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German Pages 53 [60] Year 1997
Ernst Reuter-Vorlesung im Wissenschaftskolleg zu Berlin 26. JUNI 1996
ELIE WIESEL
Ethics and Memory Ethik und Erinnerung Mit einer Vorrede von Wolf Lepenies
w G DE
Walter de Gruyter • Berlin · New York 1997
@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutscht Bibliothek — CIP-Emheitsanfnahme
Wiesel, Elie: Ethics and memory = Ethik und Erinnerung / Elie Wiesel. Mit einer Vorrede von Wolf Lepenies. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Ernst Reuter-Vorlesung im WissenschaftskoUeg zu Berlin ; 1996) ISBN 3-11-015649-0 brosch.
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WOLF LEPEN IES
EINLEITUNG
Diese Vorlesung bildet, am Vorabend der Sit2ung unseres Stiftungsrates, den Höhepunkt des akademischen Jahres im Wissenschaftskolleg. Mein besonderer Dank gilt Elie Wiesel und Edzard Reuter — Ihnen, Herr Reuter, als dem Vorsitzenden unseres Freundeskreises, der die Idee der Ernst Reuter-Vorlesungen zu verwirklichen half, und Elie Wiesel, dem Redner des heutigen Abends, der - nach Jean Franfois-Poncet und Richard von Weizsäcker — dieser Vorlesungsreihe durch sein Ansehen intellektuelles und moralisches Gewicht verleiht. Dear Elie — more than a year ago, I asked you whether you might be willing to give the Ernst Reuter-Lecture at the Wissenschaftskolleg. I was pleased that you accepted my invitation — and I was moved because you accepted it without hesitation. I do not take this as a matter of course. I thank you for being with us in Berlin today. You are most welcome. Elie Wiesel dankend, erinnere ich an eine andere, länger als 15 Jahre zurückliegende Einladung ins Wissenschaftskolleg, die der Adressat in einem Brief vom 12. Februar 1981 mit den Worten annahm: „Ich beabsichtige, wenn die Details zu unserer gegenseitigen Zufriedenheit geregelt
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werden können, mit meiner Frau zusammen zu kommen und das akademische Jahr in Berlin zu sein." Diesen Brief schrieb ein Alleswisser, der immer noch mehr wissen wollte - so hat ihn Elie Wiesel in seinen Memoiren charakterisiert — diesen Brief schrieb Gershom Scholem aus Jerusalem nach Berlin, an Peter Wapnewski, den Gründungsrektor des deutschen Institute for Advanced Study, der den großen jüdischen Gelehrten eingeladen hatte, als der in jeder Hinsicht erste Fellow der neuen Institution nach Berlin zu kommen. Auch Institutionen brauchen Fortüne. Die fortuna nimmt dabei in der Regel die Gestalt großer Persönlichkeiten an. Die Geschichte des Wissenschaftskollegs ähnelt hierin der Geschichte einer Vorbildinstitution, des Institute for Advanced Study in Princeton. Das Institut in Princeton wurde eine herausfordernde, eine mitreißende intellektuelle Realität, als an einem kühlen Sommerabend des Jahres 1930 Abraham Flexner Albert Einstein in seinem Haus in Caputh aufsuchte und von diesem auf die Frage, ob er bereit sei, am Aufbau der neuen Institution in Princeton mitzuwirken, die spontane und begeisterte Antwort erhielt: „Ich bin Feuer und Flamme dafür." Albert Einstein wollte Deutschland bereits verlassen, bevor er Deutschland verlassen mußte. Er und andere jüdische, deutsche Emigranten, Flüchdinge, Verjagte und Vertriebene — wie Erwin Panofsky, Hermann Weyl und Ernst Kantorowicz — verliehen Princeton von Anbeginn einen Weltrang, der bis heute blieb. Auf die Frage, wer für das Institut in Princeton am meisten getan habe, antwortete Abraham Flexner stets, ohne zu zögern: Adolf Hitler. 2
Als Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin im Jahre 1980 auf die energische Initiative des damaligen Wissenschaftssenators Peter Glotz — den ich in seinem Haus heute abend herzlich willkommen heiße — die Gründung eines deutschen Institute for Advanced Study beschlossen, da taten sie dies in Erinnerung an einen deutschen Emigranten, da taten sie es zum Gedenken an Ernst Reuter, und sie machten es der neuen Insdtudon zur Verpflichtung, die abgerissenen, die von Deutschen durchschnittenen Bande deutsch-jüdischer Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaften wieder zu knüpfen — wo immer Deutsche dazu fähig und einst deutsche Juden dazu bereit sein würden. Das institutionelle Ethos dieses Hauses, des Wissenschaftskollegs zu Berlin, ist ein Ethos der Erinnerung. Fortüne ist manchmal unverdientes, immer unverhofftes Glück. Mit der Zusage Gershom Scholems hat das Kolleg Fortüne gehabt; ob dieses unverhoffte Glück heute, nach mehr als 15 Jahren, bereits zu einem verdienten Glück geworden ist, müssen andere entscheiden. Fest steht, daß Gershom Scholems Zusage, als Fellow ans Wissenschaftskolleg zu kommen, daß seine Präsenz und seine Arbeit in Berlin der neuen Insrituüon einen wissenschaftsmoralischen Kredit gaben, von dem sie zehren durfte und mit dem sie wuchern konnte. Wir haben mit Gershom Scholem Glück gehabt. Wir haben — um nur einige zu nennen — Glück gehabt mit unseren Fellows Reinhard Bendix, Peter Gay und Albert Hirschman, die, alle in Berlin geboren und aus Berlin verjagt, durch die Einladung ans Kolleg nach Berlin zurückkamen; wir haben Glück gehabt, daß Fritz Stern, den ich herzlich begrüße, uns beriet und daß Yehuda Elkana unser Permanent Fellow 3
wurde, wir freuen uns auf Geoffrey Hartmann aus Yale, der in Frankfurt, und auf Albert Friedländer aus New York, der in Berlin geboren wurde, und heute abend freuen wir uns, daß Elie Wiesel die Ernst Reuter-Vorlesung halten wird. Zu den Deutschen, in deren Namen man die wissenschaftsmoralische Gründungsabsicht des Wissenschaftskollegs aussprechen konnte, gehörte Ernst Reuter. Er, der dem Tod im Konzentrationslager entgangen war und schließlich in die Türkei hatte fliehen können, sah schon 1946, daß den Deutschen nach dem verlorenen Krieg inmitten der Verwüstung ihrer Städte noch größere Verwüstung drohte: eine moralische Verwilderung, die sich mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder durchaus vereinbaren ließ. Ernst Reuter stand dabei der Entnazifizierung skeptisch gegenüber: er sah in ihr vor allem ein Schauspiel der Bürokratie, mit dem viele Betroffene eine Pseudo-Katharsis ohne wirkliche Reue inszenieren konnten. Umso entschiedener setzte er sich für eine materielle, mehr noch für eine geistige Wiedergutmachung ein, und die Worte, die er zum 10. Jahrestag der Vernichtung des Warschauer Ghettos sprach, sind es wert, heute und morgen zitiert zu werden: „Wir wissen auch, daß es trotz allem eine Verantwortung aller Deutschen gibt für das, was in ihrem Namen geschehen ist, eine Verantwortung, die sich darin äußern muß, daß wir wiedergutmachen, daß wir überwinden, was die Vergangenheit und nicht nur diese vergangenen zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes, sondern auch eine lang herrschende Vergangenheit vorher an Bösem, an Unsagbarem in unserem Volk und auch in manchen ande4
ren Völkern dieser Erde hat groß werden lassen ... Die echte Wiedergutmachung, die allein für unsere jüdischen Mitbürger zählen kann, ist die innere Wiedergutmachung und ist die innere Wiedergeburt unseres Volkes, daß unser Volk sich von diesen Giften des nationalen Hochmuts, des Rassenhasses, der Überheblichkeit und der Selbstgerechtigkeit abwendet ... Viele von uns, und ich gehöre zu ihnen, wissen, was sie dem jüdischen Gedankengut in der Geschichte unseres eigenen Volkes verdanken ... Einmal möge uns auch aus unserem Volke ein neuer Lessing entstehen ... Dann, nur dann, nicht nur, wenn es Milliarden exportiert, ökonomisch tüchtig ist und viele Gewinne macht und der Welt imponiert, sondern nur, wenn es diese geistige Leistung vollbracht hat, ... nur dann wird unser Volk sagen können: die Menschen, die damals im Ghetto von Warschau fielen, diese Opfer eines grauenvollen Regimes, sind doch nicht umsonst gestorben, denn sie haben an unser Gewissen gerührt, und unser Gewissen wird uns nicht schlafen lassen, bis wir dieses große schönere Ziel erreicht haben."1 Ethics and Memory — niemand würde den Titel des heurigen Vortrage von Elie Wiesel besser verstanden haben als Ernst Reuter, weil er wußte, wie wichtig es für die Deutschen war, das Ethos ihres Zusammenlebens um der Zukunft willen auf Erinnerung zu gründen. Elie Wiesel habe ich zum ersten Male an einem ungewöhnlichen Ort getroffen: im Richelieu-Flügel des Pariser 1
