Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung [2 ed.] 9783428557196, 9783428157198

Im Vergleich zum SGB VII (2019) ist die 1973 in der 1. Auflage abgehandelte Fassung 46 Jahre alt. Trotz dieses beachtlic

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Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung [2 ed.]
 9783428557196, 9783428157198

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 9

Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung

Von

Hans-Michael von Heinz Zweite, überarbeitete Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

HANS-MICHAEL VON HEINZ

Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 9

Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung

Von

Hans-Michael von Heinz Zweite, überarbeitete Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Aufl. 1973 Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-15719-8 (Print) ISBN 978-3-428-55719-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85719-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Vater gewidmet

Vorwort Vorwort

Die Begründung für eine 2. Auflage dieser Arbeit muss ihren Ausgang in einem nachhaltigen Dank an Herrn Prof. Dr. Viktor Weidner († 2002), seinerzeit Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, nehmen. Des Weiteren an Herrn Prof. Dr. Bernd von Maydell († 2018), Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, München. Das Thema ist auch deswegen als originell hervorzuheben, weil es im Vorfeld konkreter juristischer Subsumtion eine erstaunliche Tiefe der Beleuchtung von Systemzusammenhängen zwischen Privatund Sozialversicherung ermöglicht. Schließlich hat die äußerst wohlwollende Besprechung der Arbeit von Herrn Direktor Dr. Günther Sokoll, ehem. Hauptgeschäftsführer des inzwischen umgegliederten Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften – in „Die BG“ Heft 8/1973, S. 324 – maßgeblich zum Absatz der 1. Auflage 1973 beigetragen. Die 2. Auflage findet die GUV vor in der 47., neu bearbeiteten Auflage (Stand: 19. Dezember 2017) der Beck-Texte im dtv: „Sozialgesetzbuch mit Sozialgerichtsgesetz“ (S. 1201 – 1321): „Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1254), zuletzt geä. durch Art. 4 Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz vom 17. 7. 2017 (BGBl. I S. 2575) – SGB VII“. Im Vergleich zum SGB VII (2019) ist die 1973 in der 1. Auflage abgehandelte Fassung 46 Jahre alt. Trotz dieses beachtlichen Altersunterschieds erscheint die 2. Auflage 2019 der Arbeit für Lehr- und Lernzwecke durchaus sinnvoll. Dies erklärt sich bereits daraus, dass die Arbeit die Entstehung des ersten Unfallversicherungsgesetzes vom 6. 7. 1884 grundlegend und detailliert nachzeichnet. Aus der früheren, privaten (zivilen) Unfall- und Haftpflichtversicherungsgesetzgebung für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber entstand etwas wirklich Neues – die soziale Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) als Sozial(versicherungs-)recht. Dieser Entwicklungsprozess darf, wie dargelegt, als rechtsdogmatisch grundlegend bezeichnet werden. Weitere Entwicklungen (wie z. B. die Reduzierung der der ursprünglich 35 gewerblichen BG auf 9, die Integration der Schüler-UV in die Arbeitnehmer-UV) haben den Kern der GUV (Haftpflichtablösung) insgesamt unangetastet gelassen. Abschließend kurz zur Rehabilitation (Reha), die in der 1. Auflage praktisch nicht erwähnt wird. Dies zu Recht, da die damalige, private Unfall- und Haft-

VIII

Vorwort

pflichtversicherung eine Reha praktisch nicht kannte. Entschädigt wurde seinerzeit allein in Geldleistungen. Dies hat sich seitdem grundlegend geändert. In Ansehung der erfolgreichen Reha in der GUV haben auch die privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungen Reha-Systeme entwickelt (Auskunft des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV, Berlin, vom 19. 01. 2019), deren nähere Betrachtung jedoch an anderer Stelle erfolgen muss. Dresden, im Februar 2019

H.-M. von Heinz

Vorbemerkung Meinem verehrten Lehrer, Herrn des Instituts für Arbeitsrecht und Universität Bonn, sage ich für die Dank. Herrn Privatdozent Dr. B. v. regung.

Professor Dr. V. Weidner, Direktor Recht der Sozialen Sicherheit der Betreuung der Arbeit aufrichtigen Maydell danke ich für manche A n -

Weiterhin gilt mein Dank für die großzügige Förderung des Druckes folgenden Verbänden und Persönlichkeiten: — dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft durch Vermittlung des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft e. V. und seinem Geschäftsführenden Mitglied des Präsidiums, Herrn Dr. T. Wymer; — dem Deutschen Sozialgerichtsverband e.V. und seinem Vorstandsvorsitzenden, Herrn Professor Dr. G. Wannagat, Präsident des Bundessozialgerichts ; — dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. und seinem Hauptgeschäftsführer, Herrn Direktor Dr. F. Watermann;

— dem Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften e. V. und seinem Verbandsdirektor, Herrn Assessor K. Noell. Schließlich sage ich meiner Frau, Rechtsreferendarin A. v. Heinz, für ihren Beistand herzlichen Dank. München/Berlin, i m Dezember 1972

H . - M . v. Heinz

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis enthält aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht sämtliche Gliederungspunkte Einführung

1

ERSTER T E I L D i e Entwicklung bis z u m U V G 1 8 8 4 Erstes

Kapitel

Abgrenzung und Erläuterung der Untersuchungsgegenstände Zweites

3

3

Kapitel

Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

5

Erster Abschnitt: Der Stand der E n t w i c k l u n g i m römischen u n d i m gemeinen Recht

5

I. Römisches Recht 1. Schutzrecht zugunsten des Arbeitnehmers u n d des A r b e i t gebers

5

2. Schutzrecht zugunsten sonstiger Berechtigter

8

I I . Gemeines Recht 1. Schutzrecht zugunsten des Arbeitnehmers u n d des A r b e i t gebers 2. Schutzrecht zugunsten sonstiger Berechtigter

8 10

Zweiter Abschnitt: Das Preußische Recht I. Das Allgemeine Landrecht 1. N u r mittelbarer Arbeitnehmerschutz

11 11 11

2. Unterschiedlichkeit z u m römischen u n d gemeinen Recht

14

3. Schutzvorschriften zugunsten verunglückter Schiffsleute

15

Inhaltsverzeichnis I I . Weitere preußische Gesetzgebung betreffend den Arbeitnehmerschutz

15

Dritter Abschnitt: Die Entwicklung einiger anderer deutscher Partikularrechte I. Das rheinische Recht

19 20

I I . Das badische Recht

21

I I I . Sonstiges Partikularrecht Vierter

21 Abschnitt:

Die Gesetzgebung bis zur Kaiserlichen Botschaft v o m 17. November 1881 22 Erster Unterabschnitt: Schutzrecht zugunsten des Arbeitnehmers I. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch I I . Weitere Arbeitnehmer-Schutzgesetzgebung

22 22 23

1. Das Gesetz v o m 21. J u n i 1869 betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- u n d Dienstlohnes

23

2. Die Gewerbeordnung v o m 21. J u n i 1869

23

3. Das Gesetz v o m 6. J u n i 1870 über den Unterstützungswohnsitz

24

I I I . Sonstige deutsche Reichsgesetzgebung bis zur Kaiserlichen Botschaft v o m 17. November 1881

24

A . Die bezüglich des Arbeitnehmerschutzes weniger bedeutenden Gesetze

24

B. Die f ü r die weitere E n t w i c k l u n g wesentliche Gesetzgebung, insbesondere i n Gestalt des Reichshaftpflichtgesetzes v o m 7. J u n i 1871

26

C. Weitere wichtige Gesetze

26

Zu B.: Das Gesetz „betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatze f ü r bei dem Betriebe v o n Eisenbahnen, Bergwerken, Fabriken, Steinbrüchen u n d Gräbereien herbeigeführten T ö t u n gen u n d Körperverletzungen" v o m 7. J u n i 1871, gewöhnlich als „Reichshaftpflichtgesetz" (RHPflG) bezeichnet

26

1. bezüglich der Fälle der H a f t u n g

26

2. bezüglich der Entschädigung

28

3. Gegenüberstellung der V o r - u n d Nachteile des RHPflG

29

Zu C.: Gesetzgebung zur Begegnung der K r i t i k am RHPflG

33

1. Das Gesetz v o m 7. A p r i l 1876 über die eingeschriebenen Hilfskassen

33

Inhaltsverzeichnis

XI

2. Das Gesetz v o m 8. A p r i l 1876 betreffend die Abänderung des Titels V I I I der Gewerbeordnung

33

3. Analyse der W i r k u n g beider Gesetze . . . >

35

Zweiter Unterabschnitt: Schutzrecht zugunsten des Arbeitgebers zur L i n derung seiner aus einem U n f a l l des Arbeitnehmers entstandenen Haftpflicht

36

Fünfter Abschnitt: Zusammenfassung des Zweites Kapitels, soweit es den v o n den Schöpfern des U V G 1884 vorgefundenen E n t w i c k lungsstand des Haftpflichtrechts (zulasten des Arbeitgebers aufgrund eines Unfalls des Arbeitnehmers) betrifft

37

Sechster Abschnitt: Zusammenfassung des Zweiten Kapitels, soweit es den von den Wegbereitern des U V G 1884 vorgefundenen E n t wicklungsstand des sonstigen Schutzrechts zugunsten des Arbeitnehmers u n d des Arbeitgebers umfaßt, das nicht als Haftpflichtrecht zu bezeichnen ist 38 Siebenter Abschnitt: Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Haftpflichtrechts I. Die Leipziger Petition

39 39

I I . Weitere Anträge u n d Vorschläge

40

1. Anträge w ä h r e n d der Frühjahrssession des Jahres 1878

40

2. Die Interpellation H e r t l i n g v o m 26. Febr. 1879

41

3. Der Vorschlag Bebel

42

4. Reaktionen auf diese Anträge etc. i n der Session 1880

42

Achter Abschnitt: Reformbestrebungen auf dem Gebiete des sonstigen Arbeitnehmerschutzrechts I. Zunehmende Ablösung der privaten Hilfskassenbildung I I . Der A n t r a g Günther aus dem Jahre 1879

42 42 43

XII

Inhaltsverzeichnis Drittes

Kapitel

Die Entwicklung des privatrecfatlichen und öff entlich-rechtlichen Versicherungswesens bezüglich Unfall und Haftpflicht

45

Erster Abschnitt: Die Hechtsquellen Erster Unterabschnitt: Der Stand der rechtlichen E n t w i c k l u n g i m r ö m i schen u n d gemeinen Recht I. Römisches Recht

45

45 45

I I . Gemeines Recht

46

Zweiter Unterabschnitt: Das frühe preußische Recht, die anderen deutschen Partikularrechte u n d die spätere deutsche Rechtslage bis zu den Entstehungsanfängen des U V G 1884 47 I. Gesetzliche Regelung des sog. Binnenversicherungsrechts I I . Anwendbarkeit des Seeversicherungsrechts auf die Versicherungsverhältnisse der Binnenversicherung I I I . Zusammenfassende Würdigung des Rechtszustandes

47 48 48

Zweiter Abschnitt: Entwicklung der privatrechtlichen u n d öffentlich-rechtlichen Versicherung Erster Unterabschnitt:

Das A l t e r t u m u n d die germanische Urzeit

Zweiter Unterabschnitt: Das M i t t e l a l t e r

50 51

1. Die Gilden

51

2. Ansätze f ü r die spätere E n t w i c k l u n g

52

3. Versicherer gegen U n f a l l u n d Haftpflicht

52

Dritter Unterabschnitt:

Vierter

50

Die Neuzeit

52

1. Aüsklammerung der Untersuchung hinsichtlich der allgemeinen VersEntwicklung

52

2. Anwachsen der GegenseitigkeitsVers

53

3. Versicherungs-Aktiengesellschaften

53

Unterabschnitt:

Das industrielle Zeitalter

1. Steigende Produktionsverhältnisse — stärkeres Verlangen nach VersSchutz

54 54

2. A u f k o m m e n zahlreicher neuer VersZweige, insbesondere der U n f a l l - u n d HPfLVers

54

3. B i l d u n g zahlreicher neuer VersUnternehmen

56

4. Der besondere Einfluß des RHPflG v o m 7. J u n i 1871 auf das private U n f a l l - u n d HPflVersWesen

58

5. Umfang der U n f a l l - u n d HPflVers. i n der Zeit u n m i t t e l b a r v o r den Entstehungsanfängen des U V G 1884

60

Inhaltsverzeichnis

XIII

Dritter Abschnitt: Schrifttum zum Versicherungswesen

61

1. Vorbemerkung

61

2. L i t e r a t u r des Versicherungsrechts

62

Vierter

Abschnitt:

Beitrag der Rechtsprechung zur E n t w i c k l u n g des damaligen Versicherungsrechts

67

1. Vorbemerkung

67

2. Bundesoberhandelsgericht u n d Reichsoberhandelsgericht

..

68

3. Reichsgericht

68

4. Zusammenfassende Würdigung der vorgesetzlichen Rechtsprechung

69

5. Die Richter auf dem Gebiet des Versicherungsrechts der v o r gesetzlichen Zeit

70

6. Der Einfluß der Rechtsprechung auf die private U n f a l l - u n d HPflVers

71

Viertes

Kapitel

Die Denkmodelle, an die sich die Schöpfer des UVG1884 anlehnten

72

Erster Abschnitt: Skizzierung der dem damaligen Gesetzgeber theoretisch zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten I. Gesetzliche Regelung des Inhalts eines Arbeitsvertrages I I . Extreme Fürsorge von Staats wegen auf dem Boden des öffentlichen Rechts

72 72 73

I I I . Staatliche E i n w i r k u n g auf das bestehende private Vers Wesen

73

I V . Ausbau des staatlich gelenkten Hilfskassenwesens

73

V. Erweiterung des Armenpflegerechts V I . Die neuartige Lösungsmöglichkeit

73 73

Zweiter Abschnitt: Entwicklungsansätze u n d frühe Vorschläge bis zum 1. E n t w u r f eines U V G v o m 8. März 1881 I. Erste Ansätze

74 74

Inhaltsverzeichnis 1. Die verfassungsmäßige Ermächtigung der Reichsgesetzgebung

74

2. Die programmatische Rede W i l h e l m I. v o m 12. Februar 1879

74

3. Die A n k ü n d i g u n g einer größeren sozialen Reformgesetzgebung v o m 15. Februar 1881

75

4. Die „magna Charta" der deutschen Sozialpolitik v o m 17. November 1881

75

I I . Erste juristisch gefaßte Vorschläge aus der M i t t e des Parlaments u n d aus dem Volke

76

1. Der A n t r a g S t u m m

76

2. Der Vorschlag Baare

77

Dritter Abschnitt: Die Bewegung der sog. Kathedersozialisten I. Vorbemerkung

78 78

I I . Blick i n die Geschichte

79

I I I . Standort des „Kathedersozialistentums"

80

1. Die Voraussetzungen f ü r seine Entwicklung

80

2. Die leitenden Gedanken der „Kathedersozialisten" i n bezug auf das VersGewerbe

83

I V . Die Pläne des „Kathedersozialisten" A d o l p h Wagner bezüglich einer Arbeiterversicherung

85

Vierter

Abschnitt:

Die Entstehung des ersten deutschen U V G selbst

85

A . Beschränkung der Untersuchung

85

B. Der rechtshistorische Geschehensablauf der Gesetzwerdung

86

Fünfter

Abschnitt:

1. Gesetzentwurf über ein U V G v o m Jahre 1881 Erster Unterabschnitt:

Der Regierungsentwurf selbst

I. Gesamttendenz I I . Auseinandersetzung m i t der bestehenden Rechtslage

88 88 88 89

1. Aufzeigen der Mängel des RHPflG, insbesondere die Rolle der privaten UV-Gesellschaften

89

2. Auseinandersetzung m i t den Vorschlägen f ü r eine Verschärfung des Haftpflichtprinzips

91

Inhaltsverzeichnis

XV

3. Konsequenzen aus dieser Auseinandersetzung

92

I I I . Grundlegend neue Lösungsmöglichkeit f ü r die Problematik

93

I V . Die Frage der Mittelaufbringung f ü r den neu zu schaffenden L e i stungsschuldner

95

1. Kostenverteilung nach „der N a t u r der Sache"

95

2. Kostenverteilung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen

95

3. Vorteilhaftigkeit einer Kostenverteilung 50:50 f ü r die A r b e i ter

96

4. B i l l i g k e i t dieser Kostenverteilung gegenüber den A r b e i t gebern

96

5. Scheitern dieser Kostenaufteilung an der praktischen Durchführbarkeit

96

6. Möglichkeit der Kostenbelastung allein der Unternehmer . .

97

7. Ablehnung dieses Gedankens der alleinigen Kostenübernahme durch die Unternehmer

97

8. Entlastung der Arbeiter v o n der Prämienzahlung gleichbedeutend m i t Unterstützung Hilfsbedürftiger

98

9. Konsequenz aus diesem Gedanken

98

10. Endgültige A u f t e i l u n g der Kosten i m 1. Gesetzentwurf

98

V. Notwendigkeit einer äußeren Grenze zur Beurteilung der Heranziehbarkeit des Arbeiters i n Gestalt der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV)

99

V I . Untersuchung der Wege zur Beschaffung öffentlicher M i t t e l

99

1. Heranziehung des Staates

99

2. Untunlichkeit der Heranziehung örtlicher Gemeinden oder Verbände 100 3. Die Gewährung v o n Prämienbeiträgen Staatsmitteln des Reichs V I I . Errichtung einer Reichsversicherungsanstalt

unmittelbar

aus 102 102

1. Nachteilhaftigkeit bestehender PrivatVersAnstalten u n d der Unternehmen selbst gebildeter UV-Genossenschaften 102 2. Durchführung der Versicherung durch bereits bestehende UV-Genossenschaften der Unternehmer 102 3. Notwendigkeit einer öffentlichen VersAnstalt unter Ausschluß privater VersAnstalten 103 4. Nachteilhaftigkeit der Beteiligung privater VersGesellschaften 103 5. Fehlen dieser Nachteilhaftigkeit bei einer Reichsversicherungsanstalt 104 6. Möglichkeit der B i l d u n g von UV-Genossenschaften innerhalb der Reichsversicherungsanstalt 105

Inhaltsverzeichnis V I I I . Begrenzung der weiteren Untersuchungen auf die Darstellung des Ringens u m die Ablösung des Haftpflichtrechts sowie der grundlegenden Voraussetzungen zur Durchsetzung dieses Vorhabens 106 I X . Zwangs Versicherung i n F o r m der Kollektivversicherung

106

X . Begründung des Versicherungsverhältnisses

107

X I . Haftungsausschluß zulasten des Unfallverletzten oder seiner H i n terbliebenen 107 X I I . Verbliebene Haftpflichtigkeit des Unternehmers

108

X I I I . Weiterer Bestand des gemeinen Haftpflichtrechts bezüglich der A n sprüche gegen D r i t t e 109 X I V . Keine Umgehung der Vorschriften durch Vertrag etc

110

X V . Schicksal der m i t PrivatVersAnstalten abgeschlossenen VersVerträge 110 Zweiter Unterabschnitt: Gesetzentwurf

Der Bericht der X I I I . Kommission über den 1. 111

I. Grundlegende B i l l i g u n g des VersZwangs durch eine allgemeine obligatorische U V 111 I I . Reformvorschläge hinsichtlich des bestehenden Haftpflichtrechts zur Beibehaltung desselben 112 1. Der „ E n t w u r f eines Gesetzes, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz f ü r Tötungen u n d Verletzungen i m Gewerbebetrieb" 112 2. Gegenargumente der Befürworter des Gesetzentwurfs

113

I I I . A r t u n d Weise der Durchführung des Versicherungszwangs

115

1. Beteiligung der PrivatVersGesellschaften hohem Ausmaße

115

in

verschieden

2. Festhalten der Befürworter des Gesetzentwurfs an der E i n stellung gegen die Beteiligung der PrivatVersGesellschaften 117 3. Vorschlag der Verfechter einer Beteiligung der PrivatVersGesellschaften durch Konzipierung von N o r m a t i w o r s c h r i f ten 117 4. Rechtfertigung der Beteiligung v o n Aktiengesellschaften

. . 117

5. Ergebnis der Diskussion über die Durchführung des VersZwangs 118 I V . A u f b r i n g u n g der M i t t e l

119

1. Der Standpunkt der Befürworter des Entwurfs

119

2. Der Standpunkt der Gegner des Entwurfs

119

V. Z u den §§ 46, 47, 48 u n d 58 des 1. Gesetzentwurfs

120

1. Frage nach dem G r u n d der Unterschiedlichkeit i m Verschuldensgrad 120

Inhaltsverzeichnis

XVII

2. Regierungsseitige Entgegnung 121 3. Entschädigung f ü r die PrivatVersGesellschaften u n d Schluß des Kommissionsberichts 121 Dritter Unterabschnitt: 1. Gesetzentwurf

Sonstige Vorschläge i m Zusammenhang m i t dem 121

I. Vorbemerkung

121

I I . Der A n t r a g Ausfeld u n d Genossen

122

I I I . Der A n t r a g B u h l u. a

122

I V . Weiteres Schicksal der Anträge zu I I . u n d I I I

123

Vierter Unterabschnitt: Der 1. Gesetzentwurf u n d die weitere Rechtsentwicklung 123 I. Weiteres Schicksal des 1. Gesetzentwurfs I I . Sonstige weitere E n t w i c k l u n g

123 123

Sechster Abschnitt: 2. E n t w u r f f ü r ein U V G v o m Jahre 1882 Erster Unterabschnitt:

Der Regierungsentwurf selbst

I. Gesamttendenz

124 124 124

I I . Neuerungen gegenüber dem 1. Gesetzentwurf

124

Zweiter Unterabschnitt: Der mündliche Bericht der V I I I . Kommission über den 2. Gesetzentwurf 129 Dritter Unterabschnitt: Vierter

Unterabschnitt:

Weiteres Schicksal des 2. Gesetzentwurfs Die Kaiserliche Botschaft v o m 14. A p r i l 1883

130 130

Siebenter Abschnitt: Der 3. E n t w u r f f ü r ein U V G aus dem Jahre 1884 Erster Unterabschnitt:

Der Regierungsentwurf selbst

I. Gesamttendenz

131 131 124

I I . Abweichungen u n d Neuerungen gegenüber den früheren E n t w ü r f e n 131 Zweiter Unterabschnitt: Der Bericht der V I I . Kommission zur Vorberatung des 3. Gesetzentwurfs 138 I. Vorbemerkung u n d Darlegung der Generaldiskussion

138

I I . Beschränkung der Untersuchungen bezüglich der Spezialdiskussion über die einzelnen Vorschriften 139

Inhaltsverzeichnis I I I . Abweichungen u n d Neuerungen gegenüber den vorhergehenden Entwürfen 139 Dritter Unterabschnitt: Weiteres Schicksal des 3. Gesetzentwurfs

144

Achter Abschnitt: Zusammenfassung m i t vergleichender Zusammenstellung der Gesetzentwürfe von 1881,1882 u n d 1884

144

ZWEITER T E I L Übergang zur heutigen Rechtslage Erstes

149

Kapitel

Heutige Rechtsquellen

149

Erster Abschnitt: Die heutigen Rechtsmaterien

149

I. Das private UV-Recht

149

I I . Das private HPflVersRecht

150

I I I . Das Recht der gesetzlichen U V

151

Zweiter Abschnitt: Die heutige wirtschaftliche Bedeutung

152

I. Die private Vers Wirtschaft, insbesondere die U n f a l l - u n d HPflVers. I I . Die gesetzliche U V

152 155

I I I . Zusammenfassende Gegenüberstellung der privaten U n f a l l HPflVers. m i t der gesetzlichen U V Zweites

und 156

Kapitel

Begrenzung der erfaßten VersGebiete — Methodik für die Gegenüberstellung

157

Erster Abschnitt: Begrenzung der zu beleuchtenden VersGebiete I. Allgemeines

157 157

Inhaltsverzeichnis

XIX

I I . Grundsätzlicher Ausschluß der Rückversicherung

158

I I I . Die häufigsten Erscheinungsformen der privaten U V

159

I V . Beschränkung auf die wesentlichen Erscheinungsformen

160

V. Die häufigsten Erscheinungsformen der (privaten) HPflVers V I . Beschränkung auf die wesentlichen Erscheinungsformen

161 162

V I I . Die Erscheinungsformen der gesetzlichen U V — Beschränkung auf die f ü r unsere Untersuchungen wesentlichen Teile 162 Zweiter Abschnitt: Bemerkungen zur Methodik

163

I. Vorbemerkung

163

I I . Problematik der Vergleichung zweier innerstaatlicher Rechtskomplexe 163 I I I . Entwicklung einer Methode f ü r diese Rechtsvergleichung — Ergebnisse, die hierdurch erzielt werden können 164 Dritter Abschnitt: Plan f ü r die weiteren Untersuchungen

169

DRITTER T E I L Gegenüberstellung von Einzelaspekten Erstes

171

Kapitel

Zur Problematik eines gemeinsamen Klammerbegriffs

„Versicherung" 171

Erster Abschnitt: Z u m Begriff „Versicherung" I. Allgemeines

171 171

I I . Schwierigkeit einer Definition I I I . Abstecken einer Arbeitsgrundlage

171 172

Zweiter Abschnitt: Die früheren u n d neueren Meinungen i m Schrifttum, die der gesetzlichen U V den Charakter einer „Versicherung" i m Rechtssinne absprechen 173

Inhaltsverzeichnis I. Meinungen, die lediglich noch von rechtshistorischem Wert sind

173

1. Die damalige ArbeiterVers. u n d damit auch die U V als A u s fluß der Armenpflege 173 2. Die Unterstützungsansprüche der damaligen ArbeiterVers. u n d damit auch der U V als Ausfluß des Arbeitsvertrages 175 3. Die Unterstützungsansprüche der genannten A r t als Ausfluß der Mitgliedschaft bei den VersEinrichtungen 175 4. Die Theorie, daß die Unterstützungsansprüche der ReichsVersGesetze Ansprüche auf Schadenersatz seien 176 5. Die Theorie, daß die ReichsVers. u n d m i t i h r die U V als „Versorgung" i m damaligen Sinne anzusehen sei 177 6. Abschlußbemerkungen zu den Theorien unter 1. bis 5

177

I I . Weitere Meinungen, die dem ReichsVersRecht u n d der gesetzlichen U V i m besonderen den Charakter einer „Versicherung" i m Rechtssinne absprechen 178 1. Die Meinung Richard Weyls

178

2. Die Meinung Heinrich Rosins

180

3. Die Meinung Walter Kaskels u n d Fritz Sitzlers

182

4. Die Meinung Herbert Lauterbachs

183

Zweites

Kapitel

Der Versicherungsfall

184

Erster Abschnitt: Zur Einführung I. VersFall als rechtstechnischer Grundbegriff

184 184

I I . Keine gesetzliche Definition dieses Grundbegriffs i m PrivatVersRecht u n d i n der gesetzlichen U V 185 I I I . Schlußfolgerung aus dieser Gegebenheit

185

Zweiter Abschnitt: Ausfüllung des Begriffs „VersFall" durch Schrifttum u n d Rechtsprechung 185 Erster Unterabschnitt: Begriffserklärung — Entsprechungen u n d A b w a n d lungen von Einzelmomenten 185 I. Definitionen des Begriffs „VersFall" i n PrivatVers. u n d SozialVers. 185 I I . Spielarten des Begriffs „VersFall" i n der privaten U V u n d HPflVers. sowie i n der gesetzlichen U V 186 Zweiter Unterabschnitt:

Weiterer Untersuchungsgang

188

Inhaltsverzeichnis

XXI

Dritter Abschnitt: Einzelne Merkmale Erster Unterabschnitt:

Entsprechungen u n d Abwandlungen

I. V e r w i r k l i c h u n g des geschützten Wagnisses

188 188 188

I I . Angriffsobjekt des Ereignisses = geschütztes Rechtsgut des j e w e i l i gen VersZweiges 190 I I I . Zeitkomponente

191

I V . Angriffsrichtung des Ereignisses

192

V . Innerer Tatbestand des Geschädigten i n bezug auf das Ereignis V I . A r t der Schädigung

192 194

V I I . Kausalzusammenhang

196

1. Gewichtige Unterschiede zwischen PrivatVersRecht u n d gesetzlicher U V 196 2. Überholende Kausalität

202

3. Lösimg des Kausalzusammenhangs, dargelegt am Beispiel der Trunkenheit 203 4. „Gedehnter" Versicherungsfall

205

5. Einzelne Ausschlüsse u n d Einbeziehungen

207

Zweiter Unterabschnitt: Zusammenfassung der bisher gefundenen E n t sprechungen u n d Abwandlungen 212 I. Zusammenfassung der bisher aufgezeigten Entsprechungen u n d A b wandlungen 212 I I . F u n k t i o n des Begriffs „VersFall"

214

I I I . Ausblick

215 Drittes

Kapitel

Die Beteiligten des Versicherungsverhältnisses

218

Erster Abschnitt: Versicherungsgeschützter u n d abzudeckendes Risiko I. Z u r Einführung

218 218

I I . Der N o r m a l f a l l i n privater U V u n d HPflVers. u n d seine Spiegelung i n der gesetzlichen U V 218 1. Terminologisches

218

2. Keine Kollision u n d keine Entsprechungen zwischen P r i v a t Vers. u n d gesetzlicher U V bei EigenVers. des Arbeitnehmers 219

Inhaltsverzeichnis a) EigenVers. des Arbeitnehmers gegen Arbeitsunfälle der privaten U V

in

b) EigenVers. des Arbeitnehmers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten eines Arbeitskollegen c) EigenVers. des A N s gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten des Arbeitgebers d) EigenVers. des ANs gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten sonstiger D r i t t e r e) Entsprechungen u n d Abwandlungen i n der gesetzlichen UV 3. Keine Kollision zwischen PrivatVers. u n d gesetzlicher U V bei EigenVers. des Arbeitgebers a) EigenVers. des Arbeitgebers gegen Unfälle zum Schaden der eigenen Person b) EigenVers. des Arbeitgebers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zum Schaden der A N c) EigenVers. des Arbeitgebers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zu Lasten sonstiger D r i t t e r d) Entsprechungen u n d Abwandlungen i n der gesetzlichen UV

219 219 221 222 222 223 223 224 226 226

I I I . Die Versicherung d r i t t e r Personen — Entsprechungen u n d A b w a n d lungen der privaten U V u n d HPflVers. i n der gesetzlichen U V 227 1. Terminologisches — Grundtypen i n der PrivatVers 227 a) Reduzierung der theoretischen Möglichkeiten i n der P r i vatVers. auf die v o m Gesetzgeber geschaffenen Typen . . 227 b) Die FremdVers. auf die Person eines anderen als G r u n d typus 228 c) Die EigenVers. auf die Person eines anderen als G r u n d typus 229 2. Spezialtypen der GruppenVers. i n der privaten U V a) Gruppen-UV zugunsten der Gruppenmitglieder b) Gruppen-UV zugunsten des VNs c) Versicherungsgeschützte dieser Spezialtypen u n d v e r sicherte Risiken i n der Praxis 3. Spezialtypen der GruppenVers. u n d sonstiger Versicherung dritter Personen i n der HPflVers a) Gruppen-HPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder .. b) HPflVers. zugunsten des VNs u n d der anderen i n § 151 Abs. 1 Satz 1 W G genannten Personen c) VersGeschützte dieser Spezialtypen i n der Praxis d) Z u versichernde Risiken i n der BetriebsHPflVers

230 230 231 232 233 233 234 235 236

4. Entsprechungen u n d Abwandlungen der privaten U V h i n sichtlich der Versicherung d r i t t e r Personen i n der gesetzlichen U V 238 a) E n t w i c k l u n g von der BetriebsartenVers. zur Personengruppen Vers 238

Inhaltsverzeichnis

XXIII

b) Einbeziehung auch von Personengruppen, die dem gesetzlichen UV-System fremd sind 239 c) Entsprechungen u n d Abwandlungen 239 5. Entsprechungen u n d Abwandlungen der privaten HPflVers. hinsichtlich der Versicherung d r i t t e r Personen i n der gesetzlichen U V 243 I V . Sonderfall der VersGeschützten i n Gestalt von Gemeinden u n d Gemeindeverbänden — Entsprechungen u n d Abwandlungen des p r i vaten HPflVersRechts i n der gesetzlichen U V 245 1. Erscheinungsformen i n der PrivatVers

245

2. Entsprechungen u n d Abwandlungen i n der gesetzlichen U V 246 Zweiter Abschnitt : Die Träger der Versicherung Erster Unterabschnitt : Die Versicherungsträger selbst I. Terminologisches — A r t e n der Träger der Versicherung I I . Rechtsform u n d Zweck von W a G u n d B G

248 248 248 251

I I I . Innere Organisation v o n W a G u n d B G

251

I V . Zusammenschlüsse von W a G u n d BGen zu Verbänden

259

V. Sonstige Zusammenschlüsse V I . Die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen 1. Allgemeines u n d Begriffliches

260 261 261

2. Die öffentlich-rechtlichen U n f a l l - u n d HPflVersUnternehmen — Rechtsnatur der Vers Verhältnisse 262 3. Entsprechungen u n d Abwandlungen hinsichtlich der äußeren Rechtsform i n der gesetzlichen U V 264 4. Entsprechungen u n d Abwandlungen hinsichtlich der Gemeinnützigkeit 265 5. Die öffentlich-rechtlichen VersEinrichtungen der Gemeinden — vergleichbare Erscheinungen i n der gesetzlichen U V 265 V I I . Privatrechtliche Versicherungsunternehmen f ü r die Deckung k o m munaler Haftpflichtwagnisse 267 V I I I . Zusammenfassung der Entsprechungen u n d Abwandlungen bezogen auf die privaten u n d öffentlich-rechtlichen VersTräger i m Vergleich zu denen der gesetzlichen U V 267 Zweiter Unterabschnitt : Wirtschaftsführung u n d Finanzierung I. Begrenzung der Untersuchungen I I . Mittelaufbringung I I I . Die Beitragsgestaltung

268 268 268 272

Inhaltsverzeichnis I V . Ausrichtung der Beiträge nach dem Entgelt V. Verfahren f ü r die Mittelaufbringung

273 274

V I . Sonstiges zur finanziellen Gestaltung der privaten U V u n d HPflVers. sowie der gesetzlichen U V 275 Dritter Abschnitt: Die Staatsaufsicht

277

Erster Unterabschnitt: Begrenzung der Untersuchungen u n d Arbeitsplan 277 Zweiter Unterabschnitt: w i e über die B G

Aufsicht über den W a G nebst Ausformungen so-

I. Die aufsichtsführenden Behörden über den W a G A . Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts 1. W a G

279 279 279 279

2. „Versicherungsverband f ü r Gemeinden u n d Gemeindeverbände" ( W a G i n Köln) u n d „ W ü r t t . Gemeinde-Versicherungsverein a. G." (in Stuttgart) 280 3. „Allgemeiner Kommunalhaftpflichtschadenausgleich" (AKHA) B. Bereich der gesetzlichen U V 1. Bundesunmittelbare BGen

281 282 282

2. Landesunmittelbare BGen — ihre Abgrenzung zu bundesunmittelbaren BGen 282 C. Entsprechungen u n d Abwandlungen

283

I I . Das Wesen der Aufsicht: diesbezügliche Entsprechungen u n d A b wandlungen des privaten VersRechts i n der gesetzlichen U V 284 1. Grundsätzliche Gegebenheiten

284

2. Kennzeichnung des Gesamtcharakters der Aufsicht — Begrenzung der Aufsicht 285 3. Rechte (Mittel) der Aufsichtsbehörden

298

4. Entsprechungen u n d Abwandlungen zu 1) bis 3)

299

Dritter Unterabschnitt: Aufsicht über die kommunalen Schadenausgleiche der Gemeinden sowie über die Gemeindeunfallversicherungsverbände 302 I. Die aufsichtsführenden Behörden

302

A . Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

302

B. Bereich der gesetzlichen U V

304

C. Entsprechungen u n d Abwandlungen

305

Inhaltsverzeichnis

XXV

I I . Das Wesen der Aufsicht: diesbezügliche Entsprechungen u n d A b wandlungen 306 Vierter Unterabschnitt: Unternehmen

Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen

Vers306

I. Allgemeines u n d Terminologisches über die Aufsichtsarten I I . Die Aufsicht über den „Bayer. Versicherungsverband"

306 308

I I I . Die Aufsicht über die i m „Verband öffentlicher Lebens- u n d H a f t pflichtversicherer" zusammengeschlossenen VersUnternehmen 311 I V . Entsprechungen u n d Abwandlungen i m H i n b l i c k auf das private U n f a l l - u n d HPflVersRecht einerseits sowie die gesetzliche U V andererseits 312 Viertes

Kapitel

Das Versicherungsverhältnis selbst

314

Erster Abschnitt: Entstehung u n d Beendigung des Versicherungsverhältnisses Erster Unterabschnitt: Zweiter Unterabschnitt:

Inhaltsbestimmung des VersVerhältnisses

314 314

Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts 315

I. Der Normalfall der EigenVers A . Privatautonomer Beweggrund f ü r den Vertragsabschluß

315 315

1. Vertragsabschluß

315

2. Technischer Vollzug des Vertragsabschlusses

315

3. Beginn der Versicherung

316

4. Beendigung der Versicherung

317

B. Erzwungene Versicherungs Verhältnisse

318

1. Die v o m Gesetzgeber i m Bereich der PrivatVers. vorgesehenen Möglichkeiten 318 2. Die PflichtVers. des Kraftfahrzeughalters

319

3. Versicherungspflicht m i t einseitiger Versicherungspflicht des VNs 321 C. Die vorläufige Deckungszusage

322

1. Wesen u n d Verbreitung der vorläufigen Deckungszusage

322

2. Entstehung u n d Beendigung der vorläufigen D Z

323

3. I n h a l t der vorläufigen D Z — Rechte u n d Pflichten aus der vorläufigen D Z 323 I I . Die Versicherung d r i t t e r Personen

323

Inhaltsverzeichnis A . Vorbemerkung

323

B. „Gruppe" u n d Gruppenverhältnis

325

1. Definition

325

2. Weitere Voraussetzungen f ü r einen GruppenVersVertrag

. . 326

C. Die schriftliche E i n w i l l i g u n g des Versicherten bei einer „ G r u p penVers. zugunsten des V N s " 327 D. Die A n m e l d u n g

331

1. Grundsätzliche Gegebenheiten a) 1. Gruppe: automatische Versicherung b) 2. Gruppe: Versicherung m i t A n m e l d u n g c) Entscheidender Unterschied zwischen der 1. u n d 2. Gruppe d) Ausgestaltungsmöglichkeiten der 2. Gruppe

331 331 332 332 332

2. Wesen u n d Hechtsnatur der A n m e l d u n g

333

3. Grenzen der vertraglichen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Anmeldepflicht innerhalb der 2. Gruppe 333 4. Die Annahme seitens des VUs

334

5. Förmlicher u n d materieller Versicherungsbeginn des einzelnen mitversicherten Risikos 335 6. Hauptsächliche Verbreitung der Vertragstypen betreffend die U n f a l l - u n d HPflVers. i n der Praxis a) Automatische Versicherung — Sicht des VUs b) Automatische Versicherung — Sicht des VNs c) Versicherung m i t rechtsbegründender A n m e l d u n g — aus der Sicht beider Parteien E. Beendigung des Versicherungsverhältnisses Dritter Unterabschnitt:

Bereich der gesetzlichen U V

337 337 337 337 338 339

I. Der N o r m a l f a l l der KollektivVers. der Arbeitnehmer bei gleichzeitiger EinzelVers. des Arbeitgebers 339 A . Entstehung u n d Beendigung des Versicherungsverhältnisses

339

1. Grundsätzliches

339

2. Der gesetzliche normierte Entstehungstatbestand

339

3. Entstehung u n d Beendigung des Versicherungsverhältnisses 344 B. Die A n m e l d u n g I I . Der Ausnahmefall der EigenVers. des Unternehmers

Vierter

346 346

A . EigenVers. i n F o r m eines Pflicht-Vers Verhältnisses

346

B. EigenVers. i n F o r m der freiwilligen Versicherung

346

Unterabschnitt: Entsprechungen u n d Abwandlungen

I. Die Rechtsform des Versicherungsverhältnisses

347 347

Inhaltsverzeichnis

XXVII

I I . Die EigenVers. als N o r m a l f a l l i n der PrivatVers. u n d als Ausnahmef a l l i n der gesetzlichen U V 348 I I I . Die Versicherung dritter Personen als Ausnahmefall i n der P r i v a t Vers. u n d als Regelfall i n der gesetzlichen U V 349 I V . Zweck dieser entscheidenden A b w a n d l u n g des PrivatVersRechts i n der gesetzlichen U V 350 Zweiter Abschnitt: Die Rechtsstellung des Geschädigten Erster Unterabschnitt: Abgrenzung u n d Gang der Untersuchungen Zweiter Unterabschnitt:

350 350

Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts 351

I. Rechtsstellung des Geschädigten i m N o r m a l f a l l der PrivatVers.: V N = Versicherter = Geschädigter 351 A. Rechtsstellung des Geschädigten bei einer von i h m abgeschlossenen U V 351 B. Rechtsstellung des Geschädigten bei einer v o m Schädiger = V N genommenen HPflVers 351 I I . Rechtsstellung des Geschädigten i n den Ausnahmefällen der P r i v a t Vers 354 1. „FremdVers. auf die Person eines anderen" u n d ihre Ausgestaltungen i n der U V 354 2. „EigenVers. auf die Person eines anderen" u n d ihre Ausgestaltungen i n der U V 357 3. „FremdVers. auf die Person eines anderen" u n d ihre Ausgestaltungen i n der HPflVers 357 4. „EigenVers. auf die Person eines anderen" u n d ihre Ausgestaltungen i n der HPflVers 359 I I I . Rechtsstellung des Geschädigten i n der allgemeinen PflichtVers

359

1. Wahrnehmung des Schutzes des D r i t t e n durch die HPflVers. als PflichtVers

359

2. Angelpunkte der neu eingeführten PflichtVers

361

3. Die Vorschrift des § 158 c W G

361

I V . Die heutige Rechtsstellung des Geschädigten i n der KraftverkehrsVers 366 1. Die direkte Klagemöglichkeit des geschädigten D r i t t e n gegen den V U 366 2. Die „action directe"

366

3. Der Verein „Verkehrsopferhilfe e. V." i n H a m b u r g

369

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

Dritter Unterabschnitt:

Bereich der gesetzlichen U V

371

1. Die Einbeziehung aller Versicherungspflichtigen i n das V e r sicherungsverhältnis 371 2. Die Rechtsstellung des Geschädigten Vierter

Unterabschnitt:

Entsprechungen u n d Abwandlungen

I. Generelle A b w a n d l u n g

371 372 372

I I . E r k l ä r u n g der Unterschiedlichkeit

372

I I I . Vergleich einzelner Haftungskonstellationen i n bezug auf die Stellung des Geschädigten 372 1. Unfallversicherung

372

2. Haftpflichtversicherung

373

3. „action directe" — Einbeziehung i n das VersVerhältnis

374

Fünfter Unterabschnitt:

Die Rechtsstellung des Geschädigten

I . Z u r Einführung

376 376

I I . Bereiche des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts einerseits u n d der gesetzlichen U V andererseits 376 1. Rechtsnatur u n d Zweck der Obliegenheiten

376

2. Rechtsnatur u n d Zweck der Unfallverhütungsvorschriften . . 384 3. I n h a l t u n d A r t e n der Obliegenheiten

386

4. I n h a l t u n d A r t e n der Unfallverhütungsvorschriften

388

5. Die Verletzung der Obliegenheiten

390

6. Die Verletzung der Unfallverhütungsvorschriften

394

7. Die Rechtsstellung des Geschädigten angesichts der V e r letzung von Obliegenheiten (Arten der Verletzungsfolgen) . . 398 8. Die Rechtsstellung des Geschädigten angesichts der V e r l e t zung von Unfallverhütungsvorschriften — A r t e n der V e r letzungsfolgen 401 I I I . Entsprechungen u n d Abwandlungen

406

1. Vorbemerkung

406

2. Rechtsnatur u n d Zweck

406

3. I n h a l t u n d A r t e n

409

4. Die Verletzung von Obliegenheiten u n d Unfallverhütungsvorschriften 409 5. Die Rechtsstellung des Geschädigten

410

Dritter Abschnitt: Die Rechtsstellung des VersUnternehmers i m privaten U n f a l l - u n d HPflVersRecht einerseits u n d des Trägers der gesetzlichen U V andererseits (§ 67 W G , § 1542 RVO)

412

Inhaltsverzeichnis Erster Unterabschnitt:

XXIX

Abgrenzung u n d Gang der Untersuchungen

412

Zweiter Unterabschnitt: Die Anwendbarkeit des § 67 Abs. 1 Satz 2 W G innerhalb des § 1542 Abs. 1 RVO 412 1. Entsprechung der Vorschriften der §§67 V V G , 1542 RVO bezüglich des Forderungsübergangs 412 2. Ausgangsfrage

413

3. Ausgangsfall zur Illustrierung der Ausgangsfrage

413

4. Z u r Lösung des Ausgangsfalls a) Konsequenzen eines Quotenvorrechts des Versicherten i n der SozialVers b) Stützung eines Quotenvorrechts des Versicherten i n der SozialVers. durch eine entsprechende A n w e n d u n g des § 67 Abs. 1 Satz 2 W G innerhalb des § 1542 RVO c) Ablehnung eines Quotenvorrechts des Versicherten speziell i n der gesetzlichen U V

417

5. Lösungsergebnis

420

Dritter Unterabschnitt: des § 1542 RVO

417

418 419

Die Anwendbarkeit des § 67 Abs. 2 W G innerhalb 420

1. Das Problem der diesbezüglichen Lücke i n § 1542 R V O

420

2. Die Lückenschließung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs u n d ihre Rechtfertigung 421 3. Ergebnis Vierter Unterabschnitt: des §640 RVO

423 Die Rechtsstellung der B G k r a f t der Vorschrift 423

1. Beleuchtung der S t r u k t u r des § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO

423

2. Die Tragweite dieser Vorschrift

424

3. Maßgebliche Gesichtspunkte f ü r die Inhaltsbeurteilung des § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO 425 4. Fehlen einer dem § 640 RVO entsprechenden N o r m i n der privaten SchadensVers. u n d E r k l ä r u n g dieses Umstandes . . 427 Fünfter Unterabschnitt: Die Gesamtbeurteilung der Rechtsstellung des VUs i m Vergleich zum SVT (BG) 427 Vierter

Abschnitt:

Das Leistungsverhältnis Erster Unterabschnitt: Vergleich des grundsätzlichen Leistungsinhalts Zweiter Unterabschnitt:

Die Leistungen

I. Grundsätzliche Leistungsvoraussetzungen I I . Weitere Leistungsvoraussetzungen

428 . . 428 430 430 431

XXX

Inhaltsverzeichnis

I I I . Die Leistungsarten

433

I V . Probleme der Leistungskonkurrenz

434

V. Einzelfälle v o n Leistungskürzungen

438

Dritter Unterabschnitt: wandlungen

Zusammenfassung der Entsprechungen u n d A b 440 Fünfter Abschnitt: Das Beitragsverhältnis

Erster Unterabschnitt: Die Beitragspflicht I. Bereich der privaten U n f a l l - u n d HPflVers I I . Bereich der gesetzlichen U V

442 442 442 443

Zweiter Unterabschnitt: Die rechtliche K o n s t r u k t i o n der Wahrnehmung der Beitragszahlung 443 I. Bereich der privaten U V u n d HPflVers

443

1. Verpflichtete u n d Berechtigte

443

2. I n h a l t der Leistungspflicht

444

a) Die Beitragspflicht als unbedingte Verpflichtung 444 b) „Einmalige" u n d „laufende" Prämie — „Erste" Prämie u n d „Folgenprämien" 445 I I . Bereich der gesetzlichen U V

446

1. Der zur Beitragszahlung Verpflichtete a) Die Finanzierung der B G e n b) Die Finanzierung sonstiger UV-Einrichtungen

446 446 447

2. I n h a l t der Leistungspflicht a) Der Beitragsbescheid b) Die Staatsgarantie

447 447 448

Dritter Unterabschnitt: sicherungsschutz

Die Abhängigkeit von Beitragsleistung u n d V e r 448

I. Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

448

1. Die Auswirkungen des Prämienverzugs i n der EinzelVers. . . 448 2. Die Auswirkungen des Prämienverzugs i n der GruppenVers. 451 3. Der VersSchutz bei Verletzung der Beitragspflicht i n der PflichtVers 453 I I . Bereich der gesetzlichen U V

Vierter

454

1. Die Lockerung des „genetischen Synallagmas"

454

2. Keine völlige Lösung des Abhängigkeitsverhältnisses

454

Unterabschnitt:

Das Versicherungsverhältnis i m Konkurs

455

Inhaltsverzeichnis

XXXI

I. Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

455

1. Konkurs des VUs

455

2. Konkurs des VNs

455

I I . Bereich der gesetzlichen U V

456

1. Konkurs des (haftpflicht-) versicherten Arbeitgebers

456

2. Zahlungsunfähigkeit eines UV-Trägers

458

Fünfter Unterabschnitt: Zusammenfassung der Entsprechungen u n d A b wandlungen 458 Sechster Abschnitt: Rechtsschutz f ü r die Ansprüche aus dem Schadensereignis

462

Erster Unterabschnitt: Der Rechtsweg f ü r die Klagen aus dem VersVerhältnis (Deckungsverhältnis) 462 I. Bereich des (rein) privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

462

I I . Bereich des öffentlich-rechtlichen U n f a l l - u n d HPflVersRechts (im Rahmen des PrivatVersRechts) 463 I I I . Bereich der gesetzlichen U V Zweiter Unterabschnitt: Rechtsweg

466

Die Durchsetzung des Vers Anspruchs auf dem 467

I. Bereich des (rein) privaten u n d des öffentlich-rechtlichen U n f a l l u n d HPflVersRechts 467 1. V e r j ä h r u n g

467

2. Klageausschlußfrist

468

3. ö r t l i c h e Zuständigkeit des Gerichts

469

4. Auslegung der VersBedingungen u n d Probleme der Beweislast 469 I I . Bereich der gesetzlichen U V

472

1. Die A u s w i r k u n g e n der öffentlich-rechtlichen S t r u k t u r der gesetzlichen U V 472 2. Der V A i n der gesetzlichen U V unter besonderer Berücksichtigung des Leistungsbescheides 473 3. Die Beitragsseite

476

4. Die Leistungsseite 5. Die Problematik der Rücknahme u n d des Widerrufs Leistungsbescheiden 6. Die Rücknahme v o n Anfang an fehlerhafter Bescheide

479 von 481 481

7. Der Widerruf von ursprünglich fehlerfreien, jedoch nachträglich rechtswidrig gewordenen V A e n 484

XXXII

Inhaltsverzeichnis 8. Gesamtergebnis der Untersuchungen hinsichtlich der Rücknahme- u n d Widerrufsmöglichkeiten v o n Leistungsbescheiden i n der gesetzlichen U V auf der Beitrags- u n d Leistungsseite 487

Dritter Unterabschnitt: Zusammenfassende Beleuchtung der Entsprechungen u n d Abwandlungen 487 Siebenter Abschnitt: Das Versicherungsverhältnis m i t Auslandsberührung

490

Erster Unterabschnitt: Einführung i n die Problematik — Begrenzung der Untersuchungen 490 1. Sachverhalte m i t Auslandsberührung — internationale Sachverhalte 490 2. Die hier gleichermaßen i m P r i v a t - w i e i m SozialVersRecht zu lösenden Fragen 491 Zweiter Unterabschnitt: Terminologisches Dritter Unterabschnitt:

Erläuterung der Untersuchungsgegenstände — 491 Das Problem der sogenannten A n k n ü p f u n g

I. Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

494 494

1. Die Abstellung auf den „ w i r k l i c h e n " Parteiwillen

494

2. Die Abstellung auf den „hypothetischen" P a r t e i w i l l e n

495

I I . Bereich der gesetzlichen U V

497

1. K r i t e r i e n zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts

497

2. Beachtung spezieller kollisionsrechtlicher auch i m SozialVersRecht

503

Gesichtspunkte

Vierter Unterabschnitt: Entsprechungen u n d Abwandlungen des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts i n der gesetzlichen U V 505 Achter Abschnitt: Das Versicherungsverhältnis u n d die Grundrechte I. Z u r Einleitung

507 507

I I . Bereich des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts

507

1. Der Meinungsstreit über die Problematik

507

2. Ergebnis u n d Entscheidung dieses Meinungsstreits

511

I I I . Bereich der gesetzlichen U V

511

1. Der unmittelbare Einfluß der Grundrechte auf das gesetzliche UV-Verhältnis 511 2. Aktualisierung der Grundrechte zugunsten der Versicherten 511

Inhaltsverzeichnis

XXXIII

3. Aktualisierung der Grundrechte zugunsten des UV-Trägers 512 I V . Begründung u n d Analyse dieser A b w a n d l u n g

512

VIERTER T E I L W ü r d i g u n g der gefundenen Entsprechungen und A b w a n d l u n g e n 513 Erster Abschnitt: Die Tendenzen, die diese A r b e i t nicht verfolgt

513

I. Erste, hier nicht verfolgte Tendenz

513

I I . Zweite, hier nicht verfolgte Tendenz

513

I I I . Dritte, hier nicht verfolgte Tendenz

514

I V . Das Bestreben dieser Untersuchung

514

Zweiter Abschnitt: Z u der Ansicht, die gesetzliche U V als Zweig unserer SozialVers. sei nicht „Versicherung" i m Rechtssinne Erster Unterabschnitt: Weyls

515

Versuch einer Widerlegung der Meinung Richard 515

1. Die Bezeichnung als „Versicherung" — i n der T a t k e i n entscheidendes K r i t e r i u m 515 2. Der Hinweis auf die Massenhaftigkeit der „Versicherungs"Verhältnisse 515 3. Der Hinweis auf die A r t der Entstehung des VersVerhältnisses 516 4. Die Ansicht Weyls, die SozialVers. stelle eine „gesetzliche" oder „Zustands-Obligation" dar 517 5. Ergebnis Zweiter Unterabschnitt: rich Rosins

517 Versuch einer Widerlegung der Meinung H e i n 518

1. Der Hinweis Rosins darauf, die SozialVers. sei öffentlichrechtliche Fürsorge 518 2. Der Hinweis Rosins darauf, die Subjekte von Rechten u n d Pflichten i n der gesetzlichen U V fielen auseinander — insow e i t fehle es an einer Ersetzung jenes „gelösten" Zusammenhangs 519 3. Ergebnis

519

Dritter Unterabschnitt: Versuch einer Entgegnung auf die Meinung Walter Kaskels u n d Fritz Sitzlers 520 1. Der Hinweis beider Autoren auf die fehlende Verhältnismäßigkeit zwischen Beitrag u n d Risiko 520

Inhaltsverzeichnis 2. Der Hinweis auf Entschädigung durch die gesetzliche U V auch f ü r bereits vorhandene Schäden 520 3. Die K o n s t r u k t i o n der gesetzlichen U V Vierter Unterabschnitt: Lauterbachs

521

Versuch einer Entgegnung auf die Ansicht Herbert 521 Dritter Abschnitt:

Einordnung unter einen Begriff der „Versicherung" Vierter

522

Abschnitt:

Entwicklungsmöglichkeiten

523

Fünfter Abschnitt: Erwünschter Beitrag dieser A r b e i t zur weiteren Entwicklung 1. Die Mobilisierung der Rechtsanwendung

524 524

2. Die Berücksichtigung der Besonderheiten der gesetzlichen U V bei dem weiteren Ausbau dieses Rechtsgebiets — der K e r n privater Daseinsvorsorge 525

Abkürzungsverzeichnis a. A .

anderer Ansicht

ABA

Zeitschrift „ A r b e i t , Beruf u n d Arbeitslosenhilfe"

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

Abt.

Abteilung

abw.

abweichend

AG

Aktiengesellschaft

a. F.

alte Fassung

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

amtl. Begr.

amtliche Begründung

AN

Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts; nehmer

Anm.

Anmerkung

Anz.

Anzeiger

AöR

A r c h i v des öffentlichen Rechts

AP

Entscheidungssammlung „Arbeitsrechtliche schlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbVers.

Zeitschrift „Die Arbeiterversorgung"

Praxis",

Arbeit-

Nach-

arg

argumentum e contrario

ARS

Arbeitsrechts-Sammlung (früher Bensheimer Sammlung), Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts u n d des Ehrengerichts, der Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte u n d Ehrengerichte

AVAVG

Gesetz über Arbeitslosenvermittlung u n d Arbeitslosenversicherung

AVG

Angestelltenversicherungsgesetz

BAB1.

Bundesarbeitsblatt

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts

BAnz.

Bundesanzeiger

BAV

Bundesaufsichtsamt f ü r das Versicherungs- u n d Bausparwesen

Bay., Bayer.

Bayerisch (-er, -es)

XXXVI

Abkürzungsverzeichnis

BB

Zeitschrift „ D e r Betriebsberater"

Bek.

Bekanntmachung

Beschl.

Beschluß

betr.

betrifft, betreffend

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BfA

Bundesversicherungsanstalt f ü r Angestellte

BG

Berufsgenossenschaft; Zeitschrift „Die Berufsgenossenschaft"

BGB1.

Bundesgesetzblatt (Teil I u n d I I )

BGE

Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

BGHZ

Bundesgerichtshof i n Zivilsachen

BGHSt

Bundesgerichtshof i n Strafsachen

BKK

Zeitschrift „Die Betriebskrankenkasse"

BKVO

Berufskrankheiten-Verordnung

Bl.

Blatt

BM

Bundesminister(ium)

BMA

Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung

Breith.

Sammlung v o n Entscheidungen der Sozialversicherung, V e r sorgung u n d Arbeitslosenversicherung v o n Breithaupt

BSG

Bundessozialgericht

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

Buchst.

Buchstabe

BVA

Bundesversicherungsamt

BVAG

Bundesversicherungsamtgesetz

BVFG

Bundesvertriebenengesetz

BVG

Bundesversorgungsgesetz

BVerfG

Bundèsvêrf assungsgeridit

BVerwG

Bundesveiwaltungsgeribht

DAngVers.

Zeitschrift „Die Angestelltenversicherung"

DAR

Zeitschrift „Deutsches Autorecht"

DB

Zeitschrift „Der Betrieb"

Diss.

Dissertation

DOK

Zeitschrift „Die Ortskrankenkasse"

DöV

Zeitschrift „Die öffentliche V e r w a l t u n g "

DR(W)

Zeitschrift „Deutsches R e d i t " , Wochenausgabe

Drucks. des RTs.

Drucksachen des Reichstags

Drucks. des BTs.

Drucksachen des Bundestags

Abkürzungsverzeichnis DVB1.

Zeitschrift „Deutsches Verwaltungsblatt"

DVO

Durchführungsverordnung

DVZ

Zeitschrift „Deutsche Versicherungszeitschrift"

E.

Entscheidung(en) (Amtliche Sammlung)

EG

Einführungsgesetz

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Entsch.

Entscheidung

entspr.

entsprechend

Entw.

Entwurf

Erl.

Erlaß

EuM

Entscheidungen u n d Mitteilungen des Reichsversicherungsamts

e. V .

eingetragener Verein

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f., ff.

folgende

FAG

Fremd- u n d Auslandsrentengesetz (v. 7.8.1953)

FANG

Fremd- u n d Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz

Festg.

Festgabe

Festschr.

Festschrift

FRG

Fremdrentengesetz (vom 25. 2.1960)

G

Gesetz

GAL

Gesetz über eine Altershilfe f ü r L a n d w i r t e

GB

Geschäftsbericht

GBl.

Gesetzblatt

GE

Grundsätzliche Entscheidung

GewO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland

GrS

Großer Senat

GVB1.

Gesetz- u n d Verordnungsblatt

HansRuGZ

Hanseatische Rechts- u n d Gerichts-Zeitschrift, A : A b t . A , B : A b t . B (diese Bezeichnung g i l t ab 1928; v o n 1918—1928: Hanseatische Rechts-Zeitung)

HGB

Handelsgesetzbuch

HdSW

Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

h. L .

herrschende Lehre

h. M .

herrschende Meinung

HPflVers.

Haftpflichtversicherung

Abkürzungsverzeichnis

XXXVIII HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

IAO

Internationale Arbeitsorganisation

i. d. F.

i n der Fassung

IPR

Internationales Privatrecht

i. S.

i m Sinne

i. V. m.

i n Verbindung m i t

JAV

Jahresarbeitsverdienst

JR

Zeitschrift „Juristische Rundschau"

JRPV

Zeitschrift „Juristische Rundschau f ü r die Privatversicherung"

JuS

Zeitschrift „Juristische Schulung"

JW

Zeitschrift „Juristische Wochenschrift"

JZ

Zeitschrift „Juristenzeitung"

KG

Kommanditgesellschaft

KnV

Knappschaftsversicherung

KnVNG

Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz

Komm.

Kommentar

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

LAG

Landesarbeitsgericht

Leg. Per.

Legislaturperiode

LM

Lindenmaier-Möhring, Das Nachschlagewerk des B G H

LSG

Landessozialgericht

LVA

Landesversicherungsanstalt

LZ

Leipziger Zeitschrift f ü r Deutsches Recht

M

Mark

MdE

Minderung der Erwerbsfähigkeit

MDR

Monatsschrift f ü r Deutsches Recht

Mot.

Motive

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NeumZ

Neumanns Zeitschrift f ü r Versicherungswesen

OGH

Oberster Gerichtshof

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

OVA

Oberversicherungsamt

OVG

Oberverwaltungsgericht

PflVG

Pflichtversicherungsgesetz (1939 u. 1965)

Prot.

Protokolle

Abkürzungsverzeichnis RAA

Reichsaufsichtsamt f ü r Privatversicherung

RabelsZ

Zeitschrift f ü r ausländisches u n d internationales Privatrecht

RABL

Reichsarbeitsblatt

RAG

Reichsarbeitsgericht

RAM

Reichsarbeitsminister(ium)

RdA

Zeitschrift „Recht der A r b e i t "

RdErl.

Runderlaß

Rdn.

Randnote

Rdnr.

Randnummer

RG

Reichsgericht

RGB1.

Reichsgesetzblatt (Teil I u n d I I )

RGSt

Reichsgericht i n Strafsachen

RGZ

Reichsgericht i n Zivilsachen

RHPflG

Reichshaftpflichtgesetz

RKG

Reichsknappschaftsgesetz

Rspr., Rechtspr.

Rechtsprechung

R VA

Reichsversicherungsamt

RVO

Reichsversicherungsordnung

RWM

Reichswirtschaftsminister

s.

siehe

S.

Satz, Seite

Sess.

Session

SF

Zeitschrift „Sozialer Fortschritt"

SG

Sozialgericht

SGb.

Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit"

SGG

Sozialgerichtsgesetz

SozEntsch.

Sozialrechtliche Entscheidungssammlung, herausgegeben von Wende, Peters u n d anderen

SozR

Sozialrecht, Rechtsprechung u n d Schrifttum, bearbeitet v o n den Richtern des Bundessozialgerichts

SozSich.

Zeitschrift „Soziale Sicherheit"

SozVers.

Zeitschrift „Die Sozialversicherung"

Sp.

Spalte

StGB

Strafgesetzbuch

SZS

Schweizerische Zeitschrift f ü r Sozialversicherung

u. a.

unter anderem (und andere)

U A b sehn.

Unterabschnitt

Abkürzungsverzeiehnis

XL Urt.

Urteil

u. U.

unter Umständen

UV

Unfallversicherung

UVG

Unfallversicherungsgesetz

UVNG

Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung

V, Vers.

Versicherung

VAG

Gesetz über die Beaufsichtigung der p r i v a t e n Versicherungsunternehmungen u n d Bausparkassen

VA

Versicherungsamt; Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamts f ü r Privatversicherung, ab 1947:... des Zonenamtes des Reichsauf sichtsamtes f ü r das Versicherungswesen (Hamburg), ab 1952:... des Bundesaufsichtsamtes f ü r das Versicherungs- u n d Bausparwesen; Verwaltungsakt

VAe

Verwaltungsakte

Verb.

Verbindung

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VersAG

Versicherungsaktiengesellschaft

VersArch.

Versicherungsarchiv

VersH

Zeitschrift „Versicherungsrecht"

Vfg.

Verfügung

VersPrax.

Die Versicherungspraxis

VN

Versicherungsnehmer

Vorbem.

Vorbemerkung

VRR

Zeitschrift „Verkehrsrechtliche Rundschau"

VRS

Verkehrsrechtssammlung

VU

Versicherungsunternehmer, Versicherungsunternehmen

VVaG

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

VW

Zeitschrift „Versicherungswirtschaft"

WG

Versicherungsvertragsgesetz

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

Warn.

Warneyer: „Die Rechtsprechung des Reichsgerichts"

WuR

Wirtschaft u n d Recht der Versicherung. Beiheft zu M i t t e i l u n gen f ü r die öffentlichen Feuer-Versicherungsanstalten, ab 1926 zu „Versicherung u n d Geldwirtschaft", ab 1929 zu Zeitschrift „Die öffentlich-rechtliche Versicherung", ab 1935 zur Z e i t schrift DöV

WV

Weimarer Verfassung

WzS

Zeitschrift „Wege zur Sozialversicherung"

Abkürzungsverzeichnis ZfS

Zeitschrift „ Z e n t r a l b l a t t f ü r Sozialversicherung, u n d Versorgung"

ZHR

Zeitschrift f ü r das gesamte Handelsrecht u n d Konkursrecht

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZSR

Zeitschrift f ü r Sozialreform

Sozialhilfe

z. T.

zum T e i l

ZVersWiss.

Zeitschrift f ü r die gesamte Versicherungswissenschaft

Die i n diesem Abkürzungsverzeichnis nicht enthaltenen Abkürzungen sind aus dem Sinnzusammenhang erkenntlich.

Einführung Auf den ersten Blick mag es erstaunen, daß die vorliegende Arbeit sich zum Ziel setzt, Entsprechungen und Abwandlungen zweier Komplexe des Privatversicherungsrechts i n dem einen Komplex der gesetzlichen Unfallversicherung aufzuzeigen. Diese Aufgabe erklärt sich aus einem rechtlich bedeutsamen Ereignis. I m Jahre 1884 nämlich wurde das erste deutsche Unfall Versicherungsgesetz1 geschaffen. Dieses Gesetz, das heutzutage i n der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil der Reichsversicherungsordnung fortlebt, löste damals gewisse Funktionsbereiche zweier Rechtskomplexe privater Daseinsvorsorge ab. Der eine dieser beiden Rechtskomplexe, nämlich die private Unfallversicherung, wurde i n jenem Teilbereich abgelöst, der die Sicherstellung von Arbeitnehmern nach Unfällen i m Arbeitsleben regelte. Von dem anderen Rechtskomplex, der privaten Haftpflichtversicherung, übernahm die gesetzliche Unfallversicherung den Teilbereich der Sicherstellung der Arbeitgeber, deren diese insofern bedurften, als zu ihren Lasten aufgrund solcher Unfälle Haftpflichtansprüche entstanden. Daß sich die geschilderte Ablösung des Privatversicherungsrechts nicht ohne Kämpfe vollzogen hat, leuchtet ein. Das rechtliche Ergebnis jenes Ringens u m eine wirkungsvollere Sicherstellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, als sie bis zum Jahre 1884 bestanden hatte und wie sie ab diesem Zeitpunkt i n eben jenem U V G vom 6. J u l i 1884 Gestalt annahm, darf noch heute mit vollem Recht als umwälzend und historisch bezeichnet werden. Denn der Gesetzgeber beschritt damals einen gänzlich neuen Weg, u m seine sozialpolitischen Ziele durchzusetzen. Dieser Weg erwies sich — auch aus rechtlicher Sicht — als so brauchbar und richtungweisend, daß er manches Land dazu angeregt hat, i h m zu folgen. Den rechtskonstruktiven Endpunkt dieses Weges stellte das Gebäude der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Unter ihrem Dach beherbergte der Gesetzgeber die genannten Teilbereiche des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts, also zweier verschiedener Zweige unseres Privatversicherungsrechts. 1

I m folgenden als U V G 1884 bezeichnet.

2

Einführung

Das Aufzeigen von Entsprechungen und Abwandlungen dieser beiden Privatversicherungszweige i n der gesetzlichen Unfallversicherung soll einmal die Erinnerung daran wachrufen, daß der Gesetzgeber die bezeichneten Privatversicherungsbereiche zugunsten der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst hat. Des weiteren soll die Arbeit dartun, i n welchen Bereichen sich die gesetzliche Unfallversicherung als Zweig unseres heutigen Sozialversicherungsrechts dem privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrecht annähert und wo sie sich von ihm entfernt. Einen breiten Raum dieser Abhandlung soll daher die Untersuchung einnehmen, was i n Gestalt der gesetzlichen Unfallversicherung rechtskonstruktiv grundsätzlich Neues entstanden ist. Weiterhin w i r d anhand des folgenden Vergleichs der beiden Privatversicherungskomplexe m i t der gesetzlichen Unfallversicherung ein Beitrag zu der nicht aussetzenden Diskussion zu leisten sein, wie der Charakter der gesetzlichen Unfallversicherung letzten Endes rechtlich zu beurteilen ist.

ERSTER T E I L

D i e Entwicklung bis z u m U V G 1884 1 Erstes

Kapitel

Abgrenzung und Erläuterung der Untersuchungsgegenstände Es liegt nicht i m Plan dieser Arbeit, die Geschichte des deutschen privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts einerseits und der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) andererseits von den Anfängen bis zum heutigen Stande aufzuzeigen. Ein solches Unterfangen dürfte hier kaum fruchtbar sein. Jedoch erscheint es für das Verständnis der grundlegenden Systemzusammenhänge i n den genannten drei Gebieten unseres heutigen Rechts angezeigt, den Blick zurückzuwenden und nach deren nachspürbarem Ursprung und früher Entwicklung zu fragen. Hierbei soll der Schwerpunkt der Untersuchungen insbesondere auf die elementaren rechtlichen Konstruktionen gelegt werden, m i t deren Hilfe die vor der Entstehung des U V G 1884 bereits vorhandenen Rechtsmaterien und schließlich das U V G 1884 selbst die aus einem Unfall entstandenen A n sprüche und Belastungen regelten. Als weniger wichtig w i r d hierbei das Aufzeigen der diese Rechtsentwicklung begleitenden Geschichte zu berücksichtigen sein. Deren i n knappem Rahmen gehaltene Darlegung soll gleichsam nur den Leitfaden dafür bilden, die Fülle der rechtlichen Konstruktionen und Möglichkeiten für eine Deckung der durch Betriebsunfälle herbeigeführten Schäden zu entwickeln, die den Wegbereitern des U V G 1884 als Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Die Frage nach Ursprung und früher Entwicklung der i m Thema bezeichneten Rechtskomplexe führt, soweit das Haftpflichtversicherungsrecht (HPflVR) berührt ist, zu der vorab zu klärenden Frage, wie sich das Recht der Haftpflicht aufgrund eines Unfalls entwickelte. Denn

1 Siehe hierzu Suter, Kollision sozialer u n d privater UV, S. 1 u n d 18, der diese Entwicklungsperiode w i e folgt unterteilt: V o n der Verschuldenshaftung zur Haftpflichtgesetzgebung — V o n der Haftpflichtgesetzgebung zum UVG.

4

1. T e i l : Die Entwicklung bis z u m U V G 1884

nur soweit eine haftpflichtrechtliche Anspruchsgrundlage dem Unfallgeschädigten oder sonstigen Dritten die Möglichkeit gab, aufgrund eines Unfallschadens von einem anderen etwas zu fordern, war Raum vorhanden für eine Versicherung, bei der ein potentiell Haftpflichtgeschädigter ein solches Haftpflichtrisiko abdecken konnte. Da m i t der Entwicklung des Haftpflichtrechts gleichzeitig ein Wachst u m anderweitigen Schutzrechts zugunsten des Arbeiters 2 wie auch zugunsten des Unternehmers 3 einherging, sollen diese Problemkreise zusammen behandelt werden. Deshalb möchten w i r i m weiteren die Untersuchungen insbesondere der Frage widmen, wie sich i n Deutschland das Haftpflichtrecht, das dem Unfallgeschädigten oder i m Falle seines Todes sonstigen Berechtigten gegenüber einem Schadensverursacher einen Anspruch zubilligte, sowie das sonstige, unmittelbar hierm i t zusammenhängende Schutzrecht des Arbeitnehmers und des Unternehmers bis zum Ersten Entwurf für ein U V G aus dem Jahre 1881 herausgebildet hat. Außerdem w i r d zu untersuchen sein, wie weit das privatrechtliche Versicherungswesen bezüglich Unfall und Haftpflicht bereits entwickelt war, als es zum Ersten Gesetzentwurf für ein U V G kam. Schließlich soll herausgearbeitet werden, an welche Denkmodelle hinsichtlich der Deckung von Schäden aus Arbeitsunfällen und hinsichtlich der Lastenverteilung auf Unternehmerseite sich die Schöpfer des U V G vom 6. J u l i 1884 anlehnten, und was i n Gestalt dieses Gesetzes grundsätzlich Neues entstanden ist.

2 Der Begriff „ A r b e i t e r " soll bis auf weiteres m i t dem Begriff „ A r b e i t nehmer" als inhaltlich identisch gebraucht werden, unabhängig von der E n t wicklung, die beide Begriffe v o r allem i m arbeitsrechtlichen Schrifttum erfahren haben. Siehe f ü r den heutigen Rechtszustand statt vieler PalandtPutzo, Einf. v o r § 611 BGB, A n m . 1 g), h) u n d i). 3 Der Begriff „Unternehmer" soll bis auf weiteres m i t den Begriffen „ B e triebsunternehmer", „Fabrikunternehmer", „Arbeitgeber" u n d „ F a b r i k h e r r " als inhaltlich identisch angesehen werden.

Zweites

Kapitel

Die Herausbildung des Haftpflichtrechts Erster

Abschnitt

Der Stand der Entwicklung im römischen und im gemeinen Recht I . Römisches Recht 2. Schutzrecht

zugunsten

des Arbeitnehmers

und des

Arbeitgebers

Nach den Forschungen v o n Richard W e y l 4 , Robert P i l o t y 5 u n d L . Friedl ä n d e r 6 f i n d e n sich i n d e n Q u e l l e n des r ö m i s c h e n Rechts w e d e r B e s t i m m u n g e n , die die A r b e i t n e h m e r gegen die m a t e r i e l l e n N a c h t e i l e v o n U n f ä l l e n schützten, noch solche, die d e n r e c h t l i c h e n A r b e i t e r s c h u t z i m w e i t e r e n S i n n e 7 z u m I n h a l t h a t t e n . Z w a r h a t es zufolge d e r g e n a n n t e n A u t o r e n eine sozialpolitische Gesetzgebung i m w e i t e s t e n S i n n e dieses B e g r i f f s 8 auch schon i n R o m gegeben 9 . Dies b e w e i s e n besonders j e n e 4

Lehrbuch des Reichsversicherungsrechts, 1. Kap., § 3, S. 20—24. Das Reichs-Unfallversicherungsrecht, 1. Bd., § 2, S. 11. 8 Sittengeschichte Roms, T e i l I I I , S. 151 f. 7 Hierunter verstand Weyl , op. cit., § 1, Einl., S. 2, den Schutz der Arbeiter gegen „Übervorteilung u n d Aussaugung durch die Arbeitgeber oder gegen die ihnen i n den Fabriken auf Schritt u n d T r i t t drohenden Gefahren f ü r Leib u n d Leben", Schutz der arbeitenden Frauen „gegen die Gefahr, daß sie sich i m Kampfe ums Dasein einer Beschäftigung widmen, welche gerade der k ö r perlichen Konstitution oder der Sittlichkeit eines Weibes Nachteil bringen könnte", ferner die Richtlinien f ü r die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter u n d schließlich Fragen der Maximalarbeitstage. 8 Weyl , op. cit., § 1, S. 1 ff., faßte hierunter die „Sicherstellung" der Arbeiter gegen die materiellen Folgen v o n K r a n k h e i t , Unfall, I n v a l i d i t ä t u n d A l t e r als bereits konkretisierte Ausdrucksform derjenigen Gesetzgebung (so § 1, S. 2), „welche sich das schöne u n d ideale Z i e l steckt, dem socialen Elende der minderbegüterten Volksschichten u n d dem socialen Übel des Klassengegensatzes abzuhelfen." 9 Als Beispiele sind zu nennen: a) die L e x L i c i n i a Stolonis (Plebiszit v. J. 367 v. Chr.), A r t . 2: Ne quis plus quingenta jugera agri publici possideret. Dieses Gesetz wollte das Überhandnehmen der Latifundienwirtschaft verhüten durch „Herstellung eines tüchtigen bäuerlichen Mittelstandes", der „ i n dem gefährlichen Kontraste zwischen unermeßlichem Reichtum u n d besitzloser 5

6

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

vielen Gesetze10, die die Anzahl der testamentarischen Freilassungen und somit die Menge derjenigen Sklaven beschränken sollte, die kraft letztwilliger Anordnung ihres Herrn zur Freiheit gelangten, ohne die M i t t e l zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu besitzen. Dadurch wurde die Masse der Erwerbslosen vermehrt und der innere Frieden in Frage gestellt. Wenn festzustellen ist, daß es i m römischen Recht an einer ausgeprägten Schutzgesetzgebung bezüglich der Unfälle der Arbeitnehmer und der hieraus entstehenden Haftpflichtigkeit der Arbeitgeber fehlte, so hatte dies folgende Gründe: (1) Die Gesamttendenz des römischen Rechts begünstigte — nicht ohne Egoismus — einseitig die wohlhabenderen Volksschichten. (2) Der Sklave stand bereits unter dem besonderen Schutz seines Herrn, der für i h n sorgte, oft aufgrund eines langjährig gewachsenen gegenseitigen Verhältnisses der Anhänglichkeit. (3) Ein Arbeitnehmerwesen m i t den vom Fabrikmechanismus ausgehenden Gefahren für Gesundheit und Leben war den Römern fast völlig unbekannt. Die Masse der gewerblichen Arbeiter Roms rekrutierte sich aus dem Sklavenstande 11 . Der Sklave wiederum war nach Anschauung der Römer nichts anderes als eine Sache mit allen sich hieraus ergebenden Konsequenzen. Besonders der unter (3) genannte Grund, nämlich das Fehlen eines Fabrikwesens, macht den Mangel eines Rechtsschutzes verständlich, der auch den freien Mann betraf, wenn dieser durch einen Unfall geschädigt wurde. L. Laß 12 , Weyl 1 3 und Piloty 1 4 zeigten an römisch-rechtlichen Vorschriften, die i m weitesten Sinne auch zugunsten Unfallverletzter Arbeitnehmer heranziehbar waren, lediglich zwei Gruppen auf: (1) die allgemeinen Grundsätze der sog. außerkontraktlichen Schadenszufügung und (2) die Vorschriften über die Alimentationspflicht der Verwandten. Sklaverei das gesunde Durchschnittsmaß auskömmlichen Eigenbesitzes repräsentieren sollte". So Weyl, op. cit., § 1, S. 4. b) die Lex F u r i a testamentaria aus dem Jahre 183 v. Chr., nach der — abgesehen v o n gewissen Verwandten — niemand mehr als 1000 As als Legat annehmen durfte, bei Strafe des Vierfachen. Auch dieses Gesetz versuchte, die Anhäufung allzu großer Reichtümer i n einer H a n d zu verhindern. 10 Vgl. Weyl, op. cit., 1. Abschn., § 3, S. 21 u n d den dortigen Hinweis auf Puchta, Institutionen, Bd. I I , § 214, S. 94 u n d Friedländer, op. cit., T e i l I, S. 391. 11 Weyl, op. cit., 1. Abschn., §3, S. 21, nannte i h n das Stiefkind der römischen Gesetzgebung, räumte aber gleichzeitig ein, daß sich auch i m römischen Recht vereinzelte Fälle einer sozialpolitischen Gesetzgebung gerade

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

7

I n aller Kürze seien Inhalt und Wirkung dieser beiden Gruppen aufgezeigt. Z u (1): Außerkontraktliche Schadenszufügung. Man unterschied hier zwei Fälle 1 5 : a) War Beschädigter ein Sklave, so konnte bestenfalls sein Herr einen Entschädigungsanspruch gegen den Verursacher der Körperverletzung geltend machen; der Sklave selbst hatte keinen Rechtsschutz, m i t h i n war von einem persönlichen Schutz des geschädigten Arbeiters keine Rede. Es galt schlechthin der Grundsatz, daß die Folgen eines Unfalls derjenige zu tragen hatte, den der Unfall traf 1 6 . b) War Beschädigter ein Freier, so gab es i m frühesten römischen Recht für i h n gleichfalls keinen Ersatzanspruch gegen den Schadensverursacher 17 . Erst die prätorische Rechtserweiterung brachte dann mittels der „supplendi juris civilis gratia" durch die Edikte eingeführten „utiles actiones" die Ausdehnung der Originalklage i n Gestalt der Lex Aquilia 1 8 auf die Beschädigung der Freien 19 . Hierbei reichte allerdings selbst eine „levissima culpa" als Verschuldensgrad aus 20 . Jedoch war der Geschädigte schutzlos sowohl bei eigenem Verschulden als auch bei kasueller Beschädigung; die Nachweisbarkeit des Verschuldens war schwer 21 . zugunsten der Sklaven fanden, wobei er wiederum auf Puchta, Bd. I, § 107, S. 296 ff. (insbes. 299), hinwies. Diese Fälle können aber i n dieser Betrachtung als nicht ins Gewicht fallend außer acht gelassen werden. 12 Haftpflicht u n d Reichsversicherungsgesetzgebung, § 2, S. 8 ff. 13 op. cit., 1. Abschn., § 3, S. 22. 14 Reichsunfallversicherungsrecht, Bd. I, 1. Abschn., 1. Hauptstück, § 2, S. 11. 15 Vgl. hierzu auch Puchta, Institutionen, Bd. I I , § 277, S. 369 f. 18 Vgl. Piloty, op. cit., Bd. I, § 2, S. 11: casum sentit dominus. 17 Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 3, S. 23, nennt i n diesem Zusammenhang die L e x A q u i l i a (v. Jahre 286 oder 287 v. Chr.) eine Ausnahme v o m Grundsatz unter oben zu (1) a., die jedoch n u r die Fälle einer Beschädigung v o n Sachen, Tieren oder Sklaven betraf. 18 Siehe hier A n m e r k u n g 17. 19 Clemens erwähnte i n seiner Freiburger Dissertation aus dem Jahre 1889, Der Einfluß der Unfallversicherungsgesetzgebung auf die privatrechtliche Haftpflicht i m Geltungsgebiet des rheinisch-französischen Rechts, § 1, S. 2, daß die L e x A q u i l i a dazu verwertet wurde, u m i m Wege der actio utilis auch „die bisher lediglich m i t der Privatstrafe de actio i n j u r i a r u m geahndeten Folgen der Verletzung eines freien Menschen i n den Bereich der civilrechtlichen Ersatzpflicht zu ziehen". 20 Weyl, op. cit., a. a. O., berichtete weiter, daß diese Rechtserweiterung erst zur Zeit Kaiser Hadrians abgeschlossen gewesen sei. Der Umfang der Ersatzpflicht sei auf die Ausgaben für Kurkosten u n d den während der K r a n k h e i t eingetretenen Verlust an Arbeitsgewinn begrenzt gewesen. Vgl. des weiteren Piloty, op. cit., Bd. 1, §2, S. 11: „Jeder Grad von V e r schulden macht diesen haftbar." 21 Allerdings w u r d e aus dem Verkehrsbedürfnis heraus wegen des n u r

8

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Zu (2): Alimentationspflicht der Verwandten. Nach dem römischen Recht hatten sich Aszendenten und Deszendenten i m Notfalle zu alimentieren. Die vom Richter mittels der „extraordinaria cognitio" festzusetzende Unterstützung hing jedoch hinsichtlich ihrer Verwirklichung von der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen ab. Für die nicht rechtsfähigen Sklaven, die, wie bereits festgestellt, die Masse der Arbeiter stellten, existierte dieser Rechtsschutz überhaupt nicht. Da er zudem erst nach Erschöpfung aller Unterhaltsmittel eintrat, war er nicht als wirksame Hilfe für verunglückte Arbeitnehmer zu betrachten. 2. Schutzrecht zugunsten sonstiger Berechtigter Was den Rechtsschutz von Witwen, Waisen oder sonst einem durch Unfall getöteten Arbeiter gegenüber alimentationsberechtigten Personen anbetraf, so konnten diese allenfalls Ansprüche der Gruppe (2) geltend machen. Das bedeutete, daß die genannten Personenkreise nur dann Rechtsschutz genossen, wenn sie sich nach dem Tode des bisherigen Ernährers aufgrund von Aszendenz oder Deszendenz an einen Dritten halten konnten, der zahlungsfähig war. Ansonsten war diese Personengruppe völlig schutzlos. Wie berichtet w i r d 2 2 , besaßen die Witwen, Waisen oder sonst Alimentationsberechtigten nicht einmal einen Rechtsanspruch gegen denjenigen, der den Tod ihres Ernährers — u. U. sogar vorsätzlich — bewirkt hatte. Denn die Alimentationspflicht stellte i m römischen Recht eine höchst persönliche Pflicht dar, die m i t dem Tod des Verpflichteten unterging und eine Sukzession (z. B. des Totschlägers) i n diese Verbindlichkeit ausschloß. I I . Gemeines Recht 1 8

1. Schutzrecht zugunsten des Arbeitnehmers

und des Arbeitgebers

Es wies bereits gegenüber dem klassisch-römischen Recht einige Veränderungen auf, die durch den Einfluß deutscher Rechtsanschauungen und die anders gearteten Wirtschaftsverhältnisse bedingt waren. Jedoch schwierig zu führenden Verschuldensnachweises i m Wege eines Spezialgesetzes i n einem beschränkten Wirkungskreis die Schuld nicht mehr zur alleinigen Voraussetzung der Haftpflicht gemacht. Das Gesetz ließ nämlich Schiffer, Gast- u n d Stallwirte schlechthin f ü r den Verlust der bei ihnen eingebrachten Sachen haften, sofern nicht ein nachgewiesenes „ d a m n u m fatale" die Ursache des Verlustes war. Nach dieser Haftung ex recepto hafteten diese Personen unbedingt f ü r ihre Leute, sogar auch f ü r Dritte. Die juristische Grundlage f ü r diese E i n f ü h r u n g der H a f t u n g war, w i e Clemens, a. a. O., S. 3, berichtet, „die Rechtsvermutung einer culpa i n custodiendo". 22 Vgl. z. B. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 3,S. 24 unter I I I . 23 Hierunter ist diejenige F o r m des deutschen Rechts zu verstehen, i n der

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

9

f a n d e n sich auch i m g e m e i n e n Recht k e i n e m a t e r i e l l e n S c h u t z v o r s c h r i f ten zugunsten verunglückter Arbeitnehmer. W e y l 2 4 stellte zusammenfassend fest, daß „ a u c h das gemeine R e c h t . . . k e i n e n u n m i t t e l b a r e n , sondern n u r einen m i t t e l b a r e n (materiellen) Arbeiterschutz" 25 gekannt habe. I m ü b r i g e n seien die A r b e i t e r a u f die a l l g e m e i n e n z i v i l r e c h t l i c h e n B e s t i m m u n g e n v e r w i e s e n gewesen, die f ü r „ s ä m t l i c h e U n t e r t h a n e n " galten. T r o t z des verflossenen Z e i t r a u m s v o n m e h r als 1000 J a h r e n zeigte das gemeine Recht i m V e r g l e i c h z u m klassisch-römischen Recht n u r g e r i n g e Unterschiede: (1) H i n s i c h t l i c h der o b e n 2 6 b e h a n d e l t e n „ a u ß e r k o n t r a k t l i c h e n

Scha-

denszufügung" : a) N a c h d e m g e m e i n e n Recht h a f t e t e der Schadensverursacher s o w o h l f ü r d e n V e r l u s t , d e n der V e r l e t z t e d u r c h die K u r k o s t e n u n d d e n E r w e r b s a u s f a l l w ä h r e n d der d u r c h d e n U n f a l l b e d i n g t e n K r a n k h e i t e r l i t t , als auch f ü r e i n Schmerzensgeld, das die P e i n l i c h e G e r i c h t s o r d n u n g K a i s e r K a r l s V . aus d e m J a h r e 1532 e i n g e f ü h r t h a t t e 2 7 .

das römische Recht gegen Ende des Mittelalters i n Deutschland als gegenüber den Partikularrechten subsidiäre Rechtsquelle rezipiert wurde, vgl. hierzu Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 4, S. 24; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I I , §455, S. 640 ff. u n d §475, S. 710 ff.; Bödiker, Die Unfallgesetzgebung der europäischen Staaten, S. 5; auch Stobbe, Deutsches Privatrecht, Bd. I I I , §201, S. 392 u n d §203, S. 410 ff.; Laß, Haftpflicht u n d Reichsversicherungsgesetzgebung, § 2, S. 8 ff.; Piloty, Band I, a. a. O., § 2, S. 11. Das gemeine Recht hatte bis zum Jahre 1918 dann Geltung, w e n n nicht frühere Gesetze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation u n d anschließend des Deutschen Reiches ab 1871 oder die Partikulargesetze (vgl. dazu unten S. 19 ff.) abweichende Vorschriften enthielten. 24

op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 4, S. 25. Der genannte A u t o r unterschied i n der Vorbemerkung seines tiefgehenden, gründlichen Lehrbuchs unter § 2, S. 19, i n der Geschichte des Reichsversicherungsrechts zwei große Perioden: (1) die des bloß mittelbaren (materiellen) Arbeiterschutzes, worunter er den Schutz aufgrund der „allgemeinen civilrechtlichen Institute" (vgl. Vorb., § 2, S. 18 unter A n m . 1) verstanden wissen wollte, m i t h i n i n unserer Betrachtung den Schutz eines Unfallgeschädigten nicht spezifisch i n seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer u n d (2) die des unmittelbaren (materiellen) Arbeiterschutzes, w i e er aufgrund der Reichsversicherungsgesetzgebung entstand, m i t h i n i n unserer Betrachtung den Schutz eines Unfallgeschädigten, spezifisch ausgerichtet auf seine A r b e i t nehmereigenschaft. Die Grenze zwischen den Perioden (1) u n d (2) zog seiner Ansicht nach die Allerhöchste Botschaft v. 17. November 1881. 25

26

Siehe S. 6 f. Constitutio criminalis Carolina, A r t . 20, § 1: „seiner schwach, schmerzen, kosten u n d schaden der gebühr ersetzung zu t h u n schuldig.", zitiert bei Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 4, S. 25. 27

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1. T e i l : Die Entwicklung bis zum U V G 1884

b) Nach dem gemeinen Recht haftete nicht nur der Schadensverursacher selbst, sondern für ihn auch eine andere Person, nämlich der Auftraggeber, hinsichtlich der schädigenden Handlung 2 8 . Zwar bestand die Haftungsausdehnung zu Lasten des Auftraggebers i n Fällen der culpa i n eligendo 29 nicht nur zugunsten der Arbeiter, sondern zugunsten aller „Unterthanen". Aber diese Haftungserweiterung stellte für die Arbeiter insofern einen Fortschritt gegenüber der früheren Rechtslage dar, als i n der Mehrzahl der Unfälle i n Fabriken nicht der Fabrikherr selbst die Schuld trug, sondern einer seiner Angestellten; daher konnte der Geschädigte seine Ansprüche früher regelmäßig nicht gegenüber einem allein verantwortlichen, aber meist mittellosen A n gestellten durchsetzen. Nunmehr jedoch hatte der Ersatzberechtigte eine echte Chance, seinen Anspruch gegenüber dem regelmäßig bemittelten Fabrikherrn auch zu verwirklichen. Freilich scheiterte die praktische Durchsetzung der Ersatzforderung gegen den Fabrikherrn daran, daß dem Geschädigten die Beweislast der culpa i n eligendo zufiel und ein solcher Verschuldensnachweis i n der Regel unmöglich zu führen war. (2) Veränderungen hinsichtlich der Alimentationspflicht 30 : A u f diesem Gebiet ergab sich keine Weiterentwicklung. Es blieb bei den Vorschriften wie i m klassisch-römischen Recht. Das bedeutete, daß nur Aszendenten und Deszendenten untereinander 31 unterstützungspflichtig waren. War die gesetzliche Alimentationspflicht zwar begründet, der Alimentationspflichtige jedoch mittellos, so war der Berechtigte allein auf die freiwilligen Unterstützungsleistungen der Armenkasse angewiesen. 2. Schutzrecht zugunsten sonstiger

Berechtigter

Den Witwen, Waisen und sonstigen alimentationsberechtigten Personen gewährte der Gerichtsgebrauch des gemeinen Rechts einen Ent28 I n diesem Zusammenhang waren nach Weyl, a. a. O., S. 25/26, drei Fälle der Haftung des Auftraggebers zu unterscheiden: a) der Beauftragte w a r zum unbedingten Gehorsam verpflichtet; b) der A u f t r a g w a r m i t unvermeidlichen Gefahren verbunden, z. B. der Auftrag, einen von explosiven Gasen gefüllten Raum m i t offenem Licht zu betreten; c) der Auftraggeber w a r i n der A u s w a h l seines Beauftragten nachlässig, w e n n also culpa i n eligendo vorlag: z. B. der Eigentümer w i l d e r Pferde ließ diese durch einen ungeübten Stallburschen einfahren, die durchgehenden Pferde überfuhren einen Dritten. 29 Siehe hier Fußnote 28 unter c). 30 Vgl. hierzu die Regelung i m römischen Recht auf S. 8. 31 Streit herrschte darüber, ob auch Geschwister gegenseitig unterstützungspflichtig seien, was die damals herrschende Lehre ablehnte. Vgl. hierzu Weyl,, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 3, S. 23, A n m . 2.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

11

schädigungsanspruch gegen denjenigen, der den Tod des Ernährers wenigstens vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hatte. Ein solcher Brauch war dem klassisch-römischen Recht unbekannt gewesen 32 . Zweiter

Abschnitt

Das Preußische Recht I . Das Allgemeine Landrecht 1. Nur mittelbarer

Arbeitnehmerschutz

Das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten" vom 5. Februar 179483 kannte nur einen mittelbaren Arbeiterschutz i m Sinne der Weyl'schen Terminologie 34 und darüber hinaus einen Schutz verunglückter Seeleute i m besonderen. Der mittelbare Arbeiterschutz, der lediglich i m Rahmen der Bestimmungen bezüglich der „außerkontraktlichen Schadenszufügung" und der „Alimentationspflicht" geregelt war, wies jedoch gegenüber dem römischen und gemeinen Recht einige Änderungen auf. (1) Änderungen hinsichtlich der „außerkontraktlichen Schadenszufügung" Hier sprach das Allgemeine Landrecht i n Teil I Titel 6 „von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehen" und i n den §§ 98—129 i m besonderen von den Rechtsfolgen bei Tötungen und Körperverletzungen. a) Was die Körperverletzungen anbetraf, so erfolgte eine Abstufung der Ersatzansprüche nach dem Verschuldensgrad 35 . 32

S. 12.

Vgl. hierzu Weyl, op. cit., l . T e i l , l . K a p . , §4, zu I I I ; Laß, op. cit., §2,

83 Hingewiesen sei i n diesem Zusammenhang auf die Ausführungen v o n Förster-Eccius, Preußisches Privatrecht, Bd. I I , §151, S. 490 ff.; Bd. I V , §239, S. 243 ff.; Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, Bd. I I , §§296 f., S. 916 ff.; Bd. I I I , § 45, S. 144 ff.; J. Schmidt, Lehrbuch des preußischen Rechts, Bd. I, S. 201 ff.; Laß, op. cit., § 3, S. 15 ff. 34 Vgl. oben S. 9, A n m . 25(1). 35 a) Gem. A L R T e i l I, T i t . 6, §§ 111, 118 erhielt der Verletzte bei „geringem Versehen" Ersatz der K u r - u n d Heilkosten; b) bei „mäßigem Versehen" gem. A L R T e i l I, T i t . 6, §§ 111,117 aa) gleichfalls Ersatz der K u r - u n d Heilkosten u n d zudem bb) sowohl bei dauernder wie bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit Ersatz des durch die Körperverletzung herbeigeführten E i n nahmeausfalls, u n d zwar nach der Lage, i n der er „zur Zeit der Verletzung sich w i r k l i c h befunden hat" (ebenda § 117);

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

b) Außerdem wurde zuungunsten des Unfallgeschädigten ein späterer Arbeitsverdienst angerechnet. Das bedeutete, daß wenn der Verletzte später i n die Lage versetzt wurde, durch körperliche oder geistige Arbeit wieder ins Erwerbsleben einzutreten, der nunmehr verdiente Erwerb dem Entschädigungspflichtigen zugute kam und gem. Teil I, Tit. 6, § 119 dem Verletzten von der Entschädigungssumme abgerechnet wurde. Hierbei kam es auf den Verschuldensgrad nicht an. c) Nach preußischem Privatrecht hatte der Unfallverletzte 3 6 den Nachweis des Schadens, des Verschuldens und des Kausalzusammenhangs zwischen Schuld und Schaden zu erbringen. Doch begegnen w i r i m Allgemeinen Landrecht 37 zwei wichtigen Neuerungen i n Gestalt von Rechtsvermutungen, die den Verletzten zuungunsten des Schädigers vom Beweis dieses Kausalzusammenhangs befreiten und die besonders bei Verletzung von Fabrikarbeitern oft eingreifen konnten. Der Kausalzusammenhang wurde nämlich präsumiert: aa) für den Fall, daß sich der Schuldige i n Ausübung einer unerlaubten Handlung befunden hatte. Dann lag eine einfache, durch Gegenbeweis widerlegbare Rechtsvermutung vor (sog. praesumtio juris) 3 8 . bb) für den Fall, daß der Schuldige = der Haftpflichtige ein die Schadensverhütung bezweckendes Polizeigesetz vernachlässigt hatte 39 . Hier war dem Schuldigen der Nachweis versagt, daß der Schaden nicht m i t

c) bei „großem Versehen" oder Vorsatz gem. A L R T e i l I, T i t . 6, §§111, 116 aa) gleichfalls Ersatz der K u r - u n d Heilkosten u n d zudem bb) sowohl bei dauernder w i e bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit Ersatz derjenigen Vorteile, die er „nach dem natürlichen Verlauf der Dinge erwarten konnte" (ebenda § 116). M i t h i n w u r d e eine mögliche Steigerung der Einnahmen z.B. wegen Besserdotierung auf einem höheren Posten, berücksichtigt. 36 Ebenso w i e nach römischem u n d gemeinem Recht, vgl. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 5, S. 28. 37 Vgl. T e i l I, T i t . 6, §§ 25 u n d 26 A L R . 38 Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 5, S. 29, bildete das Beispiel, daß bei fahrlässiger Herbeiführung einer Explosion i n einer Fabrik ein Arbeiter zur gleichen Zeit Brandwunden erlitten hat, w e i l er sich i n unvorsichtiger Weise einem Ofen genähert hat. H i e r brauchte nicht der Arbeiter nachzuweisen, daß er die Brandwunden infolge der durch die Explosion entstandenen Feuersbrunst erlitten hatte, vielmehr mußte der Brandstifter = der Haftpflichtige seinerseits nachweisen, daß die Brandwunden auf eine andere Ursache zurückzuführen waren. 39 Beispiel: E i n Gutsbesitzer hatte die Vorschrift des Landrats betreffend die Verkleidung der Dresdimaschinenwelle verletzt. F ü r diesen F a l l hatte der Haftpflichtige „ f ü r allen Schaden, welcher durch die Beobachtung des Gesetzes hätte vermieden werden können, ebenso (zu) haften, als w e n n derselbe aus seiner Handlung unmittelbar entstanden wäre".

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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der Vernachlässigung dieses Polizeigesetzes i n ursächlichem Zusammenhang stand 40 . Damit lag eine unwiderlegbare Rechtsvermutung vor, der gegenüber ein Gegenbeweis ganz ausgeschlossen war (sog. praesumtio juris et de jure) 4 1 . d) Parallel zum gemeinen Recht haftete nach dem A L R außer dem unmittelbaren Schadensverursacher auch eine andere Person für Schadensersatz, nämlich der mittelbare Urheber des Schadens. Ein mittelbarer Schadensverursacher haftete für die Fälle, daß er aa) den Auftrag zu einer unerlaubten Handlung gegeben hatte, und diese unerlaubte Handlung den Schaden herbeiführte, gem. A L R Teil I, Tit. 6, §§ 58, 51 f. Hier trat Solidarhaftung des Auftraggebers und des Auftragempfängers ein, es sei denn, die Handlung war nur für einen von beiden eine unerlaubte. Dann haftete nur dieser. bb) sich bei der Auswahl des Bevollmächtigten i n „grober" oder „mäßiger" culpa i n eligendo befand, vgl. A L R Teil I, Tit. 6, §§ 58, 53. I n diesem Fall haftete der „Machtgeber" jedoch nur subsidiär bei Unvermögen des Bevollmächtigten. e) Überdies gewährte das A L R i n Teil I, Tit. 6, §§ 112—114 den „Personen vom Bauer- oder gemeinen Bürgerstande" einen Anspruch auf „Schmerzensgeld" 42 . Voraussetzung hierfür war eine m i t Vorsatz oder aus „grobem Versehen" zugefügte Körperverletzung. Den Betrag des Schmerzensgeldes durfte der Richter nur „nach dem Grade der ausgestandenen Schmerzen, jedoch nicht unter der Hälfte und nicht über den doppelten Betrag der erforderlichen Kurkosten" festsetzen 43 . Damit war für die Zubilligung eines „Schmerzensgeldes" notwendig, daß „ K u r kosten" angefallen waren.

