb. 44: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 10/2r.
134
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 45: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 10/2v.
[Dbl. 10/2v: Kap. I., S. 40]
Diplomatische Umschrift
die phÿſiologiſchen Unterſuchungen reich⟨en↶t⟩,
135 1
die Organe für ſpecificirte Bewegungen
2
ſind, und daß die Materie, ſo weit ſie ⟨↙uns⟩
3 4' 5
gefaßt und begriffen wird , durch Formen,
6
beſteht und
in deren Aneignung das Weſen der Sinne(,) zu deren allgemeinen Verſtändniß die
7 8' 9
Aufgabe vorausgehende Stufe der Erkenntniß
10
die Hülfe leiſtet. Jnwiefern die Erfahrung
11
durch die conſtructive Bewegung und der
12
Nachweis der Nothwendigkeit durch die
13
mathematiſche Erkenntniß bedingt iſt, wird
wurde ſie auf die zweite Stufe geſtellt.
14 15' 16
Die Bewegung mit ihren N nothwendigen
17
Formen wird zum Leitfaden im Materiellen, ſachen, durch die Richtung des Woher. Dieſe
18 19' 20 21' 22
zweite Stufe(,) iſt der Bereich der wir-
23
kenden Kräfte, der materiellen Urſachen⟨ ⟩f
24
wird
zugänglich iſt, nur durch die Formen ⟨↙auf-⟩
ſie die Trägerin
und offenbart ſich in den phÿſiſchen Uroffenbart ſie ſich
Hiernach nehmen die phÿſikaliſchen Wıſſen-
25
ſchaften im weitern Sinne - die Erkenntnıß
26
der Materie - die zweite Stelle eın.
27
Die dritte Stufe charakteriſirt ſich durch eine eigenthümliche Erhebung. Sie unterſcheidet
28 29
Diplomatische Umschrift
136 1
ſich von der zweiten und erſten, wie das
2
Organiſche vom Phyſikaliſchen und Mathe-
3
matiſchen, wie das Leben von nackten ma=
4 '5 6
teriellen Kräften und conſtructiver
7
auf dieſer Stufe durch die alten Begriffe
8
bedingt ein neuer Grundbegriff auftrete,
9
die Richtung der frühern umkehrend⟨↙,⟩(.) der
iſt
zuweiſen
Bewegung. Es wurde nachgewieſen, daß
10
Zweck(,) mit ſeinem Wohin, die innere
11
Zweckmäßigkeit, die auf einem die Kräfte
12
richtenden Gedanken ⟨ru↶beruht⟩. Ohne die frü=
13 14
[Dbl. 11/1r: Kap. I., S. 41]
hern Stufen iſt weder die Verwirklichung
noch die Erkenntniß des Zweckes möglich.
15 '16 17
Die frühern Stufen werden Mittel, die
18
Entwurf der conſtructiven Bewegung be=
19
ſonders in der Erkenntniß. Die Noth-
20
wendigkeit der frühern Stufe bleibt, aber
21
ein Gedanke verfügt über ſie(,) aus für
22
die Einheit eines Ganzen: für die Erzeu=
23
gung einer neue⟨n↶r⟩ Thätigkeiten. Der
dem Gebiete
materiellen Kräfte in der Natur, der
24
Gedanke eines Ganzen wird die Seele einer
25
phÿſiſchen Nothwendigkeit. Dieſe dritte
26
Stufe iſt der Bereich des organiſchen Lebens
27
in der Natur. Hiernach nehmen die Wiſſen=
[11.]Pag
Handschrift B 9,2
Faksimile
137
Abb. 46: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 11/1r.
138
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Handschrift B 9,2
Abb. 47: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 11/1v.
[Dbl. 11/1v: Kap. I., S. 42]
Diplomatische Umschrift
139
ſchaften des Organiſchen, die Erkenntniß der
1
innern Zweckmäßigkeit in den Kräften
2
des Lebens, die dritte Stufe ein.
3
Ueber dem Organiſchen und auf dem Grund deſſelben erhebt ſich die vierte Stufe, das Ethiſche.
4 5' 6
Es fragt ſich, ob es da eine Ethik im engern
7
Sinne geben kann, wo es nur eine Phÿſik der
8
Kräfte giebt. Die Vorausſetzung alles Ethiſchen
9
iſt das Organiſche. Der Staat z.B., dieſe
10
ethiſche Bildung, iſt ein Organismus, aber
11
ein ſolcher, der, von dem blinden Organismus
12
der Natur weſentliche verſchieden, eine höhere
13
Stufe einnimmt. Der innere Gedanke, der
14
im Organismus der Natur verborgen liegt,
15
wird im Ethiſchen erkannt u. ſich ſelbſt be-
16
wußt. Der im blinden Leben gebundene
17
Zweck wird dadurch zugleich frei. Jn die-
18
ſem Betracht erſcheinen die ethiſchen Wiſſen=
19
ſchaften auf der vierten Stufe. Es wird eine
20
weſentliche Aufgabe ſein, dieſe Erhebung,
21
welche wir in den logiſchen Unterſuchungen
22
angedeutet wurde, als wirklichen Vorgang
23
zur Anſchauung zu bringen. ⟨ſ→Die⟩ Pſÿchologie,
24
eine
die man als die Höhe der organiſchen Wıſſen-
25
ſchaften anſehen kann, bildet inſofern die Grund-
26
lage des ethiſchen.
27
Erläuterung: 22 f. welche bis wurde,] wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen. Das Komma hinter »Erhebung« in Zeile 21 entfällt somit für die Vortragsfassung (F2).
Diplomatische Umschrift
140 1
Jn dieſer Reihenfolge iſt die vorangehende Stufe
2
die Bedingung der folgenden; jene kann ohne dieſe,
3 '4 5
aber dieſe nicht ohne jene gedacht werden; jene
6
Daher ziehen ſich die Geſetze der niedern Stufen
7
durch die höhern durch und erſcheinen darin als
8
dienende Glieder. Die Phÿſik begründet ſich
9
durch die Rechnungen und Conſtructionen der
10
Mathematik, die Phÿſiologie durch die vereinte
11
Anwendung mechaniſcher, phÿſikaliſcher, chemi-
12
ſcher Geſetze; und die Ethik wird, wenn ſie
13 '14 15
nicht eine falſche und ſie ſelbſt gefährdende
16
die Geſetze des Lebens, als ſei ihre nothwen-
17 '18 19 '20 21 '22 23
dige Vorausſetzung gebunden ſein. Man
24 25
voran
muß als Bedingung da ſein, damit dieſe werde.
an
Selbſt⟨ſt↶ändigkeit⟩ begehrt, das Organiſche, an Beziehungen
erkennt die⟨s↶ſe⟩ Letzte in einzelnen Beiſpielen noch
leicht u. namentlich da, wo auf der höchſten der ethıſchen,
Stufe, ⟨die↶ſelbſt⟩ die Formel der erſten⟨↙,⟩ ⟨↙,⟩ wie- der mathematıſchen der erſcheint. Lange galt, um dies Eine an-
zuführen, der ariſtoteliſche Begriff der Ge-
26
rechtigkeit und wir finden ihn noch bei Leib-
27
niz. Wenn wir nun auf ⟨das↶ſein⟩ Weſen ſehen,
28 29 '30 31
[Dbl. 11/2r: Kap. I., S. 43]
ſo geht e⟨s↶r⟩ in die mathematiſche Faſſung, in die arithmetiſche und geometriſche Proportion demſelb⟨ ⟩fn
zurück. Es iſt in dieſem Sinne gezeigt worden,
r1
Handschrift B 9,2
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141
Abb. 48: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 11/2r.
142
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Abb. 49: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 11/2v.
[Dbl. 11/2v: Kap. I., S. 44]
Diplomatische Umschrift
143
daß ſich auf der Grundlage der mathematiſchen
1
und phÿſiſchen Kategorien die organiſchen in
2
die ethiſchen erheben1). Es iſt keine wahrhafte
3
Ethik denkbar, die nicht in die Pſÿchologie, u.
4
keine Pſÿchologie, die nicht in die Phÿſiologie
5
als in ihre Bedingungen zurückginge. Es
6
hat für d⟨en↶ie⟩ richtige und lebendige Auffaſſung
7
und gäbe wurde, die Wiſſenſchaften wie getrenn-
10
des Wechſelverhältniſſes viel geſchadet, daß
8
es ſeit Plato g einem Bilde bei Plato g⟪⟨ä⟩u↶ang⟫
9
te Gebiete oder Felder zu betrachten, welche
11
neben einander liegend nur die Grenze
12
gemeinſam haben. Vielmehr wird durchweg
13
die vorang Thätigkeit des vorangehenden
14
Kreiſes in die Thätigkeit des folgenden auf=
15
genommen; und gerade durch dies Verhältniß
geſchieht es, daß die auf de⟨m↶r⟩ einen Gebiete
16 17' 18 19' 20 21' 22
zu erzeugen.
23
trägt
in
Wıſſen-
ſchaft
erworbene Nothwendigkeit dazu beiträgt(,)⟨ ⟩f in
eine neue Nothwendigkeit auf de⟨m↶r⟩ andern
Nach demſelben Princip ſollten ſich innerhalb
24
der einzelnen Stufen die einzelnen Wiſſen-
25
ſchaften abſetzen und ausbilden ⟪⟨(;)→.⟩ ⟨e↶E⟩⟫s ſind
26
⟪↙da⟨z⟩uu⟫
[⟨↙ Anfänge da, aber nur Anfgς ⟩]Kus
27 28 29 30
1) Logiſche Unterſuchungen II. S. 86 ff. Ge-
31
ſchichte der Kategorienlehre S. 370 ff.
32
Kapitel I – Erste Schlussfassung
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes von Dbl. 12.
146
Diplomatische Umschrift
1
Anfänge ⟪⟨a⟩u+↶da⟫, aber nur Anfänge, wie z.B.
2
die reine Arithmetik von der Geometrie
3
unabhängig, aber dieſe von jener abhängig
4
erſcheint, und wie im Organiſchen die
5
Wiſſenſchaft der ſıch zu individuellern und
6
umfaſſendern Geſtaltungen erhebenden Reihe
7
des Lebens folgt. Auf dem phÿſikaliſchen Ge=
8
biete hingegen ſchwankt die Anſicht, ob
9 '10 11
man den erſten Grund in der Mechanik
12
der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe finden ſoll.
13
Es iſt in der Unterſuchung der Kräfte noch
14
nicht hinlänglicher gelungen, das Urſprüng-
15
lich⟨e⟩u und Erſte von dem Bedingten und
16 17
[Dbl. 12/1r: Kap. I., S. 45] Erläuterung: r1 Beſſer bis Abſchn II?] Die interne Anmerkung bezieht sich auf den ab Zeile 26 mit Winkelklammer markierten Text. Siehe auch den Kommentar der genetischen Darstellung.
Phÿſik
der Feſten oder vielmehr in der Expanſion
Zweiten oder Dritten hinlänglich zu unter=
ſcheiden. Die Durchführung dieſes genetiſchen
18
Ganges bleibt daher der Zukunft vorbehalten;
19
aber wenn die Grundpunkte, die entſcheiden=
20
den Abſtufungen⟨ ⟩f richtig erkannt ſind, ſo
21
ſteht das Ziel klar vor unſern Augen;
22
und in demſelben Maße als man ſich ihm
23
nähert, wird die Methode ⟪⟨und ↶ſtren⟩⟨die↶ger⟩⟫ und
24 25 26 27
die Einſicht in die Nothwendigkeit umfaſſender werden.
Es iſt ſ eben der genetiſche Weg bezeichnet worden, der vom Einfachſten und Allgemeinen
[ Beſſer in Abſchn⟨ ⟩f II? ]K r1
[12.]Pag
Handschrift B 9,2
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147
Abb. 50: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12/1r.
148
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Handschrift B 9,2
Abb. 51: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12/1v.
[Dbl. 12/1v: Kap. I., S. 46]
Diplomatische Umschrift
149
ausgeht und zum Jndividuellen und Vi⟨+ſ↶elſeitigſten⟩
1
aufſteigt, der alſo von unten nach oben
2
führt(.) und zuletzt in das Gebiet führt, wel-
3
ches in unſerer Weltanſchauung die höchſte
4
Stelle einnimmt.
5
Die genetiſche Methode läßt indeſſen noch
6
eine andere Auffaſſung zu. Der eigentlıche
7
Urſprung der Dinge liegt nicht in den ſich
8
verſchlingenden einzelnen Bedingungen, ſondern in dem Unbedingten, das aus ſich
9 10' 11
iſt und aus ſich begriffen wird. Die Ab-
12
leitung, die dem Ausfluß aus dem Ur-
13
ſprung folgt, müßte hiernach mit dem
14
Unbedingten, mit der Jdee des Abſoluten,
15
mit dem Begriff Gottes beginnen, und aus dieſer Quelle die erſte und letzte
16 17' 18
Erkenntniß ſchöpfen. Da nicht die Zahlen oder
19
Figuren, nicht die endliche Bewegung, nicht
20
die materiellen Kräfte ⟪⟨d↶als⟩⟫ das ſchlecht-
21
Zerlegung zuletzt gefundenen Bedingungen:
24
in
wie die
hin Erſte ſind, ſondern vielmehr nur
22
die geſonderten Elemente, die let⟨z⟩u in der
23
ſo verlangen Viele, daß die wahrhaft ge-
25
netiſche Methode den eben beſchriebenen Weg
26
umkehr⟨t↶n⟩ u., wie Spinoza, aus Gott und
27
Diplomatische Umschrift
150 1
in der Form des Ewigen eine intuitiv erkenne.
2
Wir lehnen es nicht ab, daß die genetiſche
3
Methode in dieſem Sinne kann verſtanden wer=
4 '5 6
eine ſolche
7
den Erkenntniß liege. Aber ſie liegt nicht
8
in unſern Mitteln. Es iſt in den logiſchen
9
Unterſuchungen nachgewieſen worden1), daß wir
den; ja, wir mögen es einräumen, daß die Forderung in der Jdee der ſich vollenden=
10
von dem Abſoluten nur eine indirecte Er=
11
kenntniß haben. Schon dies muß uns abhal=
12
ten, zu wähnen; als ob wir eine adaequa=
13
te Erkenntniß des Unbedingten hätten, als ob
14
wir, indem wir ⟨ein↶das⟩ Unbedingte ſetzen, nun
15
auch dergeſtalt ſeinen vollen überſchwenglichen
16
Jnhalt beſäßen, um es ſicher und ſcharf zu
17
dem Princip der Ableitung zu machen. Wir
18
wiſſen, daß die Sonne die Quelle des Lichts iſt
19
u. der richtige Begriff der Sonne würde uns auch
20
den richtigen Begriff des Lichts geben. Aber
21 '22 23
deſſen ungeachtet unterſucht die Phÿſik das Licht
24
auch nur durch indirecte Schlüſſe erreicht. Sie
25
nimmt vielmehr den umgekehrten Gang, der
26
allein zuverläſſig iſt. Auf ähnliche Weiſe
deren Weſen
nicht unmittelbar an dieſer Quelle, welche ſie
27 28
1) Jm 20t. Abſchnitt. II, S. 337. ff⟨ ⟩f
[Dbl. 12/2r: Kap. I., S. 47]
Handschrift B 9,2
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151
Abb. 52: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12/2r.
152
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Abb. 53: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12/2v.
[Dbl. 12/2v: Kap. I., S. 48]
Diplomatische Umschrift
153
widerſetzen wir uns den Conſtructionen aus
1
dem Abſoluten, die bis heute noch zu keinem
2
Heil geführt haben.
3
Jm Abſoluten ſcheide⟨n↶t⟩ ſich die Methode
4
des Erkennens von dem Wege des Urſprungs
5
ſchlechthin. Während es ſelbſt nie und
6
nirgends entſpringt, wird es aus dem
7
Entſprungenen erkannt. Nach der Richtung
8
⟨zu↘⟩welche⟨↙r⟩ uns das Bedingte anweiſt, ſetzen
9
des Entſprungenen aus dem letzten Ur-
12
ſprung⟨ ⟩f bleibt in demſelben Maße
13
wir das Unbedingte. Aber die Ablei=
10
tung des Bedingten aus dem Unbedingten⟨ ⟩f
11
zweifelhaft, als wir zwar nach einem
14
Zuge der Nothwendigkeit den unbeding-
15
ten Urſprung ſetzen, aber als endliche
16
Weſen den Begriff des Unendlichen ⟨↙nicht⟩
17
dergeſtalt zu vollziehen können, um
18
ihn wie einen endlichen Begriff gleich
19 20' 21
zu
einem Keime entwickeln⟨↙.⟩ zu kö
Hiernach iſt mit dem Orte der Ethık,
22
den wir für den Jnbegriff der Wiſſen-
23
ſchaften fanden, bereits eine Hinweiſung
24
auf die hervorbringenden Bedingungen,
25
auf den Grund der Ethik gegeben. Wir
26
folgen gehen derſelben nach. Erläuterung: 27 Platzmangel. Der Schlussstrich entfällt.
27
Kapitel I – Zweite Schlussfassung, dritte Schlussfassung (Teil 1)
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes von Dbl. 12a/1r bis 1/v.
Diplomatische Umschrift
156
[Dbl. 12a/1r: Kap. I., S. 45a]
1
Anfänge da, aber nur Anfänge, wie z.B.
2
die reine Arithmetik von der Geometrie unab=
3
hängig, aber dieſe von jener abhängig erſcheint,
4
und wie im Organiſchen die Wiſſenſchaft der ſich
5
zu individuellern und umfaſſendern Geſtaltungen
6
erhebenden Reihe des Lebens folgt. Auf dem
7
phÿſikaliſchen Gebiete hingegen ſch⟨an↶wankt⟩ die
8
Anſicht, ob man den erſten Grund in der
Erläuterungen:
9
Mechanik des Feſten oder vielmehr in der
1–23 aber bis werden.] Das in Winkelklammern markierte Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen.
10
Phÿſik der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe
11
finden ſoll. Es iſt in der Unterſuchung der
12
Kräfte noch nicht gelungen, das Urſprüng-
13
liche und Erſte von dem Bedingten ⟪⟨u⟨.⟩u ↶ode⟩⟨d⟨.⟩u↶r⟩⟫
14 15
Zweiten oder Dritten hinlänglich zu unter= ſcheiden. Die Durchführung dieſes geneti-
16
ſchen Ganges bleibt daher der Zukunft
17
vorbehalten; aber wenn die Grundpunkte,
18
die entſcheidenden Abſtufungen⟨ ⟩f richtig er=
19
kannt ſind, ſo tritt dadurch das Ziel hervor
20
und in demſelben Maße als man ſich ihm
21
nähert, wird die Methode ſtrenger und
22
die Einſicht in die Nothwendigkeit umfaſſender
23
werden.
24
Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem
25
Organiſchen getragen, u. was die Ethik Eigen=
26
thümliches erzeugt, das erzeugt ſie auf der Vor=
r1 a.] Die Änderung zu Dbl. 12a scheint nach Vergleich des Schriftbildes durch fr. H. II vorgenommen worden zu sein. Der Hrsg. teilt deren mutmaßliche Feststellung, dass die Schlussfassung auf Dbl. 12a genetisch nach der Schlussfassung auf Dbl. 12 anzusiedeln ist, weil hier die dortigen Änderungen umgesetzt werden. Fassung 12a scheint Tr. für einen bestimmten Zeitraum gültig zu sein, da auf der zweiten Bogenhälfte von Dbl. 12a direkt mit dem nächsten Kapitel begonnen wird.
[12.]Pag [ a. ]fr. H. II
r1
Handschrift B 9,2
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157
Abb. 54: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12a/1r.
158
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Handschrift B 9,2
Abb. 55: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12a/1v.
[Dbl. 12a/1v: Kap. I., S. 46a]
Diplomatische Umschrift
159 nun
ausſetzung dieſer Grundlage. Wenn ⟨der↶in⟩ dem
1' 2
Jnbegriff der Wiſſenſchaften der Ort der Ethik
3
richtig erkannt iſt, ſo weiſt er bereits
4
auf die hervorbringenden Bedingungen der-
5
ſelben hin. Wir gehen dieſer Spur weiter
6
nach.
7
r1 [ Ob ſchon hier r2 - üb. d. Theologıe
8
r3 als genet. Bdgς⟨ ⟩f
r4 dς⟨ ⟩f Ethik - wie r5 weıt? ]K
Erläuterung: r1–r5 Ob bis weıt?] interne Randnotiz. Tr. ist sich nicht sicher, ob und wie ausführlich er die Ansicht, dass die Theologie genetisch der Ethik als Bedingung vorangeht, noch an dieser Stelle behandeln soll.
Kapitel I – Dritte Schlussfassung (Teil 2)
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes von Bl. [12b].
162
Diplomatische Umschrift
1
Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem
2
Organiſchen getragen und was die Ethik Eigen=
3
thümliches erzeugt, das erzeugt ſie auf der
4
Vorausſetzung dieſer Grundlage. Wenn es der
5
Pſÿchologie gelingt, auf dieſem Grunde das Weſen
6
des eigenthümlich Menſchlichen zu beſtimmen: ſo
7
öffnet ſie dadurch die Quelle der Ethik den Weg
8
zu ihrem Princip.
9 10 11 12
[Bl. [12b]/r: Kap. I., S. 45b]
Es ergiebt ſich auf dieſe Weiſe der Ort der Ethik in dem Jnbegriff ⟨in↶der⟩ Wiſſenſchaften, in einem genetiſchen Sÿſtem.
Wir berühren den Einwurf, der hier nahe liegt.
13
Die Ethik hat ſeit Sokr. und Plato und beſonders
14
durch die chriſtlichen Darſtellungen eine Beziehung
15
zur Theologie. Jhr Princip wirkt(,) mit doppelter Kraft,
16
indem es als der Ausdruck des göttlichen Willens
17
erſcheint. Die ganze theologiſche Moral iſt auf
18
in dieſer Richtung entſtanden. Hierdurch kann es
19
ſcheinen, daß im genetiſchen Sÿſteme, wenn man nicht
20
das Gute von dem lebendigen Grunde des Gött-
21
lichen lostrennen will, d⟨ie↶er⟩ Ethik d⟨er↶ie⟩ Religions=
22 23
philoſophie vorangehen müſſe. Wir lehnen dies
ab. Denn einmal wird die Religionsphiloſophie, da
24
es ſich nicht um ein poſitives Religionsſÿſtem,
25
ſondern um philoſophiſche Erkenntniß handelt,
26
gerade erſt in d. Ethik ihre (+) Stütze haben und
27
eine Religionsphiloſophie vor der Ethik wird ein
28
zweifelhaftes Product. Es muß daher die Ethik
Erläuterung: 9 ff. Es bis Sÿſtem.] Das in Winkelklammern eingeschlossene Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen.
[12.b.]Pag, Ed. r1
Handschrift B 9,2
Faksimile
163
Abb. 56: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Bl. [12b]/r.
164
Faksimile
Handschrift B 9,2
Abb. 57: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Bl. [12b]/v.
[Bl. [12b]/v: Kap. I., S. 46b]
Diplomatische Umschrift
165
der Religionsphiloſophie vorangehen, ja es iſt
1
möglich, daß die Ethik - nach einer Seite hin -
2
die Bedingungen de⟨s↶r⟩ ⟨re↶Religion⟩ erſt aus ſich
3
hervorbringe. Jn⟨wief↶deſſen⟩ inwiefern noch ge=
4
ſo geht dieſe allgemeine ⟨Urſ↶Beziehung⟩ in
8
fordert wird, daß das ethiſche Princip in
5 6' ſeine⟨r→m⟩ Beziehung zum Unbedingte⟨m→n⟩ erkannt werde: 7 Verhältniß
die Metaphÿſik - die Grundlegende Disciplin
9
- zurück. Von dort her muß man die Ant-
10 11' 12
wie
wort auf die Frage ſuchen, ob das ethiſche Princip ⟨u→als⟩ Jdee durch die endliche Sphäre
13
des menſchlichen Weſens hindurchgehe, aber
14
aus dem Gedanken des Unbedingten quelle.
15
⟨D↶Jn⟩ dieſer metaphÿſiſchen Betrachtung liegt dıe
16
Göttlichen zu vertiefen u. auf dieſem Wege
19
Möglichkeit, auch den Urſprung der Philo=
17
ſophiſchen Ethik in den Grund⟨g↶Gedanken⟩ des
18
der philo theologiſchen Moral zu begegnen:
20
Aber ihre Entwi Begründung liegt in der
21
Entwicklung des menſchlichen Weſens als ſol-
22
chen - u. nicht in der vorweggenommenen
23
Thatſache einer poſitiven Offenbarung.
24
Auf dieſe Weiſe beſtimmt ſich nach den
25
Vorausſetzungen, die das Princip der Ethik
26
in ſich trägt, ihre Stellung zu den Wiſſenſchaften
27 28' 29
genetiſchen
vor ihr u. nach ihr, ihr Ort im Sÿſtem.
30
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
Enthält Faksimiles und diplomatische Umschrift des Textes von den Dbll. 12a/2r–17/2v.
Diplomatische Umschrift
168 1 2
II. Die organiſche Weltanſicht als Grund= lage der Ethik.
3 4
Jede philoſophiſche Disciplin ſteht auf dem
[Dbl. 12a/2r: Kap. II., S. 1] [ Eigentlich voran:
r1
Über die me-
r2
taphyſıſche Grund-
r3
lage der Ethik
r4
5
Grunde des Ganzen und nimmt aus dem
6
Ganzen den Urſprung. Die Logik und Meta=
Dann üb. d. pſycho-
r6
7
phÿſik haben daher die Aufgabe, für die phi=
log. (phyſ.) ]K
r7
8
loſophiſchen Realdisciplinen dieſen letzten
9
Grund zu legen.
10
r8 Erläuterung:
Jn dieſem Sinne ſtreben die „logiſchen
11
Unterſuchungen“ dahin, die Jdee im Geiſte
12 '13 14
einer organiſchen Weltanſicht zu erreichen
15
Begriff aufzunehmen und vorauszuſetzen.
r1–r8 Eigentlich bis (phyſ.)] interne Randnotiz. Tr. notiert, dass dem zweiten Kapitel jeweils noch eines zur metaphysischen sowie zur psychologischen Grundlage der Ethik vorangehen müsse.
muß
und die Ethik hat den dort gewonnenen
16
Da es ſich nunmehr um die beſondere
17
Beziehung dieſer Grundlage zur Ethik han=
18
delt, ſo erörtern wir ſie noch einmal
19
und zwar mit dieſer beſondern Rückſicht.
20
r5
Je nachdem die Betrachtung auf der phy-
21
ſikaliſchen Stufe der materiellen Kräfte ver=
22
harrt und darnach die Anſicht des Ganzen
23
entwirft, oder aber ſich zum Organiſchen
24
erhebt, das in der Harmonie der Thätigkeıten
25
und in der Unterordnung der Theile einen
26
richtenden Gedanken offenbart, und unter dieſe
27
[ana=]Kus
r9
Handschrift B 9,2
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169
Abb. 58: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12a/2r.
170
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Handschrift B 9,2
Abb. 59: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 12a/2v.
[Dbl. 12a/2v: Kap. II., S. 2]
Diplomatische Umschrift
171
Analogie das Univerſum ſtellt: ſo
1
ergiebt ſich, wie gezeigt wurde, die
2
phÿſiſche (mechaniſche) oder aber die und ihrem Wege entgegen geſetzt, u(.)
3 4' 5 6' 7
in einem durchgehenden Kampfe be-
8
griffen und zwar in einem Kampfe,
9
der zuletzt den Glauben an unſer
10
eigenes Weſen u. unſern eigenen
11
Werth trifft. Dieſe ⟨(+)↶beiden⟩ Weltanſichten
12
beide
organiſche Weltanſıcht; in ihrem Ziel einander
wurden in dem letzten Abſchnitt der lo=
13
giſchen Unterſuchungen einander entge=
14
r1 in der Geſchichte der
gengeſtellt.1) Die eine wird von den ma-
15
r2 Philoſophie
terialiſtiſchen, die andere von den idealen
16
Sÿſtemen in de ausgeführt und vertreten.
17
Daß es ſich zuletzt um dieſe beiden
18
Anſchauungsweiſen handelt, läßt ſich auch
19
aus allgemeinen Verhältniſſen darthun.
20
Erläuterungen: 28 V⟨tr.⟩u.] grafischer Befund nicht eindeutig. Die Abbreviatur kann nur aus dem Kontext erschlossen werden. Bei dem verwiesenen Werk handelt es sich um einen ehemaligen Vortrag Tr’s. 33 S. ⟨2⟩f53 ff.] Fehlverweis. Korrekt ist S. 353 ff.
'r3 r4 r5
Es iſt die Aufgabe der Philoſophie, das Ganze der Erkenntniß in ſeinem Urſprung
22
zu beſtimmen. Wie nun jedes Ganze in
23
den Endpunkten ſeiner Richtungen, in den
24 25' 26' 27' 28
2)
vgl.
das V⟨tr.⟩u über den letz Abhandlung(:) über den
letzten Unterſchied der philoſophiſchen Syſteme
29
in den Denkſchriften der K. Akademıe der Wıſſenſchaften 1847.
30
⟨↙
31 32' 33
Das Unbedingte und 1) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt XX. II. S. ⟨2⟩f53 ff.
die Jdee
21
172
Diplomatische Umschrift
1
Gegenſätzen ſeines Weſens am ſchärfſten aus-
2
einander tritt und zugleich ſich ſelbſt be-
3
grenzt: ſo hat auch die Philoſophie in dem
4 '5 6
weiteſten Gegenſatz der Erkenntniß ⟨die↶ihre⟩
7
[Dbl. [13/1r: Kap. II., S. 3]
zugleich
letzten Grenzpunkte und den nächſten Anhalt für die Unterſuchung. Als ein ſolcher
8
Gegenſatz, der, unter den verſchiedenſten
9
Geſtalten immer wiederkehrend(,) wie das
10
Grundthema aller Metaphÿſik, aller
11
Philoſophie erſcheint unter den verſchie=
12
denſten Geſtalten immer wiederkehrt, er=
13
ſcheint⟨↩en⟩ der ſich ſelbſt und anderes erkennen-
14
de Gedanke auf der einen Seite und die
15
blinden äußern Kräfte auf der andern.
16
Sie heißen bald Jdee und Materie oder
17
λόγος und ὑποκείμενον, bald extensio
18
und cogitatio, bald Subjectives und Objecti-
19 '20 21
ves; aber dieſe verſchiedenen Ausdrücke(,)
22
eines und deſſelben letzten Gegenſatzes. Wenn
23
gleich ⟨in↶bei⟩ dieſen Ausdrücken Vorgänge ⟨zu↶ge=⟩
24 25
Anſchauungs
bezeichnen nur verſchiedene Ausdrucksweiſen
denken ſind⟨,↶dacht⟩ werden müſſen, welche in
ſich mannigfaltig und vielfach ſind, ſo
26
gleicht ſich doch inſofern auf beiden Seiten
27
die Vorſtellung zu einer Einfachheit aus,
28
als ſ die Glieder des Gegenſatzes in ſich
[13.]Pag
Handschrift B 9,2
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173
Abb. 60: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 13/1r.
174
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Handschrift B 9,2
Abb. 61: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 13/1v.
[Dbl. 13/1v: Kap. II., S. 4]
Diplomatische Umschrift
175
gleichartig ſind und das Weſen ⟪ih⟨r↶d⟩er⟫
1
Richtungen auf der einen Seite durchweg
2
von der andern verſchieden iſt. Die
3
Kräfte der Materie - und was uns Materie
4
heißt, kennen wir nur in Kräften und Thätig=
5
keiten, ſtehen zunächſt, wie die Phÿſik ſie
6
auffaßt, dem Gedanken fremd gegenüber.
7
Der Gedanke bildet ſie nach und findet
8
ihre Geſetze; aber was ſie ſind, das ſind
9
ſie ohne ihn(,) als nackte Kräfte, denen
10
kein beſtimmender Gedanke zum Grunde
11
liegt, ohne ihn. Der Gedanke hingegen,
12
der anderes und ſich ſelbſt denkt, er(=)
13
ſcheint im letzten Grunde nur aus ſich
14
ſelbſt verſtändlich zu ſein.
15
Bei näherer Betrachtung weiſen die bei-
Gegenſätze den Endpunkte(,) auf eine Gemeinſchaft hin.
16 17' 18
Es giebt Anordnungen der Kräfte, wie ⟨in↶auf⟩
19
dem Gebiete des Lebens, in den organi=
20
ſchen Bildungen durchweg, welche nur
21
durch einen zuſammenhaltenden richtenden
22
Gedanken verſtändlich ſind. Jn dieſen ſcheınt letzte
der Gedanke das Beſtimmende zu ſein.
23 24' 25
Umgekehrt wird der Gedanke, ſo weit
26
wir ihn im Menſchen kennen, durch die
27
Kräfte bedingt, welche ihn tragen u. mit er=
28
Diplomatische Umschrift
176 1
zeugen. Das Verhältniß dieſer Gemeinſchaft
2
bleibt die erſte Aufgabe.
3
Wenn nun die Betrachtung die blinden
4
Kräfte und den bewußten Gedanken einander
5
gegenüberſtellt und der Einheit entgegen-
6 '7 8
führen will: ſo ergiebt ſich eine dreifache
9
dem Gedanken, ſo daß der Gedanke nicht das
nackte
Möglichkeit. Entweder ſteht die Kraft vor
10
Urſprüngliche iſt, ſondern das von blin-
11
den Bewegungen Hervorgebrachte, ein Pro-
12
duct und Accidenz der materiellen Kräfte; -
13
oder der Gedanke ſteht voran, ſo daß
14
die blinden Kräfte nichts für ſich ſind, ſondern
15
vielmehr nur der Ausfluß oder das Erzeug-
16
niß des Gedankens; oder endlich Gedan-
17
ke und Kräfte ſind im Grunde dieſelben(.)
18
und unterſcheiden ſich nur in unſerm Verſtande.
19
Nur dieſe drei Stellungen von Gedanken
20
und Kraft kann es geben u. es ſind darin
21
drei Grundanſichten beſtimmt. Jn der er=
22
ſten herſchen die materiellen Kräfte; in
23
der zweiten iſt der Gedanke das Ueber=
24
geordnete; in der dritten laufen beide,
25
nur im Verſtande unterſchieden, in der Auf-
26
faſſung einander parallel.
27
Man könnte vielleicht meinen, daß ſich
[Dbl. 13/2r: Kap. II., S. 5]
Handschrift B 9,2
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177
Abb. 62: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 13/2r.
178
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Handschrift B 9,2
Abb. 63: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 13/2v.
[Dbl. 13/2v: Kap. II., S. 6]
Diplomatische Umschrift
179
die beiden Endpunkte ((), nackte Kräfte und
1
Gedanken, dergeſtalt nach der Mitte be-
2
wegen laſſen, um dort in eine Jdentität
3
zuſammenzugehen. Eine ſolche würde indeſſen
4
nur die Unterſchiede nur vermiſchen und
5
verwaſchen(.) u. es ließe ſich in dieſe⟨r↶m⟩
aſchgrau Mitte nichts Beſtimmtes mehr den-
6 7' 8
ken u. aus dem Unbeſtimmten auch nıchts
9
Beſtimmtes mehr herausholen.
10
Einerlei der
Jene drei Weiſen der Anſchauung ſind
11
in der Geſchichte der Philoſophie durch die
12
verſchiedenen Richtungen der Sÿſteme ver=
13
treten, die erſte durch die materialiſtiſchen
14
Lehren ſeit den alten Atomikern, die
15
zweite durch die idealen Sÿſteme b ıns-
16
beſondere ſeit Plato, die dritte durch
17
Spinoza. Es ſoll hier nicht wiederholt
18
werden, daß alle Sÿſteme unter dieſe
19
letzten Unterſchiede fallen, mögen ſich ⟨+↶auch⟩
20
b ſich beſonders hervor. Jnwiefern er indeſſen
23
de nach ſeiner Anſicht eine Einwirkung
24
des Gedankens auf die Ausdehnung und
25
daher den Zweck mit ſeiner architektoniſchen
26
Macht nicht anerkennen kann u. er alſo
27
in einzelnen beide Richtungen begegnen.
21
Jn dieſer Ableitung tritt Spinoza für
22
Diplomatische Umschrift
180
[Dbl. 14/1r: Kap. II., S. 7]
1
nur die wirkende Urſache, die nackten Kräfte,
2
übrig behält: konnte er der phÿſiſchen Welt=
3 '4 5
anſicht zugerechnet werden. Wenn dies ge=
6
der phÿſiſchen und organiſchen Weltanſicht,
Stellungen auf
r2
7
welche ⟪⟨de↶a⟩⟨n→m⟩⟫ Schluß der logiſchen Unterſuchun=
zwei zurück und
r3
es
r4
8 9 10
wieder
ſchieht, ſo ergeben ſich die beiden Gruppen
gen bildeten(.) ⟨↙erwogen wurden.⟩
Die allgemeinen Betrachtungen führen auf
dieſen Unterſchied und die Richtungen, welche
11
aus den beſonderen Wiſſenſchaften entſpringen,
12 '13 14
nach der andern Seite(.) und ſpannten beide
15
zi⟨ ⟩fhen nach beiden theils nach der einen theıls
Anſichten in eine Spannung. Es würde dies
16
noch mehr offenbarer werden, wenn die Men=
17
ſchen, welche ihre einzelnen Vorſtellungen
18
auf einzelnen Gebieten über und ſtill=
19
ſchweigend auf andere übertragen, dieſe
20
Verallgemeinerung zur bewußten Conſe=
21
quenz des Ganzen ausbildeten. Wer die
22
Menſchen nur wie die Kräfte der Phÿſik oder
23
die Zahlen in einer Gleichung auffaßt - und
24
im äußern Verkehr, im Austauſch der Thätig-
25
keit⟨ ⟩f unterliegen ſie vielfach einer ſolchen
26 27 28
gehen die drei
bringen
Betrachtung: der dehnt die phÿſiſche Weltan=
ſicht in die Ethik aus. Wer umgekehrt die
materiellen Kräfte ⟨nur↶als⟩ Thätigkeiten anſieht,
Erläuterung:
12 zi⟨ ⟩fhen] Orthografiefehler.
[14.]Pag
r1
Handschrift B 9,2
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181
Abb. 64: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 14/1r.
182
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Handschrift B 9,2
Abb. 65: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 14/1v.
[Dbl. 14/1v: Kap. II., S. 8]
Diplomatische Umschrift
183
die nur durch iſolirte Auffaſſung von dem Leben
1
und dadurch von einem zum Grunde liegenden
2
Gedanken losgeriſſen ſind⟨;⟩u der arbeitet an
3
de⟨m↶r⟩ Erweiterung und dem Siege der organiſchen
4
Anſıc Richtung in den Wiſſenſchaften ſpar=
5 6' 7
ſamer(,) und die erſte überwiegt. Aber
8
wir rechnen im Einzelnen die Thatſache dahin, daß die Unterſuchung nicht ſelten, was für
9 10' 11
unorganiſche Maſſe galt, in Reſte und
12
Erzeugniſſe des organiſchen Lebens verwan-
13
delte.
14
Weltanſicht. Zwar gewahren wir dieſe letzte nur
ſcharfſichtigere
Dıe Wiſſenſchaft als Wiſſenſchaft geht zur
15
letzten Entſcheidung dieſes Kampfes einen
16
langſamen Weg und ſie kann nicht anders.
17
⟨S↶Eine⟩ directe Beobachtung iſt nicht möglich; die
18
Atome, die ⟨T⟩u vermeintlichen Träger der Kräfte, ent-
riſche Gedanke auf der andern Seite, der
19 20' 21 22' 23
Endzweck mit dem Sÿſtem der ihm unterge-
24
ordneten Zwecke. Eine Speculation auf
25 26' 27 28' 29 30' 31
beſtimmend
ziehen ſich ſo gut den Sinnen, als der ſchöpfe-
mende
einen
Einen Schlag wird ſchwerlich ei den Streit welcher
entſcheiden, der nach u. nach mit den im Abeınzelnen
lauf der Geſchlechter ſich ausbildenden Wıſſen⟨-⟩u ſchaften an Schärfe und Macht wuchs. Die
32
ſich vollendenden Wiſſenſchaften werden ihn
33
184
Diplomatische Umschrift
1
allein auf dem Wege entſcheiden, auf welchem ſie
2
fort und fort in den einzelnen Kreiſen die Theo-
3
rien zum Austrag bringen, indem ſie ſie ent-
4 '5 6
wickeln und an den Thatſachen meſſen. Es wird
7
daran arbeitete, zwiſchen Ptolemaeus und Co-
8
pernicus zu entſcheiden⟨↙,⟩ ⟨↙,⟩ als zwiſchen dem
[Dbl. 14/2r: Kap. II., S. 9]
auf dieſem Wege
leichter ſein, obwol die Wiſſenſchaft lange genug obwol die Wiſſen-
r1
Democritismus und Platonismus. Und doch
ſchaft lange genug
r2
10
kann die philoſophiſche Betrachtung bis zu dieſem
daran arbeitete,
r3
11
in weite Ferne zurückreichenden Zeitpunkt nicht
12
warten. Sie muß ſich, um den univerſellen
13
Geſichtspunkt zu gewinnen, entſcheiden und ⟨↙ſich⟩
9
14 15
entweder auf die eine oder auf die andere
Seite ſtellen; und ſie wird dabei nicht anders
16
verfahren können, als daß ſie die Thatſachen
17
der Natur und der Geſchichte, der phÿſiſchen und ⟨↙⟨d⟩uer⟩
18 19 '20 21
ſittlichen Welt auf die Grundfrage hinrichtet
und in der Tiefe der Betrachtung mit ihr auszu= dabei
gleichen ſtrebt. Es iſt unvermeidlich, d⟨u→aß⟩ die Lücken
22 '23 24
in den Datis auf verſchiedene Weiſe eine Ergän-
25
nur ſubjective⟨n↶r⟩ Conſtruction⟨↙en⟩u Raum geben.
26 27 28 29
theils
zung zulaſſen und daher den Elementen einer
⟨+↶Aber⟩ vor allem kann die ethiſche Wiſſenſchaft(,) bis
zu einer ſolchen letzten Entſcheidung nicht warten.
Es werden täglich und ſtündlich an ſi⟨ch↶e⟩ Fragen
gerichtet u. ſie ſ muß für die Antwort unge= Erläuterung: 13 ⟨↙ſich⟩.] Ergänzung am Zeilenende mit zusätzlich angedeutetem Einweisungsstrichlein.
der Begriffe, theils
r4
Forderungen des
r5
Glaubens
r6
Handschrift B 9,2
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185
Abb. 66: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 14/2r.
186
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Handschrift B 9,2
Abb. 67: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 14/2v.
[Dbl. 14/2v: Kap. II., S. 10]
Diplomatische Umschrift
achtet des p übrigen philoſophiſchen Streites
1
einen unbeſtrittenden Grund zu erreichen
2
ſuchen. Wir können ⟪⟨m↶f⟩⟨i→ü⟩⟨t↶r⟩⟫
3a
liegt, nicht erſt das Heil von dem Entfernteſten
4
d⟨em↶as⟩, was uns zunächſt
3b
erwarten. Es muß verſucht werden, für die
5
Ethik einen Boden zug gewinnen, der auch
6
im Schwanken der Weltanſichten ſicher beharre.
7
Es iſt dies nicht unmöglich; und die Beiſpiele an-
8
derer Wiſſenſchaften geben uns Muth. Noch
9
ſtreiten z.B. die Metaphÿſiker, was der Raum innerhalb dieſes Gebietes ſteht
ſei; aber der pÿthagoreiſche Lehrſatz ſteht
10 11' 12
ſeit Jah zw mehr als zwei tauſend Jahren
13
feſt und wirkt in Verbindung mit andern
dazu mit, Sätzen(,) um mehr und mehr geometriſche Ein= u. Macht
ſicht und mathematiſche Kunſt zu erzeugen.
14 15' 16 17' 18
Aehnlich würde es ſein, wenn es gelänge, ethiſche
19
Begriffe⟨ ⟩f z.B. den Begriff des Rechts, unab-
20
hängig von den wechſelnden Antworten auf jene
21
Grundfrage der Speculation, zur bleibenden
22
Beſtimmtheit zu bringen.
23
Wir werfen hiernach für dieſen ethiſchen
von der negativen Seite
24
Zweck auf die oben entworfenen Möglich-
25
keiten eider Weltanſicht einen betrachtenden
26
Blick.
27
Wir ſcheiden zunächſt Spinoza aus, der zwar, r1
187
inwiefern er den innern Zweck leugnet, zur
28 29
Diplomatische Umschrift
188
[Dbl. 15/1r: Kap. II., S. 11]
1
phÿſiſchen oder mechaniſchen Weltanſchauung, zur Allein=
2
herrſchaft der wirkenden Urſache übertritt, aber
3 '4 5
Denken und Ausführung eigenthümlich auffaßt
6
von der poſitiven ⟨ein↶das⟩ Grundverhältniß von
und dadurch eine eigenthümliche Stellung behaup=
7
tet.
8
verſchieden
begreift
Nur eine conſequente ⟨u↶Auffaſſung⟩ des ganzen
9
Sÿſtems, nur eine durchgehende Vergleichung ſeiner
10
Grundg Ausführung mit dem Grundgedanken, nur
11
eine ſcharfe Scheidung von den beiden andern
12
Anſchauungsweiſen, ⟨der↶ſowol⟩ der materialiſtiſchen als
13 14 15 16
auch der teleologiſchen, die ſich nur allzu leicht
unterſchieben, ⟨↙,⟩ vermögen der Frage Genüge zu
⟨ein↶nur⟩ ein
r1a
leiſten, ob Spinoza’s Lehre jene Nothwendig-
offener und
r1b
keit in ſich trage, welche er ſelbſt als dies Un-
ſtrenger Verſuch, die
r2
wandelbare und Ewige ſucht(.) erſtrebt. Es iſt nicht
metaphÿſiſchen Erklärun- r3
17 '18 19
möglich, eine ſolche Kritik an dieſer Stelle zwiſchen= gen mit den realen
r4
20
zuſchieben. Wir haben ſie an einem andern Orte
r5
21
verſucht und dürfen uns auf(,) auf den Ertrag,
22
den wir gewonnen haben, zurückbeziehen1).
weitläuffige
23
Wenn ſich in Spinoza’s Ethik die Kritik auf
24
die formale Vollendung des geſchloſſenen Ganzen
25
⟨neigt↶richtet⟩, ſo findet ſie in den Definitionen und
26 27
Thatſachen zu meſſen
1) „Ueber Spinoza’s Grundgedanken und deſſen Erfolg“
28
in den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wiſſenſchaften
29
1849. vgl. („)logiſche Unterſuchungen⟨ ⟩f II(,) Abſchn. VIII. II,
30
S. 39 ff.
[15.]Pag
Handschrift B 9,2
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189
Abb. 68: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 15/1r.
190
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Handschrift B 9,2
Abb. 69: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 15/1v.
[Dbl. 15/1v: Kap. II., S. 12]
Diplomatische Umschrift
191
Axiomen aller Bücher philoſophiſche Voraus=
1
ſetzungen, welche unbegründet daſtehen,
2
und eine Vielheit von tragenden Anfangs-
3
punkten, deren Einheit des Urſprungs nicht
4
nachgewieſen iſt. Wer Spinoza in dieſer
5
Beziehung halten wollte, müßte ihn er-
6
gänzen; und würde dies ſchwerlich anders
7
können, als indem er Spinoza’s Vorſtellung
8
zu vollziehen u. „außerhalb der Wörter
9
r2 des reinen Ver=
und Bilder“(,) rein zu denken verſuchte.
10
r3 ſtandes
Aber Spinoza’s geometriſche Methode und
11
die ungeometriſche Dialektik des reinen Denkens, die ſtrenge Architektonik des
12 13' 14
ſtreng gebundenen Ganzen u. die flüſſi-
15
gen Begriffe einer modernen Conſtruction
16
ergäben nimmer ein Gebäude aus Einem
17
Entwurf und in Einem Stil.
18
r1
von der Erkenntniß
alte
Wenn ſich dann ferner die Kritik auf die
19
reale Durchführung des Grundgedankens rich-
20
tet, ſo erheben ſich noch größere Schwie-
21
rigkeiten u. zeigen ſich noch größere
22
Lücken.
23
Vor allem müßte noch gezeigt werden,
24
wie die Vorgänge zu begreifen ſeien, in
25
welchen ſonſt ein Zuſammenhang zwiſchen
26
Denken u. ⟪⟨Sei↶A⟩⟨n→u⟩sdehnung⟫ wie in deutlichen
27
Diplomatische Umschrift
192
[Dbl. 15/2r: Kap. II., S. 13]
1
Thatſachen vorzuliegen ſchien. Es müßte na=
2
mentlich in Bezug auf die Auffaſſung der
3
Dinge gezeigt werden, wie die Sinneswahr-
4 '5 6
nehmung, welche ſonſt als die Grundlage des
7
kung der Ausdehnung auf das Denken aufzu=
8
faſſen ſei oder mit dem, was Spinoza Gedanken
9
nennt, keine Gemeinſchaft habe. Es müßte umgekehrt
entweder
Gedankens betrachtet wird, ohne eine Einwir=
10
für die Thätigkeit des Menſchen nach außen gezeigt
11
werden, wie ein vernünftiges Handeln, Spino=
12
za’s ex ductu rationis agere, überhaupt mög-
13 '14 15
lich ſei, da im Menſchen alles vernünftige
16
die Wirkung, die noch nicht da iſt, alſo in der
17
Ausdehnung noch kein paralleles Gegenbild
18
hat, entwirft und vorwegnimmt und darnach
19
erſt den realen Vorgang der Mittel einleitet
20
u. einrichtet. Spinoza ſagt ſeinem Grundgedan-
21
ken gemäß ausdrücklich: Weder der Körper
22
kann den Geiſt zum Denken, noch der Geiſt
23
den Körper zur Bewegung oder Ruhe oder
24
irgend etwas Anderm beſtimmen (III. 2). Wo
25
indeſſen der Vernünftige in dem ex ductu ratio-
26
nis agere die Vernunft führt, da muß ſie
27
ſich doch mit der Bewegung und Ruhe einlaſſen;
28
da beſtimmt ſie ⟪⟨ſ→die⟩⟨↩ſe⟩⟫ doch, wie z.B. in ihren Mitteln.
den Gedanken
Handeln dergeſtalt zum Führer hat, daß er
Handschrift B 9,2
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193
Abb. 70: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 15/2r.
194
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Handschrift B 9,2
Abb. 71: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 15/2v.
[Dbl. 15/2v: Kap. II., S. 14]
Diplomatische Umschrift
195
Es hätte gezeigt werden müſſen, wie namentlıch ſolche
1
Thatſachen, wie das gegliederte Leben, Begriffe,
2
wie das Organiſche und Schöne, ohne den
3
Gedanken im Grunde der Dinge, ohne d⟨en↶ie⟩
4
inwohnende Einheit eines Zweckes wirklich
5
verſtanden werden können.
6
Es fehlt dem Spinoza mit dem Zweck ein
7
Princip der Determination, wodurch ein individuelles Leben gebildet würde. Deter-
8 9' 10
mination, die nichts als Verneinung iſt,
11
hat keinen poſitiven Mittelpunkt. Spinoza
12
hat weder geſagt, wie ſich das Denken, noch
13
wie ſich die Ausdehnung vom Unendlichen
14
zum Endlichen beſtimme. Wenn deſſen un-
15
geachtet ſeine ethiſche Anſicht auf der Grund-
16
lage ruht, daß jedes Weſen ſich in ſeinem
17
Sein zu behaupten u. daß alle Tugend
18
Die
nur die Macht ſei, etwas zu bewirken,
was a⟨us↶llein⟩ aus den Geſetzen der eigenen
giebt ſich leicht, daß ſtillſchweigend indi-
19 20' 21 22' 23 24' 25
viduelles Leben vorausgeſetzt iſt und damit
26
in den teleologiſchen Standpunkt übergeht.
27
Spinoza’s Ethik im engern Sinn hat ıhren
28
Kern in der Erklärung (eth. IV. Def. 8): „Un=
29
menſchlıchen
als ſolcher
Natur verſtanden werden kann: ſo erSpinoza
[ter]Kus
30
196
Diplomatische Umschrift
1
ter Tungend und Macht verſtehe ich daſſelbe d.h.
2
die Tugend, inwiefern ſie auf den Menſchen be=
3
zogen wird, iſt das Weſen des Menſchen ſelbſt,
4
inwiefern es im Stande iſt, etwas zu bewir=
5
ken, was allein aus den Geſetzen ſeiner Na=
6
tur begriffen werden kann“. Es iſt bemerkens-
7
werth, wie nahe hier Spinoza die Ethik des te=
8
leologiſchen Standpunktes berührt. Ariſtoteles,
9
von dem Gedanken der innern Zweckmäßig=
10 '11 12 '13 14
keit geleitet, forſchte⟨ ⟩f da er das Princip der
15 '16 17
thümliches Geſchäft verrichten, u. will darin
[Dbl. 16/1r: Kap. II., S. 15]
in demſelben Sinne
Ethik ſuchte, nach dem eigenthümlichen Werk z.B.
⟨u↶des⟩ Menſchen, wie Hand u. Fuß ihr eigen= (eth. Nic. I. 6)
die Beſtimmung erkennen. Das Eigenthüm=
18
liche und Specifiſche der menſchlichen Natur iſt
19
in beiden das Maß. Aber die Berechtigung
20 '21 22
und Bedeutung ſteht bei Ariſtoteles höher, da
23
Gedanken abgegrenzt iſt, aber bei Spinoza
24
die Determination nur in der Negation
25
ihr Weſen hat. Spinoza verſteht unter
26
dem, was allein aus den Geſetzen der menſch-
27
lichen Natur begriffen werden kann, das
28
begreifende Denken, das intelligere u. das
29
Handeln, das aus ſolchen Begriffen folgt, das
30
ex ductu rationis agere. Vgl. eth. IV. 35. IV.
r1
II. 5
bei ihm
er die eigenthümliche Natur aus einem innern
Erläuterung: r1 II. 5] Ergänzung zum Literaturverweis in Interlinearzeile '16.
[16.]Pag
Handschrift B 9,2
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197
Abb. 72: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 16/1r.
198
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Handschrift B 9,2
Abb. 73: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 16/1v.
[Dbl. 16/1v: Kap. II., S. 16]
Diplomatische Umschrift
199
app. c. 4. Wir wollen die innern Schwierigkeıten
1
nicht drängen. Genau genommen - und Spino-
2
za ſcheint es bisweilen ernſt zu nehmen -
3
iſt das reine Denken, d⟨as↶ie⟩ sola puri
4
intellectus cognitio das einzige, das
5
allein und ausſchließlich aus der menſchlichen
6
Natur begriffen wird. Wo noch ein Bild
7
einfließt, da iſt immer noch ein Reſt
8
eines äußern Verhaltens, da hat immer
9
noch ein anderes Ding, der Gegenſtand
10
der Sinne, außer der menſchlichen Natur mit-
11
gewirkt. Wir drängen nicht die innere Un-
12
möglichk⟨ ⟩ft dieſer sola puri intellectus cogni-
13
tio, ſo daß eigentlich das, was einzig und zu
allein aus der menſchlichen Natur begr⟪⟨i↶ei⟩f⟫fen alſo
wäre, verſchwinden würde. Wir nehmen d⟨as↶ie⟩
r1
jeder leidende Zuſtand,
Formel als, da jedes Handeln äußere Bedin-
19
gungen vorausſetzt, in dem Sinne eines vernünf-
20
tigen Wirkens und Gegenwirkens. Es fragt
21
ſich dann, was im Sittlichen der Jnhalt des intelli-
22
gere iſt. E Ein Grundzug geht durch daſſelbe
23
durch. Das menſchliche Weſen will ſein Sein be-
24
haupten und erweitern. Jeder leidende Zuſtand,
25
der in ſeinem Jnnern Unluſt oder Furcht trägt,
26
d⟨em↶as⟩ Zeichen des verminderten
27a
r2 der ſtatt Macht Ohnmacht Eigenlebens⟨↙,⟩⟨,↶ ⟩⟨↙,⟩⟨iſt↶wird⟩ daher r3 iſt,
14 15' 16 17' 18
vom vernünftigen Handeln ausgeſchloſſen. D Ferner
27b 28
Diplomatische Umschrift
200
[Dbl. 16/2r: Kap. II., S. 17]
1
wächſt die Macht des Einzelnen durch Vereinigung
2
und ⟪⟨was↶doch⟩⟨e⟩⟫ ⟨E→ſie⟩ iſt, was Eintracht erzeugt, ſittlich. Das
3
Streben nach dem, worin alle übereinkommen, das
4
Streben nach dem Allgemeinen der menſchlichen
5 '6 7
Natur, wird dadurch das Streben der Vernunft.
8
menſchlichen Handelns, des Handelns, das allein
9
aus den Geſetzen der menſchlichen Natur verſtan-
ergiebt
So ſtellt ſich das Allgemeine als der Jnhalt des
10
den werden kann. Es ergiebt ſich als eine Folge
11
der Selbſterhaltung, aber reicht als ein Urſprüng-
12
liches, das der menſchlichen Natur zum Grunde liegt;
13
es ergiebt ſich nur als ein Mittel für die Auf=
14
gabe der durch Vereinigung zu verſtärkenden
15
Macht, als ein Conſequenz und Accidenz. Wo
Nachfolgendes u.
r1
16
das Eigenleben für die Vermehrung ſeiner Macht,
Zufallendes.
r2
17
für die Selbſterhaltung ſeines Weſens, andere Wege
18
ſieht, wird dieſer Beweggrund des Sittlichen ⟨nicht↶wie⟩
19
ein künſtliches Band zerreißen. Wenn man,
20
wie Spinoza thut, das menſchliche Weſen ohne innere
21
Beſtimmung - denn die Determination iſt Nega=
22
tion - nur als Kraft faßt mit dem Triebe zu
23
beharren, wie andere Kräfte: ſo tritt auch
24
das intelligere nur als eine ſolche auf, und
25
die andern Kräfte ſind gleich berechtigt. Denn
26
jedes Ding hat nach der Natur ſo viel Recht als
27
es Macht hat zu ſein und thätig zu ſein. Wo die Erläuterung: r1 f. Nachfolgendes bis Zufallendes.] Alternativvariante zur lateinischen Entsprechung in Zeile 15.
Handschrift B 9,2
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201
Abb. 74: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 16/2r.
202
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Handschrift B 9,2
Abb. 75: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 16/2v.
[Dbl. 16/2v: Kap. II., S. 18]
Diplomatische Umschrift
Kräfte in dem Kampf, den ſie alle um ihr
1
Daſein führen, das intelligere in dieſem Kriege
2
aller gegen alle, das intelligere beſiegen, wo
3
ſie das vernünftige Handeln unmöglich machen,
4
da iſt auch nur das Naturgeſetz erfüllt. Das
5
intelligere hat nur inſofern einen Vorzug, als
6
es auf das Ganze geht; das Ganze iſt aber
7
nur berechtigt, ſo weit es in ſich zu beharren
8
verſteht; wenn der Theil ſiegt, ſo hat er
9 10' 11
oder mehr
ebenſo viel Recht. ⟨Was↶Denn⟩ was geſchieht, hat
Erläuterungen: 20 § 18)⟨ ⟩f.] Platzmangel. Satzpunkt entfällt. 22 f. Men=ſchen] Die Elemente des Doppeltrennstriches werden im Schreibprozess räumlich versetzt platziert.
203
ein Recht zu geſchehen. Gut und böſe ſind nur
12
Weiſen unſerer Vorſtellung. Die Strebungen,
13
welche aus der Vernunft entſpringen, und die
14
Begierden, welche ſich aus andern Urſachen in
15
uns erzeugen, ſind inſofern nicht verſchieden,
16
als dieſe, wie jene Wirkungen der Natur
17
ſind und die natürliche Kraft darſtellen,
18
wodurch der Menſch in ſeinem Weſen zu be-
19
harren(,) trachtet (tractat. polit. c. 2. § 18)⟨ ⟩f
20
ſchen, auf dem Werth eines innern Gedankens
23
Erſt wenn das Ganze, der Menſch in ſich als
21
Einzelner und d⟨er↶ie⟩ Gemeinſchaft der Men=
22
ruht und die Theile dieſem Gedanken unter=
24
geordnet ſind: ſo hat der ethiſche Trieb des
25
intelligere die übergeordnete Stelle, die
26
ihm gebührt. Spinoza hat in dem Trieb des menſch=
27
204
Diplomatische Umschrift
1 '2 3
lichen Weſens dies Ganze ſtillſchweigend voraus=
4
punkt übergetreten⟨.↶;⟩ Wenn aus dem Gedan=
[Dbl. 17/1r: Kap. II., S. 19]
iſt er
geſetzt⟨↙.⟩ und iſt ⟨d→D⟩adurch zu einem höhern Stand=
r1'
hat
und die atomiſtıſche r2
5
ken des Eigenlebens, das ſich durch Vereinigung
Richtung des Eigen-
r3
6
verſtärken will, wenn aus dem Gedanken der
lebens, welche
r4a
7
durch Eintracht zu vermehrenden Macht des Ein=
r4b
8
zelnen ſchon ſo viel fo des Sittlichen folgt, als
⟪⟨der↶ſei⟩⟨↩ner⟩⟫ Ableitung zum
r5
9
Spinoza in einfachem Gange daraus herleitet: ſo
Grunde liegt, iſt
r6
10
beweiſt das nu⟨(+)↶r⟩, daß auch d⟨er↶ie⟩ Glieder, damit dadurch b zurück-
11
ſie beharren können, das G geſchloſſene Ganze
12
ſuchen müſſen; es beweiſt nur die Wechſelwirkung
13
des Jntereſſes (des „utile suum utile“) zwiſchen
14
dem Ganzen u. den Theilen. Aber dem Gedanken
15
des Ganzen und dem Begriff des Theiles im Ganzen
16
iſt dadurch nicht genug geſchehen.
17
Spinoza’s Ethik wirkt, indem ſie⟨↙,⟩ ⟨↙,⟩ beſchreibt, was
gedrängt.
r7 r8
ohne etwas vor=
r9
18
der Vernünftige, der Freie thun, indem ſie durch
zuſchreiben, in der
r10
19
eine ſolche Betrachtung, die auf das gerichtet iſt, was
Form mathemati=
r11
20
allein aus der menſchlichen Natur folgt, das
ſcher Sätze
r12
21
Streben des eigenthümlich Menſchlichen erregt.
22
Die Vorſtellung wirkt nothwendig in dieſer
23
Richtung. Jnwiefern ſie aber den Menſchen auf
24
das hinweiſt, was ihn zum Menſchen macht: dient
25
ſie in dem Menſchen, den ſie nur als nackte Kraft
26
faßte, dennoch dem Gedanken⟨↙,⟩ ſeines Weſens ohne
27
den der Trieb ſeines Weſens nicht zu begreifen iſt.
[17.]Pag
Handschrift B 9,2
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205
Abb. 76: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 17/1r.
206
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Handschrift B 9,2
Abb. 77: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 17/1v.
[Dbl. 17/1v: Kap. II., S. 20]
Diplomatische Umschrift
207
mußte im Sinne des
1'
Aus Spinoza(’)s Grundgedanken⟨↙s⟩, nach welchem Denken 2
und Ausdehnung, unter ſich ın keinem Cauſalzuſammen-
3
hange, nur der verſchiedene Ausdruck einer
4
und derſelben Subſtanz ſind, den Zweck, das h⟨o⟩f⟨chſte⟩u,
5
einen das Weſen der Dinge beſtimmenden Ge=
6
danken verneinen. Vor ſeiner Grundanſchauung
7
aus konnte er nicht anders. Dagegen ſind
8
die Gründe, die er außerhalb derſelben hinzu=
9
fügt, um den Zweck aufzuheben, nicht von
10
gleichem Belang. So ſucht er z.B. zu zeigen,
11
daß der Zweck dem Begriffe Gottes wider=
12
ſpreche. (eth. I. 33. schol. 2). Diejenigen, welche
13
annehmen, ſagt er, daß Gott unter de⟨r↶m⟩
Rückſicht des Guten thätig ſei, ſcheinen etwas,
14 15' 16
außerhalb Gottes zu ſetzen, was von Gott
17
nicht abhängt, worauf indeſſen Gott in ſeiner
18
Thätigkeit wie auf ein Vorbild hinblickt oder
19
worauf er, wie ein Schütze auf die Scheibe
20
hinzielt. Das heiß⟨t↶e⟩ aber in der That nichts
21 22' 23
argumentieren. Aber am wenigſten darf
25
Zweck
Verhängniß
anders, als Gott einem Fatum unterwerfen.
Es iſt ſchwer, in Gottes ⟨b→Begriff⟩ hinein zu
24
es im bloßen Bilde geſchehen. Der Menſch
26
mag das Ziel, das er erreichen will, oftmals
27
außer ſich haben. ⟨N↶Aber⟩ wie ſchon er nicht
28
Erläuterung:
5 h⟨o⟩fchſte,] noch in das Ende der Zeile gequetscht. Das Trema über dem fehlt.
Diplomatische Umschrift
208 1
ſelten es ſelbſt ſetzt, ſo fällt das Außen u.
2
Jener im Abſoluten (in Gott), in dem ſich aus ſich
3 '4 5
beſtimmenden Gedanken von ſelbſt weg. Spino=
6
⟨D↶das⟩ iſt die Negation, die das Unendliche zum
7 8 9 10
[Dbl. 17/2r: Kap. II., S. 21]
Verhängniß
za hat ſeinem Gott ein anderes Fatum gelaſſen, Endlichen macht, und in ihrem Urſprung nicht ⟨↙un=⟩ begriffen⟨↙.⟩ iſt(.)
Wir haben die Gründe angedeutet, welche
den tiefer eingehenden Gedanken verhindern,
11
die eigenthümliche Stellung zu behaupten, welche
12
Spinoza der Speculation in ſeinem Grundge=
13
danken gegeben hat. Seine Ausführung zieht
14
entweder, inwiefern der innere Zweck geleug-
15
net wird, zum materialıſtiſchen, oder, durch
16
ſtillſchweigende Vorausſetzungen zum teleo-
17
logiſchen Standpunkt hinüber. Zwiſchen dieſen
18
beiden geht der Kampf fort; u. wir müſſen
19
uns zwiſchen ihnen entſcheiden. Erläuterung: 19 Die Untersuchung endet abrupt. Kapitel II bleibt unvollendet.
Handschrift B 9,2
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209
Abb. 78: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 17/2r.
210
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Handschrift B 9,2
Abb. 79: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2, hier Dbl. 17/2v.
[Dbl. 17/2v: Kap. II., S. 22]
Diplomatische Umschrift
211
Genetische Darstellung
Umschlag
Enthält die genetische Darstellung des Textes von Dbl. 0.
Umschlag
1
2
Genetische Darstellung
|Ethiſche Unterſuchungen.
217
|0/1r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
Enthält die genetische Darstellung des Textes der Dbll. 1–11. Die gesonderte Präsentation der drei Schlussfassungen erfolgt im Anschluss.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften |Ethiſche Unterſuchungen.