Willy Brandt / Richard Löwenthal, Ernst Reuter. Ein Leben fir die Freiheit. Eine politische Biographie, München (Kindler) 1957, S. 338-339
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Louvre, in den Prunkgemächern Napoleons III., in denen die Académie Universelle des Cultures tagt, deren Präsidentschaft Elie Wiesel auf Bitten François Mitterands und Jack Langs übernommen hatte. Elie Wiesel hieß die neuen Mitglieder der Akademie willkommen, und er tat es im Ambiente des Zweiten Empire mit einem republikanischen Pathos, das ihm wie selbstverständlich eigen ist. Dieses erste Treffen bereits machte mir deutlich, wie sehr Elie Wiesel, der Zeuge einer nicht endenwollenden, einer nicht endenkönnenden Erinnerung, zugleich ein Anwalt der Zukunft und der Hoffnung ist. Ein Zeuge der Erinnerung, nicht aus freien Stücken ist Elie Wiesel — hierin Jorge Semprún ähnlich — zum Autor vieler Bücher geworden und ist dabei doch der Autor eines Buches geblieben. Dieses eine, dieses einzige Buch beginnt mit seiner Geburt im nordsiebenbürgischen Sighet, das ursprünglich rumänisch war und 1940 von Ungarn besetzt wurde. Von dort wurde der 16jährige Elie Wiesel, in Kindheit und früher Jugend durch eine Tradition tiefer chassidischer Frömmigkeit geprägt, 1944 mit seiner Familie nach Auschwitz, später mit seinem Vater nach Buchenwald deportiert. Ich werde dieses eine Buch, das Elie Wiesel, ein Uberlebender aus einer Familie von Ermordeten, immer wieder geschrieben hat, nicht nacherzählen. Ohnehin will ich — Elie Wiesel begrüßend und im Wissenschaftskolleg willkommen heißend - weder eine biographische noch eine bibliographische Litanei aufsagen. Es gibt Umstände, unter denen die Biographie wie die Nacherzählung zu schamlosen Genres werden. Es war ein aufrechter Katholik, es war François Mauriac, der Elie Wiesel dazu überredete, in einer halb-autobiographischen Form über die Erfahrungen eines Jungen 6
im Konzentrationslager zu berichten. Und die Welt hat geschwiegen erschien, auf Jiddisch, zum ersten Male 1956; La Nuit, die gekürzte Fassung, wurde zwei Jahre später veröffentlicht. Kritiker haben in diesem Buch die überzeugendste literarische Darstellung des Holocaust gesehen. Darüber zu entscheiden, steht weniger Kritikern und Lesern, als vielmehr Überlebenden zu. Vielleicht wird man hier von einer Literaturgattung sprechen dürfen, bei der nur die Extreme gelten: Elie Wiesels La Nuit auf der einen Seite des Spektrums und auf der anderen Imre Kertesz' Roman eines Schicksallosen. Elie Wiesel hatte als erster gesprochen - jeder, der nach ihm schrieb, mußte ihm, direkt oder indirekt, antworten. „Ich habe niemals Literatur über Konzentrationslager lesen können, und ich weiß, daß es überhaupt keine Literatur gibt, die das schildern kann" — dies sagte ein Überlebender, Ernst Reuter. Aber er fuhr — in der von mir bereits zitierten, am 19. April 1953, dem Jahrestag der Vernichtung des Warschauer Ghettos, gehaltenen Rede fort: „Ich werde bis zum Ende meines Lebens die Schreie in der Nacht, die Schreie meiner zu Tode geschlagenen Kameraden niemals vergessen. Und weil ich sie niemals vergessen werde, so habe ich mir wie alle anderen, die das erlebt haben, geschworen: Wir müssen unser ganzes Leben dieser Aufgabe widmen, dieses für alle Zukunft unmöglich zu machen."2 2
Ernst^Reuter, Ansprache auf der Gedenkfeier des Bezirksamtes Neukölln zum 10. Jahrestag der Vernichtung des Warschauer Ghettos am 19. April 1953, in: Ernst Reuter, Schriften / Reden 4. Band (Artikel / Briefe / Reden 1949-1953), bearbeitet von Hans J. Reichhardt, Berlin (Propyläen) 1975, S. 715, 716 7
Ethics and Memory — der dies schrieb, war Ernst Reuter, ein deutscher Patriot, der mit so aufrichtigem Pathos schreiben und sprechen und handeln konnte wie nach ihm nur noch Willy Brandt in jenem unvergessenen Kniefall in Warschau, der half, unser Land wiederaufzurichten. Ein Zeuge der Erinnerung — Ein Anwalt der Zukunft·. Im Jahre 1986 erhielt Elie Wiesel den Friedensnobelpreis und ohne die Begründung des norwegischen Komitees zu kennen, weiß ich: Elie Wiesel erhielt diesen Preis, weil er sich als ein von vergangenem Leid auf immer Gezeichneter entschlossen hatte, sich für eine bessere, eine lebenswerte Zukunft zu engagieren — sein mutiges, mit persönlichem Risiko verbundenes Eintreten für die in der UdSSR unterdrückten Juden steht dabei an erster Stelle. Ich kann hier nicht aufzählen, auf wie vielen Wegen und wie beharrlich Elie Wiesel seine humanitären Ziele verfolgt. Ich beschränke mich auf persönliche Erfahrungen. Da ist einmal die bereits genannte Académie Universelle des Cultures. Ein weiterer Intellektuellenverbund, es ist wahr, dem unstillbaren Bedürfnis der clercs nach Selbstreflexion und Selbstbespiegelung Rechnung tragend; er tagt in Paris in den Gemächern des Zweiten Empire. Und doch ist dies - durch die Initiative Elie Wiesels - eines der seltenen Gremien des Geistes, in dem die Reflexion nicht Handlungshemmung ist, sondern Handeln freisetzt und das konkrete Engagement befördert, eine Geschichte gegen die Melancholie, um den Titel einer chassidischen Weisheitssammlung von Elie Wiesel zu zitieren. Denkwürdige Tage in der Sorbonne im Dezember 1993, als auf Einladung Elie Wiesels Bronislaw Geremek und Leszek Kolakowski, 8
Jacques Le Goff und der General Philippe Morillon, Paul Ricoeur, Liv Ulimann und Jorge Sempnin zum Thema .Intervention' mit Blick auf das vom Bürgerkrieg zerrissene Jugoslawien Analysen vortragen und Empfehlungen formulieren, die die verantwortlichen Politiker der EU, dieser Gemeinschaft von Zauderern, zum Schutz und zum Überleben vieler hätten nutzen können. Ich denke an die große Tagung der Elie Wiesel-Stiftung, die sich im letzten Jahr in Tokio und Hiroshima dem Thema ,The Future of Hope' widmete. Ich kenne Elie Wiesels Engagement in Bosnien und weiß, wie sehr seine Stiftung, wie sehr er persönlich sich um Jugendliche in Kriegs- und Krisengebieten kümmert. Ich habe miterlebt, wie Elie Wiesel eine überaus wirksame Solidaritätsaktion für den in seinem türkischen Heimadand bedrohten Yashar Kemal organisierte. Ich weiß, wie falsch es ist, in Elie Wiesel, diesem von der Vergangenheit Gezeichneten, einen in die Vergangenheit Verstrickten zu sehen. Es hat Kritiker — deutsche und nicht-deutsche — gegeben, die Elie Wiesel eine Obsession mit der Vergangenheit vorgehalten haben. Er hat sich mit diesen Kritikern in einem eher bitteren als polemischen Kapitel seines Buches Tous ¡es fleuves vont à h mer auseinandergesetzt. Ich halte diese Vorwürfe nicht nur fur unberechtigt, sondern für inhuman, für schamlos. Entscheidend aber: ich kenne keinen Intellektuellen der Gegenwart, keinen Professor der humanities, der sich mehr für die Zukunft der Humanität und der Freiheit engagierte als Elie Wiesel. Wo immer in der Welt die Menschenrechte bedroht sind, kann man seiner Intervention sicher sein. 9
Ethics and Memory: „Schweigen und nicht jeden Tag an jede Einzelheit denken wollen, weil man in die Zukunft blickt, heißt nicht vergessen und darf nicht vergessen heißen." 3 Noch einmal habe ich Ernst Reuter zitiert, weil ich keinen besseren Satz weiß, mit dem ich Elie Wiesel bitten könnte, nunmehr die Ernst Reuter-Vorlesung zu halten. Dear Elie: Thank you and welcome again!