40 I n Fortführung unseres Beispiels unter A n m . 39, daß ein Mitarbeiter den Verunglückten i n die Maschine gestoßen hatte. 41 Vgl. hierzu Förster-Eccius, Bd. I, § 89, S. 545, insbes. A n m . 31, 32; Dembürg, Bd. I I , § 294, S. 911; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 5, S. 29. 42 Vgl. hierzu oben S. 9. 43 Weyl, op. cit., I. Teil, 1. Kap., § 5, S. 30, fügte dem i m Jahre 1894 die Feststellung an, daß diese Bestimmungen i n Gestalt von A L R T e i l I, T i t . 6, §§ 112—114 trotz des A r t . 4 der Preußischen Verfassungsurkunde v o m 31. Januar 1850 rechtsgültig geblieben waren. Dies sei deshalb als eigenartiges rechtliches Phänomen anzusehen gewesen, w e i l die genannte Verfassungsurkunde i n A r t . 4 erklärt habe, daß Standesvorrechte nicht stattfänden. Dem Rechtszustand am Ende des 19. Jahrhunderts sei zudem ein besonderer Bauernstand u n d innerhalb des Bürgerstandes ein besonderer „gemeiner" B ü r gerstand nicht bekannt gewesen. I m übrigen hat nach der Meinung Weyls das A L R i n T e i l I, T i t . 6, §§ 112—114 nicht ein „Standesvorrecht" begründen, sondern vielmehr den „gewöhnlichen, ungebildeten" Leuten eine gesetzliche Handhabe gewähren wollen, sofern sie eine — nach Auffassung der „gebildeten Kreise" ausgeschlossene — Sühne i n Geld wünschten.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

(2) Änderungen hinsichtlich der „Alimentationspflicht" Bezüglich der Alimentationspflicht unter Verwandten erweiterte das A L R i n Teil II, Tit. 3, §§ 15 ff. den Kreis der alimentationspflichtigen Personen. Neben den Aszendenten und Deszendenten wurden nämlich auch die Geschwister dazu angehalten, einen notdürftigen Unterhalt zu gewähren. Darüber hinaus wurden auch die entfernteren Verwandten einem indirekten Alimentationszwang unterworfen 4 4 . 2. Unterschiedlichkeit

zum römischen und gemeinen

Recht

Immerhin gewährte das A L R i n Teil I, Tit. 6, §§ 98—100 i m Gegensatz zum römischen und gemeinen Recht den Hinterbliebenen eines Getöteten ausreichende und sorgfältig präzisierte Rechtsansprüche. Diese waren ebenso wie die Schadensersatzforderungen wegen Körperverletzungen i n der Weise nach Verschuldensgraden abgestuft, daß a) bei „geringem Versehen" die Kosten einer K u r sowie die Begräbnis- und Trauerkosten zu ersetzen waren, und darüber hinaus b) bei „mäßigem Versehen", „grobem Versehen" und „Vorsatz" die Witwe und die Waisen sowie sonst gegenüber dem Verstorbenen Alimentationsberechtigte Unterhaltsleistungen fordern konnten, wobei den Waisen Erziehungsgelder zu gewähren waren. Für beide Arten von Leistungen mußte ein Bedürfnis nachgewiesen werden 45 . Weiterhin ist als Merkmal dieser Rechtslage gegenüber den Hinterbliebenen des Getöteten hervorzuheben, daß je nach Verschuldensgrad auf Seiten des Haftpflichtigen die Leistungen nochmals unterdifferenziert waren und eine Vermögensanrechnung stattfinden konnte 46 . 44 Dies wurde durch A L R T e i l I I , T i t . 3, §§22 ff. dadurch festgelegt, daß ihnen das I n t e s t a t e r b r e c h t entzogen wurde f ü r den Fall, daß sie ihre u n vermögenden Verwandten gegen ihre natürliche Pflicht u n d nach vergeblicher Aufforderung zur Verpflegung „ i n hülfloser Lage" ließen. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 5, unter I I bemerkte hierzu zu Recht, daß dieser Rechtsnacht e i l k a u m eine praktische Bedeutung besaß. Es handelte sich nämlich i n aller Regel u m den Nachlaß einer armen Person, „also u m einen Nachlaß, der höchstens bei besonderen inzwischen eingetretenen Glücksfällen verlockend erscheinen w ü r d e " . 45 Diese Leistungen fielen demnach weg, w e n n die W i t w e wieder heiratete, die Ausbildung der Waisen abgeschlossen w a r oder andere Gründe f ü r eine Erledigung vorlagen. 46 So wurde der Leistungsumfang noch einmal dahin unterschieden, daß bei „mäßigem Versehen" i n „notdürftiger", bei „grobem Versehen" oder „Vorsatz" i n „standesgemäßer" Weise zu leisten war. Je nach Verschuldensgrad fand bezüglich des Vermögens, das der Verstorbene hinterlassen hatte oder das die Hinterbliebenen aus anderen Quellen (z. B. staatlichen Pensionen usw.) erhielten, bei „geringem" oder „mäßigem Versehen" ein Abzug von der Ersatzleistung des Schuldigen statt. Jedoch

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts 3. Schutzvorschriften

zugunsten verunglückter

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Schiffsleute

Zuletzt seien noch die Schutzvorschriften des A L R zugunsten verunglückter Schiffsleute erwähnt, für die Teil II, Tit. 8, § 1557 bestimmte: „Einen i n Geschäften seines Dienstes verwundeten oder beschädigten Schiffsmann muß der Schiffer, auf der Reeder Kosten, heilen und verpflegen lassen." I I . Weitere preußische Gesetzgebung betreffend den Arbeitnehmerschutz

Hier sind zu nennen 1. Die preußische Gesindeordnung vom 8. November 1810 (preußische Gesetzessammlung S. 101); 2. a) Das preußische Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 (preußische Gesetzessammlung S. 505 ff.) und b) das Zusatzgesetz vom 3. Mai 1869 (preußische Gesetzessammlung S. 665); 3. a) die Preußische Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 (preußische Gesetzessammlung S. 41); b) die preußische VO vom 9. Februar 1849 „betreffend die Einrichtung von Gewerberäthen und verschiedene Aenderungen der allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845" (preußische Gesetzessammlung 1849, S. 93 und 1850, S. 43) und c) das preußische Gesetz vom 3. A p r i l 1854 (preußische Gesetzessammlung S. 138) und schließlich 4. das noch näher aufzuschlüsselnde preußische Bergrecht. Soweit diese Gesetze einem durch Unfall Verletzten Schutz gewährten und auf der Gegenseite eines Unfallverursachers eine Haftpflichtigkeit festsetzten, empfiehlt es sich, in eine kurze Untersuchung einzutreten. Zu 1.: Die Gesindeordnung sah für den Fall der Erkrankung des Gesindes durch Unfall vor — vorausgesetzt, dieser war durch ein (selbst geringes) Versehen der Dienstherrschaft veranlaßt —, daß dem Gesinde die Kurkosten und ein notdürftiger Unterhalt bis zum Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit gewährt wurde. Diese Leistungen waren ohne das Recht eines Lohnabzugs auch notfalls über die Dauer des Gesindevertrages hinaus zu gewähren. Dieselbe Leistungspflicht entstand, wenn der die Krankheit herbeiführende Unfall zwar rein zufällig eingetreten war, waren bei „grobem Versehen" oder „Vorsatz" des Haftpflichtigen diese anderweitigen Unterstützungsleistungen nicht i n Abzug zu bringen.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

jedoch für das Gesinde unvermeidbar war, wollte es den Auftrag der Herrschaft erfüllen 4 7 . Jedoch ist zu betonen, daß die Gesindeordnung i n puncto Arbeiterschutz vom Rahmen ihres Anwendungsbereiches nicht allzu viel hergab, da sie i n ihrem § 1 den Begünstigten-Kreis eingrenzte auf Personen, die „häusliche oder wirtschaftliche Dienste" leisteten, „ i n der Hausgenossenschaft der Dienstherrschaft aufgenommen" wurden und „der Hausgewalt der Dienstherrschaft" unterstanden. Es ist demnach Weyl 4 8 Recht zu geben, wenn er feststellte, daß zum Gesinde der bezeichneten A r t längst nicht alle diejenigen gehörten, die „ihre separate Wirtschaft haben (verheiratete Kutscher, Knechte und Instleute) oder von der Unterordnung unter die Hausgewalt frei sind, wiewohl sie vielleicht bei der Herrschaft wohnen und bespeist werden (der Wirtschaftseleve, der Comptoirbote, der Faktor i m kaufmännischen Geschäft)". Zu 2.: a) Der hier einschlägige §25 des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen 49 schützte vor allem die Bahngäste und das Bahnpersonal. Das Gesetz enthielt m i t h i n nur eine zeitgemäße Fortbildung des allgemeinen bürgerlichen Rechts, ist jedoch deshalb erwähnenswert, w e i l es die Beweislast nicht dem Unfallverletzten, sondern — i n Form eines Gegenbeweises eigenen Verschuldens des Verletzten oder einer höheren Gewalt — der haftpflichtigen Eisenbahngesellschaft aufbürdete. Die gefährliche Natur des Eisenbahnunternehmens galt m i t h i n nicht als exkulpierende höhere Gewalt 5 0 . 47 Vgl. § 94 der Gesindeordnung i n Verb, m i t A L R T e i l I , T i t . 13, § 81. F ü r damalige Verhältnisse illustrativ ist das hierzu v o n Weyl (op. cit., l . T e i l , 1. Kap., § 6, Satz 32 unter A n m . 3) gebildete Beispiel: Eine Magd erhält den A u f trag, aus dem B r u n n e n Wasser zu schöpfen. Wegen des niedrigen Wasserstandes muß sie sich w e i t nach vorne beugen, fällt i n den Brunnen u n d zieht sich Verletzungen oder eine Erkältungskrankheit zu. Die übrigen Vorschriften der Gesindeordnung betrafen — soweit ersichtlich — n u r Krankheitsfälle, die durch andere A r t e n v o n E i n w i r k u n g e n entstanden, so z.B. durch Mißhandlung; K r a n k h e i t „durch den Dienst oder bei Gelegenheit derselben", w e i l die Dienstherrschaft z.B. dem Gesinde mehr oder schwerere Dienste zumutete „als das Gesinde nach seiner Leibesbeschaffenheit u n d seinen K r ä f t e n ohne Verlust seiner Gesundheit bestreiten kann", wie es § 85 Gesindeordnung bestimmte. 48 Op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 6; vgl. auch Förster-Eccius, Bd. I V , § 237, S. 233; Dernburg, Bd. I I , § 195, S. 585. 49 § 25 des gen. Gesetzes verpflichtete die Eisenbahngesellschaft zum Ersatz allen Schadens, „welcher bei der Beförderung auf der Bahn an den auf derselben beförderten P e r s o n e n . . . oder auch an anderen Personen . . . entsteht", sofern die Eisenbahngesellschaft nicht bewies, „daß der Schaden entweder durch eigene Schuld des Beschädigten oder durch einen unabwendbaren äußeren Z u f a l l b e w i r k t worden ist. Die gefährliche N a t u r der Unternehmung selbst ist als ein solcher v o n dem Schadenersatz befreiender Z u f a l l nicht zu betrachten". 50 Also befreite z. B. ein Zugzusammenstoß die Eisenbahngesellschaft nicht

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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Allerdings war der Anwendungsbereich auch dieses Gesetzes begrenzt 51 . b) Das Gesetz vom 3. Mai 1869, das aufgrund eines einzigen Artikels einen Zusatz zu § 25 des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen schuf, w i r d von den älteren Autoren 5 2 übereinstimmend deswegen als historisch wichtig bezeichnet, w e i l es die Nichtigkeit eines vertraglichen Ausschlusses53 des § 25 des genannten Gesetzes bestimmte. Dieses Zusatzgesetz enthielt als erstes preußisches und deutsches Gesetz einen solchen Rechtsgedanken. Zu 3.: Vor dem Jahre 1845 hatte die preußische Gesetzgebung — abgesehen von der Alimentationspflicht der Verwandten 5 4 — einen Arbeitnehmerschutz hinsichtlich von Unfällen von einem Verschulden des Haftpflichtigen oder von der Beförderung auf der Eisenbahn abhängig gemacht. Somit war die Gesetzgebung hinter der Entwicklung der gewerblichen Industrie und des Fabrikwesens zurückgeblieben. Hier fanden sich nun erste für unsere Untersuchungen wichtige A n sätze einer Selbsthilfe der Arbeitnehmer. Diese richteten nämlich Kassen ein — oft m i t Hilfe von Einzahlungen der Arbeitgeber —, die ihnen bei Unfällen Unterstützungen gewährten 55 . Nunmehr trat die einschneidende Neuerung ein, daß sich der preußische Staat ab 1845 dieser Selbstbildungs-Einrichtungen annahm. Es erfolgte eine erste Verlagerung des Arbeitnehmerschutzrechts von dem Gebiete des Privatrechts i n das Gebiet des öffentlichen Rechts. „Es wurde jetzt vom Gesetzgeber auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts die Entfaltung einer Tätigkeit begonnen, welche die vorhandene mangelhafte Fürsorge, die das Privatrecht gewährte, zu ergänzen bestimmt war 5 6 ." Die fortschreitende Einwirkung auf die freie Vereinsbildung läßt sich am klarsten durch die folgende preußische Gesetzgebung kennzeichnen: von der Haftung. Jedoch befreite von der Haftung beispielsweise ein B r a n d infolge Entgleisung oder Blitzschlags. 51 Denn der Unfallschutz k a m n u r dem Fahrpersonal i m engeren Sinne (z. B. L o k o m o t i v f ü h r e r n u n d Schaffnern) zugute, da n u r sie „auf der Bahn" befördert wurden. Nicht unter das Gesetz fiel die weit größere Anzahl des nicht „auf der Bahn" beförderten Personals, wie z. B. die Bahnarbeiter oder Weichensteller. 52 Vgl. statt vieler Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 6, S. 35. 53 Sei es i n F o r m des Anstellungsvertrages oder eines Betriebsreglements, vgl. hierzu des näheren Piloty, Bd. I, § 2, S. 13. 54 Vgl. hierzu oben S. 14. 55 Schmitt-Lermann, Der Versicherungsgedanke i m deutschen Geistesleben des Barock u n d der Aufklärung, 8. Kap., S. 94, erwähnt die Gründung einer W i t w e n - u n d Waisenkasse i m Jahr 1769 f ü r die Bediensteten und A r b e i ter bei der „Spiegelhütte zu Grünenplan" u n d einer Kasse bei der „Glashütte zu Schorborn", die jedoch 1792 wieder aufgelöst wurden. 56 So Piloty, Bd. I, § 2, S. 14. 2 v. Heinz

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

a) Eine staatliche Aufsicht über die Unterstützungsvereine bestand schon von altersher. Das A L R verlangte i n Teil II, Tit. 6, § 25 für Arbeiterhilfskassen als gemeinnützige Gesellschaften eine staatliche Konzession für den Fall, daß diese juristische Persönlichkeit erlangen wollten. b) Die weitergehende Preußische Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 untersagte i n ihren §§ 144, 145 den Kassen, einen Gesellen, Gehilfen oder Arbeiter deshalb auszuschließen, w e i l er bei einem Meister arbeitete, der keiner Innung angehörte. Weiterhin gestattete § 169 Abs. 2 Gewerbeordnung den Kassen, kraft ihres Kassenstatus jeden am Ort beschäftigten Handwerksgesellen oder -gehilfen zum Beitritt i n die Ortskasse zu zwingen. c) Die §§ 56 ff. der preußischen VO vom 9. Februar 1849 erweiterten das unter b) genannte Gesetz und bestimmten, daß außer den Handwerksgesellen und -gehilfen auch die Fabrikarbeiter den Kassen beizutreten hatten. Gleichzeitig wurden die Handwerksmeister zur Beitragszahlung an die Unterstützungskasse ihrer Innung und die Fabrikunternehmer zu Zahlungen an die Unterstützungskasse ihrer Fabrik verpflichtet. d) Einschneidender i n die bisherigen Verhältnisse als alles bisher i m Wege der Gesetzgebung Geschehene war die Anordnung des § 3 des genannten preußischen Gesetzes vom 3. A p r i l 1854. Hiernach konnte der Zwang zur Errichtung von Hilfskassen und zum Beitritt der unter c) genannten Personen auch von Organen der Regierung eingeführt werden. Die Gewerbetreibenden und die Kommunalbehörden mußten vor einer solchen Verfügung gehört werden. Der Zwang konnte für einzelne wie auch gleichzeitig für mehrere Ortschaften eingeführt werden, es sei denn, daß dieses Bedürfnis bereits durch ein entsprechendes Ortsstatut geregelt war. Nach der übereinstimmenden Auskunft des älteren Schrifttums 57 war damit die Sorge u m das Kassenwesen für Unfälle etc. i n weitem Umfang der Staatsverwaltung anvertraut. Zu 4.: Eine Sonderstellung, die hier nur gestreift werden kann, nahm die Bergrechtsgesetzgebung ein. Hier empfiehlt es sich, wiederum das preußische Bergrecht heranzuziehen, das u m diese Zeit eine gesonderte Ausbildung seines Kassenwesens erlebte. Für die deutschen Bergleute bestanden, wie ältere Autoren 5 8 berichten, sog. Knappschaftsvereine bereits nachweislich i m Jahre 1300. R. Klostermann 5 0 wies nach, daß 57

Vgl. insbes. Piloty, Bd. I, § 2, S. 15; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 6, S. 36. Vgl. Klostermann, K o m m e n t a r des Allgemeinen Berggesetzes f ü r den preußischen Staat v o m 24. J u n i 1865, S. 264, A n m . 364; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 6, S. 36 unter A n m . 5. 59 Siehe hier Fußnote 58. 58

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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eine solche Einrichtung schon i n der Constitutio juris metallici Wenzelai II. vom Jahre 1300 genannt wurde 6 0 . Der Sinn der Knappschaftsvereine war es, daß die Bergleute („Knappen") sich u. a. bei Unfällen gegenseitig unter Einschluß ihrer Hinterbliebenen unterstützten. Die Knappschaftsvereine beruhten auf rein freiwilliger Grundlage. Ein Beitritt war demnach nicht erzwingbar. Bereits das A L R berücksichtigte i n Teil II, Tit. 16, §§ 214 ff. das Bestehen der Knappschaftsvereine und ordnete die Kassenleistungen an den durch Unfall verletzten Bergmann 61 den Leistungen des Bergwerkseigentümers zu. Hier brachte nun das preußische Gesetz vom 10. A p r i l 185462 eine erhebliche Neuerung i n Gestalt eines Zwanges zur Errichtung von Knappschaftskassen und zum Beitritt i n dieselben. Es brachte darüber hinaus u.a. genauere Bestimmungen betreffend die Ansprüche der Bergleute bei Unfällen. Dieses Gesetz war wiederum richtungsweisend für das preußische Berggesetz vom 24. Juni 1865 (Preußische Gesetzessammlung S. 139) und eine Anzahl von anderen deutschen Berggesetzen 63 . Diese sahen u. a. einen Beitrittszwang, eine Anmeldepflicht des Arbeitgebers und eine staatliche Kontrolle des Kassenwesens vor 8 4 . Dritter

Abschnitt

Die Entwicklung einiger anderer deutscher Partikularrechte I n groben Zügen sei noch die Entwicklung des rheinischen, badischen, sächsischen, bayerischen und württembergischen Haftpflichtrechts bis zum Eingreifen der deutschen Zentralgesetzgebung durch den Nord80

Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 5, f ü h r t die Kuttenberger Bergordnung von 1300, die sich m i t der Knappschaftshilfe befaßte, u n d die spätere Joachimstaler Bergordnung v o n 1518 an. 61 I m Falle eines durch U n f a l l getöteten Bergmanns waren die Zahlungen an dessen Hinterbliebene zu leisten. 62 Betreffend die Vereinigimg der Berg-, Hütten-, Salinen- u n d A u f bereitungs-Arbeiter i n Knappschaften (Preußische Gesetzessammlung 1854, S. 139); siehe hierzu auch Carganico u n d Spiecker, „Selbstverwaltung i m Spannungsfeld zwischen Staat u n d Gesellschaft" i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 45 ff. (47). 63 So für das Bayerische Berggesetz v o m 20. März 1869 (Bayer. Ges.-Bl. 1869, S. 673, A r t . 167 ff.). Vgl. i m übrigen Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 6, S. 36; auch Piloty, Bd. I, §2 am Ende auf S. 17, der darauf hinwies, daß i n diesem Teile des genannten Bayerischen Berggesetzes eine fast wörtliche Wiedergabe des preußischen Gesetzes v o m 24. J u n i 1865 enthalten war. 84 I n der preußischen Gesetzgebung w a r eine Beaufsichtigung der K n a p p schaftskassen durch das Königliche Preußische Oberbergamt festgelegt. 2*

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

deutschen Bund und später durch das Deutsche Reich aufgezeigt. Die genannten Landesteile waren nicht dem gemeinen und später preußischen Privatrecht unterworfen. I . Das rheinische Recht

Es war i m Napoleonischen Code civil aus dem Jahre 1804 festgelegt 65 . Es bot hinsichtlich der „außerkontraktlichen Schadenszufügung" insofern eine Abweichung vom gemeinen Recht und vom preußischen Landrecht, als der Prinzipal und Auftraggeber unabhängig von einer möglichen Unerlaubtheit oder besonderen Gefährlichkeit des Auftrags und unabhängig von einer culpa i n eligendo oder einer unbedingten Gehorsamspflicht des Beauftragten für das Verschulden seiner Bediensteten bei ihnen aufgetragenen Verrichtungen haftete. Prinzipal und Auftraggeber hafteten also primär und für den ganzen Schaden 66 . Das rheinische Recht sah also von einer haftpflichtrechtlichen Trennung zwischen Auftraggeber und Beauftragtem ab und identifizierte beide Personen, soweit eine Ausführung übertragener Dienstleistungen vorlag. Es wurde eine Haftung für die Handlungen anderer Personen auf die Vermutung einer eigenen culpa des Haftpflichtigen 67 gegründet. M i t h i n entstand hier eine Rechtsentwicklung dahin, daß die Zurechenbarkeit überhaupt nicht mehr das K r i t e r i u m einer Ersatzverbindlichkeit war, vielmehr rein objektive Momente, wie z.B. die Erteilung eines 65 Es galt i n den linksrheinischen Gebietsteilen Preußens, Bayerns u n d Hessens, i n dem oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld, dem ehemaligen Großherzogtum Berg u n d i n Elsaß-Lothringen. Vgl. hierzu Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bd. I, § 15, S. 957 ; Franken, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, § 3, S. 23; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 7, S. 38. Darüber hinaus galt es i n deutscher Übersetzung m i t einigen Abänderungen i m Großherzogtum Baden: vgl. Kraut, Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht, § 17, S. 73. 66 Der Code c i v i l bestimmte i n liv. I I I , t i t . 5 a, A r t . 1384: „Les maîtres et les commettants (sont responsables) du dommage causé par leurs domestiques et préposé dans les fonctions auxquelles ils les ont employés." 87 Z u Recht entdeckte Clemens i n seiner gen. Dissertation, § 6, S. 9, hier bereits i n den Bestimmungen des französischen Rechts aus dem Ende des 18. Jahrhunderts den K e i m der sozialen Gesetzgebung. Sie t r u g nämlich der sozialen Anforderung, daß der wirtschaftlich Stärkere f ü r den Schwächeren einstehen müsse i m Wege der privatrechtlichen Schadenersatzregelung, Rechnung — „bezweckt sie doch, den Ersatz des durch die Besitzlosen verursachten Schadens nicht n u r theoretisch zu ermöglichen, sondern auch praktisch durchführbar zu machen, indem sie neben dem schadenstiftenden I n d i v i d u u m , das den von i h m verursachten Schaden wieder auszugleichen i n der Regel nicht imstande ist, ein präsumtiv leistungsfähigeres Subjekt verpflichtet. Der Satz, daß die Pflicht, Schadenersatz zu leisten, aus dem eigenen Verschulden entspringe, genügte nicht mehr". Vgl. hierzu auch Loening, Die H a f t u n g des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S. 3 ff.

2. Kap. : Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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Auftrags seitens des Auftraggebers, zur Begründung der Haftung ausreichten. Damit war der Boden der i m deutschen Recht herrschenden Culpatheorie verlassen. Der wirtschaftliche Gedanke, daß derjenige, der vom Arbeiter den Nutzen zieht, auch den durch ihn verursachten Schaden tragen müsse, war ausschlaggebend geworden. Was den Umfang der Ersatzpflicht anbetraf, so verlangte das rheinischfranzösische Recht die réparation du dommage. Worin diese i m einzelnen bestehen sollte, war dem völlig freien Ermessensspielraum des Richters überlassen 08 . II. Das badische Recht Baden regelte i n einem Gesetz vom 6. März 1845 betreifend die privatrechtlichen Folgen der Verbrechen 89 (Großherzoglich badisches Regierungsblatt Nr. X V , S. 135) ausführlich die Ansprüche des Verletzten, seiner Anverwandten und i h m gegenüber alimentationsberechtigter Dritter. I I I . Sonstiges Partikularrecht Die Partikularrechte Sachsens70, Bayerns 71 und Württembergs 7 2 hatten i m allgemeinen nur den Standpunkt des gemeinen Rechts und des preußischen Landrechts erreicht. Das hieß, daß für den Unfallschutz lediglich die i m wesentlichen gleichen Vorschriften betreifend den Schadensersatz i m allgemeinen und bei Körperverletzung oder Tötung i m besonderen sowie die Vorschriften hinsichtlich der Alimentationspflicht unter Verwandten einschlägig waren.

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Vgl. hierzu des weiteren Clemens, a. a. O., § 9, S. 17/18. Vgl. hierzu Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 7, S. 39. 70 Bürgerliches Gesetzbuch f ü r das Königreich Sachsen v o m Jahre 1863, §§ 116, 124, 773 ff., 1483 ff.; vgl. hierzu des näheren Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 7, S. 39 unter Fußn. 5; Laß, a. a. O., § 5, S. 26 ff. 71 Codex Maximilianeus Bavaricus civilis v o m Jahre 1756, T e i l I V , Kap. 16, § 6; vgl. hierzu Laß, a. a. O., § 6, S. 30; Weyl, wie hier i n A n m . 70, Fußn. 6. 72 Gesetz über die privatrechtlichen Folgen der Strafen v o m 5. September 1839, Regierungsblatt Bd. V, S. 181 f.; vgl. hierzu Laß, a. a. O., § 7, S. 32; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 7, S. 39 unter A n m . 7. 69

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884 Vierter

Abschnitt

Die Gesetzgebung bis zur Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 Erster Unterabschnitt

Schutzrecht zugunsten des Arbeitnehmers I. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch Dem Deutschen Zollverein 7 3 von 1834—1866 war die Aufgabe gestellt, den Boden für eine wirtschaftliche Einigung der deutschen Einzelstaaten vorzubereiten. Eine der Voraussetzungen hierfür war die Schaffung des „Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches" (ADHGB) i n den Jahren 1857—1861, für dessen Geltung als Landesgesetz i n den einzelnen zusammengeschlossenen Staaten der Zollverein sorgte. A n für unser Thema einschlägigen Normen enthielt das A D H G B folgende Bestimmungen: 1. Art 60 ADHGB. Gemäß dieser Vorschrift hatte der kaufmännische Prinzipal seinem durch unverschuldetes Unglück verletzten und daher an der Dienstverrichtung verhinderten Handlungsgehilfen für 6 Wochen Gehalt und Unterhalt weiterzuleisten. 2. Art 450 ADHGB. Diese Vorschrift bestimmte, daß einem Beschädigten für jeden Schaden, den eine Person der Schiffsbesatzung i n Ausführung ihrer Dienstverrichtung i h r schuldhaft zugefügt hatte, außer dem Schadensurheber auch der Reeder als Eigentümer des Schiffes haftete (vgl. auch A r t . 451 ADHGB). Hierbei spielte es keine Rolle, ob der Verletzte zu den Passagieren oder zur Schiffsbesatzung gehörte 74 . Diese Bestimmung brachte dem Verletzten den Vorteil, daß er sich nicht nur an den regelmäßig unbemittelten Matrosen etc., sondern an den meist liquideren Schiffseigentümer halten konnte. Naturgemäß beinhaltete dies gleichzeitig eine stärkere Belastung des letzteren. 78 E r umfaßte die Staaten des 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation m i t Ausnahme von Österreich. 74 Vgl. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 8, S. 40.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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3. Art. 478 ADHGB. Nach dieser Vorschrift haftete der Reeder für Verpflegungs-, Heilungs- und eventuell für Beerdigungskosten, wenn der Schiffskapitän nach Reiseantritt durch Unfall etc. verwundet wurde. Weiterhin bestimmten die A r t . 523—525 ADHGB, daß der Reeder auch i n diesem Falle die „Heuer" ( = bedungener Lohn) weiterbezahlen mußte. II. Weitere Arbeitnehmer-Schutzgesetzgebung Der Norddeutsche Bund von 1866—1871 sorgte für folgende Gesetzgebung betreffend den Arbeitnehmerschutz: 1. Das Gesetz vom 21. Juni 1869 betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- und Dienstlohnes (Bundesgesetzblatt 1869, S. 242). Dieses Gesetz betraf auch den Unfallschutz des Arbeitnehmers insofern, als dieser z.B. selbst wegen Verursachung eines Unfalls herangezogen werden konnte 75 . 2. Die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 (Bundesgesetzblatt 1869, S. 245) mit zahlreichen Novellen. Soweit dies i m Rahmen des Innungswesens 76 möglich war, enthielt diese Gewerbeordnung eine rechtliche Regelung für die Folgen von Unfällen. §§ 97, 97a Ziff. 5 7 7 GewO schrieben den Innungsmitgliedern neben einer Regelung des Lehrlingswesens etc. besonders auch die „Unterstützung der Innungsmitglieder, ihrer Angehörigen, ihrer Gesellen und Lehrlinge i n Fällen der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeit" vor. Für diese Fälle konnte 75 Das Gesetz bestimmte, daß der Arbeits- oder Dienstlohn nicht seitens eines Geschädigten = Gläubigers beschlagnahmt werden durfte, bevor die Arbeits- oder Dienstleistung erfolgt u n d der Fälligkeitstag f ü r die L o h n zahlung abgelaufen w a r , ohne daß der vergütungsberechtigte Arbeitnehmer als Schadensverursacher den L o h n eingefordert hatte. U n t e r denselben V o r aussetzungen w a r es dem Arbeitnehmer als Schadensverursacher verwehrt, seine Lohnansprüche f r e i w i l l i g zu verpfänden oder abzutreten. Widrigenfalls waren Verpfändung oder A b t r e t u n g nichtig. 78 Die Innungen waren Verbände, i n denen sich mehrere oder sämtliche Gewerbetreibende eines bestimmten Gewerbezweiges zu einer Rechtsgemeinschaft vereinigten. Sie hatten sich zur allgemeinen Aufgabe gestellt, ihre gemeinsamen gewerblichen Interessen zu fördern. 77 § 97 a GewO w a r durch A r t . 1 des Gesetzes v o m 18. J u l i 1881 betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung (Reichsgesetzblatt 1881, S. 233) h i n zugefügt worden.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

die Innung Unterstützungskassen einrichten, deren Vermögen übrigen Innungsvermögen getrennt verwaltet wurde.

vom

3. Das Gesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz (Bundesgesetzblatt 1870, S. 360). Es gab allen hilfsbedürftigen Bundesangehörigen, also auch den A r b e i t nehmern, einen Anspruch auf Unterstützung gegenüber einem Ortsarmenverband. Das Gesetz verpflichtete jede Gemeinde u n d jeden selbständigen Gutsbezirk 7 8 dazu, einen solchen Ortsarmenverband einzurichten. §§ 28 u n d 29 des genannten Gesetzes verpflichteten diejenige Gemeinde zur Unterstützung, i n der der Bedürftige seinen Unterstützungswohnsitz h a t t e 7 9 ; trat jedoch der Bedürftigkeitsfall i n einem anderen Ortsarmenverband ein, so w a r der letztere auslagepflichtig 8 0 vorbehaltlich eines Ersatzanspruchs an den Ortsarmenverband des Unterstützungswohnsitzes. Den Umfang der Unterstützungsleistung zugunsten des Bedürftigen hatte die Landesgesetzgebung zu bestimmen 8 1 .

I I I . Sonstige deutsche Reichsgesetzgebung bis zur Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 A. Die bezüglich des Arbeitnehmerschutzes weniger bedeutenden Gesetze Zunächst seien die weniger bedeutenden Gesetze angeführt, die eine H a f t pflicht auslösen konnten oder den sonstigen Arbeitnehmerschutz betrafen: 1. Das Reichsstrafgesetzbuch v o m 15. M a i 1871 (RGBl. 1871, S. 127) erlaubte i n seinem § 231 dem Richter, i n allen Fällen einer leichten oder n u r fahrlässigen Körperverletzung auf Verlangen des Verletzten neben der eigentlichen Strafe eine Buße bis zu 6000,— M a r k festzusetzen. Diese an den Verletzten zahlbare Buße schloß den zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch des gemeinen Rechts 82 u n d des A L R i n T e i l I, T i t . 6, §§ 98—12983 aus. Diese Buße konnte durchaus höher angesetzt sein als der zivilrechtliche Entschädigungsanspruch, da der Strafrichter nach freiem Ermessen 78 A l l e i n oder unter Zusammenschluß m i t benachbarten Gemeinden oder Gutsbezirken. 79 Diesen erwarb der Bedürftige nach zweijährigem ununterbrochenem Aufenthalt i n der betreffenden Gemeinde bei vollendetem 24. Lebensjahr. Eine Ehefrau am Unterstützungswohnsitz des Ehemannes w a r k r a f t ihrer Heirat unterstützungsberechtigt. Eine noch nicht 24 Jahre alte Person wurde durch die Geburt am Unterstützungswohnsitz des ehelichen Vaters oder auch der unehelichen M u t t e r berechtigt. 80 z. B. bezüglich durch U n f a l l erkrankter Dienstboten, Gesellen, Gewerbegehilfen u n d Lehrlingen der Ortsarmenverband des Dienstortes. 81 Dies ist z. B. f ü r Preußen i n § 1 des Gesetzes v o m 8. März 1871 betreffend die Ausführung des Bundesgesetzes über den Unterstützungswohnsitz (Preussische Gesetzessammlung 1871, S. 130) geschehen. 82 Gemeint sind die zivilrechtlichen Bestimmungen, die schon zur Zeit des gemeinen Rechts f ü r „sämtliche Unterthanen" galten, vgl. oben S. 9. 83 Vgl. oben S. 14.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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entschied u n d nicht an die v o m bürgerlichen Recht gesetzten Grenzen gebunden w a r 8 4 . 2. Die Seemannsordnung v o m 27. Dezember 1872 (RGBl. 1872, S. 409 ff.) erweiterte hauptsächlich i n ihren §§ 48—51 die Vorschriften des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs. F ü r den F a l l der Verwundung oder des Todes eines „Schiffsmanns" nach Dienstantritt verpflichtete sie den Reeder zur Fürsorge f ü r Heilung, Verpflegung, Fortzahlung der Heuer u n d E r stattung der Beerdigungskosten u n d löste damit ungefähr die gleichen A n sprüche aus, wie sie der „Schiffer" oder seine Hinterbliebenen i m Falle der Verwundung oder des Todes nach den Vorschriften des A D H G B erheben konnten 8 5 . 3. Die Civilprozeßordnung v o m 30. Januar 1877 (RGBl. 1877, S. 83) untersagte i n § 749 die Pfändung v o n Bezügen des Arbeitnehmers. D a m i t w a r — relat i v gesehen — die Ernährung des Arbeitnehmers u n d seiner Familie sichergestellt. 4. Die Novelle zur Gewerbeordnung v o m 1. J u l i 1833, bezüglich derer auf die Ausführungen oben unter I I . 2) verwiesen werden darf. 5. Der E n t w u r f des Bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich — er sei hier n u r beiläufig erwähnt — befand sich i m Stadium der zweiten Lesung 8 6 u n d enthielt lediglich Vorschriften über die p r i v a t rechtlichen Folgen v o n Körperverletzung 8 7 , T ö t u n g 8 8 u n d über die gesetzlichen Alimentationsansprüche der Verwandten 8 9 . Anspruchsgrundlagen zugunsten Unfallverletzter Arbeitnehmer enthielt der E n t w u r f jedoch nicht. I n Fragen der Alimentationspflicht u n d der aus unerlaubter Handlung h a f t pflichtigen u n d ersatzberechtigten Person erreichte der E n t w u r f i m a l l gemeinen den Stand des gemeinen u n d preußischen Privatrechts, wie er bereits aufgezeigt wurde 9 0 . Jedoch deuteten die Motive i n Bd. I I , S. 774 f. (775), 793 hinsichtlich A r t u n d Umfang der Entschädigung bereits auf eine Annäherung an die Regelung i m Reichshaftpflichtgesetz u n d i m U V G hin, die beide noch Gegenstand der Erörterung sein werden.

84

Vgl. hierzu Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 9, S. 44. Vgl. dazu oben S. 22 unter 2. 86 Hingewiesen sei auf die §§ 746, 752 ff., 765 des Entwurfs i m Stadium der 2. Lesung, mitgeteilt v o n Mandry i n AcP N F Bd. 30, S. 531 ff., die n u r geringe redaktionelle Änderungen gegenüber der 1. Lesung aufwies. 87 Vgl. hierzu den E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (Amtliche A u s gabe, B e r l i n u n d Leipzig 1888) i n seinen §§726ff. (auch §§704, 710ff.); siehe auch die Motive zu diesem E n t w u r f (Amtliche Ausgabe, B e r l i n u n d Leipzig 1888) Bd. I I , S. 792 ff. 88 E n t w u r f a.a.O., §722ff. (auch §§704, 710ff.) sowie Motive a.a.O., S. 766 ff. 89 E n t w u r f a. a. O., §§ 1480 ff. sowie Motive, Bd. I V , S. 678 ff. 90 Vgl. oben S. 10 sowie S. 14. Hierbei ist noch erwähnenswert, daß die Bestimmung des Code c i v i l über die Prinzipalshaftung f ü r das Verschulden seiner Angestellten (vgl. oben S. 20 f.) nicht übernommen w u r d e u n d das Gesinderecht (vgl. oben S. 15) gem. § 46 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch f ü r das Deutsche Reich (Amtliche Ausgabe, B e r l i n und Leipzig 1888) der Partikularregelung vorbehalten wurde. 85

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

B. Die für die weitere Entwicklung wesentliche Gesetzgebung, insbesondere in Gestalt des Reichshaftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871

Nunmehr treten w i r i n die Untersuchung der für die Schöpfer des U V G wichtigen deutschen Reichsgesetze ein. Es handelt sich hier vor allem um das sog. Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 (RGBl. S. 297 ff.). C.

Weitere wichtige Gesetze sind insbesondere das Gesetz vom 7. A p r i l 1876 betreffend die eingeschriebenen Hilfskassen (RGBl. S. 125) und das Gesetz vom 8. A p r i l 1876 betreffend die Abänderung des Titels V I I I der Gewerbeordnung (RGBl. S. 134). Zu B.: Das Gesetz „betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatze für bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken, Fabriken, Steinbrüchen und Gräbereien herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen" vom 7. Juni 1871, gewöhnlich als „Reichshaftpflichtgesetz" (RHPflG) bezeichnet 91 . Die ausgedehnte Haftung für Handlungen dritter Personen, wie sie i m (rheinisch-)französischen Recht vorzufinden war, ist — abgesehen von der gemeinrechtlichen culpa i n eligendo — den übrigen Rechtsgebieten Deutschlands unbekannt gewesen. Das RHPflG vom 7. 6. 1871 verdankte seine Entstehung dem nunmehr dringend gewordenen Bedürfnis, auch hier dem einzelnen gegen die Gefahren der modernen Industrie Schutz zu gewähren. I n den ersten seiner 10 Paragraphen legte dieses Gesetz fest, i n welchen Fällen eine Haftpflicht eintreten sollte; i n den weiteren 8 Vorschriften sprach es sich über die Ersatzleistung selber aus. Das Gesetz brachte gegenüber dem gemeinen Recht und dem preußischen A L R folgende Weiterentwicklungen: 1. bezüglich der Fälle der Haftung a) Unfälle m i t Tötungs- und Verletzungsfolgen Für Tötungen und Körperverletzungen infolge von Unfällen, die sich bei bestimmten Betrieben 92 ereigneten, bestand eine weitere Haftung der 91 Piloty, Bd. I, 1. Abschn., 2. Hauptst., § 4, S. 23, berichtete ausführlich von dessen Entstehungsgeschichte unter Hinweis auf reichhaltige ältere Literatur, von der hier insbesondere auf Eger, Das Reichshaftpflichtgesetz v o m 7. J u n i 1871, hingewiesen sei. Z w a r hat dieses Gesetz nach seiner Abänderung durch verschiedene andere Gesetze noch heute G ü l t i g k e i t ; jedoch soll Gegenstand der Untersuchung das RHPflG i n seiner ursprünglichen F o r m sein, so daß die Abhandlung i m I m p e r fekt gerechtfertigt ist.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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Unternehmer dieser Betriebe 93 , als sie sich i m bisherigen Recht fanden. Gem. § 2 RHPflG hafteten nämlich die Unternehmer u. a. von Fabriken bei solchen Unfällen nicht mehr lediglich für eigenes Verschulden, sondern auch für das Verschulden ihrer Bevollmächtigten und Beamten bei Ausführung ihrer Dienstverrichtungen. b) Die Ausnahme der Eisenbahnunternehmerhaftung Unternehmer von Eisenbahnbetrieben hafteten jedoch für jeden Schaden, der durch Tötung oder Körperverletzung eines Menschen beim Betrieb der Eisenbahn entstand. Dabei spielte keine Rolle, ob sie selbst oder ihre Bevollmächtigten oder Beamten, einen Arbeiter oder sonstigen Dritten ein Verschulden am Unfall traf. Die Unternehmer hafteten, w e i l sie Unternehmer waren, nicht weil ein Verschulden auf ihrer Seite rechtlich vermutet wurde. Es entstand nur dann keine Haftung, wenn der Eisenbahnunternehmer bewies, daß der Unfall durch höhere Gewalt 9 4 oder durch eigenes Verschulden des Verletzten oder Getöteten verursacht war (vgl. § 1 RHPflG). Wie H. Clemens 95 einst richtig erkannte, führte auch die Befreiung von der Haftung durch den Nachweis eigenen Verschuldens des Beschädigten oder höherer Gewalt nicht das Culpa-Moment indirekt wieder ein. Denn der Unternehmer wurde nicht frei, weil er schuldlos war, sondern einmal deswegen, w e i l es unbillig gewesen wäre, daß ein Mensch dem anderen haftete für einen Schaden, der durch menschliche Tätigkeit überhaupt nicht verhütet werden konnte; zum zweiten „deshalb, w e i l hier kein Betriebsunfall i m Sinne des § 1 RHPflG vorlag, i m übrigen der Unternehmer dem durch eigene Schuld Verletzten m i t Recht entgegenhalten konnte: quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intelligitur damnum sentire" 9 6 . 92 Die genaue Aufschlüsselung, u m welche Betriebsarten es sich handelte, spielt für unsere Untersuchungen keine Rolle. 93 Gleichgültig war, ob der Betriebsunternehmer eine physische oder j u r i stische Person war. Vgl. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 48. 94 Schon bald bildeten sich Streitigkeiten über den Begriff „höhere Gew a l t " , die zu — v o n heute betrachtet — frühester Rechtsprechung des Reichsgerichts Veranlassung gaben. Vgl. z. B. RGZE. v. 13. 4. 1880, Bd. 1, S. 276 ff., wo auf S. 277 auf die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der Zahlung von Schmerzensgeld u n d Ersatz „ f ü r die erlittene körperliche Verunstaltung" aufgrund der §§ 1489, 1490 des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs hingewiesen w u r d e ; § 9 RHPflG ließ die Bestimmungen der Landesgesetze, die dem Beschädigten einen höheren Ersatzanspruch einräumten, unberührt. 95 Vgl. seine zit. Dissertation, § 13, S. 23. 96 Vgl. Clemens, a. a. O., § 13, S. 23, der hier auch richtig die Haftung der Eisenbahnen i n Anlehnung an die damalige Rechtsprechungspraxis der obersten deutschen Gerichtshöfe, des R O H G u n d des RG, als „obligatio ex lege" bezeichnete.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Vergleichen w i r dieses Gesetzeswerk m i t den bereits damals vorgefundenen Gesetzesmaterien, so läßt sich feststellen: die Haftungsvorschrift des § 2 RHPfLG zulasten der Fabrikunternehmer etc. war der Vorschrift des Art. 1384 i n liv. I I I , tit. 5a des Code civil 9 7 — wie H. Clemens, a. a. O., S. 24, zutreffend erkannte — nur vermeintlich 9 8 nachgebildet, erreichte diese aber an Schärfe bei weitem nicht. Denn § 2 RHPflG ließ den Betriebsunternehmer nur für solche Personen haften, die i m Betrieb eine Leitung oder Aufsicht ausübten, und machte bei diesen die culpa, also die Zurechenbarkeit, zur Voraussetzung der Haftung des ihnen vorgesetzten Unternehmers. Darüber hinaus beschränkte sich die genannte Regelung auf wenige, genau bestimmte Gewerbebetriebe. Die Normierung der Haftung des Eisenbahnunternehmers i n § 1 RHPflG ist uns bereits i m preußischen Eisenbahngesetz vom 3. November 1838" begegnet. Die Haftung nach dem RHPflG war ausgeschlossen, wenn der Unfall rein zufällig, durch eigenes Verschulden des Beschädigten, durch ein Verschulden Dritter (z.B. eines Besuchers, der durch Rauchen einer Zigarette eine Explosion herbeiführte) oder solcher i m Betriebe beschäftigter Personen, die nicht zu den Bevollmächtigten, Repräsentanten, zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter gehörten, verursacht wurde. Weiterhin lag ein Haftungsausschluß vor, wenn der Schuldige zwar Bevollmächtigter, Repräsentant, zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter Berufener war, der Unfall jedoch aufgrund einer Handlung außerhalb der Dienstverrichtung eintrat 1 0 0 . 2. bezüglich der Entschädigung Beide Fälle der Haftung unter 1. a) und b) standen sich gleich. a) Die Abstufung der Haftung Die Haftung wurde verschieden abgestuft, je nachdem, ob es sich um Körperverletzung oder Tod handelte. 97

Vgl. hierzu oben S. 20 unter A n m . 66. Z u weitgehend Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 51, der dort feststellte, daß § 2 RHPflG sich bezüglich der Haftung auf den besonders strengen Standpunkt des Code c i v i l stellte. 99 Vgl. oben S. 15 u n d S. 16 f. 100 Vgl. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 48, der hierfür eine Schlägerei während der Arbeitspause als Beispiel anführte. 98

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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aa) Bei Körperverletzung waren zu ersetzen: die Heilungskosten, der Vermögensnachteil, den der Verletzte durch die Vernichtung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit erlitten hatte; bb) bei Tod waren zu ersetzen: die Kosten einer versuchten Heilung, die Beerdigungskosten, der Erwerbsausfall während der Krankheit und schließlich gesetzliche Alimentationsansprüche, die sonstige Berechtigte gegenüber dem Unfallgetöteten hatten. Möglicherweise vorhandene höhere oder andere Ersatzansprüche aufgrund der Partikulargesetze 101 blieben i n jedem Falle neben den A n sprüchen aus dem RHPflG bestehen 102 . b) Die Regelung des § 4 RHPflG Gemäß dieser Vorschrift waren zugunsten des haftpflichtigen Betriebsunternehmers diejenigen Bezüge anzurechnen, die der Unfallverletzte oder seine Hinterbliebenen aus einer Versicherungsanstalt, Knappschafts- oder sonstigen Unterstützungskasse erhielt, bei der der Verletzte bzw. der Getötete versichert war. Voraussetzung für eine solche Anrechnung war, daß der Betriebsunternehmer selbst mitbeteiligt war an den Prämienleistungen an diese Kasse, und daß diese Mitleistung zumindest Vs dieser Leistungen betrug 1 0 3 . 3. Gegenüberstellung

der Vor- und Nachteile des RHPflG

I n Anbetracht der Wichtigkeit des RHPflG für unsere weiteren Untersuchungen seien hier kurz die Vor- und Nachteile dieses Gesetzes einander gegenübergestellt, wie sie sich alsbald i m Rechtsleben herausstellten und auch i m älteren Schrifttum 1 0 4 aufgeführt wurden: 101 Vgl. hierzu die auf S. 27 unter A n m . 94 zitierte Entscheidung des Reichsgerichts i n Bd. 1, S. 276 ff. (277), die Anspruchsgrundlagen aus dem sächsischen bürgerlichen Recht zum Zuge kommen ließ. 102 Z u nennen sind z. B. der Anspruch auf Schmerzensgeld f ü r den V e r letzten selbst oder auf Erziehungsgelder f ü r die hinterbliebenen Kinder. Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 49 unter A n m . 1, wies noch darauf hin, daß es ebenso beim Partikularrecht sein Bewenden behielt bezüglich der Haftung anderer Personen als der des Unternehmers (z. B. des Schuldigen selbst) oder bezüglich anderer leichterer Haftungsvoraussetzungen zu Lasten des Unternehmers, beispielsweise nach dem Code civil, vgl. oben S. 20 f. los Weitere i m RHPflG vorgesehene Bestimmungen bezüglich der F o r m der Entschädigung (§ 7), der V e r j ä h r u n g der Ansprüche (§ 8) u n d der Behandlung entgegenstehender Verträge (§ 5) sollen hier unbeleuchtet bleiben, da sie für unsere Untersuchung nicht entscheidend sind. 104 Vgl. hierzu Laß, op. cit., S. 2; Landmann, Unfallversicherungsgesetz, S. 3 f.; Piloty, Bd. I, 2. Hptst., § 4, S. 25 u n d § 6, S. 33 ff.; Rosin, Bd. I, § 4, S. 18; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 52—54.

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(1) Vorteile des Reichshaftpflichtgesetzes a) Fortbildung des gemeinen Rechts Das RHPflG brachte aufgrund seiner besonderen Haftungsbestimmungen nicht nur den Arbeitnehmern als einer bestimmten Personenklasse Vorteile, es kam auch allen sonstigen Personen zugute, die unter den festgelegten Verhältnissen Unfälle erlitten; es enthielt also eine Fortbildung des gemeinen Rechts 105 . Da die Arbeitnehmer jedoch den Gefahren der Betriebe am ehesten ausgesetzt waren, kam es dieser Personenkategorie am meisten zugute 108 . b) Schärfere Haftung des Betriebsunternehmers I m Vergleich zum früheren Rechtszustand stach das RHPflG (besonders gegenüber dem älteren Zivilrecht) dadurch hervor, daß es zugunsten des Arbeitnehmers den Betriebsunternehmer viel häufiger haftpflichtig werden ließ. Denn es erforderte kein Rechtsverhältnis mehr — wie beispielsweise einen Auftrag — zwischen Betriebsunternehmer und Schadensurheber; hinsichtlich der Unfälle i n Bergwerken und Fabriken etc. verlangte das Gesetz nicht mehr die Voraussetzungen der „culpa i n eligendo" oder des unerlaubten Auftrags, sondern es stellte — vorausgesetzt, ein Verschulden des m i t einem verantwortlichen Posten betrauten Angestellten bei seinen Dienstverrichtungen lag überhaupt vor — auf den bereits erörterten 107 strengen Standpunkt des Code civil ab. c) Erweiterter Haftungsumfang Hinsichtlich des Haftungsumfangs war eine Weiterentwicklung i m Vergleich zum älteren Zivilrecht hauptsächlich darin zu erblicken, daß aa) zugunsten des Verletzten bzw. seiner Hinterbliebenen der Ersatz i n der Regel i n Form einer Rente zu leisten war, zu deren Sicherung auf 105 Vgl. hierzu oben S. 8 ff. loa Erwähnenswert wegen der dem damaligen Gesetzgeber vorschwebenden Ziele u n d der i h m gleichzeitig gesteckten Grenzen hinsichtlich deren E r reichung erscheint der bei Piloty, Bd. I, S. 24/25, aufgeführte Passus aus den allgemeinen M o t i v e n zum E n t w u r f des RHPflG, der das Gesetz aus der Sicht des Gesetzgebers selbst als ein Ausnahmegesetz erscheinen ließ: „ W e n n es i m Hinblick auf die i n gleicher Proportion m i t der E n t w i c k l u n g industrieller A n lagen sich mehrenden Unglücksfälle die Aufgabe der Reichsgesetzgebung ist, der körperlichen Integrität einen erhöhten Rechtsschutz zu verleihen, so muß doch davon abgesehen werden, eine generelle Reform der Grundsätze über die Verpflichtung zum Schadensersatze herbeizuführen. E i n so w e i t gestecktes Z i e l w ü r d e n u r i m Zusammenhange m i t dem ganzen System des Obligationenrechts sich erreichen lassen. Z u r Zeit w i r d es sich allein darum handeln können, i m Wege eines Spezialgesetzes Bestimmungen zu treffen, u m denjenigen, welche bei m i t ungewöhnlicher Gefahr verbundenen U n t e r nehmungen an Leib u n d Leben beschädigt werden, bzw. ihren H i n t e r b l i e benen einen Ersatz des erlittenen Schadens zu sichern." 107

Vgl. oben S. 20 f.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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Verlangen Kaution gestellt werden mußte; die Ersatzleistung konnte nicht mehr vertraglich oder durch Reglement ausgeschlossen werden. bb) zugunsten des Haftpflichtigen die dem Unfallverletzten oder dessen Hinterbliebenen zustehenden Ansprüche gegen Versicherungsgesellschaften und sonstige Unterstützungskassen anzurechnen waren. Das gemeine Recht 108 hatte eine solche Anrechnung überhaupt nicht vorgesehen, das preußische Recht 109 hatte sie für Körperverletzungen gar nicht zugelassen und bei Tötung nur i m Falle „geringen" oder „mäßigen Versehens" eingeräumt. (2) Die Nachteilhaftigkeit des RHPflG Wie allgemein von frühen Autoren bezeugt wurde, hat jedoch das RHPflG „ i n einem Maße, wie vielleicht kein anderes Reichsgesetz i n seinem Entstehungsstadium Widerspruch, sofort nach seinem Erlaß K r i t i k erfahren" 1 1 0 . Schon aus den zahlreichen Abänderungsanträgen zum E n t w u r f 1 1 1 wurde deutlich, daß man m i t dem Erlaß eines Spezialgesetzes, das „der allgemeinen Regelung des Obligationenrechts vorgriif " 1 1 2 , nicht allgemein einverstanden war, insbesondere wurden die Auswahl der Haftpflichtbetriebe sowie die Abstufung der Haftpflicht i n den §§ 1 und 2 RHPflG kritisiert. Zusammengefaßt seien hier die Mängel des RHPflG dargestellt, „ w e i l sie der späteren Gesetzgebung zum kräftigen Sporn gedient haben" 1 1 3 : a) Verwirklichung des Ersatzanspruchs und Prozeßführung Die tatsächlichen Erweiterungen 1 1 4 des Arbeitnehmerschutzes waren nur von zweifelhaftem Wert, da der Ersatzanspruch des Unfallverletzten i n der Regel — von den Ausnahmen der freiwilligen Einigung zwischen haftpflichtigem Betriebsunternehmer und den Ersatzberechtigten abgesehen — von einem Prozeß abhängig war. Dies fand seine Begründung darin, daß die Betriebsunternehmer den Anspruch dem Grunde oder

108

Vgl. oben S. 8 ff. Vgl. oben S. 11 ff. (14 unter A n m . 46). 110 So Piloty, Bd. I, 2. Hptst., § 4, S. 25; vgl. hierzu des weiteren Landmann, a. a. O., S. 3 f.; Laß, a. a. O., S. 2; Rosin, Bd. I, § 4, S. 18; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 52—54. 111 Vgl. Drucksachen des Reichstags 1871, Nr. 65, 70, 71, 74, 75, 94, 95. 112 So Piloty, Bd. I, 2. Hptst., § 4, S. 25, A n m . 1. 113 So Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 10, S. 52. 114 Gegen die Vermögenswerten Nachteile v o n Erkrankung, A l t e r u n d I n v a l i d i t ä t der Arbeitnehmer sah das RHPflG jedoch keinerlei Schutz vor. Auch waren i n den Kreis der Begünstigten die Arbeitnehmer i n der L a n d wirtschaft, dem H a n d w e r k u n d diejenigen nicht einbezogen, die den U n f a l l durch eigenes Verschulden verursacht hatten oder die durch höhere Gewalt verletzt bzw. getötet worden waren. 109

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zumindest doch der Höhe nach bestritten, wozu sie — oft genug gegen ihren Willen — gezwungen wurden. Einen Zwang zum Prozeß nämlich übten regelmäßig die privaten Versicherungsgesellschaften 115 , bei denen sich die Unternehmer gegen die Folgen einer Haftpflicht versicherten, dadurch aus, daß sie die Versicherungssumme nur nach urteilsmäßiger Feststellung der Entschädigungspflicht bezahlten. Auf der anderen Seite begehrten die Unfallverletzten bzw. deren Hinterbliebene oft eine höhere Entschädigung als sie ihnen aufgrund freiwilliger Zusage des Betriebsunternehmers zugebilligt worden wären. Sie prozessierten relat i v billig, da ihnen i n der Regel das Armenrecht bewilligt werden mußte. b) Verschlechterung des Verhältnisses Arbeitnehmer/Arbeitgeber Dieser A r t Prozesse brachten es m i t sich, das ohnehin schon oft gespannte Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusätzlich zu verschlechtern. c) Keine Leistungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Prozesses Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Prozesses erhielten der Unfallverletzte oder seine Hinterbliebenen i n der Regel keine Leistungen. d) Beweislast hinsichtlich des Verschuldens Die Klägerpartei hatte i m Prozeß besonders für die Fälle des § 2 RHPflG ein regelmäßig unüberwindbares Hindernis zu bewältigen, insofern nämlich, als ihr die Beweislast hinsichtlich eines Verschuldens des Angestellten i n Ausführungen seiner Dienstverrichtungen zufiel. Der diesbezügliche Beweis glückte selten, weil der Zustand einer Betriebsstätte oder einer Betriebsvorrichtung vor dem Unfall zu ermitteln war. Dies war dann nicht möglich, wenn ein Unglück Betriebsstätte und -Vorrichtungen selbst so zerstört hatte, daß dieselben nicht wieder erkennbar waren. Auch mögliche Zeugen über das Beweisthema waren — besonders bei Massenunglücken — umgekommen oder nicht mehr vernehmungsfähig. Auch konnte der Schuldbeweis daran scheitern, daß der angeblich Schuldige zur Vermeidung seiner zivilrechtlichen Regreßpflicht oder seiner strafrechtlichen Schuld anläßlich der Zeugenvernehmung sein Zeugnisverweigerungsrecht i n Anspruch nahm, zumindest i n seiner Aussage sehr zurückhaltend blieb. e) Zweifelhaftigkeit der Forderungsverwirklichung Hatte der Berechtigte ein für i h n positives Urteil erstritten, so hatte er zwar einen Titel i n Händen, die faktische Verwirklichung seiner 115

Siehe dazu unten S. 53 ff.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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Forderung blieb i h m jedoch oft genug verwehrt. Denn selbst bemittelte Unternehmer konnten durch ein Massenunglück aufgrund der nunmehr zahlreich gegen sie gerichteten Ansprüche mitunter insolvent werden 1 1 6 , zieht man auch noch i n Betracht, daß die Unternehmer i m selben Zeitpunkt hohe Auslagen für die Reparatur des Betriebes aufzubringen hatten. Damit waren die Folgen eines Unfalls des öfteren wirtschaftlicher Ruin der Unternehmer oder Betriebseinstellung einerseits und Arbeitslosigkeit sogar der weniger oder gar nicht Unfallverletzten Arbeitnehmerschaft andererseits. f) Haftung des Unternehmers auch bei Nichtschuld Uber die unter e) geschilderte wirtschaftliche Gefährdung hinaus brachte das RHPflG eine Härte zu Lasten des Betriebsunternehmers auch insofern mit sich, als letzterer durch dieses Gesetz i n vielen Fällen auch dann haftbar wurde, wenn i h n selbst eine Schuld — sei es auch nur i n Form der culpa i n eligendo — gar nicht traf. g) Lähmung der Unternehmerinitiative Die Unberechenbarkeit der Höhe der Ersatzleistungen übten auf die Unternehmerinitiative eine lähmende Wirkung aus. Der Hinweis auf die oder jene der hier genannten Nachteilhaftigkeiten des RHPflG w i r d sich weiterhin wie ein roter Faden durch unsere Untersuchungen ziehen, i n denen w i r das Ringen um eine neue gesetzliche Lösung zur Vermeidung dieser Nachteile darlegen werden. Zu C.: Gesetzgebung zur Begegnung der K r i t i k am RHPflG Der hier bereits i n groben Zügen angeschnittenen K r i t i k am RHPflG versuchte die Reichsregierung durch zwei neue Gesetze zu begegnen, nämlich durch 1. das Gesetz vom 7. A p r i l 1876 über die eingeschriebenen Hilfskassen (RGBl. S. 125) und 2. das Gesetz vom 8. A p r i l 1876 betreffend die Abänderung des Titels V I I I der Gewerbeordnung (RGBl. S. 134). Zu 1. und 2.: Die Grundtendenz dieser Gesetze Grundtendenz dieser beiden Gesetze war, die Lage der u. a. auch durch Unfall 1 1 7 unterstützungsbedürftig gewordenen Arbeitnehmer dadurch 116 So berichtete Bödiker, Die Unfall-Gesetzgebung der europäischen Staaten, S. 18, daß nach den Resultaten der deutschen Unfallstatistiken Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts u n d den hierauf basierenden Berechnungen ein Invaliditätsfall bei 1000 M a r k L o h n u n d Zahlung v o n 2 /s dieses Betrages als Rente den Unternehmer m i t 7876 M a r k belasteten. „ N u n denke m a n sich Massenunfälle", f u h r Bödiker, a. a. O., fort, „die keineswegs allein beim Bergbau vorkommen. Soll doch Zeitungsnachrichten zufolge ein einstürzender K a m i n i n Bradford 300 Menschen getötet bzw. verletzt haben." 117 Piloty, Bd. I, § 5, S. 29 unter A n m . 1, stellte fest, daß unter „ K r a n k h e i -

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zu verbessern, daß die bereits vorgefundenen Bestimmungen über die bei gewerblichen Unternehmungen von den Arbeitnehmern i m Zuge der Selbsthilfe eingerichteten freiwilligen Unterstützungskassen 118 zu ihren Gunsten geändert wurden. Ziel der Reichsregierung war es u. a., bei Unfällen einerseits eine Selbstversicherung der Arbeiter zu fördern, andererseits die Unternehmer zu entlasten. Hierdurch sollte wiederum die Unternehmerinitiative beflügelt werden, da durch die Mehrleistungen der Arbeitnehmer an die Kassen die Möglichkeit einer Anrechnung anderweitiger Bezüge des Arbeiters oder seiner Hinterbliebenen zugunsten der Unternehmer wuchs. Weiterer Gesetzeszweck war es, die Zahl der i n ihrem Ausgang unsicheren Haftpflichtprozesse zu verringern 1 1 9 . Der für unsere Untersuchungen wesentliche Inhalt der beiden Gesetze war folgender: Zu 1.: (1) Gem. §§ 1—4 Hilfskassengesetz waren die eingeschriebenen Hilfskassen solche Kassen, die die gegenseitige Unterstützung ihrer Mitglieder für den Fall der Erkrankung u. a. auch aufgrund eines Unfalls vorsahen. Dabei waren gewisse hier nicht näher zu beleuchtende Formalbedingungen zu erfüllen. (2) Die eingeschriebenen Hilfskassen waren juristische Personen m i t selbständiger Erwerbs- und Verpflichtungsfähigkeit, m i t einer hinsichtlich Verbindlichkeiten auf das Kassenvermögen beschränkten Haftung, m i t selbständiger Prozeßfähigkeit 120 und m i t besonderem Gerichtsstand beim Gericht des Kassensitzes (§ 5 HilfskassenG). (3) Gemäß § 6 HilfskassenG wurde die Mitgliedschaft erworben durch schriftliche Erklärung oder Unterzeichnung des Statuts. (4) Die Ansprüche der Kassenmitglieder richteten sich nach dem Statut, begannen spätestens m i t der 14. Woche nach dem Beitritt und dauerten wenigstens 13 Wochen, außer wenn die Arbeitsfähigkeit früher wiederhergestellt war. Die Ansprüche waren weder abtretbar oder verpfändbar noch pfändbar; sie hatten eine gewisse Maximal- und Minimalgrenze. Gemäß §§ 7, 10—12 des genannten Gesetzes durfte das Statut den Familienangehörigen freie ärztliche Behandlung und den Hinterbliebenen des verstorbenen Mitglieds ein gewisses Sterbegeld bewilligen. ten" i m Sinne des Hilfskassengesetzes „auch durch U n f a l l b e w i r k t e Leidenszustände zu verstehen" waren. 118 Vgl. zu den ersten Bildungen dieserart Kassen oben S. 18 f. 119 Vgl. hierzu ausführlich Piloty, Bd. I, § 5, S. 28—32; Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 11, S. 55 f. 120 v g l Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 11, S. 55: „persona standi i n judicio".

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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(5) Die gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen regelten des näheren die Beitragspflicht der Arbeitnehmer; auch konnte eine Zuschußpflicht des Arbeitgebers verbunden m i t entsprechenden Rechten auf Vertretung i m Vorstand und Stimmrecht i n der Generalversammlung vorgesehen werden (vgl. §§ 8,9,10,21 Abs. 3 HilfskassenG) 121 . Z u 2.: Das Gesetz vom 8. A p r i l 1876 betreifend die Abänderung des Titels V I I I der Gewerbeordnung 122 Durch § 140 i n Titel V I I I der genannten GewO war die durch Ortsstatut der Gemeinden oder durch verwaltungsbehördliche Anordnung vielfach begründete Pflicht der selbständigen Gewerbetreibenden, einer Innungskrankenkasse oder sonstigen Hilfskasse beizutreten, aufgehoben worden. Auf der anderen Seite hatte § 141 i m Titel V I I I der GewO die gleiche Verpflichtung der Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiter i m allgemeinen der Regelung durch die Landesgesetzgebung überlassen, aber ausdrücklich für den Fall beseitigt, daß dieser Arbeiter bereits auf freiwilliger Ebene einer anderen Kranken- oder sonstigen Hilfskasse angehörten. Nunmehr erhielt das Gesetz vom 8. A p r i l 1876 betreffend die Abänderung des Titels V I I I der GewO den § 140 GewO (Aufhebung des Kassenzwangs für die selbständigen Gewerbetreibenden) aufrecht, änderte jedoch die Vorschrift des § 141 GewO dahin ab: den Gemeinden wurde i m Wege einer Ermächtigung gestattet, durch Ortsstatut eingeschriebene Hilfskassen i. S. des Gesetzes vom 7. A p r i l 1876123 einzurichten. Demnach konnten Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiter, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten, soweit nicht der Mitgliedschaftsnachweis bei einer anderen Hilfskasse beigebracht wurde, zum Beitritt i n die Kassen i. S. des Hilfskassengesetzes gezwungen werden. Eine Besonderheit führte das genannte Änderungsgesetz insofern ein, als das Ortsstatut den Arbeitgebern eine Verpflichtung zur Vorschußleistung sowie zur Anmeldung auferlegen konnte. 3. Analyse der Wirkung beider Gesetze Machten die Gemeinden von der Ermächtigung i. S. des Gesetzes vom 8. A p r i l 1876 Gebrauch (Einrichtung einer eingeschriebenen Hilfskasse 121 Weitere Vorschriften befaßten sich m i t dem Ausschluß von M i t g l i e dern (§ 15), dem Stimmrecht (§ 21), der laufenden Kassenverwaltung u n d »Vertretung (§§ 16—20, 24—27, 34), den Kontrollrechten der Aufsichtsbehörde, auch hinsichtlich der Kassenschließung (§§ 27, 29 ff., 33) u n d der Kassenauflösung (§§ 28, 31 ff.). 122 Gemeint ist die oben, S. 23 f., behandelte Gewerbeordnung v o m 21. J u n i 1869 des Norddeutschen Bundes (Bundesgesetzblatt 1869, S. 245 ff.). Deren T i t e l V I I I befindet sich ebenda auf S. 277 f. 123 Hilfskassengesetz, vgl. oben S. 33 f.

3*

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

i. S. des Gesetzes vom 7. A p r i l 1876 und ortsstatutliche Festsetzung eines Kassenzwangs gemäß dem Gesetz vom 8. A p r i l 1876), so waren für den betreffenden Gemeindebereich die Arbeitnehmer versicherungspflichtig und demnach auch gegen die materiellen Folgen einer (Unfall-)Krankheit i. S. des Gesetzes vom 7. A p r i l 1876124 geschützt. Eine Gemeinde brauchte jedoch von dieser gesetzlichen Ermächtigung keinen Gebrauch zu machen 125 ; dann unterlag der einzelne, vom Ortsstatut erfaßte Arbeitnehmer nicht dem Versicherungszwang und damit keinem obligatorischen Selbstschutz. Nach Aussage des älteren Schrifttums 1 2 6 bot denn diese „halbe Maßregel" auch nur „einen halben Erfolg" 1 2 7 . Zweiter Unterabschnitt Schutzrecht zugunsten des Arbeitgebers zur Linderung seiner aus einem Unfall des Arbeitnehmers entstandenen Haftpflicht Eine diesbezügliche Gesetzgebungstätigkeit hatte — soweit nachprüfbar — noch nicht eingesetzt. Es kam nur hie und da zu freiwillig gebildeten Berufsgenossenschaften der Unternehmer, die sich zur Verteilung der Lasten aus einer entstandenen Haftpflichtigkeit zusammenschlossen128.

124

Vgl. oben S. 33 f. Piloty, Bd. I, § 5, S. 31, stellte fest, daß eine Bestimmung, w i e sie der E n t w u r f zur Reichsgewerbeordnung i n § 150 vorgesehen hatte (Entwurf der Reichsgewerbeordnung § 150, Drucksachen des Reichstags des Norddeutschen Bundes, Nr. 13), wonach die höheren Verwaltungsbehörden ermächtigt gewesen wären, i m Bedürfnisfalle die Gemeinden zur Einführung des Kassenzwanges anzuhalten, i m Gesetz v o m 8. A p r i l 1876 nicht enthalten war. 126 Besonders ausführlich berichtete hierüber Piloty, Bd. I, §5, S. 31, insbesondere unter A n m . 2. Vgl. hierzu auch Weyl, op. cit., 1. Teil, 1. Kap., § 11, S. 58 ff. * 2 7 Schon die Z a h l der eingeschriebenen Hilfskassen i. S. des Gesetzes v o m 7. A p r i l 1876 w a r unbedeutend. Erst recht w a r die A n z a h l der Gemeinden, die durch Ortsstatut einen Beitrittszwang gemäß dem Gesetz v o m 8. A p r i l 1876 festsetzten, eine verschwindend kleine. Zahlenmaterial f ü r Deutschland, insbesondere f ü r Preußen, ist zu finden i n der Allgemeinen Begründung zum E n t w u r f eines Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (Drucks, des RTs. 1882/83, Nr. 14 u n d i m Kommissionsbericht ebenda, Nr. 211). Vgl. auch Piloty, Bd. I, § 5, S. 31, A n m . 2, der diese Zahlenangaben dahin zusammenfaßte, daß es am Ende des Jahres 1881 i n Deutschland 1302 eingeschriebene Hilfskassen gegeben habe; davon seien 548 aufgrund des Hilfskassengesetzes neu errichtet gewesen. Z u r selben Zeit seien i n Deutschland 360 Ortsstatute errichtet gewesen, die Kassenzwang einführten. Die Z a h l der aufgrund von Ortsstatuten nach dem Gesetz v o m 8. A p r i l 1876 bestehenden eingeschriebenen Hüfskassen habe 477 betragen, worunter sich 185 — i m 125

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

Fünfter

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Abschnitt

Zusammenfassung des Zweiten Kapitels soweit es den von den Schöpfern des U V G 1884 vorgefundenen Entwicklungsstand des Haftpflichtrechts (zulasten des Arbeitgebers aufgrund eines Unfalls des Arbeitnehmers) betrifft I. Ein Haftpflichtrecht, das für die Schöpfer des U V G 1884 hätte als ausbaubares Beispiel dienen können, bestand i m römischen Recht praktisch nicht. Festzuhalten ist lediglich, daß die Römer bereits eine Differenzierung der haftungsbegründenden Schuld kannten, wie sie i n der „levissima culpa" der Lex Aquilia zutagetrat. Grundlegend herrschte das Verschuldensprinzip . II. Das gemeine Recht beruhte, soweit es Haftpflichtrecht beinhaltete, ebenfalls auf dem Verschuldensprinzip, kannte jedoch bereits eine bescheidene Haftungsausdehnung i n Fällen der culpa i n eligendo, für die jedoch die Beweislast dem Verletzten zufiel. Von einem Ersatzleistungssystem konnte — von der Ausnahme des Schmerzensgeldes abgesehen — noch kaum gesprochen werden. Immerhin jedoch gewährte der gemeinrechtliche Gerichtsgebrauch den Hinterbliebenen eines Unfallgetöteten Ansprüche. I I I . Das preußische Recht i n Gestalt des A L R und der sonstigen Gesetzgebung entwickelte i n seinen Haftpflichtrechtsbestandteilen bereits ein gegliedertes Ersatzleistungssystem, differenziert nach dem Verschuldensgrad des Haftpflichtigen und brachte die Einführung von Rechtsvermutungen i n Gestalt von Präsumtionen des Kausalzusammenhangs zwischen Schuld und Schaden. Die Regel war jedoch, daß der Unfallverletzte den Schadensnachweis zu erbringen sowie die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens sowie des Kausalzusammenhangs zwischen Schuld und Schaden zu tragen hatte. Immerhin fand sich auch schon eine Umkehr der Beweislast i n Gestalt des Gegenbeweises eigenen Verschuldens des Verletzten, den die haftpflichtige Eisenbahngesellschaft zu führen hatte. IV. Die deutschen Partikularrechte legten teilweise eine primäre, unbeschränkte Arbeitgeberhaftung fest, hatten aber ansonsten größtenteils nur den haftpflichtrechtlichen Entwicklungsstand des gemeinen Rechts und des preußischen A L R erreicht. ganzen übrigen Deutschland außer Preußen — n u r 13 neu errichtete Kassen befunden hätten. 128 A u f diese Bildungen w i r d noch eingehend i n unseren Untersuchungen zu den später folgenden Debatten über das neue U V G hingewiesen, vgl. unten S. 88 ff.

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V. Die Perioden der hier entscheidenden Gesetzgebung des Deutschen Zollvereins, des Norddeutschen Bundes und der späteren Reichsgesetzgebung bis zum 17. November 1881 brachten das Haftpflichtrecht i m Reichshaftpflichtgesetz von 1871 m i t seinen bereits angedeuteten Vorund Nachteilen vorläufig zu einem Höchststand. Sechster Abschnitt

Zusammenfassung des Zweiten Kapitels soweit es den von den Wegbereitern des U V G 1884 vorgefundenen Entwicklungsstand des sonstigen Schutzrechts zugunsten des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers umfaßt, das nicht als Haftpflichtrecht zu bezeichnen ist I. I m römischen Recht fand sich, von den hier nicht ins Gewicht fallenden Ausnahmen abgesehen, kein nennenswerter Arbeitnehmerschutz, der nicht auf dem Haftpflichtrecht beruhte. Auch bestanden keine Einrichtungen, die einem Arbeitgeber die Last einer Haftpflicht zu lindern geholfen hätten. II. Das gemeine Recht kannte außer den geringen Ansätzen i n Gestalt der römisch-rechtlichen Alimentationspflicht unter Verwandten keine Arbeitnehmerschutzgesetzgebung, die nicht auf dem Haftpflichtrecht beruhte. Einrichtungen, die den Arbeitgeber von einer Haftpflichtigkeit entlasteten, bestanden — soweit nachprüfbar — ebenfalls nicht. I I I . Das Preußische Allgemeine Landrecht erweiterte den Kreis der gegenüber einem Unfallverletzten oder seinen Hinterbliebenen alimentationspflichtigen Verwandten und übte damit einen indirekten Alimentationszwang aus. IV. U m das Jahr 1845 wuchs jene Bewegung der arbeitenden Bevölkerung i n Deutschland allmählich heran, die an das Gemeinwesen und deren Gesetzgebung neue Ansprüche stellte. Anfängliche Selbsthilfe der Arbeitnehmer- und Unternehmerkreise gegen Unfallgefahren i n größerem Umfange als bisher durch Vereinigung zu freien Kassen und Bildungen berufsgenossenschaftlicher A r t , aus denen Unfallverletzten Entschädigungen sowie Hinterbliebenen eines Unfallgetöteten Pensionen gezahlt sowie Haftpflichtbelastungen seitens der Unternehmer verteilt wurden, waren zu verzeichnen. Die Mittelaufbringung erfolgte durch die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam. Schließlich nahm die Gesetzgebung zu, die einen staatlichen Zwang zur Errichtung von Kassen und zum Beitritt i n dieselben vor-

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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sah. Das sonstige Arbeitnehmerschutzrecht verlagerte sich zunehmend vom Privatrecht i n das öffentliche Recht. V. Die Gesetzgebung des Deutschen Zollvereins, des Norddeutschen Bundes und der deutschen frühesten Reichsgesetzgebung bis zum Jahre 1881 brachte zugunsten der Arbeitnehmer i m wesentlichen einen indirekten Zwang zur Unterstützungskassenbildung i m Innungswesen, die Schaffung von Ortsarmenverbänden und schließlich ein Hilfskassenwesen, dem jedoch der Erfolg versagt blieb, w e i l die diesbezüglichen gesetzlichen Materien keinen staatlichen Einrichtungszwang vorsahen. Eine Gesetzgebung zugunsten der Arbeitgeber zur Erleichterung ihrer aus Unfällen der Arbeitnehmer entstandenen Haftpflicht bestand — soweit nachprüfbar — nicht. So kam es hie und da zu privaten Selbstbildungen i n Form von Berufsgenossenschaften 129 , i n denen sich Unternehmer zusammenschlossen und i m Notfalle einander Unterstützung gewährten. Siebenter

Abschnitt

Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Haftpflichtrechts I. Die Leipziger Petition Bereits dem Reichstag des Norddeutschen Bundes von 1868 war die sogenannte Leipziger Petition 1 3 0 zugegangen. Sie enthielt drei Punkte, i n denen eine Änderung des geltenden Zivilrechts empfohlen wurde. Diese beinhalteten folgendes: 1. Die Regelung des französischen Rechts i n Gestalt des A r t . 1384 Code civil 1 8 1 , nach dem der Prinzipal für das haftete, was der Bedienstete

129 A u f diese freiwillig, auf privater Ebene gebildeten Berufsgenossenschaften wurde wiederholt bei den Beratungen über die E n t w ü r f e eines U V G hingewiesen, w e n n die Sprache auf die neu zu bildenden öffentlich-rechtlichen Berufsgenossenschaften kam. Über diese Thematik vgl. an späterer Stelle unten S. 88 ff. — ISO Piloty, Bd. I, § 3, S. 19 unter A n m . 1, berichtete, hatte diese Petition Prof. Dr. K a r l Biedermann angeregt; sie w u r d e v o n dem Ausschuß der nationalliberalen Partei i n Leipzig verfaßt u n d dem R T eingereicht. Sie regte insbesondere an, die Bundesregierung möge eine Revision u n d einheitliche Ref o r m der materiellen u n d prozessualen Gesetzgebung über Schadensersatzansprüche von Privatpersonen bei nicht v o n ihnen verschuldeten Unglücksfällen herbeiführen. A u f A n t r a g der Petitionskommission beschloß späterhin der RT, die Petit i o n dem Reichskanzler zur Berücksichtigung zu empfehlen, 131 Vgl. hierzu oben S. 20 unter A n m . 66.

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innerhalb seiner Betriebssphäre versehen oder pflichtwidrig unterlassen hatte, solle zum Rechtssatz des gemeinen Rechts erhoben werden. 2. Der zu enge Kreis klageberechtigter Personen solle erweitert werden. 3. Eine Erhöhung des Schadensersatzes solle erfolgen 132 . Die Wünsche dieser Petition wurden teilweise dadurch erfüllt, daß der Reichskanzler am 28. März 1871 dem Reichstag den Bundesratsentwurf zu dem bereits hier erörterten Reichshaftpflichtgesetz vorlegte, der ohne wesentliche Änderungen angenommen und als Gesetz vom 7. Juni 1871 publiziert wurde. Die wichtigsten Neuerungen, die dieses Gesetz i n das gemeine Recht brachte, haben w i r bereits an früherer Stelle beleuchtet 1 3 3 . Die Erwartungen, die man bezüglich der sozialen Wirkungen des Haftpflichtgesetzes gehegt hatte, hatten sich — wie aufgezeigt — nicht erfüllt 1 3 4 . II. Weitere Anträge und Vorschläge 1. Anträge während der Frühjahrssession

des Jahres 1878

I n der Frühjahrssession des Jahres 1878 kamen von einer Reihe Abgeordneter des Reichstags mehrere Anträge an die Bundesregierungen, die das gemeinsame Bestreben hatten, die Bestimmungen des geltenden Haftpflichtrechts auszudehnen und zu verschärfen. Von den zahlreichen Anträgen seien hier nur diejenigen i n gebotener Kürze dargelegt, die sich m i t der Regelung der Haftpflicht selbst befaßten. Unberücksichtigt lassen wollen w i r i n diesem Zusammenhang die Anträge betreffend die Problematik der Ausdehnung des Haftpflichti132 Die Begründung der Petition (vgl. Stenographische Berichte des RTs. des Norddeutschen Bundes 1868, S. 175) enthielt die Bemerkung, daß die bestehenden Rechtsvorschriften besonders f ü r alle diejenigen unzureichend seien, die i n Fabriken, Bergwerken u n d Eisenbahnbetrieben beschäftigt seien. 133 Vgl. hierzu oben S. 26 ff. 134 Als recht anschauliche Beschreibung der nachteiligen W i r k u n g e n sei hier noch eine Äußerung Baares (Motive zu einem Gesetzentwurf betreffend die Errichtung einer Arbeiter-Unfall-Versicherungskasse, Annalen des deutschen Reichs, 1881, S. 83, zitiert bei Piloty, Bd. I, § 6, S. 33 unter A n m . 2) angef ü h r t : „ I n d e m es — das Haftpflichtgesetz — den A r b e i t e r n w e i t über die Nothdurft u n d über das Bedürfniß hinaus Zubilligungen zuerkannte, hat es beide Parteien auf den Weg des Prozesses gedrängt. Gewann der Arbeiter, wurde er Rentner, sofern er verstand, die i h m ausbezahlten Kapitalbeträge zusammenzuhalten . . . ; verlor er, so w u r d e er Bettler." Diese Kennzeichnung der W i r k u n g e n des Haftpflichtgesetzes, so bemerkte Piloty, a. a. O., weiterhin, „ist w o h l etwas übertreibend, aber als K a r i k a t u r ist sie gut!".

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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gen-Kreises 135 und der mehr technisch-prozessualen Abwicklung der Ansprüche. Die Anträge der Abgeordneten Dr. Hirsch 136 , Stauffenberg und Genossen 137 erstrebten u. a. eine anderweitige Beweislastregelung i n der Weise, daß die Beweislast vom Unfallverletzten auf den (beklagten) Unternehmer übergehen sollte. I n diese Richtung zielten weiterhin die Anträge der Abgeordneten Freiherrn v. Hertling 1 3 8 , Struckmann-Buhl 1 3 9 und eine Anzahl weiterer Petitionen 140 . Weiter als diese Anträge ging ein Antrag der Abgeordneten Hasenclever und Kapell 1 4 1 , die sich nicht — wie die vorher genannten A n träge — auf eine Ausdehnung des § 2 RHPflG bezüglich des Haftpflichtigen-Kreises beschränkten, sondern die scharfe Haftung des § 1 RHPflG, die nur für Eisenbahnunternehmer galt, auf alle Betriebe des §2 RHPflG angewandt sehen wollten 1 4 2 . 2. Die Interpellation

Hertling vom 26. Februar 1879

A m 26. Februar 1879 wurde die Regierung i m Wege einer Interpellation des Abgeordneten Freiherrn v. Hertling 1 4 3 aufgefordert, sich zu den Vorbereitungen für eine Abänderung des RHPflG zu äußern. Für die Regierung gab deren Staatsminister Hofmann folgende Erklärung 1 4 4 ab: „Sollen w i r uns — das ist die Frage — lieber auf dem Wege der I n v a lidenversorgung, die ein soziales Band zwischen Arbeitgeber u n d A r b e i t 135

I m Zusammenhang m i t § 2,1. Halbs. RHPflG. Drucks, des RTs., 1878, Bd. 2, Nr. 28. 137 Drucks, des RTs., 1878, Bd. 3, Nr. 133. 138 Drucks, des RTs., 1878, Bd. 2, Nr. 48. 139 Drucks, des RTs., 1878, Bd. 3, Nr. 134. 140 Vgl. das bei Piloty, Bd. I, § 6, S. 34 unter A n m . 6 zitierte Journal des RTs., Bd. I I , Nr. 291, 297, 403. 141 Drucks, des RTs., 1878, Bd. 3, Nr. 128. 142 Das weitere Schicksal dieser Anträge war, daß i n den Reichstagsverhandlungen über diese Anträge die Einwände gegen das RHPflG, wie schon bei dessen Beratung, i m wesentlichen wiederholt wurden. Eine A b s t i m m u n g über diese Anträge fand nicht statt. Schließlich w u r d e n die Anträge u n d Petitionen einer Kommission übermittelt. Die Kommission beschloß, den Reichskanzler zu ersuchen, Erhebungen über die Ausdehnbarkeit des RHPflG auf andere gefährliche Gewerbebetriebe anzustellen; dieser Beschluß k a m jedoch nicht mehr i m Plenum zur Sprache. I n auffallender Weise hielt sich die B u n desregierung dieser Bewegung gegenüber zurück. Der G r u n d hierfür war, soweit nachprüfbar, daß man sich regierungsseitig scheute, eine Verschärfung der Unternehmerhaftung eintreten zu lassen. 143 Drucks, des RTs., 1879, Bd. 1, Nr. 23. 144 Z i t i e r t bei Piloty, Bd. I , § 6, S. 35. 136

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

nehmer knüpft, A b h i l f e schaffen, oder sollen w i r es t u n auf dem Wege der Verschärfung des Haftpflichtgesetzes, welches i n jedem einzelnen Falle der A n w e n d u n g den Arbeiter i n einen juristischen Gegensatz, i n eine feindliche Stellung zu dem Arbeitgeber treten läßt?"

Diese kritische Äußerung enthielt bereits die Tendenz der Regierung, die Unternehmerhaftung nicht zu verschärfen. 3. Der Vorschlag Bebel Hervorzuheben ist noch ein Vorschlag des Abgeordneten Bebel 145 , den er bei Gelegenheit der Verhandlungen über die Interpellation Hertl i n g machte; er ging noch weiter als die Anträge der Abgeordneten Hasenclever und Kapell 1 4 6 , indem er die Ausdehnung der Haftung des § 1 RHPflG auf alle Unternehmer und als Ergänzung eine Zwangsversicherung der Unternehmer bei einer Reichsversicherungsanstalt verlangte. 4. Reaktionen auf diese Anträge etc. in der Session 1880 Die Maßregeln der Bundesregierung zufolge der Anträge auf Abänderung des RHPflG gingen dahin, daß die preußische Regierung einen Entwurf über die „Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter i n Fabriken" durch eine Kommission prüfen ließ und dann die geprüften Vorschriften dem Bundesrat zur Einführung vorlegte. Der Bundesrat bereitete ferner einen Gesetzentwurf vor, der eine Anzeigepflicht der Fabrikinhaber i n bezug auf Unfälle usw. anordnete. Auch aus diesen Ankündigungen erhellte, daß den Bundesregierungen an einer Haftpflichtverschärfung nicht gelegen war. Die Bundesregierungen dachten bereits i n neuen Bahnen, die des weiteren von uns erarbeitet werden sollen. Achter Abschnitt

Reformbestrebungen auf dem Gebiete des sonstigen Arbeitnehmerschutzrechts I. Zunehmende Ablösung der privaten Hilfskassenbildung Die Reformbestrebungen i n der bezeichneten A r t sind meistenteils, soweit sie zu Reformen, d. h. rechtskräftigen Gesetzen wurden, bereits 145 146

Stenographische Berichte des RTs., 1879, Bd. 1, S. 141 ff. Vgl. hierzu oben S. 41.

2. Kap.: Die Herausbildung des Haftpflichtrechts

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inzidenter bei der Entwicklung des Arbeitnehmerschutzrechts mitbehandelt worden 1 4 7 . Dies empfahl sich, u m die Darstellung nicht unnötig aufzusplittern und u m zu zeigen, daß die zunehmende Ausformung des Haftpflichtrechts gleichzeitig eine Zunahme der Kassen- und Berufsgenossenschaftsbildungen bewirkte. Dabei war insbesondere zu beobachten, daß die anfänglich rein privatrechtliche Selbstbildung von Kassen mehr und mehr abgelöst wurde von kraft Gesetzes einzurichtenden Hilfskassen 148 . Erinnert sei vor allem an das Hilfskassengesetz von 1876149 und an das Abänderungsgesetz zum Titel V I I I der GewO 1 5 0 . II. Der Antrag Günther aus dem Jahre 1879 Obwohl, wie ebenfalls bereits dargelegt 151 , der Gesetzgeber m i t den freien eingeschriebenen Hilfskassen nur ungenügende Erfolge erzielte, stellte der Abgeordnete Günther noch i m Jahre 1879 den Antrag 1 5 2 an die Bundesregierungen, auf freiwilliger genossenschaftlicher Basis A l ters- und Invalidenkassen zu bilden. Dem Antrag lag ein Gesetzentwurf 153 bei, der i m wesentlichen lediglich eine Ausdehnung des Hilfskassengesetzes vom 7. A p r i l 1876 auf die147

Vgl. oben S. 17 ff. Die damalige Volkswirtschaftslehre (vgl. z. B. die Ausführungen Wagners i n Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie, 2. Bd., S. 831 ff.) differenzierte als verschiedene Systeme der Gesetzgebung „Kassenzwang" u n d „Zwangskassen". Beide stellten keine rechtlichen Begriffe dar (vgl. Piloty, Bd. 1, § 5, S. 29 unter A n m . 2). Kassenzwang w a r das System, wonach der Z w a n g bestand, irgendeiner Kasse beizutreten. V o n Zwangskassen sprach m a n dann, w e n n der Z w a n g bestand, einer bestimmten Kasse beizutreten. Der Kassenzwang konnte ein bedingter oder unbedingter sein, je nachdem das Gesetz i h n selbst einführte oder seine Einführung den Staatsbehörden oder Gemeinden überließ. Das Gesetz v o m 8. A p r i l 1876 (betreffend die A b änderung des Titels V i n der GewO) folgte dem System des bedingten Kassenzwangs (Beitritt zu irgendeiner Kasse, die Einführung der Kassen blieb den Staatsbehörden oder Gemeinden überlassen). Das Gesetz konnte weiterh i n die Versicherung bei bestimmten freien Kassen vorschreiben. Wo das geschah, hatte dies f ü r die freien Kassen den Erlaß v o n Normativbestimmungen u n d die Staatsaufsicht zur Folge. Dieses System w u r d e v o m Hilfskassengesetz v o m 7. A p r i l 1876 befolgt, da gemäß dessen § 1 n u r diejenigen Kassen die Rechte „eingeschriebener Hilfskassen" erwarben, die sich den reichsgesetzlichen Normativbestimmungen unterwarfen. Z u diesen Rechten siehe oben S. 34, zu 1 (2). 149 Vgl. oben S. 33 f. (34 f.). 150 Vgl. oben S. 33 f. (35 f.). 151 Vgl. oben S. 35 f. 152 Drucks, des RTs., 1879, Bd. 1, Nr. 28. 153 Anlage I I I zum Kommissionsbericht v o m 26. J u n i 1879 i n Drucks, des RTs., 1879, Bd. 5, Nr. 314. 148

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

jenigen Kassen vorsah, die ausschließlich i n Fällen der Invalidität, der Arbeitsunfähigkeit aufgrund Altersschwäche sowie i m Todesfalle von Mitgliedern den Witwen etc. Renten auszubezahlen hatten 1 5 4 . Ansonsten fanden sich — soweit ersichtlich — keine nachweisbaren Reformbestrebungen mehr auf dem Gebiete des Arbeitnehmerschutzes, soweit er sich m i t der Tragung von Lasten aus Unfällen befaßte.

154 Das historische Schicksal dieses Entwurfs war, daß die Kommission, der der A n t r a g m i t Gesetzentwurf des Abgeordneten Günther vorgelegt wurde, auf seine Vorschläge nicht einging (vgl. Resolutionsvorschlag der K o m mission v o m 26. J u n i 1879, w i e hier S. 43, A n m . 153). Wegen des bevorstehenden Sessionsschlusses wurde dem R T - P l e n u m der Kommissionsbeschluß nicht mehr, auch — soweit ersichtlich — später nicht mehr unterbreitet.

Drittes

Kapitel

Die Entwicklung des privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Versicherungswesens bezüglich Unfall und Haftpflicht Erster

Abschnitt

Die Rechtsquellen Erster Unterabschnitt D e r S t a n d d e r rechtlichen E n t w i c k l u n g i m römischen u n d gemeinen Recht I . Römisches Recht A u s d e m f r ü h e s t e n S c h r i f t t u m , w i e es e i n s t W i l l i a m L e w i s i n s e i n e m L e h r b u c h 1 a n f ü h r t e 2 , g i n g h e r v o r , daß d e m r ö m i s c h e n Recht der V e r sicherungsvertrag überhaupt f r e m d w a r . Die Quellen boten n u r Beispiele z u r V e r a n s c h a u l i c h u n g des Wesens der B e d i n g u n g e n 3 . D e r V e r sicherungsgedanke l a g a l l e r d i n g s , w i e L u d w i g G o l d s c h m i d t 4 berichtete, d e m foenus n a u t i c u m z u g r u n d e , w i e auch „ d i e Ü b e r n a h m e des p e r i c u l u m , welche m i t m a n c h e n V e r t r ä g e n , als d e m D e p o s i t u m , K a u f v e r t r ä g e n , Transportverträgen verbunden wurden" 5. 1 Lehrbuch des Versicherungsrechts, § 1, S. 1, besonders unter A n m . 2. Vgl. hierzu auch J. v. Gierke, Versicherungsrecht unter Ausschluß der Sozialversicherung, 1. Hälfte, § 2, S. 9. 2 So z. B. Livius X X I I I , 49; X X V , 3; Suetonius, v i t . Claudii, 18, nach denen der Käufer kontraktlich die Gefahr übernahm, die der Verkäufer nach dem Gesetz zu tragen hatte. 3 Solche fanden sich i n Wendungen wie „si navis ex Asia venerit", „si navis non venit", „post mortem meam filiae meae dari", „si Titus consul factus est", vgl. hierzu Reatz, Geschichte des europäischen Seeversicherungsrechts, S. 15 f. 4 I n seinem Aufsatz: „Das receptum nautarum, cauponum, stabulariorum. Eine geschichtlich-dogmatische Abhandlung", abgedruckt i n der von i h m herausgegebenen Zeitschrift f ü r Handelsrecht, Bd. I I I (1860), S. 58 ff. (104); ders., „ Z u r Geschichte der Seeversicherung" i n Juristische Abhandlungen, Festgabe f ü r Beseler, S. 7, A n m . 1. 5 So Goldschmidt , wie hier A n m . 4, erste Fundstelle.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Jedoch l i e ß e n sich f ü r e i n p r i v a t - oder öffentlich-rechtliches U n f a l l u n d Haftpflichtversicherungsrecht i m heutigen Sinne keine A n h a l t s p u n k t e i m r ö m i s c h e n Recht finden 6 .

I I . Gemeines Recht Das ä l t e r e deutsche gemeine Recht k a n n t e V e r t r ä g e , i n d e n e n j e m a n d eine f r e m d e G e f a h r z u t r a g e n ü b e r n a h m 7 . Jedoch f a n d e n sich, s o w e i t n a c h p r ü f b a r , k e i n e V e r t r ä g e , die eine G e f a h r ü b e r n a h m e i m Z u s a m m e n h a n g m i t e i n e m ( A r b e i t s - ) U n f a l l oder e i n e r h i e r a u s e n t s t e h e n d e n H a f t p f l i c h t i g k e i t vorsahen. W i e L e w i s 8 m i t B e r u f u n g a u f O t t o v . G i e r k e 9 m e i n t e , sei d e m m i t t e l a l t e r l i c h e n Recht eine V e r s i c h e r u n g , P r ä m i e n - w i e G e g e n s e i t i g k e i t s v e r s i c h e r u n g , ü b e r h a u p t f r e m d gewesen. Erste A n s ä t z e eines Versicherungsrechts i m h e u t i g e n S i n n e f a n d e n sich i m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m i n t e r n a t i o n a l e n H a n d e l u n d z u r U n t e r s t ü t z u n g desselben i n d e n M i t t e l m e e r s t a a t e n , „ u n d z w a r w o h l i m A n schluß a n das foenus n a u t i c u m 1 0 i n d e r G e s t a l t der T r a n s p o r t v e r s i c h e r u n g a u s g e b i l d e t " 1 1 . I n I t a l i e n w a r diese bereits i n d e r ersten H ä l f t e des 14. J a h r h u n d e r t s b e k a n n t 1 2 .

6

Vgl. hierzu auch oben S. 28. Insbesondere wendet sich auch J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2, S. 9 unter A n m . 2, i n scharfer Form gegen die vereinzelten Versuche, den w i e auch i m m e r gearteten Versicherungsvertrag i m r ö m i schen Recht nachzuweisen. 7 Lewis, op. cit., § 1, S. 2, A n m . 2, führte hierzu die L e x Wisigoth. V, 5, 1, die L e x Baiuw. X V , 1 (Aufbewahrung einer Sache gegen Lohn) u n d die Bremer Statuten aus dem Jahre 1303 als Beispiele an. 8

a. a. O., w i e hier A n m . 7. Das deutsche Genossenschaftsrecht, S. 229 f. 10 Bei i h m gewährte ein Geldgeber einem Seefahrtsunternehmer ein D a r lehen m i t der Vereinbarimg, daß es m i t Zinsen zurückgezahlt werden mußte, w e n n das Schiff glücklich i m Bestimmungshafen angekommen war. Anderenfalls w a r das Geld verloren. J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2, I, S. 11, stellte zu Recht fest, daß ein echter Versicherungsvertrag darin nicht zu erblicken sei. Z w a r trage der Geldgeber die „Gefahr" der Seereise. A b e r einmal werde das Entgelt (hohe Zinsen) n u r bei günstigem Verlauf bezahlt, sodann werde die „Versicherungs"-Summe (das Darlehen) i m voraus gegeben. Schließlich fehle noch der Gedanke an die B i l d u n g wirtschaftlicher Gefahrengemeinschaften einer Vielheit v o n Bedrohten, also die Heraushebung aus der rein u n d planlos spekulativen Sphäre. 9

11 So Lewis, op. cit., § 1, S. 2, i m Anschluß an Benvenutus Straccha, De assecurationibus, w i e folgt näher gekennzeichnet i n der von Lewis, § 2 des zitierten Lehrbuchs genannten „Ausgewählten L i t e r a t u r " : „Venet. 1569 (auch i m Tractatus tractatuum juris, T. VI)." 12 Vgl. hierzu des näheren aus dem früheren Schrifttum Ehrenberg, „Neue L i t e r a t u r des Versicherungsrechts, besprochen v o m A u t o r " i n Z H R Bd. 32 (1886), S. 272 ff. (273); Adler, „Die Prämienvorleistung bei der Versicherung" i n Z H R Bd. 34 (1887), S. 162 ff. (174).

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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Die weitere Entwicklung des Binnenversicherungsrechts war auch i n Deutschland i m Zusammenhang mit der Ausbildung des Seeversicherungsrechts zu sehen, es „hat(te) den gleichen Charakter wie dieses" 13 . Bis i n die neuere Zeit hinein bewahrte es die Grundzüge eines internationalen Gewohnheitsrechts 14 , zu dessen Erkenntnisquellen die fremden Rechte ebenso wie das deutsche Recht gehörten. Der Schwerpunkt dieses Gewohnheitsrechts lag jedoch i n der Risikenabdeckung des (See-) Handels. Zweiter Unterabschnitt Das frühe preußische Recht, die anderen deutschen Partikularrechte und die spätere deutsche Rechtslage bis zu den Entstehunganfängen des U V G 1884 I . Gesetzliche Regelung des sog. B i n n e n Versicherungsrechts

Eine gesetzliche Regelung hat nach Auskunft des Schrifttums 15 die gesamte sog. Binnenversicherung erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts allein i m Herrschaftsgebiet des preußischen Landrechts erhalten 18 . Bereits am 18. Februar 1766 war die Assekuranz- und Havarey-Ordnung für das Königreich Preußen erlassen worden; eine eingehendere Behandlung auch des Binnenversicherungsrechts fand sich i m preußischen A L R vom 5. Februar 1794. Einschlägig war dessen Teil II, Tit. 8, Abschn. 13 (§§ 1934—2358), dessen Gesetze durchwegs auf der Grundlage des internationalen Versicherungsrechts standen 17 . Auch die Bestrebungen auf dem Gebiet der Kodifizierung des deutschen Handelsrechts schlossen das Versicherungsrecht ein 18 . 13 14 15

S. 16.

So Lewis, op. cit., § 1, S. 3. Dies betonte Lewis, a. a. O., bereits i m V o r w o r t zu seinem Lehrbuch. Vgl. z.B. Lewis, op. cit., §1, S. 7 f.; J. v. Gierke, a.a.O., l . K a p . , § 2 I I ,

16 Vorangegangen w a r i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine partikulargesetzliche Regelung des Versicherungsrechts allein auf dem Gebiete des Seeversicherungsrechts, z. B. i n Gestalt der Assekuranz- u n d HavareyOrdnung der Stadt H a m b u r g aus dem Jahre 1731; u m dieselbe Zeit erfolgte die Rezeption der Assekuranz- u n d Havarey-Ordnung der Stadt Amsterdam v o n 1744. Vgl. hierzu des näheren Lewis, op. cit., § 1, S. 9 u n d die dort angegebenen Quellen; auch J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I I I b, S. 22. 17 Vgl. hierzu Lewis, op. cit., §1, S. 4; auch J. v. Gierke, a.a.O., §2 I I , S. 16. 18 So enthielt der preußische E n t w u r f des H G B eine Regelung des gesamten VersRechts, nämlich i n T i t e l 6 des I I I . Buchs (von den Handelsgeschäften), A r t . 327—349 die f ü r die Vers, überhaupt maßgebenden G r u n d sätze ; darüber hinaus enthielt er die Grundsätze f ü r einzelne A r t e n der Vers.,

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Eine Regelung der Unfall- und Haftpflichtversicherung jedoch — soweit nachprüfbar — hierin nicht 19 .

fand sich

II. Anwendbarkeit des Seeversicherungsrechts auf die Versicherungsverhältnisse der Binnen Versicherung Als das HGB durch Bundesgesetz vom 5. Juni 1869 und später durch das Reichsgesetz vom 22. A p r i l 1871 zum Reichsgesetz erhoben wurde, hat damit auch das i m HGB enthaltene VersRecht den Charakter des gemeinen deutschen Rechts 20 erhalten, das die Partikularrechte nur so weit zum Zuge kommen ließ, als sie spezieller waren. Für die Vers, auf Gegenseitigkeit war Titel 11 des V. Buchs des deutschen HGB jedoch nur soweit anwendbar, als die Vers. SeeVers. war. Immerhin jedoch waren die Bestimmungen des SeeVersRechts des deutschen HGB soweit auch für die BinnenVers. anwendbar, „als sie dem regelmäßigen Recht angehören und nicht auf Zweckmäßigkeitsrücksichten beruhen oder auf eigentümliche seerechtliche Verhältnisse Rücksicht nehmen" 21 . I I I . Zusammenfassende Würdigung des Rechtszustandes 1. Keine gesetzlichen Bestimmungen für das private Unfall- und HPflVersRecht Zusammenfassend darf für den Entwicklungsabschnitt vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zu den Entstehungsanfängen des ersten deutschen U V G vom 6. 7. 1884 festgestellt werden, daß es auf dem Gebiete der BinnenVers., soweit nachprüfbar, außer gewohnheitsrechtlichen Bildunso insbesondere f ü r die Feuer- und HagelVers., Vers, gegen andere Gefahren, denen die Früchte auf dem Felde unterworfen waren; Vers. v. Waren gegen die Gefahren der Versendung zu Lande, auf Flüssen u n d Binnengewässern; i n T i t . 7 des I I I . Buchs (Art. 350—384) f ü r die Lebens Vers.; schließlich die Bestimmungen i n T i t . 10 des I V . Buchs ( „ v o m Seehandel"), A r t . 603—680 bezüglich der Vers, gegen die Gefahren der Seeschiffahrt. Wie Lewis, op. cit., § 1, S. 4, w e i t e r h i n berichtete, ist jedoch die übrige Vers. auf der „Nürnberger Konferenz" über das deutsche H G B i n 1. Lesung von der Beratung ausgeschlossen worden, u n d die Entscheidung der Frage, was hiervon i n das H G B aufzunehmen sei, bis nach der Feststellung des Seerechts vertagt worden. Dann sei es jedoch von der Aufnahme i n das Gesetz ganz ausgeschlossen worden, „namentlich i m H i n b l i c k auf die Schwierigkeit der Sache i m damaligen Stadium der Beratungen" (so Lewis, a. a. O., S. 4). 19 Siehe hierzu A n m . 18. 20 Vgl. hierzu oben S. 8 ff. u n d S. 46 ff. 21 So Lewis, op. cit., § 1, S. 5.

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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gen 22 und andere VersMaterien regelnden 23 Spezialgesetzen, keine gesetzlichen Bestimmungen bezüglich einer Unfall- und HPflVers. gegeben hat. Von diesen gewohnheitsrechtlichen Bildungen hatte stets die engere, d. h. für einen begrenzteren Kreis geltende Rechtsquelle gegenüber der weiteren, d. h. für einen weiteren Kreis verbindlichen, den Vorrang. 2. Rechtsmaterien betreffend

das private Unfall- undHPflVersRecht

Für die Gebiete der Unfall- und HPflVers. kamen hiernach allenfalls die partikulären Gewohnheitsrechte i n Frage, wie sie i n der Verkehrsübung i n Gestalt von Vers Verträgen zutagetraten. „Diese (Verkehrsübung) (tritt) dem Juristen hauptsächlich entgegen i n den Vers Verträgen und i n den einzelnen VersGesellschaften oder einer Anzahl von Gesellschaften aufgestellten Regeln, welche bei der Abschließung von Vers Verträgen zur Anwendung gebracht wurden, den sog. VersBedingungen. Diese VersBedingungen, auch solche einzelner Gesellschaften, stellen sich um deswillen als Zeugnisse für das Gewohnheitsrecht . . . dar, weil bei der bestehenden Konkurrenz auf dem Gebiete des VersRechts keine Gesellschaft es wagen kann, den VersSuchern zuzumuten, sich solchen Regeln bei der Abschließung von Verträgen zu unterwerfen, welche den Verkehrsanschauungen und dem Rechtsbewußtsein der jeweiligen Zeit widersprechen... Ganz besonders w i r d man diese VersBedingungen als Erkenntnisquellen des Gewohnheitsrechts betrachten können, wenn sie von einer größeren Zahl von Gesellschaften längere Zeit hindurch als maßgebend anerkannt worden sind, oder wohl gar von fast sämtlichen Versicherern einer bestimmten VersBranche.. .". 24 22 Lewis, op. cit., § 1, S. 6 sprach i n diesem Zusammenhang von Handelsgewohnheitsrecht u n d dort wiederum von Assekuranzgewohnheitsrecht, das dann eingreifen konnte, w e n n das H G B keine Regelung vorsah. Dann seien die Rechtsprinzipien, aus denen die Entscheidungsnormen f ü r die einzelnen Fälle zu deduzieren waren, bereits gem. A r t . 1 H G B den Handelsgebräuchen zu entnehmen gewesen. Gemäß A r t . 1 H G B sollte das Handelsgewohnheitsrecht i n den als Handelssachen zu charakterisierenden Rechtsverhältnissen des VersWesens vor dem allgemeinen bürgerlichen Recht zur A n w e n d u n g gebracht werden. 23

I n Frage kamen v o r allem Vorschriften der Partikularstaaten auf dem Gebiet der FeuerVers. usw.; ausführlich hierzu Lewis, op. cit., § 1, S. 8 ff. 24 So Lewis, op. cit., § 1, S. 6 u n d 7, bereits i m Jahre 1889 (die Hervorhebung i m Text stammt v o m Verfasser dieser Arbeit). Vgl. hierzu auch J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I I I , S. 21, der hervorhob, daß die Mängel der Vertragsfreiheit u m so stärker hervortreten mußten, „als die einseitig aufgestellten VersBedingungen viele Härten u n d U n b i l l i g keiten enthielten". 4 v. Heinz

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Freilich ließ sich aus diesen VersBedingungen regelmäßig lediglich ein Schluß auf die Existenz des Gewohnheitsrechts ziehen, jedoch niemals ohne weiteres unmittelbar der Rechtssatz entnehmen. Da eine gesetzliche Regelung des für unsere Thematik einschlägigen VersRechts i n Deutschland bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts nicht zustandekam, herrschte auf dem Gebiete des Unfall- und HPflVersRechts der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Zweiter

Abschnitt

Entwicklung der privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Versicherung Erster Unterabschnitt Das Altertum und die germanische Urzeit I. Altertum Da i m Altertum, insbesondere bei den Römern, noch kein Bedürfnis für eine Versicherung i m heutigen Sinne bestand, fehlten auch entsprechende Einrichtungen i n dieser Beziehung. I L Germanische Urzeit

Infolge der ausgeprägten Schutz- und Schirmherrschaft der Geschlechtsverbände und Gemeindeverbände bestand i n der germanischen Urzeit kein Bedürfnis für eine Versicherung, ebenso wie auch kein besonderes VersRecht notwendig war 2 5 . 25

Vgl. hierzu ausführlich J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I, S. 9 ff. Büchner stellt i n seinem „ G r u n d r i ß der VersGeschichte" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 46, S. 2295 ff. (2298), zu Recht fest, daß der VersGedanke n u r ein besonderer Ausdruck urtümlichen menschlichen Gemeinschaftslebens sei, f ü r das die gemeinsame A b w e h r von Gefahren aller A r t u n d damit auch die Mitübernahme wirtschaftlicher Risiken durch die anderen Mitglieder der Familie oder Sippe, der i n enger Nachbarschaft wohnenden Dorfgemeinschaft oder eines Stammes, eine aus der N a t u r derartiger umfassender Lebensgemeinschaften folgende, selbstverständliche Pflicht gewesen sei. A b e r dieser i m ursprünglichen Gemeinschaftsempfinden wurzelnde Gedanke der Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe u n d Unterstützung bei N o t fällen aller A r t sei — so bemerkt Büchner, a. a. O., einleuchtend weiter — n u r der erste Untergrund der Versidee. Erst dann käme m a n nämlich zu einer „Versicherungwenn die A b w e n dung u n d M i l d e r u n g der wirtschaftlichen Folgen bestimmter, zufallsbeding-

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

51

Zweiter Unterabschnitt

Das Mittelalter 1. Die

Gilden

D i e eigentliche geschichtliche E n t w i c k l u n g v o n V o r f o r m e n h e u t i g e n V e r s i c h e r u n g setzte erst i m M i t t e l a l t e r ein.

unserer

Solche V o r f o r m e n b i l d e t e n sich insbesondere b e i d e n g e r m a n i s c h e n G i l d e n 2 6 heraus. Sie w a r e n als N a c h b i l d u n g e n d e r n a t ü r l i c h e n G e schlechtsverbände sich f r e i b i l d e n d e Genossenschaften, die m i t u n t e r auch b e i U n f ä l l e n Schutz u n d F ü r s o r g e der G i l d e b r ü d e r u n t e r e i n a n d e r b e z w e c k t h a b e n mögen. a) S p e z i a l g i l d e n als W e i t e r e n t w i c k l u n g der a l l g e m e i n e n G i l d e n S p ä t e r e r l e b t e n die a l l g e m e i n e n G i l d e n A u s f o r m u n g e n z u S p e z i a l g i l d e n , die a u f einzelne b e s t i m m t e U n t e r s t ü t z u n g s z w e c k e oder a u f e i n e n alleinigen Unterstützungszweck abstellten27. b) S p e z i a l g i l d e n als A u s f o r m u n g e n der D o r f - u n d K i r c h s p i e l g e m e i n d e n A u s g e h e n d v o n d e n D o r f - u n d K i r c h s p i e l g e m e i n d e n , d e n städtischen K a u f m a n n s g i l d e n u n d d e n Z ü n f t e n e n t w i c k e l t e n ebenfalls besondere S p e z i a l g i l d e n f ü r b e s t i m m t e U n g l ü c k s f ä l l e e i n E i g e n l e b e n , h i e l t e n aber d e n Z u s a m m e n h a n g b e z ü g l i c h der L e i t u n g u n d A u f s i c h t m i t d e n ersteren28. ter Gefahren aus den M i t t e l n eines Zusammenlebens gleichartig bedrohter, selbständiger Einzelwirtschaften mitbestimmender oder alleiniger Zweck einer Vereinigung als zweckgebundener, spezieller Gefahrengemeinschaft sei. 26 Vgl. hierzu O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I , S. 220 ff., 1151 ff.; w e i t e r h i n J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2, S. 10, der berichtete, daß die Gilden religiöse, politische, wirtschaftliche u n d gesellige V e r einigungen gewesen sind. Bei i h r e m Ausbau habe vor allem die Fürsorge f ü r die Verstorbenen sowie eine gegenseitige Unterstützung i n Unglücksfällen (namentlich bei B r a n d und Schiffbruch) i m Vordergrund gestanden. Solche Gilden sind, w i e J. v. Gierke, a. a. O., w e i t e r h i n ausführte, u r k u n d l i c h seit der Zeit K a r l s des Großen bezeugt. I n sehr v i e l frühere Zeiten reichten sie nicht zurück, da f ü r sie erst ein Bedürfnis m i t der beginnenden Auflösung der alten natürlichen Geschlechtsverbände vorhanden war. Trotz der Bekämpfung durch K a r l den Großen als politische Gebilde — J. v. Gierke, a. a. O., unter A n m . 4, verwies hier auf das Kapitulare v o n 779 n. Chr. — erhielten sie sich i n ihren nützlichen, wirtschaftlichen Funktionen m i t mancherlei Veränderungen u n d Neubildungen. 27 So z.B. die B r a n d - u n d Totengilden (Sterbekassen) sowie ausschließliche Brand-, ausschließliche Totengilden; w e i t e r h i n S t u r m - u n d Dachgilden. 28 Vgl. hierzu des näheren J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2, S. 10. Die Gilden hielten sich bis ins 18. Jahrhundert hinein, wie aus den Untersuchungen Schmitt-Lermanns, a. a. O., 8. Kap., S. 89, hervorgeht, daß nämlich noch u m die Zeit v o n 1730 die Regierung i n Hannover sich veranlaßt sah, „bei namhaffter Straffe" zu verhüten, daß erkrankte Handwerksgesellen, die doch früher 4»

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

2. Ansätze für die spätere Entwicklung I n diesen Ausgestaltungen erkennt das privatversicherungsrechtliche Schrifttum 2 9 die Anfänge der späteren Gegenseitigkeitsversicherungsverbände, der privaten Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und der öffentlichen Versicherungsanstalten. 3. Versicherer

gegen Unfall und Haftpflicht

Von den Gilden bereits als Versicherern zu sprechen, wäre freilich verfehlt 3 0 . Sie waren lediglich „Vereinigungen, die aus den Mitteln der Gemeinschaft ihren Mitgliedern bei E i n t r i t t bestimmter Wechselfälle des Lebens wirtschaftlich Hilfe leisteten" 3 1 und damit reine Selbsthilfeeinrichtungen. Soweit i m Mittelalter bereits Versicherungsunternehmen bestanden — dies war hauptsächlich i m südlich-mediterranen Raum der Fall —, die bereits Versicherung auf kaufmännisch-vertraglicher Grundlage betrieben, kannten sie allein die Versicherung von Seerisiken 32 . Eine gezielte Risikoübernahme i m Hinblick auf Unfall und Haftpflicht war i n nennenswertem Umfang unbekannt. Dritter Unterabschnitt Die Neuzeit 1. Ausklammerung der Untersuchung hinsichtlich der allgemeinen VersEntwicklung Erst i m Zeitraum vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich auch außerhalb des Bereiches der verdurch genossenschaftliches Zusammenstehen geschützt waren, durch die G i l den von Ort zu Ort abgeschoben w ü r d e n (zitiert nach Rudolf Wissell, Der soziale Gedanke i m alten Handel, 1930, S. 63/64). Manes, Versicherungswesen, 2. Bd., § 36 I I I , S. 87, erwähnte die sog. „ A r m - u n d Beinbruchgilden" des 18. Jahrhunderts i n Deutschland. „Dieweilen oft die tägliche Erfahrung ausweist, daß die Menschen leicht A r m e u n d Beine unversehens entzweibrechen können, sind derowegen die sämtlichen Gildebrüder entschlossen, eine Bruchgilde zu stiften u n d einer dem anderen i n solchen Fällen Hilfe u n d Beistand zu leisten", hieß es i n einem bei Manes, a. a. O., zitierten Statut einer holsteinischen Brandgilde, an die sich die U n f a l l gilde anschloß. 29 So statt vieler J. v. Gierke, op. cit., 1. Kap., §2, S. 10; Frey, „Organisationsformen der Versicherungsunternehmen" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 14, S. 629 ff. (640), bezeichnet die Gilden als „Die Wiege der deutschen Gegenseitigkeitsversicherung"; siehe auch Büchner, „ G r u n d r i ß der Versiehe-

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traglichen SeeVers, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein neuzeitliches VersWesen heraus 33 . Eine nähere Prüfung dieser Entwicklung liegt jedoch außerhalb des Rahmens dieser Arbeit, zumal sich i n dem genannten Zeitraum noch keine VersZweige für Unfall und Haftpflicht aufzeigen lassen. 2. Anwachsen der GegenseitigkeitsVers. Immerhin ist m i t Rücksicht auf die spätere Entwicklung erwähnenswert, daß i m 18. Jahrhundert i n Deutschland die GegenseitigkeitsVers stark anwuchs, wenn auch nur i n außerhalb unserer Thematik liegenden VersGebieten. a) öffentliche VersAnstalten Zunächst wurde sie von öffentlichen VersAnstalten betrieben, regelmäßig unter staatlicher, insbesondere landesherrlicher Fürsorge. Meist herrschte VersZwang (Zwangsanstalten), teilweise wurde auch nur ein Monopol verliehen (einfache Monopolanstalten). b) Private VersAnstalten Auch private Gegenseitigkeitsvereine fanden sich i n Deutschland, wenn auch meist recht kleinen Umfangs und fast ausschließlich auf dem Gebiet der Feuer Vers 34 . 3. Versicherungs-Aktiengesellschaften I m ersten Viertel des 18. Jahrhunderts läßt sich auch schon das W i r ken von Aktiengesellschaften, besonders i n England, nachweisen 35 . Die ersten deutschen Aktiengesellschaften auf dem Gebiet der NichtSeeversicherung, die Bestand hatten, wurden jedoch erst zu Beginn des rungsgeschichte" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 46, S. 2295 ff. (2300); vgl. hierzu auch Sieg, Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung, S. 25. 30 Vgl. hierzu S. 50, A n m . 25. 31 Vgl. Büchner, a. a. O., S. 2297. 32 Vgl. dazu ausführlich Büchner, a.a.O., S. 2297 ff.; J. v. Gierke, a.a.O., 1. Kap., § 2, S. 12 f. 33 Vgl. hierzu ausführlich J. v. Gierke, a.a.O., l . K a p . , §2, S. 13ff.; Schmitt-Lermann, a.a.O., insbesondere i m 8.Kap.: „Die E n t w i c k l u n g des Vers Wesens i n der Epoche der A u f k l ä r u n g " , S. 85 ff. 34 Vgl. hierzu J. v. Gierke, a.a.O., l . K a p . , § 2 I I , S. 15; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, S. 1064/1065. 35 Vgl. hierzu Frey, „Organisationsformen der VersUnternehmen" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 14, S. 639; J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I I , S. 15.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

19. Jahrhunderts gegründet 36 , wie i n den nunmehr folgenden Untersuchungen näher dargelegt werden soll. Vierter Unterabschnitt Das industrielle Zeitalter 1. Steigende Produktionsverhältnisse — stärkeres Verlangen nach VersSchutz I n der Ära des wirtschaftlichen Liberalismus und der Industrialisierung, wie sie seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts i n Deutschland herrschte, steigerte sich m i t dem Voranschreiten der Produktionsverhältnisse auch das Verlangen nach VersSchutz. Der gleiche Unternehmungsgeist, der i n Ausnutzung der neuen technischen Möglichkeiten dem Wirtschaftsleben einen so gewaltigen Aufschwung gab, führte zur Ausbildung eines breit gefächerten VersWesens, das den neuen VersBedürfnissen entgegenzukommen i n der Lage war. 2. Aufkommen zahlreicher neuer VersZweige, insbesondere der Unfall- und HPflVers. Der kaufmännische Unternehmungsgeist zeigte sich besonders i n der Schöpfung zahlreicher neuer VersZweige und VersArten, die für die immer differenzierter werdenden Bedürfnisse des modernen W i r t schaf ts- und Gesellschaftslebens notwendig wurden. Solche neuen Sparten, die neben den bereits bekannten VersZweigen, wie z. B. der Feuer-, Lebens-, See- und sonstigen TransportVers, emporwuchsen, stellten insbesondere a) die private Unfallversicherung und b) die private Haftpflichtversicherung dar. Zu 2 a): aa) Ursprung der privaten U V 36

Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 62, berichtet i m 6. Kap. m i t der Überschrift „Wettversicherungen, Börsenspiele, Sterbekassen u n d Tontinen" v o n der Gründung einer VersAktiengesellschaft i n H a m b u r g bereits i m Jahre 1720, die jedoch bald wieder erlosch. Schmitt-Lermann zitiert a. a. O. f ü r die Begründung dieses Erlöschens Josef Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters u n d der Neuzeit, Bd. 2, 1929, S.325: „ . . . A l s nämlich der Rat, ,mit großer Befremdung u n d Mißfallen 4 vernommen »welcher Gestalt einige P r i v a t i unter dem Prätext einer Assekuranzen-Compagnie sich eigenmächtig unternommen, einen sog. A k t i e n h a n d e l zu veranlassen u n d anzufangen 1 wurde dieser Handel nachdrücklich verboten."