1
221 |1/1r
2 3
4
5
6
⌈blDa ich mit ethiſchen Unterſuchungen beſchäftıgt bın, erlaube ich
mır eın Fragment derſelben anzulegς – u. zwar üb{.} eıne äußerliche Frage: üb. d. Ort [[dς]↶⌜pÜ⌝p][E⫮]↯blerg⌉ {der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenschaften.}
7
T.1
7
T.2
7
T.3
7
T.4
8
T.2
8
T.3
8
T.4
I. Der Ort der Ethik blim
↶im [Jnbegr ⊄] i→n
blder
dem
[Jnbegriffbl
Wiſſenschaftenbl
↶Jnbegriff der Wiſſenschaften.
9
Wo der Menſchengeiſt, ſei es im Einzelnen oder in der Menſchheit,
10
ſein eigenthümliches Werk beginnt, ein Werk, das nur ⧸dem
11 12 13
MenſchenH.1⧸[dem Menschen⫮]⌜ihmers⌝H.2⧸ gehört und ſein Weſen ausdrückt: da beginnt ⧸⌜aucherg⌝H.2⧸ die Ethik, wenn wir ſie im weitern Sinne auffaſſen.
Erläuterungen:
7 f. I. Der bis Wiſſenſchaften] Erst nachdem Tr. die Kurzform »im« gegen »in dem« ersetzt hat, beginnt er mit dem eigentlichen Text. Das spät ergänzte »dem« sowie die Streichung des zweiten -Bogens gleichen in Duktus und Strichstärke denen des Binnentextes. Der Schreibstoffwechsel legt nahe, dass Tr. die Titelstufen in verschiedenen Arbeitsphasen erstellt.
3 ff. Da bis pp] Einleitung der dritten Textstufe, welche neben der Fassung der zweiten Textstufe (H.2) eine eigenständige gültige Fassung (F2) des ersten Kapitels darstellt, einen Vortrag. Der Hrsg. ergänzt den vermutl. vorgetragenen Titel.
Genetische Darstellung
222
Ethiſche Unterſuchungen
14
Jnwiefern ſie philoſophiſche Disciplin iſt, hat ſie mit der Philoſophie
15
die Richtung auf das Ganze der Erkenntniß und ⧸⌜aucherg⌝H.2⧸ den
16
Urſprung des Ganzen gemein: Denn wie ſehr auch die philoſophiſchen
17
Lehren aus einander gehen mögen, ſo bleibt ⧸⌜eserg⌝H.2⧸ doch das
18 19 20 21
durchlaufende Kennzeichen der Philoſophie, daß ſie im Gegenſatz gegen die bedingten Stücke nach der Erkenntniß des unbedingten ⧸Ganzen ſtrebt, das die Theile trägt.H.1⧸⌜bldie Theile tragen-
denblers⌝ Ganzen strebt[,⫮] [das die Theile trägt ⫮].H.2.1⧸[bldie
24
Theile tragendenbl]↶⌜die Theile tragendenNZ⌝ Ganzen strebt.
25
wird eben dadurch Sÿſtem, ideales Gegenbild eines realen Ganzen.
22 23
H.2.2⧸
Die Philoſophie, die unverrückt das Ganze |im Auge behalten ſoll,
26
Was ſie denkt und darſtellt, muß ſie im Sinne des Ganzen denken
27
und darſtellen. Jeder ihrer Theile muß eine bewußte Beziehung zum
28
Ganzen haben.
29
30
31
32
33
n1
Obwol ſich ⧸nurH.1⧸⌜nunerg⌝ [nur]↶⌜erſtÜ⌝H.2⧸ durch
die Entwicklung des innern Princips dieſer Zuſammenhang erzeugt, ſo
kann man doch auch dann nicht, wenn man noch im Eingang und noch vor der Disciplin ſteht, die Frage umgehen, welches der Ort der Wiſſenſchaft im Ganzen des Sÿſtems ſei. Es iſt nöthig, wenigſtens in
Randnotiz Tr.’s:
Erläuterung:
Nr. 1 zu Z. 29−34:
n1 and. propoſitio] Die Randnotiz liefert vermutl. eine Begründung für die Ausklammerung der beiden Absätze in der dritten Textstufe (H.3). Im ersten Absatz wird eine andere der Grundfrage nach dem Ort der Ethik im System der Wissenschaften vorgelagerte Fragestellung angesprochen. Derlei Exkurse klammert die Vortragsfassung (F2) jedoch weitestgehend aus.
bland.
propoſitiobl
|1/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
den äußern Ueberblick des Ganzen den Theil einzufügen. Genau genommen, fallen alle Wiſſenſchaften in die Ethik; denn die Erforſchung des Wahren iſt eine ethiſche That und die Gründung und Ausbildung der Wiſſenſchaften iſt eins der eigenſten Werke des Menſchen. Aber deſſen ungeachtet bleibt die Frage ſtehen, welche Stelle die Ethik, |inwiefern ſie einzelne Wiſſenſchaft iſt, [zu⫮]↯ in dem von ihr umfaßten Jnbegriff aller einnehme.
⌈blWollen wir nun den Ort einer Disciplin ⧸imH.3.1⧸i[m]↶
i⌜nN⌝ ⌜dıeſemerg⌝H.3.2⧸ Ganzen, den Ort der Ethik im Jnbegriff Es handelt ſich dabei um den der Wiſſenſchaften beſtimmen, ſo handelt es ſichblerg⌉
46
Eintheilungsgrund der Philoſophie, der, wie die [+]↶⌜GÜ⌝eſchichtliche↯ Betrachtung lehrt, weſentlich zwei Geſichtspunkten pflegt
47
weder auf das verſchiedene Verhalten des Menſchen zu den Ge-
48
genſtänden der Wiſſenſchaft oder auf 〚e[i⫮]2n+〛1↶⌜innÜ⌝ere↯
44 45
49
223
entnommen zu werden. Man gründet nämlich die Eintheilung ent-
Unterſchiede der Gegenſtände ſelbſt. Von jener Art iſt [d⫮]↯ z.B. die
Erläuterungen:
41 ff. Wollen bis ſich] Die Spätergänzung wird in der dritten Textstufe (H.3) anstatt der beiden Abschnitte in Zeile 29−40 in den Text hineingelesen.
48 ...⫮]2... 〛1.] zuerst überschrieben, dann -Punkt gestrichen.
|1/2r
Genetische Darstellung
224
Ethiſche Unterſuchungen
50
Eintheilung in theoretiſche un[d]{d} praktiſche Philoſophie, von dieſer
51
die Eintheilung in Logik, Phÿſik und Ethik. Es iſt der Mühe werth,
52
beide Weiſen der Eintheilung zu unterſuchen, ehe wir uns für eine
53
derſelben entſcheiden.
54
Die Eintheilung der Wiſſenſchaft in theoretiſche und prakti-
55
ſche [,⫮]↯geht, wenn man die erſten Anſätze aufſucht, bis in Plato’s
56 57
Staatsmann zurück (Plat. politic. p. 258): Ariſtoteles bildet ſie auf ſeine
Weiſe aus und legt ſie dergeſtalt der Betrachtung des Ganzen zum
60
Grunde, daß ſie durch ihn ſich bis in die neueſte Zeit ⧸⌜fortpflanzte
61
underg⌝H.2⧸ ihre Geltung |behauptete (Aristot. metaphys. VI. 1. eth. Ariſtoteles faßt die Gegenſtände theils als unwandelbar und
62
nothwendig − beides iſt ihm daſſelbe, da[s⫮]↯ das Nothwendige nicht
63
anders ſein kann − theils als veränderlich und daher der Einwirkung
64
frei gegeben⧸. H.1⧸⌜ auf.erg⌝[.]H.2⧸ Wie nun ⧸
58 59
65 66 67 68 69
|1/2v
Nicom. VI. 2−5){.}
blnach Arıst.bl blnach
Arıſt.bl
H.2/.3⧸
den Gegenſtänden die ⧸⌜erkennendenerg⌝H.2⧸ Vermögen [des E⫮]↯
entſprechen, ſo ⧸gehörteH.1⧸gehört[e⫮]H.2⧸ jenes ⧸⌜{−} das Unwandelbare und Nothwendige {−} erg⌝ H.2⧸ dem wiſſenſchaftichen Vermögen, dieſes ⧸⌜dagegen − das Veränderliche −erg⌝
H.2⧸
dem [b]↶⌜BÜ⌝erathenden↯ an; zu jenen Gegenſtänden
Randnotiz Tr.’s:
Nr. 2 vermutl. zu Z. 61−219: n2
blEtwas
ausfuhrlıcher f. d. Vortrag.bl
Erläuterungen: 64 nach Arıſt.] Die Spätergänzung erfolgt vermutl. im Zuge der Arbeiten an der dritten Textstufe (H.3). Abweichend zu den meisten anderen Eingriffen dieser Phase wird hier eindeutig ohne Alternativverlauf eingewiesen. Die Änderung gilt somit rückwirkend auch für Fassung (F1).
50 und] unvollständiges Zeichen komplettiert. n2 Etwas bis Vortrag] Die mit Grafitstift erfolgte Anmerkung gilt dem Hrsg. als ein Indiz dafür, dass es sich bei der dritten Textstufe (H.3) um eine Vortragsfassung (F2) handelt.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
72
verhält ſich der ⧸GeiſtH.1⧸[Geist⫮]⌜Menſchers⌝H.2⧸ betrach-
73
den Lebens, theils der bildenden Kunſt und die Philoſophie theilt
74
ſich demgemäß in theoretiſche, praktiſche und poietiſche. Aus wel-
75
chen weitern Gründen die theoretiſche Philoſophie ſich in erſte Phi-
76
loſophie, Phÿſik und Mathematik [thei⫮]↯, die praktiſche in Ethik,
70 71
77 78 79 80 81
tend, zu dieſen entweder handelnd oder bildend. Darnach iſt die
Erkenntniß theils Erkenntniß der Betrachtung, theils des handeln-
Oekonomik und Politik theilte und die Logik [u⫮]↯als Werkzeug der
Disciplinen ⧸⌜allenerg⌝H.2⧸ vorangeſtellt wurde: das kann an dieſem
Orte |unerörtert bleiben[,]↶⌜.Ü⌝ [bis]↶⌜WirÜ⌝↯ prüfen den erſten und allgemeinen Geſichtspunkt{.} Zunächſt bleibt der
erſte
für das Nothwendige das wiſſenſchaftliche und für das Veränderliche
83
und Zufällige ⧸⌜als das Gebiet der Freiheiterg⌝H.2⧸ das berathende ⧸(praktiſche) Vermögen gewonnen werden ſoll.H.1⧸
85 86 87 88
(praktische[)⫮] ⌜u. poietiſche)ers⌝ Vermögen [gewonnen werden soll.⫮]⌜bestimmt wird.ers⌝H.2⧸ D[ie]↶⌜asÜ⌝↯ Nothwendige als das Unwandelbare liegt nicht ueber dem
Veränderlichen und darum der Thätigkeit Freigegebenen,
91
⧸⌈⌜ ſo daß beides zwei verſchiedenen Vermögen zufallen
92
könnte,erg⌝[,]erg⌉H.2.1⧸so daß beides zwei verschiedenen
dern es geht vielmehr durch das Veränderliche durch. Es iſt die eigent-
93
liche That der Wiſſenſchaft, das Zufällige in Nothwendiges zu
89 90
|2/1r
Eintheilungsgrund zweifelhaft, wenn
82
84
225
〚Vermö[g⫮]2en〛1↶⌜GebietenÜ⌝ zufallen könnte,H.2.2⧸ ſon-
Erläuterungen: 66 f. {−} Das bis Nothwendige {−}.] Die durch Tr. ergänzte Apposition erfordert entweder die Ummantelung mit Kommata oder – in stilistischer Kontinuität zu Zeile 68 – die vom Hrsg. hinzugefügten Gedankenstriche.
90 [,].] überzähliges Komma von Hrsg. getilgt. 91 ...⫮]2...〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Unterlänge des .
226
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
94
verwandeln und im Veränderlichen das Unveränderliche zu er-
95
kennen. ⧸⌜Durch die Wiſſenſchaft dehnt ſich das Gebiet des [Verände⫮]↯ Nothwendigen fort u. fort aus und ſchränkt ſich das
96
99
willkürlich Veränderliche [und]↶⌜einÜ⌝.erg⌝H.2⧸ Noch viel weniger kann man die innere Verwandtſchaft des Erkennens mit dem
100
res wiſſenſchaftliches Vermögen aufgefaßt werde, während das Ver-
101
änderliche entweder der Einſicht [ins Ha]↶⌜ins HaNZ⌝ndeln oder
97 98
Gegenſtande ſo verſtehen, daß das Nothwendige durch ein beſonde-
102
der Kunſt zufalle. Wenn man vielmehr auf den Vorgang der Wiſſenſchaft
103
ſieht, auf die Weiſe, wie das Nothwendige gefunden wird: ſo [geſ⫮]↯ hilft
104 105 106 107 108 109 110
⧸⌜dabeierg⌝H.2⧸ |fortwährend die Kunſt, die ſich im Ausführbaren bewegt, von den Rechnungen und Conſtructionen der Mathematik bis zu den Experimenten der Naturwiſſenſchaft. ⧸⌜Man kann in den Wiſſenſchaften die Theoreme und Probleme, die Lehrſätze und
Aufgaben wie Wiſſenſchaft und Kunſt einander entgegenſtellen. Wer nun beobachtet, wie die [T]↶⌜LÜ⌝öſung↯ der Probleme durch die Erkenntniß der Lehrſätze und der Beweis der Lehrſätze durch die
114
Ausführung von Aufgaben bedingt iſt: der [er⫮][k]↶⌜ſÜ⌝[en] ↶⌜ieN⌝[n]↶⌜hÜ⌝t↯ leicht ein, [d]↶⌜wÜ⌝ie↯ Wiſſenſchaft
115
und das Gebiet des Veränderlichen für das Handeln u{.} die Kunſt
116
118
[wie]↶⌜alsÜ⌝↯ geſchieden feſtzuhalten ſind, als fielen ſie zwei
119
bleme, die Lehrsätze und Aufgaben wie Wissenschaft und
120
Kunst einander entgegenstellen. Wer nun beobachtet, wie
121
die Lösung der [Probleme⫮]↶⌜Aufgabeners⌝ durch die Erkenntniß der Lehrsätze und der Beweis der Lehrsätze durch
111 112 113
117
122
und Kunſt, Betrachten u. Bilden mit einander fortſchreiten und daher auch nicht das Gebiet des Nothwendigen für die Wiſſenſchaft
verſchiedenen Vermögen zu.erg⌝H.2.1⧸Man kann in den [Wissenschaften⫮]↶⌜Disciplineners⌝ die Theoreme und Pro-
|2/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
227
123
die Ausführung von Aufgaben bedingt ist: der sieht leicht
124
ein, wie Wissenschaft und Kunst, Betrachten u. Bilden mit
125
einander fortschreiten und daher auch nicht das Gebiet
126
des Nothwendigen für die Wissenschaft und das Gebiet des
127
Veränderlichen für das Handeln u{.} die Kunst als geschie-
128
den festzuhalten sind, als [fielen⫮]⌜gehörteners⌝ sie zwei
129 130 131 132 133 134 135 136 137
verschiedenen Vermögen [zu.⫮]↶⌜an.ers⌝H.2.2⧸ Ariſtoteles hat die Gebiete wie ⧸⌜gegebene underg⌝H.2⧸ fertige unterſchieden,
aber dabei nicht in ihrem Entſtehen u. Werden aufgefaßt. ⧸⌜Darin liegt die Urſache des Fehlers.erg⌝H.2⧸
Der andere ⧸Eintheilungsgrund, der ſich[+⫮]↯ an den erſten
anſchließt;H.1⧸[Eintheilungsgrund⫮]↶⌜Grund dieſer Einthei-
lungers⌝[, der⫮]↶ ⌜ſchließters⌝ ſich an den ersten an[-]{,} [schließt⫮] H.2⧸ indem er das Verhalten der menſchlichen
Thätigkeit ins Auge faßt, das Betrachten, ⧸Handeln und Bil-
140
den.H.1⧸⌜daserg⌝ Handeln und ⌜daserg⌝ Bilden.H.2⧸ Es fragt ſich, ob ſich dieſe Thätigkeiten auf ſolche Weiſe einander ausſchließen, uns
141
welche Ariſtoteles zur Unterſcheidung giebt, genügen
142
So ſoll ⧸ſichH.1⧸[ſich⫮]H.2⧸ das Bilden dem Handeln darin ent-
138 139
143 144 145 146 147 148
n3
die Grundlage für nebengeordnete Arten zu ſein. Die Andeutungen, ſchwerlich bl ⌜blnicht erg⌝
.
gegenſtehen, daß jenes einen Zweck außer ſich hab[e]⌜eNZ⌝↯, ⧸⌜nämlicherg⌝H.2⧸ das Werk, dieſes ⧸⌜inerg⌝H.2⧸ ſich ſelbſt
⧸⌜einenerg⌝H.2⧸ Zweck ⧸iſt,H.1⧸[ist⫮]⌜ſeiers⌝,H.2.1⧸[sei⫮]
⌜trageers⌝,H.2.2⧸ wie überhaupt das [richtige⫮] [u]↶⌜WÜ⌝ohlandeln↯ Ziel ſei. (die εὐπραξία im Sinne der [εὐδαιμονία)⫮] durch [d⫮]↯richtiges Handeln erreichten Glückſeligkeit). Die nähere Randnotiz Tr.’s:
Erläuterung:
Nr. 3 zu Z. 141: blVortragbl
n3 Vortrag] Die kurze Randnotiz bezieht sich auf die spät ergänzte Variante »nicht« in Z. 141, welche damit der dritten Textstufe (H.3) zugewiesen wird.
228
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
149
Betrachtung zeigt auch hier eine Uebereinſtimmung. Der bildende
150
|Künſtler bringt allerdings ein Werk hervor, das äußerlich daſteht.
151
Wenn aber der Handelnde, z.B. der Tapfere, der Mäßige [+++]
152 153 154 155 156 157 158 159
↶⌜eineÜ⌝↯ Wirkung bezweckt: ſo ⧸iſt dieſe, wie unſichtbar ſie
auch in die Kette der Ereigniſſe eingreife, gleich dem äußern
Werk[.⫮][,⫮]↯H.1⧸[ist⫮]⌜verhält ſichers⌝ diese, wie unsichtbar sie auch in die Kette der Ereignisse eingreife,
[gleich⫮]⌜dennochers⌝[dem⫮]⌜wie dasers⌝ äußern WerkH.2⧸ des Künſtlers − zu geſchweigen, daß das Handeln, wenn es im größern Maßſtabe erſcheint, ⧸in [B⫮]↯ bleibendenH.1⧸[in⫮] bleiben-
de[n⫮]H.2⧸ Bildungen und Einrichtungen ⧸⌜bl{,} z.B. Anſtalten des
163
Staats{,}blerg⌝H.2.1⧸{,} [blz.B. Anstaltenbl]↶⌜z.B. AnſtalteNZ⌝n [bldes Staatsbl]↶⌜des StaatsNZ⌝{,}H.2.2⧸ hervorbringt wie le-
164
enden ſoll, weil das Wohlhandeln das letzte Ziel iſt: ſo iſt dieſer Grund
160 161 162
165
bendige, bewußte Kunſtwerke. Wenn das Handeln ⧸ſichH.1⧸[sich⫮]
H.2⧸ darum in ſich ſelbſt Zweck ſein und ſich darum in ſich ſelbſt voll-
offenbar zu weit. Denn das Wohlhandeln in jenem allgemeinen Sinne der durch Handeln zu ⧸erreichenden
169
⌜ſtre-Ü⌝ [h⫮]↶⌜bN⌝endenH.2⧸ Glückſeligkeit (εὐπραξία) wird nicht
170
Werk geſetzt.⫮]↯ erreicht. Ariſtoteles iſt uns deſſen ſelbſt ein Zeuge,
166 167 168
171 172 173 174 175 176 177
|2/2r
H.1⧸er[reic]↶
bloß durch das Handeln im engern Sinne, ſondern gleicher Weiſe durch das wiſſenſchaftliche Betrachten und Künſtleriſche Bilden [ins wenn er die menſchliche Glückſeligkeit in der theoretiſchen ⧸für
vollendet erachtetH.1⧸[für⫮] vollende[t]↶vollende⌜nÜ⌝ [er-
achtet⫮]⌜willers⌝H.2⧸ u. |alſo die Eupraxia des betrachten-
den Lebens auf die Höhe ſeiner Ethik ſtellt⧸: ſo weitH.1⧸[:] ↶⌜.Ü⌝[so⫮]↶⌜BÜ⌝↯ weitH.2.1⧸[B⫮]↶⌜WeÜ⌝nn [weit⫮]H.2.2⧸ dieſer höhere Begriff des Wohlhandelns, des ⧸⌜hiernacherg⌝H.2⧸ ſich durch Thätigkeit vollziehenden menſchlichen Zwecks durch alle
|2/2v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 178
drei Weiſen, durch das Betrachten, das Handeln und das Bilden
179
hindurchgeht, ſo könnten ⧸deſſen ungeachtetH.1⧸[dessen⫮]
180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192
229
⌜ſichers⌝ [ungeachtet⫮]⌜gleichwohlers⌝H.2⧸ alle drei wie Arten zu einander verhalten. Dann muß indeſſen gefordert werden, daß
ſie, obwol in dieſem Allgemeinen übereinkommend, ſich ſonſt nicht mit einander vermiſchen, ⧸⌜ähnlicherg⌝H.2⧸ wie z.B. die Arten des
Parallelogramms Quadrat, Rechteck, Rhombus und Rhomboid in der Natur des Parallelogramms übereinkommen, [u]↶⌜aberÜ⌝↯ ſonſt
keine ⧸⌜derſelbenerg⌝H.2⧸ die eigenthümliche Natur des andern in ſich enthält. Jſt dies nun bei den zum Grunde gelegten Begriffen
der Fall? Das Betrachten iſt vielmehr [ein Theil⫮]↯ im Handeln, [u]↶⌜wÜ⌝ie↯ im Bilden, als Erfordnerniß mitenthalten. Denn das Handeln muß von Vernunft durchdrungen ſein und das Bilden
ſoll eine Jdee darſtellen u{.} zur Anſchauung bringen. Ebenſo iſt das
Bilden |in dem Handeln, [und Bet⫮]↯ wie in dem Betrachten ent-
|3/1r
Randnotizen Tr.’s:
Nr. 4 vermutl. zu Z. 150 ff.: n4
blvgl{.}
n5 n6
noch Heft d{.} Geſch{.}
n15
nur für dieſe da, um dieſe Thä-
dς{.} P⌜oliserg⌝ Bog. 10
n16
tıgk{ei}t in d. Beſchauen zu
n17
vervielfältigς{.}bl
blVgl. noch die Stelle b. Brandis
Erläuterung:
no. 22 aus eth. Nic. I. 1. [D]
n4 ff. vgl bis polit] Die Notiz verweist vermutlich auf die im Nachlassverzeichnis unter gleichlautendem Titel ›Ariſt. polit.‹ mit der Signatur: B 17,10 aufgeführte Handschrift. Tr. klammert den spät gesetzten Verweis jedoch wieder aus. Nach Ansicht des Hrsg. besteht für diesen Vergleich vielleicht für keine der beiden Textfassungen je ein Gültigkeitsstatus.
Arıſt{.} polit{.} 1. 2. §. 3bl Nr. 5 vermutl. zu Z. 150 ff.:
n7 n8
n11
↶⌜AÜ⌝ber↯ da[gz⫮]↯ z. er-
n12
gentliche Thätigk{ei}t, d. urſpr{.},
n13
iſt die Conception der Kunſt-
n14
werke, u. das Kunſtwerk iſt
n9 n10
innς: d. Werk iſt nicht beſſer als
die Thätigkeiten; Denn die ei-
Genetische Darstellung
230 193 194 195 196
Ethiſche Unterſuchungen
halten; denn das Handeln vollendet ſich erſt i[m]↶ ⌜n N⌝ ⌜dererg⌝↯ ſittlichen Schönheit, in einer Darſtellung, die, wie das Kunſtwerk, ihrer Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf, wie ſchon gezeigt iſt, des Hervorbringens, um ſich zu verwirklichen, und
199
muß ſich darſtellen, um ſich [ander]↶⌜ſelbſÜ⌝t↯ klar und andern zugänglich zu werden. Endlich vollzieht ſich das Handeln im
200
durch das Bilden auf eigenthümliche Weiſe. Wer dieſe Beziehungen
201
überdenkt, findet die eine Thätigkeit mitten in der andern. Es ſoll da-
202
bei nicht verkannt werden, daß ſich die drei [Rich⫮]↯ Thätigkeiten,
197 198
203 204 205
wiſſenſchaftlichen Beruf durch das Betrachten und im künſtleriſchen
das Betrachten, das Handeln und das Bilden nach den Richtungen ⧸desH.1⧸[des]↶i⌜hrÜ⌝esH.2⧸ Zweckes unterſcheiden. Das Be-
tra[+]↶⌜cÜ⌝hten↯ will erkennen{.} um zu erkennen; das Bilden
206
will hervorbringen, um einen Gedanken anzuſchauen oder eine
207
Empfindung hinzuheften; das Handeln hingegen will eine Wir-
208
kung als ſolche. Aber dieſe verſchiedenen Zwecke, da ſie die andern
209
wechſelsweiſe als Mittel in ſich tragen, |ſind ⧸⌜alleinerg⌝H.2⧸ nicht geeignet, um die Theile der Philoſophie mit ſcharfen Unterſchie-
210 211 212 213 214 215
den zu begrenzen. Das Quadrat iſt, um ⧸zu obigemH.1⧸zu⌜merg⌝
obige[m]↶obige⌜nN⌝H.2⧸ Beiſpiele zurückzukehren, in kei-
nem Stücke ⧸⌜blder ſpecif. Diffςblerg⌝H.2.1⧸[blder specif. Diffςbl]↶⌜der
ſpecifischenÜ⌝ DifferenzH.2.2⧸ ein Rhomb[b]↶⌜oÜ⌝id↯, aber das Handeln ſchließt das Betrachten und das Bilden und
219
⧸⌜dieſeerg⌝H.2⧸ umgekehrt ⧸⌜das Handelnerg⌝H.2⧸ in ſich[.⫮]↯ ein. ⧸⌜Würde daher eine Eintheilung der Philoſophie auf dem
220
Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit den in neuerer Zeit viel
216 217 218
221
Grunde dieſer Begriffe ſtreng ausgeführt, ſo wären Wiederholungen unvermeidlich.erg⌝H.2⧸
genannten und neben einander geſtellten Jdeen des ⧸Guten,
|3/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232
WahrenH.1⧸⇆Wahren, GutenH.2⧸ und Schönen. Sie drücken ⧸daſſelbeH.1⧸[dasselbe⫮]⌜dasers⌝H.2⧸ als Gegenſtand aus, was
i[m]↶⌜nÜ⌝↯ den Begriffen des [Ha⫮]↯ Betrachtens, Handelns
und Bildens als Thätigkeit angeſchauet wird. Nur die oberflächliche Anſicht vermag ſie zu trennen. Wer in ⧸ihren JnhaltH.1⧸[ihren
Jnhalt⫮]↶⌜ſieers⌝H.2⧸ tiefer eindringt, wird bald gewahr, daß man nicht den Jnhalt der einen heben kann, ohne den Jnhalt der andern mitzuheben.
Wir begegnen im Mittelalter derſelben oder ⧸einerH.1⧸[einer⫮]
H.2⧸
mit Ariſtoteles verwandten Eintheilungen. Wir ſehen die
Wirkung noch im vorigen Jahrhundert, wenn Chr. Wolf u. nach
235
ihm Kant ⧸⌜u{.} Fıchteerg⌝H.2⧸ die Philoſophie in theo|retiſche und praktiſche eintheilen. Wenn bald nach Wolf Baumgarten
236
te ποιητική des Ariſtoteles von Neuem mit ihrem Rechte hervor.
237
Kant [ſteht⫮]↯ iſt, was die Eintheilung der Philoſophie betrifft, von
233 234
238
|3/2r
die Aeſthetik hinzufügte, ſo trat darin die zurückgedräng-
[W]↶⌜CÜ⌝hr.↯ Wolf abhängig. Man ſieht es deutlich, wenn
240
Vernunft mit der Einleitung zu Wolfs Logik vergleicht.1) Wenn Kant,
241
man ⧸dieH.1⧸[die]↶⌜KanÜ⌝tsH.2⧸ Architektonik der reinen wie Wolf, die Philoſophie zunächſt in theoretiſche und praktiſche
242
eintheilt, ſo hat darauf bei Kant, wie bei Wolf, die Scheidung der
239
231
243 244
1) Kant Kritik der reinen Vernunft. „Methoden[“]lehre{“} 3tes.
245
Hauptſtück. 2t. Aufl. S. 874 ff. u. Wolf philosophia rationalis s. logica.
246
1728. discursus praeliminaris § 60 ff. Randnotiz Tr.’s: Nr. 6 vermutl. zu Z. 220 ff.:
n18 n19
||blPlato−Gerſon im M. A. bonum (Begehrς) verum (Erkennς) { }
Chalyb ä us I. S. 7 [5]↶⌜2Ü⌝↯{.}bl
||3/1v
Genetische Darstellung
232 247 248
Ethiſche Unterſuchungen
Geiſtesthätigkeit in [V⫮]↯ ⧸Erkenntnißvermögen und Begehrungs-
vermögenH.1⧸Erkenntnißvermögen{,} [und⫮] Begehrungsver-
251
mögen ⌜und Gefühlsvermögenerg⌝H.2⧸ weſentlichen Einfluß.2) Aber die Ergebniſſe bei Kant zeugen zugleich gegen die Richtigkeit
252
in das Gebiet der theoretiſchen zurück und erzeugt theoretiſche
253
Vorausſetzungen, Poſtulate, welche der Kritik der reinen Vernunft
254
[u⫮]↯zweifelhaft waren.
249 250
255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268
dieſer Eintheilung. Die praktiſche Vernunft greift ⧸⌜bei ihmerg⌝H.2⧸
Herbart gehört inſofern hieher, als auch er ⧸nicht die Philo-
ſophieH.1⧸[nicht⫮] die Philosophie ⌜nichters⌝H.2⧸ nach den Objecten ein|theilt. Wenn er die Philoſophie als Bearbeitung der
Begriffe erklärt, ſo theilt er ſie nach der logiſchen Thätigkeit ein, die ſie erforder[n]↶⌜nNZ⌝↯. Aus den Hauptarten, wie die Begriffe bearbeitet werden, ergeben ſich die Haupttheile der Philoſophie: Jnwiefern es der Zweck iſt, die Begriffe klar und deutlich zu machen,
entſpringt ⧸⌜ihmerg⌝H.2⧸ die Logik. Jnwiefern gegebene Begriffe der Erfahrung Widerſprüche in ſich tragen und ſie daher nach ihrer beſondern Beſchaffenheit zu verändern und zu ergänzen ſind, damit
ſie denkbar werden: ſo ergibt ſich ⧸⌜ihmerg⌝H.2⧸ die Wiſſenſchaft der
Metaphÿſik, welche auf ähnliche Weiſe, wie bei Wolf und Kant, [u⫮]↯
in der Pſÿchologie, Naturphiloſophie und natürliche[r]↶⌜nN⌝↯ Theologie ihre Anwendung findet. Endlich werden Begriffe un-
269
terſchieden, welche in unſerm Vorſtellen ein Urtheil[e⫮]↯ des Beifalls
270
oder Mißfallens nothwendig herbeiführen und die Wiſſenſchaft von
271
ſolchen Begriffen iſt ⧸⌜ihmerg⌝H.2⧸ die Aeſthetik. Angewandt auf das
272 273 274 275
|3/2v
Gegebene geht ſie in eine Reihe von Kunſtlehren über, welche [man⫮]↯
||2) Kant Kritik der Urtheilskraft. [Ein⫮]↯ 1790. Einleıtς III. S. [2]↶⌜XÜ⌝X.↯
||3/2r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 276
{ } ſä m tlich praktiſche Wiſſenſchaften heißen können; praktiſche
279
Philoſophie im engern Sinne heißt ⧸⌜ihmerg⌝H.2⧸ diejenige der| Kunſtlehren, deren Vorſchriften den Charakter der nothwendigen
280
hörlich den Gegenſtand derſelben darſtellen.3) Dieſe Eintheilung wur-
281
zelt ganz in Herbarts eigenthümlicher ⧸⌜philoſophiſchererg⌝H.2⧸ Anſchauung und kann nur mit dieſer beurtheilt werden: ⧸ZurH.1⧸
277 278
282
286 287
ſcharf aus einander. Denn auch die Klarheit und Deutlichkeit
288
der Begriffe gefällt u. auch darauf kann ſich eine Kunſtlehre rich-
289
ten. Jn Herbarts Schule iſt in der That dieſe Conſequenz gezogen.
290
292
Bobri[ck]↶⌜kÜ⌝s↯ Logik4) [überträgt⫮]↯ überträgt die Analo-
293
gi[k]↶⌜eN⌝↯ der praktiſchen Philoſophie auf die Erkenntnißlehre und entwirft fünf[+⫮]↯ urſprüngliche und fünf abgeleitete logiſche Jdeen, wie Herbart fünf urſprüngliche und fünf abgeleitete praktiſche
294
Jdeen darſtellt. Der Grund der Eintheilung iſt hierdurch nicht ſcharf
295
genug. Ferner iſt es ſehr zweifelhaft, ob [eine⫮] [ſolche Aufgabe⫮]↯
284 285
291
296 297 298 299 300 301 302
|4/1r
Befolgung darum an ſich tragen, weil wir unwillkührlich und unauf-
[Zur⫮]⌜Jndeſſen ſchon [B]↶⌜bÜ⌝ei↯ einerers⌝H.2⧸ vorläufigen Betrachtung ſpr[e]ach[e]b[n⫮]↶spr⌜iN⌝ach⌜tÜ⌝b [die folgenden⫮]↯ einiges gegen die Strenge dieſer Eintheilung: Zunächſt
283
233
treten nach dieſem Eintheilungsgrunde Logik und Aeſthetik nicht
be[d]↶⌜iN⌝↯ den Erfahrungs〚[g⫮]2〛1↶⌜bÜ⌝egriffen↯ eine|
|4/1v
||3) Joh. Frdr. Herbart Lehrbuch zur Einleitung in die Philoſophie.
||4/1r
ſolche Aufgabe vorlieg〚[t⫮]2〛1↶⌜eÜ⌝[.]↶⌜,Ü⌝↯ wie die ⧸⌜3t. Aufl. [+++]↶⌜183Ü⌝4.↯erg⌝H.2⧸ §5 ff.
4) Dr. Ed. Bobri[ck]↶ kÜ
⌜ ⌝↯ neues praktiſches Syſtem der Logik. I, 1. urſprüngliche Jdeenlehre. Zürich 1838{.} § 12 ff{.}
Erläuterungen:
296 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Unterlänge des .
297 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Oberlänge des .
Genetische Darstellung
234
Ethiſche Unterſuchungen
303
von Herbart behauptete metaphÿſiſche Berichtigung und Er-
304
gänzung. Was ⧸als Widerſpruch angeſehen wird,H.1⧸⌜er ihn-
305 306 307 308 309 310
energ⌝ [als]↶⌜fürÜ⌝ Widerspruch [angesehen⫮] [wird⫮] ⌜erklärters⌝,H.2⧸ das wird ⧸theilsH.1⧸[theils⫮]H.2⧸, wie an-
derswo nachgewieſen worden, ⧸theilsH.1⧸[theils⫮]H.2⧸ auch in der Bearbeitung der Begriffe nicht wirklich weggeſchafft, ſondern
nur ⧸ſcheinbarH.1⧸[scheinbar⫮]H.2⧸ für den Augenſchein ausge-
glichen;5) ⧸theilsH.1⧸[theils⫮]H.2⧸ ja, es ⧸darfH.1⧸[darf⫮]
313
⌜wirders⌝H.2⧸ gar nicht als Widerſpruch erſcheinen, wenn nicht ein falſcher Maßſtab des Jdentitätsgeſetzes angelegt wird.6) Endlich würde
314
lich die praktiſchen Jdeen, wenn man den Widerſpruch in Herbarts
315
Sinne beſtimmt, denſelben Widerſpruch in ſich enthalten, wie z.B.
316
die Jdee der Billigkeit nach Herbarts Auffaſſung nicht ohne [Verä⫮]↯
311 312
317 318
er ſich fragen, ob nicht auch die aeſthetiſchen Begriffe und nament-
die durch eine Handlung eingetretene Veränderung gedacht wird, welcher Begriff nach Herbarts Metaphÿſik ſich in ſich| widerſpricht.
319
Aus dieſen Gründen wird Herbarts Fundament der Eintheilung ſich
320
⧸kaumH.1⧸[kaum⫮]⌜nicht einmalers⌝H.2⧸ unter ſeinen eigenen Vorausſetzungen, aber viel weniger außerhalb ſeines Sÿſtems halten
321 322 323
können.
Sollte ſich ⧸hiernach die menſchlicheH.1⧸[hiernach⫮]
327
⌜nach dieſen fehlgeſchlagenen Verſucheners⌝ d[ie]↶d⌜asÜ⌝ ⌜verſchiedene Verhalteners⌝ menschliche⌜rers⌝H.2⧸ Thätigkeit
328
der Gegenſtände.
324 325 326
|4/2r
nicht eignen, um einen Eintheilungsgrund der Philoſophie abzuge-
ben: ſo ſuchen wir ihn auf der andern Seite, in der Verſchiedenheit
329 330
||5) Logiſche Unterſuchungen B. I. S. 137 ff.
331
6) Logiſche Unterſuchungen B. II. S. 95 f.
||4/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
235
332
Es begegnet uns auf dieſem Wege eine alte Eintheilung, die zufolge
333
einer Bemerkung des Sextus Empiricus dem Keime nach bereits in
334
Plato liegt, aber erſt von den Stoikern zur Norm des Sÿſtems genom-
335
men wurde. Es iſt die Eintheilung der Philoſophie in Logik, Phÿſik
336
und Ethik.
337
Die alten Stoiker ſahen dabei die Phÿſik als den Kern oder den
338
Quell der Erkenntniß an; denn die Phÿſik, welche in die Vernunft
339
der Natur als in den ⧸letztenH.1⧸
340 341 342
Letzten ⌜göttlichenAV⌝
H.2⧸
Urſprung zu-
rückgeht, iſt ihnen[,⫮] [wie⫮]↯ in demſelben Sinne, wie dem Ariſtoteles die Metaphÿſik, die göttlichſte unter den Wiſſenſchaf-
ten. Sie vergleichen die Philoſophie dem lebendigen Leibe eines
343
Thieres und zwar den logiſchen Theil den Knochen und Sehnen,
344
den ethiſchen dem Fleiſch und Blut, den phyſiſchen| endlich der
345
Seele
346
347
348
349
|4/2v
⧸. Oder ſieH.1⧸[.]↶⌜;N⌝ [O]der↶⌜oÜ⌝der sieH.2⧸ {.}
vergleichen nach dem Bilde eines Eies den logiſchen Theil der Schale, den ethiſchen dem Weißen, den phyſiſchen dem Dotter; oder nach dem Bilde eines fruchtbaren Ackers den logiſchen Theil der Umzäunung, den ethiſchen der Frucht, den phÿſiſchen dem Boden oder dem Baume.
Erläuterungen: 339 göttlichen] spät ergänzte Alternativvariante. Da Tr. keine Anmerkungen darüber hinterlässt, welche Variante gilt, wird für die Textkonstitution die ältere schonmals gesetzte Version verwendet und die Alternative unter dem Klartext vermerkt.
345−349 oder bis Baume] Vermeidung von Redundanz. Tr. beschränkt sich in der dritten Textstufe (H.3) auf eine metaphorische Umschreibung der Philosophie und ihrer Teile durch die Stoiker und klammert die anderen Bilder aus dem Vortrag aus.
Genetische Darstellung
236
Ethiſche Unterſuchungen
350
Wie die Logik darnach als das Zuſammenhaltende betrachtet wird,
351
ſo bildet die Phÿſik den geſtaltenden, hervorbringenden Mittelpunkt.
352
354
Hiernach ⧸würde die Folge derH.1⧸würde⌜nerg⌝ [die⫮] [Folge⫮]
355
Jndeſſen erkannten die Stoiker auf der einen Seite dıe Wechſelwir-
353
356 357
d[er]↶d⌜ieÜ⌝H.2⧸ Theile, wenn wir von i[h⫮]↯nnen nach außen gehen, in der Reihe der Phÿſik, Ethık, Logik auf einander folgen. kung der Theile ⧸u.H.1⧸〚[u⫮]1.〛2↶⌜,Ü⌝H.2⧸ wollten keinen
dem andern ⧸voranſtellenH.1⧸voran[stellen⫮]⌜ſetzeners⌝H.2⧸
358
u. änderten die Folge nach dem vorliegenden Zweck des Vortrags
359
u. der Lehre; auf der andern Seite ſtellten ſpätere Stoiker nach der
360
vorwiegenden Richtung, die ſie nahmen, die Ethik in das eigentliche
361
Centrum.7)
362 363 364 365 366
|Da die [Philoſophie⫮]↯ ſtoiſche Eintheilung der Philoſophie aus
der Sache⧸⌈,⌜aus dem innern Verhältniß der Gegenſtände{,}erg⌝erg⌉
H.2⧸
entnommen iſt, ſo hat ſie ſich neben jener ariſtoteliſchen bis in
die neueſte Zeit behauptet.
Carteſius z.B. hat über die Eintheilung der Philoſophie nur eine
367
allgemeine Bemerkung,8) aber ſie ſtimmt im Weſentlichen mit der
368
ſtoiſchen [Einth⫮]↯ Anſchauung. Carteſius ſagt, die Philoſophie
369 370
|5/1r
gleiche einem Baume. Seine Wurzeln ſeien die Methaphÿſik − und
er beſtimmt ausdrücklich, daß die Principien der Erkenntniß, die
371
Entwicklung der weſentlichen Attribute Gottes, der Jmmaterialität der
372
Seele und aller klaren und einfachen Begriffe, die ſich in uns finden,
373
zur Metaphÿſik gehören, ſo daß dieſe Disciplin im carteſiſchen Sinne
374 375
||7) Diog. Laert. VII. 40 Sext. Empir. adv. mathem. VII. 16 ff.
376
vgl. Plutarch. De Stoicorum repugnantiis. c. 9.
377
||8) epiſt. ad principiorum philosophiae interpretem Gallicum p. 10 f.
378
nach der Amſterd. Ausgab. [+⫮]↯ 1685. [p. 10 f.⫮]↯
||4/2v
||5/1r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 379 380 381
der [B⫮] [ſ⫮]↯Logik der Stoiker und dem metaphyſiſchen Theil ihrer Phÿſik entſprechen würde. Der Stamm jenes Baumes, führt
Carteſius fort, ſei die Phÿſik, die aus ihm hervorwachſenden Zweige
382
die übrigen Wiſſenſchaften, welche auf drei zurückgehen, Medizin,
383
Mechanik und Ethik,[1)⫮]↯ ſo daß wi[r]↶⌜rNZ⌝↯ in dieſen den an-
384 385 386 387
dern Theil der ſtoiſchen |Phÿſik ſammt der Ethik vor uns haben.
⧸Vergebens verſucht man aus Spinoza de intellectus emenda-
tione p. 417. f{.} eine Eintheilung de[s]↶de⌜rÜ⌝ [Sÿſtems⫮]↯ Philoſophie zu gewinnen.H.1⧸[Vergebens⫮] [versucht man⫮]
391
⌜Man haters⌝ aus Spinoza de intellectus emendatione p. 417. f{.} eine Eintheilung der Philosophie zu gewinnen ⌜verſuchterg⌝[.]⌜;erg⌝
392
⌜aber [vergeblich, mit⫮]↯ mit Unrecht[.⫮]↯ und vergeblich.erg⌝H.2⧸ Denn es iſt dort nur von dem Studium der Wiſſenſchaften für den
Zweck der menſchlichen Glückſeligkeit und Vollkommenheit, von
393
einem Dienſt dieſes Studiums für das ethiſche Ziel u. nicht von ei-
394
ner theoretiſchen Gliederung der Principien die Rede. Es ſteht nichts
395
im Wege, bei Spinoza eine Eintheilung vorauszuſetzen, welche der
396
des Carteſius verwandt iſt. [Sein]↶⌜JnÜ⌝↯ ſeiner Ethik geht er einen ähnlichen Gang, von der Metaphÿſik im erſten Buche ⧸zur
388 389 390
397 398 399 400
[B⫮]↶⌜lN⌝ogiſche[r]↶⌜nÜ⌝↯ BetrachtungH.1⧸zu[r⫮] logi-
ſchen Betrachtung⌜enÜ⌝H.2⧸ im zweiten, wobei er die Principien der Phÿſik lemmatiſch zwiſchen legt, von da zur Pſÿchologie der
403
Leidenſchaften im 3t. u. 4t. Buch u. endlich ⧸⌜im 5tenerg⌝H.2⧸ zur Ethik im engern Sinne, dem Ziel des Ganzen. Zwar ſind auf dieſem
404
das Ganze verfolgt, in ihrem Umfang beſchränkt und in ihrer Richtung
401 402
237
Gange die wiſſenſchaftlichen Lehren durch den ethiſchen Zweck, den
Erläuterung: 356 ...⫮]2...〛1.] nach Überschreibung, Streichung des -Kringels.
|5/1v
238
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
405
gebunden; aber es läßt ſich dennoch daraus ein allgemeiner Entwurf
406
der Eintheilung im Sinne des Spinoza entnehmen.
407
|Jn jenen [B]↶⌜VÜ⌝ergleichen↯ der Stoiker, in dem Bilde des
408
Carteſius und in der Anordnung des Spinoza iſt der genetiſche Gang
409
angedeutet, den die Eintheilung verfolgen will. [D]↶⌜EsÜ⌝↯ ſollen die Disciplinen nicht in einem äußern Ueberblick neben einander
410 411 412 413
geſtellt werden, ſondern ſie ſollen ſich wie Bedingung und Bedingtes, Vorausſetzung und Folge[,⫮] [K⫮]↯ an einander reihen. Die ſichere ſoll die Baſis der ſpätern ſein.
417
Hegel will dies in einem noch ſtrengern Sinn, wenn er, ⧸⌜ähnlicherg⌝H.2⧸ wie die Stoiker, die Philoſophie in Logik, Philoſophie
418
innern Zuſammenhang erzeugen. Wenn man namentlich bei dem
419
meiſt formalen Jnhalt der ſtoiſchen Logik zweifelhaft ſein kann, [wo-
414 415 416
420 421 422 423 424 425 426 427 428
der Natur und Philoſophie des Geiſtes ⧸(Ethik)H.1⧸ [(Ethik)⫮]
H.2⧸
eintheilt. Die dialektiſche Methode ſoll von Glied zu Glied dieſen
hin⫮]↯ wo man ihr ihren Ort anzuweiſen hat: ſo ſteht Hegels Logik, die dialektiſche Vorbildnerin alles Concreten, nothwendig im Urſprung.
Jndeſſen entſcheidet dieſelbe Kritik, welche genöthigt iſt, [die dia]
↶⌜HegeÜ⌝ls dialektiſche Methode für eine Methode des Scheins zu erklären, auch über dieſe Eintheilung, ⧸die aus der Dialektik fließt.H.1⧸[die⫮]⌜welcheers⌝ aus der ⌜künstlıchςerg⌝ Dialektik fließt.H.2⧸ Wir müſſen daher die Ordnung der Natur auf einem einfacheren Wege ſuchen.
|Jn der Eintheilung und Reihenfolge der Wiſſenſchaften kreuzen
431
ſich leicht zwei leitende Geſichtspunkte, die Ordnung [−]↶⌜,Ü⌝ welche der Entſtehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche
432
Rückſicht durchſchneidet die genetiſche Strenge. Denn die genetiſche
433
Betrachtung ſchöpft aus dem Grunde der Sache, während ſich die
429 430
|5/2r
der Gang des Lehrens und Lernens nöthig macht. Die methodiſche
|5/2v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 434 435 436
methodiſche Anordnung den Bedürfniſſen des [menſc⫮]↯ ſich entwickelnden menſchlichen Geiſtes anpaßt.
Wir finden dieſe Einſchränkung oder Vermiſchung faſt in allen
437
Sÿſtemen. Jn Plato gehen die epagogiſchen Dialoge den dialektiſchen
438
voran: Ariſtoteles verlangt, daß man vor der Metaphÿſik, dıe ſonſt
439
von den erſten Gründen anhebt, die ⧸LogikH.1⧸[Logik⫮]⌜Analÿ-
440
tikers⌝H.2⧸ vorherwiſſe und die Peripatetiker ſtellen überhaupt die
441
Logik als das Werkzeug der Disciplinen, als Organon, vor den Jnbe-
442
griff derſelben. Von den Stoikern iſt bereits angeführt, daß ſie die Folge
443
nach dem Zweck veränderten. Carteſius griff in ſeiner Schrift über
444
die Methode ſelbſt in die Ethik vor, um die Freiheit der Unterſuchung
445
zu ſichern: Chr. Wolf| unterſchied ausdrücklich zwiſchen der metho-
446
dus demonstrandi u. methodus studendi. Kant [Kant⫮] [ſchickte⫮]
447 448 449 450 451 452 453 454 455 456 457 458 459
239
|6/1r
[ſeine⫮]↯ ſteckte durch ſeine [W⫮]↯ Kritik den Boden für das Sÿſ-
tem ab und ſchied Kritik u. Architekto〚[l⫮]2〛1↶⌜nÜ⌝ik↯ ſehr deutlich. Jn Hegels Lehre iſt bald die Phaenomenologie als die Erziehung
des Bewußtſeins zur ſpeculativen Erkenntniß, bald die hiſtoriſche
Einleitung ⧸⌜der Encÿklopaedieerg⌝H.2⧸ oder gar die ganze Geſchichte der Philoſophie für eine nothwendige Vor〚[ſ⫮]2〛1↶⌜bÜ⌝ereitung↯ erklärt, um den Standpunkt der grundlegenden Wiſſenſchaft, der Logik, aufzufaſſen.
⧸Namentlich iſt ein ſolches Hÿſteronproteron mit der Stellung
der Erkenntnißlehre unvermeidlich.H.1⧸[Namentlich⫮]⌜Bis zu
einem gewiſſen Punkteers⌝ ist ein solches Hÿsteronproteron [mit⫮]⌜iners⌝ der Stellung der Erkenntnißlehre unvermeidlich.H.2.1⧸[Bis zu einem gewissen Punkte ist ein solches
Erläuterungen:
448 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Oberlänge des .
452 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Unterlänge des .
240
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
460
Hÿsteronproteron in der Stellung der Erkenntnißlehre
461
unvermeidlich.⫮]⌜blDie Stellung der Logik (Erkenntnißlehre)
462
erſcheint wie ein Hyſteronproteron.blers⌝H.2.2⧸[blDie Stellung
463
der Logik (Erkenntnißlehre) erscheint wie ein Hysteron-
464
proteronbl]↶Die Stellung der Logik, der Erkenntniß⌜lehre{,} erſcheint insbeſondere wie ein HyſteronproteronÜ⌝ der meiſten
465 466 467 468 469 470 471 472 473 474 475
Sÿſteme.H.2.3⧸ Als Theorie der Wiſſenſchaft muß ſie in Principi-
en eingehen, welche [⌜ſie vonerg⌝⫮] den übrigen Wiſſenſchaften↯ angehören, und [doch]↶⌜welÜ⌝che [kann⫮]↯ ſie von ihnen erſt überkommt; und doch kann ſie ⧸ihnen nicht wohl nachfolgen, denn ſie ſoll ihren Grund ſichernH.1⧸[ihnen⫮]⌜im philoſophiſch-
en Syſtem den übrigen Disciplineners⌝ nicht wohl nachfolgen, denn sie soll ih[r]↶ih⌜nÜ⌝en ⌜denerg⌝ Grund sichernH.2⧸
u. [ih⫮]↯ den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des Denkens [ſteht⫮]↯
wird ſie im genetiſchen Sÿſtem zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer Seite der Pſÿchologie. Aber als Logik hat ſie die Aufgabe, nicht
476
blo[s]{ß} der Pſÿchologie, |ſondern auch den Wiſſenſchaften, welche
477
dieſer nothwendig vorangehen, zur Wegweiſerın zu dienen. ⧸Daher
478 479 480 481 482
wird man die Logik, wie ſchon im Alterthum geſchah, [d⫮]↯ vor das
genetiſche Sÿſtem ſtellen müſſen[.⫮]⌜,ers⌝↯ wobei ſich denn freilich mannigfaltige Vorausnahmen nicht umgehen laſſen.H.1⧸[Daher⫮]
[wird⫮] [man die Logik,⫮]⌜Dies doppelte Verhältniß bringt in die Stellung der Logik ein Schwanken, und man weiſt ihr meiſtens,ers⌝
483
wie schon im Alterthum geschah, vor das genetische Sÿstem
484
[stellen müssen⫮][,⫮] [wobei⫮][sich denn freilich mannig-
485 486 487 488
faltige Vorausnahmen nicht umgehen lassen.⫮]⌜ihren Ort an.ers⌝H.2⧸ Die Philoſophie entſteht im Unterſchiede von den einzelnen
Wiſſenſchaften weſentlich daraus, daß die nur vorausgeſetzten Princi-
|6/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 489
pien der einzelnen Wiſſenſchaften den Beweis ihrer Berechtigung
490
u. die zerſtreunten Anfänge den Zuſammenhang ⧸der Ein-
491 492 493
heitH.1⧸de[r]↶de⌜sÜ⌝ [Einheit⫮]⌜Ganzeners⌝H.2⧸ ſuchen. Es iſt daher nothwendig, daß dieſe allgemeine Aufgabe zunächſt erledigt werde. Denn die beſondern Disciplinen empfangen dadurch
497
⧸ihren UrſprungH.1⧸ihre[n⫮] [Ursprung⫮]⌜Wurzelners⌝H.2⧸ und ⧸⌜ihreerg⌝H.2⧸ gegenſeitige Stellung. Es beſchäftigt ſich da-
498
d.h. das Seiende in jenem allgemeinen Sinn, in welchem es nicht
499
das Beſondere iſt, aber den Grund des Beſondern in ſich trägt
500
− die Methaphÿſik. Sie wird daher, wie die Logik, allen einzelnen
501
Wiſſenſchaften voran|gehen.
494 495 496
mit diejenige Wiſſenſchaft, welche es von früh her unternommen
hat, das Seiende als Seiendes, das Seiende als ſolches zu erkennen
Logik und Metaphÿſik eröffnen [hi⫮]↯ nach dieſen Betrachtungen
502 503
die Philoſophie. Jndeſſen bilden ſie vielleicht nur die beiden ſich ein-
504
ander bedingenden Seiten Einer und derſelben Wiſſenſchaft, die wir
505
als Logik im weitern Sinne bezeichnen können. Dieſe Anſicht iſt dann
506
nothwendig, wenn es, wie nachgewieſen worden9), ein vergebliches
507
Bemühen iſt, eine formale Logik feſtzuhalten, wenn vielmehr der
508
Vorgang des Erkennens nur durch den Erwerb oder Beſitz der realen
509
Principien, welche den erkannten Dingen zum Grunde liegen, begrif-
510
fen werden kann, wenn alle Nothwendigkeit auf eine Gemeinſchaft
511
des Denkens und Seins als auf ihren letzten Urſprung hinweiſt, wenn
512
endlich die Lehre der Metaphÿſik nur von denſelben Principien der
513 514
241
9) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt 1. Th. I. S. 4 ff{.}
Erläuterung: 476 blo[s]{ß}] inkonsistente Schreibweise an die dominierende Schreibweise im Fragment angeglichen.
|6/2r
Genetische Darstellung
242
Ethiſche Unterſuchungen
515
Wiſſenſchaften, welche die Erkenntnißlehre behandelt, und von kei-
516
ner andern Baſis ausgehen kann. Dieſer Parallelismus des Denkens
517
und Seins aus einer innern Gemeinſchaft entſpringend, dieſe Einheit
518
der Logik und Metaphÿſik iſt in
519
520 521 522 523
524
525
526
527
528
529
gegebenenblerg⌝
dem Sÿſtem der bl⌜den
von mir früher heraus-
logiſchen Unterſuchungen entworfen| und begrün-
det worden. Erſt aus einer ſolchen Grundlegenden Wiſſenſchaft kann die Gliederung ⧸derH.1⧸der⌜jenigςerg⌝H.2⧸ Disciplinen folgen, deren Principien ſie enthält.
Wenn man ſich in den Punkt hineinſtellt, auf welchem über-
haupt erſt die Philoſophie in ihrem Unterſchied von den einzelnen Wiſſenſchaften entſteht: ſo wird ſich der ⧸ſcheinbareH.1⧸[schein-
{ } blObwol die Philoſophie, wenn wir die Geſchichte fragen, in ⌜ bare⫮]H.2⧸ Zirkel löſen, in welchem eine ſolche Wiſſenſchaft die foleiner Einheit mit den übrigen [Disc]↶⌜WiſÜ⌝ſenſchaf{-}[ten] genden philoſophiſchen Disciplinen zu begründen und doch auf ih↶⌜ tenNZ⌝ ↯ entſtand, ſo hat ſich durch d. Theilung
rem Grunde zu ſtehen ⧸ſcheinenH.1⧸schein[e]↶⌜tÜ⌝[n⫮]H.2⧸.
der Arbeit längſt dieſer Verband gelöſt u. die Philoſ. Die Philoſophie findet die
fındet jetzt die [u.ſ.w.] blerg⌝
einzelnen Wiſſenſchaften in ihrer Zer-
530
ſtreuung und in der Geſtalt vor, die ſie ſich für ſich gegeben haben.
531
⧸Die Logik wie die Metaphÿſik hat in ihnen ihren Stoff der Betrach-
532 533
tung; ſie findet in ihnen Methoden und vorausgeſetzte Principien vor
und ſieH.1.1⧸Die Logik [wie]↶⌜undÜ⌝ [die⫮] Metaphÿsik
|6/2v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 534 535 536 537 538 539 540 541
ha[t]↶ha⌜bN⌝en in ihnen ihren Stoff der Betrachtung; sie finde〚[t⫮]2〛1↶finde⌜nÜ⌝ in ihnen Methoden und voraus-
gesetzte Principien vor und [sie⫮]↯H.1.1⧸ haben die Aufgabe,
ihren Urſprung und ihre Einheit aufzuſuchen⧸; u. durchH.1⧸ [;⫮]
[u.⫮]{.} [d]urch↶⌜DÜ⌝urchH.2⧸ dieſe ⧸höhereH.1⧸[höhere⫮]H.2⧸ Auffaſſung der gemeinſamen Quelle, durch dieſe gegenſeitige Regelung und Belebung wird erſt der philoſophiſche Gehalt
erzeugt: Es kann nicht fehlen, daß in dieſem Vorgan[g]|ge diejeni-
542
gen Keime entſtehen, welche in der Entwicklung des Sÿſtems zu den
543
Principien der philoſophiſchen realen Disciplinen werden. ⧸Die
544 545 546 547 548 549
243
vereinzelte Wiſſenſchaft in ihrer geſchichtlichen GeſtaltH.1⧸Die
vereinzelt⌜nerg⌝ Wissenschaft⌜energ⌝ in ihre[r]↶ihre⌜nÜ⌝ geschichtlichen Gestalt⌜energ⌝H.2⧸ werden von der grundlegenden Wiſſenſchaft der Logik und Metaphÿſik vorausgeſetzt, aber die philoſophiſchen Disciplinen gehen in ihrer Gliederung aus ⧸derſel-
benH.1⧸[derselben⫮]⌜dieſerers⌝H.2⧸ hervor. Die Logik und Meta-
550
phÿſik greifen daher nicht in die philoſophiſchen Disciplinen vor,
551
ſondern in die empiriſchen zurück.
Der folgende Text wird in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassen: 552
Es bedarf an dieſer Stelle einer allgemeinen Orientierung, welche am
553
beſten durch einen Blick auf die Geſchichte der Philoſophie und der
554
Wiſſenſchaften geſchieht:
Erläuterungen: 518 f. den bis herausgegebenen] Verweis auf das eigene Werk in der dritten Textstufe (H.3) persönlicher formuliert. 529 [u.ſ.w.].] wird bei der Lesung der dritten Textstufe (H.3) ausgelassen.
535 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Oberlänge des .
541 Vorgang[g]e] überzähliges getilgt.
|7/1r
Genetische Darstellung
244 555
Ethiſche Unterſuchungen
Als die Philoſophie entſtand, war ſie mit den übrigen [Philo⫮]↯
556
Wiſſenſchaften eins. Wir führen nicht an, daß wir zur Zeit der
557
Anfänge in Thales, dem ioniſchen Phÿſiologen, einen Aſtronom
558
u. Geometer, in Pÿthagoras[,⫮]↯ einen Geometer u. Harmo-
559
niker⧸⌈,⌜ in Demokrit einen Mechanikererg⌝erg⌉H.2⧸ ſehen und daß ſchon damals die Analogien einzelner Wiſſenſchaften zu
560 561 562 563 564
Weltanſichten ⧸ausgedehntH.1⧸[aus⫮]gedehntH.2⧸ werden, wie
dies [ſ⫮]↯ in der Lehre des Pÿthagoras von der Zahl u. Harmonie an einem klaren Beiſpiel hervortritt. Erſt in |Plato wird die Philoſophie wahrhaft Sÿſtem, ein ſelbſtbewußtes Ganzes. Schon Plato ſtellt der
565
Dialektik, welche ihm die Methode der Philoſophie iſt, das große Ziel,
566
die bedingten Vorausſetzungen der Wiſſenſchaften zum Unbedingten
567
der Jdee und die zerſtreuten Erkenntniſſe zur Ueberſicht der Ver-
568
wandtſchaft unter ſich und mit der Natur des Seienden zu führen{.}
569
[B]↶⌜JnÜ⌝↯ dieſer Richtung lie〚[f⫮]2〛1↶⌜gÜ⌝en↯ bei Plato
570
die immer neuen, die wie abgeſtumpften Antriebe zu philoſophiſcher
571
Betrachtung. Aber in dem Drange nach der großartigen Einheit
572
verſäumt er den [Z⫮]↯ umgekehrten Zug zum Beſondern. Wir finden
573 574 575 576 577
bei ihm keine Eintheilung des Ganzen in die einzelnen Disciplinen
und nirgends eine ſichere Erklärung über das Verhältniß der verein-
zelten [Disciplinen⫮]↯ Wiſſenſchaften und ihrer Methoden [u⫮]↯zur
Philoſophie u. Dialektik. Denn wenn auch Plato von einem Hinauf= und Herabſteigen auf dem Gebiete der Jdee ſpricht, ſo fehlt ihm doch
578
in jenem vorwiegenden Streben zur Jdee der beſonnene Entwurf des
579
Beſondern, der Gang zu den Wiſſenſchaften zurück. Bei Plato heißt
n20
|7/1v
Randnotiz Tr.’s:
Erläuterungen:
Nr. 7 vermutl. zu Z. 552−737:
n20 Fortzuſetzς bis S. 2.] Die Textauslassung ab Zeile 552 gilt bis 737.
||blFortzuſetzς auf Bog. 9. S. 2.bl
||7/1r
569 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung des Oberlängenansatzes des .
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 580
ſelbſt noch eıne einzelne Wiſſenſchaft, wie die Geometrie, eine
581
|Philoſophie (φιλοσοφία τιs), wie noch bei Ariſtoteles ein
582
wiſſenſchaftlicher Schluß φιλοσόφημα heißt. ⧸Eine ſcharfe Schei-
583 584 585
ihren Theilen auf der einen, und den vereinzelten Wiſſenſchaften auf
der andern Seite noch nicht da.H.1⧸[Eine scharfe Scheidung,
ein ausgesprochener Gegensatz ist zwischen der Philosophie
587
u. ihren Theilen auf der einen, und den vereinzelten
588
Wissenschaften auf der andern Seite noch nicht da.⫮]⌜Es mag
590 591 592
ſcheinen, daß in Ariſtoteles der Gegenſatz zwiſchen der Philoſophie und den einzelnen Wiſſenſchaften entſchieden werdς{.}ers⌝H.2⧸
Ariſtoteles unterſcheidet ⧸⌜nämlicherg⌝H.2⧸ die Auffaſſung der Thatſache (τò ὄτι) und die Erforſchung des Grundes (τò δίοτι); er
593
nennt jene ἱστορία (z.B. de inceſsu animalium c. 1), u. man hat dieſe
594
hingegen in 〚[ſ⫮]2ei〛1↶⌜AÜ⌝riſtoteles↯ Sinne φιλοσοφία nen-
595
nen wollen. Jndeſſen würde er einen ſolchen Gegenſatz ablehnen.
596
Die Thatſache und der Grund gehören nach ſeiner Anſicht dergeſtalt
597
zuſammen, daß ⧸nach ſeiner AnſichtH.1⧸[nach seiner Ansicht⫮]
598 599
H.2⧸
die genügende Erkenntniß der Thatſache zum Grunde führt
(eth. Nic. I. 2) und nur bisweilen erſt mit dem Grunde die Thatſache
600
hervorſpringt (analyt. post. II. 8). Jn Ariſtoteles kann man dieſe
601
zwei Seiten der Erkenntniß nicht wie zwei Gebiete der Wiſſenſchaft
602
ſcheiden und am wenigſten die Philoſophie [vor⫮]↯ jener ἱστορία
603
|7/2r
dung, ein ausgeſprochener Gegenſatz iſt zwiſchen der Philoſophie u.