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a. a. O., S. 716
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ELIE WIESEL
Ethics and Memory
First — a story: A man in despair came to see the celebrated Rebbe Héno'h of Alexander. Rebbe, he said, help me. I am forgetful. I do things, I say things. A moment later, I no longer remember what I did or said. Imagine, Rebbe, I forget in the morning where I have put my clothes in the evening - That's all? answered the hasidic Master. Nothing could be simpler: why don't you write everything down? The disciple followed the rebbe's advice. In the evening, before going to bed, he wrote on a piece of paper: the jacket is in the closet, pants and shorts on a chair, the shoes and socks near the bed — and I am in bed. In the morning, he took his list and checked off the items: The jacket? In the closet. The shirt? On the chair. The shoes? Under the bed. Perfect. But then he noticed the last item: and I am in bed. Bewildered he looked and looked at the empty bed and shouted with pain: But where am I? He ran to his Master, weeping: Rebbe, where am I? Said the Master: this ought to be your first question, not the last. Well - where am I? Invited by a distinguished scholar with an international reputation, a distinguished member 11
of the the Universal Academy of Cultures, my good friend Professor Wolf Lepenies, - whom I thank for his kind and generous introduction — I know that I am in Berlin, a city whose name occupies a dark place in my tormented Jewish memory. I hope you will not mind my frankness but my presence in your midst, in this capital, seems somewhat strange to me. After all, it was here that my death and the death of my family, and my people, were decreed more than half a century ago. Am I to see in this encounter a victory over the immense power of evil? I am not sure I can. Hider and his followers lost the war but we, Jews, did not win it. It is hard if not impossible to speak of victory when one remembers those we continue to mourn. Six million men, women and children who perished only because of who and what they were: descendants of Abraham, Isaac and Jacob. Lest I am misunderstood, allow me to repeat what I have declared so often at various occasions, in many places. I do not believe in collective guilt — nor do I believe in collective innocence. Only the guilty are guilty - their children are not. The children of killers are not killers but children. And I feel sorry for them. How could one alleviate the burden placed on their shoulders by their parents or grandparents? If the bad among them - the skinheads, the neo-nazis — are the worst, the good among them are the best. For obvious reasons, I have been following with great care and curiosity the developments of the German psyche in recent years. My general impression is favorable: after 12
decades of consciously organized ignorance of anything related to the Final Solution, young people want to discover, to learn, to understand how it was all possible; after being deprived of national memory, they seek to enter it now. They do so with pain and respect. Perhaps it is time for their elders to follow them. The future is theirs and they need help. As we come closer to the end of the century, we are witnessing a crisis of civilization which may herald its decline. We see this illustrated by its attitude towards language, which has been cheapened and corrupted to a degree that it no longer serves as a vehicle to transmit knowledge or experience. It has become an obstacle rather than a mirror. As a writer hoping to communicate the incommunicable I feel it personally. It is not because I cannot explain that you won't understand; it is because you won't understand that I can't explain. Some of us know that only the tale of what happened before can prevent not identical but similar tragedies from happening in the future: only the memory of Auschwitz can save the world from another Hiroshima. But shall we be able to tell it? Do we have the words for it? The future of language is in doubt because the future of humanity is in doubt. But then, what will be the fate of memory? How could memory live without words? Why is memory important? If there is to be one word that defines the fragility, the vulnerability but also the invincibility of the human condition, it is memory. When Socrates or Shakespeare died, they wanted their memory to survive them. In some cases, perhaps in most, great or famous men and women 13
lived and died only to safeguard that memory. Call it desire to occupy a place in history. Call it need to remain immortal. Or simply a wish to link individual memory to a larger one, a universal one. In remembering, one wants to be remembered. Forget and you will be forgotten. Thus the personality of a human being is measured by his or her ability to remember. A person without memory is still human; but he or she is no longer a person. Actually, in Antiquity forgetting was occasionally considered a positive phenomenon. Talmudic Sages went as far as calling it a divine blessing. Imagine someone incapable of forgetting; he would constantly remember his own mortality. In Greek mythology Léthé made the damned souls in hell forget their ordeal. But in real life amnesia is a curse. Several years ago I began working on a novel that deals with the Alzheimer disease. My research made me encounter melancholy and helplessness. In my eyes, Alzheimer is both disease and malediction; it is the ultimate cancer, that of identity. The cancer of being. The patient may be compared to a book whose pages are torn out, one and one, until none is left. Only the covers are still there. Between them — emptiness. Memory is related to identity, the two feed one another. The existentialist action as a philosophy of life is only halftrue; I am not only what I do, I am also what I remember. The life of memory is my own; when it dies, I also die. I mean: the only person in life that can say "I" for me, the "I" that is me dies the moment the light of and in my memory is extinguished. 14
To remember is to relive a past if not in its totality then at least in some of its fragments; it is to bring back people and events that have vanished eternities earlier; it is to say no to the sand of time covering the landscape of our being, it is to say no to forgetfulness, no to death. To remember is to allow the past to move into the future and shape its course. To remember is to acknowledge the postulate that time does leave traces and scars on the surface of history, that all events are intertwined, all gates open to the same truth. To remember is to reconcile justice to dignity, to affirm man's faith in humanity and to convey meaning on our fleeting endeavors. Memory means to live in more than one world and in more than one time, to be tolerant and understanding with one another, to accept the mystery inherent in questions and the suspicion linked to answers. Without memory, nothing is possible. Science and poetry, drama and philosophy, religion and fiction: would they not be stifled, would they exist at all outside the context of memory? What is religion, what is art if not an encounter between man's memory and someone else's? This brings us to the second point on our inquiry today: what is ethics? Both religious, humanist and agnostic thinkers link ethos to free will. An ethical conscience or consciousness is rooted in traditions that believe in man's capacity to choose between good and evil, selfishness and generosity, cruelty and compassion. An ethical person will choose life over death, empathy over indifference, idealism over hedonism. Whatever the approach, an ethical conduct must transcend the individual, in other words: must involve some· 15
one else. If I alone exist in my universe, I commit blasphemy: God alone is alone. I exist only in relationship to you. I exist only in recognizing your own existence. The Bible is more about human relations than about men's or women's relations to heaven. God can take care of himself. My obligation is towards my fellow voyagers on this planet. If I am in solidarity with them — if I share their concerns, their fears, their aspirations - I serve God; if not, I betray them — and Him. Dostoiewski's Grand Inquisitor erred when he thought he could serve God while torturing His creatures. To choose God against man is wrong for it means forgetting God. In other words: if and when I remember the other - a friend, a companion, a stranger whose path has crossed mine — I remember God who remembers everything. If not, I will desert His dwelling — and mine. To remember is to recognize the existence of the Law. And its accessibility. The Law is not in heaven, says Scripture. Kafka's Casde is a tragedy for its character thought the Law is beyond his reach. He simply forgot, though guarded, the gate is open. To forget is to violate memory, and deprive human beings of their right to memory. To remember is to open oneself to someone else's image of himself. It is to accept his or her right to remember, for that too must be part of a universal charter for human rights. Dictators reject this statement. Their goal is to impose their memory on their subjects. They want to be the only ones to remember. George Orwell was right: in a dictatorship, it is the ruler's wish to dominate not only the present but the past as well. His concept of memory is not ours; 16
he wants it to become a vehicle of falsehood and injustice; we try to see in it an instrument fighting social injustice and serving human dignity. Thus it is by one's attitude towards memory — towards the other's memory - that one's own democracy if not one's own humanity may be measured and judged. In truth, memory can be stifled but not erased. It took thousands of years for certain manuscripts to surface. Certain poems, thoughts, names and vital dates. (There is a story — a legend? — about a professor who, in the Hebrew University in Jerusalem, lectured on apocrypha. At a certain moment, while reading from an ancient book, he said: I feel there are three lines missing here. A student jumped up: which ones? Could you imagine them? The teacher did. His lines were taken down. Many, many years later, among the Dead Sea Scrolls was found the manuscript of THAT book. WITH the three missing lines.) In our own rime, the Ringelblum diaries from the Warsaw ghetto were discovered years after they had been written. As were the Sonderkommando chronicles from Auschwitz. They were found under the ashes in Birkenau. I never understood where they had taken the courage to write their impressions in the shadow of flames. How could they believe that their testimony would survive them? But they wrote. Their pages, though many in mutilated form, were discovered and published in Israel. I prefaced them for the French publication in the early 70's. They haunted my dreams. To my students and readers I said: if these chroniclers had the courage to write, we must have the courage to read. 17
How many more chronicles and documents are still waiting to be retrieved by and for memory? Personally, I am convinced that a most important diary must be among them. Written by the renowned historian Shimon Dubnov in the Riga ghetto. The man and his fate fascinated me. He could have saved himself. Prestigious universities invited him to London, New York and Jerusalem. He preferred to stay with his community. To the end. Not much was known about his last weeks or months. The Encyclopedia Judaica mentions in a few simple words that the 82-year old scholar was killed by a former student of his in December 1941 in Riga. I could not help wondering: killed by a former student? For what reason? Who was he? After a long research, this is what I learned: when Dubnov taught Oriental studies at Heidelberg, a certain Johann Siebert, the future commandant of the Riga ghetto, was one of his students. Now they met again. Siebert enjoyed ridiculing his old teacher who still believed in humanity. Once he taunted him, saying: "Professor, you once taught us that the twentieth century will witness Jewish emancipation. Well, you were right. I was yesterday in the Bikernieki forest where four hundred eighty Russians war prisoners were shot — together with the same number of Jews. Be happy, Dubnov, you caught up with the Russians." And the old historian answered: "Could you tell me again: How many Jews were shot yesterday?" — "Four hundred eighty" — "Thank you for this piece of information. I need it for my work." From eye-witnesses we know that when the mass-murder of Jews in the ghetto took place, 18
Siebert was present. And Dubnov wanted to tell him something. He was killed before he could utter a word. So — we shall never know what the noble teacher wanted to tell his former pupil. We also know from eye-witnesses that the historian continued to write and write until the last day of his life. He had told friends that he was engaged in bringing Jewish history up to date. Where are the pages? We do not know. What I do know is that one day they will be discovered. And read. And whoever will read them, will tremble. Did he lose faith in humanity? Did I lose mine? I had all the reasons in the world to give up on man. Still, I refused to invoke them. As a Jew, I have learned that lesson from history. I belong to a people that could have vanished many times; but it has not. It could have repudiated its links to the outside world; but it chose to maintain them. I hope you understand my reasons for speaking as a Jew — I do so because I am Jewish. But to me, Jewishness implies no superiority, nor does it evoke inferiority. I do not believe that the Jewish people is superior to others; nor is it inferior. As a Jew, I believe I can attain universality only from inside my Jewishness. But that applies to others as well. What I say about my being Jewish, another may say about being Catholic, or Protestant, or moslem or Buddhist. We all have the same right to conduct our intellectual or spiritual enquiry from within — provided we do not humiliate anyone for not being like me. We all have memories — and some may very well be the same, though not all. 19