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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Unmittelbare Veranlassung zur Einrichtung einer privatrechtlichen U V war die Aufnahme des Eisenbahnbetriebes 37 . Fast gleichzeitig i m Jahre 1853 gründeten zwei deutsche VersGesellschaften, die „Viktoria" und die „Thuringia", je eine „Allgemeine Eisenbahn-Versicherungs-Gesellschaft". Der neue VersZweig i n Gestalt der U V kam somit zuerst als Eisenbahn-UV auf: die Gefahr einer Reise mit der Eisenbahn wurde zur damaligen Zeit stark überschätzt 38 . bb) Weitere Entwicklung der privaten U V Die deutschen Versicherer gingen i m Laufe der folgenden Jahrzehnte immer mehr dazu über, diese ursprünglich nur für den Eisenbahnverkehr gedachte U V auch auf die allgemeinen Gefahren i n Industrie und Technik auszudehnen. Dabei spielten die Unfälle im Beruf lange Jahrzehnte die größte Rolle 39 , die „zu Schreckbildern des täglichen Lebens" 40 wurden. Zu 2 b): aa) Ursprung der HPflVers. M i t der zunehmenden Industrialisierung besonders i n der Gründerzeit wuchs das Bedürfnis gerade der Unternehmer, sich von Ansprüchen durch Unfall verletzter Arbeiter oder sonstiger Berechtigter zu entlasten. Diesem Bedürfnis konnte nur durch die Schöpfung eines neuen VersZweiges abgeholfen werden, nachdem die aus Wirtschaftskreisen heraus erfolgte Gründung eines Haftpflicht-Schutzverbandes i n Stuttgart, der sich ausschließlich m i t Haftpflichtfragen befassen sollte, keine entscheidende Hilfe gebracht hatte. Wie K u r t Jannott ausführt 41 , waren die Bestrebungen dieses Haftpflicht-Schutzverbandes, der sich späterhin i n den Haftpflicht-Versicherungs-Schutzverband erweiterte, getreu der liberalistischen Denkungsart überwiegend auf den Schutz der Unternehmer selbst gerichtet: nämlich „auf die rechte Begrenzung einmal der Haftpflicht-Frage, u m übermäßige Erweiterungen und Verschärfungen des HPflRechts zu vermeiden, und sodann auf die HPflVers., nicht nur bezüglich der Gestaltung der VersBedingungen, sondern auch wegen der Bemessung der Prämie" 4 2 . 87 Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., l . K a p . , § 2 I I I , S. 16/17; Grewing, „ U n fallversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 5, Zusatzheft I I I 1, S. 3/4. 88 Vgl. hierzu Grewing, a. a. O., S. 4. 89 Vgl. Grewing, a. a. O., S. 4. 40 So Schmitt-Lermann, a. a. O., 1. Kap., S. 3. 41 „Der soziale Gedanke i n der HPflVers." i n „Entwicklungslinien u n d Grundgedanken deutscher Versicherung", Heft 68,1941, S. 5. 42 So Jannott, w i e hier A n m . 41.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

bb) Weitere Entwicklung Die eigentliche HPflVers. wurde von Carl G. Molt (1842—1910) aus Stuttgart i n der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet 43 , der i n seinem i m Jahre 1900 erschienenen Buch „Zur Haftpflichtversicherung. Eine Abwehr und Aussprache i m friedlichen Sinne" 4 4 über den eigenwirtschaftlichen Charakter der HPflVers. aussagte 45 : „Die Förderung der Interessen der Versicherten ist die einzige Aufgabe, die sich der Stuttgarter Verein i n der HPflVers. gestellt h a t . . . Die HPflVers. hat nicht nur für die Besitzenden, für die Arbeitgeber, einen Wert, sie steht der Versorgung der Arbeiter nicht bloß fremd gegenüber, sondern sie nimmt i n gewissem Sinne eine gegensätzliche Stellung gegen diese ein, sie kann i n eine Abwehr gegen Schadensersatzansprüche verunglückter Arbeiter ausarten." A m Schluß der Schrift 4 6 heißt es jedoch, daß diese HPflVers., wenn sie nur einigermaßen zur Förderung der Interessen der versicherten Arbeitgeber beitrage, ihren Zweck auch i n Richtung eines Arbeiterschutzes erfülle. 3. Bildung zahlreicher neuer VersUnternehmen Es liegt nahe, daß mit dem Aufkommen neuer VersZweige, begünstigt durch die liberalistische Wirtschaftsauffassung, auch die Zahl der VersUnternehmen sprunghaft anwuchs. Dabei war für die Unternehmensform charakteristisch die fast völlige Verdrängung des Einzelversicherers, der sich i m wesentlichen nur noch i n der See Vers, halten konnte 47 . a) Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit So wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts nunmehr auch i n Deutschland durch private Entschlußkraft große Vers Vereine auf Gegenseitigkeit gegründet. Bahnbrechend w i r k t e hier Ernst Wilhelm Arnoldi (1778—1841), der die umfassenden Gothaer Versicherungsgesellschaften ins Leben rief: i m Jahre 1821 die Gothaer Feuerversicherungsbank, i m Jahre 1827 die Gothaer Lebensversicherungsbank. 43 Vgl. Büchner, „ G r u n d r i ß der VersGeschichte", i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 46, S. 2309; Jannott, „Haftpflichtversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 4, Zusatzheft I I I 3, S. 84, erwähnt ausländische Vorläufer v o r allem i n Frankreich, wo zu Anfang des 19. Jahrhunderts i n A n l e h n u n g an den Code c i v i l eine Ergänzung der Fuhrwerksversicherung i n der Weise eingeführt wurde, daß die VersAnstalt f ü r die durch das F u h r w e r k angerichteten H a f t pflichtschäden aufzukommen hatte. 44 Stuttgart, Lindemanns Buchhandlung. 45 I n seiner zitierten Schrift, S. 23. 46 S. 92 f. 47 Vgl. J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I I I , S. 17.

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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Zahlreiche neue Vers Vereine auf Gegenseitigkeit folgten dem Gothaer Beispiel, die späterhin auch die neuen VersZweige betreffend Unfall und Haftpflicht zu geschäftlicher Blüte brachten. b) Aktiengesellschaften Ebenso zahlreich wuchsen auch die Aktiengesellschaften für alle VersZweige empor. J. v. Gierke betonte 48 zwar i n diesem Zusammenhang, daß die meisten Aktiengesellschaften das reine Prinzip der Erwerbsversicherung i n späterer Zeit verließen und ihre Versicherten am Gew i n n beteiligten, so daß der ursprünglich scharfe Unterschied zu den Vers Vereinen auf Gegenseitigkeit mit der Zeit gemildert wurde. Die Gewinne der Gesellschaften durch das VersGeschäft waren jedoch immerhin so gut, daß es i m Zuge des Ausbaus des VersWesens sogar bereits zur Bildung von Kartellen 4 9 und Konzernen 50 kam. c) Das öffentlich-rechtliche Vers Wesen Wenn auch nur i n Preußen u m die Mitte des 19. Jahrhunderts der VersZwang auf dem Gebiet der FeuerVers. aufgehoben wurde, und die „Sozietäten" 51 genannten öffentlich-rechtlichen VersAnstalten damit i n Wettbewerb zu den Privatversicherungsunternehmen treten konnten, während der VersZwang i n anderen Ländern die öffentlich-rechtlichen Versicherer auf ihrem Geschäftszweig (meist der FeuerVers.) beschränkt hielt, so erlebte doch auch diese A r t von VersTrägern i m ganzen gesehen einen Auftrieb. Insbesondere bildeten sich öffentlich-rechtliche HPfl Vers Verbände 52 . 48

a. a. O., 1. Kap., § 2 I I I b, S. 18/19. Z u nennen sind das erste Versicherungskartell „Verein Hamburger Assekuradeure" (gegründet 1797), Verband (gegr. 1817) u n d Vereinigung (gegr. 1895) der privaten FeuerVersGesellschaften, die jedoch auch das VersGeschäft bezüglich U n f a l l u n d Haftpflicht m i t an sich zogen. Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., 1. Kap., § 2 I I I c, S. 19. 50 H i e r ist v o r allem der gewaltige Konzernaufbau der Münchner Rückversicherungsgesellschaft (gegr. 1880) zu nennen, die sich sehr bald über den ganzen Kontinent i n F o r m v o n Tochtergesellschaften u n d Beteiligungen ausdehnte. 51 Vgl. Frey, „Organisationsformen der VersUnternehmen" i n „Die V e r sicherung", Heft 14, Bd. 1, S. 629 ff. (640). Schmitt-Lermann, a. a. O., 7. Kap., S. 79/80, w i d m e t dem Wesen der „Sozietäten" genaue Studien u n d k o m m t nach der Beleuchtung der Theorien von Thomas Hobbes, Thomasius u n d Christian Wolff zu der Auffassung, daß i h r e m Wesen nach die Sozietäten genossenschaftliche Einrichtungen waren, die v o m Staat m i t Selbstverwaltungsbefugnissen ausgestattet wurden. 52 Manes, VersWesen, 2. Bd., § 38, S. 109, erwähnt, daß es neben den p r i vatrechtlichen Verbänden „eine Anzahl auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhende HPflVersAnstalten von Provinzialverbänden, Berufsgenossenschaften, auch Gemeinden" gegeben habe. 49

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

4. Der besondere Einfluß des RHPflG vom 7. Juni 1871 auf das private Unfall- und HPflVersWesen a) Nachteilhaftigkeit des RHPflG Von besonderem Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Unfallwie auch der HPflVers. war das RHPflG vom 7. 6.1871, m i t dem zwar einesteils „eine humane, der Arbeiterbevölkerung günstige Idee zum Durchbruch gelangt w a r " 5 3 , das anderenteils jedoch die Erwartungen i m Hinblick auf die Lösung des Doppelproblems „Sicherstellung der Unfallverletzten/Haftpflichtlinderung der Unternehmer" stark enttäuscht hatte. Die Probleme und Nachteile, die insbesondere § 2 des genannten Gesetzes m i t sich gebracht hatte, bildeten bereits den Stoff vorangegangener Erörterungen 54 . b) Notwendigkeit der Privat Vers, gegen Unfall und Haftpflicht Die aus §2 des genannten Gesetzes erwachsende Haftpflichtigkeit machte es für die Unternehmer notwendig, daß sie das Haftpflichtrisiko gegenüber den Arbeitern regelmäßig durch Gruppenunfallversicherungen — die EinzelUV bildete die Ausnahme — abzuwälzen versuchten. I m ganzen gesehen war es jedoch weniger die U V der Arbeiter, für die nach § 4 RHPflG eine Anrechnung von VersLeistungen auf die Haftpflichtentschädigung zulässig war, wenn der Betriebsunternehmer wenigstens Vs der Prämie trug, sondern es war die billigere vertragliche HPflVers., durch die er sich von der gesetzlichen Haftpflichtbelastung freizeichnete 55 . So stellte Piloty 5 6 zur Kennzeichnung der damaligen Situation zutreffend fest: „Zunächst empfanden die Unternehmer die Last, die ihnen durch die Haftpflicht aufgebürdet wurde, als eine drückende. Der Geschäftsmann w i l l es i n seiner Rechnung m i t möglichst bestimmten Faktoren zu t u n haben. Die Haftung für fremdes Verschulden i. S. des § 2 RHPflG brachte aber i m voraus unberechenbare, u. U. bei Massenunfällen sehr erhebliche 58 So Bödiker i n seiner i m A u f t r a g der Reichsregierung aufgestellten „Unfallstatistik des Deutschen Reichs nach der Aufnahme i m Jahre 1881", veröffentlicht am 2. M a i 1882 i m Ergänzungsheft des Bd. 53 der Statistik des Deutschen Reichs, Zweiter Teil, B e r l i n 1882, S. 1—62 (S. 3). 54 Vgl. oben S. 28 ff. 55 So Jannott, Der soziale Gedanke i n der HPflVers., a. a. O., S. 5. 56 Bd. 1, § 1, S. 4.

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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Faktoren i n seine Rechnung. So kam es, daß sich zahlreiche Unternehmer bei PrivatVersAnstalten gegen die Haftpflicht wie gegen ein Naturereignis versicherten." c) Nur unvollkommene Lösung der Problematik durch die PrivatVers. Daß diese genannten Gruppenunfallversicherungen zugunsten der Arbeiter wie auch die HPflVers. der Arbeitgeber 5 7 der Lösung der Problematik nicht gerecht wurden, haben w i r ebenfalls bereits i m Zusammenhang m i t den Nachteilen des RHPflG aufgezeigt 58 . „Eine eigentümliche Rolle spielte hierbei auch noch", wie Bödiker eindrucksvoll i n seinem unfallstatistischen Bericht vom 8. Mai 188259 bemerkte, „die A r t und Weise, wie bisweilen die Organe der VersGesellschaften die Schäden regulieren i n dem Falle, wo sie es der Zweifellosigkeit des Anspruchs wegen nicht zum Prozesse kommen lassen mögen, sondern den Weg der außergerichtlichen Regulierung betreten. Abfindung mittelst einer möglichst niedrigen baren Summe ist die Parole! Da kommt der Agent m i t einem Beutel v o l l harter Taler, zählt die Tische der durch Unfall heimgesuchten Familie v o l l und sucht die durch das Unglück noch Bestürzten zur vergleichsweisen Annahme einer weit geringeren Summe zu bewegen, als ihnen zusteht. A l l das Geld gehöre ihnen, wenn sie die Quittung vollzögen, w i r d gesagt, und schon manches 57 V o n 1871 bis zum Jahre 1884 herrschte i n Deutschland die sog. „ i n d u strielle HPflVers." (diese Bezeichnung findet sich bei Manes, VersWesen, 2. Bd., § 38, S. 107), die m i t der A r b e i t e r k o l l e k t i v - U V nahe verwandt war. Die V e r sicherung konnte so genommen werden, daß die Unternehmer ihre A r b e i t e r lediglich gegen die sog. haftpflichtigen Unfälle versicherten. Wenigstens beschränkte, w i e Manes, a. a. O., berichtet, eine 1871 gegründete Gesellschaft ihre Versicherung am Anfang lediglich hierauf, während die anderen i n den 70er Jahren entstehenden Gesellschaften Haftpflicht- und Unfallversicherung zu verbinden suchten. Die enge Verknüpfung des Betriebes der U n f a l l - u n d HPflVers. beruhte w o h l hauptsächlich auf der bereits genannten Vorschrift des § 4 RHPflG, w o nach sich der Unternehmer v o n der wirtschaftlichen A u s w i r k u n g seiner H a f t u n g aus Betriebsunfällen unter gewissen Umständen befreien konnte. Bestand nämlich zugunsten des Arbeitnehmers bei einer VersAnstalt eine U V , bei der der Unternehmer mindestens Vs der Prämie bezahlte, so durfte er die VersLeistung der VersAnstalt auf die v o n i h m dem verunglückten A r b e i t nehmer geschuldete Entschädigungssumme anrechnen. Auch Herrmannsdorf er, VersWesen, § 13, S. 121, sah i n dieser Regelung die Begründung dafür, „ w a r u m auch noch heute i n der Praxis die U n f a l l - und HPflVers. i n so enger Verbindung stehen". Eine klare Trennung der U n f a l l - u n d HPflVers. i n verschiedene VersZweige erfolgte erst später m i t der zunehmenden Technisierung. Vgl. hierzu Klingmüller, „Haftpflichtversicherung" i n HdSW, 4. Bd., S. 757 ff. (757). 58 Siehe oben S. 31 f. 59 Vgl. oben S. 58 A n m . 53.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Mal hat der Eindruck des ausgebreiteten Silbers diesem Lockruf Gehör verschafft, worauf dann später die Enttäuschung folgt. W i r d doch ein Fall verbürgt, daß eine Witwe eben i m Begriffe stand, angesichts der vor ihr ausgebreiteten 800 Talerstücke alle ihre weitergehenden Ansprüche fallen zu lassen, als ein noch zur rechten Zeit erscheinender Betriebsbeamter dem Agenten klar macht, daß der verunglückte Mann zu 6000 Mark versichert gewesen sei, und den Agenten zwingt, auch noch die fehlenden 1200 Taler herbeizuschaffen." 5. Umfang der Unfall- und HPflVers. unmittelbar vor den Entstehungsanfängen

in der Zeit des UVG 1884

a) Umfang der Versicherung der Arbeiter gegen Unfall und der Unternehmer gegen Haftpflicht i m Jahre 1881 Als wie unvollkommen das damals bestehende Vers Wesen — abgesehen von allen Schwierigkeiten, die durch die damals bestehende Rechtslage bedingt waren — anzusehen war, ergibt sich aus dem eben gekennzeichneten statistischen Material, das T. Bödiker vom Reichsamt des Innern aus i m Auftrage der Reichsregierung zusammentragen ließ und am 8. Mai 1882 vorlegte 6 0 : Von

bei

1 957 548

548 503 Arbeiter

oder 28,0 °/o

309 730 Arbeiter

oder 15,8 °/o

37 919 Arbeitern oder

2,0 °/o

bei 82 922 Arbeitern oder 4,2 °/o während 978 474 Arbeiter oder 50,0 °/o (1 957 548)

überprüften Arbeitern männlichen u n d w e i b lichen Geschlechts aus insgesamt 93 554 gewerblichen Betrieben, die innerhalb v o n 4 Monaten (vom 1. 8.—30.11.1881) überprüft wurden, waren gegen alle Unfälle versichert; n u r gegen die eine H a f t pflicht des Unternehmers begründenden Unfälle versichert; fand sich die Angabe, daß n u r ein T e i l der Arbeiter (z. B. Maschinisten, Heizer etc.) versichert w a r ; fehlten die Angaben, überhaupt nicht gegen Unfälle versichert waren.

(100,0 °/o)

60 Vgl. hierzu Tab. 2 der Unfallstatistik des Deutschen Reichs nach der Aufnahme v o m Jahre 1881, die die Zusammenstellung des Gesamtergebnisses der Statistik f ü r die Gewerbegruppen nach den einzelnen VersArten enthält.

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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Durch diese Prozentzahlen, die nach Angaben Bödikers ohne eine Verzerrung der wirklichen Verhältnisse als typisch für das Gesamtreich angesehen werden konnten, wurde offensichtlich, wie dringend man nach einer neuen Lösung trachten mußte, zumal davon auszugehen war, daß nicht einmal dem gegen alle Unfälle versicherten Teil der Arbeiter auch genügender VersSchutz bei Unfällen geboten wurde. Da die Versicherung, wie aufgezeigt, meist i n Form von GruppenunfallVersVerträgen abgeschlossen wurde, ließ das Zahlenmaterial auch den Schluß zu, daß längst nicht alle Unternehmer haftpflichtversichert waren. Eine neue gesetzliche Lösung hatte wenigstens i n dem Punkte Abhilfe zu schaffen, daß alle Arbeiter und Unternehmer i n den VersSchutz einbezogen wurden. b) Zahl der deutschen Privatgesellschaften betreffend die Unfall- und HPflVers. u m das Jahr 1881 Eine Zahlenangabe bezüglich der damals i m Reichsgebiet arbeitenden Unfall- und HPflVersUnternehmen enthält die Äußerung des Abgeordneten Dr. Gneist vor dem RT-Plenum am 4. A p r i l 188161: „Die 9 oder 10 Unfallversicherungs-Gesellschaften, die bisher bestehen, haben sich bewunderungswürdig gehalten, hoffentlich werden sie fortbestehen." Diese Zahlenangabe 62 umfaßte wohl nur die großen Gesellschaften, wie z.B. die u m 1850 gegründete „ V i k t o r i a " ; zu diesen mag sich noch eine Anzahl kleinerer Unternehmen gesellt haben. Dritter

Abschnitt

Schrifttum zum Versicherungswesen 1. Vorbemerkung Da es eine der Aufgaben dieser A r b e i t ist, aufzuzeigen, was die Schöpfer des ersten U V G 1884 bereits an Vers Wesen und sonstigen Einrichtungen v o r fanden, die den Unfallverletzten Arbeiter sicherzustellen u n d dem U n t e r nehmer die Last seiner Haftpflicht zu erleichtern versuchten, möchten w i r auch nach der Entwicklung des Schrifttums fragen, das sich m i t dieser Materie befaßte u n d dem Gesetzgeber als Anregung f ü r eine neue Lösung gedient haben mag. 61 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des RTs., 29. Sitzung am 4.4.1881, 4. Leg.Per., 4. Session 1881, Bd. 1, S. 740. 62 Manes, 2. Bd., § 36 I I I , S. 88, erwähnt, daß Anfang der 70er Jahre 4 Gegenseitigkeitsvereine u n d 3 Aktiengesellschaften die U V i n F o r m der K o l l e k t i v U V der Arbeiter kombiniert m i t der HPflVers. der Unternehmer betrieben.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

2. Literatur

des Versicherungsrechts

a) 16. Jahrhundert I n der Zusammenstellung des Schrifttums, wie sie der Rechtsgelehrte W i l l i a m Lewis an der Universität Greifswald i n seinem „Lehrbuch des V e r sicherungsrechts" aus dem Jahre 1889 aufzeigte 63 , finden sich aus dem 16. Jahrhundert v o r allem die Abhandlungen v o n Petrus Santerna (Pedro de Santarem): „Tractatus de assecurationibus et sponsionibus mercatorum" 6 4 u n d von Benvenutus Straccha: „De assecurationibus" 9 5 .

b) 17. Jahrhundert aa) Georg Olbrecht und andere Gelehrte S c h m i t t - L e r m a n n 6 6 berichtet v o n dem großen deutschen ersten Versicherungsgelehrten Georg Olbrecht, der an der Straßburger Akademie i m 17. Jahrhundert i m zweiten T r a k t a t seiner fünf volkswirtschaftlichen Schriften 6 7 bereits die Stiftung einer Versicherung v o n Dörfergruppen, Städten u n d Flecken gegen unverschuldete Unglücksfälle 6 8 anregte. Vereinzelt fand das VersRecht i m 17. Jahrhundert auch schon Niederschlag i n Dissertationen, so i n der v o n dem Hamburger V. Schaff hausen i m Jahre 1638 veröffentlichten Abhandlung „De assecurationibus vulgo von Assekurantien u n d Versicherungen" u n d i n der Schrift v o n J. A. Schräge (erschienen 1642 i n Straßburg, der Stadt, i n der Olbrecht lehrte) über den Vers Vertrag: „De assecurationibus contractu" 6 9 . Ähnliche frühe Schriften erschienen zwei Jahrzehnte nach dem Westfälischen Frieden i n den Universitätsstädten Wittenberg u n d Basel, so der „ T r a c tatus de jure assecurationum" 1667 von Alb. Fr. Syborg u n d die A b h a n d l u n g „De assecuratione" 1671 v o n J. Chr. Westen 70. Weiterhin sind die zwischen 1674 u n d 1693 erschienenen lateinisch abgefaßten Dissertationen über das VersRecht von J. W. Textor, L. v. Campe, Joh. Nie. Hertius u n d A. v. Aschen zu nennen, die hauptsächlich v o n der SeeVers. her auf die deutsche VersRechtswissenschaft ausstrahlten 7 1 .

bb) Die Denkschrift Leibniz Besondere Beachtung verdient die 1697 verfaßte Denkschrift v o n Gottfried Wilhelm Leibniz über die „Errichtung v o n VersAnstalten gegen alle Zufälle 63

Vgl. § 2, S. 13—17 des genannten Lehrbuchs. Veröffentlicht 1552 i n Venedig. 65 Veröffentlicht 1569, ebenfalls i n Venedig. 86 Der VersGedanke i m deutschen Geistesleben des Barock u n d der A u f klärung, 2. Kap., S. 15—17. 67 Sie w u r d e n i m Jahre 1617, 5 Jahre nach seinem Tod, v o n seinem Sohn herausgegeben: vgl. Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 16. 68 Wenn auch hauptsächlich gegen Raub u n d Diebstahl, vgl. Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 17. 69 So Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 25. 70 Vgl. Schmitt-Lermann, a. a. O., S. 25. 71 Vgl. hierzu Schmitt-Lermann, a. a. O., 4. Kap., S. 41. 64

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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des Lebens oder wenigstens gegen Wasser- u n d Feuerschäden" 72 . Denn Leibniz schwebte bereits die i m Staat zusammengefaßte Gemeinschaft, die „große Gesellschaft des Staates" als eine vieltausendköpfige Familie vor, die Schicksal u n d L e i d miteinander zu teilen u n d zu tragen habe: der Genossenschaftsgedanke u n d das Ideal der Nächstenliebe w u r d e n auf den Staat ausgedehnt. Es sei notwendig, i n einem wohlbestellten Staate nicht n u r durch Nachlaß einiger Lasten, sondern durch wirkliche Beisteuer demjenigen zu Hilfe zu kommen, der ohne seine Schuld durch Unglücksfälle i n Schaden gerate. Aus diesen Sätzen ist der f ü r uns interessante Schluß zu ziehen, daß auch Leibniz bereits an den Staat als Versicherer dachte.

cc) Die Denkschrift Defoe Dem VersGedanken, der auf der Gemeinschaft vieler beruht, w a r gerade entgegengesetzt die i m gleichen Jahr 1697 w i e die v o n Leibniz verfaßte D e n k schrift über Versicherungen erschienene Schrift „Essay on projects" v o n Daniel Defoe. Wie S c h m i t t - L e r m a n n 7 3 hervorhebt, hat die deutsche Leserschaft diese Schrift unter dem Namen „Robinson Crusoe" erstmalig i m Jahre 1720 i n deutscher Übersetzung kennengelernt. Die Schrift enthielt die Zusammenfassung der Projekte eben jenes Robinson Crusoe, der seine Lebensaufgabe „ i m leidenschaftlichen Streben nach Verbesserungen u n d erfindungsreichen Einfällen sah" 7 4 . Seine Vorstellungen gipfelten i n der E r f ü l l u n g des Lebenskreises durch den einzelnen oder die auf sich allein gestellte Familie. Beachtenswert ist der Gedanke Defoes i m Zusammenhang m i t seinen dort geschilderten VersProjekten, daß, w e n n die Versicherung nicht f r e i w i l l i g eingegangen werde, sie erzwungen werden solle. Jedermann, der arbeite, M a n n oder Frau, „of w h a t calling or condition soever", solle versichert werden. B e i m E i n t r i t t i n die Versicherung seien 6 Schillinge zu zahlen, als jährlicher Beitrag 4 Schillinge; die Z a h l der Mitglieder solle 100 000 betragen 7 5 . 72 Schmitt-Lermann, a. a. O., 5. Kap., S. 47/48, entnimmt dieser Denkschrift (unter Bezug auf den Aufsatz „Sozialversicherungsprojekte v o r 250 Jahren" i n der i. J. 1948 erschienenen Festschrift der Wiener Städtischen Wechselseitigen Versicherungsanstalt, „50 Jahre Städtische Versicherung") folgende auch f ü r diese Untersuchung förderlichen Sätze: „ . . .gleich wie die natürlichen Sozietäten es m i t sich bringen, daß Eltern und Kinder, M a n n u n d Weib, H e r r u n d Knecht, — Liebe u n d Leiden miteinander ausstehen müssen, so erfordert auch die B i l l i g k e i t i m Staate oder i n der b ü r gerlichen Sozietät, daß unvorhergesehene Unglücksfälle, wodurch ein Glied v o r dem anderen nach Schickung Gottes beladen w i r d , gleichsam gemeingemacht werden u n d einer dem anderen sie tragen helfe. Es ist die A r t aller Kompagnien, daß Schaden u n d Nutzen gemeinsam ist; w a r u m soll n u n i n dieser großen Gesellschaft des Staates, so aus vielen M e n schen besteht u n d auf allgemeine Wohlfahrt gerichtet ist, einer des anderen Schaden ohne Teilnahme sehen, da doch einer von dem anderen Nutzen hat u n d eines jeden Bürgers oder Bauern Aufbesserung dem Gemeinwesen V o r t e i l bringt?!". 73 a. a. O., 6. Kap., S. 57. 74 So Schmitt-Lermann, wie hier A n m . 73. 75 Vgl. Schmitt-Lermann, a. a. O., 6. Kap., S. 60, der sich hier an Rosin, Lebensversicherung u n d ihre geistesgeschichtlichen Grundlagen, S. 39, anlehnt.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Wie Schmitt-Lermann w e i t e r h i n betont 7 8 , galten letztlich auch Defoes Gedanken dem allgemeinen Wohl, sie waren sozialpolitischer N a t u r u n d dienten nicht persönlicher Gewinnsucht.

c) 18. Jahrhundert aa) Die Denkschrift Wolff Der Philosoph des Wohlfahrtsstaates Christian Wolff legte i. J. 1720 seine sozialethische Grundauffassung i n der Schrift „Vernünftige Gedancken von der Menschen T h u n u n d Lassen" nieder 7 7 . Die darin entwickelten Gedanken übertrug Wolff 1721 i n seinem Werk „Vernünftige Gedancken v o m gesellschaftlichen Leben der Menschen" auf den Pfiichtenkreis des Staates: „Die Obrigkeit liegt ob, alle ihre K r ä f t e u n d ihren Einfluß dahin anzuwenden, daß sie zur Beförderung der gemeinen Wohlfahrt u n d Sicherheit diensame M i t t e l erdenke u n d zu deren Ausführung nötige A n stalten mache 7 8 ." E i n geheimes, aber schmerzliches Ringen, so f ü h r t SchmittL e r m a n n 7 9 aus, wurde i n Wolfis Lehre spürbar, nämlich das Ringen zwischen hoheitlichem Z w a n g und der Freiheit des einzelnen. Stets müßten die w i d e r streitenden K r ä f t e von Verbot u n d Freiheit zur Wohlfahrt des Staates auf ihre Folgen h i n geprüft werden: „ W o h l vermag sie Wolff nicht auszugleichen, aber er überbaut doch beide durch ein höheres Ethos, das er i n mehrfacher V a r i a t i o n . . . als das staatliche Hauptgesetz f ü r das I n d i v i d u u m f o r m u l i e r t : ,Thue, was die gemeine W o h l fahrt befördert u n d die gemeine Sicherheit erhält; hingegen unterlaß, was die gemeine Wohlfahrt hindert u n d der gemeinen Sicherheit zuwider ist' 8 0 ."

bb) Die Kameralisten Die nunmehr einsetzende Zeit der großen sogenannten Kameralisten als Wegbereiter der Vers Wissenschaft ist gekennzeichnet durch Namen w i e Gottfried Achenwall (erstmaliger Gebrauch des Wortes „ S t a t i s t i k " als Schwesterwissenschaft der VersLehre i. J. 1749), Johann Peter Sußmilch (größter K a m e ralist Deutschlands, erste Feststellung des „Gesetzes der großen Z a h l " i n der Bevölkerungsstatistik), Johann Heinrich Gottlob von Justi 81, Kaspar Neu78

a. a. O., 6. Kap., S. 60. Schmitt-Lermann, a. a. O., 7. Kap., S. 71, zitiert nach der i n F r a n k f u r t u n d Leipzig erschienenen Ausgabe von 1736, S. 539: „Der Mensch ist verbunden nicht allein sich u n d seinem Zustand, sondern auch andere Menschen u n d ihren Zustand so v o l l k o m m e n zu machen als i n seinen K r ä f t e n stehet (§ 12). U n d also ist er zu allen Handlungen verbunden, dadurch er die Vollkommenheit des anderen u n d seines Zustandes befördern kan. Da n u n i n diesen Handlungen die Beobachtung des Gesetzes der Natur bestehet (§19), diese aber das M i t t e l unserer Glückseligkeit ist (§ 53): so ist der Mensch verbunden, zu des anderen Glückseligkeit so v i e l beyzutragen, als i h m möglich ist." 78 Z i t i e r t bei Schmitt-Lermann, a. a. O., 7. Kap., S. 78, nach Werner Frauendienst, „Christian Wolff als Staatsdenker", B e r l i n 1927, S. 95/96. 79 a. a. O., 7. Kap., S. 78. 80 Z i t i e r t bei Schmitt-Lermann, a. a. O., 7. Kap., S. 78, nach Frauendienst, wie hier S. 64, A n m . 78, S. 127. 81 Aus seinem Werk Grundsätze zu der Macht u n d Glückseligkeit der Staaten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft, 1. Bd., Königsberg u n d Leipzig 1760, zitiert Schmitt-Lermann (a. a. O., 10. Kap., 77

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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m a n n 8 2 , den Wiener Kameralisten Joseph von Sonnenfels 83, Georg Heinrich Zincke 84 (Begründung der Betriebswirtschaftslehre), Johann Heinrich Ludwig Bergius 85, den Engländer Adam Smith 89, Johann Friedrich von Pfeifer 67, S. 115/116), daß i m „ Z w e y u n d dreysigsten Hauptstück Von den Maasreguln wider die Unglücksfälle, u n d insonderheit von den Assecuranzen" (ibi S. 763 ff.) Justi einleitend dargelegt habe, daß Unglücksfälle, die die einzelnen Privatpersonen beträfen, dem gesamten Nahrungsstand überaus schädlich seien. „So b a l d dadurch jemand i n schlechte Umstände u n d A r m u t h gesetzet w i r d , so w i r d dadurch nicht allein verursacht, dass dieses M i t g l i e d des gemeinen Wesens zu dem gemeinschaftlichen Besten, u n d der guten Beschaffenheit des Nahrungsstandes nichts mehr beyträgt; sondern dieses verarmte M i t g l i e d w i r d noch dem Staate überlästig u n d muß entweder durch Betteln oder durch Betrügereyen oder auf andere, seinen M i t b ü r g e r n nachtheilige, A r t e n seinen Unterhalt suchen . . . Unterdessen ist es gewiss, dass die allervorsichtigsten Maasreguln nicht zureichen, alle u n d jede Unglücksfälle, welche dem Nahrungsstand schädlich sind, abzuwenden. Eine weise Regierung muß demnach auf solche Anstalten bedacht seyn, welche wenigstens denen äußeren Folgen des Unglücks Einhalt thun, u n d dessen schädlichen Einfluß i n den Nahrungsstand verhintern. Dieses zu leisten sind nun die Assecuranz- oder Versicherungsanstalten von allerley Art sehr geschickt. Durch diese Anstalten w i r d gleichsam das U n glück, welches etliche wenige betrift, u n d sie zum Nachtheil des Nahrungsgegenstandes, zu Boden zu schlagen i m Begriff ist, unter mehrere vertheilet, u n d dannenhero w e i t erträglicher. Ja, w e i l diejenigen, die sich solcher V e r sicherungen bedienen, vorher einen T h e i l ihres Gewinnstes abzugeben haben, u m i h r Vermögen i n solchen Fällen i n Sicherheit zu wissen, welche Aufgabe ihnen nicht sehr beschwerlich gefallen ist; so ist es aber das, als w e n n sie w i d e r das Unglück selbst gesichert wären." 82

Erster deutscher Bevölkerungsstatistiker. Sonnenfels veröffentlichte seine „polizeiwissenschaftliche Schrift" wenige Jahre nach dem Erscheinen des der guten Polizei gewidmeten Werkes v o n Justi. Schmitt-Lermann, a. a. O., 10. Kap., S. 120, sieht die Staats- u n d Gesellschaftslehre des Wiener Kameralisten Sonnenfels durch den Satz gekennzeichnet, daß der einzelne deshalb i n eine Gesellschaft m i t dem anderen getreten sei, „ u m dasjenige Beste, welches der einzelne zu erreichen weder sittliches noch physisches Vermögen genug besitze", zu erlangen (zitiert nach Gustav Marchet, Studien über die E n t w i c k l u n g der Verwaltungslehre i n Deutschland v o n der zweiten Hälfte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München u n d Leipzig 1885). Z u Recht zieht Schmitt-Lermann hieraus den Schluß, daß eine solche A n schauung u n m i t t e l b a r zum Versicherungsgedanken hinleitete. 84 I n den Jahren 1742—1767 Veröffentlichung der volkswirtschaftlichen Zeitschrift: Leipziger Sammlungen von Wirtschaftlichen, Polizey-, Cammeru n d Finantz-Sachen. I n dem i m Jahr 1760 erschienenen Band X I V dieser Zeitschrift ging Zincke auch auf Fragen der Versicherung ein. 85 Veröffentlichung des 1. Bandes seines umfangreichen Werkes „Policeyu n d Cameral-Magazin, i n welchem nach alphabetischer Ordnung die v o r nehmsten u n d wichtigsten bey dem Policey- u n d Cameralwesen v o r k o m mende Materien nach richtigen u n d vernünftigen Grundsätzen practisch abgehandelt u n d durch landesherrliche Gesetze u n d h i n u n d wieder w i r k l i c h gemachte Einrichtungen erläutert werden". Bereits i m 1. Bd., „welcher A u n d B enthält", widmete Bergius den „Assecuranzanstalten" einen eingehenden A r t i k e l (S. 53—88); vgl. hierzu SchmittLermann, a. a. O., 10. Kap., S. 127. 86 Systematisches fachwissenschaftliches W e r k m i t einer Untersuchung 83

5 v. Heinz

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Johann Georg Krünitz 88, Christian Jacob Baumann89 Büsch90, u m n u r einige der wichtigsten zu nennen.

u n d Johann Georg

I n seinen allgemeinen volkswirtschaftlichen Anschauungen u n d insbesondere i n seiner VersLehre, so hebt Schmitt-Lermann hervor 9 1 , habe Büsch eine Brücke v o m 18. zum 19. Jahrhundert geschlagen. Z u seinen Schülern zählte bereits Ernst Wilhelm Arnoldi, dessen neu begründete Organisationsform des „Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit" uns i m vorhergehenden Abschnitt dieses Kapitels bereits begegnet ist.

d) 19. Jahrhundert M i t dem zunehmenden Aufschwung des gesamten Vers Wesens schwoll auch das versicherungsrechtliche Schrifttum an, das sich n u n mehr u n d mehr spezialisierte. W i l l i a m Lewis gibt i n seinem genannten Lehrbuch 9 2 einen vorzüglichen Überblick insbesondere über das englische u n d französische VersSchrifttum, das allerdings fast ausschließlich den Materien der See-, Feuer- u n d LebensVers. gewidmet w a r 9 8 . über die N a t u r u n d die Ursachen des Volkswohlstandes. Der A u t o r sprach sich darin f ü r eine auf G e w i n n gerichtete ErwerbsVers. u n d gegen eine staatliche VersEinrichtung aus. 87 E r w a r ein Gegner v o n A d a m S m i t h u n d sprach sich i n seinen V e r öffentlichungen f ü r eine staatliche Zusammenfassung zu Gefahrengemeinschaften aus; vgl. hierzu des näheren Schmitt-Lermann, a.a.O., 11.Kap., S. 130/131, der dort besonders das 2-bändige Werk Pfeifers v o n 1779, N a t ü r liche aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende Allgemeine Polizeywissenschaft, hervorhebt. 88 Gleichzeitig m i t Diderot u n d D'Alembert, die i n Frankreich 20 Jahre an ihrer aufgeklärten Enzyklopädie arbeiteten, begründete der Berliner A r z t Krünitz das umfangreichste deutsche Lexikon, Die ökonomisch-technologische Encyklopädie eines allgemeinen Systems der Staats-, Haus- u n d L a n d w i r t schaft, das v o n 1773—1858 i n B e r l i n m i t 242 Bänden erschien u n d sich bereits i m 2. Bd. m i t der Hinterbliebenenvorsorge befaßte. Vgl. hierzu Schmitt-Lermann, a. a. O., 11. Kap., S. 133. 89 E r veröffentlichte 1776 einen 3. T e i l zu Süßmilchs Werk, „welcher A n merkungen u n d Zusätze zu den beyden ersten Theilen nebst einer A b h a n d lung v o n Witwenverpflegungsgesellschaften enthält", vgl. hierzu SchmittLermann, a. a. O., 10. Kap., S. 134. 90 Der Hamburger Mathematiker, Geschichtsschreiber u n d Handelswissenschaftler bildete i n der deutschen Volkswirtschaftslehre den Übergang v o n der merkantilistischen Kameralistik zum Liberalismus. I n zahlreichen A b handlungen beschäftigte er sich m i t den Gebieten der Armenpflege u n d des VersWesens. Büsch versprach sich insbesondere eine große Verbreitung des VersZweiges der TodesfallVers. als Unterfall der PersonenVers., da die durch sie bewirkte „Beruhigung über die Folgen der Unfälle des Lebens jedem W i r t schaftsobjekt, welches f ü r Angehörige zu sorgen habe, v i e l w e r t sein müsse". ( B d . V seiner Gesammelten Werke, S. 326/327; zitiert bei Schmitt-Lermann, a. a. O., 11. Kap., S. 139 i n A n l e h n u n g an Wilhelm Hagena, Die Ansichten der deutschen Kameralisten des 18. Jahrhunderts über das VersWesen, Norden 1910, S. 53/54). 91 a. a. O., 10. Kap., S. 140. 92 I n § 2, S. 13—17. 93 Genannt seien n u r beispielsweise: Porter, Laws of insurance: fire, life,

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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A n deutschen A u t o r e n u n d Veröffentlichungen, die sich m i t dem P r i v a t VersRecht befaßten, sind beispielsweise zu nennen Ernst Albert Masius m i t seinen Werken „Lehre der Versicherung" (Leipzig 1846) u n d seine späteren „Systematischen Darstellungen des gesamten Vers Wesens" (Leipzig 1857), Conrad M a l ß 9 4 , Ludwig Cohn m i t seinem W e r k „Der VersVertrag nach a l l gemeinen Rechtsprinzipien" (Breslau 1873)95, Wolfgang v. Lichtenfels: „Über einige Fragen des BinnenVersRechts" (Wien 1870), die v o n Albrecht Fritsch seit 1870 i n Leipzig herausgegebenen „ A n n a l e n des gesamten Vers Wesens", die v o n A. F. Eisner seit 1865 herausgegebene Zeitschrift „ A r c h i v f ü r das VersWesen" u n d schließlich Ludwig Goldschmidt, der besonders i n der v o n i h m seit 1858 i n Erlangen herausgegebenen „Zeitschrift f ü r das gesamte Handelsrecht" entweder selbst versrechtliche Beiträge schrieb oder die anderer A u t o ren veröffentlichen ließ.

e) Ausblick auf die Entwicklung des Schrifttums zum Privatversicherungsrecht nach Schöpfung des U V G 1884 M i t den gänzlich neuen Materien des VersRechts, insbesondere dem p r i v a ten U n f a l l - u n d HPfLVersRecht, befaßten sich Rechtsgelehrte jedoch erst u m die Jahrhundertwende. Insbesondere die Gründung des Seminars f ü r VersWissenschaft an der Universität Göttingen i m Jahre 1895 u n d des Vereins f ü r VersWissenschaft i n B e r l i n i m Jahre 189996 setzten Marksteine f ü r die künftige Entwicklung. Die Darstellung dieser Entwicklung, die i n engem Zusammenhang m i t der u m die Jahrhundertwende beginnenden VersGesetzgebung auf Reichsebene 97 zu sehen ist, liegt jedoch außerhalb des Rahmens, den sich diese A r b e i t gesetzt hat98.

Vierter

Abschnitt

Beitrag der Rechtsprechung zur Entwicklung des damaligen Versicherungsrechts 1. Vorbemerkung Ehe w i r uns i m folgenden K a p i t e l der Entwicklung des U V G 1884 selbst zuwenden, soll noch ein Rückblick auf die Rechtsprechung dieser Zeit dartun, welchen Beitrag sie zur E n t w i c k l u n g des damals bestehenden VersRechts leistete. accident and guarantee, 2. ed. by Feilden Craies, London 1887 u n d Bonneville de Marsangry: Jurisprudence générale des assurances terrestres, Paris 1882. 94 Betrachtungen über einige Fragen des Vers Wesens, F r a n k f u r t a. M . 1862; seine „Studien über VersRecht" i n Z H R Bd. 6 (1863), S. 357 ff.; Bd. 8 (1865), S. 369 ff.; seine Beiträge zur „Übersicht der neueren Rechtssprechung i n nicht m a r i t i m e n VersSachen" i n Z H R Bd. 13 (1869), S. 45 ff. 95 Vgl. hierzu die Besprechung v o n Laband i n Z H R Bd. 29, S. 644 ff. 96 Vgl. hierzu J. v. Gierke, 1. Kap., § 2, I I I , S. 23. 97 So v o r allem das Aufsichtsgesetz v o m 12. M a i 1901 u n d das Versicherungsvertragsgesetz v o m 30. M a i 1908 (RGBl. S. 263). 98 Eine Übersicht über das Schrifttum zum deutschen VersRecht ab dem Jahre 1910 gibt z. B. J. v. Gierke, a. a. O., 2. Kap., § 4, S. 37—39. 5*

68

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

2. Bundesoberhandelsgericht

und Reichsoberhandelsgericht

A m 5. August 1870 w u r d e das Bundesoberhandelsgericht m i t dem Sitz i n Leipzig eröffnet. Z w a r umfaßte seine Zuständigkeit auch die VersSachen, jedoch sahen sich die Richter weitgehend einem gesetzesleeren Raum gegenüber, w i e er bereits i m 1. Abschnitt dieses Kapitels des näheren gekennzeichnet w u r d e " . Hans M ö l l e r hebt h e r v o r 1 0 0 , daß es das „unvergängliche Verdienst der Rechtsprechung" gewesen sei, trotz der fehlenden gesetzlichen Rechtsquellen f ü r das BinnenVersRecht u n d trotz der beliebigen Ausgestaltung der VersBedingungen der durch aufsichtsrechtliche Bestimmungen unbeengten VersUnternehmen einen Rechtszustand geschaffen zu haben, der einen gerechten Interessenausgleich zwischen VersUnternehmen u n d VersNehmern herbeiführte. Aus der Zeit v o r Erlaß des Gesetzes über den Versicherungsvertrag v o m 30. M a i 1908 liegen zwölf veröffentlichte versrechtliche Erkenntnisse des Bundesoberhandelsgerichts v o r 1 0 1 , das am 2. September 1871 den Namen „Reichsoberhandelsgericht" annahm u n d 1879 v o m Reichsgericht abgelöst wurde. Wie Möller bestätigt 1 0 2 , sind diese Urteile des B O H G noch heute v o r b i l d lich: insbesondere geben sie Beispiele sorgfältigster Rechtstatsachenforschung wieder, wobei das Gericht sich nicht damit begnügte, die f ü r den zu entscheidenden Streitfall maßgebenden VersBedingungen heranzuziehen, sondern auch die VersBedingungen anderer VersUnternehmen berücksichtigte —, „bei der Buntscheckigkeit des damaligen Rechtszustandes beileibe keine einfache Aufgabe" 1 0 8 .

3. Reichsgericht Das Reichsgericht setzte die hohe T r a d i t i o n des Bundes- u n d Reichsoberhandelsgerichts fort u n d entschied i m Rahmen der ersten siebzig Bände der 99

Oben S. 45 ff. (48 ff.). „Der Beitrag der Rechtsprechung zur E n t w i c k l u n g des VersRechts" i n „Entwicklungslinien u n d Grundgedanken deutscher Versicherung", Sammelband 68 der Veröffentlichungen des Deutschen Vereins f ü r VersWirtschaft, B e r l i n 1941, S. 87. Auch die spätere Reichstagsvorlage: Begründung zu den E n t w ü r f e n eines Gesetzes über den VersVertrag, B e r l i n 1906, S. 4, erkannte an: „Die Rechtsprechung i s t . . . bemüht gewesen, den Interessen der Versicherungsnehmer auch den VersBedingungen gegenüber nach Möglichkeit Geltung zu verschaffen." (Zitiert bei Möller, a. a. O., A n m . 2). 101 B O H G Bd. 1, S. 108—118, Nr. 32; S. 153—156, Nr. 45; S. 192—193, Nr. 57; Bd. 2, S. 32—36, Nr. 5; S. 183—184, Nr. 43; S. 242—247, Nr. 57; S. 261—265, Nr. 59; S. 266—268, Nr. 60; S. 306—311, Nr. 73; S. 388—394, Nr. 87; S. 395—402, Nr. 88; S. 412—416, Nr. 92. 102 a. a. O., S. 88. 103 So Möller, a. a. O., S. 88, unter Hervorhebung des Urteils B O H G Bd. 2, S. 388—394, Nr. 87. M i t Recht unterstreicht Möller, daß das Gericht seine rechtlichen Erkenntnisse durchaus nicht i n formal juristischer Weise gewonnen, sondern stets die Interessenlage eingehend gewürdigt habe, indem es die Belange der VersUnternehmen u n d VersNehmer sorgfältig gegeneinander abwog. 100

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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„Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen" (1880—1909) noch nach vorgesetzlichem Recht 1 0 4 .

a) Das erste Urteil auf dem Gebiete des VersRechts Der E r w ä h n u n g w e r t ist das erste U r t e i l auf dem Gebiete des VersRechts 1 0 5 , das den F a l l behandelt, w i e ein „Preuße" m i t einem „ausländischen" V e r sicherer 1 0 6 , nämlich der Dresden-Stuttgarter-Versicherungs-Anstalt, einen VersVertrag abgeschlossen hatte, u m dessen Rechtsgültigkeit nunmehr gestritten wurde. Das U r t e i l gelangte zu dem (noch heute anzuerkennenden) E r gebnis, daß der Mangel der Erlaubnis des Versicherers zum inländischen Geschäftsbetrieb der zivilrechtlichen Gültigkeit abgeschlossener VersVerträge keinen Abbruch tue.

b) Rechtsprechung zu einem der frühesten HPflVersVerträge E i n f ü r unsere T h e m a t i k einschlägiges U r t e i l 1 0 7 bringt uns die Begegnung m i t einem der frühesten HPflVers-Verträge, abgeschlossen zwischen einem 180 Arbeiter beschäftigenden frühkapitalistischen W e r k u n d einer „ U n f a l l versicherungsgesellschaft", die das HPfLRisiko aus dem RHPflG v o m 7. J u n i 1871 übernommen hatte.

4. Zusammenfassende Würdigung der vorgesetzlichen Rechtsprechung Zusammenfassend ist als Hauptverdienst der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bis zum Erlaß des Versicherungsvertragsgesetzes hervorzuheben, „daß die Praxis das Fehlen eines Gesetzes nicht allzu störend empfunden hat" 1 0 8 . 104 Das Versicherungsvertragsgesetz w u r d e erstmals i n einem Reichsgerichtsurteil v o m 5. Februar 1909 herangezogen: vgl. RGZ Bd. 70, S. 262. 105 RGZ Bd. 1, S. 115—116. 106 E i n Zeichen f ü r die 1879 geistig noch nicht überwundene deutsche Kleinstaaterei. 107 RGZ Bd. 3, S. 21—27. A u f S. 25 dieser Entscheidung w i r d deutlich die hier auf S. 31 ff. näher geschilderte Nachteilhaftigkeit des RHPflG gekennzeichnet: „Der Nachteil, gegen welchen der Unternehmer eines Betriebes Deckung sucht, ist nicht der, daß aufgrund des Haftpflichtgesetzes eine Forderung gegen i h n entsteht, sondern daß er aufgrund des HPflG verurteilt w i r d . Diesem Bedürfnisse k o m m t der Versicherer entgegen. E r verpflichtet sich i n der Regel, das Urteil, welches zwischen dem VersNehmer u n d dem Verunglückten ergehen werde, als sich gegenüber maßgebend zu erkennen; maßgebend nicht nur, was die Höhe der Entschädigung betrifft, sondern maßgebend v o r allem betreffs des Bestehens der Voraussetzung eines Haftpflichtfalles. Dadurch w i r d n u n aber auch das Objekt der Versicherung rechtlich ein v ö l l i g anderes. Nicht die Gefahr des E i n t r i t t s eines Haftpflichtfalles, sondern die Gefahr der Verurteilung aufgrund des HPflG bildet den Gegenstand der Versicherung." 108 So Möller, a. a. O., S. 89.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

D a f ü r w a r e n z w e i v o m Reichsgericht e n t w i c k e l t e

Rechtsgrundsätze

v o n überragender Bedeutung: (1) die analoge A n w e n d u n g v o n V o r s c h r i f t e n des gesetzlich geregelt e n SeeVersRechts a u f die gesetzlich n o c h n i c h t geregelte B i n n e n V e r s . 1 0 0 ; (2) die sogenannte versicherungsrechtliche T r e u e p f l i c h t , die i m m e r wieder zur B e a n t w o r t u n g zweifelhafter Fragen führte; ja, m a n k a n n m i t M ö l l e r 1 1 0 sagen, „ d a ß i m vorgesetzlichen Recht die ganze R e c h t s o r d n u n g der V e r t r a g s v e r s i c h e r u n g aus der T r e u e p f l i c h t a b g e l e i t e t w u r d e " . B e r e i t s 1881 b e t o n t e das R e i c h s g e r i c h t 1 1 1 , daß der V e r s V e r t r a g „ i n e m i n e n t e m S i n n e a u f der b o n a f i d e s " b e r u h e .

5. Die Richter des Versicherungsrechts

auf dem Gebiet der vorgesetzlichen

Zeit

Aus dem Kreise der Richter jener vorgesetzlichen Zeit sei hier n u r auf einen M a n n besonders hingewiesen: Johann Friedrich Voigt (1804—1886), der am R O H G w i r k t e u n d früher M i t g l i e d des Hanseatischen Oberappellationsgerichts i n Lübeck gewesen war. E r schuf die Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen v o n 1867 u n d krönte sein Lebenswerk m i t dem Buch: „Das deutsche Seeversicherungs-Recht", Jena 1887, v o n dem einst Martin gesagt h a t 1 1 2 : „Nicht häufig beherrscht ein Schriftsteller so vollständig eine anerkannt schwierige Materie, doppelt schwierig, w e i l ihre Bewältigung zugleich den ausgezeichneten Juristen u n d gewiegten Kenner des Geschäftsverkehrs i m Assekuranzfach erforderte. U n d gerade w e i l er diese Eigenschaften i n sich vereinigte, w e i l er aus dem Schatze jahrelanger Erfahrung als A n w a l t , als Richter u n d als Schriftsteller schöpfen durfte, w a r keiner wie er berufen u n d befähigt, durch dieses W e r k eine empfindliche Lücke i n der bisherigen seerechtlichen L i t e r a t u r zu schließen." Das Werk verdiente i n der T a t deswegen Beachtung, w e i l damals Vorschriften der gesetzlich geregelten SeeVers. auf die gesetzlich ungeregelte BinnenVers. analog angewendet wurden. Dem Namen Johann Friedrich Voigts lassen sich auf dem Gebiete des VersRechts die Namen anderer ausgezeichneter Richter anreihen, v o n denen hier lediglich Brodmann, Hagens, Lindenmaier, Schack, Warneyer (Reichsgericht), Hagen, Kersting (Kammergericht), R i t t e r u n d Sieveking angeführt seien 1 1 3 .

109

Vgl. z. B. RGZ Bd. 10, S. 160. a. a. O., S. 90 sowie des näheren i n Kernfragen der VersRechtsprechung, 1938, S. 37—52. 111 RGZ Bd. 3, S. 23. Weiterhin entwickelte das R G beispielsweise i n RGZ Bd. 9, S. 237—243, wichtige Regeln über die vorvertragliche Anzeigepflicht zunächst weitgehend aus der Treuepflicht. 112 OLG-Rat Dr. Martin: „ Z u m Andenken an Johann Friedrich V o i g t " m i t A n m . von Goldschmidt i n Z H R Bd. 33, S. 203 ff. (206). 113 Vgl. hierzu Möller, a.a.O., S.90 unter A n m . 18; ders. i n das H a n seatische Oberlandesgericht, 1939, S. 162—168, über die beiden erst- u n d letztgenannten Richter. 110

3. Kap.: Die Entwicklung des Vers Wesens bis zum U V G 1884

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6. Der Einfluß der Rechtsprechung auf die private Unfall- und HPflVers. Wie hier zuletzt i m Zusammenhang m i t der Schrifttumsentwicklung aufgezeigt wurde 1 1 4 , bildeten sich das private Unfall- und HPflVersRecht als selbständige VersZweige erst nach Schöpfung des U V G 1884 heraus. Da jedoch von den vor diesem Zeitpunkt auf jenen Gebieten bestehenden VersEinrichtungen, wie dargelegt 115 , nicht hinreichend Gebrauch gemacht wurde, sich weder die Haftpflicht- noch die Unfallversicherer technisch und organisatorisch den an sie herantretenden Anforderungen hinsichtlich des Arbeiter- und Unternehmerschutzes genügend anpaßten, vermochte selbst eine bestmöglich arbeitende Rechtsprechung diese Mängel nicht auszugleichen.

114 115

Vgl. S. 67. Vgl. oben S. 60 f.

Viertes

Kapitel

Die Denkmodelle, an die sich die Schöpfer des U V G 1 8 8 4 anlehnten Erster Abschnitt

Skizzierung der dem damaligen Gesetzgeber theoretisch zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten W i r haben bereits aufgezeigt, daß u m die Mitte des 19. Jahrhunderts i n Deutschland vor allem für die Arbeitnehmerkreise eine nicht unerhebliche, jedoch längst nicht allgemein befriedigende Sicherstellung i n Unglücksfällen teils auf dem Boden des Privatrechts, teils auf dem Boden des öffentlichen Rechts bestand. Darüber hinaus wurde hier entwickelt, welche Anstalten auf der Arbeitgeberseite getroffen wurden, die Folgen ihrer Haftpflicht zu lindern. Da w i r an späterer Stelle i n diesem Kapitel das damalige Ringen u m eine neuartige rechtliche Regelung schildern wollen, empfiehlt es sich, hier einige Möglichkeiten — wenigstens grob — zu skizzieren, die dem Gesetzgeber zur Verfügung standen, u m dem immer stärker werdenden Drang nach Reform abzuhelfen. I. Gesetzliche Regelung des Inhalts eines Arbeitsvertrages Zu denken war an eine extreme gesetzliche Regelung i n der Richtung, den Inhalt des Arbeitsvertrages so festzulegen, daß das ganze freie und staatlich beeinflußte Unterstützungs- und VersWesen hätte entbehrlich gemacht werden können 1 . Dafür brauchte nur i m Privatrecht bestimmt zu werden, daß der Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag verpflichtet werde, seinen Arbeitnehmer nach einem Unfall hinreichend zu unterstützen und für die H i n terbliebenen eines durch Unfall verstorbenen Arbeitnehmers hinreichend Fürsorge zu treffen habe. 1

Diese Feststellung versteht sich allerdings v o n vornherein n u r f ü r die größeren Arbeitgeber; denn eine solche Regelung hätte zumindest die k l e i neren u n d m i t t l e r e n Arbeitgeber unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

73

Der Arbeitnehmer wäre durch diesen starken Eingriff i n die Privatautonomie i n der Regel der Fälle gesichert gewesen, die Solvenz des A r beitgebers vorausgesetzt 2 . I I . Extreme Fürsorge von Staats wegen auf dem Boden des öffentlichen Rechts Ebenso wie durch eine extreme Verschärfung der privatrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers das Unterstützungs- und VersWesen theoretisch zurückzudrängen gewesen wäre, hätte man auch an eine extreme Fürsorge von Staats wegen für die Arbeitnehmer auf dem Boden des öffentlichen Rechts denken können. Eine solche hätte jede privatrechtliche Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer wirtschaftlich weitgehend entbehrlich gemacht. I I I . Staatliche Einwirkung auf das bestehende private VersWesen Eine Lösung der Aufgabe hätte auch eine staatliche Einwirkung auf das bestehende private VersWesen bringen können. Durch die Aufstellung von Normativvorschriften für PrivatVersAnstalten und die Einführung des Erfordernisses staatlicher Konzessionierung und damit eines indirekten VersZwangs hätte man möglicherweise eine Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen befriedigende Lösung erreicht. IV. Ausbau des staatlich gelenkten Hilfskassenwesens Man hätte an einen Ausbau des freien und staatlich gelenkten Hilfskassenwesens denken können. V. Erweiterung des Armenpflegerechts Das Armenpflegerecht bezüglich der öffentlichen Armenpflege wäre zu erweitern gewesen. VI. Die neuartige Lösungsmöglidikeit Als völlig neuer Weg für die Gesetzgebung wäre zu denken gewesen an die Schöpfung von Einrichtungen i n Gestalt einer Versicherung auf dem Boden des öffentlichen Rechts unter Anwendung gesetzlichen 2 Daß dem deutschen Recht eine so w e i t gehende privatrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern nicht fremd war, äußerte sich z. B. wenigstens teilweise i n der preußischen Berggesetzgebung (vgl. preußisches Gesetz v o m 10. A p r i l 1854, oben S. 19), die den Arbeitgeber verpflichtete, sich des (durch Unfall) erkrankten Bergmannes anzunehmen.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Zwanges, wonach den Unfallverletzten oder -getöteten Arbeitern etc. rechtliche Ansprüche auf Unterstützung gewährt werden und die Unternehmer von ihrer Haftpflicht aufgrund eines Unfalls weitgehend hätten befreit werden können. Zweiter

Abschnitt

Entwicklungsansätze und frühe Vorschläge bis zum 1. Entwurf eines U V G vom 8.3.1881 I. Erste Ansätze 2. Die verfassungsmäßige Ermächtigung der Reichsgesetzgebung Das VersWesen stellte einen derjenigen Gegenstände dar, zu deren Regelung nach A r t . 4 Ziff. 1 der Reichsverfassung vom 16.4.1871 (RGBl. S. 64) die Gesetzgebung des Reiches neben der der Einzelstaaten ermächtigt war. Aufgrund dieses Rechtssatzes nahm die Reichsgesetzgebung zu Anfang der 80er Jahre — die Reichsjustizgesetzgebung war schon vorläufig abgeschlossen worden, die vom Bundesrat eingesetzte Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich tagte noch — die dritte große Aufgabe i n Angriff, nämlich ein allgemeines ArbeiterVersRecht 3 zu schaffen. Bereits während der Beratungen des Reichstags über das Sozialistengesetz4 i n der außerordentlichen Herbstsession des Jahres 1878 kam von verschiedener Seite der Wunsch auf, den Vorschriften dieses Ausnahmegesetzes sollten auch positive, für die arbeitenden, m i t ihrer sozialen Stellung unzufriedenen Bevölkerungsteile fördernde Gesetze folgen. 2. Die programmatische

Rede Wilhelms I. vom 12. Februar 1879

I n der Eröffnungssitzung zur 4. Legislatur-Periode, 2. Session, am 12. Februar 1879 i m königlichen Schloß i n Berlin, hielt Kaiser Wilhelm I. die Eröffnungsrede 5 , i n der er u. a. die Hoffnung aussprach, auf die M i t 3 Diesen Begriff entlehnen w i r dem älteren Schrifttum, das i h n — soweit ersichtlich — einhellig benützte: vgl. z . B . Bödiker, Die Unfall-Gesetzgebung der europäischen Staaten, S. 41; Piloty, Bd. 1, § 1, S. 4; Weyl f op. cit., Einleitung, S. 3. 4 Dieses Gesetz hieß genau: Reichsgesetz v o m 21. Okt. 1878, die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie betreffend (RGBl. S. 351 ff.), i n historischem Zusammenhang stehend m i t den beiden Attentaten auf K a i ser W i l h e l m I. v o m 11. M a i u n d 2. J u n i 1878. 5 Verhandlungen des RTs., 1879, S. 1 i n Bd. 1.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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Wirkung des Reichstags rechnen zu können, so weit sich die Heilung der sozialen Schäden als unvollkommen erweisen sollte. 3. Die Ankündigung einer größeren sozialen Reformgesetzgebung vom 15. Februar 1881 Hierauf erfolgte bei der Eröffnung des Reichstags der 4. LegislaturPeriode, 4. Session, am 15. Februar 1881, die Ankündigung einer größeren sozialen Reformgesetzgebung. Die Eröffnungsrede knüpfte i n dem uns hier interessierenden Punkte an die Eröffnungsrede vom 12. Februar 1879 an und fuhr fort 6 : „Diese Heilung (sozialer Schäden) w i r d nicht ausschließlich i m Wege der Repression sozialistischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein. I n dieser Beziehung steht die Fürsorge f ü r die Erwerbsunfähigen unter ihnen i n erster Linie."

Zur gleichen Zeit bereits wurde dem Reichstag der hier an späterer Stelle zu behandelnde 1. Entwurf für ein Gesetz betreffend die U V der Arbeiter vorgelegt. 4. Die „magna Charta" der deutschen Sozialpolitik vom 17. November 1881 Zum ersten Male wurde — soweit ersichtlich — das angekündigte Programm der ArbeiterVersGesetzgebung in offizieller Form kundgegeben i n der Eröffnungsrede Kaiser Wilhelms I. zum Reichstag der 5. Legislatur-Periode, 1. Session, vom 17. November 18817, die bereits E. v. Woedtke 8 die „magna Charta dieser Sozialpolitik des deutschen Reichs" genannt hat. Es hieß dort i n den hier einschlägigen Passagen der Abschnitte 4 bis 6, die an die Eröffnungsrede vom 15. Februar 1881 anknüpften: „ I n diesem Sinne w i r d zunächst der v o n den verbündeten Regierungen i n der vorigen Session vorgelegte E n t w u r f eines Gesetzes über die V e r sicherung der A r b e i t e r gegen Betriebsunfälle m i t Rücksicht auf die i m Reichstage stattgehabten Verhandlungen über denselben einer U m arbeitung unterzogen, u m die erneute Beratung desselben vorzubereiten . . . 6 7

S. 1.

Verhandlungen des RTs., 1881, Bd. 1, S. 1. Stenographische Berichte der Verhandlungen des RTs., 1881/82, Bd. 1,

8 Einleitung, S. 1, zu seiner Textausgabe m i t Anmerkungen zum Reichsgesetz betreffend die Invaliditäts- u n d Altersversicherung v o m 22. J u n i 1889; gemeinhin w i r d auch der Begriff „Allerhöchste" oder „Kaiserliche Botschaft v o m 17. November 1881" verwendet, vgl. statt vieler Bödiker, a. a. O., S. 30/31; Weyl, op. cit., 1. Kap., 5. Abschn., § 9, S. 43 ff.

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

F ü r diese Fürsorge die rechten M i t t e l und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber eine der höchsten Aufgaben jeden Gemeinwesens . . . Der engere Anschluß an die realen K r ä f t e dieses Volkslebens u n d das Zusammenfassen der Letzteren i n der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz u n d staatlicher Förderung werden, wie W i r hoffen, die Lösung auch v o n Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein i m gleichen Umfang nicht gewachsen sein würde..."

Durch diese Botschaft wurde die Lösung der sozialpolitischen Aufgaben auf dem Boden genossenschaftlicher Gliederung als Ziel der Gesetzgebung hingestellt. II. Erste juristisch gefaßte Vorschläge aus der Mitte des Parlaments und aus dem Volke Die ersten juristisch gefaßten Vorschläge für eine allgemeine, zwangsweise ArbeiterVers. gingen aus der Mitte des RTs. hervor. 2. Der Antrag

Stumm

Schon i m Jahre 1869 hatte der Abgeordnete Stumm bei der Beratung der Gewerbeordnung — soweit nachprüfbar, zum ersten Mal — einen Antrag auf Errichtung von Zwangskassen für Fabrikarbeiter nach dem Muster der preußischen Knappschaftskassen 9 eingebracht und i h n dann i n der außerordentlichen Session zur Beratung des Sozialistengesetzes i m Jahre 1878 wieder vorgelegt 10 . Die Verhandlungen über diesen A n trag befaßten sich i m wesentlichen m i t der Einführung obligatorischer Kassen. Man zeigte sich jedoch ablehnend gegenüber dem Zwangskassenprinzip eingestellt und war sich i m übrigen hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Zwangskassen noch ganz i m unklaren. Eine nähere Untersuchung des Antrags Stumm darf hier unterbleiben, da dieser sich i m übrigen hauptsächlich m i t der Invaliden- und Altersversorgung befaßte.

9

Vgl. dazu oben S. 19. Drucks, des RTs. 1878, Nr. 9. Wie aus den Verhandlungen des RTs., Bd. 3, S. 330, des Jahres 1879 hervorgeht, w u r d e jedoch über den A n t r a g S t u m m nicht mehr verhandelt. A m 27. Februar 1879 k a m der A n t r a g S t u m m hingegen i m Plenum zur Besprechung (vgl. Verhandlungen des RTs. 1879, Bd. 1, S. 155 ff.; auch Drucks, des RTs. 1879, Nr. 16 u n d A n l . I I zu dem Kommissionsbericht v o m 26. J u n i 1879, Drucks, des RTs. 1879, Bd. 5, Nr. 314). I n der Kommission, der der A n t r a g zur Verhandlung überwiesen wurde, setzten dann die Regierungsvertreter die praktischen Schwierigkeiten der Durchführung dieses V o r schlags auseinander (vgl. Kommissionsbericht, a. a. O., A n m . 4). 10

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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2. Der Vorschlag Baare Von den zahlreichen Vorschlägen, die von außerhalb des Parlaments herrührten und juristisch durchkonstruiert waren, gebührt dem Vorschlag des Kommerzienrats Baare aus Bochum vom 3. November 1880 Beachtung. aa) Der Inhalt Der von Baare ausgearbeitete Entwurf für ein Reichsgesetz betreffend die Errichtung einer Arbeiter-Unfall-Versicherungskasse 11 erschien zuerst i n den Nummern 37 und 38 der Zeitschrift „Concordia" vom 3. November 1880, dem eine Denkschrift i m A p r i l 1880 vorausgegangen war. Die uns hier interessierenden Grundzüge des Baare'schen Entwurfs lauteten sinngemäß: (1) K r a f t Gesetzes sollen gegen Betriebsunfälle versichert sein alle A r beiter ..., welche i n F a b r i k e n . . . beschäftigt sind (§§ 1,4 Abs. 1). (2) A u f Antrag des Unternehmers können von der gesetzlichen Versicherung ausgeschlossen werden solche A r b e i t e r . . . , die entweder bei einer für das betreffende Unternehmen eingerichteten VersKasse oder auf Kosten des Unternehmers bei einer bereits bestehenden VersGesellschaft versichert sind und aus diesem Verhältnis eine der gesetzlichen mindestens gleich hohe Fürsorge zu erwarten haben (§ 4 Abs. 2). (3) Die Versicherung erfolgt bei einer von Reichs wegen für das ganze deutsche Reich zu errichtenden „Arbeiter-Unfall-Versicherungskasse"

...(§ 1).

(4) Den versicherten A r b e i t e r n . . . oder ihren Hinterbliebenen steht gegen die Arbeiter-Unfall-Versicherungskasse ein unübertragbarer Unterstützungsanspruch zu, wenn sie infolge eines in der Ausübung ihrer Dienstverrichtungen herbeigeführten Unfalls verletzt oder getötet werden (§ 1 Abs. 2). Ein Unterstützungsanspruch besteht jedoch dann nicht, wenn der Unfall durch eigene Absicht oder durch eigenes grobes Verschulden des Betroffenen herbeigeführt ist (§§ 5, 6, 7). (5) Die M i t t e l zu dieser Versicherung werden durch Prämien aufgebracht, von denen die Hälfte der Unternehmer, ein Viertel der Arbeiter und ein Viertel die Wohnsitzgemeinde des Verletzten zu zahlen haben. (6) Die aufgrund des Hilfskassengesetzes vom 7. A p r i l 187612 errichteten eingeschriebenen Hilfskassen und alle sonstigen Arbeiterunterstützungskassen und die gegen solche Kassen entstehenden Ansprüche blei11 Der E n t w u r f ist abgedruckt i n den A n n a l e n des deutschen Reichs, X I V . Jahrgang, München u n d Leipzig 1881, S. 69 ff. 12 Vgl. dazu oben S. 33 ff.

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ben unberührt; § 2 des RHPflG wird jedoch in vollem Umfang aufgehoben ( § 9) 1 3 .

bb) Rechtliche Würdigung Wie bereits i m frühen Schrifttum zur Reichsversicherungsgesetzgebung berichtet wurde 1 4 , wurde dieser Entwurf von Baare als der durchdachteste und reifste von allen der Bundesregierung zugegangenen Reformvorschlägen bezüglich einer Arbeiterfürsorgegesetzgebung angesehen. Seine Hauptvorzüge wurden — gerade gegenüber dem von Stumm vorgeschlagenen Wege — darin gesehen, daß er sich auf die Versicherung gegen Unfälle beschränkte und die völlig neue Idee enthielt, die Verwaltung der Zwangskasse einer Reichsbehörde zu übertragen. Der weitere Umstand, daß Baare die Unfallfürsorge durch öffentliche Zwangs Vers, zunächst i m wesentlichen nur für die Arbeiter usw. derjenigen Betriebe vorschlug, für die gemäß § 2 RHPflG bereits eine Haftpflicht bestand, ließ i h n sich an die Bestrebungen weiter Kreise anlehnen, die eine Verbesserung des Haftpflichtgesetzes anstrebten. Dritter

Abschnitt

Die Bewegung der sog. Kathedersozialisten I. Vorbemerkung Der i n dieser A r b e i t anfangs aufgestellte Grundsatz, uns n u r möglichst knapp m i t einer Untersuchung der Geschichte zu befassen, sei an dieser Stelle durchbrochen, u m die Bewegung des sog. Kathedersozialistentums aufzuzeigen. Denn es ist nicht übertrieben zu sagen, daß deren Hauptvertreter w i e u. a. Gustav Schmoller, Lujo Brentano, Albert Schäffle u n d Adolph Wagner von der Wissenschaft her einen hervorragenden Beitrag zum großen, v o n Bismarck ausgeführten Sozialgesetzgebungswerk der 80er Jahre des vorigen J a h r h u n derts geleistet haben 1 5 . Den Bestrebungen dieser Bewegung nachzugehen, lohnt sich hier deshalb, w e i l sie u. a. auch die A n t w o r t auf die Frage beeinflußte, ob die Risikenabdeckung aus (Arbeits-)Unfällen v o n Seiten der P r i v a t Vers. oder einer neu zu schaffenden öffentlich-rechtlichen ZwangsVers, erfolgen sollte.

13 Nicht f ü r unsere Untersuchungen v o n Interesse sind Vorschriften des Entwurfs betreffend die V e r w a l t u n g u n d Organisation der A r b e i t e r - U n f a l l Versicherungskasse (§§ 16, 18), F o r m u n d Errechnung der Renten (§ 8), V e r fahren f ü r die Geltendmachung der Ansprüche (§ 20), Bemessung der Prämien (§ 11) u. a.m. 14 Vgl. Piloty, Bd. 1, § 7, S. 36 ff. (41) ; Weyl t op. cit., 1. Teil, 2. Kap., S. 61. 15 Vgl. hierzu z. B. Wannagat, Lehrbuch des Sozialversichenmgsrechts, § 8, S. 75.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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II. Blick in die Geschichte 1. Das Prinzip der Gewerbefreiheit Die Auffassung des wirtschaftlichen Lebens am Ende des 19. Jahrhunderts w a r grundverschieden v o n derjenigen, die namentlich am Schluß des 18. Jahrhunderts vorgeherrscht hatte. Z u Recht setzte der Berliner Professor A d o l p h Wagner i n seinem Vortrag „Die Strömungen i n der Sozialpolitik u n d der Katheder- u n d Staatssozialismus" 1 6 , f ü r die damalige Periode des ökonomischen Individualismus u n d Liberalismus a m Ende des 18. Jahrhunderts das bekannte, sinngemäß wiedergegebene W o r t des Physiokraten Turgot als M o t t o : „ A l s Gott dem Menschen Bedürfnisse gab, zu deren Befriedigung die Quelle der A r b e i t gehört, hat er i h m auch das Recht zu arbeiten gegeben 17 ." Das Prinzip der Gewerbefreiheit brach sich Bahn, zunächst i n Frankreich während der Revolutionszeit, später auch bei den anderen Kulturstaaten, wie v o r allem i n England u n d i n Deutschland zuerst i n Preußen. Das Hauptziel der Einführung der Gewerbefreiheit war, die A r b e i t von ihren Fesseln zu befreien, namentlich von den mancherlei Beschränkungen, die das Zunftwesen m i t sich gebracht hatte. Angesichts des darauf besonders i n England eintretenden Siegeszugs der Gewerbefreiheit, deren Parole „Freiheit der A r b e i t ! " war, hoffte man, durch die freie Konkurrenz den einzelnen zur tüchtigsten Leistung, zur sparsamsten Lebensweise anzuspornen u n d unter Ausnutzung der damals bahnbrechenden Erfindungen den größten wirtschaftlichen Fortschritt zu erreichen 1 8 .

2. Schattenseiten dieser Entwicklung Jedoch hatten die Förderer dieses Liberalismus i n dem rücksichtslos freien K o n k u r r e n z k a m p f 1 9 übersehen, daß die neue E n t w i c k l u n g auch eine Gewissenlosigkeit u n d Rücksichtslosigkeit ohnegleichen i n der W a h l der K o n kurrenzmittel m i t sich brachte. Insbesondere w a r man sich nicht darüber i m 16

B e r l i n 1912, nach einem Vortrag gehalten am 11. Dezember 1910 i m Verein Deutscher Studenten zu Berlin. 17 Z i t i e r t bei Wagner, a. a. O., S. 4. Dieses W o r t Turgots, eines leitenden Staatsmannes unter K ö n i g L u d w i g X V I . , stammte aus der Zeit v o r der Revol u t i o n u n d w a r i n jenem Dekret K ö n i g Ludwigs X V I . enthalten, das die A u f hebung der Zünfte aussprach. Dieses Recht zu arbeiten, — d . h . das Recht, frei u n d ohne Beschränkung seine A r b e i t u n d seinen Beruf zu wählen u n d auszuüben —, wieder herzustellen, w a r eines der Hauptziele Ludwigs X V I . A l l e Beschränkungen dieses Rechts — so führte Wagner aus (a. a. O., S. 4) — die die Geschichte m i t sich gebracht hatte, w o l l t e L u d w i g X V I . wieder beseitigen, u n d so k a m es unter seiner Regierung zu den Maßregeln, die als die Einleitung der Gewerbefreiheit bezeichnet werden konnten. 18 Bekanntlich w a r damals ein enormer Aufschwung der Industrie durch die Erfindung u n d V e r w e r t u n g der Dampfmaschine i n der T e x t i l - , besonders der Baumwollindustrie etc. zu verzeichnen. 19 Wagner, a. a. O., S. 4 u n d 5, sah w o h l zu Recht gewisse Parallelen z w i schen dem wirtschaftlichen rigorosen Liberalismus einerseits u n d den p o l i tischen Freiheitsideen andererseits.

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klaren gewesen, daß die Hauptvoraussetzung f ü r solch radikale wirtschaftliche Freiheit, nämlich die Gleichheit der miteinander handelnden u n d i m Wettbewerb stehenden Menschen, fehlte. Wagner 2 0 stellte dies k l a r heraus, indem er meinte: „ . . . d i e Menschen waren nicht gleich; sie w a r e n ungleich an geistiger Begabung, an sittlichen Kräften, an Charakterkraft, an Kenntnissen, an Fähigkeiten; sie waren von vorneherein ungleich i n ihren Vermögensverhältnissen; denn an diesen u n d ihrer Rechtsgrundlage, der Privateigentumsordnung, wurde j a auch von liberaler Seite nicht gerüttelt. Die geschichtlich überkommene Eigentumsordnung blieb bestehen. Das freie Vertragsrecht aber wurde durchgeführt, u n d auch davon waren die Folgen f ü r den einzelnen durchaus nicht gleich" 2 1 . Die nachteiligen Folgen der schrankenlosen Gewerbefreiheit, die sich einesteils i n der äußeren Entwicklung, z. B. i n der politischen u n d wirtschaftlichen Vormachtstellung Englands u n d dem Wirtschaftsaufschwung i n Deutschland besonders während der Gründerperiode manifestierten, anderenteils i n der inneren Entwicklung einen steigenden Druck nach u n t e n 2 2 verursachten, sind hinlänglich bekannt. Beispielsweise w a r die Ausbeutung der Arbeitskraft von K i n d e r n selbst unter 6 Jahren die Regel 2 3 . A l l dies führte dazu, daß m a n n u n mehr auch die guten Seiten der alten Schutzmaßregeln der Zünfte erkannte, zumal — w i e Wagner betonte 2 4 — auch i m „Zeitalter der Zünfte" eine gewisse Konkurrenz nicht gefehlt hatte.

I I I . Standort des „Kathedersozialistentums" 1. Die Voraussetzungen für seine Entwicklung Die Wohlwollenden unter den Arbeitgebern sahen bald ein, daß die A b schaffung der Schutzeinrichtungen des Z u n f t - u n d Innungswesens f ü r die Masse der Arbeitnehmer sich nicht positiv auswirkte. 20

a. a. O., S. 5/6. Wagner, a. a. O., S. 6, wies darüber hinaus auf das bedeutende Werk Friedrich Albert Langes, „Die Arbeiterfrage. Ihre Bedeutung f ü r Gegenwart u n d Z u k u n f t " , hin, der dort auf S. 11 richtig feststellte: „ I h r habt die Freiheit der A r b e i t geschaffen, damit habt I h r aber auch die Freiheit des Privatkapitals, die Freiheit der Kapitalausnutzung proklamiert u n d habt nicht genügend gesorgt f ü r die ärmeren u n d schwächeren Elemente, die ohne Waffen oder ohne genügende Waffen i n den Konkurrenzkampf eintreten; ihnen habt I h r keinen hinreichenden Schutz gewährt!". 22 Der Druck „nach unten" entstand, w e i l der Reichtum der Allgemeinheit stieg, die Preise kletterten u n d diese Umstände die ohnehin schon h i n t e r der allgemeinen Entwicklung zurückgebliebenen Volksschichten i n i h r e m Lebensstandard noch weiter senkten. 23 So berichtete (wie Lauterbach, U V - K o m m . , geschichtl. Entwicklung, S. 42/43 aufzeigt) der preußische Generalleutnant v. H o r n i m Jahre 1828, daß „ w o h l infolge der Nachtarbeit der F a b r i k k i n d e r " die Textilbezirke ihre K o n tingente an Militärtauglichen zum Ersatz der Armee nicht stellen könnten. Erst 11 Jahre später führte dieser Bericht zum ersten Arbeiterschutz-Gesetz f ü r Jugendliche, dem „Preußischen Regulativ über Beschäftigung Jugendlicher i n Fabriken" v o n 1839. Dieses Regulativ verbot die Beschäftigung v o n Jugendlichen unter 9 Jahren, begrenzte die Arbeitszeit f ü r Jugendliche unter 16 Jahren auf täglich 10 Stunden, schrieb die F ü h r u n g v o n Verzeichnissen über die Beschäftigung Jugendlicher v o r u n d untersagte f ü r sie die Sonntags-, Feiertags- u n d Nachtarbeit. 24 a.a.O.,S.7. 21

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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Jedoch konnte der einzelne nicht durchgreifen, das Prinzip des sog. V o l u n tarismus 2 5 w a r zu schwach gegenüber dem allseits sonst vorhandenen Gewinnstreben. Dies änderte sich langsam, als die ersten Organisationsbestrebungen der Arbeiter begannen 2 8 . Jedoch stand man ihnen insofern feindlich gegenüber, als sie teilweise dem älteren u n d noch geltenden Arbeitsrecht widersprachen, das, w i e Wagner 2 7 feststellte, n u n auch von den Arbeitgebern i n den ihnen günstigen Seiten erkannt wurde. Letztere w o l l t e n den A r b e i t e r n nämlich nicht ohne weiteres die Konsequenzen der völligen Gewerbefreiheit zugestehen, als da w a r e n freie Arbeitsmöglichkeit, Koalitionsfreiheit u n d Streikrecht. Jedoch w a r es auf die Dauer gesehen unmöglich, den Arbeitnehmern die Gestaltung eines Arbeitervereinsrechts zu entziehen. Dem Beispiel Englands folgte m a n auch zögernd i n Preußen u n d entwickelte m i t der wachsenden Industrialisierung das bereits i m 1. K a p i t e l aufgeführte Arbeiterschutzrecht u n d führte es auch durch.

a) Hauptgegner — die deutsche Freihandelsschule Hauptgegner dieser dem Arbeitnehmerschutz günstigen E n t w i c k l u n g w a r v o n der Theorie her die deutsche Freihandelsschule, die sich speziell i n B e r l i n bildete u n d — w i e Wagner weiter berichtete 2 8 — „charakteristischer Weise" unter der geistigen F ü h r u n g ausländischer, besonders englischer Theoretiker stand. Diese Schule lehnte jedes regulierende Eingreifen des Staates zur Unterstützung der Arbeitnehmer ab, einer i h r e r Führer sprach angeblich 2 9 stets n u r von der „sogenannten Arbeiterfrage"; dies deshalb, w e i l v o n seinem Standpunkt aus allein das freie Spiel der wirtschaftlichen K r ä f t e alles a m besten regelte u n d es somit keine „Arbeiterfrage" geben konnte. Besonders als i n Norddeutschland dem Beispiel Englands folgend ein eigenes Personal zur Inspektion der Arbeiterschutz-Vorrichtungen i n den F a b r i ken eingeführt werden sollte 3 0 , habe besonders Karl Braun v o n der Freihandelsschule heftig protestiert, da m a n v o n dieser Seite aus „keine neue Polizei" wollte.

b) Positionsbeziehung gegen die Freihandelsschule durch die „Kathedersozialisten" Hiergegen wandten sich wiederum die „Kathedersozialisten", die, w e i l sie sich meist als Hochschullehrer auf den Kathedern der Universitäten m i t der Arbeiterfrage beschäftigten, v o n ihren Gegnern m i t dieser Bezeichnung als Ausdruck des Spottes belegt w u r d e n 3 1 . 25 Eigentlich bedeutet dieser Begriff eine philosophische Lehre, die i m W i l l e n die Triebfeder allen Seins sieht. H i e r jedoch beinhaltet er die Hilfe aus freien Stücken. 26 Vgl. dazu oben S. 17 f. 27 a.a.O.,S.7. 28 a.a.O.,S.9. 29 So Wagner, a. a. O., S. 9. 30 Wie sie dann tatsächlich i n der Gewerbeordnung f ü r den Norddeutschen B u n d v o m 21. J u n i 1869 (dort § 129 Abs. 3) u n d später i n der Reichsgewerbeordnung i. d. F. v. 18. J u l i 1881 angeordnet wurde. 31 Wagner, a. a. O., S. 13, berichtete ausführlich v o n einer Pressefehde, die

6 v. Heinz

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

aa) Ursprung der Bewegung Der Kathedersozialismus ging von der sog. historischen Richtung der Nationalökonomie aus. Die dieser Richtung angehörenden, regelmäßig jüngeren Hochschullehrer 8 2 beobachteten die Tatsachen des Lebens, so wie sie sich z. B. i n der Versorgung Unfallverletzter Arbeitnehmer äußerten, u n d maßen an ihnen die weitgehend illusionistischen Theorien der oben genannten Freihandelsschule —, illusionistisch deshalb, w e i l die Tatsachen, w i e z. B. die w e i t gehende Schutzlosigkeit der Unfallverletzten Arbeitnehmer u n d die besonders zulasten der weniger vermögenden Arbeitgeber erdrückende Haftpflicht, nicht i m Einklang standen m i t der v o n der Freihandelsschule vertretenen Theorie, die auf den Gesamtnenner eines ehrgeizigen „laisser faire — laisser aller" zu bringen w a r u n d damit eine schlechthin richtige Konzeption gefunden zu haben glaubte.

bb) Zweifelhaftigkeit der Bezeichnung als Katheder-„Sozialisten" Die Bezeichnung als „Sozialisten" w a r grob vereinfachend u n d n u r v o n zweifelhafter Richtigkeit. Denn die leitenden Hauptziele des wissenschaftlichen u n d praktischen Sozialismus waren damals auf die kurze Formel zu bringen 3 3 : „Beseitigung des Privateigentums an den sachlichen Produktionsm i t t e l n (Grundbesitz, Rohstoffen, Maschinen usw.), Hinüberführung dieses Privateigentums i n gesellschaftliches Gemeineigentum." A b e r gerade dieses Programm hat, w i e A d o l p h Wagner deutlich hervorhob 3 4 , der sogenannte „Kathedersozialist" i n dieser krassen F o r m stets abgelehnt. sich an einem Vortrag des Autors i m Herbst 1871 über das „Thema der sozialen Frage", i n dem er das freie wirtschaftliche System k r i t i s i e r t hatte, anschloß. Besonders H. B. Oppenheim soll sich sehr scharf gegen den V o r trag Wagners gewandt u n d dabei aus seiner Einstellung gegen diese neue Richtung den Namen „Kathedersozialismus" aufgebracht haben. 32 Z u ihnen gehörten hauptsächlich Schönberg, Held u n d Schmoller. Der historischen Richtung der Nationalökonomie gehörten wiederum mehrere Untersparten (wie die rein historische, die abstrakt theoretische etc.) an, die jedoch alle i n i h r e r Stellungnahme gegen den ökonomischen I n d i v i d u a l i s mus u n d Liberalismus übereinstimmten. 33 Vgl. Wagner, a. a. O., S. 12/13. 34 a. a. O., S. 13. Bemerkenswert ist i m übrigen, daß der „Kathedersozialist" Wagner der von i h m vertretenen Lehre nicht den Rang einer einheitlichen wissenschaftlichen Richtung gab (vgl. a.a.O., S. 13). Seiner Meinung nach bestand der einzige Vereinigungspunkt, der allen Kathedersozialisten gemeinsam war, allein i n einer Negation: nämlich der Uberzeugung, daß das reine „Laisser faire, laisser passer" i m wirtschaftlichen Leben nicht das Richtige enthalte; „die Anschauung, daß i m wirtschaftlichen Leben jede Beschränkung unmöglich, unrichtig, schädlich sei, wurde v o n uns („Kathedersozialisten") verworfen, u n d damit stand i n Verbindung eine historische A u f fassung, daß w i r das frühere Wirtschaftsleben nicht einfach verurteilten, w e i l es eine andere Grundlage gehabt hatte, sondern daß w i r es gerecht zu würdigen suchten. I n solchen mehr negativen Punkten w a r eine gewisse Einheitlichkeit v o r handen; aber das allein reicht doch nicht aus, u m eine wissenschaftliche Richtung damit zu begründen. I m Positiven aber gingen die ,Kathedersozialisten' u n d gehen sie auch heute noch weit a u s e i n a n d e r . . . " (so Wagner, a. a. O., S. 13). So w a r es zu erklären,

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884 Denn er hielt dem Sozialismus entgegen 85 , daß — letzterer nicht einmal denkmäßig auf dem Papier, geschweige denn i n der Praxis die Funktionen des Privatkapitalistischen Unternehmens ersetzen könne; — solange der Sozialismus das nicht könne, seine Pläne weitgehend H i r n gespinste bleiben müßten, u n d — w e n n er, der Sozialismus, behaupte, seine Forderungen seien selbstverständlich, er eben übersehe, daß neben vielen anderen Schwierigkeiten auch die i m Wege stehe, die notwendigen Funktionen des Unternehmers aufrechtzuerhalten Z u Recht also konnte A d o l p h Wagner 3 6 den „Kathedersozialismus" dahingehend scharf v o m Sozialismus abgrenzen, daß ersterer i m Gegensatz zum letzteren i m Grundsatz eindeutig unternehmerfreundlich war.

2. Die leitenden Gedanken der „Kathedersozialisten" in bezug auf das VersGewerbe a) Anhäufung des Kapitals als Gefahrenquelle Nach der Meinung der „Kathedersozialisten" galt es jedoch anzuerkennen, daß die großen Kapitalmassen i n Händen der Privateigentümer, w i e sie besonders auch i n Organisationen w i e Aktiengesellschaften des PrivatVersGewerbes etc. vertreten waren u n d sich namentlich i n der Gründerperiode i n hohem Maße angehäuft hatten, eine Gefahrenquelle f ü r die Selbständigkeit des wirtschaftlichen, k u l t u r e l l e n u n d politischen Lebens bildeten. Sofern diese Entwicklung zum K a r t e l l oder gar T r u s t 3 7 gediehen war, verlangte der „Kathedersozialismus", daß m a n aus dieser Tatsache namentlich folgende Konsequenzen zog: aa) Übergang solcher Privatunternehmungen auf den Staat u n d die Gemeinden, w e n n es technisch u n d ökonomisch sich ermöglichen ließ 3 8 ; bb) absolute Begrenzung dieser „Verstaatlichung" auf die Fälle, i n denen technisch u n d ökonomisch Bewährung sowie Aussicht auf Erfolg vorhanden waren 3 9 . daß sich noch andere Bezeichnungen f ü r diese Richtung fanden, so die „realistische", die „ethische" oder auch „historisch-ethische"; schließlich auch die Bezeichnung „Staatssozialismus"; eingebürgert hat sich jedoch allein die Bezeichnung „Kathedersozialismus". 35 Vgl. Wagner, a. a. O., S. 14. 36 a. a. O., S. 14. Wagner hob i n diesem Zusammenhang hervor, daß er den H a u p t v o r w ü r f e n gegen den Kathedersozialismus, nämlich, daß er v o n v o r n herein unternehmerfeindlich eingestellt gewesen sei, f ü r die Funktionen des privatkapitalistischen Unternehmers k e i n Verständnis gehabt habe u n d einseitig arbeiterfreundlich gewesen sei, sinngemäß m i t der alten Fabel des Menenius Agrippa entgegengetreten sei: Der K o p f ist der Unternehmer. Die Arbeiter, so tüchtig sie auch sein mögen, seien doch n u r als dienende Glieder i n den privatwirtschaftlichen Betrieben anzusehen. 37 Wagner, a. a. O., S. 18, wies besonders auf A m e r i k a als i n seinen Augen ungünstiges Beispiel hin, da m a n dort sehen könnte, „ w i e . . . die Matadore des Kapitalismus das wirtschaftliche u n d schließlich auch das kulturelle Leben beherrschen. Bei uns, überhaupt i n Europa, ist diese E n t w i c k l u n g noch nicht i n dem Maße vorgeschritten, w i e i n A m e r i k a ; aber auch w i r bewegen uns i n

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: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

b) Verstaatlichungsforderung und Beurteilung vom sittlichen Standpunkt aus Allerdings w a r e n es nicht n u r diese technischen u n d ökonomischen Gründe, die m a n f ü r eine „Verstaatlichung" geltend machte. Vielmehr t r a t der „ K a t h e dersozialismus" auch dafür ein, daß große kapitalistische Kräfte i m obigen Sinne nicht der sich allein verantwortlichen Privatindustrie, dem Privathandel sowie dem privaten Versicherungs- u n d Bankgeschäft überlassen bleiben dürften, w e i l durch deren Kapitalkonzentrationen ein wichtiges Prinzip ber ü h r t werde: nämlich die Frage, ob m a n auch wirtschaftliche Angelegenheiten u n d Probleme m i t vom sittlichen Standpunkt aus zu beurteüen hätte 4 0 . Diese Frage bejahten die „Kathedersozialisten". A . Wagner griff i n diesem Zusammenhang 4 1 besonders den damaligen L u x u s i m äußeren Gehabe der Menschen an, der seiner Meinung nach n u r auf verhältnismäßig kleine Kreise beschränkt war, u n d fragte besorgt 4 2 : „ K ö n n e n u n d müssen w i r da nicht zugestehen: es wächst hier zu v i e l i n den oberen Klassen, vor allem durch Spekulationsgewinne, Spielgewinne u n d Ausbeutung der K u n j u n k t u r e n ? Muß da nicht regulierend eingegriffen werden?" Die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse v o m sittlich-ethischen Standpunkt aus führte dazu, daß die „Kathedersozialisten" durch die K a p i t a l zusammenballung u. a. auch i n den großen PrivatVersGesellschaften das Sittengesetz als verletzt ansahen u n d auch aus diesem Grunde Verstaatlichung u n d Verkommunalisierung solcher Wirtschaftsbetriebe verlangten.

mancher Hinsicht mehr u n d mehr darauf zu". 38 Hier räumte Wagner, a. a. O., S. 18, selbst ein: „ — w e n n m a n so w i l l : ,eine sozialistische Forderung'! —." 39 Wagner, a. a. O., S. 19, begründete solche Pläne des näheren damit, daß — der Staat u n d die Gemeinde es vielfach besser machten als die P r i v a t industrie, f ü r die der G e w i n n v o r allem maßgebend sein müsse; — durch den Staat u n d seine Einrichtungen die gemeinnützigen u n d sozialen Interessen am besten gewahrt w ü r d e n angesichts der Tatsache, daß die Privatindustrie diese Interessen oft nicht berücksichtigen werde; — n u r so die großen Gewinne, die nicht aus der A r b e i t des einzelnen, sondern aus den gesamten Verhältnissen hervorgingen, v o n den Privatgesellschaften auf den Staat u n d die Gemeinden übertragen werden könnten u n d schließlich — n u r dadurch die privatkapitalistische Macht unter den Staat gebeugt w e r den u n d n u r so der Gefahr des E i n t r i t t s faktischer Monopole auf wichtigen Wirtschaftsgebieten, w i e sie ganz der Privatwirtschaft überlassen würden, w i r k s a m begegnet werden könnte. 40 Vgl. hierzu Wagner, a.a.O., S. 12: „ W i r meinten, daß nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, deshalb auch vor dem Sittengesetz festen Bestand habe, daß man auch die wirtschaftlichen Fragen m i t v o m Standpunkte des Sittengesetzes aus beurteilen müsse. So kamen gewisse sozial-ethische Gedanken hinzu, die zur Lösung der praktischen Fragen m i t herangezogen wurden." A u f S. 23, a. a. O., wies Wagner unter Bezugnahme auf Adolf Stöcker auf den großen Grundsatz hin, „daß auch die wirtschaftlichen Angelegenheiten, auch das wirtschaftliche T u n u n d Lassen des einzelnen betrachtet u n d beurteilt werden müssen von ethischen Gesichtspunkten aus". 41 a.a.O.,S. 17. 42 a. a. O., S. 17/18.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

IV. Die Pläne des „Kathedersozialisten" Adolph Wagner bezüglich einer Arbeiterversicherung Aus dem Gesagten w i r d klar, daß A. Wagner aus seinem Verständnis einer „Sozialpolitik" heraus, nämlich „eines bewußten Eingreifens der öffentlichen Gewalt, des Staates, m i t M i t t e l n der Gesetzgebung u n d der Verwaltung, auch m i t finanziellen H i l f s m i t t e l n i n die Vorgänge des sozialen u n d wirtschaftlichen Lebens; ein regulierendes Eingreifen namentlich i n das Getriebe des freien Spiels der Kräfte i m Hechtssystem der freien Konkurrenz, das man so lange als das allein richtige hingestellt hatte" 4 3 , sich begeistert f ü r eine Versicherung der Arbeitnehmer gegen Unfälle auf dem Boden des öffentlichen Rechts unter A n w e n d u n g gesetzlichen Zwanges aussprach. Sie sollte u. a. auch den Unfallverletzten Arbeitnehmern oder i m Todesfalle ihren Hinterbliebenen rechtliche Ansprüche auf ausreichende Unterstützung gewähren 4 4 .