586
589
245
entgegenſtellen. Jn ⧸derH.1⧸[der]↶⌜ſeiÜ⌝nerH.2⧸ oben berühr-
604
ten Eintheilung der Philoſophie haben alle Wiſſenſchaften Raum; und
605
wie Ariſtoteles in der Phÿſik |diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche
Erläuterung: 594 ...⫮]2...〛1.] nach Überschreibung, Streichung der hervorstehenden Unterlänge des .
|7/2v
246 606 607 608
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
die Thatſache und nur dieſe darſtellen, z.B. die Thiergeſchichte [u.⫮]↯ nicht ausſchließt, ſondern als Grundlage für die Erforſchung fordert
und in ſie aufnimmt: ſo würde auch folgerichtig zu der Politik die
609
Geſchichte der Staaten und die Beſchreibung der Verfaſſungen, wel-
610
612
che ⧸⌜ſo guterg⌝H.2⧸ ίστορίαι ſind, als die περὶ τὰ ζῶα ίστορία, in demſelben Verhältniß ſtehen. Nach einer andern Seite liegt eine an-
613
wendet bisweilen das Bild des Werkmeiſters, der für die verſchiedenen
614
Thätigkeiten der ausführenden Arbeiter gleichſam der Urſprung und
615
die Einheit iſt, auf die Wiſſenſchaften an und bezeichnet die leiten-
616
den im Gegenſatz gegen die ihnen untergeordneten mit dem Namen
617
der [α⫮]↯ τέχvαι άρχιτεκτονικαι (metaphys. V. 1) und die Philoſophie
611
618 619
dere Beſtimmung, die hier in Betracht kommen könnte. − Ariſtoteles
könnte nun im vorzüglichen Sinne άρχιτεκτονική heißen. Aber theils nennt Ariſtoteles ſie nirgends ſo u. ſcheint vielmehr die erſte
620
Philoſophie, die Wiſſenſchaft der Urſprünge, mit dieſem Bilde zu er-
621
623
läutern (metaphys. I. [2]↶⌜1Ü⌝↯.), theils würde auch auf dieſem Wege |keine beſtimmte Scheidung von den einzelnen Wiſſenſchaften
624
Gegenſatz zwiſchen der Philoſophie und ihren Theilen auf der einen,
622
625 626
erzeugt werden. ⧸Hiernach iſt auch bei Ariſtoteles ein[e⫮]↯ ſcharfer und den vereinzelten Wiſſenſchaften auf der andern Seite noch nicht
da.H.1⧸Hiernach ist [auch bei Aristoteles⫮] ein scharfer
627
Gegensatz zwischen der Philosophie und ihren Theilen auf
628
der einen, und den vereinzelten Wissenschaften auf der an-
629
dern Seite ⌜auch bei Ariſtotelesers⌝ noch nicht da.H.2⧸ Es fehlt
630
an den Grenzbeſtimmungen.
633
Erſt in de[r]↶⌜mÜ⌝↯ alexandriniſchen Zeitalter vollzog ſich die Theilung der wiſſenſchaftlichen Arbeit entſchiedener. Die einzel-
634
Grammatik in Zenodot, Ariſtarch und Ariſtophanes, die Geogra-
631 632
nen Wiſſenſchaften wuchſen damals durch einzelne Pflege, wie die
|8/1r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 635
phie in Eratosthenes und ſpäter in Ptolemaeus, die Aſtronomie
636
638
[in]↶⌜inNZ⌝↯ Hipparch, und die Geometrie gab in Euklides das
639
Erſt in dieſer Zeit gehen die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich ih-
640
ren Weg und ſie löſen ſich, wie die Aſtronomie, die Geographie,
641
die Mathematik, mehr u. mehr von der Philoſophie ab, ⧸wenn
637
642 643
große Beiſpiel eines einzelnen ſich abſchließenden Sÿſtems und der ſich in beſtimter Abfolge ergebenden nothwendigen Erkenntniſſe.
auchH.1⧸[wenn auch⫮]⌜obwo[h]lers⌝H.2⧸ die Philoſophen, wie z.B. die hervorragenden Stoiker, fortwährend ⧸auchH.1⧸[auch⫮]
646
⌜auchers⌝H.2⧸ in den einzelnen Wiſſenſchaften forſchten u{.} |ſie mit dem Ganzen der Lehre zuſammenbrachten, wie wir dies
647
graphiſchen Verdienſte einzelner Stoiker erhalten hat. Selbſt die
648
neuplatoniſche Schule zerſchneidet nicht ganz das Band mit den ein-
649
zelnen Wiſſenſchaften und in Proklus στοιχείωσις θεολογικὴ verbin-
650
det ſie ſich auf ähnliche Weiſe mit der Architektonik von Euklides
651
Elementen, wie ſpäter ⧸Spinoza.H.1⧸Spinoza [.⫮]⌜ thut.ers⌝H.2⧸
644 645
652 653 654 655 656 657 658 659 660
247
z.B. in den Nachrichten ſehen, welche uns Strabo über die geo-
Nachdem das Mittelalter geſchieden war, ⧸das[,⫮]↯ nur The-
ologie nur die wiſſenſchaftlichen Elemente des Alterthums in träger
Ueberlieferung friſtete[t⫮]↯;H.1⧸das ⌜abgeſehen vonerg⌝ [nur] ↶⌜derÜ⌝ Theologie nur die wissenschaftlichen Elemente des Alterthums in träger Ueberlieferung fristete;H.2⧸
als ⧸[dann⫮]⌜ſichers⌝↯H.1⧸sich ⌜nunerg⌝H.2⧸ ein neues Leben in den einzelnen Wiſſenſchaften regte: e[rk]↶⌜ntÜ⌝warf↯ ⧸z.B.H.1⧸[z.B.⫮].H.2⧸ Campanella, um die Einſeitigkeiten zu ver-
meiden, welche ſich in der Philoſophie aus dem vorwiegenden
Erläuterung: 642 obwo[h]l] inkonsistente Schreibweise an die dominierende Schreibweise im Fragment angeglichen.
|8/1v
Genetische Darstellung
248
Ethiſche Unterſuchungen
661
Jntereſſe einer einzelnen Wiſſenſchaft erzeugen, eine Encÿklopaedie
662
des Wiſſens. Aber ⧸⌜ſoerg⌝H.2⧸ gewiſſenhaft[,⫮]↯ wie Campanella, theils in der alten Scholaſtik theils im ⧸neuen H.1⧸[neuen⫮]
663 664 665 666 667 668
H.2⧸
Geiſte der neuen Wiſſenſchaften ſtand, konnte er es zu
⧸derH.1⧸der ⌜ jenigenerg⌝H.2⧸ ⧸Einigung und Scheidung H.1⧸
⇆Scheidung und EinigungH.2⧸ nicht bringen, welche in dem
Verhältniß der Philoſophie u. der eınzelnen Wıſſen|ſchaften zu einer höhern, aber ſchwierigen Aufgabe wurde. Unter dieſelbe wird man
669
weder in Carteſius, noch in Spinoza genügende Auskunft finden.
670
Zwar ſucht Carteſius, wie in ſeinen Meditationen, in ſeiner Schrift
671
über die Methode, einfache Prinzipien, ⧸und führt ſie namentlich
672
nach der SeiteH.1⧸und führt sie⌈[,]⌜, wie in ſeiner Schrift der prin-
676
cipia philoſophiae,erg⌝erg⌉ namentlich [nach der Seite⫮]⌜für die Erklärungers⌝H.2⧸ der phÿſiſchen Erſcheinungen [bi⫮]↯ in
677
Seite ziemlich leer aus, theils fehlt der Geſichtspunkt, unter welchem
673 674 675
678 679 680
ihre Folgen hinaus. Aber theils iſt die Anwendung zu beſchränkt u.
⧸namentlichH.1⧸[namentlich⫮]⌜esers⌝H.2 geht die ethiſche ſich die Philoſophie mit den einzelnen Wiſſenſchaften aus einander
ſetzen könnte. Spinoza hält ſich überall [mehr⫮] 〚[i⫮]2〛1/a[m]b
↶⌜vÜ⌝a⌜oÜ⌝bm [P⫮]↯ Metaphÿſiſchen aus mehr im [Eth⫮]↯
681
Pſÿchologiſchen und Ethiſchen. Chriſtian Wolf unterſcheidet das
682
Rationale von dem Empiriſchen und rückt mit dem vermeintlich
683
Rationalen in das Empiriſche, wie mit einem nothwendigen Prinzip
684
in den [+]↶⌜gÜ⌝egebenen↯ Stoff vor. Aber erſt Kant übt an dieſen
685 686
|8/2r
Begriffen die Kritik. Kant führt das Rationale auf das Allgemeine und Nothwendige und das Allgemeine und Nothwendige auf den Ur-
Erläuterungen: 672 [,].] im Zuge der Spätergänzung überzähliges Komma getilgt.
679 ...⫮]2〛1/a.] nach Überschreibung, Streichung des -Punktes.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 687
ſprung im erkennenden Geiſte, auf das Element des a priori zurück.
688
[J⫮]↯ Aus dieſer Quelle ſchöpfte er |die metaphÿſiſchen Prinzipien,
689 690 691 692 693
auf ſubjectivem Boden eine Transſcendentalphiloſophie entſtand, befeſtigt ſich eine K[u]↶⌜lÜ⌝uft↯ zwiſchen dem Subjective[m]{n}
u{.} Objective[m]{n} und es [ſtellt⫮]⌜vermagers⌝↯H.1⧸Aber indem
ihm auf subjectivem Boden eine Transscendentalphilosophie
696 697
den einzelnen Wiſſenſchaften und der Philoſophie herzuſtellen.
695
698
vermagH.2⧸ ſich kein natürliches und geſundes Verhältniß zwiſchen
Von Kant her überwog in der deutſchen Philoſophie die Richtung
699
auf aprioriſche Conſtruction und der Zwieſpalt mit den einzelnen
700
Wiſſenſchaften wuchs immer mehr. Denn ſie wurden nicht ſelten ſo
701
704
behandelt, als gäben ſie für d[+]↶⌜iÜ⌝e↯ nothwendigen Erzeugniſſe der Philoſophie nur die Beiſpiele her, und ⧸⌜ſieerg⌝H.2⧸ mußten ſich viel gefallen laſſen, um der Philoſophie zu dienen.
705
Weſens und trachteten nach einer autonomen Stellung gegen die Phi-
706
loſophie, der ſie entrathen zu können meinten. Noch heute leidet das
707
wiſſenſchaftliche Studium an dieſem Widerſpruch.
702 703
Sie ſträubten ſich dagegen mit dem Triebe ihres eigenthümlichen
708
Herbart iſt beſonnener verfahren. Jndem er die Philoſophie in die
709
Bearbeitung der Begriffe ſetzt, empfängt er die Begriffe von der Empirie
710
[,]a[⎵]b[er]c↶⌜uÜ⌝anb⌜dÜ⌝c2[r⫮]3 nimmt [di]↶⌜voÜ⌝n1↯ ihr die
711
|8/2v
mit denen er alle Wiſſenſchaften befruchtete. ⧸Aber indem ihm
entst[and]↶entst⌜ehtÜ⌝, befestigt[e⫮] sich ⌜ihmerg⌝ eine Kluft zwischen dem Subjective{n} u{.} Objective{n} und es
694
249
Elemente ⧸be|wußt.H.1⧸be|wußt ⌜u. ausdrücklich auf.erg⌝[.]H.2⧸
Erläuterung:
691 f. Subjectivem bis Objectivem] Deklinationsfehler. Wird durch Hrsg. korrigiert.
|9/1r
Genetische Darstellung
250
Ethiſche Unterſuchungen
712
Bis ſo weit mögen wir ihm folgen. Aber die Weiſe, wie er die Aufgabe
713
der Bearbeitung auffaßt, iſt bereits [a]ab〚[g⫮]2〛1/b↶⌜oÜ⌝ab⌜eÜ⌝bn↯
714 715 716
abgelehnt worden.
Jn den Anfängen der Geſchichte waren die Philoſophie und
die einzelnen Wiſſenſchaften eins und es kann als ⧸einH.1⧸
719
[ein]↶⌜dasÜ⌝H.2⧸ Ziel erſcheinen, daß ſie wieder eins werden. Aber dies Ziel iſt nur zu erreichen, wenn ſie beide ihre eigenthümliche
720
Es hilft nichts, wenn, wie in Kants Transſcendentalphiloſophie,
721
der innere Zuſammenhang des Allgemeinen mit dem Beſondern, das
722
a priori mit dem a posteriori, der ⧸FormH.1⧸Form⌜energ⌝H.2⧸ mit dem
717 718
Aufgabe und dadurch ihre gegenſeitige Stellung richtig auffaſſen.
723
Stoff, des Jdealen mit dem Realen nicht gefunden werden kann und
724
zwiſchen dieſen Seiten nur ein äußerliches Verhältniß zu Stande ge-
725
bracht wird. Es kann nichts helfen und es erzeugt ⧸nurH.1⧸n[u]a[r]b
726 727
↶⌜icN⌝a⌜htÜ⌝bsH.2⧸ ⌜alserg⌝ einen verwirrenden, verderblichen Schein philoſophiſcher Erkenntniß, ⧸wennH.1⧸wenn ⌜unter dem
731
Namen des reinen Denkenserg⌝H.2.1⧸wenn unter dem Namen [des⫮] reine[n]↶reine⌜rÜ⌝ [Denkens]↶⌜GedanÜ⌝kenH.2.2⧸
732
Denkens galt ausgegeben in vermeintlicher Selbſtbewegung⫮][,⫮]↯
728 729 730
733
aus den einzelnen Wiſſenſchaften unkritiſch u. heimlich Elemente
aufgenommen werden, [welche ſür⫮] |[Erzeugniſſe des reinen damit ſie ın anſcheinender Selbſtbewegung ein nothwendiges Wiſſen
734
erzeugen, das ſich hoch über die einzelnen Wiſſenſchaften erhebe.
735
⧸BeiH.1⧸[Bei]↶⌜AuÜ⌝fH.2⧸ einem ſolchen Wege iſt zwiſchen
736 737
der Philoſophie und den einzelnen Wiſſenſchaften, ſtatt daß ſie [ſi⫮]↯ einander beleben ſollen, ein unheilbarer Zwieſpalt unvermeidlich. Ende des in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassenen Textes.
Erläuterung: 713 ...⫮]2〛1/b.] nach Überschreibung, Streichung der Unterlänge des .
|9/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften Es bleibt eine Thatſache, daß die Wiſſenſchaften, indem ſie ⧸aus
738 739 740 741
742
ſichH.1⧸[aus sich⫮]⌜von ſelbsters⌝H.2⧸ eine Methode ſuchen, welche ſich dem einzelnen Gegenſtande eigenthümlich anſchmiege, bl ⌜blindem sie sich aus eigenem Bedürfniß Principien bilden erg⌝ bl ⌜blindem ſie ſich aus eigenem Bedürfniß Principien bilden erg⌝
in ſicherem Gange
endlos
wachſen; und als einzelne Wiſſen-
743
ſchaften ſich nur ſo weit um die übrigen kümmern, als ſie bei ihnen
744
Hülfe ſuchen und zu Borg gehen. Es bleibt hingegen eine Forderung, die blinden Vorausſetzungen
745 746
747 748 749 750 751
der einzelnen Wiſſenſchaften
⌈bl,bl⌜blsei es in der Methode, sei es
⌈bl,bl⌜blſei es in der Methode, ſei es
in den [Me]↶⌜PrÜ⌝incipien↯,blerg⌝erg⌉
zu unterſuch[u⫮]↶⌜eN⌝n↯ in den [Me]↶⌜PrÜ⌝incipien↯,blerg⌝erg⌉ u{.} auf den letzten Grund zurückzuführen, die Wechſelwirkung,
in welche[r⫮] die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich [ſtehen⫮]↯
[,]↶⌜nÜ⌝ur↯ beiläufig treten, zu einer durchgehenden und nothwendigen zu erheben, die einzelnen Wiſſenſchaften [v]↶⌜aÜ⌝us↯
752
dem Gedanken des Ganzen |zu begreifen und von dieſem Mittelpunkt
753
aus ⧸neuH.1⧸[neu⫮]H.2⧸ zu beleuchten und zu beleben. Wenn
754
die Vorſtellung nicht leer iſt, daß die Wiſſenſchaft[en⫮]↯ zuletzt Ein
755
Ganzes darſtelle und Ein Leben habe, wie die Welt, deren geiſtiges
756
Gegenbild ſie zu ſein trachtet: ſo ſind die einzelnen Wiſſenſchaften
757
[,⫮] [ſo lange ſie⫮]↯ nur die aus einander geworfenen Glieder, welche
758
251
das Ganze ſuchen u. [i]n↶⌜aN⌝n dem [nie raſtenden Verſuche der
Erläuterung:
741−747 indem bis Principien] Die beiden vermutl. in einer Arbeitsphase der dritten Textstufe (H.3) durchgeführten Spätergänzungen werden mit Einweisungssymbol alternativlos ergänzt und gelten nach Ansicht des Hrsg. auch rückwirkend für die zweite Textstufe (H.2).
|9/2r
Genetische Darstellung
252 759
Ethiſche Unterſuchungen
Philoſophie⫮]↯ Einen Leben Theil zu haben trachten. ⧸Es liegt hier
760
die mit der Erkenntniß des Einzelnen wachſende, und ſich nun vertie-
761
fende Aufgabe der Philoſophie.H.1⧸Es liegt hier die ⌜ewig neueerg⌝
765
mit der Erkenntniß des Einzelnen wachsende[ und⫮]⌜,ers⌝ sich [nun⫮]⌜mit ihr immerers⌝ vertiefende Aufgabe der
766
ihrer Metaphÿſik, in der Religion geben, wie bei den orientaliſchen
762 763 764
767 768 769 770 771
Philosophie.H.2⧸ Wo es noch keine einzelnen Wiſſenſchaften
giebt, da mag es ein Analogon der Philoſophie, [u⫮]↯ insbeſondere Völkern, aber es giebt dort keine eigentliche Philoſophie.
Jndem die Philoſophie ⧸einzelneH.1⧸⌜dieerg⌝ einzelne⌜nerg⌝ H.2⧸ Wiſſenſchaften vorausſetzt, wird ſie damıt beginnen, zu dem bezeichneten Zwecke die Methoden und die Principien derſelben
zu unterſuchen und die letzte Quelle ihrer Nothwendigkeit zu
772
erforſchen. Wenn es nicht möglich ſein wird, die logiſche That in den
773
Wiſſenſchaften anders als aus den realen Principien zu ⧸begreifenH.1⧸
774
[begreifen⫮]⌜verſteheners⌝H.2⧸ u. die realen Principien anders
775
als in ihrer logiſchen |Wirkung aufzufaſſen: ſo werden Logik und
776
Metaphÿſik in Eine Wiſſenſchaft zuſammengehen, welche Logik
777
im weitern Sinne heißen mag. Jndem ſie die Principien und die
778
780
〚ein[z⫮]2〛1↶⌜MeÜ⌝thoden↯ der einzelnen Wiſſenſchaften be-
781
ſophiſchen Begriffe hervorgehen, welche nun theils unmittelbar in
782
die einzelnen Wiſſenſchaften zurückfließen, theils die Beſtimmung
783
in ſich tragen, die Principe ⧸⌜oder der Grundgedankeerg⌝H.2⧸ der realen philoſopiſchen Disciplinen zu werden.
779
784
obachtet, gewinnt ſie ⧸⌜an ihnenerg⌝H.2⧸ ihr Material. Wenn ihre Aufgabe gelingt, ſo werden aus ihrer Thätigkeit die erſten philo-
Erläuterung:
778 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung der Unterlänge des .
|9/2v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
253
Der folgende Text wird in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassen: 785
Man kann fragen, wie ſich denn dieſe Principien der philoſophi-
786
ſchen Realdisciplinen, der Phÿſik und Ethik, zu einer concreten Er-
787
kenntniß entwickeln. Es iſt in dieſem Betracht zweierlei denkbar.
788
Entweder die Logik ermittelt eine Methode, welche dem abſoluten Er-
789
kennen [z]au[⎵]b[eig]c↶⌜aÜ⌝au⌜sÜ⌝b⌜ſchlÜ⌝cießlich↯ zu eigen ge-
790
hört, oder die Methode der Philoſophie, wenn ſie auch, nachdem das
791
Princip gefunden iſt, von dieſem her vorwiegend ſÿnthetiſch verfährt,
792
regelt ſich auf ähnliche Weiſe, wie in den einzelnen Wiſſenſchaften. Das
793
Erſte iſt bis jetzt trotz kühner und großer Verſuche mißlungen und die
794
Fußſpuren |ſchrecken, welche, wie in einen Jrrgang, [+]↶⌜nurÜ⌝↯
795 796
hineınführen, aber nicht herausweiſen. ⧸Wenn ſich vielmehr das Zweite als [das Sichere er⫮]↯ einen Erfolg verſpricht,H.1⧸Wenn
799
[sich⫮] vielmehr das Zweite al[s]↶al⌜lÜ⌝ein einen Erfolg
800
verspricht,H.2.1⧸Wenn ⌜blnunblers⌝ vielmehr das Zweite allein Princip, bei der Entwicklung des Grundgedankens die Kenntniß der
801
einzelnen Wiſſenſchaften wiederum mitwirken. Denn jeder Keim
802
bedarf der erregenden Reize, damit er wachſe[;⫮]↶⌜.N⌝↯ Die philoſophiſche That wird darin liegen, daß das philoſophiſche Princip
797 798
803 804 805 806 807
|10/1r
einen Erfolg verspricht,H.2.2⧸ ſo wird bei der Ableitung aus dem
[ſ⫮]↯ in der Gliederung des Beſondern ⧸[dargethan werde⫮]↯
[un]↶⌜thätigÜ⌝↯ [u]↶⌜ſeiÜ⌝↯{.}H.1⧸thätig sei[{.}] ⌈und für das ⌜untergeordnete Beſondere die Principien [b⫮]↯ erzeuge oder
bedinge.erg⌝↯erg⌉H.2⧸
Erläuterungen:
798 nun] Aufgrund des Schriftbildes erfolgt die mit Grafitstift ausgeführte Spätergänzung vermutl. im Zuge der Arbeiten an der dritten Textstufe (H.3) und gilt offenbar zunächst für beide Fassungen. Durch die Ausklammerung von Zeile 785–813 kann die Änderung der zweiten Textstufe (H.2) zugewiesen werden.
802 Die Umarbeitung des Semikolons zum Satzpunkt erfolgt durch die Streichung des Kommas. 805 {.}] Für die korrekte Lesung der Grundschicht ergänzt der Hrsg. temporär den Satzpunkt, enfernt diesen jedoch für die zweite Textstufe (H.2) wieder.
Genetische Darstellung
254 806 807 808 809 810 811 812 813
Ethiſche Unterſuchungen
für das ⌜untergeordnete Beſondere die Principien [b⫮]↯ erzeuge oder
bedinge.erg⌝↯erg⌉H.2⧸
Wenn auf dieſe Weiſe das Verhältniß der Philoſophie und der
einzelnen Wiſſenſchaften aufgefaßt wird, ⧸ſo werden ſich ihre
Thätigkeiten gegenſeitig anerkennen und fördern.H.1⧸so wer-
den [sich ihre⫮] [Thätigkeiten⫮] ⌜ſie einander nicht anfeinden und hindern, ſondern ſichers⌝ gegenseitig anerkennen und
fördern.H.2⧸
Ende des in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassenen Textes.
814
815
816
817
818
819
820
Jn dieſem Sinne ſetzen wir die „ logiſchen Unterſuchungen“ voraus ⌜blDer Ethik folgt hiernach eine Vorbereitung in d. Logik voraus und wünſchen ſie als eine Vorbereitung der folgenden Ethik anzu-
− u{.} wir entnehmen aus ihr nach frühern Unterſuchungen folgende ſehen, als das erſte Glied eines ⧸in ihrem [S]↶⌜GÜ⌝eiſte↯ entGeſıchtspunkte für die Frage nach dem Ort der Ethık{.}blerg⌝
worfenen Sÿſtems.H.1⧸[in ihrem⫮] [Geiſte entworfenen Sÿſtems.⫮]
⌜Sÿſtems.ers⌝H.2⧸ Wir müſſen daher auch von ihnen über den Ort
der Ethik Belehrung fordern.
Wenn die Grundbegriffe richtig ſind, welche als der Ertrag der
Erläuterungen: 814–918 Jn dieſem bis angedeutet wurde] Tr. beginnt hier mit größeren Umformungen und Ergänzungen, die der Konstitution der dritten Textstufe (H.3) dienen. Dabei bleibt die Fassung der zweiten Textstufe (H.2) weiterhin gültig. Auffällig ist, dass Tr. die textinternen Verweisungen auf die LU1 für die dritte Textstufe entfernt und durch neutralere Formulierungen ersetzt.
821 und 826 [an] bis [der].] Die spät gesetzten Varianten der dritten Textstufe (H.3) substituieren jeweilige Segmente der zweiten (H.2). Die Visualisierung des Vorganges wird hier durch den Hrsg. wieder getilgt. 829 und 834 {D}er und {D}ieſe] jeweils für die dritte Textstufe (H.3) in Majuskel abgeändert.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 821
255
„ logiſchen Unterſuchungen“ er|ſcheinen: ſo tritt an [an]⌈bl[Dıe]↶⌜AnÜ⌝↯blers⌉
die Stelle einer
822
nebenordnenden Eintheilung
823
Wiſſenſchaften
824
muß ſich abſtufen, wie ⧸ihreH.1⧸[ihre⫮]⌜dieers⌝H.2⧸ Principien,
bl ⌜blwird erg⌝
bl ⌜bl [+]↶⌜tÜ⌝↯reten erg⌝
eine Stufenfolge der . Denn dıe Erkenntniß
825
welche ſie in ſich concentrieren, und die Wiſſenſchaften ſind nur die
826
erſchöpfende Darlegung ⧸derH.1⧸
827
828
829
niſſe.
derH.2⧸
[der]⌜blihrerblers⌝
Erkennt-
Die logiſchen Unterſuchungen ⧸gingen nun darauf aus zu
zeigen, daß derH.1⧸[gingen nun darauf⫮] [aus zu zeigen,⫮] ⌜ergeben{.}ers⌝ daß derH.2.1⧸erg[e]ben↶erg⌜aÜ⌝ben{.} daß derH.2.2⧸ {D}er
830
Act des Erkennens, die Vermittlung des Denkens und Seienden,
831
durchweg nur durch bl ⌜blkann erg⌝ Thätigkeiten geſchehn, welche dem Denken und Seienden gemein-
832 833
834
835 836 837
des Subjectiven und Objectiven,
ſchaftlich ſind. dieſe {D}iese
Sie ergaben ferner, daß
⧸ſich H.1⧸[sich⫮] H.2⧸
Principien, welche logiſch und real zugleich ſind,
[derge-
ſta⫮]⌜ſichers⌝↯ abſtufen ⧸und das Princip der höhern StufeH.1⧸ bl ⌜blſtufen ſich aus erg⌝
und [das Princip⫮] d[er]↶d⌜ieÜ⌝ höher[n]↶höher⌜eÜ⌝ StufeH.2⧸
bl ⌜blſetzt erg⌝
die niedere voraus
ſetzt
und die nie-
|10/1v
Genetische Darstellung
256 838
839
840
841
842 843 844 845 846 847 848
dere
iſt. die Bedingung der höhern {.}
⌜bliſt erg⌝ benH.1⧸erg[e]ben↶erg⌜aÜ⌝benH.2⧸, daß bl
genſeitigen Verhältniß [den⫮] [G⫮]↯ gen bl NZ ⌝ ↯ ers ⌉ zum Grunde
Ethiſche Unterſuchungen Sie ⧸erge-
Principen in ſolchem ge-
⌈ [ bll i e g e n bl] ↶ ⌜ bll i e -
, logiſch und real, den Gruppen der Wiſſenſchaften
liegen.
{.}
Als logiſche[s⫮]↯ Principien gehen ſie in die
Selbſtthätigkeit, in eine [erzeu⫮]↯ ſich ſelbſt gewiſſe erzeugende That
des Geiſtes zurück; [woraus die ſub⫮]↯ als reale ⧸gehen ſieH.1⧸[gehen
ſie⫮]H.2⧸ in das thätige Weſen der Dinge. Nur aus dieſer Einheit iſt die
mächtige Nothwendigkeit zu |erklären, welche der Menſchengeiſt als eine reale immer weiter in den Wiſſenſchaften der Dinge hervorbringt. Hierdurch werden ſich die Wiſſenſchaften [ord⫮]↯ in derſelben Folge
851
ordnen müſſen, wie ſich ⧸ihreH.1⧸[ihre⫮]⌜dieers⌝H.2⧸ Prin-
852
dem Wege der Zergliederung erſch
853
wegung, welche als einfache und urſprüngliche Thätigkeit
849 850
854
855 856 857 858
cipien, die Quelle ihrer Nothwendigkeit, abſtufen.
Als die erſte Stufe in der aufſteigenden Linie, als die letzte auf
nachgewieſen wurde,
iene bl ⌜ bleint ers⌝
die conſtructive Be-
das erzeugende Princip für die Figuren im
, bl ⌜ bliſt erg⌝ das Princip der reinen mathematiſchen Erkenntniß. Von ihr geht alle
Raum für die Zahlen in der Zeit, überhaupt für die Formen
Möglichkeit zu bilden und nachzubilden aus; in ihr liegt der erſte Grund der Nothwendigkeit, welcher ſich durch alle ſpätern [Z⫮]↯
|10/2r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 859 860 861 862
863
864 865 866
Stufen durchzieht. Die ⧸⌜reinenerg⌝H.2⧸ mathematiſchen Wiſſenſchaften nehmen hiernach ⧸⌜im Sÿſtem der Wiſſenſchaftenerg⌝H.2⧸ die erſte Stelle ein.
Als die zweite Stufe erſch
Sinne
bl ⌜blſind ers⌝
reich[en]↶reich⌜tÜ⌝H.2⧸ die Organe für ſpecificirte Beweſind, und daß die
868
gänglich iſt,
871 872 873 874 875 876 877 878
, ſo weit |⧸die phÿſiologiſchen Unterſuchun-
gen reichen,H.1⧸die phÿsiologische[n⫮] Untersuchung[en⫮] gungen
870
ien
die Erfahrung der matebl ⌜ bleint ers⌝ Es wurde nachgewieſen, daß die riellen Kräfte durch die Sinne. {D}ie
867
869
257
bl ⌜blwird ers⌝
Materie, ſo weit ſie ⧸⌜unserg⌝H.2⧸ zu-
nur durch die Formen ⧸gefaßtH.1⧸
⌜auferg⌝gefaßtH.2⧸ und begriffen
wird
, durch Formen, in deren
Aneignung das Weſen der ⧸Sinne,H.1⧸Sinne[,⫮]⌜ beſteht unders⌝ H.2⧸ zu deren allgemeinen Verſtändniß die [Aufgabe⫮]↯ vorausgehende Stufe der Erkenntniß die Hülfe leiſtet. Jnwiefern die Er-
fahrung durch die conſtructive Bewegung und der Nachweis der Nothwendigkeit durch die mathematiſche Erkenntniß bedingt iſt, wurde bl ⌜blwird ers⌝
ſie auf die zweite Stufe geſtellt. Die Bewegung mit ihren
[N⫮]↯ nothwendigen Formen wird zum Leitfaden im Materiellen, ⧸und offenbart ſich in den phÿſiſchen Urſachen, durch die Richtung
des Woher.H.1⧸und [offenbart sich⫮] ⌜[ſie⫮]↯ die Trägeriners⌝ in
Erläuterung:
863 {D}ie] für die dritte Textstufe (H.3) in Majuskel abgeändert.
|10/2v
Genetische Darstellung
258 879 880 881 882
Ethiſche Unterſuchungen
den phÿsischen Ursachen, ⌜offenbart ſie ſicherg⌝ durch die Richtung des Woher.H.2.1⧸und [die Trägerin⫮] in den
phÿsischen Ursachen, offenbart sie sich durch die Richtung des Woher.H.2.2⧸ Dieſe zweite Stufe[,⫮]↯ iſt der Bereich der
883
wirkenden Kräfte, der materiellen Urſachen{.} Hiernach nehmen die
884
phÿſikaliſchen Wıſſenſchaften im weitern Sinne − die Erkenntnıß der
885
Materie − die zweite Stelle eın.
886
Die dritte Stufe charakteriſirt ſich durch eine eigenthümliche
887
Erhebung. Sie unterſcheidet |ſich von der zweiten und erſten, wie
888
das Organiſche vom Phyſikaliſchen und Mathematiſchen, wie das
889
Leben von nackten materiellen Kräften und conſtructiver Bewegung.
890
Es
891 892 893 894 895 896 897
wurde bl ⌜bliſt ers⌝
nach
gewieſen bl ⌜blzuweiſen ers⌝
, daß auf dieſer Stufe durch
die alten Begriffe bedingt ein neuer Grundbegriff auftrete, die Richtung der frühern umkehrend[.⫮]⌜,ers⌝↯ der Zweck[,⫮]↯ mit ſeinem Wohin, die innere Zweckmäßigkeit, die auf einem die Kräfte rich-
tenden Gedanken [ru]↶⌜bÜ⌝eruht↯. Ohne die frühern Stufen iſt weder die Verwirklichung noch die Erkenntniß des Zweckes möglich. Die frühern Stufen werden Mittel, die materiellen Kräfte in ⧸⌜bldem Gebieteerg⌝H.2⧸ ⌜bldem
Gebieteblerg⌝
der Natur, der Entwurf der conſtructiven
898
Bewegung beſonders in der Erkenntniß. Die Nothwendigkeit der frü-
899
hern Stufe bleibt, aber ein Gedanke verfügt über ſie[,⫮] [aus⫮]↯
900
für die Einheit eines Ganzen: für die Erzeugung [einer⫮]
903
neue[n]↶⌜rÜ⌝↯ Thätigkeiten. Der Gedanke eines Ganzen wird
904
Wiſſen|ſchaften des Organiſchen, die Erkenntniß der innern Zweck-
905
mäßigkeit in den Kräften des Lebens, die dritte Stufe ein.
901 902
|11/1r
die Seele einer phÿſiſchen Nothwendigkeit. Dieſe dritte Stufe iſt der
Bereich des organiſchen Lebens in der Natur. Hiernach nehmen die |11/1v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften
259
906
Ueber dem Organiſchen und auf dem Grund deſſelben erhebt
907
ſich ⧸dieH.1⧸[die⫮]⌜eineers⌝H.2⧸ vierte Stufe, das Ethiſche. Es
908
fragt ſich, ob es da eine Ethik im engern Sinne geben kann, wo es
909
nur eine Phÿſik der Kräfte giebt. Die Vorausſetzung alles Ethiſchen
910
iſt das Organiſche. Der Staat z.[B]{B}., dieſe ethiſche Bildung, iſt ein
911
Organismus, aber ein ſolcher, der, von dem blinden Organismus der
912
Natur weſentlich[e⫮]↯ verſchieden, eine höhere Stufe einnimmt. Der
913
innere Gedanke, der im Organismus der Natur verborgen liegt, wird
914
im Ethiſchen erkannt u. ſich ſelbſt bewußt. Der im blinden Leben
915
gebundene Zweck wird dadurch zugleich frei. Jn dieſem Betracht
916
erſcheinen die ethiſchen Wiſſenſchaften auf der vierten Stufe. Es wird
917
eine weſentliche Aufgabe ſein, dieſe Erhebung,
918
welche [wir⫮]↯ in
den logiſchen Unterſuchungen angedeutet wurde,
als wirklichen
921
Vorgang zur Anſchauung zu bringen. [ſ]↶⌜DN⌝ie↯ Pſÿchologie, die man als die Höhe der organiſchen Wıſſenſchaften anſehen kann,
922
|Jn dieſer Reihenfolge iſt die vorangehende Stufe die Bedingung
923
der folgenden; jene kann ohne dieſe, aber dieſe nicht ohne jene ge-
924
dacht werden; jene muß ⧸⌜voranerg⌝H.2⧸ als Bedingung da ſein, damit dieſe werde. Daher ziehen ſich die Geſetze der niedern Stufen
919 920
925 926
bildet inſofern die Grundlage des ethiſchen.
|11/2r
durch die höhern durch und erſcheinen darin als dienende Glieder.
Erläuterungen: 880 [die Trägerin⫮].] Tr. bemerkt erst während der Überarbeitungen zur dritten Textstufe (H.3), dass das Textsegment nicht mehr in die Syntax des Satzgefüges passt und streicht die Spätergänzung der zweiten Textstufe (H.2) mit einem kleinen Grafitstrich.
897 dem Gebiete] vermutlich in einer Arbeitsphase der dritten Textstufe (H.3) spät ergänzt, gilt die Variante dem Hrsg. aufgrund der alternativlosen Einweisung per Einweisungsstrich rückwirkend für beide Textstufen. 917 f. welche bis wurde,] Tr. kürzt abermals für die dritte Textstufe (H.3) einen Verweis auf die LU1.
260
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
927
Die Phÿſik begründet ſich durch die Rechnungen und Conſtruc-
928
tionen der Mathematik, die Phÿſiologie durch die vereinte Anwen-
929
dung mechaniſcher, phÿſikaliſcher, chemiſcher Geſetze; und die Ethik
930
wird, wenn ſie nicht eine falſche und ſie ſelbſt gefährdende
931
Selbſt[ſt]↶⌜änÜ⌝digkeit↯ begehrt, ⧸⌜anerg⌝H.2⧸ das Organiſche, an die Geſetze des Lebens, als [ſei⫮]↯ ihre nothwendige Vo-
932 933 934 935 936 937 938 939 940 941
rausſetzung gebunden ſein. ⧸Man erkennt dies Letzte in einzelnen Beiſpielen leicht u. namentlich da, wo auf der höchſten Stufe, [die]↶⌜ſelbſtÜ⌝↯ die Formel der erſten wieder erſcheint.H.1⧸Man
erkennt die[s]↶die⌜ſÜ⌝e [Letzte⫮] in einzelnen Beispie-
len leicht u. namentlich da, wo ⌜nocherg⌝ auf der höchsten Stufe, ⌜ der ethıſchen, erg⌝ selbst die Formel der ersten⌈,
⌜der mathematıſchenerg⌝,erg⌉ wieder erscheint.H.2⧸ Lange galt, um dies Eine anzuführen, der ariſtoteliſche Begriff der Gerechtigkeit und
wir finden ihn noch bei Leibniz. ⧸Wenn wir nun auf das Weſen ſehen,
945
ſo geht esH.1⧸Wenn wir nun auf [das]↶⌜ſeiÜ⌝n Wesen sehen, so geht e[s]↶e⌜rÜ⌝H.2⧸ in die mathematiſche Faſſung,
946
|daß ſich auf der Grundlage der mathematiſchen und phÿſiſchen
947
Kategorien die organiſchen in die ethiſchen erheben10). Es iſt kei-
948
ne wahrhafte Ethik denkbar, die nicht in die Pſÿchologie, u. keine
949
Pſÿchologie, die nicht in die Phÿſiologie als in ihre Bedingungen
950
952
zurückginge. Es hat für d[en]↶⌜ieÜ⌝↯ richtige und lebendige Auffaſſung des Wechſelverhältniſſes viel geſchadet, daß es ſeit
953
wurde, die Wiſſenſchaften wie getrennte Gebiete oder Felder zu be-
954
trachten, welche neben einander liegend nur die Grenze gemeinſam
955
haben. Vielmehr wird durchweg die [vorang⫮]↯ Thätigkeit des voran-
942 943 944
951
in die arithmetiſche und geometriſche Proportion zurück. Es iſt in ⧸
dieſemH.1⧸[diesem⫮]⌜demſelb{e}ners⌝H.2⧸ Sinne gezeigt worden,
[Plato⫮] [g⫮]↯ einem Bilde bei Plato g[ä]↶⌜aÜ⌝ng↯ und gäbe
|11/2v
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften 956
gehenden Kreiſes in die Thätigkeit des folgenden aufgenommen; und
957
⧸gerade durch dies Verhältniß geſchieht es, daß die auf dem einen
958 959 960 961 962 963 964 965 966 967 968 969 970 971
Gebiete erworbene Nothwendigkeit dazu beiträgt, eine neue Noth-
wendigkeit auf dem andern zu erzeugen.H.1⧸gerade durch dies
Verhältniß [geschieht es, daß⫮]⌜trägters⌝ die [auf⫮]⌜iners⌝
de[m]↶de⌜rÜ⌝ einen [Gebiete⫮]⌜Wiſſenſchafters⌝ erworbene Nothwendigkeit dazu bei[trägt,⫮]{,} eine neue Nothwendigkeit [auf⫮]⌜iners⌝ de[m]↶de⌜rÜ⌝ andern zu erzeugen.H.2⧸ Nach demſelben Princip ſollten ſich innerhalb der einzelnen
Stufen die einzelnen Wiſſenſchaften abſetzen und ⧸ausbilden; es ſind ⌜dazuerg⌝↯H.1⧸ausbilden[;]↶⌜.Ü⌝ [e]s↶⌜EÜ⌝s sind
dazuH.2⧸ → weiter mit Dbl. 12/1r, Z. 972 oder 12a/1r, Z. 972a 10)
Logiſche Unterſuchungen II. S. 86 ff. Geſchichte der Kategorienlehre
S. 370 ff.
Erläuterung: 968 →.] für die gültigste Version der Fassung (F1) wird direkt ab Dbl. 12a/1r, Z. 972a gelesen und für die Lesung der Vortragsfassung (F2) als Erstes das nicht ausgeklammerte Textsegment auf Dbl. 12a/1r in Z. 972a sowie, daran anknüpfend, der Text auf Bl. [12b], Z. 988b. Dieser ersetzt den letzten Abschnitt auf Dbl. 12a/1v ab Z. 988a, welcher Tr. vermutlich für einige Zeit in der dritten Textstufe (H.3) gültig bleibt.
261
Kapitel I – Erste Schlussfassung
Enthält die genetische Darstellung des Textes von Dbl. 12.
Kapitel I – Erste Schlussfassung
265
974
→|Anfänge [a+]↶⌜daÜ⌝↯, aber nur Anfänge, wie z.B. die reine Arithmetik von der Geometrie unabhängig, aber dieſe von jener ab-
975
zu individuellern und umfaſſendern Geſtaltungen erhebenden Rei-
976
he des Lebens folgt. Auf dem phÿſikaliſchen Gebiete hingegen
977
ſchwankt die Anſicht, ob man den erſten Grund in der Mechanik
978
der Feſten oder vielmehr in der ⧸ExpanſionH.1⧸[Expansion⫮]
972 973
979 980 981 982 983
hängig erſcheint, und wie im Organiſchen die Wiſſenſchaft der ſıch
⌜Phÿſikers⌝H.2⧸ der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe finden ſoll. Es iſt in der Unterſuchung der Kräfte noch nicht ⧸hinlänglicherH.1⧸ [hinlänglicher⫮]H.2⧸ gelungen, das Urſprüngliche und Erſte von dem Bedingten und Zweiten oder Dritten hinlänglich zu un-
terſcheiden. Die Durchführung dieſes genetiſchen Ganges bleibt
984
daher der Zukunft vorbehalten; aber wenn die Grundpunkte, die
985
entſcheidenden Abſtufungen{,} richtig erkannt ſind, ſo ſteht das Ziel
986
klar vor unſern Augen; und in demſelben Maße als man ſich ihm nä-
987
989
hert, wird die Methode [und]a[⎵]b[die]c↶⌜ſtrÜ⌝aenb⌜geÜ⌝cr und
990
vom Einfachſten und Allgemeinen |ausgeht und zum Jndividuellen
991
und Vi[+ſ]↶⌜elÜ⌝ſeitigſten↯ aufſteigt, der alſo von unten nach oben [führt⫮]↯ und zuletzt in das Gebiet führt, welches in unſerer
988
992 993 994
die Einſicht in die Nothwendigkeit umfaſſender werden.
Es iſt [ſ⫮]↯ eben der genetiſche Weg bezeichnet worden, der
|12/1v
Weltanſchauung die höchſte Stelle einnimmt.
Die genetiſche Methode läßt indeſſen noch eine andere Auffaſſung
995
zu. Der eigentlıche Urſprung der Dinge liegt nicht in den ſich ver-
996
ſchlingenden einzelnen Bedingungen, ſondern in dem Unbedingten,
n21
|12/1r
Randnotiz Tr.’s:
Erläuterung:
Nr. 8 vermutl. zu Z. 989−1045:
972 →|.] Schlussfassung 12 knüpft direkt an Dbl. 11/2v, Z. 968 an.
||blBeſſer in Abſchn{.} II?bl
||12/1r
Genetische Darstellung
266
Ethiſche Unterſuchungen
999
⧸das ausH.1⧸das [aus⫮]⌜iners⌝H.2⧸ ſich iſt und aus ſich begriffen wird. Die Ableitung, die dem Ausfluß aus dem Urſprung folgt,
1000
mit dem Begriff Gottes beginnen, und aus dieſer Quelle die erſte
1001
⧸undH.1⧸[und⫮]⌜wie dieers⌝H.2⧸ letzte Erkenntniß ſchöpfen. Da nicht die Zahlen oder Figuren, nicht die endliche Bewegung, nicht die
997 998
1002
müßte hiernach mit dem Unbedingten, mit der Jdee des Abſoluten,
1005
materiellen Kräfte ⧸[d]↶⌜alsÜ⌝↯H.1⧸[als⫮]H.2⧸ das ſchlechthin Erſte ſind, ſondern vielmehr nur die geſonderten Elemente, die
1006
langen Viele, daß die wahrhaft genetiſche Methode den eben be-
1003 1004
1007
[letz⫮]↯ in der Zerlegung zuletzt gefundenen Bedingungen: ſo verſchriebenen Weg ⧸umkehrtH.1⧸umkehr[t]↶umkehr⌜nÜ⌝H.2⧸
1008
u., wie Spinoza, aus Gott und |in der Form des Ewigen eine intuitiv
1009
erkenne.
1010
Wir lehnen es nicht ab, daß die genetiſche Methode in dieſem
1011
Sinne kann verſtanden werden; ja, wir mögen es einräumen, daß
1012
1014
⧸dieH.1⧸[die⫮]⌜eine ſolcheers⌝H.2⧸ Forderung in der Jdee der ſich vollendenden Erkenntniß liege. Aber ſie liegt nicht in unſern
1015
den11), daß wir von dem Abſoluten nur eine indirecte Erkenntniß
1016
haben. Schon dies muß uns abhalten, zu wähnen; als ob wir eine
1017
adaequate Erkenntniß des Unbedingten hätten, als ob wir, indem wir
1018
[ein]↶⌜dasÜ⌝↯ Unbedingte ſetzen, nun auch dergeſtalt ſeinen vol-
1013
1019 1020
|12/2r
Mitteln. Es iſt in den logiſchen Unterſuchungen nachgewieſen wor-
11) Jm 20t. Abſchnitt. II, S. 337[.] ff{.}
Erläuterungen: n21 Beſſer bis Abſchn{.} II?] Die Anmerkung bezieht sich auf den ab Zeile 989 mit Winkelklammer markierten Text. Tr. überlegt, ob er die dort kritisch behandelte spinozistische Position vom Absoluten als eigentlichen Ursprung alles Seienden und somit auch dem Ursprung, aus welchem die genetische Methode alle Erkenntnis intuitiv abzuleiten hätte, eher in Kapitel II abhandeln soll.
1020]S. 337[.].] da von der im Fragment sonst üblichen Quellenangabe abweichend, Punkt von Hrsg. getilgt. Der Verweis endet vermutl. zunächst hinter der Seitenzahl und das »ff« wird anschließend ohne Punkt ergänzt. Möglich ist jedoch auch eine zufällige Fehlleistung im Schreibprozess.
Kapitel I – Erste Schlussfassung 1021
len überſchwenglichen Jnhalt beſäßen, um es ſicher und ſcharf zu
1022
dem Princip der Ableitung zu machen. Wir wiſſen, daß die Sonne
1023
die Quelle des Lichts iſt u. der richtige Begriff der Sonne würde uns
1024
auch den richtigen Begriff des Lichts geben. Aber deſſen ungeachtet
1025
unterſucht die Phÿſik das Licht nicht unmittelbar an dieſer Quelle,
1026
⧸welcheH.1⧸[welche⫮]⌜deren Weſeners⌝H.2⧸ ſie auch nur durch
1027
indirecte Schlüſſe erreicht. Sie nimmt vielmehr den umgekehrten
1028
Gang, der allein zuverläſſig iſt. Auf ähnliche Weiſe |widerſetzen wir
1029
uns den Conſtructionen aus dem Abſoluten, die bis heute noch zu
1030
keinem Heil geführt haben.
1031
Jm Abſoluten ſcheide[n]↶⌜tÜ⌝↯ ſich die Methode des Erkennens von dem Wege des Urſprungs ſchlechthin. Während es ſelbſt
1032 1033
nie und nirgends entſpringt, wird es aus dem Entſprungenen erkannt.
1036
Nach der Richtung ⧸welcheH.1⧸⌜zu erg⌝welche⌜rerg⌝H.2⧸ uns das
1037
Urſprung{,} bleibt in demſelben Maße zweifelhaft, als wir zwar nach
1038
einem Zuge der Nothwendigkeit den unbedingten Urſprung ſetzen,
1039
aber als endliche Weſen den Begriff des Unendlichen ⧸⌜nichterg⌝H.2⧸
1034 1035
1040 1041 1042 1043 1044 1045
Bedingte anweiſt, ſetzen wir das Unbedingte. Aber die Ableitung des
Bedingten aus dem Unbedingten{,} des Entſprungenen aus dem letzten
dergeſtalt [zu⫮]↯ vollziehen können, um ihn wie einen endlichen Begriff gleich einem Keime ⌜zuerg⌝ entwickeln [zu kö⫮]⌜.ers⌝↯
Hiernach iſt mit dem Orte der Ethık, den wir für den Jnbegriff der
Wiſſenſchaften fanden, bereits eine Hinweiſung auf die hervorbringenden Bedingungen, auf den Grund der Ethik gegeben. Wir [folgen⫮]↯ gehen derſelben nach.
Erläuterung: 1045 der für Tr. typische Schlussstrich am Kapitelende entfällt aus Platzmangel.
267
|12/2v
Kapitel I – Zweite Schlussfassung, dritte Schlussfassung (Teil 1)
Enthält die genetische Darstellung des Textes von Dbl. 12a/1r bis /1v.
Kapitel I – Zweite Schlussfassung, dritte Schlussfassung (Teil 1) 972a
→|Anfänge da
, aber nur Anfänge, wie z.B. die reine Arithmetik von {.}
271 |12a/1r
Der folgende Text wird in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassen: 973a
der Geometrie unabhängig, aber dieſe von jener abhängig erſcheint,
974a
und wie im Organiſchen die Wiſſenſchaft der ſich zu individuellern
975a
und umfaſſendern Geſtaltungen erhebenden Reihe des Lebens folgt.
976a
978a
Auf dem phÿſikaliſchen Gebiete hingegen ſch[an]↶⌜wÜ⌝ankt↯ die Anſicht, ob man den erſten Grund in der Mechanik des Feſten
979a
den ſoll. Es iſt in der Unterſuchung der Kräfte noch nicht gelun-
980a
gen, das Urſprüngliche und Erſte von dem Bedingten ⧸u. d.H.1⧸
977a
oder vielmehr in der Phÿſik der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe fin-
983a
[u.]a[⎵]b[d.]c↶⌜oÜ⌝adeb⌜rÜ⌝cH.2⧸ Zweiten oder Dritten hinläng-
984a
die entſcheidenden Abſtufungen{,} richtig erkannt ſind, ſo tritt dadurch
985a
das Ziel hervor und in demſelben Maße als man ſich ihm nähert,
986a
wird die Methode ſtrenger und die Einſicht in die Nothwendigkeit
987a
umfaſſender werden.→ weiter mit Dbl. 12[b]/r, Z. 988b
981a 982a
lich zu unterſcheiden. Die Durchführung dieſes genetiſchen Ganges bleibt daher der Zukunft vorbehalten; aber wenn die Grundpunkte,
Ende des in der dritten Textstufe (H.3) ausgelassenen Textes. Genetisch ältere Variante der dritten Textstufe (H.3): 988a
Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem Organiſchen ge-
989a
tragen, u. was die Ethik Eigenthümliches erzeugt, das erzeugt ſie
990a
auf der Vor|ausſetzung dieſer Grundlage. Wenn ⧸⌜nunerg⌝H.2⧸ [der]↶⌜inÜ⌝↯ dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften der Ort der
991a 992a 993a
Ethik richtig erkannt iſt, ſo weiſt er bereits auf die hervorbringenden Bedingungen derſelben hin. Wir gehen dieſer Spur weiter nach.
994a
Ende der Variante.
|12a/1v
Genetische Darstellung
272
Ethiſche Unterſuchungen
Randnotiz Tr.’s: Nr. 9 Überlegung zur zweiten Schlussfassung: n22
||blOb fchon hier − üb. d. Theologıe als genet. Bdgς{.}
n23
dς{.} Ethik − wie weıt?bl
||12a/1v
Erläuterungen: 972a Anfänge da{.}] Das kleine Textsegment bleibt in der dritten Textstufe (H.3) gültig. Der hierfür notwendig gewordene Satzpunkt wird durch den Hrsg. ergänzt. 972a–987a [...], aber bis werden.] Das Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen und ist eine Abschrift von Dbl. 12/1r, Z. 972–988. Der ab Dbl. 12/1r, Z. 988 beginnende dreiseitige Schlusstext wird hierbei nicht übernommen und durch den kurzen Absatz Dbl. 12a/1v, Z. 988a–994a der Abschrift ersetzt. Da Tr. auf Dbl. 12a/2r f. direkt mit dem zweiten Kapitel weiterschreibt, scheint diese zweite Schlussfassung für einen gewissen Zeitraum gültig zu sein.
988a–994a Hiernach bis nach.] Zunächst wird Schlussfassung 12a mit einem Kapitelstrich abgeschlossen, später dann obige Frage (n22 f.) auf Bl. [12b] zusammen mit derjenigen nach der Erkenntnis der Ethik aus ihrem Bezug zum Unbedingten doch noch erörtert. Das verbliebene kleine Textsegment von Dbl. 12a und Bl. [12b] bildet miteinander kombiniert die dritte Schlussfassung. Bl. [12b] ersetzt den kompletten Text ab Dbl. 12a/1r, Z. 988a. Welche Schlussfassung Tr. schließlich bevorzugt, ist nicht mehr eindeutig zu ermitteln. n22 f. Ob bis weıt?] interne Randnotiz. Tr. ist sich nicht sicher, ob und wie ausführlich die Ansicht, dass die Theologie genetisch der Ethik als Bedingung vorangehe, noch an dieser Stelle behandelt werden soll.
Kapitel I – Dritte Schlussfassung (Teil 2)
Enthält die genetische Darstellung des Textes von Bl. [12b].
Kapitel I – Dritte Schlussfassung (Teil 2) Spätvariante zum letzten Abschnitt auf Dbl. 12a/1v, Z. 988a−994a: 988b
→|Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem Organiſchen ge-
989b
tragen und was die Ethik Eigenthümliches erzeugt, das erzeugt ſie
990b
auf der Vorausſetzung dieſer Grundlage. Wenn es der Pſÿchologie ge-
991b
lingt, auf dieſem Grunde das Weſen des eigenthümlich Menſchlichen
992b
zu beſtimmen: ſo öffnet ſie dadurch [die Quelle⫮]↯ der Ethik den Weg
993b
275 |12b/r
zu ihrem Princip.
Textsegment wird in der dritten Textstufe (H.3) nicht mitgelesen:
994b
Es ergiebt ſich auf dieſe Weiſe der Ort der Ethik in dem Jnbegriff
996b
[in]↶⌜deÜ⌝r↯ Wiſſenſchaften, in einem genetiſchen Sÿſtem.
997b
ſeit Sokr. und Plato und beſonders durch die chriſtlichen Dar-
998b
ſtellungen eine Beziehung zur Theologie. Jhr Princip ⧸wirkt,H.1⧸
995b
Ende des ausgelassenen Textes.
999b 1000b 1001b 1002b 1003b 1004b 1005b 1006b 1007b 1008b 1009b 1010b
Wir berühren den Einwurf, der hier nahe liegt. Die Ethik hat
wirkt[,⫮]H.2⧸ mit doppelter Kraft, indem es als der Ausdruck des
göttlichen Willens erſcheint. Die ganze theologiſche Moral iſt [auf⫮]↯ in dieſer Richtung entſtanden. Hierdurch kann es ſcheinen, daß im
genetiſchen Sÿſteme, wenn man nicht das Gute von dem lebendigen Grunde des Göttlichen lostrennen will, ⧸die Ethik der Religions-
philoſophieH.1⧸d[ie]↶d⌜erÜ⌝ Ethik d[er]↶d⌜ieÜ⌝ ReligionsphilosophieH.2⧸ vorangehen müſſe. Wir lehnen dies ab.
Denn einmal wird die Religionsphiloſophie, da es ſich nicht um ein poſitives Religionsſÿſtem, ſondern um philoſophiſche Erkenntniß handelt, gerade erſt in d. Ethik ihre [+⫮]↯ Stütze haben und eine Religionsphiloſophie vor der Ethik wird ein zweifelhaftes Product. Es muß daher die Ethik |der Religionsphiloſophie vorangehen, ja es
1011b
iſt möglich, daß die Ethik − nach einer Seite hin − die Bedingungen
1012b
de[s]↶⌜rÜ⌝ [re]↶⌜RÜ⌝eligion↯ erſt aus ſich hervorbringe. Jn[wief]↶⌜deſÜ⌝ſen↯ inwiefern noch gefordert wird, daß das
1013b
|12b/v
Genetische Darstellung
276 1014b 1015b 1016b 1017b 1018b 1019b 1020b 1021b 1022b 1023b 1024b 1025b 1026b 1027b 1028b
Ethiſche Unterſuchungen
ethiſche Princip ⧸in ſeiner Beziehung zum UnbedingtemH.1⧸in
seine[r]↶seine⌜mÜ⌝ [Beziehung⫮]⌜Verhältnißers⌝ zum Unbedingte[m]↶Unbedingte⌜nÜ⌝H.2⧸ erkannt werde: ſo geht dieſe allgemeine [Urſ]↶⌜BeÜ⌝ziehung↯ in die Metaphÿſik − die Grundlegende Disciplin − zurück. Von dort her muß man die Antwort
auf die Frage ſuchen, ⧸obH.1⧸[ob⫮]⌜wieers⌝H.2⧸ das ethiſche Princip 〚[u⫮]2〛1↶⌜aN⌝ls↯ Jdee durch die endliche Sphäre des menſchlichen Weſens hindurchgehe, aber aus dem Gedanken des Unbeding-
ten quelle. [D]↶⌜JÜ⌝n↯ dieſer metaphÿſiſchen Betrachtung liegt dıe Möglichkeit, auch den Urſprung der Philoſophiſchen Ethik in
den [Grund⫮][g]↶⌜GÜ⌝edanken↯ des Göttlichen zu vertiefen u. auf dieſem Wege der [philo⫮]↯ theologiſchen Moral zu begegnen: Aber ihre [Entwi⫮]↯ Begründung liegt in der Entwicklung des
menſchlichen Weſens als ſolchen − u. nicht in der vorweggenommenen Thatſache einer poſitiven Offenbarung.
1029b
Auf dieſe Weiſe beſtimmt ſich nach den Vorausſetzungen, die das
1030b
Princip der Ethik in ſich trägt, ihre Stellung zu den Wiſſenſchaften vor
1031b
ihr u. nach ihr, ihr Ort im ⧸⌜genetiſchenerg⌝H.2⧸ Sÿſtem.
1032b
Ende der Spätvariante.
Erläuterungen: 988b−1032b Hiernach bis Sÿſtem] Bl. [12b] ersetzt den kompletten Text ab Dbl. 12a/1v, Z. 988a und bildet zusammen mit dem verbleibenden Textsegment in Zeile 972a die dritte Schlussfassung. 994b f. Es bis Sÿſtem] Der ausgeklammerte Text ist eine sinngemäße Entsprechung des Schlusssatzes ab Zeile 1029b. Der Hrsg. glaubt, dass Tr. zunächst in Zeile 995b mit dem Kapitel endet, um dann doch den Text ab Zeile 996b fortzuführen. 1022b ...⫮]2〛1.] zunächst durch die Ergänzung eines Strichleins Änderung von zu und anschließend Streichung des verbleibenden -Kringels.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
Enthält die genetische Darstellung des Textes der Dbll. 12a/2r–17.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik | II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik.
1 2 3
Jede philoſophiſche Disciplin ſteht auf dem Grunde des Ganzen
4
und nimmt aus dem Ganzen den Urſprung. Die Logik und Metaphÿſik
5
haben daher die Aufgabe, für die philoſophiſchen Realdisciplinen
6
dieſen letzten Grund zu legen.
7
Jn dieſem Sinne ſtreben die „logiſchen Unterſuchungen“ da-
8
hin, die Jdee im Geiſte einer organiſchen Weltanſicht zu errei-
9
chen und ⧸die Ethik hat den dort gewonnenen Begriff aufzu-
12
nehmen und vorauszuſetzen.H.1⧸die Ethik [hat⫮]⌜mußers⌝ den dort gewonnenen Begriff auf[zu⫮]nehmen und vo-
13
Da es ſich nunmehr um die beſondere Beziehung dieſer Grundlage
10 11
14
raus[zu⫮]setzen.H.2⧸
zur Ethik handelt, ſo erörtern wir ſie noch einmal und zwar mit
15
dieſer beſondern Rückſicht. Je nachdem die Betrachtung auf der
16
phyſikaliſchen Stufe der materiellen Kräfte verharrt und darnach die
17
Anſicht des Ganzen entwirft, oder aber ſich zum Organiſchen er-
18
hebt, das in der Harmonie der Thätigkeıten und in der Unterordnung
20
der Theile einen richtenden Gedanken offenbart, und unter dieſe Randnotiz Tr.’s: Nr. 10 zu einigen weiteren vermutl. geplanten Kapiteln:
n24
blEigentlich
n25 n26
voran: Über die metaphyſıſche Grundlage der Ethik bl
bl
Dann üb. d. pſycholog. (phyſ.)bl
n27
bl
bl
Erläuterung: n24−n27 Eigentlich bis (phyſ.)] Offenbar sind für den Aufbau der EU zwei weitere Kapitel geplant, die dem Kapitel zur organischen Weltansicht vorgelagert werden sollen.
279 |12a/2r
Genetische Darstellung
280
Ethiſche Unterſuchungen
21
|Analogie das Univerſum ſtellt: ſo ergiebt ſich, wie gezeigt wurde,
22
die phÿſiſche (mechaniſche) oder aber die organiſche Weltanſıcht;
23
⧸⌜beideerg⌝H.2⧸ in ihrem Ziel und ihrem Wege ⧸⌜einandererg⌝H.2⧸ entgegen ⧸geſetzt, u.H.1⧸gesetzt, [u.⫮]↯H.2⧸ in einem durchge-
24
hen den Kampfe begriffen und zwar in einem Kampfe, der zuletzt
25
den Glauben an unſer eigenes Weſen u. unſern eigenen Werth trifft.
26
Dieſe 〚[+⫮]〛↶⌜bÜ⌝eiden↯ Weltanſichten wurden in dem letzten
27
Abſchnitt der logiſchen Unterſuchungen einander entgegengeſtellt.1)
28
Die eine wird ⧸⌜in der Geſchichte der Philoſophieerg⌝H.2⧸ von den
29
materialiſtiſchen, die andere von den idealen Sÿſtemen [in de⫮]↯ aus-
30
geführt und vertreten.
31
Daß es ſich zuletzt um dieſe beiden Anſchauungsweiſen han-
32
delt, läßt ſich auch aus allgemeinen Verhältniſſen darthun.⧸1)H.1⧸
33
36
[1)]↶⌜[(]2Ü⌝)H.2⧸
37
Endpunkten ſeiner Richtungen, in den |Gegenſätzen ſeines Weſens
38
am ſchärfſten auseinander tritt und zugleich ſich ſelbſt begrenzt:
39
ſo hat auch die Philoſophie in dem weiteſten Gegenſatz der Erkenntniß
40
⧸dieH.1⧸[die]↶⌜ihrÜ⌝eH.2⧸ letzten Grenzpunkte und ⧸⌜zugleicherg⌝H.2⧸ den nächſten Anhalt für die Unterſuchung. Als ein
34
Es iſt die Aufgabe der Philoſophie, das Ganze der Erkenntniß
35
in ſeinem Urſprung zu beſtimmen. Wie nun jedes Ganze in den
41
ſolcher Gegenſatz, der, [unter den verſchiedenſten Geſtalten im-
42 43 44 45 46 47 48 49
|12a/2v
[
||⧸⌈1) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt XX. II. ⌜Das Unbedingte und die Jdee.erg⌝ S. [2]{3}53ff.erg⌉H.2⧸ ]
2) ⧸
⌜vgl.erg⌝H.2⧸ das Vtr. [über den letz⫮]↯ Abhandlung[:⫮]↯ über den letzten Unterſchied der philoſophiſchen Syſteme in den Denkſchriften der K. Akademıe der Wıſſenſchaften 1847.
|13/1r
||12a/2v
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 50
mer wiederkehrend,⫮]↯ wie das Grundthema aller Metaphÿſik, al-
51
ler Philoſophie [erſcheint⫮]↯ unter den verſchiedenſten Geſtalten
52
immer wiederkehrt, ⧸erſcheintH.1⧸erscheint⌜energ⌝H.2⧸ der ſich
53
ſelbſt und anderes erkennende Gedanke auf der einen Seite und
54
die blinden äußern Kräfte auf der andern. Sie heißen bald Jdee und
55
Materie oder λόγος und ὑποκείμενον, bald extensio und cogitatio,
56
bald Subjectives und Objectives; aber dieſe verſchiedenen Aus-
57
drücke[,⫮]↯ bezeichnen nur verſchiedene ⧸AusdrucksweiſenH.1⧸
58 59 60 61 62 63 64 65
[Ausdrucks⫮]⌜Anſchauungs ers⌝weisenH.2⧸ eines und deſ-
ſelben letzten Gegenſatzes. Wenn gleich ⧸inH.1⧸[in]↶⌜bÜ⌝ei
⌜gÜ⌝e=↯[denken ſind⫮][,]↶⌜dÜ⌝acht↯ werden müſſen, welche in ſich mannigfaltig und vielfach ſind, ſo gleicht ſich doch inſofern auf beiden H.2⧸ dieſen Ausdrücken Vorgänge 〚z[u⫮]2〛1↶
Seiten die Vorſtellung zu einer Einfachheit aus, als [ſ⫮]↯ die Glieder
des Gegenſatzes in ſich |gleichartig ſind und das Weſen ⧸ihrerH.1⧸
ih[r]er↶[ih⫮]⌜dÜ⌝erH.2⧸ Richtungen auf der einen Seite
66
durchweg von der andern verſchieden iſt. Die Kräfte der Materie − und
67
was uns Materie heißt, kennen wir nur in Kräften und Thätigkeiten,
68
ſtehen zunächſt, wie die Phÿſik ſie auffaßt, dem Gedanken fremd ge-
69
genüber. Der Gedanke bildet ſie nach und findet ihre Geſetze; aber
70
was ſie ſind, das ſind ſie [ohne ihn⫮] [,⫮]↯ als nackte Kräfte, de-
71 72 73 74 75 76
281
nen kein beſtimmender Gedanke zum Grunde liegt, ohne ihn. Der Gedanke hingegen, der anderes und ſich ſelbſt denkt, [er⫮]ſcheint↯ im letzten Grunde nur aus ſich ſelbſt verſtändlich zu ſein.
Bei näherer Betrachtung weiſen die beiden ⧸Endpunkte[,⫮]↯H.1⧸
[Endpunkte⫮]⌜Gegenſätzeers⌝↯H.2⧸ auf eine Gemeinſchaft hin.