The memory of tragedy is not necessarily tragic. A Talmudic sage claims that the Messiah was born on the very day the Temple was burnt in Jerusalem. At wedding ceremonies, under the canopy, the groom is called upon to break a glass so as to remember the destruction of the Temple. In other words: joy and sadness can be, (must be?) reconciled in memory. Contrary to history, memory is not neutral. In its selectivity, it implies ethical judgment. Deep down, it aims at being inclusive rather than exclusionary. Both the condemnation AND the rehabilitation of Alfred Dreyfus were a product of French society. In your own land, just as we remember the cruelty of the SS, we remember those who resisted them. Memory must not be used to harm the humanity of man. Nor must it be abused in the name of falsehood and hatred. Hider too invoked memory - the Treaty of Versailles was his leitmotiv — but he did so to justify aggression, oppression, persecution and murder. Even today, in former Yugoslavia, there were fanatics who used hundred-year old memories to setde bloody accounts NOW. What does one do with memory? How does one retain it in its entirety and even in its purity? How does one cope with its horror-filled content without yielding to despair? How does one face suffering, such suffering, and return to daily routine at home? When you leave this place, meditating on what you have seen and heard, please, do not think: "Now I know". Quite the opposite: say to yourselves: "Now I know that I don't know." And you will begin your own journey to invisible cemeteries with their fiery gates. 20
What will you take with you from here? A memory of our memories? A spark of the fire? Surely you are sad — can you describe your sadness? True sadness may, at times, skip a generation or two, or three; is it possible that it hasn't reached us yet? Is it possible that we still don't know how to mourn? We will one day — when will that day be? Yesteryear's sadness may one day invade our consciousness and our being — and then, and then ... Who will help us then to emerge unharmed? In the words of Prophet Jeremiah, "Ani hagever", I who was there - I still fail to understand: why does our people commemorate defeats whereas other nations celebrate victories? And how did it all happen? How could it have happened? How could highly educated men, some with doctorates in philosophy, medicine and theology, become killers of children? How could, in the heart of European civili2ation and Christianity, a theory of industrialized murder be conceived and implemented? Why were the murderers so perfect as murderers and the victims as victims? And what about our friends in the free world? They knew — and behaved as if they didn't. Roosevelt and Churchill refused to order the bombing of the railways going to Auschwitz. Pope Pius XII and his silence. And — why not say it — what about the attitude of our own Jewish leadership of the time? How many of them proclaimed a hunger strike? How can we comprehend their lack of solidarity with those who needed it most? How are we to understand the universal indifference towards the Jewish victims? And, on the other hand, how can we ignore the courage of those few — so terribly few — noble and he21
roic Christians who risked their lives to save a Jewish child, a Jewish woman, a Jewish family? They offered proof that it was possible to stop the executioner — be it on an individual level. But since it was possible, why were they alone? The faces you have seen inside museums were alive once upon a time; how did the implacable priests of hatred and death manage to extinguish them so swifdy, so thoroughly? The old Jew in the street whose beard is being cut off by German soldiers; keep him — and keep them — in your memory: he seems frightened and they are laughing. Can you retain his fear and their cowardice? What is he thinking while the glorious German conquerors show their pride as they humiliate him in what, for him, is a symbol of his Jewishness? Poor Jewish children in the ghetto, their emaciated bodies twisted by hunger. Look at their outstretched hands, pleading for a piece of bread, a word of compassion: I can almost hear them in my sleep: "Yidden, gute yidden, hot rachmoness . . . " Jews, good Jews, have pity ... Pity? Theirs was a world void of pity. Void of charity. Empty of humanity. And the sealed cattle-cars criss-crossing Poland and Hungary, Lithuania and France, Greece and Belgium and Italy ... And the nocturnal processions into the night, seven times sealed and seven times cursed, filled with burning shadows climbing up to the seventh heaven, right up to God's throne ... I belong to those who cannot forget them. Lately they irrupt into my dreams more and more frequently — they don't let go. 22
I have written much about them. Often I wonder: have I written too much? Not enough? Deep down I know that I haven't even begun. There are tales I am simply and perhaps irrevocably unable to tell. I tried, God knows I tried. Those I loved ... those I continue to love ... A father, a mother ... A little girl with golden hair ... I don't know her last moments ... I don't want to know ... I'm afraid . . . What about things I have written? Have I been understood? Will he or she who has not been there ever understand what it meant being there? It is not because I cannot explain that you will not understand; it is because you cannot understand that I cannot explain. And yet. We cannot but we must. We must try. As we said during the Neila service: the day is short, soon the gates will be closed. Holocaust survivors have always been an endangered species. Their numbers decrease almost daily. In the immediate postwar years they would meet at weddings, then at circumcision ceremonies, then at Bar-Miztva occasions followed by the weddings of their children — now they meet at funerals. How many will still be around in the year 2000? Who will the last survivor be — or, as my friend Primo Levi asked: who will be the witness of the witness? Will pictures be enough? Will books be sufficient? Who will protest against the blasphemy of the dozen or so crosses which anonymous Christian visitors have erected some ten years ago in Birkenau? Who will ensure that the uniqueness of the Jewish tragedy, the Jewishness of the Jewish victims be preserved? 23
They will be preserved in Israel — of that we are all convinced. That is one more reason for us to stand behind Israel — always. Israel needs us just as we need Israel. This is not the time — in fact it is never the time — for ideological splits and religious conflicts. When Israel is at war, we mobilÌ2e to be on the side of its soldiers. When Israel attains peace, we must mobilize to share in its dreams. In critical times Jews must be united. That is our belief. D o I sound optimistic? The pessimist in me has not been stifled. In not too many years from now, there will be non-Jews — good friends — in many lands who will turn to us and say: Look, we are ushering in another century, another millennium, the time has come for you to give us some respite ... D o not trouble our children with your eternal stories of eternal agony ... Let them breathe ... Once a year we shall come to your commemorations, we will shed a few tears ... But, please, let us think of other things ... May I now say a few words of my feelings about Germany today? There are good things happening in your country. After the defeat of the Third Reich and its policy of absolute terror and endless horror, yours is now a praiseworthy democracy. One finds here freedom of expression and movement. Germany seeks to be totally reintegrated into the European community and the civilized family of the world. Her official attitude towards Jews and Israel is excellent. Still, I owe you my sincerity: in spite of these social, political and psychological accomplishments, there are things that cannot escape the eye of the critical observer.
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What puzzles some of us is the insensitivity towards Jews which, at times, one detects in official German behaviour. Take, for instance, the German government's refusal in 1973 to grant landing rights for American military aircraft en route to provide Israel's army with vitally needed weapons. Israel, at that time, had endured severe losses - some observers even spoke of the possibility of a defeat. And Bonn sought to sabotage American help for the Jewish State. Or, take the disastrous Bitburg affair. Why was it necessary for Chancellor Kohl to force President Ronald Reagan to go with him to the military cemetery which became the most controversial in contemporary history? Some German journalists feel they are now free to write about Jews with arrogance and disdain. Because I expressed satisfaction but also apprehension with regard to the end of Germany's separation, (I said, in the New York Times, that the November 8, 1989 event may overshadow the November 8, 1938 Kristallnacht) Der Spiegel's Augstein answered me with an editorial filled with acrimony. This was not the first time. For years and years, he has been waging an ugly campain against me of slander and vilification. Because I said (in a review in the London Observer) that Daniel Goldhagen's book contains important questions, he viciously attacked me. But he is not the only one. In another paper, a reviewer whose name better be forgotten wrote that I am "not to be forgiven" for not writing about people close to me. How dare he, a German, use such words? How dare he, a German, judge me, a Jew who has after all been a victim of Germans? And what if the persons close to me preferred to write their own sto25
ries — and what if they don't want them to be told at all? And what about Carl von Ossietzky? Why hasn't he been rehabilitated? And, in general, why has it taken so long for your system to change your judiciary structure? How is it possible to explain why Hitler's appointed judges continued to dispense justice for so long in the Bundesrepublik? I am quoting these examples just to illustrate the notion that there still are, in your country, people who believe, and want others to believe, that all accounts between Jewish history and German history had been settled for good. And that the last page has been turned. In Kafka's tales there is always a messenger who incarnates human tragedy for he is unable to deliver the message. When I first read about him I felt: his is indeed the greatest tragedy. But then I reread the stories and came to the conclusion that there is a greater tragedy: that of the messenger who forgot the message. I read the tales for a third time and discovered: there is an even deeper tragedy: that of the messenger who forgot to whom to deliver the message. Is that the limit of his torment? No: the greatest tragedy is that of the messenger who forgot from whom he had received the message. Is that the end? No: incomparably great is the tragedy of the messenger who forgot that he is a messenger. What do all these options have in common? All of them deal with forgetting. To forget my own past will inevitably lead me to forget yours. That would be unethical. I may decide to turn a page in my life, not in yours. I may declare that all words are false, but only if I refer to mine; not to yours. If my memories are heavy, too heavy a burden, I may choose to 26
cover them, envelop them, leave them for a later period. I have no right to do likewise with yours. Too much to remember? So what. In truth, there are no limits to memory. One begins when the other ends. The history of humanity is that of memory compared to the ocean: all the rivers flow in the sea, said the Eclesiastes, and the sea is never full. The object of memory is to sensitize me and you. Remember and you will be sensitive to my words and my tales; forget and you will not even be sensitive to your own. I believe in memory — the memory of words. The memory of silence too? Yes. But not in the silence of memory. In conclusion — I believe memory must be a bridge that brings people together. I say this in this city. In spite of its past, Berlin must exemplify hope. If during the Third Reich Berlin was an insult to the human condition, in the Bundesrepublik it must be an honor to humanity. At the end of "The Plague", Albert Camus declares that there is more in man to celebrate than to denigrate. It must apply to Berlin, too. It has been ruled by criminals, now it is inspired by dreamers of peace and goodness. I belong to a generation that felt abandoned by God and betrayed by man. And yet, I believe that we must not estrange ourselves from either. In spite of man I believe in man. Ultimately, the choice between good and evil, war and peace, innocence and violence always remains in our hands. 27
On the edge of the abyss it is possible to dream of redemption. In the midst of darkness it is possible to offer light and warmth to one's fellow human being. Even in prison, one can be free. Though poisened by the enemy, words must not be discarded. It depends on us whether they become spears or prayers, whether they carry compassion or curse, whether they arouse respect or disdain, whether they move us to despair or hope. I belong to a generation that has learned that whatever the question, despair is not the answer. Thank you.