Vierter

Abschnitt

Die Entstehung des ersten deutschen U V G selbst A. Beschränkung der Untersuchung

Wenn w i r nun i n die Untersuchung der Entstehung des U V G selbst eintreten, so sei i m voraus bemerkt, daß die Fülle der Entstehungsmaterialien zur Beschränkung unserer Darstellung zwingt. 43 Diese Definition hatte Wagner an den Beginn des gen. Vortrags gestellt: a. a. O., S. 3. 44 Vgl. Wagners Ausführungen, a. a. O., S. 16, i n denen er den 1. E n t w u r f einer gesetzlichen U V als „die größte politische Tat i m I n n e r n Deutschlands" u n d die Motive dazu als „das großartigste, was an sozialpolitischen Dokumenten i n der neueren Geschichte vorhanden ist" bezeichnete. Z w a r würden, w i e Wagner meinte, den Arbeitgebern Opfer auferlegt; jedoch seien sie i n der Lage, diese zu tragen. A u f S. 17, a. a. O., f u h r er fort: „ W i r freuen uns, die Früchte daraus zu ziehen. D a m i t ist aber, so meinen w i r w o h l zu Recht, zum ersten Male i n der Weltgeschichte der Z e i t p u n k t gekommen, wo auch die unteren Klassen der Bevölkerung T e i l haben können u n d daher (auch) sollen an den Erfolgen, die daraus hervorgehen." Die Ausführungen Wagners, a. a. O., S. 24, gipfelten i n der Feststellung, daß Kaiser W i l h e l m I. u n d Bismarck „ i m größten Sinne des Wortes eminente Sozialpolitiker, eminente ,Staatssozialisten'" gewesen seien. Daß diese Äußerung zu Recht erfolgte, geht zum Beispiel aus einer Äußerung Bismarcks anläßlich der ersten Beratung des 1. Gesetzentwurfs über ein UVG, der hier noch an späterer Stelle ausführlich behandelt werden w i r d , v o r dem R T - P l e n u m hervor (vgl. 28. Sitzung am 2. A p r i l 1881, Sten. Ber. über die Verh. des RTs., 4. Leg-Per., 4. Session 1881, Bd. 1, S. 712): „ . . . Ich habe das Gefühl, daß der Staat auch f ü r seine Unterlassungen verantwortlich sein kann. Ich b i n nicht der Meinung, daß das ,Laisser faire, laisser aller', ,das reine Manchestertum i n der Politik', ,Jeder sehe, w i e er's treibe, Jeder sehe wo er bleibe', ,wer nicht stark genug ist zu stehen, w i r d niedergerannt u n d zu Boden getreten', ,wer da hat, dem w i r d gegeben, w e r nicht hat, dem w i r d genommen' —, daß das i m S t a a t . . . A n w e n d u n g finden könne, i m Gegenteil, ich glaube, daß diejenigen, die auf diese Weise die Ein-

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

W i r wollen uns daher hier begnügen m i t der Beleuchtung der uns wesentlich erscheinenden Fragen, für welche juristischen Konstruktionsmöglichkeiten sich die an der Gesetzesentstehung Beteiligten hinsichtlich der Lösung des Haftpflichtproblems zwischen Arbeitgeber und A r beitnehmer einsetzten, m i t welchen M i t t e l n und welcher Organisation sie die neuen Pläne verwirklichen wollten. Soweit möglich sollen i n dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben die damals hart umstrittenen Fragen hinsichtlich des Kreises der versicherten Personen, der Berechnungsgrundlage für Prämien- und Entschädigungsleistungen und deren Umfang, der inneren Organisation der Versicherung (als da waren: Voraussetzungen für die Mitgliedschaft eines Betriebes, die Beteiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an der Verwaltung und Gerichtsbarkeit usw.), der Fragen bezüglich Feststellung und Auszahlung der Entschädigungen sowie des Rechtsweges 45 . Die Darstellung sämtlicher zu diesen Problemen damals vorgetragenen Denkmodelle würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. B. Der rechtshistorische Geschehensablauf der Gesetzwerdung

soll i n aller Kürze aufgezeigt werden, u m den äußeren Rahmen 46 für die Untersuchungen zu schaffen. 1. Ein 1. Entwurf für ein Gesetz betreffend die U V der Arbeiter wurde dem RT am 8. März 1881 vorgelegt 47 . Wirkung des Staates zum Schutz der Schwächeren perhorreszieren, ihrerseits sich dem Verdacht aussetzen, daß sie die Stärke, die i h n e n . . . beiwohnt, . . . ausbeuten w o l l e n . . . " 45 Vgl. zu diesen Fragen die Darlegungen i m älteren Schrifttum von Bödiker, a. a. O., S. 18—39; Piloty, Bd. 1, § 8, S. 41 bis § 11, S. 79; Weyl, op. cit., I . Teü, 2. Kap., § 12, S. 59—63; § 16, S. 69—72; auch Lewis, a. a. O., 8. Kap., § 32, S. 337—353. I m neueren Schrifttum vgl. Jahn, Allgemeine Sozialversicherungslehre, 1. Kap., S. 19—24; Lauterbach, U V - K o m m . , Bd. 1, u n t e r I I : Geschichtliche Entwicklung der gesetzlichen U V , S. 42—61; Wannagat, a. a. O., I I . Abschn., § 7, S. 66 f. 48 Benützt w u r d e n f ü r diese Untersuchungen die Ausgaben a) „Sammlung sämtlicher Drucksachen des Reichstages" ( = Drucks, des RTs.), aufgeteilt nach Legislaturperiode ( = Leg.Per.), Session ( = Sess.), Jahres- u n d Band-Angabe; diese Ausgabe enthält keine durchlaufende Seitenzahlangabe, sondern lediglich die A u f t e i l u n g nach den amtlichen N u m m e r n der Drucksachen, die jeweils neu durchpaginiert sind. Druck bei Julius Sittenfeld, Berlin. b) „Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags" ( = Sten. Ber. RT), aufgeteilt nach Legislaturperiode, Session, Jahresu n d Band-Angabe. Die Bände sind m i t durchgehender Seitenzahl versehen. Verlag der Druckereien der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" (Pindter), Berlin. 47 Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 1, Nr. 41, S. 1—66.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

Nach dessen 1. Lesung 48 i m Plenum wurde der Entwurf der X I I I . Kommission zur weiteren Beratung überwiesen. Die X I I I . Kommission erstattete am 21. März 1881 einen Bericht 4 9 . I n 2. 50 und 3. Lesung 51 i m RT wurde dieser 1. Entwurf i n der von der X I I I . Kommission ausgearbeiteten Form angenommen, jedoch später regierungsseitig wieder zurückgezogen. 2. Ein 2. Entwurf wurde dem RT am 8. Mai 1882 vorgelegt 52 . Dieser Entwurf wurde lediglich i n 1. Lesung 53 i m Plenum verhandelt. Nach Überweisung an die V I I I . Kommission und nach Erlaß der K a i serlichen Botschaft vom 14. A p r i l 188354 erstattete diese Kommission am 12. Juni 1883 einen mündlichen Bericht 55 , der indessen nicht mehr zur Verhandlung i m RT gelangte. Auch dieser Entwurf wurde hierauf von den Bundesregierungen zurückgezogen. 3. Der 3. Entwurf wurde dem RT am 6. März 1884 vorgelegt 50 . Daraufhin wurde dieser Entwurf i n 1. Lesung 57 i m Plenum verhandelt und dann der V I I . Kommission überwiesen, die am 11. Juni 1884 einen Bericht 5 8 erstattete. Nach der 2. 59 und 3. 60 Lesung fand dieser Enwurf eine Mehrheit i m Parlament und wurde am 6. J u l i 1884 als Gesetz vollzogen 61 . Das Gesetz trat am 1. Oktober 1885 i n Kraft. 4. Plan der Untersuchungen Es läßt sich bereits hier feststellen, daß sich am ergiebigsten für unsere Untersuchungen die regierungsseitig oder vom Bundesrat abgefaßten Begründungen zu den einzelnen Gesetzentwürfen sowie die Kommissionsberichte zeigen. 48

Sten. Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 1, S. 673 ff. Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 3, Nr. 159, S. 1—83. 50 Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 2, S. 1441 ff. 51 Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 2, S. 1746 ff. 52 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1881/82, Bd. 1, Nr. 19, S. 1—86. 5S Sten.Ber. RT, 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 1, S. 199 ff. 54 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 3, Nr. 246. 55 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 4, Nr. 372. 56 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 4, S. 1—86. 57 Sten.Ber. RT, 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 1, S. 35 ff. 58 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 115, S. 1—60. 59 StenJBer. RT, 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 2, S. 750 ff. 80 Wie hier A n m . 59, S. 1102 ff. Das U V G i n der Form der i n 3. Beratung gefaßten Beschlüsse ist abgedruckt i n Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 186. 61 RGBl. 1884, S. 69. 49

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Die Stenographischen Berichte über die Gesetzeslesungen i m Plenum hingegen weisen kaum neue Gedanken auf, die nicht bereits i n den Kommissionsberichten mitenthalten sind. Die Berichte über die Gesetzeslesungen brauchen daher hier kaum herangezogen zu werden. Die Gliederung der Darstellung ergibt sich am zwanglosesten i n der Weise, daß die einzelnen Gesetzentwürfe abschnittsweise hintereinander behandelt, die für unsere Pläne einschlägigen Vorschriften herausgestellt und i n den sie hauptsächlich stützenden Begründungen dargelegt werden. Dabei empfiehlt es sich, i n der Weise vorzugehen, daß der 1. Gesetzentwurf am gründlichsten dargestellt wird, da man m i t i h m ein gesetzgeberisches Neuland betrat und die grundsätzlichen Konzeptionen daher zum ersten Mal entwickeln mußte. Die weiteren Gesetzentwürfe sollen anschließend dergestalt behandelt werden, daß nur noch Abweichungen und Neuerungen gegenüber dem vorhergehenden Entwurf zur Darstellung gelangen. Fünfter

Abschnitt

1. Gesetzentwurf über ein U V G vom Jahre 1881 Erster Unterabschnitt Der Regierungsentwurf selbst 62 I. Gesamttendenz Dieser Entwurf legte sich bereits i n seinem § 1 auf den Gedanken einer öffentlich-rechtlichen Versicherung m i t obligatorischer Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle fest. Das Haftpflichtprinzip wurde nicht nur nicht verschärft, sondern gänzlich verlassen 63 . 62 Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 1, Nr. 41, S. 1—66. Der E n t w u r f umfaßt die §§ 1—58 (Anlage 1 zu Nr. 41, a. a. O., S. 3—16), als Anlage 2 eine Allgemeine Begründung (S. 17—33) u n d die Begründung zu den einzelnen Bestimmungen (S. 33—55). Hieran reiht sich noch ein Gutachten über Prämienfeststellung (S. 55—66). 68 Der einschlägige § 1 des Entwurfs, Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 4, S. 3, lautete: (Abs. 1)* A l l e i n Bergwerken . . . beschäftigten Arbeiter, . . . , werden bei einer v o n dem Reich zu errichtenden u n d f ü r Rechnung desselben zu verwaltenden VersAnstalt gegen die Folgen der beim Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes versichert. (Abs.2—6) . . . * Die i n ( ) angegebenen Absatz- oder Satz-Ziffern befinden sich nicht i m Originaltext. Sie w u r d e n v o m Verfasser zur schnelleren Orientierung h i n zugefügt.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

II. Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtslage 2. Aufzeigen der Mängel des RHPflG, insbesondere die Rolle der privaten UV-Gesellschaften Die vom Bundesrat zu diesem 1. Entwurf beschlossene Begründung 64 setzt sich zu Anfang insbesondere m i t dem für unsere Betrachtungen wichtigen § 2 RHPflG auseinander und zeigt dessen wesentliche Mängel zu Lasten des Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses auf, wie w i r sie bereits oben, S. 31 ff., zusammengestellt haben. Besonders herausgestellt w i r d die unglückliche Rolle der privaten Haftpflicht- und Unfallversicherung, die wesentlich zur Vermehrung der Prozesse über Entschädigungsansprüche und damit zur Verschärfung des Gegensatzes zwischen Arbeitgebern und Arbeitern beigetragen habe 65 . a) Richterliches Urteil als Voraussetzung für die VersLeistung Die VersGesellschaften seien durch geschäftliche Rücksichten darauf angewiesen, aufgrund der für haftpflichtige Unfälle abgeschlossenen Versicherung nur für solche Entschädigungen Deckung zu leisten, zu denen der V N durch das Gesetz unzweifelhaft verpflichtet sei. Daher könnten sie dem letzteren nicht die Entscheidung über die A n erkennung oder Nichtanerkennung der erhobenen Ansprüche überlassen und sich bei ihrer eigenen Entscheidung nicht durch Rücksichten bestimmen lassen, die den Arbeitgeber, hätte er allein zu entscheiden, 64 I n den gen. Gesetzesmaterialien oft als „ M o t i v e " bezeichnet. Hier: A l l gemeine Begründung, a. a. O., Nr. 41, S. 17—33 (17—19). 65 Vgl. a. a. O., Nr. 41, S. 21. Bemerkenswert ist i n diesem Zusammenhang ein späteres Z i t a t aus dem Diskussionsbeitrag des Abg. v o n Kleist-Retzow während der 2. Beratung des 1. Entwurfs i n der 53. Sitzung am 31. 5.1881 (Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 2, S. 1447): „ A b e r . . . ich gehe weiter, nicht bloß das Gesetz, sondern die ganze H a f t pflicht ist unbedingt verwerflich, w e n n w i r zu irgendeiner entsprechenden Hebung der Not kommen wollen." Dann zitierte der gen. Abg. „aus einer M i t teilung eines m i t t e n i n diesen Angelegenheiten stehenden Mannes, des Subdirektors der UV-Aktiengesellschaft Schwank i n K ö l n : ,Der Haftpflichtprozeß ist eine Giftpflanze. Leider hat sie tiefe Wurzeln geschlagen, sie muß m i t allen gesetzlich zulässigen H i l f s m i t t e l n ausgerottet werden'". Schließlich erwähnte er noch an selber Stelle: „Den prägnantesten A u s druck f ü r diese Auffassung bietet der i m Jahre 1878 an das Reichskanzleramt gerichtete A n t r a g der Magdeburger UV-Aktiengesellschaft: Es möge bei der Revision des Haftpflichtgesetzes die Haftpflichtversicherung, weil gegen die guten Sitten verstoßend, gesetzlich verboten werden."

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1. T e i l : Die Entwicklung bis zum U V G 1884

vielleicht geneigt machen würden, manchen Zweifel an seiner rechtlichen Verpflichtung auf sich beruhen zu lassen. Daher könne es bei der großen Zweifelhaftigkeit der meisten aus dem RHPflG hergeleiteten Ansprüche kaum befremden, daß die Mehrzahl der VersGesellschaften dahin gelangt sei, i n den meisten Fällen nur zu zahlen, wenn der fragliche Entschädigungsanspruch durch richterliche Entscheidung festgestellt sei. b) Notwendigkeit der Klage des Unfallverletzten oder sonstiger Berechtigter gegen den Arbeitgeber Es w i r d hervorgehoben 66 , daß auch dort, wo dieser Grundsatz nicht befolgt werde, dem Arbeitgeber, der gegen „haftpflichtige Unfälle" versichert sei, die Anerkennung einer gegen i h n erhobenen Entschädigungsforderung i n hohem Grade dadurch erschwert werde, daß er, u m seinen Anspruch gegen die VersGesellschaft nicht aufzugeben, ein vorgekommenes eigenes oder seinem Beauftragten zur Last fallendes Verschulden einräumen müsse. Die Regel sei demnach, daß der Arbeitgeber i n jedem Falle, wo eine Entschädigung gefordert werde, genötigt sei, sich von seinem Arbeiter verklagen zu lassen. c) Keine Möglichkeit des Verzichts des Arbeitgebers auf Privat Vers. Weiterhin w i r d dargelegt, daß, so unwillkommen gerade für den wohlwollenden Arbeitgeber eine solche Lage sei, dieser doch auf die PrivatVers. nicht verzichten könne, w e i l sie i h m das einzige M i t t e l biete, sich gegen u . U . die Existenz seines Unternehmens gefährdende Verluste zu schützen. Bei der Unbeschränktheit des richterlichen Ermessens, dem das RHPflG die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes überlasse, liege i n jedem Falle die Möglichkeit vor, daß die Rente, die der Richter dem Unfallverletzten oder seinen Hinterbliebenen als Ersatz für die verlorene Erwerbsfähigkeit oder für den verlorenen Unterhalt zubillige, erfahrungsgemäß i n der vollen Höhe des letzten Arbeitslohnes bemessen werde. A u f diese Weise erhalte der i n seinem Berufe verunglückte Arbeiter, wenn sein Anspruch für begründet erkannt werde, Entschädigung i n einer Höhe, wie sie i n anderen Berufsarten, namentlich auch i m Staatsund sonstigen öffentlichen Dienst, nicht vorkomme und m i t Rücksicht a. a. O., Nr. 41, S.

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4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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a u f Z e i t e n d e r A r b e i t s l o s i g k e i t oder d o c h des g e m i n d e r t e n V e r d i e n s t e s einerseits u n d a u f die f ü r d e n V e r l e t z t e n o f t w i e d e r k e h r e n d e t e i l w e i s e E r w e r b s f ä h i g k e i t andererseits n i c h t g e r e c h t f e r t i g t sei 6 7 . 2. Auseinandersetzung für eine Verschärfung

mit den Vorschlägen des Haftpflichtprinzips

S o d a n n setzt sich d i e A l l g e m e i n e B e g r ü n d u n g k r i t i s c h m i t d e n b e r e i t s d a m a l s b e k a n n t e n V o r s c h l ä g e n b e z ü g l i c h der V e r s c h ä r f u n g des R H P f l G 6 8 z u L a s t e n des U n t e r n e h m e r s auseinander u n d n i m m t zusammenfassend gegen eine w e i t e r e V e r s c h ä r f u n g des H a f t p f l i c h t g e d a n k e n s bis a n die äußersten j u r i s t i s c h e n G r e n z e n d e r D e h n b a r k e i t des Gesetzes u n d d e r p e r s ö n l i c h e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t des U n t e r n e h m e r s z u r Schaffung e i n e r b r e i t e r e n Basis f ü r Schadenersatzansprüche des v e r u n g l ü c k t e n A r b e i t e r s Stellung: „ A l l e diese A n t r ä g e " , so f ü h r t die B e g r ü n d u n g a u f S. 23 aus, „ h a b e n das Gemeinsame, daß sie b e i der gesetzlichen R e g e l u n g d e r v o r l i e g e n d e n F r a g e a n d e m G r u n d s a t z des a l l g e m e i n e n O b l i g a t i o n e n r e c h t s , w o n a c h d i e V e r b i n d l i c h k e i t z u m Schadensersatz d u r c h e i n V e r s c h u l d e n

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Vgl. hierzu a. a. O., Nr. 41, S. 22. Vgl. dazu oben S. 40 ff. Gemeint sind v o r allem der A n t r a g Hasenclever (Drucks, des RTs., 1878, Nr. 128): Einführung einer gleichen Regelung f ü r § 2 RHPflG w i e sie bereits f ü r § 1 RHPflG festgelegt w a r ; w e i t e r h i n die Anträge Lasker (Drucks, des RTs., 1871, Nr. 65), Scheffrath u n d Klotz (ebenda, Nr. 71 II), Biedermann (ebenda, Nr. 71 I I I ) , Friedenthal (ebenda, N r . 75), Grumbrecht (ebenda, N r . 94,95): Hiernach sollte der Unternehmer verpflichtet sein, bei der Einrichtung u n d dem Betriebe seiner Anlage die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln zu t r e f fen; w e i t e r h i n sollte das Verschulden des Unternehmers präsumiert werden, w e n n dieser nicht bewies, daß er der vorher genannten Verpflichtung nachgekommen sei. Die Verschiedenheit der Anträge, so w i r d auf S. 23 a. a. O. festgestellt, liege teils i n den Kriterien, v o n denen die Entscheidung darüber, welche Vorsichtsmaßregeln erforderlich seien, abhängig sein solle, teils darin, daß die einen die Präsumtion des Verschuldens beim Mangel jenes Beweises ohne weiteres u n d schlechthin eintreten lassen (Lasker Nr. 65, Scheffrath u n d Klotz, Nr. 71 II), die anderen dagegen die Präsumtion v o n dem vorgängigen Beweise, daß der U n f a l l durch Einrichtungen der fraglichen A r t hätte abgewandt w e r den können (Friedenthal Nr. 75, Grumbrecht Nr. 94 I I ) oder dadurch, daß ein Gegenbeweis zugelassen w i r d (Unterantrag B a h r Nr. 70, Biedermann Nr. 71 I I I , Friedenthal Nr. 75). I n der gleichen Richtung bewegten sich der i n der RT-Session v o n 1878 v o n der I X . Kommission gefaßte Beschluß (Drucks, des RTs., 1878, Nr. 251) u n d die i n der Session von 1879 v o n dem Abgeordneten H e r t l i n g und Genossen ausgegangene Interpellation (Drucks, des RTs., 1879, Nr. 23), indem sie neben der Ausdehnung der Haftpflicht auf andere, als die bis jetzt i n §2 RHPflG angeführten Betriebe „die Regelung der Verantwortlichkeit des Unternehmers u n d der Beweislast i n einer der N a t u r der einzelnen Gewerbe" entsprechenden Weise i n Aussicht nehmen. 68

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

b e g r ü n d e t w i r d , f e s t h a l t e n w o l l e n , n i c h t s d e s t o w e n i g e r aber d u r c h das B e d ü r f n i s , d e n V e r h ä l t n i s s e n des v o r l i e g e n d e n besonderen Gebiets Rechn u n g zu t r a g e n , z u d e n einschneidensten A b w e i c h u n g e n v o n d e n K o n s e q u e n z e n dieses Grundsatzes u n d v o n d e n a l l g e m e i n e n R e c h t s g r u n d sätzen ü b e r B e w e i s p f l i c h t u n d ü b e r R e c h t s p r ä s u m t i o n g e d r ä n g t w e r d e n u n d d a m i t i n die L a g e k o m m e n , der a l l g e m e i n e n R e g e l u n g dieses T e i l s des O b l i g a t i o n e n r e c h t s i n e i n e r b e d e n k l i c h e n , i n i h r e n K o n s e q u e n z e n n i c h t zu ü b e r s e h e n d e n Weise v o r z u g r e i f e n . " 3. Konsequenzen

aus dieser

Auseinandersetzung

H i e r a u s z i e h t die B e g r ü n d u n g d a n n a u f S. 24/25 die entscheidende Schlußfolgerung: „ D a s H a u p t b e d e n k e n gegen diese A r t d e r R e g e l u n g besteht aber d a r i n , daß d a d u r c h d e r g e g e n w ä r t i g e T i e f s t a n d n i c h t w e s e n t l i c h verbessert w e r d e n w ü r d e . . . Jede R e g e l u n g , die d e n A n s p r u c h des A r b e i t e r s v o n e i n e m w i r k l i c h e n oder f i n g i e r t e n V e r s c h u l d e n des U n t e r n e h m e r s a b h ä n g i g m a c h t , i s t m i t der G e f a h r v e r b u n d e n , daß ü b e r das V o r h a n d e n s e i n dieses Verschuldens i n j e d e m e i n z e l n e n F a l l der A n w e n d u n g Z w e i f e l e n t s t e h e n 6 9 . D a m i t b l e i b t es aber m e h r oder w e n i g e r d e m Z u f a l l ü b e r lassen, ob die e i n z e l n e n A r b e i t e r der W o h l t a t e n des Gesetzes i n gleich60 Dies bestätigte später der Abg. Lohmann während der 1. Beratung des 1. Entwurfs (29. Sitzg. am 4. 4.1881 i m RT-Plenum, Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 1, S. 735): „ . . . Unfälle beruhen nicht auf einer einfachen Ursache, sondern auf dem Zusammentreffen verschiedener Ursachen: der Schuld des Arbeitgebers, der Schuld der Arbeiter, dem Zufall. Eine genaue Untersuchung v o n 155 Unfällen ergab: Schuld der Arbeiter: 14 Fälle, Schuld der Mitarbeiter: gleichfalls 14 Fälle, Gefährlichkeit des Betriebes an sich — w o durch Schutzmittel nicht geholfen werden k a n n — 10 Fälle; Nichtbenutzung gebotener Schutzmittel, Handeln w i d e r erhaltene Anweisung, Leichtsinn, Unachtsamkeit u n d anderes V e r schulden der A r b e i t e r : 49 Fälle, konkurrierende Ursachen: 64 Fälle u n d U r sachen, die sich nicht m i t einiger Sicherheit angeben lassen: 4 Fälle. Also unter 155 Unfällen schon 64, i n denen konkurrierende Ursachen m i t wirken! Unter diesen befindet sich eine A n z a h l v o n Fällen, i n denen weniger eine durchaus verurteilenswerte Leichtfertigkeit, Trunkenheit oder ähnliches als Ursache des Unfalls anzusehen ist, als vielmehr bei älteren Arbeitern* ein naturgemäßes Gewöhnen an die Gefahr u n d demzufolge ein Unterschätzen der Gefahr, bei jüngeren A r b e i t e r n Übermut u n d jener Leichtsinn, der übera l l der Begleiter des jugendlichen Alters ist, der sich aber i n anderen Beschäftigungen nicht so schwer rächt. E i n natürliches Billigkeitsgefühl spricht dafür, auch i n solchen Fällen den Arbeiter so v i e l w i e möglich gegen die Folgen eines Unfalls sicher zu stellen. A u f der anderen Seite w ü r d e n u n aber eine Bestimmung, welche die H a f t pflicht des Arbeitgebers so w e i t ausdehnte, daß er auch f ü r v o m Arbeiter selbst verschuldete Unfälle Entschädigung zu leisten hätte, oder f ü r Unfälle, die auf bloßem Z u f a l l beruhen, das Rechtsgefühl ganz entschieden verletzen."

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

mäßiger Weise teilhaftig werden, und ebenso bleibt der verbitternde Einfluß, den der gegenwärtige Rechtszustand auf das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern ausübt, i n ungeschwächter Kraft bestehen . . . " . I I I . Grundlegend neue Lösungsmöglichkeit für die Problematik „Nach der dem vorliegenden Gesetzentwurf zu Grunde liegenden Auffassung 70 kann diese Regelung (nämlich die Sicherung des Arbeiters) nur auf dem Wege herbeigeführt werden, daß die auf dem Gesetz vom 7. Juni 1871 beruhende Haftpflicht der Unternehmer gegenüber ihren Arbeitern durch eine öffentlich-rechtlich geregelte Unfallversicherung ersetzt wird 71. 1. Programm dieser neuen Lösung Während zur Zeit den i n gewissen Betrieben beschäftigten Arbeitern bzw. ihren Angehörigen nur ein Anspruch auf vollständige Entschädigung zusteht, der durch die i h n bedingenden Voraussetzungen zu einem i n seiner Realisierung höchst unsicheren wird, soll i n Zukunft allen gewerblichen Arbeitern, die nach der Art ihres Arbeitsverhältnisses in diese Regelung eingeschlossen werden können, eine in jedem Falle sichere Anwartschaft darauf gewährt werden, daß beim Verluste der Erwerbsfähigkeit durch Unfall ihnen selbst eine nach ihrem bisherigen Erwerbe zu bemessende Versorgung oder ihren Hinterbliebenen eine gleicherweise billig bemessene Unterstützung zuteil wird. Z u dem Ende soll die Versicherung alle beim Betriebe vorkommenden Unfälle enthalten, ohne Unterschied, ob sie i n einem Verschulden des Unternehmers oder seiner Beauftragten oder i n dem eigenen Verhalten des Verunglückten, oder i n zufälligen, niemandem zur Last zu legenden Umständen ihren Grund haben. 2. Gänzliche Abkehr von den bisherigen Haftungsdifferenzierungen Nur wenn von diesen Unterschieden gänzlich abgesehen wird, kann dem Arbeiter durch die Versicherung die volle Sicherheit gegeben werden, daß er durch einen Unfall m i t seiner Erwerbsfähigkeit nicht auch seinen Unterhalt verliert und daß er bei seinem durch Unfall herbeigeführten Tode seine Angehörigen nicht hilflos zurückläßt. 70 71

a. a. O., Nr. 41, S. 25. Hervorhebungen stammen v o m Verfasser.

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Würden von der Versicherung auch nur diejenigen Unfälle ausgeschlossen, welche auf ein Versehen oder eine Ungeschicklichkeit des Arbeiters oder auf einen Zufall zurückzuführen sind, so bliebe der Arbeiter der Gefahr ausgesetzt, i n jedem einzelnen Falle den i h m aus der Versicherung zustehenden Anspruch bestritten und die Behauptung desselben von einem Rechtsstreit abhängig zu sehen, dessen Ausgang selbst dann, wenn ihn nicht die Beweislast träfe, i n vielen Fällen sehr ungewiß sein würde. Denn, wie schon früher hervorgehoben, entstehen die meisten Unfälle durch das Zusammenwirken verschiedener Umstände und können ebensowohl auf Leichtfertigkeit oder Ungeschick des Arbeiters, als auf ein Verschulden des Unternehmers oder die m i t der Eigentümlichkeit der Beschäftigung unvermeidlich gegebenen Gefahren zurückgeführt werden. 3. Zusammenfassung der neuen Lösungsmöglichkeit bezüglich der Sicherstellung des Unfallverletzten und sonstiger Berechtigter Es ist somit festzuhalten: bereits der hier i n Rede stehende 1. Entwurf regelt das Problem der Sicherstellung des Arbeiters gegen die Folgen von Betriebsunfällen eindeutig dahin, daß die Sicherung durch eine öffentlich-rechtliche ZwangsVers. gegen alle Betriebsunfälle anzustreben sei. M i t der Einführung einer öffentlich-rechtlichen ZwangsVers. war also das Problem i n seiner einen grundsätzlichen Seite, der Sicherstellung des Arbeiters, gelöst. 4. Die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht

aufgrund eines Unfalls

Zu prüfen bleibt nunmehr, wie der 1. Entwurf die andere Seite, nämlich das Problem der Belastung des Unternehmers m i t der aufgrund eines Unfalls entstehenden Haftpflichtigkeit, regeln wollte. Die vom Entwurf vorgesehene grundsätzliche Befreiung der Unternehmer von ihrer bisherigen zivilrechtlichen Haftpflicht 72 zu Lasten eines neuen Leistungsschuldners konnte u. a. durch Leistungen der Unternehmer erzielt werden, die diesen neuen Leistungsschuldner lebensfähig und solvent hielten. Die Frage einer solchen Befreiung von der Haftpflicht war identisch m i t der Frage der Aufbringung der Kosten für diese Maßnahme, d. h. m i t der Zahlung der VersPrämie 73 . 72

Vgl. a. a. O., Nr. 41, S. 27. Der hierfür einschlägige § 13 des 1. Entwurfs (a. a. O., Nr. 41, S. 6) lautete: Die VersPrämie ist aufzubringen: 1. f ü r diejenigen Versicherten, deren Jahresarbeitsverdienst... 750,— M und weniger beträgt, zu 2/s von dem Betriebsunternehmer, zu Vs v o m Reich; 73

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

IV. Die Frage der Mittelaufbringung für den neu zu schaffenden Leistungsschuldner I n der Reihe der Einzelfragen mit ebenfalls grundsätzlicher Bedeutung für den weiteren Auf- und Ausbau der Versicherung, insbesondere die Probleme der Entschädigungsleistungen, der inneren Organisation des oder der VersTräger und des Verfahrens, erscheint uns die Frage der Mittelaufbringung besonders wichtig, w e i l m i t ihrer Beantwortung gleichzeitig die Entscheidung darüber fällt, wer die Versicherung durchführen soll. 1. Kostenverteilung

nach „der Natur der Sache"

Der 1. Entwurf stellt hierzu fest 74 , daß es an und für sich „der Natur der Sache" entspreche, den Beteiligten die Kosten insoweit aufzuerlegen, als nicht staatliche Zwecke durch die neue Einrichtung verfolgt würden, deren Erfüllung die Kräfte der Beteiligten übersteige. Beteiligt seien zunächst die Arbeitgeber, die durch die Neuregelung von der bisherigen A r t zivilrechtlicher Haftpflicht befreit würden, und die Arbeiter, die dadurch gegen die wirtschaftlichen Folgen aller Unfälle gesichert w ü r den, deren Mehrzahl durch die Haftpflicht ungedeckt bleibe. 2. Kostenverteilung

nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen

Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen müßte etwa derjenige Teil der Prämie, der durch die auf ein Verschulden des Unternehmers und seiner Beauftragten auf mangelhaften Zustand der Betriebseinrichtungen und Fehler i n der Betriebsleitung zurückzuführenden Unfälle erforderlich würde, den Arbeitgebern, dagegen derjenige Teil, der durch die auf Zufall oder auf Verschulden der Arbeiter zurückzuführenden Unfälle erfordert würde, den Arbeitern zur Last fallen. a) Nur mangelhafte Möglichkeit der Kostenaufteilung aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze Für eine Berechnung dieser verschiedenen Bestandteile der VersPrämie fehle es jedoch an jeder statistischen Unterlage, gegenüber dem Zusammenwirken verschiedenartiger Ursachen bei den Unfällen sei selbst bei der vollständigsten Statistik eine wirklich zutreffende Berechnung unmöglich. 2. f ü r diejenigen Versicherten, deren Jahresarbeitsverdienst über 750,— M u n d bis zu 1000,— M beträgt, zu 2/s von dem Betriebsunternehmer, zu Va von dem Versicherten; 3. f ü r diejenigen Versicherten, deren Jahresarbeitsverdienst über 1000,— M beträgt, zu V2 v o n dem Betriebsunternehmer, zu V2 v o n dem Versicherten. 74 a. a. O., S. 41.

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

b) Die Folgerung hieraus: Es bleibe daher nichts anderes übrig, als jedem Teile die Hälfte aufzuerlegen. 3. Vorteilhaftigkeit

einer Kostenverteilung

50 :50 für die Arbeiter

Eine solche Verteilung sei für die Arbeiter nicht ungünstig. Wenn man berücksichtige, daß diejenigen Unfälle, für welche die Arbeiter aufgrund des RHPflG bisher Entschädigung erhalten hätten, nur etwa V» bis V« der gesamten Unfälle ausmachten, so ergebe sich, daß die Last, die den Arbeitern m i t der Hälfte der VersPrämie auferlegt würde, kein zu hohes Äquivalent für die ihnen zuteilwerdende Verbesserung ihrer Lage bei eintretenden Unfällen sein würde. 4. Billigkeit

dieser Kostenverteilung

gegenüber den Arbeitgebern

Auf der anderen Seite könne i n dieser Verteilung auch keine Unbilligkeit gegen die Arbeitgeber gefunden werden. Denn abgesehen davon, daß sie an der Beseitigung der m i t dem RHPflG verbundenen Übelstände ein Interesse hätten, das durch ein von ihnen zu übernehmendes finanzielles Opfer nicht zu teuer erkauft sein würde, sei auch zu berücksichtigen, daß sie als Leiter der Unternehmungen nicht nur vorzugsweise berufen, sondern auch imstande seien, eine fortschreitende Verminderung der Unfälle herbeizuführen, und zwar nicht nur durch zweckmäßige Betriebseinrichtung und Leitung, sondern auch durch richtige Auswahl und sorgfältige Disziplinierung der von ihnen beschäftigten Arbeiter. 5. Scheitern dieser Kostenaufteilung an der praktischen Durchführbarkeit Dann kommt der Entwurf jedoch darauf zu sprechen, daß die beide Seiten — Arbeitgeber und Arbeitnehmer — gleich belastende Regelung doch praktisch kaum durchführbar sei. Denn der Masse der Arbeiter reiche der Lohn nur gerade zur Bestreitung der notwendigsten Lebensbedürfnisse. Solle der Arbeiter von diesem Lohne auch noch VersPrämien zahlen, so müsse zu deren Bestreitung entweder die Lebenshaltung des Arbeiters diesem Betrage entsprechend herabgedrückt oder sein Lohn erhöht werden. Ersteres sei i n vielen Gegenden und Industriezweigen gleichbedeutend m i t einem Notzustand, letzteres bedeute eine Belastung des Unternehmers m i t der ganzen Prämie. Damit würde den Unternehmern jedoch zur Durchführung einer Maßnahme, die nicht allein ihren Interessen,

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

sondern i n hervorragender Weise auch allgemeinen Staatsinteressen zu dienen bestimmt sei, eine sie ausschließlich treffende Last auferlegt werden, von der noch nicht feststehe, ob sie nicht einen Rückgang der Industrie i n einem die ganze Volkswirtschaft und damit auch die Arbeiter treffenden Ausmaße herbeiführen werde. 6. Möglichkeit

der Kostenbelastung

allein der Unternehmer

Dann w i r d jedoch eingeräumt 75 , daß die Anschauung an Boden gewinne, die gerade i n der ausschließlichen Übernahme der durch Betriebsunfälle herbeigeführten Schäden durch den Arbeitgeber eine gerechte Forderung erblicke 76 . Diese Anschauung gehe davon aus, daß die Verluste an persönlicher Arbeitskraft, die durch die einem Industriezweige eigentümlichen Gefahren veranlaßt werden, ebenso wohl aus der Produktion des Unternehmens gedeckt werden müßten, wie die an dem Anlage- und Betriebskapital entstehenden Schäden; daß für die Deckung dieser Verluste aus dem Gesamtertrag des Unternehmens eben der Unternehmer, der überhaupt die Chancen der Produktivität zu tragen habe, verantwortlich sei und daß somit die Industrie, wenn sie diese Deckung der Armenpflege überlasse, nur einen Teil ihrer Produktionskosten auf andere Wirtschaftskreise abwälze. 7. Ablehnung dieses Gedankens der alleinigen Kostenübernahme durch die Unternehmer Gleichzeitig w i r d indessen betont, daß „diese Auffassung keineswegs i n dem Grade von dem allgemeinen Rechtsbewußtsein getragen (ist), daß die Gesetzgebung berechtigt erschiene, i n voller Konsequenz derselben die Kosten der beabsichtigten U V i n ihrem ganzen Umfange den Arbeitgebern aufzuerlegen" 77 . Diejenigen Ausgaben nämlich, die i n Zukunft durch die U V gedeckt werden sollten, seien nach bisherigem 75

a. a. O., Nr. 41, S. 28. So führte später der Abg. Bebel während der 1. Beratung des 1. E n t wurfs i m R T - P l e n u m (29. Sitzung am 4.4.1881, Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Band 1, S. 750) gegen das i m m e r wieder angeführte A r g u m e n t der mangelnden Konkurrenzfähigkeit m i t dem Ausland bei einseitiger Prämienauferlegung zu Lasten der Arbeitgeber ins Feld: „ . . . Der Reichskanzler soll sich an die Spitze einer I n i t i a t i v e . . . stellen, er soll die Regierungen der verschiedenen Länder, die vorzugsweise hier i n Betracht kommen, w i e die Schweiz, Frankreich, Belgien, England, N o r d amerika, die also besonders unsere Konkurrenzländer sind, auffordern zu einer internationalen Konferenz, i n welcher v ö l l i g gleichmäßige u n d gemeinsame Feststellungen i n bezug auf den Schutz der A r b e i t e r i n Industrie, Handel u n d Gewerbe stipuliert werden. D a n n t r i t t eine vollständige Gleichheit der Konkurrenzbedingungen nach dieser Richtung ein." a. a. O., Nr. 41, S. 28 76

7 v. Heinz

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Rechte, soweit das RHPflG nicht Anwendung gefunden habe, der öffentlichen Armenpflege, und soweit diese ihre Verpflichtungen nicht habe vollständig erfüllen können, der Privatwohltätigkeit zugefallen. Keineswegs handele es sich dabei um Ausgaben, die i n gleicher Weise nur durch die Industrie veranlaßt würden. Vielmehr bestünden auch auf anderen Gebieten des Erwerbslebens eigentümliche Gefahren, für deren Folgen, wenn sie zur Bedürftigkeit des Betroffenen führten, nur die Gesamtheit und damit auch die der Industrie angehörenden W i r t schaftskreise einzutreten hätten. 8. Entlastung der Arbeiter von der Prämienzahlung gleichbedeutend mit Unterstützung Hilfsbedürftiger Daneben aber komme i n Betracht, daß die UV, u m ihrem Zwecke zu entsprechen, auch diejenigen zahlreichen Unfälle m i t berücksichtigen müsse, die zwar bei der Arbeit einträten, aber nicht durch die eigentümlichen Gefahren der Beschäftigung bedingt seien, vielmehr unabhängig davon in ganz gleicher Weise auch bei anderen nicht industriellen Beschäftigungen vorkämen. Indem auch die Folgen dieser Unfälle durch die U V gedeckt würden, werde durch diese, soweit Bedürftigkeit des Betroffenen eintrete, eine Ausgabe bestritten, die sonst auch i n Zukunft zulasten der öffentlichen Armenpflege ginge. Hiernach liege in der Zahlung desjenigen Teils der Prämie, der nach billiger Verteilung den Arbeitern zufallen würde, von diesen aber mit Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage nicht gefordert werden könne, eine Unterstützung Hilfsbedürftiger. 9. Konsequenz aus diesem Gedanken Die Pflicht der Fürsorge für Hilfsbedürftige aber könne wohl privatrechtlich als Folge eines Verschuldens den einzelnen treffen. Abgesehen davon sei diese Fürsorge eine Aufgabe, die als Ergebnis der modernen christlichen Staatsidee lediglich der Gesamtheit obliege. Es sei daher gerechtfertigt, den auf die Arbeiter fallenden Teil der VersPrämie, soweit er diesen selbst mit Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage nicht auferlegt werden könne, wenigstens zum größeren Teile aus öffentlichen Mitteln zu decken. 10. Endgültige Aufteilung

der Kosten im 1. Gesetzentwurf

I n Anlehnung an diese Ansicht nimmt der Gesetzentwurf i n § 1378 eine Verteilung i n Aussicht, nach der, soweit die Arbeiter nicht selbst zu 78

Vgl. oben S. 94 A n m . 73.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

einem Beitrage herangezogen werden, die VersPrämie zu 2/a von den Arbeitgebern und zu Vs aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten ist. V. Notwendigkeit einer äußeren Grenze zur Beurteilung der Heranziehbarkeit des Arbeiters in Gestalt der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) Ob ein Arbeiter — so fährt die Allgemeine Begründung fort 7 0 — m i t der Prämienzahlung zu verschonen sei, würde zwar i n jedem Einzelfall davon abhängig zu machen sein, ob sein Verdienst so hoch stehe, daß i h m nach Bestreitung der notwendigsten Lebensbedürfnisse noch ein Teil derselben zu freier Verwendung übrig bleibe, — eine Frage, die auch bei gleicher Lohnhöhe je nach den verschiedenen Verhältnissen sehr verschieden zu beantworten sei. Einleuchtend sei dabei, wie weiter betont wird, daß es undurchführbar wäre, über die Heranziehung oder Nichtheranziehung i n jedem einzelnen Falle zu entscheiden. Deshalb müsse eine bestimmte, äußerlich erkennbare Grenze gezogen werden, bis zu der allen Arbeitern ohne Rücksicht auf ihre individuellen Verhältnisse die Befreiung eingeräumt werde. Dann w i r d des weiteren die für unsere Untersuchungen nicht wesentliche Begründung dafür ausgeführt, weshalb der Entwurf die Befreiung von Beiträgen allen denjenigen einräumt, deren J A V die Summe von 750,— M nicht übersteigt (§13 Ziff. 1 des Entwurfs) bzw. die Arbeiter bei einem J A V zwischen 750,— M bis 1000,— M m i t Vs der Prämie (§ 13 Ziff. 2 des Entwurfs), mit einem solchen von über 1000,— M m i t Ve der Prämie belastet. VI. Untersuchung der Wege zur Beschaffung öffentlicher Mittel 1. Heranziehung des Staates Für die Frage, auf welchem Wege die zur Leistung des gedachten Prämienbeitrages erforderlichen öffentlichen Mittel beschafft werden sollen, zieht der Entwurf 8 0 i n Betracht, daß die Pflicht der Fürsorge für Hilfsbedürftige ihrer Entstehung und Natur nach nicht etwa ohne weiteres einer bestimmten, zufällig einen örtlich begrenzten Raum bewohnenden Gemeinschaft obliege. 79 80

7*

a. a. O., Nr. 41, S. 29. a. a. O., Nr. 41, S. 29—31.

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1. T e i l : Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Vielmehr sei es der Staat, der durch seine Gesetzgebung das Recht des Bedürftigen auf Unterstützung schaffe und trage, und auch die gemeindeweise Verteilung der daraus erwachsenden Last beruhe lediglich auf staatlicher Anordnung, kraft deren dieselbe nach Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit auf Provinzen, Kreise oder Gemeinden verteilt oder auch direkt vom Staat übernommen werden könne. 2. Untunlichkeit der Heranziehung örtlicher Gemeinden oder Verbände Zweckmäßigkeit und Billigkeit ließen es i n gleicher Weise als untunlich erscheinen, die Verpflichtung zu Prämienbeiträgen örtlichen Gemeinden oder Verbänden aufzuerlegen. a) Die Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes Die Heranziehung derjenigen Gemeinde, i n der der Arbeiter, für den der Prämienbeitrag zu leisten sei, seinen Unterstützungswohnsitz 81 habe, verbiete sich schon dadurch, daß es undurchführbar sei, für alle i n einem Unternehmen beschäftigten Arbeiter, von denen vielleicht die Mehrzahl ihren Unterstützungswohnsitz nicht am Sitz des Unternehmens, sondern i n anderen zahlreichen und weit entfernten Orten habe, die Prämienbeiträge von den einzelnen als Unterstützungswohnsitz verpflichteten Gemeinde einzuziehen. Es gebe namentlich Tausende von Arbeitern, die i n gewissen Jahreszeiten i n fern von ihrer Heimat belegenen, periodisch zahlreicher Arbeitskräfte bedürfenden Betrieben für eine Zeit lang Beschäftigung fänden, nach Beendigung derselben jedoch nicht i n ihre Heimat zurückkehrten, sondern bis zum Beginn der neuen Betriebsperiode anderswo ihren Unterhalt zu erwerben suchten. b) Die Gemeinde des Betriebsortes Statt der Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes diejenige heranzuziehen, i n der der Betrieb seinen Sitz habe, sei deshalb unmöglich, weil es zahlreiche kleine Gemeinden von einigen hundert Seelen gebe, innerhalb deren sich große industrielle Betriebsstätten befänden, die Tausende von Arbeitern beschäftigen, von denen indessen nur ein unbedeutender Bruchteil der Gemeinde der Betriebsstätte angehöre, während der weitaus größere Teil i n anderen benachbarten Gemeinden wohne. 81

Vgl. dzu oben S. 24.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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I n solchen Fällen würden die Gemeinden der Betriebsstätte schlechterdings außerstande sein, die Prämienbeiträge für die innerhalb ihrer Grenzen beschäftigten Arbeiter aufzubringen. c) Die Gemeinde des Wohnsitzes des Arbeiters Dasselbe Bedenken spreche auch gegen die Heranziehung der Gemeinden, i n denen die versicherten Arbeiter zur Zeit ihren Wohnsitz haben; denn es gebe i n der Nähe großer industriereicher Städte und i n der Umgebung von Anlagen anderer Großindustrien viele Gemeinden, deren Einwohnerschaft zum Großteile aus den i n jenen beschäftigten Arbeitern bestehe und deren Heranziehung zur Prämienzahlung gerade die Belastung derjenigen zur Folge haben würde, die das Gesetz u m ihrer Leistungsunfähigkeit w i l l e n von Beiträgen befreit wissen wolle. d) Die Heranziehung größerer Verbände Der Entwurf prüft nunmehr die Frage, ob — angesichts der nicht tunlichen Belastung örtlicher Gemeinden und Verbände m i t den fraglichen Prämienbeiträgen — hierfür größere Verbände und besonders diejenigen der i n den meisten Bundesstaaten nach Maßgabe des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz 82 gebildeten Landesarmenverbände heranzuziehen seien, deren Leistungsfähigkeit bei ihrer meist erheblichen Ausdehnung außer Zweifel stehe. Durch ihre Heranziehung erfahre bis zu einem gewissen Grade die Ungleichmäßigkeit, m i t der unter den gegenwärtigen industriellen Verhältnissen die lokalen Verbände von der Armenlast betroffen würden, eine gewünschte Ausgleichung. Diese Frage w i r d jedoch ablehnend beantwortet 88 . Denn gegen die Heranziehung der Landesarmenverbände spreche, abgesehen von dem äußeren Grunde, daß nicht i n allen Bundesstaaten derartige Verbände vorhanden seien, die entscheidende Erwägung, „daß durch Heranziehung der Träger der öffentlichen Armenlast zu den erforderlichen Beiträgen die ganze Maßnahme i n den Augen der Arbeiter leicht den Charakter einer gewöhnlichen Armenunterstützung erhalten würde, während es sich i n der That darum handelt, die Lage einer ganzen Bevölkerungsklasse u m des öffentlichen Interesses w i l l e n unter Mitverwendung öffentlicher M i t t e l einer Besserung entgegen zu führen, eine Maßregel, welche m i t der auf die Beseitigung unmittelbar gegen-

82 83

Vgl. oben S. 24. a. a. O., Nr. 41, S. 30.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

wärtiger Noth beschränkte Armenunterstützung nicht auf eine Linie gestellt werden kann" 8 4 . 3. Die Gewährung von Prämienbeiträgen unmittelbar aus Staatsmitteln des Reichs Führe diese Erwägung dazu, die Prämienbeiträge, die zur Durchführung der Maßregel erforderlich seien, unmittelbar aus Staatsmitteln zu gewähren, so erscheine es m i t Rücksicht auf die Finanzlage der einzelnen Bundesstaaten und die Abhängigkeit der Finanzen des Reichs von denselben angezeigt, die neue, durch die Reichsgesetzgebung begründete Last auch unmittelbar auf das Reich zu übernehmen. V I I . Errichtung einer Reichsversicherungsanstalt Die Einführung einer Verpflichtung zur UV, so führt der Entwurf weiter aus 85 , mache auch eine Fürsorge dafür erforderlich, daß die Erfüllung derselben allen Verpflichteten i n gleicher Weise ermöglicht werde, die den Zweck m i t möglichst geringen Opfern erreiche und sicherstelle. Dies solle durch die Errichtung einer ReichsVersAnstalt geschehen 86 , i n der die gesamte U V vereinigt werden solle. 1. Nachteilhaftigkeit bestehender PrivatVersAnstalten und der Unternehmen selbst gebildeter UV-Genossenschaften Eine unter öffentlicher Garantie und Verwaltung stehende VersAnstalt, deren Benutzung jedem Verpflichteten offen stünde, sei auch dann nicht zu entbehren, wenn die Versicherung bei Privatgesellschaften und Anstalten zugelassen würde. M i t der Begründung einer allgemeinen VersPflicht sei an sich die berechtigte Forderung gegeben, daß die Verpflichteten i n die Lage versetzt werden, ihrer Verpflichtung genügen zu können, ohne der Privatspekulation anheim zu fallen. 2. Durchführung der Versicherung durch bereits bestehende UV-Genossenschaften der Unternehmer Allerdings biete die Bildung von UV-Genossenschaften, wie sie neuerdings hier und da schon entstanden seien 87 , den Unternehmern ein Mittel, dieser Gefahr zu begegnen. 84

a. a. O., Nr. 41, S. 30/31. a. a. O., Nr. 41, S. 31. 86 § 3 des 1. Gesetzentwurfs (a. a. O., Nr. 41, S. 4) lautet: Die Reichsversicherungsanstalt hat ihren Sitz i n Berlin. 87 Dazu oben S. 36. 85

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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a) Vorzüge dieser Genossenschaften Dieselben böten den Vorzug, daß das gemeinsame Interesse aller Mitglieder an der möglichsten Minderung der i n die Genossenschaftskasse zu zahlenden Beiträge und damit an der Verminderung der Betriebsunfälle i n allen der Genossenschaft angehörenden Betrieben einen wirksamen Antrieb zu einer gegenseitigen Beaufsichtigung der Betriebe enthalte und damit dem Staate die Möglichkeit gebe, solchen Genossenschaften gewisse Aufsichtsfunktionen zur eigenen Wahrnehmung zu überlassen. b) Nachteilhaftigkeit dieser Genossenschaften Jedoch könnten solche Vereinigungen i n zweckmäßiger Weise nur da gebildet werden, wo eine größere Anzahl gleichartiger Unternehmen i n einem Bezirke von nicht zu großer Ausdehnung vorhanden seien. Die zahlreichen Unternehmen, die entweder überhaupt isoliert belegen oder wenigstens von anderen Unternehmen gleicher A r t örtlich weit getrennt seien, könnten sich dieses Mittels nicht bedienen, und würden daher, wenn es an einer öffentlichen VersAnstalt fehlen sollte, auf die Benutzung von Privatanstalten angewiesen sein. Und selbst diese A r t der Versicherung würde, so hebt die EntwurfsBegründung 88 hervor, nicht allen Verpflichteten offen stehen, „da es Industriezweige gibt, welche wegen der besonderen mit ihnen verbundenen Gefahren von keiner PrivatVers Anstalt zugelassen werden, während sie bei der geringen Zahl der ihnen angehörenden Unternehmungen eine lebenslängliche VersGenossenschaft zu bilden außerstande sind". 3. Notwendigkeit einer öffentlichen VersAnstalt unter Ausschluß privater Vers Anstalten Obwohl diesen Verhältnissen schon durch Errichtung einer öffentlichen VersAnstalt ohne Ausschluß privater Anstalten und Gesellschaften Rechnung getragen werden könne, so werde doch die letztere Maßnahme durch weitere i n der Natur der beabsichtigten Regelung begründete Rücksichten geboten. 4. Nachteilhaftigkeit der Beteiligung privater VersGesellschaften Abgesehen davon, daß ohne eine ausschließlich öffentliche VersAnstalt die Durchführung des allgemeinen VersZwanges auf kaum überwind8

a. a. O., Nr. 41, S. 31

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

liehe Schwierigkeiten stoßen würde, müsse auch, sobald ein solcher Zwang geübt werde, allen Beteiligten die Sicherheit gegeben werden, die nur staatliche Einrichtungen unter Garantie des Reichs bieten könnten und „die Wohlfeilheit, welche durch den Verzicht auf jeden geschäftlichen Gewinn ermöglicht wird. Das Gesetz aber darf den Versicherten nicht nötigen, seinen Unfall zur Unterlage für Dividende herzugeben" 89. Keine noch so kulante Privatanstalt, möge sie i n der Form eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens oder i n derjenigen einer auf Gegenseitigkeit gegründeten Gesellschaft auftreten, könne bei einem VersZweige, dessen statistische Unterlagen noch wenig sicher und vollständig seien, diejenige Garantie starker Leistungsfähigkeit bieten, wie sie das öffentliche Interesse und dasjenige der Arbeiter erforderten. Selbst die strengste gesetzliche Regelung und die schärfste staatliche Beaufsichtigung des PrivatVersWesens würden die Gefahr nicht ausschließen, daß VersAnstalten und -Gesellschaften infolge einer Reihe ungünstiger Geschäftsjahre zahlungsunfähig würden 9 0 . Damit gingen die bei ihnen versicherten Arbeiter, die bereits A n sprüche erworben hätten, der ihnen vom Gesetz zugedachten Wohltat verlustig und fielen der öffentlichen Armenpflege zur Last. Diese Gefahr sei u m so bedenklicher, als die versicherten Leistungen i n Renten bestünden, die i n ihrer Dauer sehr ungewiß und schwer zu berechnen seien; demnach sei eine drohende Zahlungsunfähigkeit nicht leicht zu erkennen: eine (private) Vers Anstalt könne noch i n scheinbar günstigem Betriebe stehen, während tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit unvermeidlich bevorstehe. 5. Fehlen dieser Nachteilhaftigkeit bei einer Reichsversicherungsanstalt Diese Gefahr der Zahlungsunfähigkeit sei bei einer ReichsVersAnstalt selbstverständlich ausgeschlossen. Die statistischen Unterlagen seien zwar für den Betrieb der ReichsVersAnstalt nicht vollständiger und sicherer als die für die Privatanstalten sein würden. Die Konzentration der gesamten U V bei einer einzigen Anstalt gewähre jedoch den großen Vorteil, daß die günstigen und ungünstigen 89

So die Allgemeine Begründung des 1. Entwurfs, a. a. O., Nr. 41, S. 32. E i n ungünstiges Geschäftsjahr könne, wie der E n t w u r f (a. a. O., Nr. 41, S. 32) ausführt, u m so leichter eintreten, je kleiner der Geschäftsumfang der einzelnen Anstalten infolge der Konkurrenz werde. 90

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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Wirkungen der Fehler, die bei der Feststellung der Prämientarife zunächst unvermeidlich gemacht würden, sich i n viel höherem Maße ausglichen, als dies bei (privaten) VersAnstalten m i t einem durch Konkurrenz beschränkten und vielfach einseitigen Betriebe vorauszusetzen sei. Die Konzentration der U V i n einer großen Anstalt werde nicht nur die sicherste Prämienbemessung ermöglichen, sondern auch die gerechteste Verteilung auf die verschiedenen Industriezweige. Sie müsse, wenn diese Anstalt eine Reichsanstalt sei, und als solche auf jeden Geschäftsgewinn verzichte, bei vorauszusetzender guter Verwaltung zu einer so billigen Versicherung führen, wie sie m i t der Sicherheit der versicherten Ansprüche überhaupt vereinbar sei, zumal auch die Verwaltungskosten durch die vorteilhafteste Ausnutzung des Verwaltungsapparates sowie durch die Einfachheit der Regelung der Vers Verhältnisse und der Abwicklung der Entschädigungsansprüche, die durch den öffentlichen Charakter der Anstalt bedingt sei, auf den möglichst niedrigen Betrag zurückgeführt werden könnten. 6. Möglichkeit der Bildung von UV-Genossenschaften innerhalb der Reichsversicherungsanstalt Wenn auch die gesamte durch das Gesetz geforderte U V ausschließlich bei der ReichsVersAnstalt erfolgen solle und daher neben der letzteren auch die oben erwähnten UV-Genossenschaften als selbständige Einrichtungen nach diesem 1. Gesetzentwurf nicht zugelassen seien, so werde dennoch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß innerhalb des Rahmens der ReichsVersAnstalt Organisationen angebracht werden, durch die i m wesentlichen die von jenen (privaten) Genossenschaften zu erwartenden Vorteile erreicht werden könnten 9 1 . 91 Vgl. a. a. O., Nr. 41, S. 33. Der diese Frage regelnde § 56 (a. a. O., Nr. 41, S.15)lautet: (Abs. 1) Unternehmen v o n Betrieben derselben Gefahrenklasse i n r ä u m lich abgegrenzten Bezirken k a n n gestattet werden, zum Zwecke der U V auf Gegenseitigkeit zusammenzutreten. (Abs. 2 — 6 ) . . . Hierzu w i r d i n der Besonderen Begründung (a. a. O., Nr. 41, S. 54) angeführt, daß — w e n n es auch f ü r jetzt u n d vorbehaltlich weiterer E r fahrungen untunlich erscheine, i n den Rahmen der durch den E n t w u r f vorgesehenen Regelung der U V UnfallVersGenossenschaften m i t v ö l l i g selbständigen, v o n der ReichsVersAnstalt unabhängigem Geschäftsbetrieb einzufügen — es doch wünschenswert erscheine, die Möglichkeit der B i l d u n g v o n Genossenschaften m i t beschränkter Selbständigkeit schon jetzt vorzusehen. Diese solle sich so vollziehen, daß Unternehm e r n m i t Betrieben derselben Gefahrenklasse innerhalb eines r ä u m lich begrenzten Bezirks gestattet werden könne, sich zu Genossenschaften zu vereinigen, die statt der nach den gesetzlichen Bestimmungen

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

V I I I . Begrenzung der weiteren Untersuchungen auf die Darstellung des Ringens um die Ablösung des Haftpflichtrechts sowie der grundlegenden Voraussetzungen zur Durchsetzung dieses Vorhabens Es bedarf kaum der Erwähnung, daß auch schon i m 1. Gesetzentwurf besonders eingehende Überlegungen der Frage gewidmet sind, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Schadensersatz zu leisten sei, d.h. insbesondere, welchen Prozentsatz man dem Verletzten von seinem früheren Arbeitsverdienst als Rente bewilligen solle, wenn er infolge des Unfalls voll erwerbsunfähig geworden war. Da unsere Untersuchungen jedoch hauptsächlich einer Beantwortung der Frage gewidmet sind, was i n Gestalt der gesetzlichen U V grundsätzlich Neues entstanden ist und dies grundsätzlich Neue vor allem in dem Eingriff in das bestehende Haftpflichtrecht gesehen wird, stellen sich Fragen der Leistungshöhe als weniger wichtig dar. Sie sollen deshalb hier nicht behandelt werden. Wichtig erscheinen uns jedoch i m Zusammenhang m i t der Darstellung des Ringens u m die Ablösung des Haftpflichtrechts sowie der grundlegenden Voraussetzungen zur Durchsetzung dieses Vorhabens die §§ 11, 15, 35, 45, 46, 47, 48 und 58 des 1. Gesetzentwurfs, deren nähere Untersuchung nunmehr erfolgen soll. I X . Zwangsversicherung in Form der Kollektivversicherung §11 des 1. Gesetzentwurfs 92 setzt eine Kollektiv Vers, für sämtliche zu versichernden Personen der i n § 1 bezeichneten Betriebe fest. I n der Besonderen Begründung hierzu 93 heißt es, es solle also nicht jede einzelne i n einem Betrieb beschäftigte Person individuell versichert werden. Vielmehr solle durch die für den ganzen Betrieb einbemessenen Prämienbeträge der vereinigten Betriebe f ü r jede Zahlungsperiode diejenigen Summen an die ReichsVersAnstalt abzuführen hätten, die erforderlich seien, u m die während dieser Periode i n folge der i n den vereinigten Betrieben eingetretenen Unfälle festgestellten Entschädigungsansprüche zu decken. Jedoch könnten die näheren Bestimmungen über die Voraussetzung der Zulassung solcher Genossenschaften usw. erst dann erlassen werden, w e n n die V e r w a l t u n g der ReichsVersAnstalt selbst bereits geregelt sei. 92 §11 (a.a.O., Nr. 41, S. 6) lautet: (Abs. 1) F ü r jeden der i n § 1 bezeichneten Betriebe findet eine sämtliche zu versichernde Personen umfassende K o l l e k t i v Vers, gegen eine feste Prämie s t a t t , . . . (Abs. 2) . . . a. a. O., Nr. 41, S. .

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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tretende Versicherung jede zur Zeit des Unfalls i n demselben beschäftigte Person, die dem VersZwang unterliege, gedeckt sein. X . Begründung des Versicherungsverhältnisses Gemäß § 15 des Entwurfs bedarf es zur Begründung des VersVerhältnisses nicht eines Vertragsabschlusses 94 , vielmehr t r i t t jeder Betrieb m i t allen darin beschäftigten, dem VersZwang unterliegenden Personen, ohne weiteres m i t dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bzw. der Eröffnung des Betriebes i n die Versicherung ein 95 . X I . Haftungsausschluß zu Lasten des Unfallverletzten oder seiner Hinterbliebenen 2. Die Regelung im Entwurf Die Frage eines Haftungsausschlusses der ReichsVersAnstalt w i r d i n §35 des Gesetzentwurfs 96 geregelt: Die Existenz des Entschädigungsanspruchs ist nach den früheren, hier dargelegten Bestimmungen des Entwurfs lediglich davon abhängig, daß der Unfall i n einem unter § 1 fallenden Betriebe vorgekommen ist, daß der Verletzte zu den darin beschäftigten, dem VersZwang unterliegenden Personen gehört und daß eine Beschäftigung vorliegt, für welche Entschädigung zu leisten ist. Der Entschädigungsanspruch soll nun aus den bereits erörterten Gründen 9 7 der Schutzbedürftigkeit des Arbeiters und seiner Hinterbliebenen nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der Unfall durch eigenes Verschulden 98 des Verletzten herbeigeführt ist. Der Entwurf erkennt einen Entschädigungsanspruch allein i n dem Falle nicht an, daß sich der Verletzte die Verletzung vorsätzlich selbst zugefügt hat oder durch einen anderen hat zufügen lassen.

94 § 15 des 1. Gesetzentwurfs (a. a. O., Nr. 41, S. 7) lautet: Die unter § 1 fallenden, zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Betriebe treten m i t diesem Zeitpunkte, später entstehende m i t dem Zeitpunkte ihrer Eröffnung i n die Versicherung ein. 95 Vgl. hierzu die Spezialbegründung, a. a. O., Nr. 41, S. 45. 96 § 35 des 1. Gesetzentwurfs (a. a. O., Nr. 41, S. 11) lautet: (Satz 1) Dem Verletzten steht ein Anspruch i n Gemäßheit dieses Gesetzes nicht zu, w e n n er vorsätzlich die Verletzung sich zugefügt hat oder durch einen anderen hat zufügen lassen. (Satz 2) Die Ansprüche der Hinterbliebenen werden hierdurch nicht berührt. 97 Oben S. 93 f. 98 Hierunter sind Verschuldensgrade bis zur groben Fahrlässigkeit zu v e r stehen.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

2. Spuren des alten Haftpflichtrechts

in dieser Regelung

Hier begegnet uns also i n abgewandelter Form der bereits i m RHPflG i n § 1 zugunsten des Eisenbahnbetriebsunternehmers vorgesehene Entlastungsbeweis des Leistungspflichtigen wieder, der zu den Grundsätzen eines jeden Haftpflichtrechts gehört und deshalb auch Bestandteil einer die Haftpflicht ablösenden Versicherung sein muß: „quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intelligitur damnum sentire" 0 9 . Der haftungsausschließende Verschuldensgrad ist i m Entwurf zugunsten des Arbeiters auf „Vorsatz" festgesetzt. Jedoch soll nicht einmal die vorsätzliche Selbstzufügung der Verletzung die Ansprüche der Hinterbliebenen berühren. X I I . Verbliebene Haftpflichtigkeit des Unternehmers Umgekehrt lassen die §§46, 47 eine Pflichtigkeit des Unternehmers bestehen, § 46 100 zugunsten der versicherten Personen und deren Hinterbliebenen, § 47 101 zugunsten der ReichsVersAnstalt. 1. Grundsätzliche Eliminierung

der Haftung

I n der Begründung zu § 46 w i r d ausgeführt 102 , daß der Entwurf neben der Sicherung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Konsequenzen der Unfälle das Ziel verfolge, alle Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über Entschädigungsansprüche, die den letzteren aus Unfällen erwachsen, zu beseitigen. Bei dem reichlichen Ersatz, den die Arbeiter für die ihnen nach dem bisher geltenden Rechte zustehenden, i n ihrer Realisierung höchst unsicheren Entschädigungsansprüche da99 Vgl. oben S. 27 i m Zusammenhang m i t § 1 RHPflG: „ . . . , so haftet der Betriebsunternehmer f ü r d e n . . . Schaden, sofern er nicht beweist, daß der U n f a l l . . . durch eigenes Verschulden des Getöteten oder Verletzten v e r ursacht ist." 100 § 46 (a. a. O., Nr. 41, S. 13) lautet: (Satz 1) Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen u n d deren Hinterbliebene können gegen den Betriebsunternehmer, i n dessen Betrieb sie beschäftigt waren, einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls erlittenen Schadens nur dann geltend machen, w e n n derselbe den U n f a l l vorsätzlich herbeigeführt hat. (Satz2) . . . 101 § 47 (a. a. O., Nr. 41, S. 13) lautet: (Abs. 1) H a t der Betriebsunternehmer den U n f a l l vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobes Verschulden verursacht, so ist er verpflichtet, der ReichsVersAnstalt alle Aufwendungen zu erstatten, welche dieselbe i n Folge des Unfalls aufgrund dieses Gesetzes zu machen hat. (Abs. 2), (Abs. 3) . . . 102 a. a. O., Nr. 41, S. 51.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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durch erhielten, daß ihnen für jeden aus einem Unfall entstehenden Schaden selbst i n dem Falle eigenen Verschuldens eine zwar begrenzte, aber vollkommen sichere Entschädigung gewährt werde, erscheine es gerechtfertigt, grundsätzlich alle Entschädigungsansprüche, die in Veranlassung eines Unfalls gegen den Arbeitgeber nach bisherigem Recht erhoben werden konnten, aufzuheben. N u r i n dem Falle, daß der Arbeitgeber den Unfall absichtlich 108 herbeigeführt habe, solle der Beschädigte, der auch i n diesem Falle von der ReichsVersAnstalt die nach diesem Gesetzentwurf bemessene Entschädigung erhalte, die Differenz zwischen der letzteren und der nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften 1 0 4 zu leistenden Entschädigung von dem Betriebsunternehmer zu fordern berechtigt sein. 2. Rückgriffshaftung des Unternehmers zugunsten der ReichsVersAnstalt Zur Begründung des § 47 105 w i r d dargelegt, daß angesichts der beabsichtigten Regelung der UV, das Verhalten des Unternehmers auf das Maß der i h m aus Betriebsunfällen erwachsenden Ausgaben nicht mehr von unmittelbarer Bedeutung sein zu lassen, das Bedenken entstehe, daß die heilsame Einwirkung, die die bisherige Haftpflicht auf die Tätigkeit der weniger gewissenhaften Unternehmer zur Verhütung von Unfällen bisher ausgeübt habe, künftig verloren gehe. U m diesen Bedenken entgegenzutreten, solle der Unternehmer nicht nur dann, wenn er den Unfall vorsätzlich, sondern bereits dann, wenn er denselben durch grobes Verschulden herbeigeführt habe, zur Erstattung der Ausgaben verpflichtet werden, die der Reichs VersAnstalt i n Folge des Unfalls erwachsen seien. X I I I . Weiterer Bestand des gemeinen Haftpflichtrechts bezüglich der Ansprüche gegen Dritte Ebenso soll der Anspruch des Verletzten gegen einen Dritten, der den Unfall verschuldet hat, auf der Grundlage des gemeinen Rechts gemäß § 48 106 aufrecht erhalten werden. Da der Verletzte aber auch i n diesem 108 Da die Besondere Begründung zu § 46 (a. a. O., Nr. 41, S. 51) lediglich das Gesetz erläutert, m i t h i n keine eigene Rechtsquelle darstellt, §46 Satz 1 des Entwurfs jedoch n u r v o n „vorsätzlicher" Herbeiführung des Unfalls spricht, ist hier Absicht = Vorsatz zu setzen. 104 Gemeint sind v o r allem die Haftungsvorschriften zivilrechtlichen I n halts nach den einzelnen Landesrechten, die gem. § 9 RHPflG ohnehin v o n den Haftungsvorschriften der §§1,2 RHPflG unberührt blieben. 105 a. a. O., Nr. 41, S. 51/52. 106 § 48 (a. a. O., Nr. 41, S. 13) lautet:

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1. T e i l : Die Entwicklung bis zum U V G 1884

F a l l e die gesetzliche E n t s c h ä d i g u n g v o n der R e i c h s V e r s A n s t a l t e r h ä l t , s o l l sein A n s p r u c h gegen d e n D r i t t e n i n t a n t u m auf diese übergehen. X I V . K e i n e U m g e h u n g der V o r s c h r i f t e n d u r c h V e r t r a g etc. G e m ä ß § 45 des G e s e t z e n t w u r f s 1 0 7 i s t es d e n U n t e r n e h m e r n n i c h t ges t a t t e t , die A n w e n d u n g der gesetzlichen V o r s c h r i f t e n d u r c h V e r t r ä g e etc. z u u m g e h e n . Diese V o r s c h r i f t soll, w i e es i n der B e g r ü n d u n g h i e r z u h e i ß t 1 0 8 , v e r h ü t e n , daß die U n t e r n e h m e r die i h n e n gesetzlich o b l i e g e n d e n L e i s t u n g e n d e n v o n i h n e n b e s c h ä f t i g t e n Personen a u f b ü r d e n . X V . Schicksal der m i t P r i v a t V e r s A n s t a l t e n abgeschlossenen V e r s V e r t r ä g e Die Frage, ob bereits abgeschlossene PrivatVersVerträge oder erlöschen sollen, regelt § 58 des E n t w u r f s 1 0 9 .

weiterbestehen

U m nicht Betriebsunternehmer, so heißt es i n der dazu gehörigen Begründung 1 1 0 , die ihre Arbeiter, u n d Arbeiter, die sich selbst bei bestehenden (Satz 1) Die Haftung eines Dritten, welcher den U n f a l l vorsätzlich herbeigeführt oder durch Verschulden verursacht hat, bestimmt sich nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften. (Satz 2) Jedoch geht die Forderung der Entschädigungsberechtigten i n soweit auf die ReichsVersAnstalt über, als die Verpflichtung der letzteren zur Entschädigung nach diesem Gesetz begründet ist. 107 § 45 (a. a. O., Nr. 41, S. 13) lautet: (Satz 1) Die Betriebsunternehmer sind nicht befugt, die A n w e n d u n g der Bestimmungen dieses Gesetzes zu i h r e m V o r t e i l durch Verträge ( m i t telst Reglement oder besonderer Übereinkunft) i m voraus auszuschließen oder zu beschränken. (Satz 2) Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift zuwiderlaufen, haben keine rechtliche W i r k u n g . 108 a. a. O., Nr. 41, S. 51. 109 § 58 (a. a. O., Nr. 41, S. 16) lautet: (Abs. 1) VersVerträge, welche v o n Betriebsunternehmern oder solchen Personen, die nach § 1 zu versichern sind, gegen die Folgen der die letzteren treffenden, i n diesem Gesetz bezeichneten Unfälle m i t P r i v a t VersAnstalten geschlossen sind, erlöschen, w e n n sie am 15. März 1881 oder später abgeschlossen sind, vier Wochen nach dem I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes, sofern nicht der V N v o r A b l a u f dieser Frist der P r i v a t VersAnstalt gegenüber erklärt, daß der VersVertrag bestehen bleiben solle. (Abs. 2) Sind die VersVerträge vor dem 15. März 1881 abgeschlossen, so gehen die Rechte u n d Pflichten der V N auf die ReichsVersAnstalt über, w e n n dieselben dies bei der zuständigen Verwaltungsstelle der ReichsVersAnstalt beantragen. Unberührt läßt diese Vorschrift die nach §§ 53, 54, 55 des Entwurfs möglichen Zusatzversicherungen i n der ReichsVersAnstalt auf privatrechtlicher Ebene, die der E n t w u r f deswegen gestattet, u m Arbeiterkreisen, die nicht unter § 1 des Gesetzes fallen würden, eine VersMöglichkeit zu bieten sowie bereits versicherten A r b e i t e r n die Chance zu geben, sich durch freiwillige Prämienleistungen besserzustellen, um so mehr „als es zweifelhaft erscheint, ob nach

. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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(privaten) U V - A n s t a l t e n versichert haben, zu nötigen, nach I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes doppelte VersBeiträge zu zahlen, müsse ihnen die Möglichkeit geboten werden, sich ihrer Verpflichtungen aus den VersVerträgen zu entledigen. Deshalb sollen alle VersVerträge, die nach dem Zeitpunkt, m i t dem durch Einbringung dieses Entwurfs die beabsichtigte neue Regelung allgemein bekannt werde, abgeschlossen werden, vier Wochen nach I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes erlöschen, sofern nicht die V N vor A b l a u f dieser Frist der VersAnstalt gegenüber erklären, daß der Vertrag bestehen bleiben solle. Die Begründung hebt w e i t e r h i n hervor, daß eine gleiche Bestimmung der vor jenem Z e i t p u n k t abgeschlossenen Verträge eine unbillige Schädigung der VersAnstalten enthalten würde. Diese Verträge sollten daher auch nach I n k r a f t t r e t e n des Gesetzes aufrecht erhalten bleiben, es solle aber denjenigen VersNehmern, die nicht etwa neben der Zwangs Vers, auch die bisherige PrivatVers. aufrecht erhalten wollten, die Möglichkeit geboten werden, durch eine an die Reichs VersAnstalt zu richtende E r k l ä r u n g den Übergang ihrer Rechte u n d Pflichten aus dem VersVerträge auf die Reichs VersAnstalt herbeizuführen.

Zweiter Unterabschnitt Der Bericht der X I I I . Kommission ü b e r d e n 1. G e s e t z e n t w u r f 1 1 1

I. Grundlegende Billigung des VersZwangs durch eine allgemeine obligatorische UV Die Majorität der Kommission zeigte sich von Anfang an bereit, i n Ubereinstimmung m i t dem Regierungsentwurf die Einführung einer allgemeinen obligatorischen U V gutzuheißen. Sie erblickte darin ein geeignetes M i t t e l zur Beseitigung der dargelegten Mängel des RHPflG. dem Inkrafttreten des Gesetzes die UV für Arbeiter noch ein ausreichendes Feld für lebensfähige PrivatVers Anstalten bieten wird", (so die Besondere Begründung zu §§ 53, 54, 55 des Gesetzentwurfs, a. a. O., Nr. 41, S. 52). 110 a. a. O., Nr. 41, S. 54. 111 Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 3, Nr. 159, S. 1—39: Stellungnahme zu jeder einzelnen Vorschrift des 1. Regierungsentwurfs m i t A b stimmung der Kommissionsmitglieder, S. 40—47, Anlagen A — D ; S. 49—83: Zusammenstellung des 1. Entwurfs m i t den Beschlüssen der X I I I . Kommission. Eine Generaldiskussion über den 1. E n t w u r f fand nicht statt, da die überwiegende Mehrzahl der Kommissionsmitglieder zu Recht meinte, daß sämtliche Gesichtspunkte prinzipieller A r t bei der Debatte über § 1 des 1. Entwurfs zur Sprache kommen würden, u n d daher auch diejenigen Mitglieder, die dem Gesetzentwurf von vornherein ablehnend gegenüberstanden, Gelegenheit finden würden, ihrer Auffassung Ausdruck zu geben. Vgl. hierzu auch die Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 1 u. 2, i n denen die Diskussionsbeiträge zum 1. Gesetzentwurf i m Rahmen von 3 Beratungen abgedruckt sind. A u f die 1. Beratung entfielen 3 Sitzungen (a.a.O., l . B d . , S. 673—756), auf

12

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884 I I . Reformvorschläge hinsichtlich des bestehenden Haftpflichtrechts zur Beibehaltung desselben

Jedoch n a h m eine M i n o r i t ä t d e n S t a n d p u n k t ein, daß a n d e n bestehend e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n i n G e s t a l t des R H P f l G f e s t z u h a l t e n , d i e A b s t e l l u n g seiner M ä n g e l i n e i n e r R e f o r m z u suchen s e i 1 1 2 . l.Der

„Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für Tötungen und Verletzungen im Gewerbebetrieb"

M i t der B e g r ü n d u n g , daß es b e d e n k l i c h sei, d e n b i s h e r i g e n W e g der Gesetzgebung g ä n z l i c h z u verlassen u n d e i n e n v ö l l i g n e u e n z u b e t r e t e n , w u r d e der K o m m i s s i o n der „ E n t w u r f eines Gesetzes, b e t r e f f e n d die V e r b i n d l i c h k e i t v o n Schadensersatz f ü r T ö t u n g e n u n d V e r l e t z u n g e n beim Gewerbebetrieb" 113 vorgelegt.

die 2. Beratung 4 Sitzungen (a. a. O., 2. Bd., S. 1441—1665), auf die letzte Beratung eine Sitzung (a. a. O., 2. Bd., S. 1746—1784). Dortselbst w u r d e n i m großen u n d ganzen — gewürzt durch die Polemik der politischen Auseinandersetzung — n u r dieselben Denkmodelle bezüglich der Errichtung einer U V geäußert, w i e sie sich i m Kommissionsbericht w i e derfinden. 112 Als Beispiel f ü r diese Tendenz möge der A u s r u f des Abg. Dr. B a m berger während der 1. Beratung des 1. Entwurfs i m R T - P l e n u m (27. Sitzung a m 1.4.1881, Sten.Ber. RT, 4. Leg.Per., 4. Sess. 1881, Bd. 1, S. 675) dienen: „ I c h halte es f ü r den natürlichsten Gedanken eines jeden Gesetzgebers, daß, wenn er auf Mängel stößt, er nicht zunächst frage: Wie werfen w i r das Gesetz um, das w i r gemacht haben v o r 10 Jahren, sondern w i e bilden w i r es weiter aus?" 118 § 3 dieses E n t w u r f s (a. a. O., Nr. 159, A n l . A , S. 41) lautet: (Abs. 1) (Satz 1) Jeder i n einen der i n § 1 bezeichneten Betriebe eintretende A r b e i t e r . . . ist berechtigt, von dem Betriebsunternehmer wegen der aus diesem Gesetz resultierenden eventuellen Verpflichtungen Sicherheitsbestellung zu fordern. (Satz 2) Das gleiche Verlangen ist f ü r die eben bezeichneten Personen die untere Verwaltungsbehörde zu stellen berechtigt. (Abs. 2) (Satz 1) A l s solche Sicherheitsbestellung genügt der Nachweis einer auf Grundlage der Bestimmungen dieses Gesetzes abgeschlossenen Versicherung bei einer zum Geschäftsbetriebe i n Deutschland zugelassenen VersAnstalt auf privater oder genossenschaftlicher Grundlage. (Satz 2) Bis dahin, daß durch Gesetz f ü r Anstalten u n d Genossenschaften dieser A r t Normativbestimmungen festgestellt sind, bestimmt die höhere Verwaltungsbehörde, welche Anstalt oder Genossenschaft i. S. dieses Gesetzes als zugelassen zu erachten sind. Das Gesetz ist insgesamt abgedruckt i n A n l . A , a. a. O., Nr. 159, S. 40—42, und umfaßt die §§ 1—9.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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a) Verschärfung der Haftpflicht durch Einführung einer Gefährdungshaftung unter Ausschluß höherer Gewalt § 1 dieses Entwurfs erweitert zunächst den Kreis der zu begünstigenden Arbeiter und bestimmt sodann die Haftpflicht des Unternehmers dahin, daß derselbe für den entstandenen Schaden aufzukommen habe, „sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist." (§ 1 Abs. 1 des Entwurfs). b) Sicherheitsbestellung durch den Unternehmer für seine Leistungspflicht Daneben w i r d i n § 3 dieses Entwurfs den i n Betrieben der i n § 1 bezeichneten A r t eintretenden arbeitenden Personen das Recht zugesprochen, zu verlangen, daß der Unternehmer ihnen für die aus dem Gesetz resultierenden eventuellen Verpflichtungen Sicherheit bestelle. Hierzu soll die (private) Versicherung bei einer zum Geschäftsbetrieb i n Deutschland zugelassenen VersAnstalt ausreichen 114 . Klagen aus Arbeiterkreisen, so w i r d zur Begründung angeführt 115 , wegen mangelnder Deckung ihrer Ansprüche seien kaum laut geworden, jedenfalls rechtfertige es sich nicht, dieses eine Moment so sehr zu betonen, daß man, u m dem besagten Übelstande abzuhelfen, die obligatorische U V bei der monopolisierten ReichsVersAnstalt zum Ausgangspunkt der Neuregelung nehmen müsse. Wohl aber empfehle es sich, wie geschehen, dem Arbeiter das Recht, Sicherstellung seiner Ansprüche zu fordern, auf gesetzlichem Wege zuzuerkennen, nötigenfalls auch an seiner Statt die untere Verwaltungsbehörde mit der Verfolgung dieses Rechtsanspruchs zu betrauen 2. Gegenargumente der Befürworter

des Gesetzentwurfs

a) Stellungnahme gegen die Verschärfung des Haftpflichtprinzips Demgegenüber w i r d von Regierungsvertretern und von Komissionsmitgliedern geltend gemacht, daß ein Ausbau des RHPflG i m Sinne der Antragsteller nicht genügen könne 118 . Möge auch die Zahl der Prozesse 114

Siehe hier S. 112 A n m . 113. a. a. O., Nr. 159, S. 3. 116 So äußerte bereits der Abg. Dr. v. H e r t l i n g während der 1. Beratung des 1. Entwurfs i m R T - P l e n u m (Sten.Ber. RT, 27. Sitzung am 1.4.1881, 4.Leg.Per., 4. Sess. 1881, Bd. 1, S. 685): 115

8 v. Heinz

1

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

durch gutwillige Anerkennung der Ansprüche einigermaßen vermindert werden, so bilde doch das richterliche Erkenntnis und somit die Verfolgung des Anspruchs auf dem Rechtswege einen integrierenden Bestandteil des Entwurfs i. S. der Anlage A. Wenn es einerseits i n Zweifel gezogen werden müsse, ob die Industrie die ihr aus der auf diese Weise verschärften Haftpflicht erwachsenden Lasten zu tragen imstande sei, lasse andererseits der Ausschluß aller Unfälle, die durch „höhere Gew a l t " verursacht werden, die angestrebte Reform i n den Fällen versagen, wo, wie bei Massenunfällen, Hilfe vor allem notwendig sei. b) Bedenken gegen die Pläne der Sicherstellung Das Recht des Arbeiters auf Sicherstellung seiner Ansprüche werde vielfach wirkungslos bleiben, da weder er selbst noch die untere Verwaltungsbehörde imstande seien, demselben Geltung zu verschaffen. Niemand könne nämlich den Unternehmer daran hindern, den Arbeiter, der von diesem Recht Gebrauch mache, sofort zu entlassen, bevor es noch zu der geforderten Sicherstellung kommen könne. Zwar könne man vielleicht zugestehen, daß das Ziel, das die Antragsteller mit der Zuerkennung jenes Rechtes und der Veränderung der Beweispflicht anstrebten, von dem der Regierungsvorschläge soweit nicht abliege, jedoch sei der hierzu eingeschlagene Weg nicht nur unsicher und langwierig, sondern schon deshalb nicht zu empfehlen, weil es unmöglich zur Förderung des sozialen Friedens beitragen könne, dem Arbeiter ein Recht zuzuweisen, das er in vielen Fällen erst vom Arbeitgeber werde erzwingen müssen, statt ganz allgemein dem letzteren die jenem Recht entsprechende Pflicht durch Gesetz aufzuerlegen und mit der ZwangsAnstalt des Staates für die Durchführung des Gesetzes einzutreten 117.

„ I c h glaube, daß der Fehler des Gesetzes tiefer liegt, als daß er durch eine Änderung der Beweispflicht oder Ausdehnung der Betriebe, auf welche das Gesetz A n w e n d u n g hat, sich beseitigen ließe." Es stelle einen Widerspruch dar, einesteils legislatorische Gedanken des Gesetzes abzuleiten aus der E n t w i c k lung der modernen Industrie m i t ihren Elementarkräften, die gefährliche Maschinen i n Dienst stelle u n d die Arbeiter zwinge, die A r b e i t da u n d unter den Umständen anzunehmen, wo u n d unter welchen Umständen sie dieselbe vorfänden sowie den Unternehmer haftbar zu machen f ü r die Unfälle, die infolge des so eingerichteten Betriebes, der so beschaffenen A r b e i t sich ereigneten, anderenteils das Gesetz i n alten privatrechtlichen Anschauungen, die die Schuldfrage m i t hereinzögen, verhaftet bleiben zu lassen. Notwendigerweise müsse der einseitige Standpunkt der Deliktsobligation verlassen w e r den. 117 Der A n t r a g i. S. der A n l . A zu Nr. 159 a. a. O. wurde nach dem Schluß der Diskussion über § 1 des 1. Gesetzentwurfs der Regierung abgelehnt.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

115

I I I . Art und Weise der Durchführung des Versicherungszwangs Während über das Prinzip des VersZwangs eine ausschlaggebende Meinungsverschiedenheit i n der Kommission nicht hervortritt, indem auch die Gegner der Regierungsvorlage bereit sind, denselben — wenn auch auf dem dargelegten Umwege — einzuführen, gehen die Ansichten über die A r t und Weise, wie derselbe zu verwirklichen sei, weit auseinander. 1. Beteiligung der PrivatVersGesellschaften in verschieden hohem Ausmaße W i l l die Regierungsvorlage die Durchführung ausschließlich i n die Hand einer vom Reich zu errichtenden und für Rechnung desselben zu verwaltenden ReichsVersAnstalt gelegt wissen, so hält man es dagegen in einer Gruppe der genannten Kommission für möglich, die Durchführung völlig den privaten VersGesellschaften zu überlassen, die nur der Kontrolle der Behörden zu unterstellen und für die durch Reichsgesetz Normativbedingungen festzusetzen seien. Eine andere Gruppe von Mitgliedern will gleichfalls die Privatgesellschaften nicht ausschließen, betrachtet aber daneben ein konkurrierendes oder subsidiäres Eintreten einer öffentlichen VersAnstalt für unentbehrlich. Eine weitere Richtung bevorzugt VersAnstalten der Einzelstaaten. Demgemäß unterlagen der Diskussion neben dem Regierungsentwurf die nachfolgenden von Mitgliedern der Kommission eingebrachten A n träge, die alle eine Abänderung des § 1 der Vorlage anstrebten: 118 (1) Alle i n Bergwerken... (wie i n der Vorlage) sind bei von den Landesbehörden auf Grund von zu erlassenden Normativbestimmungen zu kontrollierenden Unfallversicherungs-Gesellschaften gegen die Folgen der beim Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes zu versichern. (2) Die Versicherung hat entweder bei einer, von einem Einzelstaate errichteten und für Rechnung desselben verwalteten VersAnstalt zu geschehen, oder bei einer anderen, der die Genehmigung vom Bundesrat erteilt ist, Versicherungen nach Maßgabe dieses Gesetzes zu übernehmen. Solchen VersAnstalten, die bei Erlaß dieses Gesetzes i m Gebiet des Reichs bestehen oder zum Geschäftsbetrieb zugelassen sind, kann die Genehmigung nur dann versagt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die 118

8*

Vgl. a. a. O., Nr. 159, S. 4/5.

1

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

die Annahme rechtfertigen, daß ihre Einrichtungen die erforderliche Sicherheit nicht besitzen. (3) Die Versicherung hat entweder bei der aufgrund dieses Gesetzes errichteten ReichsVersAnstalt oder bei einer anderen Anstalt zu geschehen, der von dem Bundesrat die Genehmigung erteilt ist, nach Maßgabe dieses Gesetzes Versicherungen zu übernehmen. Soweit nicht dieses Gesetz Normativbestimmungen für Anstalten letzterer A r t enthält oder bis solche durch die Reichsgesetzgebung festgestellt werden, hat der Bundesrat dieselben zu erlassen... Denjenigen Vers Anstalten, die bei Erlaß dieses Gesetzes i m Gebiete des Reichs bestehen, kann die Genehmigung nur dann versagt werden, wenn sie diesen Normativbestimmungen nicht genügen. (4) Alle i n Bergwerken... (wie i n der Vorlage) sind gegen die Folgen der beim Betrieb sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes zu versichern. Die Versicherung hat bei der von dem Bundesstaate, i n dem der Betrieb gelegen ist, zu errichtenden und für Rechnung desselben zu verwaltenden oder bei der von demselben zu bestimmenden, unter seiner Garantie stehenden VersAnstalt zu erfolgen. Mehrere Bundesstaaten können zur Errichtung einer für ihre gemeinsame Rechnung zu verwaltenden oder zur Übertragung des Geschäftskreises derselben an eine unter ihre gemeinschaftliche Garantie zu stellende VersAnstalt sich vereinigen. I n Verteidigung dieser Anträge (1)—(4) machten die Gegner des staatlichen VersMonopols geltend, daß man m i t dessen Einführung Gefahr laufe, aus dem Extrem i n Form des bisherigen Systems des Gehenlassens auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet i n das andere System der nicht weniger falschen Absorbierung aller freien Bewegung durch den Staat zu verfallen. Zwar solle auch hier der Staat durch seine Gesetzgebung regelnd und ausgleichend eintreten, die unmittelbare Realisierung des VersWesens sei jedoch i n erster Linie den beteiligten Kreisen zu überlassen. Erst wo die Selbsthilfe nicht mehr ausreiche und zugleich ein Interesse der Gesamtheit i m Spiele sei, dürfe die staatliche Administration eintreten. Durch das staatliche VersMonopol werde die in den letzten Jahren steigende Entwicklung des privaten Unfallversicherungswesens zerstört und auch auf anderen Gebieten, insbesondere im Bereich des Hilfskassenwesens, die freie Vereinstätigkeit vernichtet.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

2. Festhalten der Befürworter Einstellung gegen die Beteiligung

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des Gesetzentwurfs an der der PrivatVersGesellschaften

Demgegenüber hielten die Vertreter der Regierung daran fest, daß eine Beibehaltung der privaten VersAnstalten m i t der Absicht des Gesetzes unvereinbar sei. Hierbei wurden i m wesentlichen nur diejenigen Argumente angeführt, die w i r bereits oben erläutert haben 119 . M i t die größte Schwierigkeit lag nach Ansicht der Regierungsseite i n der Frage, in welcher Weise Normativbestimmungen zu erlassen seien und wie sich die Aufsicht des Staates über die PrivatVersGesellschaften gestalten solle. Auch hielt man auf Regierungsseite namentlich die Aktiengesellschaften für durchaus ungeeignet, die humanen Tendenzen des Entwurfs zu realisieren. I n ihrer Richtung auf Gewinn glaubte man von vorneherein einen unlösbaren Widerspruch gegen diese Tendenzen zu erblicken. 3. Vorschlag der Verfechter einer Beteiligung der PrivatVersGesellschaften durch Konzipierung von Normativvorschriften Gegenüber der wiederholt betonten Schwierigkeit, Normativbestimmungen für die zuzulassenden PrivatVersGesellschaften festzustellen, formulierte ein Mitglied der genannten Kommission bereits i n diesem Stadium der Verhandlungen einen entsprechenden Vorschlag 120 . 4. Rechtfertigung

der Beteiligung von Aktiengesellschaften

Auch der K r i t i k an den bestehenden Aktiengesellschaften wurde nachdrücklich widersprochen. Daß die ethische und humanitäre Aufgabe der Arbeiter-UV mit der auf Erwerb gerichteten Tendenz der Aktiengesellschaften nicht vereinbar sei, könne mit Recht nicht behauptet werden. Niemand nehme Anstoß z. B. an der Vereinigung beider Tendenzen i n der Berufstätigkeit des Arztes. Nur die freieste Konkurrenz könne die Gefahr beseitigen, daß gut eingerichtete und sorgfältig geleitete Betriebe überlastet würden zugunsten anderer, deren mangelhafte Leitung und Einrichtung die Gefahr der Unfälle vermehre. 119

Siehe oben S. 102 ff. (ab VII.). Abgedruckt a. a. O., Nr. 159, A n l . B, S. 43/44: „Vorschlag, betreffend den Erlaß v o n Normativbestimmungen f ü r PrivatVersAnstalten." F ü r unsere Untersuchungen ist lediglich von Bedeutung, daß diese Normativbestimmungen das PrivatVersWesen bestehen lassen, es jedoch unter verstärkte staatliche Kontrolle bringen lassen wollten. 120

1

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Die erforderliche Sicherheit der PrivatVersGesellschaften lasse sich sehr wohl dadurch erreichen, daß ihnen, namentlich den Aktiengesellschaften, die Deponierung von Deckungskapitalien für die fälligen Renten zur Pflicht gemacht werde. Die weitere Behandlung der Frage, ob die staatliche Versicherung subsidiär neben Privatgesellschaften oder ausschließlich vom Reich oder den Einzelstaaten zu übernehmen sei, liegt außerhalb des Rahmens dieser Aufgabe. 5. Ergebnis der Diskussion über die Durchführung

des VersZwangs

Zusammenfassend ließ sich folgendes erkennen: Bei den i n der Kommission vertretenen Richtungen und ihrer Stellung zueinander war es nicht möglich, die PrivatVersGesellschaften nach der Absicht des Regierungsentwurfs zu beseitigen, wenn zugleich an der einen ReichsVersAnstalt festgehalten wurde; ebenso war es unmöglich, das Gesetz auf föderalistischer Basis umzugestalten, ohne zugleich die PrivatVersGesellschaften preiszugeben. Die Mehrheit, m i t der schließlich der unter Ziff. (4) auf S. 116 f. angeführte Antrag angenommen wurde 1 2 1 , bestand demgemäß teils aus jenen, die die Errichtung der Reichsanstalt vorgezogen haben würden, nunmehr jedoch darauf verzichteten, u m ihren Hauptzweck, die Beseitigung der PrivatVersGesellschaften, erfüllt zu sehen und anderenteils aus jenen, die entweder i n der Errichtung eben dieser Reichsanstalt den entscheidenden Grund für die Ablehnung des ganzen Gesetzes gesehen haben würden, oder aber i n der Errichtung einer Mehrzahl öffentlicher VersAnstalten seitens der Einzelstaaten ein geringeres Übel sahen. Insbesondere i n letzterer Beziehung wurde hervorgehoben, daß sich durch ein derartiges Vorgehen der höchst bedenkliche Gesichtspunkt einer noch weiter gehenden Verstaatlichung des VersWesens durchsetzen könne 122 . 121

Vgl. hierzu a. a. O., Nr. 159, S. 8. Der Staatssekretär des Innern, Staatsminister v. Bötticher, erklärte während einer der weiteren Sitzungen der X I I I . Kommission i n Richtung gegen sämtliche unter (1) bis (4) auf S. 115 f. aufgeführten u n d w e i t e r h i n v o r gebrachten Abänderungsvorschläge, daß der Weg einer einzelstaatlichen Regelung i m Bundesrat niemals angeregt worden sei u n d eine Beschlußfassung darüber demgemäß nicht vorliege. Die Reichsregierung ihrerseits wünsche eine derartige Regelung nicht, sie halte dieselbe indessen auch nicht i n dem Maße f ü r unvereinbar m i t dem Grundgedanken des Gesetzes, daß eine davon ausgehende Umgestaltung dieses letzteren f ü r sie nicht akzeptabel wäre. Dagegen sei m i t jenem G r u n d gedanken unvereinbar die Zulassung der PrivatVersGesellschaften, u n d sofern die Wiedereinsetzung der ReichsVersAnstalt diese Zulassung nach sich 122

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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IV. Aufbringung der Mittel Es gilt nunmehr die Fragen zu behandeln, die die Diskussion i m Zusammenhang mit der Aufbringung der VersPrämien bewegten: ob nämlich ein Zuschuß aus öffentlichen Mitteln i n irgendeiner Form geleistet werden oder die Industrie allein dafür aufkommen solle, und i m letzteren Falle, ob die Arbeitgeber allein oder auch die Arbeiter dafür heranzuziehen seien 123 . 1. Der Standpunkt

der Befürworter

des Entwurfs

Für den Zuschuß aus öffentlichen M i t t e l n trat nachdrücklich der Staatsminister v. Bötticher ein, der geltend machte, daß die Ablehnung jedes Staatsbeitrags durch den RT die Annahme des Gesetzes seitens der verbündeten Regierungen ernstlich gefährden könne. Eine Heranziehung der öffentlichen Mittel sei das Äquivalent für die Entlastung der Armenverbände, denen bisher die Fürsorge für die verunglückten Arbeiter und deren Hinterbliebene obgelegen habe. Abgesehen davon, daß eine Reihe von Arbeitern und Industriezweigen nicht dazu imstande seien, die Prämien aus eigenen Mitteln aufzubringen, sei folgendes Moment ausschlaggebend: Durch die Beteiligung eines öffentlichen Verbandes solle dem Arbeiter zum Bewußtsein gebracht werden, daß der Staat auch für ihn sorge. Zwar sei richtig, daß das vorliegende Gesetz nur partiell wirke und einen Teil der Bevölkerung zugunsten des anderen belaste. Indessen lasse das öffentliche Interesse eine solche Belastung als zulässig erscheinen. 2. Der Standpunkt der Gegner des Entwurfs a) bezüglich der Staatsbeihilfe Die überwiegende Mehrheit jedoch verwarf das Prinzip selbst. Die Staatsbeihilfe werde der Unfallverletztenentschädigung den Charakter der Armenunterstützung aufprägen. Gehe man von der Anschauung aus, daß der Unternehmer für die Betriebsunfälle, die seine Arbeiter betreffen, ganz ebenso wie für sämtliche übrigen Produktionskosten aufziehen werde, werde die Regierung eine solche Wiedereinsetzung ablehnen (vgl. hierzu a. a. O., Nr. 159, S. 9). 123 Die i n diesem Zusammenhang ebenfalls aufgeworfenen Fragen, ob die zu treffende Regelung eine generelle oder eine nach den Lohnverhältnissen verschieden zu bemessende sein solle, u n d wie, falls die Versicherten zur Prämienzahlung herangezogen würden, das Verhältnis der Quoten zu bestimmen sei, sollen hier unberücksichtigt bleiben. Vgl. hierzu des näheren a. a. O., Nr. 159, S. 22—25.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

zukommen habe, wie i h m ja auch der Erlös des Arbeitsproduktes zufalle, so resultiere daraus die Verpflichtung der Industrie, selbst für ihre verunglückten Arbeiter Sorge zu tragen. 12* Die beabsichtigte Entlastung der Armenverbände sei gewiß anzuerkennen, jedoch seien dieselben bisher i n völlig ungerechtfertigter Weise überlastet gewesen. Es sei Zeit, die Last dahin zu legen, wo man den Gewinn davon trage. Es komme nicht darauf an, in den Arbeitern das Bewußtsein zu erwecken, daß der weiteste Verband, der Staat, für sie sorge; dies werde nur zu einer unangemessenen Steigerung der Ansprüche führen. Das Richtige sei vielmehr, ihr Interesse an den nächsten Kreis zu knüpfen und sie von der Übereinstimmung ihres eigenen mit dem Interesse der Arbeitgeber zu überzeugen. b) bezüglich der Heranziehung der Arbeiter zur Prämienzahlung Hinsichtlich der Heranziehung der Arbeiter zur Prämienzahlung w u r den hierfür teils sittliche Momente, teils weitergehende sozialpolitische Erwägungen angeführt. Es empfehle sich, dem Arbeiter die Empfindung zu geben und i n i h m zu befestigen, daß er sich selbst das Recht auf Entschädigung erworben habe. Nur, wenn die Arbeiter selbst mitbezahlten, werde es möglich sein, sie auch bei der Verwaltung in organisierten korporativen Verbänden mitwirken zu lassen 125. V. Zu den §§ 46, 47, 48 und 58 des 1. Gesetzentwurfs 126 1. Frage nach dem Grund der Unterschiedlichkeit im Verschuldensgrad Hervorzuheben ist hier lediglich, daß von einzelnen Mitgliedern der genannten Kommission i m Zusammenhang m i t entsprechenden Änderungsanträgen angefragt wurde, warum einerseits gemäß § 35 (Satz 1) des Entwurfs 1 2 7 der Anspruch des Arbeiters nur i m Falle vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls verloren gehe, während anderenteils der Un124 Z u m Beleg f ü r diese Feststellung w u r d e auf den I n h a l t zahlreicher Petitionen u n d die Äußerungen „einzelner hervorragender Industrieller" hingewiesen, daß die Industrie sich hierzu imstande fühle. Vgl. hierzu a. a. O., Nr. 159, S. 23/24. 125 Die A b s t i m m u n g ergab allein eine Mehrheit f ü r den Antrag, der bestimmte (vgl. a. a. O., Nr. 159, zu § 13, Ziff. 4, S. 23/24): „Die VersPrämie ist zu 2/s von dem Betriebsunternehmer, zu Vs v o n dem Versicherten a u f z u b r i n g e n . . . " 126 Vgl. dazu oben S. 108 A n m . 100 u. 101; S. 109 f. A n m . 106 u. S. 110 A n m . 109. 127 Vgl. dazu oben S. 107 A n m . 96.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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ternehmer gemäß § 47 (Abs. 1) des Entwurfs 1 2 8 für Vorsatz und für grobes Verschulden gegenüber der ReichsVersAnstalt hafte. Arbeiter und Unternehmer müßten doch gleiche Rechte haben, da beide Beiträge bezahlten. 2. Regierungsseitige

Entgegnung

Dem wurde jedoch regierungsseitig m i t dem Argument begegnet, der durchschlagende Unterschied sei der, daß der Arbeiter nur für seine eigene Person, der Arbeitgeber dagegen für sämtliche Arbeiter zu zahlen verpflichtet sei. Auch sei es zulässig, den Arbeitgeber grundsätzlich einer strengeren Beurteilung zu unterziehen als den Arbeiter, da letzterer durchwegs auf einer geringeren Bildungsstufe als der Arbeitgeber stehe, vielfach m i t materieller Not zu kämpfen habe und deswegen insgesamt vom Gesetze milder zu behandeln sei. 3. Entschädigung für die PrivatVersGesellschaften und Schluß des Kommissionsberichts Der Erwähnung w e r t erscheint uns noch, daß die Kommissionsmitglieder teilweise einen Zusatz zu § 58 des Entwurfs beantragten, der als Absatz 3 dieser Vorschrift hinzugefügt werden sollte 1 2 9 : „Die PrivatVersAnstalten sind f ü r die durch dieses Gesetz eintretenden Beschränkungen ihres gewerblichen Verkehrs nach den f ü r Enteignung geltenden Grundsätzen zu entschädigen." Der A n t r a g wurde m i t der Begründung abgelehnt, daß „eine Analogie zwischen der Expropriation des Grundeigentums u n d einer etwaigen E n t schädigung f ü r ausfallenden Geschäftsgewinn unmöglich zu statuieren" sei 1 3 0 .

Dritter Unterabschnitt Sonstige Vorschläge i m Zusammenhang mit dem 1. Gesetzentwurf I. Vorbemerkung V o n den sonstigen zahlreichen Abänderungsanträgen zu den einzelnen Vorschriften des 1. Gesetzentwurfs, die entweder aus der X I I I . Kommission selbst während ihrer Beratungen oder aus den Reihen der Abgeordneten des RTs. 1 3 1 stammten, bieten — soweit ersichtlich — f ü r unsere Untersuchungen neue Konstruktionsgesichtspunkte allein der A n t r a g Ausfeld u n d Genossen 128

Siehe dazu oben S. 108 A n m . 101. Vgl. a. a. O., Nr. 159, S. 38. 130 Vgl. a. a. O., Nr. 159, S. 38. 181 Vgl. die Abänderungsanträge: Nr. 189 (Ausfeld u n d Genossen/Richter [Hagen] / Eysoldt, Fremd, Wöllmer), Nr. 191 (Ausfeld u n d Genossen), Nr. 201 129

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

unter Nr. 199 aus der 4. Leg. Per. 1 3 2 sowie der A n t r a g Dr. B u h l u n d Genossen unter Nr. 66 aus der 5. Leg. Per. 1 3 3

I I . Der Antrag Ausfeld und Genossen beruhte auf dem verschärften Haftpflichtprinzip des Unternehmers, wies jedoch für die Frage der Sicherstellung des Anspruchs zugunsten des U n f a l l verletzten folgende Besonderheit auf: Gemäß § 5 des von Ausfeld u n d Genossen beantragten „Gesetzes betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz f ü r Tötungen u n d Körperverletzungen i m Gewerbebetrieb" hatte das zuständige Amtsgericht nach E i n t r i t t des Unfalls durch einstweilige Verfügung anzuordnen, ob u n d welcher Betrag an die Berechtigten zu zahlen sei (Abs. 1). Diese Verfügung sollte sofort v o l l streckbar sein (Abs. 2). Zuständig sollte das Amtsgericht sein, i n dessen Bezirk der U n f a l l sich ereignet habe (Abs. 3). Jedoch w a r die Schwäche dieses E n t wurfs, daß auch durch dessen § 5 Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber u n d A r b e i t n e h m e r 1 3 4 nicht eliminiert waren, da die A n o r d n u n g der sofortigen Vollstreckbarkeit nach den Regeln der „Civilprozeßordnung" anfechtbar war.

I I I . Der Antrag Buhl u. a. Der Schwäche des vorgenannten Antrags versuchte der später gefaßte A n trag des Abg. Dr. B u h l u. a. v o m 10.1.1882 dadurch zu begegnen, daß i n einem dem A n t r a g Ausfeld u n d Genossen ähnlichen Gesetzentwurf 1 3 5 eine zusätzliche N o r m festgelegt w u r d e : (Auer u n d Genossen), Nr. 205 (Dr. Günther u n d Genossen, Wöllmer), Nr. 206 (Kreutz/Grad/Servaes/Römer/v. Hölder/Dr. Rentzsch/Vogel), Nr. 207 (v. KleistRetzow/v. Wedell-Malchow), Nr. 208 (Dr. Buhl/Dr. Marquardsen/Holtzmann/ Laporte/Kiefer), Nr. 209 (Pfähler/Servaes), Nr. 210 u n d 211 (Kaiser/Kreutz), Nr. 213 (Dr. Reichensperger), Nr. 218 (Dr. Buhl/Laporte/Dr. Marquardsen/Pfähler), Nr. 226 (Dr. v. Cuny u n d Genossen), Nr. 228 (Dr. Gareis), Nr. 230 (v. Kesseler/Grünternig), Nr. 233 (Zusatz-Antrag des Abg. Kreutz zu Nr. 210), Nr. 234 (Unterantrag Dr. Wolffson), Nr. 246 (Ausfeld u n d Genossen), Nr. 250 (Dr. Reichensperger), Nr. 251 (Dr. Buhl/Dr. Marquardsen/Laporte/Pfähler u n d Holtzmann), Nr. 254 (Resolution Dr. Windhorst), Nr. 256 (Ausfeld u n d Genossen), Nr. 257 (v. Helldorff/Ackermann u. a.), Nr. 258 (Stötzel), Nr. 259 (Ausfeld und Genossen), sämtliche abgedruckt i n Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess. 1881, Bd. 3. 132

Siehe hier A n m . 131, S. 121. Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 1. Sess., 1881/82, Bd. 1, Nr. 66. 134 Das ging schon aus § 6 dieses Entwurfs (Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Nr. 191, S. 3) hervor, der lautete: (Abs. 1): K o m m t es zu einem Rechtsstreit, so hat das Gericht unter W ü r digung aller Umstände über die Höhe des Schadens i n der durch die vorstehenden Bestimmungen gegebenen Begrenzung nach freiem E r messen zu erkennen. (Abs. 2 u. 3 ) : . . . iss Er wollte ebenfalls neben einer auf der Grundlage des RHPflG v o m 7. 6.1871 aufgebauten VersPflicht eine zivilrechtliche Verpflichtung des Unternehmers zum Schadensersatz schaffen. Darüber hinaus setzte er sich durch die Aufnahme von Vorschriften über die Sicherstellung (§§ 1 Abs. 3, 9 ff.) sachlich f ü r einen allgemeinen, w e n n auch indirekten VersZwang ein. 133

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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„Die Anfechtung hebt die Vollstreckbarkeit nicht auf." (Vgl. Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 1. Sess. 1881/82, Bd. 1, Nr. 66 u n d dortselbst § 22, Abs. 2 Satz 2).

IV. Weiteres Schicksal der Anträge zu II. und I I I . Beide Gesetzesanträge setzten sich jedoch nicht durch. Die Begründung f ü r die Ablehnung insbesondere des letzteren Antrags werden w i r an späterer Stelle erörtern 1 3 6 .

Vierter Unterabschnitt Der 1. Gesetzentwurf und die weitere Rechtsentwicklung I. Weiteres Schicksal des 1. Gesetzentwurfs Die Regelung des 1. Gesetzentwurfs wurde nicht Gesetz. Sie wurde i n den folgenden Entwürfen, auf die w i r anschließend eingehen werden, umgestaltet. Zwar billigte der RT durch seine Beschlüsse die wesentlichsten Grundlagen des Gesetzentwurfs, wie er durch die Beratungen der X I I I . Kommission angenommen und festgelegt worden war. Jedoch faßte er abweichende Beschlüsse von grundsätzlicher Bedeutung, die allerdings für unsere Untersuchungen keine neuen Denkmodelle bezüglich der A b lösung der Haftpflicht oder der Neueinführung einer gesetzlichen U V aufzeigen 137 . So sollten z.B. die Reichszuschüsse beseitigt 138 und die ReichsVersAnstalt durch LandesVersAnstalten ersetzt werden. Der Bundesrat stimmte jedoch dem Entwurf i n dieser Form nicht zu, so daß er nicht zum Gesetz erhoben werden konnte 1 3 9 . II. Sonstige weitere Entwicklung I m übrigen war die Lösung des Problems damit keineswegs gescheitert, sondern lediglich verzögert. Die Herbeiführung dieser Lösung wurde insbesondere dadurch vorangetrieben, daß man das bisher schmerzlich vermißte statistische Material für die Ausführung des geplanten Gesetzes i n ausgiebigem Maße beschaffte 140 . 136

Vgl. dazu unten S. 126 f. Vgl. Drucks, des RTs., 4. Leg.Per., 4. Sess., 1881, Bd. 3, Nr. 260, S. 1—15. 138 § 14 (Abs. 1) des v o m R T nach den Beschlüssen i n 3. Beratung redigierten Gesetzes lautet: „Die VersPrämie ist zu 2 /s v o m Betriebsunternehmer, zu Vs v o n dem V e r sicherten aufzubringen." 139 Siehe hierzu auch Lauterbach, U V - K o m m . , Bd. 1, Geschichtl. Entw., S. 55. 140 Bödiker, Die Unfall-Gesetzgebung der europäischen Staaten, S. 22—30, 137

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

I n die n u n folgende Z e i t fiel die sog. K a i s e r l i c h e Botschaft v o m 17. N o v e m b e r 1881 1 4 1 , die — v o n B i s m a r c k i m R T v e r l e s e n — e r s t m a l i g d i e G r u n d s ä t z e einer umfassenden S o z i a l v e r s i c h e r u n g als R i c h t s c h n u r f ü r die z u k ü n f t i g e A r b e i t des RTs. a u f diesem Gebiete zusammenfaßte u n d u n t e r a n d e r e n Z w e i g e n der zu schaffenden S o z i a l v e r s i c h e r u n g die U V n a m e n t l i c h bezeichnete. Sechster

Abschnitt

2. Entwurf für ein U V G vom Jahre 1882 Erster Unterabschnitt D e r R e g i e r u n g s e n t w u r f selbst 1 4 2 I . Gesamttendenz D e r 2. E n t w u r f eines U V G s t i m m t e i n der g r u n d s ä t z l i c h e n L i n i e m i t d e m 1. E n t w u r f v o n 1881 ü b e r e i n . A u c h er beseitigte w e i t g e h e n d die H a f t p f l i c h t des U n t e r n e h m e r s gegenüber d e m A r b e i t n e h m e r u n d g i n g v o n der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n U V aus. I I . Neuerungen gegenüber dem 1. Gesetzentwurf I n d e n o b e n b e i d e n D a r l e g u n g e n ü b e r d e n 1. G e s e t z e n t w u r f i m e i n z e l n e n a u s g e f ü h r t e n g r u n d s ä t z l i c h e n F r a g e n brachte der 2. Gesetzentw u r f n u r w e n i g e unsere begrenzte T h e m a t i k b e r ü h r e n d e N e u e r u n g e n . berichtet ausgiebig über die Durchführung der statistischen Erhebungen i m Jahre 1881 i n rd. 94 000 Betrieben m i t rd. 2 M i l l . Arbeitern. Zusammenfassend seien hier n u r die Aufgaben dargestellt, deren Lösung durch die so eingeleitete Statistik vorbereitet werden sollte (nach Bödiker, a. a. O., S. 22): (1) Gewinnung eines zuverlässigen Materials betreffend die Z a h l der U n fälle u n d ihre Folgen: Tod, I n v a l i d i t ä t , vorübergehende Erwerbsunfähigkeit sowie hinsichtlich des Alters der beschäftigten Arbeiter; (2) die Gewinnung eines Einblicks i n das Gefahrenverhältnis der verschiedenen Betriebe zueinander; (3) die Berechnung der aus der U V resultierenden Belastung, u n d zwar an sich u n d i m Vergleich m i t der den Krankenkassen zufallenden Belastung, w e n n den letzteren die Fürsorge f ü r einen gewissen Zeitraum übertragen würde; (4) a) die E r m i t t l u n g des Umfangs, den die private U V schon jetzt gewonnen habe, b) soweit möglich, die Beantwortung der Frage, ob die Versicherung gegen U n f a l l einen nachweisbaren Einfluß auf die Z a h l der zur A n m e l d u n g gelangenden Unfälle ausübe. 141 Vgl. dazu oben S. 75 f. 142 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 1, Nr. 19, S. 1—86. Der E n t w u r f umfaßt die §§ 1—124 auf, a. a. O., S. 1—30; hieran schließen sich die Allgemeine Begründung (auf S. 31—56) u n d die Besondere Begründung zu den einzelnen Vorschriften (auf S. 56—86).