Es giebt Anordnungen der Kräfte, wie ⧸inH.1⧸[in]↶⌜aÜ⌝ufH.2⧸
77
dem Gebiete des Lebens, in den organiſchen Bildungen durchweg,
78
welche nur durch einen zuſammenhaltenden richtenden Gedanken Erläuterung:
60 ...⫮]2〛1.] nach Überschreibung, Streichung des -Kringels.
|13/1v
Genetische Darstellung
282 79
Ethiſche Unterſuchungen
verſtändlich ſind. Jn dieſen ſcheınt der Gedanke das ⧸⌜letzteerg⌝H.2⧸
80
Beſtimmende zu ſein. Umgekehrt wird der Gedanke, ſo weit wir ihn
81
im Menſchen kennen, durch die Kräfte bedingt, welche ihn tragen
82
u. mit er|zeugen. Das Verhältniß dieſer Gemeinſchaft bleibt die erſte
83
Aufgabe.
84
Wenn nun die Betrachtung die blinden Kräfte und den bewußten
85
Gedanken einander gegenüberſtellt und der Einheit entgegenführen
86
will: ſo ergiebt ſich eine dreifache Möglichkeit. Entweder ſteht die
87
89
⧸⌜nackteerg⌝H.2⧸ Kraft vor dem Gedanken, ſo daß der Gedanke
90
te; − oder der Gedanke ſteht voran, ſo daß die blinden Kräfte nichts
91
für ſich ſind, ſondern vielmehr nur der Ausfluß oder das Erzeugniß
92
des Gedankens; oder endlich Gedanke und Kräfte ſind im Grunde
93
dieſelben[.⫮]↯ und unterſcheiden ſich nur in unſerm Verſtande.
88
nicht das Urſprüngliche iſt, ſondern das von blinden Bewegungen
Hervorgebrachte, ein Product und Accidenz der materiellen Kräf-
94
Nur dieſe drei Stellungen von Gedanken und Kraft kann es ge-
95
ben u. es ſind darin drei Grundanſichten beſtimmt. Jn der erſten
96
herſchen die materiellen Kräfte; in der zweiten iſt der Gedanke
97
das Uebergeordnete; in der dritten laufen beide, nur im Verſtande
98
unterſchieden, in der Auffaſſung einander parallel.
99
Man könnte vielleicht meinen, daß ſich |die beiden Endpunkte [(⫮]↯,
100
nackte Kräfte und Gedanken, dergeſtalt nach der Mitte bewegen
101
laſſen, um dort in eine Jdentität zuſammenzugehen. Eine ſolche
102
würde indeſſen [nur⫮]↯ die Unterſchiede nur vermiſchen und ver-
103 104
|13/2r
|13/2v
waſchen[.⫮]↯ u. es ließe ſich ⧸in dieſer [aſchgrau⫮]↯ H.1⧸in diese[r]↶diese⌜mÜ⌝ ⌜einerlei dererg⌝H.2⧸ Mitte nichts Beſtimm-
Erläuterungen:
96 herſchen] Schreibweise, die sich in Tr.’s Werken neben der Form mit doppeltem gelegentlich wiederfindet.
129 zi{e}hen] Orthografiefehler korrigiert. 133 [über und].] überzähliges Textsegment entfernt.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 105
tes mehr denken u. aus dem Unbeſtimmten auch nıchts Beſtimmtes
106
⧸mehrH.1⧸[mehr⫮]H.2⧸ herausholen.
107 108
Jene drei Weiſen der Anſchauung ſind in der Geſchichte der
Philoſophie durch die verſchiedenen Richtungen der Sÿſteme ver-
109
treten, die erſte durch die materialiſtiſchen Lehren ſeit den alten
110
Atomikern, die zweite durch die idealen Sÿſteme [b⫮]↯ ınsbeſondere
111 112 113 114 115 116 117
ſeit Plato, die dritte durch Spinoza. Es ſoll hier nicht wiederholt wer-
den, daß alle Sÿſteme unter dieſe letzten Unterſchiede fallen, mögen ſich [+]↶⌜aÜ⌝uch↯ in einzelnen beide Richtungen begegnen.
Jn dieſer Ableitung tritt Spinoza für [b⫮]↯ ſich beſonders hervor.
Jnwiefern er indeſſen [de⫮]↯ nach ſeiner Anſicht eine Einwirkung
des Gedankens auf die Ausdehnung und daher den Zweck mit ſeiner architektoniſchen Macht nicht anerkennen kann u. er alſo |nur die
118
wirkende Urſache, die nackten Kräfte, übrig behält: konnte er der
119
phÿſiſchen Weltanſicht zugerechnet werden. Wenn dies geſchieht, ſo
120
⧸ergeben ſich die beiden Gruppen der phÿſiſchen und organiſchen
121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133
283
Weltanſicht, welche den Schluß der logiſchen Unterſuchungen
bildeten.H.1⧸⌜gehen die drei Stellungen auf zwei zurück und eserg⌝ ergeben sich ⌜wiedererg⌝ die beiden Gruppen der phÿsischen und
organischen Weltansicht, welche [de]a[n]b↶⌜aÜ⌝a⌜mN⌝b
Schluß der logischen Untersuchungen [bildeten.⫮]⌜erwogen wurden.ers⌝H.2⧸
Die allgemeinen Betrachtungen führen auf dieſen Unterſchied und
die Richtungen, welche aus den beſonderen Wiſſenſchaften entſpringen,
zi{e}hen [nach beiden⫮]↯ theils nach der einen theıls nach der an-
dern Seite[.⫮]↯ und [ſpannten⫮]⌜bringeners⌝↯ beide Anſichten in eine Spannung. Es würde dies noch [mehr⫮]↯ offenbarer werden, wenn die Menſchen, welche ihre ⧸einzelnenH.1⧸[einzelnen⫮]H.2⧸
Vorſtellungen auf einzelnen Gebieten [über und] ſtillſchweigend auf
|14/1r
284
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
134
andere übertragen, dieſe Verallgemeinerung zur bewußten Conſe-
135
quenz des Ganzen ausbildeten. Wer die Menſchen nur wie die Kräfte
136
der Phÿſik oder die Zahlen in einer Gleichung auffaßt − und im äu-
137
ßern Verkehr, im Austauſch der Thätigkeit{,} unterliegen ſie vielfach
138
einer ſolchen Betrachtung: der dehnt die phÿſiſche Weltanſicht in die
139
Ethik aus. Wer umgekehrt die materiellen Kräfte [nur]↶⌜alsÜ⌝↯ Thätigkeiten anſieht, |die nur durch iſolirte Auffaſſung von dem
140 141 142 143 144 145
Leben und dadurch von einem zum Grunde liegenden Gedanken
losgeriſſen ſind; der arbeitet an de[m]↶⌜rÜ⌝↯ Erweiterung und dem Siege der organiſchen Weltanſicht. Zwar gewahren wir dieſe letzte [Anſıc⫮]↯ Richtung in den Wiſſenſchaften ⧸ſparſamer,H.1⧸⌜nurerg⌝
sparsam[er,⫮]H.2⧸ und die erſte überwiegt. Aber wir rechnen im
148
Einzelnen die Thatſache dahin, daß die ⧸⌜ſcharfſichtigereerg⌝H.2⧸ Unterſuchung nicht ſelten, was für unorganiſche Maſſe galt, in Reſte
149
Dıe Wiſſenſchaft als Wiſſenſchaft geht zur letzten Entſcheidung
150
dieſes Kampfes einen langſamen Weg und ſie kann nicht anders.
151
[S]↶⌜EÜ⌝ine↯ directe Beobachtung iſt nicht möglich; die Atome,
146 147
152 153 154 155 156 157 158
und Erzeugniſſe des organiſchen Lebens verwandelte.
die [T⫮]↯ vermeintlichen Träger der Kräfte, entziehen ſich ſo gut den
Sinnen, als der ⧸ſchöpferiſcheH.1⧸[schöpferische⫮]⌜beſtim-
[mend⫮]↯mendeers⌝H.2⧸ Gedanke auf der andern Seite, der Endzweck mit dem Sÿſtem der ihm untergeordneten Zwecke. Eine Spe-
culation auf Einen Schlag wird ſchwerlich [ei⫮]↯ ⧸den H.1⧸
[den⫮]⌜eineners⌝H.2⧸ Streit entſcheiden, ⧸derH.1⧸[der⫮]⌜welcherers⌝H.2⧸ nach u. nach mit den im Ablauf der Geſchlechter ſich
161
ausbildenden ⧸⌜einzelnenerg⌝H.2⧸ Wıſſenſchaften an Schärfe und Macht wuchs. Die ſich vollendenden Wiſſenſchaften werden ihn |al-
162
einzelnen Kreiſen die Theorien zum Austrag bringen, indem ſie ſie
159 160
|14/1v
lein auf dem Wege entſcheiden, auf welchem ſie fort und fort in den
|14/2r
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 163 164 165
entwickeln und an den Thatſachen meſſen. ⧸Es wird leichter ſein, obwol die Wiſſenſchaft lange genug daran arbeitete, zwiſchen Ptolemaeus
und Copernicus zu entſcheiden alsH.1⧸Es wird leichter sein, [ob-
166
wol die Wissenschaft lange genug daran arbeitete⫮][,] zwi-
167
schen Ptolemaeus und Copernicus zu entscheiden alsH.2.1⧸Es
172
wird ⌜auf dieſem Wegeerg⌝ leichter sein, zwischen Ptolemaeus und Copernicus zu entscheiden⌈, ⌜obwol die Wiſſenſchaft lange genug daran arbeitete,erg⌝[,]erg⌉ alsH.2.2⧸ zwiſchen dem
173
nicht warten. Sie muß ſich, um den univerſellen Geſichtspunkt zu ge-
174
winnen, entſcheiden und ⧸⌜ſicherg⌝H.2⧸ entweder auf die eine oder
168 169 170 171
Democritismus und Platonismus. Und doch kann die philoſophiſche
Betrachtung bis zu dieſem in weite Ferne zurückreichenden Zeitpunkt
175
auf die andere Seite ſtellen; und ſie wird dabei nicht anders verfah-
176
ren können, als daß ſie die Thatſachen der Natur und der Geſchichte,
177
der phÿſiſchen und ⧸⌜dererg⌝H.2⧸ ſittlichen Welt auf die Grundfrage
178
hinrichtet und in der Tiefe der Betrachtung mit ihr auszugleichen
179
ſtrebt. Es iſt ⧸⌜dabeierg⌝H.2⧸ unvermeidlich, d[u⫮]↶⌜aN⌝ß↯ die
180 181 182 183 184 185 186 187
Lücken in den Datis auf verſchiedene Weiſe eine Ergänzung zulaſſen
und daher ⧸den Elementen einer nur ſubjectiven Conſtruction Raum geben.H.1⧸[den Elementen⫮] [einer⫮] [nur⫮]⌜theilsers⌝
subjective[n]↶subjective⌜rÜ⌝ Construction⌜energ⌝ ⌜der Begriffe, theils Forderungen des Glaubenserg⌝ Raum geben.H.2⧸
[+]↶⌜AÜ⌝ber↯ vor allem kann die ethiſche Wiſſenſchaft[,⫮]↯ bis
zu einer ſolchen letzten Entſcheidung nicht warten. Es werden täglich und ſtündlich an ſi[ch]↶⌜eÜ⌝↯ Fragen gerichtet u. ſie [ſ⫮]↯ muß
Erläuterungen:
166 und 170 [,] und [,].] überzählige Kommata getilgt. 179 [u⫮].] Änderung erfolgt durch Streichung des -Kringels.
285
Genetische Darstellung
286 188 189 190
Ethiſche Unterſuchungen
für die Antwort unge|achtet des [p⫮]↯ übrigen philoſophiſchen
Streites einen unbeſtrittenden Grund zu erreichen ſuchen. ⧸Wir können mit demH.1⧸Wir können [m]a[i]b[t]c↶⌜fÜ⌝⌜üN⌝⌜rÜ⌝
193
d[em]↶d⌜asÜ⌝H.2⧸, was uns zunächſt liegt, nicht erſt das Heil
194
Weltanſichten ſicher beharre. Es iſt dies nicht unmöglich; und die
195
Beiſpiele anderer Wiſſenſchaften geben uns Muth. Noch ſtreiten z.B.
196
die Metaphÿſiker, was der Raum ſei; aber ⧸der pÿthagoreiſche
191 192
197 198 199 200 201 202 203
von dem Entfernteſten erwarten. Es muß verſucht werden, für die Ethik einen Boden zu[g⫮]↯ gewinnen, der auch im Schwanken der
Lehrſatz ſteht ſeit [Jah⫮]↯ [zw⫮]↯ mehr als zwei tauſend Jahren feſt
und wirkt in Verbindung mit andern Sätzen, um mehr und mehr geometriſche Einſicht und mathematiſche Kunſt zu erzeugen.H1⧸
⌜ innerhalb dieſes gebietes ſtehters⌝ der pÿthagoreische Lehrsatz [steht⫮] seit mehr als zwei tausend Jahren fest und wirkt in Verbindung mit andern Sätzen[, um⫮]⌜dazu mit,ers⌝ mehr und mehr geometrische Einsicht und mathema-
206
tische Kunst ⌜u. Machterg⌝ zu erzeugen.H2⧸ Aehnlich würde es ſein, wenn es gelänge, ethiſche Begriffe{,} z.B. den Begriff des Rechts,
207
der Speculation, zur bleibenden Beſtimmtheit zu bringen.
204 205
unabhängig von den wechſelnden Antworten auf jene Grundfrage
208
Wir werfen hiernach für dieſen ethiſchen Zweck auf die oben
209
entworfenen Möglichkeiten [ei⫮]↯ der Weltanſicht einen betrach-
210 211 212 213 214 215 216
|14/2v
tenden Blick.
Wir ſcheiden zunächſt Spinoza aus, der zwar, inwiefern er den
innern Zweck leugnet, ⧸⌜von der negativen Seiteerg⌝H.2⧸ zur |phÿſiſchen oder mechaniſchen Weltanſchauung, zur Alleinherr-
ſchaft der wirkenden Urſache{,} übertritt, aber von der poſitiven ⧸ein
Grundverhältniß von Denken und Ausführung eigenthümlich auffaßt und dadurch eine eigenthümliche Stellung behauptet. H.1⧸
|15/1r
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226
[ein]↶⌜dasÜ⌝
Grundverhältniß
287 von
Denken
und
Ausführung [eigenthümlich⫮]⌜verſchiedeners⌝ [auffaßt⫮] ⌜begreifters⌝ und dadurch eine eigenthümliche Stellung behauptet.H.2⧸
Nur eine conſequente [u]↶⌜AÜ⌝uffaſſung↯ des ganzen Sÿſtems,
nur eine durchgehende Vergleichung ſeiner [Grundg⫮]↯ Ausführung
mit dem Grundgedanken, nur eine ſcharfe Scheidung von den beiden andern Anſchauungsweiſen, [der]↶⌜ſowolÜ⌝↯H.2 der materialiſtiſchen als ⧸auchH.1⧸[auch⫮]H.2⧸ der teleologiſchen, die ſich
nur allzu leicht unterſchieben, ⧸⌈[ein]↶⌜nurÜ⌝↯ ein offener und
227
ſtrenger Verſuch, die metaphÿſiſchen Erklärungen mit den realen
228
Thatſachen zu meſſenerg⌝,erg⌉H.2⧸ vermögen der Frage Genüge zu leiſten, ob Spinoza’s Lehre jene Nothwendigkeit in ſich trage, welche
229 230
er ſelbſt als dies Unwandelbare und Ewige [ſucht.⫮]↯ erſtrebt. Es iſt
233
nicht möglich, eine ſolche ⧸⌜weitläuffigeerg⌝H.2⧸ Kritik an dieſer Stelle zwiſchenzuſchieben. Wir haben ſie an einem andern Orte
234
nen haben, zurückbeziehen3).
231 232
235 236
verſucht und dürfen uns [auf⫮]↯ [,⫮]↯ auf den Ertrag, den wir gewonWenn ſich in Spinoza’s Ethik die Kritik auf die formale
Vollendung des geſchloſſenen Ganzen ⧸neigt H.1⧸[neigt]
239
↶⌜richtÜ⌝etH.2⧸, ſo findet ſie in den Definitionen und |Axiomen aller Bücher philoſophiſche Vorausſetzungen, welche unbegrün-
240
deren Einheit des Urſprungs nicht nachgewieſen iſt. Wer Spinoza
241
in dieſer Beziehung halten wollte, müßte ihn ergänzen; und würde
237 238
|15/1v
det daſtehen, und eine Vielheit von tragenden Anfangspunkten,
242 243
||3) „Ueber Spinoza’s Grundgedanken und deſſen Erfolg“ in den
244
Abhandlungen der Königl. Akademie der Wiſſenſchaften 1849. vgl.
245
[„⫮]↯logiſche Unterſuchungen{.} [II⫮]↯ [,⫮]↯ Abſchn. VIII. II, S. 39 ff.
||15/1r
288
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
246
dies ſchwerlich anders können, als indem er Spinoza’s Vorſtellung
247
⧸⌜von der Erkenntniß des reinen Verſtandeserg⌝H.2⧸ zu vollziehen
248 249 250
u. „außerhalb der Wörter und Bilder“[,⫮]↯ rein zu denken verſuchte.
Aber Spinoza’s geometriſche Methode und die ungeometriſche Di-
alektik des reinen Denkens, die ⧸ſtrengeH.1⧸[strenge⫮]⌜alteers⌝H.2⧸
251
Architektonik des ſtreng gebundenen Ganzen u. die flüſſigen Begriffe
252
einer modernen Conſtruction{,} ergäben nimmer ein Gebäude aus
253
Einem Entwurf und in Einem Stil.
254
Wenn ſich dann ferner die Kritik auf die reale Durchführung
255
des Grundgedankens richtet, ſo erheben ſich noch größere Schwie-
256
rigkeiten u. zeigen ſich noch größere Lücken.
257
Vor allem müßte noch gezeigt werden, wie die Vorgänge zu
258
begreifen ſeien, in welchen ſonſt ein Zuſammenhang zwiſchen
259
261
Denken u. [Sei]a[n]b↶⌜AÜ⌝a⌜uN⌝bsdehnung↯ wie in deutlichen
262
welche ſonſt als die Grundlage des Gedankens betrachtet wird,
263
⧸⌜entwedererg⌝H.2⧸ ohne eine Einwirkung der Ausdehnung auf das
260
|Thatſachen vorzuliegen ſchien. Es müßte namentlich in Bezug auf die
Auffaſſung der Dinge gezeigt werden, wie die Sinneswahrnehmung,
264
Denken aufzufaſſen ſei oder mit dem, was Spinoza Gedanken nennt,
265
keine Gemeinſchaft habe. Es müßte umgekehrt für die Thätigkeit
266
des Menſchen nach außen gezeigt werden, wie ein vernünftiges Ha-
267
ndeln, Spinoza’s ex ductu rationis agere, überhaupt möglich ſei, da
268
270
im Menſchen alles vernünftige Handeln ⧸⌜den Gedankenerg⌝H.2⧸ dergeſtalt zum Führer hat, daß er die Wirkung, die noch nicht da iſt,
271
und vorwegnimmt und darnach erſt den realen Vorgang der Mittel
272
einleitet u. einrichtet. Spinoza ſagt ſeinem Grundgedanken gemäß aus-
273
drücklich: [W]{„W}eder der Körper kann [d]{d}en Geiſt zum Denken, noch
274
der Geiſt den Körper zur Bewegung oder Ruhe oder irgend etwas
269
alſo in der Ausdehnung noch kein paralleles Gegenbild hat, entwirft
|15/2r
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 275 276 277 278
Anderm beſtimmen (III. 2).{“} Wo indeſſen ⧸der VernünftigeH.1⧸[der
Vernünftige⫮]H.2⧸ in dem ex ductu rationis agere die Vernunft führt, da muß ſie ſich doch mit der Bewegung und Ruhe einlaſſen; da
beſtimmt ſie ⧸〚[ſ⫮]2〛1↶⌜dN⌝ie↯H.1⧸die⌜ſeerg⌝H.2⧸ doch, wie z.B.
279
in ihren Mitteln. |Es hätte gezeigt werden müſſen, wie namentlıch
280
ſolche Thatſachen, wie das gegliederte Leben, Begriffe, wie das Or-
281
ganiſche und Schöne, ohne den Gedanken im Grunde der Dinge,
282
ohne d[en]↶⌜ieÜ⌝↯ inwohnende Einheit eines Zweckes wirklich
283 284
Es fehlt dem Spinoza mit dem Zweck ein Princip der Determina-
287 288
ſich die Ausdehnung vom Unendlichen zum Endlichen beſtimme.
289
Wenn deſſen ungeachtet ſeine ethiſche Anſicht auf der Grundlage
290
ruht, daß jedes Weſen ſich in ſeinem Sein zu behaupten u. daß alle
291
Tugend nur die Macht ſei, etwas zu bewirken, was a[us]↶⌜llÜ⌝ein↯ aus den Geſetzen ⧸der eigenen NaturH.1⧸der [eigenen⫮]
286
292 293 294 295 296 297 298
|15/2v
verſtanden werden können.
tion, wodurch ein individuelles Leben gebildet würde. ⧸⌜Dieerg⌝H.2⧸ Determination, die nichts als Verneinung iſt, hat keinen poſitiven
285
289
Mittelpunkt. Spinoza hat weder geſagt, wie ſich das Denken, noch wie
⌜menſchlıcheners⌝ Natur ⌜als ſolchererg⌝H.2 verſtanden werden kann: ſo ergiebt ſich leicht, ⧸daß ſtillſchweigend individuelles Leben
vorausgeſetzt iſtH.1⧸daß ⌜Spinozaerg⌝ stillschweigend individuelles Leben voraus[ge⫮]setzt [ist⫮]H.2⧸ und damit in den teleologiſchen Standpunkt übergeht. Spinoza’s Ethik im engern Sinn
hat ıhren Kern in der Erklärung (eth. IV. Def. 8): „Un|ter Tungend
299
und Macht verſtehe ich daſſelbe d.h. die Tugend, inwiefern ſie auf den
300
Menſchen bezogen wird, iſt das Weſen des Menſchen ſelbſt, inwie-
|16/1r
Erläuterungen: 278 ...⫮]2〛1.] Änderung durch Ergänzung zweier Strichlein zu einem , anschließend Streichung der hervorstehenden Unterlänge des .
273 ff. Latein korrigiert und Zitat markiert. 273 den] unvollständiges Zeichen komplettiert.
Genetische Darstellung
290
Ethiſche Unterſuchungen
301
fern es im Stande iſt, etwas zu bewirken, was allein aus den Geſetzen
302
ſeiner Natur begriffen werden kann“. Es iſt bemerkenswerth, wie
303
nahe hier Spinoza die Ethik des teleologiſchen Standpunktes berührt.
304
Ariſtoteles, von dem Gedanken der innern Zweckmäßigkeit gelei-
305
tet, forſchte{,} da er das Princip der Ethik ſuchte, ⧸⌜in demſelben Sinneerg⌝H.2.1⧸in dem[selben⫮] SinneH.2.2⧸ nach dem eigenthüm-
306 307 308 309 310 311
lichen Werk 〚[u⫮]1〛2↶⌜dÜ⌝es↯ Menſchen, wie ⧸⌜z.B.erg⌝H.2⧸ Hand u. Fuß ihr eigenthümliches Geſchäft verrichten, u. will dar-
in die Beſtimmung erkennen. ⧸⌜eth. Nic. I. 6erg⌝H.2.1⧸eth. Nic. I. 6 ⌜II. 5erg⌝ H.2.2⧸ Das Eigenthümliche und Specifiſche der menſchlichen Natur iſt in beiden das Maß. Aber die Berechtigung und Bedeutung ſteht
314
bei Ariſtoteles höher, da ⧸[er⫮]↯H.1⧸⌜bei ihmers⌝H.2⧸ die eigenthümliche Natur aus einem innern Gedanken abgegrenzt iſt,
315
hat. Spinoza verſteht unter dem, was allein aus den Geſetzen der
316
menſchlichen Natur begriffen werden kann, das begreifende Denken,
317
das intelligere u. das Handeln, das aus ſolchen Begriffen folgt, das ex
318
ductu rationis agere. Vgl. eth. IV. 35. IV. |app. c. 4. Wir wollen die
319
innern Schwierigkeıten nicht drängen. Genau genommen − und
320
Spinoza ſcheint es bisweilen ernſt zu nehmen − iſt das reine Denken,
321
323
⧸dasH.1⧸d[as]↶d⌜ieÜ⌝H.2⧸ sola puri intellectus cognitio das ein-
324
ein Reſt eines äußern Verhaltens, da hat immer noch ein ande-
312 313
322
aber bei Spinoza die Determination nur in der Negation ihr Weſen
|16/1v
zige, das allein und ausſchließlich aus der menſchlichen Natur
begriffen wird. Wo noch ein Bild einfließt, da iſt immer noch
Erläuterungen: 307 ...⫮]1〛2.] zunächst Streichung des -Kringels, dann Überschreibung.
309 II. 5] Ergänzung des Verweises »eth. Nic. I. 6« in derselben Zeilenhöhe. Diese soll für das Layout vermutl. in der Marginalspalte verbleiben.
339 [,].] überzähliges Komma von Hrsg. getilgt.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
291
325
res Ding, der Gegenſtand der Sinne, außer der menſchlichen Na-
326
tur mitgewirkt. Wir drängen nicht die innere Unmöglichk{ei}t die-
327
ſer sola puri intellectus cognitio, ſo daß eigentlich das, was einzig und
328
330
allein aus der menſchlichen Natur ⧸begriffenH.1⧸⌜zuerg⌝ begr[i]f-
331
Handeln äußere Bedingungen vorausſetzt, in dem Sinne eines ver-
332
nünftigen Wirkens und Gegenwirkens. Es fragt ſich dann, was im
333
Sittlichen der Jnhalt des intelligere iſt. [E⫮]↯ Ein Grundzug geht durch
329
334 335 336 337 338 339 340 341
fen↶begr⌜eiÜ⌝[f⫮]fenH.2⧸ wäre, verſchwinden würde. Wir nehmen ⧸⌜alſoerg⌝H.2⧸ [das]↶⌜dieÜ⌝↯ Formel [als⫮]↯, da jedes
daſſelbe durch. Das menſchliche Weſen will ſein Sein behaupten und erweitern. Jeder leidende Zuſtand, der in ſeinem Jnnern Unluſt oder Furcht trägt, ⧸dem Zeichen des verminderten Eigenlebens, iſt daher vom vernünftigen Handeln ausgeſchloſſen.H.1⧸[dem]↶⌜dasÜ⌝
Zeichen des verminderten Eigenlebens[[,]↶⌜|Ü⌝]⌈, ⌜jeder leidende Zuſtand, der ſtatt Macht Ohnmacht iſt,erg⌝[,]erg⌉ [ist]↶⌜wirdÜ⌝ daher vom vernünftigen Handeln ausge-
schlossen.H.2⧸ [D⫮]↯ Ferner |wächſt die Macht des Einzelnen
344
durch Vereinigung und [was]↶⌜dochÜ⌝↯ [E⫮]↶⌜ſN⌝ie iſt, was Eintracht erzeugt, ſittlich. Das Streben nach dem, worin al-
345
ſchlichen Natur, wird dadurch das Streben der Vernunft. So
346
348
[ſtellt⫮]⌜ergiebters⌝↯ ſich das Allgemeine als der Jnhalt des menſchlichen Handelns, des Handelns, das allein aus den Geſetzen der
349
eine Folge der Selbſterhaltung, aber reicht als ein Urſprüngliches,
350
das der menſchlichen Natur zum Grunde liegt; es ergiebt ſich nur als
351
ein Mittel für die Aufgabe der durch Vereinigung zu verſtärkenden
352
Macht, als ein ⧸Conſequenz und Accidenz. H.1⧸
342 343
347
le übereinkommen, das Streben nach dem Allgemeinen der men-
menſchlichen Natur verſtanden werden kann. Es ergiebt ſich als
Consequenz ⌜Nachfolgendes
|16/2r
Genetische Darstellung
292 353
und Accidenz. und Zufallendes.AV⌝
H.2⧸
Ethiſche Unterſuchungen
Wo das Eigenleben für die Vermehrung
354
Vermehrung ſeiner Macht, für die Selbſterhaltung ſeines Weſens, an-
355
dere Wege ſieht, wird dieſer Beweggrund des Sittlichen 〚nic[ht⫮]2〛1
358
↶⌜wieÜ⌝↯ ein künſtliches Band zerreißen. Wenn man, wie Spinoza
359
beharren, wie andere Kräfte: ſo tritt auch das intelligere nur als eine
360
ſolche auf, und die andern Kräfte ſind gleich berechtigt. Denn jedes
361
Ding hat nach der Natur ſo viel Recht als es Macht hat zu ſein und thä-
362
tig zu ſein. Wo die |Kräfte in dem Kampf, den ſie alle um ihr Daſein
363
führen, [das intelligere⫮]↯ in dieſem Kriege aller gegen alle, das intelli-
356 357
364
thut, das menſchliche Weſen ohne innere Beſtimmung − denn die
Determination iſt Negation − nur als Kraft faßt mit dem Triebe zu
gere beſiegen, wo ſie das vernünftige Handeln unmöglich machen, da
365
iſt auch nur das Naturgeſetz erfüllt. Das intelligere hat nur inſofern ei-
366
nen Vorzug, als es auf das Ganze geht; das Ganze iſt aber nur berech-
367
tigt, ſo weit es in ſich zu beharren verſteht; wenn der Theil ſiegt, ſo hat
368
370
er ebenſo ⧸⌜oder mehrerg⌝H.2⧸ viel Recht. [Was]↶⌜DenÜ⌝n↯ was geſchieht, hat ein Recht zu geſchehen. Gut und böſe ſind nur
371
entſpringen, und die Begierden, welche ſich aus andern Urſachen
372
in uns erzeugen, ſind inſofern nicht verſchieden, als dieſe, wie jene
373
Wirkungen der Natur ſind und die natürliche Kraft darſtellen, wo-
374
durch der Menſch in ſeinem Weſen zu beharren[,⫮]↯ trachtet (trac-
375
tat. polit. c. 2. § 18){.} Erſt wenn das Ganze, der Menſch in ſich als
369
|16/2v
Weiſen unſerer Vorſtellung. Die Strebungen, welche aus der Vernunft
Erläuterungen: ←352 f. Nachfolgendes u. Zufallendes] spät ergänzte Alternativvariante. Da Tr. keine Anmerkungen dazu hinterlässt, welche Variante gelten soll, wird für die Textkonstitution die ältere, vormals gesetzte Variante beibehalten und die deutsche Entsprechung unter dem Klartext vermerkt.
355 ...⫮]2〛1.] zusätzliche Streichung der beiden Oberlängen von und nach Überschreibung.
394 ...⫮]2〛1.] zunächst überschrieben, dann Unterlängenansatz gestrichen.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
378
Einzelner und ⧸derH.1⧸d[er]↶d⌜ieÜ⌝H.2⧸ Gemeinſchaft der
379
des intelligere die übergeordnete Stelle, die ihm gebührt. Spinoza hat
380
in dem Trieb des menſch|lichen Weſens dies Ganze ſtillſchweigend
381
⧸vorausgeſetzt und iſt dadurch zu einem höhern Standpunkt über-
376 377
382 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395
Menſchen, auf dem Werth eines innern Gedankens ruht und die Theile dieſem Gedanken untergeordnet ſind: ſo hat der ethiſche Trieb
getreten.H.1⧸vorausgesetzt[und ist⫮]⌜ . ers⌝ [d]adurch ↶⌜DN⌝adurch ⌜iſt ererg⌝ zu einem höhern Standpunkt über-
getreten[.]↶⌜;Ü⌝⌜ und die atomiſtıſche Richtung des Eigen-
lebens, welche der Ableitung zum Grunde liegt, iſt dadurch [b⫮]↯ zurückgedrängt.erg⌝H.2.1⧸vorausgesetzt. Dadurch ist er zu ei-
nem höhern Standpunkt übergetreten; und ⌜ hat erg⌝ die atomistısche Richtung des Eigenlebens, welche [der]
↶⌜ſeiÜ⌝ner Ableitung zum Grunde liegt, [ist⫮] [dadurch⫮] zurückgedrängt. H.2.2⧸ Wenn aus dem Gedanken des Eigenlebens,
das ſich durch Vereinigung verſtärken will, wenn aus dem Gedanken der durch Eintracht zu vermehrenden Macht des Einzelnen ſchon ſo viel [fo⫮]↯ des Sittlichen folgt, als Spinoza in einfachem Gange
daraus herleitet: ſo beweiſt das nu〚[+⫮]2〛1↶⌜rÜ⌝↯, daß auch d[er]↶⌜ieÜ⌝↯ Glieder, damit ſie beharren können, das [G⫮]↯
396
geſchloſſene Ganze ſuchen müſſen; es beweiſt nur die Wechſelwirkung
397
des Jntereſſes (des „[utile⫮]↯ suum utile“) zwiſchen dem Ganzen u.
398 399 400
den Theilen. Aber dem Gedanken des Ganzen und dem Begriff des Theiles im Ganzen iſt dadurch nicht genug geſchehen.
Spinoza’s Ethik wirkt, indem ſie⧸⌈,⌜ ohne etwas vorzuſchreiben,
403
in der Form mathematiſcher Sätzeerg⌝,erg⌉H.2⧸ beſchreibt, was der Vernünftige, der Freie thun, indem ſie durch eine ſolche Betrachtung,
404
das Streben des eigenthümlich Menſchlichen erregt. Die Vorſtellung
401 402
293
die auf das gerichtet iſt, was allein aus der menſchlichen Natur folgt,
|17/1r
294
Genetische Darstellung
Ethiſche Unterſuchungen
405
wirkt nothwendig in dieſer Richtung. Jnwiefern ſie aber den Men-
406
ſchen auf das hinweiſt, was ihn zum Menſchen macht: dient ſie in
407
dem Menſchen, den ſie nur als nackte Kraft faßte, dennoch dem Ge-
408
danken⌜, ers⌝[ ſeines Weſens⫮]↯ ohne den der Trieb ſeines Weſens nicht zu begreifen iſt.
409
413
|[Aus⫮] Spinoza[’s⫮] ⌜mußte im Sinne desers⌝ Grundgedanken⌜sers⌝↯, nach welchem Denken und Ausdehnung, unter ſich
414
nen das Weſen der Dinge beſtimmenden Gedanken verneinen. Vor
415
ſeiner Grundanſchauung aus konnte er nicht anders. Dagegen ſind
416
die Gründe, die er außerhalb derſelben hinzufügt, um den Zweck
417
aufzuheben, nicht von gleichem Belang. So ſucht er z.B. zu zeigen,
418
daß der Zweck dem Begriffe Gottes widerſpreche. (eth. I. 33. schol. 2).
419
Diejenigen, welche annehmen, ſagt er, daß Gott unter ⧸der Rück-
410 411 412
ın keinem Cauſalzuſammenhange, nur der verſchiedene Ausdruck einer und derſelben Subſtanz ſind, den Zweck, das h[o]{ö}chſte, ei-
422
ſichtH.1⧸de[r]↶de⌜mÜ⌝ [Rücksicht⫮]⌜Zweckers⌝H.2⧸ des
423
ein Vorbild hinblickt oder worauf er, wie ein Schütze auf die Scheibe
424
hinzielt. Das ⧸heißtH.1⧸heiß〚[t⫮]2〛1↶heiß⌜eÜ⌝↯H.2⧸ aber in
420 421
Guten thätig ſei, ſcheinen etwas, außerhalb Gottes zu ſetzen, was von
Gott nicht abhängt, worauf indeſſen Gott in ſeiner Thätigkeit wie auf
427
der That nichts anders, als Gott einem ⧸FatumH.1⧸[Fatum⫮]⌜Ver-
428
bloßen Bilde geſchehen. Der Menſch mag das Ziel, das er erreichen
429
will, oftmals außer ſich haben. [N]↶⌜AÜ⌝ber↯ wie ſchon er nicht
425 426
430 431 432 433
|17/1v
hängnißers⌝H.2⧸ unterwerfen. Es iſt ſchwer, in Gottes [b]↶⌜BÜ⌝e-
griff↯ hinein zu argumentieren. Aber am wenigſten darf es im
|ſelten es ſelbſt ſetzt, ſo fällt das Außen u. Jener im Abſoluten (in Gott), in dem ſich aus ſich beſtimmenden Gedanken von ſelbſt weg. Spinoza hat ſeinem Gott ein anderes ⧸FatumH.1⧸[Fatum⫮]⌜Ver-
hängnißers⌝H.2⧸ gelaſſen, [D]↶⌜dÜ⌝as↯ iſt die Negation, die das
|17/2r
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 434 435
Unendliche zum Endlichen macht, ⧸und in ihrem Urſprung nicht begriffen iſt.H.1⧸[und⫮] in ihrem Ursprung [nicht⫮]
438
⌜uners⌝begriffen⌜.ers⌝[ ist.⫮]H.2⧸ Wir haben die Gründe angedeutet, welche den tiefer eingehenden
439
welche Spinoza der Speculation in ſeinem Grundgedanken gegeben
440
hat. Seine Ausführung zieht entweder, inwiefern der innere Zweck ge-
441
leugnet wird, zum materialıſtiſchen, oder, durch ſtillſchweigende Vo-
442
rausſetzungen zum teleologiſchen Standpunkt hinüber. Zwiſchen
443
dieſen beiden geht der Kampf fort; u. wir müſſen uns zwiſchen ihnen
444
entſcheiden.
436 437
Gedanken verhindern, die eigenthümliche Stellung zu behaupten,
Erläuterungen: 424 ...⫮]2〛1.] erst überschrieben, dann Oberlänge des gestrichen.
413 h[o]{ö}chſte] fehlendes Trema von Hrsg. ergänzt. 437−444 wir bis entſcheiden] Die Untersuchung bricht unvermittelt ab. Kapitel II bleibt unvollendet.
295
Klartextangebote
Umschlag
Umschlag
0/1r|
301
|Ethiſche Unterſuchungen.
1
2
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
Die Präsentation des Klartextes von F1 erfolgt mit der zweiten Schlussfassung.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
305
|Ethiſche Unterſuchungen.
1/1r|
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften.
5
Wo der Menſchengeiſt, ſei es im Einzelnen oder in der Menſchheit, ſein eigenthümliches Werk beginnt, ein Werk, das nur ihm gehört und ſein Weſen ausdrückt: da beginnt auch die Ethik, wenn wir ſie im weitern Sinne auffaſſen.
10
Jnwiefern ſie philoſophiſche Disciplin iſt, hat ſie mit der Philoſophie die Richtung auf das Ganze der Erkenntniß und auch den Urſprung des Ganzen gemein: Denn wie ſehr auch die philoſophiſchen Lehren aus einander gehen mögen, ſo bleibt es doch das durchlaufende Kennzeichen der Philoſophie, daß ſie im Gegenſatz gegen die bedingten Stücke nach 15 der Erkenntniß des unbedingten die Theile tragenden Ganzen ſtrebt. 1/1v|
Die Philoſophie, die unverrückt das Ganze |im Auge behalten ſoll, wird eben dadurch Sÿſtem, ideales Gegenbild eines realen Ganzen. Was ſie denkt und darſtellt, muß ſie im Sinne des Ganzen denken und darſtellen. Jeder ihrer Theile muß eine bewußte Beziehung zum 20 Ganzen haben. Obwol ſich nun erſt durch die Entwicklung des innern Princips dieſer Zuſammenhang erzeugt, ſo kann man doch auch dann nicht, wenn man noch im Eingang und noch vor der Disciplin ſteht, die Frage umgehen, welches der Ort der Wiſſenſchaft im Ganzen des Sÿſtems ſei. 25 Es iſt nöthig, wenigſtens in den äußern Ueberblick des Ganzen den Theil einzufügen. Genau genommen, fallen alle Wiſſenſchaften in die Ethik; denn die Erforſchung des Wahren iſt eine ethiſche That und die Gründung
Klartextangebot
306 30
Ethiſche Unterſuchungen
und Ausbildung der Wiſſenſchaften iſt eins der eigenſten Werke des Menſchen. Aber deſſen ungeachtet bleibt die Frage ſtehen, welche Stelle die Ethik, |inwiefern ſie einzelne Wiſſenſchaft iſt, in dem von ihr umfaß- |1/2r ten Jnbegriff aller einnehme. Es handelt ſich dabei um den Eintheilungsgrund der Philoſophie,
35
der, wie die Geſchichtliche Betrachtung lehrt, weſentlich zwei Geſichtspunkten pflegt entnommen zu werden. Man gründet nämlich die Eintheilung entweder auf das verſchiedene Verhalten des Menſchen zu den Gegenſtänden der Wiſſenſchaft oder auf innere Unterſchiede der Gegenſtände ſelbſt. Von jener Art iſt z.B. die Eintheilung in theoretiſche
40
und praktiſche Philoſophie, von dieſer die Eintheilung in Logik, Phÿſik und Ethik. Es iſt der Mühe werth, beide Weiſen der Eintheilung zu unterſuchen, ehe wir uns für eine derſelben entſcheiden. Die Eintheilung der Wiſſenſchaft in theoretiſche und praktiſche geht, wenn man die erſten Anſätze aufſucht, bis in Plato’s Staatsmann zurück
45
(Plat. politic. p. 258): Ariſtoteles bildet ſie auf ſeine Weiſe aus und legt ſie dergeſtalt der Betrachtung des Ganzen zum Grunde, daß ſie durch ihn ſich bis in die neueſte Zeit fortpflanzte und ihre Geltung |behauptete |1/2v (Aristot. metaphys. VI. 1. eth. Nicom. VI. 2-5)[.] Ariſtoteles faßt die Gegenſtände theils als unwandelbar und nothwen-
50
dig - beides iſt ihm daſſelbe, da das Nothwendige nicht anders ſein kann - theils als veränderlich und daher der Einwirkung frei gegeben auf. Wie nun nach Arıſt. den Gegenſtänden die erkennenden Vermögen entſprechen, ſo gehört jenes [-] das Unwandelbare und Nothwendige [-] dem wiſſenſchaftlichen Vermögen, dieſes dagegen - das Veränderliche -
55
dem Berathenden an; zu jenen Gegenſtänden verhält ſich der Menſch betrachtend, zu dieſen entweder handelnd oder bildend. Darnach iſt die Erkenntniß theils Erkenntniß der Betrachtung, theils des handelnden Lebens, theils der bildenden Kunſt und die Philoſophie theilt ſich
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
307
demgemäß in theoretiſche, praktiſche und poietiſche. Aus welchen weitern Gründen die theoretiſche Philoſophie ſich in erſte Philoſophie, 60 Phÿſik und Mathematik, die praktiſche in Ethik, Oekonomik und Politik theilte und die Logik als Werkzeug der Disciplinen allen vorangeſtellt 2/1r|
wurde: das kann an dieſem Orte |unerörtert bleiben. Wir prüfen den erſten und allgemeinen Geſichtspunkt[.] Zunächſt bleibt der erſte Eintheilungsgrund zweifelhaft, wenn für 65 das Nothwendige das wiſſenſchaftliche und für das Veränderliche und Zufällige als das Gebiet der Freiheit das berathende (praktiſche u. poietiſche) Vermögen beſtimmt wird. Das Nothwendige als das Unwandelbare liegt nicht ueber dem Veränderlichen und darum der Thätigkeit Freigegebenen, ſo daß beides zwei verſchiedenen Gebieten zu- 70 fallen könnte, ſondern es geht vielmehr durch das Veränderliche durch. Es iſt die eigentliche That der Wiſſenſchaft, das Zufällige in Nothwendiges zu verwandeln und im Veränderlichen das Unveränderliche zu erkennen. Durch die Wiſſenſchaft dehnt ſich das Gebiet des Nothwendigen fort u. fort aus und ſchränkt ſich das willkürlich Veränderliche ein. Noch 75 viel weniger kann man die innere Verwandtſchaft des Erkennens mit dem Gegenſtande ſo verſtehen, daß das Nothwendige durch ein beſonderes wiſſenſchaftliches Vermögen aufgefaßt werde, während das Veränderliche entweder der Einſicht ins Handeln oder der Kunſt zufalle. Wenn man vielmehr auf den Vorgang der Wiſſenſchaft ſieht, auf die Weiſe, wie das 80
2/1v|
Nothwendige gefunden wird: ſo hilft dabei |fortwährend die Kunſt, die ſich im Ausführbaren bewegt, von den Rechnungen und Conſtructionen der Mathematik bis zu den Experimenten der Naturwiſſenſchaft. Man kann in den Disciplinen die Theoreme und Probleme, die Lehrſätze und Aufgaben wie Wiſſenſchaft und Kunſt einander entgegenſtellen. Wer 85 nun beobachtet, wie die Löſung der Aufgaben durch die Erkenntniß der Lehrſätze und der Beweis der Lehrſätze durch die Ausführung von
Klartextangebot
308
Ethiſche Unterſuchungen
Aufgaben bedingt iſt: der sieht leicht ein, wie Wiſſenſchaft und Kunſt, Betrachten u. Bilden mit einander fortſchreiten und daher auch nicht 90
das Gebiet des Nothwendigen für die Wiſſenſchaft und das Gebiet des Veränderlichen für das Handeln u[.] die Kunſt dergeſtalt als geſchieden feſtzuhalten ſind, als gehörten ſie zwei verſchiedenen Vermögen an. Ariſtoteles hat die Gebiete wie gegebene und fertige unterſchieden, aber dabei nicht in ihrem Entſtehen u. Werden aufgefaßt. Darin liegt die
95
Urſache des Fehlers. Der andere Grund dieſer Eintheilung ſchließt ſich an den erſten an; indem er das Verhalten der menſchlichen Thätigkeit ins Auge faßt, das Betrachten, das Handeln und das Bilden. Es fragt ſich, ob ſich dieſe Thätigkeiten auf ſolche Weiſe einander ausſchließen, uns die Grundlage
100
für nebengeordnete Arten zu ſein. Die Andeutungen, welche Ariſtoteles zur Unterſcheidung giebt, genügen ſchwerlich. So ſoll das Bilden dem Handeln darin entgegenſtehen, daß jenes einen Zweck außer ſich habe, nämlich das Werk, dieſes in ſich ſelbſt einen Zweck trage, wie überhaupt das Wohlhandeln das Ziel ſei. (die εὐπραξία im Sinne der durch richtiges
105
Handeln erreichten Glückſeligkeit). Die nähere Betrachtung zeigt auch hier eine Uebereinſtimmung. Der bildende |Künſtler bringt allerdings |2/2r ein Werk hervor, das äußerlich daſteht. Wenn aber der Handelnde, z.B. der Tapfere, der Mäßige eine Wirkung bezweckt: ſo verhält ſich dieſe, wie unſichtbar ſie auch in die Kette der Ereigniſſe eingreife, dennoch wie das
110 Inhaltliche Randnotiz, vermutl. zu Z. 106 ff.: vgl[.] noch Heft d[.] Geſch[.] dς[.] Polis. Bog. 10. Arıſt[.] polıt. 1. 2. §. 3 Inhaltliche Randnotiz, vermutl. zu Z. 106 ff.: Vgl. noch die Stelle b. Brandis no. 22 aus eth. Nic. I. 1. Aber da z. erinnς: d. Werk iſt nicht beſſer als die Thätigkeiten; Denn die ei-
115 gentliche Thätigk[ei]t, d. urspr[.], iſt die Conception der Kunſtwerke, u. das Kunſtwerk iſt nur für dieſe da, um dieſe Thätıgk[ei]t in d. Beſchauen zu vervielfältigς[.]
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
309
äußern Werk des Künſtlers - zu geſchweigen, daß das Handeln, wenn es im größern Maßſtabe erſcheint, bleibende Bildungen und Einrichtungen[,] z.B. Anſtalten des Staats[,] hervorbringt wie lebendige, bewußte Kunſtwerke. Wenn das Handeln darum in ſich ſelbſt Zweck ſein und ſich dar- 120 um in ſich ſelbſt vollenden ſoll, weil das Wohlhandeln das letzte Ziel iſt: ſo iſt dieſer Grund offenbar zu weit. Denn das Wohlhandeln in jenem allgemeinen Sinne der durch Handeln zu erſtrebenden Glückſeligkeit (εὐπραξία) wird nicht bloß durch das Handeln im engern Sinne, ſondern gleicher Weiſe durch das wiſſenſchaftliche Betrachten und Künſtleriſche 125 Bilden erreicht. Ariſtoteles iſt uns deſſen ſelbſt ein Zeuge, wenn er die menſchliche Glückſeligkeit in der theoretiſchen vollenden will u. 2/2v|
|alſo die Eupraxia des betrachtenden Lebens auf die Höhe ſeiner Ethik ſtellt: Wenn dieſer Begriff des Wohlhandelns, des hiernach ſich durch Thätigkeit vollziehenden menſchlichen Zwecks durch alle drei Weiſen, 130 durch das Betrachten, das Handeln und das Bilden hindurchgeht, ſo könnten ſich gleichwohl alle drei wie Arten zu einander verhalten. Dann muß indeſſen gefordert werden, daß ſie, obwol in dieſem Allgemeinen übereinkommend, ſich ſonſt nicht mit einander vermiſchen, ähnlich wie z.B. die Arten des Parallelogramms Quadrat, Rechteck, Rhombus und 135 Rhomboid in der Natur des Parallelogramms übereinkommen, aber ſonſt keine derſelben die eigenthümliche Natur des andern in ſich enthält. Iſt dies nun bei den zum Grunde gelegten Begriffen der Fall? Das Betrachten iſt vielmehr im Handeln, wie im Bilden, als Erfordnerniß mitenthalten. Denn das Handeln muß von Vernunft durchdrungen ſein und das Bilden 140 ſoll eine Jdee darſtellen u[.] zur Anſchauung bringen. Ebenſo iſt das Bilden
3/1r|
|in dem Handeln, wie in dem Betrachten enthalten; denn das Handeln vollendet ſich erſt in der ſittlichen Schönheit, in einer Darſtellung, die, wie das Kunſtwerk, ihrer Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf, wie ſchon gezeigt iſt, des Hervorbringens, um ſich zu verwirklichen, 145
Klartextangebot
310
Ethiſche Unterſuchungen
und muß ſich darſtellen, um ſich ſelbſt klar und andern zugänglich zu werden. Endlich vollzieht ſich das Handeln im wiſſenſchaftlichen Beruf durch das Betrachten und im künſtleriſchen durch das Bilden auf eigenthümliche Weiſe. Wer dieſe Beziehungen überdenkt, findet die eine 150
Thätigkeit mitten in der andern. Es ſoll dabei nicht verkannt werden, daß ſich die drei Thätigkeiten, das Betrachten, das Handeln und das Bilden nach den Richtungen ihres Zweckes unterſcheiden. Das Betrachten will erkennen[,] um zu erkennen; das Bilden will hervorbringen, um einen Gedanken anzuſchauen oder eine Empfindung hinzuheften;
155
das Handeln hingegen will eine Wirkung als ſolche. Aber dieſe verſchiedenen Zwecke, da ſie die andern wechſelsweiſe als Mittel in ſich tragen, |ſind allein nicht geeignet, um die Theile der Philoſophie mit |3/1v ſcharfen Unterſchieden zu begrenzen. Das Quadrat iſt, um zum obigen Beiſpiele zurückzukehren, in keinem Stücke der ſpecifiſchen Differenz
160
ein Rhomboid, aber das Handeln ſchließt das Betrachten und das Bilden und dieſe umgekehrt das Handeln in ſich ein. Würde daher eine Eintheilung der Philoſophie auf dem Grunde dieſer Begriffe ſtreng ausgeführt, ſo wären Wiederholungen unvermeidlich. Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit den in neuerer Zeit viel ge-
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nannten und neben einander geſtellten Jdeen des Wahren, Guten und Schönen. Sie drücken das als Gegenſtand aus, was in den Begriffen des Betrachtens, Handelns und Bildens als Thätigkeit angeſchauet wird. Nur die oberflächliche Anſicht vermag ſie zu trennen. Wer in ſie tiefer eindringt, wird bald gewahr, daß man nicht den Jnhalt der einen heben
170
kann, ohne den Jnhalt der andern mitzuheben. Randnotiz, vermutl. zu Z. 171 f.: Plato–Gerſon im M. A. bonum (Begehrς) verum [ ]
(Erkennς) Chalyb ä us I. S. 72 f[.]
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
311
Wir begegnen im Mittelalter derſelben oder mit Ariſtoteles verwandten Eintheilungen. Wir ſehen die Wirkung noch im vorigen Jahrhundert, 175 wenn Chr. Wolf u. nach ihm Kant u[.] Fıchte die Philoſophie in theo3/2r|
|retiſche und praktiſche eintheilen. Wenn bald nach Wolf Baumgarten die Aeſthetik hinzufügte, ſo trat darin die zurückgedrängte ποιητική des Ariſtoteles von Neuem mit ihrem Rechte hervor. Kant iſt, was die Eintheilung der Philoſophie betrifft, von Chr. Wolf abhängig. Man 180 ſieht es deutlich, wenn man Kants Architektonik der reinen Vernunft mit der Einleitung zu Wolfs Logik vergleicht.1) Wenn Kant, wie Wolf, die Philoſophie zunächſt in theoretiſche und praktiſche eintheilt, ſo hat darauf bei Kant, wie bei Wolf, die Scheidung der Geiſtesthätigkeit in Erkenntnißvermögen[,] Begehrungsvermögen und Gefühlsvermögen 185 weſentlichen Einfluß.2) Aber die Ergebniſſe bei Kant zeugen zugleich gegen die Richtigkeit dieſer Eintheilung. Die praktiſche Vernunft greift beı ıhm in das Gebiet der theoretiſchen zurück und erzeugt theoretiſche Vorausſetzungen, Poſtulate, welche der Kritik der reinen Vernunft zweifelhaft waren. Herbart gehört inſofern hieher, als auch er die Philoſophie nicht 190
3/2v|
nach den Objecten ein|theilt. Wenn er die Philoſophie als Bearbeitung der Begriffe erklärt, ſo theilt er ſie nach der logiſchen Thätigkeit ein, die ſie erfordern. Aus den Hauptarten, wie die Begriffe bearbeitet werden, ergeben ſich die Haupttheile der Philoſophie: Jnwiefern es der Zweck iſt, die Begriffe klar und deutlich zu machen, entſpringt ihm die Logik. 195 Jnwiefern gegebene Begriffe der Erfahrung Widerſprüche in ſich tragen und ſie daher nach ihrer beſondern Beſchaffenheit zu verändern und zu ergänzen ſind, damit ſie denkbar werden: ſo ergibt ſich ihm die
3/2r||
||1) Kant Kritik der reinen Vernunft. „ Methodenlehre[“] 3tes. Hauptstück. 2t. Aufl. S. 874 ff. 200 u. Wolf philosophia rationalis s. logica. 1728. discursus praeliminaris § 60 ff. 2) Kant Kritik der Urtheilskraft. 1790. Einleıtς III. S. XX.
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Ethiſche Unterſuchungen
Wiſſenſchaft der Metaphÿſik, welche auf ähnliche Weiſe, wie bei Wolf und Kant, in der Pſÿchologie, Naturphiloſophie und natürlichen Theologie 205
ihre Anwendung findet. Endlich werden Begriffe unterſchieden, welche in unſerm Vorſtellen ein Urtheil des Beifalls oder Mißfallens nothwendig herbeiführen und die Wiſſenſchaft von ſolchen Begriffen iſt ihm die Aeſthetik. Angewandt auf das Gegebene geht ſie in eine Reihe von Kunſtlehren über, welche ſä[m]tlich praktiſche Wiſſenſchaften heißen
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können; praktiſche Philoſophie im engern Sinne heißt ihm diejenige der |Kunſtlehren, deren Vorſchriften den Charakter der nothwendigen |4/1r Befolgung darum an ſich tragen, weil wir unwillkührlich und unaufhörlich den Gegenſtand derſelben darſtellen.3) Dieſe Eintheilung wurzelt ganz in Herbarts eigenthümlicher philoſophiſcher Anſchauung und
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kann nur mit dieſer beurtheilt werden: Jndeſſen ſchon bei einer vorläufigen Betrachtung ſpricht einiges gegen die Strenge dieſer Eintheilung: Zunächſt treten nach dieſem Eintheilungsgrunde Logik und Aeſthetik nicht ſcharf aus einander. Denn auch die Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe gefällt u. auch darauf kann ſich eine Kunſtlehre richten. Jn Herbarts
220
Schule iſt in der That dieſe Conſequenz gezogen. Bobriks Logik4) überträgt die Analogie der praktiſchen Philoſophie auf die Erkenntnißlehre und entwirft fünf urſprüngliche und fünf abgeleitete logiſche Jdeen, wie Herbart fünf urſprüngliche und fünf abgeleitete praktiſche Jdeen darſtellt. Der Grund der Eintheilung iſt hierdurch nicht ſcharf genug. Ferner
225
iſt es ſehr zweifelhaft, ob bei den Erfahrungsbegriffen eine |ſolche Aufgabe |4/1v vorliege, wie die von Herbart behauptete metaphÿſiſche Berichtigung und Ergänzung. Was er in ihnen für Widerſpruch erklärt, das wird, ||3) Joh. Frdr. Herbart Lehrbuch zur Einleitung in die Philoſophie. 3t. Aufl. 1834. § 5 ff.
230 4) Dr. Ed. Bobrik neues praktiſches Syſtem der Logik. I, 1. urſprüngliche Jdeenlehre. Zürich 1838[.] § 12 ff[.]
||4/1r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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wie anderswo nachgewieſen worden, auch in ſeiner metaphyſiſchen Bearbeitung der Begriffe nicht wirklich weggeſchafft, ſondern nur für den Augenſchein ausgeglichen;5) ja, es wird gar nicht als Widerſpruch erſcheinen, wenn nicht ein falſcher Maßſtab des Jdentitätsgeſetzes ange- 235 legt wird.6) Endlich würde er ſich fragen, ob nicht auch die aeſthetiſchen Begriffe und namentlich die praktiſchen Jdeen, wenn man den Widerſpruch in Herbarts Sinne beſtimmt, denſelben Widerſpruch in ſich enthalten, wie z.B. die Jdee der Billigkeit nach Herbarts Auffaſſung nicht ohne die durch eine Handlung eingetretene Veränderung gedacht wird, 240 4/2r|
welcher Begriff nach Herbarts Metaphÿſik ſich in ſich |widerſpricht. Aus dieſen Gründen wird Herbarts Fundament der Eintheilung ſich nicht einmal unter ſeinen eigenen Vorausſetzungen, aber viel weniger außerhalb ſeines Sÿſtems halten können. Sollte ſich nach dieſen fehlgeſchlagenen Verſuchen das verſchiedene 245 Verhalten menſchlicher Thätigkeit nicht eignen, um einen Eintheilungsgrund der Philoſophie abzugeben: ſo ſuchen wir ihn auf der andern Seite, in der Verſchiedenheit der Gegenſtände. Es begegnet uns auf dieſem Wege eine alte Eintheilung, die zufolge einer Bemerkung des Sextus Empiricus dem Keime nach bereits in Plato 250 liegt, aber erſt von den Stoikern zur Norm des Sÿſtems genommen wurde. Es iſt die Eintheilung der Philoſophie in Logik, Phÿſik und Ethik. Die alten Stoiker ſahen dabei die Phÿſik als den Kern oder den Quell der Erkenntniß an; denn die Phÿſik, welche in die Vernunft der Natur als in den letzten Urſprung zurückgeht, iſt ihnen in demſelben Sinne, wie 255 dem Ariſtoteles die Metaphÿſik, die göttlichſte unter den Wiſſenſchaften.
4/1v||
||5) Logiſche Unterſuchungen B. I. S. 137 ff. 6) Logiſche Unterſuchungen B. II. S. 95 f. Alternativvariante: 255 letzten] göttlichen von Tr. spät ergänzt. 260
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Ethiſche Unterſuchungen
Sie vergleichen die Philoſophie dem lebendigen Leibe eines Thieres und zwar den logiſchen Theil den Knochen und Sehnen, den ethiſchen dem Fleiſch und Blut, den phyſiſchen |endlich der Seele; oder ſie vergleichen |4/2v nach dem Bilde eines Eies den logiſchen Theil der Schale, den ethiſchen 265
dem Weißen, den phyſiſchen dem Dotter; oder nach dem Bilde eines fruchtbaren Ackers den logiſchen Theil der Umzäunung, den ethiſchen der Frucht, den phÿſiſchen dem Boden oder dem Baume. Wie die Logik darnach als das Zuſammenhaltende betrachtet wird, ſo bildet die Phÿſik den geſtaltenden, hervorbringenden Mittelpunkt. Hiernach würden die
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Theile, wenn wir von innen nach außen gehen, in der Reihe der Phÿſik, Ethık, Logik auf einander folgen. Jndeſſen erkannten die Stoiker auf der einen Seite dıe Wechſelwirkung der Theile, wollten keinen dem andern voranſetzen u. änderten die Folge nach dem vorliegenden Zweck des Vortrags u. der Lehre; auf der andern Seite ſtellten ſpätere Stoiker nach
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der vorwiegenden Richtung, die ſie nahmen, die Ethik in das eigentliche Centrum.7) |Da die ſtoiſche Eintheilung der Philoſophie aus der Sache, aus dem |5/1r innern Verhältniß der Gegenſtände[,] entnommen iſt, ſo hat ſie ſich neben jener ariſtoteliſchen bis in die neueſte Zeit behauptet.
280
Carteſius z.B. hat über die Eintheilung der Philoſophie nur eine allgemeine Bemerkung,8) aber ſie ſtimmt im Weſentlichen mit der ſtoiſchen Anſchauung. Carteſius ſagt, die Philoſophie gleiche einem Baume. Seine Wurzeln ſeien die Methaphÿſik - und er beſtimmt ausdrücklich, daß die Principien der Erkenntniß, die Entwicklung der
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||7) Diog. Laert. VII. 40 Sext. Empir. adv. mathem. VII. 16 ff. vgl. Plutarch. De Stoicorum ||4/2v repugnantiis. c. 9.
||8) epiſt. ad principiorum philosophiae interpretem Gallicum p. 10 f. nach der Amſterd. ||5/1r Ausgab. 1685.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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weſentlichen Attribute Gottes, der Jmmaterialität der Seele und aller 290 klaren und einfachen Begriffe, die ſich in uns finden, zur Metaphÿſik gehören, ſo daß dieſe Disciplin im carteſiſchen Sinne der Logik der Stoiker und dem metaphyſiſchen Theil ihrer Phÿſik entſprechen würde. Der Stamm jenes Baumes, führt Carteſius fort, ſei die Phÿſik, die aus ihm hervorwachſenden Zweige die übrigen Wiſſenſchaften, wel- 295 che auf drei zurückgehen, Medizin, Mechanik und Ethik, ſo daß wir 5/1v|
in dieſen den andern Theil der ſtoiſchen |Phÿſik ſammt der Ethik vor uns haben. Man hat aus Spinoza de intellectus emendatione p. 417. f[.] eine Eintheilung der Philoſophie zu gewinnen verſucht; aber mit Unrecht und 300 vergeblich. Denn es iſt dort nur von dem Studium der Wiſſenſchaften für den Zweck der menſchlichen Glückſeligkeit und Vollkommenheit, von einem Dienſt dieſes Studiums für das ethiſche Ziel u. nicht von einer theoretiſchen Gliederung der Principien die Rede. Es ſteht nichts im Wege, bei Spinoza eine Eintheilung vorauszuſetzen, welche der des 305 Carteſius verwandt iſt. Jn ſeiner Ethik geht er einen ähnlichen Gang, von der Metaphÿſik im erſten Buche zu logiſchen Betrachtungen im zweiten, wobei er die Principien der Phÿſik lemmatiſch zwiſchen legt, von da zur Pſÿchologie der Leidenſchaften im 3t. u. 4t. Buch u. endlich im 5ten zur Ethik im engern Sinne, dem Ziel des Ganzen. Zwar ſind auf dieſem 310 Gange die wiſſenſchaftlichen Lehren durch den ethiſchen Zweck, den das Ganze verfolgt, in ihrem Umfang beſchränkt und in ihrer Richtung gebunden; aber es läßt ſich dennoch daraus ein allgemeiner Entwurf der Eintheilung im Sinne des Spinoza entnehmen.
5/2r|
|Jn jenen Vergleichen der Stoiker, in dem Bilde des Carteſius und in 315 der Anordnung des Spinoza iſt der genetiſche Gang angedeutet, den die Eintheilung verfolgen will. Es ſollen die Disciplinen nicht in einem äußern Ueberblick neben einander geſtellt werden, ſondern ſie ſollen ſich wie
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Ethiſche Unterſuchungen
Bedingung und Bedingtes, Vorausſetzung und Folge an einander reihen. 320
Die ſichere ſoll die Baſis der ſpätern ſein. Hegel will dies in einem noch ſtrengern Sinn, wenn er, ähnlich wie die Stoiker, die Philoſophie in Logik, Philoſophie der Natur und Philoſophie des Geiſtes eintheilt. Die dialektiſche Methode ſoll von Glied zu Glied dieſen innern Zuſammenhang erzeugen. Wenn man namentlich bei
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dem meiſt formalen Jnhalt der ſtoiſchen Logik zweifelhaft ſein kann, wo man ihr ihren Ort anzuweiſen hat: ſo ſteht Hegels Logik, die dialektiſche Vorbildnerin alles Concreten, nothwendig im Urſprung. Jndeſſen entſcheidet dieſelbe Kritik, welche genöthigt iſt, Hegels dialektiſche Methode für eine Methode des Scheins zu erklären, auch über dieſe Eintheilung,
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welche aus der künſtlıchς Dialektik fließt. Wir müſſen daher die Ordnung der Natur auf einem einfacheren Wege ſuchen. |In der Eintheilung und Reihenfolge der Wiſſenſchaften kreuzen ſich |5/2v leicht zwei leitende Geſichtspunkte, die Ordnung, welche der Entſtehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche der Gang des Lehrens und
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Lernens nöthig macht. Die methodiſche Rückſicht durchſchneidet die genetiſche Strenge. Denn die genetiſche Betrachtung ſchöpft aus dem Grunde der Sache, während ſich die methodiſche Anordnung den Bedürfniſſen des ſich entwickelnden menſchlichen Geiſtes anpaßt. Wir finden dieſe Einſchränkung oder Vermiſchung faſt in allen Sÿſ-
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temen. Jn Plato gehen die epagogiſchen Dialoge den dialektiſchen voran: Ariſtoteles verlangt, daß man vor der Metaphÿſik, dıe ſonſt von den erſten Gründen anhebt, die Analÿtik vorherwiſſe und die Peripatetiker ſtellen überhaupt die Logik als das Werkzeug der Disciplinen, als Organon, vor den Jnbegriff derſelben. Von den Stoikern iſt bereits an-
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geführt, daß ſie die Folge nach dem Zweck veränderten. Carteſius griff in ſeiner Schrift über die Methode ſelbſt in die Ethik vor, um die Freiheit der Unterſuchung zu ſichern: Chr. Wolf |unterſchied ausdrücklich |6/1r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
317
zwiſchen der methodus demonstrandi u. methodus studendi. Kant ſteckte durch ſeine Kritik den Boden für das Sÿſtem ab und ſchied Kritik u. Architektonik ſehr deutlich. Jn Hegels Lehre iſt bald die Phae- 350 nomenologie als die Erziehung des Bewußtſeins zur ſpeculativen Erkenntniß, bald die hiſtoriſche Einleitung der Encÿklopaedie oder gar die ganze Geſchichte der Philoſophie für eine nothwendige Vorbereitung erklärt, um den Standpunkt der grundlegenden Wiſſenſchaft, der Logik, aufzufaſſen.