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E U E WIESEL
Ethik und Erinnerung
Zuerst eine Geschichte: Ein Mann suchte in seiner Verzweiflung den berühmten Rabbi Héno'h von Alexander auf. Hilf mir, Rabbi, sagte er. Ich bin vergeßlich. Ich mache etwas, ich sage etwas. Im nächsten Augenblick weiß ich schon nicht mehr, was ich gesagt oder getan habe. Stell dir vor, Rabbi, morgens weiß ich nicht mehr, wo ich am Abend meine Kleider abgelegt habe. — Ist das alles? antwortete der chassidische Meister. Nichts leichter als das: Du mußt dir nur alles aufschreiben. Der Jünger befolgte den Rat des Rabbis. Am Abend schrieb er sich vor dem Zubettgehen auf: Die Jacke hängt im Schrank, Hemd und Hose liegen auf einem Stuhl, Schuhe samt Strümpfen stehen unterm Bett, — und ich bin im Bett. Am nächsten Morgen nahm er seine Liste zur Hand und hakte einen Punkt nach dem anderen ab. Die Jacke? Im Schrank. Das Hemd? Auf dem Stuhl. Die Schuhe? Unter dem Bett. Sehr gut. Aber dann las er den letzten Punkt auf der Liste: Und ich bin im Bett. In seiner Verwirrung starrte er auf das leere Bett und rief entsetzt: Aber wo bin ich? Weinend lief er zu seinem Meister: Rabbi, wo bin ich? Sagte der Meister: Diese Frage hättest du gleich zu Anfang stellen müssen, nicht erst am Schluß. 29
Also: Wo bin ich? Ich bin der Hinladung eines hervorragenden Wissenschafters von internationalem Ruf und Rang gefolgt, welcher der Académie Universelle des Cultures angehört, mein Freund Wolf Lepenies — ich danke ihm für seine liebenswürdigen, ehrenden Worte zur Einführung —, und ich weiß, ich bin in Berlin, einer Stadt, deren Name sich in meinem gemarterten jüdischen Gedächtnis mit düsteren Erinnerungen verbindet. Ich hoffe, Sie nehmen mir meine Offenheit nicht übel, aber daß ich mitten unter Ihnen in dieser Stadt bin, hat etwas Befremdliches für mich. Immerhin wurde hier, an diesem Ort, vor mehr als fünfzig Jahren mein Tod und der Tod meiner Familie und meines Volkes verfugt. Soll ich unsere Begegnung als einen Sieg über die ungeheure Gewalt des Bösen verstehen? Ich weiß nicht, ob ich das kann. Hider und seine Gefolgsleute verloren den Krieg, aber wir, die Juden, haben ihn nicht gewonnen. Es ist schwer, wenn nicht gar unmöglich, von Sieg zu sprechen, wenn man sich an die Menschen erinnert, um die wir noch immer trauern: sechs Millionen Männer, Frauen und Kinder, die nur deshalb umgebracht wurden, weil sie Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs waren. Damit Sie mich nicht mißverstehen, möchte ich, mit Ihrer Erlaubnis, noch einmal wiederholen, was ich schon oft, zu verschiedenen Anlässen und an vielen Orten gesagt habe: Ich glaube nicht an eine Kollektivschuld - und auch nicht an kollektive Unschuld. Nur die Schuldigen sind schuldig — aber nicht ihre Kinder. Die Kinder von Totschlägern sind keine Totschläger, sondern Kinder. Und sie tun mir leid. Die Last, die ihre Großeltern und Eltern ihnen aufgebürdet haben, kann man ihnen kaum tragen 30
helfen. Die Schlechten unter ihnen — die Skinheads, die Neonazis — mögen besonders schlimm sein, aber die Guten gehören zu den Besten. Aus naheliegenden Gründen habe ich die Entwicklung der deutschen Psyche in den letzten Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit und Neugier verfolgt. Mein Allgemeineindruck ist günstig: Nachdem jahrzehntelang alles, was mit der Endlösung zusammenhing, absichtlich und planvoll im Dunkel gehalten wurde, wollen junge Leute jetzt herausfinden, lernen, verstehen, wie es überhaupt dazu kommen konnte; nachdem ihnen ein nationales Erinnerungsvermögen lange vorenthalten war, wollen sie sich jetzt Zugang dazu verschaffen. Sie tun das mit Schmerz und mit Achtung. Die Zukunft gehört ihnen. Und sie brauchen Hilfe. Vielleicht ist es Zeit für ihre Eltern, ihrem Beispiel zu folgen. Wir nähern uns dem Ende des Jahrhunderts und sind Zeugen einer Krise, wenn nicht gar des beginnenden Zusammenbruchs unserer Zivilisation und Kultur. Anzeichen dafür zeigen sich im Umgang mit der Sprache, der dermaßen leichtfertig und korrupt ist, daß sie sich nicht mehr zur Vermittlung von Wissen oder Erfahrung eignet. Die Sprache ist mittlerweile eher ein Hindernis denn ein Spiegel. Als Schriftsteller, der die Hoffnung hat, etwas verständlich machen zu können, was nicht mitteilbar ist, spüre ich dies am eigenen Leib. Nicht, weil ich nicht erklären könnte, verstehen Sie nicht, sondern ich kann nicht erklären, weil Sie nicht verstehen würden. Nur, wenn wir erzählen, was geschehen ist, können wir verhindern, daß nicht dieselben, aber gleichartige Tragödien sich in Zukunft wiederholen: Nur durch die Erinnerung an Auschwitz kann 31
die Welt vor einem zweiten Hiroshima bewahrt werden; das wissen einige von uns. Aber werden wir erzählen können, was geschehen ist? Haben wir Worte dafür? Die Zukunft der Sprache ist in Gefahr, weil die Zukunft der Menschheit gefährdet ist. Welche Folgen hat das für das Schicksal der Erinnerung? Wie kann die Erinnerung lebendig bleiben ohne Worte? Warum ist Erinnerung wichtig? Wenn die Zerbrechlichkeit, Verletzlichkeit, aber auch die Unbesiegbarkeit der conditio humana mit einem einzigen Wort zu bezeichnen ist, dann mit dem Wort Erinnerung. Als Sokrates oder Shakespeare starben, wollten sie in der Erinnerung der Nachwelt weiterleben. In manchen, vielleicht sogar in den meisten Fällen lebten und starben große oder berühmte Männer und Frauen nur, um in Erinnerung zu bleiben. Das mag man nennen, wie man will: die Sehnsucht, einen Platz in der Geschichte einzunehmen. Das Bedürfnis nach Unsterblichkeit. Oder einfach den Wunsch, ein individuelles Gedächtnis mit einem größeren, universellen zu verbinden. Wer sich erinnert, möchte, daß man sich an ihn erinnert. Wer vergißt, wird vergessen werden. So ist das Erinnerungsvermögen eines Menschen das Maß seiner Persönlichkeit. Ein Wesen ohne Gedächtnis ist immer noch menschlich; eine Person ist es nicht mehr. Allerdings wurde das Vergessen in der Antike bisweilen positiv bewertet. Talmudgelehrte gingen noch weiter: Sie nannten das Vergessen eine von Gott gewährte Gnade. Stellen wir uns vor, jemand wäre unfähig zu vergessen; dann würde er sich ständig an seine eigene Sterblichkeit erinnern. In der griechischen Mythologie verhalf den ver32
dämmten Seelen ein Trank Wasser aus dem Fluß Lethe zum Vergessen ihrer Qualen. Aber im wirklichen Leben ist die Amnesie ein Fluch. Vor etlichen Jahren begann ich mit den Vorarbeiten zu einem Roman, der sich mit der Alzheimer-Krankheit befaßt. Dabei stieß ich auf Melancholie und Hilflosigkeit. In meinen Augen ist Alzheimer eine Krankheit und ein Fluch zugleich, eine tödliche Erkrankung der Identität. Sie verzehrt das Sein. D e r Erkrankte ist wie ein Buch, aus dem nach und nach alle Seiten herausgerissen werden, bis nur noch die leere Hülle übrig ist. Erinnerung ist an Identität gebunden, die eine lebt von der anderen. Die existentialistische Lebensphilosophie des Handelns ist nur halb wahr: Ich bin nicht nur, insofern ich handle, ich bin auch, insofern ich mich erinnere. Das Leben der Erinnerung ist mein Leben, wenn sie stirbt, sterbe auch ich. Damit meine ich: Die einzige Person im Leben, die „Ich" für mich sagen kann, das „Ich", das mich bezeichnet, stirbt mit dem Erlöschen meiner Erinnerung und des Lichtes, das in ihr ist. Wer sich erinnert, macht damit eine Vergangenheit, vielleicht nicht in ihrer Gesamtheit, aber doch wenigstens in Bruchstücken wieder lebendig; wer sich erinnert, holt Menschen und Ereignisse zurück, die vor Ewigkeiten versunken sind; wehrt dem Sand der Zeit, der die Landschaft unseres Seins zudeckt; sagt Nein zur Vergeßlichkeit und Nein zum Tod. Wer sich erinnert, eröffnet der Vergangenheit den Weg in die Zukunft und den Einfluß auf deren Verlauf. Wer sich erinnert, bestätigt, daß die Zeit Spuren und Narben auf der Oberfläche der Geschichte hinterläßt, daß alle Ge-
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schehnisse miteinander verwoben, alle Tore für dieselbe Wahrheit offen sind. Wer sich erinnert, versöhnt Gerechtigkeit und Würde, bekräftigt den Glauben der Menschen an Menschlichkeit und verleiht unserem vergänglichen Streben Nachdruck. Erinnerung ist das Vermögen, in mehr als einer Welt und mehr als einer Zeit zu leben, Toleranz und Verständnis aufzubringen, das in Fragen verborgene Geheimnis und das mit Antworten verbundene Mißtrauen zu achten. Ohne Erinnerung ist nichts möglich. Ist sie nicht das Lebenselement der Wissenschaft und der Poesie, der Dramen und der Philosophie, der Religion und der Fiktion, müßten sie nicht alle miteinander ersticken, könnten sie überhaupt noch existieren, wenn sie dieses Elementes beraubt würden? Was ist Religion, was ist Kunst, wenn nicht die Begegnung zwischen menschlicher Erinnerung und der eines Anderen? Das führt uns zum zweiten Punkt unseres heutigen Themas: Was ist Ethik? Religionsphilosophen wie Agnostiker sehen Willensfreiheit als eine Bedingung für Moralität. Moralisches Gewissen oder Bewußtsein wurzelt in Traditionen, die vom Glauben an die menschliche Fähigkeit zur Entscheidung zwischen Gut und Böse, Eigennutz und Großzügigkeit, Grausamkeit und Mitleiden geprägt sind. Ein moralischer Mensch wird das Leben über den Tod, Empathie über Gleichgültigkeit, Idealismus über Hedonismus stellen. Ganz unabhängig vom Denkansatz einer Ethik muß moralisches Verhalten über den Einzelnen hinausweisen, es muß, anders gesagt, einen Anderen mit einschließen. 34
Wenn ich allein in meinem Universum existiere, dann gehe ich eine Blasphemie: Gott allein ist allein. Ich stiere nur in der Beziehung auf ein Du. Ich existiere in der Erkenntnis, daß dieses Du eine eigene Existenz
beexinur hat.