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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E r w ä h n t sei l e d i g l i c h , daß (1) i n der O r g a n i s a t i o n s f r a g e v o n der R e i c h s V e r s A n s t a l t e n d g ü l t i g A b stand genommen wurde. A n ihre Stelle rückten neu zu bildende „Gefahrklassengemeinschaften" ohne Rücksicht a u f d e n B e r u f s z w e i g , „ B e t r i e b s genossenschaften" u n d „ B e t r i e b s v e r b ä n d e " — , i n s g e s a m t eine recht komplizierte Organisationsregelung 143; (2) die A u f b r i n g u n g der M i t t e l i n m a n c h e r l e i H i n s i c h t u m g e s t a l t e t w u r de, w o b e i die A b s t a n d n a h m e v o m P r ä m i e n p r i n z i p z u g u n s t e n des U b e r gangs z u m U m l a g e p r i n z i p die w i c h t i g s t e N e u e r u n g d a r s t e l l t e 1 4 4 ; (3) d e n Betriebsgenossenschaften etc. die B e f u g n i s e i n g e r ä u m t w u r d e , U n f a l l v e r h ü t u n g s v o r s c h r i f t e n zu erlassen u n d zu d e r e n B e f o l g u n g d u r c h Geldstrafen anzuhalten145. 143

Hauptsächlich einschlägig waren folgende Vorschriften: a) § 9 (a. a. O., Nr. 19, S. 5) lautete: (Abs. 1) Jeder Unternehmer eines unter den § 1 fallenden Betriebes muß f ü r denselben einer Gefahrenklasse (§ 10) u n d entweder einer Betriebsgenossenschaft (§ 11) oder einem Betriebsverbande (§ 14) angehören. b) § 10 (a. a. O., Nr. 19, S. 6) lautete: (Abs. 1) (S. 1) Sämtliche i m Reichsgebiete belegenen, nach § 1 verspflichtigen Betriebe werden i n Gefahrenklassen eingeteilt. (S. 2) Sämtliche Betriebe derjenigen Industriezweige u n d Betriebsarten, f ü r welche eine durchschnittliche gleiche Unfallgefahr besteht, bilden zusammen eine Gefahrenklasse. (Abs. 2 — 7 ) . . . c) § 11 (a. a. O., Nr. 19, S. 6) lautete: (Abs. 1) Die i n dem Bezirke einer höheren Verwaltungsbehörde belegenen Betriebe, welche demselben Industriezweige oder derselben Betriebsart . . . angehören, werden, sofern die Gesamtzahl der von ihnen beschäftigten versicherten Personen die erforderliche Höhe erreicht, zu einer Betriebsgenossenschaft vereinigt. (Abs. 2 — 5 ) . . . d) § 14 (a. a. O., Nr. 19, S. 7) lautete: (Abs. 1) Diejenigen i m Bezirke einer höheren Verwaltungsbehörde belegenen Betriebe, welche einer Betriebsgenossenschaft nach Maßgabe des § 11 nicht zugewiesen sind, bilden zusammen einen Betriebsverband. 144 Der diese Frage regelnde § 33 (a. a. O., Nr. 19, S. 12) lautete: (Abs. 1) Die M i t t e l zur Deckung der v o n der Betriebsgenossenschaft... zu leistenden Entschädigungsbeträge u n d der Verwaltungskosten werden durch Beiträge aufgebracht, welche auf die Mitglieder nach Maßgabe der i n ihren Betrieben von den Versicherten verdienten Löhne u n d Gehälter umgelegt werden. (Abs. 2 ) . . . 145

Der hierfür zutreffende § 73 (a. a. O., Nr. 19, S. 24) lautete: Die Betriebsgenossenschaften u n d Betriebsverbände sind befugt, Vorschriften 1. über die v o n den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen i n i h r e m Betrieb zu treffenden Einrichtungen unter Bedrohung der Zuwiderhandlung m i t Strafvorschlägen zu den Beiträgen,

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Zu I): Die Begründung der Gesamttendenz des 2. Entwurfs äußerte sich bereits i n der Ablehnung des Antrags Dr. Buhl und Genossen zum 1. Gesetzentwurf 146 , der neben einer auf der Grundlage des RHPflG vom 7.6.1871 aufgebauten (privatrechtlichen) VersPflicht eine zivilrechtliche, hinsichtlich ihrer Verwirklichung bis an die Grenzen der gesetzgeberischen Möglichkeiten herangeführte Verpflichtung des Unternehmers zum Schadensersatz vorgeschlagen hatte. I n der Begründung des 2. Gesetzentwurfs w i r d auf diesen Vorschlag i m ablehnenden Sinne eingegangen: „Sofern aber der bezeichnete Gesetzentwurf neben der allgemeinen VersPflicht noch eine zivilrechtliche Verpflichtung des Unternehmers zum Schadensersatz begründen w i l l , widerspricht es nicht nur der Billigkeit, sondern begegnet auch dem praktisch sehr erheblichen Bedenken, daß dadurch die das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern verbitternden Streitigkeiten, deren Beseitigung als ein wesentlicher Vorzug der beabsichtigten neuen Regelung angesehen werden muß, nicht vermindert, sondern i n hohem Maße vermehrt werden würden." 1 4 7 Zu II): Untersuchung der Neuerungen gegenüber dem 1. Gesetzentwurf: 1. hinsichtlich der Organisationsfrage w i r d bemerkt 1 4 8 , daß das Risiko, das für die U V aus den Entschädigungen i n Fällen dauernder Erwerbsunfähigkeit und i n Todesfällen erwachse, so erheblich sei, daß es nur von größeren Kreisen getragen werden könne. Einesteils sei eine rationelle Verwaltung dieser Organisation nur möglich, wenn sie i n der Hand eines zentralen, das Interesse der Gesamtheit der Beteiligten vertretenden Organs gelegt werde. Anderenteils sei jedoch eine solche zentrale Verwaltung außerstande, diejenige Kontrolle auszuüben, deren sie zum Schutz gegen die, gerade in den Fällen der Erwerbsunfähigkeit von kurzer Dauer besonders große Gefahr der Simulation bedürfe. Nur die Organe weniger umfangreicher Verbände seien vermöge ihres unmittelbaren Interesses an dem Ergebnis der Verwaltung und durch die Möglichkeit, i n jedem einzelnen Falle die Sachlage an Ort und Stelle zu prüfen, geeignet, die Geschäfte mit derjenigen Schnelligkeit und Sicherheit zu erledigen, durch die gleich2. über das i n den Betrieben ihrer Mitglieder v o n den Versicherten zur Verhütung v o n Unfällen zu beobachtende Verhalten unter Bedrohung m i t Geldstrafen bis zu 6 M a r k zu erlassen. 146 Vgl. hierzu oben S. 122 f. 147 So die Allgemeine Begründung, a. a. O., Nr. 19, S. 47. 148 Vgl. hierzu die Allgemeine Begründung, a. a. O., S. 48, 49, 50, 53, 54.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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zeitig das Interesse der Entschädigungsberechtigten und der Verwaltung gewahrt werde. Vor allem empfehle es sich, dem bei den bisherigen Verhandlungen gleichfalls lebhaft hervorgetretenen Verlangen nach einer vorwiegend genossenschaftlichen Organisation der U V i n weiterem Umfange entgegenzukommen, als es i n dem § 56 des früheren Entwurfs 1 4 9 geschehen sei und innerhalb des Rahmens einer ReichsVersAnstalt geschehen könne. Nur m i t Hilfe einer genossenschaftlichen Organisation der Industrie und des Gewerbes könnten die als notwendig erkannten wirtschaftlichen und sozialen Reformen durchgeführt werden. Werde zunächst zur Durchführung der U V eine genossenschaftliche Organisation begründet, so werde damit nicht nur der gewerblichen Bevölkerung die Möglichkeit geboten, Verständnis und Befähigung für die selbstverwaltende Tätigkeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete durch die zunächst nur an mäßigen Aufgaben eintretende Übung allmählich auszubilden, sondern die dann bereits vorhandene Organisation werde demnächst unschwer auch die für die Lösung der größeren auf diesem Gebiete vorliegenden Aufgaben erforderliche weitere Ausbildung erhalten können. 2. hinsichtlich des Übergangs zum Umlageprinzip Er wurde damit begründet 150 , daß Voraussetzung für die vorweg behandelte Durchführung der Organisation einmal die Herstellung eines einheitlichen Kassen- und Rechnungswesens und sodann die Ersetzung der i n dem vorjährigen Entwurf i n Aussicht genommenen Versicherung gegen feste Prämien durch eine Versicherung auf Gegenseitigkeit, eben auf der Grundlage des Umlage Verfahrens, sei. Der ersten Voraussetzung solle dadurch entsprochen werden, daß die Auszahlung sämtlicher Entschädigungen den Postverwaltungen 151 und die Berechnung und Anweisung der von den verschiedenen Verpflichteten (Reich, Gesamtheit der zu einer Gefahrenklasse gehörenden Unternehmer, Genossenschaften, Verbände) zu erstattenden Beträge einer Reichs-Zentralstelle übertragen werde. Daß an die Stelle der Versicherung gegen feste Prämie eine Versicherung auf Gegenseitigkeit trete, sei ein notwendiger Ausfluß der genos149 Dazu oben S. 105 A n m . 91. 150 v g l . Allgemeine Begründung, a. a. O., Nr. 19, S. 55/56. 151 Diese Maßnahme w a r ebenfalls erstmalig u n d noch nicht i m 1. E n t w u r f enthalten.

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

senschaftlichen Regelung der UV und habe den großen Vorzug, daß zwar nicht die Einteilung der Betriebe i n Gefahrenklassen, w o h l aber die Feststellung von Prämientarifen wegfalle. Die Versicherung auf Gegenseitigkeit mache zwar an und für sich die Anwendung des Umlageverfahrens, „d.h. die Bemessung der Gesamtsumme der für jede Rechnungsperiode aufzubringenden Beiträge nach der Gesamtsumme der während derselben Rechnungsperiode zu leistenden Zahlungen" 1 5 2 , nicht notwendig; sie lasse auch eine sofortige Erhebung der Beiträge i n demjenigen Betrage zu, der erforderlich sei, u m die Befriedigung der i n der Beitragsperiode entstandenen Entschädigungsansprüche bis zu ihrem Erlöschen zu decken. Das letztere Verfahren würde indessen bei der Verteilung der Verpflichtung zur Leistung der Entschädigungen, wie sie sich aus der i n diesem 2. Entwurf vorgesehenen Organisation ergebe, zu einer so komplizierten Rechnungsführung und Kassenverwaltung führen, daß davon Abstand genommen werden müsse. Dies u m so mehr, als die Bedenken, die gegen das Umlageverfahren, soweit es sich u m PrivatVersGesellschaften und -Anstalten handele, m i t Recht erhoben würden, i n gleicher Weise nicht zuträfen, wenn die Versicherung auf eine gesetzlich begründete, auf dauernden Fortbestand berechnete und für alle Beteiligten m i t gesetzlichem Zwange ausgestattete Organisation gegründet werde, und damit das Hauptbedenken, nämlich die Möglichkeit einer demnächst eintretenden Zahlungsunfähigkeit des verpflichteten Subjekts, wegfalle. 3. hinsichtlich der Befugnis zum Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften wurde ausgeführt: 153 Bei einer auf Gegenseitigkeit begründeten UV habe nicht nur jede Genossenschaft und jeder Verband, sondern auch schon jedes einzelne Mitglied von vorneherein ein Interesse daran, daß i n den Betrieben der Genossenschafts- und Verbandsmitglieder möglichst wenige Unfälle vorkommen. Dieses Interesse bedürfe indessen, um ausreichend wirksam zu werden, einer Verstärkung dadurch, daß die Unterlassung der zur Verhütung von Unfällen erforderlichen Sorgfalt für jeden einzelnen mit unmittelbaren besonderen Nachteilen verbunden werde. Aus diesem Grunde werde den Genossenschaften etc. die Befugnis beigelegt, für ihre Mitglieder Vorschriften über die von ihnen zur Verhütung von Unfällen zu treffenden Einrichtungen zu erlassen. 152 Vgl. Allgemeine Begründung, a. a. O., Nr. 19, S. 56. iss v g l Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 19, S. 74.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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A u f diese Weise werde zugleich, wie zu hoffen stehe, die gewerbliche Selbstverwaltung auf einem Gebiete fruchtbar gemacht, auf dem die staatliche Verwaltung 1 5 4 m i t großen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, weil die Frage, wie weit mit den Vorschriften der Gewerbeordnung und mit deren Durchführung gegangen werden könne, ohne in ungerechtfertigt störender Weise in die freie Bewegung der Industrie einzugreifen, in vielen Fällen zu erheblichen Zweifeln Veranlassung gebe. Wörtlich fährt die Begründung fort 1 5 5 : „Bei den Organen der Genossenschaften und Verbände werden die den Mitgliedern derselben beiwohnende genaue Kenntnis der Verhältnisse und Bedürfnisse der von ihnen vertretenen Industriezweige auf der einen Seite und das Interesse an der Verhütung der Unfälle auf der anderen Seite dahin führen, daß die Vorschriften über die zu treffenden Einrichtungen die richtige Mitte zwischen zu großer Milde und zu großer Strenge innehalten. Dies läßt sich u m so mehr erwarten, als es bei der Beschränkung der Verbindlichkeit der zu erlassenden Vorschriften auf die Mitglieder der Genossenschaft oder des Verbandes möglich sein wird, beider Abfassung derselben... den Fehler zu großer Allgemeinheit, welcher den auf gesetzlichem Wege erlassenen Vorschriften leicht anhaftet, zu vermeiden." Die Durchführung der erlassenen Vorschriften solle durch Bedrohung der zuwiderhandelnden Betriebsunternehmer und Arbeiter m i t Strafzuschlägen zu den Beiträgen, die zusammen m i t den letzteren zu erheben seien, gesichert werden. Die Ausstattung der Genossenschaften etc., m i t der Befugnis, Vorschriften zu erlassen und Zuwiderhandlungen mit Geldstrafe zu bedrohen, finde ihre Rechtfertigung i n folgendem: Den Versicherten könne die gesetzliche Entschädigung auch dann nicht entzogen werden, wenn sie den Unfall selbst verschuldet hätten; daher erscheine es billig und im allgemeinen Interesse notwendig, ein unmittelbares Bestreben hinsichtlich der Verhütung von Unfällen bei ihnen durch Straf Vorschriften wachzurufen. Zweiter Unterabschnitt Der mündliche Bericht der V I I I . Kommission über den 2. Gesetzentwurf 156 Die m i t der Vorberatung des Entwurfs beauftragte V I I I . Kommission des RTs. erstattete dem Plenum am 12. Juni 1883 lediglich einen 164 Gemeint w a r die Gewerbeaufsicht der staatlichen V e r w a l t u n g aufgrund der §§ 120, 139 b GewO v o m 21. J u n i 1869 des Norddeutschen Bundes i. d. F. v. 18. J u l i 1881 (vgl. dazu oben S. 23 f.). 155 So Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 19, S. 74/75. 156 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 4, Nr. 372, S. 1 u. 2.

9 v. Heinz

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

mündlichen Kurzbericht. Darin empfahl die Kommission dem RT zu beschließen, daß der vorgelegte 2. Gesetzentwurf i n seiner jetzigen Gestalt i n allen seinen Teilen abzulehnen sei. Weiterhin wurde dem RT der Beschluß nahegelegt, den Reichskanzler bei einer Umarbeitung des U V G i n einer erneuten Vorlage u m die Berücksichtigung einiger von der Kommission erarbeiteter Gesichtspunkte zu ersuchen (in Gestalt der Ziffern 1—12). Diese Ziffern enthielten jedoch keine für unsere Untersuchungen wesentlichen Neuerungen 157 . Auch die weiteren i m Zusammenhang m i t dem 2. Entwurf gestellten Anträge aus der Mitte des RTs. wiesen keine neuen Konstruktionsgedanken auf 1 5 8 . Dritter Unterabschnitt Weiteres Schicksal des 2. Gesetzentwurfs Auch der 2. Gesetzentwurf wurde nicht Gesetz. Der Bericht der V I I I . Kommission wurde wegen des Sessionsschlusses i m RT nicht mehr verhandelt, und der Entwurf hierauf von den Bundesregierungen zurückgezogen 159 . Vierter Unterabschnitt Die Kaiserliche Botschaft vom 14. April 1883 160 mahnte den RT m i t einem gleichzeitigen Hinweis auf die Kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 erneut dringend, die neue Vorlage des U V G zu erledigen.

Vgl. hierzu auch die Sten.Ber. des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 1, S. 199—244, i n denen die Diskussionsbeiträge aus dem R T - P l e n u m zum 2. Gesetzentwurf i m Rahmen v o n n u r einer Lesung m i t zwei Sitzungen wiedergegeben sind. A m Ende dieser Lesung wurde der 2. Gesetzentwurf dann der V I I I . K o m mission zur weiteren Vorberatung überwiesen. Deren Bericht enthält alle f ü r unsere Untersuchungen wichtigen Gesichtspunkte, die vorher i m R T Plenum geäußert wurden, m i t . 157 D a r i n w u r d e n einige Grundlagen, w i e insbesondere die B i l d u n g der Gefahrenklassen als Basis der Verbandsorganisation — jedoch ohne Begründung — abgelehnt. 158 Vgl. Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 3, Nr. 263: A n t r a g des Abg. Dr. Rickert u n d Genossen sowie Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 4, Nr. 288. 159 v g l hierzu auch Bödiker, a. a. O., S. 37. 160

Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 2. Sess., 1882/83, Bd. 3, Nr. 246.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

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Daher entschlossen sich die verbündeten Regierungen, dem RT einen 3. Entwurf vorzulegen, m i t dessen Annahme sie nach den bisher gemachten Erfahrungen glaubten rechnen zu dürfen. Siebenter

Abschnitt

Der 3. Entwurf für ein U V G aus dem Jahre 1884 Erster Unterabschnitt Der Regierungsentwurf selbst 161 I. Gesamttendenz Der 3. Entwurf eines U V G wies i n den grundsätzlichen Fragen des VersZwangs, der Einführung einer öffentlich-rechtlichen VersPflicht und der höchstzulässigen Entschädigung gegenüber dem bisherigen Entwicklungsstand keine Abweichungen mehr auf. II. Abweichungen und Neuerungen gegenüber den früheren Entwürfen I n folgenden Punkten, die den Gegenstand unserer Untersuchungen bilden, wurden jedoch entweder die vom 1. und 2. Entwurf gezogenen Linien verlassen oder die bereits entworfenen gesetzlichen Regelungen weiter ausgebaut, nämlich bezüglich 1. der Aufbringung der Kosten der UV, 2. der äußeren Organisation der VersTräger, 3. der Ahndung der den Unfallverhütungsvorschriften Zuwiderhandelnden und 4. der Haftpflicht der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten. Zul): Hinsichtlich der Aufbringung der Kosten für die U V sah der 3. Gesetzentwurf i n seinem § 10 die alleinige Beitrags Verpflichtung der Unternehmer vor. Die amtliche Begründung 1 6 2 weist zur Stützung dieser gegenüber den beiden ersten Entwürfen abweichenden Regelung darauf 161 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 1, Nr. 4, S. 1—86. Der E n t w u r f beinhaltet die §§ 1—106 auf den S. 5—32; hieran schließen sich die Allgemeine Begründung (auf S. 33—42) u n d die Besondere Begründung zu den einzelnen Vorschriften (auf S. 42—86). 162 Allgemeine Begründung, a. a. O., Nr. 4, S. 35 u. 36.

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hin, daß die Sicherstellung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Folgen der Unfälle sich nicht als eine privatrechtliche Verbindlichkeit der Betriebsunternehmer zum Schadensersatz, sondern als eine öffentlichrechtliche Für Sorgepflicht darstelle. Wenn das RHPflG vom 7. Juni 1871 auf der entgegengesetzten Auffassung beruhte, so habe die übereinstimmende Uberzeugung von der Unmöglichkeit, auf diesem Wege zu einer befriedigenden Lösung der Frage zu gelangen, diese Auffassung als unzutreffend verworfen. Der Staat und die Gemeinschaft hätten jedoch ein Interesse daran, auch über die privatrechtliche Verpflichtung des Betriebsunternehmers zum Schadensersatz hinaus den Arbeitern und deren Hinterbliebenen i n allen denjenigen Fällen, i n denen die Erwerbsunfähigkeit oder der Tod des Arbeiters durch die m i t der Berufsarbeit verbundenen Unfallgefahren herbeigeführt sei, eine Versorgung zu sichern. Die Überzeugung, daß hier die den Gemeinden obliegende Verpflichtung zur Fürsorge i m Wege der öffentlichen Armenpflege weder ausreichend noch an sich angemessen sei, durchdringe alle Schichten der Bevölkerung. Wörtlich führt die Begründung weiterhin aus 163 : „Bei der KrankenVers. 1 6 4 wie bei der U V handelt es sich um eine Erweiterung der öffentlichen Fürsorgepflicht über die Grenzen der öffentlichen Armenpflege hinaus. Beschränkt sich letztere lediglich darauf, die Vernichtung der Existenz des Individuums zu hindern, so richten sich die Kranken- und Unfallversicherung auf die rechtzeitige Erhaltung und Hebung der Erwerbsfähigkeit i m Falle der Störung derselben durch Krankheiten und Unfälle, sowie auf die Sicherung einer angemessenen Versorgung während der Dauer dieser Störung. Charakterisiert sich also die wirtschaftliche Sicherung der Arbeiter gegen die Folgen der Betriebsunfälle als eine nicht dem Gebiet des Privatrechts, sondern dem Bereich der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung angehörige Fürsorgepflicht, so folgt daraus, daß die Frage der Aufbringung der Kosten der UV nicht nach den Grundsätzen des Privatrechts, sondern nach Gesichtspunkten des öffentlichen Rechts entschieden werden muß. Von diesem Standpunkt aus weist die historische Entwicklung, welche die Unfallfürsorge genommen hat, auf den Betriebsunternehmer als denjenigen hin, welcher in erster Linie die aus dieser Fürsorge erwachsenen Kosten zu übernehmen hat. Auch bei den Betriebsunternehmern hat sich das Bewußtsein dieser ihnen obliegenden Verpflichtung ausgebildet und befestigt. Aus diesem 163

a. a. O., Nr. 4, S. 35. Diese w a r bereits i n dem Gesetz über die KrankenVers. der Arbeiter v o m 15. J u n i 1883 (RGBl. 1883 S. 73) geregelt worden. 164

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Bewußtsein heraus ist i n weitem Umfange eine freiwillige Fürsorge der Unternehmer für ihre Arbeiter eingetreten, welche über die durch das RHPflG ihnen aufgelegten Verpflichtungen erheblich hinausgeht. Wesentlich gefördert und unterstützt wurde diese Auffassung durch die Erwägung, daß der Betriebsunternehmer die Kosten der Fürsorge in der Regel nicht aus seinem eigenen Vermögen leistet, sondern daß sie ihm von dem Käufer seiner Erzeugnisse in dem Preise derselben wieder erstattet werden. Wie dem Betriebsunternehmer die an dem Anlageund Betriebskapital entstehenden Schäden und Verluste zur Last fallen, so soll derselbe auch die Verluste an persönlicher Arbeitskraft, welche durch die seinem Industriezweige eigentümlichen Gefahren veranlaßt werden, tragen und für beide i n dem Gesamtertrage des Unternehmens Deckung finden." 1 6 5 Zu 2): a) Bildung von Berufsgenossenschaften Die Frage der Organisation der VersTräger regelte der 3. Entwurf i n seinen §§ 11—33 abweichend von den beiden vorausgegangenen Entwürfen dahin, daß nun fachlich gegliederte Berufsgenossenschaften als öffentlich-rechtliche Zwangsgenossenschaften der zu einem bestimmten Berufszweig gehörenden Unternehmer versicherter Betriebe zu bilden seien. Diese Neubildung wurde wie folgt begründet 168 : „Handelt es sich bei der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter gegen die Folgen der Betriebsunfälle u m eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, so folgt hieraus die Notwendigkeit, die Erfüllung dieser Verpflichtung durch öffentliche Institutionen sicherzustellen... Sind es die Betriebsunternehmer, welchen die Fürsorgepflicht für die durch Unfälle Verletzten obliegt, und kann das Risiko der U V bezüglich der i n Fällen dauernder Erwerbsunfähigkeit und i n Todesfällen zu gewährenden Entschädigungen nur von größeren Kreisen getragen werden, so bedingt 165 Die weiteren Ausführungen (a. a. O., Nr. 4, S. 36 u. 37) begründen die wichtige Frage der Verteilung der Deckungslasten dergestalt, daß die U n t e r stützung der durch U n f a l l Verletzten während der ersten 13 Wochen den Krankenkassen verbleibe (gem. den Regeln des 3. Entwurfs i. V. m. dem G. über die KrankenVers. der Arbeiter v o m 15.6.1883, vgl. hierzu A n m . 164 auf S. 132 dieser Arbeit), also die U V erst nach dieser „Karrenzzeit" m i t Beginn der 14. Woche einsetze. Die Behandlung dieses Fragenkomplexes fällt jedoch nicht i n den Rahmen dieser Arbeit. I n bezug auf die Mittelaufbringung sei noch erwähnt, daß f ü r das Beitragsverfahren durch den 3. Entwurf das Umlageverfahren beibehalten wurde, w i e es uns bereits i m 2. E n t w u r f begegnet ist. 166 a. a. O., Nr. 4, S. 37.

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die Erfüllung dieser Pflicht die Vereinigung der Betriebsunternehmer zu größeren Verbänden. Als Grundlage für die Gliederung solcher Verbände w i r d die Gemeinsamkeit der Betriebsinteressen, d. h. die Gemeinsamkeit des Berufs, anzunehmen sein. I n der Gemeinsamkeit des Berufs wurzelt die Gemeinschaft der sozialen Pflichten und Interessen, und die gesamte Entwicklung unseres öffentlichen Lebens weist für die Lösung der hieraus erwachsenden Aufgaben auf die genossenschaftliche Form hin. Hiernach wird erwartet werden dürfen, daß die Übertragung der UV auf Berufsgenossenschaften den Wünschen und den Interessen der beteiligten Kreise ebenso wie den Anforderungen, welche im öffentlichen Interesse zu stellen sind, entsprechen wird " I m übrigen folge der Entwurf, wie die Begründung weiterhin darlegt 1 6 7 , nur den Wegen, die die deutsche Industrie bereits eingeschlagen habe, u m auf anderen Gebieten zu einer befriedigenden Lösung ihrer Angelegenheiten zu kommen. Schon seit einer Reihe von Jahren sei i n industriellen Kreisen die Uberzeugung von der Notwendigkeit eines engeren Zusammenschlusses der Berufsgenossen wachgerufen worden, u m m i t gemeinsamen Kräften die Lösung der ihnen auf wirtschaftlichem Gebiet obliegenden gemeinsamen Aufgaben anzustreben. Die Wirksamkeit der aus diesen Gründen entstandenen „großen w i r t schaftlichen Associationen" sei nicht auf die Förderung rein wirtschaftlicher Interessen beschränkt geblieben, sondern eine beträchtliche A n zahl derselben habe sich bereits die Erfüllung der ihnen obliegenden sozialen Pflichten zur Aufgabe gemacht und ihre Tätigkeit auf die Fürsorge für die von ihren Mitgliedern beschäftigten Arbeiter, insbesondere auch auf die Sicherstellung derselben gegen die wirtschaftlichen Folgen der Betriebsunfälle ausgedehnt. „Beweisen diese Erfolge der auf dem Prinzip freier Selbstverwaltung beruhenden Vereinigungen", — so heißt es weiterhin 1 8 8 —, „wie berechtigt die i n der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 ausgesprochene Hoffnung gewesen ist, daß der engere Anschluß an die realen Kräfte unseres Volkslebens und das Zusammenfassen der letzteren i n der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung auch die Lösung der sozialen Aufgaben möglich machen wird, denen die Staatsgewalt allein i n gleichem Umfang nicht gewachsen sein würde, so entspricht die in dem Entwurf in Aussicht genommene Übertragung der UV auf korporative Berufsgenossen187

a. a. O., Nr. 4, S. 38—40. a. a. O., Nr. 4, S. 38; vgl. hierzu des weiteren Besondere Begründung zu §§ 8,9 des 3. Entwurfs (a. a. O., Nr. 4, S. 47,48 ff.). 168

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schaften den Intentionen der Kaiserlichen Botschaft ebenso wie den praktischen Bedürfnissen und Wünschen der industriellen Kreise." Des weiteren w i r d ausführlich dargelegt, daß die Sicherstellung der den Betriebsunternehmern obliegenden sozialen Pflichterfüllung den Zwangsbeitritt der Unternehmer zu diesen Berufsgenossenschaften erfordere, wenn auch andererseits es dem Wesen der letzteren entspreche, nur gewerbliche Betriebe gleicher oder verwandter Interessen und Vorbedingungen gemäß der Bildung freiwilliger Vereine sich zusammenschließen zu lassen. b) Errichtung eines Reichsversicherungsamts Gleichzeitig m i t den Berufsgenossenschaften wurde i n den §§ 87—91 des 3. Entwurfs die Bildung eines Reichsversicherungsamts i n Berlin als Aufsichtsbehörde vorgeschlagen sowie dessen Organisation und Besetzung i n ihren Grundzügen bestimmt. Zu 3): Hinsichtlich der Ahndung der den Unfallverhütungsvorschriften Zuwiderhandelnden wurde m i t der erstmaligen Regelung i m 3. Entwurf, daß allein die Betriebsunternehmer die Kosten für die U V aufzubringen hätten, i n den §§ 78—81 eine i m Gegensatz zur früheren Vorlage abweichende Regelung festgelegt. Und zwar sah man nun nicht mehr Strafzuschläge zu den Beiträgen, sondern die Bedrohung mit der Einschätzung in eine höhere Gefahrenklasse vor. Diese Bedrohung sei möglich, wie die Begründung ausführt 189 , da für jede Genossenschaft die Einführung eines Gefahrentarifs obligatorisch sei (§28 des Entwurfs); sie sei auch angemessener als die Bedrohung m i t Strafzuschlägen, da dem Betriebsunternehmer u. U. die M i t t e l fehlen könnten, den erlassenen Vorschriften alsbald zu entsprechen. I n diesem Falle würde von einer „Bestrafung" desselben wohl nicht die Rede sein können, während die unterlassene Befolgung der Schutzvorschriften die Gefährlichkeit des Betriebes steigere und somit Anlaß biete, diesen i n eine höhere Gefahrenklasse einzureihen. Lediglich für den Fall, daß der Betrieb sich bereits i n der höchsten Gefahrenklasse befinden sollte, sehe der Entwurf die Möglichkeit der Beitragserhöhung vor 1 7 0 . Es entspreche i m übrigen der Billigkeit, daß die Genossenschaften gehalten sein sollten, bei dem Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften 16g 170

a. a. O., N r . 4, Besondere Begründung zu den §§ 78—81, S. 76 ff. (77). Vgl. §§ 78—81 des 3. Entwurfs.

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den beteiligten Betriebsunternehmern eine gewisse Frist für die Herstellung der vorgeschriebenen Einrichtungen zu gewähren. Zu 4): Hinsichtlich der Haftpflicht der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten gegenüber den Arbeitern brachte der 3. Entwurf gegenüber der früher geplanten Regelung 171 folgende Abänderungen: a) Die eine Ausnahme von der Freistellung des Unternehmers hinsichtlich der Haftung gegenüber dem Arbeiter aus dem gemeinen Recht, dem RHPflG vom 7. Juni 1871, dem Code civil usw. war i n § 92 des 3. Entwurfs zugunsten des Unfallbeschädigten und seiner Hinterbliebenen nur für den Fall vorgesehen, daß der Betriebsunternehmer laut strafgerichtlichem Urteil den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hatte. Nur unter diesen Voraussetzungen sollten die Entschädigungsberechtigten i n ihren Ansprüchen nicht beschränkt werden. Zwar würden diese auch dann die i m U V G vorgesehene Entschädigung erhalten, jedoch sollten sie unter diesen Umständen — wie bereits anläßlich der Darstellung des 1. Entwurfs erläutert 1 7 2 — die Differenz zwischen der letzteren und der nach den sonstigen bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu leistenden Entschädigung von dem Betriebsunternehmer zu fordern berechtigt sein. b) Die andere Ausnahme von der Freistellung der Unternehmer hinsichtlich ihrer Haftpflicht i n Gestalt ihrer Regreßpflichtigkeit gegenüber den nunmehr zu bildenden Berufsgenossenschaften 173 statuierte §93 des 3. Entwurfs dahingehend, daß hierfür, wie oben unter a), durch straf gerichtliches Urteil festgestellt sein müsse, der Betriebsunternehmer habe den Unfall vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit herbeigeführt, zu der er vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet sei.

171 Vgl.§ 46 des 1. Gesetzentwurfs u n d die Erörterungen hierzu auf S. 108 f. dieser Arbeit. 172

Vgl. oben S. 109. Eine Regreßpflichtigkeit des Betriebsunternehmers sieht der S.Entw u r f i n § 93 gegenüber den Berufsgenossenschaften u n d Krankenkassen vor, zu denen auch die Gemeindekranken Vers, gehörte (vgl. § 80 Abs. 2 des 3. E n t wurfs). 173

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c) Begründung der Verschärfung der Anforderungen an die Haftpflichtigkeit des Unternehmers Für diese Verschärfung der Anforderungen hinsichtlich der Haftpflichtigkeit des Unternehmers w i r d als Begründung angeführt 174 , daß — liege ein solches strafgerichtliches Urteil vor — damit erst ein erkennbares K r i t e r i u m für die Haftpflicht resp. Regreßpflicht des Betriebsunternehmers gegeben sei. Überdies sei das „grobe Verschulden", das nach den früheren Vorlagen diese Pflichtigkeit habe begründen sollen, ein unsicherer Rechtsbegriff. Das Vorliegen des groben Verschuldens würde i m Wege des Z i v i l prozesses jedesmal erst dargetan werden müssen. Nach den Vorschriften des vorliegenden Entwurfs dagegen würden die Zivilprozesse über die Regreßpflicht als solche abgeschnitten, indem die Entscheidung der Haftpflicht- bzw. Regreßfrage — vorbehaltlich eines nachfolgenden Zivilprozesses über die Höhe des Schadensersatzes — durch die Feststellungen des Strafgerichts unmittelbar getroffen würde 1 7 5 . Wenn gegenüber dem Ausschluß der Haftpflicht des Unternehmers etc. wegen jeden „groben Verschuldens", wie früher zuungunsten des Unternehmers geplant gewesen sei 176 , noch geltend gemacht werden könnte, daß damit ein wesentlicher Antrieb zur Verhütung von Unfällen für den Unternehmer usw. wegfalle, so sei darauf zu erwidern 1 7 7 : Das Außerachtlassen der i n § 93 des 3. Entwurfs bezeichneten besonderen Aufmerksamkeit 1 7 8 sei regelmäßig eben als ein solches „grobes Verschulden" aufzufassen und dem würde i m strafgerichtlichen Urteil dann auch Ausdruck verliehen werden. 174

Vgl. Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 4, S. 82. Sollte i m einzelnen Falle der Erlaß eines strafgerichtlichen Urteils gegen denjenigen, der den U n f a l l vorsätzlich oder m i t Außerachtlassung der oben bezeichneten besonderen Aufmerksamkeit verursacht habe, durch den Tod, die Flucht oder einen sonstigen i n der Person des Schuldigen liegenden G r u n d ausgeschlossen sein, so ließ die Regelung des § 94 i m 3. E n t w u r f den Erlaß des Urteils als Voraussetzung f ü r die Erhebung des Anspruchs seitens des vorsätzlich etc. Beschädigten oder seitens der Genossenschaften etc. wegfallen. 176 Vgl. oben S. 108 zum 1. Gesetzentwurf, § 47. 177 Vgl. Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 4, S. 83. 178 § 93 des 3. Entwurfs (a. a. O., Nr. 4, S. 28) lautete: (Abs. 1) Die Betriebsunternehmer..., gegen welche durch strafgerichtliches U r t e i l festgestellt worden ist, daß sie den U n f a l l vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit m i t Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit, zu der sie vermöge ihres Amts, Berufs oder Gewerbes besonders verpflichtet sind, herbeigeführt haben, haften f ü r alle Aufwendungen, welche infolge des Unfalls aufgrund dieses Gesetzes . . . von den Genossenschaften . . . gemacht worden sind. (Abs. 2 ) . . . 175

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Es bleibe also immerhin die Möglichkeit einer strafgerichtlichen Verurteilung i. S. des § 93. Außerdem sei daran zu erinnern, daß die den Genossenschaften beigelegte Befugnis, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und Zuwiderhandelnde höher heranzuziehen, zur Unfallverhütung, insbesondere zur Schärfung der Aufmerksamkeit der Unternehmer etc., wesentlich beitragen werde. Zweiter Unterabschnitt Der Bericht der V I I . Kommission zur Vorbereitung des 3. Gesetzentwurfs 179 I. Vorbemerkung und Darlegung der Generaldiskussion Dem Bericht zufolge trat bereits i n der Generaldiskussion 180 eine große Verschiedenheit der Ansichten hervor. Nahezu eine jede der i n der Kommission vertretenen fünf parlamentarischen Gruppen schien gegenüber dem 3. E n t w u r f eine besondere Stellung einzunehmen. Während auf keiner Seite dem E n t w u r f rückhaltlos zugestimmt wurde, war die Opposition gegen die Vorlage nach Grad und Umfang mannigfach abgestuft. Daß der Regierungsentwurf dennoch nicht i n wesentlichen Teilen abgeändert wurde, w a r vor allem der Tatsache zu verdanken, daß dessen Gegner i n aller Regel davon absahen, förmliche Abänderungsanträge zu stellen und sich darauf beschränkten, ihre abweichenden Standpunkte i n Form von Gegenvorschlägen darzulegen. 179 Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 115, S. 1—60. A m 28. März 1884 t r a t die V I I . Kommission v o n 28 Mitgliedern i n die V e r handlung über das U V G ein. Wie schwierig es w a r , die auseinanderstrebenden politischen Richtungen, die sich anläßlich der Stellungnahme zum 3. Regierungsentwurf nach w i e v o r zeigten, auf den gemeinsamen Nenner eines Gesetzes zu bringen, zeigt sich daran, daß zur Verhandlung 23 Sitzungen abgehalten werden mußten. Davon fielen 20 auf die erste, 3 auf die zweite Lesung. I n weiteren 3 Sitzungen w u r d e der v o n dem Abg. v. H e r t l i n g i m Auftrage der Kommission erstattete schriftliche Bericht verlesen u n d festgestellt. Vgl. i n diesem Zusammenhang auch die Sten.Ber. RT, 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bände 1 u. 2, die die Diskussionsbeiträge der Abg. i m Rahmen v o n 3 Beratungen wiedergeben. A u f die 1. Beratung entfielen 3 Sitzungen (a. a. O., Bd. 1, S. 35—99), auf die 2. Beratung 6 Sitzungen (a. a. O., Bd. 2, 5. 750—951), auf die letzte Beratung eine Sitzung (a. a. O., Bd. 2, S. 1103—1131). Auch hier gilt bezüglich der Wiedergabe dieser Diskussionsbeiträge das bereits zu den vorigen Plenumsverhandlungen Gesagte. Insgesamt geben die RT-Verhandlungen einen Einblick i n das immense Arbeitspensum, das m i t der Schaffung des U V G verbunden war. 180 Sie fand bei Beginn der 1. Lesung statt u n d füllte allein eine Sitzung aus (vgl. a. a. O., Nr. 115, S. 2).

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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So verlangten diejenigen, deren Standpunkt am weitesten von dem der Vorlage ablag, daß es den Unternehmern freistehen müsse, wo und unter welchen Bedingungen sie der VersPflicht genügen wollten. I n diesem Sinne wurde die Aufrechterhaltung der privaten VersGesellschaften als unerläßliche Voraussetzung bezeichnet und die i m 3. Entwurf vorgeschlagene staatliche Organisation abgewiesen. Andere hingegen gingen m i t ihrer Forderung nicht so weit, sondern strebten für diese Organisation nur ein anderes System an, nämlich geographisch abgegrenzte Betriebsverbände statt der geplanten Berufsgenossenschaften, wobei sie neben den ersteren noch für die privaten VersGesellschaften, zum mindesten für die auf Gegenseitigkeit gegründeten, Raum lassen wollten. Auch auf der anderen Seite hingegen, auf der man die Frage der Zulassung der PrivatVersGesellschaften durch die früheren Verhandlungen, und zwar i m verneinenden Sinne, für entschieden ansah, fand die von den verbündeten Regierungen vorgeschlagene Organisation nicht ausnahmslose Zustimmung. Vielmehr wurde eine Umgestaltung derselben i n wesentlichen Punkten als erforderlich bezeichnet. Darüber hinaus richteten sich die Angriffe insbesondere auch gegen das Umlageverfahren. II. Beschränkung der Untersuchungen bezüglich der Spezialdiskussion über die einzelnen Vorschriften Da es nicht i m Plan unserer Untersuchungen liegt, die anläßlich der Diskussion über die einzelnen Entwurfsvorschriften i n der V I I . Kommission hervorgetretenen politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gegensätze der einzelnen Parteivertreter zu beleuchten, beschränkten w i r uns i m weiteren darauf, bisher weitgehend unbekannte Abänderungsvorschläge und deren Begründungen sowie bisher nicht geäußerte kritische Bemerkungen zum Regierungsentwurf bezüglich der i n unserem Plan liegenden Punkte herauszuarbeiten.

I I I . Abweichungen und Neuerungen gegenüber den vorhergehenden Entwürfen 1. Mittelaufbringung für die U V Zum Problem der Mittelaufbringung für die U V wurde vorgeschlagen, das Umlage verfahren — wie es i n § 10 des 3. Entwurfs vorgesehen war — durch das sog. Anlage- oder Kapitaldeckungsverfahren zu ersetzen, demzufolge für die jährlich eintretenden Verpflichtungen sofort die

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

ganze Summe, die zur endgültigen Deckung dieser Verpflichtungen voraussichtlich erfordert würde, aufgebracht werden mußte. Zur Begründung wurde ausgeführt 181 , das i m 3. Entwurf vorgesehene Umlageverfahren sei ungerecht, ja unmoralisch, sofern es die Gegenwart entlaste zum Nachteil der Zukunft, es verletze den elementaren Grundsatz, daß derjenige für den Schaden aufkommen müsse, der i h n veranlaßt habe. Indem es die Last zu Anfang ganz außerordentlich vermindere, steigere es dieselbe von einem bestimmten Zeitpunkt an zu unerträglicher, die Konkurrenzfähigkeit der Industrie beeinträchtigender Höhe. Höchstens für völlig stabile Verhältnisse könne man seine Anwendung rechtfertigen, nicht aber gegenüber den vielfach schwankenden Verhältnissen der Industrie, angesichts der jährlich i n die Hunderte gehenden Konkurse und der großen Unterschiede i n der Zahl der Arbeiter, die ein und dasselbe Unternehmen beschäftige und der unausgesetzten Steigerung der Arbeitslöhne. Besonders m i t Rücksicht auf die kleinen Verbände, für die das Umlageverfahren schlechterdings ungeeignet sei, stehe zu befürchten, daß eine massenhafte Überwälzung der Last insolventer Berufsgenossenschaften auf das Reich, d. h. auf die Gesamtheit der Steuerzahler, stattfinden werde. An diesem Punkte zeige sich deutlich, daß der Regierungsentwurf kein Versicherungsgesetz, sondern „ein Gesetz über gemeinschaftliche Deckung entstandener Betriebsschäden" 182 darstelle; die unrichtige Bezeichnung werde der weiteren Rechtsentwicklung hindernd i n den Weg treten. Dem Hauptbedenken i n dieser K r i t i k , der letztlichen Belastung des Steuerzahlers — vorausgesetzt, einzelne Berufsgenossenschaften w ü r den insolvent —, wurde dadurch begegnet, daß den Berufsgenossenschaften die Ansammlung eines Reservefonds allgemein zur Pflicht gemacht und ihnen gleichzeitig das Recht eingeräumt wurde, zur Beschaffung dieses Fonds i m ersten Jahre einen Beitrag i m voraus zu erheben. 2. Versicherungsträger a) Neuer Vorschlag Hinsichtlich der Frage der VersTräger wurde nach einer ausgiebigen Diskussion über die unveränderte oder teilweise Beibehaltung der PrivatVersGesellschaften bei dementsprechend völliger oder teilweiser 181 182

Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 115, S. 25/26. Vgl. Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 115, S. 26.

4. Kap.: Die Denkmodelle für die Schöpfer des U V G 1884

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Verdrängung geplanter öffentlich-rechtlicher Institutionen 1 8 3 m i t den uns bereits aus dem 1. Regierungsentwurf i m wesentlichen bekannten Argumenten und Gegenargumenten 184 folgender modifizierte Vorschlag gemacht: i m Unterschied zum Entwurf, der Berufsgenossenschaften i m eigentlichen Sinne vorsah und i n denselben nur gleiche oder verwandte Betriebe zusammenfassen wollte 1 8 5 , sollten nunmehr sämtliche Betriebe je eines geographisch abgegrenzten Bezirkes zusammengefaßt werden. I n näherer Erläuterung dieses Vorschlags wurde ausgeführt 186 , daß einesteils kleine Genossenschaften nicht imstande seien, dasjenige zu leisten, was bisher seitens der privaten Gegenseitigkeitsgesellschaften geleistet worden sei. Anderenteils seien Berufsgenossenschaften von so weitem Umfang, wie die Vorlage sie als Regel hinstelle, zur Entwicklung regen korporativen Lebens nicht geeignet, die Mitglieder blieben einander und der gemeinsamen Aufgabe fremd, die Erfüllung der letzteren werde ausschließlich einem Beamten zufallen. Die Zersplitterung nach Berufen müsse zu einer unnützen Steigerung der Verwaltungskosten führen. Man bedürfe vielmehr großer, geographisch abgegrenzter Verwaltungsverbände, um die Last auf breite Schultern zu legen, und der Zusammenfassung verschiedener Betriebe, um die in den einzelnen Industriezweigen auftretenden Schwankungen gegeneinander auszugleichen. Neben der geographischen Begrenzung solle dann noch eine Einteilung nach Berufsgenossenschaften und Gefahrenklassen einhergehen. b) Ablehnung dieses Vorschlags Diesem Vorschlag wurde entgegengehalten, daß er an Unklarheit leide und eine Quelle zahlreicher Kompetenzkonflikte werden müsse, während doch der Regierungsentwurf einen gesunden, lebenskräftigen Gedanken darstelle. Weitere sozialpolitische Aufgaben würden sich überdies den großen, lediglich unter dem geographischen Gesichtspunkte gebildeten Verwaltungsverbänden nicht zuweisen lassen 187 .

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Vgl. Besondere Begründung zu § 9, a. a. O., Nr. 115, S. 17—24. Vgl. hierzu oben S. 115 ff. 185 Vgl. hierzu oben S. 116 f. 186 a. a. O., Nr. 115, S. 22. 187 Da der Vorschlag nicht i n Gestalt eines formellen Antrags vorlag, wurde nicht über i h n abgestimmt. E r fand m i t seiner Äußerung gleichzeitig seine Erledigung. 184

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

3. Stellung und Charakter des Reichsversicherungsamts Der E r w ä h n u n g w e r t scheint uns an dieser Stelle w e i t e r h i n die Anfrage eines Kommissionsmitglieds nach Stellung u n d Charakter des Reichsversicherungsamts 188 , ob es nämlich richterliche Funktionen ausüben solle, von wo es ressortiere u n d ob der Reichskanzler i n seine Entscheidungen eingreifen könne. V o n einem Vertreter der verbündeten Regierungen wurde nachstehende E r k l ä r u n g hierzu abgegeben 1 8 9 : „Das Reichsversicherungsamt ist eine mit selbständigen Entscheidungs- und Zwangsbefugnissen ausgerüstete Reichsbehörde, die unbeschadet gewisser dem Bundesrat übertragener Funktionen die Durchführung des Gesetzes in organisatorischer, administrativer, verwaltungsrechtlicher und disziplinarischer Beziehung in letzter Instanz in der Hand hat Eine oberste Reichsbehörde wie das Reichsamt des Innern, das Reichs-Justizamt u n d das ReichsSchatzamt ist das Reichsversicherungsamt indessen nicht. Ä h n l i c h w i e die ,Reichskommission 4 u n d das »Bundesamt f ü r Heimatwesen 4 gehört das ReichsVersAmt zum Ressort des Reichsamts des Innern, dessen geschäftlicher Aufsicht es untersteht Das Gesetz gewährt niemandem u n d namentlich auch der erwähnten Aufsichtsbehörde nicht die Befugnis, i n die Instanzentscheidungen des ReichsVers A m t s einzugreifen oder statt seiner selbst zu entscheiden . . . "

4. Errichtung

von Landesversicherungsämtern

I n der Kommission wurde hierzu geäußert, daß die dem ReichsVersAmt zugewiesenen Funktionen möglicherweise anderen Behörden übertragen w e r den könnten. I m weiteren Verlauf der Verhandlungen w u r d e v o n den Vertretern dieser Meinung erklärt, man habe das ReichsVersAmt ganz aus dem Gesetz streichen u n d die demselben zustehenden Funktionen an den Bundesrat, den Reichskanzler u n d Landeszentralbehörden verteilen wollen. Da m a n aber auf die V e r w i r k l i c h u n g solcher Vorschläge nicht habe hoffen können, verzichte m a n darauf, gegen die Zusammensetzung u n d die Kompetenz jener Behörde noch weiter Widerspruch zu erheben. U m so größeres Gewicht lege man aber nunmehr darauf, daß neben dem ReichsVersAmt (RVA) unter bestimmten Voraussetzungen Landes-Versicherungsämter errichtet werden könnten. I n der T a t wurde dann der Kommission der A n t r a g auf die Einführung eines diese Frage regelnden § 91 a 1 9 0 unterbreitet, der schließlich auch gegen 188

Vgl. hierzu oben S. 135. a. a. O., Nr. 115, S. 52. 190 § 91 a des 3. Entwurfs (a. a. O., Nr. 115, S. 54) lautete: (Abs. 1) I n den einzelnen Bundesstaaten können f ü r das Gebiet derselben Landesversicherungsämter errichtet werden. (Abs. 2) (S. 1) Der Beaufsichtigung des Landesversicherungsamts (LVA) unterstehen diejenigen Berufsgenossenschaften, welche sich nicht über das Gebiet des betreifenden Bundesstaates hinaus erstrecken. (S. 2) I n den Angelegenheiten dieser Berufsgenossenschaften gehen die . . . dem R V A übertragenen Zuständigkeiten auf das L V A über. (Abs. 3 ) . . .

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einige mahnende Stimmen, die durch § 91 a die Reichseinheit gefährdet sahen, angenommen w u r d e u n d damit die Errichtung von LandesVersÄmtern auf Kosten der Landesregierungen zuließ. Die Begründung f ü r diesen A n t r a g bestand i m wesentlichen darin, daß der zentralisierenden Tendenz der Regierungsvorlage entgegengearbeitet werden müßte u n d Kompetenzen bei den Einzelstaaten verbleiben sollten, die ihnen „nach der N a t u r der Sache" zufielen 191. Bei der zweckmäßigen Organisation der Interessenvertretung v o n Handel u n d Gewerbe sei aufgrund von Vereinbarungen m i t den zu errichtenden L a n desVersÄmtern eine zutreffendere B i l d u n g der Berufsgenossenschaften zu erwarten, als sie v o n dem ohnehin überlasteten R V A erwartet werden könne. Tatsächliche Erhebungen z. B., auf die auch das R V A angewiesen sein werde, könnten zweckmäßiger durch eine den örtlichen Verhältnissen näher stehende Behörde ausgeführt werden. 5. Verbliebene

Haftpflichtigkeit

des

Unternehmers

a) N e u e r V o r s c h l a g Z u m P r o b l e m der gegenüber d e m A r b e i t e r v o n Seiten des U n t e r n e h m e r s v e r b l i e b e n e n H a f t p f l i c h t i g k e i t — i m E n t w u r f u n t e r § 92 ger e g e l t 1 9 2 — w u r d e vorgeschlagen, nach d e m W o r t e „ v o r s ä t z l i c h " i n A b s a t z 1 des § 92 folgende W o r t e einzuschalten: „oder durch Fahrlässigkeit m i t Außerachtlassung derjenigen A u f m e r k samkeit, zu der sie vermöge ihres Amts, Berufs oder Gewerbes besonders verpflichtet sind". D i e ausgesprochene A b s i c h t dieses Vorschlags g i n g d a h i n , d e n A r b e i t g e b e r n i m Interesse der U n f a l l v e r h ü t u n g d u r c h eine Festsetzung der H a f t p f l i c h t bereits b e i fahrlässiger U n f a l l h e r b e i f ü h r u n g die m ö g l i c h s t e V o r s i c h t einzuschärfen. b) A b l e h n u n g dieses Vorschlags G e g e n diesen s p ä t e r h i n a b g e l e h n t e n V o r s c h l a g w u r d e e r k l ä r t 1 9 3 , der A r b e i t e r e r h a l t e die v o l l e Rente, auch w e n n er d e n U n f a l l d u r c h grobe F a h r l ä s s i g k e i t h e r b e i g e f ü h r t habe. 191

Vgl. hierzu Besondere Begründung, a. a. O., Nr. 115, S. 55. Vgl. hierzu oben S. 136 f. § 92 i n der Fassung des 3. Entwurfs lautete: (Abs. 1) Die . . . versicherten P e r s o n e n . . . können einen Anspruch auf Ersatz des i n Folge eines Unfalls erlittenen Schadens n u r gegen diejenigen Betriebsunternehmer . . . geltend machen, gegen welche durch strafgerichtliches U r t e i l festgestellt worden ist, daß sie den U n f a l l vorsätzlich herbeigeführt haben. (Abs. 2)... 193 Vgl. Besondere Begründung zu § 92, a. a. O., Nr. 115, S. 57. 192

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1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

Das Korrelat hierzu aber sei, den Arbeitgeber nicht i n den Fällen der Fahrlässigkeit dem Arbeiter gegenüber haftbar zu machen. Dieselbe stehe jedoch m i t der Vorsätzlichkeit nicht auf gleicher Linie. Auch würde man nach Annahme des Vorschlags sofort wieder die Prozesse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern haben, da eine fahrlässige Unfallherbeiführung durch den Unternehmer regelmäßig des öfteren vorkäme und gerade auch i n diesen Fällen der Unternehmer von seiner Haftpflichtigkeit befreit werden solle. Die Vermeidung solcher Prozesse jedoch sei eines der hauptsächlich von der Gesetzgebung verfolgten Ziele. Nur bei vorsätzlicher Beschädigung bleibe das geltende Recht i n Kraft. Die Rente erhalte der Beschädigte von der Genossenschaft, das darüber Hinausgehende von dem vorsätzlich-schuldigen Unternehmer. 3. Unterabschnitt Weiteres Schicksal des 3. Gesetzentwurfs Nachdem dieser Entwurf i n der V I I . Kommission ohne wesentliche Abänderungen angenommen worden war, fand er unter dem Namen „Unfallversicherungsgesetz" endlich auch die Billigung der übrigen gesetzgebenden Instanzen 194 und wurde unter dem 6. J u l i 1884 nach Zustimmung des Bundesrats und des RTs. vom Kaiser zum Gesetz erhoben 195 . Achter

Abschnitt

Zusammenfassung mit vergleichender Zusammenstellung der Gesetzentwürfe von 1881, 1882 und 1884 I. Von den zu Anfang des 4. Kapitels i m 1. Abschnitt grob skizzierten Möglichkeiten zur Lösung der Problemkonstellation ,Sicherstellung des Unfallverletzten sowie seiner Hinterbliebenen etc. einerseits und Erleichterung der Haftpflicht des Unternehmers aufgrund eines Unfalls andererseits 4 entschied sich der Gesetzgeber für den dort an letzter Stelle unter V I . genannten Lösungsweg. 194 Die übrigen Abänderungsanträge v o n Abgeordneten des RTs. w o l l t e n durchgehend n u r entweder die Regierungsvorlage i n ihrer ursprünglichen F o r m wieder herstellen oder i n geringfügigen, hier nicht interessierenden Punkten abändern: vgl. die N u m m e r n 120 (Bebel u. a.), 121/124/139/148 (sämtliche von Dr. B a r t h u. a.), 129/145/146 I I /154 (sämtliche v o n Dr. B u h l u. a.), 135 (Schräder u. a.), 136 (Büchtemann u. a.), 137/140 (Oechelhäuser), 138 I (Grad u. a.), 138 I I (v. Maltzahn-Gültz u. a.), 146 I (Leuschner u. a.), 144 (Dr. W i n d t horst u. a.), des weiteren die Abänderungsanträge unter Nr. 172, 173, 177, 181, sämtlich abgedruckt i n Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3. 195 RGBl. 1884, S. 69.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

1

Die Lösungswege I — V hatten sich i m Laufe der dargestellten Gesetzesentwicklung entweder als überhaupt nicht der Diskussion wert oder aber als weniger tauglich als der Lösungsweg V I herausgestellt. II. U m noch einmal hervorzuheben, was i n Gestalt des U V G 1884 gegenüber der früheren Rechtslage grundsätzlich Neues entstanden ist, seien nunmehr die drei Gesetzentwürfe i n einer vergleichenden Betrachtungsweise zusammengestellt 196 . Hierbei sollen auch diejenigen Punkte i n ihren wichtigsten Grundzügen aufgeführt werden, deren Beleuchtung bisher aus Gründen der Übersichtlichkeit unterbleiben mußte: 1. Alle drei Entwürfe hatten dasselbe Ziel i m Auge: Obligatorische Versicherung der Arbeiter gegen die Betriebsunfälle auf dem Boden des öffentlichen Rechts unter weitestgehender Beseitigung der Haftpflicht der Unternehmer m i t ihren zersetzenden Prozessen. Den Weg zu diesem Ziele suchten sie i n verschiedener Weise. Denn was 2. die Organisation der Versicherung betraf, so strebte der 1. Entwurf eine rein bürokratisch zentralisierte Reichs Versicherung an; der 2. Entw u r f betrat dann den Boden genossenschaftlicher Versicherung, aber nicht auf der Grundlage der Berufskorporation, sondern auf der Basis der aus den verschiedensten untereinander fremden Industriezweigen bestehenden Gefahrenklassen m i t territorialer Gliederung i n Betriebsgenossenschaften und Betriebs verbände. Der 3. Entwurf endlich verwirklichte die Idee berufsgenossenschaftlicher Assoziation, die sich nach dem Willen der Beteiligten frei vollziehen und nur i m Notfall m i t staatlicher Nachhilfe durchgeführt werden sollte. 3. Hinsichtlich des Kreises der versicherten Personen deckten sich der 1. und 3. Entwurf i m großen und ganzen. Der 2. Entwurf war durch die Aufnahme der Bauarbeiter weitergegangen. Der 3. Entwurf gestattete darüber hinaus die Heranziehung der besser gestellten Betriebsbeamten m i t mehr als 2000 Mark Jahreseinkommen i n die Versicherung und gewährte den Unternehmern kleiner versicherungspflichtiger Betriebe die Möglichkeit, sich auch für ihre Person an der Versicherung zu beteiligen I m übrigen war die gesetzliche U V auf die Versicherung von Betrieben und Tätigkeiten, nicht jedoch auf die Versicherung von Personengruppen ausgerichtet. 4. Die Beiträge für die UV wurden nach dem 1. Entwurf von Arbeitgebern und Arbeitnehmern m i t einem Reichszuschuß, nach dem 2. Entw u r f von den Arbeitgebern m i t einem Reichszuschuß, gemäß dem 3. Ent196 Diese zusammenfassende Darstellung erfolgt i n Anlehnung an die Übersicht bei Bödiker, a. a. O., S. 39—41.

10 v. Heinz

146

1. Teil: Die Entwicklung bis zum U V G 1884

w u r f von den Arbeitgebern ohne Reichszuschuß gefordert. Der letzte Entwurf statuierte jedoch die Garantie des Reichs für etwa leistungsunfähig werdende Genossenschaften. 5. Der 1. Entwurf erhob die Beiträge i n der Form von festen Prämien (Deckungskapitalprinzip), die beiden anderen Entwürfe legten nur den effektiven Jahresbedarf u m (Umlageprinzip). 6. Die den Krankenkassen zur Last fallende Fürsorge für die erste Zeit nach einem Unfall (Karenzzeit) erstreckte der 1. Entwurf auf 4 Wochen, die beiden anderen Entwürfe, die jeden Arbeiterbeitrag zur U V beseitigten, bestimmten als Karenzzeit 3 Monate. 7. Eine Beteiligung der Betriebsunternehmer an der Verwaltung dei Vers Anstalt kannte der 1. Entwurf nicht; der 2. Entwurf legte die Verwaltung wesentlich i n ihre Hände; der 3. Entwurf führte das Prinzip der Selbstverwaltung i n allen Stadien selbst bis i n die Zentralinstanz hinein durch. 8. Die Arbeiter fanden i m 1. Entwurf keine Vertretung, i m 2. Entwurf wurden ihnen selbständige Arbeiterausschüsse zuerkannt, der 3. Entw u r f erweiterte die Kompetenz der letzteren. 9. Gegen die Entschädigungsfestsetzungen der Reichs Versicherungsanstalt gab der 1. Entwurf das Rechtsmittel der gerichtlichen Klage, der 2. Entwurf führte i n erster und letzter Instanz entscheidende Schiedsgerichte ein; der 3. Entwurf machte die Entscheidungen der letzteren in allen wichtigeren Fällen anfechtbar durch Berufung an das neu zu errichtende Reichsversicherungsamt. 10. Der 1. Entwurf sah keine besonderen Zahlstellen für die Auszahlung der Renten usw. vor; der 2. und 3. Entwurf übertrugen die letztere den Postanstalten. 11. I m 1. Entwurf wurde die Frage der Unfallverhütung nicht berührt; der 2. und 3. Entwurf legten den Genossenschaften nicht nur das Recht des Erlasses von Unfallverhütungsvorschriften bei, sondern gaben ihnen auch das Recht zur Beaufsichtigung der Betriebe hinsichtlich der Befolgung der Unfallverhütungsvorschriften durch eigene Beauftragte. 12. Während der 1. Entwurf keine Veranlassung hatte, bezüglich der Beaufsichtigung der ReichsVersAnstalt Vorkehrungen zu treffen, übertrug der 2. Entwurf die Aufsicht über das Versicherungswesen den Landesbehörden, der 3. Entwurf bestimmte hierfür das RVA. Dabei tat „dieser Entwurf durch die Aufnahme von Arbeitgebern und Arbeitern i n diese Zentralinstanz einen sozialpolitischen Schritt, für den es keinen Vorgang gibt" 1 9 7 . 197

So Bödiker, a. a. O., S. 40.

4. Kap.: Die Denkmodelle f ü r die Schöpfer des U V G 1884

147

13. Während der 1. und 2. Entwurf die Ahndung von Zuwiderhandlungen der Betriebsunternehmer i n bezug auf die vorgeschriebene A n meldung von versicherungspflichtigen Betrieben, von Betriebsveränderungen etc. den Gerichten zugewiesen, überließ der 3. Entwurf die Bestrafung dem „gewissenhaften Ermessen" der Genossenschaftsvorstände. Die Bestrafung der Arbeiter wegen Zuwiderhandlungen gegen die erlassenen UnfallverhütungsVorschriften hatte der 1. Entwurf keine Veranlassung vorzusehen (vgl. oben Ziff. 11), der 2. Entwurf übertrug sie den Ortspolizeibehörden, der 3. Entwurf den Betriebs-, (Fabrik-), Krankenkassenvorständen, sofern solche Kassen für den Betrieb bestanden. 14. Was die Haftpflicht des Betriebsunternehmers anging, so bestimmten der 1. und 2. Entwurf übereinstimmend, daß derselbe dem Unfallverletzten etc. gegenüber nur wegen vorsätzlich herbeigeführter Unfälle, der Versicherungsanstalt gegenüber jedoch i m Rückgriffswege auch wegen solcher Unfälle haften sollte, die durch grobes Verschulden herbeigeführt waren. I n beiden Beziehungen führte der 3. Entwurf wesentliche Änderungen ein, indem i n der Regel ein vorausgegangenes Strafurteil als die Voraussetzung der Geltendmachung jener Ansprüche gefordert und i m zweiten Falle vorgeschrieben wurde, daß die Fahrlässigkeit, die die Regreßpflicht begründen sollte, eine solche sein mußte, daß dabei diejenige Aufmerksamkeit außer acht gelassen war, zu der der Unternehmer vermöge seines Amts, Berufs oder Gewerbes besonders verpflichtet war. Außerdem beschränkte der 3. Entwurf die Schadensersatzpflicht der Bevollmächtigten, Repräsentanten, Beamten, Werkführer usw. i n gleicher Weise wie die der Betriebsunternehmer. Die Haftpflicht der letzteren für Handlungen ihrer Bevollmächtigten usw. (gem. § 2 RHPflG, A r t . 1384 Code civil) wurde i n allen drei Entwürfen gleichmäßig beseitigt. 15. Zeigte sich hiernach trotz aller Verschiedenheiten der drei Gesetzentwürfe die unter Ziff. 1 genannte Einheitlichkeit ihres Gesamtzieles, so kam diese Einheitlichkeit auch i n dem für die Unfallverletzten etc. entscheidenden Punkt zum Ausdruck: i n der Höhe der zu gewährenden Entschädigung. I n dieser Beziehung waren die Entwürfe nahezu übereinstimmend. Der jüngste, zum Gesetz gewordene Entwurf sah die günstigste Regelung vor, wie überhaupt jeder neue Entwurf den Versicherten neue Vorteile brachte.

10*

ZWEITER

TEIL

Übergang zur heutigen Rechtslage Erstes

Kapitel

Heutige Rechtsquellen1 Erster

Abschnitt

Die heutigen Rechtsmaterien N a c h d e m die R e c h t s e n t w i c k l u n g i h r e n b e k a n n t e n F o r t g a n g g e n o m m e n h a t t e 2 , finden sich die i m T h e m a g e n a n n t e n K o m p l e x e hauptsächl i c h i n f o l g e n d e n R e c h t s q u e l l e n geregelt: I . Das p r i v a t e U V - R e c h t 1. i n d e n einschlägigen Gesetzen ,

nämlich

a) d e m Gesetz ü b e r d e n V e r s V e r t r a g v o m 30. 5.1908 ( R G B l . S. 263) ( = W G ) m i t z a h l r e i c h e n A b ä n d e r u n g e n 3 , d e r e n l e t z t e das Gesetz z u r 1 Z u r terminologischen Klarstellung sei bemerkt, daß hier beide Komplexe als Zweige der „PrivatVersicherung" angesehen werden. Eine solche K l a r stellung ist notwendig, w e i l m i t u n t e r i m Schrifttum (vgl. z. B. Manes, VersWesen, Bd. 1, S. 13) empfohlen w i r d , die Bezeichnung „PrivatVers." durch „IndividualVers." zu ersetzen, u m hierdurch einen deutlicheren Gegensatz zur SozialVers. (vgl. dazu unten S. 151) zu betonen. Hiergegen ist jedoch einzuwenden (vgl. Bruck-Möller , W G , § 1 A n m . 19 b, S. 103 u n d Wannagat, Lehrbuch, 1. Abschn., § 1, S. 1, A n m . 3), daß auch die Bezeichnung „IndividualVers." nicht weiterführt. Denn jede Versicherung hat auch soziale Momente i n sich (vgl. Steinlein , „PrivatVers. u n d SozialVers. i n der Schweiz" i n SZS 1957, S. 131 ff. [131]), jede Versicherung setzt eine Gefahrengemeinschaft voraus, die nicht n u r das I n d i v i d u u m berücksichtigen kann. Daher erscheint es uns zweckmäßig, uns der w e i t mehr eingebürgerten Bezeichnung „PrivatVers ." zu bedienen, w e n n sie auch öffentlich-rechtliche VersVerhältnisse mitumfaßt (dazu unten S. 261 f.) u n d daher ungenau ist (so zutreffend Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit u n d seiner Reform, S. 15). 2 Vorzügliche Darstellungen über die Weiterentwicklung der Rechtsquellen v o n dem i n dieser A r b e i t dargelegten bis zum modernen Stande bieten f ü r das private U n f a l l - u n d Haftpflichtversicherungsrecht sowie das PrivatVers-

150

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

Ä n d e r u n g des W G v o m 30. 6.1967 ( B G B l . I S. 609) d a r s t e l l t . Insbesondere s i n d die §§ 179—185 i m 4 . A b s c h n . des W G

der p r i v a t e n

UV

gewidmet; b) d e m Gesetz ü b e r die B e a u f s i c h t i g u n g d e r p r i v a t e n V e r s U n t e r n e h m u n g e n u n d Bausparkassen v o m 6. 6.1931 ( N e u b e k a n n t m a c h u n g i m R G B l . I S . 315), k u r z g e n a n n t VersAufsichtsgesetz ( = V A G ) ; 2. i n d e n §§ 1—20 der A l l g e m e i n e n U n f a l l v e r s i c h e r u n g s - B e d i n g u n g e n ( A U B ) v o n 1961, a b g e d r u c k t als A n h a n g z u §§ 179—185 i m K o m m e n t a r z u m W G v o n Prölss 4 , s o w i e i n d e n e t w a i g e n S o n d e r b e d i n g u n g e n (Besondere V e r s B e d i n g u n g e n ) 5 der p r i v a t e n U n f a l l v e r s i c h e r e r ; 3. i n d e n §§ 16—21 der A l l g e m e i n e n B e d i n g u n g e n f ü r die K r a f t v e r k e h r s V e r s . ( A K B ) , a b g e d r u c k t i m W G - K o m m . v o n Prölss, A n h a n g I I z u §§ 149—158 k (S. 703—789) i n d e r d o r t a u f S. 703 u n t e r A n m . *) n ä h e r gekennzeichneten F o r m ; 4. i n d e n K l a u s e l n , die k u r z g e f a ß t e E r g ä n z u n g s t e x t e z u d e n A U B d a r s t e l l e n u n d deshalb auch A l l g e m e i n e V e r s B e d i n g u n g e n s i n d 6 . I I . Das private HPflVersRecht 1. i n f o l g e n d e n

Gesetzen:

a) i m 6. T i t e l m i t d e n §§ 149—158 k des 2. A b s c h n i t t s (Schadensversicherung: §§ 149—158 k ) des W G ; b) i m V A G w i e o b e n I I b ; Recht i m allgemeinen z.B. Manes, Vers Wesen, 2. Bd., I I I , §36, S. 86—104; f ü r die gesetzliche U V z. B. Lauterbach, U V - K o m m . , „Geschichtliche E n t w i c k lung", Bd. 1, S. 23—40/3. 3 Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei Prölss, W G - K o m m . , Vorbem. zur A n w e n d u n g des VersRechts 1 1 a, b; zu deren Rechtscharakter vgl. statt vieler Prölss, a. a. O., Vorbem. I, A n m . 6. 4 S. 922—957. 5 „Sonderbedingungen" oder „Besondere Bedingungen" werden v o n F a l l zu F a l l f ü r ein besonderes konkretes Wagnis vereinbart. Sie werden nicht allgemein verwendet. Verwendet die U V - P r a x i s gleichwohl den Terminus „Sonderbedingungen" oder „Besondere Bedingungen" f ü r allgemein verwendete Bedingungen, so liegen abweichend v o m Sprachgebrauch i m Rechtssinne „Allgemeine VersBedingungen" vor. Grewing („Unfallversicherung" i n „Die Versicherung", Zusatzheft I I I 1, S. 20) regt daher zu Recht an, solche ergänzenden Bedingungstexte, die zusammen m i t den A U B verwendet werden, besser „Zusatzbedingungen" zu nennen. 6 Klauseln sind selbst dann keine „Besonderen VersBedingungen", w e n n n u r wenige Wagnisse einer bestimmten Gattung i m Bestand des Versicherers vorhanden sind. Vgl. hierzu Prölss, W G - K o m m . , Vorbem. I , A n m . 7. Z u r begrifflichen Abgrenzung Allgemeine VersBedingungen/Besondere VersBedingungen/Zusatzbedingungen/Klauseln vgl. H. W. Weber, „ Z u r Abgrenzung von Zusatzbedingungen, Klauseln u n d Sicherheitsvorschriften" i n VersRecht 1950, S. 108.

1. Kap.: Heutige Rechtsquellen

151

c) i n der Neufassung des Gesetzes über die Einführung der PflichtVers. für Kraftfahrzeughalter und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Vers Vertrag vom 7.11.1939 (RGBl. I S. 2223) durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die PflichtVers. für Kraftfahrzeughalter vom 5. 4. 1965 (BGBl. I S . 213) unter der neuen Bezeichnung Gesetz über die PflichtVers. für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz) ( = PflVG); 2. i n den §§ 1—11 der Allgemeinen VersBedingungen für die HaftpflichtVers. (AHB) i n der Fassung des Rundschreibens R A A R 58/40 vom 4.12.1940, des Rundschreibens Nr. 29 H der Wirtschaftsgruppe HPflVers. vom 16.12.1940 sowie der bei Prölss, Kommentar zum VVG, i m Anhang I zu §§ 149—158 k 7 (Fußnoten) wiedergegebenen Bekanntmachungen des BAV; 3. i n den §§ 10, 11 der Allgemeinen Bedingungen für die KraftverkehrsVers. (AKB); 4. i n den §§ 1—19 der Allgemeinen VersBedingungen zur HPflVers. für Vermögensschäden (AVB) i n der vom R A A am 16.6.1943 genehmigten Form. Sie sind den A H B angepaßt; 5. i n den Klauseln, wie oben 14. I I I . Das Recht der gesetzlichen U V 8 hauptsächlich 1) i n der Reichsversicherungsordnung vom 19. 7.1911 (RGBl. S. 509) i n der Fassung vom 15.12.1924 (RGBl. S. 779) ( = RVO) abgeändert durch zahlreiche Gesetze9. 7

S. 649—698. Das gesetzliche oder soziale UV-Recht als Bestandteil des SozialVersRechts. Terminologisch ist bemerkenswert, daß es erst etwa ab dem Jahre 1906 üblich wurde, v o n SozialVers. zu sprechen. Wie es der Zielsetzung der Kaiserlichen Botschaft v o n 1881 entsprochen hatte — H e i l u n g der Schäden auf dem Wege der Förderung des Wohles der Arbeiter —, bestand vorher der geschützte Personenkreis v o r allem (wenn auch nicht ausschließlich) aus Arbeitern, so daß sich die Bezeichnung „ArbeiterVers." eingebürgert hatte (vgl. hierzu Bogs, „ Z u r Rechtsnatur der Versorgungseinrichtungen freier Berufe" i n : Beiträge zur SozialVers., Festgabe f ü r K r o h n , S. 35, 51, A n m . 19; Langkeit, „ Z u m Problem des VersFalls i n der SozialVers. u n d i n der I n d i v i dualVers." i n ZVersWiss. 1966, S. 31 ff. [36]). I m Schrifttum bürgerte sich die neue Bezeichnung „SozialVers." erst allmählich ein. I n der Reichsgesetzgebung setzte sich die terminologische Änderung gar erst etwa 1920/22 durch. Sie t r u g dem Umstand Rechnung, daß die SozialVers. entsprechend den v e r änderten Verhältnissen u n d Bedürfnissen neue Bevölkerungsgruppen erfaßte, die zwar nicht Arbeiter i m eigentlichen Sinne waren, jedoch ähnlich wie diese des Schutzes der SozialVers. gegen bestimmte Wechselfälle des Lebens bed ü r f t i g erschienen. 8

9

E i n Überblick über die abändernden Vorschriften findet sich bei Lauterbach, U V - K o m m . , Bd. 1, „Zeittafel", S. 23 ff.

152

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

Der U V ist insbesondere das Dritte Buch der RVO (§§ 537—1147) gewidmet, das eine grundlegende Überarbeitung durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen U V (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz — UVNG) vom 30.4.1963 (BGBl. I S. 241), i n K r a f t getreten am 1. 7.1963, erfahren hat. Weitere für die gesetzliche U V einschlägige Vorschriften befinden sich i m Ersten Buch der RVO (Gemeinsame Vorschriften für alle folgenden Bücher, §§ 1—164), i m Fünften Buch der RVO (Regelung der Beziehungen der VersTräger (Träger der UV) zueinander und zu anderen Verpflichteten, §§ 1501—1543 d) und schließlich i m Sechsten Buch der RVO („Verfahren", vgl. insbesondere unter A i m 1. Abschnitt des 6. Buches unter III., wo die Feststellung der Leistungen durch den UV-Träger geregelt ist, und zwar i n den §§ 1542—1612, sowie i m 4. Abschnitt des 6. Buches, der i n den §§ 1745—1769 besondere Vorschriften für die See-UV enthält); 2) i n zahlreichen Verordnungen 10 , von denen w i r hier insbesondere die Siebente Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20.6.1968 (BGBl. I S. 721) nennen wollen, die aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung i n § 551 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 und § 840 RVO von der Bundesregierung m i t Zustimmung des Bundesrates erlassen wurde. Zweiter

Abschnitt

Die heutige wirtschaftliche Bedeutung Die Aktualität der genannten drei Gebiete läßt sich am augenfälligsten i n deren wirtschaftlicher Bedeutung ablesen. Diese soll deshalb anhand von einigen Zahlenangaben verdeutlicht werden. I. Die private Vers Wirtschaft, insbesondere die Unfall- und HPflVers. 1. Die private VersWirtschaft

insgesamt

Bevor auf die private Unfall- und HPflVers. gesondert eingegangen wird, sollen einige Zahlen einen Eindruck vom Gesamtrahmen des 10

A l s Beispiele seien genannt: die V O über die v o n den Trägern der gesetzlichen U V an die Deutsche Bundespost zu zahlende Vergütung f ü r Rentenauszahlungen (UV-Vergütungsverordnung f ü r Rentenauszahlungen) v o m 30.4.1965 (BGBl. I S. 407); V O über die Gewährung von Mehrleistungen zu den Geldleistungen der gesetzlichen U V v o m 18. 8.1967 (BGBl. I S. 935), V O über A r t u n d F o r m der Rechnungsführung bei den Trägern der gesetzlichen U V (RUV) v o m 8. 9.1967 (Beil. zum BAnz. Nr. 174 v o m 15. 9.1967, ber. Nr. 205 v o m 28.10.1967).

1. Kap.: Heutige

echtsquellen

153

privaten VersGewerbes vermitteln, i n den die von uns zu untersuchenden VersZweige betreffend Unfall und Haftpflicht eingebettet sind. Gemäß dem Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen (GB B A V ) 1 1 betrugen die Gesamtbeitragseinnahmen i m selbstabgeschlossenen Geschäft während des Jahres 1967 rd. 20,4 Mrd. DM. Ende 1967 bestanden 52,8 M i l l . VersVerträge mit insgesamt 163,3 Mrd. D M VersSumme. Die Beitragseinnahmen machten rd. 7 Mrd. D M aus. Insgesamt wurden rd. 10,2 Mrd. D M fürs VersFälle gezahlt 12 . A m 31.12.1967 standen 890 VersUnternehmen unter der Aufsicht des B A V , darunter 45 ausländische VersUnternehmen. Dazu kamen 36 öffentlich-rechtliche und 7232 private VersUnternehmen, die unter Landesaufsicht standen 13 . I m weiterhin hier angeführten Zahlenmaterial möchten w i r uns auf die VersUnternehmen beschränken, die 1967 unter der Aufsicht des B A V standen. 2. Die private Unfall- und HPflVers. a) Anzahl der VersUnternehmen Von den insgesamt 890 VersUnternehmen unter Aufsicht des B A V befanden sich am 31.12.1967 319 VersUnternehmen, die die Schadens- (also gleichzeitig damit auch die Haftpflicht- 14 ) und UnfallVers. zusammen betrieben (ein Anteil von 35,8% der Gesamtzahl der VersUnternehmen); 34 Unternehmen hiervon waren ausländisch, mithin lediglich

285 inländisch; 5 der 319 Unternehmen waren ausschließlich als Unfallversicherer zu bezeichnen und 4 der 319 Unternehmen waren reine Haftpflichtversicherer.

11 GB B A V 1967, Berlin, Oktober 1968, vorgelegt v o m Bundesaufsichtsamt f ü r das Versicherungs- u n d Bausparwesen gem. § 103 V A G , S. 7. 12 Vgl. GB B A V 1967, S. 102. 13 Vgl. zur näheren Aufschlüsselung den materiellen u n d statistischen T e i l des GB B A V 1967. 14 Daß die HaftpflichtVers. ein Unterfall der SchadensVers. ist, geht bereits aus der A n o r d n u n g i m V V G hervor, nach der die HPflVers. i m 6. T i t e l des Zweiten Abschnitts (SchadensVers.) geregelt ist.

154

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

b) Rechtsform 15 der unter 2 a) genannten VersUnternehmen Von den 285 inländischen Schadens- und Unfallversicherern waren

A r t des U n t e r nehmens unter Aufsicht des BAV

AG

WaG

k l . Vereine gem. § 53 VAG

Schadens- u. UnfallVersUnternehmen

88

44

145

hiervon reine 1. U n f a l l versicherer

1

1

3

1

2

2. HPflVersicherer



öff.-r. VU

Sonst. Rechtsform (GmbH usw.)

6



1

2

Summe

285



5



4

Durch das unter 2 a) und b) ausgewiesene Zahlenmaterial w i r d vor allem deutlich, daß die Allgemeine U V sowie die HPflVers. jeweils für sich genommen nur von einer verschwindend geringen Anzahl VersUnternehmern betrieben wird. Der Großteil hat andere Unterarten der Schadens Vers, (hauptsächlich die Kraftverkehrs-, Feuer- und Hausrats-, Rechtsschutz-, Glas-, Kredit-, Tier-, HagelVers. und sonstige Arten) m i t i n das Geschäft einbezogen. c) Umfang der Einnahmen aa) I n der gesamten Schadens- und UnfallVers. betrugen die hier hauptsächlich interessierenden Beitragseinnahmen rd. 9,6 Mrd. DM 1 6 . Dies machte einen A n t e i l aller ErstVersPrämien von 47,2 °/o aus. Der Mammutteil dieser Beitragseinnahmen von 9,6 Mrd. D M entfiel dabei auf die KraftverkehrsVers. 1 7 als größten Zweig der Schaden- und UnfallVers. 15 Sie soll bereits hier aus Gründen der Übersichtlichkeit dargelegt w e r den, u m die Koppelung m i t den Zahlen nicht zu zerreißen. 16 So GB B A V 1967, S. 112 unter V. Die E n t w i c k l u n g der jährlichen Beitragssteigerungen u. a. auch f ü r die Zweige Schaden u n d U n f a l l sowie f ü r die gesamte PrivatVers. ist f ü r die Jahre ab 1960 i m Schaubild des GB B A V 1967, S. 103, dargestellt. 17 Kraftverkehrs-HPflVers., Kraftfahrzeug-UV u n d Kraft-FahrzeugVers.; die weiteren 9 größten Zweige der Schadens- u n d UnfallVers. w a r e n gestaffelt nach der Höhe ihrer Beitragseinnahmen: FeuerVers., HPflVers., UV, TransportVers., RechtsschutzVers., Einbruchs-DiebstahlVers., MaschinenVers., LeitungswasserVers., TierVers. Damit stellten i. J. 1967 die Allgemeine HPflVers. u n d die Allgemeine U V

1. Kap.: Heutige Rechtsquellen

155

bb) Die 109 VersUnternehmen 18 , die i. J. 1967 dem B A V isoliert über ihr Geschäft i n der Allgemeinen U V berichteten, nahmen Beiträge i n Höhe von rd. 628 M i l l . D M ein 10 . cc) Die 113 VersUnternehmen, die allein über ihr allgemeines HPflVers-Geschäft berichteten, nahmen i m selben Zeitraum rd. 960 M i l l . D M ein 20 . d) Umfang der Leistungen 21 Den Beitragseinnahmen standen an Leistungen für VersFälle gegenüber aa) bei den 109 berichtenden V U über Allgemeine U V als abgetrennte VersSparte rd. 285 M i l l . DM, bb) bei den 113 berichtenden V U allein für die Sparte der Allgemeinen HPflVers. insgesamt rd. 545 Mill. DM. II. Die gesetzliche UV Nachdem das i n seinem Werdegang hier geschilderte U V G vom 6. J u l i 1884 m i t Wirkung vom 1. Oktober 1885 i n K r a f t getreten war, betrafen die Zahlen für das Jahr 1967, das w i r für diese Arbeit insoweit als Stichjahr festlegen, die 82. Rechnungsperiode. 1. Anzahl der VersTräger I m Jahre 1967 bestanden insgesamt 35 Gewerbliche Berufsgenossenschaften 22 und die d r i t t - bzw. viertgrößte Sparte des Komplexes Schadens- u n d UnfallVers. dar. 18 Die unterschiedlichen Angaben über die „ A n z a h l der berichtenden V U " sind u. a. auf Bestandübertragungen, Neugründungen u n d auf die nachträgliche Erfassung v o n Unternehmen m i t geringem Geschäftsumfang zurückzuführen: vgl. hierzu GB B A V 1967, S. 92* unter A n m . 3. 19 102 Unfallversicherer w a r e n nach Rückfrage dem Verband der H a f t pflicht-, U n f a l l - u n d Kraftverkehrs-Versicherer e. V. (HUK-Verband) i n H a m b u r g angeschlossen. 20 Vgl. GB B A V 1967, Tabelle: 57 (1) unter 4. HPflVers. 21 Vgl. hierzu GB B A V 1967, Tabelle: 57 (1) rechte Spalte. 22 A b jetzt abgekürzt: BG. Der „Übersicht über die Geschäfts- u n d Rechnungsergebnisse der gewerblichen BGen i. J. 1967 m i t Erläuterungen", hrsg. v o m Hauptverband der gewerblichen BGen — Abtlg. Statistik —, Bonn 1968, S. 7, zufolge w u r d e n die meisten der gegenwärtig bestehenden gewerblichen BGen bereits aufgrund des U V G v o m 6.7.1884 errichtet.

156

2. Teil:

bergang zur heutigen Rechtslage

1 See-BG 19 Landwirtschaftliche BGen 13 Gemeindeunfallversicherungsverbände und 6 Ausführungsbehörden (wie z. B. die Bundesbahn-Ausführungsbehörde für UV) 2 3 . insg. 74 VersTräger für die gesetzliche UV. 2. Umfang der Einnahmen Diese VersTräger nahmen i. J. 1967 etwas über 4 Mrd. D M ein, deren Hauptbestandteil die Beiträge m i t fast 3,5 Mrd. D M bildeten 24 . 3. Umfang der Ausgaben Den Einnahmen standen rd. 3,8 Mrd. D M an Ausgaben gegenüber. Den größten Anteil hiervon nahmen die Leistungen für Verletzte und Erkrankte m i t über 2,5 Mrd. D M und die Leistungen für Hinterbliebene m i t rd. 0,8 Mrd. D M ein 25 . I I I . Zusammenfassende Gegenüberstellung der privaten Unfall- und HPflVers. mit der gesetzlichen U V Vergleicht man die private U V und HPflVers. m i t der gesetzlichen UV anhand der dargestellten Zahlen i n ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, so meint man den Einwand zu vernehmen, hier handele es sich u m sehr ungleiche Größen. So standen beispielsweise für das Jahr 1967, wie dargelegt, rd. 4 Mrd. D M an Beitragseinnahmen der BGen insgesamt nur rd. 1,6 Mrd. D M 2 6 an Prämieneinnahmen der PrivatVers. betreffend die Allgemeine U V und HPflVers. gegenüber. Dennoch ist nicht zu verkennen: trotz des weitgehenden Entzuges der Versicherung von Arbeitern gegen Unfälle zu Lasten der privaten U V und trotz des weitgehenden Wegfalls der HPflVers. des Unternehmers zu Lasten der privaten HPflVers. durch das U V G 1884 haben heute sowohl die private Unfall- wie auch die private HaftpflichtVers. neben der gesetzlichen U V eine beachtliche wirtschaftliche Stellung inne 2 7 . 23 Vgl. hierzu die v o m B M A herausgegebenen Monatshefte „ A r b e i t s - und sozialstatistische Mitteilungen" f ü r das 1. u n d 2. H a l b j a h r 1967. 24 Genauere Aufschlüsselung: wie A n m . 23, Gesamtübersicht der Ausgaben u n d der Einnahmen 1967, re. Hauptspalte. 25 Genauere Aufschlüsselung: wie A n m . 24, Ii. Hauptspalte. 26 Rund 628 M i l l . D M (Allgemeine U V ) + rd. 960 M i l l . D M (Allgem. HPflVers.) = 1,588 Mrd. D M : vgl. hierzu oben 12 c, bb u n d cc. 27 Allerdings muß i m H i n b l i c k auf das angeführte Zahlenmaterial der

Zweites

Kapitel

Begrenzung der erfaßten VersGebiete — Methodik für die Gegenüberstellung Erster

Abschnitt

Begrenzung der zu beleuchtenden VersGebiete I . Allgemeines 1. Historischer

Rückblick

A u f s erste m a g es b e f r e m d e n , daß E n t s p r e c h u n g e n u n d A b w a n d l u n g e n z w e i e r P r i v a t V e r s K o m p l e x e i n d e m e i n e n K o m p l e x d e r gesetzlichen U V aufgezeigt w e r d e n sollen. W i e i n d e r E i n l e i t u n g z u dieser A r b e i t bereits angedeutet, e r k l ä r t sich diese A u f g a b e jedoch eben aus j e n e m i m E r s t e n T e i l dieser A r b e i t d a r g e l e g t e n rechtshistorischen E r e i g n i s , daß d u r c h d e n e i n e n R e c h t s k o m p l e x des U V G 1884, dessen W i r k u n g s b e r e i c h h e u t z u t a g e die gesetzliche U V als T e i l d e r R V O a u s z u f ü l l e n b e s t i m m t ist, die S i c h e r s t e l l u n g der A r b e i t e r nach U n f ä l l e n s o w i e die h i e r a u s entstehende H a f t p f l i c h t i g k e i t d e r U n t e r n e h m e r d e m d a m a l s b e stehenden U n f a l l - u n d H P f l V e r s G e w e r b e w e i t g e h e n d 1 w e g g e n o m m e n wurde. Allgemeinen U V u n d Allgemeinen HPflVers. berücksichtigt werden, daß die Prämienzahlungen der Arbeitnehmer u n d Arbeitgeber f ü r die private U V u n d HPflVers. wiederum n u r einen T e i l der hier genannten Beitragseinnahmen beider privaten VersSparten ausmachen. Dasselbe gilt umgekehrt f ü r die Leistungen der VersUnternehmen beider Sparten zugunsten der Arbeiter u n d Unternehmer i m VersFall. Dem Verfasser w a r es nicht möglich, i n den Besitz von spezifizierterem Z a h lenmaterial zu gelangen. So erklärten sich sowohl der H U K - V e r b a n d (Hamburg) wie auch der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (Köln) außerstande, genauere Angaben über Prämien u n d Leistungen hinsichtlich v o n A u s schnittversicherungen w i e der Gruppen-UV u n d der BetriebsHPflVers. machen zu können. Statistische Positionen werden f ü r solche Risiken nicht gesondert festgehalten. 1 „Weitgehend" u n d nicht vollständig deshalb, w e i l die A r b e i t e r - U V des Reiches gewisse kleine Haftpflichtreste aus dem RHPflG 1871 bestehen gelassen hatte. Denn das alte RHPflG ist nicht etwa beseitigt worden. V i e l mehr k o m m t es i n gewissen Fällen noch heute zur Anwendung. Wie Manes, Vers Wesen, 2. Bd., § 38 I V , S. 108, feststellt, w u r d e n die v o n der staatlichen

158

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

2. Notwendigkeit

der Untersuchungsbegrenzung

Seit jener Zeit haben nun sowohl die private Unfall- und HPflVers. wie auch die gesetzliche U V — i n Erfüllung ihrer Aufgaben der Abdeckung immer komplizierter werdender Risiken — derartig mannigfaltige Erscheinungsformen angenommen, die alle von den genannten drei großen Rechtsmaterien erfaßt werden, daß es unumgänglich erscheint, unsere Untersuchungen auf bestimmte Gebiete einzuschränken. Unumgänglich erscheint eine solche Begrenzung deshalb, w e i l nur hinsichtlich vergleichbarer Sachverhalte, die i n den genannten drei Rechtsgebieten geregelt werden, das Aufzeigen von Entsprechungen und Abwandlungen ein sinnvolles Unternehmen darstellen kann. Dabei erschweren insbesondere die zahlreichen Überschneidungen und Verzahnungen der vom privaten Unfall- und HPflVersRecht erfaßten Risiken eine Festlegung auf bestimmte Versicherungssachverhalte. 3. Ausschluß gewisser Fragenkreise Wenn hier auch eine solche Festlegung mit letzter Konsequenz vermieden werden soll, u m dem Rahmen der Arbeit die notwendige Elastizität zu erhalten — schließlich sollen hier Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Vers Rechts i m gesetzlichen UV-Recht, und nicht der von diesen Rechtsmaterien erfaßten Vers Gebiete aufgezeigt werden —, so werden w i r dennoch gewisse Fragenkreise von der Untersuchung ausschließen, nachdem w i r sie kurz skizziert haben. I I . Grundsätzlicher Ausschluß der Rückversicherung Unterscheidet man zunächst nach den beiden Hauptbranchen des VersGeschäfts, i n denen die private U V und HPflVers. betrieben werden, so begegnen uns beide Gebiete i n den Formen der Erstversicherung und der Rückversicherung 2 . Das Gebiet der privaten Unfall- und HPflicht-RückVers. soll insgesamt aus unseren Untersuchungen ausgespart werden, da es sich weder als Unfall- noch als HPflVers. i m eigentlichen Sinne darstellt und grundsätzlich 3 i m gesetzlichen UV-Sektor nicht vorkommt. U V nicht getroffenen Reste, die Lücken, die die sozialpolitische Gesetzgebung ließ, indem sie sich z. B. nicht auf alle Angestellten bezog, ebenso wenig w i e sie etwaige betriebsfremde Personen umfaßte, scharfsinnig ausgenützt. Gerade hier setzte zunächst die Privat Vers. ein. 2 Die RückVers, kennzeichnete Ehrenberg, VersRecht, l . B d . , l . T e i l , I I I , S. 70, zutreffend als die Versicherung gegen eine vertragsmäßige, nämlich gegen die durch Vers Vertrag übernommene Haftpflicht. 3 Hinsichtlich der Ausnahme siehe unten S. 276; 460.

159

2. Kap.: Methodik f ü r die Gegenüberstellung I I I . D i e häufigsten Erscheinungsformen der privaten U V 4

F o l g e n w i r d e n h i e r i n A n m . 4 g e n a n n t e n A u s w a h l p r i n z i p i e n , so begegnet uns die U V 1) b e i Z u g r u n d e l e g u n g des Deckungsschutzumfangs als T r e n n u n g s k r i terium a) i n der F o r m d e r G e s a m t d e c k u n g 5 insbesondere als UV".

„Allgemeine

Diese e r f ä h r t folgende w e i t e r e U n t e r g l i e d e r u n g i n aa) die r e g u l ä r e A l l g e m e i n e U V , bb) die U V m i t B e i t r a g s r ü c k g e w ä h r 6 , cc) die V o l k s - U V 7 , dd) d i e Z e i t s c h r i f t e n - oder A b o n n e n t e n - U V u n d ee) die K i n d e r - U V 8 ; b) I n F o r m der T e i l d e c k u n g 9 als T r e n n u n g s k r i t e r i u m m i t sog. „ A u s schnittversicherungen". Folgende A r t e n v o n Ausschnittversicherungen w e r d e n r e g e l m ä ß i g i n d e n Geschäftsplänen der U n f a l l - V U vorgesehen: aa) s o n d e r t a r i f l i c h ausgestaltete A u s s c h n i t t v e r s i c h e r u n g e n , als da s i n d : 4 I m besonderen Wesen, Zweck u n d Standort der privaten U V innerhalb des gesamten Systems der deutschen PrivatVers. darzulegen, ist nicht A u f gabe dieser Arbeit. Vgl. hierzu die ausführlichen Erörterungen zum Wesen der U V v o n Grewing, „Unfallversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 5, Z u satzheft I I I 1, S. 5; zum Zweck der U V : Grewing, a. a. O., S. 6/7; Leicher, „ U n fallversicherung" i n H d V , hrsg. v o n Finke, Bd. 2, Sp. 2091 ff. (2095); zum Standort der U V : Grewing, a. a. O., S. 5; Bruck-Möller, W G , § 1 W G , A n m . 20 ff.; Wussow, § 1 A U B , A n m . 10. Fragt m a n nach den Erscheinungsformen der privaten U V m i t dem Ziel, die vielgestaltigen A r t e n der U V einem Schema unterzuordnen, so ist es ein logisches Gebot, i n einem solchen Schema jeweils n u r diejenigen Artbegriffe aufzuzählen, die nach dem gleichen Auswahlprinzip geordnet sind. Als solche Aus Wahlprinzipien können z. B. die A r t des Vertragsschlusses u n d der U m fang des Deckungsschutzes herangezogen werden. Auch ist es möglich, auf den Schwerpunkt der versicherten Gefahr u n d des versicherten Personenkreises abzustellen. — F ü r unser augenblickliches Ziel, die v o m privaten U V Recht erfaßten A r t e n der U V auf einen überschaubaren K o m p l e x zurückzuführen, reicht es aus, nach den Auswahlprinzipien des Deckungsschutzumfangs einerseits sowie des Schwerpunkts der versicherten Gefahr u n d des versicherten Personenkreises andererseits vorzugehen. 5 Unter Gesamtdeckung ist zu verstehen, daß sämtliche beruflichen u n d außerberuflichen Unfälle von der Versicherung umfaßt werden, vgl. statt vieler Grewing, a. a. O., S. 7. 6 Vgl. hierzu i m einzelnen Grewing, a. a. O., S. 8—10. 7 Wie hier A n m . 6. 8 Wie hier A n m . 6; siehe hierzu auch A n m . 12, S. 160. 9 Sie liegt vor, w e n n nicht f ü r alle beruflichen u n d außerberuflichen U n fälle Deckung gewünscht w i r d .

160

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

aaa) Arbeitgeber-Gruppenunfallversicherungen m i t Beschränkung auf Berufsunfälle 10 oder m i t Beschränkung auf außerberufliche Unfälle, bbb) Gruppenversicherung von Beamten, Angestellten, Beauftragten und anderen Organen i m Rahmen der besonderen Tätigkeit für die betreffende Gemeinschaft; ccc) Versicherung von Vereinsmitgliedern gegen die besonderen aus der Vereinszugehörigkeit erwachsenden Gefahren und ddd) die Welt- und Seereise-UV. bb) Sonstige Reiseversicherungen 11 cc) die Schüler-UV 1 2 und schließlich dd) die Strahlen-UV; 2) bei Zugrundelegung des versicherten Personenkreises als Auswahlkriterium begegnet uns die U V als a) Kraftverkehrs-UV 1 3 , b) Luftfahrt-UV; 3) bei Zugrundelegung des Schwerpunkts der versicherten Gefahr als Trennungsmerkmal z. B. i n Form der ZusatzVers. gegen Unfalltod und Unfallinvalidität i m Zusammenhang mit der LebensVers. 14 I V . Beschränkung auf die wesentlichen Erscheinungsformen U m die Übersichtlichkeit der Darstellung zu wahren und alle Einzelaspekte dem Gesamtaspekt unserer Darlegungen, nämlich der Absicherung von Risiken des Arbeitnehmers und des Unternehmers aus einem 10

Sei es m i t , sei es ohne Einschluß der Wegeunfälle. Aufzuteilen wiederum i n die „Versicherung gegen Unfälle bei kürzeren oder längeren Reisen" u n d i n die sog. lebenslängliche VerkehrsmittelUnglücks-Versicherung m i t einmaliger Beitragszahlung. 12 Inzwischen ist diese Personengruppe durch das Gesetz über U V f ü r Schüler u n d Studenten sowie K i n d e r i n Kindergärten v o m 18.3.1971 (BGBl. I S. 237), i n K r a f t seit 1.4.1971, i n § 539 Abs. 1 RVO unter Nr. 14 m i t erfaßt u n d unterliegt damit auch der gesetzlichen U V (vgl. hierzu ZfS 1971, S. 128). 13 I h r sind insbesondere die §§ 16—21 A K B gewidmet. 14 Vgl. hierzu insbesondere GB B A V 1966, S. 15 u n d 39. Aus den dort befindlichen Darlegungen ergibt sich, daß die „ZusatzVers. zu Lebensversicherungen f ü r den F a l l des Todes infolge Unfalls" u n d die „ZusatzVers. zu Lebensversicherungen f ü r den F a l l der I n v a l i d i t ä t infolge Unfalls" als „qualifizierte LebensVers." anzusehen sind. Sie scheiden deshalb als zur HauptVers. = LebensVers. i n streng akzessorischem Verhältnis stehend f ü r unsere Untersuchungen aus. Vgl. hierzu auch Prölss, V V G - K o m m . , Vorbem. zu §§ 159—178, A n m . 4, der die UnfallzusatzVers. als „besondere F o r m der LebensVers." bezeichnet. 11

2. Kap.: Methodik für die Gegenüberstellung

161

Arbeitsunfall unterzuordnen, sei hier aus der Fülle der Erscheinungsformen der privaten U V das Augenmerk vornehmlich auf die „Reguläre Allgemeine U V " als „Allgemeine UV i m engeren Sinne" (vgl. oben I I I 1 a, aa), auf die Ausschnittversicherungen vor allem i n Form der A r beiter-Gruppen-UV (vgl. oben I I I 1 b, aa, aaa) sowie auf die Kraftverkehrs» und Luftfahrt-UV gelenkt. Während nämlich die „Reguläre Allgemeine U V " als „Rückgrat der gesamten U V " 1 5 sämtliche beruflichen und außerberuflichen Unfälle umfaßt, können sich die genannten Ausschnittversicherungen u. a. auf Berufsunfälle und die Kraftverkehrs- und Luftfahrt-UV sowohl auf Arbeitgeber als auch auf Arbeitnehmer als Insassen erstrecken. V. Die häufigsten Erscheinungsformen der (privaten) HPflVers. Da es sich i n der HPflVers. — i m Gegensatz zur UV, die als PersonenVers. auf eine bestimmte Schadenart, nämlich den Unfall, abstellt — sowohl u m Personen- als auch u m Sach- und Vermögensschäden aus den verschiedensten Schadensereignissen handelt, für die der V N verantwortlich gemacht werden kann, t r i t t uns dieser VersZweig i n den mannigfaltigsten Formen entgegen. Der jetzige Gesamtaufbau der HPflVers. läßt sich jedoch i n folgende drei Hauptteile aufgliedern: 1. Allgemeine HPflVers., die alle Arten der privaten, geschäftlichen und beruflichen HPflVers. umfaßt 1 8 ; 2. KraftverkehrsHPflVers., die zusammen mit Kasko, Insassen, Unfall und Gepäck einen Bestandteil der Kraftverkehrs Vers, bildet; 3. Vermögensschaden-HPflVers.: 15

So Grewing, a. a. O., S. 8 unter (1). Beispielsweise seien hier die BetriebsHPflVers. (z. B. m i t der HPflVers. von Besamungsstationen, HPflVers. aus Gewässerschäden aus der Herstellung, Lieferung, Montage, Instandhaltung u n d Wartung von Anlagen i m Rahmen der BetriebsHPflVers.), die KühlgüterHPflVers., die Atomanlagen- oder NuklearHPflVers., die PrivatHPfLVers. unter Einschluß von Mietsachschäden und die GrundbesitzerHPfLVers., die JägerHPflVers. (vgl. hierzu besonders § 33 Abs. 2 BJagd-Gesetz v o m 30. 3.1961), die LuftfahrzeughalterHPflVers. (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 44—54 Luftverkehrsgesetz v o m 22.10.1965, vgl. dort insbesondere § 50 L u f t V G , der die Pflicht Vers, f ü r Unfälle i. S. v. §44 L u f t V G vorschreibt) genannt. Vgl. hierzu insgesamt des näheren GB B A V 1966, S. 70. Nicht zur HPflVers., die SchadenVers. ist, gehört jedoch nach h. M. die RechtsschutzVers. (vgl. Prölss, V V G - K o m m . , § 149 A n m . 6 u n d die dort zitierte L i t . u n d Rspr.). 16

Ii

v. Heinz

162

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

Sie soll i m besonderen die Richter, Rechtsanwälte und Notare, Patentanwälte, Rechnungsstellen und Steuerberater schützen. Auch fällt hierunter die BerufsHPflVers. für Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Steuerberater sowie für Ärzte, u m nur einige Beispiele zu nennen. VI. Beschränkung auf die wesentlichen Erscheinungsformen Unser Interesse w i r d i n den folgenden Erörterungen hauptsächlich der Allgemeinen HPflVers. i n Form der BetriebsHPflVers. 17 sowie am Rande auch der Kraftverkehrs-HPflVers. gelten. Während für erstere neben den Regeln des V V G (insbesondere § 151 VVG) die A H B zur Anwendung gelangen, gelten für letztere neben den Vorschriften des PflVG vom 5.4.1965 (insbes. § 1 und § 3 PflVG, der die §§ 158 c—158 f V V G ausschaltet und statt dessen die Nummern 1—11 des § 3 PflVG zur Geltung bringt), die des V V G und der A K B . V I I . Die Erscheinungsformen der gesetzlichen UV — Beschränkung auf die für unsere Untersuchungen wesentlichen Teile Das Dritte Buch der RVO mit der Uberschrift „Unfallversicherung" behandelt i m zweiten, dritten und vierten Teil die Allgemeine UV, die Landwirtschaftliche U V und die See-UV. Hiervon soll den Gegenstand unserer Untersuchungen vor allem der 2. Teil des 3. Buchs, also die A l l gemeine U V m i t ihren 8 Abschnitten (§§ 643—775 RVO), bilden. Diese Beschränkung rechtfertigt sich u m so mehr, als sowohl Landwirtschaftliche U V 1 8 wie auch See-UV 19 außer den Regeln betreffend ihre für unsere Untersuchungen nebensächlichen Besonderungen ledig17 Nicht hierher gehört die BetriebsunterbrechungsVers., die Risiken aus der Unterbrechung des Betriebes z. B. wegen Feuers oder Stromausfalls u n d des hierauf beruhenden Maschinenausfalls abdeckt. Sie stellt sich als weiterer Zweig der SchadenVers. dar, die nicht HPflVers. ist, sondern z. B. i m Zusammenhang m i t der FeuerVers. abgeschlossen w i r d (vgl. hierzu GB B A V 1966, S. 58). Ebenfalls ist die ProdukteHPfLVers. als Unterart der BetriebsHPflVers. auszuscheiden: Das Produktehaftpflicht-Risiko hat nämlich Schäden zum Gegenstand, die durch Fehler oder Mängel des v o m Unternehmer = V N hergestellten Erzeugnisses verursacht werden (vgl. GB B A V 1966, S. 69), die zwar i m wesentlichen unter den VersSchutz nach den A H B u n d damit auch unter die BetriebsHPflVers. des Herstellers fällt, m i t dem Haftpflichtrisiko des Unternehmers gegenüber dem Arbeiter jedoch nichts zu t u n hat. 18 Vgl. f ü r die Landwirtschaftliche U V : §§ 791, 792, 795 Abs. 2, 797, 799, 801, 802, 817, 818, 827, 829, 831, 833 RVO. 19 Vgl. für die See-UV: §§ 850 Abs. 3 Satz 2, 851, 852 Abs. 1, 856, 858 Abs. 2, 859, 862, 863, 864, 865, 870, 871, 875, 879, 880, 881, 883, 889, 890, 891, 892, 894, 895 Abs. 2, 978,1147 RVO.

2. Kap.: Methodik f ü r die Gegenüberstellung

163

lieh Verweisungsvorschriften auf die Allgemeine U V enthalten. Selbstverständlich w i r d der 2. Teil des 3. Buchs nicht für sich isoliert, sondern i m Zusammenhang m i t den oben S. 151 f. genannten Vorschriften — insbesondere des 1. Teils des 3. Buchs der RVO — heranzuziehen sein. Zweiter

Abschnitt

Bemerkungen zur Methodik I. Vorbemerkung Bevor w i r uns i m folgenden der Aufgabe zuwenden, anhand von Einzelaspekten Entsprechungen 20 u n d Abwandlungen 2 1 des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts i m Recht der gesetzlichen U V aufzuzeigen, soll kurz auf die Methode f ü r die V e r w i r k l i c h u n g dieses Vorhabens eingegangen werden.