355
Die Stellung der Logik, der Erkenntnißlehre[,] erſcheint insbeſondere wie ein Hyſteronproteron der meiſten Sÿſteme. Als Theorie der Wiſſenſchaft muß ſie in Principien eingehen, welche den übrigen Wiſſenſchaften angehören, und welche ſie von ihnen erſt überkommt; und doch kann ſie im philoſophiſchen Syſtem den übrigen Disciplinen 360 nicht wohl nachfolgen, denn ſie ſoll ihnen den Grund ſichern u. den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des Denkens wird ſie im genetiſchen Sÿſtem zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer Seite der Pſÿchologie. 6/1v|
Aber als Logik hat ſie die Aufgabe, nicht blo[ß] der Pſÿchologie, |ſondern auch den Wiſſenſchaften, welche dieſer nothwendig vorangehen, zur 365 Wegweiſerın zu dienen. Dies doppelte Verhältniß bringt in die Stellung der Logik ein Schwanken, und man weiſt ihr meiſtens, wie ſchon im Alterthum geſchah, vor das genetiſche Sÿſtem ihren Ort an. Die Philoſophie entſteht im Unterſchiede von den einzelnen Wiſſenſchaften weſentlich daraus, daß die nur vorausgeſetzten Principien 370 der einzelnen Wiſſenſchaften den Beweis ihrer Berechtigung u. die zerſtreunten Anfänge den Zuſammenhang des Ganzen ſuchen. Es iſt daher nothwendig, daß dieſe allgemeine Aufgabe zunächſt erledigt werde. Denn die beſondern Disciplinen empfangen dadurch ihre Wurzeln und ihre gegenſeitige Stellung. Es beſchäftigt ſich damit diejenige 375 Wiſſenſchaft, welche es von früh her unternommen hat, das Seiende als
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Ethiſche Unterſuchungen
Seiendes, das Seiende als ſolches zu erkennen d.h. das Seiende in jenem allgemeinen Sinn, in welchem es nicht das Beſondere iſt, aber den Grund des Beſondern in ſich trägt - die Methaphÿſik. Sie wird daher, wie die 380
Logik, allen einzelnen Wiſſenſchaften voran|gehen.
|6/2r
Logik und Metaphÿſik eröffnen nach dieſen Betrachtungen die Philoſophie. Jndeſſen bilden ſie vielleicht nur die beiden ſich einander bedingenden Seiten Einer und derſelben Wiſſenſchaft, die wir als Logik im weitern Sinne bezeichnen können. Dieſe Anſicht iſt dann nothwen385
dig, wenn es, wie nachgewieſen worden,9) ein vergebliches Bemühen iſt, eine formale Logik feſtzuhalten, wenn vielmehr der Vorgang des Erkennens nur durch den Erwerb oder Beſitz der realen Principien, welche den erkannten Dingen zum Grunde liegen, begriffen werden kann, wenn alle Nothwendigkeit auf eine Gemeinſchaft des Denkens
390
und Seins als auf ihren letzten Urſprung hinweiſt, wenn endlich die Lehre der Metaphÿſik nur von denſelben Principien der Wiſſenſchaften, welche die Erkenntnißlehre behandelt, und von keiner andern Baſis ausgehen kann. Dieſer Parallelismus des Denkens und Seins aus einer innern Gemeinſchaft entſpringend, dieſe Einheit der Logik und
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Metaphÿſik iſt in dem Sÿſtem der logiſchen Unterſuchungen entworfen |und begründet worden. Erſt aus einer ſolchen Grundlegenden |6/2v Wiſſenſchaft kann die Gliederung derjenigς Disciplinen folgen, deren Principien ſie enthält. Wenn man ſich in den Punkt hineinſtellt, auf welchem überhaupt erſt
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die Philoſophie in ihrem Unterſchied von den einzelnen Wiſſenſchaften entſteht: ſo wird ſich der Zirkel löſen, in welchem eine ſolche Wiſſenſchaft die folgenden philoſophiſchen Disciplinen zu begründen und doch auf ihrem Grunde zu ſtehen ſcheint.
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||9) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt 1. Th. I. S. 4 ff[.]
||6/2r
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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Die Philoſophie findet die einzelnen Wiſſenſchaften in ihrer Zerſtreuung und in der Geſtalt vor, die ſie ſich für ſich gegeben haben. Die Logik und Metaphÿſik haben in ihnen ihren Stoff der Betrachtung; ſie finden in ihnen Methoden und vorausgeſetzte Principien vor und haben die Aufgabe, ihren Urſprung und ihre Einheit aufzuſuchen. Durch dieſe 410 Auffaſſung der gemeinſamen Quelle, durch dieſe gegenſeitige Regelung und Belebung wird erſt der philoſophiſche Gehalt erzeugt: Es kann nicht 7/1r|
fehlen, daß in dieſem Vorgan|ge diejenigen Keime entſtehen, welche in der Entwicklung des Sÿſtems zu den Principien der philoſophiſchen realen Disciplinen werden. Die vereinzelten Wiſſenſchaften in ihren ge- 415 ſchichtlichen Geſtalten werden von der grundlegenden Wiſſenſchaft der Logik und Metaphÿſik vorausgeſetzt, aber die philoſophiſchen Disciplinen gehen in ihrer Gliederung aus dieſer hervor. Die Logik und Metaphÿſik greifen daher nicht in die philoſophiſchen Disciplinen vor, ſondern in die empiriſchen zurück.
420
Es bedarf an dieſer Stelle einer allgemeinen Orientierung, welche am beſten durch einen Blick auf die Geſchichte der Philoſophie und der Wiſſenſchaften geſchieht: Als die Philoſophie entſtand, war ſie mit den übrigen Wiſſenſchaften eins. Wir führen nicht an, daß wir zur Zeit der Anfänge in Thales, dem 425 ioniſchen Phÿſiologen, einen Aſtronom u. Geometer, in Pÿthagoras einen Geometer u. Harmoniker, in Demokrit einen Mechaniker ſehen und daß ſchon damals die Analogien einzelner Wiſſenſchaften zu Weltanſichten gedehnt werden, wie dies in der Lehre des Pÿthagoras von 7/1v|
der Zahl u. Harmonie an einem klaren Beiſpiel hervortritt. Erſt in |Plato 430 wird die Philoſophie wahrhaft Sÿſtem, ein ſelbſtbewußtes Ganzes. Schon Plato ſtellt der Dialektik, welche ihm die Methode der Philoſophie iſt, das große Ziel, die bedingten Vorausſetzungen der Wiſſenſchaften zum Unbedingten der Jdee und die zerſtreuten Erkenntniſſe zur Ueberſicht der
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Verwandtſchaft unter ſich und mit der Natur des Seienden zu führen[.] Jn dieſer Richtung liegen bei Plato die immer neuen, die wie abgeſtumpften Antriebe zu philoſophiſcher Betrachtung. Aber in dem Drange nach der großartigen Einheit verſäumt er den umgekehrten Zug zum Beſondern. Wir finden bei ihm keine Eintheilung des Ganzen in die einzelnen
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Disciplinen und nirgends eine ſichere Erklärung über das Verhältniß der vereinzelten Wiſſenſchaften und ihrer Methoden zur Philoſophie u. Dialektik. Denn wenn auch Plato von einem Hinauf- und Herabſteigen auf dem Gebiete der Jdee ſpricht, ſo fehlt ihm doch in jenem vorwiegenden Streben zur Jdee der beſonnene Entwurf des Beſondern, der Gang
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zu den Wiſſenſchaften zurück. Bei Plato heißt ſelbſt noch eıne einzelne Wiſſenſchaft, wie die Geometrie, eine |Philoſophie (φιλοσοφία τιs), wie |7/2r noch bei Ariſtoteles ein wiſſenſchaftlicher Schluß φιλοσόφημα heißt. Es mag ſcheinen, daß in Ariſtoteles der Gegenſatz zwiſchen der Philoſophie und den einzelnen Wiſſenſchaften entſchieden werdς[.]
450
Ariſtoteles unterſcheidet nämlich die Auffaſſung der Thatſache (τò ὄτι) und die Erforſchung des Grundes (τò δίοτι); er nennt jene ἱστορία (z.B. de inceſsu animalium c. 1), u. man hat dieſe hingegen in Ariſtoteles Sinne φιλοσοφία nennen wollen. Jndeſſen würde er einen ſolchen Gegenſatz ablehnen. Die Thatſache und der Grund gehören
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nach ſeiner Anſicht dergeſtalt zuſammen, daß die genügende Erkenntniß der Thatſache zum Grunde führt (eth. Nic. I. 2) und nur bisweilen erſt mit dem Grunde die Thatſache hervorſpringt (analyt. post. II. 8). Jn Ariſtoteles kann man dieſe zwei Seiten der Erkenntniß nicht wie zwei Gebiete der Wiſſenſchaft ſcheiden und am wenigſten die Philoſophie je-
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ner ἱστορία entgegenſtellen. Jn ſeiner oben berührten Eintheilung der Philoſophie haben alle Wiſſenſchaften Raum; und wie Ariſtoteles in der Phÿſik |diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche die Thatſache und nur |7/2v dieſe darſtellen, z.B. die Thiergeſchichte nicht ausſchließt, ſondern als
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Grundlage für die Erforſchung fordert und in ſie aufnimmt: ſo würde auch folgerichtig zu der Politik die Geſchichte der Staaten und die 465 Beſchreibung der Verfaſſungen, welche ſo gut ίστορίαι ſind, als die περὶ τὰ ζῶα ίστορία, in demſelben Verhältniß ſtehen. Nach einer andern Seite liegt eine andere Beſtimmung, die hier in Betracht kommen könnte. - Ariſtoteles wendet bisweilen das Bild des Werkmeiſters, der für die verſchiedenen Thätigkeiten der ausführenden Arbeiter gleichſam der 470 Urſprung und die Einheit iſt, auf die Wiſſenſchaften an und bezeichnet die leitenden im Gegenſatz gegen die ihnen untergeordneten mit dem Namen der τέχvαι άρχιτεκτονικαι (metaphys. V. 1) und die Philoſophie könnte nun im vorzüglichen Sinne άρχιτεκτονική heißen. Aber theils nennt Ariſtoteles ſie nirgends ſo u. ſcheint vielmehr die erſte Philoſophie, die 475 Wiſſenſchaft der Urſprünge, mit dieſem Bilde zu erläutern (metaphys. I. 1.), 8/1r|
theils würde auch auf dieſem Wege |keine beſtimmte Scheidung von den einzelnen Wiſſenſchaften erzeugt werden. Hiernach iſt ein ſcharfer Gegenſatz zwiſchen der Philoſophie und ihren Theilen auf der einen, und den vereinzelten Wiſſenſchaften auf der andern Seite auch bei Ariſtoteles 480 noch nicht da. Es fehlt an den Grenzbeſtimmungen. Erſt in dem alexandriniſchen Zeitalter vollzog ſich die Theilung der wiſſenſchaftlichen Arbeit entſchiedener. Die einzelnen Wiſſenſchaften wuchſen damals durch einzelne Pflege, wie die Grammatik in Zenodot, Ariſtarch und Ariſtophanes, die Geographie in Eratosthenes und 485 ſpäter in Ptolemaeus, die Aſtronomie in Hipparch, und die Geometrie gab in Euklides das große Beiſpiel eines einzelnen ſich abſchließenden Sÿſtems und der ſich in beſtimter Abfolge ergebenden nothwendigen Erkenntniſſe. Erſt in dieſer Zeit gehen die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich ihren Weg und ſie löſen ſich, wie die Aſtronomie, die Geographie, 490 die Mathematik, mehr u. mehr von der Philoſophie ab, obwol die Philoſophen, wie z.B. die hervorragenden Stoiker, fortwährend auch
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in den einzelnen Wiſſenſchaften forſchten u[.] |ſie mit dem Ganzen der |8/1v Lehre zuſammenbrachten, wie wir dies z.B. in den Nachrichten ſehen, 495
welche uns Strabo über die geographiſchen Verdienſte einzelner Stoiker erhalten hat. Selbſt die neuplatoniſche Schule zerſchneidet nicht ganz das Band mit den einzelnen Wiſſenſchaften und in Proklus στοιχείωσις θεολογικὴ verbindet ſie ſich auf ähnliche Weiſe mit der Architektonik von Euklides Elementen, wie ſpäter Spinoza thut.
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Nachdem das Mittelalter geſchieden war, das abgeſehen von der Theologie nur die wiſſenſchaftlichen Elemente des Alterthums in träger Ueberlieferung friſtete; als ſich nun ein neues Leben in den einzelnen Wiſſenſchaften regte: entwarf Campanella, um die Einſeitigkeiten zu vermeiden, welche ſich in der Philoſophie aus dem vorwiegenden Jntereſſe
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einer einzelnen Wiſſenſchaft erzeugen, eine Encÿklopaedie des Wiſſens. Aber ſo gewiſſenhaft wie Campanella, theils in der alten Scholaſtik theils im Geiſte der neuen Wiſſenſchaften ſtand, konnte er es zu derjenigen Scheidung und Einigung nicht bringen, welche in dem Verhältniß der Philoſophie u. der eınzelnen Wıſſen|ſchaften zu einer höhern, aber |8/2r
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ſchwierigen Aufgabe wurde. Unter dieſelbe wird man weder in Carteſius, noch in Spinoza genügende Auskunft finden. Zwar ſucht Carteſius, wie in ſeinen Meditationen, in ſeiner Schrift über die Methode, einfache Prinzipien, und führt ſie, wie in ſeiner Schrift der principia philoſophiae, namentlich für die Erklärung der phÿſiſchen Erſcheinungen in ihre
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Folgen hinaus. Aber theils iſt die Anwendung zu beſchränkt u. es geht die ethiſche Seite ziemlich leer aus, theils fehlt der Geſichtspunkt, unter welchem ſich die Philoſophie mit den einzelnen Wiſſenſchaften aus einander ſetzen könnte. Spinoza hält ſich überall vom Metaphÿſiſchen aus mehr im Pſÿchologiſchen und Ethiſchen. Chriſtian Wolf unterſcheidet
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das Rationale von dem Empiriſchen und rückt mit dem vermeintlich Rationalen in das Empiriſche, wie mit einem nothwendigen Prinzip
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in den gegebenen Stoff vor. Aber erſt Kant übt an dieſen Begriffen die Kritik. Kant führt das Rationale auf das Allgemeine und Nothwendige und das Allgemeine und Nothwendige auf den Urſprung im erkennenden Geiſte, auf das Element des a priori zurück. Aus dieſer 525 8/2v|
Quelle ſchöpfte er |die metaphÿſiſchen Prinzipien, mit denen er alle Wiſſenſchaften befruchtete. Aber indem ihm auf ſubjectivem Boden eine Transſcendentalphiloſophie entſteht, befeſtigt ſich ihm eine Kluft zwiſchen dem Subjective[n] u[.] Objective[n] und es vermag ſich kein natürliches und geſundes Verhältniß zwiſchen den einzelnen Wiſſenſchaften 530 und der Philoſophie herzuſtellen. Von Kant her überwog in der deutſchen Philoſophie die Richtung auf aprioriſche Conſtruction und der Zwieſpalt mit den einzelnen Wiſſenſchaften wuchs immer mehr. Denn ſie wurden nicht ſelten ſo behandelt, als gäben ſie für die nothwendigen Erzeugniſſe der Philoſophie nur die Beiſpiele her, und ſie mußten ſich viel gefallen 535 laſſen, um der Philoſophie zu dienen. Sie ſträubten ſich dagegen mit dem Triebe ihres eigenthümlichen Weſens und trachteten nach einer autonomen Stellung gegen die Philoſophie, der ſie entrathen zu können meinten. Noch heute leidet das wiſſenſchaftliche Studium an dieſem Widerſpruch.
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Herbart iſt beſonnener verfahren. Jndem er die Philoſophie in die Bearbeitung der Begriffe ſetzt, empfängt er die Begriffe von der Empirie 9/1r|
und nimmt von ihr die Elemente be|wußt u. ausdrücklich auf. Bis ſo weit mögen wir ihm folgen. Aber die Weiſe, wie er die Aufgabe der Bearbeitung auffaßt, iſt bereits oben abgelehnt worden.
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Jn den Anfängen der Geſchichte waren die Philoſophie und die einzelnen Wiſſenſchaften eins und es kann als das Ziel erſcheinen, daß ſie wieder eins werden. Aber dies Ziel iſt nur zu erreichen, wenn ſie beide ihre eigenthümliche Aufgabe und dadurch ihre gegenſeitige Stellung richtig auffaſſen.
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Es hilft nichts, wenn, wie in Kants Transſcendentalphiloſophie, der innere Zuſammenhang des Allgemeinen mit dem Beſondern, das a priori mit dem a posteriori, der Formen mit dem Stoff, des Jdealen mit dem Realen nicht gefunden werden kann und zwiſchen dieſen Seiten nur 555
ein äußerliches Verhältniß zu Stande gebracht wird. Es kann nichts helfen und es erzeugt nichts als einen verwirrenden, verderblichen Schein philoſophiſcher Erkenntniß, wenn unter dem Namen reiner Gedanken aus den einzelnen Wiſſenſchaften unkritiſch u. heimlich Elemente aufgenommen werden, |damit ſie ın anſcheinender Selbſtbewegung |9/1v
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ein nothwendiges Wiſſen erzeugen, das ſich hoch über die einzelnen Wiſſenſchaften erhebe. Auf einem ſolchen Wege iſt zwiſchen der Philoſophie und den einzelnen Wiſſenſchaften, ſtatt daß ſie einander beleben ſollen, ein unheilbarer Zwieſpalt unvermeidlich. Es bleibt eine Thatſache, daß die Wiſſenſchaften, indem ſie von ſelbſt
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eine Methode ſuchen, welche ſich dem einzelnen Gegenſtande eigenthümlich anſchmiege, in ſicherem Gange endlos wachſen; und als einzelne Wiſſenſchaften ſich nur ſo weit um die übrigen kümmern, als ſie bei ihnen Hülfe ſuchen und zu Borg gehen. Es bleibt hingegen eine Forderung, die blinden Vorausſetzun-
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gen der einzelnen Wiſſenſchaften zu unterſuchen u[.] auf den letzten Grund zurückzuführen, die Wechſelwirkung, in welche die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich nur beiläufig treten, zu einer durchgehenden und nothwendigen zu erheben, die einzelnen Wiſſenſchaften aus dem Gedanken des Ganzen |zu begreifen und von dieſem Mittelpunkt aus |9/2r
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zu beleuchten und zu beleben. Wenn die Vorſtellung nicht leer iſt, daß die Wiſſenſchaft zuletzt Ein Ganzes darſtelle und Ein Leben habe, wie die Welt, deren geiſtiges Gegenbild ſie zu ſein trachtet: ſo ſind die einzelnen Wiſſenſchaften nur die aus einander geworfenen Glieder, welche das Ganze ſuchen u. an dem Einen Leben Theil zu haben trachten. Es
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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liegt hier die ewig neue, mit der Erkenntniß des Einzelnen wachſende, 580 ſich mit ihr immer vertiefende Aufgabe der Philoſophie. Wo es noch keine einzelnen Wiſſenſchaften giebt, da mag es ein Analogon der Philoſophie, insbeſondere ihrer Metaphÿſik, in der Religion geben, wie bei den orientaliſchen Völkern, aber es giebt dort keine eigentliche Philoſophie.
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Jndem die Philoſophie die einzelnen Wiſſenſchaften vorausſetzt, wird ſie damıt beginnen, zu dem bezeichneten Zwecke die Methoden und die Principien derſelben zu unterſuchen und die letzte Quelle ihrer Nothwendigkeit zu erforſchen. Wenn es nicht möglich ſein wird, die logiſche That in den Wiſſenſchaften anders als aus den realen 590 Principien zu verſtehen u. die realen Principien anders als in ihrer 9/2v|
logiſchen |Wirkung aufzufaſſen: ſo werden Logik und Metaphÿſik in Eine Wiſſenſchaft zuſammengehen, welche Logik im weitern Sinne heißen mag. Jndem ſie die Principien und die Methoden der einzelnen Wiſſenſchaften beobachtet, gewinnt ſie an ihnen ihr Material. 595 Wenn ihre Aufgabe gelingt, ſo werden aus ihrer Thätigkeit die erſten philoſophiſchen Begriffe hervorgehen, welche nun theils unmittelbar in die einzelnen Wiſſenſchaften zurückfließen, theils die Beſtimmung in ſich tragen, die Principe oder der Grundgedanke der realen philoſopiſchen Disciplinen zu werden.
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Man kann fragen, wie ſich denn dieſe Principien der philoſophiſchen Realdisciplinen, der Phÿſik und Ethik, zu einer concreten Erkenntniß entwickeln. Es iſt in dieſem Betracht zweierlei denkbar. Entweder die Logik ermittelt eine Methode, welche dem abſoluten Erkennen ausſchließlich zu eigen gehört, oder die Methode der Philoſophie, wenn ſie 605 auch, nachdem das Princip gefunden iſt, von dieſem her vorwiegend ſÿnthetiſch verfährt, regelt ſich auf ähnliche Weiſe, wie in den einzelnen Wiſſenſchaften. Das Erſte iſt bis jetzt trotz kühner und großer Verſuche
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Ethiſche Unterſuchungen
mißlungen und die Fußſpuren |ſchrecken, welche, wie in einen Jrrgang, |10/1r 610
nur hineınführen, aber nicht herausweiſen. Wenn nun vielmehr das Zweite alleın einen Erfolg verſpricht, ſo wird bei der Ableitung aus dem Princip, bei der Entwicklung des Grundgedankens die Kenntniß der einzelnen Wiſſenſchaften wiederum mitwirken. Denn jeder Keim bedarf der erregenden Reize, damit er wachſe. Die philoſophiſche That wird darin
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liegen, daß das philoſophiſche Princip in der Gliederung des Beſondern thätig ſei und für das untergeordnete Beſondere die Principien erzeuge oder bedinge. Wenn auf dieſe Weiſe das Verhältniß der Philoſophie und der einzelnen Wiſſenſchaften aufgefaßt wird, ſo werden ſie einander nicht anfein-
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den und hindern, ſondern ſich gegenſeitig anerkennen und fördern. Jn dieſem Sinne ſetzen wir die „ logiſchen Unterſuchungen“ voraus und wünſchen ſie als eine Vorbereitung der folgenden Ethik anzuſehen, als das erſte Glied eines Sÿſtems. Wir müſſen daher auch von ihnen über den Ort der Ethik Belehrung fordern.
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Wenn die Grundbegriffe richtig ſind, welche als der Ertrag der „ logiſchen Unterſuchungen“ er|ſcheinen: ſo tritt an die Stelle einer ne- |10/1v benordnenden Eintheilung eine Stufenfolge der Wiſſenſchaften. Denn dıe Erkenntniß muß ſich abſtufen, wie die Principien, welche ſie in ſich concentrieren, und die Wiſſenſchaften ſind nur die erſchöpfende
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Darlegung der Erkenntniſſe. Die logiſchen Unterſuchungen ergaben[,] daß der Act des Erkennens, die Vermittlung des Denkens und Seienden, des Subjectiven und Objectiven, durchweg nur durch Thätigkeiten geſchehn, welche dem Denken und Seienden gemeinſchaftlich ſind. Sie ergaben ferner, daß dieſe Principien, welche logiſch und real zugleich
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ſind, ſich abſtufen und die höhere Stufe die niedere vorausſetzt und die niedere die Bedingung der höhern iſt. Sie ergaben, daß Principien in ſolchem gegenſeitigen Verhältniß, logiſch und real, den Gruppen
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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der Wiſſenſchaften zum Grunde liegen. Als logiſche Principien gehen ſie in die Selbſtthätigkeit, in eine ſich ſelbſt gewiſſe erzeugende That des Geiſtes zurück; als reale in das thätige Weſen der Dinge. Nur aus 640 10/2r|
dieſer Einheit iſt die mächtige Nothwendigkeit zu |erklären, welche der Menſchengeiſt als eine reale immer weiter in den Wiſſenſchaften der Dinge hervorbringt. Hierdurch werden ſich die Wiſſenſchaften in derſelben Folge ordnen müſſen, wie ſich die Principien, die Quelle ihrer Nothwendigkeit, abſtufen.
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Als die erſte Stufe in der aufſteigenden Linie, als die letzte auf dem Wege der Zergliederung erſchiene die conſtructive Bewegung, welche als einfache und urſprüngliche Thätigkeit nachgewieſen wurde, das erzeugende Princip für die Figuren im Raum, für die Zahlen in der Zeit, überhaupt für die Formen, das Princip der reinen mathematiſchen Erkennt- 650 niß. Von ihr geht alle Möglichkeit zu bilden und nachzubilden aus; in ihr liegt der erſte Grund der Nothwendigkeit, welcher ſich durch alle ſpätern Stufen durchzieht. Die reinen mathematiſchen Wiſſenſchaften nehmen hiernach im Sÿſtem der Wiſſenſchaften die erſte Stelle ein. Als die zweite Stufe erſchien die Erfahrung der materiellen Kräfte 655 10/2v|
durch die Sinne. Es wurde nachgewieſen, daß die Sinne, ſo weit |die phÿſiologiſche Unterſuchung reicht, die Organe für ſpecificirte Bewegungen ſind, und daß die Materie, ſo weit ſie uns zugänglich iſt, nur durch die Formen aufgefaßt und begriffen wird, durch Formen, in deren Aneignung das Weſen der Sinne beſteht und zu deren allgemeinen 660 Verſtändniß die vorausgehende Stufe der Erkenntniß die Hülfe leiſtet. Jnwiefern die Erfahrung durch die conſtructive Bewegung und der Nachweis der Nothwendigkeit durch die mathematiſche Erkenntniß bedingt iſt, wurde ſie auf die zweite Stufe geſtellt. Die Bewegung mit ihren nothwendigen Formen wird zum Leitfaden im Materiellen, und in den 665 phÿſiſchen Urſachen, offenbart ſie ſich durch die Richtung des Woher.
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Ethiſche Unterſuchungen
Dieſe zweite Stufe iſt der Bereich der wirkenden Kräfte, der materiellen Urſachen[.] Hiernach nehmen die phÿſikaliſchen Wıſſenſchaften im weitern Sinne - die Erkenntnıß der Materie - die zweite Stelle eın. 670
Die dritte Stufe charakteriſirt ſich durch eine eigenthümliche Erhebung. Sie unterſcheidet |ſich von der zweiten und erſten, wie das |11/1r Organiſche vom Phyſikaliſchen und Mathematiſchen, wie das Leben von nackten materiellen Kräften und conſtructiver Bewegung. Es wurde nachgewieſen, daß auf dieſer Stufe durch die alten Begriffe bedingt
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ein neuer Grundbegriff auftrete, die Richtung der frühern umkehrend, der Zweck mit ſeinem Wohin, die innere Zweckmäßigkeit, die auf einem die Kräfte richtenden Gedanken beruht. Ohne die frühern Stufen iſt weder die Verwirklichung noch die Erkenntniß des Zweckes möglich. Die frühern Stufen werden Mittel, die materiellen Kräfte in der Natur,
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der Entwurf der conſtructiven Bewegung beſonders in der Erkenntniß. Die Nothwendigkeit der frühern Stufe bleibt, aber ein Gedanke verfügt über ſie für die Einheit eines Ganzen: für die Erzeugung neuer Thätigkeiten. Der Gedanke eines Ganzen wird die Seele einer phÿſiſchen Nothwendigkeit. Dieſe dritte Stufe iſt der Bereich des organiſchen Lebens
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in der Natur. Hiernach nehmen die Wiſſen|ſchaften des Organiſchen, die |11/1v Erkenntniß der innern Zweckmäßigkeit in den Kräften des Lebens, die dritte Stufe ein. Ueber dem Organiſchen und auf dem Grund deſſelben erhebt ſich eine vierte Stufe, das Ethiſche. Es fragt ſich, ob es da eine Ethik
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im engern Sinne geben kann, wo es nur eine Phÿſik der Kräfte giebt. Die Vorausſetzung alles Ethiſchen iſt das Organiſche. Der Staat z.B., dieſe ethiſche Bildung, iſt ein Organismus, aber ein ſolcher, der, von dem blinden Organismus der Natur weſentlich verſchieden, eine höhere Stufe einnimmt. Der innere Gedanke, der im Organismus der
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Natur verborgen liegt, wird im Ethiſchen erkannt u. ſich ſelbſt bewußt.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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Der im blinden Leben gebundene Zweck wird dadurch zugleich frei. Jn dieſem Betracht erſcheinen die ethiſchen Wiſſenſchaften auf der vierten Stufe. Es wird eine weſentliche Aufgabe ſein, dieſe Erhebung, welche in den logiſchen Unterſuchungen angedeutet wurde, als wirklichen Vorgang zur Anſchauung zu bringen. Die Pſÿchologie, die man als die 700 Höhe der organiſchen Wıſſenſchaften anſehen kann, bildet inſofern die Grundlage des ethiſchen. 11/2r|
|Jn dieſer Reihenfolge iſt die vorangehende Stufe die Bedingung der folgenden; jene kann ohne dieſe, aber dieſe nicht ohne jene gedacht werden; jene muß voran als Bedingung da ſein, damit dieſe 705 werde. Daher ziehen ſich die Geſetze der niedern Stufen durch die höhern durch und erſcheinen darin als dienende Glieder. Die Phÿſik begründet ſich durch die Rechnungen und Conſtructionen der Mathematik, die Phÿſiologie durch die vereinte Anwendung mechaniſcher, phÿſikaliſcher, chemiſcher Geſetze; und die Ethik wird, wenn 710 ſie nicht eine falſche und ſie ſelbſt gefährdende Selbſtändigkeit begehrt, an das Organiſche, an die Geſetze des Lebens, als ihre nothwendige Vorausſetzung gebunden ſein. Man erkennt dieſe Beziehungen in einzelnen Beiſpielen leicht u. namentlich da, wo noch auf der höchſten Stufe, der ethıſchen, ſelbſt die Formel der erſten, der mathematıſchen, 715 wieder erſcheint. Lange galt, um dies Eine anzuführen, der ariſtoteliſche Begriff der Gerechtigkeit und wir finden ihn noch bei Leibniz. Wenn wir nun auf ſein Weſen ſehen, ſo geht er in die mathematiſche Faſſung, in die arithmetiſche und geometriſche Proportion zurück. Es iſt in
11/2v|
demſelb[e]n Sinne gezeigt worden, |daß ſich auf der Grundlage der 720 mathematiſchen und phÿſiſchen Kategorien die organiſchen in die ethiſchen erheben.10) Es iſt keine wahrhafte Ethik denkbar, die nicht in die Pſÿchologie, u. keine Pſÿchologie, die nicht in die Phÿſiologie als 10) Logiſche Unterſuchungen II. S. 86 ff. Geſchichte der Kategorienlehre S. 370 ff.
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Ethiſche Unterſuchungen
in ihre Bedingungen zurückginge. Es hat für die richtige und lebendige Auffaſſung des Wechſelverhältniſſes viel geſchadet, daß es ſeit einem Bilde bei Plato gang und gäbe wurde, die Wiſſenſchaften wie getrennte Gebiete oder Felder zu betrachten, welche neben einander lie730
gend nur die Grenze gemeinſam haben. Vielmehr wird durchweg die Thätigkeit des vorangehenden Kreiſes in die Thätigkeit des folgenden aufgenommen; und gerade durch dies Verhältniß trägt die in der einen Wıſſenſchaft erworbene Nothwendigkeit dazu bei[,] eine neue Nothwendigkeit in der andern zu erzeugen.
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Nach demſelben Princip ſollten ſich innerhalb der einzelnen Stufen die einzelnen Wiſſenſchaften abſetzen und ausbilden. Es ſind dazu |An- |12a/1r fänge da, aber nur Anfänge, wie z.B. die reine Arithmetik von der Geometrie unabhängig, aber dieſe von jener abhängig erſcheint, und wie im Organiſchen die Wiſſenſchaft der ſich zu individuellern und
740a
umfaſſendern Geſtaltungen erhebenden Reihe des Lebens folgt. Auf dem phÿſikaliſchen Gebiete hingegen ſchwankt die Anſicht, ob man den erſten Grund in der Mechanik des Feſten oder vielmehr in der Phÿſik der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe finden ſoll. Es iſt in der Unterſuchung der Kräfte noch nicht gelungen, das Urſprüngliche und Erſte von dem
745a
Bedingten oder Zweiten oder Dritten hinlänglich zu unterſcheiden. Die Durchführung dieſes genetiſchen Ganges bleibt daher der Zukunft vorbehalten; aber wenn die Grundpunkte, die entſcheidenden Abſtufungen[,] richtig erkannt ſind, ſo tritt dadurch das Ziel hervor und in demſelben Maße als man ſich ihm nähert, wird die Methode ſtrenger und die
750a
Einſicht in die Nothwendigkeit umfaſſender werden. Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem Organiſchen getragen, u. was die Ethik Eigenthümliches erzeugt, das erzeugt ſie auf der Vor|ausſetzung dieſer Grundlage. Wenn nun in dem Jnbegriff der |12a/1v Wiſſenſchaften der Ort der Ethik richtig erkannt iſt, ſo weiſt er bereits
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)
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auf die hervorbringenden Bedingungen derſelben hin. Wir gehen dieſer 755a Spur weiter nach.
Randnotiz zu weiterem Vorgehen: Ob ſchon hier - üb. d. Theologıe als genet. Bdgς[.] dς[.] Ethik - wie weıt?
760a
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
Die Präsentation des Klartextes von F2 erfolgt mit der dritten Schlussfassung.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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|Ethiſche Unterſuchungen.
1/1r|
Da ich mit ethiſchen Unterſuchungen beſchäftıgt bın, erlaube ich mır eın Fragment derſelben anzulegς – u. zwar üb[.] eıne äußerliche Frage: üb. d. 5 Ort [der Ethik in dem Inbegriff der Wiſſenſchaften.] I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften. 10
Wo der Menſchengeiſt, ſei es im Einzelnen oder in der Menſchheit, ſein eigenthümliches Werk beginnt, ein Werk, das nur ihm gehört und ſein Weſen ausdrückt: da beginnt auch die Ethik, wenn wir ſie im weitern Sinne auffaſſen. Jnwiefern ſie philoſophiſche Disciplin iſt, hat ſie mit der Philoſophie 15 die Richtung auf das Ganze der Erkenntniß und auch dem Urſprung des Ganzen gemein: Denn wie ſehr auch die philoſophiſchen Lehren aus einander gehen mögen, ſo bleibt es doch das durchlaufende Kennzeichen der Philoſophie, daß ſie im Gegenſatz gegen die bedingten Stücke nach der Erkenntniß des unbedingten die Theile tragenden Ganzen ſtrebt. 1/1v|
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Die Philoſophie, die unverrückt das Ganze |im Auge behalten ſoll, wird eben dadurch Sÿſtem, ideales Gegenbild eines realen Ganzen. Was ſie denkt und darſtellt, muß ſie im Sinne des Ganzen denken und darſtellen. Jeder ihrer Theile muß eine bewußte Beziehung zum Ganzen haben.
1/2r|
|Wollen wir nun den Ort einer Disciplin in dıeſem Ganzen, den Ort der Ethik im Jnbegriff der Wiſſenſchaften beſtimmen, ſo handelt es ſich dabei um den Eintheilungsgrund der Philoſophie, der, wie die Geſchichtliche Betrachtung lehrt, weſentlich zwei Geſichtspunkten pflegt
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Ethiſche Unterſuchungen
entnommen zu werden. Man gründet nämlich die Eintheilung entweder auf das verſchiedene Verhalten des Menſchen zu den Gegenſtänden der Wiſſenſchaft oder auf innere Unterſchiede der Gegenſtände ſelbſt. Von jener Art iſt z.B. die Eintheilung in theoretiſche und praktiſche Philoſophie, von dieſer die Eintheilung in Logik, Phÿſik und Ethik. Es iſt
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der Mühe werth, beide Weiſen der Eintheilung zu unterſuchen, ehe wir uns für eine derſelben entſcheiden. Die Eintheilung der Wiſſenſchaft in theoretiſche und praktiſche geht, wenn man die erſten Anſätze aufſucht, bis in Plato’s Staatsmann zurück (Plat. politic. p. 258): Ariſtoteles bildet ſie auf ſeine Weiſe aus und legt
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ſie dergeſtalt der Betrachtung des Ganzen zum Grunde, daß ſie durch ihn ſich bis in die neueſte Zeit fortpflanzte und ihre Geltung |behauptete |1/2v (Aristot. metaphys. VI. 1. eth. Nicom. VI. 2-5)[.] Ariſtoteles faßt die Gegenſtände theils als unwandelbar und nothwendig - beides iſt ihm daſſelbe, da das Nothwendige nicht anders ſein
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kann - theils als veränderlich und daher der Einwirkung frei gegeben auf. Wie nun nach Arıſt. den Gegenſtänden die erkennenden Vermögen entſprechen, ſo gehört jenes [-] das Unwandelbare und Nothwendige [-] dem wiſſenſchaftlichen Vermögen, dieſes dagegen - das Veränderliche dem Berathenden an; zu jenen Gegenſtänden verhält ſich der Menſch
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betrachtend, zu dieſen entweder handelnd oder bildend. Darnach iſt die Erkenntniß theils Erkenntniß der Betrachtung, theils des handelnden Lebens, theils der bildenden Kunſt und die Philoſophie theilt ſich demgemäß in theoretiſche, praktiſche und poietiſche. Aus welchen weitern Gründen die theoretiſche Philoſophie ſich in erſte Philoſophie, Phÿſik
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und Mathematik, die praktiſche in Ethik, Oekonomik und Politik theilte und die Logik als Werkzeug der Disciplinen allen vorangeſtellt wurde: Randnotiz vermutl. ab Z. 43: Etwas ausfuhrlıcher f. d. Vortrag.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2) 2/1r|
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das kann an dieſem Orte |unerörtert bleiben. Wir prüfen den erſten und allgemeinen Geſichtspunkt[.]
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Zunächſt bleibt der Eintheilungsgrund zweifelhaft, wenn für das Nothwendige das wiſſenſchaftliche und für das Veränderliche und Zufällige als das Gebiet der Freiheit das berathende (praktiſche u. poietiſche) Vermögen beſtimmt wird. Das Nothwendige als das Unwandelbare liegt nicht ueber dem Veränderlichen und darum der Thätigkeit 65 Freigegebenen, ſo daß beides zwei verſchiedenen Gebieten zufallen könnte, ſondern es geht vielmehr durch das Veränderliche durch. Es iſt die eigentliche That der Wiſſenſchaft, das Zufällige in Nothwendiges zu verwandeln und im Veränderlichen das Unveränderliche zu erkennen. Durch die Wiſſenſchaft dehnt ſich das Gebiet des Nothwendigen fort u. 70 fort aus und ſchränkt ſich das willkürlich Veränderliche ein. Noch viel weniger kann man die innere Verwandtſchaft des Erkennens mit dem Gegenſtande ſo verſtehen, daß das Nothwendige durch ein beſonderes wiſſenſchaftliches Vermögen aufgefaßt werde, während das Veränderliche entweder der Einſicht ins Handeln oder der Kunſt zufalle. Wenn man 75 vielmehr auf den Vorgang der Wiſſenſchaft ſieht, auf die Weiſe, wie das 2/1v|
Nothwendige gefunden wird: ſo hilft dabei |fortwährend die Kunſt, die ſich im Ausführbaren bewegt, von den Rechnungen und Conſtructionen der Mathematik bis zu den Experimenten der Naturwiſſenſchaft. Man kann in den Disciplinen die Theoreme und Probleme, die Lehrſätze und 80 Aufgaben wie Wiſſenſchaft und Kunſt einander entgegenſtellen. Wer nun beobachtet, wie die Löſung der Aufgaben durch die Erkenntniß der Lehrſätze und der Beweis der Lehrſätze durch die Ausführung von Aufgaben bedingt iſt: der sıeht leicht ein, wie Wiſſenſchaft und Kunſt, Betrachten u. Bilden mit einander fortſchreiten und daher auch nicht 85 das Gebiet des Nothwendigen für die Wiſſenſchaft und das Gebiet des Veränderlichen für das Handeln u[.] die Kunſt dergeſtalt als geſchieden
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Ethiſche Unterſuchungen
feſtzuhalten ſind, als gehörten ſie zwei verſchiedenen Vermögen an. Ariſtoteles hat die Gebiete wie gegebene und fertige unterſchieden, aber 90
dabei nicht in ihrem Entſtehen u. Werden aufgefaßt. Darin liegt die Urſache des Fehlers. Der andere Grund dieſer Eintheilung ſchließt ſich an den erſten an; indem er das Verhalten der menſchlichen Thätigkeit ins Auge faßt, das Betrachten, das Handeln und das Bilden. Es fragt ſich, ob ſich dieſe
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Thätigkeiten auf ſolche Weiſe einander ausſchließen, uns die Grundlage für nebengeordnete Arten zu ſein. Die Andeutungen, welche Ariſtoteles zur Unterſcheidung giebt, genügen nicht. So ſoll das Bilden dem Handeln darin entgegenſtehen, daß jenes einen Zweck außer ſich habe, nämlich das Werk, dieſes in ſich ſelbſt einen Zweck trage, wie überhaupt das
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Wohlhandeln das Ziel ſei. (die εὐπραξία im Sinne der durch richtiges Handeln erreichten Glückſeligkeit). Die nähere Betrachtung zeigt auch hier eine Uebereinſtimmung. Der bildende |Künſtler bringt allerdings |2/2r ein Werk hervor, das äußerlich daſteht. Wenn aber der Handelnde, z.B. der Tapfere, der Mäßige eine Wirkung bezweckt: ſo verhält ſich dieſe, wie
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unſichtbar ſie auch in die Kette der Ereigniſſe eingreife, dennoch wie das äußern Werk des Künſtlers - zu geſchweigen, daß das Handeln, wenn es im größern Maßſtabe erſcheint, bleibende Bildungen und Einrichtungen[,] z.B. Anſtalten des Staats[,] hervorbringt wie lebendige, bewußte Kunſtwerke.
110 Randnotiz vermutl. zu ›nicht‹ Z. 97: ||Vortrag
||2/1v
Inhaltliche Randnotiz, vermutl. zu Z. 102 ff.: ||vgl[.] noch Heft d[.] Geſch[.] dς[.] Polis. ||2/2r Bog. 10. Arıſt[.] polıt. 1. 2. §. 3 Inhaltliche Randnotiz, vermutl. zu Z. 102 ff.: Vgl. noch die Stelle b. Brandis no. 22 aus eth. Nic. I. 1. Aber da z. erinnς: d. Werk iſt nicht beſſer als die Thätigkeiten; Denn die
115 eigentliche Thätigk[ei]t, d. urspr[.], iſt die Conception der Kunſtwerke, u. das Kunſtwerk iſt nur für dieſe da, um dieſe Thätıgk[ei]t in d. Beſchauen zu vervielfältigς[.]
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Wenn das Handeln darum in ſich ſelbſt Zweck ſein und ſich darum in ſich ſelbſt vollenden ſoll, weil das Wohlhandeln das letzte Ziel iſt: ſo iſt dieſer Grund offenbar zu weit. Denn das Wohlhandeln in jenem allgemeinen Sinne der durch Handeln zu erſtrebenden Glückſeligkeit (εὐπραξία) wird 120 nicht bloß durch das Handeln im engern Sinne, ſondern gleicher Weiſe durch das wiſſenſchaftliche Betrachten und Künſtleriſche Bilden erreicht. Ariſtoteles iſt uns deſſen ſelbſt ein Zeuge, wenn er die menſchliche 2/2v|
Glückſeligkeit in der theoretiſchen vollenden will u. |alſo die Eupraxia des betrachtenden Lebens auf die Höhe ſeiner Ethik ſtellt: Wenn dieſer 125 Begriff des Wohlhandelns, des hiernach ſich durch Thätigkeit vollziehenden menſchlichen Zwecks durch alle drei Weiſen, durch das Betrachten, das Handeln und das Bilden hindurchgeht, ſo könnten ſich gleichwohl alle drei wie Arten zu einander verhalten. Dann muß indeſſen gefordert werden, daß ſie, obwol in dieſem Allgemeinen übereinkommend, 130 ſich ſonſt nicht mit einander vermiſchen, ähnlich wie z.B. die Arten des Parallelogramms Quadrat, Rechteck, Rhombus und Rhomboid in der Natur des Parallelogramms übereinkommen, aber ſonſt keine derſelben die eigenthümliche Natur des andern in ſich enthält. Jſt dies nun bei den zum Grunde gelegten Begriffen der Fall? Das Betrachten iſt vielmehr 135 im Handeln, wie im Bilden, als Erfordnerniß mitenthalten. Denn das Handeln muß von Vernunft durchdrungen ſein und das Bilden ſoll eine
3/1r|
Jdee darſtellen u[.] zur Anſchauung bringen. Ebenſo iſt das Bilden |in dem Handeln, wie in dem Betrachten enthalten; denn das Handeln vollendet ſich erſt in der ſittlichen Schönheit, in einer Darſtellung, die, wie das 140 Kunſtwerk, ihrer Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf, wie ſchon gezeigt iſt, des Hervorbringens, um ſich zu verwirklichen, und muß ſich darſtellen, um ſich ſelbſt klar und andern zugänglich zu werden. Endlich vollzieht ſich das Handeln im wiſſenſchaftlichen Beruf durch das Betrachten und im künſtleriſchen durch das Bilden auf eigenthümliche 145
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Ethiſche Unterſuchungen
Weiſe. Wer dieſe Beziehungen überdenkt, findet die eine Thätigkeit mitten in der andern. Es ſoll dabei nicht verkannt werden, daß ſich die drei Thätigkeiten, das Betrachten, das Handeln und das Bilden nach den Richtungen ihres Zweckes unterſcheiden. Das Betrachten will erkennen[,] 150
um zu erkennen; das Bilden will hervorbringen, um einen Gedanken anzuſchauen oder eine Empfindung hinzuheften; das Handeln hingegen will eine Wirkung als ſolche. Aber dieſe verſchiedenen Zwecke, da ſie die andern wechſelsweiſe als Mittel in ſich tragen, |ſind allein nicht |3/1v geeignet, um die Theile der Philoſophie mit ſcharfen Unterſchieden zu
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begrenzen. Das Quadrat iſt, um zum obigen Beiſpiele zurückzukehren, in keinem Stücke der ſpecifiſchen Differenz ein Rhomboid, aber das Handeln ſchließt das Betrachten und das Bilden und dieſe umgekehrt das Handeln in ſich ein. Würde daher eine Eintheilung der Philoſophie auf dem Grunde dieſer Begriffe ſtreng ausgeführt, ſo wären Wiederholun-
160
gen unvermeidlich. Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit den in neuerer Zeit viel genannten und neben einander geſtellten Jdeen des Wahren, Guten und Schönen. Sie drücken das als Gegenſtand aus, was in den Begriffen des Betrachtens, Handelns und Bildens als Thätigkeit angeſchauet wird.
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Nur die oberflächliche Anſicht vermag ſie zu trennen. Wer in ſie tiefer eindringt, wird bald gewahr, daß man nicht den Jnhalt der einen heben kann, ohne den Jnhalt der andern mitzuheben. Wir begegnen im Mittelalter derſelben oder mit Ariſtoteles verwandten Eintheilungen. Wir ſehen die Wirkung noch im vorigen Jahr-
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hundert, wenn Chr. Wolf u. nach ihm Kant u[.] Fıchte die Philoſophie in theo|retiſche und praktiſche eintheilen. Wenn bald nach Wolf |3/2r Randnotiz, verm. zu Z. 162 f.: ||Plato–Gerſon im M. A. bonum (Begehrς) verum (Erkennς) ||3/1v [ ]
Chalyb ä us I. S. 72 f[.]
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Baumgarten die Aeſthetik hinzufügte, ſo trat darin die zurückgedräng- 175 te ποιητική des Ariſtoteles von Neuem mit ihrem Rechte hervor. Kant iſt, was die Eintheilung der Philoſophie betrifft, von Chr. Wolf abhängig. Man ſieht es deutlich, wenn man Kants Architektonik der reinen Vernunft mit der Einleitung zu Wolfs Logik vergleicht.1) Wenn Kant, wie Wolf, die Philoſophie zunächſt in theoretiſche und praktiſche eintheilt, 180 ſo hat darauf bei Kant, wie bei Wolf, die Scheidung der Geiſtesthätigkeit in Erkenntnißvermögen[,] Begehrungsvermögen und Gefühlsvermögen weſentlichen Einfluß.2) Aber die Ergebniſſe bei Kant zeugen zugleich gegen die Richtigkeit dieſer Eintheilung. Die praktiſche Vernunft greift beı ıhm in das Gebiet der theoretiſchen zurück und erzeugt theoretiſche 185 Vorausſetzungen, Poſtulate, welche der Kritik der reinen Vernunft zweifelhaft waren. Herbart gehört inſofern hieher, als auch er die Philoſophie nicht 3/2v|
nach den Objecten ein|theilt. Wenn er die Philoſophie als Bearbeitung der Begriffe erklärt, ſo theilt er ſie nach der logiſchen Thätigkeit ein, die 190 ſie erfordern. Aus den Hauptarten, wie die Begriffe bearbeitet werden, ergeben ſich die Haupttheile der Philoſophie: Jnwiefern es der Zweck iſt, die Begriffe klar und deutlich zu machen, entſpringt ihm die Logik. Jnwiefern gegebene Begriffe der Erfahrung Widerſprüche in ſich tragen und ſie daher nach ihrer beſondern Beſchaffenheit zu verändern 195 und zu ergänzen ſind, damit ſie denkbar werden: ſo ergibt ſich ihm die Wiſſenſchaft der Metaphÿſik, welche auf ähnliche Weiſe, wie bei Wolf und Kant, in der Pſÿchologie, Naturphiloſophie und natürlichen Theologie ihre Anwendung findet. Endlich werden Begriffe unterſchieden, welche 200
3/2r||
||1) Kant Kritik der reinen Vernunft. „Methodenlehre[“] 3tes. Hauptstück. 2t. Aufl. S. 874 ff. u. Wolf philosophia rationalis s. logica. 1728. discursus praeliminaris § 60 ff. 2) Kant Kritik der Urtheilskraft. 1790. Einleıtς III. S. XX.
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Ethiſche Unterſuchungen
in unſerm Vorſtellen ein Urtheil des Beifalls oder Mißfallens nothwen205
dig herbeiführen und die Wiſſenſchaft von ſolchen Begriffen iſt ihm die Aeſthetik. Angewandt auf das Gegebene geht ſie in eine Reihe von Kunſtlehren über, welche ſä[m]tlich praktiſche Wiſſenſchaften heißen können; praktiſche Philoſophie im engern Sinne heißt ihm diejenige der |Kunſtlehren, deren Vorſchriften den Charakter der nothwendigen |4/1r
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Befolgung darum an ſich tragen, weil wir unwillkührlich und unaufhörlich den Gegenſtand derſelben darſtellen.3) Dieſe Eintheilung wurzelt ganz in Herbarts eigenthümlicher philoſophiſcher Anſchauung und kann nur mit dieſer beurtheilt werden: Jndeſſen ſchon bei einer vorläufigen Betrachtung ſpricht einiges gegen die Strenge dieſer Eintheilung: Zunächſt
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treten nach dieſem Eintheilungsgrunde Logik und Aeſthetik nicht ſcharf aus einander. Denn auch die Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe gefällt u. auch darauf kann ſich eine Kunſtlehre richten. Jn Herbarts Schule iſt in der That dieſe Conſequenz gezogen. Bobriks Logik4) überträgt die Analogie der praktiſchen Philoſophie auf die Erkenntnißlehre
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und entwirft fünf urſprüngliche und fünf abgeleitete logiſche Jdeen, wie Herbart fünf urſprüngliche und fünf abgeleitete praktiſche Jdeen darſtellt. Der Grund der Eintheilung iſt hierdurch nicht ſcharf genug. Ferner iſt es ſehr zweifelhaft, ob bei den Erfahrungsbegriffen eine |ſolche |4/1v Aufgabe vorliege, wie die von Herbart behauptete metaphÿſiſche Be-
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richtigung und Ergänzung. Was er in ihnen für Widerſpruch erklärt, das wird, wie anderswo nachgewieſen worden, auch in ſeiner metaphyſiſchen Bearbeitung der Begriffe nicht wirklich weggeſchafft, ſondern nur für den Augenſchein ausgeglichen;5) ja, es wird gar nicht als Widerſpruch
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||3) Joh. Frdr. Herbart Lehrbuch zur Einleitung in die Philoſophie. 3t. Aufl. 1834. § 5 ff.
||4/1r
4) D . Ed. Bobrik neues praktiſches Syſtem der Logik. I, 1. urſprüngliche Jdeenlehre. Zürich 1838[.] § 12 ff[.]
||5) Logiſche Unterſuchungen B. I. S. 137 ff.
||4/1v
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erſcheinen, wenn nicht ein falſcher Maßſtab des Jdentitätsgeſetzes angelegt wird.6) Endlich würde er ſich fragen, ob nicht auch die aeſthetiſchen 235 Begriffe und namentlich die praktiſchen Jdeen, wenn man den Widerſpruch in Herbarts Sinne beſtimmt, denſelben Widerſpruch in ſich enthalten, wie z.B. die Jdee der Billigkeit nach Herbarts Auffaſſung nicht ohne die durch eine Handlung eingetretene Veränderung gedacht wird, 4/2r|
welcher Begriff nach Herbarts Metaphÿſik ſich in ſich |widerſpricht. Aus 240 dieſen Gründen wird Herbarts Fundament der Eintheilung ſich nicht einmal unter ſeinen eigenen Vorausſetzungen, aber viel weniger außerhalb ſeines Sÿſtems halten können. Sollte ſich nach dieſen fehlgeſchlagenen Verſuchen das verſchiedene Verhalten menſchlicher Thätigkeit nicht eignen, um einen Eintheilungs- 245 grund der Philoſophie abzugeben: ſo ſuchen wir ihn auf der andern Seite, in der Verſchiedenheit der Gegenſtände. Es begegnet uns auf dieſem Wege eine alte Eintheilung, die zufolge einer Bemerkung des Sextus Empiricus dem Keime nach bereits in Plato liegt, aber erſt von den Stoikern zur Norm des Sÿſtems genommen wur- 250 de. Es iſt die Eintheilung der Philoſophie in Logik, Phÿſik und Ethik. Die alten Stoiker ſahen dabei die Phÿſik als den Kern oder den Quell der Erkenntniß an; denn die Phÿſik, welche in die Vernunft der Natur als in den letzten Urſprung zurückgeht, iſt ihnen in demſelben Sinne, wie dem Ariſtoteles die Metaphÿſik, die göttlichſte unter den Wiſſenſchaften. Sie 255 vergleichen die Philoſophie dem lebendigen Leibe eines Thieres und zwar den logiſchen Theil den Knochen und Sehnen, den ethiſchen dem Fleiſch
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und Blut, den phyſiſchen |endlich der Seele. Wie die Logik darnach als das Zuſammenhaltende betrachtet wird, ſo bildet die Phÿſik den geſtaltenden, hervorbringenden Mittelpunkt. Hiernach würden die Theile, wenn wir 260
4/1v|| 4/2r||
||6) Logiſche Unterſuchungen B. II. S. 95 f. Alternativvariante: 254 ||letzten] »göttlichen« von Tr. spät ergänzt.
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Ethiſche Unterſuchungen
von innen nach außen gehen, in der Reihe der Phÿſik, Ethık, Logik auf 265
einander folgen. Indeſſen erkannten die Stoiker auf der einen Seite dıe Wechſelwirkung der Theile, wollten keinen dem andern voranſetzen u. änderten die Folge nach dem vorliegenden Zweck des Vortrags u. der Lehre; auf der andern Seite ſtellten ſpätere Stoiker nach der vorwiegenden Richtung, die ſie nahmen, die Ethik in das eigentliche Centrum.7)
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|Da die ſtoiſche Eintheilung der Philoſophie aus der Sache, aus dem |5/1r innern Verhältniß der Gegenſtände[,] entnommen iſt, ſo hat ſie ſich neben jener ariſtoteliſchen bis in die neueſte Zeit behauptet. Carteſius z.B. hat über die Eintheilung der Philoſophie nur eine allgemeine Bemerkung,8) aber ſie ſtimmt im Weſentlichen mit der
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ſtoiſchen Anſchauung. Carteſius ſagt, die Philoſophie gleiche einem Baume. Seine Wurzeln ſeien die Methaphÿſik - und er beſtimmt ausdrücklich, daß die Principien der Erkenntniß, die Entwicklung der weſentlichen Attribute Gottes, der Jmmaterialität der Seele und aller klaren und einfachen Begriffe, die ſich in uns finden, zur Metaphÿſik ge-
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hören, ſo daß dieſe Disciplin im carteſiſchen Sinne der Logik der Stoiker und dem metaphyſiſchen Theil ihrer Phÿſik entſprechen würde. Der Stamm jenes Baumes, führt Carteſius fort, ſei die Phÿſik, die aus ihm hervorwachſenden Zweige die übrigen Wiſſenſchaften, welche auf drei zurückgehen, Medizin, Mechanik und Ethik, ſo daß wir in dieſen den
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andern Theil der ſtoiſchen |Phÿſik ſammt der Ethik vor uns haben.
|5/1v
Man hat aus Spinoza de intellectus emendatione p. 417. f[.] eine Eintheilung der Philoſophie zu gewinnen verſucht; aber mit Unrecht und ||7) Diog. Laert. VII. 40 Sext. Empir. adv. mathem. VII. 16 ff. vgl. Plutarch. De Stoicorum ||4/2v 290 repugnantiis. c. 9.
||8) epiſt. ad principiorum philosophiae interpretem Gallicum p. 10 f. nach der Amſterd. ||5/1r Ausgab. 1685.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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vergeblich. Denn es iſt dort nur von dem Studium der Wiſſenſchaften für den Zweck der menſchlichen Glückſeligkeit und Vollkommenheit, von einem Dienſt dieſes Studiums für das ethiſche Ziel u. nicht von ei- 295 ner theoretiſchen Gliederung der Principien die Rede. Es ſteht nichts im Wege, bei Spinoza eine Eintheilung vorauszuſetzen, welche der des Carteſius verwandt iſt. Jn ſeiner Ethik geht er einen ähnlichen Gang, von der Metaphÿſik im erſten Buche zu logiſchen Betrachtungen im zweiten, wobei er die Principien der Phÿſik lemmatiſch zwiſchen legt, von da 300 zur Pſÿchologie der Leidenſchaften im 3t. u. 4t. Buch u. endlich im 5ten zur Ethik im engern Sinne, dem Ziel des Ganzen. Zwar ſind auf dieſem Gange die wiſſenſchaftlichen Lehren durch den ethiſchen Zweck, den das Ganze verfolgt, in ihrem Umfang beſchränkt und in ihrer Richtung gebunden; aber es läßt ſich dennoch daraus ein allgemeiner Entwurf der 305 Eintheilung im Sinne des Spinoza entnehmen. 5/2r|
|Jn jenen Vergleichen der Stoiker, in dem Bilde des Carteſius und in der Anordnung des Spinoza iſt der genetiſche Gang angedeutet, den die Eintheilung verfolgen will. Es ſollen die Disciplinen nicht in einem äußern Ueberblick neben einander geſtellt werden, ſondern ſie ſollen ſich 310 wie Bedingung und Bedingtes, Vorausſetzung und Folge an einander reihen. Die ſichere ſoll die Baſis der ſpätern ſein. Hegel will dies in einem noch ſtrengern Sinn, wenn er, ähnlich wie die Stoiker, die Philoſophie in Logik, Philoſophie der Natur und Philoſophie des Geiſtes eintheilt. Die dialektiſche Methode ſoll von Glied zu Glied 315 dieſen innern Zuſammenhang erzeugen. Wenn man namentlich bei dem meiſt formalen Jnhalt der ſtoiſchen Logik zweifelhaft ſein kann, wo man ihr ihren Ort anzuweiſen hat: ſo ſteht Hegels Logik, die dialektiſche Vorbildnerin alles Concreten, nothwendig im Urſprung. Jndeſſen entſcheidet dieſelbe Kritik, welche genöthigt iſt, Hegels dialektiſche 320 Methode für eine Methode des Scheins zu erklären, auch über dieſe
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Ethiſche Unterſuchungen
Eintheilung, welche aus der künſtlıchς Dialektik fließt. Wir müſſen daher die Ordnung der Natur auf einem einfacheren Wege ſuchen. |Jn der Eintheilung und Reihenfolge der Wiſſenſchaften kreuzen ſich |5/2v 325
leicht zwei leitende Geſichtspunkte, die Ordnung, welche der Entſtehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche der Gang des Lehrens und Lernens nöthig macht. Die methodiſche Rückſicht durchſchneidet die genetiſche Strenge. Denn die genetiſche Betrachtung ſchöpft aus dem Grunde der Sache, während ſich die methodiſche Anordnung den Be-
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dürfniſſen des ſich entwickelnden menſchlichen Geiſtes anpaßt. Wir finden dieſe Einſchränkung oder Vermiſchung faſt in allen Sÿſtemen. Jn Plato gehen die epagogiſchen Dialoge den dialektiſchen voran: Ariſtoteles verlangt, daß man vor der Metaphÿſik, dıe ſonſt von den erſten Gründen anhebt, die Analÿtik vorherwiſſe und die Peripatetiker
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ſtellen überhaupt die Logik als das Werkzeug der Disciplinen, als Organon, vor den Jnbegriff derſelben. Von den Stoikern iſt bereits angeführt, daß ſie die Folge nach dem Zweck veränderten. Carteſius griff in ſeiner Schrift über die Methode ſelbſt in die Ethik vor, um die Freiheit der Unterſuchung zu ſichern: Chr. Wolf |unterſchied ausdrücklich zwiſchen |6/1r
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der methodus demonstrandi u. methodus studendi. Kant ſteckte durch ſeine Kritik den Boden für das Sÿſtem ab und ſchied Kritik u. Architektonik ſehr deutlich. Jn Hegels Lehre iſt bald die Phaenomenologie als die Erziehung des Bewußtſeins zur ſpeculativen Erkenntniß, bald die hiſtoriſche Einleitung der Encÿklopaedie oder gar die ganze Geſchichte der Philoſophie
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für eine nothwendige Vorbereitung erklärt, um den Standpunkt der grundlegenden Wiſſenſchaft, der Logik, aufzufaſſen. Die Stellung der Logik, der Erkenntnißlehre[,] erſcheint insbeſondere wie ein Hyſteronproteron der meiſten Sÿſteme. Als Theorie der Wiſſenſchaft muß ſie in Principien eingehen, welche den übrigen
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Wiſſenſchaften angehören, und welche ſie von ihnen erſt überkommt;
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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und doch kann ſie im philoſophiſchen Syſtem den übrigen Disciplinen nicht wohl nachfolgen, denn ſie ſoll ihnen den Grund ſichern u. den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des Denkens wird ſie im genetiſchen Sÿſtem zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer Seite der Pſÿchologie. 6/1v|
Aber als Logik hat ſie die Aufgabe, nicht blo[ß] der Pſÿchologie, |ſondern 355 auch den Wiſſenſchaften, welche dieſer nothwendig vorangehen, zur Wegweiſerın zu dienen. Dies doppelte Verhältniß bringt in die Stellung der Logik ein Schwanken, und man weiſt ihr meiſtens, wie ſchon im Alterthum geſchah, vor das genetiſche Sÿſtem ihren Ort an. Die Philoſophie entſteht im Unterſchiede von den einzelnen Wiſſen- 360 ſchaften weſentlich daraus, daß die nur vorausgeſetzten Principien der einzelnen Wiſſenſchaften den Beweis ihrer Berechtigung u. die zerſtreunten Anfänge den Zuſammenhang des Ganzen ſuchen. Es iſt daher nothwendig, daß dieſe allgemeine Aufgabe zunächſt erledigt werde. Denn die beſondern Disciplinen empfangen dadurch ihre Wurzeln 365 und ihre gegenſeitige Stellung. Es beſchäftigt ſich damit diejenige Wiſſenſchaft, welche es von früh her unternommen hat, das Seiende als Seiendes, das Seiende als ſolches zu erkennen d.h. das Seiende in jenem allgemeinen Sinn, in welchem es nicht das Beſondere iſt, aber den Grund des Beſondern in ſich trägt - die Methaphÿſik. Sie wird daher, wie die 370
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Logik, allen einzelnen Wiſſenſchaften voran|gehen. Logik und Metaphÿſik eröffnen nach dieſen Betrachtungen die Philoſophie. Jndeſſen bilden ſie vielleicht nur die beiden ſich einander bedingenden Seiten Einer und derſelben Wiſſenſchaft, die wir als Logik im weitern Sinne bezeichnen können. Dieſe Anſicht iſt dann nothwen- 375 dig, wenn es, wie nachgewieſen worden9), ein vergebliches Bemühen iſt, eine formale Logik feſtzuhalten, wenn vielmehr der Vorgang des 9) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt 1. Th. I. S. 4 ff[.]