Die Bibel handelt mehr von zwischenmenschlichen Beziehungen als von der Beziehung, die Männer und Frauen zum Himmel haben. Gott kann für sich selbst sorgen. Ich habe Verpflichtungen gegenüber meinen Mitreisenden auf diesem Planeten. Wenn ich mich ihnen verbunden fühle — wenn ich ihre Sorgen, ihre Ängste und ihre Hoffnungen teile —, dann diene ich Gott; wenn nicht, dann verrate ich sie — und Ihn. Dostojewskis Großinquisitor irrte, als er glaubte, G o t t dadurch dienen zu können, daß er Seine Geschöpfe marterte. Sich für Gott und gegen die Menschen zu entscheiden, ist falsch, da es bedeutet, daß man Gott vergißt. Mit anderen Worten: Sofern und immer dann, wenn ich mich an den Anderen erinnere — einen Freund, einen Kameraden, einen Fremden, der mir begegnet —, erinnere ich mich an Gott, der alles im Gedächtnis behält. Wenn nicht, verlasse ich Sein Haus - und das meine. Wer sich erinnert, erkennt damit an, daß Sein Gesetz gilt und uns zugänglich ist. Das Gesetz ist nicht im Himmel, sagt die Schrift. Kafkas Schloß ist eine Tragödie, weil K . meinte, das Gesetz sei außerhalb seiner Reichweite. E r vergaß einfach, daß das Tor zwar bewacht war, aber offenstand. Vergessen verstößt gegen die Erinnerung und beraubt Menschen ihres Rechtes auf Erinnerung. Wer sich erinnert, ist offen für das Selbstbild eines oder einer anderen. Damit erkennt er das Recht der oder des Anderen auf Erinnerung
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an, denn auch dieses Recht muß Teil einer universellen Charta der Menschenrechte sein. Diktatoren verweigern die Anerkennung dieser Charta. Sie haben das Ziel, ihre eigene Erinnerung den Untertanen aufzuzwingen. Sie wollen die Einzigen sein, an die man sich erinnert. George Orwell hatte recht: In einer Diktatur wünscht der Machthaber, auch über die Vergangenheit zu herrschen. Sein Begriff von Erinnerung ist nicht der unsere; er will sie zu einem Instrument des Betrugs und Unrechtes machen; wir versuchen, in ihr ein Mittel im Kampf gegen soziales Unrecht, ein Werkzeug im Dienst der Menschenwürde zu sehen. Deshalb läßt sich am Verhalten gegenüber der Erinnerung — der Erinnerung des Anderen — die Qualität des eigenen demokratischen oder sogar humanen Verhaltens ermessen und beurteilen. In Wahrheit kann die Erinnerung zwar unterdrückt, aber nicht ausgelöscht werden. Es gibt Manuskripte, die erst nach Jahrtausenden wieder auftauchten. Gedichte, Gedanken, Namen und Schlüsseldaten. (Eine Geschichte — eine Legende vielleicht — berichtet von einem Professor, der an der Hebrew University in Jerusalem eine Vorlesung über Apokryphen hielt. Er zitierte gerade aus einem alten Buch, hielt plötzlich inne und sagte: Ich spüre, hier fehlen drei Zeilen. Ein Student sprang auf: Welche Zeilen? Können Sie sich die Zeilen vorstellen? Der Dozent tat es. Man schrieb mit, was er sagte. Jahre danach wurde das Manuskript des fraglichen Buches unter den Schriftrollen vom Toten Meer gefunden. Mitsamt den drei fehlenden Zeilen.) Ein Beispiel aus unserer Zeit: Die RingelblumTagebücher aus dem Warschauer Ghetto wurden erst Jahre 36
nach ihrer Abfassung entdeckt. Dasselbe geschah mit den Aufzeichnungen der Sonderkommandos von Auschwitz. Man fand sie in Birkenau unter der Asche. Ich habe nie verstanden, woher die Schreiber den Mut nahmen, ihre Eindrücke im Schatten des Feuerbrandes aufzuschreiben. Wie konnten sie glauben, daß ihr Zeugnis sie überdauern würde? Aber sie schrieben. Ihre Aufzeichnungen wurden gefunden - vieles war allerdings verstümmelt und nicht mehr zu entziffern - und in Israel veröffentlicht. Anfang der Siebziger Jahre schrieb ich ein Vorwort für die französische Ausgabe. Sie verfolgten mich in meinen Träumen. Meinen Studenten und Lesern sagte ich: Wenn diese Chronisten den Mut zum Schreiben hatten, müssen wir den Mut zum Lesen aufbringen. Wie viele Tagebücher und Dokumente mögen noch darauf warten, daß sie durch und für die Erinnerung wiedergefunden werden? Ich bin mir sicher, daß ein Tagebuch von höchster Bedeutung dabei sein muß. Geschrieben im Rigaer Ghetto von dem hochangesehenen Historiker Shimon Dubnov. Dieser Mann und sein Schicksal faszinierten mich. Er hätte sich retten können. Er hatte Einladungen von berühmten Universitäten, hätte nach London, New York und Jerusalem gehen können. Er zog vor, in seiner Gemeinde zu bleiben. Bis zum Ende. Über die letzten Wochen oder Monate seines Lebens ist nicht viel bekannt. Die Encyclopedia Judaica erwähnt in dürren Worten, daß der zweiundachtzigjährige Gelehrte im Dezember 1941 in Riga von einem seiner ehemaligen Studenten umgebracht wurde. 37
Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen: Von einem seiner ehemaligen Studenten? Aus welchem Grund? Wer war das? Nach langer Sucharbeit erfuhr ich folgendes: Als Dubnov in Heidelberg Orientalistik lehrte, war einer seiner Studenten ein gewisser Johann Siebert, der zukünftige Kommandant des Rigaer Ghettos. Im Ghetto begegneten sie einander wieder. Siebert genoß es, seinen alten Lehrer, der immer noch an Menschlichkeit glaubte, lächerlich zu machen. Einmal sagte er höhnisch: „Herr Professor, Sie sagten uns voraus, das zwanzigste Jahrhundert werde Zeuge der jüdischen Emanzipation sein. Recht hatten Sie. Gestern war ich im Wald von Bikernieki Zeuge der Erschießung von vierhundertundachtzig russischen Kriegsgefangenen — genauso viele Juden wurden erschossen. Freuen Sie sich, Dubnov, Sie haben mit den Russen gleichgezogen." Und der alte Historiker antwortete: „Könnten Sie das noch einmal wiederholen? Wie viele Juden wurden gestern erschossen?" — „Vierhundertundachtzig." - „Ich danke Ihnen für die Information. Ich brauche sie für meine Arbeit." Wir wissen von Augenzeugen, daß Siebert anwesend war, als der Massenmord an den Juden im Ghetto stattfand. Und Dubnov wollte ihm etwas mitteilen. Er wurde erschossen, bevor er ein Wort sagen konnte. So werden wir niemals erfahren, was der mutige Lehrer seinem ehemaligen Schüler sagen wollte. Wir wissen — ebenfalls von Augenzeugen —, daß der Historiker bis zum letzten Lebenstag an seinen Aufzeichnungen schrieb. Freunden hatte er erzählt, er sei dabei, die jüdische Geschichte auf den neuesten Stand zu bringen. Wo sind die Seiten? Das wissen wir nicht. Ich weiß aber 38
mit Gewißheit, daß sie eines Tages gefunden und gelesen werden. Und daß man beim Lesen schaudern wird. Hat er den Glauben an Menschlichkeit verloren? Habe ich den meinen verloren? Ich hatte nur allzu gute Gründe, an den Menschen zu verzweifeln. Trotzdem weigerte ich mich, sie zu verfluchen. Meine Lektion als Jude habe ich von der Geschichte gelernt. Ich gehöre zu einem Volk, das viele Male hätte aussterben können; aber das ist nicht geschehen. Dieses Volk hätte seine Verbindung zur Außenwelt abbrechen können, aber es hat sich entschieden, sie zu erhalten. Ich hoffe, Sie verstehen, warum ich als Jude spreche — ich tue es, weil ich zu den Juden gehöre. Aber Jude sein heißt für mich weder, daß ich mich anderen überlegen, noch daß ich mich ihnen unterlegen fühle. Ich glaube nicht an die Überlegenheit des jüdischen Volkes über andere Völker, ebensowenig wie an seine Unterlegenheit. Als Jude glaube ich, daß ich nur durch mein Judesein zu einer Art Universalität kommen kann, nur dann, wenn ich es nicht verleugne, sondern mich von ihm bestimmen lasse. Aber das gilt für andere genauso. So wie ich mich dadurch geprägt und verpflichtet fühle, daß ich Jude bin, mögen andere sich als Katholiken, Protestanten, Moslems oder Buddhisten ihrem Glauben verpflichtet fühlen. Wir haben alle das gleiche Recht auf den Versuch, unsere intellektuellen oder spirituellen Fragen von innen heraus zu beantworten - vorausgesetzt, wir demütigen damit keinen anderen, weil er nicht ist wie wir. Wir alle haben Erinnerungen — und manchmal sogar die gleichen, aber nicht alle sind uns gemeinsam. 39
Die Erinnerung an Tragödien ist nicht notwendig tragisch. Ein Talmudgelehrter behauptet, der Messias sei an eben dem Tag geboren, als der Tempel in Jerusalem niedergebrannt wurde. Bei Hochzeitszeremonien ^wird der Bräutigam unter dem Baldachin aufgefordert, zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels ein Glas zu zerbrechen. Mit anderen Worten: Freude und Trauer können (oder müssen vielleicht sogar) in der Erinnerung versöhnt werden. Anders als die Geschichte ist Erinnerung nicht neutral. Sie wählt aus und übt damit ein moralisches Urteil. Im Innersten zielt sie mehr auf Gewähren als auf Verwehren der Aufnahme. Die Verurteilung U N D die Rehabilitaron von Alfred Dreyfus waren ein Produkt der französischen Gesellschaft. In unserem Land erinnern wir uns ebenso an die Brutalität der SS wie an diejenigen, die Widerstand gegen die SS leisteten. Die Erinnerung darf nicht zur Verletzung der Menschenwürde werden. Sie darf auch nicht dem Haß und der Verfälschung dienen. Selbst Hitler berief sich auf Erinnerung - der Versailler Vertrag war sein Leitmotiv - , aber er tat es, um Aggression, Unterdrückung, Verfolgung und Mord zu rechtfertigen. Sogar in unseren Tagen haben Fanatiker im ehemaligen Jugoslawien Erinnerungen an Jahrhunderte zurückliegende Ereignisse benutzt, um J E T Z T blutige Rechnungen zu begleichen. Was fängt man mit der Erinnerung an? Wie erhält man sie in ihrer Vollständigkeit und Klarheit? Wie geht man mit ihrem schreckenserfüllten Inhalt um, ohne der Verzweiflung anheimzufallen? Wie kann man sich dem Leid — dem unvorstellbaren Leid — aussetzen und sich trotzdem der täglichen Routine zuwenden? 40