I I . Problematik der Vergleichung zweier innerstaatlicher Rechtskomplexe Während i n aller Regel die Rechtsvergleichung als Disziplin von der V e r gleichung innerstaatlichen Rechts m i t außerstaatlichem Recht bestimmt w i r d 2 2 , setzt es sich diese A r b e i t zum Ziel, Rechtsgebiete ein u n d derselben innerstaatlichen Rechtsordnung miteinander zu vergleichen. Angesichts dieses Zieles entsteht die Frage, ob Gedanken, die bisher i m Schrifttum zur Methodik der Rechtsvergleichung entwickelt w u r d e n 2 3 , auch f ü r unsere Zwecke fruchtbar gemacht werden können 2 4 .

20 Sprachlich k a m dieser Ausdruck einst i n verschiedenen Sinnzusammenhängen vor, die jeweils verschiedenen Bedeutungsinhalt hatten: a) Substantiierung des Verbums: entsprechen f ü r „antworten, entgegnen"; b) entsprechen i m Sinne von „gemäß sein"; c) sich entsprechen i m Sinne v o n „sich v e r antworten, verteidigen" (vgl. J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 3. Bd., Sp. 628). Hier ist der Ausdruck i. S. v. „gemäß sein" (aptus) gemeint (vgl. J. und W. Grimm, a. a. O., Sp. 629). 21 Dieser Ausdruck soll hier i. S. v. A b - oder Veränderung verwendet w e r den, also i m passiven Sinn einer Veränderung, die vor sich gegangen ist (vgl. zu den verschiedenen Sinnbedeutungen von „abwandeln" J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1. Bd., Sp. 146, 147 sowie den 13. Bd., 18. Lfg., derselben Autoren, fortgesetzt v o n Wunderlich, v. Bahder u. a. unter dem Stichwort „Wandlung", Spalten 1721—1728). 22 Dies geht beispielsweise deutlich aus den Untersuchungen Sandrocks, Über Sinn und Methode zivilistischer Rechtsvergleichung, hervor. Vgl. dortselbst S. 19, 29, 41, 51, 57—59, 61, 65, 67, 72, 75, 76, wo stets v o n „fremden" oder „ausländischen" Rechtsordnungen die Rede ist, die m i t inländischen Rechtsgebieten (hauptsächlich dem Zivilrecht unter Einschluß des Handelsrechts) verglichen werden. 23 Nicht gemeint ist an dieser Stelle das Schrifttum, das sich vorwiegend m i t Sinn und F u n k t i o n der Rechtsvergleichung befaßt. Deutlich grenzt z. B. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, V o r w o r t S. V, den T i t e l des

li*

164

2. Teil:

bergang zur heutigen Rechtslage

Hiergegen lassen sich, w i e ich meine, keine entscheidenden Argumente anführen. Denn auch bei der „innerstaatlichen Rechtsvergleichung" — Ulrich K l u g spricht i n seiner Juristischen L o g i k 2 5 das Problem „innerstaatlicher Rechtsvergleichung", w e n n auch i n anderem Zusammenhang, w ö r t l i c h an — geht es wie bei jeder Rechtsvergleichung i m wesentlichen darum, zu ermitteln, ob zwischen verschiedenen Rechtsmaterien — hier zwischen den genannten PrivatVersKomplexen u n d dem Recht der gesetzlichen U V — Strukturgleichheit bzw. n u r teilweise Strukturgleichheit besteht oder ob dies nicht der F a l l ist 2 6 .

I I I . Entwicklung einer Methode für diese Rechtsvergleichung — Ergebnisse, die hierdurch erzielt werden können 1. Grundsätzlicher

Untersuchungsplan

Unser Thema würde es zulassen, den Akzent auf die gesetzliche U V zu legen u n d von der Regelung eines dort normierten Tatbestands ausgehend, w i e z. B. des Arbeitsunfalls gemäß § 548 RVO, die Frage nach vergleichbaren Regelungen i m privaten U n f a l l - u n d HPflVersRecht, wie z. B. nach dem U n f a l l (§ 2 Abs. 1 AUB) oder dem HPflVersFall (§ 5 Ziff. 1 A H B ) , zu stellen. Da die Aufgabe, Entsprechungen u n d Abwandlungen der zwei PrivatVersGebiete i n der gesetzlichen U V herauszufinden, jedoch schon v o n der thematischen Anordnung her eher auf die Untersuchungsrichtung v o m PrivatVersWerkes dahin ab, daß nicht die Methoden der vergleichenden Rechtswissenschaft m i t eingeschlossen seien. 24 M i t Absicht gebrauchen w i r diesen allgemeinen Ausdruck u n d vermeiden die Frage etwa nach einer „analogen" oder „entsprechenden" A n w e n dungsmöglichkeit. Denn diese beiden t e r m i n i technici befassen sich m i t der Anwendungsmöglichkeit von Rechtssätzen u n d nicht m i t dem hier anstehenden Problem. a) So ist „Analogie" definiert als „die Übertragung der f ü r einen T a t bestand (A) oder für mehrere, untereinander »ähnliche' Tatbestände ( A 1 — A x ) im Gesetz gegebenen Regel auf den i m Gesetz nicht geregelten, erst v o m Beurteiler (meist i m Hinblick auf einen zu entscheidenden Einzelfall) gebildeten, A »ähnlichen4 Tatbestand B " (so Larenz, a. a. O., S. 287). b) Von „entsprechender Anwendung" spricht man hingegen dann, w e n n einzelne Elemente eines durch Verweisung geregelten u n d desjenigen (rechtssatzmäßig fixierten) Tatbestandes, auf dessen Rechtsfolgen verwiesen ist, „miteinander so i n Beziehung zu setzen sind, daß den jeweils nach ihrer Funktion, ihrer Stellung i m Sinnzusammenhang des Tatbestandes gleich zu erachtenden Elementen die gleiche Rechtsfolge zugeordnet w i r d " (so Larenz, a. a. O., S. 165). 25 § 7, S. 85. 26 Klug, a. a. O., § 7, S. 84/85, verwendet i n diesem Zusammenhang die Ausdrücke „Isomorphie" u n d „Teilisomorphie". Er charakterisiert die Isomorphie als „Beziehung zwischen Beziehungen" (S. 84). Sind zwei Beziehungen isomorph — so w i r d erklärend hinzugefügt —, so seien sie zueinander ordinal-ähnlich oder seien von derselben Struktur. U n t e r der S t r u k t u r einer Beziehung habe m a n wiederum die Klasse der zu i h r isomorphen Beziehungen zu verstehen. Hingegen spricht K l u g (S. 84) dann v o n Teilisomorphie, w e n n zwei Beziehungen n u r teilweise von derselben S t r u k t u r sind.

2. Kap.: Methodik f ü r die Gegenüberstellung

165

Recht hinüber zum SozialVersRecht hindeutet, werden w i r i n unseren U n t e r suchungen jeweils v o m PrivatVersRecht ausgehen. U n d zwar werden w i r einzelne Lebenssachverhalte (wie z. B. den Versicherungsfall) u n d Rechtsproblemkreise (wie z. B. die Versicherungsaufsicht), die hier wie dort geregelt u n d gelöst werden müssen, herausgreifen 2 7 , deren Regelungen — soweit möglich — i n ihre rechtlichen Einzelbestandteile zerlegen u n d i m Anschluß hieran durch deren Gegenüberstellung Entsprechungen u n d Abwandlungen des Privatversicherungs- i m Sozialversicherungsrecht (UV) herauskristallisieren.

2. Ergebnisse, die hierdurch erzielt werden können a) Gewinnung einheitlicher materialer Lösungen Bei der Vergleichung des PrivatVersRechts m i t dem SozialVersRecht k a n n sich dann zeigen, daß die Gesamt- oder doch Überzahl der Normen aus dem einen Rechtsgebiet f ü r die Lösung des fraglichen Problems des anderen Rechtsgebiets i n bezug auf eine bestimmte F u n k t i o n ein einheitliches oder verwandtes Rechtsinstitut i n sich b i r g t u n d daß m i t h i n f ü r beide Rechtsgebiete eine einheitliche Lösung festzustellen ist. Bei der Vergleichung der beiden Rechtskreise k a n n jedoch auch der F a l l eintreten, daß ein bestimmtes Rechtsproblem durch jeweils ganz verschiedenartige Rechtsinstitute geregelt ist, trotz dieser Verschiedenheit i n der technisch-juristischen K o n s t r u k t i o n jedoch eine einheitliche materiale Lösung gewonnen w i r d . Es würden m i t h i n trotz technisch differierender K o n s t r u k tionen Lösungen m i t materialgleichem I n h a l t gewonnen.

27 Damit machen w i r — m i t den notwendigen Einschränkungen, die sich durch die Vergleichung innerstaatlicher Rechtskomplexe ergeben — die Arbeitsmethode der sog. funktionalen Rechtsvergleichung [vgl. hierzu des näheren Sandrock, a. a. O., S. 16 f., ab I 3 u n d S. 66 unter V I I m i t dem H i n weis auf die diesbezüglich grundlegende Studie Essers über Grundsatz u n d N o r m i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 346 ff.; zuerst wurde ein solcher methodischer Ausgangspunkt v o n Salomon i n seinem rechtsphilosophischen System (vgl. Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 26 ff.) vorgeschlagen. I h m folgten, w e n n auch i m einzelnen abweichend, F. v. Hippel, Z u r Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung, S. 6 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 30—32; Viehweg, T o p i k u n d Jurisprudenz, S. 68—71] f ü r unsere Zwecke fruchtbar. Auch nach i h r würde nicht v o n einem Rechtssatz der PrivatVers. oder SozialVers., von einem Normenkomplex einer dieser beiden großen Rechtsmaterien, etwa aus einer Rechtsinstitution oder aus einem der geschlossenen Rechtskomplexe insgesamt auszugehen sein, u m diesen Dingen die entsprechenden Rechtssätze, Normenkomplexe, Rechtsinstitutionen oder geschlossenen Rechtskomplexe des jeweils anderen Rechtsgebiets gegenüberzustellen; vielmehr wäre nach der Arbeitsmethode der funktionalen Rechtsvergleichung auf einen konkreten Lebenssachverhalt oder auf ein konkretes Rechtsproblem Bezug zu nehmen u n d die Frage zu stellen, welche materiale Lösung f ü r diesen Sachverhalt oder f ü r dieses Rechtsproblem i m Privatversicherungs(UV/ HPfl)- u n d Sozialversicherungs(UV) Sektor vorgesehen ist. Bei der Frage nach einer solchen materialen Lösung würde entscheidend auf die F u n k t i o n der Vorschriften des PrivatVersRechts oder des SozialVersRechts abzustellen sein.

166

2. Teil: Übergang zur heutigen Rechtslage

b) Ermittlung der dem Recht vorgegebenen sozialen Sachverhalte 28 A n h a n d unserer Vergleichung könnte ermittelt werden, an welche tatsächlichen Sachverhalte der E i n t r i t t einer Rechtsfolge i m privaten U n f a l l - u n d HPflVersRecht sowie i n der gesetzlichen U V geknüpft ist. Hierbei soll jedoch nicht verkannt werden, wie schwierig es ist, die Geschehnisse u n d Zustände der „ W i r k l i c h k e i t " , die auf diesem Wege v o m jeweiligen Versicherungskomplex als Anknüpfungsmerkmale verwendet werden, genau zu erkennen u n d festzulegen 29 . Denn das tatsächliche Substrat der Rechtssätze ist, w i e Sandrock 3 0 zutreffend feststellt, regelmäßig nicht die naturwissenschaftliche nachmeßbare W i r k l i c h k e i t 3 1 , „sondern das tatsächliche Substrat des Rechts ist i n der Regel die soziale Wirklichkeit, wie sie uns i m A l l t a g des Lebens gegenübertritt" 8 2 . M i t Hilfe der E r m i t t l u n g solcher sozialen Wirklichkeitssachverhalte könnte i m Wege ordnender Analyse dieser sozialen W i r k l i c h k e i t eine gleichzeitige Einordnung der versicherungsrechtlichen Tatbestände einhergehen, die an diese soziale W i r k l i c h k e i t anknüpfen.

c) Aufbau von teleologischen Systemen 33 A n h a n d unserer Vergleichung könnte der Gesamtbau des deutschen P r i v a t bzw. SozialVersRechts — falls erforderlich — darauf h i n untersucht werden, ob er i n dem oder jenem Falle v o n großen M a x i m e n beherrscht w i r d , nach denen sich einzelne Rechtssätze des privaten oder sozialen VersRechts auszurichten haben. Würde dann eine einzelne Vorschrift oder Vorschriftengruppe des einen oder anderen VersRechtskomplexes ohne einschlägigen G r u n d v o n diesen M a x i m e n abweichen, so läge eine „ S y s t e m w i d r i g k e i t " 8 4 vor, die durch die Rechtsver28 Vgl. hierzu Sandrock, a. a. O., S. 31 unter I 1 m i t umfangreichen L i t e r a turhinweisen. 29 M i t dem allgemeinen Problem des Verhältnisses des Rechts zur „ W i r k lichkeit" hat sich u.a. befaßt: Radbruch, „Rechtsidee u n d Rechtsstoff" i n Archiv f ü r Rechts- u n d Wirtschaftsphilosophie, Bd. 17 (1923/24), S. 343 ff.; ders., „Die N a t u r der Sache als juristische Denkform" i n Festschrift f ü r Laun, S. 157 ff. (159—161). 30 a. a. O., S. 32. 31 Hiergegen wenden sich insbesondere Welzel, Naturalismus u n d W e r t philosophie, S. 76 f.; Engisch, V o m W e l t b i l d des Juristen, S. 11—14, sowie Radbruch, Rechtsidee u n d Rechtsstoff, a. a. O., S. 347—349. 32 So Sandrock, a. a. O., S. 32 m i t A n f ü h r u n g eines Zitats v o n Radbruch (a. a. O., S. 349): „Stoff des Rechts ist die mittels sozialer Begriffe vorgeformte Gegebenheit." 33 Der Begriff des teleologischen Systems ist besonders i m Zivilrecht entwickelt worden. Sandrock, a. a. O., S. 42—45, stellt diesen Begriff i n seinen hauptsächlich auftretenden Bedeutungen dar, auf deren Wiedergabe w i r hier verzichten können. Das Wesen des teleologischen Systems besteht darin, daß eine Rechtsmaterie von den i h m immanenten Grundgedanken durchdrungen u n d an diesen Grundgedanken einheitlich ausgerichtet w i r d . „Der materiale Gehalt der Systemgedanken soll sich i n jedem einzelnen Rechtssatz niederschlagen. E r soll sich dort konkretisieren." (so Sandrock, a. a. O., S. 51). 84 Vgl. Sandrock, a. a. O., S. 44.

2. Kap.: Methodik f ü r die Gegenüberstellung

167

gleichung ermittelt werden kann. Eine Systemwidrigkeit deshalb, w e i l davon auszugehen ist, daß eine Entscheidung des Gesetzgebers oder der Rechtsprechung f ü r eine bestimmte Grundmaxime bereits den K e i m f ü r die E n t scheidung vieler anderer Einzelfragen enthält, die sich i m Zuge der Rechtsentwicklung ergeben. Diese müßten, w i l l m a n dem (bewährten) System treu bleiben, i m Sinne jener M a x i m e n gelöst werden.

d) Begriffsbildung und -präzision 35 Da hierbei das Z i e l ist, eine Mehrheit v o n Gegenständen unter einem einheitlichen Begriff zusammenzufassen, könnte durch die Rechtsvergleichung folgendes ermöglicht werden: aus allen Eigenschaften dieser Gegenstände könnten die als wesentlich anzusehenden v o n den übrigen, als unwesentlich zu erachtenden Eigenschaften auszuwählen u n d die f ü r wesentlich gehaltenen Eigenschaften als Elemente des zu bildenden Begriffs heranzuziehen sein. Die Folge einer solchen Begriffsbildung würde sein, daß an diesen so gewonnenen Begriff eine bestimmte Rechtswirkung zu knüpfen wäre u n d damit der Kreis der Gegenstände, die v o n dieser Rechtsfolge erfaßt werden sollen, präzise abgegrenzt werden könnte. M i t Hilfe solcher Begriffsbildung mag gezeigt werden können, welchen Eigenschaften eines Rechtsbegriffs aus dem PrivatVersRecht i m Lichte der Rechtsordnung des SozialVersRechts (und umgekehrt) grundsätzliche, wesensbestimmende Kennzeichnungskraft zuzubilligen ist. Damit könnten neue u n d weitere Perspektiven bei der Bewertung der einzelnen Elemente eines Begriffs des jeweils anderen Rechtskomplexes erzielt werden. Weiterhin wäre es denkbar, daß Begriffe, die i m PrivatVersRecht bzw. SozialVersRecht überhaupt nicht oder n u r unscharf definiert sind, auf dem dieser Methode folgenden rechtsvergleichenden Wege präzisiert werden k ö n nen.

e) Typenbildung und -präzision 88 aa) Zur Terminologie Wenn auch der „ T y p u s " wie der „Begriff" durch isolierende A b s t r a k t i o n gewonnen w i r d 3 7 , so unterscheidet er sich doch v o n letzterem dadurch, daß er 35 Unter „Begriff" ist hierbei der abstrakt-allgemeine Begriff zu verstehen, der durch isolierende A b s t r a k t i o n gewonnen w i r d (vgl. hierzu i m einzelnen Sandrock, a. a. O., S. 57 unter I V . ; Larenz, Methodenlehre, S. 322 ff.). Verschiedene Rechtsbegriffe werden i m Verhältnis der Über-, Neben- u n d Unterordnung derart miteinander verbunden, daß sich sogenannte Begriffsleitern ergeben, die i n Richtung nach oben eine zunehmende Sinnentleerung erfahren (z. B. Beinbruchsgefahr — Unfallgefahr — allgemeines Lebensrisiko), so daß von einem ganz generellen Begriff zu einem ganz spezifischen Begriff h i n untergestiegen werden k a n n u n d umgekehrt. 36 Der „Typus" spielt neben dem „Begriff" seit einigen Jahrzehnten, w i e Sandrock (a. a. O., S. 63 unter VI.) bemerkt, eine wichtige Rolle i n der Rechtswissenschaft. Der „Typus"-Begriff i n der Logik wurde zuerst v o n Hempel u n d Oppenheim, Der Typusbegriff i m Lichte der neuen Logik, herausgearbeitet. Schon vorher hatte G. Jellinek neben anderen den Begriff „Typus" i n die Sozialwissenschaft eingeführt (vgl. seine Allgemeine Staatslehre, S. 25—41). Bezüglich der Bedeutung des „Typus" f ü r die Rechtswissenschaft siehe z. B.

168

2. Teil: Übergang zur heutigen

echtslage

i m Gegensatz zum „Begriff" keine geschlossene A n z a h l der i h n konstituierenden Merkmale, sondern lediglich eine Vielzahl von „typischen" Merkmalen, die i m Einzelfall vorliegen können, jedoch nicht zwingend vorliegen müssen, aufweist. Während der „Begriff" feste Grenzen hat, sind die Grenzen des „Typus" fließend. Beim „Typus" w i r d nicht „definiert" wie beim „Begriff", sondern „beschrieben", bestimmte Erscheinungen werden nicht unter i h m „subsumiert" w i e beim „Begriff", sondern i h m „zugeordnet" 3 8 . Diese Anhaltspunkte mögen hier zur terminologischen Klarstellung genügen.

bb) Folgen Gelangen w i r hier i m PrivatVersRecht bzw. SozialVersRecht zur B i l d u n g u n d Präzisierung solcher Typen, so könnte das Aufzeigen v o n Entsprechungen u n d Abwandlungen des einen Rechtskomplexes i m anderen verschiedene Merkmale herauskristallisieren, die f ü r den Typus des einen Rechtskomplexes charakteristisch sein mögen, dem anderen Rechtskomplex jedoch noch nicht bekannt sind u n d eine Bereicherung f ü r i h n darstellen.

f) Aufzeigen und Schließen von „Lücken" 3 9 Schließlich könnte anhand des Aufzeigens v o n Entsprechungen u n d A b wandlungen des privaten U n f a l l - u n d HPflVersRechts i m Recht der gesetzlichen U V auf „Lücken" i m einen oder anderen Rechtsgebiet hingewiesen werden. Soweit eine solche Lücke nicht durch die Fortbildung der dem einen Rechtskreis immanenten Grundgedanken geschlossen werden kann, w e i l die Systemgedanken dieses Rechtskreises nicht ausreichen, könnte m i t Hilfe unserer vergleichenden Methode durch Übernahme eines Rechtsinstituts aus dem anderen Rechtskreis vielleicht die Lücke dieses Rechtskreises sachgerecht geschlossen werden. Hierbei braucht es sich keineswegs i m m e r u m die Adoption ganzer Rechtsinstitute zu handeln, vielmehr ließe sich auch an die Übernahme von Teilen eines Rechtsinstituts zur Schließung „kleiner Lücken" denken.

Larenz, Methodenlehre, S. 333 ff.; Engisch, Die Idee der Konkretisierung i n Recht u n d Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 237 ff. u n d Radbruch, „ K l a s senbegriffe u n d Ordnungsbegriffe" i n „Internationale Zeitschrift für die Theorie des Rechts", Bd. 12 (1938), S. 46 ff. 37 Vgl. dazu oben S. 167 A n m . 35. 38 Vgl. hierzu des näheren Sandrock, a. a. O., S. 64, sowie Larenz, a. a. O., S.343. 39 Allgemein zum Begriff der „Lücke" u n d zur Problematik ihrer Schließung vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 279 ff. Zweigert hat, soweit ersichtlich, als erster eine zusammenfassende Darstellung der methodischen Grundzüge f ü r die zivilistische Rechtsvergleichung als methodisches Hilfsinstrument f ü r die Schließung v o n Lücken des heimischen Rechts vorgelegt: vgl. seine T ü b i n ger Antrittsvorlesung über die „Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode" i n RabelsZ 1949/50, S. 5 ff.

2. Kap.: Methodik f ü r die Gegenüberstellung

Dritter

169

Abschnitt

Plan für weitere Untersuchungen I. I m weiteren Verlauf der Arbeit werden w i r i n einem Ersten Kapitel vor Beginn der Untersuchung von Einzelaspekten der genannten PrivatVersKomplexe i m Vergleich zur gesetzlichen U V die Frage stellen, ob es eine gemeinsame Klammer i n Gestalt einer „Versicherung" sowohl für den privaten als auch den gesetzlichen Komplex gibt. Damit dieses Problem auch äußerlich-formal für unsere Ausführungen als Klammer dient, sollen zu Anfang des nunmehr folgenden Teils nur die zu der genannten Frage geäußerten ablehnenden Theorien m i t einer groben Skizzierung ihrer Begründungen dargelegt werden, ohne sofort i m Anschluß hieran die sie bekämpfenden Theorien, die den VersCharakter der gesetzlichen U V bejahen, anzuführen und eine eigene Stellungnahme zu entwickeln. Vielmehr werden die sich positiv zum VersCharakter stellenden Theorien sowie eine eigene Stellungnahme erst am Ende dieser Arbeit dargelegt werden, um auf die vorangehenden Darlegungen zurückgreifen zu können. II. Die Einzelaspekte, die w i r einander gegenüberstellen, sollen wie folgt i n drei weitere Kapitel gegliedert werden: Zweites Kapitel: Der Versicherungsfall; Drittes Kapitel: Die Beteiligten des VersicherungsVerhältnisses und schließlich Viertes Kapitel: Das Versicherungsverhältnis selbst.

DRITTER T E I L

Gegenüberstellung von Einzelaspekten Erstes

Kapitel

Zur Problematik eines gemeinsamen Klammerbegriffs „Versicherung 66 Erster Abschnitt

Zum Begriff „Versicherung" I. Allgemeines Als Voraussetzung für eine Lösung dieser Problematik ist auf die m i t ihr i m engsten Zusammenhang stehende Frage einzugehen, was unter dem i m Gesetz nicht geklärten Begriff „Versicherung" zu verstehen ist. Daß diese Frage nicht abschließend beantwortet werden kann, zeigen z. B. die regelmäßigen Beiträge zur „immerwährenden Diskussion" 1 u m den Begriff „Versicherung" auf den Jahrestagungen des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft 2 . II. Schwierigkeiten einer Definition Die fast unlösbar anmutende Schwierigkeit einer Definition des Begriffs „Versicherung" rührt daher, daß man von den Standpunkten ganz verschiedener Wissenschaftsdisziplinen her z.B. volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, mathematische und juristische VersBegriffe unterscheiden kann, die notwendigerweise jeweils von den Begriffselementen einer Disziplin geprägt werden und hierdurch die Ansprüche ande1

So Schlie, „Versicherungsmäßige u n d nicht-versicherungsmäßige Elemente i n der gegenwärtigen Gestaltung der sozialen Sicherung, insbesondere i n der SozialVers." i n ZVersWiss. 1963, S. 281 ff. (282). 2 Vgl. hierzu z. B. Schlie i n seiner Berichterstattung über die Veranstaltung der A b t e i l u n g f ü r SozialVers. i m Deutschen Verein f ü r VersWissenschaft am 21.9.1965 i n K ö l n : „Versicherungsmäßige u n d nicht-versicherungsmäßige Elemente i n der Sozialen RentenVers." i n ZVersWiss. 1966, S. 53 ff.

172

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

rer Disziplinen nicht zufriedenstellen 3 . Die Bemühungen sind sogar schon darauf gerichtet worden, einen übergeordneten „versicherungswissenschaftlichen" 4 VersBegriff zu definieren, für den sich lediglich Akzentverschiebungen aus der speziellen Betrachtungsweise der Einzelwissenschaften ergeben würden. I I I . Abstecken einer Arbeitsgrundlage Da w i r für unsere Zwecke einstweilen lediglich eine Arbeitsgrundlage benötigen, und es deshalb an dieser Stelle nicht notwendig ist, der Problematik einer solchen „Versicherungs"-Begriffsbildung des weiteren nachzugehen, begnügen w i r uns m i t einer Beschreibung ihrer wichtigsten Merkmale, über die i m wesentlichen i n der Form Übereinstimmung herrscht, wie sie von J. Krohn 5 herausgearbeitet wurde: „Die Versicherung ist Vorsorge für die Zukunft dahin, daß zukünftige Ereignisse, deren Eintritt nicht oder wenigstens nicht nach seinem Zeitpunkt voraussehbar ist, für den von solchen Ereignissen Betroffenen möglichst keine oder möglichst geringe Nachteile bringen. Die für die Versicherung typischen Mittel, u m dies Ziel zu erreichen, sind folgende: 1. Sie faßt eine Vielzahl der von solchen Ereignissen Bedrohten zusammen 6 und verspricht unter Einräumung eines Rechtsanspruchs, ihnen i m Falle des Eintritts des Ereignisses, des VersFalles, einen dadurch erlittenen Schaden zu beseitigen oder Ersatz dafür zu leisten oder auch einen infolge des Ereignisses erforderlichen Aufwand tragen zu helfen. 2. Sie verteilt die für solche Leistungen insgesamt benötigten Aufwendungen auf die Vielzahl der Bedrohten, deren Kreis sie kraft Gesetzes oder durch vertragliche Vereinbarung abgrenzt und die sie i n diesen Grenzen rechtlich oder nur tatsächlich zusammenfaßt. Die Verteilung erfolgt durch Erhebung von Anteilen von den Aufwendungen i n Form von Beiträgen (Prämien). Die Beiträge hat i. d. R. der Versicherte zu entrichten. Es kann aber auch ein anderer für ihn tun." 3 Krohn, „Die Soziale U V i m System des Rechts" i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 23 ff. (26), stellt fest, daß es „leider" i n der Wissenschaft „unzählige Versuche" gebe, die rechtliche N a t u r der „Versicherung" zu umschreiben. 4 Vgl. hierzu Lobscheid, „ Z u r Wissenschaft von der Versicherung" i n „Beiträge zur VersWissenschaft", Festgabe f ü r Rohrbeck, S. 193 ff. (196, 197, 198). 5 a.a.O., S. 27; ders., „ Z u r Rechtsnatur der SozialVers." i n „Beiträge zur VersWissenschaft", Festgabe f ü r Rohrbeck, S. 175 ff. (176—179). 6 I n einer Gefahrengemeinschaft, wie allgemein gesagt w i r d (vgl. statt vieler Bruck-Möller, V V G , § 1 A n m . 3).

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

Zweiter

173

Abschnitt

Die früheren und neueren Meinungen i m Schrifttum, die der gesetzlichen U V den Charakter einer „Versicherung" i m Rechtssinne absprechen 7 I. Meinungen, die lediglich noch von rechtshistorischem Wert sind 1. Die damalige ArbeiterVers. und damit auch die UV als Ausfluß der Armenpflege 6 a) Die gesamte damalige ArbeiterVers. und damit auch die U V wurde von einzelnen Autoren mehr 9 oder weniger 10 , was die rechtliche Konstruktion ihrer Unterstützungsansprüche anbetraf, als Ausfluß der öffentlichen Armenpflege angesehen. 7 Hierzu muß bemerkt werden, daß seit der Entstehung des ReichsVersRechts sich eine lebhafte Kontroverse i m Schrifttum darüber entwickelte, ob das ReichsVersRecht i m ganzen m i t seinen damaligen sog. klassischen Z w e i gen (Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und AltersVers.) als a) „Versicherung" i m rechtlichen Sinne anzusehen sei u n d darüber, ob b) das ReichsVersRecht insgesamt dem öffentlichen Recht oder Privatrecht angehöre. Hier soll die Kontroverse zu b) nicht näher dargelegt werden, da sich i n z w i schen die Meinung durchgesetzt hat, daß „das SozialVersVerhältnis i n seinem gesamten Umfang ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis" ist (so statt vieler Wannagat, a. a. O., § 2, S. 10 m i t Hinweis auf Piloty, Die ArbeiterVersGesetze, München 1900, Bd. 1, S. X I I ) . M i t h i n ist auch die gesetzliche U V dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Der bis heute nicht aussetzende Streit, der hier aufgegriffen werden soll, geht jedoch darum, ob die SozialVers. insgesamt und die gesetzliche U V i m besonderen als „Versicherung" im Rechtssinne anzusehen ist oder nicht. Daß die SozialVers. i m allgemeinen u n d damit auch die gesetzliche U V i m besonderen sich als Versicherung im wirtschaftlichen Sinne darstellen (vgl. z. B. den vorwiegend wirtschaftlich geprägten Definitionsversuch von Hax, „Wesen, Bedeutung u n d Gliederung der Versicherung" i n Die Versicherung, Bd. 1, Heft 47, S. 2337 ff. [2350], von dem Schlie, „Versicherungsmäßige u n d nichtversicherungsmäßige Elemente i n der sozialen RentenVers." i n ZVersWiss. 1966, S. 53 ff. [54] berichtet, daß i n den Jahren 1963 u n d 1964 i n der Diskussion zum VersBegriff i m Deutschen Verein f ü r VersWissenschaft eine weitgehende Annäherung an i h n erfolgt sei: „Versicherung ist Deckung eines i m einzelnen ungewissen, insgesamt aber schätzbaren Geldbedarfs auf der Grundlage eines durch Zusammenfassung einer genügend großen Anzahl von Einzelwirtschaften herbeigeführten Risikoausgleichs."), ist ebenfalls, soweit ersichtlich, i m wesentlichen unbestritten (vgl. hierzu bereits Rosin, „Die rechtliche N a t u r der K r a n k e n - u n d UnfallVers. der A r b e i t e r " i n Deutsches Wochenblatt, Jg. I, S. 285, A n m . 2) u n d soll hier als Problem nicht erörtert werden. Definitionsversuche einer „Versicherung" i m Rechtssinne haben beispielsweise formuliert R. Wolff („Das PrivatVersRecht" i n Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. 2, Abschn. 6, S. 418): Sie ist nach Wolff „ein selbständiges Rechtsverhältnis, inhalts dessen jemand einen Scha-

174

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

b) Diese A n s i c h t h a t n u r noch h i s t o r i s c h e n W e r t ; d e n n sie w u r d e ü b e r zeugend schon i m f r ü h e n S c h r i f t t u m w i d e r l e g t u n d w u r d e i m n e u e r e n S c h r i f t t u m , s o w e i t ersichtlich, n i c h t m e h r geäußert. So w i e s bereits W e y l 1 1 zurecht d a r a u f h i n , daß es die ausgesprochene Tendenz des Gesetzgebers gewesen sei, m i t t e l s dieser U n t e r s t ü t z u n g s ansprüche gerade die bis z u m d a m a l i g e n Z e i t p u n k t bestehende A r m e n pflege s o w e i t w i e m ö g l i c h zu beseitigen. I m übrigen machten A d o l f Menzel12 sowie Conrad B o r n h a k 1 3 darauf a u f m e r k s a m , daß die A r m e n p f l e g e e i n b l o ß einseitiges, d i e A r b e i t e r Vers, jedoch e i n zweiseitiges R e c h t s v e r h ä l t n i s d a r s t e l l t e , u n d daß die V o r a u s setzungen b e i d e r L e i s t u n g e n v ö l l i g verschieden w ä r e n . D e n n die A r m e n pflege griffe bereits b e i e i n g e t r e t e n e r A r m u t i m F a l l e d e r E r w e r b s l o s i g k e i t u n d H i l f s b e d ü r f t i g k e i t P l a t z , d i e A r b e i t e r V e r s . h i n g e g e n — als M i t t e l z u r V e r h i n d e r u n g der V e r a r m u n g 1 4 — schon b e i einfacher E r den, der einem anderen aus einem ungewissen Ereignis droht, zu ersetzen verpflichtet ist u n d f ü r die Gefahrübernahme ein nach allgemeinen Erfahrungen berechnetes Entgelt bezieht". Eine vorzügliche Analyse u n d Zusammenfassung der Meinungen i m versrechtlichen Schrifttum über den Begriff „Versicherung" gibt R. Schmidt, „Gedanken zum Begriff der Versicherung" i n „Rechtsfragen der I n d i v i d u a l Vers.", Festgabe f ü r Prölss, S. 247 ff., der dort ausgehend von der knappen Formulierung Möllers (in Bruck-Möller, V V G , § 1 A n m . 3): Versicherung i m Rechtssinn ist „eine Gemeinschaft gleichartig Gefährdeter, also eine Gefahrengemeinschaft m i t selbständigen Rechtsansprüchen auf wechselseitige Bedarfsdeckung" die Definition von A u t o r e n wie Mahr, Ehrenzweig, J. v. Gierke, Prölss, Schmidt-Rimpler, Müller-Erzbach, Manes, Krosta, Gobbi, H e r r m a n n u. a. w ü r d i g t u n d schließlich selbst zu dem Ergebnis gelangt, daß sich der VersBegriff als ein „continuum" darstelle, das — w e n n auch durch einen numerus clausus fester Begriffselemente bestimmt — „dennoch der verschiedenartigsten Ausprägungen, aber auch der Mischung m i t anderen Elementen der individuellen u n d kollektiven Vorsorge fähig" sei (a. a. O., S. 255). Vgl. auch die umfassende Untersuchung über den Begriff „Versicherung" bei Jessen, „Der p r i v a t - u n d tauschwirtschaftliche Begriff der Versicherung" i n „Beiträge zur Theorie u n d Praxis des VersWesens", Festgabe f ü r Prange, S. 143 ff. (insbes. S. 183 u n d 196), sowie die Darstellung Möllers, Versicherungsvertragsrecht (1971), S. 15 (Zusammenfassung). 8 Vgl. hierzu Weyl, a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167 I I 1, S. 890 f. 9 Vgl. Rehm, „Der Rechtsbegriff der ArbeiterVers." i n AöR, Bd. 5, S. 529 ff. (545, 549). Sogar noch heutzutage findet sich vereinzelt die Behauptung, die SozialVers. stelle sich als Armenpflege dar: vgl. Heddy Neumeister i n der Frankfurter A l l g . Zeitung v o m 24. 6.1961, zit. bei Rohwer-Kahlmann, „Die Rechtsstellung des nasciturus i n der U V " i n JuS 1961, S. 285 ff. (288 unter A n m . 14). 10 Vgl. Bornhak, „Die rechtliche N a t u r der ArbeiterVers." i n Z H R Bd. 39 (1891), S. 216 ff. (232). 11 a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167 I I 1, S. 890 f. 12 „Die rechtliche N a t u r der Unterstützungsansprüche aus den Reichsgesetzen über die K r a n k e n - und UnfallVers. der Arbeiter" i n Archiv f. bürgerl. Recht, Bd. 1 (1889), S. 327 ff. (334). 13 „Die rechtliche N a t u r der ArbeiterVers." i n Z H R Bd. 39 (1891), S. 216 ff. (244). 14 Vgl. Weyl, a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 267, S. 891.

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

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werbsunfähigkeit (so bei der damaligen UV) und trotz etwa vorhandener Einnahmequellen 15 . 2. Die Unterstützungsansprüche der damaligen ArbeiterVers. und damit auch der UV als Ausfluß des Arbeitsvertrages a) Manche frühen Autoren, wie z. B. Gustav Mandry 1 6 , sahen die besagten Unterstützungsansprüche als Ausfluß des Arbeitsvertrages an, den der Versicherte m i t seinem „Brotherrn" eingegangen war. b) Diese Meinung hat zurecht schon damals allseitigen Widerspruch erfahren 17 . Denn, so wurde allgemein betont, es sei nicht richtig, daß das (damalige) Recht eine Verpflichtung des „Brotherrn" kenne, dem Arbeiter außer für die Lohnzahlung auch für ungeschmälerte Arbeitskraft und bei deren Vernichtung i m Betriebe bei der Beschäftigung für Wertentschädigung zu haften. Jedenfalls richte sich der Wille der Kontrahenten bei Abschluß des Arbeitsvertrages nicht auf diesen Punkt 1 8 . Noch weniger richtig sei es 19 , daß zur Leistung dieses Ersatzes durch den zwischen Arbeiter und „Brotherrn" abgeschlossenen Vertrag eine dritte Person, nämlich die juristische Person der VersEinrichtung, verpflichtet werden könne. 3. Die Unterstützungsansprüche der genannten Art als Ausfluß der Mitgliedschaft bei den VersEinrichtungen a) Diese Lehre vertrat Otto von Gierke 20 , indem er meinte, die Unterstützungsansprüche der ArbeiterVers. (und damit auch der UV) stellten sich als Ausfluß der Mitgliedschaft bei den VersEinrichtungen (in Gestalt der Berufsgenossenschaften) dar. b) Auch diese Theorie wurde bereits zur damaligen Zeit überzeugend widerlegt. So legte Weyl 2 1 dar, daß, wenn auch für die U V die Mitgliedschaft bei den VersEinrichtungen (BGen) eine große Rolle spiele, dieses Rechts15 Daß die Fehlerhaftigkeit der Armenpflege-Konstruktion nicht dadurch berührt wurde, daß die Armenpflege durch die ArbeiterVers. entlastet wurde, hat Menzel, a. a. O., S. 334 A n m . 23, zutreffend betont. 16 Der civilrechtliche I n h a l t der Reichsgesetze, S. 434. 17 Vgl. Piloty, a. a. O., Bd. 1, S. 167 f.; Rosin, „Die rechtliche N a t u r der K r a n k e n - u n d UnfallVers. der A r b e i t e r " i n Deutsches Wochenblatt, Jg. I, 1888, Nr. 30, S. 142; Menzel, a. a. O., S. 339 ff.; Bornhak, a. a. O., S. 226 f. 18 Vgl. auch Weyl, 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 892, A n m . 6. 19 Wie es Mandry, a. a. O., S. 434, behauptet hatte. 20 I n Die Genossenschaftstheorie u n d die deutsche Rechtsprechung, S. 236 unter A n m . 1. 21 a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 893.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

institut doch i n weitem Umfang von einem solchen Mitgliedschaftsverhältnis zwischen dem anspruchsberechtigten Subjekt (Arbeiter) und dem leistungspflichtigen Subjekt (BG) absehe, ohne deshalb die Unterstützungen zu versagen. Die Unterstützungen seien insoweit unabhängig von jeglicher Mitgliedschaft. Dies gelte insbesondere für die UV, wo nicht die anspruchsberechtigten Arbeiter, sondern die Arbeitgeber als Mitglieder der BGen zu bezeichnen seien. 4. Die Theorie, daß die Unterstützungsansprüche der ReichsVersGesetze Ansprüche auf Schadensersatz seien 22 Diese Theorie, hätte sie jemand geäußert 23 , wäre m i t guten Gründen zu bekämpfen gewesen. Weyl 2 4 machte zutreffend darauf aufmerksam, daß sich diese Theorie zwar auf eine ganze Anzahl gesetzlicher Ausdrücke 25 hätte stützen können. Obwohl überdies die Entschädigungspflicht oftmals unabhängig von einem Verschulden des Ersatzpflichtigen bleibe 26 , so setze sie doch — wie Weyl zurecht betonte — immerhin einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden selbst und einer i h n verursachenden menschlichen Tätigkeit voraus. Gerade ein solcher Zusammenhang fehle aber i n der gesetzlichen UV, wo die BG i n der Regel gegenüber dem Unfallgeschädigten ersatzpflicht i g sei 27 . 22 Weyl, a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 894, stellte fest, daß eine solche Theorie zwar i n der damaligen L i t e r a t u r nirgendwo aufgestellt worden sei — das Gegenteil meinte Menzel, „Das Recht der ArbeiterVers." i n Grünhuts Z., Bd. 18 (1891), S. 289 ff. (310), ohne jedoch Vorkämpfer f ü r jene angebliche Behauptung zu nennen — ; i m m e r h i n wurde sie jedoch von W e y l i n Betracht gezogen. 23 Siehe A n m . 22 dieser Arbeit. 24 a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 267, S. 895. 25 Vgl. §5 Abs. 1 des U V G v o m 6.7.1884: „Ersatz des Schadens, welcher durch Körperverletzung oder Tötung entsteht"; § 5 Abs. 2, a. a. O.: „Schadensersatz i m Falle der Verletzung"; §6 Abs. 1, a.a.O.: „ I m Falle der Tötung ist als Schadensersatz zu l e i s t e n . . . " — ; ferner Ausdrücke w i e „Entschädigungsanspruch" i n §8 Abs. 1 Satz 2, a . a . O . ; „Feststellung der Entschädigung" i n § 57 Abs. 1, Abs. 3, a. a. O., usw. 26 Daß jedenfalls ein Verschulden gerade des entschädigungspflichtigen Subjekts (BG) fehle, betonte zu Recht Menzel, „Die rechtliche N a t u r der Unterstützungsansprüche aus den Reichsgesetzen über die K r a n k e n - u n d UnfallVers. der Arbeiter" i n Archiv f. bürgerl. Recht, Bd. 1, S. 327 ff. (342). 27 Ebenso unergiebig ist es, die SozialVers. den Fällen öffentlich-rechtlicher Entschädigung oder Ersatzleistung zuzuordnen, w i e es Kaskel-Sitzler, Grundriß des sozialen Rechts, Bd. 1, S. 36, taten (weiterhin zu deren Meinung s. unten S. 182 f.). Denn hiergegen ist anzuführen, daß nicht i m m e r ein konkreter Vermögensschaden feststellbar ist, der dem Versicherten zu ersetzen wäre.

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

177

5. Die Theorie, daß die ReichsVers. und mit ihr die UV als „Versorgung" im damaligen Sinne 28 anzusehen sei a) Siegfried Frank 2 9 definierte i m Jahre 1891 diesen Begriff als „die entgeltliche Leistung eines i m voraus bestimmten Vermögenswertes zur Sicherung des Lebensunterhalts für den F a l l des Eintritts wahrscheinlicher, die Erwerbsfähigkeit beschränkender oder beseitigender Ereignisse." Diese „Versorgung" sei zwar, wie Frank meinte 30 , der „Versicherung" i m privatrechtlichen Sinne ähnlich, unterscheide sich aber von ihr insbesondere dadurch, daß sie weder eine bestimmte Entstehungsform (etwa Vertrag) noch Massenbetrieb erfordere, daß sie nicht einen entstandenen Schaden, sondern einen künftigen Erwerbsausfall ersetzen solle. Weiterhin, daß sie nicht von der Unwahrscheinlichkeit, dem zufälligen Eintritt des schädigenden Ereignisses, sondern i m Gegenteil von dessen Wahrscheinlichkeit oder gar Erwünschtheit ausgehe; aus ihrem Zweck — Sicherung einer künftigen Einnahmequelle — folge die Unpfändbarkeit, Unverpfändbarkeit und Unübertragbarkeit des „Versorgungs " - Anspruchs. b) Dieser Theorie wurde schon damals zurecht entgegengehalten 31 , daß sie nicht auf alle Gebiete, die das ReichsVersRecht regele, zuträfe. Aus dem Gesamtzusammenhang der Dissertationsschrift Franks geht i m übrigen hervor, daß er vorwiegend an die Alters Vers, als Zweig der ReichsVers. dachte 32 . Für die U V kam diese Theorie hiernach nicht i n Betracht. 6. Abschlußbemerkung

zu den Theorien unter 1. bis 5.

Die unter I, 1.—5. aufgezeigten Theorien, die dem Reichs VersRecht und der gesetzlichen U V i m besonderen den Rechtscharakter einer „VerEs gibt zahlreiche Fälle sog. abstrakter Bedarfsdeckung. Die SozialVers. läßt es außerdem nicht zu, daß m a n die Rechtsgrundsätze f ü r die ganz anders gearteten sonstigen Fälle öffentlich-rechtlicher Entschädigung (z. B. aus A u f opferung usw.) auf sie überträgt (vgl. hierzu H. Möller, „Gemeinsame G r u n d begriffe der Sozial- u n d PrivatVers." i n „ A k t u e l l e Fragen der I n d i v i d u a l - u n d SozialVers.", Festgabe f ü r Roehrbein, S. 135 ff. [138] m i t weiteren L i t . - H i n weisen). 28 Diesen damals neu aufgekommenen Begriff verwandte Frank, Der Rechtscharakter der durch die deutsche Socialgesetzgebung geschaffenen Unterstützungsansprüche. 29 a. a. O., §§ 6 u n d 7, S. 36 ff. 30 a. a. O., S. 37 f. (40). 31 Vgl. Lehmann i n der Besprechung der gen. Diss. v o n F r a n k i n : Z H R Bd. 40 (1892), S. 603 ff.; Weyl, a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 897. 32 Wahrscheinlichkeit oder gar Erwünschtheit (!) des schädigenden Ereignisses. 12 v. Heinz

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

Sicherung" absprachen, sollen nicht weiterhin Gegenstand unserer Betrachtungen sein. Sie bewegten sich auf derart abwegigen Gleisen, daß sie, wie dargelegt, noch zur Zeit ihrer Entstehung überzeugend widerlegt werden konnten. I m folgenden sollen jedoch einige der Theorien aufgeführt werden, die bis zum heutigen Tage die wissenschaftliche Diskussion bewegen. Wie angekündigt 33 , w i r d eine Stellungnahme zu diesen Theorien jedoch erst am Ende dieser Arbeit erfolgen. II. Weitere Meinungen, die dem ReichsVersRecht und der gesetzlichen UV im besonderen den Charakter einer „Versicherung" im Rechtssinne absprechen 1. Die Meinung Richard Weyls Dieser Autor gelangte i n seinen Untersuchungen zu jenem Problem zu dem Gesamtergebnis 34 , daß den (damaligen) ReichsVersGesetzen keine „Versicherung" i m (technisch-)juristischen Sinne entspränge, abgesehen von einigen Ausnahmen. Vielmehr trügen die Unterstützungsansprüche — wiederum von wenigen Ausnahmen abgesehen — nur das „blasse und farblose Gewand der Zustandsobligationen". Seine Meinung begründete Weyl folgendermaßen: a) Die Ausdrucksweise des Gesetzes selbst, die bei den einzelnen Zweigen jeweils die Bezeichnung „Versicherung" gebrauche, spreche allein noch nicht für einen „Versicherungs"-Charakter. Denn i n den Gesetzen befänden sich auch noch andere Ausdrücke, wie „Fürsorge" und „Unterstützung" 3 5 . Auch seien bereits bei den gesetzlichen Vorarbeiten Zweifel an der Anwendbarkeit des juristischen Versicherungsbegriffs auf die neu geschaffenen Ansprüche geltend gemacht worden. Die Ausdrucksweise der Gesetze erkläre sich schon aus dem ökonomischen Begriff der Versicherung (i. S. von Sicherstellung) sowie aus der Entwicklungsgeschichte der Arbeiterfürsorge 36 . Selbst wenn jedoch der Gesetzgeber den juristischen VersBegriff gemeint habe, sei dies nicht genügend für die Konstruktion, sofern der 33

Siehe oben S. 169. a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 901. 35 Derartige Stellen führte Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, S. 267, A n m . 38, auf. 36 Weyl, a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 882, berief sich hierbei auf den Bericht der V I I . Kommission zum E n t w u r f eines U V G i n Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 3, Nr. 115, S. 34. Darüber hinaus wies Weyl, a. a. O., auf Rosin, Das Recht der öffentl. Genossenschaft, S. 59, auf Bornhak, „Die rechtliche N a t u r der ArbeiterVers." i n Z H R , Bd. 39 (1891), S. 216 ff. (231, 232), sowie auf Lewis, Lehrbuch des VersRechts, S. 346/347, hin. 34

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

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übrige Inhalt der Gesetze dazu führen müßte, den VersBegriff abzulehnen. Denn bindend seien nur die Rechtsbefehle, nicht die Urteile des Gesetzgebers. Eine fehlerhafte Ausdrucksweise des Gesetzgebers, die nicht m i t dem Gesamtresultat der Rechtsbefehle übereinstimme, vermöge zwar zunächst über die Tendenz des Gesetzesinhalts zu täuschen, es sei aber gerade Aufgabe der Theorie, einen „richtigen Einblick" i n die Gesetzestendenz herbeizuführen. b) So sei beispielsweise der Umstand der Massenhaftigkeit der gleichzeitig für eine jede einzelne „Versicherungseinrichtung" (auch BG) i n Betracht kommenden „Versicherungsverhältnisse" und der sich aus einem derartigen „Großbetriebe" für die VersEinrichtung ergebenden Wahrscheinlichkeit günstiger Resultate 37 nicht beweiskräftig. Denn dieser Umstand bilde nicht ein spezielles Begriffsmoment der Versicherung i m Rechtssinne, sondern zugleich ein solches der Versicherung i m weiteren (umfassenderen) ökonomischen Sinne, deren Anwendbarkeit auf die ArbeiterVers. durchaus nicht geleugnet werden solle, aber keineswegs zu der Annahme einer Versicherung i m Rechtssinne zwinge. c) Die vertragsmäßige Entstehung des Vers Verhältnisses, wie sie von den Befürwortern der Versicherungstheorie i m Rechtssinne als Argument herangezogen werde 38 , bilde nur die Ausnahme i n Gestalt der einzelnen Fälle der freiwilligen Versicherung. Der Versuch, die regelmäßigen Fälle des VersZwangs, der i n erster Linie zuungunsten der VersTheorie spreche, als „VertragsVerhältnisse" privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur zu konstruieren, müsse entschieden zurückgewiesen werden. Denn der E i n t r i t t der ArbeiterVers. vollziehe sich gänzlich unabhängig vom freien Willensentschlusse des Versicherten bzw. der VersEinrichtungen, sie trete vielmehr ex lege ein. Beide Teile müßten dann zwar die Existenz des Vers Verhältnisses anerkennen, aber es sei ein Ding absoluter Unmöglichkeit, i n solchen Fällen des VersZwangs denselben aus einem VersVertrage zu erklären. Das gelte, wie Weyl meinte 39 , auch bei sonstigen „Vertragsverhältnissen" (z.B. Enteignung, Zwangsversteigerung), bei denen der eine „Kontrahent" zur Abgabe seiner „Willenserklärung" durch staatlichen 37 Wie sie als Argument f ü r den rechtlichen VersCharakter gebraucht wurde, vgl. z. B. Bornhak, a. a. O., S. 233. 38 Vgl. z. B. Köhne, „Der Charakter u n d die systematische Stellung des ArbeiterVersRechts" i n Z H R Bd. 37 (1890), S. 76 ff. (79). 39 a. a. O., 3. Teil, 2. Kap., § 167, S. 889.

12*

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

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Zwang genötigt sei. Auch solche Rechtsverhältnisse werde man nicht als (privat- bzw. öffentlich-rechtliche) Verträge konstruieren dürfen. d) Vielmehr müsse man sich — wenigstens für die Hauptfälle des VersRechts, nämlich den Fällen des VersZwanges — der Ansicht anschließen, daß das Vers Verhältnis und somit auch die Unterstützungsansprüche als dessen materieller Hauptinhalt, eine gesetzliche oder Zustands-Obligation darstelle 40 . Dafür spreche eben, daß das Vers Verhältnis regelmäßig auf Zwang beruhe, daß es zur Entstehung gelange, ohne daß eine freie Willenserklärung seitens beider gegenüberstehender Rechtssubjekte notwendig oder überhaupt rechtserheblich sei. Dies gelte besonders für die UV, wo eine freiwillige Versicherung auf gesetzlicher Grundlage allein gar nicht vorgesehen sei 41 . Aus alledem ergebe sich, daß der reichsversrechtliche „Versicherungs"Begriff keineswegs als bloße Modifikation des privat-rechtlichen VersBegriffs aufgefaßt werden könne, geschweige denn, daß eine rechtliche Verwandtschaft oder gar Gleichheit zwischen beiden herrsche; vielmehr bestehe nur eine faktische Ähnlichkeit der Begriffe. 2. Die Meinung Heinrich Rosins a) SozialVers. als öffentlich-rechtliche Fürsorge Rosin vertrat die Auffassung 42 , die juristische Konstruktion der A r beiter Vers. habe m i t einer Versicherung i m Rechtssinne kaum etwas gemeinsam. Die SozialVers. sei eine öffentlich-rechtliche Fürsorge, aber keine „Versicherung". Es handele sich „dabei überhaupt nicht u m ein einheitliches 40

Diese Meinung vertrat i m besonderen auch Menzel, „Die rechtliche N a t u r der Unterstützungsansprüche aus den Reichsgesetzen über die K r a n ken- u n d UnfallVers. der A r b e i t e r " i n Arch. f. bürgerl. Recht, Bd. 1 (1889), S. 327 ff. (338, 348 f.). 41 Vgl. jedoch § 2 Abs. 2 des U V G v. 6. 7.1884: Hiernach konnte das Statut der BGen bestimmen, ob u n d inwieweit Betriebsunternehmer sich selbst oder i h r nicht verspflichtiges Personal versichern durften. Weyl, a. a. O., S. 897 f., räumte f ü r einen solchen F a l l ein, daß, w e n n das VersVerhältnis auf der Grundlage freien Willensentschlusses seitens beider gegenüberstehender Rechtssubjekte — Personal i m obigen Sinne u n d VersEinrichtung — beruhe, keine Zustandsobligation, sondern ein VertragsVersVerhältnis i. S. des P r i vatVersRechts vorliege. Dies gelte überall, wo die VersEinrichtung nicht durch gesetzliche Bestimmung, sondern lediglich durch i h r Statut zur Anerkennung der f r e i w i l l i g e n Vers, genötigt sei, wo sie also ihren eigenen W i l l e n i n genereller, nachträglich allerdings f ü r alle konkreten Einzelfälle bindender Weise erklärt habe. 42 Vgl. Das Recht der ArbeiterVers., Bd. 1, S. 255 ff.; ders„Die Rechtsnatur der ArbeiterVers." i n Festgabe f ü r Laband, Bd. 2, S. 43 ff., u n d „Die rechtliche N a t u r der K r a n k e n - u n d UnfallVers. der Arbeiter" i n Deutsches Wochenblatt, 1. Jg., 1888, Nr. 30, 31.

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

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zweiseitiges Rechtsverhältnis, sondern u m zwei einseitige Rechtsverhältnisse, von denen das eine, principale, die den arbeitenden Klassen von Staats wegen zugesicherte Fürsorge, das andere aber, secundäre und m i t dem ersteren nicht i n notwendiger rechtlicher Verbindung stehende, die behufs Aufbringung der nöthigen M i t t e l gewissen Personen auferlegte Leistung von Beiträgen zum Gegenstand hat" 4 3 . Der Zusammenhang sei lediglich wirtschaftlicher, aber nicht rechtlicher Natur. b) Vornehmlich i m Hinblick auf die gesetzliche U V begründete Rosin seine Meinung folgendermaßen 44 : aa) Auch wo der durch den berufenen Träger der „Versicherung" gewährten Fürsorge Leistungen an denselben äußerlich gegenüberstünden, fehle es an einer derartigen inneren rechtlichen Verbindung zwischen beiden, kraft deren sie als die zwei aufeinander bezüglichen Seiten eines Versicherungsverhältnisses 45 aufgefaßt werden könnten. Denn der Umstand allein, daß die Aufbringung von Mitteln erfolge, u m sie zu gewissen Zwecken zu verwenden, begründe zunächst zwischen den bezüglichen Einnahmen und Ausgaben nur eine wirtschaftliche, aber noch nicht eine rechtliche Beziehung. Daran könne auch die Tatsache nichts ändern, daß die Höhe der Ausgaben auf die Bestimmung der Einnahmen oder umgekehrt zurückwirke. Mögen auch für die Veranschlagung der den sozialpolitischen VersInstituten erwachsenden Ausgaben und für die danach sich richtende Bestimmung und Verteilung der Beiträge versicherungstechrasche Prinzipien i n Betracht kommen, für das juristische Verhältnis von Fürsorge und Beitrag sei damit an sich nichts bewiesen. bb) I m Gegenteil zeige sich, wie Rosin i n seinem Sinne konsequent weiterhin ausführte, daß der zwischen beiden durch Wegfall des Vertragsbandes gelöste Zusammenhang auch nicht durch andere rechtliche Momente ersetzt werde. So werde der gelöste Zusammenhang insbesondere i m Hinblick auf die U V nicht ersetzt durch eine prinzipielle Identität des Fürsorgeberechtigten m i t dem Beitragspflichtigen, derart, daß man sagen könnte, 43 So Rosin i n Recht der ArbeiterVers., 1. Bd. (Die reichsrechtlichen G r u n d lagen der ArbeiterVers.), S. 255. 44 Wie A n m . 43 dieser Arbeit, dortselbst S. 256 ff. (261 f.). 45 Diese Formulierung erklärt sich aus der Auffassung Rosins über das Synallagma i m VersVertrag, wonach „die zwei aufeinander bezüglichen Seiten" dergestalt zu sehen waren, „daß das Recht auf den Ersatz eines eintretenden Schadens einerseits u n d die Pflicht zur Prämienzahlung andererseits als gegeneinander ausgetauscht, die Leistung jeden Teils, u n d namentlich auch die des Versicherers, als Gegenleistung f ü r die des anderen Teils erscheint, u m der Leistung des anderen w i l l e n erfolgt" (a. a. O., S. 257/258).

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

daß i n einer und derselben Person ein Austausch von Versicherung und Prämienleistung stattfinde. I m Gegenteil fielen die Subjekte jener Rechte und Pflichten hier unbedingt auseinander, da die Beiträge ausschließlich von den Unternehmern und aus deren Mitteln entrichtet würden 4 8 . cc) Wie Rosin weiterhin meinte, könne man sich seiner Argumentation gegenüber nicht auf die privatrechtliche Möglichkeit einer „Versicherung zugunsten Dritter" berufen, bei der sich ebenfalls V N und Versicherter schieden. Denn bei dieser liege das zusammenhaltende Moment zwischen der Zahlung des einen und der Leistung an den Dritten gerade i n dem „Vertrage zugunsten des Dritten", i n dem das Versprechen von Leistung und Gegenleistung gegeneinander ausgetauscht werde. Ohne das Vertragsmoment falle die Versicherung zugunsten eines D r i t ten, falls nicht andere Momente einträten, einfach i n eine gesetzliche Leistungspflicht des angeblichen Versicherers A an den B und ein gesetzliches Forderungsrecht des A an den C auseinander. Der Zusammenhang sei lediglich ein wirtschaftlicher, indem A die Zahlungen der verschiedenen C's i n seiner Kasse sammele, u m die verschiedenen B's daraus zu befriedigen. 3. Die Meinung Walter Kaskels und Fritz Sitzlers

47

a) Die SozialVers. als Ganzes — keine Versicherung i m Rechtssinne Sie vertraten — kurz zusammengefaßt — die Ansicht, daß die SozialVers. nicht als Versicherung i m Rechtssinne anzusehen sei. Die Beiträge richteten sich nicht nach dem zu versichernden Risiko, es würden auch Entschädigungen für bereits vorhandene Schäden gewährt. Auch bestünde keine Verhältnismäßigkeit zwischen Beiträgen und Leistungen. b) Die Konstruktion der U V Die U V i m besonderen stellte sich nach ihrer Ansicht als KollektivVers. der Unternehmer gegen Haftpflicht dar. Damit verkehre sie, wie 46 Z u Recht bezog Rosin (a. a. O., S. 262, A n m . 19) hierbei Position gegen den Versuch Köhnes („Der Charakter u n d die systematische Stellung des ArbeiterVersRechts" i n Z H R Bd. 37, S. 76 ff. [91 f.]), bei der gesetzlichen U V die Identität v o n Versichertem u n d Beitragspflichtigem dadurch zu retten, daß er dieselbe als eine HPflVers. der Unternehmer darstellte. Denn eine H a f t pflicht, w i e Rosin richtig argumentierte, bestand nach Maßgabe des U V G 1884 als selbständige Rechtspflicht des Unternehmers neben seiner Pflicht, der B G anzugehören, i n aller Regel nicht. So k a m nach Ansicht Rosins auch der Gedanke Köhnes n u r als „ökonomischer Ausgangspunkt des Gesetzgebers" i n Betracht. 47 Vgl. deren Grundriß des sozialen Rechts, Bd. 1, S. 33 ff.

1. Kap.: Z u m Begriff „Versicherung"

183

die genannten Autoren meinten, den Grundgedanken der sozialen Versicherung, die nicht die Unternehmer, sondern die Arbeiter gegen künftige Schäden sichern solle. c) Wirkungen staatlicher Fürsorge und privater Versicherung als Motive und Ziele der SozialVers. Der Begriff der staatlichen Fürsorge erkläre, wie die genannten Autoren weiterhin meinten, nicht die rechtliche Natur der sozialen Versicherung, sondern lediglich das Motiv, aus dem heraus die SozialVers. geschaffen worden sei. Das Ziel, das sich die staatliche Fürsorgetätigkeit gesetzt habe, sei eine Sicherung der arbeitenden Bevölkerung gegen künftige Schäden gewesen, wie sie i n der privaten Versicherung verwirklicht gewesen sei. Die beiden Konstruktionen von der sozialen Versicherung als Versicherung i m Rechtssinn und als staatliche Fürsorge erklärten daher lediglich Motiv und Ziel der staatlichen Tätigkeit, nicht aber, i n welcher Weise, m i t welchen juristischen Mitteln die Betätigung staatlicher Fürsorge das Ziel einer Sicherung gegen Schäden verwirklicht habe. d) Das juristische M i t t e l der SozialVers. „Dieses juristische M i t t e l war die Einräumung eines gegen den Staat gerichteten subjektiven öffentlichen Rechts auf Entschädigung an die Angehörigen bestimmter sozialer Bevölkerungsklassen beim E i n t r i t t bestimmter schädigender Ereignisse." 48 4. Die Meinung Herbert

Lauterbachs

Auch er kommt zu dem Schluß 49 , daß die gesetzliche U V „nach ihrer historischen Entwicklung und nach ihrer strukturellen Gestaltung nicht eine Versicherung i m echten Sinne gegen irgendwelche Wechselfälle des Lebens, sondern i n erster Linie die Ablösung der Haftpflicht des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern" und „die Erfüllung der aus dem Gefährdungsprinzip aufgebauten Schadenersatzpflicht des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern" sei.

48

So Kaskel-Sitzler, a. a. O., S. 37. „Die Sonderstellung der gesetzlichen U V i m Rahmen der SozialVers." i n B G 1953, S. 125 ff. (125,126). 49

Zweites

Kapitel

Der Versicherungsfall Erster Abschnitt

Zur Einführung I. VersFall als rechtstechnischer Grundbegriff Für die Gesamtgebiete der PrivatVers. und der SozialVers. gehört der VersFall gleichermaßen zu den rechtstechnischen Grundbegriffen. Bis zum Jahre 19031 war die Bezeichnung „VersFall" unbekannt. Erstmals i m Entwurf eines Gesetzes über den Vers Vertrag wurde dieser Begriff vom Reichsjustizamt geprägt und später i n das V V G übernommen, ohne jedoch i n diesem definiert zu werden. I n der Begründung zu § 1 V V G 2 hieß es lediglich: „Aus den Vorschriften des § 1 Abs. 1 ergibt sich auch die Bedeutung des Ausdrucks Versicherungsfall; der Entwurf versteht darunter das Ereignis, m i t dessen E i n t r i t t die Leistungspflicht des Versicherers begründet wird." Seit diesem Zeitpunkt bürgerte sich dieser Begriff ein, ohne allerdings vom Gesetzgeber i n einer privatversicherungsrechtlichen Legaldefinition gefaßt zu werden 3 . Entsprechendes trifft für die SozialVersGesetze zu, die ebenfalls an mehreren Stellen 4 den Begriff „Versicherungsfall" verwenden, ohne hierfür eine Definition zu geben.

1 Vgl. Langkeit , „ Z u m Problem des VersFalls i n der SozialVers. u n d i n der IndividualVers." i n ZVersWiss. 1966, S. 31 ff. (32). 2 Vgl. Drucks, des RTs., 12. Leg.Per., 1. Sess., 1907, Nr. 364, A n l . 1, S. 12. 3 F ü r die HPflVers. vgl. z. B. Boettinger, „Der VersFall i n der A l l g . HPflVers. nach deutschem u n d ausländischen Rechten sowie die zeitliche Geltungsdauer des VersSchutzes nach § 1 A H B " i n „Rechtsfragen aus der P r i v a t u n d SozialVers.", S. 5 ff. (26). 4 Vgl. beispielsweise § 1402 Abs. 4 Satz 2 RVO.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

185

I I . Keine gesetzliche Definition dieses Grundbegriffs im PrivatVersRecht und in der gesetzlichen UV Damit ergibt sich bereits die erste — negative — Entsprechung des privaten Unfall- und HPflVersRechts i n der gesetzlichen UV, daß sich nämlich i n allen drei Rechtsgebieten keine gesetzliche Definition 5 des Grundbegriffs „Versicherungsfall" findet. I I I . Schlußfolgerung aus dieser Gegebenheit Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber bis heute von einer Legaldefinition Abstand genommen hat 8 , ist zu schließen, daß er auf die Ausfüllung dieses Begriffs durch Rechtsprechung, Vertragsrecht sowie Schrifttum vertraute und eine gesetzliche Fassung für nicht notwendig befand 7 . Dadurch w i r d eine rationelle Weiterentwicklung dieses Begriffs ermöglicht. Zweiter

Abschnitt

Ausfüllung des Begriffs „VersFall" durch Schrifttum und Rechtsprechung Erster Unterabschnitt Begriffserklärung — Entsprechungen und Abwandlungen von Einzelmomenten I. Definitionen des Begriffs „VersFall" in PrivatVers. und SozialVers. I n der Tat wurde von Schrifttum und Rechtsprechung der Versuch unternommen, diesen Begriff zu definieren. Als Beispiele seien hier ge5

Freilich ist die PrivatVers. insofern strenger als die gesetzliche UV, als bei ersterer der „Versicherungsfall" wenigstens i n den Allgemeinen VersBedingungen definiert ist. Hierauf w i r d noch des näheren einzugehen sein. 6 Weder erfolgte sie i m neuesten Gesetz zur Änderung des W G v o m 30. 6.1967 f ü r die private U n f a l l - u n d HPflVers. noch i m Rahmen der U m änderung der gesetzlichen U V durch das U V N G v o m 30. 4.1963. 7 Morell, „Der Kausalbegriff i n der U V " i n SZS 1965, S. 16 ff. (28), sieht i m „ U n f a l l " keinen eigentlichen Rechtsbegriff, sondern eine rechtlich relevante Tatsache. M o r e l l meint, der „ U n f a l l " sei ein vorrechtlicher Sachverhalt, der je nach den konkreten Verhältnissen unter Umständen einer neuen richterlichen Interpretation bedürfe. Das sei w o h l auch der Grund, wie dieser A u t o r meint, w a r u m der Gesetzgeber (in der Schweiz) auf eine Legaldefinition verzichtet habe.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

nannt die Definition von Wilhelm Kisch 8 , nach dem der VersFall „ein bestimmtes einzelnes Geschehen, ein tatsächlicher Vorgang von geschichtlicher Wirklichkeit" ist und die Definition von Erich R. Prölss 9 , der den VersFall als „ein Ereignis" erklärt, „das einen Schaden herbeizuführen droht und das objektiv unter die Haftung des Versicherers fällt." Für das Gebiet der SozialVers. legt Georg Wannagat 10 den Begriff „VersFall" fest als „den E i n t r i t t des Wechselfalles des Lebens, gegen den sozialversicherungsrechtlicher Schutz gewährt werden soll." Schließlich sieht das BSG 1 1 i m VersFall „ein bestimmtes Ereignis oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse i m Leben des Versicherten ..., gegen deren Nachteile die Versicherung Schutz gewähren soll". I I . Spielarten des Begriffs „VersFall" in der privaten U V und HPflVers. sowie in der gesetzlichen U V Nunmehr gilt es darzulegen, welche Spielarten des Begriffs „VersFall" die vom Thema genannten VersZweige kennen. 1. Private UV Als Definition führt Werner Wussow 12 für die private UV aus: „Versicherungsfall . . . ist das Unfallereignis einschließlich Gesundheitsbeschädigung, nicht dagegen die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder der Tod, die als Folgen dieses VersFalles später die Leistungspflicht auslösen." Für den positiven Schwerpunkt dieser Definition, das Unfallereignis, legt wiederum § 2 Abs. 1 A U B fest: „Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet."

8 „Grundsätzliches zum Tatbestand des VersFalles" i n ZVersWiss. Bd. 35 (1935), S. 183 ff. (183). 9 W G - K o m m . , § 33 A n m . 1. 10 L B des SozialVersRechts, Bd. 1, S. 291. 11 E. v. 25.10.1963 Bd. 20, 48 ff. (50); E. v. 28.4.1964 Sozialrecht RVO, § 1255 Nr. 3; E. v. 1.12.1964 Bd. 22, 123 f.; E. v. 5.3.1965 Sozialrecht RVO, §1276 Nr. 2. 12 A U B - K o m m . , § 2, A n m . 4, S. 51.

2. Kap.: Der Versicherungsfall 2. (Private)

187

HPflVers.

F ü r die H P f l V e r s . besagt § 5 Ziff. 1 A H B : „ V e r s i c h e r u n g s f a l l i m S i n n e dieses V e r t r a g e s i s t das Schadenereignis, das H a f t p f l i c h t a n s p r ü c h e gegen d e n V N z u r F o l g e h a b e n könnte." 3. Gesetzliche

UV

I n der gesetzlichen U V i s t der V e r s F a l l der A r b e i t s u n f a l l 1 3 i. S. v o n § 548 R V O , d e r d u r c h das Gesetz a u f folgende T a t b e s t ä n d e ausgedehnt wurde: Den U n f a l l bei Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung u n d E r n e u e r u n g des A r b e i t s g e r ä t s i m S i n n e des § 549 R V O , d e n W e g e u n f a l l i. S. des § 550 R V O u n d die B e r u f s k r a n k h e i t e n i. S. des § 551 R V O . D a i m 3. B u c h d e r R V O eine D e f i n i t i o n des „ U n f a l l s " (vgl. §§ 548 A b s . 1 Satz 1, 549, 550 Satz 1 R V O ) f e h l t , h a t die R e c h t s p r e c h u n g 1 4 diesen B e g r i f f sinngemäß w i e folgt umrissen: U n f a l l i s t e i n v o n a u ß e n h e r a u f d e n Menschen e i n w i r k e n d e s , k ö r p e r l i c h schädigendes, plötzliches, d . h . z e i t l i c h begrenztes E r eignis.

13 Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO, A n m . 2, f ü h r t an, daß i m Sprachgebrauch der i n § 548 geregelte Arbeitsunfall als „ A r b e i t s u n f a l l i m engeren Sinne", der F a l l des § 549 u n d der des § 550 als „ A r b e i t s u n f a l l i m w e i teren Sinne" u n d die Berufskrankheit i. S. v o n § 551 nach z. Z. noch überwiegender Meinung als „besonderer VersFall" bezeichnet werden. I n unseren Untersuchungen möchten w i r jedoch m i t Lauterbach, a. a. O., lediglich zwei VersFälle unterscheiden, nämlich den Arbeitsunfall u n d die Berufskrankheit. Diese Unterscheidung rechtfertigt sich dadurch, daß jene beiden Tatbestände i m wesentlichen unterschiedliche Regelungen erfahren haben. E r w ä h n t sei an dieser Stelle, daß Schönberger, „ E n t w i c k l u n g u n d Grenzen des Begriffs ,Versicherungsfair" i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 155 ff., einen hervorragenden Uberblick der geschichtlichen E n t w i c k l u n g des Begriffs „ A r b e i t s u n f a l l " gegeben hat. H i e r aus sei lediglich angeführt, daß der i m 1. E n t w u r f zum U V G aus dem Jahre 1881 gebrauchte terminus „ U n f a l l beim Betrieb" formell aus § 1 RHPfLG übernommen wurde. Der Bezeichnungswechsel „Betriebsunfall" h i n zum „ A r b e i t s u n f a l l " (eingefügt durch das 6. Änd.G. v. 9. 3.1942, RGBl. I S. 107) brachte keine Änderung des Begriffsinhalts, erwies sich jedoch deshalb als erforderlich, „ w e i l die U V nach Abschluß der neueren E n t w i c k l u n g i n weitgehendem Umfang auch Schutz gegen die Folgen v o n Unfällen gewährte, die nicht mehr als »Betriebsunfall 4 anzusehen waren" (so Schönberger, a. a. O., S. 158 m i t H i n w . auf die Begründung zum 6. Änd.G. i n A N 1942 I I , S. 199). 14 Vgl. GrS R V A E u M Bd. 2, S. 186; Bd. 3, S. 83; RGZ Bd. 93, S. 33 ff. (34).

188

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten Zweiter Unterabschnitt Weiterer Untersuchungsgang

U n t e r Z u g r u n d e l e g u n g der aufgezeigten Begriffe w e r d e n w i r n u n m e h r darangehen, die v o m Gesetz, d e n A l l g e m e i n e n V e r s B e d i n g u n g e n , der Rechtsprechung u n d d e m S c h r i f t t u m g e p r ä g t e n E i n z e l b e g r i f f e e i n ander gegenüberzustellen, u m h i e r d u r c h E n t s p r e c h u n g e n u n d A b w a n d l u n g e n der P r i v a t V e r s Z w e i g e i n der gesetzlichen U V h e r a u s z u a r b e i t e n .

Dritter

Abschnitt

Einzelne Merkmale Erster Unterabschnitt Entsprechungen und A b w a n d l u n g e n I . V e r w i r k l i c h u n g des geschützten Wagnisses 1. Abgrenzung

von Gedanken

und sonstigen

Gefahrenmomenten

W i e aus d e n o b i g e n D a r l e g u n g e n h e r v o r g e h t , e r g i b t sich eine E n t sprechung des p r i v a t e n U n f a l l - u n d H P f l V e r s . 1 5 - R e c h t s i n der gesetzlichen U V d a r i n , daß e i n „ E r e i g n i s " v o r l i e g e n m u ß (vgl. §§ 2 A b s . 1 A U B , 5 Ziff. 1 15 A u f den bekannten Theorienstreit i n der HPflVers. über die Auslegung des „Ereignis"-Begriffs i n § 1 Ziff. 1 A H B u n d des „Schadensereignis"-Begriffs i n § 5 Ziff. 1 A H B einzugehen, muß sich diese A r b e i t versagen. Denn dem Ziel, Entsprechungen u n d Abwandlungen des privaten HPflVersRechts i n der gesetzlichen U V herauszuarbeiten, w ü r d e dadurch wenig gedient. E r w ä h n t sei lediglich, daß der Entstehungsvorgang eines Schadenersatzanspruchs (von dem die HPflVers. den V N freistellt) drei Momente aufweist: a) die Ursache (der „Verstoß"), die zu einem Schaden geführt hat; b) das Schadenereignis, das sich aus der Ursache (Verstoß) entwickelt hat und c) die Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs seitens des Geschädigten gegen den V N . Jedes dieser drei Momente w u r d e bereits f ü r sich genommen als das ausschlaggebende Moment f ü r den „VersFall" i n der HPflVers. angesehen: vgl. die Darstellung des Theorienstreits bei Wussow, A H B - K o m m . , § 1 A n m . 27, S. 48—54, u n d Jannott, „Haftpflichtversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 4, Zusatzheft I I I 3, S. 100—103 (auch S. 104, wo eine Übersichtstafel A u s k u n f t über den VersSchutz bei Zugrundelegung der drei Theorien gibt); StiefelWussow, KraftfahrVers., A K B - K o m m . , § 7 A n m . 2. W i r folgen hier m i t Boettinger (a. a. O., S. 5—116) der Ereignistheorie. Denn „Entstehungsgeschichte . . . u n d Wortlaut v o n § 1 A H B f ü r sich betrachtet u n d i m Zusammenhang m i t anderen Bestimmungen lassen keinen Zweifel, daß i n der allgemeinen HPflVers. die Ereignistheorie g i l t " (so Boettinger, a. a. O., S. 100).

2. Kap.: Der Versicherungsfall

189

A H B und die Definition der Rechtsprechung für den Begriff „Unfall" als Teilstück des Merkmals „Arbeitsunfall" i n §§ 548 ff. RVO). I n allen drei Rechtsgebieten ist darunter ein Geschehen zu verstehen, das sich i n der Außenwelt manifestiert 16 . Das Stichwort „Ereignis" bildet den entscheidenden Ansatzpunkt für die Erfassung des VersFalls sowohl i n privater UV und HPflVers. als auch i n der gesetzlichen UV 1 7 . Denn durch das Erfordernis der Manifestation i n der Außenwelt setzt sich das Ereignis ab etwa vom bloßen Gedanken anderer Menschen 18 (z. B. i n Gestalt eines Irrtums des Arbeitgebers über die Zuverlässigkeit der Schutzvorrichtungen an seinen Maschinen) oder von bloßen Gefahrenmomenten, die an sich geeignet wären, eine Gesundheitsbeschädigung eines Versicherungsgeschützten oder die Erhebung von Haftpflichtansprüchen gegen diesen nach sich zu ziehen. 2. Abgrenzung von Gefahr und Wagnis W i r waren bei unseren Bemühungen um eine „Versicherungs"Begriffsbildung 19 davon ausgegangen, daß die Versicherung eine Gefahrengemeinschaft zusammenfaßt. Während die Gefahr, gegen die Versicherung genommen wird, als rein gedankliches Gebilde, als bloß vorgestellte Möglichkeit des Eintritts eines Ereignisses aufzufassen ist, bildet das Ereignis selbst die i n der Außenwelt nachprüfbare Veränderung und damit für den Versicherungsgeschützten die Erfüllung dessen, was ihn objektiv bedrohte und was er subjektiv befürchtete. Für den Versicherer bedeutet es den Punkt, an dem das von i h m übernommene Wagnis sich i n der Wirklichkeit niederschlägt und — wie Möller 2 0 es ausdrückt — die Dauerleistung des VersTrägers i n Gestalt 16 Wussow, A U B - K o m m . , §2 A n m . 6; Wussow, A H B - K o m m . , § 1 A n m . 27; für die gesetzliche U V vgl. Langkeit, a. a. O., S. 33. Den philologischen Z u sammenhang des „Ereignisses" m i t einem „Eräugnis" erwähnt Möller, „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen" i n V W 1964, S. 605 ff. (608 Ii. Sp.). 17 Es versteht sich, daß die Beschaffenheit dieses Ereignisses, die es zum VersFall werden läßt, nicht etwa durch Zwangsläufigkeiten i m Wesen des E r eignisses charakterisiert werden kann, m i t anderen Worten: die eigenen Merkmale des Ereignisses vermögen diesem nicht schon die Eigenschaft des Versicherungsfalles zu verschaffen. Das können die Merkmale des Ereignisses vielmehr n u r i m Zusammenhang m i t dem jeweiligen Versicherungsverhältnis. Dieses soll jedoch gesondert behandelt werden. Vgl. dazu unten S. 314 ff. Siehe hierzu des weiteren auch Gitter, Schadensausgleich i m Arbeitsunfallrecht. Die Soziale U V als T e i l des allgemeinen Schadenrechts, S. 77 ff. 18 Wussow, A U B - K o m m . , §2 A n m . 6; Lauterbach, U V - K o m m . , §548 RVO, A n m . 3. 19 Siehe oben S. 171 ff. (172). 20 „Gemeinsame Grundbegriffe der Sozial- u n d PrivatVers." i n „ A k t u e l l e

190

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

der Gefahrtragung von dem latenten Stadium i n das akute hinüberwechselt. I I . Angriffsobjekt des Ereignisses = geschütztes Rechtsgut des jeweiligen VersZweiges I n der privaten U V als Personen Vers, muß das Ereignis auf den K ö r per des Versicherten w i r k e n (§2 Abs. 1 AUB), d.h. daß das Ereignis grundsätzlich einen Zusammenstoß des Körpers des Verletzten m i t einem anderen Menschen oder einem der Außenwelt angehörenden Gegenstand voraussetzt 21 . Die private HPflVers. als SchadenVers. 22 stellt es dagegen auf das Vermögen (einer Person) ab, gegen das Haftpflichtansprüche erhoben werden könnten; das Ereignis richtet sich hier m i t h i n gegen das Vermögen eines potentiell Haftpflichtigen 23 . Die gesetzliche U V vereinigt gewissermaßen die Angriffsobjekte des Ereignisses i n der privaten U V und HPflVers. i n sich, indem sie einerseits einen Körperschaden des Versicherten erfordert (vgl. § 548 Abs. 2 RVO, dessen Tatbestandsmerkmal „Körperschaden" i n § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO hineinzulesen ist) und andererseits unter weitgehender Befreiung des Unternehmers von seiner Haftpflicht (§ 636 Abs. 1 Satz 1 RVO) 2 4 die B G als öffentlich-rechtliche Solidargemeinschaft der Unternehmer (potentiell) dazu verpflichtet, nach E i n t r i t t des Ereignisses den Verletzten und seine Angehörigen etc. zu entschädigen (vgl. § 537 Nr. 2 RVO). Das Ereignis richtet sich hier also gleichzeitig gegen den Körper des Unfallbetroffenen und gegen das Vermögen eines Haftpflichtigen. Fragen der I n d i v i d u a l - u n d SozialVers.", Festgabe f ü r Roehrbein, S. 135 ff. (142). 21 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 8. 22 Der VersSchutz der HPflVers. geht seinem K e r n nach auf Befreiung von den vermögensrechtlichen Folgen der Inanspruchnahme, also auf Befreiung v o n Schulden u n d Ersatz bezahlter Schulden. Der Befreiungsanspruch ist eine A r t Schadensersatzanspruch (vgl. hierzu RGZ E. v. 28.1.1913 Bd. 81, S. 250 ff.). Daher ist die HPflVers. Schadensversicherung. 28 Sachlich macht es hierzu m. E. keinen Unterschied, w e n n m a n Angriffsobjekt des Ereignisses i n der HPflVers. eine „Person i n ihrer Eigenschaft als Subjekt i m Gebiet des Vermögensrechts" sein läßt, w i e J. v. Gierke, VersRecht unter Ausschluß der SozialVers., 1. Hälfte, 3. Kap., § 9, S. 102, es tat. Entscheidend ist das Vermögen der Person. 24 Gerade dieser Umstand, daß der Arbeitgeber gem. § 636 R V O grundsätzlich von der Haftpflicht freigestellt ist, u n d der Anspruch sich regelmäßig nicht gegen ihn, sondern u n m i t t e l b a r gegen die B G richtet, bedingt jedoch, daß die i n der gesetzlichen U V enthaltene UnternehmerVers. keine „eigentliche HPflVers." ist. So richtig Wannagat, „Die unfallversicherungsrechtliche Gefährdungshaftung i m allgemeinen Haftungssystem" i n N J W 1960, S. 1597 ff.

(1601 Ii. Sp.); ders. t LB, 1. Abschn., § 2, S. 14.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

191

Damit befindet sich i n dem Punkte des Angriffsobjekts des Ereignisses eine Entsprechung beider PrivatVersZweige i n der gesetzlichen UV. Da jedoch bereits vom Gesetzgeber des Jahres 1884 der Sicherstellung des Arbeitnehmers bei Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität durch Unfall der Vorrang vor der Freistellung des Arbeitgebers von seiner möglichen Haftpflicht aus eben diesem Unfall eingeräumt wurde 2 5 , ist auch die gesetzliche U V —entsprechend der privaten U V — als PersonenVers. 26 anzusehen. I I I . Zeitkomponente Durch das Merkmal „plötzlich" i n § 2 Abs. 1 A U B w i r d bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch deutlich, daß es sich u m einen relativ kurzen Zeitraum handelt. I n der privaten U V werden 2 V2 Stunden Dauer des Ereignisses nicht mehr für „plötzlich" gehalten 27 . Auch i n der HPflVers. stellt das Ereignis regelmäßig keinen Dauerzustand dar, sondern ist als erkennbar kurzfristige Änderung tatsächlicher Verhältnisse zu verstehen 28 . Die gesetzliche U V hingegen ist großzügiger. Als plötzliches, zeitlich begrenztes Ereignis w i r d hier ein Ereignis angesehen, das sich i n einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum abspielt, längstens jedoch i n einer A r beitsschicht2®. Somit ist ein einmaliges, kurzes, augenblickliches Geschehnis nicht erforderlich. Jedoch: „Wiederholte körperliche Schädigungen, die sich nicht i m Rahmen einer Arbeitsschicht sichtbar oder meßbar gesundheitsschädigend auswirken, gelten auch i n diesem Zusammenwirken nicht als Unfall i. S. der gesetzlichen U V . " 8 0

25 Vgl. statt vieler Teutsch, „Die Versicherung der Unternehmer u n d unternehmerähnlicher Personen gegen Arbeitsunfälle i n der SozialVers." i n „Rechtsfragen aus der P r i v a t - u n d SozialVers.", Festgabe f ü r Roehrbein, S. 135 ff. (136). 28 Möller, „Gemeinsame Grundbegriffe der Sozial- u n d PrivatVers.", a. a. O., S. 142/143, rechnet die gesamte SozialVers. m i t Ausnahme der ArbeitslosenVers. u n d dem Anspruch auf Kindergeld der Personen Vers. zu. 27 So Wussow, A U B - K o m m . , § 2, A n m . 7, m i t Hinweis auf Henke, Die Ausschlüsse u n d Grenzfälle i n der U V , S. 29, A n m . 114, entgegen K G E. v. 20.12.1907 V A 1909, A n h . 54 Nr. 385. 28 Vgl. Wussow, A H B - K o m m . , § 1 A n m . 27. Plötzlichkeit i. S. des U n f a l l begriffs ist allerdings nicht notwendig, w i e sich z. B. aus § 4 Abs. 1 Ziff. 5 A H B („allmähliche E i n w i r k u n g " ) ergibt. 29 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 3 m i t der dort zit. Rspr. 30 So BSG E. v. 14.3.1958 N J W 1958, S. 1206; BSG E. v. 14.9.1955 SozR RVO § 542 Nr. 6.

192

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

IV. Angriffsrichtung des Ereignisses Eine Entsprechung der privaten U V i n der gesetzlichen U V ist, daß das Ereignis „von außen" her 3 1 auf den Menschen einwirken muß. Hierdurch w i r d i n beiden Rechtsgebieten 32 bedingt, daß ein aus innerer Ursache, aus dem Organismus des Menschen selbst kommendes Ereignis nicht den Unfallbegriff erfüllt. Das Merkmal „von außen" ist nicht erfüllt, wenn die Gesundheitsbeschädigung auf einer „Eigenbewegung" beruht 3 3 : Ein Twisttänzer verrenkt sich die Glieder 3 4 ; ein Herzkranker kurbelt m i t der Hand einen Kraftwagen an und stirbt 3 5 ; ein Tischler trägt schwere Buchenbohlen und stirbt infolge einer Gehirnblutung 3 6 . Das Beispiel des Herzkranken berührt das schwierige Problem der Abgrenzung, ob ein von außen wirkendes Ereignis, ein Unfall, oder ein aus innerer Ursache kommendes Ereignis, eine Krankheit, vorliegt. Die Abgrenzungsschwierigkeit rührt vor allem daher, daß sowohl Unfall wie auch Krankheit, die an sich begrifflich keine Gegensätze bilden 3 7 , i n ihren Wirkungen gleich sein können. Denn ein äußeres Ereignis (Unfall) kann ebensolche körperlichen Veränderungen zur Folge haben wie ein aus inneren Bedingungen entstehendes Ereignis (Krankheit). A n dieser Stelle mag uns der Hinweis genügen, daß Juristen und Mediziner sowohl i n der privaten wie auch i n der gesetzlichen U V hier m i t einander entsprechenden Problemen zu kämpfen haben. V. Innerer Tatbestand des Geschädigten in bezug auf das Ereignis Während die private U V die Voraussetzung der „Unfreiwilligkeit" (unfreiwillig = nicht (bedingt) vorsätzlich 38 ) durch § 2 Abs. 1 A U B i n den Kreis der Voraussetzungen des entschädigungspflichtigen Unfalls auf31 Nicht etwa ein „äußeres" Ereignis, w i e es das O L G Celle i n seiner E. v. 2. 2.1934 JRPV 1934, S. 236, zugrunde legt. 32 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 8; Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 3. 33 Wussow, A U B - K o m m . , §2 A n m . 7; Lauterbach, U V - K o m m . , §548 RVO A n m . 3. 34 Vgl. zu diesem Beispiel Möller, „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen " i n V W 1964, S. 605 ff. (608). 35 Vgl. K G E. v. 29. 3.1941 JRPV 1941, S. 100; vgl. auch L G Nürnberg, E. v. 8. 5.1956 VersR 1957, S. 144. 36 Vgl. L G Krefeld E. v. 10. 2.1954 VersR 1954, S. 217—218. 37 So richtig Oswald, „Unterschiede zwischen sozialer u n d privater U V " i n SZS 1964, S. 169 ff. (176 unter A n m . 1). 38 So Prölss, V V G - K o m m . , § 182 A n m . 3 c.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

193

genommen hat, die der V N beweisen muß 3 9 , belassen es die (private) HPfiVers. (vgl. §§ 152 VVG, 4 Abs. 2 Ziff. 1 Satz 1 AHB) und die gesetzliche U V (§ 553 Satz 1 RVO) bei Ausschlußtatbeständen, die der Versicherer zu beweisen hat. Damit w i r k t sich ein „non liquet" i n der privaten U V gegen den K l ä ger, i n privater HPfLVers. und gesetzlicher U V jedoch für den Kläger aus. Die genannte Veränderung der Rechtslage i n der privaten U V zugunsten des Versicherers bringt Schwierigkeiten besonders i n den Fällen eines Selbstmordverdachtes, i n denen die anspruchstellenden Hinterbliebenen die Unfreiwilligkeit des Todes beweisen müssen. Wenn auch die privatversicherungsrechtliche Rechtsprechung 40 ein wenig dadurch hilft, daß sie bei typischen Geschehensabläufen 41 den Beweis des ersten Anscheins genügen läßt, so geht doch, wie gesagt, ein „non liquet" zu Lasten des Klägers 42 . Während die private U V es genügen läßt, daß bereits der allgemeine Vorsatz, eine Gesundheitsbeschädigung durch Unfall herbeizuführen, die Unfreiwilligkeit ausschließt 43 , erfordert die gesetzliche U V i n § 553 Satz 1 RVO die Absicht der Unfallverursachung, u m dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen den Anspruch zu versagen. Erst die dem Verletzten fernerstehenden Angehörigen und H i n terbliebenen sind hinsichtlich der Leistungsversagung i n der gesetzlichen U V den Privatversicherten gleichgestellt: Bei den ersteren reicht ebenfalls vorsätzliche Unfallverursachung für den Leistungsausschluß aus, § 553 Satz 2 RVO. Da das Merkmal „absichtlich" i n § 553 Satz 1 RVO qualifizierten Vorsatz erfordert 44 , fehlt es bei einfachem Vorsatz und erst recht bei Eventualdolus an der beabsichtigten Unfallverursachung, w e i l der Versicherte i m letzteren Falle den Unfall lediglich i n Kauf nimmt 4 5 . Wie Möller 4 6 39 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 9, m i t umfangreichem Rechtsprechungs-Nachweis. Vgl. hierzu w e i t e r h i n Prölss, V V G - K o m m . , § 181 A n m . 2. § 2 Abs. 1 A U B bildet damit einen Gegensatz zu § 181 Abs. 1 Satz 1 V V G a. F., der einen Ausschlußtatbestand darstellt: „Der Versicherer ist v o n der Verpflichtung zur Leistung frei, w e n n der von dem Unfälle Betroffene den U n f a l l v o r sätzlich herbeigeführt hat." 40 Vgl. die Rspr.-Zitate bei Prölss, V V G - K o m m . , § 181 A n m . 2. 41 Das sind Tatbestände, die nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweisen, vgl. RGZ E. v. 26.11.1930 Bd. 130, S. 359 u n d E. v. 28.11. 1932 i n Bd. 138, S. 201. 42 Vgl. hierzu Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 9, S. 58/59. 43 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 9 m i t Hinweis auf Henke, a. a. O., S. 33. Grobe Fahrlässigkeit läßt sowohl i n der Unfallherbeiführung i m Rahmen der privaten U V als auch i n der HPfiVers. den Anspruch bestehen. Vgl. Jannott, „Haftpflichtversicherung", a. a. O., S. 82 u n d Prölss, V V G - K o m m . , § 152 A n m . 1. 44 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 553 R V O A n m . 6. 45 Vgl. BSG E. v. 14. 7.1955 Bd. 1, S. 150 ff. (154/155). 48 „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen" i n V W 1964, S. 605 ff. (609).

13 v. Heinz

194

3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

zu Recht erwähnt, w i r k t sich dieser Unterschied der gesetzlichen U V gegenüber der privaten U V deutlich i n den Fällen wissenschaftlicher Selbstversuche aus. Während es hier i n der PrivatVers. aufgrund der Voraussetzung allgemeinen Vorsatzes an der Unfreiwilligkeit fehlt, w i r d i n der gesetzlichen U V für auf diesem Gebiete auftretende Gesundheitsschädigungen aufgekommen, wenn und weil sie nicht beabsichtigt, sondern allenfalls i n Kauf genommen werden 47 . VI. A r t der Schädigung Wenn auch Gegenstand der privaten U V nicht die Gesundheitsschädigung als solche, sondern die Arbeitsfähigkeit 4 8 bzw. der bei Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit entstehende Vermögensschaden ist, so ist doch stets Voraussetzung für das Unfallereignis i. S. der AUB, daß die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch eine Gesundheitsbeschädigung erfolgt 40 . Der Zweck der privaten U V ist damit durch die Deckung des speziellen Vermögensschadens i n Gestalt der Gesundheitsbeschädigung gekennzeichnet. Das hat zur Folge, daß Zahlungen i m Sinne eines bloßen Schmerzensgeldes nicht Gegenstand der privaten U V sind; auch Sachschäden i n Gestalt der Beschädigung künstlicher Glieder, Gebisse und Brillen etc. können als Nicht-Gesundheitsbeschädigung die Voraussetzungen des Unfalls i. S. der A U B nicht erfüllen 5 0 . Die HPflVers. kennt eine Vielzahl von Schadenmöglichkeiten, für die der V N verantwortlich gemacht werden kann, nämlich Personen-, Sachund Vermögensschäden (§ 1 Ziff. 1,1. und 2. Alternat., Ziff. 3 Satz 1 AHB). Da die gesetzliche U V grundsätzlich nur Körperschäden entschädigt 51 , findet das private UV-Recht m i t der Deckung von Gesundheitsbeschädigungen, die sich ebenfalls begriffsnotwendig als Körperschäden niederschlagen, i n der ersteren eine Entsprechung 52 . Der Grundsatz der Ent47 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , §548 R V O A n m . 34 m i t umfangreichen Lit.-Hinweisen. 48 Vgl. Jannott, „Unfallversicherung" i n „Kernfragen der VersRechtsprechung", S. 1: „Die U V ist ausgerichtet auf das höchste Gut des schaffenden Menschen: die unversehrte Arbeitskraft." 49 Vgl. hierzu Wussow, A U B - K o m m . , § 2, A n m . 4. 50 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 4, S. 49. 51 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 89. 52 Der Begriff des Körperschadens i. S. der gesetzlichen U V darf nicht enger ausgelegt werden als der privatrechtliche Begriff der Gesundheitsbeschädigung: vgl. Möller, „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen — " i n V W 1964, S. 605 ff. (609 Ii. Sp.).

2. Kap.: Der Versicherungsfall

195

Schädigung von Körperschäden w i r d — wiederum großzügig — von der gesetzlichen U V allein darin durchbrochen, daß i n § 548 Abs. 2 RVO die Beschädigung eines Körperersatzstücks (z. B. Prothese, Gebiß, künstliches Auge 5 3 ) oder eines größeren orthopädischen Hilfsmittels (z.B. orthopädische Schuhe, Stützmieder 54 ) dem Körperschaden mittels einer F i k tion gleichgestellt w i r d und als solcher ersetzt werden kann. Damit weist die gesetzliche U V hier eine Abwandlung gegenüber der privaten U V auf. Soweit der Unternehmer aufgrund eines Unfalls seines Arbeitnehmers, den ersterer m i t einem Schuldmaßstab bis zur groben Fahrlässigkeit verursacht haben könnte, von letzterem zum Ersatz des Personenschadens i n Anspruch genommen werden würde, findet § 1 Ziff. 1, 1. A l t . A H B i n § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO eine Entsprechung: I m Privatrecht hätte der Versicherer gemäß § 1 Ziff. 1, 1. A l t . A H B dem V N ( = Unternehmer) VersSchutz für den F a l l zu gewähren, daß er ( = Unternehmer) wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Ereignisses, das den Tod, die Verletzung oder Gesundheitsbeschädigung eines Arbeitnehmers (Personenschaden) zur Folge hatte, für diese Folgen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten ( = Arbeitnehmer oder dessen Hinterbliebene etc.) auf Schadenersatz i n Anspruch genommen wird. I m Recht der gesetzlichen U V wäre der VersTräger verpflichtet, den i m Unternehmen des an i h n — den VersTräger — Beiträge leistenden Unternehmers tätigen Versicherten etc. nach anderen gesetzlichen Vorschriften den Personenschaden zu ersetzen, den ein Arbeitsunfall verursacht hat (vgl. §§ 636 Abs. 1 Satz 1, 537 Nr. 2 RVO). Damit zeigt sich gelegentlich der Vergleichung der Schädigungsart, daß private HPflVers. und gesetzliche U V hier von ein und demselben Gedanken ausgehen: Der V N ( = Unternehmer) soll durch die Versicherung von seiner Haftung aufgrund eines Personenschadens befreit werden. Da es sich bei dem Personenschaden i n diesem Zusammenhang u m die Gesundheitsschädigung des Versicherten (Arbeitnehmers) handelt, dessen Sicherstellung durch die private U V erreicht werden soll (vgl. § 179 Abs. 1, 2. A l t . V V G i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 W G , §§ 1, 2 Abs. 1 AUB), entspricht auch die private U V i n ihrem Ziel, Sicherstellung des Unfallverletzten bei Gesundheitsbeschädigung, der gesetzlichen UV. 53

Vgl. hierzu Geigei , Der Haftpflichtprozeß m i t Einschluß des materiellen Haftpflichtrechts, 13. Aufl. 1967, 27. Kap., Rdnr. 26, S. 852. 54 Vgl. Geigei , w i e hier A n m . 53. 13*

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Zu erwähnen ist weiterhin, daß beide PrivatVersBereiche 55 darin i n der gesetzlichen U V 5 6 eine Entsprechung finden, daß auch seelische Schäden — etwa als Schockwirkung oder als sonstige psychische Folgen eines Unfalls 5 7 — eine Ersatzleistung auslösen, da sie i n allen drei Gebieten zu den Personenschäden zählen. V I I . Kausalzusammenhang 1. Gewichtige Unterschiede zwischen PrivatVersRecht und gesetzlicher UV Gewichtige Unterschiede zwischen privatem Unfall- und HPflVersRecht einerseits und der gesetzlichen U V andererseits bestehen bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs, der zwischen dem Ereignis und dem Haftpflichtanspruch aufgrund eines Personenschadens bzw. der Gesundheitsbeschädigung bestehen muß (vgl. die Formulierungen: „durch" i n §2 Abs. 1 A U B ; „ . . . d a s Schadenereignis, das . . . z u r Folge haben könnte" i n § 5 Ziff. 1 A H B ; „Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der i n §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet" i n § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO). Hinsichtlich der gesetzlichen U V spricht man hier von der haftungsausfüllenden Kausalität 5 8 .

a) Stärkere Ansprüche der gesetzlichen U V an die Qualifikation des Unfalls Zwar findet das private Unfall- und HPflVersRecht insofern i n der gesetzlichen U V eine Entsprechung, als i n allen drei Rechtsgebieten 59 der entstandene Schaden ursächlich durch das Ereignis bedingt sein muß. Jedoch stellt die gesetzliche U V stärkere Ansprüche an die Qualifikation des Unfalls als es i n der privaten U V der Fall ist. Während näm-

55 F ü r die private U V vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 4, S. 49; für die private HPflVers. vgl. Wussow, A H B - K o m m . , § 1 A n m . 32, S. 57; auch Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht, Rdnr. 128 ff. 56 Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 RVO A n m . 2 m i t Hinweis auf Schönberger, „Grundsätzliches zur Relation: psychisches Trauma u n d Arbeitsunfall" i n D V Z 1966, S. 33 ff., wo wiederum umfassend weiteres Schrifttum u n d weitere Rspr. nachgewiesen werden. 57 Nicht hierher gehören Erkrankungen infolge psychischer E i n w i r k u n g , die gem. § 2 Abs. 3 b) A U B nicht unter den VersSchutz fallen. 58 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 5. 59 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 3; Wussow, A H B - K o m m . , § 1 A n m . 31; Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 5.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

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lieh die private U V regelmäßig sämtliche Unfälle umfaßt 6 0 , ist der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Arbeitsunfalls 6 1 dadurch gekennzeichnet, daß ein Versicherter „bei" den i n § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO genannten Tätigkeiten einen Unfall erleidet. Das Merkmal „bei" i n dieser Vorschrift deutet nicht etwa auf einen rein zeitlichen Zusammenhang hin; vielmehr macht es erforderlich, daß auch zwischen den Tätigkeiten, i m besonderen der Tätigkeit „auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehr Verhältnisses" (vgl. § 539 Abs. 1 Ziff. 1 RVO), und dem Unfall ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß. Man spricht bei dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Arbeit und Unfall von der haftungsbegründenden Kausalität 6 2 . Nur wenn zwischen dem Unfall und der Tätigkeit ein innerer, ursächlicher Zusammenhang besteht, d. h. der Verletzte der Gefahr, der er erlegen ist, durch seine Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, liegt ein „Arbeitsunfall" i m sozialversicherungsrechtlichen Sinne vor 6 3 . Der Begriff „Arbeitsunfall" und mit i h m das Erfordernis der haftungsbegründenden Kausalität wurde durch Gesetz ausgedehnt. Zu nennen sind § 548 Abs. 1 Satz 2 RVO, der — durch das U V N G neu i n das 3. Buch der RVO aufgenommen — das Abheben von Geld als Ersatzfunktion für den Lohnempfang schützt 64 , § 549 RVO (Arbeitsgerät), § 550 RVO 60 Das Angebot v o n GruppenunfallVersVerträgen seitens der privaten U V unter Beschränkung auf Berufsunfälle m i t oder ohne Einschluß der Wegeunfälle (vgl. dazu oben S. 160, unter I I I 1 b, aa, aaa) stellt die Ausnahme dar. 61 Siehe hierzu auch Gitter, a. a. O., S. 143, der den Kausalzusammenhang als „bedeutsamstes Element" des VersFalls ansieht; vgl. auch BereiterHahn—Schiecke, Unfallversicherung, § 548 RVO, Rdnr. 2 (B 093). 62 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 5, 8, 24; vgl. auch Watermann, „Kausalität u n d Finalität i m Recht der gesetzlichen U V " i n „ G r u n d satzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 129 ff. (137 ff.). 68 Vgl. dazu Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 8. Wesentlich ist, daß die Tätigkeit, die den U n f a l l verursacht hat, dem Interesse des U n t e r nehmers gedient hat oder w e n n sie, wie Geigei (a. a. O., 27. Kap., Rdnr. 29, S. 852) formuliert, einen „betrieblichen Zweck" hatte; sie muß dem U n t e r nehmen förderlich gewesen oder zumindest darauf gerichtet gewesen sein, dem mutmaßlichen W i l l e n des Unternehmers zu entsprechen. Daß es hierbei allein entscheidend auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, nicht etwa auf die Handlungsweise des Schädigers ankommt, f ü h r t zutreffend das L A G B e r l i n i n seiner E. v. 9. 5.1963 i n B B 1963, S. 1339 f. (1340), aus. Das entspreche allein, w i e dieses Gericht ausführt, dem Sinn der gesetzlichen UV-Bestimmungen, die dem Arbeitnehmer i m Rahmen der von i h m ausgeübten verspflichtigen Tätigkeit i m m e r einen versrechtlichen Anspruch gewähren wollen. Watermann, a. a. O., S. 149/150, hat zu Recht betont, daß zur Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit einem „betrieblichen Zweck" (vgl. Geigei, wie oben) oder einem „betrieblichen Interesse" diente (so schon i m m e r die Rspr.), die finale Handlungstendenz des Versicherten i n bezug auf dessen objektiven Rechts- u n d Pflichtenkreis den Ansatzpunkt f ü r die Bewertung geben muß. 04 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 RVO, A n m . 85, 86.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

(Arbeitsweg), § 552 RVO (Binnenschiffahrt) und § 555 RVO (neu durch das U V N G eingeführter Schutz auf dem Weg zur Heilbehandlung und Untersuchung, Durchführung derselben). Die größte Wichtigkeit von diesen Vorschriften hat § 550 RVO gewonnen, der die Wegeunfälle i n die gesetzliche U V miteinbezieht 65 . Für die private Kraftverkehrs-UV (vgl. §§ 16—21 A K B ) bleibt jedoch da Raum, wo der motorisierte Arbeitnehmer vom Weg nach und von dem Ort seiner Arbeit abweicht. Denn nur Unfälle auf einem Weg nach und von dem Ort der Arbeit werden durch die gesetzliche U V gedeckt (§ 550 Satz 1 RVO). b) Die Adäquanztheorie i m PrivatVersRecht I n der privaten U V und HPflVers. ist hinsichtlich der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Ereignis und der Gesundheitsbeschädigung bzw. dem Vermögensschaden 66 die Lehre von der adäquaten Verursachung anzuwenden 67 . Nicht gilt etwa die das Strafrecht beherrschende Bedingungs- oder Äquivalenztheorie, nach der Ursache jede Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der konkrete Erfolg entfiele 68 . Denn die große Masse der zivilrechtlichen, m i t h i n auch der privatversicherungsrechtlichen Schadenshaftungen würde m i t der den Kreis der Ursachen zu weit ziehenden Äquivalenztheorie 60 nicht befriedigend begründet werden können. Vielmehr gilt i m PrivatVersRecht, wie bereits erwähnt, die Adäquanztheorie, wonach Ursache i m Rechtssinne nur die Bedingung ist, die m i t dem eingetretenen Erfolg i n adäquatem Zusammenhang steht 70 oder

65 Vgl. die vorzügliche Zusammenstellung u n d Analyse der fast unübersehbar gewordenen Rechtsprechung zu §550 RVO v o n Gunkel-Jegust, Der Arbeitsunfall, S. 118 ff. unter I I I . * 86 z.B. i n F o r m eines Haftpflichtanspruchs zu Lasten des VNs. aufgrund eines Personenschadens. 87 Vgl. Prölss, W G - K o m m . , § 49 A n m . 4: das heißt, daß das Schadenereignis nicht die nächste Ursache (causa proxima) oder gar die alleinige Ursache f ü r die Gesundheitsbeschädigung / den Vermögensschaden zu sein braucht. Siehe hierzu des weiteren Gitter, a. a. O., S. 103: „ A l s T e i l des Privatrechts orientiert sich auch das PrivatVersRecht an der Adäquanztheorie." 88 Vgl. statt vieler Fundstellen RGSt E. v. 30. 9.1941 Bd. 75, S. 372 ff. (374). 89 Vgl. hierzu Fikentscher, Schuldrecht, § 51 I I I , S. 293 ff. 70 Vgl. z. B. RGZ E. v. 26. 4.1937 Bd. 155, S. 37 ff. (41). Fikentscher, a. a. O., § 51 I I I , S. 294, bezeichnet den auf das i n natürlichem Sinne Übliche u n d W a h r scheinliche bezogenen Adäquanzbegriff als der „bisherigen herrschenden Lehre" angehörig u n d verwendet selbst den Begriff „Adäquanz" i m Sinne von „der durchschnittlichen zivilistischen Schadensersatznorm angemessen".