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Ethiſche Unterſuchungen
Erkennens nur durch den Erwerb oder Beſitz der realen Principien, welche den erkannten Dingen zum Grunde liegen, begriffen werden kann, wenn alle Nothwendigkeit auf eine Gemeinſchaft des Denkens und Seins als auf ihren letzten Urſprung hinweiſt, wenn endlich die Lehre der Metaphÿſik nur von denſelben Principien der Wiſſenſchaften, wel-
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che die Erkenntnißlehre behandelt, und von keiner andern Baſis ausgehen kann. Dieſer Parallelismus des Denkens und Seins aus einer innern Gemeinſchaft entſpringend, dieſe Einheit der Logik und Metaphÿſik iſt in den von mir früher herausgegebenen logiſchen Unterſuchungen entworfen |und begründet worden. Erſt aus einer ſolchen Grundlegenden |6/2v
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Wiſſenſchaft kann die Gliederung derjenigς Disciplinen folgen, deren Principien ſie enthält. Obwol die Philoſophie, wenn wir die Geſchichte fragen, in einer Einheit mit den übrigen Wiſſenſchaften entſtand, ſo hat ſich durch d. Theilung der Arbeit längſt dieſer Verband gelöſt u. die Philoſ. fındet jetzt die einzelnen
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Wiſſenſchaften in ihrer Zerſtreuung und in der Geſtalt vor, die ſie ſich für ſich gegeben haben. Die Logik und Metaphÿſik haben in ihnen ihren Stoff der Betrachtung; ſie finden in ihnen Methoden und vorausgeſetzte Principien vor und haben die Aufgabe, ihren Urſprung und ihre Einheit aufzuſuchen. Durch dieſe Auffaſſung der gemeinſamen Quelle, durch
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dieſe gegenſeitige Regelung und Belebung wird erſt der philoſophiſche Gehalt erzeugt: Es kann nicht fehlen, daß in dieſem Vorgan|ge dieje- |7/1r nigen Keime entſtehen, welche in der Entwicklung des Sÿſtems zu den Principien der philoſophiſchen realen Disciplinen werden. Die vereinzelten Wiſſenſchaften in ihren geſchichtlichen Geſtalten werden von der grund-
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legenden Wiſſenſchaft der Logik und Metaphÿſik vorausgeſetzt, aber die philoſophiſchen Disciplinen gehen in ihrer Gliederung aus dieſer hervor. Die Logik und Metaphÿſik greifen daher nicht in die philoſophiſchen Disciplinen vor, ſondern in die empiriſchen zurück.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2) 9/1v|
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|Es bleibt eine Thatſache, daß die Wiſſenſchaften, indem ſie von ſelbſt eine Methode ſuchen, welche ſich dem einzelnen Gegenſtande eigent- 410 hümlich anſchmiege, indem ſie ſich aus eigenem Bedürfniß Principien bilden[,] in ſicherem Gange wachſen; und als einzelne Wiſſenſchaften ſich nur ſo weit um die übrigen kümmern, als ſie bei ihnen Hülfe ſuchen und zu Borg gehen. Es bleibt hingegen eine Forderung, die blinden Vorausſetzungen 415 der einzelnen Wiſſenſchaften, ſei es in der Methode, ſei es in den Principien, zu unterſuchen u[.] auf den letzten Grund zurückzuführen, die Wechſelwirkung, in welche die einzelnen Wiſſenſchaften für ſich nur beiläufig treten, zu einer durchgehenden und nothwendigen zu erheben, die
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einzelnen Wiſſenſchaften aus dem Gedanken des Ganzen |zu begreifen 420 und von dieſem Mittelpunkt aus zu beleuchten und zu beleben. Wenn die Vorſtellung nicht leer iſt, daß die Wiſſenſchaft zuletzt Ein Ganzes darſtelle und Ein Leben habe, wie die Welt, deren geiſtiges Gegenbild ſie zu ſein trachtet: ſo ſind die einzelnen Wiſſenſchaften nur die aus einander geworfenen Glieder, welche das Ganze ſuchen u. an dem Einen Leben 425 Theil zu haben trachten. Es liegt hier die ewig neue, mit der Erkenntniß des Einzelnen wachſende, ſich mit ihr immer vertiefende Aufgabe der Philoſophie. Wo es noch keine einzelnen Wiſſenſchaften giebt, da mag es ein Analogon der Philoſophie, insbeſondere ihrer Metaphÿſik, in der Religion geben, wie bei den orientaliſchen Völkern, aber es giebt dort 430 keine eigentliche Philoſophie. Jndem die Philoſophie die einzelnen Wiſſenſchaften vorausſetzt, wird ſie damıt beginnen, zu dem bezeichneten Zwecke die Methoden und die Principien derſelben zu unterſuchen und die letzte Quelle ihrer Nothwendigkeit zu erforſchen. Wenn es nicht möglich ſein wird, die 435 logiſche That in den Wiſſenſchaften anders als aus den realen Principien
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zu verſtehen u. die realen Principien anders als in ihrer logiſchen |Wirkung
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Ethiſche Unterſuchungen
aufzufaſſen: ſo werden Logik und Metaphÿſik in Eine Wiſſenſchaft zuſammengehen, welche Logik im weitern Sinne heißen mag. Jndem ſie 440
die Principien und die Methoden der einzelnen Wiſſenſchaften beobachtet, gewinnt ſie an ihnen ihr Material. Wenn ihre Aufgabe gelingt, ſo werden aus ihrer Thätigkeit die erſten philoſophiſchen Begriffe hervorgehen, welche nun theils unmittelbar in die einzelnen Wiſſenſchaften zurückfließen, theils die Beſtimmung in ſich tragen, die Principe oder
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der Grundgedanke der realen philoſopiſchen Disciplinen zu werden. |Der Ethik folgt hiernach eine Vorbereitung in d. Logik voraus – u[.] |10/1r wir entnehmen aus ihr nach frühern Unterſuchungen folgende Geſıchtspunkte für die Frage nach dem Ort der Ethık[.] |An die Stelle einer nebenordnenden Eintheilung wird eine Stufen- |10/1v
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folge der Wiſſenſchaften treten. Denn dıe Erkenntniß muß ſich abſtufen, wie die Principien, welche ſie in ſich concentrieren, und die Wiſſenſchaften ſind nur die erſchöpfende Darlegung ihrer Erkenntniſſe. [D]er Act des Erkennens, die Vermittlung des Denkens und Seienden, des Subjectiven und Objectiven, kann durchweg nur durch Thätigkeiten geſchehn,
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welche dem Denken und Seienden gemeinſchaftlich ſind. [D]ieſe Principien, welche logiſch und real zugleich ſind, ſtufen ſich aus und die höhere Stufe ſetzt die niedere voraus und die niedere iſt die Bedingung der höhern. Principien in ſolchem gegenſeitigen Verhältniß liegen, logiſch und real, den Gruppen der Wiſſenſchaften zum Grunde. Als logiſche
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Principien gehen ſie in die Selbſtthätigkeit, in eine ſich ſelbſt gewiſſe erzeugende That des Geiſtes zurück; als reale in das thätige Weſen der Dinge. Nur aus dieſer Einheit iſt die mächtige Nothwendigkeit zu |er- |10/2r klären, welche der Menſchengeiſt als eine reale immer weiter in den Wiſſenſchaften der Dinge hervorbringt. Hierdurch werden ſich die Wiſ-
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ſenſchaften in derſelben Folge ordnen müſſen, wie ſich die Principien, die Quelle ihrer Nothwendigkeit, abſtufen.
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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Als die erſte Stufe in der aufſteigenden Linie, als die letzte auf dem Wege der Zergliederung erſcheint die conſtructive Bewegung, welche als einfache und urſprüngliche Thätigkeit[,] das erzeugende Princip für die Figuren im Raum, für die Zahlen in der Zeit, überhaupt für die Formen 470 iſt, das Princip der reinen mathematiſchen Erkenntniß. Von ihr geht alle Möglichkeit zu bilden und nachzubilden aus; in ihr liegt der erſte Grund der Nothwendigkeit, welcher ſich durch alle ſpätern Stufen durchzieht. Die reinen mathematiſchen Wiſſenſchaften nehmen hiernach im Sÿſtem der Wiſſenſchaften die erſte Stelle ein.
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Als die zweite Stufe erſcheint die Erfahrung der materiellen Kräfte 10/2v|
durch die Sinne. [D]ie Sinne ſind, ſo weit |die phÿſiologiſche Unterſuchung reicht, die Organe für ſpecificirte Bewegungen[.] [D]ie Materie, ſo weit ſie uns zugänglich iſt, wird nur durch die Formen aufgefaßt und begriffen, durch Formen, in deren Aneignung das Weſen der Sinne beſteht und zu 480 deren allgemeinen Verſtändniß die vorausgehende Stufe der Erkenntniß die Hülfe leiſtet. Jnwiefern die Erfahrung durch die conſtructive Bewegung und der Nachweis der Nothwendigkeit durch die mathematiſche Erkenntniß bedingt iſt, wird ſie auf die zweite Stufe geſtellt. Die Bewegung mit ihren nothwendigen Formen wird zum Leitfaden im Materiellen, 485 und in den phÿſiſchen Urſachen, offenbart ſie ſich durch die Richtung des Woher. Dieſe zweite Stufe iſt der Bereich der wirkenden Kräfte, der materiellen Urſachen[.] Hiernach nehmen die phÿſikaliſchen Wıſſenſchaften im weitern Sinne - die Erkenntnıß der Materie - die zweite Stelle eın. Die dritte Stufe charakteriſirt ſich durch eine eigenthümliche Er- 490
11/1r|
hebung. Sie unterſcheidet |ſich von der zweiten und erſten, wie das Organiſche vom Phyſikaliſchen und Mathematiſchen, wie das Leben von nackten materiellen Kräften und conſtructiver Bewegung. Es iſt nachzuweiſen, daß auf dieſer Stufe durch die alten Begriffe bedingt ein neuer Grundbegriff auftrete, die Richtung der frühern umkehrend, 495
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Ethiſche Unterſuchungen
der Zweck mit ſeinem Wohin, die innere Zweckmäßigkeit, die auf einem die Kräfte richtenden Gedanken beruht. Ohne die frühern Stufen iſt weder die Verwirklichung noch die Erkenntniß des Zweckes möglich. Die frühern Stufen werden Mittel, die materiellen Kräfte in dem 500
Gebiete der Natur, der Entwurf der conſtructiven Bewegung beſonders in der Erkenntniß. Die Nothwendigkeit der frühern Stufe bleibt, aber ein Gedanke verfügt über ſie für die Einheit eines Ganzen: für die Erzeugung neuer Thätigkeiten. Der Gedanke eines Ganzen wird die Seele einer phÿſiſchen Nothwendigkeit. Dieſe dritte Stufe iſt der Bereich des
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organiſchen Lebens in der Natur. Hiernach nehmen die Wiſſen|ſchaften |11/1v des Organiſchen, die Erkenntniß der innern Zweckmäßigkeit in den Kräften des Lebens, die dritte Stufe ein. Ueber dem Organiſchen und auf dem Grund deſſelben erhebt ſich eine vierte Stufe, das Ethiſche. Es fragt ſich, ob es da eine Ethik im en-
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gern Sinne geben kann, wo es nur eine Phÿſik der Kräfte giebt. Die Vorausſetzung alles Ethiſchen iſt das Organiſche. Der Staat z.B., dieſe ethiſche Bildung, iſt ein Organismus, aber ein ſolcher, der, von dem blinden Organismus der Natur weſentlich verſchieden, eine höhere Stufe einnimmt. Der innere Gedanke, der im Organismus der Natur ver-
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borgen liegt, wird im Ethiſchen erkannt u. ſich ſelbſt bewußt. Der im blinden Leben gebundene Zweck wird dadurch zugleich frei. Jn dieſem Betracht erſcheinen die ethiſchen Wiſſenſchaften auf der vierten Stufe. Es wird eine weſentliche Aufgabe ſein, dieſe Erhebung als wirklichen Vorgang zur Anſchauung zu bringen. Die Pſÿchologie, die man als die
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Höhe der organiſchen Wıſſenſchaften anſehen kann, bildet inſofern die Grundlage des ethiſchen. |Jn dieſer Reihenfolge iſt die vorangehende Stufe die Bedingung der |11/2r folgenden; jene kann ohne dieſe, aber dieſe nicht ohne jene gedacht werden; jene muß voran als Bedingung da ſein, damit dieſe werde. Daher
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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ziehen ſich die Geſetze der niedern Stufen durch die höhern durch und 525 erſcheinen darin als dienende Glieder. Die Phÿſik begründet ſich durch die Rechnungen und Conſtructionen der Mathematik, die Phÿſiologie durch die vereinte Anwendung mechaniſcher, phÿſikaliſcher, chemiſcher Geſetze; und die Ethik wird, wenn ſie nicht eine falſche und ſie ſelbſt gefährdende Selbſtändigkeit begehrt, an das Organiſche, an die Geſetze 530 des Lebens, als ihre nothwendige Vorausſetzung gebunden ſein. Man erkennt dieſe Beziehungen in einzelnen Beiſpielen leicht u. namentlich da, wo noch auf der höchſten Stufe, der ethıſchen, ſelbſt die Formel der erſten, der mathematıſchen, wieder erſcheint. Lange galt, um dies Eine anzuführen, der ariſtoteliſche Begriff der Gerechtigkeit und wir finden 535 ihn noch bei Leibniz. Wenn wir nun auf ſein Weſen ſehen, ſo geht er in die mathematiſche Faſſung, in die arithmetiſche und geometriſche 11/2v|
Proportion zurück. Es iſt in demſelb[e]n Sinne gezeigt worden, |daß ſich auf der Grundlage der mathematiſchen und phÿſiſchen Kategorien die organiſchen in die ethiſchen erheben.10) Es iſt keine wahrhafte 540 Ethik denkbar, die nicht in die Pſÿchologie, u. keine Pſÿchologie, die nicht in die Phÿſiologie als in ihre Bedingungen zurückginge. Es hat für die richtige und lebendige Auffaſſung des Wechſelverhältniſſes viel geſchadet, daß es ſeit einem Bilde bei Plato gang und gäbe wurde, die Wiſſenſchaften wie getrennte Gebiete oder Felder zu betrachten, welche 545 neben einander liegend nur die Grenze gemeinſam haben. Vielmehr wird durchweg die Thätigkeit des vorangehenden Kreiſes in die Thätigkeit des folgenden aufgenommen; und gerade durch dies Verhältniß trägt die in der einen Wiſſenſchaft erworbene Nothwendigkeit dazu bei[,] eine neue Nothwendigkeit in der andern zu erzeugen.
10) Logiſche Unterſuchungen II. S. 86 ff. Geſchichte der Kategorienlehre S. 370 ff.
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Ethiſche Unterſuchungen
Nach demſelben Princip ſollten ſich innerhalb der einzelnen Stu555 556a 557b
fen die einzelnen Wiſſenſchaften abſetzen und ausbilden. Es ſind dazu |Anfänge da.
|12a/1r
|Hiernach wird das Ethiſche zunächſt von dem Organiſchen ge- |12b/r tragen und was die Ethik Eigenthümliches erzeugt, das erzeugt ſie auf der Vorausſetzung dieſer Grundlage. Wenn es der Pſÿchologie gelingt,
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auf dieſem Grunde das Weſen des eigenthümlich Menſchlichen zu beſtimmen: ſo öffnet ſie dadurch der Ethik den Weg zu ihrem Princip. Wir berühren den Einwurf, der hier nahe liegt. Die Ethik hat ſeit Sokr. und Plato und beſonders durch die chriſtlichen Darſtellungen eine Beziehung zur Theologie. Jhr Princip wirkt mit doppelter Kraft,
565b
indem es als der Ausdruck des göttlichen Willens erſcheint. Die ganze theologiſche Moral iſt in dieſer Richtung entſtanden. Hierdurch kann es ſcheinen, daß im genetiſchen Sÿſteme, wenn man nicht das Gute von dem lebendigen Grunde des Göttlichen lostrennen will, der Ethik die Religionsphiloſophie vorangehen müſſe. Wir lehnen dies ab. Denn
570b
einmal wird die Religionsphiloſophie, da es ſich nicht um ein poſitives Religionsſÿſtem, ſondern um philoſophiſche Erkenntniß handelt, gerade erſt in d. Ethik ihre Stütze haben und eine Religionsphiloſophie vor der Ethik wird ein zweifelhaftes Product. Es muß daher die Ethik |der |12b/v Religionsphiloſophie vorangehen, ja es iſt möglich, daß die Ethik - nach
575b
einer Seite hin - die Bedingungen der Religion erſt aus ſich hervorbringe. Jndeſſen inwiefern noch gefordert wird, daß das ethiſche Princip in ſeinem Verhältniß zum Unbedingten erkannt werde: ſo geht dieſe allgemeine Beziehung in die Metaphÿſik - die Grundlegende Disciplin zurück. Von dort her muß man die Antwort auf die Frage ſuchen, wie
580b
das ethiſche Princip als Jdee durch die endliche Sphäre des menſchlichen Weſens hindurchgehe, aber aus dem Gedanken des Unbedingten quelle. Jn dieſer metaphÿſiſchen Betrachtung liegt dıe Möglichkeit, auch den
I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)
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Urſprung der Philoſophiſchen Ethik in den Gedanken des Göttlichen zu vertiefen u. auf dieſem Wege der theologiſchen Moral zu begegnen: Aber ihre Begründung liegt in der Entwicklung des menſchlichen Weſens als 585b ſolchen - u. nicht in der vorweggenommenen Thatſache einer poſitiven Offenbarung. Auf dieſe Weiſe beſtimmt ſich nach den Vorausſetzungen, die das Princip der Ethik in ſich trägt, ihre Stellung zu den Wiſſenſchaften vor ihr u. nach ihr, ihr Ort im genetiſchen Sÿſtem.
590b
Kapitel I – Erste Schlussfassung
Kapitel I – Erste Schlussfassung 12/1r|
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|Anfänge da, aber nur Anfänge, wie z.B. die reine Arithmetik von der Geometrie unabhängig, aber dieſe von jener abhängig erſcheint, und wie im Organiſchen die Wiſſenſchaft der ſıch zu individuellern und umfaſſendern Geſtaltungen erhebenden Reihe des Lebens folgt. Auf dem phÿſikaliſchen Gebiete hingegen ſchwankt die Anſicht, ob man den 5 erſten Grund in der Mechanik der Feſten oder vielmehr in der Phÿſik der elaſtiſchen, expanſiven Gaſe finden ſoll. Es iſt in der Unterſuchung der Kräfte noch nicht gelungen, das Urſprüngliche und Erſte von dem Bedingten und Zweiten oder Dritten hinlänglich zu unterſcheiden. Die Durchführung dieſes genetiſchen Ganges bleibt daher der Zukunft vorbe- 10 halten; aber wenn die Grundpunkte, die entſcheidenden Abſtufungen[,] richtig erkannt ſind, ſo ſteht das Ziel klar vor unſern Augen; und in demſelben Maße als man ſich ihm nähert, wird die Methode ſtrenger und die Einſicht in die Nothwendigkeit umfaſſender werden. Es iſt eben der genetiſche Weg bezeichnet worden, der vom Einfach- 15
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ſten und Allgemeinen |ausgeht und zum Jndividuellen und Vielſeitigſten aufſteigt, der alſo von unten nach oben und zuletzt in das Gebiet führt, welches in unſerer Weltanſchauung die höchſte Stelle einnimmt. Die genetiſche Methode läßt indeſſen noch eine andere Auffaſſung zu. Der eigentlıche Urſprung der Dinge liegt nicht in den ſich verſchlingenden 20 einzelnen Bedingungen, ſondern in dem Unbedingten, das in ſich iſt und aus ſich begriffen wird. Die Ableitung, die dem Ausfluß aus dem Urſprung folgt, müßte hiernach mit dem Unbedingten, mit der Jdee des Abſoluten, mit dem Begriff Gottes beginnen, und aus dieſer Quelle die erſte wie die letzte Erkenntniß ſchöpfen. Da nicht die Zahlen oder 25 Figuren, nicht die endliche Bewegung, nicht die materiellen Kräfte das ſchlechthin Erſte ſind, ſondern vielmehr nur die geſonderten Elemente,
12/1r|| Randnotiz zu weiterem Vorgehen mit Textsegment Z. 15–64: ||Beſſer in Abſchn[.] II?
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Ethiſche Unterſuchungen
die in der Zerlegung zuletzt gefundenen Bedingungen: ſo verlangen Viele, daß die wahrhaft genetiſche Methode den eben beſchriebenen Weg umkehrn u., wie Spinoza, aus Gott und |in der Form des Ewigen |12/2r intuitiv erkenne. Wir lehnen es nicht ab, daß die genetiſche Methode in dieſem Sinne
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kann verſtanden werden; ja, wir mögen es einräumen, daß eine ſolche Forderung in der Jdee der ſich vollendenden Erkenntniß liege. Aber ſie liegt nicht in unſern Mitteln. Es iſt in den logiſchen Unterſuchungen nachgewieſen worden,11) daß wir von dem Abſoluten nur eine indirecte Erkenntniß haben. Schon dies muß uns abhalten, zu wähnen;
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als ob wir eine adaequate Erkenntniß des Unbedingten hätten, als ob wir, indem wir das Unbedingte ſetzen, nun auch dergeſtalt ſeinen vollen überſchwenglichen Jnhalt beſäßen, um es ſicher und ſcharf zu dem Princip der Ableitung zu machen. Wir wiſſen, daß die Sonne die Quelle des Lichts iſt u. der richtige Begriff der Sonne würde uns auch den rich-
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tigen Begriff des Lichts geben. Aber deſſen ungeachtet unterſucht die Phÿſik das Licht nicht unmittelbar an dieſer Quelle, deren Weſen ſie auch nur durch indirecte Schlüſſe erreicht. Sie nimmt vielmehr den umgekehrten Gang, der allein zuverläſſig iſt. Auf ähnliche Weiſe |widerſetzen |12/2v wir uns den Conſtructionen aus dem Abſoluten, die bis heute noch zu
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keinem Heil geführt haben. Jm Abſoluten ſcheidet ſich die Methode des Erkennens von dem Wege des Urſprungs ſchlechthin. Während es ſelbſt nie und nirgends entſpringt, wird es aus dem Entſprungenen erkannt. Nach der Richtung zu welcher uns das Bedingte anweiſt, ſetzen wir das Unbedingte. Aber die Ableitung
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des Bedingten aus dem Unbedingten[,] des Entſprungenen aus dem letzten Urſprung[,] bleibt in demſelben Maße zweifelhaft, als wir zwar nach ||11) Jm 20t. Abſchnitt. II, S. 337. ff[.]
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Kapitel I – Erste Schlussfassung
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einem Zuge der Nothwendigkeit den unbedingten Urſprung ſetzen, aber als endliche Weſen den Begriff des Unendlichen nicht dergeſtalt voll- 60 ziehen können, um ihn wie einen endlichen Begriff gleich einem Keime zu entwickeln. Hiernach iſt mit dem Orte der Ethık, den wir für den Jnbegriff der Wiſſenſchaften fanden, bereits eine Hinweiſung auf die hervorbringenden Bedingungen, auf den Grund der Ethik gegeben. Wir gehen 65 derſelben nach.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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|II. Die organiſche Weltanſicht als
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Grundlage der Ethik.
Jede philoſophiſche Disciplin ſteht auf dem Grunde des Ganzen und 5 nimmt aus dem Ganzen den Urſprung. Die Logik und Metaphÿſik haben daher die Aufgabe, für die philoſophiſchen Realdisciplinen dieſen letzten Grund zu legen. Jn dieſem Sinne ſtreben die „logiſchen Unterſuchungen“ dahin, die Jdee im Geiſte einer organiſchen Weltanſicht zu erreichen und die Ethik 10 muß den dort gewonnenen Begriff aufnehmen und vorausſetzen. Da es ſich nunmehr um die beſondere Beziehung dieſer Grundlage zur Ethik handelt, ſo erörtern wir ſie noch einmal und zwar mit dieſer beſondern Rückſicht. Je nachdem die Betrachtung auf der phyſikaliſchen Stufe der materi- 15 ellen Kräfte verharrt und darnach die Anſicht des Ganzen entwirft, oder aber ſich zum Organiſchen erhebt, das in der Harmonie der Thätigkeıten und in der Unterordnung der Theile einen richtenden Gedanken of12a/2v|
fenbart, und unter dieſe |Analogie das Univerſum ſtellt: ſo ergiebt ſich, wie gezeigt wurde, die phÿſiſche (mechaniſche) oder aber die organiſche 20 Weltanſıcht; beide in ihrem Ziel und ihrem Wege einander entgegen geſetzt, in einem durchgehenden Kampfe begriffen und zwar in einem Kampfe, der zuletzt den Glauben an unſer eigenes Weſen u. unſern
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||Eigentlich voran: Über die metaphyſıſche Grundlage der Ethik
Dann üb. d. pſycholog. (phyſ.)
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Ethiſche Unterſuchungen
eigenen Werth trifft. Dieſe beiden Weltanſichten wurden in dem letzten Abſchnitt der logiſchen Unterſuchungen einander entgegengeſtellt.1) Die eine wird in der Geſchichte der Philoſophie von den materialiſtiſchen, die andere von den idealen Sÿſtemen ausgeführt und vertreten. Daß es ſich zuletzt um dieſe beiden Anſchauungsweiſen handelt, läßt
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ſich auch aus allgemeinen Verhältniſſen darthun.2) Es iſt die Aufgabe der Philoſophie, das Ganze der Erkenntniß in ſeinem Urſprung zu beſtimmen. Wie nun jedes Ganze in den Endpunkten ſeiner Richtungen, in den |Gegenſätzen ſeines Weſens am ſchärfſten auseinan- |13/1r der tritt und zugleich ſich ſelbſt begrenzt: ſo hat auch die Philoſophie
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in dem weiteſten Gegenſatz der Erkenntniß ihre letzten Grenzpunkte und zugleich den nächſten Anhalt für die Unterſuchung. Als ein ſolcher Gegenſatz, der, wie das Grundthema aller Metaphÿſik, aller Philoſophie unter den verſchiedenſten Geſtalten immer wiederkehrt, erſcheinten der ſich ſelbſt und anderes erkennende Gedanke auf der einen Seite
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und die blinden äußern Kräfte auf der andern. Sie heißen bald Jdee und Materie oder λόγος und ὑποκείμενον, bald extensio und cogitatio, bald Subjectives und Objectives; aber dieſe verſchiedenen Ausdrücke bezeichnen nur verſchiedene Anſchauungsweiſen eines und deſſelben letzten Gegenſatzes. Wenn gleich bei dieſen Ausdrücken Vorgänge gedacht
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werden müſſen, welche in ſich mannigfaltig und vielfach ſind, ſo gleicht ſich doch inſofern auf beiden Seiten die Vorſtellung zu einer Einfachheit aus, als die Glieder des Gegenſatzes in ſich |gleichartig ſind und das |13/1v Weſen der Richtungen auf der einen Seite durchweg von der andern verſchieden iſt. Die Kräfte der Materie - und was uns Materie heißt,
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||1) Logiſche Unterſuchungen. Abſchnitt XX. II. Das Unbedingte und die Jdee. S. [3]53 ff. ||12a/2v 2) vgl. das Vtr. Abhandlung über den letzten Unterſchied der philoſophiſchen Syſteme in den Denkſchriften der K. Akademıe der Wıſſenſchaſten 1847.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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kennen wir nur in Kräften und Thätigkeiten, ſtehen zunächſt, wie die Phÿſik ſie auffaßt, dem Gedanken fremd gegenüber. Der Gedanke bildet 60 ſie nach und findet ihre Geſetze; aber was ſie ſind, das ſind ſie als nackte Kräfte, denen kein beſtimmender Gedanke zum Grunde liegt, ohne ihn. Der Gedanke hingegen, der anderes und ſich ſelbſt denkt, ſcheint im letzten Grunde nur aus ſich ſelbſt verſtändlich zu ſein. Bei näherer Betrachtung weiſen die beiden Gegenſätze auf eine Ge- 65 meinſchaft hin. Es giebt Anordnungen der Kräfte, wie auf dem Gebiete des Lebens, in den organiſchen Bildungen durchweg, welche nur durch einen zuſammenhaltenden richtenden Gedanken verſtändlich ſind. Jn dieſen ſcheınt der Gedanke das letzte Beſtimmende zu ſein. Umgekehrt wird der Gedanke, ſo weit wir ihn im Menſchen kennen, durch die Kräf- 70 13/2r|
te bedingt, welche ihn tragen u. mit er|zeugen. Das Verhältniß dieſer Gemeinſchaft bleibt die erſte Aufgabe. Wenn nun die Betrachtung die blinden Kräfte und den bewußten Gedanken einander gegenüberſtellt und der Einheit entgegenführen will: ſo ergiebt ſich eine dreifache Möglichkeit. Entweder ſteht die nackte 75 Kraft vor dem Gedanken, ſo daß der Gedanke nicht das Urſprüngliche iſt, ſondern das von blinden Bewegungen Hervorgebrachte, ein Product und Accidenz der materiellen Kräfte; - oder der Gedanke ſteht voran, ſo daß die blinden Kräfte nichts für ſich ſind, ſondern vielmehr nur der Ausfluß oder das Erzeugniß des Gedankens; oder endlich Gedanke 80 und Kräfte ſind im Grunde dieſelben und unterſcheiden ſich nur in unſerm Verſtande. Nur dieſe drei Stellungen von Gedanken und Kraft kann es geben u. es ſind darin drei Grundanſichten beſtimmt. Jn der erſten herſchen die materiellen Kräfte; in der zweiten iſt der Gedanke das Uebergeordne- 85 te; in der dritten laufen beide, nur im Verſtande unterſchieden, in der Auffaſſung einander parallel.
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Ethiſche Unterſuchungen
Man könnte vielleicht meinen, daß ſich |die beiden Endpunkte, nack- |13/2v te Kräfte und Gedanken, dergeſtalt nach der Mitte bewegen laſſen, um 90
dort in eine Jdentität zuſammenzugehen. Eine ſolche würde indeſſen die Unterſchiede nur vermiſchen und verwaſchen u. es ließe ſich in dieſem Einerlei der Mitte nichts Beſtimmtes mehr denken u. aus dem Unbeſtimmten auch nıchts Beſtimmtes herausholen. Jene drei Weiſen der Anſchauung ſind in der Geſchichte der Philo-
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ſophie durch die verſchiedenen Richtungen der Sÿſteme vertreten, die erſte durch die materialiſtiſchen Lehren ſeit den alten Atomikern, die zweite durch die idealen Sÿſteme ınsbeſondere ſeit Plato, die dritte durch Spinoza. Es ſoll hier nicht wiederholt werden, daß alle Sÿſteme unter dieſe letzten Unterſchiede fallen, mögen ſich auch in einzelnen beide
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Richtungen begegnen. Jn dieſer Ableitung tritt Spinoza für ſich beſonders hervor. Jnwiefern er indeſſen nach ſeiner Anſicht eine Einwirkung des Gedankens auf die Ausdehnung und daher den Zweck mit ſeiner architektoniſchen Macht nicht anerkennen kann u. er alſo |nur die wirkende Urſache, die |14/1r
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nackten Kräfte, übrig behält: konnte er der phÿſiſchen Weltanſicht zugerechnet werden. Wenn dies geſchieht, ſo gehen die drei Stellungen auf zwei zurück und es ergeben ſich wieder die beiden Gruppen der phÿſiſchen und organiſchen Weltanſicht, welche am Schluß der logiſchen Unterſuchungen erwogen wurden.
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Die allgemeinen Betrachtungen führen auf dieſen Unterſchied und die Richtungen, welche aus den beſonderen Wiſſenſchaften entſpringen, zi[e]hen theils nach der einen theıls nach der andern Seite und bringen beide Anſichten in eine Spannung. Es würde dies noch offenbarer werden, wenn die Menſchen, welche ihre Vorſtellungen auf einzelnen Gebieten
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ſtillſchweigend auf andere übertragen, dieſe Verallgemeinerung zur bewußten Conſequenz des Ganzen ausbildeten. Wer die Menſchen nur wie
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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die Kräfte der Phÿſik oder die Zahlen in einer Gleichung auffaßt - und im äußern Verkehr, im Austauſch der Thätigkeit[,] unterliegen ſie vielfach einer ſolchen Betrachtung: der dehnt die phÿſiſche Weltanſicht in die Ethik aus. Wer umgekehrt die materiellen Kräfte als Thätigkeiten anſieht, 120 14/1v|
|die nur durch iſolirte Auffaſſung von dem Leben und dadurch von einem zum Grunde liegenden Gedanken losgeriſſen ſind; der arbeitet an der Erweiterung und dem Siege der organiſchen Weltanſicht. Zwar gewahren wir dieſe letzte Richtung in den Wiſſenſchaften nur ſparſam und die erſte überwiegt. Aber wir rechnen im Einzelnen die Thatſache dahin, daß 125 die ſcharfſichtigere Unterſuchung nicht ſelten, was für unorganiſche Maſſe galt, in Reſte und Erzeugniſſe des organiſchen Lebens verwandelte. Dıe Wiſſenſchaft als Wiſſenſchaft geht zur letzten Entſcheidung dieſes Kampfes einen langſamen Weg und ſie kann nicht anders. Eine directe Beobachtung iſt nicht möglich; die Atome, die vermeintlichen Träger der 130 Kräfte, entziehen ſich ſo gut den Sinnen, als der beſtimmende Gedanke auf der andern Seite, der Endzweck mit dem Sÿſtem der ihm untergeordneten Zwecke. Eine Speculation auf Einen Schlag wird ſchwerlich einen Streit entſcheiden, welcher nach u. nach mit den im Ablauf der Geſchlechter ſich ausbildenden einzelnen Wıſſenſchaften an Schärfe und 135
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Macht wuchs. Die ſich vollendenden Wiſſenſchaften werden ihn |allein auf dem Wege entſcheiden, auf welchem ſie fort und fort in den einzelnen Kreiſen die Theorien zum Austrag bringen, indem ſie ſie entwickeln und an den Thatſachen meſſen. Es wird auf dieſem Wege leichter ſein, zwiſchen Ptolemaeus und Copernicus zu entſcheiden, obwol die Wiſſen- 140 ſchaft lange genug daran arbeitete, als zwiſchen dem Democritismus und Platonismus. Und doch kann die philoſophiſche Betrachtung bis zu dieſem in weite Ferne zurückreichenden Zeitpunkt nicht warten. Sie muß ſich, um den univerſellen Geſichtspunkt zu gewinnen, entſcheiden und ſich entweder auf die eine oder auf die andere Seite ſtellen; und ſie 145
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Ethiſche Unterſuchungen
wird dabei nicht anders verfahren können, als daß ſie die Thatſachen der Natur und der Geſchichte, der phÿſiſchen und der ſittlichen Welt auf die Grundfrage hinrichtet und in der Tiefe der Betrachtung mit ihr auszugleichen ſtrebt. Es iſt dabei unvermeidlich, daß die Lücken in 150
den Datis auf verſchiedene Weiſe eine Ergänzung zulaſſen und daher theils ſubjectiver Conſtructionen der Begriffe, theils Forderungen des Glaubens Raum geben. Aber vor allem kann die ethiſche Wiſſenſchaft bis zu einer ſolchen letzten Entſcheidung nicht warten. Es werden täglich und ſtündlich an ſie Fragen gerichtet u. ſie muß für die Antwort
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unge|achtet des übrigen philoſophiſchen Streites einen unbeſtrittenden |14/2v Grund zu erreichen ſuchen. Wir können für das, was uns zunächſt liegt, nicht erſt das Heil von dem Entfernteſten erwarten. Es muß verſucht werden, für die Ethik einen Boden zu gewinnen, der auch im Schwanken der Weltanſichten ſicher beharre. Es iſt dies nicht unmöglich; und die
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Beiſpiele anderer Wiſſenſchaften geben uns Muth. Noch ſtreiten z.B. die Metaphÿſiker, was der Raum ſei; aber innerhalb dieſes Gebietes ſteht der pÿthagoreiſche Lehrſatz ſeit mehr als zwei tauſend Jahren feſt und wirkt in Verbindung mit andern Sätzen dazu mit, mehr und mehr geometriſche Einſicht und mathematiſche Kunſt u. Macht zu erzeugen. Aehnlich würde
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es ſein, wenn es gelänge, ethiſche Begriffe[,] z.B. den Begriff des Rechts, unabhängig von den wechſelnden Antworten auf jene Grundfrage der Speculation, zur bleibenden Beſtimmtheit zu bringen. Wir werfen hiernach für dieſen ethiſchen Zweck auf die oben entworfenen Möglichkeiten der Weltanſicht einen betrachtenden Blick.
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Wir ſcheiden zunächſt Spinoza aus, der zwar, inwiefern er den innern Zweck leugnet, von der negativen Seite zur |phÿſiſchen oder mechaniſchen |15/1r Weltanſchauung, zur Alleinherrſchaft der wirkenden Urſache[,] übertritt, aber von der poſitiven das Grundverhältniß von Denken und Ausführung verſchieden begreift und dadurch eine eigenthümliche Stellung behauptet.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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Nur eine conſequente Auffaſſung des ganzen Sÿſtems, nur eine durch- 175 gehende Vergleichung ſeiner Ausführung mit dem Grundgedanken, nur eine ſcharfe Scheidung von den beiden andern Anſchauungsweiſen, ſowol der materialiſtiſchen als der teleologiſchen, die ſich nur allzu leicht unterſchieben, nur ein offener und ſtrenger Verſuch, die metaphÿſiſchen Erklärungen mit den realen Thatſachen zu meſſen, vermögen der Frage 180 Genüge zu leiſten, ob Spinoza’s Lehre jene Nothwendigkeit in ſich trage, welche er ſelbſt als dies Unwandelbare und Ewige erſtrebt. Es iſt nicht möglich, eine ſolche weitläuffige Kritik an dieſer Stelle zwiſchenzuſchieben. Wir haben ſie an einem andern Orte verſucht und dürfen uns auf den Ertrag, den wir gewonnen haben, zurückbeziehen.3)
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Wenn ſich in Spinoza’s Ethik die Kritik auf die formale Vollendung des 15/1v|
geſchloſſenen Ganzen richtet, ſo findet ſie in den Definitionen und |Axiomen aller Bücher philoſophiſche Vorausſetzungen, welche unbegründet daſtehen, und eine Vielheit von tragenden Anfangspunkten, deren Einheit des Urſprungs nicht nachgewieſen iſt. Wer Spinoza in dieſer Beziehung halten 190 wollte, müßte ihn ergänzen; und würde dies ſchwerlich anders können, als indem er Spinoza’s Vorſtellung von der Erkenntniß des reinen Verſtandes zu vollziehen u. „außerhalb der Wörter und Bilder“ rein zu denken verſuchte. Aber Spinoza’s geometriſche Methode und die ungeometriſche Dialektik des reinen Denkens, die alte Architektonik des ſtreng gebundenen Ganzen 195 u. die flüſſigen Begriffe einer modernen Conſtruction[,] ergäben nimmer ein Gebäude aus Einem Entwurf und in Einem Stil. Wenn ſich dann ferner die Kritik auf die reale Durchführung des Grundgedankens richtet, ſo erheben ſich noch größere Schwierigkeiten u. zeigen ſich noch größere Lücken.
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||3) „Ueber Spinoza’s Grundgedanken und deſſen Erfolg “ in den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wiſſenſchaften 1849. vgl. logiſche Unterſuchungen[.] Abſchn. VIII. II, S. 39 ff.
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Ethiſche Unterſuchungen
Vor allem müßte noch gezeigt werden, wie die Vorgänge zu begrei205
fen ſeien, in welchen ſonſt ein Zuſammenhang zwiſchen Denken u. Ausdehnung wie in deutlichen |Thatſachen vorzuliegen ſchien. Es müßte |15/2r namentlich in Bezug auf die Auffaſſung der Dinge gezeigt werden, wie die Sinneswahrnehmung, welche ſonſt als die Grundlage des Gedankens betrachtet wird, entweder ohne eine Einwirkung der Ausdehnung auf
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das Denken aufzufaſſen ſei oder mit dem, was Spinoza Gedanken nennt, keine Gemeinſchaft habe. Es müßte umgekehrt für die Thätigkeit des Menſchen nach außen gezeigt werden, wie ein vernünftiges Handeln, Spinoza’s ex ductu rationis agere, überhaupt möglich ſei, da im Menſchen alles vernünftige Handeln den Gedanken dergeſtalt zum Führer hat, daß
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er die Wirkung, die noch nicht da iſt, alſo in der Ausdehnung noch kein paralleles Gegenbild hat, entwirft und vorwegnimmt und darnach erſt den realen Vorgang der Mittel einleitet u. einrichtet. Spinoza ſagt ſeinem Grundgedanken gemäß ausdrücklich: [„W]eder der Körper kann den Geiſt zum Denken, noch der Geiſt den Körper zur Bewegung oder
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Ruhe oder irgend etwas Anderm beſtimmen[“] (III. 2). Wo indeſſen in dem ex ductu rationis agere die Vernunft führt, da muß ſie ſich doch mit der Bewegung und Ruhe einlaſſen; da beſtimmt ſie dieſe doch, wie z.B. in ihren Mitteln. |Es hätte gezeigt werden müſſen, wie namentlıch ſolche |15/2v Thatſachen, wie das gegliederte Leben, Begriffe, wie das Organiſche
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und Schöne, ohne den Gedanken im Grunde der Dinge, ohne die inwohnende Einheit eines Zweckes wirklich verſtanden werden können. Es fehlt dem Spinoza mit dem Zweck ein Princip der Determination, wodurch ein individuelles Leben gebildet würde. Die Determination, die nichts als Verneinung iſt, hat keinen poſitiven Mittelpunkt. Spinoza
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hat weder geſagt, wie ſich das Denken, noch wie ſich die Ausdehnung vom Unendlichen zum Endlichen beſtimme. Wenn deſſen ungeachtet ſeine ethiſche Anſicht auf der Grundlage ruht, daß jedes Weſen ſich
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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in ſeinem Sein zu behaupten u. daß alle Tugend nur die Macht ſei, etwas zu bewirken, was allein aus den Geſetzen der menſchlichen Natur als ſolcher verſtanden werden kann: ſo ergiebt ſich leicht, daß Spinoza 235 ſtillſchweigend individuelles Leben vorausſetzt und damit in den teleologiſchen Standpunkt übergeht. Spinoza’s Ethik im engern Sinn hat 16/1r|
ıhren Kern in der Erklärung (eth. IV. Def. 8): „Un|ter Tugend und Macht verſtehe ich daſſelbe d.h. die Tugend, inwiefern ſie auf den Menſchen bezogen wird, iſt das Weſen des Menſchen ſelbſt, inwiefern es im Stande 240 iſt, etwas zu bewirken, was allein aus den Geſetzen ſeiner Natur begriffen werden kann“. Es iſt bemerkenswerth, wie nahe hier Spinoza die Ethik des teleologiſchen Standpunktes berührt. Ariſtoteles, von dem Gedanken der innern Zweckmäßigkeit geleitet, forſchte[,] da er das Princip der Ethik ſuchte, in dem Sinne nach dem eigenthümlichen Werk des Menſchen, 245 wie z.B. Hand u. Fuß ihr eigenthümliches Geſchäft verrichten, u. will darin die Beſtimmung erkennen. (eth. Nic. I. 6) Das Eigenthümliche II. 5 und Specifiſche der menſchlichen Natur iſt in beiden das Maß. Aber die Berechtigung und Bedeutung ſteht bei Ariſtoteles höher, da bei ihm die eigenthümliche Natur aus einem innern Gedanken abgegrenzt iſt, aber 250 bei Spinoza die Determination nur in der Negation ihr Weſen hat. Spinoza verſteht unter dem, was allein aus den Geſetzen der menſchlichen Natur begriffen werden kann, das begreifende Denken, das intelligere u. das Handeln, das aus ſolchen Begriffen folgt, das ex ductu rationis agere. Vgl.
16/1v| eth.
IV. 35. IV. |app. c. 4. Wir wollen die innern Schwierigkeıten nicht 255
drängen. Genau genommen - und Spinoza ſcheint es bisweilen ernſt zu nehmen - iſt das reine Denken, die sola puri intellectus cognitio das einzige, das allein und ausſchließlich aus der menſchlichen Natur begriffen wird. Wo noch ein Bild einfließt, da iſt immer noch ein Reſt eines äußern Verhaltens, da hat immern noch ein anderes Ding, der Gegenſtand der 260 Sinne, außer der menſchlichen Natur mitgewirkt. Wir drängen nicht die
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Ethiſche Unterſuchungen
innere Unmöglichk[ei]t dieſer sola puri intellectus cognitio, ſo daß eigentlich das, was einzig und allein aus der menſchlichen Natur zu begreifen wäre, verſchwinden würde. Wir nehmen alſo die Formel, da jedes 265
Handeln äußere Bedingungen vorausſetzt, in dem Sinne eines vernünftigen Wirkens und Gegenwirkens. Es fragt ſich dann, was im Sittlichen der Jnhalt des intelligere iſt. Ein Grundzug geht durch daſſelbe durch. Das menſchliche Weſen will ſein Sein behaupten und erweitern. Jeder leidende Zuſtand, der in ſeinem Jnnern Unluſt oder Furcht trägt, das Zeichen
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des verminderten Eigenlebens, jeder leidende Zuſtand, der ſtatt Macht Ohnmacht iſt, wird daher vom vernünftigen Handeln ausgeſchloſſen. Ferner |wächſt die Macht des Einzelnen durch Vereinigung und doch |16/2r ſie iſt, was Eintracht erzeugt, ſittlich. Das Streben nach dem, worin alle übereinkommen, das Streben nach dem Allgemeinen der menſchlichen
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Natur, wird dadurch das Streben der Vernunft. So ergiebt ſich das Allgemeine als der Jnhalt des menſchlichen Handelns, des Handelns, das allein aus den Geſetzen der menſchlichen Natur verſtanden werden kann. Es ergiebt ſich als eine Folge der Selbſterhaltung, aber reicht als ein Urſprüngliches, das der menſchlichen Natur zum Grunde liegt; es
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ergiebt ſich nur als ein Mittel für die Aufgabe der durch Vereinigung zu verſtärkenden Macht, als ein Conſequenz und Accidenz. Wo das Eigenleben für die Vermehrung ſeiner Macht, für die Selbſterhaltung ſeines Weſens, andere Wege ſieht, wird dieſer Beweggrund des Sittlichen wie ein künſtliches Band zerreißen. Wenn man, wie Spinoza thut, das
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menſchliche Weſen ohne innere Beſtimmung - denn die Determination iſt Negation - nur als Kraft faßt mit dem Triebe zu beharren, wie andere Kräfte: ſo tritt auch das intelligere nur als eine ſolche auf, und die andern Kräfte ſind gleich berechtigt. Denn jedes Ding hat nach der Natur ſo viel
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Alternativvariante: 281 Conſequenz und Accidenz.] Nachfolgendes u. Zufallendes.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik 16/2v|
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Recht als es Macht hat zu ſein und thätig zu ſein. Wo die |Kräfte in dem Kampf, den ſie alle um ihr Daſein führen, in dieſem Kriege aller gegen alle, das intelligere beſiegen, wo ſie das vernünftige Handeln unmöglich machen, da iſt auch nur das Naturgeſetz erfüllt. Das intelligere hat nur inſofern einen Vorzug, als es auf das Ganze geht; das Ganze iſt aber nur 295 berechtigt, ſo weit es in ſich zu beharren verſteht; wenn der Theil ſiegt, ſo hat er ebenſo viel oder mehr Recht. Denn was geſchieht, hat ein Recht zu geſchehen. Gut und böſe ſind nur Weiſen unſerer Vorſtellung. Die Strebungen, welche aus der Vernunft entſpringen, und die Begierden, welche ſich aus andern Urſachen in uns erzeugen, ſind inſofern nicht 300 verſchieden, als dieſe, wie jene Wirkungen der Natur ſind und die natürliche Kraft darſtellen, wodurch der Menſch in ſeinem Weſen zu beharren trachtet (tractat. polit. c. 2. § 18)[.] Erſt wenn das Ganze, der Menſch in ſich als Einzelner und die Gemeinſchaft der Menſchen, auf dem Werth eines innern Gedankens ruht und die Theile dieſem Gedanken unter- 305 geordnet ſind: ſo hat der ethiſche Trieb des intelligere die übergeordne-
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te Stelle, die ihm gebührt. Spinoza hat in dem Trieb des menſch|lichen Weſens dies Ganze ſtillſchweigend vorausgeſetzt. Dadurch iſt er zu einem höhern Standpunkt übergetreten; und hat die atomiſtıſche Richtung des Eigenlebens, welche ſeiner Ableitung zum Grunde liegt, zurückgedrängt. 310 Wenn aus dem Gedanken des Eigenlebens, das ſich durch Vereinigung verſtärken will, wenn aus dem Gedanken der durch Eintracht zu vermehrenden Macht des Einzelnen ſchon ſo viel des Sittlichen folgt, als Spinoza in einfachem Gange daraus herleitet: ſo beweiſt das nur, daß auch die Glieder, damit ſie beharren können, das geſchloſſene Ganze ſuchen 315 müſſen; es beweiſt nur die Wechſelwirkung des Jntereſſes (des „ suum utile“) zwiſchen dem Ganzen u. den Theilen. Aber dem Gedanken des
Ganzen und dem Begriff des Theiles im Ganzen iſt dadurch nicht genug geſchehen.
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Ethiſche Unterſuchungen
Spinoza’s Ethik wirkt, indem ſie, ohne etwas vorzuſchreiben, in der Form mathematiſcher Sätze, beſchreibt, was der Vernünftige, der Freie thun, indem ſie durch eine ſolche Betrachtung, die auf das gerichtet iſt, was allein aus der menſchlichen Natur folgt, das Streben des eigenthümlich Menſchlichen erregt. Die Vorſtellung wirkt nothwendig in dieſer
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Richtung. Jnwiefern ſie aber den Menſchen auf das hinweiſt, was ihn zum Menſchen macht: dient ſie in dem Menſchen, den ſie nur als nackte Kraft faßte, dennoch dem Gedanken, ohne den der Trieb ſeines Weſens nicht zu begreifen iſt. |Spinoza mußte im Sinne des Grundgedankens, nach welchem Den- |17/1v
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ken und Ausdehnung, unter ſich ın keinem Cauſalzuſammenhange, nur der verſchiedene Ausdruck einer und derſelben Subſtanz ſind, den Zweck, das [ ]
h ö chſte, einen das Weſen der Dinge beſtimmenden Gedanken verneinen. Vor ſeiner Grundanſchauung aus konnte er nicht anders. Dagegen ſind die Gründe, die er außerhalb derſelben hinzufügt, um den Zweck aufzuhe335
ben, nicht von gleichem Belang. So ſucht er z.B. zu zeigen, daß der Zweck dem Begriffe Gottes widerſpreche. (eth. I. 33. schol. 2). Diejenigen, welche annehmen, ſagt er, daß Gott unter dem Zweck des Guten thätig ſei, ſcheinen etwas, außerhalb Gottes zu ſetzen, was von Gott nicht abhängt, worauf indeſſen Gott in ſeiner Thätigkeit wie auf ein Vorbild hinblickt
340
oder worauf er, wie ein Schütze auf die Scheibe hinzielt. Das heiße aber in der That nichts anders, als Gott einem Verhängniß unterwerfen. Es iſt ſchwer, in Gottes Begriff hinein zu argumentieren. Aber am wenigſten darf es im bloßen Bilde geſchehen. Der Menſch mag das Ziel, das er erreichen will, oftmals außer ſich haben. Aber wie ſchon er nicht |ſelten es |17/2r
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ſelbſt ſetzt, ſo fällt das Außen u. Jener im Abſoluten (in Gott), in dem ſich aus ſich beſtimmenden Gedanken von ſelbſt weg. Spinoza hat ſeinem Gott ein anderes Verhängniß gelaſſen, das iſt die Negation, die das Unendliche zum Endlichen macht, in ihrem Urſprung unbegriffen.
II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik
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Wir haben die Gründe angedeutet, welche den tiefer eingehenden Gedanken verhindern, die eigenthümliche Stellung zu behaupten, welche 350 Spinoza der Speculation in ſeinem Grundgedanken gegeben hat. Seine Ausführung zieht entweder, inwiefern der innere Zweck geleugnet wird, zum materialıſtiſchen, oder, durch ſtillſchweigende Vorausſetzungen zum teleologiſchen Standpunkt hinüber. Zwiſchen dieſen beiden geht der Kampf fort; u. wir müſſen uns zwiſchen ihnen entſcheiden.
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XXI. Das System (1862)
Diplomatischer Abdruck
[S. 408]
XXI. Das System (1862)
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13XXI. DAS SYSTEM.
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1. Die verschiedenen Weisen der Begründung sind dargestellt worden. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, wie sie einander fordern und im lebendigen Akte des Erkennens zusammenwirken.1 Ein Beispiel mag diese Einheit erläutern, die zugleich zu einer grösseren logischen Gestalt überleitet. Alles Verständniss ist Interpretation, sei es des gesprochenen Wortes oder der sinnvollen Erscheinungen selbst. Der innere Vorgang hat in beiden Fällen grosse Verwandtschaft. Wir vergegenwärtigen uns daher den Gang des Geistes in der philologischen Erklärung, um in dieser leichter zu beobachtenden Thätigkeit die verwickeltere wiederzufinden; und wir werden die Einheit der Methoden erkennen, wenn wir z. B. im Einzel-
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
1 In den „ Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik“ 2. Aufl. 1861 hat der Vf. Beispiele aus den verschiedenen Disciplinen gegeben, und in dem „Naturrecht auf dem Grunde der Ethik“ hat er einen ganzen Abschnitt (§§. 71–82) darauf verwandt, die Logik des Rechts in seiner Entstehung und Anwendung nach den verschiedenen Methoden, die sich darin verschlingen, darzustellen. Es ist wichtig, die abstrakte Logik nicht im Abstrakten zu halten oder in gemachten Beispielen zu entkräften, sondern in die wirklichen Wissenschaften zu verfolgen und dort in der vollen Bedeutung anzuschauen. Dazu mögen die genannten Schriften in Uebereinstimmung mit den „logischen Untersuchungen“ anleiten.
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (1= S. 332), LU3.II (3= S. 443) Lesarten der LU:
1 XXI. DAS SYSTEM.] XIX. Das Syſtem. LU1.II, S. 332. 3 1. Die] Die »1« ist nicht miteingezogen. LU1.II, S. 332. 5 Akte] Acte LU1.II, S. 332. 5 f. Zusammenwirken.1] keine Fußnote LU1.II, S. 332. 7 grösseren] größern LU1.II, S. 332. 8 Verständniss] Verſtändniß LU1.II, S. 332. 10 grosse] große LU1.II, S. 332. 16–26 1 In bis anleiten.] nicht enthalten. LU1.II, S. 332.
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Diplomatischer Abdruck
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[S. 409]
XXI. Das System. 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
|3nen beobachten, welche Wendungen unser Denken stillschweigend macht, um eine schwierige und dunkle Stelle eines alten Klassikers zu verstehen. Das Verfahren ist dabei in seiner ganzen Richtung analytisch. Aus dem geschriebenen Worte als der sichtbaren Erscheinung soll der hervorbringende Grund, der Gedanke, gefunden werden. Indem wir aber diese Aufgabe lösen, verfahren wir sogleich synthetisch. Denn wir verstehen die einzelne Stelle, indem wir fortlesen, durch die lebendige Nachbildung des Ganzen. |1Wir stehen daher schon, wenn uns etwa eine Stelle als schwierig erscheint, mitten in dem hervortreibenden Grunde des Gedankens. Wir stossen gerade an, weil das analytische Verfahren, das aus den Zeichen den Sinn gleichsam sammelt, mit dem synthetischen, das von dem Ganzen her jeden durch die Analysis entstehenden Theil beleuchtet, in Widerspruch geräth. Der neue Theil will sich nicht in das gewonnene Bild des Ganzen fügen, und die Gewalt der Einheit, in der alles Verständniss geschieht, weist ihn als fremdartig zurück. Sogleich wird die bisherige Synthesis problematisch, und es fragt sich, ist der neue Theil oder das alte Ganze, oder sind beide unrichtig genommen und wie lassen sie sich vereinigen? Die Mittel, die wir in einer solchen Frage anwenden, sind zunächst analytisch. Wir construiren etwa die Stelle nach den Wortformen, die uns wie Erkenntnissgründe einen Rückschluss erlauben. Nun wird ein Sinn herausgebracht. Ist es der rechte? Der Zusammenhang der ganzen Stelle, also der Synthesis, ist die Probe dieses analytischen Ergebnisses. Die versuchte Erklärung ist vielleicht falsch. Die Widerlegung erscheint dann in einem indirekten Beweise. Denn gäbe jene Ansicht, schliessen wir, den richtigen Sinn, so wäre dies und das im Ganzen oder Einzelnen ungereimt. Der Zusammenhang leistet jenen Widerstand, von dem ein indirekter Beweis überhaupt ausgeht. Die Erklärung wird aufgegeben; eine neue wird versucht, bis das analytische Verfahren, das sich auf die grammatischen Verhältnisse stützt, und das synthetische, das aus dem Ganzen heraus dem innern
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (|1= S. 333), LU3.II (|3= S. 444) Lesarten der LU: 36 schon, wenn] schon, wenn LU3.II, S. 444. 38 stossen] ſtoßen LU1.II, S. 333. 43 f. Verständniss] Verſtändniß LU1.II, S. 333. 47. vereinigen? Die] vereinigen? Die LU1.II, S. 333. 50 Erkenntnissgründe bis Rückschluss] Erkenntnißgründe [...] Rückſchluß LU1.II, S. 333. 54 indirekten] indirecten LU1.II, S. 333. 55 schliessen] ſchließen LU1.II, S. 333. 58 indirekter] indirecter LU1.II, S. 333.
[S. 410]
XXI. Das System (1862)
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XXI. Das System. |3Gedanken nachschafft, sich einander gegenseitig bestätigen. Die innere Genesis des Gedankens, die sich mit Nothwendigkeit in die gegebene Form kleidet, ist der direkte Beweis. In dem ganzen Vorgange ist der Blick auf das Individuelle gerichtet, und daher verschwindet leicht für die Beobachtung der Syllogismus, der aus dem faktisch Allgemeinen das Einzelne ableitet. Aber er ist stillschweigend vorhanden. Wenn z. B. in dem Verlauf eine allgemeine gramma|1tische Regel angewandt, oder wenn im indirekten Beweis aus einem Allgemeinen argumentirt wird: so geschieht es durch die rasche Verknüpfung eines Syllogismus der ersten Figur. Die ausschliessende Widerlegung endet meistens in einem Schluss der zweiten Figur. Die Induction ist als Hülfsmacht thätig, indem sie etwa eine lexicalische Bedeutung feststellt, die für das Verständniss versucht wird. In der raschen Wechselsprache der Gedanken unterscheiden wir diese verschiedenen Richtungen der Methode nicht. Wenn wir aber darauf merken, so bewundern wir unser eigenes Weber-Meisterstück:
62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
„Wo Ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schiessen, Die Fäden ungesehen fliessen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.“
80 91 82 83
Wir denken in ähnlicher Weise, wie wir uns bewegen. In einem Nu bewegen wir das freie Spiel der Hand. Wie viele Muskeln wirken dazu nicht in einer Einheit zusammen! Wenn der Physiolog uns ihre verschlungene Thätigkeit zeigt, so bewundern wir den Organismus. Die Formen des Denkens wirken geistig, wie leiblich die Muskeln. Wir üben beide, ohne sie zu sehen und zu kennen. Das Verständniss einer schwierigen Stelle, wie wir es eben zergliederten, ist gleichsam ein Musterbild alles Erkennens. Wenn überhaupt die Nachbildung der Sache aus dem Ganzen (Die Synthesis) in die Formen der Erscheinungen (die Erkenntnissgründe der Analysis) dergestalt hineinwächst, dass sich beide einander bejahen und bezeugen: so wird erreicht, was
84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (|1= S. 334), LU3.II (|3= S. 445) Lesarten der LU: 64 direkte] directe LU1.II, S. 333. 67 faktisch] factisch LU1.II, S. 333. 70 indirekten] indirecten LU1.II, S. 334. 72 f. Die bis zweiten Figur.] nicht enthalten. LU1.II, S. 334. 75 Verständniss] Verſtändniß LU1.II, S. 334. 80–83 schiessen, bis fliessen,] ſchießen, [...] fließen, LU1.II, S. 334. 91 Verständniss] Verſtändniß LU1.II, S. 334. 94 f. Erkenntnissgründe bis dass] Erkenntnißgründe [...] daß LU1.II, S. 334.
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[S. 411]
XXI. Das System. 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131
|3aerreicht werden kann. Es ist nur die Aufgabe des Menschengeistes, dass er auf gleiche Weise die Welt als ein Ganzes verstehe. 2. In dem vorangehenden Beispiel, das den Knoten darstellt, zu dem sich die Methoden zusammenschürzen, tritt von Neuem hervor, dass der Geist auf eine Einheit des Ganzen der Erkenntniss gerichtet ist. Diese Einheit des Ganzen ist allent|1halben die stille Voraussetzung. Alle Erkenntnisse wollen um ein Centrum gravitiren. Das Entlegene soll nicht zerfallen und das Nahe nicht zusammenschwinden. Die Einheit ist nicht bloss Abwesenheit des Widerspruchs, welche zunächst im indirekten Beweise gefordert wird, sondern Gemeinschaft des Denkens und Seins, aus der allein die geistige Nothwendigkeit ihr ewiges Band webt. Das S y s t e m stellt diese grosse Einheit dar und ist gleichsam nur Ein erweitertes Urtheil. Denken und Sein entspricht sich auch hier. Der Begriff wurde im Urtheil lebendig, wie die Substanz in der Thätigkeit. Der Grund ergoss sich in seine Folgen, wie die Ursache in ihre Wirkung. Der Zusammenhang der Begriffe und Urtheile bildet das System, wie der Zusammenhang der Substanzen und Thätigkeiten die Welt bildet. Die logische Einheit, die der metaphysischen entspricht, ist oben behandelt worden. Die Nachbildung zeigt sich hier nur in einem grössern Massstab. Wir unterscheiden ein System der A n o r d n u n g und ein System der E n t w i c k e l u n g. Beide beherrschen eine Vielheit der Erkenntnisse durch die Einheit. In dem einen waltet die Uebersicht der Eintheilung, in dem andern die lebendige Erzeugung eines Princips. In jenem werden fertige Substanzen nach ihrer Verwandtschaft zusammengestellt, in diesem entstehen sie aus ihren Gründen. Die Herrschaft eines Eintheilungsgrundes bestimmt das System der Anordnung; die genetische Methode, wenn sie sich vollendet, bringt das System der Entwickelung hervor. |3bJenes
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (|1= S. 335), LU3.II (|3a= S. 446, |3b= S. 447) Lesarten der LU: 98 dass] daß LU1.II, S. 334. 102 f. dass bis Erkenntniss] daß [...] Erkenntniß LU1.II, S. 334. 106 bloss] bloß LU1.II, S. 335. 107 indirekten] indirecten LU1.II, S. 335. 111 S y s t e m ] nicht gesperrt. LU1.II, S. 335. 111 grosse] große LU1.II, S. 335. 115 ergoss] ergoß LU1.II, S. 335. 115 Folgen, wie] Folgen, wie LU1.II, S. 335. 121 grössern Massstab.] größern Maßſtab. LU1.II, S. 335. 122 System] gesperrt gedruckt. LU1.II, S. 335. 123 beherrschen] beherſchen LU1.II, S. 335, beherschen LU3.II, S. 446.
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EU (Dbl.)
soll eine Vorstufe von diesem sein, und nur dieses ist im vorzüglichen Sinne System. Wenn zuerst durch eine A n s i c h t vom Standpunkt des Beschauers her auf eine Masse von Vorstellungen ein Lichtblick fällt, und sich diese nun in einem - wenn auch noch subjektiven - |1aGrundgedanken verknüpfen, wenn dann die T h e o r i e weiter in die Erklärung der Sache vordringt: so vollenden sich diese Versuche im S y s t e m. Das System will in seiner Entwickelung ein sich entwickelndes Gebiet von Erscheinungen decken und sucht das unabhängige Ganze. Die einzelnen Systeme der Wissenschaften sind selbst nur Glieder eines grossen Systems. Sie verwachsen in einander, indem sie aus einander Nahrung ziehen. Wenn sich diese abhängigen Glieder zu Einem Organismus zusammenschliessen, der sich selbst verwirklicht: so entsteht das Bild des grossen Systems, das das geistige Gegenbild der W e l t sein will. [...]1b (1)▶3. Es liegt in der Natur jener grundlegenden Wissenschaft, welche wir Eingangs bezeichneten1 und in unseren Untersuchungen verfolgten, dass sie, die logischen und metaphysischen Principien aufsuchend, die Grundzüge für die G l i e d e r u n g d e s S y s t e m s der Wissenschaften gewinne. Wir versuchen daher in einem Blick auf die Ergebnisse die Linien zu markiren, welche den Aufriss bilden. Wir legten auf den Begriff der Stufen, auf einen solchen Fortschritt ein Gewicht, in welchem nicht bloss das Frühere methodisch und real das Folgende vorbereitet, wie das Einfache das Zusammengesetzte, sondern auch das Frühere, gemessen an dem Zweck des Ganzen, als das Niedere erscheint, ohne welches wir jedoch das Höhere nicht erreichen. Ein solches Verhältniss sahen wir insbesondere in jenen beiden Gruppen von Principien, welche sich als wirkende Ursache und Zweck unterschieden. Die Stufen erheben sich und in der Entwicke1 Band I. S. 3 ff.
132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
10/1v bis 11/2v
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (|1a= S. 336, [...]1b= Textübernahme unterbrochen. Fortsetzung ab Z. 323.) Lesarten der LU:
Erläuterung:
134 Standpunkt] Standpunct LU1.II, S. 335. 136 f. subjektiven] ſubjectiven LU1.II, S. 335. 144 grossen] großen LU1.II, S. 336. 146 f. zusammenschliessen, bis grossen] zusammenschliessen, [...] grossen LU1.II, S. 336. 149–322 3. Es bis hinausweist.] nicht enthalten. LU1.II
149–322 3. Es bis hinausweist.] Der den LU2.II neu hinzugefügte und hier als ›Segment (1)‹ gekennzeichnete Text basiert grob auf dem in Dbl. 10/2r, Z. 3 bis Dbl. 11/2v, Z. 22 befindlichen Text der EU. Obwohl Tr. im Manuskript der EU den betroffenen Textabschnitt an einigen Stellen grob als Übernahme markiert, wird dieser für die LU2.II vollkommen neu formuliert.
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EU (Dbl.) 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201
|3alung sehen wir das Niedere zum Höheren streben, und das Hö-
here, selbst zu einer Zeit, da es äusserlich noch nicht da ist, das Niedere ziehen oder es sich zum Organ bereiten. In demselben Sinne bilden die Wissenschaften Stufen der Erkenntniss. Wir schliessen uns, um sie darzustellen, an d i e Fragen an, in welchen wir anfangs die Motive zur Logik und Metaphysik erblickten; und es wird dabei deutlich werden, ob und wie weit wir sie vor Augen hatten. Diese Fragen liessen sich in zwei Ausdrücke fassen, welche im Grunde dasselbe wollen. Allgemein genommen lauteten sie so: w i e i s t ü b e r h a u p t W i s s e n s c h a f t m ö g l i c h, und wie bringt der Geist N o t h w e nd i g k e i t hervor? Diese allgemeinen Fragen gliederten sich von selbst durch die sich absetzenden und abstufenden Principien in die besonderen darunter begriffenen. Durch die geforderte elementare Vermittlung des Denkens und Seins, welche sich als constructive Bewegung ergab, wurde die Grundlage gewonnen. Indem sich mit den Gebilden der entwerfenden Bewegung die Möglichkeit ergab, a priori anzuschauen, d. h. vor der Erfahrung und die Erfahrung bedingend, beantwortete sich die Frage: w i e i s t m a t h e m a t i s c h e E r k e n n t n i s s m ö g l i c h? Die logische That, auf dem Gebiet erklärte sich im Menschengeschlecht consequent wachsend, durch den Besitz eines realen Princips; denn die constructive Bewegung, Figuren und Zahlen erzeugend, muss als ein solches bezeichnet werden. Ohne ein reales Princip im Ursprung bliebe die reine Erkenntniss leer. In demselben Akt sehen wir die m a t h e m a t i s c h e N o t h w e n d i g k e i t entstehen. Wenn in aller Nothwendigkeit, wie sich in der Untersuchung der modalen Kategorien ergab,1 Subjektives und Objektives ||3bübereinstimmt, so stellt sich dies Verhältniss in der reinen Mathematik so, dass aus der eigenen Thätigkeit und ihrer innern Bestimmung das Gesetz der Sache fliesst. Die mathematische Erkenntniss ist die durchschaute Consequenz einer eigenen erzeugenden That. |3c
1 S. oben Bd. II. S. 176 ff.
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3a= S. 448, |3b= S. 449, ||3c= S. 448) Lesarten der LU: 183 gewonnen. Indem] gewonnen. Damit wurde eine bewusstlose causale Thätigkeit, die Bewegung im Raume, an eine bewusste, die constructive, angeknüpft, beide als einander entsprechend betrachtet, und die bewusstlose, indem sie im Bewusstsein unter die Identität tritt, erkennbar gemacht. Indem [...] LU3.II, S. 448.