Wenn Sie nach diesem Vortrag nach Hause gehen, denken Sie bitte nicht: „Jetzt weiß ich". Im Gegenteil: Sagen Sie sich: .Jetzt weiß ich, daß ich nichts weiß." Und dann werden Sie Ihre Reise zu unsichtbaren Friedhöfen mit Feuertoren beginnen. Was werden Sie von hier mitnehmen? Eine Erinnerung an unsere Erinnerungen? Einen Funken vom Feuer? Sicherlich sind Sie traurig — können Sie Ihre Traurigkeit in Worte fassen? Wirkliche Trauer überspringt bisweilen eine oder zwei Generationen; kann es sein, daß sie uns noch nicht erreicht hat? Ist es möglich, daß wir immer noch unfähig sind zu trauern? Eines Tages werden wir dazu fähig sein — wann wird der Tag kommen? Die Trauer vom vergangenen Jahr könnte eines Tages unser Bewußtsein und unser Sein überschwemmen — und dann? ... Wer wird uns dann helfen, unbeschadet daraus hervorzugehen? In den Worten des Propheten Jeremiah: „Ani hagever", Ich, der dabei war — ich begreife noch immer nicht: Warum gedenkt unser Volk seiner Niederlagen, indes andere Nationen Siege feiern? Und wie ist das alles geschehen? Wie konnte es geschehen? Wie konnten hochgebildete Menschen, unter ihnen Doktoren der Philosophie, der Medizin, der Theologie, zu Kindermördern werden? Wie konnte im Zentrum europäischer Zivilisation und Christlichkeit eine Theorie des industrialisierten Mordes entwickelt und in die Tat umgesetzt werden? Warum waren die Mörder so perfekt als Mörder, und warum waren die Opfer so perfekte Opfer? Und was war mit unseren Freunden in der Freien Welt? Sie wußten — und taten so, als wüßten sie nicht. Roosevelt und Churchill weigerten 41
sich, die Bahnlinien nach Auschwitz zu bombardieren. Papst Pius XII und sein Schweigen. Und - warum sollte ich es nicht sagen — was war mit der Haltung unserer damaligen jüdischen Altesten? Wie viele von ihnen riefen zum Hungerstreik auf? Wie können wir verstehen, daß sie so wenig Solidarität mit denen aufbrachten, die sie am dringendsten gebraucht hätten? Wie sollen wir die weltweite Gleichgültigkeit gegenüber den jüdischen Opfern verstehen? Und wie können wir andererseits außer Acht lassen, wieviel Mut die wenigen — erschreckend wenigen — heroischen Christen aufbrachten, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um ein jüdisches Kind, eine jüdische Frau, eine jüdische Familie zu retten? Sie lieferten den Beweis dafür, daß es möglich war, dem Henker Einhalt zu gebieten — auch wenn es nur in Einzelfallen gelang. Aber da es überhaupt möglich war, warum blieben sie allein? Die Gesichter, die Sie in Museen gesehen haben, waren einmal lebendig. Wie haben die Menschen, die so erbarmungslos Haß und Tod predigten, es geschafft, diese Gesichter so schnell, so gründlich auszulöschen? Der alte Jude auf der Straße, dem deutsche Soldaten den Bart abschneiden: Behalten Sie ihn — und die Soldaten in Erinnerung: Er sieht zutiefst erschrocken aus, und sie lachen. Können Sie seine Angst und ihre Feigheit im Gedächtnis behalten? Was denkt er in dem Augenblick, als die ruhmreichen deutschen Eroberer offenkundig stolz auf die Heldentat sind, einen alten Mann zu demütigen, indem sie sich an seinem Bart, der für ihn Symbol seines Judentums ist, vergreifen? Die Bilder von armen jüdischen Kindern im Ghetto, die ausgezehrten Körper, vom Hunger verkrümmt. Sehen 42
Sie sich die ausgestreckten Hände an, die um ein Stück Brot, ein mitfühlendes Wort bitten: Im Schlaf kann ich sie noch hören: „Yidden, gute Yidden, hot rachmoness..." Rachmoness, Erbarmen? Sie lebten in einer Welt ohne Barmherzigkeit, ohne Menschlichkeit. Und die verplombten Viehwagen, die kreuz und quer durch Polen und Ungarn, Litauen und Frankreich, Griechenland, Belgien und Italien fuhren. Und die nächtlichen Prozessionen ins Dunkel, siebenfach versiegelt und siebenfach verflucht, voll brennender Schatten, aufsteigend zum siebten Himmel, unmittelbar zu Gottes Thron. Ich gehöre zu denen, die sie nicht vergessen können. In letzter Zeit suchen sie mich in meinen Träumen heim, immer häufiger — sie lassen mich nicht los. Ich habe viel über sie geschrieben. Ich frage mich oft: Habe ich zu viel geschrieben? Oder nicht genug? Insgeheim weiß ich, daß ich in Wirklichkeit noch nicht einmal angefangen habe. Manche Geschichten kann ich einfach nicht erzählen, jetzt nicht und vielleicht nie mehr. Gott weiß, daß ich es versucht habe. Meine Nächsten... die mir heute noch genauso nahe sind wie damals ... ein Vater, eine Mutter... ein kleines Mädchen mit goldenem Haar ... ich weiß nichts von ihren letzten Augenblicken ... ich will es nicht wissen ... ich habe Angst vor dem Wissen... Und das, was ich geschrieben habe? Bin ich verstanden worden? Wird ein Leser oder eine Leserin, die nicht dabeigewesen ist, je verstehen, was es bedeutete, dabei zu sein? Nicht weil ich nicht erklären könnte, werden Sie nicht verstehen, sondern ich kann nicht erklären, weil Sie nicht verstehen können. 43
Und dennoch. Wir können es zwar nicht, aber wir müssen. Wir müssen es versuchen. Wie wir im Ne'üa, dem Schlußgebet am Versöhnungstag sagten: Der Tag geht zur Neige, bald schließen sich die Himmelspforten. Überlebende des Holocaust waren immer schon vom Aussterben bedroht. Ihre Zahl wird von Tag zu Tag kleiner. In den Jahren unmittelbar nach dem Krieg trafen sie sich bei Hochzeiten, dann bei Beschneidungszeremonien, danach zu Bar-Mizwa Feiern und wieder bei den Hochzeiten der Kinder — jetzt treffen sie sich bei Beerdigungen. Wie viele werden im Jahr 2000 noch übrig sein? Wer wird der letzte Überlebende, oder, wie mein Freund Primo Levi fragte: Wer wird der Zeuge des Zeugen sein? Werden Bilder ausreichen? Werden Bücher genügen? Vor gut zehn Jahren stellten anonyme christliche Besucher etwa ein Dutzend Kreuze in Birkenau auf: Wer wird gegen diese Blasphemie protestieren? Wer wird dafür sorgen, daß die Einzigartigkeit der jüdischen Tragödie, die Jüdischkeir der jüdischen Opfer geschützt und erhalten bleibt? In Israel wird die Erinnerung bewahrt werden — davon sind wir alle überzeugt. Das ist ein weiterer Grund für uns, Israel zur Seite zu stehen - immer. Israel braucht uns, wie wir Israel brauchen. Jetzt ist nicht die Zeit — und nie wird die Zeit dafür kommen — , ideologische Spaltungen durchzuführen und religiöse Konflikte auszutragen. Wenn Israel sich im Krieg befindet, halten wir zu den israelischen Soldaten. Wenn Israel Frieden schließt, müssen wir uns stark machen, seine Träume mitzuträumen. In Krisenzeiten müssen Juden sich einig sein. Das ist unser Glaube. Klinge ich optimistisch? Ich habe den Pessimisten in mir nicht zum Schweigen gebracht. Es wird nicht mehr 44
allzu viele Jahre dauern, bis Nicht-Juden — gute Freunde — in vielen Ländern uns bitten werden: Meint ihr nicht, es sei jetzt, da ein neues Jahrhundert, ein neues Jahrtausend anbricht, an der Zeit für euch, uns eine Atempause zu gönnen? ... Belastet doch unsere Kinder nicht mit euren unaufhörlichen Geschichten von unendlicher Agonie ... Laßt ihnen Luft zum Atmen ... Einmal im Jahr werden wir zu euren Gedenkfeiern kommen, wir werden ein paar Tränen vergießen, ... aber bitte, laßt uns an etwas anderes denken... Erlauben Sie mir nun ein paar Worte zu meinen Eindrücken vom jetzigen Deutschland. In Ihrem Land geschieht Gutes. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und seiner Terrorherrschaft hat Ihr Land jetzt eine beachtliche Demokratie. Sie können Ihre Meinung frei äußern und sich frei bewegen. Deutschland bemüht sich um die vollständige Wiedereingliederung in die europäische Gemeinschaft und die zivilisierte Welt. Die offizielle Haltung gegenüber den Juden und Israel ist hervorragend. Aber ich schulde Ihnen Ehrlichkeit: Trotz aller sozialen, politischen und psychologischen Errungenschaften gibt es Dinge hier, die dem Auge des kritischen Beobachters nicht entgehen können. Für manche von uns ist es ein Rätsel, warum die offizielle deutsche Haltung gegenüber Juden bisweilen so unsensibel ist. Warum zum Beispiel verweigerte die deutsche Regierung 1973 amerikanischen Militärflugzeugen, die auf dem Weg nach Israel mit den dort dringend benötigten Waffen waren, ihre Erlaubnis zur Zwischenlandung? Und das zu einem Zeitpunkt, als Israel schwere Verluste erlitten 45