2. Kap.: Der Versicherungsfall

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— anders ausgedrückt 71 — die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet ist, unter Berücksichtigung der gegebenen oder zukünftigen Umstände nach Betrachtung eines objektiven Beurteilers den betreifenden Erfolg herbeizuführen 72 . c) Die zeitliche Komponente Dabei kommt es i n der privaten U V auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ereignis und Gesundheitsbeschädigung insofern an, als die Kausalreihe zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsbeschädigung unmittelbar i m Zeitpunkt des Unfallereignisses beginnen muß 7 3 . Die Gesundheitsbeschädigung braucht demnach noch nicht i m Zeitpunkt des Unfalls erkennbar i n Erscheinung zu treten 7 4 . M i t h i n bejahte der Bundesgerichtshof 5 zu Recht einen "unmittelbaren zeitlichen Kausalzusammenhang", als ein Bergsteiger, der aufgrund vereister Seile seine Bewegungsfreiheit verloren hatte, erst nach Tagen erfror. Entsprechendes trifft für die gesetzliche U V zu, wo es unerheblich ist, ob die auf den Unfall zurückführende Schädigung des Körpers sofort nach dem Unfall zutage getreten ist oder sich erst allmählich entwikkelt 7 6 .

71 Vgl. Palandt-Danckelmann, Vorbem. 5 c v o r § 249 u n d die dort angeführten Entscheidungen. 72 Lange, „Herrschaft u n d V e r f a l l der Lehre v o m adäquaten Kausalzusammenhang" i n A c P Bd. 156 (1957), S. 114 ff. (115 f.), sprach bereits v o m Verfall der Lehre der adäquaten Verursachung. Anlaß dafür w a r die E n t scheidung des B G H v o m 23.10.1951 Bd. 3, S. 261 ff., i n der festgestellt w i r d , daß es sich bei der Prüfung der Adäquanz nicht eigentlich u m die Frage der Kausalität handelt, sondern u m die E r m i t t l u n g der Grenzen, bis zu denen dem Verursacher eine H a f t u n g f ü r die Folgen billigerweise zugemutet werden kann. D a m i t w u r d e klargestellt, daß die Adäquanztheorie, die bisher als feste Formel verwendet wurde, n u r eine Richtlinie gibt, die über- u n d unterschritten werden kann. I m m e r h i n bildet sie die einzig verbindliche Richtlinie f ü r das PrivatVersRedit. 73 a. M. Möller, „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen — " i n V W 1964, S. 605 ff. (609 Ii. Sp.), der dort m i t seiner Ausführung, es komme bei der Lehre von der adäquaten Verursachung nicht auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ereignis u n d Gesundheitsbeschädigung an, übersieht, daß lediglich die Kausalreihe zwischen dem Unfallereignis u n d der Gesundheitsbeschädigung u n m i t t e l b a r i m Z e i t p u n k t des Unfallereignisses beginnen muß (so richtig Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 4, S. 50 oben). 74 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , §2 A n m . 4, S. 50; auch § 2 A n m . 7: „Das Schadensereignis selbst muß plötzlich eintreten, nicht etwa die W i r k u n g . Die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder der Tod w i r d u. U. erst aufgrund einer allmählichen E n t w i c k l u n g eintreten." 75 E. v. 15. 2.1962 VersR 1962, S. 341 f. (342 unten). 76 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 14.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Ist die Frage, ob die Möglichkeit des Eintritts einer solchen Gesundheitsbeschädigung durch das Ereignis erhöht worden ist, i n der PrivatVers. zu bejahen, so liegt bereits Kausalzusammenhang vor. I n der privaten U V und HPflVers. kann der Schaden mehrere, sogar mehrere adäquate Ursachen haben, die mehr oder weniger wesentlich sein können. Eine Wertung findet nicht statt 7 7 . d) Abwandlung dieser rechtlichen Gegebenheiten i n der gesetzlichen U V I n Abwandlung dieser rechtlichen Gegebenheiten stellt die gesetzliche U V insofern schärfere Anforderungen an den ursächlichen Zusammenhang (innerhalb der haftungsausfüllenden Kausalität), als eine einfache Ursache nicht ausreicht 78 : vielmehr w i r d eine wesentliche M i t w i r k u n g gefordert 79 . Ursächlich i m sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist also nicht jede Bedingung, die mit dem eingetretenen Erfolg (Gesundheitsbeschädigung) i n adäquatem Zusammenhang steht, sondern nur diejenige Bedingung, die i m Verhältnis zu anderen, einzelnen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat 8 0 . Diese von der Judikatur des R V A geprägten Grundsätze sind bis heute von der Rechtsprechung ständig angewendet worden. So führt das BSG 8 1 aus: „Die Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang hat auch die Rechtsprechung des RVA und ReichsVersGerichts beeinflußt. Danach sind nur solche Ursachen als adäquat und damit 77 So Möller, „Soziale u n d private U V , Vergleich u n d Wechselbeziehungen" i n V W 1964, S. 605 ff. (609). 78 Vgl. Reiff, „Begriff der Kausalität i n der U V " i n N J W 1961, S. 630 ff. (633): „ F ü r die P r i v a t Vers, genügt die Bedingungstheorie völlig. D a m i t aber k a n n u n d darf die gesetzliche U V sich nicht begnügen." 79 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , §548 RVO A n m . 8; Morell, „Der Kausalbegriff i n der U V " i n SZS 1965, S. 16 ff. (19), stellt zu Recht fest, daß bei Z u grundelegung der Theorie v o n der wesentlichen Bedingung bei Ursachenkonkurrenz ein Versicherungsanspruch n u r dort besteht, w o eine risikogedeckte Ursache k r a f t der i h r innewohnenden D y n a m i k gegenüber anderen M i t ursachen wesentlich zum eingetretenen Erfolg beigetragen hat. 80 Vgl. R V A E. v. 15.10.1912 A N 1912, S. 930; E. v. 15.12.1926 A N 1926, S. 480; E. v. 27. 2.1936 E u M Bd. 39, S. 265 ff.; vgl. i m übrigen die ausgezeichneten Ausführungen von Watermann, „Kausalität u n d Finalität i m Recht der gesetzlichen U V " i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 129 ff. (134 ff.). Siehe des weiteren Gitter, a.a.O., S. 10 ff., der deutlich die Abweichungen der „Theorie der wesentlichen Bedingung" i n der gesetzl. U V v o n der zivilrechtlichen Adäquanztheorie i m rechtstheoretischen Ansatzpunkt u n d i n den praktischen Ergebnissen aufzeigt. 81 E. v. 14. 7.1955 Bd. 1, S. 157; vgl. auch BSG E. v. 31.1.1958 (Kartei L a u terbach Nr. 2782 zu § 542 — alt —) u n d E. v. 1.12.1960 Bd. 10, S. 175.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

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rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben, während die sonstigen Glieder der Kausalreihe nicht als Ursachen i m Rechtssinne i n Betracht kommen und daher auszuscheiden sind. A n dem Begriff der wesentlichen Ursache haben das R V A und das ReichsVersGericht i n ständiger Rechtsprechung festgehalten... Es bestehen keine Bedenken, an diesem Ursachenbegriff festzuhalten." Demnach sind nur wesentliche Teilursachen relevant. Der Begriff der „wesentlichen Ursache" stellt einen Wertbegriff dar 82 , da sich die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg „wesentlich" ist, nach dem Wert beurteilt, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt. Diese Wertung hat regelmäßig der medizinische Experte vorzunehmen. e) Weitere Entsprechungen und Abwandlungen Als Entsprechung des PrivatVersRechts i n der gesetzlichen U V zeigt sich somit, daß die Frage der Risikobegrenzung über den Weg des Kausalbegriffs zu erfolgen hat. Als Abwandlung ist hingegen festzuhalten, daß der Ursachenbegriff der gesetzlichen U V ungünstiger 83 für die Versicherten ist als i n der privaten U V und HPflVers. Denn die gesetzliche U V verlangt innerhalb des „ i n doppelter Hinsicht" 8 4 beim Arbeitsunfall erforderlichen Kausalzusammenhangs, nämlich i n der haftungsausfüllenden Kausalität, die erhebliche, wesentliche M i t w i r k u n g einer Teilursache; die zwei PrivatVersGebiete begnügen sich hingegen damit, daß das Unfall- bzw. Schadensereignis irgendeine adäquate Ursache der Gesundheitsbeschädigung bzw. des Vermögensschadens ist. Die sozialversicherungsrechtliche Praxis benötigt die verschärfte Formel von der wesentlichen Verursachung insbesondere zur Begrenzung des Risikos, da noch der „Grundsatz der ungeteilten Haftung" oder das „Alles-oder-Nichts-Prinzip" gilt, wenn unfallfremde Faktoren wie Krankheiten oder Selbstverschulden mit i m Spiele sind. Das PrivatVersRecht hingegen gestattet es, bei einem Zusammenwirken eines Unfallereignisses mit unfallfremden Faktoren eine Leistungsminderung vorzunehmen 85 . 82 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 RVO A n m . 8 m i t den dort angegebenen Rspr.-Zitaten; Morell, a.a.O., S. 20: „Der letzte I n h a l t jeder Kausaltheorie i m Rechtssinne ist die generelle Umschreibung eines Werturteils." 83 Gitter, a. a. O., S. 120 ff., verzeichnet zu Recht eine verstärkte I n d i v i dualisierungs-, K o r r e k t i v - u. Anpassungsfunktion, die freilich auch dem Schutzgedanken zugunsten der Versicherten Rechnung trägt. 84 So die Formulierung v o n Geigei , a. a .O., 27. Kap., Rdnr. 27, S. 852. 85 M i t dem Zusammenwirken des Unfallereignisses m i t unfallfremden

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

2. Überholende Kausalität a) Entsprechungen und Abwandlungen Eine entsprechende Beurteilung gewisser Probleme der sogenannten überholenden Kausalität 8 6 erfahren die private wie auch die gesetzliche UV. Hypothetische Ursachenreihen, die auch ohne den Unfall den gleichen Erfolg herbeigeführt haben würden, sind i n der privaten U V grundsätzlich unbeachtlich, soweit der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder des Todes auch ohne den Unfall zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sein würde 8 7 . Hier müßte also der private Unfallversicherer leisten. Nur i n dem Fall, daß die andere unfallunabhängige Kausalkette bereits vor dem Unfall eingesetzt hatte und i m gleichen Zeitpunkt wie der Unfall selbst den Schaden herbeigeführt haben würde, stellt sich diese ältere Ursachenreihe als konkrete Verursachung und der Unfall als hypothetische Ursache dar. Hier hätte der private Unfallversicherer nicht zu leisten, da es stets nur darauf ankommt, welche Ursache konkret den Schaden herbeigeführt hat. W i r d also beispielsweise später festgestellt, daß durch eine nach dem Unfall hinzutretende Erkrankung der Verletzte ohnehin arbeitsunfähig geworden sein würde, so steht dieser Umstand der Leistung des privaten Unfallversicherers nicht entgegen. Denn konkrete Ursache für den Schaden ist allein der Unfall. W i r d i n der gesetzlichen U V der infolge Arbeitsunfalls arbeitsunfähige Verletzte nach dem Zeitpunkt des Unfalls von einer unfallunabhängigen Erkrankung betroffen, die ebenfalls zu dessen Arbeitsunfähigkeit geführt hätte, so ist auch hier die Leistungspflicht des UV-Trägers während der Zeit begründet, i n der der Verletzte wegen der unfallunabhängigen Erkrankung arbeitsunfähig ist. Denn — wie das BSG 8 8 ausführt — durch die unfallunabhängige Erkrankung w i r d nicht etwa eine weitere Arbeitsunfähigkeit begründet, die neben der bereits bestehenden durch den Unfall verursachten Arbeitsunfähigkeit selbständige rechtliche Folgen äußern kann. Faktoren w o l l e n w i r uns des weiteren bei Beleuchtung des Leistungsverhältnisses beschäftigen. Vgl. dazu unten S. 438 f. 88 Sie bedeutet, daß ein durch ein bestimmtes Ereignis (Krankheit) verursachter Schaden (Tod) durch ein späteres Ereignis (Unfall) ebenfalls (früher) verursacht w i r d : vgl. statt vieler Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 8. Der Erfolg (Tod) des Kausalablaufs, der durch das „bestimmte" Ereignis i n Gang gesetzt wurde, w i r d also „überholt" v o m Erfolg des „späteren" Ereignisses; zur überholenden Kausalität siehe i m übrigen ausführlich Watermann, Die Ordnungsfunktionen v o n Kausalität u n d Finalität i m Recht unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der gesetzlichen U V , Diss., S. 86 u n d 109; weitere Beispiele s. bei Brackmann, Hdb. d. SozVers., Bd. I I , 480 f, I I . 87 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 3. 88 E. v. 29. 6.1962 Bd. 17, S. 157 ff. (158).

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2. Kap.: Der Versicherungsfall

b) Schlußfolgerung Hieraus w i r d deutlich, daß auch i n der gesetzlichen U V allein auf die konkrete Ursache für den Schaden abzustellen ist, und sich eine hypothetische Ursache als unbeachtlich darstellt, soweit der E i n t r i t t der A r beitsunfähigkeit auch ohne den Unfall zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sein würde. I n beiden Rechtskomplexen ist der Verletzte so gestellt, als ob das unfallfremde Leiden nicht eingetreten wäre. 3. Lösung des Kausalzusammenhangs dargelegt am Beispiel der Trunkenheit

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Es fragt sich, wie die private U V und HPflVers. sowie die gesetzliche U V das i n der VersPraxis häufig auftauchende Problem lösen, daß Gesundheitsbeschädigungen und Vermögensschäden durch Unfälle ausgelöst werden, die ihrerseits auf Trunkenheit beruhen. a) Private U V I n der privaten U V finden w i r die Gefahrumstandsausschlußklausel 90 oder Risikoausschlußklausel 91 des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB. Hiernach sind von der Versicherung ausgeschlossen „Unfälle infolge v o n . . . Bewußtseinsstörungen, auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind". Trunkenheit gilt grundsätzlich als Bewußtseinsstörung 92 . Dabei geht der BGH 9 3 davon aus, daß für den ursächlichen Zusammenhang zwischen 89 Es soll nicht verkannt werden, daß der Kausalzusammenhang zwischen Bedingung u n d Erfolg als ein i n der Vergangenheit bereits abgeschlossener Vorgang naturwissenschaftlich-begrifflich nicht gelöst oder unterbrochen werden kann. Denn, so meint Wannagat (LB, 13. Abschn., § 4, S. 333) zu Recht: „Entweder er (der Kausalzusammenhang) besteht oder er besteht nicht." Unter Berufung auf Larenz, „Tatzurechnung u n d ,Unterbrechung des K a u salzusammenhangs'" i n N J W 1955, S. 1009 ff. (1011), f ü h r t Wannagat, a. a. O., aus, daß das, was früher u n t e r Unterbrechung des Kausalzusammenhangs verstanden wurde, sich i n W i r k l i c h k e i t als ein Ausschluß der Zurechnung der Tatfolgen darstelle. Dieser richte sich nach Zweck u n d Z i e l des jeweiligen Gesetzes. Letztlich handelt es sich hier jedoch m. E. lediglich u m einen Streit u m Worte. Denn selbstverständlich meint der terminus „Lösung" oder „ U n t e r brechung" des Kausalzusammenhangs lediglich, daß „die Rechtsordnung bei Vorliegen bestimmter Umstände den ursächlichen Zusammenhang nicht anerkennt; sie w i l l das Risiko der U V durch Einbeziehung betriebsfremder Sachlagen nicht vergrößern" (so Wannagat, a. a. O., S. 334). Der Begriff „Lösung des Kausalzusammenhangs" soll hier also i. S. eines wertenden Ausschlusses der Tatfolgenzurechnung gebraucht werden. 90 So die Bezeichnung von Millert, „Die Ausschlüsse i n § 3 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB)" i n VersR 1964, S. 118 ff. (118). 91 So die Bezeichnung von Wussow, A U B - K o m m . , § 3 A n m . 1. 92 So B G H Z E. v. 24.10.1955 VersR 1955, S. 732. 93 E. v. 24.10.1955 VersR 1955, S. 732; E. v. 8. 7.1957 VersR 1957, S. 509—510;

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Trunkenheit und Unfall i n der Regel ein Beweis des ersten Anscheins spricht, wenn ein Blutalkoholgehalt von 1,5 %o oder mehr vorliegt. Liegt dieser begrifflich notwendige 94 ursächliche Zusammenhang zwischen Trunkenheit und Unfall vor, so ist kein adäquater Kausalzusammenhang mehr zwischen Ereignis und Gesundheitsbeschädigung gegeben. Die PrivatVers. sieht den Kausalzusammenhang Ereignis/Gesundheitsbeschädigung als derart gestört an, daß sie zu dem rechtstechnischen Mittel des echten Ausschlusses gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 A U B greift. b) (Private) HPflVers. I n der HPflVers. ist Trunkenheit als „Gefahrerhöhung" i. S. von § 23 Abs. 1 W G anzusehen 95 , die über die Vorschrift des § 25 Abs. 1 V V G den Versicherer von seiner Leistungspflicht frei sein läßt, wenn der VersFall unter Alkoholeinwirkung eintritt. Die §§ 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 W G gelten, da sie i n dem m i t „Vorschriften für sämtliche VersZweige" überschriebenen Ersten Abschnitt des V V G stehen, auch für die Allgemeine HPflVers. 96 ; insbesondere steht ihrer Anwendung § 152 VVG, der i m Falle vorsätzlicher widerrechtlicher Herbeiführung einer haftbar machenden Tatsache durch den V N die Haftung des Versicherers ausschließt, nicht entgegen, da die Bestimmungen über Gefahrerhöhung neben § 152 V V G Anwendung finden 97 . c) Gesetzliche U V Die gesetzliche U V erreicht ein entsprechendes Ergebnis auf abgewandeltem Wege. Und zwar läßt sie es i m Falle der Trunkenheit an der haftungsbegründenden Kausalität fehlen, also am ursächlichen Zusammenhang zwischen versicherungspflichtig machender Tätigkeit und Unfall 9 8 . Die richtungweisende Entscheidung des BSG 9 9 nimmt das Fehlen des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem vgl. hierzu auch Haidinger, „Grundfragen des VersRechts i n der Rechtsprechung des B G H " i n „Rechtsfragen der IndividualVers.", Festgabe f ü r Prölss, S. 120 ff. (140,141). 94 Vgl. Wussow, A U B - K o m m . , § 3 A n m . 12, S. 96. 95 a. M. B G H Z E. v. 18.10.1952 Bd. 7, S. 311 ff., f ü r eine einmalige Fahrt eines Kraftfahrers i m Zustand der Trunkenheit. 98 Vgl. hierzu K G E. v. 15. 2.1951 VersR 1952, S. 21. 97 Vgl. RGZ E. v. 3.1.1936 Bd. 150, S. 48 ff. (49); str.: vgl. hierzu Prölss, V V G - K o m m . , § 23 A n m . 3. 98 Vgl. hierzu Lauterbach, U V - K o m m . , §548 RVO A n m . 69—80, S. 236 bis 243; umfangreiche Literaturangaben zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Alkoholeinfluß u n d U n f a l l siehe bei Lauterbach, a. a. O., A n m . 80. 99 E. v. 30. 6.1960 Bd. 12, S. 245—246.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

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Unfallereignis an, „wenn die Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholbeeinflussung, die mit dem Unternehmen bzw. der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängt, für den E i n t r i t t des Unfalls die einzige rechtlich erhebliche Ursache... gewesen ist. Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart i n den Hintergrund drängt, daß diese als rechtlich nicht wesentliche Mitursachen für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben müssen." Es komme darauf an, ob „ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre." I m Zweifel soll die Lebenserfahrung für die Kausalität der Alkoholbeeinflussung sprechen 100 . Die vom BSG i n seiner Entscheidung vom 30. 6. i960 1 0 1 entwickelten Grundsätze gelten nicht nur für Kraftfahrer und sonstige Verkehrsteilnehmer, sondern für alle Versicherten 102 . Eine Loslösung vom Betriebe durch Trunkenheit erfolgt i n der gesetzlichen U V jedoch dann nicht, „solange der Alkoholgenuß nicht zur A r beitsunfähigkeit, sondern nur zu einem Leistungsabfall geführt hat und der Versicherte noch fähig ist, bei den i h m obliegenden Verrichtungen eine ernstliche Arbeit zu leisten.. ," 1 0 3 Dann bleibt trotz Trunkenheit des Versicherten der VersTräger leistungspflichtig 104 . 4. „Gedehnter" Versicherungsfall a) Private U V I n dem Fall, daß ein eingeschlossener Bergmann, der i n seiner körperlichen Integrität durch den Unfall nicht unmittelbar verletzt w i r d und erst infolge späteren Erstickens oder Verhungerns den Tod erleidet, kann man i n der privaten U V von einem „gedehnten VersFall" sprechen 105 . Der Unfallhergang erstreckt sich hier nämlich vom Einschließen des Bergmannes (z. B. aufgrund einer Bergkatastrophe) bis zum Eintritt der gesundheitlichen Schäden, die wiederum zur Beeinträchtigung der A r beitsfähigkeit oder zum Tod führen können. Wenn die Beeinträchtigung 100

Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 R V O A n m . 72. Vgl. S. 204 dieser Arbeit, A n m . 99. 102 So wurde Loslösung v o m Betriebe aufgrund dieser Rechtsprechung sogar i n einem B a r m u s i k e r - F a l l (BSG E. v. 22. 4.1959 SozR RVO § 542 Nr. 19) u n d i n einem Deputatbier-Fall (BSG E. v. 21. 9.1960 Breith. Bd. 50, S. 217—220) angenommen. 103 So BSG E. v. 16. 8.1960 SozR R V O § 542 Nr. 29. 104 Vgl. hierzu Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 A n m . 70. los V g l . Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 4, S. 51. 101

206

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

der Arbeitsfähigkeit oder der Tod als Folge des VersFalls zeitlich nicht mehr Bestandteile des VersFalls sind, sondern später eintreten, reicht es jedoch für die Deckungspflicht des Versicherers aus, wenn der Beginn des Unfalls i n die Dauer des materiellen VersSchutzes fällt 1 0 8 . Allerdings setzt die private U V für die Zuwendung bestimmter Leistungen Grenzen. Für die Todesfallentschädigung stellt sie als Leistungsvoraussetzung auf, daß ein Unfall innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet zum Tode führe (§8 1 AUB); ebenfalls muß eine I n validität als Unfallfolge innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet eingetreten sein (§ 8 I I Abs. 1 Satz 1 AUB), u m die Invaliditätsentschädigung auszulösen. Damit sind diese beiden A r t e n von Leistungen davon abhängig, daß der Unfall, zu dem die Gesundheitsbeschädigung gehört, bestimmte weitere Folgen auslöst, eben z. B. Tod oder Invalidität ( = dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, § 8 I I Abs. 1 Satz 1 AUB). M a n könnte deshalb i n der privaten U V von einer weiteren Form der Kausalität neben der (adäquaten) Kausalität zwischen Ereignis und Gesundheitsbeschädigung 107 sprechen: nämlich der Kausalität zwischen Gesundheitsbeschädigung und Tod bzw. Invalidität. b) (Private) HPflVers. I n der HPflVers. von einem „gedehnten VersFall" zu sprechen, erscheint jedoch nicht richtig 1 0 8 . Zwar muß i n der HPflVers. immer eine Dreiheit i n Gestalt von Ursache (Verstoß), Folge (Schadenereignis) und Inanspruchnahme vorliegen 109 , wobei die einzelnen Momente dieser Dreiheit sehr w o h l zeitlich weit auseinanderliegen können 1 1 0 . Da w i r hier jedoch der (Schadens-)Ereignistheorie folgen 111 , kommt als VersFall nur das eine Moment i n Betracht, i n dem m i t Schadenseintritt die den Versicherten belastende Haftpflicht ausgelöst ist. Die Ursache (Verstoß) scheidet als für den VersFall relevantes Moment aus, da sie noch gar nicht zum loa v g i # Wussow, wie hier A n m . 105. 107 Vgl. dazu oben S. 195 ff. (197 f.). 108 Dafür jedoch K.Schmidt, „Der VersFall i n der HPflVers." i n VersR 1950, S. 96, m i t der i n unserem Sinne unbegründeten Behauptung, die derzeitige Regelung i n § 5 Ziff. 1 A H B habe geradezu V e r w i r r u n g gestiftet, u n d die wahre Lösung f ü r die HPflVers. liege beim „gedehnten VersFall". 109 Vgl. dazu oben S. 188 unter A n m . 15. 110 So f ü h r t n u r rd. Vs der Verstöße i n der BerufsHPflVers. nach Beobachtungen der Statistik bereits innerhalb Jahresfrist zur Inanspruchnahme:

vgl. Boettinger, a. a. O., S. 14 Anm. 23. 111

Vgl. dazu oben S. 188 A n m . 15.

207

2. Kap.: Der Versicherungsfall

Schaden zu führen braucht. Die Inanspruchnahme des Versicherten seitens des Geschädigten kommt nicht i n Betracht, w e i l der Schaden schon längst entstanden sein kann, bevor es zu dem zusätzlichen Vorgang seiner Geltendmachung kommt. Das Moment des Schadenseintritts (Schadenereignisses) m i t gleichzeitig ausgelösten Haftpflicht des Versicherten ist jedoch Gegensatz zur Gesundheitsbeschädigung der privaten UV, die sich Invalidität oder zum Tod weiterentwickeln kann, einer gedehnten trachtungsweise nicht zugänglich 112 .

der im zur Be-

c) Entsprechungen und Abwandlungen i n der gesetzlichen U V Entsprechend der privaten U V — und i n Abwandlung der rechtlichen Gegebenheiten i n der HPflVers. — ist es i n der gesetzlichen U V sinnvoll, den Begriff des „gedehnten VersFalles" zu gebrauchen. Auch hier ist die A r t bestimmter zu erbringender Leistungen u . U . davon abhängig, daß der Unfall, zu dem die Gesundheitsbeschädigung gehört, bestimmte weitere Folgen auslöst, z. B. den Verlust oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit (vgl. § 581 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO). Damit ergibt sich für die gesetzliche U V eine dritte Form der Kausalität, nämlich neben den Kausalzusammenhängen Tätigkeit/Ereignis und Ereignis/Gesundheitsbeschädigung die Notwendigkeit der Kausalität zwischen Gesundheitsbeschädigung und Tod bzw. Verlust oder Minderung der Erwerbsfähigkeit 1 1 3 . Das „Moment der Dauer" 1 1 4 spielt hier eine Rolle, bis sich aus dem Ereignis die Gesundheitsbeschädigung entwickelt und die Gesundheitsbeschädigung z. B. zum Tode führt: deshalb die Bezeichnung „gedehnter VersFall". 5. Einzelne Ausschlüsse und

Einbeziehungen

115

a) Berufskrankheiten Eine gewichtige Abwandlung der privaten U V i n der gesetzlichen UV stellt die verschiedene Regelung der Berufskrankheiten dar. 112

Vgl. hierzu B G H Z E. v. 19.12.1960 N J W 1961, S. 192 (re. Sp.), wonach der Begriff Schadenereignis i n einschränkendem Sinne aufzufassen ist. N u r aus solchen Schadensfolgen können hiernach Ansprüche i n Betracht kommen, deren alleinige Ursache diejenigen Ereignisse sind, die den Schaden unmittelbar ausgelöst haben. 113 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m , § 581 A n m . 4, S. 467; § 589 A r n 2, S. 523. 114 So Möller, „Minderungen der Arbeits- u n d Erwerbskraft" i n „ V e r sicherungsmedizin u n d Versicherungsrecht", Festgabe f ü r Göbbels, S. 127 ff.

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Gem. § 2 A b s . 3 Buchst, a A U B 1 1 6 f a l l e n B e r u f s - u n d G e w e r b e k r a n k h e i t e n n i c h t u n t e r d e n VersSchutz. I n der gesetzlichen U V h i n g e g e n s i n d B e r u f s k r a n k h e i t e n i n d e n V e r s S c h u t z einbezogen, § 551 R V O . Dies r ü h r t daher, daß d e r Gesetzgeber die B e r u f s k r a n k h e i t t r o t z e i n i g e r w e sentlicher U n t e r s c h i e d e 1 1 7 u n t e r d e n A r b e i t s u n f a l l s u b s u m i e r t , i n d e m er i n § 551 A b s . 1 Satz 1 R V O die F i k t i o n ( „ g i l t " ) a u f s t e l l t , die B e r u f s k r a n k h e i t sei e i n A r b e i t s u n f a l l . Der Begriff „Berufs- u n d Gewerbekrankheiten" findet i n den A U B k e i n e nähere U m s c h r e i b u n g . E r e n t s p r i c h t jedoch i n solchem U m f a n g e d e m B e g r i f f „ B e r u f s k r a n k h e i t " i n § 551 R V O , „ d a ß h i e r der gleiche B e g r i f f des § 551 R V O herangezogen w e r d e n k a n n " 1 1 8 . Jedoch findet sich — b e g r e i f l i c h e r w e i s e — auch i n § 551 R V O k e i n e U m s c h r e i b u n g dessen, w a s „ B e r u f s k r a n k h e i t " bedeutet. „ B e g r e i f l i c h e r w e i s e " deshalb, w e i l es u n m ö g l i c h ist, eine aussagekräftige U m s c h r e i b u n g des Begriffs der B e r u f s k r a n k h e i t i n A b g r e n z u n g z u d e n ü b r i g e n K r a n k h e i t e n zu geben, d e r e n B e g r i f f auch schon n i c h t l e i c h t festzulegen i s t 1 1 9 . § 551 A b s . 1 Satz 2 R V O b e s c h r ä n k t sich v i e l m e h r d a r a u f , B e r u f s k r a n k h e i t e n als die v o n der B u n d e s r e g i e r u n g d u r c h R e c h t s v e r o r d n u n g (130 m i t Z i t . aus Rspr. u n d L i t . zur Problematik des gedehnten VersFalles i n A n m . 11). 115 Hier sei darauf hingewiesen, daß schon aus Gründen der Nachfrage der privaten U V u n d HPflVers. regelmäßig n u r die Abdeckung v o n Risiken zufällt, die nicht bereits v o n der SozialVers. (UV) erfaßt sind. Bisweilen schließt die PrivatVers. sogar Risiken aus, die bereits v o n der SozialVers. aufgenommen w u r d e n : vgl. die Risikobeschreibung der Betriebs- u n d BerufsHPflVers. unter B I 4 bei Prölss, V V G - K o m m . , S. 701: „Ausgenommen sind Schadenfälle, bei denen es sich u m Arbeitsunfälle i m Betrieb des VersNehmers gemäß der RVO handelt. Mit-Versicherung der gesetzlichen Haftpflicht f ü r diese Schadenfälle ist auch gegen Beitragszuschlag unzulässig." Umgekehrt schließt die HPflVers. i n § 4 I Ziff. 3, 2. Halbs. A H B die A n sprüche aus §§ 640, 641, 849 RVO ein, die v o n der gesetzlichen U V nicht gedeckt sind. M i t Rücksicht auf § 4 I I Ziff. 1 Satz 1 A H B versteht sich eine E i n beziehung i n den PrivatVersSchutz jedoch n u r bis zur grobfahrlässigen Herbeiführung des Arbeitsunfalls durch den Unternehmer usw. 116 Diese Vorschrift ist als echte Risikoausschlußklausel anzusehen, w e i l hier zwar der ursächliche Zusammenhang zwischen U n f a l l u n d I n v a l i d i t ä t oder Tod i n ausreichendem Maße gegeben ist, u n d der U n f a l l dennoch von der Leistungspflicht des Versicherers ausgenommen bleibt. 117 So erfordert z.B. der Arbeitsunfall ein plötzliches, zeitlich begrenztes Ereignis, das sich i n einem verhältnismäßig kurzen Z e i t r a u m abspielt (vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 548 RVO A n m . 3), während die Berufskrankheit dieses Erfordernis nicht voraussetzt, sondern sich als Schädigung darstellt, die sich über eine längere Zeit erstreckt. 118 So Wussow, A U B - K o m m , § 2 A n m . 18, S. 74. 119 Aus diesem Grunde wurde, worauf Morell, „Der Kausalbegriff i n der U V " i n SZS 1965, S. 16 ff. (30), richtig hinweist, der „ U n f a l l " als Umschreibung des versicherten Risikos definiert. Eine Definition von „ K r a n k h e i t " gab das R V A ( A N 1941, S. 22): hiernach ist K r a n k h e i t ein regelwidriger K ö r per» oder Geisteszustand, der Krankenpflege erforderlich macht oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

209

m i t Zustimmung des Bundesrates bezeichneten und die von einem Versicherten bei einer der i n §§ 539, 540, 543—545 RVO genannten Tätigkeiten erlittenen Krankheiten zu bezeichnen. Aufgrund dieser Ermächtigung wurde die Siebente Berufskrankheiten- Verordnung vom 20. Juni 1968 (BGBl. I S. 721) — 7 . B K V O — erlassen, die i n Anl. 1 sechs Krankheitsgruppen 1 2 0 m i t zusammen 47 Krankheiten umfaßt. Der Kreis der Berufskrankheiten w i r d m i t der Zeit immer umfangreicher 121 . Das Enumerationsprinzip 1 2 2 von einst ist dadurch gelockert, daß gem. § 551 Abs. 2 RVO die Träger der U V i m Einzelfalle auch solche Krankheiten wie eine Berufskrankheit entschädigen sollen, die nicht i n der Rechtsverordnung bezeichnet sind, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind 1 2 3 . Aus alledem ergibt sich, daß die gesetzliche U V i n Abwandlung des privaten UV-Rechts hier großzügig verfährt. b) Die Regelungen der §§ 179, 180 a, 181 V V G ; § 152 W G , § 4 I I Ziff. 1 A H B i m Vergleich zur Regelung des § 553 RVO I n der privaten U V hängt die Leistungspflicht des Versicherers davon ab, daß der V N die Gesundheitsbeschädigung unfreiwillig erlitten hat. Unfreiwilligkeit liegt — davon war bereits die Rede 124 — dann vor, wenn kein (bedingter) Vorsatz vorhanden ist. Sie w i r d bis zum Beweise des Gegenteils zugunsten des Betroffenen vermutet (§ 180 a Abs. 1 VVG). Grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls ist also noch gedeckt. Lediglich Vorsatz des VNs schließt die Leistungspflicht des Versicherers 120 A : Durch chemische Stoffe verursachte K r a n k h e i t e n ; B : Durch p h y sikalische E i n w i r k u n g e n verursachte Krankheiten; C: Durch gemischte (chemisch-physikalische) E i n w i r k u n g e n verursachte Krankheiten; D : Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten; E: Durch nicht einheitliche E i n w i r k u n g e n verursachte Krankheiten u n d unter F : Hauterkrankungen. 121 Bereits i n der R V O v o n 1911 w a r eine solche Ermächtigung enthalten, v o n der erstmalig durch die 1. V O über Ausdehnung der U V auf Berufskrankheiten v o m 12.5.1925 (RGBl. I S. 69) Gebrauch gemacht wurde. Sie enthielt damals n u r 11 Berufskrankheiten. Vgl. Näheres bei Lauterbach, U V Komm., § 551 RVO, A n m . 1—33, S. 287—303 (insbesondere A n m . 5 S. 290). 122 Gleichbedeutend m i t „ L i s t e n p r i n z i p " : Näheres bei Lauterbach, U V K o m m , § 551 RVO A n m . 1 ( „ Z u Abs. 2"), S. 288. 123 Allerdings darf nach BSG E. v. 1. 3.1963 (in K a r t e i Lauterbach Nr. 4956 zu § 551 Abs. 1) der auf der B K V O beruhende VersSchutz nicht i m Wege der Rechtsprechung auf K r a n k h e i t e n ausgedehnt werden, die i n der Anlage zur B K V O nicht aufgeführt sind u n d nicht die Erfordernisse des § 551 Abs. 2 R V O erfüllen. 124 Vgl. dazu oben S. 192 f. unter V.

14 v. Heinz

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

aus (bei EigenVers.). Die Ausschlußtendenz des Versicherers geht jedoch so weit, daß i m Falle der FremdVers. auch ein Dritter (Versicherter), für den der V N die U V auf eigene, d. h. des VNs Kosten genommen hat, keine Leistung erhält, wenn der V N den VersFall vorsätzlich herbeiführt (§ 179 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 W G ) . I n der HPflVers. besteht für den Versicherer keine Leistungspflicht, wenn der V N den E i n t r i t t der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, vorsätzlich herbeigeführt hat: §§ 152 VVG, 4 I I Ziff. 1 Satz 1 AHB. Diese Regelungen erfahren i n der gesetzlichen U V dahin eine A b wandlung, daß bei EigenVers. erst die Absicht des Verletzten den A n spruch ausschließt (§ 553 Satz 1 RVO) und i m Falle der vorsätzlichen Herbeiführung des Arbeitsunfalls durch den Unternehmer, also i m Normalfalle der FremdVers., der Arbeitnehmer als Versicherter seinen A n spruch behält. Großzügig beläßt die gesetzliche U V auch i m Falle der absichtlichen Herbeiführung des Arbeitsunfalls durch den Arbeitnehmer selbst seinen Angehörigen und Hinterbliebenen den Vers Anspruch: allein der Täter verliert ihn. c) Die Regelung des § 3 Abs. 2 A U B i m Vergleich zu der des § 554 Abs. 1 RVO aa) I n der privaten U V kommt es für den Ausschluß i. S. von § 3 Abs. 2 A U B lediglich darauf an, daß es sich u m einen Unfall handelt, den „der Versicherte erleidet infolge der vorsätzlichen Ausführung oder des Versuches von Verbrechen oder Vergehen". Maßgeblich ist für letztere § 1 StGB i n Verb, m i t den zur Zeit des Unfalls normierten Einzeltatbeständen 125 . Ein strafgerichtliches Urteil braucht nicht vorzuliegen. Zugunsten des Versicherers besteht nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht, sondern schlechthin ein Ausschluß des VersSchutzes. bb) Diese Regelung des PrivatVersRechts erfährt i n der gesetzlichen U V eine Entsprechung dahingehend, daß § 554 Abs. 1 RVO einen Leistungsausschluß nur dann gestattet, wenn der Verletzte den Arbeitsunfall bei Begehung einer Handlung erlitten hat 1 2 6 , die ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen darstellt 1 2 7 ; die Erfordernisse des Privat125

prölss, W G - K o m m . , § 3 A U B , A n m . 2. Hierbei ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Handlungsbegehung u n d Arbeitsunfall erforderlich: vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , §554 R V O A n m . 3, S. 313. 127 Lediglich verbotswidriges Handeln (z.B. Schwarzarbeit) schließt die 126

V g l >

2. Kap.: Der Versicherungsfall

211

VersRechts sind i n der gesetzlichen U V jedoch i n der Weise abgewandelt, daß der Leistungsausschluß i n pflichtgemäßem Ermessen des VersTrägers steht und nur dann ausgesprochen werden darf, wenn die Handlung des Versicherten nach rechtskräftigem strafgerichtlichem Urteil als Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen anzusehen ist. Es kann m i t h i n kraft der Waltung pflichtgemäßen Ermessens auch nur eine teilweise Versagung der Leistung i n Frage kommen (§ 554 Abs. 1 RVO). Anhand der verschärften Anforderungen der gesetzlichen U V an den Leistungsausschluß und anhand der Möglichkeit nur teilweiser Leistungskürzung 128 stellt sich wiederum heraus, daß die gesetzliche U V großzügiger verfährt als die Privat Vers. d) Generelle Betrachtung der Anzahl der Ausschlüsse Dieser Eindruck der Großzügigkeit w i r d dadurch bestärkt, daß die private U V 1 2 9 neben den genannten noch eine größere Anzahl von Ausschlüssen aufweist 1 3 0 , während i m Vergleich hierzu die gesetzliche U V lediglich die kleine Anzahl von Ausschlüssen i n Gestalt der §§ 553, 554 RVO kennt.

Annahme eines Arbeitsunfalls u n d damit eine Entschädigung nicht aus: § 548 Abs. 3 RVO. 128 Vgl. hierzu auch § 624 Abs. 1 RVO, der u. a. eine teilweise Leistungsversagung zuläßt, w e n n sich ein Verletzter ohne t r i f t i g e n G r u n d einer zumutbaren Heilbehandlung usw. entzieht. Allerdings ist eine Versagung der L e i stung n u r dann zulässig, w e n n der Versicherte vorher schriftlich darauf h i n gewiesen worden ist. 129 Die wichtigsten Ausschlüsse der HPflVers. lassen keine Gegenüberstell u n g m i t vergleichbaren Ausschlüssen i n der gesetzlichen U V zu, da erstere sich vornehmlich an Sachen orientieren: vgl. die Obhutsklausel i. S. v o n § 4 I Nr. 6 Buchst, a) A H B (Ausschluß von Schäden an den i n Obhut des VNs befindlichen fremden Sachen), die Sonderbearbeitungsklausel i. S. v o n § 4 I Nr. 6 Buchst, b) A H B (Ausschluß v o n Schäden, die durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit an oder m i t der fremden Sache entstanden sind) u n d die unterschiedlich w e i t gefaßte Benzinklausel i. S. von § 1 Nr. 2 Buchst, b) A H B (Ausschluß der Haftung f ü r Halten oder Führen eines L u f t - , K r a f t - oder Wasserfahrzeugs, abgesehen v o n Ruderbooten). Vgl. hierzu Klingmüller, „Haftpflichtversicherung" i n HdSW Bd. 4, S. 757 ff. (758/759) m i t Hinweis auf R. Schmidt u n d Wehn, Die neue Fassung der Obhuts- u n d Bearbeitungsklausel i n der allgemeinen HPflVers. 130 v g i t d e s weiteren die Ausschlußklauseln i n Gestalt der §§ 2 Abs. 3 Buchst, c; 3 Abs. 1, 3 Satz 1,5; 6 Satz 2 A U B . 14*

212

3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

Zweiter Unterabschnitt Zusammenfassung der bisher gefundenen Entsprechungen und Abwandlungen I. Zusammenfassung der bisher aufgezeigten Entsprechungen und Abwandlungen 1. Gesamtbild Es ergibt sich folgendes Gesamtbild: der VersFall i n der privaten U V und der VersFall i n der HPflVers. entsprechen dem VersFall i n der gesetzlichen U V hinsichtlich ihrer Grundstruktur dahingehend, daß letzterer ein unlösbares compositum m i x t u m der beiden ersteren darstellt 1 3 1 . Die zwei Komponenten ein und desselben Ereignisses, von denen die eine von der Sicht der privaten U V her sich gegen den menschlichen Körper richtet und die andere — gleichzeitig vom Standpunkt der HPflVers. aus betrachtet — einen Anspruch gegen das Vermögen eines anderen auslösen kann, werden von der gesetzlichen U V nebeneinander vereint beinhaltet. 2. Entsprechungen Zahlreiche Entsprechungen der PrivatVersKomplexe i n der gesetzlichen U V finden sich nach unseren Untersuchungen i n folgendem: der gleichartigen Abstandnahme von einer gesetzlichen Regelung des VersFalls, dem Erfordernis eines Ereignisangriffs von außen, der Deckung von seelischen Schäden als Personenschäden, der gleichartigen Lösung von Problemen überholender Kausalität und der Beurteilung von Trunkenheitsfällen. 3.

Abwandlungen

Gewichtige Abwandlungen der PrivatVersGebiete i n der gesetzlichen U V haben sich dahingehend ergeben, daß die gesetzliche U V i m ganzen großzügiger verfährt als die Privat Vers. — erinnert sei besonders an die Einbeziehung der Berufskrankheiten, die weitherzige Beurteilung der Zeitkomponente des Ereignisses, die Gleichstellung des Schadens an einem Körperersatzstück m i t einem Körperschaden, die kleinere 131 Siehe hierzu jedoch oben S. 190 unter A n m . 24. Dies w i r d auch bestätigt durch die Feststellung Gitters (a. a. O., S. 76), daß sich i n der gesetzlichen U V Fremdvorsorge u n d Eigenvorsorge „zu einem untrennbaren Ganzen" verbinden.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

213

Anzahl von Ausschlüssen und schließlich die — zugunsten des Versicherten — milderen Anforderungen an den subjektiven Tatbestand bezüglich der Ereignisherbeiführung und des hierdurch bedingten Leistungswegfalls. Die größere Strenge i n der Privat Vers, mag schon deswegen gerechtfertigt erscheinen, w e i l der V N zu vorsichtigerem Verhalten angeregt werden muß, als es die gesetzliche U V erfordert. Denn der PrivatVers. stehen insbesondere i n den Betrieben nur geringere Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung als sie der gesetzlichen U V gewährt sind. Zu denken ist i m Bereich der gesetzlichen U V vor allem an die technischen Aufsichtsbeamten i. S. des § 712 Abs. 1 RVO, die die Durchführung der Unfallverhütung zu überwachen haben. Als Ausnahme der soeben beschriebenen Großzügigkeit erwiesen sich allein die strikteren Erfordernisse der gesetzlichen U V 1 3 2 hinsichtlich der doppelten oder gar dreifachen Kausalität i m Zusammenhang versicherte Tätigkeit/Ereignis/Gesundheitsbeschädigung/Tod (bzw. Verlust oder Minderung der Erwerbsfähigkeit), kurz gesagt: die Beschränkung auf die Deckung von Arbeitsunfällen. Hierbei liefert jedoch gerade die Frage nach der haftungsbegründenden Kausalität, dem Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit (Arbeit) und Ereignis, das entscheidende K r i t e r i u m zur Abgrenzung eines Arbeitsunfalls von sonstigen Wechselfällen des Lebens, die möglicherweise auf den Körper des Versicherten eingewirkt haben. Daß ein Arbeitsunfall vorliegen muß, beruht wiederum auf der Sonderstellung der gesetzlichen U V i m System unserer Sozial Vers, m i t dem Zweck, aufgrund „einer besonderen sozialpolitischen Bewertung der durch betriebliche Einwirkungen hervorgerufenen Körperschädigungen s o w i e . . . (aufgrund) der besonderen sozialpolitischen Zielsetzung i m Interesse der Wahrung des Arbeitsfriedens etwaige hieraus resultierende Haftpflichtansprüche gegen die Unternehmer durch einen besonderen VersTräger nach einem eigenen Leistungssystem abzulösen" 133 .

132 Z u r (nicht v o n der Zielsetzung dieser Untersuchung umfaßten) K r i t i k der „Theorie der wesentlichen Bedingung" i n der gesetzl. U V siehe Gitter, a. a. O., S. 125 ff. unter 2. Teil, I I I , 2 f. 133 So Watermann, „Kausalität u n d Finalität i m Recht der gesetzlichen U V " i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 129 ff. (129).

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

I I . Funktion des Begriffs „VersFall" 1. Aus der Sicht von Versicherer

und Versichertem

Sieht man von den Grenzfällen ab, so reduziert sich die Prüfung des versicherten Risikos i n der privaten U V auf die Frage, ob ein Unfall vorliegt. I n der HPflVers. hat sich die Prüfung des versicherten Risikos danach auszurichten, ob ein Schadenereignis i. S. des Vers Vertrages vorliegt, das Haftpflichtansprüche gegen den V N zur Folge haben könnte. Die gesetzliche U V stellt die Leistungspflichten des Trägers der U V gegenüber dem Verletzten, seinen Angehörigen und Hinterbliebenen auf den „ E i n t r i t t eines Arbeitsunfalls" (§ 537 Nr. 2 RVO) ab, und die Prüfung des versicherten Risikos muß sich an der Frage orientieren, ob ein solcher vorliegt. Angesichts der Menge der jährlich bei den privaten V U und VersTrägern eingehenden Unfall- und Schadenmeldungen ist es für Versicherer wie Versicherte gleichermaßen unumgänglich, eine feste Formel der Risikoabgrenzung zu finden. Diese findet eben i m Versicherungsfall ihren Ausdruck, der für diesen Zweck i n den einzelnen Disziplinen die dargelegte — unumgängliche — Dogmatisierung gefunden hat. Es ergibt sich also m i t der Frage nach der Funktion des „VersFalls" i m privaten Unfall- und HPflVersRecht einerseits und i n der gesetzlichen U V andererseits eine Entsprechung beider großen Rechtskomplexe PrivatVers. und SozialVers. dahin, daß hier wie dort der VersFall ein rechtstechnisches Instrument 1 3 4 darstellt, den Unfall von den „banalen Insulten des täglichen Lebens und vor allem von der K r a n k h e i t " 1 3 5 bzw. das für die HPflVers. wirklich schutzwürdige Risiko zu erfassen und sachgerecht abzugrenzen. 2. Aus der Sicht vorwiegend des Versicherten I n der PrivatVers. ist der VersFall aus der Sicht des Versicherten als entscheidendes Moment für die Auslösung der Vermögensleistung einer der wichtigsten Teile der Gesamtdienstleistung „Versicherung" zu bezeichnen, obwohl er nicht unbedingt notwendiger Bestandteil des Versicherungsvorganges ist 1 3 6 ; i n der gesetzlichen U V stellt er — dem 134 Vgl. hierzu Langkeit, „ Z u m Problem des VersFalls i n der SozialVers. u n d i n der IndividualVers." i n ZVersWiss. 1966, S. 31 ff. (52). 135 So Morell, „ D e r Kausalbegriff i n der U V " i n SZS 1965, S. 16 ff. (27). 138 Hierauf weist Müller-Lutz, „VersBetriebslehre" i n „Die Versicherung", Bd. 2, Heft 1, S. 23 ff. (25) zutreffend h i n : denn der VersFall braucht j a niemals einzutreten. T r i t t er jedoch ein, so ist der VersFall, w i e Koch [„Das Verbands-

2. Kap.: Der Versicherungsfall

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Vorhergehenden entsprechend — die entscheidende 137 Leistungsvoraussetzung zugunsten des Versicherten dar. 3. Aus der Sicht vorwiegend des VU oder VersTrägers stellt sich der VersFall — dies gilt für alle drei Rechtsgebiete entsprechend — auch als ein „bequemes M i t t e l zur Umgehung schwieriger Ermessensentscheide" 138 und als K r i t e r i u m zur Abgrenzung des versicherungsrechtlichen Risikos der genannten Zweige gegenüber anderen Zweigen der Privat- bzw. SozialVers. dar. I I I . Ausblick I n Anknüpfung an unsere Ausführungen zur Methodik 1 3 9 kann festgestellt werden, daß sich der „Versicherungsfall" sowohl i n privater U V und HPflVers. als auch i n der gesetzlichen U V i n der Tat — entsprechend unserem bisherigen Sprachgebrauch — als „Begriff" und nicht etwa als „Typus" herausgestellt hat. Denn „Unfall" (§ 2 Abs. 1 AUB), HPflVersFall (§ 5 Nr. 1 AHB) und „Arbeitsunfall" (§ 548 Abs. 1 Satz 1 RVO) weisen jeweils die oben dargelegte geschlossene Anzahl von konstituierenden Merkmalen auf, die durch Definitionen des Schrifttums oder der Rechtsprechung näher umgrenzt worden sind. M i t h i n werden auch die Summen dieser Einzelmerkmale, eben die verschiedenen Spielarten des „Versicherungsfalls" i n den vom Thema genannten Einzeldisziplinen — wie für einen „Begriff" erforderlich —, durch Definition gewonnen. Da eine gesetzliche Definition des VersFalls sowohl i m PrivatVersRecht wie auch i m SozialVersRecht bisher ausgeblieben ist und w o h l auch weiterhin nicht festgelegt werden wird, u m neu entstehenden Risiken i n Privat- und SozialVers. nicht aufgrund von Legaldefinitionen von vornherein u. U. die Abdeckung wesen i n der VersWirtschaft" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 32, S. 1527 ff. (1536)] zu Recht meint, das K r i t e r i u m f ü r einen guten VersVertrag. „ E r zeigt, ob Lücken i m Vertrag vorhanden sind, durch die die Schadenregulierung u n günstig beeinflußt u n d f ü r den V N Verluste entstehen k ö n n e n . . . Versicherungstechnische u n d -rechtliche Unkenntnis des VNs, der meist Laie auf dem komplizierten Gebiet des VersWesens ist u n d der glaubt, m i t der Prämienzahlung seine Pflicht erfüllt zu haben, lösen i m Schadenfall Enttäuschungen u n d Verstimmungen aus, f ü r die oft zu Unrecht dem Versicherer die Schuld gegeben w i r d . " (So Koch, a. a. O., S. 1536). 137 Nicht die alleinige, da weitere Tatbestandsmerkmale (wie z. B. die Nichterschöpfung des Anspruchs) zum VersFall hinzutreten müssen, damit der VersAnspruch entstehen kann: vgl. hierzu des näheren Wannagat, L B , § 12, S. 292. 138 So Morell, „Der Kausalbegriff i n der U V " i n SZS 1965, S. 16 ff. (27). 139 V g l dazu oben S. 163 ff. (167).

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

versagen zu müssen und der Rechtsprechung die Ausfüllung des Begriffs i n elastischer Abstimmung auf den Einzelfall zu überlassen, stellt sich die Frage, ob einzelne konstituierende Merkmale des Unfallbegriffs der PrivatVers. gemäß ihrer von der Rechtsprechung gefundenen Ausprägung i m Falle des Auftauchens neuer Risiken zur Interpretation oder Präzisierung einzelner konstituierender Merkmale des Unfallbegriffs der SozialVers. — und umgekehrt — herangezogen werden dürfen oder nicht. Bisher wurde — soweit ersichtlich — bei Prüfung dieser Frage nur die Identität der beiden Unfallbegriffe beleuchtet und diese teils verneint 1 4 0 und teils bejaht 1 4 1 . Freilich leuchtet es sofort ein, daß die Unfallbegriffe der PrivatVers. und SozialVers. insgesamt nicht identisch sind. Daß dies gar nicht der Fall sein kann, erklärt sich bereits aus dem sozialpolitischen Zweck der gesetzlichen UV 1 4 2 , i n Abwandlung zur PrivatVers. neben dem Interesse des einzelnen auch das Interesse der Gemeinschaft an einer sozialen Befriedigung und sachgerechten Zuordnung der Unfallschäden zu wahren 1 4 8 . Dieser Zweck wiederum bedingt z. B. die Großzügigkeit, die w i r als Unterschied zur PrivatVers. herausgearbeitet haben. Jedoch bestehen, wie w i r meinen, keine Bedenken dagegen, einzelne konstituierende Merkmale des Unfallbegriffs der RVO zur Auslegung des Unfallbegriffs i m Sinne der A U B und umgekehrt dann heranzuziehen, wenn die genannten sozialpolitischen Zweck-Kriterien der RVO nicht mit i m Spiele sind. I m Falle der Identität einzelner konstituierender Begriffe — wie „von außen", „auf den Körper wirkend", „Ereignis" — darf eine solche wechselseitige Heranziehung bedenkenlos erfolgen.

140 Vgl. L G Krefeld E. v. 10. 2.1954 VersR 1954, S. 217 ff. (218): „ . . . Demnach ist f ü r das Vorliegen eines Unfalls auch n u r der i n den A U B i n § 2 festgelegte ,Unfallbegriff', der nicht identisch m i t dem Unfallbegriff der RVO ist, entscheidend."; vgl. auch O L G Düsseldorf E. v. 16.3.1954 VersR 1954, S. 317 ff. (317); Wussow, A U B - K o m m . , §2 A n m . 7, S. 54: „Der Unfallbegriff (der A U B ) ist m i t dem Unfallbegriff der RVO in keiner Weise identisch, u n d die Rechtsprechung zur R V O k a n n daher nicht zur Auslegung herangezogen werden." 141 Bejahend Möller, „Soziale u n d private UV, Vergleich u n d Wechselbeziehungen" i n V W 1964, S. 605 ff. (608): „ M a n hat gemeint, die Unfallbegriffe der P r i v a t - u n d SozialVers. seien i n keiner Weise identisch. Das ist jedoch nicht richtig." 142 Vgl. hierzu Rohwer-Kahlmann, „Die Rechtsstellung des nasciturus i n der U V " i n JuS 1961, S. 285 ff. (287 Ii. Sp.). 143 Vgl. auch Gitter, a. a. O., S. 120, der hervorhebt, daß die bewertende A u s w a h l der Bedingungen zur Erfassung der individuellen Besonderheiten des Einzelfalls i n ungleich höherem Maße zwingt als „bei der Anlegung der generalisierenden Schablone der Adäquanztheorie". Diese bewertende Ausw a h l trage jedoch zur Entfaltung des i m Unfallrecht dominierenden Schutzgedankens bei.

2. Kap.: Der Versicherungsfall

217

Es erscheint überdies zumindest vergröbernd geurteilt, daß die Rechtsprechung zur RVO i n keiner Weise zur Auslegung des privaten Unfallbegriffs herangezogen werden dürfe 1 4 4 und umgekehrt eine Heranziehung der privatversicherungsrechtlichen Begriffsausdeutungen für den sozialen Unfallbegriff von vornherein ausgeschlossen sein soll. Vielmehr dürfen wechselseitige gedankliche Anleihen hinsichtlich von Rechtsprechung und Schrifttum erarbeiteter Äußerungen i m jeweils anderen Rechtsgebiet zur Ausfüllung und Präzision einzelner konstituierender Merkmale des Unfallbegriffs grundsätzlich dann gemacht werden, wenn nicht spezifische Zwecktendenzen des „verleihenden" oder „leihenden" VersZweiges dem entgegenstehen. So verdichtet sich die gedankliche Anleihemöglichkeit sogar augenfällig zur direkten Gültigkeit des einen VersKomplexes für den anderen am Beispiel der Berufskrankheiten, die, von der Privat Vers, selbst nicht aufgezählt, jeweils i n A r t und Umfang, wie sie von der SozialVers, gerade fixiert sind 1 4 5 , vom privaten VersSchutz ausgeschlossen bleiben (§2 Abs. 3 Buchst. aAUB).

144 145

So Wussow, A U B - K o m m . , § 2 A n m . 7, S. 54. Vgl. § 551 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. der jeweils geltenden B K V O .

Drittes

Kapitel

Die Beteiligten des Versieherungsverhältnisses Erster Abschnitt

Versicherungsgeschützter und abzudeckendes Risiko I. Zur Einführung Vor einer näheren vergleichenden Untersuchung von A r t und Wesen der Verbindung zwischen VU, VN, Versichertem und sonstigen Berechtigten (Versicherungsverhältnis) i n privater U V und HPflVers. einerseits sowie i n der gesetzlichen U V andererseits, möchten w i r untersuchen, wer uns als am Vers Verhältnis Beteiligter entgegentritt und i n welchen verschiedenen Kombinationen dies geschehen kann 1 . Die Beantwortung dieser Frage soll gleichzeitig der terminologischen Klarstellung der später zu verwendenden Begriffe dienen. II. Der Normalfall in privater U V und HPflVers. und seine Spiegelung in der gesetzlichen U V 1. Terminologisches Grundsätzlich ist als Versicherter derjenige anzusehen, dem VersSchutz gewährt w i r d und dem das Hauptrecht aus dem Vers Verhältnis zusteht 2 . Den Versicherten treffen auch die Pflichten. Ist das Vers Verhältnis i m Vertragswege zustandegekommen, so soll hier derjenige, der den Vertrag i m eigenen Namen abschließt, Versicherungsnehmer (VN) genannt werden. Der Normalfall i n der privaten U V und HPflVers. ist, daß sich Versicherter und V N decken (Eigenversicherung). 1 Hierbei w i r d noch deutlicher als bei Untersuchung des Versicherungsfalls, daß eine v o m VersVerhältnis losgelöste Betrachtung der an i h m Beteiligten auf Schwierigkeiten stößt. Dennoch erscheint eine isolierte Prüfung als notwendig, u m f ü r die Darlegung des VersVerhältnisses selbst bereits klare Bezugspunkte zu besitzen u n d die Ausführungen dort nicht zu überlasten. 2 Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., 1. Hälfte, § 11, S. 121.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

219

2. Keine Kollision und keine Entsprechungen zwischen PrivatVers. und gesetzlicher UV bei EigeriVers. des Arbeitnehmers a) EigenVers, des Arbeitnehmers gegen Arbeitsunfälle i n der privaten U V Da, wie dargelegt wurde 3 , bereits das U V G 1884 den Arbeiter nach erlittenen Arbeitsunfällen sicherzustellen bestrebt war, interessiert uns hier zunächst die Frage, ob noch heutzutage der Arbeitnehmer sich selbst gegen Arbeitsunfälle durch private U V versichert. Freilich fände eine solche EigenVers. des Arbeitnehmers i n der gesetzlichen U V keine Entsprechung, da dort die Möglichkeit einer freiwilligen SelbstVers. lediglich für alle 4 Unternehmer m i t alleiniger Ausnahme der Haushaltsvorstände besteht, soweit erstere nicht bereits kraft Gesetzes oder kraft Satzung versichert sind (§ 545 Abs. 1 Satz 1 RVO) 5 . Jedoch ist die Frage zu verneinen; nach Auskunft des HUK-Verbandes t r i t t der Normalfall der privaten EigenVers. gegen Unfall bei Arbeitnehmern nur i n der Weise auf, daß als Ergänzung zur gesetzlichen UV eine allgemeine U V abgeschlossen wird, die vor allem das Freizeitrisiko abdeckt. Dieses w i r d nämlich von der gesetzlichen UV nicht erfaßt. b) EigenVers. des Arbeitnehmers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten eines Arbeitskollegen aa) Personenschaden Weiterhin ist zu klären, ob heutzutage der Normalfall der EigenVers. bezogen auf die HPflVers. i n der Weise beim Arbeitnehmer vorkommt, daß dieser sich privat gegen eine Haftpflicht aus einem Arbeitsunfall versichert, den er zum Schaden eines i n demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht. Würde eine solche Versicherung i n der Praxis angeboten, so fände sie eine Parallele i n § 637 Abs. 1 RVO. Diese Vorschrift befreit — entsprechend § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO, der die Schadensersatzpflicht des 3

Vgl. oben S. 85 ff. Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 545 RVO A n m . 3. 5 E r w ä h n t sei i n diesem Zusammenhang, daß eine i m m e r h i n denkbare Entsprechung des PrivatVersRechts i n F o r m der EigenVers. des Arbeitnehmers gegen U n f a l l auch nicht i n der „ f r e i w i l l i g e n Weiterversicherung" auf dem Gebiete der SozialVers, zu sehen ist. Denn die gesetzliche U V sieht die „ f r e i w i l l i g e Weiterversicherung" nicht vor. Dies ist i m Wesen des zu versichernden Wagnisses begründet: „die U n fallgefahr endet nämlich m i t dem versicherungspflichtigen Tatbestand" (so Wannagat, L B , 11. Abschn., § 2, S. 305). 4

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

U n t e r n e h m e r s gegenüber d e m A r b e i t n e h m e r w e i t g e h e n d e i n s c h r ä n k t — den A r b e i t n e h m e r bei den genannten Voraussetzungen v o n Ersatzansprüchen seines A r b e i t s k o l l e g e n , es sei denn, ersterer h a t d e n A r b e i t s u n f a l l v o r s ä t z l i c h h e r b e i g e f ü h r t oder der A r b e i t s u n f a l l ist b e i der T e i l nahme am allgemeinen V e r k e h r eingetreten. Z w a r ist, w i e der H U K - V e r b a n d a u f A n f r a g e h i n e r k l ä r t e , eine solche „ B e r u f s - H P f l V e r s . " f ü r A r b e i t n e h m e r v e r e i n z e l t g e f o r d e r t w o r d e n . Sie w u r d e u n d w i r d jedoch v o n k e i n e m d e r 102 i m H U K - V e r b a n d z u sammengeschlossenen U n t e r n e h m e n angeboten. D i e B e g r ü n d u n g d a f ü r ist, daß angesichts des w e i t g e h e n d e n H a f t u n g s ausschlusses i. S. des § 637 R V O f ü r eine eigene B e r u f s - H P f l V e r s , der A r b e i t n e h m e r gegen Personenschäden v o n A r b e i t s k o l l e g e n k e i n akutes B e d ü r f n i s besteht 8 . bb) Sachschaden E b e n s o w e n i g besteht i n der R e g e l e i n B e d a r f des A N s . , sich p r i v a t 6 Die Gleichstellung der Arbeitnehmer m i t den Arbeitgebern bezüglich der Beschränkung i h r e r Schadenersatzpflicht gegenüber Arbeitnehmern desselben Betriebes aus Arbeitsunfällen besteht erst durch die Neueinfügung des § 637 durch das U V N G i n die R V O (vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 637 RVO, A n m . 1). Durch diese neue Vorschrift wurde die Schwierigkeit beseitigt, m i t der das B A G noch i m Jahre 1957 (vgl. Beschluß des GrS des B A G v o m 25. 9.1957 i n VersR 1958, S. 54 ff.) f ü r die Lösung eines solchen Falles zu kämpfen hatte. Denn damals waren die Arbeitnehmer i m H i n b l i c k auf die §§ 898, 899 R V O a. F. noch nicht aus der Haftung gegenüber Arbeitskollegen ausgenommen. Das hatte zur Folge, daß der A N , der einen Arbeitsunfall schuldhaft herbeigeführt hatte, i n unserem Falle nach den allgemeinen Vorschriften ersatzpflichtig war. I m Gegensatz zu seinem Arbeitgeber u n d seinem Arbeitsaufseher, die außer bei strafgerichtlich festgestellter vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens, also auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Arbeitsunfalls, von der H a f t u n g gegenüber dem geschädigten A N frei waren, mußte nach dem damaligen Wortlaut des Gesetzes der einzelne A N auch bei leichter Fahrlässigkeit, u. U. sogar bei fehlender Schuld, nach § 1542 RVO a. F. den SozialVersTrägern das v o n ihnen Aufgewendete erstatten u n d außerdem dem geschädigten Arbeitskollegen selbst nach § 823 B G B oder dem sonst i n Betracht kommenden Sondergesetz seinen durch die Leistung aus der SozialVers. nicht gedeckten vollen Schaden ersetzen u n d Schmerzensgeld bezahlen. Das bedeutete, wie der GrS des B A G (a. a. O., S. 55) zu Recht feststellte, daß — w e n n auch die SVT oft davon absahen, diese ihnen gesetzlich zustehenden Ansprüche gegen den A N geltend zu machen — „doch nach dem Haftungsschema der R V O f ü r den Arbeitsunfall u. U. der sozial Schwächste einstehen" mußte. Z u Recht gab deshalb der GrS B A G (a. a. O., S. 57) damals seiner Hoffnung Ausdruck, daß der Gesetzgeber eine Änderung der R V O herbeiführen möge. Die mühsam gefundene K o n s t r u k t i o n des GrS B A G i n der genannten E n t scheidung, nach der die uneingeschränkte Haftung des einen ANs gegenüber dem anderen aus sozialen Gründen nach den Grundsätzen der gefahrengeneigten A r b e i t beseitigt wurde, ist dann i n der Tat durch die Neuschaffung des § 637 R V O überholt worden.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

221

gegen eine mögliche Haftpflicht aus Sachschäden zu versichern, die er (AN) seinem Arbeitskollegen durch eine betriebliche Tätigkeit zufügt. Denn die Haftung für Sachschäden ist durch die von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung 7 entwickelte Einschränkung bezüglich der gefahrgeneigten Tätigkeit stark gemildert. Der A N hat hiernach für fahrlässige Schadenherbeiführung nicht zu haften. Er hat vielmehr einen Schadenfreistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber (vgl. dazu unten d). c) EigenVers, des ANs. gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten des Arbeitgebers Weiterhin w i r f t sich die Frage auf, ob der A N Veranlassung dafür findet, sich privat gegen eine Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zu versichern, die er i n Form eines Personen- oder Sachschadens zu Lasten seines Arbeitgebers verursacht. Auch für eine solche HPflVers. besteht grundsätzlich kein Anlaß. Zwar gilt § 637 RVO nicht für Ansprüche des Unternehmers des Unfallbetriebes gegen seine Arbeitnehmer 8 . Jedoch hat bereits das R A G mehrfach betont 9 — und auch das B A G 1 0 schloß sich i h m darin an —, daß der Arbeitgeber vom A N keinen oder jedenfalls keinen vollen Schadens7 Vgl. hauptsächlich die bereits genannte Entscheidung des GrS B A G v o m 25. 9.1957 i n VersR 1958, S. 54 ff. (55), die sich auf den „ v o n der neueren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung u n d der arbeitsrechtlichen Lehre entwickelten Grundsatz" beruft, „daß der A N , der bei einer i h r e r N a t u r nach leicht zu Schädigungen führenden A r b e i t fahrlässig einen Schaden herbeigeführt hat, nicht schlechthin haften soll". Vgl. des weiteren auch B G H Z E. v. 1.4.1958 i n Ergänzung des Beschlusses des GrS B A G v o m 25. 9.1957 (BGHZ Bd. 27, S. 62 ff.). Hinsichtlich des lebhaften Echos des Schrifttums sei hingewiesen auf Böhmer, „ Z u r Frage der Schadensersatzansprüche v o n Arbeitnehmern gegen Arbeitskameraden" i n M D R 1958, S. 400 ff.; ders., „Gesetzwidriger Haftungsausschluß unter Arbeitskollegen?" i n VersR 1959, S.882f.; ders., „ Z u r Frage der Haftungsbeschränk u n g zwischen Arbeitnehmern" i n N J W 1960, S. 757 ff.; Clauß, „Haftungsbeschränkungen zwischen Gemeinschaftsangehörigen i m Arbeits-, Dienst- u n d Familienrecht" i n N J W 1959, S. 1408ff.; Herschel, „ A n m e r k u n g zum Beschluß des GrS B A G v o m 25. 9.1957" i n JZ 1958, S. 257 ff.; Klein, „Rechtsfortbildung u n d Billigkeitsrechtsprechung: Z u m Beschluß des GrS B A G v o m 25. 9.1957" i n JZ 1958, S. 585 ff.; ders., „Lösungsbedürftige Probleme der Haftung des am Arbeitsunfall schuldigen Arbeitskollegen" i n JZ 1959, S. 748 ff.; Ohr, „Haftungsbeschränkung f ü r Arbeitnehmer. K r i t i k an dem Beschluß des Großen Senats des B A G " i n N J W 1960, S. 1593 ff.; Schultz, „Die Rechtsstellung des durch Arbeitsunfall verletzten Arbeitnehmers" i n JR 1960, S. 361 ff.; Steindorff, „Fahrlässigkeit der Arbeitnehmer" i n JZ 1959, S. 1 ff. 8

Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 637 R V O A n m . 2 a. E. Vgl. R A G E. v. 12. 6.1937 i n A R S Bd. 30, S. 1 ff. (bes. S. 6 f.) u n d E. v. 14.1.1941 i n ARS Bd. 41, S. 259 ff. (265). 10 GrS B A G Beschluß v o m 25. 9.1957 VersR 1958, S. 54 ff. (55). 9

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

ersatz verlangen könne, wenn die Eigenart der vom A N zu leistenden Dienste es m i t sich bringe, daß dem A N Fehler unterlaufen, die — für sich allein betrachtet — zwar jedes M a l vermeidbar waren, also fahrlässig herbeigeführt wurden, i n denen jedoch i m Hinblick auf die menschliche Unzulänglichkeit als m i t einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen sei. Diesen Rechtsgrundsatz hat das RAG aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und der vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsgefahr abgeleitet. d) EigenVers, des ANs. gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfall zu Lasten sonstiger Dritter Schließlich besteht i n der Regel auch kein Interesse des ANs. am Abschluß einer Versicherung gegen eine Haftpflicht aus Personen- oder Sachschaden, den er einem sonstigen Dritten durch eine betriebliche Tätigkeit zugefügt hat. Denn infolge richtiger Weiterentwicklung des eben aufgezeigten Rechtsgrundsatzes bezüglich der Haftung des ANs. gegenüber dem Arbeitgeber hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung 11 dem AN, der bei Ausübung der i h m übertragenen gefahrengeneigten Arbeit einen Dritten nicht grob fahrlässig geschädigt hat, einen Anspruch folgender A r t gegen seinen Arbeitgeber gewährt: Der Anspruch richtet sich auf gänzliche oder je nach den Umständen anteilmäßige Freistellung von seiner Ersatzpflicht, die er (AN) gegenüber dem geschädigten Dritten hat. Weiterhin richtet sich — insoweit wandelt sich der Freistellungsanspruch i n einen Schadensersatzanspruch des ANs. gegenüber dem Arbeitgeber — der Anspruch auf Ersatz dessen, was er dem Dritten bereits geleistet hat. Der Freistellungsanspruch des ANs. gegenüber dem Arbeitgeber findet seine Begründung hauptsächlich darin, daß letzterer die schadenbringende Betriebsgefahr wirtschaftlich nutzt 1 2 . e) Entsprechungen und Abwandlungen i n der gesetzlichen U V Aus den Darlegungen erhellt, daß es hinsichtlich des zu versichernden Risikos des ANs. i n Gestalt von Unfall oder Haftpflicht keine Kollision 11 Vgl. R A G E. v. 18.12.1940 i n A R S Bd. 41, S. 55 ff.; E. v. 30.9.1941 i n ARS Bd. 43, S. 108 ff.; Beschluß des GrS B A G v o m 25. 9.1957 i n VersR 1958, S. 54 ff. (55). 12 Vgl. hierzu auch Jannott, „Haftpflichtversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 4, Zusatzheft I I I 3, S. 81 ff. (147/148) unter: „RefLexwirkungen der HPflVers."

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3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

z w i s c h e n P r i v a t V e r s . u n d gesetzlicher U V g i b t . Es b e w a h r h e i t e t sich d i e schon z u v o r getroffene F e s t e i l u n g 1 3 , daß die P r i v a t V e r s . — v o r a u s gesetzt, sie w i r d ü b e r h a u p t b e a n s p r u c h t — l e d i g l i c h D e c k u n g s l ü c k e n der gesetzlichen U V schließt u n d erstere n i c h t m i t l e t z t e r e r u m die A b d e c k u n g e i n u n d desselben R i s i k o s w e t t e i f e r t . W e i t e r h i n w i r d d e u t l i c h , daß es a u f d e m G e b i e t e d e r E i g e n V e r s . des A N s . gegen U n f a l l u n d H a f t p f l i c h t k e i n e E n t s p r e c h u n g d e r g e n a n n t e n P r i v a t V e r s Z w e i g e i n d e r gesetzlichen U V g i b t .

3. Keine Kollision zwischen und gesetzlicher UV bei EigenVers.

PrivatVers. des Arbeitgebers

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a) E i g e n V e r s . des A r b e i t g e b e r s gegen U n f ä l l e z u m Schaden der eigenen P e r s o n Es f r a g t sich zunächst, ob der G r u n d s a t z d e r E i g e n V e r s . a u f d e m G e b i e t e der p r i v a t e n U V i n der F o r m , daß d e r A r b e i t g e b e r v e r t r a g l i c h eine a l l g e m e i n e U V gegen a l l e U n f ä l l e 1 5 e i n g e h t , die i n seiner eigenen P e r son e i n t r e t e n , i n d e r gesetzlichen U V eine E n t s p r e c h u n g findet. O b w o h l b e i d e r E i n f ü h r u n g der reichsgesetzlichen U V d e r V e r s S c h u t z der A N i m V o r d e r g r u n d d e r gesetzgeberischen M o t i v e s t a n d u n d n u r dieser P e r s o n e n k r e i s v o n d e m G r u n d s a t z a l l g e m e i n e n V e r s Z w a n g s beh e r r s c h t w a r , k a n n gemäß § 545 A b s . 1 Satz 1 R V O auch d e r A r b e i t g e b e r 18

Vgl. oben S. 208 unter A n m . 115. Gemeint ist nunmehr m i t dem Begriff „Arbeitgeber" derjenige, der mindestens einen A N beschäftigt: vgl. Wannagat, L B , 10. Abschn., §2, S. 251. Daß „die Gesetze", also auch die SozialVersGesetze, keine Legaldefinition des Begriffs geben, ist nicht mehr zutreffend (so noch Wannagat, a.a.O.). Der Arbeitgeberbegriff, w i e er sich i m Arbeitsrecht entwickelt hat [so definieren Hueck-Nipperdey (I. Bd., § 15, S. 88) als Arbeitgeber i. S. des Arbeitsrechts jeden, der einen anderen als A N beschäftigt], ist auch i n das Gesetz über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der SozialVers. (Selbstverwaltungsgesetz) v o m 22. Febr. 1951 i. d. F. v. 23. Aug. 1967 übernommen worden: gem. § 20 Abs. 1 S V w G gehören zur Gruppe der Arbeitgeber n u r die Personen, die regelmäßig mindestens einen beim VersTräger verspflichtigen A N beschäftigen. Gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 S V w G gehören i n der gesetzlichen U V zur Gruppe der Arbeitgeber auch die unfallversicherten Unternehmer u n d ihre unfallversicherten Ehegatten. I m übrigen setzen w i r die Begriffe A r b e i t geber u n d Unternehmer (vgl. § 658 Abs. 2 Ziff. 1 u n d 2 RVO) i n dieser A r b e i t durchweg gleich, o b w o h l beide Begriffe i m strengen Sinne nicht identisch sind. Der Begriff des „Unternehmers" setzt nämlich zwar stets einen Betrieb, eine Einrichtung oder mindestens eine Tätigkeit, jedoch nicht notwendig die Beschäftigung v o n A r b e i t e r n voraus. Jedoch kommen sich beide Begriffe i n ihren Kernerscheinungen sehr nahe (vgl. Wannagat, a. a. O., S. 251). 14

15 Eine Beschränkung auf die Versicherung v o n Arbeitsunfällen wäre zwar theoretisch möglich, da die Arbeitgeber nicht k r a f t VersZwangs v o n der gesetzlichen U V erfaßt sind. Jedoch bietet die P r i v a t - U V eine solche V e r sicherimg nicht an (Auskunft des HUK-Verbands).

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

(Unternehmer), sofern er eine natürliche Person ist 1 6 sich selbst auf A n trag 1 7 i n den Kreis der Versicherten einbeziehen lassen. Hierunter fallen hauptsächlich Unternehmer, die nicht schon kraft Gesetzes (vgl. z. B. § 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO) oder kraft Satzung (vgl. § 543 Abs. 1 RVO) versichert sind und die gem. § 541 RVO versicherungsfrei sind 18 . Somit findet hier die EigenVers. gemäß der privaten U V i n der gesetzlichen U V eine Entsprechung. Eine Abwandlung der privaten U V i n der gesetzlichen U V ergibt sich allerdings daraus, daß i n diesem Zusammenhang der freiwillig versicherte Arbeitgeber nicht als V N zu bezeichnen ist. Denn das Vers Verhältnis kommt nicht — wie dafür erforderlich wäre 1 9 — i m Vertragswege zustande, sondern bereits auf Antrag, ohne daß dieser einer Annahme bedarf 20 . b) EigenVers. des Arbeitgebers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zum Schaden der A N aa) Personenschäden Des weiteren stellt sich die Frage, ob eine EigenVers. des Arbeitgebers gegen eine Haftpflicht aus Arbeitsunfällen gegenüber seinen A N angesichts des § 636 RVO noch aktuell ist. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber grundsätzlich bei fahrlässiger und selbst bei grobfahrlässiger Schadenzufügung nicht verpflichtet, seinem A N einen Personenschaden zu ersetzen. Nach herrschender Meinung 2 1 ist er auch nicht dazu verpflichtet, dem A N ein Schmerzensgeld gem. § 847 BGB zu bezahlen. 16 Vgl. Teutsch, „Die Versicherung der Unternehmer u n d unternehmerähnlichen Personen gegen Arbeitsunfälle i n der SozialVers." i n „Rechtsfragen aus der P r i v a t - u n d SozialVers.", S. 135 ff. (136). I n dieser Schrift sind ausführlich die Voraussetzungen dargelegt, unter denen sich Unternehmer u n d unternehmerähnliche Personen f ü r ihre eigene Person gegen Arbeitsunfälle versichern können. 17 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 545 RVO, A n m . 3. 18 Vgl. hierzu Lauterbach, U V - K o m m . , § 545 RVO A n m . 5. 19 Siehe hierzu oben unter I I 1: Terminologisches. 20 Vgl. Lauterbach, U V - K o m m . , § 545 R V O A n m . 3 a. 21 Vgl. zum Meinungsstand Lauterbach, U V - K o m m . , § 636 A n m . 27, S. 747, der überzeugend betont, „daß es der Sinn u n d Zweck der U V ist, den U n t e r nehmer grundsätzlich v o n allen Haftpflichtansprüchen, die aus einem Personenschaden erwachsen, zu befreien. Eine Durchbrechung dieses G r u n d gedankens würde also dem Sinn der Ablösung der Haftpflicht widersprechen". Der tiefere G r u n d dafür, w a r u m der Unternehmer grundsätzlich von allen Haftpflichtansprüchen, die aus einem Personenschaden erwachsen, befreit werden soll, liegt i n folgendem: § 636 R V O beruht auf dem Gedanken, daß der Arbeitgeber m i t ausschließlich von i h m zu bezahlenden Beiträgen an den VersTräger seine A N gegen Arbeitsunfälle sichert u n d somit Unfallfolgen stets ausreichend abdeckt. Diese Abdeckung erfolgt ohne Rücksicht darauf,

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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Angesichts dieser R e g e l u n g h a t der A r b e i t g e b e r r e g e l m ä ß i g k e i n e n a k u t e n B e d a r f , eine p r i v a t r e c h t l i c h e H P f l V e r s . bezogen a u f die H a f t pflicht aus Personenschäden seiner A N abzuschließen. D i e gesetzliche U V w i r k t i n s o w e i t bereits w i e e i n H P f l V e r s . Das d e m A r b e i t g e b e r d a r ü b e r h i n a u s noch angesichts der R e g e l u n g des § 636 A b s . 1 Satz 1 R V O v e r b l e i b e n d e R i s i k o i n b e z u g a u f Personenschäden, n ä m l i c h b e i vorsätzlicher H e r b e i f ü h r u n g des A r b e i t s u n f a l l s herangezogen z u w e r d e n , i s t n i c h t v e r s i c h e r b a r (vgl. § 152 V V G , § 4 Ziff. I I 1 A H B ) . bb) Sachschäden Z u r S i c h e r u n g gegen eine H a f t p f l i c h t aus Sachschäden, die e i n A r b e i t s u n f a l l v e r u r s a c h t h a t , — § 636 R V O b e z i e h t sich bereits s e i n e m W o r t l a u t nach n i c h t a u f Sachschäden 2 2 — k a n n d e r A r b e i t g e b e r eine B e t r i e b s H P f l V e r s . i. S. v o n § 151 A b s . 1 V V G 2 3 eingehen. ob der Arbeitgeber dazu nach zivilrechtlichen Schadensersatznormen i m E i n zelfall verpflichtet wäre. Wie Reinhardt u n d Schultz i n i h r e m Referat „Schadensersatzrecht u n d SozialVers. Das Ineinandergreifen zweier Rechtsgebiete als methodisches Problem" [in JuS 1961, S. 2 ff. (6)] zutreffend herausgearbeitet haben, soll der Arbeitgeber m i t dieser alle Zufälligkeiten umfassenden F ü r sorgeleistung das Seinige getan haben, er (oder sein Repräsentant, Aufseher usw.) soll nicht auch noch darüber hinaus auf Ersatz eines etwa die VersLeistungen übersteigenden Schadens i n Anspruch genommen werden dürfen. Aus der Sicht des A N s soll als Äquivalent f ü r die i h m v o m Arbeitgeber durch die gesetzliche U V gewährte umfassende Sicherung nicht noch das Recht bestehen, weitergehende Ansprüche gegen den Arbeitgeber (oder Gleichgestellte) zu erheben, selbst w e n n solche i m Einzelfall einmal nach allgemeinem H a f t pflichtrecht begründet wären. M i t h i n w i r d der Arbeitsunfall gewissermaßen aus dem Bereich der Schadensersatztatbestände herausgenommen u n d i m Verhältnis zwischen A r b e i t geber (und Gleichgestellten) u n d A N durch eine angemessene generelle Lastenverteilung abschließend geregelt. Aus diesen Überlegungen w i r d deutlich, daß die Ausschlußwirkung der §§ 636, 637 RVO sämtliche Ansprüche erfaßt, die dem A N wegen einer betriebsunfallbedingten Gesundheitsbeschädigung nach privatrechtlichen Haftungsnormen zustehen würden, m i t h i n auch Ansprüche auf Schmerzensgeld. Jedoch waren i m F r ü h j a h r 1972 aufgrund von Vorlagebeschlüssen einiger Gerichte mehrere Verfahren v o r dem B V e r f G anhängig. Das Problem ist, ob f ü r die Wahrung des Betriebsfriedens eine Verpflichtung des Unternehmers zur Zahlung von Schmerzensgeld bei selbst verschuldetem U n f a l l zu Lasten des A N s anzunehmen ist. I n der Tat wäre m. E. die Verwehrung solcher Ansprüche m i t Hinweis auf die R V O - V o r schriften w o h l verfassungwidrig. 22 Vgl. hierzu auch Lauterbach, U V - K o m m . , § 636 RVO A n m . 28. 23 Dazu, daß die BetriebsHPflVers. auch Sachschadendeckung gewährt, vgl. Heimbücher, „Die soziale F u n k t i o n der BetriebsHPflVers." i n V W 1966, S. 204 ff. (204). Z u r Abdeckung v o n Sachschäden u n d überhaupt zur A b d e k k u n g von Haftungsfällen, die von der gesetzlichen U V nicht versichert sind (z. B. i m Verhältnis zur B G i m Regreßfalle nach §§ 640, 641 RVO), findet sich f ü r die Möglichkeit der EigenVers. des Unternehmers i m Bereich der P r i vatVers. ein entsprechender Tatbestand i n § 762 Abs. 1 Satz 1 RVO. Z u r Befriedigung von nicht durch die gesetzliche U V gedeckten Bedürfnissen k ö n nen hiernach Vorstand und Vertreterversammlung der B G i m Zusammen15 v. Heinz

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

c) EigenVers. des Arbeitgebers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zu Lasten sonstiger Dritter Diese A r t der HPflVers. w i r d der Arbeitgeber regelmäßig auch gegen eine Haftpflicht aus Personen- und Sachschäden zu Lasten sonstiger Dritter i n Anspruch nehmen, soweit diese nicht i n den geschützten Personenkreis der Versicherten der gesetzlichen U V gehören (vgl. insbesondere § 539 Abs. 2 RVO). Von der BetriebsHPflVers. soll jedoch erst an späterer Stelle 24 die Rede sein. d) Entsprechungen und Abwandlungen i n der gesetzlichen U V Es ist auch hier festzuhalten, daß es hinsichtlich der EigenVers. des Arbeitgebers (Unternehmers) keine Kollision der privaten Unfall- und HPflVers. m i t der gesetzlichen U V bezüglich der abzusichernden Risiken gibt. Die private EigenVers. des Arbeitgebers gegen Unfall findet i n der freiwilligen Versicherung i. S. der gesetzlichen U V eine Entsprechung. Die nur theoretisch denkbare private Versicherung des Arbeitgebers gegen eine Haftpflicht aus Arbeitsunfällen des ANs. findet sich i n der gesetzlichen U V dahin abgewandelt 25 verwirklicht, daß letztere wie eine HPflVers. w i r k t : Jahn 2 6 nennt diese abgewandelte HPflVers. der Arbeitgeber zutreffend „Sozialhaftpflichtversicherung" 27 .

w i r k e n eine zusätzliche HPflVers. für Unternehmer (i. S. von §658 Abs. 2 RVO) u n d ihnen i n der Haftpflicht Gleichstehende (vgl. §§ 636 Abs. 2, 641 RVO) einführen. Hierbei würde es sich u m eine ZusatzVers. zur gesetzlichen U V handeln (vgl. Dersch—Knoll—Brockhoff u. a.: K o m m , zum gesamten Recht der R V O einschl. zwischenstaatlicher A b k o m m e n u n d internationaler Übereinkommen, § 762 R V O A n m . 1, S. 350/13). Da es solche Haftpflichtanstalten i m Rahmen der gewerblichen BGen bisher nicht gibt, vielmehr n u r bei den landwirtschaftlichen BGen einige Einrichtungen dieser A r t vorhanden sind (vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§ 762—764 RVO, S. 271), sollen sie hier nicht weiter beleuchtet werden. Hervorzuheben ist, daß VersVerhältnisse, die m i t solchen Anstalten begründet werden, gem. § 190 Satz 2 V V G nicht den Vorschriften des V V G unterliegen. Vielmehr gelten auch f ü r sie die Bestimmungen der RVO, obwohl diese Anstalten keine Zwangsverbände darstellen. Rechtsträger dieser Haftpflichtanstalten sind die (landwirtschaftlichen) BGen, § 763 Satz 1 RVO [vgl. hierzu bereits J. v. Gierke, „ D i e öffentlichen VersAnstalten (des sog. PrivatVersRechts)" i n Z H R Bd. 109 (1943), S. 157 ff. (242,243)]. 24

Siehe dazu unten S. 233 ff. unter 3. Es sei nochmals betont, daß die UnternehmerVers. keine HPflVers. i m eigentlichen Sinne ist, da der Arbeitgeber durch die Vorschrift des § 636 RVO grundsätzlich von der Haftpflicht freigestellt ist, u n d der Anspruch sich regelmäßig nicht gegen den Arbeitgeber, sondern unmittelbar gegen den VersTräger richtet. D a m i t sind also die gängigen Anspruchsgrundlagen auf Schadensersatz abgeschnitten: Es fehlt hierdurch an den „gesetzlichen Haftpflicht25

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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I I I . Die Versicherung dritter Personen — Entsprechungen und Abwandlungen der privaten U V und HPfiVers. i n der gesetzlichen U V 1. Terminologisches — Grundtypen

in der PrivatVers.

a) Reduzierung der theoretischen Möglichkeiten i n der PrivatVers. auf die vom Gesetzgeber geschaffenen Typen Ernst von der Thüsen 28 zeigt alle theoretischen Möglichkeiten einer privaten Versicherung auf, indem er darlegt, daß eine Versicherung eine solche auf die eigene oder auf die Person eines anderen sein kann, und diese beiden Arten entweder i m eigenen oder i m fremden „Interesse" 29 abgeschlossen werden können. Es würden sich — theoretisch — somit vier Möglichkeiten ergeben: — EigenVers, auf die eigene Person (Regelfall der EinzelUV und -HPflVers.). I h n haben w i r i m Vorhergehenden beleuchtet: er soll deshalb i m weiteren außer Betracht bleiben; — EigenVers. auf die Person eines anderen; — FremdVers. auf die eigene Person; — FremdVers. auf eine andere Person. Die drei noch verbleibenden Typen, die eine Versicherung Dritter beinhalten können, hat der Gesetzgeber jedoch zusammengefaßt und lediglich zwischen zwei Formen unterschieden, nämlich — der FremdVers. auf die Person eines anderen und — der EigenVers. auf die Person eines anderen. Diese beiden verbleibenden Formen sind als Grundtypen i m V V G geregelt.

bestimmungen privatrechtlichen Inhalts" (§ 1 Ziff. 1 A H B ) , aufgrund deren der Arbeitgeber v o n seinem A N i n Anspruch genommen werden kann. 26 I n Allgemeine SozialVersLehre, 3. Kap., S. 76. 27 Vgl. hierzu Gitter, a. a. O., S. 76, der der UnternehmerVers. innerhalb der gesetzlichen U V ebenfalls nur die Funktion einer HPfiVers. zuerkennt, jedoch (zu Recht) i n Abrede stellt, daß die UnternehmerVers. HPfiVers. sei. 28 „Ansprüche aus k o l l e k t i v e n Unfallversicherungen" i n „Rechtsfragen der IndividualVers.", Festgabe f ü r Prölss, S. 256 ff. (263). 29 Prölss, W G - K o m m . , Vorb. v o r § 51, S. 255, nennt das „Interesse" den „Zentralbegriff der Versicherung". Das Interesse stellt nach Prölss nichts anderes dar, als den subjektiven Bestandteil des Schadens, den der V e r sicherer gem. § 1 Abs. 1 W G [Satz 1 (für die SchadensVers., also auch die HPfiVers.) u n d Satz 2 (für die UV)] zu ersetzen hat. Dieser subjektive Schadensbestandteil drückt sich d a r i n aus, daß V N u n d Versicherter einen möglichen Schaden als „ i h r e n Schaden" empfinden (Prölss, a. a. O., S. 256). 15*

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

b) Die FremdVers. auf die Person eines anderen als Grundtypus Bei ihr handelt es sich u m die einfache Versicherung für fremde Rechnung 3 0 i. S. von § 74 Abs. 1 VVG. Der V N versichert hier das Interesse eines anderen (ein fremdes Interesse, z. B. i n Form eines Körperschadens i n der UV, eines Vermögensschadens i n der HPflVers.) dergestalt, daß dem anderen, i n dessen Person das Schadenereignis eintritt, das Hauptrecht aus dem Vertrage zusteht (§ 75 Abs. 1 Satz 1 VVG). Es fallen also die Stellung des VNs. und des Versicherten auseinander 31 . Nach der absolut herrschenden Lehre 3 2 liegt ein Vertrag zugunsten eines Dritten i. S. der §§ 328 ff. BGB vor. Der VN, der die Hauptpflichten (ihn allein trifft z. B. die Prämienzahlungspflicht) des Vertrages zu tragen hat, hat demgemäß einen A n spruch auf Leistung an den Dritten, während dem Dritten als Versicherten ein abgespaltenes Forderungsrecht auf die VersLeistung zukommt: Er ist unmittelbar aus dem Vertrage berechtigt. Diese A r t der Versicherung ist ohne Nachweis eines Interesses des VNs. zulässig. Betätigt sich nämlich das Ereignis an einem Dritten, soll diesem aber die versprochene VersLeistung zukommen, so ergibt sich die Vorsorgebedürftigkeit aus der selbstverständlichen Beziehung zu seiner eigenen Person 33 . A n dieser Stelle mag der Hinweis genügen, daß die ,FremdVers. auf die Person eines anderen' = Versicherung für fremde Rechnung gegen i n der Person dieses anderen eintretende Schäden' i n den verschiedensten Ausgestaltungen anzutreffen ist. Insoweit diese i n der privaten U V und HPflVers. vorkommen und sich für einen Vergleich mit ähnlichen 30 Der Vorschlag Brucks (Das Interesse, ein Zentralbegriff der Versicherung, S. 8), die „Versicherung f ü r fremde Rechnung" besser „Versicherung fremder Interessen" zu nennen, hat sich nicht durchgesetzt. 31 Siehe hierzu auch Hug, „PrivatVers. u n d SozialVers., Versuch zu ihrer begrifflichen Umschreibung u n d Abgrenzung nach rechtlichen Merkmalen" i n SZS 1963, S. 1 ff. (19). 32 So bereits J. v. Gierke, a. a. O., 1. Hälfte, 4. Kap., § 11, S. 120, m i t weiteren Literaturhinweisen. Abweichende Meinungen sind bei Kisch (Handbuch des PrivatVersRechts, 3. Bd., § 59, S. 384 ff.) angeführt; sie interessieren aber heute nicht mehr. Kisch selbst (a. a. O., S. 380) sah ebenfalls die FremdVers. auf die Person eines anderen als Vertrag zugunsten eines D r i t t e n an. Denn v o n einem solchen könne man, wie er zu Recht meinte, jedenfalls dann reden, w e n n ein D r i t t e r aus dem v o n einer anderen Person eigenen Namens geschlossenen Vertrag „ u n m i t t e l b a r " (vgl. § 328 Abs. 1 BGB), d. h. ohne eigene M i t w i r k u n g am Vertrag, ein Recht gegen einen der Kontrahenten erwerbe. Das trifft hier i n der Tat zu. Denn aus dem durch den V N eingegangenen Vertrag erwächst dem D r i t t e n die VersForderung. Durch den Vertragsschluß verspricht der Versicherer seinem Gegenkontrahenten, dem VN, den einem D r i t t e n entstehenden VersSchaden zu ersetzen. 33 Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., 1. Hälfte, § 9, S. 101.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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Erscheinungen i n der gesetzlichen U V anbieten, werden sie noch an späterer Stelle 34 des näheren dargelegt. c) Die EigenVers. auf die Person eines anderen als Grundtypus Hier ist die Versicherung so konstruiert, daß sie ,auf eigene Rechnung des VNs.' geht. Das bedeutet: jemand, nämlich der VN, bringt ein fremdes Interesse i n der Weise unter Versicherung, daß i h m selbst (VN) regelmäßig die VersForderung zusteht 35 . I n diesem Fall bezeichnen w i r denjenigen, für dessen Rechnung die Versicherung geht, als V N und zugleich Versicherten, während derjenige, an dessen Körper oder Vermögen sich das Ereignis betätigt, Gefahrperson = Gefahrträger genannt werden soll 36 . Es versteht sich, daß eine solche EigenVers. auf die Person eines anderen nur dann zulässig ist, wenn sich die Vorsorgebedürftigkeit des VNs. aus Beziehungen des VNs. zur Gefahrperson ergibt 3 7 . Ließe man nämlich dieses Erfordernis fallen, könnte also die EigenVers. auf die Person eines beliebigen Dritten genommen werden (Versicherung fremder Gesundheit eines x-beliebigen Dritten auf eigene Rechnung), so läge ein Vers Vertrag i m Gewände eines Spielvertrages vor, der als WettVers. zu bezeichnen und als Spiel zu behandeln wäre (vgl. § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die erforderlichen Beziehungen zwischen V N und Gefahrperson, die eine Vorsorgebedürftigkeit des VNs. begründen, können sich aus familienrechtlichen, vermögensrechtlichen, sozialen und wirtschaftlicher Zusammenhängen ergeben 38 . Schließlich sei noch als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung der EigenVers. auf die Person eines anderen erwähnt, daß eine Verpflichtung des VNs. bestehen muß, die VersLeistungen dem anderen unmittelbar oder mittelbar zuzuwenden 39 . Hierbei kommt als Fall einer mittelbaren Zuwendung i n Betracht, daß der V N 94

Dazu unten S. 230 ff. Vgl. J. v. Gierke, a.a.O., 1.Hälfte, 4. Kap., §11, S. 127; auch Knochenhauer, Das Recht der Lebens- u n d der Unfallversicherung, S. 72. 38 Eine terminologische Festlegung erscheint notwendig, w e i l zuweilen i n der Praxis die Person, auf die die Versicherung genommen w i r d , ebenfalls als „Versicherter" bezeichnet w i r d (vgl. hierzu den Hinweis J. v. Gierkes, 1. Hälfte, 4. Kap., § 11, S. 125). Die Bezeichnung „Versicherter" soll jedoch n u r f ü r denjenigen gebraucht werden, dem zunächst das Hauptrecht aus dem Vers Verhältnis zusteht. Dies ist i n diesem Falle jedoch der V N . 37 Es genügt also nicht, daß ein Ereignis vorliegt, das — abstrakt betrachtet — der Vorsorge bedürftig ist, oder daß eine typisch wirtschaftlich nachteilige Tatsache i n Betracht kommt. 38 Vgl. hierzu J. v. Gierke, 1. Hälfte, § 9, S. 101. 39 Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., § 11, S. 127. 35

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

die Zahlungen des Versicherers entgegennimmt und aus den eingegangenen Geldern seine etwaigen Regreßansprüche gegen den Dritten deckt. Zub) und c): Ausprägung i n Gestalt der MehrheitsVers. ( = KollektivVers.). Die unter b) und c) dargelegten Grundtypen der Versicherung dritter Personen treten i n Form der Einzel- und der MehrheitsVers. auf. W i r betrachten es hier als unsere Aufgabe, allein die MehrheitsVers. weiterhin zu beleuchten, da sich vor allem für sie vergleichbare Tatbestände i n der gesetzlichen U V finden. Eine MehrheitsVers. umfaßt eine Mehrheit von Personen oder Interessen40. Sie findet wiederum eine uns hier interessierende Ausgestaltung i n der GesamtVers. Diese ist dadurch charakterisiert, daß durch einen einheitlichen Vertrag, i n der Personen- und HaftpflichtVers. i n bezug auf mehrere Personen, gegen dieselbe Gefahr oder gegen gleichartige Gefahren Versicherung genommen wird 4 1 . Die GesamtVers. schließlich begegnet uns hauptsächlich i n der Ausformung der sog. Gruppen Vers., deren Spezialtypen auf den Gebieten der U V und HPflVers. nunmehr insoweit untersucht werden sollen, als sie uns die verschiedenen Konstellationen der Beteiligten des Vers Verhältnisses aufzeigen. 2. Spezialtypen der GruppenVers. in der privaten UV a) Gruppen-UV zugunsten der Gruppenmitglieder Als Ausgestaltung des Grundtypus ,FremdVers. auf die Person eines anderen 4 begegnet uns zunächst als Spezialtypus die ,Gruppen-UV zugunsten der Gruppenmitglieder' 42 . Sie w i r d also für fremde Rechnung genommen, so daß gem. § 179 Abs. 2 Satz 2 W G die Vorschriften der §§ 75—79 W G entsprechende Anwendung finden. Hier sind die Gruppenmitglieder m i t h i n nicht nur bloße Gefahrpersonen i m dargelegten Sinne (oben 1 c), sondern echte Versicherte. A l l e i n ihnen stehen gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 W G die Ansprüche aus der Versicherung zu.

40 41 42

Vgl. hierzu J. v. Gierke, a. a. O., § 9, S. 106. Vgl. J. v. Gierke, a. a. O., § 9, S. 106. Vgl. Millauer, Rechtsgrundsätze der GruppenVers., § 9, S. 80.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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b) Gruppen-UV zugunsten des VNs. Weiterhin kommt als Ausformung des Grundtypus ,EigenVers. auf die Person eines anderen' die,Gruppen-UV zugunsten des VNs.' 43 vor. Gem. § 179 Abs. 3 Satz 1 V V G ist für eine solche auf eigene Rechnung des VNs. genommene UnfallfremdVers. zur Gültigkeit die schriftliche Einwilligung des anderen erforderlich. I m privatversrechtlichen Schriftt u m und i n der VersRechtsprechung ist heftig umstritten, ob bei Nichterfüllung dieses Erfordernisses die Nichtigkeit der Mitversicherung des einzelnen Risikos anzunehmen ist oder i n einem solchen Falle die Versicherung ohne weiteres als für fremde Rechnung genommen zu behandeln ist. Zu diesem Problem soll jedoch erst später 44 Stellung genommen werden, da es i n engem Zusammenhang m i t der Entstehung des Vers Verhältnisses steht. Zu a) und b): Automatische Versicherung (Versicherung ohne Namensmeldung) — GruppenVers. m i t rechtsbegründender Anmeldung. Erwähnt sei noch, daß sich als nähere Ausgestaltung beider genannten Spezialtypen i n der Praxis, wie Millauer ausführt 45 , zwei feste Formen entwickelt haben, die zum ersten von dem Gesichtspunkt bestimmt werden, i n welchem Umfang die Gruppe i n die Versicherung einbezogen w i r d und zum anderen davon, wie die einzelnen VersLeistungen 48 bemessen werden. Diese Arbeit w i l l sich lediglich m i t den Ausgestaltungen unter dem ersten Gesichtspunkt befassen. Dem Unternehmer stehen hierbei folgende zwei Möglichkeiten der Vertragsausgestaltung zur Wahl 4 7 : aa) sollen m i t Ausnahme derjenigen, die gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 A U B als nicht versfähig von vornherein aus der Gruppe ausgeklammert werden müssen (Geisteskranke, Blinde, von Epilepsie oder schweren Herzleiden befallene Personen usw.), alle Gruppenrisiken unter Versicherung gebracht werden, so empfiehlt sich für die Parteien die ,automatische Versicherung 43 44 45 48 47

Vgl. Millauer, a. a. O., § 9, S. 78. Siehe unten S. 327 ff. a. a. O., S. 83. Vgl. zur letzteren Möglichkeit des näheren Millauer, a. a. O., S. 84. Siehe hierzu Millauer, a. a. O., § 9, S. 83 u n d § 2, S. 16 ff.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Sie erfaßt als „Idealfall der GruppenVers." 48 die Risiken der Gruppe zu 100 % i n deren jeweiligem, wechselnden Bestand zu jedem denkbaren Zeitpunkt. Der Versicherer verzichtet i n diesem Falle regelmäßig auf die namentliche Bezeichnung der Versicherten bzw. Gefahrpersonen: „Versicherung ohne Namensmeldung" 49. Diese Vertragsausgestaltung kommt hauptsächlich für die ,GruppenU V zugunsten der Gruppenmitglieder' ( = Gruppen-UV für fremde Rechnung) vor, da sie am wenigsten Verwaltungsarbeit verursacht; bb) sollen nicht alle Gruppenrisiken unter Versicherung gebracht werden, w e i l dies nicht beabsichtigt, nicht sicher, nicht möglich oder jedenfalls für die Zukunft nicht gewährleistet ist 5 0 , so entscheiden sich die Parteien regelmäßig für die „GruppenVers. mit rechtsbegründender Anmeldung". Sie kommt regelmäßig bei einer ,Gruppen-UV zugunsten des VNs.' ( = Gruppen-UV für eigene Rechnung des VNs.) i n Betracht. Zu aa) und bb): Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal beider VersFormen ergibt sich m i t h i n die Erforderlichkeit und rechtliche Wirkung der Anmeldung, die uns i m nächsten Kapitel 5 1 des näheren beschäftigen wird. c) Versicherungsnehmer und Versicherte dieser Spezialtypen und versicherte Risiken i n der Praxis I n der Praxis 5 2 w i r d die Gruppen-UV weitaus i n der Mehrzahl zugunsten der Gruppenmitglieder (oben a) genommen. Als V N kommen die für unsere Untersuchungen i n erster Linie wichtigen Unternehmer 53 i n Betracht, demgemäß als Versicherte (bzw. Gefahrpersonen) die Arbeitnehmer. Letztere werden regelmäßig gegen Unfälle versichert, die der Betrieb i m weiteren Umfange m i t sich bringt, von der gesetzlichen U V jedoch nicht gedeckt werden, wie etwa Unfälle bei (im engeren Sinne) nichtbetrieblichen Sportveranstaltungen 54 und Reisen, soweit sie nicht als 48

Vgl. Millauer, a. a. O., § 2, S. 16. Vgl. Millauer, a. a. O., § 9, S. 84. 50 Vgl. hierzu Millauer, a. a. O., § 2, S. 19. 51 Siehe unten S. 314 ff. (S. 331 ff. unter D.). 52 Nach A u s k u n f t des Gesamtverbandes der VersWirtschaft e. V. i n K ö l n boten i m Jahre 1967 89 VersUnternehmen eine solche G r u p p e n - U V an. 53 Millauer, a. a. O., § 9, S. 83, f ü h r t w e i t e r h i n Vereine, Anstalten i m w e i testen Sinne u n d sonstige Einzelpersonen als V N an. 54 Vgl. Millauer, a.a.O., §9, S. 83 sowie Lauterbach, U V - K o m m . , §548 R V O A n m . 44 unter 5 c, S. 222. 49

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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Arbeitsunfälle i. S. von § 548 RVO anzusehen sind 55 . Auch kann — nach Auskunft des Gesamtverbandes der VersWirtschaft — der VersSchutz i n der Police gegenüber der normalen M i tVers, privater Unfallgefahr auch eingeschränkt werden auf die Deckung zeitlich begrenzter Gefahren, etwa für die Dauer von Dienstreisen oder für die reine Arbeits- und Wegezeit. 3. Spezialtypen der GruppenVers. und sonstiger Versicherung dritter Personen in der HPflVers. a) Gruppen-HpflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder Als Ausformung wiederum des Grundtypus ,Fremd Vers, auf die Person eines anderen' w i r d die HPflVers. als ,Gruppen-HPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder' i n Form der sog. BetriebsHPflVers. i. S. von § 151 Abs. 1 V V G genommen. Der Versichertenkreis nach dem Wortlaut des § 151 Abs. 1 V V G ist jedoch nur klein: Die HPflVers. erstreckt sich nach Satz 1 a. a. O. nur „auf die Haftpflicht der Vertreter des VNs. sowie auf die Haftpflicht solcher Personen, welche er zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder eines Teiles des Betriebes angestellt hat". Bleibt der Versichertenkreis auf die vom Gesetz genannten Personen beschränkt, so kann nicht von einer ,Gruppen-HPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder' gesprochen werden. Dies w i r d i m folgenden unter b) zu begründen sein. § 151 Abs. 1 V V G ist jedoch abdingbar 56 . Dies läßt die Möglichkeit zu — und ihre Ausnutzung ist heute allgemein üblich 5 7 —, daß auch die gesetzliche (d. h. bereits vom § 151 Abs. 1 Satz 1 W G zugelassene) Haftpflicht sämtlicher übrigen Betriebsangehörigen (Arbeitnehmer usw.) für Schäden eingeschlossen wird, die sie i n Ausführung ihrer dienstlichen Verrichtungen verursachen. Die BetriebsHPflVers. w i r d also erst unter der Voraussetzung ,GruppenVers. zugunsten der Gruppenmitglieder', daß „sie entweder für alle Arbeitnehmer oder doch wenigstens für einen größeren als den i n § 151 Abs. 1 Satz 1 W G umrissenen Kreis . . . genommen w i r d . " 5 8 Soweit es sich nicht u m die von § 151 Abs. 1 Satz 1 V V G eingeschlossene EigenHPflVers. des VNs. handelt, ist hier die HPflVers. bezüglich 55 Vgl. zur Abgrenzung des näheren Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu § 548 RVO, S. 42. 56 Vgl. Prölss, W G - K o m m . , § 151 A n m . 5. 57 Vgl. Heimbücher, „Die soziale F u n k t i o n der BetriebsHPflVers." i n V W 1966, S. 204 ff. (204 unter 4.). 58 So Millauer, a. a. O., § 10, S. 85; vgl. auch § 1, S. 12, a. a. O.