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XXI. Das System. Aus der Construction und Determination entspringt das Mannigfaltige in der Einheit; und weil dieser Ursprung erkannt wird, ist es möglich, das gegebene Mannigfaltige auf das Gesetz des Ursprungs zurückzuführen und die Consequenz in der Wechselwirkung der entstandenen Gebilde zu verfolgen. Es handelt sich nur darum aufzufinden, was in der erzeugenden That mit gesetzt ist; und darauf richtet sich der mathematische Scharfsinn in der Erkenntniss der Gesetze. In dem Beispiel Kants, 7 + 5 = 12, zählen w i r zusammen, setzen w i r ab, haben w i r die dekadische Ordnung gestiftet. Das Beispiel der mathematischen Nothwendigkeit, 2 × 2 = 4 (wir sagen, etwas sei so gewiss, als 2 mal 2 4 ist), leuchtet jedem ein, weil es die eigene That ist. Einmal gesetzt ergiebt es durch Beziehungen, die es aufnimmt, anderes Nothwendiges, z. B. 4 : 2 = 2, 3 + 1 = 4 u. s. w. Ebenso verhält es sich mit dem Dreieck, das wir construiren, mit den Parallelen, die wir ziehen. Die trigonometrischen Gesetze, welche niemand beim ersten Blick in dem Dreieck ahnet, sind doch darin; wenn mit dem Dreieck der Kreis und dessen Beziehungen combinirt werden, treten sie hervor. Es kommt für den Fortschritt der mathematischen Nothwendigkeit nur darauf an, dass man die Mittel finde, die Consequenz des Wesens in der Wechselwirkung mit Anderem zu verfolgen. Die mathematische Nothwendigkeit gilt sprichwörtlich als die strenge. Sie ist mit nichts Fremdem, das von aussen käme, und darum mit nichts Zufälligem versetzt. Auf dem Gebiete der Erfahrung, welches als die zweite Stufe erschien, herrscht das Gegebene. Der Erkennende steht auf demselben in realer Wechselwirkung mit dem Realen, und die Wahrnehmung, welche ihm zuletzt in Lust und Unlust empfindlich wird, verbürgt ihm diese Wirklichkeit. Daraus geht auf diesem Gebiete der Begriff der T h a t s a c h e hervor. Wie |3auch der Rückschluss sich vom ersten Eindruck entferne, ihm liegt die Wirkung des Realen zum Grunde. Im Gegensatz gegen Spiele der Einbildung, gegen losgerissene Vorstellungen, welche in uns ihr Wesen treiben, unterrichtet die durch die
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 450) Lesarten der LU: 232 auf diesem Gebiete und hervor.] Unter »auf diesem Gebiete« steht eingezogen (petit): »Log. Untersuch. II. 3. Aufl.«. Unter dem »hervor« steht (petit): »29«. LU3.II, S. 449.
EU (Dbl.) 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236
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EU (Dbl.) 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271
Thatsache gebundene Erfahrung durch die Dinge selbst und schafft Macht über die Dinge. In dem Neuen, das diese Stufe darstellt, wirkt das Alte. Die Aneignung durch die Sinne geschieht mit Hülfe der constructiven Bewegung; die Ergründung geht in mathematische Gesetze zurück; die Materie ist zuletzt nur durch die Bewegung verständlich. So beantwortet sich die Frage, w i e d i e E r f a h r u n g d e r m a t e r i e l l e n K r ä f t e (die Physik im engern Sinne) m ö g l i c h s e i. In Ihr bringt der Verstand von Neuem Nothwendigkeit - nennen wir sie m a t e r i e l l e (physische) N o t h w e n d i g k e i t - hervor, deren Eigenthümliches innerhalb der wirkenden Ursache die Verflechtung von Thatsache und Grund ist. Die zwingende Thatsache, die Basis dieser Nothwendigkeit, übt zwar nur einen äussern Zwang, aber die mathematische Betrachtung des Grundes verwandelt ihn in geistige Nothwendigkeit. Man denke einmal aus der Physik und Technik das mathematische Element, alle Constructionen und Rechnungen hinweg, und man sieht ein, dass keine Nothwendigkeit darin übrig bleibt. Es ist daher der Satz richtig, dass nur so viel Nothwendigkeit in der Physik sei, als Mathematik darin ist. Die materielle Thatsache wird von der mathematischen Nothwendigkeit durchdrungen. Eine dritte Stufe erscheint da, wo die o r g a n i s c h e N a t u r einen neuen Grundbegriff offenbart, dem die früheren Principien als Bedingung seines Daseins dienen. Im Zweck, den der erfindene Geist entwirft und der betrachtende, wo er verwirklicht ist, wiedererkennt, im Zweck, der nur aus dem vorbildenden, die Wirkung zur Ursache vorwegnehmenden Gedanken verständlich ist, beantwortet sich die Frage, wie eine E r k e n n t n i s s d e r o r g a n i s c h e n N a t u r m ö g l i c h s e i . Sie ergiebt die o r g a n i s c h e N o t h w e n d i g k e i t . Ruhend auf den beiden vorangehenden Stufen, denn diese werden ihr Organ, |3wird sie durch den Gedanken als die entwerfende, das Viele sich unterordnende Einheit eigenthümlich; sie ist die Nothwendigkeit aus dem bestimmenden Gedanken des Ganzen. Wie in der geometrischen Aufgabe die erkannten Gesetze zum Mittel
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 451)
[S. 416]
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XXI. Das System. der Lösung werden, so wird für den Zweck, aus welchem die organische Nothwendigkeit entspringt, die mathematische und physikalische Mittel. Der Gedanke eines Ganzen wird die Seele einer physischen Nothwendigkeit. Die constructive Bewegung macht das Wort möglich, das dem Plato zugeschrieben wird: Gott sei in der Welt Geometer; und wenn er es ist, im Physikalischen wie im Organischen, so musste das Princip dieser göttlichen Geometrie den Anfang bilden. Da nur aus einer Gemeinschaft des Denkens mit dem Seienden, aus einer Berührung des Subjektiven und Objektiven die Nothwendigkeit, gleichsam das anerkannte Sein, hervorgeht: so ist nun das subjektive Element gestiegen. Wo sich der Gedanke im Physikalischen noch an die materielle Vielheit entäussert, findet er im Organischen seinen eigensten Begriff als einen bildenden wieder. Aus der organischen Stufe hebt sich endlich die ethische hervor. Sie beherrscht die früheren und befreit sie zugleich. Wenn man fragt, w i e e i n e E r k e n n t n i s s d e s E t h i s c h e n m ö g l i c h s e i, so liegt die Antwort darin, dass der letzte Zweck des menschlichen Wesens und die menschliche Natur als Mittel oder Organ zu diesem Zweck kann erkannt werden. Indem nun das Gesetz in den Willen eintritt, erscheint die e t h i s c h e N o t h w e n d i g k e i t, und indem der Wille dem Gesetze seines Wesens genügt, dieselbe Nothwendigkeit als Freiheit. In der ethischen Nothwendigkeit ist die organische, die aus der Einheit die Vielheit bestimmt, und mit der organischen die physikalische und mathematische Nothwendigkeit vorausgesetzt. Die Kräfte, welche in der organischen Mittel sind, steigen in der ethischen zu Personen, welche Mittel und zugleich Zweck in sich selbst sind. Von Stufe zu Stufe werden die Principien concreter, verwachsener, gebundener, aber durch die erkannten Bedingungen |3der vorangehenden auch lichter, freier. In demjenigen Elemente, in welchem auf jeder Stufe der denkende Geist mit ihnen Gemeinschaft hat, ist ihm die Möglichkeit gegeben, sich den von diesen Principien bestimmten Objekten so anzuschmiegen, dass
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 452) Lesarten der LU: 302 erkannten Bedingungen] mittig darunter (petit): »29*«. LU3.II, S. 451.
EU (Dbl.) 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306
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XXI. Das System.
EU (Dbl.) 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342
er sie erfasst. Seine logischen Formen gehören daher allen Wissenschaften an, aber bestimmen sich in ihnen specifisch nach dem Objekte, damit durch sie die Erkenntniss der Nothwendigkeit reife. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Stufen, welche die Eintheilung des nach den innern Principien fortschreitenden Systems bilden müssen, sich zu u n s hin erheben, und es ist, als ob wir auf der letzten u n s krönten. Thun wir es wirklich? Wir bekennen, dass, was wir Menschen System nennen, nur aus einem Stücklein der Welt stammt und nur auf der Erde, also vielleicht nur auf einem in grossem Raum hineingeschleuderten Abspliss des durchglühten und scheinenden Sonnenherzens, gedacht ist; aber wir fühlen, dass sich schon in aller Nothwendigkeit ein Zug kund giebt, der mächtiger ist als der Mensch und über den Menschen, den allenthalben bedingten, hinausweist.◀ 1a4. Schon in dem Gedanken der Welt überfliegen wir den Kreis der Erfahrung. Denn wohin wir blicken, da ist Stückwerk. Aber durch den Zug des Geistes getrieben, ergreifen wir das Ganze. Die Idee der Wissenschaft geht hier weiter als ihre Verwirklichung. Nicht einmal das Ganze der im grossen und im kleinen Raum unendlichen Erscheinungen ist zugänglich; viel weniger die Tiefe des ganzen Grundes. Nur der Prometheustrotz des menschlichen Erkennens weist auf die Erde als den alleinigen Wohnplatz des Geistes und spricht vermessen: hic Rhodus, hic salta; als ob es nichts anderes gäbe. Zeigt uns doch schon die Erfahrung die Welten, die wir nicht kennen. Aber allerdings ist uns genug gegeben, und es ist unsere Aufgabe, aus den Bruchstücken den Geist des Ganzen zu verstehen; denn die Erscheinungen sind seine Offenbarungen.b |3Es kündigt sich hierin ein neuer Begriff an, ein Begriff des Geistes, die bedingte Erfahrung kühn übersteigend, das Unbedingte, das A b s o l u t e, das als der eigentliche Gegenstand der Metaphysik betrachtet wird; und es bleibt für das nächste Log. Untersuch. II.
27
Seitenanzeiger der LU: LU1.II (1a= Fortsetzung von S. 336, 1b= Kapitel endet auf S. 336.), LU3.II (|3= S. 453) Lesarten der LU:
323 4. Schon bis Welt] Mit dieſem Gedanken LU1.II, S. 336. 324 Erfahrung. Denn] Erfahrung. Denn LU1.II, S. 336. 328 grossen] großen LU1.II, S. 336. 332 f. hic bis salta] nicht kursiviert (Antiqua). LU1.II, S. 336. 333 anderes] Anderes LU1.II, S. 336. 334 kennen.] kennen? LU1.II, S. 336. 335 gegeben,] gegeben; LU1.II, S. 336. 335 f. Aufgabe,] Aufgabe LU1.II, S. 336. 341 f. wird; bis es] wird. Zu demselben Begriff werden wir geführt, wenn wir die Gründe der Dinge rückwärts in die Bedingungen verfolgen, von Bedingungen zu den Bedingungen der Bedingung schreitend. Der erste Grund, der alle bedingen würde, wird selbst das Unbedingte sein. Es [...] LU3.II, S. 453. 342 Log. bis 27] Verweis nicht enthalten. LU3.II, S. 453.
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XXI. Das System.
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Kapitel die Frage übrig, o b u n d w i e w e i t e i n e E r k e n n t n i s s d e s U n b e d i n g t e n m ö g l i c h s e i. Die Antwort muss mit dem Nothwendigen, das die vorangehenden Untersuchungen ergaben, in engem Zusammenhang stehen. Ehe wir zu dieser letzten Frage übergehen, mag nur noch ein Punkt erörtert werden, damit in der eben angedeuteten Gliederung der Wissenschaften keine Lücke bleibe. Wenn wir mit den Principien die Wissenschaften sich abstufen und als mathematische, physikalische, organische und ethische sich erheben sahen: so fragt sich, wohin gehört denn die Logik und Metaphysik, deren Einheit wir festgehalten haben? Wir haben sie oben als grundlegende Disciplin bezeichnet und wir bemerken Folgendes zur Rechtfertigung. (2)▶In der Eintheilung und Reihenfolge der Wissenschaften kreuzen sich leicht zwei leitende Gesichtspunkte, die Ordnung, welche der Entstehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche der Gang des Lehrens und Lernens nöthig macht. Die methodische Rücksicht durchschneidet die genetische Strenge. Denn die genetische Betrachtung schöpft aus dem Grunde der Sache, während sich die methodische Anordnung den Bedürfnissen des sich entwickelnden lernenden Geistes anpasst.◀ (3)▶Die Stellung der Logik erscheint daher in den Systemen nicht selten wie ein Hysteronproteron. Als Theorie der Wissenschaft muss sie in Principien eingehen, welche den übrigen Wissenschaften angehören und welche sie von ihnen erst überkommt; und doch kann sie im philosophischen System der Disciplinen nicht wohl nachfolgen; denn sie soll ihnen den Grund sichern und |3den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des subjektiven Denkens wird die Logik im genetischen System zu einem Theil der Psychologie; aber als Erkenntnisslehre, als Theorie der Wissenschaft, muss sie nicht bloss der Psychologie,|e sondern auch den Wissenschaften, welche dieser vorangehen, zur Wegweiserin dienen. Dies doppelte Verhältniss bringt in die Stellung der Logik ein Schwanken.◀ (4)▶Wenn man sich in den Punkt hineinstellt, auf welchem
343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375 376 377
5/2v
6/1r f.
|e6/1v
6/2v f.
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 454) Lesarten der EU: Textsegment (2) (Z. 356–363): 356 In] Jn EU, Dbl. 5/2v. 363 lernenden bis anpasst.] menſchlichen [...] anpaßt. EU, Dbl. 5/2v. Textsegment (3) (Z. 363–376): 364 f. Logik bis Hysteronproteron.] Logik, der Erkenntnißlehre[,] erſcheint insbeſondere wie ein Hyſteronproteron der meiſten Sÿſteme. EU, Dbl. 6/1r. 365 muss] muß EU, Dbl. 6/1r. 366 f. angehören] angehören, EU, Dbl. 6/1r. 368 der Disciplinen] den übrigen Disciplinen EU, Dbl. 6/1r.
369 nachfolgen; bis und] nachfolgen, [...] u. EU, Dbl. 6/1r. 370–375 Als bis dienen.] Als Ergründung des Denkens wird ſie im genetiſchen Sÿſtem zu einem Theil der Geiſteslehre, zu einer Seite der Pſÿchologie. Aber als Logik hat ſie die Aufgabe, nicht blo[ß] der Pſÿchologie, |ſondern auch den Wiſſenſchaften, welche dieſer nothwendig vorangehen, zur Wegweiſerın zu dienen. EU, Dbl. 6/1r f. 375 Verhältniss bis Schwanken] Verhältniß [...] schwanken, EU, Dbl. 6/1v. 376 Schwanken.] Schwanken, EU, Dbl. 6/1v.
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XXI. Das System.
EU (Dbl.)
7/1r|e
[S. 419]
378 379 380 381 382 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397 398 399 400 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413
überhaupt erst die Philosophie in ihrem Unterschiede von den einzelnen Wissenschaften entsteht: so wird sich der Cirkel lösen, in welchem eine solche Wissenschaft die folgenden philosophischen Disciplinen zu begründen und doch auf ihrem Grunde zu stehen scheint. Obzwar die Philosophie, wenn wir die Geschichte fragen, in einer Einheit mit den übrigen Wissenschaften entstand, so hat sich doch durch die Theilung der Arbeit dieser Verband längst gelöst, und die Philosophie findet jetzt die einzelnen Wissenschaften in ihrer Zerstreuung und in der Gestalt vor, die sie sich für sich gegeben haben. Die Logik und Metaphysik haben in ihnen ihren Stoff der Betrachtung; sie finden in ihnen Methoden und vorausgesetzte Principien vor und haben die Aufgabe, ihren Ursprung und ihre Einheit aufzusuchen. Durch diese Auffassung der gemeinsamen Quelle, durch diese gegenseitige Regelung und Belebung wird der philosophische Gehalt erzeugt, und es entstehen |ediejenigen Keime, welche in der Entwickelung des Systems zu den Principien der philosophischen realen Disciplinen werden. Auf diese Weise werden zwar die vereinzelten Wissenschaften in ihren geschichtlichen Gestalten von der grundlegenden Wissenschaft der Logik und Metaphysik vorausgesetzt, aber die philosophischen Disciplinen gehen in ihrer Gliederung aus dieser hervor. Die Logik und Metaphysik greifen also nicht in die philosophischen Disciplinen vor, sondern in die empirischen zurück.◀ In diesem Sinne ist die Philosophie weder eine müssige Wiederholung der besonderen Wissenschaften noch ein ency|3klopaedischer Auszug derselben, sondern auf dem Grunde der Logik und Metaphysik, der Fundamentalphilosophie, vollendet sie die jeweilige Erkenntniss des Menschengeschlechtes, indem sie, auf die Idee des Ganzen bedacht, die philosophischen Principien in der Gliederung des Besondern geltend macht und für das untergeordnete Besondere die Principien erzeugt oder bedingt. Wie weit sie dabei in die einzelnen Wissenschaften vorrücke, bleibt die Kunst überlassen, mit der sie das Princip ge27*
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 455) Lesarten der LU: 413 414 439 449
27*] Verweis nicht enthalten. LU3.II, S. 455. handhabt. So] handhabt. So LU3.II, S. 455. Kunst. 3] Kunst. 1 LU3.II, S. 456. 3 Metaphysik] 1 Metaphysik LU3.II, S. 456.
Lesarten der EU: Textsegment (4) (Z. 377–402): 378 f. Unterschiede bis Cirkel] Unterſchied [...] Zirkel EU, Dbl. 6/2v. 383–386 Obzwar bis Philosophie] Obwohl die Philoſophie, wenn wir die Geſchichte fragen, in ei-
ner Einheit mit den übrigen Wiſſenſchaften entſtand, ſo hat ſich durch d. Theilung der Arbeit längſt dieſer Verband gelöſt u. die Philoſ. [...] EU, Dbl. 6/2v. 393 ff. wird bis Entwickelung] wird erſt der philoſophiſche Gehalt erzeugt: Es kann nicht fehlen, daß in dieſem Vorgan|ge diejenigen Keime entſtehen, welche in der Entwicklung EU, Dbl. 6/2v f. 396 ff. Auf bis von] Die vereinzelten Wiſſenſchaften in ihren geſchichtlichen Geſtalten werden von EU, Dbl. 6/2v. 401 also] fehlt in den EU, Dbl. 6/2v.
[S. 420]
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staltend handhabt. So entwirft sie auf dem Boden der grundlegenden Wissenschaft, der Logik und Metaphysik, jene vier sich abstufenden Realdisciplinen und knüpft sie an die Erkenntniss des Absoluten als an den letzten Befestigungspunkt. (5)▶5. Die vorgeschlagene Eintheilung der Philosophie ist aus den Principien der Sache, aus dem innern Verhältnisse der Gegenstände entnommen, und nur eine solche wird scharf und bestimmt ausfallen. Zufolge einer Bemerkung des Sextus Empiricus1 liegt dem Keime nach schon bei P l a t o die Eintheilung der Philosophie, welche bei den Stoikern zur Norm des Systems wurde, in Dialektik, Physik und Ethik.◀ Bei Plato ist die Dialektik jene grundlegende, die Idee darthuende Wissenschaft, welche Logik und Metaphysik einigt, und Physik und Ethik werden von ihr getragen. Nach dem Ergebniss unserer Untersuchungen muss sich die Physik in die Erkenntniss der mathematischen, physikalischen und organischen Stufe unterscheiden. Was sich bei Cartesius als Andeutung einer Eintheilung2 und bei Spinoza in der Reihenfolge seiner ethischen Bücher als Plan findet, entspricht im Grossen und Ganzen der ursprünglichen einfachen Anlage der platonischen Eintheilung. (6)▶In A r i s t o t e l e s tritt ihr früh eine subjektive entgegen, welche die Philosophie nach den drei Weisen menschlicher Thätigkeit, nach dem Betrachten, Handeln und Bilden, als theore|3atische, praktische und poietische gliederte, als Erkenntniss der Betrachtung, des handelnden Lebens und der bildenden Kunst.3 Es war ein Abfall von dem ersten Gesichtspunkt, wenn in einem neuen sachlichen Theilungsgrunde die theoretische Philosophie sich in erste Philosophie, Physik und Mathematik, die praktische in Ethik, Oekonomik und Politik schied und dann die Logik als Werkzeug der Disciplinen allen vorangestellt wurde;◀ |3b
1 Adv. mathematicos VII. §. 16. 2 Epist. ad principiorum philosophiae interpretem Gallicum p. 10 f.
nach der Amsterdamer Ausgabe. 1685. 3 Metaphysik VI. 1, vgl. nikomachische Ethik VI. 2–5. ||3c
414 415 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449
4/2r
1/2v f.
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3a= S. 456, |3b= S. 455, ||3c= S. 456) Textsegment (5) (Z. 418–424): 418–424 5. Die bis Ethik] Es begegnet uns auf dieſem Wege eine alte Eintheilung, die zufolge einer Bemerkung des Sextus Empiricus dem Keime nach bereits in Plato liegt, aber erſt von den Stoikern zur Norm des Sÿſtems genommen wurde. Es iſt die Eintheilung der Philoſophie in Logik, Phÿſik und Ethik. EU, Dbl. 4/2r.
Textsegment (6) (Z. 435–444): 435–444 In bis wurde;] Danarch iſt die Erkenntniß theils Erkenntniß der Betrachtung, theils des handelnden Lebens, theils der bildenden Kunſt und die Philoſophie theilt ſich demgemäß in theoretiſche, praktiſche und poietiſche. Aus welchen weitern Gründen die theoretiſche Philoſophie ſich in erſte Philoſophie, Phÿſik und Mathematik, die praktiſche in Ethik, Oekonomik und Politik theilte und die Logik als Werkzeug der Disciplinen allen vorangeſtellt wurde: das kann an dieſem Orte |unerörtert bleiben. EU, Dbl. 1/2v f.
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3/1r f.
3/1v|e 2/2v f. 3/1r|e
2/1v
3/1r 3/1v
[S. 421]
450 451 452 453 454 455 456 457 458 459 460 461 462 463 464 465 466 467 468 469 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484
und diese Wendung zum Objektiven mag auf sich beruhen. Es fragt sich, wie weit jener erste und allgemeinste Eintheilungsgrund genüge. (7)▶Es soll nicht verkannt werden, dass sich die drei Thätigkeiten, das Betrachten, das Handeln und das Bilden, nach den Richtungen ihres Zweckes unterscheiden. Das Betrachten will erkennen, um zu erkennen; das Bilden will hervorbringen, um einen Gedanken anzuschauen oder eine Empfindung hinzuheften; das Handeln hingegen will eine Wirkung als solche. Aber diese verschiedenen Zwecke tragen die anderen wechselsweise als Mittel in sich |eund eignen sich darum nicht zur specifischen Differenz.◀ (8)▶Das Betrachten ist im Handeln, wie im Bilden, als Erforderniss mit enthalten. Denn das Handeln muss von Vernunft durchdrungen sein und das Bilden soll eine Idee darstellen und zur Anschauung bringen. Ebenso ist das Bilden |ein dem Handeln, wie in dem Betrachten, enthalten; denn das Handeln vollendet sich erst in der sittlichen Schönheit, in einer Darstellung, die wie das Kunstwerk ihrer Idee entspricht. Das Betrachten bedarf der Hervorbringungen, um zum Ziel zu gelangen.◀ (9)▶Man kann in den Disciplinen die Theoreme und Probleme, die Lehrsätze und Aufgaben wie Wissenschaft und Kunst einander entgegenstellen. Wer nun wahrnimmt, wie die Lösung der Aufgaben durch die Erkenntniss, die Lehrsätze und der Beweis der Lehrsätze durch die Ausführung von Aufgaben bedingt ist, wie ferner in den Naturwissenschaften Beobachtung und Experiment einander begleiten: der sieht leicht ein, wie Wissenschaft und Kunst, Betrachten und Bilden mit einander |3fortschreiten und daher diese Begriffe nicht geeignet sind, eine Grenzlinie zwischen zwei Gebieten der Philosophie zu ziehen.◀ (10)▶Endlich vollzieht sich das Handeln im wissenschaftlichen Berufe durch das Betrachten und im künstlerischen durch das Bilden auf eigenthümliche Weise.◀ (11)▶Wird daher eine Eintheilung der Philosophie auf dem Grunde dieser Begriffe streng ausgeführt, so sind Wiederholungen unvermeidlich.◀ Schon bei Aristoteles, dem Urheber dieser Dreitheilung, in dessen eigenthümliche Bestimmung wir uns enthalten haben einzugehen, wird
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 457) Lesarten der LU: 506 Einfluss.3] Einfluss.1 LU3.II, S. 458. 515 S. 141 f.] S. 162 f. LU3.II, S. 457. 519 3 K a n t] 1 K a n t LU3.II, S. 458. Lesarten der EU: Textsegment (7) (Z. 452–460): 452 soll nicht bis dass] ſoll dabei nicht [...] daß EU, Dbl. 3/1r. 453 Bilden,] Bilden EU, Dbl. 3/1r. 455 erkennen,] erkennen[,] EU, Dbl. 3/1r. 458 ff. Zwecke bis Differenz.] Zwecke, da ſie die andern wechſelsweiſe als Mittel in ſich tragen, |ſind al-
lein nicht geeignet, um die Theile der Philoſophie mit ſcharfen Unterſchieden zu begrenzen. EU, Dbl. 3/1r f. Textsegment (8) (Z. 460–468): 460 f. ist bis Erforderniss] iſt vielmehr [...] Erforderniß EU, Dbl. 2/2v. 461 f. muss bis Idee] muß [...] Jdee EU, Dbl. 2/2v. 463 und] u[.] EU, Dbl. 2/2v. 464 Betrachten,] Betrachten EU, Dbl. 3/1r. 466 ff. die bis gelangen] die, wie das Kunſtwerk, ihrer Jdee entſpricht, und das Betrachten bedarf, wie ſchon gezeigt iſt, des Hervorbringens, um ſich zu verwirklichen, und muß ſich darſtellen, um ſich ſelbst klar und andern zugänglich zu werden. EU, Dbl. 3/1r.
[S. 422]
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es zweifelhaft, wohin einzelne Disciplinen, z. B. die Rhetorik, zu rechnen seien. (12)▶Auf ähnliche Weise verhält es sich mit den in neuerer Zeit viel genannten und neben einander gestellten Ideen des Wahren, Guten und Schönen. Sie drücken das als Gegenstand aus, was in den Begriffen des Betrachtens, Handelns und Bildens als Thätigkeit angeschauet wird. Nur die oberflächliche Ansicht vermag sie zu trennen. Wer in sie tiefer eindringt, wird bald gewahr, dass man nicht den Inhalt der einen heben kann, ohne den Inhalt der anderen mitzuheben.1 Die aristotelische Eintheilung greift bis in die neuere Zeit hinein. C h r i s t i a n W o l f theilte die Philosophie in die theoretische und praktische. B a u m g a r t e n fügte die Aesthetik hinzu und stellte insofern als dritten Theil die poietische Philosophie wieder her. |eK a n t ist, was die Eintheilung der Philosophie betrifft, von Chr. Wolf abhängig. Man sieht es deutlich, wenn man Kants Architektonik der reinen Vernunft mit der Einleitung zu Wolfs Logik vergleicht.2 Wenn Kant, wie Wolf, die Philosophie zunächst in theoretische und praktische eintheilt, so hat darauf bei Kant, wie bei Wolf, die Scheidung der Geistesthätigkeit in Erkenntnissvermögen, Begehrungsvermögen und |3aGefühlsvermögen wesentlichen Einfluss.3 Aber die Ergebnisse bei Kant zeugen gegen die Richtigkeit der Eintheilung. Die praktische Vernunft greift bei ihm in das Gebiet der theoretischen zurück, indem sie Postulate erzeugt, also theoretische Voraussetzungen, welche der Kritik der reinen Vernunft zweifelhaft waren. H e r b a r t gehört insofern hieher, als auch er die Philosophie nicht nach den Objekten ein|etheilt. Wenn er die Philosophie als Bearbeitung der Begriffe erklärt, so ist sein Theilungs|3b |e
1 S. oben Bd. II. S. 141 f. 2 K a n t Kritik der reinen Vernunft. Methodenlehre. 3. Hauptstück.
2. Aufl. S. 874 ff. Werke. II. S. 651 ff. und W o l f philosophia rationalis s. logica. 1728. discursus praeliminaris §. 60 ff. 3 K a n t Kritik der Urtheilskraft. 1790. Einleitung III. S. XX. Werke ||3c IV. S. 14 ff.
485 486 487 488 489 490 491 492 493 494 495 496 497 498 499 500 501 502 503 504 505 506 507 508 509 510 511 512 513 514 515 516 517 518 519 520
3/1v bis 4/2r
|e3/2r
|e3/2v |e3/2r
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3a= S. 458, |3b= S. 457, ||3c= S. 458) Textsegment (9) (Z. 468–477): 470 wahrnimmt,] beobachtet, EU, Dbl. 2/1v. 471 Erkenntniss,] Erkenntniß EU, Dbl. 2/1v. 473 f. ist, wie bis begleiten: der] iſt: der EU, Dbl. 2/1v. 475 Betrachten und] Betrachten u. EU, Dbl. 2/1v. 476 f. diese bis ziehen.] auch nicht das Gebiet des Nothwendigen für die Wiſſenſchaft und das Gebiet des Veränderlichen für das Handeln u[.] die Kunſt dergeſtalt und geſchieden feſtzuhalten ſind, als gehörten ſie zwei verſchiedenen Vermögen an. EU, Dbl. 2/1v. Textsegment (10) (links, Z. 478 ff.): 478 f. Berufe] Beruf EU, Dbl. 3/1r.
Textsegment (11) (links, Z. 480 ff.): 480 ff. Wird bis sind] Würde [...] wären EU, Dbl. 3/1v. Textsegment (12) (Z. 487–577): 493 dass] daß EU, Dbl. 3/1v. 494 mitzuheben.1] mitzuheben. EU, Dbl. 3/1v. 515 1 S bis S. 141 f.] nicht enthalten. EU, Dbl. 3/1v. 495–499 Die bis her.] Wir begegnen im Mittelalter derſelben oder mit Ariſtoteles verwandten Eintheilung. Wir ſehen die Wirkung noch im vorigen Jahrhundert, wenn Chr. Wolf u. nach ihm Kant u[.] Fıchte die Philoſophie in theo|retiſche und praktiſche eintheilen. Wenn bald nach Wolf Baumgarten die Aeſthetik hinzufügte, ſo trat darin →
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4/1r|e
[S. 423]
521 522 523 524 525 526 527 528 529 530 531 532 533 534 535 536 537 538 539 540 541 542 543 544 545 546 547 548 549 550 551 552 553 554 555 556
grund die logische Thätigkeit, welche sie erfordern. Aus den Hauptarten, wie die Begriffe bearbeitet werden, ergeben sich die Haupttheile der Philosophie. Inwiefern es der Zweck ist, die Begriffe klar und deutlich zu machen, entspringt ihm die Logik. Inwiefern gegebene Begriffe der Erfahrung Widersprüche in sich tragen und sie daher nach ihrer besondern Beschaffenheit zu verändern und zu ergänzen sind, damit sie denkbar werden: so ergiebt sich ihm die Wissenschaft der Metaphysik, welche auf ähnliche Weise, wie bei Wolf und Kant, in der Psychologie, Naturphilosophie und natürlichen Theologie ihre Anwendung findet. Endlich werden Begriffe unterschieden, welche in unserem Vorstellen ein Urtheil des Beifalls oder Missfallens nothwendig herbeiführen, und die Wissenschaft von solchen Begriffen ist ihm die Aesthetik. Angewandt auf das Gegebene geht sie in eine Reihe von Kunstlehren über, welche sämmtlich praktische Wissenschaften heissen können; praktische Philosophie im engern Sinne heisst ihm diejenige der |eKunstlehren, deren Vorschriften den Charakter der nothwendigen Befolgung darum an sich tragen, weil wir unwillkürlich und unaufhörlich den Gegenstand derselben darstellen.1 Diese Eintheilung wurzelt ganz in Herbarts eigenthümlicher philosophischer Anschauung und kann nur mit dieser beurtheilt werden. Indessen ist die Strenge der Eintheilung schon aus folgenden |3aGründen zweifelhaft. Zunächst treten nach dem bezeichneten Eintheilungsgrunde Logik und Aesthetik nicht scharf aus einander. Denn auch die Klarheit und Deutlichkeit der B e g r i f f e gefällt und auch darauf kann sich eine Kunstlehre richten. In Herbarts Schule ist in der That diese Consequenz gezogen. B o b r i k s Logik2 überträgt die Analogie der praktischen Philosophie auf die Erkenntnisslehre und entwirft fünf ursprüngliche und fünf abgeleitete logische Ideen, wie Herbart fünf |3b
1 J o h. F r i e d r. H e r b a r t Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. 3. Aufl. 1834. §. 5 ff. 2 D r. E d. B o b r i k neues praktisches System der Logik. I. 1. ur||3c sprüngliche Ideenlehre. Zürich 1838. §. 12 ff.
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3a= S. 459, |3b= S. 458, ||3c= S. 459) Lesarten der LU:
Lesarten der EU:
540 darstellen1] darstellen2 LU3.II, S. 458. 553 1 Joh.] 2 Joh. LU3.II, S. 458. 559 gezogen.1] gezogen.2 LU3.II, S. 459. 591 1 S. bis 153 ff.]
(12)→ die zurückgedrängte ποιητική des Ariſtoteles von Neuem mit ihrem Rechte hervor. EU, Dbl. 3/1v f. 499 K a n t] nicht gesperrt. EU, Dbl. 3/2r. 502 Wolfs bis vergleicht.2] Wolfs [...] vergleicht.1) EU, Dbl. 3/2r. 505 f. Erkenntnissvermögen, bis Einfluss.3] Erkenntnißvermögen[,] [...] Einfluß.2) EU, Dbl. 3/2r. 507 zeugen gegen] zeugen zugleich gegen EU, Dbl. 3/2r. 508 ff. zurück, bis welche] zurück und erzeugt theoretiſche Vorausſetzungen, Poſtulate, welche
[...]
2 S. oben Bd. I. S. 181 ff. Bd. II. S. 174 ff.
LU3.II, S. 459. 592 ] ca. acht Zeilen tiefer. LU3.II, S. 460.
[S. 424]
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ursprüngliche und fünf abgeleitete praktische Ideen darstellt. Die specifische Differenz zwischen Logik und Aesthetik schlägt also nicht durch. Ferner ist oben in Zweifel gezogen,1 ob bei den Erfahrungsbegriffen eine |esolche Aufgabe vorliege, wie die von Herbart verlangte metaphysische Berichtigung und Ergänzung. Theils erscheint der Widerspruch in den Erfahrungsbegriffen nur nach dem falsch angelegten Massstab des Identitätsgesetzes, theils ist er von Herbart, wenn er angenommen wird, nur für den Augenschein ausgeglichen. Daher vermag diese Art der Bearbeitung von Begriffen keine Metaphysik zu begründen; und vermöchte sie es, so schlüge wieder die specifische Differenz nicht durch. Denn wenn man den Widerspruch in Herbarts Sinne bestimmt, so enthalten die aesthetischen Begriffe, namentlich die praktischen Ideen, denselben Widerspruch in sich, wie z. B. die Idee der Billigkeit nach Herbarts Auffassung nicht ohne die durch eine Handlung eingetretene Veränderung gedacht wird, welcher Begriff nach Herbarts Metaphysik sich in sich |ewiderspricht. Aus diesen Gründen wird sich Herbarts Fundament der Eintheilung nicht einmal unter seinen eigenen Voraussetzungen, aber viel weniger als eine allgemeine ausserhalb seines Systems halten können.◀ Namentlich wird die Einheit des Systems und der Weltanschauung dadurch zerrissen, dass die praktische Philosophie geflissentlich von der Grundlage der Metaphysik losgelöst und |3adie ethischen Begriffe durch den Charakter des nothwendigen Beifalls auf sich gestellt werden. Dadurch wird die Gemeinschaft aufgehoben, in welcher die Wissenschaften, unbeschadet ihres Unterschiedes, gedeihen. Auf diese Weise treten in allen Versuchen, welche die philosophischen Disciplinen nach subjektiven Gesichtspunkten ordnen, unverträgliche Schwierigkeiten hervor; und sie weisen darauf hin, die Gliederung, wie oben geschehen ist, in den objektiven Principien zu suchen. |3b ||3c
1 S. oben Bd. I. S. 173 ff. Bd. II. S. 153 ff.
3d
557 558 559 560 561 562 563 564 565 566 567 568 569 570 571 572 573 574 575 576 577 578 579 580 581 582 583 584 585 586 587 588 589 590 591 592
|e4/1v
|e4/2r
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3a= S. 460, |3b= S. 459, ||3c= S. 460, 3d= Kapitel endet auf S. 460.) EU, Dbl. 3/2r. 511 H e r b a r t] nicht gesperrt. EU, Dbl. 3/2r. 512 Objekten] Objecten EU, Dbl. 3/2r. 513, 521 so bis sie erfordern.] ſo theilt er ſie nach der logiſchen Thätigkeit ein, die ſie erfordern. EU, Dbl. 3/2v. 515 1 S. bis 141 ff.] nicht enthalten EU, Dbl. 3/2r. 515 K a n t bis S. 14 ff.]
1) Kant Kritik der reinen Vernunft. „Methodenlehre[“] 3tes. Hauptſtück. 2t. Aufl. S. 874 ff. u. Wolf
philosophia rationalis s. logica. 1728. discursus praeliminaris § 60 ff. 2) Kant Kritik der Urtheilskraft. 1790. Einleitς III. S. XX.
EU, Dbl. 3/2r.
523 Philosophie. Inwiefern] Philoſophie: Jnwiefern EU, Dbl. 3/2v. 525 Inwiefern] Jnwiefern EU, Dbl. 3/2v. 532 f. unserem bis herbeiführen,] unſerm [...] Mißfallens [...] herbeiführen EU, Dbl. 3/2v. 536 sämmtlich bis heissen] sä[m]tlich [...] heißen EU, Dbl. 3/2v. 537 heisst] heißt EU, Dbl. 3/2v. 540 darstellen1] darstellen1) EU, Dbl. 4/1r. 542 werden.] werden: EU, Dbl. 4/1r. 543 f. Indessen bis zweifelhaft.] Jndeſſen ſchon bei einer vorläufigen Betrachtung ſpricht einiges gegen die Strenge dieſer Eintheilung: EU, Dbl. 4/1r. 544 f. nach bis Eintheilungsgrunde] nach dieſem Eintheilungsgrunde EU, Dbl. 4/1r.
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546 B e g r i f f e] nicht gesperrt. EU, Dbl. 4/1r. 547 und bis In] u. [...] Jn EU, Dbl. 4/1r. 549 B o b r i k s Logik2] Bobricks Logik2) EU, Dbl. 4/1r. 550 Erkenntnisslehre] Erkenntnißlehre EU, Dbl. 4/1r. 551 Ideen] Jdeen EU, Dbl. 4/1r. 553–556 1 J o h. bis 12 ff.] 1) Joh. Frdr. Herbart Kritik Lehrbuch zur Einleitung in die Philoſophie. 3t. Aufl. 1834. § 5 ff. 2) Dr. Ed. Bobrik neues praktiſches Syſtem der Lo-
gik. I, 1. urſprüngliche Jdeenlehre. Zürich 1838[.] § 12 ff[.] EU, Dbl. 4/1r. 557 Ideen] Jdeen EU, Dbl. 4/1r. 558 f. Die bis durch.] Der Grund der Eintheilung iſt hierdurch nicht ſcharf genug. EU, Dbl 4/1r. 559 oben bis gezogen,1] es ſehr zweifelhaft, keine Fußnote. EU, Dbl. 4/1/r. 561 verlangte] behauptete EU, Dbl. 4/1v. 562–571 Theils bis sich,] Was er in ihnen für Widerſpruch erklärt, das wird, wie anderswo nachgewieſen worden, auch in ſeiner metaphÿſiſchen Bearbeitung der Begriffe nicht wirklich weggeſchafft, ſondern nur für den Augenſchein ausgeglichen;1) ja, es wird gar nicht als Widerſpruch erſcheinen, wenn nicht ein falſcher Maßſtab des Jdentitätsgeſetzes angelegt wird.2) Endlich würde er ſich fragen, ob nicht auch die aeſthetiſschen Begriffe und namentlich die praktiſschen Jdeen, wenn man den Widerſpruch in Herbarts Sinne beſtimmt, denſelben Widerſpruch in ſich enthalten, EU, Dbl. 4/1v.
571 Idee] Jdee EU, Dbl. 4/1v. 575 wird sich bis nicht] wird Herbarts Fundament der Eintheilung sich nicht EU, Dbl. 4/2r. 576 f. weniger bis ausserhalb] weniger außerhalb EU, Dbl. 4/2r. 591 1 S. bis 153 ff.] 1) Logiſche Unterſuchungen B. I. S. 137 ff. 2) Logiſche Unterſuchungen B. II. S. 95 f.
EU, Dbl. 4/1v.
Erläuterung: 591 1 S. bis 153 ff.] Die EU verweisen werkextern nach Paginierung der LU1. Hingegen belegen die LU2 und 3 jeweils werkintern nach der eigenen Seitennummerierung. In allen drei Auflagen sind die verwiesenen Inhalte weitestgehend identisch.
Editorischer Bericht
Überlieferung Zeugenbeschreibung Zeuge: Autor:
Ethiſche Unterſuchungen Friedrich Adolf Trendelenburg (1802–1872)
Signatur:
Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2 Film M 5950-1
Microfiche: Erwerb: Datierung: Besitzerin:
1918 ca. 1851 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz/ Abteilung Handschriften und Historische Drucke Unter den Linden 8 10117 Berlin
Autorschrift:
Deutsche Kurrentschrift und lateinische Schrift
Fremde Hände:
fr. H. I (Archivpersonal oder unbekannte Person) fr. H. II (Archivpersonal)
Bögen: Seitenmaß: Beschreibstoff: Schreibstoffe: Schreibgeräte:
19 Dbll. und 1 Bl. ca. 170 x 215 mm (≙ ½ ›Pro Patria‹) leicht vergilbtes Papier (ohne Wasserzeichen) schwarzbraune Tinte und Grafit Stahlfeder und Grafitstift
Schäden:
vermutl. durch klare Flüssigkeit im Schreibprozess entstandener Tintenfleck auf Dbl. 6/2r sowie auf der Rückseite durchsickernd. Im Rand sind noch einige vergilbte Tropfen erkennbar. Kein Textverlust.
Das Zeugenkonvolut der EU besteht aus neunzehn zu je vier Seiten gefalteten Dbll. sowie einem einzelnen Bl., von denen ein Dbl. als loser Umschlag dient. Insgesamt ergeben sich somit 78 Einzelseiten, welche ein Format von ca. 170 x 215 mm besitzen, von denen 74 beschrieben sind. Beim Beschreib-
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Editorischer Bericht
stoff handelt es sich um leicht vergilbtes Papier gleicher Sorte ohne Wasserzeichen, das sich trotz seines Alters in einem sehr guten Zustand befindet. Die Dbll. sind bis auf den Umschlag jeweils auf der ersten Rectoseite durch den Autor nummeriert worden. Das Einzelblatt, welches in Dbl. 9 eingelegt ist, trägt keine Nummer. Das Gesamtkonvolut befindet sich als zweites Heft lose zwischen drei anderen Handschriftensammlungen in einer mit Leinenbändern zusammengebundenen Mappe, welche mit »B. 9.« betitelt ist (Abb. 80).1 Verwendete Schreibstoffe sind schwarzbraune Tinte sowie Grafit. Auf Dbl. 0/1r, der einzigen beschriebenen Seite des Umschlages, befindet sich nach der in vorliegender Edition eingeführten Zählung ab der zweiten Zeile der zentriert platzierte mit Schmuckkringel unterlegte Titel der Handschrift. An einem späten, vermutlich nach dem Tod des Autors zu datierenden Zeitpunkt werden durch Notate fremder Hand (fr. H. I) mit anthrazitfarbener Tinte unter dem Titel eine römische Zwei als Heftnummerierung sowie am Seitenfuß die Aufzählung der enthaltenen Dbll. ergänzt. Aufgrund der Kurrentschreibung erfolgen diese Notate nach Ansicht des Herausgebers möglicherweise noch vor Ankunft des Konvolutes in archivarische Obhut im Jahre 1918, zumindest aber früher als weitere spät erfolgte Notate fremder Hand (fr. H. II) mit Grafitstift in lateinischer Schrift. Hierbei wird am Seitenkopf die Signatur ›Nachlass Trendelenburg B 9,2‹ sowie die dazugehörige Microfichesignatur unter die Dbl.-Aufzählung ergänzt, in welcher ferner die Änderung des doppelten Bis-Striches zu einem einfachen erfolgt. Archiv- und Microfichesignatur sind offenbar durch Personal des Berliner Archivs durchgeführt worden. Die älteren Notate stammen entweder von früherem Archivpersonal oder einer anderen Person, die vor Übergabe des Konvolutes in archivarische Hände ordnend in das Manuskript eingegriffen hat. Dbl. 12 ist zweimal vorhanden, wobei die Paginierung des genetisch jüngeren Dbl.’s von fr. H. II mit Grafitstift um ein ergänzt worden ist. Neben der Nummerierung von Dbl. 9 befindet sich ebenfalls eine mit Grafitstift ausgeführte Notiz, die vermutlich durch selbige Schreiber/-in ergänzt wurde. Die Notiz mit der Lautung »3 Bll.« weist auf das in Dbl. 9 eingelegte unpaginierte Bl. hin. Wie der Herausgeber in der vorliegenden Edition nachweisen kann, handelt es sich bei dem fälschlicherweise in Dbl. 9 einsortierten Bl. um eine Ergänzung für die dritte Schlussfassung des ersten Kapitels. Das Bl. erhält deswegen die Bezeichnung [12b]. 1 Davor befindet sich die Philoſophiſche Ethik (Sommersemester 1837) mit der Signatur ›Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,1‹, welche eine Reihe von philosophiegeschichtlichen Vorlesungsmanuskripten unter dem Schwerpunkt ›Ethik‹ enthält, darunter mit der Signatur ›Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,3‹ Ueber Ariſtoteliſche Ethik und ihre geſchichtliche Bedeutung für die philoſophiſche und theologiſche Moral (1871), danach eine Abhandlung über die Peripatetiſche Ethik bei Stobaeus mit der Signatur ›Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,4‹.
Überlieferung
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Abb. 80: Sammelbox 9. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2. Foto: Christian Biehl. Das Manuskript umfasst zwei Kapitel, von denen sich das erste, Der Ort der Ethik in dem Inbegriff der Wiſſenſchaften, inklusive aller Schlussfassungen auf den Dbll. 1–12, 12a/1v sowie [12b], das zweite, Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik, auf den Dbll. 12a/2r–17/2r befindet. Für Kapitel I sind insgesamt drei Schlussfassungen überliefert, von denen die erste auf dem kompletten Dbl. 12 und die zweite auf Dbl. 12a/1r f. enthalten ist. Eine dritte Schlussfassung entsteht unter Berücksichtigung weiterer Änderungen an der zweiten in Kombination mit Dbl. [12b]. Hingegen ist Dbl. 17/2v, die letzte Seite der Handschrift, leer. Jede beschriebene Seite des Manuskriptes besitzt, je nach Genauigkeit bei der Ausführung des Falzes, einen im Schnitt ca. 55 mm breiten Marginalrand, welcher für Bemerkungen und Ergänzungen verwendet wird. Der verbleibende Schriftspiegel enthält den Basistext, welcher mit schwarzbrauner Tinte in einer sehr gut lesbaren deutschen Kurrentschrift niedergeschrieben ist. Späte Änderungen werden entweder per Stahlfeder oder mit Grafitstift vorgenommen. Auf den Dbll. 1/1v, 1/2r, 2/1r–2/2r, 3/1v–3/2r, 4/1v–4/2v, 5/2v, 6/1v–7/1r, 9/1v–12/1r, 12a/1r und Bl. [12b]/r befinden sich mit Grafitstift eingezeichnete Winkelklammern und Striche, deren Funktion sich meist aus dem Kontext oder den von Tr. selbst hinterlegten Notizen ableiten lässt.
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Editorischer Bericht
Datierung Bis vor einiger Zeit waren die EU im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz noch undatiert. Auch dem Herausgeber ist es zunächst nicht gelungen, eine exaktere Datierung vorzunehmen. Die EU verweisen an mehreren Stellen sowohl im Text als auch in den Fußnoten auf die schon erschienenen Logischen Untersuchungen (LU1, 1840). Dass es sich nicht um eine der beiden späteren Auflagen (1862 und 1870) handelt, kann aufgrund der Seitenangaben ausgeschlossen werden. Darüber hinaus befindet sich auf Dbl. 15/1r der späteste Verweis auf Ueber Spinoza’s Grundgedanken und deſſen Erfolg, ein anderer Vortrag Tr’s, gehalten in der Akademie im Jahre 1849.2 Auf den Dbll. 3/1v, 4/1v, 5/2v, 6/1v und 6/2v notiert Tr. zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt mit unruhigem Schriftbild einige Randbemerkungen, die eindeutig auf Textübernahmen in die LU2 (1862) hinweisen. Der Herausgeber konnte mithilfe der Plagiatssoftware Plagscan und einer anschließenden Kollation die wortwörtlichen Übernahmen und Anlehnungen aufschlüsseln.3 Eine weitere Information zu den EU liefert eine Bemerkung Tr’s im auf den 10. April 1860 datierten Vorwort von Naturrecht auf dem Grunde der Ethik (NR1, 1860): Für die letzten Principien und für die logische Einsicht war es nöthig, auf die ›logischen Untersuchungen‹ zurückzuweisen. Wenn diese schon seit mehreren Jahren vergriffen sind, so kann es nun des Verfassers nächste Sorge sein, sie vermehrt und ergänzt wieder aufzulegen. Es bleibt dann noch übrig, in ›ethischen Untersuchungen‹, von welchen diese Rechtsphilosophie ein praktischer Ausläufer ist, die psychologischen und ethischen Grundgedanken, welche hier angedeutet oder vorausgesetzt sind, so auszuführen, dass sie in der Helle und Kraft erscheinen, deren sie fähig sind.4
Die Textstelle dokumentiert, dass sich Tr. um 1860 mit der Notwendigkeit befasst, ein Werk über ›ethische Untersuchungen‹ zu schreiben, welches neben einer erweiterten zweiten Auflage der LU rückwirkend als theoretische Grundlegung für das NR1 dienen soll. Der Herausgeber ging zunächst davon aus, dass der Zeitraum einer Datierung zwischen 1849 und 1862 liegen muss, da die Niederschrift nach dem Beitrag über Spinoza’s Grundgedanken und vor der Druckle2 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180. 3 Die wortwörtlichen ›Eigenplagiate‹ finden sich ausnahmslos in den LU2.II im Kapitel XXI. Das System. In der vorliegenden Edition wird dieses Kapitel in einem diplomatischen Abdruck nebst Verzeichnung der Varianten der beiden anderen Auflagen sowie der betreffenden Übernahmen aus den EU präsentiert. 4 NR1, S. V.
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gung der LU2 erfolgt sein muss. Wie Batuscheck jedoch in Adolf Trendelenburg (1873) berichtet, hält Tr. im Jahre 1851 in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag unter dem Titel Ueber den Ort der Ethik im Inbegriff der Wissenschaften.5 Dieser wurde zwar nicht in die Historischen Beiträge (1855) aufgenommen, jedoch, so Bratuscheck, für die Paragraphen §16 bis §44 im NR1 sowie für die Kapitel X und XXI der LU2.II die maßgebliche Grundlage.6 Wortwörtliche Übernahmen finden sich, wie oben erwähnt, jedoch nur in Kapitel XXI der LU2.II. Es ist somit anzunehmen, dass Tr. nach 1849 mit den EU angefangen und die letzten Arbeiten 1851 abgeschlossen hat. Schon vor Kenntnis der Angaben Bratuschecks vertrat der Herausgeber die These, dass die in den Textverlauf des ersten Kapitels eingeblendete zweite Textfassung (F2) zum Zwecke eines Vortrages erstellt wird. Es liegt nahe, dass es sich um den obigen Beitrag in der Akademie handelt. In der spät ergänzten Einleitung für die zweite Textfassung beginnt Tr. den Titel mit »üb. d. Ort«,7 während er bei der ersten Fassung im Unterschied zum genannten Vortrag noch auf das bei seinen Vorträgen übliche ›Über‹ verzichtet. Die grobe Markierung der Übernahmen in die LU2 muss zu einem sehr späten Zeitpunkt stattfinden – entweder zur Zeit der Veröffentlichung der LU2 oder, aufgrund des unruhigen Schriftbildes, möglicherweise auch nach dem ersten Schlaganfall im Jahre 1870. Der Herausgeber tendiert auf Basis der bisherigen Informationen und mit Berufung auf Bratuscheck zu einer Datierung um 1851. Daneben ist festzuhalten, dass die EU konstitutiver Bestandteil nennenswerter Bereiche sowohl der LU2.II als auch des NR1 ist. Der Ursprung dieser Übernahmen und Anlehnungen sollte bei zukünftigen historisch-kritischen Editionsprojekten genannter Werke berücksichtigt werden. Aufbau und Zweck Wie zuvor beschrieben, enthält das Fragment der EU zwei Kapitel. Für das erste Kapitel, Der Ort der Ethik in dem Inbegriff der Wiſſenschaften, lassen sich insgesamt drei Textstufen (H.1–H.3) rekonstruieren: Der weiterhin gültige Text in H.1 sowie der letztgültige Text in H.2 bilden für Kapitel I die erste und Kapitel II die einzige Fassung, während H.3 gemeinsam mit dem weiterhin geltenden Text aus H.2 die zweite Fassung (F2) des ersten Kapitels konstituiert. Von den drei Schlussfassungen des ersten Kapitels, welche an Dbl. 11/2v, Z. 27 anknüpfen und zu welchen Tr. keine Randnotizen über deren Gültigkeitsstatus hinterlässt, 5 Vgl. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, S. 180. 6 Vgl. ebd., S. 180. 7 EU, Dbl. 1/1r.
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Editorischer Bericht
ist Dbl. 12 die älteste und gleichzeitig längste Fassung. Hingegen ist Dbl. 12a, Z. 1–23 eine spätere Abschrift von Dbl. 12, Z. 1–25, auf welcher in Zeile 13 lediglich ein ›und‹ durch ein ›oder‹ ersetzt sowie ein kürzerer neuer Schlussabsatz formuliert wird. Das fälschlicherweise in das Dbl. 9 eingelegte Einzelblatt, welches in dieser Edition als Bl. [12b] gezählt wird, ersetzt den ab Dbl. 12a, Z. 24 verfassten Schlussabsatz und bildet zusammen mit dem verbleibenden kurzen Textsegment auf Dbl. 12a/1r, Z 1 die dritte Schlussfassung. Da nach Fertigstellung der zweiten Schlussfassung direkt auf demselben Bogen mit Kapitel II fortgesetzt wird, liegt die Vermutung nahe, dass die Schlussfassung auf Dbl. 12a über einen bestimmten Zeitraum gültig ist. Darüber hinaus sprechen die Winkelmarkierungen auf Dbl. 12a/1r und Bl. [12b]/r dafür, dass diese für die Textkonstitution von F2 verwendet werden sollen. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Überlieferungslage dieser drei Endfassungen dürftig und die Ableitungen des Herausgebers – obwohl begründet – nur eine zur Diskussion gestellte Vermutung darstellen. Auch über die Verwendung der zweiten Textfassung des ersten Kapitels als Vortrag kann der Herausgeber anhand der gegebenen Indizienlage nur mutmaßen. Offenbar generiert Tr. diesen in einer späten Arbeitsphase in Form eines literarischen Fragmentes aus Kapitel I. Direkt die erste in dieser Edition der dritten Textstufe und damit F2 zugeordnete einleitende Textergänzung auf Dbl. 1/1r etikettiert den mutmaßlichen Vortrag (F2) als ein literarisches Fragment: »Da ich mit ethiſchen Unterſuchungen beſchäftıgt bın, erlaube ich mır eın Fragment derſelben anzulegς – u. zwar üb[.] eıne äußerliche Frage:«8 Auch die Randnotate auf Dbl. 1/2v und 2/1v, welche wörtlich auf den Gebrauch des Manuskriptes für einen Vortrag hindeuten, stützen obige Annahme. Sofern diese Ableitung zutreffen sollte, läge Kapitel I sowohl als Entwurfsfragment (F1) als auch in Form eines literarischen Fragmentes (F2) vor. Letzteres ist dabei gegenüber F1 stark gekürzt und scheint Kapitel II nicht zu berücksichtigen. Betrachtet man die tatsächlichen Änderungen und Auslassungen der dritten Textstufe, fällt auf, dass größere philosophiehistorische Diskurse bzw. über die Grundfrage nach dem Ort der Ethik hinausgehende Nebenschauplätze sowie die innertextlichen Verweise auf die den EU zugrunde gelegten LU1 weitestgehend entfernt werden. In einer Randbemerkung, welche Tr. zu Beginn des zweiten Kapitels neben den Titel notiert, nennt er mit Über die metaphyſiſche Grundlage der Ethik und Über die pſychologiſche Grundlage der Ethik zwei weitere nicht mehr verfasste Kapitel, die dem zweiten vorangestellt werden sollen. Im Ergebnis stellen die EU somit im Œuvre Tr’s einerseits den unvollendeten Beginn einer eigenen großen 8 EU, Dbl. 1/1r.
Überlieferung
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Veröffentlichung neben den LU und dem NR dar, zum anderen sind sie Teil einer Reihe von Vorträgen, die in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften gehalten wurden. Zur Schreibmethodik Trendelenburgs In den folgenden Abschnitten wird die schriftstellerische Vorgehensweise Tr.’s verallgemeinert und einer Analyse unterzogen. Die Aufstellung der in den EU auftretenden Schreibphänomene dient der Begründung der gewählten Auszeichnungsverfahren in den Textdarstellungen. Tr. erweist sich als ein Autor, welcher in einer ersten Arbeitsphase per Stahlfeder größere Textabschnitte mit nur seltenen Sofortkorrekturen niederschreibt, um diese dann in späteren Arbeitsphasen durch größere und kleinere Ergänzungen, Ersetzungen, Tilgungen oder Umstellungen zu verändern, wodurch sich die ursprüngliche Textmenge zumeist erhöht. Diese nachträglichen Änderungen können sehr kleinschrittig und dadurch komplex ausfallen. Umfangreiche Hinzufügungen werden mit demselben Verfahren wie der Basistext mit nur seltenen Sofortkorrekturen zuerst komplett niedergeschrieben und in späteren Arbeitsphasen überarbeitet. Außerdem finden sich sporadisch mit Grafitstift hinterlegte Kommentare, Winkelklammern und Markierungen, welche Informationen über die Textkonstitution sowie Hinweise auf Übernahmen einiger Textsegmente aus den EU in die LU2 enthalten. Hervorzuheben ist, dass Tr. nahezu alle Arbeitsphasen in zumeist sehr gut leserlicher Schrift auf ein und demselben Zeugen abhandelt und nur selten, z.B. im Falle der drei Schlussfassungen des ersten Kapitels, Abschriften oder alternative Fassungen auf gesonderten Bögen anfertigt. Hinzufügungen, Tilgungen und andere Schreibvorgänge Im Manuskript der EU existieren drei unterschiedliche Arten der Hinzufügung (Textergänzungen oder -ersetzungen). Bei der ersten und häufigsten Form werden kürzere Textsegmente von meist einzelnen Wörtern in räumlicher Nähe in die Interlinearzeile über der zu erweiternden oder zu ersetzenden Textstelle platziert und per Einweisungsstrich exakt zugeordnet. Ausnahmen bilden kürzere Ergänzungen, die mit oder ohne Einweisungsstrich vor das erste oder hinter das letzte Wort einer Zeile außerhalb des Textspiegels platziert werden. In Einzelfällen gelingt es, diese noch innerhalb des Textspiegels unterzubringen. Bei kurzen Hinzufügungen, welche im Zuge der Ersetzungen nach Streichung
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Editorischer Bericht
oder bei Notation einer Alternativvariante9 erfolgen, fällt der Einweisungsstrich weg, da der Platzierungsort durch den inhaltlichen und syntaktischen Kontext fast immer eindeutig wird. Für die zweite Art der Hinzufügung werden in der Regel größere und umfangreiche Ergänzungen oder Ersetzungen auf dem Korrekturrand neben dem Textspiegel platziert und durch individuelle Einweisungssymbole, welche sich an der exakten Einweisungsstelle wiederfinden, gekennzeichnet. Die dritte Form der Hinzufügung größerer Textbausteine in den Seitenrand verwendet ein dem Prinzip der Kustode ähnelndes Verfahren, bei dem im Zieltext einige Wörter unterstrichen werden. Im zu ergänzenden oder zu ersetzenden Textsegment finden sich diese als die ersten paar Wörter wieder, sodass man den Text gedanklich an der betreffenden Stelle verkoppeln bzw. die unterstrichenen Wörter ersetzen muss. Manchmal fällt die Unterstreichung jedoch aus. In diesen Einzelfällen können jeweilige Einfügungs- und Koppelstellen problemlos aus dem Zusammenhang ermittelt werden. Neben drei Arten der Hinzufügung lassen sich im Manuskript vier Arten der Tilgung unterscheiden: Bei der ersten Form handelt es sich um Streichungen überwiegend einzelner Interpunktionszeichen, Graphen und Graphenfolgen, Wörter und Wortfolgen, Satzteile und Sätze, die einfach oder mehrfach ausfallen können, jedoch, unabhängig von der Zahl der Streichungen, in ihrer Funktion einfache Tilgungen darstellen. Die zweite Art der Tilgung ist das Schreiben auf gestrichenem und nicht gestrichenem Text. Eine Sonderform stellt hier die ›Nachzeichnung‹ dar, bei welcher schon niedergeschriebener Text nochmals nachgezogen wird. Die Tilgung einzelner oder mehrerer Interpunktionszeichen und Graphen, bei welcher die Ressourcen des vorhandenen Zeichens für das dieses ersetzende Zeichen mitverwendet werden, charakterisiert die dritte Form. Hier wird z.B. die Ähnlichkeit zwischen dem und dem in der Kurrentschreibung ausgenutzt, um durch Ergänzung eines Kringels ein zu generieren. Die vierte und seltenere Art der Tilgung ist die durch Schrägstriche ausgeführte Streichung mehrerer Zeilen bzw. ganzer Absätze. Bei dieser großflächigen Streichung handelt es sich um eine Tilgung höherer Ordnung, da in dem gestrichenen Text andere zuvor ausgeführte Eingriffe mitgetilgt werden. Die vorgefundenen Sofortkorrekturen offenbaren sich zumeist durch Zeichenansätze, Abbrüche im Wort oder im logischen Ablauf der Syntax. Bei sofort getilgten Zeichen- und Wortansätzen wird deutlich, dass es sich häufig um Vorgriffe des Autors handelt, welche einige Wörter oder Zeilen später realisiert werden, was im schreibpsychologischen Sinne dafür sprechen könnte, dass bei der Mehrheit der Sofortkorrekturen umgangssprachlich ›der Kopf die Hand 9 Bei einfacheren Alternativvarianten wird die zu alternierende Stelle im Text wie z.B. auf Dbl. 4/2r zusätzlich unterstrichen.
Überlieferung
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überholt hat‹. Daneben befindet sich sowohl im ersten als auch im zweiten Kapitel des Manuskriptes jeweils eine kleine Textumstellung. Die Umstellungsreihenfolge wird dabei durch Zahlenfolgen über den betreffenden Wörtern angezeigt.
Textdarstellungen Richtlinien der diplomatischen Umschrift Das Fragment wird zeilen- und weitestgehend standgetreu wiedergegeben. Zeilenabstände werden hingegen vereinheitlicht. Eigentümlichkeiten der Orthografie wie langes , Ligaturen , die zeitgenössische Verwendung von für sowie die Interpunktion bleiben erhalten. Ziffern, Interpunktionszeichen und historische Buchstaben (Graphen) werden – sofern im Zeichensatz vorhanden – übernommen, Fehler spitz eingeklammert und durch ein hochgestelltes kenntlich gemacht, jedoch nicht korrigiert. Abbreviaturen, Suspensionsschleifen und Geminationsstriche werden nicht aufgelöst, fehlende Akzentzeichen nicht ergänzt, Zeilenfall, bedeutungshaltiger Leerraum sowie Schreibrichtung der Vorlage weitestgehend übertragen, Kustoden ausgeklammert, nur wahrscheinliche Lesungen durch ein exponiertes für ›unsicher‹ und nicht mehr entzifferbare Zeichen durch ein Pluszeichen repräsentiert. Aufgrund der komplizierten Überschreibungsvorgänge muss die Darstellung aus Platzgründen in seltenen Fällen auf weitere Zeilen ausweichen. Hierbei wird der entsprechende Zeilenzähler wiederholt und zusätzlich alphabethisch durchgezählt (Bsp.: 12a, 12b, 12c ...). Ausweichzeilen sind als Teil derselben Zeile zu lesen. Ferner wird zwischen Regulär- und Interlinearzeilen differenziert. Schriftspiegel und Marginalspalte erhalten jeweils einen eigenen Zeilenzähler. Den Marginalzeilen wird ein für ›Rand‹ vorangestellt. Interlinearzeilen werden zusätzlich mit geradem Hochstrich (Prime) markiert (Bsp.: 1, 2', 3, ... bzw. r1, r2', r3, ...). Die Zählung der Zeilenzähler gilt ausschließlich für die jeweilige Manuskriptseite. Bei Streichungen wird nicht zwischen Einfach- und Mehrfachstreichungen differenziert, sondern jeweils eine Einfachstreichung wiedergegeben, da die Anzahl der Tilgungsstriche zufällig – z.B. durch die Ober- und Unterlänge von Graphen – und nicht erkennbar bedeutungstragend ist. Unterschieden wird hingegen zwischen intendierter und vorgefundener Streichung. Dies bedeutet, dass Streichungslinien in der Umschrift nur so weit und mit allen Unterbrechungen wiedergeben werden, wie dies im Manuskript der Fall ist. Zeichen, welche hierbei nicht miterfasst sind, deren Streichung aber offensichtlich intendiert ist, werden ohne Tilgungsstrich in Graustufe als nicht mehr gültig ausgezeichnet. Ferner wird zwischen lokalen und übergeordneten Streichungen von ganzen Absätzen unterschieden. Ein übergeordnet gestrichenes Textsegment kann interne Streichungen und andere Binnenphänomene enthalten. Aus diesem Grund sind übergeordnete Streichungen in der Darstellung durch Unterstreichung (Bsp.: Text ...) hervorgehoben. Gestrichene Interpunktionszeichen werden – um unschöne typo-
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Editorischer Bericht
grafische Effekte zu vermeiden – einheitlich durch einfache Klammern gekennzeichnet. Damit im Bewusstsein bleibt, dass es sich bei der diplomatischen Umschrift um den ersten Grad einer Interpretation des Herausgebers handelt, werden, bis auf die Symbole der diakritischen Auszeichnung, alle Texte, Zeilenzähler, Kürzel und Kommentare des Herausgebers kursiviert wiedergegeben. Um frühzeitig für die Eigentümlichkeiten und Zusammenhänge des vorliegenden Fragmentes zu sensibilisieren, wird die Umschrift durch erste Kommentare begleitet, welche mit kleinerer Schriftgröße und anderer Zeilenhöhe typografisch vom Text abgesetzt sind. Zusätzlich können sich weitere Anmerkungen an korrespondierender Stelle der genetischen Darstellung finden. Für einen möglichst unverfälschten und exakten typo- als auch topografischen Eindruck werden der Umschrift die Faksimiles des kompletten Manuskriptes im SchwarzWeiß-Druck gegenübergestellt. Die Abbildung der Handschrift erfolgt aufgrund des Buchformates nicht in Originalgröße. Bei allen in dieser Edition vorgenommenen Verweisen auf die EU sind der Text und die Dbl.- bzw. Bl.-Zählung der diplomatischen Umschrift zugrunde gelegt. Die diplomatische Darstellung in Begleitung der Faksimiles soll jederzeit als die definitive Grundlage der Konsultation dienen. Sie ist das Zentrum der Edition.