hatte — manche Beobachter sprachen sogar schon von der Möglichkeit einer Niederlage. Hat Bonn versucht, die amerikanische Hilfe für Israel zu sabotieren? Oder nehmen Sie die katastrophale Bitburg-Geschichte. Warum mußte Kanzler Kohl den Präsidenten Ronald Reagan zwingen, mit ihm den Soldatenfriedhof aufzusuchen, der zu den umstrittensten der Zeitgeschichte gehört? Einige deutsche Journalisten meinen, jetzt stünde es ihnen frei, mit Arroganz und Herablassung über Juden zu schreiben. Weil ich mich befriedigt, aber auch besorgt zum Ende der deutschen Teilung äußerte (ich sagte in der New York Times, der 9. November 1989 könne vielleicht die Erinnerung an den 9. November 1938, die Kristallnacht, verwischen), widersprach mir Herr Augstein im Spiegel mit einem äußerst scharfen Leitartikel. Das war nicht das erste Mal. Seit Jahren fuhrt er eine üble Verleumdungskampagne gegen mich. Weil ich (in einem Interview im Londoner Observer) sagte, Daniel Goldhagens Buch enthalte wichtige Fragen, griff er mich gehässig an. Aber er ist nicht der einzige. In einer anderen Zeitung schrieb ein Rezensent, dessen Namen man vergessen sollte, es sei „unverzeihlich", daß ich nicht über mir nahestehende Menschen schreibe. Wie kann er, ein Deutscher, es wagen, solche Worte zu gebrauchen? Wie kann ein Deutscher sich anmaßen, über mich, einen Juden, der schließlich ein Opfer von Deutschen ist, ein Urteil zu fallen? Und wäre es nicht denkbar, daß die mir Nahestehenden ihre Geschichten lieber selbst schreiben — oder daß sie wünschen, die Geschichten würden gar nicht erzählt? Und was ist mit Carl von Ossietzky? Warum wurde er nicht rehabilitiert? Und warum hat es überhaupt so lange gedauert, bis die
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Struktur Ihres Rechtswesens geändert wurde? Wie ist es zu erklären, daß die von Hider ernannten Richter noch so lange in der Bundesrepublik Recht sprachen? Ich zähle diese Beispiele nur auf, um deutlich zu machen, daß es in Ihrem Land noch immer Menschen gibt, die überzeugt sind und andere davon überzeugen wollen, daß alle offenen Probleme zwischen jüdischer und deutscher Geschichte endgültig beigelegt sind. Und daß das Kapitel abgeschlossen sei. In Kafkas Erzählungen gibt es immer einen Boten, der menschliche Tragik verkörpert, weil er unfähig ist, seine Botschaft zu überbringen. Als ich diesem Boten zum erstenmal begegnete, meinte ich: Seine Tragik ist wirklich am größten. Aber dann las ich die Erzählungen wieder und kam zu dem Schluß, daß riefer noch die Tragik des Boten ist, der seine Botschaft vergißt. Beim dritten Lesen erkannte ich: Noch schlimmer ist die Tragik des Boten, der vergißt, wem er seine Botschaft überbringen soll. Ist das der Gipfel der Qual? Nein: Schlimmer noch ist die Tragik des Boten, der vergißt, vom wem er die Botschaft bekommen hat. Nimmt es jetzt ein Ende? Nein: Unüberbietbar ist die Tragik des Boten, der vergessen hat, daß er ein Bote ist. Was ist allen diesen Möglichkeiten des Scheiterns gemeinsam? Alle haben mit dem Vergessen zu tun. Wenn ich meine Vergangenheit vergesse, führt das zwangsläufig dazu, daß ich Ihre Vergangenheit vergesse. Das wäre unmoralisch. Ich darf zwar beschließen, ein Kapitel meines Lebens, aber nicht Ihres Lebens, abzuschließen. Ich mag erklären, alle Worte seien falsch, aber das darf ich nur von meinen, nicht von Ihren Worten sagen. 47
Wenn meine Erinnerungen zu belastend sind, so daß ich sie nicht ertragen kann, dann mag ich beschließen, sie zuzudecken, einzuhüllen, eine Weile auf sich beruhen zu lassen. Aber ich habe kein Recht, ebenso mit Ihren Erinnerungen zu verfahren. Zu viel des Erinnerns? Mag sein. In Wahrheit hat Erinnerung keine Grenzen. Wo die eine endet, beginnt die andere. Die Geschichte der Menschheit, die Geschichte der Erinnerung, ist unerschöpflich wie das Meer: Alle Flüsse fließen ins Meer, heißt es im Buch der Sprüche, und das Meer ist nie voll. Erinnerung hat die Aufgabe, meine und Ihre Sinne zu schärfen. Erinnern Sie sich, so werden Sie aufnahmefähig für meine Worte und meine Geschichten; vergessen Sie aber, so werden Sie nicht einmal sensibel für Ihre eigenen sein. Ich glaube an die Erinnerung — ich glaube, daß wir uns durch und an Worte erinnern. Auch an Schweigen? Ja. Aber ich glaube nicht an das Schweigen der Erinnerung. Ich komme zum Schluß: Ich glaube, Erinnerung muß eine Brücke sein, die Menschen zusammenbringt. Ich sage das in dieser Stadt. Der Vergangenheit zum Trotz muß Berlin Hoffnung zeigen. Wenn Berlin im Dritten Reich eine Beleidigung der Menschenwürde war, muß es in der Bundesrepublik ihre Ehre wiederherstellen. Auf den letzten Seiten der „Pest" erklärt Albert Camus, an Menschen gebe es mehr zu rühmen als zu verurteilen. Das muß auch für Berlin zutreffen. Die Stadt stand unter der Herrschaft von Verbrechern, jetzt ist sie geprägt von Menschen, die von Frieden und Güte träumen. 48
Ich gehöre zu einer Generation, die sich von Gott verlassen und von den Menschen verraten fühlte. Und dennoch glaube ich daran, daß wir uns weder dem Einen noch den anderen entfremden dürfen. Den Menschen zum Trotz glaube ich an Menschlichkeit. Schließlich liegt die Entscheidung zwischen Gut und Übel, Krieg und Frieden, Unschuld und Gewalt immer bei uns. Am Rand des Abgrunds kann man von der Erlösung träumen. Inmitten der Finsternis kann man dem Mitmenschen Licht und Wärme bieten. Auch im Gefängnis kann man frei sein. Worte dürfen nicht verworfen werden, auch wenn sie vom Feind vergiftet sind. - Von uns hängt es ab, ob sie zu Waffen oder zu Gebeten werden, ob sie Mitgefühl oder Verdammung weitergeben, Achtung oder Verachtung bewirken, Verzweiflung oder Hoffnung erwekken. Ich gehöre zu einer Generation, die gelernt hat: Ganz gleich, wie die Frage lautet, Verzweiflung ist keine Antwort. Ich danke Ihnen.
[aus dem Englischen von Christa Krüger]
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W O L F LEPEN IES
NACHWORT
Lange Zeit haben nicht nur die Deutschen, sondern die Europäer sich in der Illusion gewiegt, endlich im posthistoire angekommen zu sein und nunmehr mit der Geschichte auf eine Politik der Erinnerung endlich verzichten zu können. Diese Illusion ist den Deutschen mit der Vereinigung, sie ist den Europäern seit dem Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien vergangen. In Deutschland muß unser kollektives Gedächtnis sich mit der zweiten deutschen Diktatur auseinandersetzen und steht erneut vor der Frage, wie wir mit dem Erbe der ersten umgegangen sind und welche lehren wir daraus gezogen haben. Wir werden noch lange einer Politik der Erinnerung bedürfen - was übrigens etwas anderes heißt, als ausschließlich mit Erinnerung Politik zu machen. Damit eine solche Politik aber wirksam ist und uns zu einer den Frieden sichernden und die Freiheit bewahrenden Sicht auf die Zukunft verhilft, müssen wir darum bitten, daß auch die deutsche Geschichte in ihrer nicht-teleologischen Komplexität und in ihrer Vollständigkeit erinnert wird. Entschuldigt wird damit nichts. ,Tout comprendre c'est tout pardonner', ist die dümmste Maxime, die je formuliert wurde. 51
In seinem Memoirenband Tous les fleuves vont à la mer schildert Elie Wiesel, wie die Juden von Sighet sich noch im Jahre 1944 weigerten zu glauben, was ihnen bevorstand. „... wir hatten trotz allem, was wir über Nazideutschland bereits wußten, seltsamerweise Vertrauen in die deutsche Kultur oder zumindest in den deutschen Humanismus. Die Deutschen sind ein zivilisiertes Volk mit einer großen Kultur, redeten wir uns ständig ein, man sollte den sicher stark übertriebenen Gerüchten keinen Glauben schenken, die von der Propaganda über die Wehrmacht verbreitet werden. In Kriegszeiten wird viel erzählt ... Leider dachten das tatsächlich viele Juden bei uns, auch meine Mutter. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wir sind alle in eine Falle gegangen, die die Geschichte uns gestellt hatte. Während des Ersten Weltkrieges war die deutsche Armee den Juden zu Hilfe gekommen, als sie unter der russischen Besatzung von den wilden Kosakenhorden geschlagen, verhöhnt und unterdrückt wurden, deren Anschauungen und religiöse Traditionen von Antisemitismus geprägt waren. Nach dem Rückzug der Kosaken erlebten wir in unserer Gegend eine kurze Zeit der Ruhe. Die deutschen Offiziere waren höflich, hilfsbereit und gebildet. Von dieser Erinnerung an die Deutschen in Sicherheit, vielleicht sogar in den Schlaf gewiegt, wollten die Juden einfach nicht glauben, daß deren Söhne so unmenschlich sein könnten." 4 4
Elie Wiesel, Tous les fleuves von/ à la mer. Mémoires, Paris (Kdition du Seuil) 1994, S. 42; dt. A He Flüsse fliessen ins Meer. Autobiographie, Hamburg (Hoffmann und Campe), 1995, S. 44
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Sätze dieser Art machen das Entsetzen darüber, was an Schrecklichem geschah, nicht geringer — sie machen es vielleicht noch größer. Es sind Sätze, die sich jeder teleologischen Interpretation der Geschichte verweigern. Sie kennzeichnen ein Gedächtnis, das — wie verständlich dies auch wäre, weil es sich um das Gedächtnis der Opfer handelt — , nicht auswählt, ein Gedächtnis, das bei allem Schmerz der Erinnerung doch die einfachen Antworten verweigert. Es ist ein Gedächtnis, das um dieses Umgangs mit der Vergangenheit willen der Zukunft eine Chance gibt. Sie, Elie, haben diese Sätze geschrieben. Wir sind Ihnen dankbar dafür.
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