Musterlayout der diplomatischen Umschrift
Diplomatische Umschrift
XXX 1
ſchaften zu einer höhern, aber ſchwierigen Auf=
2
gabe wurde. Unter dieſelbe wird man weder in
3
Carteſius, noch in Spinoza genügende Auskunft
4
finden. Zwar ſucht Carteſius, wie in ſeinen Me-
5
ditationen, in ſeiner Schrift über die Methode,
6 '7 8
für die Erklärung
[
einfache Prinzipien, und führt ſie⟨↙,⟩ namentlich
Dbl. 8/2r: Kap. I., S. 31]
, wie in ſeiner
r1
nach der Seite der phÿſiſchen Erſcheinungen
Schrift der prin-
r2
9 '10 11
bi in ihre Folgen hinaus. Aber theils iſt die
cipia philoſophiae,
r3
12
die ethiſche Seite ziemlich leer aus, theils
es
Anwendung zu beſchränkt u. namentlich geht [...] Erläuterungen: 1 höhern] Mustererläuterung des Herausgebers. '7 Erklärung] Mustererläuterung des Herausgebers.
Seitenzähler der Edition
[Kustode]Kus [X.]Pag
Kolumnentitel Dbl.- bzw. Bl.-Paginierung Angabe des Kapitels mit Seitenzahl Zeilenzähler Schriftspiegel Zeilenzähler Marginaltext Zeilenzähler Interlineartext Kommentar des Herausgebers Kustoden werden transkribiert und durch den Herausgeber ausgeklammert. Bogenpaginierungen werden durch den Herausgeber ausgeklammert.
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Editorischer Bericht
Diakritische Auszeichnung der diplomatischen Umschrift Schrift und Farbe
Erläuterung
Autortext Tinte Autortext Grafit
Gültiger in Tinte geschriebener Autortext deutscher Kurrentschreibung wird durch schwarze Antiquaschrift (recte: 11 Pt), in Grafit ausgeführter Text zusätzlich durch Umklammerung mit einem Grafitstiftsymbol wiedergegeben. Interlinear- und Marginaltext werden in petiter Schriftgröße (recte: 9 Pt, in platzbedingten Ausnahmefällen 8 Pt) dargestellt. (Adobe Inc., Minion® Pro Regular, – Bold)
ungültiger Autortext Tinte ungültiger Autortext Grafit
Ungültiger Autortext in Tinte oder Grafit wird in Graustufe (60 % Schwarzwert) wiedergegeben. Darüber hinaus erfolgt die Textdarstellung analog zu gültigem Autortext.
Autortext Tinte ungültiger Autortext Grafit
Autorext in lateinischer Schreibung wird mit Groteskschrift (recte: 10,5 Pt) wiedergegeben. Darüber hinaus erfolgt die Textdarstellung analog zu gültigem und ungültigem Autortext. (De Gruyter, De Gruyter Sans Regular, – Bold) Notate der beiden fremden Hände I und II werden mittels kursiven ›Square Brackets‹ ausgeklammert und im Exponenten den Schreibern zugewiesen. Diakritische Zeichen werden in schwarz und recte wiedergegeben. (Typoma®, Minion® Math Regular) Der Herausgebertext wird mit kursivierter Antiquaschrift in der Kopfzeile in 11 Pt, in den Zeilenzählern und Kommentaren in 9 Pt wiedergegeben. (Adobe Inc., Minion® Pro Italic)
Textdarstellungen Diakritische Auszeichnung
417 Erläuterung Auftexttilgungen In der vorliegenden Edition wird, um Verwechslung mit der Überschreibung im engeren Sinne zu vermeiden, mit der Oberkategorie ›Auftext‹ ein direkt an oder über schon niedergeschriebenen Zeichen, Wörtern, Wortfolgen und Sätzen ausgeführter Text bezeichnet. Auftextvorgänge werden in der Umschrift mit Spitzklammern eingegrenzt. In Tr.’s Schreibgewohnheiten lassen sich drei unterschiedliche Arten der ›Tilgung durch Auftext‹ unterscheiden, welche in ihrer Verschiedenheit bei der Darstellung Berücksichtigung finden: Die Überschreibungstilgung (↶) Durch Überschreibung getilgte Interpunktionszeichen, Graphen, Graphenfolgen, Wörter, Wortfolgen, Satzteile und Sätze werden farblich nach den obigen Kriterien für ungültigen Text ausgegraut. Dem folgt das Überschreibungssymbol sowie der sich dahinter befindende Überschreibungstext. Zeichen, die ein oder mehrere Zeichen überschreiben, werden exponiert und in fettem Schriftschnitt wiedergegeben. Sind bei der Überschreibung Zeichen hinzufügt worden, die nicht mehr überschreiben, werden diese in normaler Schriftstärke dargestellt. In Beispiel a) wird das Wort ›Text‹ mit dem Wort ›Zahlen‹ überschrieben. Neue nicht überschreibende Zeichen werden dabei mit in die Spitzklammern übernommen. In Beispiel b), oft eine Spätkorrektur, wird, nachdem die vollständige Niederschrift von ›Text‹ mit Tinte erfolgt ist, mit Grafitstift durch ein überschrieben.
418 Diakritische Auszeichnung
Editorischer Bericht Erläuterung Die Änderungstilgung (→) Diese Art des ›Auftextes‹ nutzt die Ressourcen eines vorhandenen Zeichens, um daraus, z.B. durch grafische Ergänzung, teilweise Streichungen und andere Manipulationsformen, ein neues Zeichen zu erstellen. Die Darstellung folgt den oben aufgeführten allgemeinen Regeln der ›Tilgung durch Auftext‹. Mit dem Änderungssymbol wird wie in a) der Vorgang ausgezeichnet. Das Änderungsphänomen zeigt sich für gewöhnlich nur bei einzelnen Zeichen, kann aber wie in b) in Kombination mit anderen Auftexttilgungen und Streichungen auftreten. Die Darstellungsregel solch komplexer Vorgänge wird weiter unten erläutert. Die Nachzeichnung (⟳) Die ›Nachzeichnung‹ ist keine Tilgung im engeren Sinne, da durch sie lediglich bereits niedergeschriebener Text nachgezogen wird. Es handelt sich bei ihr jedoch um eine Art ›Auftext‹, weswegen sie in dieser Edition in die Klasse der ›Tilgung durch Auftext‹ subsumiert wird. Der Vorgang kann einzelne Graphen, Wörter, Wortfolgen und Sätze betreffen. Die Darstellung erfolgt analog zu den oben genannten Vorgaben für Auftexttilgungen. Die Nachzeichnung wird durch ein Kreislaufsysmbol ausgezeichnet. Kombinationen von Auftexttilgungen Überschreibung, Änderung oder Nachzeichnung treten in unterschiedlichster Kombination auf. Um solche verschachtelten Vorgänge in der Umschrift darstellen zu können, werden doppelte Spitzklammern als Umklammerung höherer Ordnung eingesetzt. Im obigen Beispiel wird das Wort
Textdarstellungen Diakritische Auszeichnung
419 Erläuterung ›Stift‹ auf das Wort ›Text‹ geschrieben. Dabei überschreibt zunächst die Graphenfolge die Graphenfolge . Anschließend wird aus dem ein generiert. Das letzte Graph ist nicht überschreibend. Textergänzungen Ergänzungen in der Zeile Bei Ergänzungen innerhalb der Zeile wird der hinzugefügte Text mit Spitzklammern eingegrenzt. Das Pfeilsymbol zeigt je nach Pfeilrichtung an, ob es sich um eine Ergänzung a) hinter oder b) vor dem ergänzten Wort handelt. Kann die Zeichenergänzung aus Platzmangel zu dem nächsten Zeichen oder Wort innerhalb der Zeile nur durch Ausweichen auf die darunterliegende Interliniearzeile vollendet werden, wird die Ergänzung wie in c) durch den Unterführungspfeil dargestellt. Interlinearergänzungen über der Zeile Interlinearergänzungen erhalten bis auf wenige Ausnahmen durch Tr. einen eindeutigen Einweisungsstrich. Einweisungsstriche werden in der Umschrift wie in a) einheitlich als durchgehender Strich mit Einweisungsmarker dargestellt. Bei fehlendem Einweisungsstrich verwendet der Herausgeber in uneindeutigeren Fällen gepunktete Einweisungszeichen. Ergänzungen vom Rand Ergänzungen aus der Marginalspalte werden von Tr. mal mit, mal ohne Einweisungssymbol durchge-
420 Diakritische Auszeichnung
Editorischer Bericht Erläuterung führt. Die Umschrift bemüht sich, die verwendeten Einweisungssymbole zu imitieren und die relative Position der Einweisungstexte wiederzugeben. Besonderheiten bei der Einweisung werden an der jeweiligen Stelle kommentiert. Sonstige Zeichen und Darstellungen: Suspensionsschleifen werden einheitlich mit dem Sigma-Zeichen wiedergeben und nicht aufgelöst. Graphen und Graphenfolgen entsprechender Anzahl, welche nach Meinung des Herausgebers nicht mehr entziffert oder rekonstruiert werden können. Unvollständig ausgeführte Graphenansätze werden durch eine darüber befindliche gepunktete Linie gekennzeichnet. Eindeutig a) fehlende oder b) falsche Graphen und Interpunktionszeichen werden durch zwei Spitzklammern mit exponiertem markiert. Fehlende Zeichen sind durch ein Leerzeichen repräsentiert. Durch Radierung getilgter Text. Tilgungen durch Streichung werden einheitlich als einfache Streichung dargestellt. Es wird dabei zwischen vorgefundener und von Tr. intendierter Streichung unterschieden. Erfasst der intendierte Streichvorgang nicht alle zur Streichung vorgesehenen Zeichen, werden diese ohne Strich im Grauton als ungültig ausgezeichnet. Erfolgen Streichungen nicht in einem Zug, wird dies in der Darstellung berücksichtigt. Um unschöne typografische Effekte bei der Wiedergabe zu vermeiden, werden durch Streichung getilgte Interpunktionen umklammert.
Textdarstellungen Diakritische Auszeichnung
421 Erläuterung Lesungen von Graphen, Graphenfolgen und Interpunktionszeichen, die aus beliebigem Grund problematisch, unklar oder diskussionsbedürftig erscheinen, werden in Spitzklammern mittels exponiertem für ›unklar‹ ausgezeichnet. Dies betrifft alle problematischen Lesungen, deren Zutreffen nach Ansicht des Herausgebers mit höherer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Alle Winkelklammern, Linien und Markierungen, welche Tr. in das Manuskript einzeichnet, werden in die Umschrift übernommen. Die fein gestrichelt dargebotenen Grafitlinien und -winkel in Verbindung mit dazugehörigen Randnotaten Tr.’s geben Hinweise auf die Textkonstitution der zweiten Fassung (F2) des ersten Kapitels. Zu einem sehr späten Zeitpunkt werden in Kapitel I weitere Linien, Winkelklammern und Anmerkungen für die Dokumentation der Textübernahmen in die LU2.II von Tr. hinzugefügt. Damit der Leser die ebenfalls mit Grafit ausgeführten Markierungen von den älteren unterscheiden kann, werden diese durch eine stärkere Strichelung hervorgehoben. Dazugehörige Anmerkungen Tr.’s werden durch den Herausgeber ausgeklammert. Dabei wird im Exponenten zwischen a) den Notaten zur Textkonstitution (K) und b) zu den Übernahmen (Ün) differenziert.
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Editorischer Bericht
Richtlinien der genetischen Darstellung Die in dieser Edition präsentierte linear-integrierte genetische Darstellung basiert lose auf der Idee des Einblendungsapparates, wie er 1977 in der von Klaus Hurlebusch herausgegebenen Hamburger Klopstock-Ausgabe (KA) für die Variantenauszeichnung der im Arbeitstagebuch enthaltenen Prosatexte erstmalig eingesetzt wird.10 Beim linearen Einblendungsapparat werden die Varianten direkt im edierten Text angezeigt.11 Sofort- und Spätkorrekturen sind hier mithilfe von diakritischen Auszeichnungen in den Textfluss der Grundschicht integriert. Das Prinzip erinnert an die XML-Auszeichnung digitaler Editionen, bei welcher einzelne Texteigenschaften und -phänomene mittels ›Start- und Endtags‹ markiert und attribuiert werden. Auch die Darstellung verschachtelter Zusammenhänge von Varianten ist möglich. Die verschiedenen Editionen verwenden aus den zur Verfügung stehenden Zeichensätzen modellbedingt zumeist spitze Klammersymbole, welche durch weitere diakritische Zeichen und Abkürzungen für topografische oder materielle Befunde spezifiziert werden können. Die Eigentümlichkeiten der Handschrift der EU sowie die daraus resultierende Komplexität erfordern mehrere Modifikationen in Form von Vereinfachungen und Ergänzungen der obigen Apparatform. Im Unterschied zu einer synoptisch-kolumnierten Darstellung, die durchaus auch für Prosatexte verwendet werden kann, besteht zunächst das Problem, dass man für das ganzheitliche Verständnis der Änderungszusammenhänge wesentlich stärker auf die Unterstützung durch diakritische Zeichen angewiesen ist, da die paradigmatische Dimension der Textstruktur mit der syntagmatischen linear zusammenfällt und somit deren Trennung gedanklich durch die Nutzer/-innen selbst vorgenommen werden muss.12 Hier konnte insbesondere mit der Einführung 10 Ausführlich erläutert in Klaus Hurlebusch: »Editionsprinzipien«. In: Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe. Historisch-Kritische Ausgabe. Abteilung Addenda II: Klopstocks Arbeitstagebuch. Hrsg. von Klaus Hurlebusch. De Gruyter. Berlin/New York 1977. S. 173–227. 11 Mehr zur Textdarstellung der Schreibphänomene und der diakritischen Auszeichnung nach Hurlebusch in ebd., S. 196–227 sowie in Kurzform auf S. 226 f. 12 Der Hrsg. hat vorab eigene erfolgreiche Versuche mit der kolumnierten Darstellung für das Fragment durchgeführt. Sowohl Einblendungs- als auch synoptisch-kolumnierter Apparat sind nach den Modifikationen des Hrsg. in der Lage, die textgenetischen Vorgänge der EU adäquat anzuzeigen. Egal ob Tilgungen durch Auftext, Hinzufügung oder Ergänzung, ob Sofortkorrektur oder alternative Lesungen, beide Apparate sind gleichermaßen präzise und in ihrer Detailschärfe noch erweiterbar. Die synoptisch-kolumnierte Präsentation benötigt jedoch knapp ein Drittel mehr Raum. Bei der Herstellung beider Apparate ist der editorische Aufwand hingegen in etwa gleich hoch, verringert sich aber zugunsten der linear-integrierten Darstellung, wenn für die Edition eine spätere Extraktion von Lesefassungen geplant ist.
Textdarstellungen
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von stufenartigen Gliederungshilfen in Kombination mit einfachen Leseregeln nachgebessert und ferner durch den Wechsel zu einer etwas intuitiveren Symbolik eine Abmilderung erzeugt werden:
Das Bestechende an der linear-integrierten Darstellung ist, dass das Einblendungsverfahren sich zum einen dem in der westlichen Kultur üblichen Lesefluss anpasst und zum anderen die Trennung von kritischem Apparat und dem edierten Text maximal aufgehoben ist. Darüber hinaus ergibt sich darstellungsbedingt eine signifikante Platzersparnis gegenüber anderen integrierten Darstellungsformen. Für die Wiedergabe des ersten Kapitels, welches – auf denselben Zeugen befindlich – zwei ineinander verschachtelte eigenständige Fassungen präsentiert, wird eine sogenannte ›syn-lineare‹ Darstellung verwendet, bei der die Zeile in zwei ›Lesegleise‹ aufgespalten wird und jedes ›Gleis‹ für sich die genetischen Zusammenhänge der beiden Fassungen erkennbar macht und gleichzeitig in einen synoptischen Bezug setzt. Auch aus der Natur des überlieferten Manuskriptes selbst, insbesondere des ersten Kapitels, in welches Tr. die zweite Fassung quasilinear integriert, kann die hier getroffene Wahl der Darstellung als dem editorischen Gegenstand gemäß begründet werden. Für die geradezu virtuos angewendeten und dadurch mitunter komplexen Überschreibungsvorgänge wird in dieser Edition ein Darstellungssystem gewählt, welches jene mikrogenetischen Prozesse vollständig aufschlüsselt und gleichzeitig möglichst intuitiv verständlich bleibt. Darüber hinaus wird mit Rücksicht auf eine moderne Nutzerschaft bei der Wahl der diakritischen Zeichen die gestalterische Vielfalt aktueller Satzprogramme ausgeschöpft. Da der genetischen Wiedergabe eine diplomatische Umschrift nebst faksimilierter Präsentation der Zeugen vorangestellt ist, kann die Darstellung von topografischen Informationen befreit und der Schwerpunkt auf die chronologischen Zusammenhänge – den eigentlichen Zweck der Textgenese – gelegt werden. Der diakritische Zeichensatz der genetischen Wiedergabe bleibt dabei weitestgehend analog zur diplomatischen Darstellung. Was die Reihenfolge der genetischen Präsentation betrifft, werden der Heftumschlag, Kapitel I, die drei Schlussfassungen von Kapitel I sowie Kapitel II gesondert dargeboten. Der Präsentation ist ein durchlaufender Zeilenzähler beigeordnet, welcher die gesamten Zeilen des jeweiligen Kapitels bzw. der jeweiligen Schlussfassung
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Editorischer Bericht
durchzählt. Die Zeilenzähler der Schlussfassungen knüpfen direkt an die auslaufende Zeilenzählung am Ende von Dbl. 11/2v an. Kapitel II startet wieder mit Zeile 1. Randnotate des Autors, welche in Bezug auf die Textkonstitution relevant sein könnten, werden in der Textgenese am Seitenfuß mit eigenem durch das gesamte Fragment laufenden Zeilenzähler nebst vorangestelltem für ›Notiz‹ (Bsp.: n1, n2, n3, ...) ausgestattet. Zusätzlich erhält jedes dieser Notate durchlaufend eine Nummer sowie eine Anmerkung des Herausgebers, worauf sich die Randnotiz beziehen könnte. Auf die Wiedergabe der zu einem späten Zeitpunkt durch Tr. dokumentierten Übernahmen in die LU2 innerhalb der genetischen Darstellung wird aus zwei Gründen verzichtet: Erstens, stellt sich bei einer Analyse der betreffenden Textsegmente heraus, dass diese Markierungen ungenau und unvollständig sind, zweitens, werden die Lesarten dieser Anleihen im Abdruck des von den Übernahmen betroffenen Kapitels XXI. Das System vollständig durch einen positiven Einzelstellenapparat aufgeschlüsselt. Um den Nutzer/-innen jederzeit die Möglichkeit zu geben, eine Textstelle in der Umschrift oder im Faksimile ohne großen Aufwand konsultieren zu können, befindet sich auf der rechten Seite der Darstellung eine Leiste mit Angabe der Dbl.-Zählung und der jeweiligen Bogenseite. Am Seitenfuß werden, sofern der Herausgeber den Eindruck hat, dass eine Darstellung weiterer Anmerkung bedarf, zusätzlich Erläuterungen angefügt. Leseregeln der genetischen Darstellung Textstufe H.1 (Grundschicht, erste Niederschrift): Für die erste Textstufe liest man unter Auslassung der diakritischen Symbole den gesamten schwarzen gültigen Text außerhalb von Zeilenspaltungen und runden Klammern sowie diejenigen Textsegmente innerhalb der runden Klammern, welche durch die Sigle vor dem schließenden Schrägstrich noch der ersten Textstufe H.1 zugewiesen sind. Ferner sind für die Lesung des gültigen Textes die obigen Leseanweisungen für Auftexttilgungen zu beachten. Bei einer eventuellen Aufsplittung der Textstufen, z.B. bei mehrschrittigen Änderungen, gilt der Änderungsschritt mit dem höchsten Zahlenwert als ›letztgültig‹. Innerhalb der Spaltungen liest man ausschließlich den Text des oberen Gleises, welcher nach denselben Regeln wie der nicht gespaltene Text gelesen wird. Textstufe H.2 (F1): Für die zweite Textstufe, Fassung F1, liest man unter Auslassung der diakritischen Symbole den gesamten schwarzen gültigen Text außerhalb von Zeilenspaltungen und runden Klammern sowie diejenigen Textsegmente innerhalb der abgerundeten Klammern, welche durch die Sigle vor dem schließenden Schrägstrich der Textstufe H.2 zugewiesen sind. Ferner sind
Textdarstellungen
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für die Lesung des gültigen Textes die obigen Leseanweisungen für Auftexttilgungen zu beachten. Bei einer eventuellen Aufsplittung der Textstufen, z.B. bei mehrschrittigen Änderungen, gilt der Änderungsschritt mit dem höchsten Zahlenwert als ›letztgültig‹. Innerhalb der Spaltungen liest man ausschließlich den Text des oberen Gleises, welcher nach denselben Regeln wie der nicht gespaltene Text gelesen wird. Textstufe H.3 (F2, Vortragsfassung): Für die dritte Textstufe des ersten Kapitels, Fassung F2, liest man unter Auslassung der diakritischen Symbole den gesamten schwarzen gültigen Text außerhalb von Zeilenspaltungen und runden Klammern sowie diejenigen Textsegmente innerhalb der runden Klammern, welche durch die Sigle vor dem schließenden Schrägstrich der Textstufe H.2 zugewiesen sind. Bei einer eventuellen Aufsplittung der Textstufen, z.B. bei mehrschrittigen Änderungen, gilt der Änderungsschritt mit dem höchsten Zahlenwert als ›letztgültig‹. Innerhalb der Spaltungen liest man ausschließlich den Text des unteren Gleises, welcher nach denselben Regeln wie der nicht gespaltene Text gelesen wird. Hier gilt jedoch im Unterschied zum Text außerhalb der Spaltung die letztgültige Stufe bzw. der letztgültige Arbeitsschritt von H.3. Will man den Schreibprozess inklusive der Sofortkorrekturen und Tilgungen auch im Detail nachvollziehen, gilt für alle drei Textstufen: Erreicht man eine Sofortkorrektur oder Tilgung, liest man diese zunächst mit, um anschließend die betreffende Stelle in der geänderten Form wiederholt zu lesen. Lesehilfe:
An Textstellen, bei denen die Darstellung auseinanderfällt und somit das Lesen von gültigem Text erschwert, hilft die Edition durch Unterstreichung der betreffenden Textelemente. Die Wellenlinie erfüllt dabei keine Auszeichnungsfunktion. Sie ist eine punktuell eingesetze visuelle Unterstützung.
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Editorischer Bericht
Diakritische Auszeichnung der genetischen Darstellung Schrift und Farbe
Erläuterung Gültiger in Tinte geschriebener Autortext deutscher Kurrentschreibung wird mittels schwarzer Antiquaschrift (recte: 11 Pt), in Grafit ausgeführter Text zusätzlich durch Umklammerung mit dem Kürzel ›bl‹ für ›Bleistift‹ dargestellt. (Adobe Inc., Minion® Pro Regular) Ungültiger Autortext in Tinte oder Grafit wird in Graustufe (60 % Schwarzwert) wiedergegeben. Darüber hinaus erfolgt die Textdarstellung analog zu gültigem Autortext. Autortext in lateinischer Schreibung wird mit Groteskschrift (recte: 10,5 Pt) wiedergegeben. Darüber hinaus erfolgt die Textdarstellung analog zu gültigem und ungültigem Autortext. (De Gruyter, De Gruyter Sans Regular) Herausgebertext wird mit kursivierter Antiquaschrift in der Kopfzeile mit Schriftgröße 11 Pt, in den Zeilenzählern und Kommentaren in 9 Pt wiedergegeben. (Adobe Inc., Minion® Pro Italic) Diakritischen Zeichen werden in schwarz und recte wiedergegeben. (Typoma®, Minion® Math Regular) Darstellungsbedingt werden analog zur Vorgehensweise der KA Textbestandteile aus dem syntaktischen Kontext wiederholt. Die Wiederholung erfolgt dabei durch Majuskeln und Kapitälchen.
Textdarstellungen Diakritische Auszeichnung
427 Erläuterung Textergänzung. Ergänzter Text wird mit oben gewinkelten Einweisungsklammern wiedergegeben. Ferner erfolgt die Attribuierung mit ›erg‹ für ›Ergänzung‹ vor der jeweils schließenden Winkelklammer. Die kleinen Klammern zeichnen wie in a) einfache Ergänzungen aus, d.h. Ergänzungen, welche keine weiteren Binnenergänzungen enthalten. Die großen Klammern finden wie in b) immer dann Anwendung, wenn mindestens eine Binnenergänzung vorhanden ist. Diese Klammern höherer Ordnung ersetzen die in der KA verwendeten doppelten Ergänzungszeichen . Dadurch werden unschöne typografische Effekte wie in Beispiel c) vermieden. Tilgung durch Streichung. Tilgungen werden mit der Umschließung durch ›Square Brackets‹ dargestellt. Für die Markierung einer Streichung wird vor dem schließenden ›Square Bracket‹ ein -Zeichen angezeigt. Analog zu den in sich verschachtelten Ergänzungen, die durch Klammern höherer Ordnung dargestellt werden, fungieren gedoppelte ›Square Brackets‹ als die Ummantelung von Binnenstreichungen. Die Textersetzung, d.h. die Hinzufügung in Folge der Tilgung durch Streichung, wird nach gleichbleibendem Schema wiedergegeben. Der getilgte Text liegt in der Regel auf der linken, die Ersetzung auf der rechten Seite. Durch die Attribuierung mit ›ers‹ wird die Hinzufügung als ›Ersetzung‹ ausgezeichnet. Die leeren Spitzklammern grenzen den Änderungszusammenhang ein. Auftexttilgungen. Das Auftextsymbol kennzeichnet die in Spitzklammern eingegrenzte Änderungseinheit als eine Art von Auftextphänomen. Auf der linken Seite befinden sich die getilgten Elemente, auf der rechten der ›Auftext‹ oder bei
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Editorischer Bericht Erläuterung partiellen Tilgungen die ›Auftextsegmente‹. Bei der Attribuierung wird zwischen a) der Auftexttilgung durch Überschreibung: , b) Nutzung der Ressourcen des getilgten Zeichens: oder c) Nachzeichnung: unterschieden. Die leeren spitzen Klammern begrenzen die Änderungseinheit. Von der Tilgung nicht betroffene Segmente der linken Seite werden auf der rechten in Majuskelschrift bzw. Kapitälchen als Wiederholung angezeigt. Mithilfe von exponierten Kleinbuchstaben können die zusammengehörigen Segmente wie in d) miteinander verknüpft werden. Um den gültigen Text einer Auftexttilgung zu lesen, ignoriert man die weiterhin gültigen Zeichen vor dem Auftextsymbol und liest wie in e) nur die hinzugefügten und sich ggf. wiederholenden Zeichen dahinter. Im Falle von Sofortkorrekturen wie in f) wird in der Regel nur das Wortsegment ausgezeichnet, das von der Überschreibung betroffen ist. Bei der Lesung des gültigen Textes sind auch die Wortsegmente vor der Spitzklammer zu berücksichtigen. Spitzklammern. Die Edition verwendet analog zur KA für die Abgrenzung textgenetischer Vorgänge sogenannte ›leere‹ und ›gefüllte‹ Spitzklammern. Ähnlich wie bei dem Verfahren zur Textergänzung können sowohl einfachere Änderungen mittels ›leerer‹ als auch komplexere Vorgänge, d.h. Änderungszusammenhänge, welche Binnenzusammenhänge enthalten, mittels gefüllter Klammern verschachtelt werden. Hierdurch ergeben sich vielseitige Möglichkeiten der Strukturierung der genetischen Wiedergabe. Auszeichnung von Textstufen. Einzelne Änderungen und Stapelungen von Änderungen, die einer oder mehreren Textstufen zugeordnet sind, werden durch schmale runde Klammern umschlossen und intern mit Schrägstrich voneinander
Textdarstellungen Diakritische Auszeichnung
429 Erläuterung abgegrenzt. Jedes einer Textstufe zugeordnete Textsegment beginnt hinter einem Schrägstrich (Slash) und endet mit Attribuierung der Stufensigle vor einem ›Slash‹ (Bsp.: ...H.1⧸Text ⌜Textsegmenterg⌝H.2⧸). Aus dem in dieser Edition dargebotenen Fragment der EU können insgesamt drei Textstufen abgeleitet werden: Die erste Textstufe H.1 entspricht dem Text der Grundschicht, wie er mit seinen Sofortkorrekturen ohne späte Eingriffe gelesen werden kann. Die Gültigkeit der Textstufe H.1 wird durch die Spätänderungen der Textstufe H.2 teilweise aufgehoben. Der Text der Textstufe H.2 entspricht der ersten gültigen Fassung (F1) des ersten Kapitels und stellt für Kapitel II die einzige gültige Fassung dar. Textstufe H.3 ist eine zweite gültige Fassung (F2) von Kapitel I. Für die Darstellung des Textverlaufs der Eingriffe der Textstufe H.3 musste auf die weiter unten erläuterte sogenannte ›syn-lineare Spaltung‹ der betroffenen Textzeilen zurückgegriffen werden. Um komplizierte Änderungsvorgänge innerhalb einer Textstufe für die Nutzer/-innen verständlicher darstellen zu können, werden diese in Arbeitschritte aufgesplittet. Dazu wird der Stufenzählung zusätzlich ein durchlaufender Zähler angehängt. Die Lesung, welche der letztgültigen Gestalt der jeweiligen Textstufe entspricht, ist hier diejenige mit dem höchsten Zahlenwert. Sofortkorrekturen. Das Blitzsymbol markiert alle Arten von Sofortkorrekturen und wird hinter die entsprechende Darstellung des Änderungsvorganges platziert. Es gilt für die Vorgänge innerhalb der jeweils attribuierten Umklammerung. In a) haben wir beispielsweise eine Sofortstreichung, in b) und c) eine Sofortüberschreibung bzw. -ersetzung und in d) eine komplexe Sofortkorrektur.
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Editorischer Bericht
Diakritische Auszeichnung
Erläuterung Paginierung der EU. Die durch die Paginierung verlinkte Textmenge der betreffenden Dbl.-Seite der EU befindet sich hinter dem senkrechten Balken (Vertical Bar) und endet vor dem nächsten. Bei den Fußnoten kann zwar über die Verknüpfung der Fußnotenzählung mit dem Anzeiger im Basistext die Zuordnung auf die entsprechende Seite des Manuskriptes erschlossen werden. Da diese Anzeiger bei den sonstigen Anmerkungen Tr.’s über die Textkonstitution jedoch fehlen oder das Verweisziel sich ggf. noch auf der vorherigen Seite der genetischen Darstellungen befindet, werden doppelte ›Vertical Bars‹ zur Markierung von Seitenübersprüngen verwendet. Die beiden späten Textumstellungen des Fragmentes werden eingegrenzt durch leere Spitzklammern und mit den vorangestellten -Pfeilen markiert. Die syn-lineare Zeilenspaltung
... Text
Textverlauf H.1 und H.2 (Grundschicht und Fassung F1) Textverlauf H.3 (Fassung F2)
Text ...
Um die Eigenständigkeit der dritten Textstufe als zweite Fassung (F2) hervorzuheben, wird auf die Spaltung der Darstellung in ›Lesegleise‹ zurückgegriffen. Weil hier zwei lineare Wiedergaben miteinander quasi-synoptisch parallel laufen, wird das Verfahren in der Edition kurz ›syn-linear‹ genannt. Das obere ›Lesegleis‹ setzt die im nicht gespaltenen Text wiedergegebene genetische Entwicklung der ersten Fassung (F1) bzw. der ersten und zweiten Textstufe fort. Während sich im unteren ›Gleis‹ ausschließlich die Genese ab Texstufe H.3 befindet. Existiert zum Textverlauf des jeweiligen ›Gleises‹ kein Gegenstück im anderen ›Gleis‹, z.B. bei größeren Textergänzungen oder -auslassungen, bleibt die Darstellung dort entsprechend leer.
Textdarstellungen
431 Besonderheit Kolumnenapparat
Tr. ändert den Titel des ersten Kapitels viermal ab. Dies geschieht, bevor er mit der Schreibarbeit für den Basistext beginnt. Für die Darstellungen der vier Titelstufen (T1–T4) wird eine klassisch-kolumnierte Darstellung gewählt. Für die jeweiligen Titelstufen liest man die beiden Zeilenvarianten mit der entsprechenden Stufensigle: 7 T.1
Beispiellesung: Für T.2 liest man ... →
I. Der Ort der Ethik blim
7 T.2 7 T.3
... und →
blder
8 T.2 8 T.3 8 T.4
↶im [Jnbegr ⊄]bl i→n
7 T.4
dem
[Jnbegriffbl
Wiſſenschaftenbl
↶Jnbegriff der Wiſſenschaften.
Erläuterung der diakritischen Zeichen: 1. Überschreibung. 2. Nutzung der Ressourcen eines getilgten Zeichens. 3. Tilgung durch Radierung. 4. < > Wiederholung des Textes der vorherigen Variantenzeile.
Eingriffe des Herausgebers
Erläuterung
[ausgeklammert] Wo[r]rt
Durch den Herausgeber getilgter Text wird mit kursiven ›Square brackets‹ umschlossen, jedoch farblich nicht als ›ungültig‹ markiert. Trotz Eingriff soll der Entwurfscharakter des Fragmentes erhalten bleiben. Die diakritischen Auszeichnungen können bei Bedarf jederzeit ignoriert und der Text in seiner historischen Gestalt rezipiert werden.
{hinzugefügt oder geändert} {;}
Durch den Herausgeber hinzugefügter bzw. geänderter Text wird kursiviert und in ›Akkoladen‹ eingeschlossen.
432
Editorischer Bericht
Richtlinien der Klartextangebote Bei der Darstellung der Klartextangebote werden bekannte oder eindeutige Abbreviaturen und Suspensionsschleifen bis auf wenige Ausnahmen13 nicht aufgelöst, historische Eigentümlichkeiten der Interpunktion sowie fehlende Punkte (türkisches ) nicht ergänzt.14 Die Wiedergabe von Suspensionsschleifen erfolgt einheitlich über das Sigma . Obligatorische Satzzeichen sowie Abkürzungspunkte werden hinzugefügt,15 überzählige Interpunktionszeichen, z.B. nach Textergänzungen, entfernt. Eine Korrektur erfolgt in der Regel bei unkorrekt geschriebenen Namen, eindeutigen Rechtschreib- und Grammatikfehlern16 sowie unzutreffenden Seitenangaben in Verweisen, da diese für das Textverständnis wichtig sind. Durch die typografische Hervorhebung im Kursivsatz sowie die zusätzliche Einklammerung mittels ›Square Brackets‹ (Bsp.: [,], blo[ß]) ist die Unterscheidung zwischen Autortext und den erfolgten Eingriffen des Herausgebers jederzeit gegeben. Die Darstellung erhält einen durchlaufenden fünfschrittigen Zeilenzähler, welcher Anmerkungen und Fußnoten Tr.’s einbezieht, sowie eine Paginierung. Die adressierte Textmenge der Paginierung beginnt hinter dem -Balken (Vertical Bar) und endet vor dem nächsten. Bei Seitenübersprüngen werden sich wiederholende Zeilenzähler derselben Dbl.-Seite durch doppelte ›Vertical Bars‹ angezeigt . Dadurch ist es Nutzer/-innen der Edition jederzeit möglich, ohne Aufwand die entsprechende Stelle in den verschiedenen Textdarstellungen zu konsultieren. In beiden Kapiteln befindet sich je eine Alternativvariante, welche ohne weitere Anmerkungen von Tr. spät ergänzt wird. Für die Klartexte verwendet die Edition die ältere vormals gesetzte Variante, da diese für Tr. – zumindest eine Zeit lang – gültig ist. Die Alternative wird in entsprechender Fußnote hinterlegt. Hinzu kommen mehrere Randnotizen Tr.’s, von denen für die jeweilige Fassung oder das jeweilige Kapitel relevante Ausführungen ebenfalls unter dem Text notiert werden. 13 Gemeint sind hier einige untypische Abbreviaturen der Sorte ›Kontraktion‹. 14 Die einzigen Ausnahmen bilden die Ergänzungen der Tremata beim Nachnamen des Philosophen Chalybäus auf Dbl. 3/1v sowie bei ›höchste‹ auf Dbl. 17/1v. 15 Insbesondere bei als Apposition intendierten Satzbestandteilen, bei denen z.B. das schließende Komma oder der Gedankenstrich ausbleiben und somit das Risiko des Missverständnisses einer Konjunktion besteht, sowie beim völligen Auslassen der Markierung solcher Beisätze, erfolgt eine Korrektur des Hrsg. Die Eingriffe stehen hierbei im Dienste eines korrekten Textverständnisses. 16 Die beiden im Verhältnis zum übrigen Fragment inkonsistenten Schreibungen von ›blos‹ auf Dbl. 6/1r, Z. 31 und ›obwohl‹ auf Dbl. 8/1r, Z. '24 werden an die im Fragment dominierende Schreibung angepasst.
Textdarstellungen
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Als Besonderheit des ersten Kapitels gilt, dass die Fassung F1 (≙ H.1–H.2) und die mutmaßliche Vortragsfassung F2 (≙ H.1–H.3) separat hintereinander abgedruckt werden. Da Tr. für F2 mehrere Seiten ausklammert und verschiedene Absätze neu formuliert, hätte ein paralleler Abdruck die durchgängige Leseerfahrung von F2 gestört. Auch wenn keine expliziten Anmerkungen darüber hinterlassen sind, ob und wenn ja, welche der Schlussfassungen maßgeblich ist, scheint Dbl. 12a/1r f., die zweite Schlussfassung, für einen gewissen Zeitraum gültig zu sein, da auf demselben Bogen im Schreibprozess direkt mit Kapitel II fortsetzt wird. Aus diesem Grunde wird der Klartext von F1 zusammen mit der zweiten Schlussfassung präsentiert. Da sich sowohl auf Dbl. 12a sowie auf Dbl. [12b] Winkelklammern befinden, welche Text für die dritte Textufe ausklammern, liegt die Ableitung nahe, dass die dritte Schlussfassung den Text von F2 konstituieren soll. Entsprechend wird F2 mit der dritten Schlussfassung, die erste Schlussfassung hingegen als separater Textanhang dargeboten. Richtlinien des diplomatischen Abdruckes von Das System Zu einem späten Zeitpunkt entscheidet sich Tr. dafür, Textsegmente der EU zum Zweck der Erweiterung des einundzwanzigsten Kapitels der LU2.II wiederzuverwenden. Um zu dokumentieren, welche Textsegmente und Inhalte in wörtlicher, geänderter oder sinngemäßer Form schließlich doch noch veröffentlicht werden, präsentiert die Edition XXI. Das System nebst Lesarten sowohl der LU1 und 3 als auch der übernommenen Textsegmente vollständig als diplomatischen Abdruck. Die Wahl der Fassung der LU2 als Leittext wird dadurch begründet, dass dort die eigentlichen Übernahmen erfolgen. Über die Aufschlüsselung der Varianten der ersten sowie der dritten Auflage ist es möglich einerseits das Kapitel in seiner Urform, d.h. ohne die Gedankengänge der EU, und andererseits die Frage nach einer möglichen weiteren Textentwicklung der betroffenen Textsegmente lückenlos beantworten zu können. In Abgrenzung zum diplomatischen Abdruck sind analog zu den anderen Textdarstellungen dieser Edition alle Herausgebertexte kursiviert. Auf der jeweiligen Innenseite der Kopfzeile (⎵⎵) befindet sich der durch ›Square Brackets‹ eingeklammerte Seitenzähler der LU2. Für die Auszeichung der Varianten der EU verweist die am Außenrand (⎵⎵) der jeweiligen Seite platzierte Leiste auf die betreffenden Dbl.-Seiten. Durch die senkrechten Klammern, die sogenannten ›Segmentanzeiger‹ (⎵⎵), wird in Verbindung mit dem durchlaufenden Zeilenzähler (⎵⎵) das betroffene Textsegment lokalisiert. Hierbei wird durch die Art der Linierung zwischen wortwörtlichen Übernahmen (⎵⎵) und Anlehnungen (⎵⎵) unterschieden. Innerhalb des Basistextes (⎵⎵) markieren gefüllte Spitz-
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Editorischer Bericht
klammern die exakte Textmenge der Übernahmen und Anlehnungen, welche zusätzlich mit einer durchlaufenden Nummer (⎵⎵...(1, 2, 3...)▶...◀...) versehen sind. Aufgrund dieser Kennzeichung ist es möglich, die einzelnen Lesarten der EU am Seitenfuß mit eigenem Einzelstellenapparat zu präsentieren (⎵⎵). Sofern vorhanden, finden sich dort ebenfalls die Varianten der LU1 und 3 (⎵⎵). Seitenumbrüche der variierenden Texte werden im Leittext durch ›Vertical Bars‹ als ›Seitenanzeiger‹ platziert und im Exponenten mit dem jeweiligen Variantentext verknüpft. Der Seitenanzeiger der EU wird mit exponiertem und der dazugehörige Verweis auf die Dbl.-Seite in Zeilenhöhe des Anzeigers (⎵⎵) wiedergegeben. Aus Platzmangel befinden sich die Seitenanzeiger der LU1 und 3 am Seitenfuß (⎵⎵) – jeweils durch Auflagenzahl im Exponenten attribuiert. Sofern für eine der verwiesenen Auflagen im Leitext mehrere Seitenanzeiger auftreten, werden diese durch eine alphabetische Zählung im Exponenten differenziert. Im Falle von Seitenübersprüngen, d.h. mehreren Seitenanzeigern derselben Seite des variierenden Textes, werden die ›Vertical Bars‹ zusätzlich doppelt wiedergebenen. Bei der Übetragung in die diplomatische Darstellung werden Zeilenfall, relative Positionierung, bedeutungshaltiger Leerraum sowie gesperrter oder exponierter Text exakt übertragen. Dabei entstehen darstellungsbedingt von Zeile zu Zeile Unregelmäßigkeiten in den Wortabständen, die in etwas abgeschwächter Form so auch in der originalen Vorlage zu erkennen sind. Im Falle der Varianten der LU1 wird auf Abdruck in Fraktursatz verzichtet. Eine Berücksichtigung der Titelangabe (⎵⎵) der Kopfzeile in der Zeilenzählung findet nicht statt.
Musterlayout des diplomatischen Abdruckes [S. 418]
XXI. Das System XXI. Das System.
EU (Dbl.)
Kapitel die Frage übrig, o b u n d w i e w e i t e i n e E r k e n n t n i s s d e s U n b e d i n g t e n m ö g l i c h s e i. Die Antwort muss mit dem Nothwendigen, das die vorangehenden Untersuchungen ergaben, in engem Zusammenhang stehen. Ehe wir zu dieser letzten Frage übergehen, mag nur noch ein Punkt erörtert werden, damit in der eben angedeuteten Gliederung der Wissenschaften keine Lücke bleibe. Wenn wir mit den Principien die Wissenschaften sich abstufen und als mathematische, physikalische, organische und ethische sich erheben sahen: so fragt sich, wohin gehört denn die Logik und Metaphysik, deren Einheit wir festgehalten haben? Wir haben sie oben als grundlegende Disciplin bezeichnet und wir bemerken Folgendes zur Rechtfertigung. (2)▶In der Eintheilung und Reihenfolge der Wissenschaften kreuzen sich leicht zwei leitende Gesichtspunkte, die Ordnung, welche der Entstehung der Sache folgt, und die Ordnung, welche der Gang des Lehrens und Lernens nöthig macht. Die methodische Rücksicht durchschneidet die genetische Strenge. Denn die genetische Betrachtung schöpft aus dem Grunde der Sache, während sich die methodische Anordnung den Bedürfnissen des sich entwickelnden lernenden Geistes anpasst.◀ (3)▶Die Stellung der Logik erscheint daher in den Systemen nicht selten wie ein Hysteronproteron. Als Theorie der Wissenschaft muss sie in Principien eingehen, welche den übrigen Wissenschaften angehören und welche sie von ihnen erst überkommt; und doch kann sie im philosophischen System der Disciplinen nicht wohl nachfolgen; denn sie soll ihnen den Grund sichern und |3den Bau vorzeichnen. Als Ergründung des subjektiven Denkens wird die Logik im genetischen System zu einem Theil der Psychologie; aber als Erkenntnisslehre, als Theorie der Wissenschaft, muss sie nicht bloss der Psychologie,|e sondern auch den [...]
343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 [...]
5/2v
6/1r f.
|e6/1v
Seitenanzeiger der LU: LU3.II (|3= S. 454) Lesarten der EU:
Lesarten der LU:
Textsegment (2) (Z. 356–363): 356 Variante X] Variante X2 EU, Dbl. 5/2v. 364 Variante Y] Variante Y2 EU, Dbl. 6/1r.
364 Variante X] Variante X2 LU3.II, S. 454 370 Variante Y] Variante Y2 LU3.II, S. 455 373 Variante Z] Variante Z2 LU3.II, S. 456
Auflistung der Emendation (Aufgelistet werden Emendationen der Klartexte.) ›I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F1)‹ Z. 48: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 53: fehlende Markierung der Apposition analog zu Z. 54 ergänzt. Z. 64: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 91: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 110-116: mehrere fehlende Satz- und Abkürzungspunkte ergänzt. Z. 115 f.: verschliffene Graphen beider Kontraktionen aufgelöst. Z. 118 f.: fehlende Markierung der Apposition ergänzt. Z. 141: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 153: fehlendes Komma ergänzt. Z. 173: fehlendes Trema und Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 176: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 185: fehlendes Komma ergänzt. Z. 200: fehlendes Anführungszeichen ergänzt. Z. 209: fehlende Gemination ergänzt. Z. 231: zwei fehlende Abkürzungspunkte ergänzt. Z. 278: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 298: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 356: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 364: an dominierende Schreibweise angepasst. Z. 405: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 435: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 449: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 491: ›obwol‹ an dominierende Schreibweise angepasst. Z. 493: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 529: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt sowie falsche Beugung korrigiert. Z. 570: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 630: fehlendes Komma ergänzt. Z. 668: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 720: fehlender oder verschliffener Graph ergänzt. Z. 733: fehlendes Komma ergänzt. Z. 747a: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 759: fehlende Abkürzungspunkte ergänzt. ›I. Der Ort der Ethik in dem Jnbegriff der Wiſſenſchaften (F2)‹ Z. 4 ff.: fehlender Abkürzungspunkt in Z. 5 sowie vermutl. Wortlaut der Einleitung in Z. 6 ergänzt.
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Editorischer Bericht
Z. 42: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 47: fehlende Markierung der Apposition analog zu Z. 48 ergänzt. Z. 60: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 87: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 107 f.: fehlende Markierung der Apposition ergänzt. Z. 110-116: mehrere fehlende Satz- und Abkürzungspunkte ergänzt. Z. 138: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 149: fehlendes Komma ergänzt. Z. 170: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 174: fehlendes Trema und Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 182: fehlendes Komma ergänzt. Z. 201: fehlendes Anführungszeichen ergänzt. Z. 207: fehlende Gemination ergänzt. Z. 232: zwei fehlende Abkürzungspunkte ergänzt. Z. 271: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 286: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 347: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 355: an dominierende Schreibweise angepasst. Z. 379: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 412: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 417: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 446 und 448: fehlender Abkürzungs- und Satzpunkt ergänzt. Z. 452 und 455: für Lesung von F2 jeweils in Majuskel korrigiert. Z. 469: fehlendes Komma ergänzt. Z. 477 f.: für Lesung von F2 jeweils in Majuskel korrigiert und nötigen Satzpunkt ergänzt. Z. 488: Satzpunkt ergänzt. Z. 538: fehlender oder verschliffener Graph ergänzt. Z. 549: Komma ergänzt. Kapitel I – Erste Schlussfassung Z. 11: fehlendes Komma ergänzt. Z. 29: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 55 f.: fehlende Markierung der Apposition ergänzt. Z. 58: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. ›II. Die organiſche Weltanſicht als Grundlage der Ethik‹ Z. 56: falsche Seitenzahl in Verweis korrigiert. Z. 112: fehlender oder verschliffener Graph ergänzt.
Auflistung der Emendation Z. 118: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 165: fehlendes Komma ergänzt. Z. 172: fehlendes Komma der Apposition ergänzt. Z. 196: fehlendes Komma ergänzt. Z. 203: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 203: fehlender Abkürzungspunkt ergänzt. Z. 219: versehentliche Lateinschreibung angepasst. Z. 219 ff.: Anführungsstriche in Zitat ergänzt. Z. 244: fehlendes Komma ergänzt. Z. 262: verschliffener Graph der Kontraktion aufgelöst. Z. 303: fehlender Satzpunkt ergänzt. Z. 332: fehlendes Trema ergänzt.
439
Literatur- und Abbildungsverzeichnis
Literatur Primärliteratur Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt von Ursula Wolf (Hg.). 5. Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbeck bei Hamburg 2015. Fischer, Kuno: Syſtem der Logik und Metaphyſik oder Wiſſenschaftſlehre. 2. völlig überarbeitete Auflage. Friedrich Bassermann Verlag. Heidelberg 1865. Platon: »Politikos«. In: Ders.: Sämtliche Werke. 4 Bde. Auf der Grundlage der Bearbeitung von Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plamböck neu herausgegeben von Ursula Wolf. 37. Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbeck bei Hamburg 2013. Bd. 3: Kratylos, Parmenides, Theaitetos, Sophistes, Politikos, Phelebos, Briefe. S. 337–418. Spinoza, Baruch de: Die Ethik von Spinoza (Ethica). Neu überſetzt und mit einem einleitendem Wort verſehen von Jakob Stern (Hg.). Philipp Reclam jun. Verlag. Leipzig 1887. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Die logische Frage in Hegel’s System. Zwei Streitschriften. F. A. Brockhaus Verlag. Leipzig 1843. Trendelenburg, Friedrich Adolf: Ethiſche Unterſuchungen. Manuskript. Berlin [ca. 1851]. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2. (Komplett) Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: »Herbart’s praktische Philosophie und die Ethik der Alten.« In: Ders. (Hg.): Historische Beiträge zur Philosophie. 3 Bde. Hier Bd. 3: Vermischte Abhandlungen. Gustav Bethge Verlag. Berlin 1867. S. 122–170. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Logische Untersuchungen. 2 Bde. Gustav Bethge Verlag. Berlin 1840. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Logische Untersuchungen. 2 Bde. 2. ergänzte Auflage. Salomon Hirzel Verlag. Leipzig 1862. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Logische Untersuchungen. 2 Bde. 3. vermehrte Auflage. Salomon Hirzel Verlag. Leipzig 1870. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. Salomon Hirzel Verlag. Leipzig 1860.
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Literatur- und Abbildungsverzeichnis
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Literatur
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Lexika Die Lebensdaten historischer Persönlichkeiten in dieser Edition sind der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) sowie der Neuen Deutschen Biographie (NDB) entnommen.
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Zitierte Briefe, Tagebucheinträge und sonstige Dokumente Aus F. Trendelenburg: Geschichte der Familie Trendelenburg: Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Tagebucheintrag vom Samstag, den 10. Mai 1817. S. 123 f. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an Marianne Trendelenburg vom Montag, den 25. Dezember 1820. S. 124. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an Marianne Trendelenburg von Weihnachten 1822. S. 130. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an nicht genannte Person (verm. wieder Marianne Trendelenburg) wahrscheinlich vom April 1823. S. 130 f.
Literatur
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Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an Julie Trendelenburg vom Herbst 1823. S. 132. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an nicht genannte Person vom Montag, den 2. Mai 1825. S. 138. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an August Baggesen vom Dienstag, den 19. April 1825. S. 139. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an Friedrich Wilhelm Trendelenburg vom Sommer 1826. S. 146 Aus Bratuscheck: Adolf Trendelenburg: Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Abschiedsrede vom Freitag, den 29. März 1822. S. 12–16. Trendelenburg, [Friedrich] Adolf: Brief an Friedrich Wilhelm Trendelenburg vom Mittwoch, den 4. August 1824. S. 39.
Abbildungen Abb. 1: B. J. Hirsch’s photogr. Kunst-Verlag: Dr. Trendelenburg, Prof. d. Philos., Berlin 1848. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Portr. Slg / Philos. gr. / Trendelenburg, Friedrich Adolf, Nr. 5. Abb. 2–79: Friedrich Adolf Trendelenburg: Ethiſche Unterſuchungen. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2. Abb. 80: Christian Biehl: Sammelbox 9. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Abteilung Handschriften und Historische Drucke. Nachlass Trendelenburg, Friedrich Adolf, Handschrift B 9,2.
Anhang
Register Namensregister Alexander, ›alexandrinisch‹ 30, 112, 246, 321, 319, 369 Altenstein, Karl Freiherr von 14 f. Aratos von Soloi 12 Aristarch 112, 246, 321 Aristophanes 112, 246, 321 Aristoteles, ›aristotelisch‹, ›Ariſt.‹ X f., 6, 8 f., 13 ff., 17, 19, 26 f., 30, 63, 67 f., 76, 88, 95, 108, 111 f., 140, 196, 224, 227, 228, 231, 235, 239, 245, 246, 260, 290, 306, 308 f., 311, 313 f., 316, 320 f., 329, 336, 338–341, 343 f., 346, 353, 373, 383, 395, 397 Atomiker, ›atomistisch‹ 36, 179, 204, 283, 368 Augustin 12 Baggesen, August 9, 13 Basedow, Johann Bernhard 10 Baumgarten, Alexander Gottlieb 27, 76, 231, 311, 341, 397 Baumgartner, Wilhelm X Becker, Karl Ferdinand 15 f. Beiser, Frederick C. XI f. Bekker, Immanuel 9, 12 Berger, Johann Erich von, ›Berger’schen‹ 7 ff.
Bobrik, Eduard 80, 233, 311, 342, 398 Boeckh, August 11 f., 14 f. Bonitz, Hermann IX Bopp, Franz 12 Brandis, Christian August 9, 68, 229, 308, 338 Bratuscheck, Ernst Karl Ludwig 3, 7 f., 15, 407 Brentano, Franz XI Brüllmanns, Philipp XI Campanella, Tommaso 30, 115, 247 f., 322 Chalybäus, Heinrich Moritz 75, 231, 310, 340, 432 Ciceros Sohn 5 Cohen, Hermann XI Cramer, Andreas Wilhelm 7 Dahlmann, Friedrich Christoph 7 Darwin, Charles Robert, ›Darwinismus‹ 22 Dathe, Uwe X Demokrit, Demokritismus 36, 104, 184, 244, 285, 319, 369 Descartes, Rene, ›Cartesius‹, ›cartesisch‹ 27 f., 30, 88, 91 f., 95, 116, 236 ff., 248, 314 ff., 322, 344 f., 395 Dilthey, Wilhelm IX, 21
452 Diogenes Laertios 87, 314, 344 Eckermann, Jakob Christoph Rudolf 7 Encke, Johann Franz 10 Eratosthenes 112, 247, 321 Erman (Physiker) 13 Eucken, Rudolf IX, 19, 21 Euklides 112, 247, 321 f. Fichte, Johann Gottlieb 8, 27, 75, 231, 311, 340 Fischer, Kuno XI, 21 f. Forchhammer, Peter Wilhelm 9, 11 Friedrich der Große 23 Fries, Jakob Friedrich 5, 11 Fugali, Eduardo X Gabriel, Gottfried X Gellius, Aulus 7 Gerson, Jean le Charlier de 75, 231, 310, 340 Goethe, Johann Wolfgang von 10 Grimm, Dorothea (geb. Wild) 19 Grimm, Jakob 19 Grimm, Wilhelm 19 Hartung, Gerald X f., 18, 34
Anhang Hegel, ›Hegelkritik‹, ›Hegel’sche‹ IX f., 4, 11 f., 17 f., 21, 28–31, 92, 96, 238 f., 316 f., 345 f. Helmsdörfer, Sophie 23 Henning, Leopold Dorotheus 12 Herbart, Johann Friedrich 21, 36, 76, 80, 83 f., 119, 232 ff., 249, 311 ff., 323, 341 ff., 395, 398 f. Hermann, Gottfried Johann Jakob 9, 11 Hipparch 112, 247, 321 Homer 5 Horaz 11 Hurlebusch, Klaus 422 Ideler, Ludwig 12 Kant, Immanuel, ›Kant-Lücke‹, ›Kant’schen‹, ›Kantianer‹ IX, XI, 4 f., 7 f., 13, 19, 22, 27, 30, 75 f., 79, 116, 119 f., 231 f., 239, 248 ff., 311 f., 317, 323 f., 340 f., 346, 389, 397 f. Kiesewetter, Johann Gottfried Karl Christian 5 Kindt, Rudolph 13 King, Colin Guthrie XI Köhnke, Klaus Christian X, 18 König, Georg Luwig 4 ff., 11, 14 Kopernikus/Copernicus 184, 285, 369 Kreiter, Erik X
Register Kühne-Bertram, Gudrun X Laas, Ernst XI Lachmann, Hans-Jürgen X Leibniz, Gottfried Wilhelm 8, 140, 260, 329, 353 Lessing, Hans-Ulrich X Lotze, Hermann X f. Luther, Martin 10 Meyer, Jürgen Bona XI Nagler, Karl Ferdinand von, ›Naglers‹ 14 f. Nagler, Karl von (Sohn von ebd.) 14 f. Nasser, Johann Adolf 7 Neander, August 12 Orth, Ernst Wolfgang X Paulsen, Friedrich XI, 16 Peripatetiker 95, 239, 316, 346 Pfaff, Christoph Heinrich 7 Platon/Plato, ›Platonismus‹, ›platonisch‹, ›neu-platonisch‹ 5, 8, 13 f., 19, 26, 28, 30, 36, 60, 75, 84, 95, 107, 115, 143, 162, 179, 184, 224, 231, 235, 239, 244, 260, 275, 283, 285, 306, 310, 313, 316, 319 f., 322, 330, 336, 340, 343, 346, 353 f., 368 f., 391, 395 Plautus 9
453 Plutarch 87, 314, 344 Prantl, Carl von XI Proklos/-us 115, 247, 322 Ptolemäus/Ptolemaeus 112, 184, 247, 285, 321, 369 Pythagoras, ›phytagoreisch‹ 104, 187, 244, 286, 319, 370 Rapp, Christof XI Reimer, Nicolaus Theodor 7 Reinhold, Karl Leonhard 7 Ritter, Carl 13 Rosen, Friedrich 13 Salzmann, Christian Gotthilf 10 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 19 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich 11 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 11–14, 16, 19 Scholtz, Gunther X Schulze, Johannes 14 f. Sextus Empiricus 84, 87, 235, 313, 343, 395 Sokrates, ›Sokr.‹ 162, 275, 354 Spinoza, Baruch de, ›Spinozismus‹, ›spinozistisch‹ 19, 22, 27 f., 30, 36–39, 91, 115 f., 149, 179, 187 f., 191 f., 195 f., 199 f., 203 f., 207 f., 237 f., 247 f., 266, 283, 286–290, 292–295, 315, 322, 344 f., 360, 368, 370–373, 375 ff., 395, 406
454 Spohn, Friedrich August Wilhelm 11 Steffens, Henrich 13 Stobaeus 404 Stoiker, ›stoisch‹ 27 f., 84, 87 f., 92, 95, 112, 235–239, 247, 313–316, 321 f., 343–346, 397 Strabon/Strabo 115, 247, 322 Synesius von Kyrene 12 Thales 30, 104, 244, 319 Thomsen, Christian Nikolaus Theodor Heinrich 9 Thukydides 12 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 5, 10 Trede, Ludwig Bendix/Benedict 6 Trendelenburg, Ferdinande (geb. Becker), (Ehefrau Tr.’s) 16, 19 Trendelenburg, Friedrich, (Sohn Tr.’s) 7, 9, 15, 23 Trendelenburg, Friedrich Wilhelm, ›Eltern‹ 3, 6, 9, 11, 14, 16 Trendelenburg, Julie, ›Schwester‹ 10 Trendelenburg, Karl, ›Sohn‹ 16 Trendelenburg, Marianne, ›Schwester‹ 6, 7 Trendelenburg, Susanna Katharina, (geb. Schroeter), ›Eltern‹, ›Mutter‹ 4, 9, 14, 16 Twesten, August Detlev Christian 7
Anhang Ueberweg, Friedrich XI Vilkko, Risto X Vorsokratiker 30 Voß, Johann Heinrich 3 Wachsmuth, Ernst Wilhelm 7 Wolff, Christian/Wolf 27, 30, 75 f., 79, 95, 116, 231 f., 239, 248, 311, 316, 322, 340 f., 346, 397 f. Zenodot 112, 246, 321
Register
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Werkregister Aufgelistet werden, mit Ausnahme der Schriften Trendelenburgs, lediglich diejenigen im Text genannten Werke, die nicht in der Literaturliste erwähnt sind. Adversus mathematicos (Sextus Empirikus) 87, 236, 314, 344, 395 Analytica posteriora (Aristoteles) 108, 245, 320 Anmerkung (Brandis’ zur Nikomachischen Ethik in unklarer Quelle) 68, 229, 308, 338 Anti-Trendelenburg (Kuno Fischer) 22 Aristotelis de anima libri tres (Trendelenburg) 15, 17 Berliner Akademieausgabe (Kant) 9 Bibel 10 De Anima (Aristoteles) 15 De incessu animalium (Aristoteles) 108, 245, 320 Der Himmel auf Erden (Salzmann) 10 De Stoicorum repugnantiis (Plutarch) 87, 236, 314, 344 Die Bereicherung des lateinischen Wortschatzes durch Plautus (Wettbewerbsbeitrag Trendelenburgs) 9 Die logische Frage in Hegels System. Zwei Streitschriften (Trendelenburg) 18 Discours de la méthode (Descartes) 116, 248, 322
Discursus praeliminaris de philosophia in genere (Wolff) 76, 231, 311, 341, 397 Elementa logices Aristoteleae (Trendelenburg) 17 Elemente der Theologie, ›στοιχείωσις θεολογικὴ‹ (Proklos/-us) 115, 247, 322 Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus (Köhnke) XI Epistola Authoris ad Principiorum Philosophiae Interpretem Gallicum (Descartes) 88, 236, 314, 344, 395 Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik. Zunächst für den Unterricht in Gymnasien (Trendelenburg) 17, 383 Ethica, Ethik, ›eth I–IV‹ (Spinoza) 27, 37 f., 188, 192, 195 f., 204, 207, 289 f., 294, 372 f., 376 Geschichte der Kategorienlehre (Trendelenburg) 143, 261, 329 Hamburger Klopstock-Ausgabe, KA, Arbeitstagebuch (Klopstock) 422, 426 ff. Historischen Beiträge zur Philosophie (Trendelenburg) 19, 407 Iliade/Ilias (Homer) 5 Jenaische allgemeine Literaturzeitung 18 Kleine Schriften (Trendelenburg) 22
456 Kritik der reinen Vernunft (Kant) 22, 76, 231, 311, 341, 397 Kritik der Urtheilskraft (Kant) 76, 232, 311, 341, 397 Kuno Fischer und sein Kant (Trendelenburg) 22 Leben und Lehre der Philosophen, ›Diogenes Laert.‹ (Diogenes Laertios) 87, 236, 314, 344 Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie (Herbart) 80, 233, 311, 342, 398 Logische Untersuchungen, ›LU‹ (Trendelenburg) IX, XI f., 8, 17–22, 28–32, 83, 95, 100, 103, 128, 139, 143, 150, 171, 180, 188, 234, 241 f., 255, 259, 261, 266, 279 f., 283, 287, 313, 318, 326, 329, 342 f., 346, 353, 360, 365 f., 371, 383, 406–409, 421, 424, 433 ff. Meditationes de prima philosophia, ›Meditationen‹ (Descartes) 116, 248, 322 Metaphysik (Aristoteles) 63, 111, 224, 246, 306, 321, 336, 395 Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, ›NR‹ (Trendelenburg) XI, 8, 20, 25, 31 f., 34, 38, 383, 406 f., 409 Neues praktisches System der Logik (Bobrik) 80, 233, 311, 342, 398 Nikomachische Ethik, ›eth. Nic.‹ (Aristoteles) 26, 63, 108, 196, 224, 245, 290, 306, 320, 338, 373, 395 On the Origin of Species (Darwin) 22
Anhang Platonis de ideis et numeris doctrina ex Aristotele illustrata (Trendelenburg) 14 Politik (Aristoteles) 68, 229, 308, 338 Politikos, ›Staatsmann‹ (Platon) 26, 60, 224, 306, 336 Principia philosophiae (Descartes) 116, 248, 322 Sermones (Horaz) 11 System der Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre (Fischer) 22 Tractatus de intellectus emendatione (Spinoza) 91, 237, 315, 344 Tractatus politicus (Spinoza) 203, 292, 375 Über den letzten Unterschied der philosophischen Systeme (Vortrag) (Trendelenburg) 35 f., 171, 280, 366 Ueber den Ort der Ethik im Inbegriff der Wiſſenſchaften (Vortrag) (Trendelenburg) 20 f., 407 Über Spinoza’s Grundgedanken und dessen Erfolg (Vortrag) (Trendelenburg) 37 f., 188, 287, 371, 406