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3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

der MitVers. der Gruppenmitglieder Versicherung für fremde Rechnung' i. S. der §§ 74 ff. W G . Dies beinhaltet, daß die Gruppenmitglieder nicht lediglich als Gefahrpersonen, sondern als echte Versicherte m i t eigenen Rechtsansprüchen anzusehen sind. Als nähere Vertragsausgestaltung der (erweiterten) BetriebsHPflVers. i n Form der ,Gruppen-HPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder', also bei geschlossener Einbeziehung aller Gruppenmitglieder, kommt regelmäßig die Versicherung eines wechselnden Personenkreises unter Verzicht des Versicherers auf die namentliche Bezeichnung der Gruppenmitglieder i n Betracht 59 : ,automatische Versicherung ohne Namensmeldung' (vgl. oben 2 b, aa). b) HPflVers. zugunsten des VNs. und der anderen i n § 151 Abs. 1 Satz 1 W G genannten Personen Es leuchtet ohne weiteres ein, daß keine Gruppen Vers, vorliegt, wenn der Unternehmer als V N i. S. von § 151 Abs. 1 Satz 1 W G sich selbst gegen seine Haftpflicht aus seinem Geschäftsbetrieb versichert. Eine Gruppen Vers, liegt jedoch auch nicht einmal dann vor, wenn sich diese so genommene BetriebsHPflVers. — wie § 151 Abs. 1 Satz 1 W G es vorschreibt — auf Dritte erstreckt, die der V N m i t seiner Vertretung oder m i t der Beaufsichtigung seines Betriebes betraut hat, und diesen Dritten eigene Ansprüche verleiht. Dies findet seine Begründung darin, daß — wie Millauer 6 0 klar herausgearbeitet hat — jene A r t der Versicherung nicht primär für diese Personen genommen wird, sich vielmehr deren eingeschlossene MitVers. als lediglich unselbständiger Annex der EigenVers, des VNs. (Arbeitgebers) darstellt 8 1 . Daß nämlich — so führt der genannte Autor folgerichtig aus 62 — die MitVers. jener Personen nicht als wesentliches Moment des Vertrages anzusehen ist, ergibt sich bereits daraus, „daß i m Einzelfalle solche Personen überhaupt nicht vorhanden sein müssen und es effektiv häufig auch gar nicht sind, w e i l der Unternehmer seinen Betrieb i n allen Funktionen selbst leitet und überwacht, statt sich m i t anderen i n die Verantwortung zu teilen. Daran zeigt sich deutlich, daß die i n Frage stehende ,Erstreckung' des VersSchutzes i n Wirklichkeit gar 59

Vgl. hierzu Millauer, a. a. O., § 10, S. 86. a. a. O., § 10, S. 85; vgl. auch dortselbst § 1, S. 11. 81 Z u trennen v o n der BetriebsHPflVers. ist die sonstige HPflVers., für die der Arbeitgeber zum Schutze des A N s (z. B. auf dem Kraftfahrzeugsektor) zu sorgen hat. Vgl. hierzu Baumbach-Duden, Handelsgesetzbuch m i t Nebengesetzen ohne Seerecht, § 59 H G B , A n m . 8 G, S. 210, m i t Hinweis auf B A G E. v. 9. 8.1966 Bd. 19, S. 51 ff. (55). 62 a. a. O., § 10, S. 85. 60

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

235

nicht zu dessen Erweiterung führt, sondern lediglich einer innerbetrieblichen Verlagerung der Verantwortung und damit der versicherten Gefahr Rechnung trägt". Der durch § 151 Abs. 1 Satz 1 W G begünstigte Personenkreis ist regelmäßig ebenso wie der Unternehmer selbst den m i t dem Betrieb verbundenen Haftpflichtgefahren ausgesetzt. Wäre lediglich die persönliche Verantwortlichkeit des Unternehmers gedeckt, so könnten, worauf Heimbücher 63 zu Recht hinweist, die sich hieraus ergebenden Verwicklungen den Nutzen der BetriebsHPflVers. i n Frage stellen. Erst die Erstreckung der HPflVers. auf die genannten dritten Personen läßt die wirtschaftliche Einheit des Betriebes zutagetreten. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß w i r hier eine gesetzlich fixierte ,EigenVers. auf die Person eines anderen' vor uns haben. Die BetriebsHPflVers. i. S. des Wortlauts des § 151 Abs. 1 Satz 1 V V G — d. h. ohne Erweiterung des VersSchutzes auf andere Personen — ist FremdVers. 64 , nicht nur gilt sie als solche (so § 151 Abs. 1 Satz 2 W G ) . Eine Pflicht zur Namensmeldung des außer dem V N (Arbeitgeber) selbst gem. § 151 Abs. 1 Satz 1 W G versicherten Personenkreises gegenüber dem V U entfällt, da sich der HPflVers-Schutz kraft Gesetzes auf diesen Personenkreis erstreckt. c) Versgeschützte dieser Spezialtypen i n der Praxis I n der Praxis 6 5 w i r d die BetriebsHPflVers. hauptsächlich, wie hier schon erwähnt wurde 6 8 , i m Vertragswege zur Gruppen-HPflVers. ausgebaut. Eine solche GruppenHPflVers. kann grundsätzlich nur über die Unternehmer-HPflVers. geboten werden 6 7 , da die immerhin denkbare Möglichkeit, daß die Unselbständigen, i n abhängiger Stellung Tätigen von sich aus eine BetriebsHPflVers. anstreben und abschließen, letztlich die Notwendigkeit für den Unternehmer, sich gegen Haftpflicht zu versichern, nicht wegfallen lassen würde. Ansprüche werden nämlich ohnehin vorwiegend gemäß den Zurechnungsvorschriften der §§ 278, 831 BGB gegen den Unternehmer gerichtet, auch wenn die Arbeiter/Angestellten das schädigende Ereignis ver68

„Die soziale F u n k t i o n der BetriebsHPflVers." i n V W 1966, S. 204 ff. (204). So Prölss, W G - K o m m . , § 151 A n m . 3, S. 566. 65 L t . Neumanns Jahrbuch der deutschen VersWirtschaft, begr. v o n Carl Neumann, T e i l I I (Schaden- u n d RückVers.), S. 259 ff., w u r d e i m Jahre 1967 die BetriebsHPflVers. v o n 77 V U betrieben. 66 Vgl. oben S. 233. 67 Vgl. Heimbücher, a. a. O., S. 204. 64

236

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

wirklicht haben. Überdies ist die Realisierung eines berechtigten A n spruchs gegen einen vermögenslosen AN, der zwar haftpflichtversichert ist, jedoch für den die HPflVers.-Deckungssumme übersteigenden Schaden nicht aufzukommen vermag, nicht möglich. Es bestünde dann doch wiederum die Gefahr, daß sich der Geschädigte an den Unternehmer zu halten versucht. d) Zu versichernde Risiken i n der BetriebsHPflVers. aa) Tabellarische Zusammenstellung Angesichts unserer obigen Ausführungen zu den von der privaten HPflVers. und der gesetzlichen U V i n Deckung genommenen Risiken 68 ist hier noch die Frage zu beantworten, welche Risiken nunmehr für die BetriebsHPflVers. i. S. von § 151 Abs. 1 V V G — theoretisch — verbleiben, wenn man eine Haftung aus Bestimmungen privatrechtlichen Inhalts zugrunde legt, die auf dem Verschuldensprinzip aufbauen. Es ergibt sich hierbei das auf S. 240 f. dieser Arbeit aufgezeigte Bild. bb) Zusammenfassung der theoretischen Möglichkeiten Aus der Zusammenstellung auf S. 240 f. dieser Arbeit ergeben sich dam i t folgende Risiken, die theoretisch durch eine BetriebsHPflVers. abzudecken wären: bezüglich der — Haftpflicht des Arbeitgebers aus fahrlässig und grobfahrlässig 69 dem A N zugefügtem Sachschaden; aus fahrlässig und grobfahrlässig einem sonstigen Dritten zugefügtem Personen- und/oder Sachschaden; aus dem Regreßanspruch des SVTs gem. § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO aufgrund grobfahrlässiger Schadensherbeiführung durch den Arbeitgeber; aus dem Freistellungsanspruch des ANs, nachdem dieser einem A r beitskollegen fahrlässig einen Sachschaden zugefügt hat; aus dem Freistellungsanspruch des ANs, nachdem dieser fahrlässig einem sonstigen Dritten einen Personen- und/oder Sachschaden zugefügt hat. 68

Siehe 3. Kap., 1. Abschn., I I 2 b, c, d u n d I I 3 b, c. Z u m Begriff der groben Fahrlässigkeit siehe RGZ E. v. 26. 5.1933, Bd. 141, S. 129 ff. (131), wonach unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu prüfen ist, „ob die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt i n ungewöhnlich großem Maße verletzt worden u n d ob das unbeachtet geblieben ist, was i m gegebenen Falle jedem einleuchten mußte". 69

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

237

— Haftpflicht des Arbeitnehmers aus grobfahrlässiger Zufügung eines Sachschadens zu Lasten eines Arbeitskollegen; aus grobfahrlässiger Zufügung eines Personen- und/oder Sachschadens zu Lasten des Arbeitgebers; aus grobfahrlässiger Zufügung eines Personen- und/oder Sachschadens zu Lasten eines sonstigen Dritten; aus dem Regreßanspruch des SVTs gem. § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO aufgrund grobfahrlässiger Schadensherbeiführung (§ 636 Abs. 1 Satz 1 RVO) durch den AN. cc) Tatsächliche Abdeckung i n der Praxis durch die BetriebsHPflVers. Soweit ersichtlich, w i r d i n der Praxis für das oben näher aufgefächerte Haftpflichtrisiko des Arbeitgebers tatsächlich VersSchutz durch die BetriebsHPflVers. gewährt. Zugunsten des ANs hingegen ergibt sich kein solch einheitliches Bild. Während VersSchutz gegen Haftpflichtschäden aus grobfahrlässiger Zufügung eines Sachschadens zu Lasten eines A r beitskollegen, aus grobfahrlässiger Zufügung eines Personen- und/oder Sachschadens zu Lasten des Arbeitgebers und zu Lasten eines sonstigen Dritten 7 0 regelmäßig gewährt wird, kommt eine Deckung für den A N gegen die Haftpflicht aufgrund eines Regreßanspruchs des SVTs i. S. der §§ 640 Abs. 1 Satz 1, 2. A l t . (grobfahrlässige Herbeiführung), 636 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht i n Betracht 71 . Während Elleser 72 beklagt, die sozial Schwächeren, nämlich die über den Wortlaut des § 151 Abs. 1 Satz 1 V V G hinaus mitversicherten übrigen Betriebsangehörigen, würden zu Unrecht i n diesem Punkte i m Gegensatz zu den Unternehmern sowie den ihnen i n § 899 RVO a. F. Gleichgestellten keinen VersSchutz genießen, kommt Heimbücher 73 überzeugend zu dem Schluß, daß es nicht Aufgabe des V V G ist, durch Einbeziehung 70 Vgl. hierzu Heimbücher, a. a. O., S. 204, der feststellt, daß „ i m Rahmen der BetriebsHPflVers Ansprüche von Außenstehenden gegen A N v o l l gedeckt sind". Bestimmt jedoch sind v o m A N vorsätzlich herbeigeführte Schäden ausgeschlossen (§§ 152 V V G , 4 I I 1 A H B ) . Ist — w i e i n aller Regel — i n die BetriebsHPflVers. auch die gesetzliche Haftpflicht sämtlicher übrigen Betriebsangehörigen f ü r Schäden eingeschlossen, die sie i n Ausführung ihrer dienstlichen Verrichtungen ausführen, so verwenden die V U dabei folgende Klausel: „Ausgenommen bleiben Schadenfälle, bei denen es sich u m Arbeitsunfälle i m Betrieb des VNs gemäß der Reichsversicherungsordnung (RVO) handelt. MitVers. der gesetzlichen Haftpflicht f ü r diese Schadenfälle ist auch gegen Prämienzuschlag unzulässig" (zit. nach Heimbücher, a. a. O., S. 204). 71 So auch Prölss, V V G - K o m m . , A n m . 8 zu § 4 Nr. I I 2 A H B , S. 684. 72 Vgl. Elleser, „ H a f t u n g der Unternehmer u n d Betriebsangehörigen gegenüber den Trägern der SozialVers." i n B B 1964, S. 1493 ff. (1495). 73 a. a. O., S. 205 u n d 206.

238

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

dieses Haftpflichtrisikos den durch die RVO geschaffenen Erziehungszweck (in Form der Regreßpflicht bei grobfahrlässiger Schadenzufügung) i n Richtung des ANs wieder aufzuheben: „Die Wirkungen des Gesetzes gingen verloren, wollte man eine private VersMöglichkeit dafür eröffnen." 4. Entsprechungen und Abwandlungen der privaten UV hinsichtlich der Versicherung dritter Personen in der gesetzlichen UV a) Entwicklung von der Betriebsarten Vers, zur Personengruppen Vers. Da w i r hier den V N und den Versicherten i n den Vordergrund unserer Betrachtungen stellen, sei nochmals 74 darauf hingewiesen, daß die gesetzliche U V i m Anschluß an die Haftpflichtgesetzgebung des Reichs ursprünglich nur bestimmte Betriebsarten erfaßte, i n denen die Unfallgefahren besonders groß erschienen. Ebenfalls i n Anlehnung an das reichsgesetzliche Haftpflichtrecht w u r den i n diesen Betrieben lediglich die Unfälle entschädigt, die eine „besondere, dem Betrieb eigentümliche" 75 Gefahr herbeigeführt hatte. Wenn auch die Rechtsprechung i n der Folgezeit das Erfordernis einer besonderen Betriebsgefahr fallen ließ und VersSchutz bei allen Gefahren, auch bei denen des täglichen Lebens, gewährte, wenn der Versicherte der Unfallgefahr durch die Betriebsbeschäftigung ausgesetzt war 7 6 , so blieb dennoch die gesetzliche U V eine Betriebsarten-Versicherung. Erst das 6. Gesetz zur Änderung der UV vom 9. 3.1942 (RGBl. I, S. 107) verließ das bisherige „System der BetriebsUV" 7 7 und schuf eine Versicherung gegen Arbeitsunfälle, für die die A r t des Betriebes und die Höhe der Unfallgefahr hinsichtlich des VersSchutzes nicht mehr maßgebend waren. Erst von diesem Zeitpunkt ab läßt sich auch vom äußeren Erscheinungbild her 7 8 eine Entsprechung der privaten ,Gruppen-UV zugunsten der Gruppenmitglieder' (oben I I I 2 a) i n der gesetzlichen U V finden, da letztere nunmehr Personengruppen versicherte. 74

Vgl. bereits oben S. 145 unter 3. So R V A Nr. 881—890 i n A N 1890, S. 507 ff.; E. Nr. 1049 i n A N 1891, S. 261. 76 Vgl. Grunds.E. des GrS R V A v. 15.4.1914 i n A N 1914, S. 411 ff. (412 f.), Nr. 2690. 77 So die Bezeichnung Wannagats, „Die unfallversrechtliche Gefährdungshaftung i m allgemeinen Haftungssystem" i n N J W 1960, S. 1597 ff. (1601); vgl. hierzu auch Jahn, A l l g . SozialVersLehre, 2. Kap., S. 55. 78 Allerdings schützte die gesetzliche U V auch als Betriebsarten-Vers, die i n den Betrieben arbeitenden Personengruppen. 75

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

239

b) Einbeziehung auch von Personengruppen die dem gesetzlichen UV-System fremd sind Heutzutage sind der gesetzlichen U V auch Personengruppen unterstellt, deren Tätigkeit zwar dem öffentlichen Interesse dienen mag, die jedoch m i t dem ursprünglichen Zweck der sozialen U V — Schutz des unfallgefährdeten ANs — nichts zu t u n haben. Als Beispiele hierfür seien die Lebensretter (§ 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO), Blutspender (a. a. O., Nr. 10), die von einem Gericht zur Beweiserhebung herangezogenen Zeugen (a. a. O., Nr. 13), sowie seit neuestem die Schüler, Studenten und Kinder i n Kindergärten (a. a. O., Nr. 14) genannt. Diese Personengruppen sind schon deshalb i m Grunde systemwidrig der gesetzlichen U V zugeordnet, w e i l die für sie geregelten Tatbestände nicht unter die öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung, sondern unter die öffentlich-rechtliche Aufopferung fallen 7 9 . Der einzelne bringt nämlich durch sein Sich-zur-Verfügung-Stellen (zum Lebenretten, Blutspenden und — i n Uberdehnung des Gedankens — zum Lernen etc.) ein Sonderopfer für die Gemeinschaft, wobei die sich daraus ergebenden A n sprüche nur aus Zweckmäßigkeitsgründen i n das Gewand der gesetzlichen U V gekleidet wurden. Aus diesem Grunde sollen des weiteren diese Personengruppen aus der Untersuchung ausgeschieden, und dieselbe i m wesentlichen auf die Personen beschränkt werden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt sind (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO). c) Entsprechungen und Abwandlungen Eine Entsprechung des PrivatVersRechts i n der gesetzlichen UV findet sich zunächst einmal darin, daß hier wie dort eine Vielheit von Personen i n die Versicherung einbezogen werden kann: I n der privaten U V die zur Gruppe 80 gehörigen A N mitsamt ihrem Arbeitgeber als sog. „Gruppenspitze" 81 , i n der gesetzlichen U V die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigten mitsamt dem Unternehmer. 79 Vgl. hierzu auch Wannagat, „Die unfallversicherungsrechtliche Gefährdungshaftung i m allgemeinen Haftungssystem" i n N J W 1960, S. 1597 ff. (1601). 80 Z u diesem Begriff siehe unten S. 325 ff. 81 So w i r d der Arbeitgeber bezeichnet, der bezüglich der VersNahme an der Spitze der Gruppe steht u n d der bei der uns hier allein interessierenden „echten GruppenVers." als V N fungiert: vgl. hierzu Millauer, Rechtsgrundsätze der GruppenVers., § 1, S. 13. Die sog. „unechte GruppenVers." bleibt hier außer Betracht, da sie n u r i n der LebensVers. vorkommt. Sie ist — w i e Millauer, a. a. O., § 1, S. 6, ausführt — dadurch gekennzeichnet, „daß die VersNahme durch Gesamtakt der Gruppenmitglieder erfolgt, u n d zwar i n der Weise, daß die Gruppenspitze hierbei als deren bevollmächtigte Vertreterin auftritt, so daß jedes einzelne M i t g l i e d selbständig V N seiner Versicherung wird".

240

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

HPfl des Arbeitgebers auf Grund v o n Schäden, die i n Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit verursacht werden

Raum f ü r Risikenabdeckung mittels der BetriebsHPflVers.

HPfl des A N s auf G r u n d i n Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit verursachter Schäden

I. zu Lasten des A N s i n Form von

I. zu Lasten des Arbeitskollegen i n Form von

1. Personenschaden:

1. Personenschaden:

a) fahrlässige Herbeiführung: gedeckt durch gesetzliche U V (§636 Abs. 1 Satz 1 RVO)

a) fahrlässige Herbeiführung: gedeckt durch gesetzliche U V (§637 Abs. 1 RVO)

b) grobfahrlässige Herbeiführung: gedeckt durch gesetzliche U V (§636 Abs. 1 Satz 1 RVO), Regreßmöglichkeit des SVT gem. § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO

b) grobfahrlässige Herbeiführung: gedeckt durch gesetzliche U V (§ 637 Abs. 1 RVO), Regreßmöglichkeit des SVT gem. § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO

c) vorsätzliche Herbeiführung: nicht gedeckt durch gesetzliche U V ; nicht versicherbar i n privater HPflVers. (§§ 152 W G , 4 I I 1 A H B ) . Es verbleibt bei persönlicher Haftung.

c) vorsätzliche Herbeiführung: nicht gedeckt durch gesetzliche U V ; nicht versicherbar i n privater HPflVers. (§§ 152 W G , 4 I I 1 A H B ) .

2. Sachschaden:

2. Sachschaden:

a) fahrlässige Herbeiführung: nicht gedeckt durch gesetzliche U V ; Theoretische Deckungsmöglichkeit

nicht gedeckt durch gesetzliche U V ;

a) fahrlässige Herbeiführung: Anspruch auf Schadenfreistellung gegen Arbeitgeber: Theoretische Dekkungsmöglichkeit des Arbeitgebers

Deckungsmöglichkeit

zugunsten

des

Arbeitgebers

> = Deckungsmöglichkeit

zugunsten

des Arbeitnehmers

H i e r w i e dort w e r d e n Gemeinschaften gebildet, „versicherungsrechtliche G e f a h r e n g e m e i n s c h a f t e n i m S i n n e e i n e r o r g a n i s i e r t e n V i e l h e i t " 8 2 . E i n e A b w a n d l u n g des p r i v a t e n U V - R e c h t s i n der gesetzlichen U V ist jedoch d a r i n zu sehen, daß i n l e t z t e r e r die A r b e i t g e b e r n i c h t als „ G r u p p e n s p i t z e " zu bezeichnen sind, also n i c h t als V N f u n g i e r e n — dies schon deshalb n i c h t , w e i l die oben e r w ä h n t e G e m e i n s c h a f t h i e r n i c h t d u r c h Rechtsgeschäft z u s t a n d e k o m m t — , s o n d e r n als (ausschließliche) M i t g l i e 82

So Möller, „Gemeinsame Grundbegriffe der Sozial- u n d Privat Vers." i n „ A k t u e l l e Fragen der I n d i v i d u a l - u n d SozialVers.", Festgabe f ü r Roehrbein, S. 135 ff. (136).

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses HPfl des Arbeitgebers auf G r u n d v o n Schäden, die i n Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit verursacht werden

Raum f ü r Risikenabdeckung mittels der BetriebsHPflVers.

241

HPfl des A N s auf G r u n d i n Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit verursachter Schäden

b) grobfahrlässige Herbeiführung:

b) grobfahrlässige Herbeiführung:

nicht gedeckt durch gesetzliche U V ;

nicht gedeckt durch gesetzliche U V ; kein Anspruch auf Schadenfreistellung gegen Arbeitgeber; Theoretische Deckungsmöglichkeit

Theoretische Deckungsmöglichkeit I I . zu Lasten sonstiger D r i t t e r i n Form v o n 1+2) Personen- und/oder Sachschaden: a) fahrlässige Herbeiführung: nicht gedeckt v o n gesetzlicher U V ; Theoretische Deckungsmöglichkeit

I I . zu Lasten des Arbeitgebers i n Form v o n 1 + 2) Personen- und/oder Sachschaden: a) fahrlässige Herbeiführung: nicht gedeckt v o n gesetzlicher U V ; Haftungsbefreiung aus arbeitsrechtlichen Grundsätzen (UV des A r b e i t gebers greift ein);

b) grobfahrlässige Herbeiführung: w i e a) ....

III.

^

Regreßanspruch des SVT gem. § 640 Abs. 1 Satz 1 RVO

für

grobfahrlässige Herbeiführung

b) grobfahrlässige Herbeiführung: ^ Theoretische Deckungsmöglichkeit I I I . zu Lasten sonstiger D r i t t e r : 1 + 2) i n Form v o n Personen- und/ oder Sachschäden: a) fahrlässige Herbeiführung: nicht gedeckt durch gesetzliche U V . Freistellungsanspruch gegen A r b e i t geber. Theoretische Deckungsmöglichkeit des Arbeitgebers. b) grobfahrlässige Herbeiführung: Theoretische Deckungsmöglichkeit IV.

Regreßanspruch des SVT gem. §640 Abs. 1 Satz 1 R V O f ü r grobfahrlässige Herbeiführung.

der des VersTrägers gleichzeitig selbst Versicherte sind. Als Mitglieder des VersTrägers haften die gesamten Unternehmer solidarisch für die Gefahren ihrer Betriebe. Sie bilden, indem sie sich als gleichartig bedrohte Personen zusammenschließen, öffentlich-rechtliche Solidargemeinschaften, die nach Schadenseintritt ihren Mitgliedern Schadendekkung gewährt. 16 v.Heinz

242

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Eine zusätzliche Abwandlung findet sich darin, daß der Arbeitgeber i n der gesetzlichen U V regelmäßig nicht — wie der V N i n der privaten U V — selbst gegen Unfälle versichert ist, sondern eben gegen die Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zum Schaden der anderen Versicherten (§ 636 RVO). I n der privaten U V zieht man die Rechtsfigur effies Vertrages zugunsten Dritter heran 83 , u m den zur Beitragszahlung Verpflichteten = V N von demjenigen zu unterscheiden, der den VersSchutz genießt ( = Versicherter bei der ,FremdVers. auf die Person eines anderen 4 und bei ihren Spezialausformungen). Zwar erhält auch i n der gesetzlichen UV ein Außenstehender, nämlich der unfallgeschädigte AN, eine Leistung, deren Rechtsgrund man i n einem „abgespaltenen Mitgliedsrecht zugunsten des Versicherten" 84 sehen kann. Jedoch geht der gesetzlichen U V i m ganzen durch ihre besonders gestaltete Haftungsordnung für Arbeitsschäden — eine unmittelbare Haftung des Mitglieds = Arbeitgeber ist dem Dritten gegenüber gem. § 636 RVO weitgehend ausgeschlossen — der Charakter einer „Versicherung zugunsten Dritter" verloren 85 . I n der gesetzlichen U V braucht man jedoch letztlich auf eine solche Konstruktion wie die des Vertrages zugunsten Dritter nicht zurückzugreifen, da alle Rechte und Pflichten der Beteiligten auf Gesetz beruhen. I n Entsprechung zur ,Gruppen-UV zugunsten der Gruppenmitglieder 1 als Spezialtypus der ,FremdVers. auf die Person eines anderen' 86 geht auch die gesetzliche U V gleichsam für fremde Rechnung, so daß hier die Personen i. S. des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO als echte Versicherte und nicht nur als Gefahrpersonen zu bezeichnen sind. Alle Personen, auf die die gesetzlichen Voraussetzungen der VersPflicht zutreffen 87 , sind auch materiell-rechtlich Versicherte. Vom versicherten Risiko aus betrachtet — dies sei nochmals erwähnt — bestehen, bezogen auf die von der privaten U V m i t Beteiligung Dritter und auf die von der gesetzlichen U V Betreuten, keine Überschneidungen des einen Rechtskreises m i t dem anderen. Die private U V sieht nämlich hauptsächlich i n der Erfassung der nicht unter die gesetzliche U V Fallenden ihre Hauptaufgabe, des weiteren bietet sie den durch die SozialVers. Betreuten ergänzend gegen die Gefah83

Vgl. oben S. 228 unter A n m . 32. So Wannagat, L B , 1. Abschn., § 2, S. 15. 85 Lediglich w e n n m a n den Gesamtbereich der gesetzlichen U V i n seine zwei Teilbereiche — Sicherstellung des Unfallverletzten A N s und weitgehende Haftungsbefreiung des Arbeitgebers — trennt u n d den zweiten Teilbereich außer acht läßt, bleibt f ü r den ersten eine „Versicherung zugunsten D r i t t e r " übrig: vgl. hierzu auch Wannagat, L B , 1. Abschn., § 2, S. 15. 86 Vgl. hierzu oben S. 230 ff. 87 Vgl. hierzu u n t e n S. 339 ff. 84

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

243

ren des täglichen Lebens Schutz, die außerhalb der Berufstätigkeit liegen und demnach von der berufsgenossenschaftlichen Versicherung nicht erfaßt werden 88 . Schließlich sei noch erwähnt, daß die private Grupen-UV i n ihrer Spezialausgestaltung ,Gruppen Vers, m i t rechtsbegründender Anmeldung 4 rein formell eine Parallele i n der gesetzlichen U V findet: gem. § 661 Nr. 1 RVO hat derjenige, der als Unternehmer Mitglied einer BG wird, binnen einer Woche der zuständigen BG die Zahl der Versicherten anzuzeigen. Ob hier auch hinsichtlich der materiellen Wirkungen die private U V der gesetzlichen entspricht, soll i n anderem Zusammenhang 89 erörtert werden. 5. Entsprechungen und Abwandlungen der privaten HPflVers. hinsichtlich der Versicherung dritter Personen in der gesetzlichen UV a) Fragestellung W i r hatten bereits erarbeitet 90 , daß i m Hinblick auf eine gedanklich mögliche EigenVers, des Arbeitgebers gegen Haftpflicht aus Arbeitsunfällen zum Schaden der A N die gesetzliche U V wie eine HPflVers. w i r k t . Die Frage geht nun dahin, ob es für die ,FremdVers. auf die Person eines anderen' i n ihrer Ausgestaltung als ,GruppenHPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder' ( = erweiterte BetriebsHPflVers. i. S. von § 151 Abs. 1 V V G ) 9 1 i n der gesetzlichen U V eine Entsprechung gibt. b) A n t w o r t bezogen auf die A N Die A n t w o r t lautet zunächst zugunsten der A N bejahend. Denn die Vorschrift des § 637 Abs. 1 RVO beinhaltet nichts anderes, als daß den ANn, die zum Schaden eines i n demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen einen Arbeitsunfall verursacht haben, ihre hieraus entstehende Haftpflicht weitgehend — vorbehaltlich der i n § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO genannten Ausnahmen — abgenommen wird. Das gleiche gilt — wenn auch zur Abdeckung anderer Risiken — für die erweiterte BetriebsHPflVers. 88 Die Privat Vers, umfaßt also dann „die Unfälle, welche nicht als Unfälle i m Sinne der RVO gelten", vgl. Möller, „Soziale u n d private U V — V e r gleiche u n d Wechselbeziehungen — " i n V W 1964, S. 604 ff. (606, Fußn. 10, 14) m i t Hinweis auf das „Tarifbuch f ü r die U V " , Ausg. Jan. 1961, S. 18. 89 Dazu unten S. 331 ff. unter D ; 346 f.; 347 ff. 90 Vgl. oben S. 225. 91 Vgl. oben S. 233 ff.

16*

244

3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

I n beiden Rechtsgebieten sind hier die A N gleichermaßen Haftpflichtversicherte. I n der gesetzlichen U V fehlt es allerdings wiederum an einer Gruppenspitze, die VN-Funktionen ausübt. c) A n t w o r t bezogen auf die Arbeitgeber Zu prüfen ist, ob die Grundstruktur der ,FremdVers. auf die Person eines anderen 4 auch i m Hinblick auf die Versicherung der Arbeitgeber i n der gesetzlichen U V sich entsprechend wiederfindet. Auch dies ist zu bejahen. Der einzelne Arbeitgeber (Unternehmer) trägt nämlich durch seine Mitgliedschaft i n der BG nicht nur zur Versicherung des eigenen Haftpflichtrisikos, sondern gleichzeitig auch zur Versicherung der anderen Mitglieder des VersTrägers gegen ihre Haftpflicht aus den betrieblichen Unfallgefahren bei. Diese Versicherung Dritter ist eine kraft Gesetzes eintretende W i r kung des solidargemeinschaftlichen Mitgliedschafts Verhältnisses, das alle Unternehmer der betreffenden BG miteinander verbindet. Zu berücksichtigen ist jedoch als Abwandlung des privaten HPflVersRechts i n der gesetzlichen UV, daß i n letzterer hier erst recht das i n der PrivatVers. vorgefundene B i l d m i t der Vertikalen ,Gruppenspitze — Gruppenmitglieder 4 fehlt. Die HPflVers. i n der gesetzlichen U V „einer für den anderen 44 erfolgt rein horizontal unter gleichberechtigten BGMitgliedern. d) Namensmeldung Ob die nähere Vertragsausgestaltung der ,Gruppen-HPflVers. zugunsten der Gruppenmitglieder 4 i n Form der automatischen Versicherung ohne Namensmeldung 402 angesichts der Anzeigepflicht des Unternehmers gem. § 661 Nr. 2 RVO eine Entsprechung oder Abwandlung i n der gesetzlichen U V findet, soll i m Zusammenhang m i t dem VersVerhältnis untersucht werden 93 .

92 03

Vgl. hierzu oben S. 231 f. Vgl. hierzu unten S. 331 ff., 346 ff. (347 f.).

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

245

IV, Sonderfall der VersGeschützten i n Gestalt von Gemeinden und Gemeindeverbänden — Entsprechungen und Abwandlungen des privaten HPflVersRechts i n der gesetzlichen U V 1. Erscheinungsformen

in der PrivatVers.

a) Risiken i m kommunalen Sektor und Notwendigkeit ihrer Abdeckung Das Gefahrenmoment kann von einem unter der Herrschaft von Gemeinden stehenden Risiko derart i n eine fremde Rechtssphäre eingreifen, daß sich Schadensersatzansprüche Dritter nach den einschlägigen Haftungsbestimmungen ergeben können. Die Haftpflichtrisiken für die einzelnen Gemeinden und Gemeindeverbände sind sehr vielgestaltig; sie können sich z. B. aus der Haftung für die Verkehrssicherungspflicht und aus der Unterhaltung der gemeindlichen Betriebe (Krankenhäuser, Wasserwerke usw.) ergeben 94 . Bei der HPflVers. der Gemeinden/Gemeindeverbände handelt es sich u m Versicherungen der öffentlichen Hand 9 5 , deren Handlungen sich als hoheitliche oder fiskalische Tätigkeit darstellen können. I m Falle hoheitlichen Handelns fällt die Haftung des handelnden (Gemeinde-) Beamten gem. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m i t A r t . 34 Satz 1 Grundgesetz regelmäßig fort: Es haftet allein die Körperschaft. Hinzu kommt, daß ein Schadensersatzanspruch gem. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen die Gemeinde oder den Gemeindeverband nur dann entsteht, wenn der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Besteht eine solche anderweitige Ersatzmöglichkeit i m Fall einer fahrlässigen Schadensverursachung durch den Beamten nicht, so entsteht der Gemeinde ein Haftpflichtrisiko, das sie zweckmäßigerweise durch eine allgemeine HPflVers. absichern müßte. Zahlreich sind auch die Risiken aus der gemeindlichen Kraftfahrzeughaltung. So kann bereits die Fahrt m i t einem P k w selbst unter die Ausübung hoheitlicher Betätigung fallen, wenn es sich u m eine die öffentliche Handlung unmittelbar vorbereitende oder abschließende Tätigkeit handelt 96 .

94 v g i # Voss, „ D i e Kommunalwirtschaft u n d das öffentlich-rechtliche VersWesen" i n Handb. der kommunalen Wiss. u n d Praxis, 3. Bd., S. 791 ff. (808) m i t Hinweis auf Kleinsorg, Die Haftpflicht der Gemeinden u n d Gemeindeverbände i m Lichte der Rechtsprechung. 95 Vgl. Voss, w i e hier A n m . 94. Dazu, daß auch diese öffentlich-rechtlichen VersEinrichtungen dem Gebiet der PrivatVers. zuzuordnen sind, vgl. unten S. 280 ff. u n d an anderen Stellen. 96

Vgl. Geigel f Der Haftpflichtprozeß, 14. Aufl., 20. Kap., Rdnr. 14, S. 473.

246

3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

Die Amtspflicht besteht hierbei i n der Vermeidung von Unfällen gegenüber den Insassen und anderen Verkehrsteilnehmern 97 . Auch besteht Veranlassung für die Absicherung von Schadensrisiken i n Form von Veruntreuungen durch Gemeindebedienstete, Verletzungen von Amtspflichten, unaufgeklärte Kassenfehlbeträge usw. Eine solche Risikenabsicherung müßte durch eine Vermögensschaden Vers. i. S. von § 1 Nr. 3 A H B erfolgen. b) Die „kommunalen Haftpflichtschadenausgleiche" Alle diese Risiken auf dem kommunalen Sektor werden jedoch nicht nur bei privaten oder öffentlich-rechtlichen VersEinrichtungen, sondern auch insbesondere bei den sog. kommunalen Haftpflichtschadenausgleichen 98 versichert. Zweckbestimmung und Zielsetzung dieser Einrichtungen, die von den Gemeinden gegründet werden und auf regionaler Basis bestehen, ergeben sich offenkundig aus ihrer Namensgebung. So ist es Aufgabe der kommunalen Haftpflichtschadenausgleiche, für Schadenersatzansprüche gegen ihre Mitglieder — als solche kommen nur Gebietskörperschaften, Gemeindeverbände und gemeindliche Einrichtungen i n Betracht 99 — aus Haftpflichttatbeständen diesen gegenüber Deckung zu gewähren. Als VersGeschützte einbezogen sind die verfassungsmäßigen Organe und die gemeindlichen Bediensteten. Darüber hinaus gewähren die Schadenausgleiche VersSchutz auch den kommunalen Betrieben, i n denen ein oder mehrere kommunale Mitglieder m i t mindestens 50 °/o beteiligt sind (vgl. § 1 Abs. 4 VAG) 1 0 0 . Hierbei erstreckt sich die Haftung auf die Befriedigung der geltend gemachten Ansprüche aus den oben genannten Haftpflichttatbeständen einschließlich der Kraftfahrzeughaltung. 2. Entsprechungen und Abwandlungen

in der gesetzlichen UV

a) Gemeindeunfallversicherungsverbände Die kommunalen Haftpflichtschadenausgleiche finden eine vergleichbare Erscheinung auf Seiten der gesetzlichen U V i n Gestalt der Gemeindeunfallversicherungsverbände i. S. des § 656 Abs. 2 Satz 1 RVO. 97

S.491.

Vgl. hierzu Palandt-Thomas,

§839 A n m . 4 e ; Geigei , a.a.O., Rdnr.58,

98 Sie allein sollen den Gegenstand unserer Untersuchung bilden. Es gibt außer diesen noch Schülerunfall-, Autokasko- sowie Autoinsassen-Schadenausgleiche: vgl. Voss, a. a. O., S. 809. 99 So Voss, a. a. O., S. 809; vgl. auch Klingmüller, „Haftpflichtversicherung" i n HdSW, 4. Bd., S. 757 ff. (758 Ii. Sp.). 100 Vgl. hierzu auch Voss, a. a. O., S. 809.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

247

§ 656 Abs. 2 Satz 1 RVO räumt den Ländern das Recht ein, durch Rechtsverordnung mehrere Gemeinden zu Trägern der U V zu machen, die die Bezeichnung „Gemeindeunfallversicherungsverbände" tragen. Als Mitglieder dieser Verbände kommen mehrere Gemeinden eines Landes i n Frage, die zusammen wenigstens 500 000 Einwohner zählen, einzeln genommen nicht schon VersTräger i. S. des § 656 Abs. 1 RVO sind, und die zur gemeinsamen Durchführung der U V von der Landesregierung für leistungsfähig gehalten werden. b) Kreis der VersGeschützten I n § 657 Abs. 1 Nr. 1—8 RVO ist der Versichertenkreis, der durch die GemeindeunfallVersVerbände geschützt ist, des näheren bezeichnet. Gemäß § 657 Abs. 1 Nr. 1 RVO erfaßt der UV-Schutz die Versicherten i n den Unternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände. Unternehmen i n diesem Sinne stellen vor allem Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten (soweit von der Gemeinde betrieben), Kläranlagen, Stadtbibliotheken, Theater, Schulen, Kurbetriebe und die Müllabfuhr etc. dar 1 0 1 . Man darf hieraus den Schluß ziehen, daß die Masse der i. S. von § 539 Abs. 1 Satz 1 RVO aufgrund eines Arbeitsverhältnisses bei einer Gemeinde Beschäftigten 102 von den GemeindeunfallVersVerbänden U V Schutz 108 erhalten und somit die einzelne Gemeinde sich wenigstens mittelbar als Haftpflichtversicherte darstellen läßt. Sowohl i m Gebiet der privaten HPflVers. wie auch i n dem der gesetzlichen U V dürfen daher diese Vers Verbände als Einrichtungen bezeichnet werden, i n denen der Gedanke der kommunalen Selbsthilfe lebendig zum Ausdruck kommt. Während i m PrivatVersRecht sich die Gemeinden hauptsächlich gegen ein Haftpflichtrisiko aus Nichtpersonenschäden schützen, sind i n A b wandlung hierzu die Gemeinden durch die gesetzliche U V — wenigstens mittelbar —gegen Haftpflichtrisiken aus unfallbedingten Personenschäden versichert.

101 Vgl. hierzu des näheren Dersch—Knoll—Brockhoff u. a., RVO-Gesamtkommentar, § 657 R V O A n m . 1, S. 272. 102 Hinsichtlich der Ausnahmen vgl. § 657 Abs. 2 RVO. 103 Dieser steht i m Gegensatz zur „ E i g e n - U V " des öffentlichen Dienstes als „Selbstversicherung" (vgl. hierzu des näheren Gitter, a. a. O., S. 74 f.), da er auch Elemente der FremdVers. i n sich birgt.

248

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Zweiter

Abschnitt

Die Träger der Versicherung Erster Unterabschnitt Die Versicherungsträger selbst I. Terminologisches — Arten der Träger der Versicherung 2. Terminologisches Bereits die Uberschrift dieses Abschnitts ist problematisch; sie kann nur darauf hindeuten, was hier nunmehr untersucht werden soll. Denn der als Überschrift verwendete Begriff w i r d nicht vom PrivatVersRecht und von gesetzlicher U V gemeinsam getragen. I n den für die PrivatVers. einschlägigen Gesetzen w i r d er nicht gebraucht. Die Gesetze der PrivatVers. verwenden nicht einmal ihrerseits eine einheitliche Terminologie. So w i r d i m V V G für den Gegenpart des VersGeschützten als Beteiligten des VersVerhältnisses der Ausdruck „Versicherer" angewendet: vgl. die Vorschriften des W G i n Form der §§ 1 Abs. 1 Satz 1 (für den Bereich der Schadens Vers., also auch für die HPflVers.), 1 Abs. 1 Satz 2 (für die UV), 49 (SchadensVers.), 149 (speziell für die HPflVers.) und 180 (speziell für die UV). I m Gegensatz hierzu ist i m Versicherungsaufsichtsrecht der Ausdruck „Versicherungsunternehmungen" (vgl. die Legaldefinition i n § 1 Abs. 1 VAG) gebräuchlich. Da dieser Begriff heute als altmodisch 104 empfunden wird, sei hier für den Bereich des privaten Unfall- und HPflVers.Rechts einheitlich von „Versicherungsunternehmen" die Rede. Das einzelne VersUnternehmen w i r d vom „Versicherungsunternehmer" betrieben. VersUnternehmer (VU) „ist derjenige, der sich dem Betrieb von VersGeschäften widmet" 1 0 5 . Durch das Erfordernis des Betriebes als einer Gesamtheit von Tätigkeiten, die auf die Bildung einer i m wesentlichen nicht geschlossenen Gefahrengemeinschaft gerichtet ist 1 0 6 , unterscheidet er sich vom einfachen Versicherer, der keinen „Betrieb" hat und hinter dem V U gänzlich zurücktritt. Dieser letztere soll hier deshalb außer 104 Vgl. Möller, „Gemeinsame Grundbegriffe der Sozial- u n d PrivatVers." i n „ A k t u e l l e Fragen der I n d i v i d u a l - u n d SozialVers.", Festgabe f ü r Roehrbein, S. 135 ff. (139). 105 So J. v. Gierke, 2. Hälfte, 2. Abschn., § 13 I I 1, S. 2. los v g l j . Gierke, w i e vorst. A n m . 105.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

249

Betracht bleiben. Freilich setzt der Sprachgebrauch i n der Praxis die Begriffe „Versicherer" und „VersUnternehmer" durchgehend gleich. Die gesetzliche U V verwendet durchgehend den Begriff „Träger der Versicherung" (vgl. §§ 3,4, 646 Abs. 1, 674 RVO). Dieser führt die U V materiell durch 107 . Da ein von Privat- und SozialVers. gemeinsam verwendeter Rechtsbegriff fehlt, sei hier einstweilen die Verwendung des Dachbegriffs „Träger der Versicherung" gestattet. 2. Arten der Träger

108

der Versicherung

a) A r t und Weise des VersBetriebes — Rechtsformen Folgt man den verschiedenen Einteilungskriterien 1 0 9 , vor allem der A r t und Weise, i n der die PrivatVers. betrieben w i r d und der Rechtsform, i n der die V U i n der PrivatVers. i n Erscheinung treten, so sind grundsätzlich Gegenseitigkeits-VU und Prämien-VU zu trennen. I m allgemeinen können beide Arten von V U n private oder öffentliche Rechtsformen annehmen. Die sog. öffentlich-rechtlichen PrivatVersUnternehmen, die vor allem von der Rechtsform her gesehen Berührungspunkte m i t der gesetzlichen U V aufweisen, sollen einstweilen zurückgestellt und an späterer Stelle 1 1 0 gesondert geprüft werden. Von den verschiedenen Arten der Träger gesetzlicher U V 1 1 1 sollen hier allein die (gewerblichen) BGen 1 1 2 und die Gemeindeunfallversiche107

Hierdurch unterscheidet er sich von den VersBehörden, die als Organe des Bundes, der Länder u n d anderer Gebietskörperschaften die ordnungsgemäße Durchführung der gesetzlichen U V überwachen. Sie sind demnach nicht VersTräger. VersTräger u n d VersBehörden sind z. B. i n § 115 Abs. 1 RVO deutlich voneinander abgesetzt. los Y g i hierzu die grundlegenden Ausführungen über die auf die j e w e i ligen „Träger" bezogenen Erscheinungsformen u n d Bereiche der Daseinsvorsorge von Weidner, „Probleme privater u n d öffentlicher Daseinsvorsorge" i n ZVersWiss. 1961, S. 141 ff. (insbesondere S. 206 ff.). 109 A u f die Angleichung der einzelnen Unternehmensformen, die einen Systemwettbewerb i. S. eines Wettbewerbs unter Hinweis auf die Vorzüge der eigenen u n d die Nachteile der anderen Unternehmensform v o m Standp u n k t der V U „so gut wie bedeutungslos hat werden lassen", weist Frey h i n („Organisationsformen der VersUnternehmen" i n „Die Versicherung", Bd. 1, Heft 14, S. 629 ff. [654]). Auch f ü r den V N macht es regelmäßig keinen U n t e r schied, ob er sich bei einem W a G oder bei einer A G versichert: „Die VersBedingungen gewähren den gleichen VersSchutz": so Möller, Rechtsprobleme des Vereines auf Gegenseitigkeit, Sonderdruck aus der Festschrift f ü r Haff, S. 305 ff. (308). 110 Vgl. dazu unten S. 262 ff. 111 A l s da sind gewerbliche BGen, landwirtschaftliche BGen, Gemeindeunfallversicherungsverbände, B u n d u n d Länder — handelnd durch ihre Aus-

250

3. T e i l : Gegenüberstellung von Einzelaspekten

rungsträger für unsere vergleichenden Betrachtungen herangezogen werden. b) Ausscheiden der PrämienVers. Diese eine allgemeine Form, i n der die private U V und HPflVers. betrieben wird, findet keine entsprechende Erscheinung i n der gesetzlichen UV. Denn i n der PrämienVers. sind die Versicherten von einem VU, der grundsätzlich nur u m des Erwerbs w i l l e n tätig ist, i n erster Linie wirtschaftlich zu einer Gefahrengemeinschaft zusammengefügt. Eine rechtlich ausgeprägte Mitgliedschaftsbeteiligung innerhalb einer einheitlichen Rechtsgemeinschaft t r i t t i n den Hintergrund. Zwar ist auch i n dem Haupttypus der PrämienVers., der Aktiengesellschaft 113 , eine Interessengemeinschaft vorhanden. Jedoch erhebt sie sich nicht zur vollen Ausgleichsgemeinschaft, so daß sie hier nicht für einen Vergleich m i t der BG herangezogen werden soll. c) Vergleichbare Erscheinungsformen Für eine vergleichende Untersuchung bieten sich zunächst auf dem Gebiete der PrivatVers. der große VVaG 1 1 4 als Gegenseitigkeits-VU und i m Rahmen der gesetzlichen U V die BG an. VVaG und BG sollen i m folgenden hinsichtlich ihrer Rechtsform und inneren Organisation, der M i t gliedschaft bei ihnen und bezüglich ihrer Zusammenschlüsse auf Entsprechungen und Abwandlungen des einen Rechtskreises i m anderen hin untersucht werden.

führungsbehörden — u n d die Eigenunfallversicherungsträger der größeren Städte, die See-BG und die Feuerwehr-UV-Kassen. Vgl. zu ihrer Zusammenstellung Caesar, Sozialversicherung, S. 30, u n d Möller, „Gemeinsame G r u n d begriffe der Sozial- u n d PrivatVers.", a. a. O., S. 135 ff. (139), sowie Übersicht über die Soziale Sicherung, Stand: J u n i 1970, hrsg. v o m B M A , S. 156—159. 112 Darauf, daß der Name „Berufsgenossenschaft" von den Vätern des U V G 1884 bewußt u n d m i t Absicht i n A n k n ü p f u n g an den alten deutschen Genossenschaftsgedanken gewählt wurde, weist Podzun, „ Z u r Unfallversicherung" i n Maunz-Schraft, Die SozialVers. u n d ihre Selbstverwaltung, l . B d . , A . Einl., 1. Teil, Bl. 172 ff. (173), zu Recht hin. 113 A l l e i n die Aktiengesellschaft käme noch m i t Rücksicht auf § 7 Abs. 2 V A G f ü r die private U V u n d HPflVers. i n Betracht. Denn nach dieser V o r schrift darf der Betrieb der U V u n d HPflVers. lediglich von V V a G u n d A G n betrieben werden. Andere Rechtsformen (GmbH, K G usw.), die PrämienVers. betreiben, scheiden aus, da „der Gesetzgeber eine möglichst tragfähige Organisation wünscht" (so J. v. Gierke , 2. Hälfte, 2. Abschn. § 13, S. 4). 114 Der sog. „kleinere Verein" (§53 Abs. 2 Satz 1 VAG), der gegenüber dem (großen) V V a G hauptsächlich durch eine eng begrenzte Wirksamkeit gekennzeichnet ist, k a n n hier außer Betracht bleiben.

3. Kap. : Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

251

II. Rechtsform und Zweck von VVaG und BG Während die VVaG private, rechtsfähige Vereine 1 1 5 darstellen, sind die BGen Körperschaften des öffentlichen Rechts 116 . Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden liegt darin, daß der VVaG dem Privatrecht, die BG jedoch dem öffentlichen Recht angehört. Die Existenz verdanken der VVaG i n erster Linie einem vertraglichen Zusammenschluß, die BG 1 1 7 dem korporativen Zusammenschluß auf genossenschaftlicher Grundlage infolge staatlichen Willens. VVaG 1 1 8 und BG 1 1 9 stellen beide Personenvereinigungen dar. Der VVaG 1 2 0 hat wie die BG 1 2 1 eine eigene Rechtspersönlichkeit. Beide haben eine rein körperschaftliche Verfassung. Während der VVaG den unmittelbaren VersSchutz seiner Mitglieder und der durch diese betreuten Dritten bezweckt, verfolgt die BG als gesetzliche Zwangsvereinigung und Solidargemeinschaft der Unternehmer vornehmlich die Ziele der Ablösung der einzelunternehmerischen Haftpflicht und die Sicherstellung der A N bei Arbeitsunfällen. I I I . Innere Organisation von VVaG und BG a) Die Organe insgesamt Für die Organisation des VVaG gelten i n vielen Beziehungen die Vorschriften des Aktiengesetzes vom 6. 9.1965 (BGBl. I S. 1089) entspre115

Vgl. §15 V A G . Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§ 674, 675 RVO, S. 205. 117 Die BGen werden zwar durch den Gesetzgeber errichtet u n d durch Staatshoheitsakt aufgelöst (§ 652 Abs. 1 RVO). V o r allem aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Status sowie aufgrund der Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen werden die BGen v o n einer i n Rechtsprechung u n d Schrifttum verbreiteten Auffassung (vgl. BSG E. v. 28.11.1955 Bd. 2, S. 53 ff. [57], B G H E. v. 27.5.1957 Bd. 24, S. 302 ff. [305], B V e r f G E. v. 10.5.1960 i n B G 1960, S. 334 Ziff. 3; Hof mann, „Allgemeine Staatsverwaltung u n d U V " i n „ G r u n d fragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 35 ff. [36, insbes. die dort unter Fußn. 4 reichlich angeführte Literatur]) i n den Bereich der „mittelbaren Staatsverwaltung" einbezogen. „Dieser Begriff soll klarstellen, daß diese Träger zum Gesamtgefüge der öffentlichen Verwaltungsordnung gehören" (so Hof mann, a. a. O., S. 36). H i e r gegen wendet sich jedoch Peters, „Die Unfallversicherung als Selbstverwaltungseinrichtung" i n der Sonderbeil, zu „Sozialer Fortschritt" 1962, Heft 12, S. 1—9. Die Begründung dafür, daß die Aufgabenerfüllung durch die BGen nach unserer Auffassung grundsätzlich nicht als „mittelbare Staatsverwaltung" anzusehen ist, soll i m 3. Abschnitt, „Die Staatsaufsicht", herausgearbeitet werden: siehe dazu unten S. 288 ff. 118 Vgl. § 7 Abs. 1 V A G . 119 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu § 646 RVO, S. 185. 120 Die Rechtsfähigkeit erhält der V V a G dadurch, daß i h m die Aufsichtsbehörde erlaubt, als „ V V a G " Geschäfte zu betreiben: Vgl. § 15 V A G . 121 Vgl. § 4 RVO. 116

252

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

chend 122 . Die Organisation der BG regelt sich gem. § 674 RVO vornehmlich nach dem Gesetz über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der SozialVers. (Selbstverwaltungsgesetz — SVwG) vom 22. 2.1951 i. d. F. vom 23. 8.1967 (BGBl. I S. 124 bzw. BGBl. I S. 918). Damit läßt sich bereits eine formale Entsprechung beider Rechtskreise darin erblicken, daß hier wie dort kraft Verweisungsvorschriften die Organisationsregelung aus Gesetzen entliehen wird, die nicht zu den VersGesetzen i m engeren Sinne gehören. Der W a G kennt vier notwendige Organe: Vorstand, Aufsichtsrat, oberste Vertretung und Prüfer 1 2 3 . I n Abwandlung hierzu werden bei der BG lediglich zwei Organe gebildet: Vorstand und Vertreter Versammlung. Nicht als Organ der BG ist der Geschäftsführer zu bezeichnen, der vom Vorstand gewählt w i r d (§ 15 Abs. 1 Buchstabe b SVwG). b) Der Vorstand (§ 34 V A G — §§ 674 RVO, 1 Abs. 1 SVwG) I m W a G steht dem Vorstand die gesamte Geschäftsführung (§§ 34 Satz 2 VAG, 77 Abs. 1 AktG), die Leitung des Vereins unter eigener Verantwortung (§ 77 Abs. 1 AktG) sowie die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung des Vereins (§ 78 Abs. 1 AktG) zu. Mehreren Vorstandsmitgliedern steht regelmäßig nur Gesamtvertretungsmacht zu (§ 78 Abs. 2 Satz 1 AktG); allerdings kann die Vereinssatzung etwas anderes vorschreiben (§ 78 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AktG). Entsprechend der Regelung beim W a G vertritt der Vorstand gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 SVwG die BG gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SVwG). Auch bei der BG herrscht Gesamtvertretungsmacht der Vorstandmitglieder; die Satzung kann jedoch auch Einzelvertretungsmacht zulassen (§13 Abs. 3 SVwG). I n Abwandlung zum PrivatVersRecht ist bei der BG die Geschäftsführung jedoch einem hauptamtlichen Geschäftsführer übertragen, der die laufenden Verwaltungsgeschäfte des VersTrägers zu führen hat (§15 Abs. 4 Satz 1 SVwG). Insoweit vertritt er die BG gerichtlich und außergerichtlich. Diese weitgehende Ablösung i n den Befugnissen des Vorstands durch den Geschäftsführer der BG ist vornehmlich dadurch begründet, daß der

122

2 VAG.

Vgl. z. B. die Verweisungsvorschriften der §§ 34 Satz 2, 36 Satz 1 und

123 F ü r den Prüfer i. S. von §§ 58 ff. V A G , die i n der Regel Wirtschaftsprüfer sind (vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, § 15 a I I I 5, S. 33), fehlt eine vergleichbare Einrichtung i n der BG. Die Püfer sollen deshalb i m folgenden unberücksichtigt bleiben.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

253

i m Gegensatz zum W a G (§ 87 AktG) nur ehrenamtlich tätige Vorstand (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SVwG) 1 2 4 der BG entlastet werden soll. Die heutige 1 2 5 eigenverantwortliche Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte durch den Geschäftsführer soll dem Vorstand die Möglichkeit geben, sich den i m SVwG und i n der Satzung genannten Aufgaben zu widmen. Darüber hinaus w i r d durch die Regelung erstrebt, daß die Verwaltung der BG eine gewisse Stetigkeit erhält. Diese kann nur erreicht werden, wenn der Geschäftsführer i n seiner hauptberuflichen Tätigkeit von dem Wechsel i n der Besetzung der ehrenamtlichen Organe 126 unabhängig ist. Denn „die Vorstandmitglieder... wechseln und gehen, die Geschäftsführer bleiben." 1 2 7 I m übrigen ist der Geschäftsführer als Bindeglied zwischen der Verwaltung, an deren Spitze er steht, und dem Vorstand anzusehen, dem er m i t beratender Stimme angehört (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SVwG). Das Teilnahmerecht an Sitzungen des Vorstandes steht dem Geschäftsführer m i t h i n kraft Gesetzes zu 1 2 8 . I m Rahmen der Wahrnehmung der laufenden Verwaltungsgeschäfte ist der Geschäftsführer von den Weisungen des Vorstands frei; eine zu starke Abhängigkeit vom Vorstand würde nämlich seine Verantwortungsfreude beeinträchtigen 129 . Sowohl bei dem W a G wie auch bei der BG ergibt sich damit, daß die überaus wichtige laufende Verwaltungstätigkeit i n entsprechender Weise von bezahlten Angestellten 1 3 0 bestritten wird. Für die BG bedeutet dies i m Grunde lediglich eine durch das stetige Anwachsen der Arbeit 124

F ü r den Vorstand des W a G setzt der Aufsichtsrat die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen usw.) i n einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds u n d zur Lage des Vereins fest (§§ 34 Satz 2 V A G , 87 Abs. 1 Satz 1 A k t G ) . Hingegen begründet das A m t der Vorstandsmitgliedschaft bei der B G kein Dienstverhältnis; der VersTräger erstattet den Mitgliedern lediglich ihre baren Auslagen (§§ 674 RVO, 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SVwG). 125 Auch schon v o r I n k r a f t t r e t e n des S V w G hatte der Geschäftsführer die laufenden Verwaltungsgeschäfte der B G zu führen, doch handelte er dabei als Beauftragter des Vorstands u n d seit der 5. V O zum A u f b a u der SozialVers. v o m 21.12.1934 (RGBl. I S. 1274) nach den Weisungen des Leiters, der an die Stelle des Vorstands getreten war. Vgl. hierzu Podzun, „ Z u r U n f a l l versicherung" i n Maunz-Schraft, Die SozialVers. u n d ihre Selbstverwaltung, A . Einl., 1. Teil, Bl. 172 ff. (174). 126 Die Amtsdauer der Organmitglieder beträgt 6 Jahre: § 6 Abs. 1 Satz 1 SVwG. 127 So Podzun, a. a. O., Bl. 174. 128 Ygl. hierzu auch Neumann: „Die Rechtsstellung des Geschäftsführers einer gewerblichen Berufsgenossenschaft" i n B G 1957, S. 519 ff. (521). 129 y g l . p0dzun, a. a. O., Bl. 175. 130 Sowohl die Vorstandsmitglieder der W a G w i e auch die Geschäftsführer der BGen sind als „Angestellte i n leitender Stellung" i. S. v o n § 3 Abs. 1 Nr. 1 A V G zu bezeichnen. Näheres zu diesem Begriff siehe bei Hueck-Nipperdey, L B des Arbeitsrechts, Bd. 1, § 13 I V , S. 66 f.

254

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

notwendig gewordene Abweichung vom genossenschaftlichen Selbstverwaltungsprinzip. Dieses verlangt Unentgeltlichkeit. Denn „die Unternehmer innerhalb des gleichen oder eines nahe verwandten Berufes sollten die ihnen i n Selbstverwaltung übertragenen Aufgaben der gesetzlichen U V als Persönlichkeiten durchführen, die sich der besonderen genossenschaftlichen Verbundenheit innerhalb ihres Berufes bewußt sind, verbunden aber auch m i t den Menschen, denen sie i n ihren Betrieben Arbeit geben und die für ihre Unternehmen m i t allen körperlichen und geistigen Kräften arbeiten" 1 3 1 . c) Der Aufsichtsrat Für den Aufsichtsrat i m VVaG, der i m wesentlichen nur Überwachungsorgan des Vorstands ist (§§ 35 Abs. 3 Satz 1 VAG, 111 Abs. 1 AktG), fehlt eine entsprechende Erscheinung i n der BG. Sie erübrigt sich i n einem genossenschaftlichen System. Abwandlungen zwischen Aufsichtsrat des W a G und dem Vorstand der BG ergeben sich daraus, daß i n den Gremien — beim V V a G allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 V A G 1 3 2 — einerseits Arbeitnehmer vertreten sind. Dies bedeutet i m einzelnen, daß i n einem VVaG m i t mehr als 500 A N n 1 3 3 der Aufsichtsrat zu Va aus A N Vertretern (d. h. A N n des VVaG) bestehen muß (§ 35 Abs. 2 V A G i. V. m. 131

So Podzun, a. a. O., Bl. 173. § 35 Abs. 2 VAG lautet: Der Aufsichtsrat setzt sich zusammen bei Vereinen, f ü r die nach § 77 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) — gemeint ist das Betriebsverfassungsgesetz v o m 11.10.1952 (BGBl. I S. 681), das inzwischen von dem Betriebsverfassungsgesetz v o m 15.1.1972 (BGBl. I S. 13) abgelöst worden ist — § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt, aus Aufsichtsratsmitgliedern, welche die oberste Vertretung w ä h l t , u n d aus Aufsichtsratsmitgliedern der A r b e i t nehmer, . . . § 77 Abs. 2 BetrVG v o m 11.10.1952 i. d. F. v o m 6. 9.1965 lautete: Besteht bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit m i t mehr als 500 Arbeitnehmern ein Aufsichtsrat, so findet § 76 B e t r V G (a. F.) Anwendung. § 76 Abs. 1 BetrVG (a. F.) lautete: Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf A k t i e n muß zu Va aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen. § 76 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (a. F.) lautete: A n der W a h l der Vertreter der Arbeitnehmer f ü r den Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens eines Konzerns (§18 Abs. 1 Satz 1 u n d 2 A k t G ) nehmen auch die Arbeitnehmer der Betriebe der übrigen Konzernunternehmen teil. 133 Vgl. hierzu des näheren Hueck-Nipperdey, L B , Bd. 2, § 73 I I I , S. 903/904. Daß es bei der Personenzahl der A N zur Vermeidung v o n Manipulationen i n Wirklichkeit auf die Z a h l der Arbeitsplätze ankommt, entschied das B A G i n einem Beschluß v o m 1.12.1961 i n D B 1962, S. 306: „ W e n n also ein Arbeitsplatz von zwei A N n zu n u r je 50 °/o ausgefüllt ist, g i l t er gleichwohl n u r als ein Arbeitsplatz. Es k a n n also i m Rahmen des § 77 Abs. 2 B e t r V G (a. F.) i n einem solchen Falle n u r ein einziger A N gezählt werden." 132

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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§§ 77 Abs. 2, 76 Abs. 1 BetrVG a. F.); i n der gesetzlichen U V andererseits setzen sich die Organe, also auch der Vorstand der BG, je zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber und der A N (d. h. hier die Versicherten der Betriebe) zusammen (§ 674 RVO i. V. m. § 2 Abs. 1 Buchstabe a SVwG) 1 3 4 . Steht der VVaG allerdings als beherrschtes Unternehmen i n einem Konzernverhältnis zu einer Muttergesellschaft, die ihrerseits weniger als 500 Belegschaftsmitglieder aufweist, also keine Arbeitnehmer i n den Aufsichtsrat entsenden darf, dann ist auch das beherrschte Unternehmen, hier der VVaG m i t über 500 Belegschaftsmitgliedern, selbst nicht berechtigt, Arbeitnehmer i n den Aufsichtsrat zu wählen. Denn „teilnehmen" i. S. von § 76 Abs. 4 BetrVG a. F. — dessen A n wendbarkeit i m Rahmen von § 35 Abs. 2 V A G zu Recht 135 vom B A G 1 3 6 bejaht wurde — kann die Belegschaft eines beherrschten VVaG nur an einer Aufsichtsratswahl des Mutterunternehmens, die tatsächlich stattfindet. Einem beherrschten VVaG steht somit kein selbständiges Wahlrecht, sondern nur ein Teilnahmerecht an einer tatsächlich stattfindenden Wahl der Belegschaft des herrschenden Unternehmens zu. W i r können also festhalten, daß die Arbeitnehmer — vorbehaltlich der Vertreterversammlung, die w i r i m Anschluß hieran prüfen wollen — i m VVaG (wenn auch unter verschiedenen Voraussetzungen) wesentlich schwächer i n der Organbesetzung 137 vertreten sind als bei der BG. 134 Die strikte A u f t e i l u n g i n je eine Hälfte v o n Vertretern der Versicherten u n d eine andere Hälfte der Arbeitgeber-Vertreter äußert sich auch i n der Besetzung der Plätze der Organvorsitzenden. So wählen gem. §§ 674 RVO, 12 Abs. 1 Satz 1 S V w G die Organe der B G aus ihrer M i t t e einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. W i r d als Vorsitzender ein V e r sichertenvertreter gewählt, so ist als sein Stellvertreter ein Arbeitgebervertreter zu wählen u n d umgekehrt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 SVwG). Diese paritätische Besetzung findet aus unserer Sicht ihre Rechtfertigung hauptsächlich darin, daß Arbeitgeber wie Arbeitnehmer in gleicher Weise Versicherte sind, die ersteren vornehmlich gegen Haftpflicht, die letzteren vornehmlich gegen Unfall. Legt m a n hierauf die Betonung, so ist man erst i n zweiter L i n i e genötigt, zur Begründung der paritätischen Besetzung darauf zurückzugreifen, daß sie „Ausdruck einer veränderten Wertordnung unserer Wirtschafts- u n d Sozialverfassung (ist), die nicht n u r Arbeitgeber u n d A r b e i t nehmer als gleichwertig i m Arbeitsprozeß anerkennt, sondern die Solidarität als Ausprägung einer neuen sozialpolitischen F u n k t i o n begreift" (so Carganico u n d Spiecker, „Selbstverwaltung i m Spannungsfeld zwischen Staat u n d Gesellschaft" i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 45 ff. [54]). 135 §35 Abs. 2 V A G erklärt nach seinem Wortlaut uneingeschränkt §76 B e t r V G (a. F.) über die Vorschrift des § 77 Abs. 2 B e t r V G (a. F.) f ü r anwendbar, m i t h i n auch § 76 Abs. 4 B e t r V G (a. F.). 136 Beschluß v o m 24. 5.1957 i n D B 1957, S. 750. 137 Gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 V A G besteht der Aufsichtsrat des W a G aus 3 Personen. Die Satzung k a n n eine bestimmte höhere Z a h l festsetzen, die

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Die stärkere Arbeitnehmervertretung (d. h. der unfallversicherten A N der i n der B G zusammengeschlossenen Betriebe) bei der BG ergibt sich aus dem Selbstverwaltungsprinzip und aus der Tatsache, daß die A N hier unmittelbar berührt sind. Die Arbeit, die i n den BGen zu leisten ist, w i r d noch augenfälliger als i m V V a G u m der (Unfall-)Versicherten w i l l e n durchgeführt. d) Die oberste Vertretung i m W a G — die Vertreterversammlung i n der B G Die oberste Vertretung des V V a G ist entweder eine Versammlung der Mitglieder oder eine solche von Vertretern der Mitglieder 1 8 8 . Die Vereinssatzung muß Bestimmungen darüber enthalten, ob das oberste Organ Mitglieder- oder Vertreterversammlung ist (§ 29 Abs. 1 VAG). Bei großen V V a G überwiegt aus praktischen Gründen die Vertreterversammlung 1 8 9 . Diese ist nicht etwa i n dem Sinne als „oberstes Organ" zu bezeichnen, daß es dem Vorstand und dem Aufsichtsrat übergeordnet wäre. Vielmehr verbleibt es auch für den großen V V a G bei der strikten Teilung der Funktionen zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Versammlung des obersten Organs 140 . So kann die Versammlung als oberstes Organ nicht etwa Angelegenheiten der Geschäftsführung (vgl. §§ 119 Abs. 2, 77 AktG) an sich ziehen. Die Vertreterversammlung kann nur insofern als „oberstes Organ" bezeichnet werden, als sie den Aufsichtsrat wählt, der seinerseits den Vorstand bestellt. I n Abwandlung des privaten Unfall- und HPflVersRechts besteht i n der gesetzlichen U V zwischen Vertreterversammlung und Vorstand kein durch 3 teilbar sein muß (§ 35 Abs. 1 Satz 2 u n d 3 V A G ) . Die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beträgt jedoch 21 (§ 35 Abs. 1 Satz 4 VAG). Die Höchstzahl der Arbeitnehmervertreter k a n n m i t h i n n u r 7 betragen. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 S V w G w i r d die Z a h l der Mitglieder der Organe der Größe der B G entsprechend durch die Satzung bestimmt. F ü r die Vorstandsmitglieder setzt das S V w G keine Höchstgrenze fest; doch ist der Vorstand stets das kleinere Organ gegenüber der Vertreterversammlung (vgl. Podzun, a. a. O., Bl. 175), Die Höchstzahl der Mitglieder f ü r die Vertreterversammlung ist auf 60 festgelegt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 SVwG). Hieraus ergibt sich, daß aufgrund der s t r i k t paritätischen Zusammensetzung der Organe (§ 2 Abs. 1 Buchstabe a SVwG) die B G stets mehr Arbeitnehmervertreter (die allerdings A N der Betriebe u n d damit Versicherte sind) aufweist als der VVaG. 138 w e r M i t g l i e d des W a G u n d der B G ist, w i r d i m weiteren gesondert untersucht: vgl. unten S. 257 if. Dazu, daß auch gegen die Vertreterversammlung nicht etwa Bedenken v o m demokratischen Standpunkt aus erhoben werden können, obwohl sich das Recht der Mitglieder auf Teilnahme an der V e r w a l t u n g i n diesem Falle auf die W a h l zur Vertreterversammlung beschränkt, vgl. Prölss, V A G - K o m m . , § 29 A n m . 2. iss V g L prölss, V A G - K o m m . , § 29 V A G A n m . 2. 140

Vgl. hierzu Prölss, V A G - K o m m . , § 29 V A G A n m . 4.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

257

Verhältnis der Über- und Unterordnung. Beide Organe der Selbstverwaltung stehen hier gleichberechtigt nebeneinander 141 . Dies erklärt sich schon daraus, daß — anders als i m PrivatVersRecht — die Vorstandsmitglieder der BG nicht „bestellt" werden, also kein Dienstvertrag m i t ihnen abgeschlossen w i r d 1 4 2 . Vielmehr werden sie von der Vertreterversammlung gewählt (§ 7 Abs. 4 Satz 1 SVwG) — die Bestellung ist m i t h i n ein organschaftlicher A k t — und werden ehrenamtlich tätig. I m übrigen ist auch i n der BG — entsprechend der Regelung beim VVaG — die Verteilung der Kompetenzen strikt eingehalten. Auch i n der gesetzlichen U V darf die Vertreterversammlung als Selbstverwaltungsorgan nicht etwa Aufgaben der Geschäftsführung an sich ziehen. I n beiden Rechtskreisen obliegt der Vertreterversammlung vor allem die rechtliche Gestaltung des Vereins bzw. der BG: so steht der Vertreterversammlung i m VVaG das Recht zur Satzungsänderung (§ 39 Abs. 1 VAG) und zur Änderung der allgemeinen VersBedingungen (§ 41 Abs. 1 VAG) zu, während derjenigen i n der BG sogar die Rechtssetzungsbefugnis selbst zusteht 148 . e) Die Mitgliedschaft i m VVaG und i n der BG aa) Die Mitglieder selbst I m VVaG ist jedes Mitglied entweder selbst Versicherter (i. S. einer EigenVers, auf eigene Rechnung) oder V N zugunsten Dritter (Versicherung für fremde Rechnung) 144 . Regelmäßig 145 muß also das Mitglied V N sein 146 , sei es für eigene oder für fremde Rechnung. Die (Fremd-)Versicherten, für deren Rechnung die Versicherung genommen ist, oder die Gefahrpersonen — bei ihnen ist die Versicherung stets zugunsten des VNs abgeschlossen — scheiden demnach als Mitglieder aus. Ähnlich verhält es sich bei der BG. Mitglieder sind allein die Unternehmer als gleichsam für eigene Rechnung Haftpflichtversicherte. Die 141

Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§ 674, 675 RVO, S. 205. Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 S V w G w i r d durch die Tätigkeit der Vorstandsmitglieder i n Ausübung ihres Ehrenamtes k e i n Dienstverhältnis zur B G begründet. 143 Siehe Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§ 670—673 RVO, S. 204. 144 Vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, 2. Abschn., § 15 I 4, S. 21. 145 Allerdings darf der große V V a G auch m i t Nichtmitgliedern VersVerträge gegen Prämien abschließen, falls die Satzung es bestimmt (§ 21 Abs. 2 VAG). Er heißt dann „gemischter Verein". 146 Vgl. J. v. Gierke, a. a. O., § 17 I V 1 a, S. 35. 142

17 v.Heinz

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3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

Unternehmer allein sind Träger und Mitglieder der BGen 1 4 7 , nicht etwa auch die gegen Unfall (und Haftpflicht) versicherten Arbeitnehmer. Sie haben nur eine „mitgliederähnliche Stellung" 1 4 8 . Bestrebungen, die i n der gesetzlichen U V versicherten A N als M i t glieder i n die B G einzubeziehen 149 , sind bisher nicht durchgedrungen. bb) Die Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft i m V V a G ist durch die enge Verbundenheit m i t dem Vers Verhältnis geprägt. Die Verbindung ist so stark, daß ein „einheitliches Rechtsverhältnis" 150 anzunehmen ist, das besonderen Rechtssätzen unterliegt —, „besonderen" Rechtssätzen deshalb, w e i l die Regelung der Mitgliedschaft zum Verein stets von der Warte der Mitgliedschaft zur versrechtlichen Gefahrengemeinschaft her zu beurteilen ist und umgekehrt 1 5 1 . Der Erwerb der Mitgliedschaft erfolgt durch einen formlosen m i t gliedschaftlichen Vers Vertrag 1 5 2 , der Verlust derselben richtet sich vornehmlich nach dem Vers Verhältnis. Der Verlust t r i t t z. B. bei Kündigung oder Rücktritt vom Vers Vertrag ein. I n Abwandlung hierzu handelt es sich i n der gesetzlichen U V u m eine Mitgliedschaft ex lege 153 , die auch ohne Anmeldung eintritt (§ 659, 1. Halbs. RVO). Noch klarer als i m PrivatVersRecht ist hier das M i t gliedschaftsverhältnis m i t dem (Haftpflicht-)VersVerhältnis 154 der Unternehmer deckungsgleich. Die Mitgliedschaft endet wiederum kraft Gesetzes m i t Erlöschen des Unternehmens (§ 667 Abs. 2 Satz 1 RVO). 147

Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu § 658 RVO, S. 196. So Möller, „Soziale u n d private U V — Vergleich u n d Wechselbeziehungen — " i n V W 1964, S. 605 ff. (605). Insofern ist es richtig, die BGen nicht als Repräsentanten der Gefahrengemeinschaft der versicherten A N zu bezeichnen: vgl. Schlie, „Versicherungsmäßige u n d nicht-versicherungsmäßige Elemente i n der gegenwärtigen Gestaltung der sozialen Sicherung" i n ZVersWiss. 1963, S. 281 ff. (287). 149 Vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses f ü r Sozialpolitik, B T Drucks. I V / N r . 938, S. 20. 150 So J. v. Gierke, 2. Hälfte, § 17 I V 1, S. 34. Nicht etwa bestehen zwei Rechtsverhältnisse: ein mitgliedschaftliches u n d ein versicherungsrechtliches. Verschiedene Ansichten legt des näheren Kisch, „Beiträge zum Gegenseitigkeitsverein" i n J R P V 1936, S. 129 ff. dar. 151 So w i r d z. B. der Grundsatz des § 38 Satz 1 BGB, nach dem die V e r einsmitgliedschaft unübertragbar u n d unvererblich ist, weitgehend durch die Existenz des Vers Verhältnisses beiseitegeschoben; J. v. Gierke, a. a. O., § 17 I V 2 a, S. 35, formuliert folgendermaßen: „Die Mitgliedschaft geht auf einen Sondernachfolger oder Erben insoweit über, als dieses i n bezug auf das Vers Verhältnis der F a l l ist." 152 Vgl. J. v. Gierke, a. a. O., § 1 7 I V 2 a, S. 35. 153 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu § 658 RVO, S. 196. 154 v g i # hierzu des näheren unten Viertes Kapitel, S. 314 ff. 148

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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cc) Inhalt der Mitgliedschaft I n der privaten U V und HPflVers. besteht er aus Rechten und Pflichten gegenüber dem Verein, die sämtlich durch die Treuepflicht 155 zusammengehalten werden, die dem einzelnen Mitglied gegenüber dem Verein obliegt. Ferner werden Rechte und Pflichten vom Gleichbehandlungsgrundsatz beherrscht, den zum Beispiel § 21 Abs. 1 V A G klar zum Ausdruck bringt: „Mitgliedbeiträge und Vereinsleistungen dürfen bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden." Auch i n der gesetzlichen U V erwachsen — allerdings lediglich kraft Gesetzes — aus der Mitgliedschaft bei der BG für den Unternehmer eine Reihe von Rechten und Pflichten, wobei letztere — von der Beitragspflicht abgesehen — hauptsächlich i n § 660 RVO (Unterrichtungspflicht des Unternehmers gegenüber den Beschäftigten über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten BG), § 661 RVO (Anzeigepflicht des Unternehmers bezüglich Gegenstand und A r t des Unternehmens, Zahl der Versicherten usw.) und § 666 RVO (Anzeigepflicht des Unternehmers gegenüber der BG bei Unternehmensänderung) festgehalten sind. Rechte und Pflichten orientieren sich hier an dem allgemeinen Gleichheitssatz des A r t . 3 Abs. 1 GG, dessen Anwendungsgrundsätze 156 uneingeschränkt für das Sozialversicherungsrecht 157 gelten. I V . Zusammenschlüsse von W a G und BGen zu Verbänden Nur kurz erwähnt sei die sowohl i m Bereich der privaten U V und HPflVers. als auch i m Bereich der gesetzlichen U V anzutreffende Verbandsbildung der VersTräger. Zu nennen sind insbesondere der Verband der Haftpflicht-, Unfallund Kraftverkehrs-Versicherer e.V. (HUK-Verband) i n Hamburg und der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft e. V. i n K ö l n sowie der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. i n Bonn. Auch letzterer erhielt i m Jahre 1921158 den Status eines eingetragenen Vereins, nachdem am 27. Juni 1887 der ,Verband der deutschen Be155

Vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, § 1 7 I V 3, S. 36. Z u nennen ist z . B . das Verbot, daß wesentlich Gleiches ohne zureichenden G r u n d ungleich behandelt w i r d (vgl. B V e r f G E. v. 17. 6.1953 Bd. 2, S. 336 ff. [340]). Verboten ist n u r eine ungleiche Behandlung gleicher T a t bestände, nicht aber die ungleiche Behandlung verschiedener Tatbestände (vgl. B V e r f G E. v. 12.10.1951 Bd. 1, S. 14 ff. [S. 16, Ziff. 18 des Leitsatzes]). 157 Vgl. Wannagat, L B , 9. Abschn., § 2, S. 231. 158 Vgl. Wickenhagen, „ D e r Hauptverband der gewerblichen BGen i n Vergangenheit u n d Gegenwart" i n „Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift f ü r Lauterbach, S. 61 ff. (63). 158

1*

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

rufsgenossenschaften' als rechtlich unselbständiger, nicht eingetragener Verein gegründet worden war 1 5 9 . Hier wie dort haben die Verbände den Zweck, nach außen h i n die Anliegen ihrer Mitglieder i n der Öffentlichkeit — besonders bei den gesetzgebenden 160 und rechtsprechenden Organen — zu vertreten, sowie nach innen als Forum zu dienen, auf dem die von den Versicherten gemeinsam zu behandelnden Angelegenheiten bearbeitet werden können. Es ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung, hierzu weitere Ausführungen zu machen. V. Sonstige Zusammenschlüsse Hinzuweisen ist auch auf die sonstigen Zusammenschlüsse von VersUnternehmern i n der privaten U V und HPflVers. zu Konzernen, zu denen sich nicht nur Aktiengesellschaften miteinander oder VVaG m i t einander, sondern auch Aktiengesellschaften und VVaG miteinander 1 6 1 verbinden können. Der Konzern insgesamt ist dann als VersUnternehmen 162 zu betrachten, innerhalb dessen eine Gruppe rechtlich selbständiger Unternehmer wirtschaftlich einer einheitlichen Leitung untersteht. Auch i n der gesetzlichen U V ist es gem. § 651 RVO zulässig, daß sich mehrere BGen zu einer BG vereinigen. Da hier jedoch i m Gegensatz zur PrivatVers. das Erwerbsdenken i n den Hintergrund tritt, w i r d es zu solchen Vereinigungen beispielsweise nur dann kommen, wenn verschiedene Gewerbezweige, deren Unternehmer bisher sich jeweils getrennt i n einer BG zusammengeschlossen hatten, i n ihrer wirtschaftlichen Bedeutung so zurückgegangen sind, daß eine Vereinigung zu einer BG als notwendig erscheint. I m übrigen ist der Bestand der BGen durch ihre namentliche Aufführung i n Anlage 1 zu § 646 Abs. 1 RVO ausdrücklich gesetzlich 163 sanktioniert. Zur Errichtung einer neuen bundes159 v g l , Wickenhagen, a.a.O., S. 62; siehe auch Lauterbach, Die Berufsgenossenschaften: w i e sie wurden, was sie sind, was sie leisten, S. 6. 160 v g l . Prölss, V A G - K o m m . , § 1 V A G A n m . 14, wo erwähnt w i r d , daß die Verbände der V U aufs engste m i t dem B A V , namentlich auf den Gebieten der Neufassung u n d Änderung von A V B , zusammenarbeiten. 161

Vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, 2. Abschn., § 13 I I I 2, S. 6. Anders verhält es sich jedoch bei den sog. Versicherungspools, die v o r allem i n der KraftverkehrshaftpflichtVers. vorkommen. Sie stellen keine VersUnternehmen dar (vgl. Prölss, V A G - K o m m . , § 1 V A G A n m . 12), sondern sog. Versicherungsbetriebsgemeinschaften (so J. v. Gierke, 2. Hälfte, § 13 I I I 3, S. 6). Z u r internen Verteilung von Risiken verpflichten sich mehrere VU, ihre Wagnisse auf eine Zentralstelle zu übertragen, die sie nach bestimmtem Schlüssel unter die zugehörigen V U verteilt. Z u r näheren Gestaltung des Poolvertrages vgl. Herrmannsdorfer, Versicherungswesen, I I C, § 15, S. 143/ 144. 163 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu § 646 RVO, S. 186. 162

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

261

unmittelbaren BG bedarf es gem. A r t . 87 Abs. 3 Satz 1 GG eines besonderen Bundesgesetzes; dessen bedarf es auch entsprechend für die Auflösung einer BG 1 6 4 . I n Abwandlung des PrivatVersRechts i n der gesetzlichen U V ergibt sich somit, daß i n letzterer Zusammenschlüsse nur aus ganz anderen Motiven als i n der PrivatVers. stattfinden können und daß sie regelmäßig vom Tätigwerden des Gesetzgebers abhängen. Denn die §§ 649 bis 652 RVO bilden nicht etwa eine Rechtsgrundlage für den E i n t r i t t der dort genannten jeweiligen Veränderungen i m Bestand der BGen, sondern regeln lediglich die vermögensrechtlichen Folgen der i n ihnen umschriebenen Tatbestände 165 . V I . Die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen 1. Allgemeines und Begriffliches M i t gutem Recht weist Georg Voss 186 darauf hin, daß das öffentlichrechtliche VersWesen — als Teilgebiet des privaten (individuellen) VersRechts — i m . Schrifttum jahrzehntelang ein Schattendasein geführt hat. Näheren Forschungen auf diesem Gebiet widmeten sich erst von J. v. Gierke 16 7 , W.Weber 1 8 8 und neuerdings i n besonderem Maße R. Schmidt, H. H. Sievers und M. Müller-Stüler 1 8 9 . Nicht nur für den schweizerischen, sondern auch für unseren Rechtsraum haben u. a. W. Hug 1 7 0 und P. Steinlein 1 7 1 eingehende Studien auch über die öffentlich-rechtlichen V U angestellt. Die insgesamt i m Schrifttum geübte Zurückhaltung auf diesem Gebiete ist verständlich; denn der Stoff ist „spröde wegen seiner Unübersichtlichkeit" 1 7 2 . 164

S. 459. 165

Vgl. hierzu Forsthoff,

L B des Verwaltungsrechts, 1. Bd., § 24 (unter 2.),

Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§ 649—652 RVO, S. 189. „Die Kommunalwirtschaft u n d das öffentlich-rechtliche VersWesen" i n Handbuch der kommunalen Wissenschaft u n d Praxis, 3. Bd., S. 791 ff. (791). 187 Vgl. VersRecht unter Ausschluß der SozialVers., 2. Hälfte, 4. Kap., § 17, S. 67 ff.; ders., „Die öffentlichen Vers Anstalten (des sog. PrivatVersRechts)" i n Z H R Bd. 109 (1943), S. 157—247. 168 „ Z u r Rechtsgestalt der öffentlich-rechtlichen VersUnternehmen" i n Hans. RuGZ, Abt. A , 24. Jahrg., 1941, S. 161 ff. 169 Vgl. Schmidt-Sievers, Das Recht der öffentlich-rechtlichen SachVers., Veröff. d. Sem. f. VersWiss. a. d. U n i v . H a m b u r g e . V . N. F. Heft 7, 1951; erschienen i n 2. Aufl., 1968, bearb. von Schmidt u n d Müller-Stüler. 170 „PrivatVers. u n d SozialVers., Versuch zu einer begrifflichen Umschreibung u n d Abgrenzung nach rechtlichen Merkmalen" i n SZS 1963, S. 1 ff. (insbes. S. 24 ff.). 171 „PrivatVers. u n d SozialVers. i n der Schweiz" i n SZS 1957, S. 130 ff. 172 So Weber, w i e hier A n m . 168, S. 161. 168

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3. Teil: Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

Unsere Aufgabe ist es, diese unübersichtliche Lage dadurch überschaubar zu gestalten, daß w i r uns auf die an Einzelbeispielen orientierte Darstellung einiger für das Thema wesentlicher Erscheinungsformen beschränken, die einen Vergleich m i t der B G als Körperschaft des öffentlichen Rechts und anderen gesetzlichen UV-Trägern zulassen. Durch unser Vorhaben eines Vergleichs m i t der BG w i r d bereits deutlich, daß nur die öffentlich-rechtlichen V U gemeint sein können, die außerhalb der SozialVers. Versicherungsschutz gewähren. 2. Die öffentlich-rechtlichen Unfall- und HPflVersUnternehmen — Rechtsnatur der VersVerhältnisse Das Eigenartige an diesen öffentlich-rechtlichen V U ist, daß die VersVerhältnisse — soweit sie die U V und HPflVers. betreffen — nur zum Teil öffentlich-rechtlicher, zum anderen Teil jedoch privatrechtlicher Natur sind. Während sich beispielsweise das Vers Verhältnis m i t dem „Bayerischen Versicherungsverband" (München), der HPflVers. und U V betreibt und von der „Abteilung für Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrs-, Kassenund Fahrnisversicherung" der Bayerischen Versicherungskammer verwaltet wird, als öffentlich-rechtlich 173 , wenn auch m i t privatrechtlichem Einschlag 174 , darstellt, gilt für die i m „Verband öffentlicher Lebensund Haftpflichtversicherer" 175 (Düsseldorf) zusammengeschlossenen

173 Daß ihre Rechtsverhältnisse dem öffentlichen Recht angehören, ergibt sich u. a. aus der Entstehungsgeschichte der Bayerischen Versicherungskammer, der Tatsache ihrer V e r w a l t u n g durch eine Staatsbehörde: vgl. hierzu des näheren Schmitt-Lermann, Die Bayerische Versicherungskammer i n V e r gangenheit u n d Gegenwart, 3. Abschn., S. 80. 174 Vgl. Schmitt-Lermann, a.a.O., S.71 ff. (79). Hinsichtlich des „ p r i v a t rechtlichen Einschlags" sei hingewiesen auf A r t . 16 Abs. 2 des bayerischen Gesetzes über das öffentliche VersWesen v o m 7.12.1933 (BayGS I, S. 242) i. d. F. der Gesetze v o m 29.5.1957 (GVB1. S. 105), 30. 5.1961 (GVB1. S. 148) u n d 21.12. 1964 (GVB1. S. 254), (Bayer. VersG), abgedr. bei Schmidt— Müller-Stüler [wie hier A n m . 169 auf S. 261], S. 96 ff. Gemäß A r t . 16 Abs. 2 Bayer. VersG richtet sich die V e r j ä h r u n g v o n Ansprüchen aus dem Versicherungs- oder V e r sorgungsverhältnis f ü r den Bayer. Versicherungsverband, der v o n der Bayer. Versicherungskammer („Abteilung f ü r Haftpflicht-, U n f a l l - u n d K r a f t v e r kehrs-, Kassen- u n d Fahrnisversicherung") verwaltet w i r d (vgl. hierzu auch A r t . 40 Nr. 6 u n d 8 Bayer. VersG), nach dem W G . Siehe hierzu auch §2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Bayer. Versicherungsverbandes v o m 16.12.1953, (Bayer. StAnz. Nr. 52) (abgedr. bei Schmidt—Müller-Stüler, S. 138), wonach f ü r die Rechtsverhältnisse der Anstalt u n d der Mitglieder „ i m übrigen" (neben dem Bayer. VersG, der Satzung u n d den VersBedingungen) das W G gilt. 175 I n der Tat ist J. v. Gierke i n seiner Feststellung beizupflichten (vgl. 2. Hälfte, 4. Kap., §17 I I I 4, S. 80), es sei f ü r die öffentlichen LebensVersAnstalten charakteristisch, daß sie i m Gegensatz zum reinen P r i v a t V U sehr oft auch die U V oder die U V nebst HPflVers. betreiben.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

263

Einzelunternehmer, daß das sie m i t den Versgeschützten verbindende Vers Verhältnis rein privatrechtlicher Natur 1 7 6 ist. Gerade diese beiden öffentlich-rechtlichen VersUnternehmenstypen seien hier vornehmlich herangezogen, da jeder von ihnen als Repräsentant eines der beiden großen Bereiche des öffentlich-rechtlichen VersWesens anzusehen ist, i n die man diesen versicherungswirtschaftlichen Sektor aufteilen kann: i n vorwiegend gemeinnützige VersEinrichtungen und i n solche, die v o l l am Erwerbsleben teilnehmen. Gem. § 1 Abs. 1 der Satzung vom 16.12.1953 177 ist der Bayer. Versicherungsverband eine auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhende gemeinnützige VersEinrichtung. Nach Auskunft seines Vorstandes stellen hingegen die i m „Verband öffentlicher Lebens- und Haftpflichtversicherer" zusammengeschlossenen VU, soweit sie die U V und HPflVers. betreiben, reine Wettbewerbsunternehmen dar, die trotz ihrer Rechtsform die gleichen Verträge auf rein privatrechtlicher Grundlage abschließen wie etwa Aktiengesellschaften oder W a G . Gemeinsam ist jedoch — dies sei besonders hervorgehoben — den gemeinnützigen wie den vornehmlich wettbewerblich ausgerichteten öffentlich-rechtlichen V U n i n bezug auf die Zweige U V und HPflVers., daß sie in keiner Weise der SozialVers. angehören 178 oder als irgendwelche Abkömmlinge oder Seitenlinien dieser Rechtsfamilie zu bezeichnen sind. Während jedoch der genannte „Bayer. Versicherungsverband" von der öffentlich-rechtlichen Natur seiner Vers Verhältnisse (betreffend U V und HPflVers.) her gesehen gleichsam eine „graue Zone" zwischen Privat- und SozialVers. einnimmt 1 7 9 , gehört das öffentlich-rechtliche Wettbewerbsunternehmen i n Gestalt des „Verbandes öffentlicher Lebens- und Haftpflichtversicherer" — abgesehen von seiner äußeren Rechtsform — eindeutig der Privat Vers. an. 176 Dies g i l t i m übrigen f ü r eine Reihe der nach Landesrecht errichteten öffentlichen U n f a l l - u n d HPflVersAnstalten, deren VersVerhältnisse selbst dann privatrechtlicher N a t u r sein können, w e n n f ü r die Anstalten K o n t r a h i e rungszwang besteht (vgl. hierzu Prölss, V V G - K o m m . , § 192 W G A n m . 3). Daß es i m ganzen gesehen unmöglich ist, m i t absolutem Gültigkeitsanspruch bei öffentlich-rechtlichen VersAnstalten eine Faustregel über die N a t u r der Rechtsverhältnisse aufzustellen, legt Schmitt-Lermann (a.a.O., S. 71 ff. [79]) eindringlich dar. 177 Bayer. StAnz. Nr. 52 i. d. F. der Änderung v o m 14.12.1966 (Bayer. StAnz. Nr. 51), abgedr. bei Schmidt—Müller-Stüler, S. 138. 178 Vgl. hierzu auch Voss, a. a. O., § 97, S. 792. 179 Allerdings wächst auch i n diesem Unternehmen die Tendenz, sich zum reinen Wettbewerbs-VU zu entwickeln.

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

3. Entsprechungen und Abwandlungen hinsichtlich der äußeren Rechtsform in der gesetzlichen UV Gemeinsam ist den genannten VersEinrichtungen m i t der BG, daß sie insgesamt Einrichtungen m i t eigener Rechtspersönlichkeit darstellen, und zwar des öffentlichen Rechts. I n Entsprechung zur BG stellt der Bayer. Versicherungsverband, wenn auch i n § 1 Abs. 2 seiner genannten Satzung als „Anstalt" bezeichnet, i n Wirklichkeit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts dar 1 8 0 , d. h. i m Sinne unserer heutigen verwaltungsrechtswissenschaftlichen Terminologie eine mitgliedschaftliche Organisation, die staatliche Aufgaben m i t hoheitlichen M i t t e l n wahrnimmt 1 8 1 . Der „Verband öffentlicher Lebens- und Haftpflichtversicherer" weist sich laut seinem Geschäftsbericht (1967) ebenfalls als „Körperschaft" des öffentlichen Rechts aus. Einzelne seiner Verbandsmitglieder 182 , wie z. B. die Provinzial-Lebens-Unfallund Haftpflichtversicherungsanstalt Schleswig-Holstein (Kiel), sind jedoch i m Gegensatz zur BG „Anstalten" des öffentlichen Rechts, d. h. nach der heute noch überwiegend 183 anerkannten Definition Otto Mayers 184 „ein zur Rechtsperson des öffentlichen Rechts erhobener Bestand von sachlichen und persönlichen Verwaltungsmitteln, welcher i n der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt ist".

180 vgi # Schmitt-Lermann, Die Bayer. Versicherungskammer i n Vergangenheit u n d Gegenwart, 1875—1950, 3. Kap., S. 41, der nachweist, daß das Bayer. VersG i n W i r k l i c h k e i t den Begriff der „ A n s t a l t " i n den Begriff der „Körperschaft" des öffentlichen Rechts m i t einbezieht u n d keinen eigenen Rechtsbegriff öffentlich-rechtlicher Anstalten anerkennt. Allerdings beschränken sich die Pflichten der „Mitglieder" des Bayer. VersVerbandes w e i t gehend darauf, die Beiträge zu bezahlen. 181 Vgl. z.B. Forsthoff, L B des Verwaltungsrechts, 1. Bd., Allgem. Teil, § 24 I I 2, S. 451 ff. W a n n eine öffentlich-rechtliche VersEinrichtung als K ö r perschaft oder als Anstalt des öffentlichen Rechts zu bezeichnen ist, hat bereits vielfach Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, f ü r deren Darlegung hier jedoch kein Raum ist. Vgl. des näheren Voss, a. a. O., S. 792 ff.; siehe auch die umfangreichen Untersuchungen J. v. Gierkes, „Die öffentlichen VersAnstalten (des sog. PrivatVersRechts)" i n Z H R Bd. 109 (1943), S. 157—247. 182 Insgesamt zählt der Verband 19 Einzel-VU, v o n denen 7 ausschließlich die H U K - Z w e i g e (zum T e i l auch die SachVers.) betreiben, während 6 M i t gliedsunternehmen die HUK-Versicherung zusammen m i t der LebensVers. betreiben, eine Eigenart, die sich aus der geschichtlichen Entwicklung ergibt u n d eine Ausnahme zu dem i n Deutschland herrschenden Prinzip der Spartentrennung bedeutet. 183 Z u den Bedenken vgl. Forsthoff, a. a. O., § 24 I I 3, S. 459 f. 184 Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 331.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

265

4. Entsprechungen und Abwandlungen hinsichtlich der Gemeinnützigkeit I n gleicher Weise sind der Bayer. Versicherungsverband wie die BG als „gemeinnützig" (vgl. § 1 Abs. 1 der genannten Satzung vom 16.12.1953) zu bezeichnen. Das bedeutet i n diesem Zusammenhang, „daß die i n einem Geschäftsjahr erzielten Überschüsse unter Berücksichtigung der Auffüllung der satzungsmäßig festgelegten Rücklage ihren Versicherungsnehmern angerechnet werden müssen" 185 . Für die BG ergibt sich dies entsprechend für die beitragszahlenden versicherten Unternehmer aus den §§ 724 Abs. 1, 740 RVO. Eine Abwandlung ergibt sich selbstverständlich für die öffentlich-rechtlichen Wettbewerbs-VU, denen die Gemeinnützigkeit fehlt. 5. Die öffentlich-rechtlichen VersEinrichtungen der Gemeinden — vergleichbare Erscheinungen in der gesetzlichen UV I m Anschluß an unsere obigen Ausführungen 1 8 8 , die vornehmlich auf die V N und Versicherten bezogen waren, darf hier der Hinweis auf die kommunalen Schadenausgleiche nicht fehlen, die eine ihnen i m Grundsätzlichen entsprechende Erscheinungsform auf dem Gebiet der gesetzlichen U V i n Form der Gemeindeunfallversicherungsverbände i. S. der §§ 656 Abs. 2 Satz 1, 657 RVO finden. Die Träger der kommunalen Schadenausgleiche sind — wie auch bei den Gemeindeunfallversicherungsverbänden — die Gemeinden, die Gemeindeverbände sowie die i n besonderer Rechtsform bestehenden gemeindlichen Einrichtungen. Komunale Schadenausgleiche stellen i m Gegensatz zu den Gemeindeunfallversicherungsverbänden 187 keine Körperschaften des öffentlichen Rechts dar, da es an der Verleihung der juristischen Persönlichkeit durch einen Hoheitsakt fehlt 1 8 8 . I n Abwandlung zu den Gemeindeunfallversicherungsverbänden regeln sich die Beziehungen der Mitglieder bei den Schadenausgleichen nach privatrechtlichen Bestimmungen 189 . 185 So Voss, a. a. O., § 97, S. 795. Eine Annahmepflicht i. S. eines K o n t r a hierungszwangs, w i e sie u. a. i n der Gebäude- u n d ViehVers. v o r k o m m t (vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, § 17 I 6 a, S. 72), besteht i n der allgemeinen U V u n d HPflVers. jedoch nicht. 186 Vgl. oben S. 245 ff. (246). 187 H i e r werden die Gemeinden durch Rechtsverordnung der Landesregierung zum U V - V e r b a n d vereinigt u n d zum VersTräger erklärt, §656 Abs. 2 Satz 1 RVO. Vgl. hierzu des näheren Lauterbach, U V - K o m m . , § 627 RVO a. F., A n m . S. 175,176. iss F ü r kommunalen Schadenausgleiche vgl. Voss, a. a. O., § 103, S. 810. 189

A u f den Streit, ob die Schadenausgleiche als nicht rechtsfähige V e r -

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Kommunale Schadenausgleiche wie auch Gemeindeunfallversicherungsverbände beruhen auf dem Gedanken der Selbstversicherung. Sie sind beide nicht erwerbswirtschaftlich ausgerichtet und ähneln damit den gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen V U 1 9 0 . Da feste Prämien bei beiden Arten von Einrichtungen fehlen, vielmehr die M i t t e l für die Deckung anfallender Schäden und für die Verwaltungskosten i m Umlagewege 191 von den Einzelmitgliedern eingefordert werden, w i r d bisweilen 1 9 2 zumindest den Schadenausgleichen der Charakter eines Versicherungsunternehmens abgesprochen. Das Versagen eines solchen Zugeständnisses nur aus diesem Grunde geschieht zu Unrecht, da angesichts der Finanzkraft der Gemeinden und Gemeindeverbände keine verstechnischen Rückstellungen und keine Ansammlung von Rücklagen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten gebildet werden müssen, vielmehr eine nachträgliche Umlage wesentlich zweckmäßiger ist. Denn gerade die zusammengefaßte Finanzkraft der Gemeinden etc. bildet die Grundlage für den Zusammenschluß der Einzelgemeinden zu kommunalen Schadenausgleichen. So kam es i m Jahre 1923 zur Gründung des „Allgemeinen Kommunalhaftpflichtschadenausgleichs" (AKHA) 1 9 8 , dem als Körperschaft des öffentlichen Rechts der Bayer. Versicherungsverband über die Bayer. Versicherungskammer mitgliedschaftlich angehört 194 . Der A K H A selbst weist alle Merkmale einer Versicherung 195 auf. Er ist aus freier Vereinbarung der kommunalen Schadenausgleiche auf privatrechtlicher Ebene entstanden. Seine gesamten Rechtsbeziehungen sind bisher nach privatrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Wie die Gemeindeunfallversicherungsverbände beruht er auf dem Umlageprinzip und w i r d von den einzelnen kommunalen Schadenausgleichen unmittelbar getragen.

eine oder als Gesellschaften des bürgerlichen Rechts anzusehen sind, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Vgl. hierzu des näheren Knott, Die k o m munalen Haftpflichtschadenausgleiche, Veröff. d. Sem. f. VersLehre d. U n i v . K ö l n , Bd. 3, S. 17 f. 190 Vgl. dazu oben I V 1 u n d 4. 191 F ü r die Schadenausgleiche vgl. Voss, a. a. O., § 103 I, S. 810; f ü r die Gemeinde-UV-Verbände vgl. § 770 Satz 2 RVO. 192 Vgl. J. v. Gierke, 2. Hälfte, 4. Kap., § 17 I 3, S. 71. 193 Näheres hierzu siehe bei Voss, a.a.O., §103 I I , S.810/811 sowie bei Knott, a. a. O., S. 9 ff. (17 f.). 194 Dazu bereits oben I V 2; vgl. auch des näheren Schmitt-Lermann, Die Bayer. VersKammer i n Vergangenheit u n d Gegenwart, S. 166—180; vgl. auch Knott, a. a. O., C I V , S. 55. 195 So richtig Knott, a. a. O., S. 79.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

267

V I I . Privatrechtliche Versicherungsunternehmen für die Deckung kommunaler Haftpflichtwagnisse Schließlich haben sich zur Gewährung von VersSchutz von Gemeinden und Gemeindeverbänden auch privatrechtliche VersUnternehmen gebildet. Hervorzuheben sind der „Versicherungsverband für Gemeinden und Gemeindeverbände", W a G i n K ö l n (5 Köln-Riehl, A n der Flora 27) und der „Württembergische Gemeinde-Versicherungsverein a. G." i n Stuttgart (7 Stuttgart N, Panoramastr. 31). Beide sind juristische Personen des Privatrechts 196 . Der genannte W a G i n K ö l n gewährt zwar wie die kommunalen Schadenausgleiche und GemUWerbände VersSchutz, gründet diesen jedoch i m Gegensatz zu letzterem auf feste Beiträge und nicht auf nachträgliche Umlagen 197 . V I I I . Zusammenfassung der Entsprechungen und Abwandlungen bezogen auf die privaten und öffentlich-rechtlichen VersTräger im Vergleich zu denen der gesetzlichen U V Unsere Untersuchungen haben vor allem gezeigt, daß — abgesehen von der Rechtsform — große Ähnlichkeiten zwischen dem W a G und der BG bestehen. Dies gilt insbesondere von der inneren Organisation, die hier wie dort auf genossenschaftlicher Selbsthilfe beruht. Sowohl auf den Gebieten der privaten U V und HPflVers. wie auch auf dem Gebiet der gesetzlichen U V finden sich Zusammenschlüsse der VersTräger zu Verbänden. I n der gesetzlichen U V finden diese Zusammenschlüsse freilich unter anderen Voraussetzungen und auf anderen Grundlagen statt als i m PrivatVersRecht. Die öffentlich-rechtlichen VersUnternehmen auf dem Gebiete des privaten Unfall- und HPflVersRechts, deren Entsprechungen und Abwandlungen bezüglich ihrer inneren Struktur i m Vergleich zur BG ebenfalls einen lohnenden Stoff für rechtliche Untersuchungen bieten würden, waren hier nur aufrißweise i n dem Schwerpunkt ihrer Berührungen m i t der BG zu behandeln, nämlich dem öffentlichen Recht, i n das beide — von der Rechtsform her — eingebettet sind.

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y 0SSf a > a > o., § 103 I I I , S. 811; Knott, a. a. O., Einl., S. 10, A n m . 8. Näheres hierzu siehe bei Voss, a. a. O., § 103, S. 811 ff. m i t umfangreichem Schrifttumsnachweis. 197

V g l #

268

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Zweiter Unterabschnitt Wirtschaftsführung und Finanzierung I. Begrenzung der Untersuchungen Unter Berücksichtigung des Schwerpunkts unserer vergleichenden Untersuchungen der VersTräger, die den VVaG und die BG als durchaus ähnliche Gebilde haben erscheinen lassen, gilt es nunmehr einige grundsätzliche Gesichtspunkte zu deren Wirtschaftsführung und Finanzierung aufzuzeigen. II. Mittelaufbringung 1. Die Mittel zur Gründung Für die private U V und HPflVers. gilt i n gleicher Weise, daß die VVaG, die diese Zweige betreiben wollen, die Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe i. S. von § 5 Abs. 1 V A G von der Aufsichtsbehörde nur dann erhalten, wenn nach dem Geschäftsplan der einzelnen V U die Verpflichtungen aus den Versicherungen als „genügend und dauernd erfüllbar dargetan sind" (arg. § 8 Abs. 1 Nr. 2, 2. A l t . VAG). Bei der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen i n diesem Sinne handelt es sich vornehmlich u m die Kapitalausrüstung 1 9 8 des Unternehmens. Der VVaG hat i n seiner Satzung vorzusehen, daß ein Gründungsstock gebildet wird, § 22 Abs. 1 Satz 1 VAG. Dieser dient u. a. als Betriebsstock 199 , aus dem wiederum zusammen m i t den Beitrags- und sonstigen Einnahmen die Deckung der laufenden Ausgaben zu bestreiten ist, die nach Errichtung und Einrichtung des VVaG anfallen. I n Entsprechung hierzu hat die BG „Betriebsmittel" zu beschaffen (§ 752 RVO). Zwar fehlte dieser Begriff bis zum Inkrafttreten des U V N G i m 3. Buch der RVO, jedoch gab es Betriebsmittel praktisch auch schon i n der Vergangenheit i n Gestalt des sog. Betriebsstocks als Vorauszahlung von Beiträgen für Postvorschüsse 200 . Die Betriebsmittel erfüllen ebenfalls die Funktion eines Betriebsstocks 201 . Wie i m PrivatVersRecht dienen auch i n der gesetzlichen U V diese Betriebsstock-Mittel i n erster Linie zur Deckung des laufenden Geschäftsbedarfs 202 . 198 199 200

V g l V g L

prölss, V A G - K o m m . , § 8 V A G , A n m . 12. prölss, a. a. O., § 22 V A G , A n m . 1 c.

Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m , A n m . zu §§ 752—757, S. 267/268. Vgl. hierzu des näheren Lauterbach, U V - K o m m . , §739 RVO a. F., A n m . 2, ErgBl. Jan. 1962, S. 237. 202 Vgl. Gotzen-Doetsch, wie hier A n m . 200, S. 268. 201

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

269

I n entsprechender Weise bestehen f ü r die P r i v a t V e r s . u n d die gesetzliche U V A n h a l t s p u n k t e f ü r die H ö h e des Betriebsstocks. F ü r die p r i v a t e a l l g e m e i n e U V u n d H P f l V e r s . h a t das G r u n d k a p i t a l eines V V a G z u s a m m e n n o m i n e l l r e g e l m ä ß i g 2 M i l l . D M 2 0 3 z u b e t r a g e n ; die H ö h e dieser S u m m e r i c h t e t sich jedoch l e t z t l i c h a l l e i n nach a u f s i c h t s b e h ö r d l i c h e n Gesichtspunkten. F ü r die gesetzliche U V ist die H ö h e eines A n f a n g s - B e t r i e b s s t o c k s n i c h t festgelegt. L e d i g l i c h die H ö h e der B e t r i e b s m i t t e l einer b e r e i t s ins L e b e n g e r u f e n e n B G i s t a u f d e n z w e i e i n h a l b f a c h e n B e t r a g eines Jahresbedarfs festgelegt: § 753 A b s . 3 Satz 1 R V O 2 0 4 . A u s d e n D a r l e g u n g e n e r g i b t sich, daß i n b e z u g a u f die H ö h e der K a p i t a l a u s r ü s t u n g strengere A n f o r d e r u n g e n a n die V V a G als a n die B G e n gestellt w e r d e n .

2. Aufbringung

der Mittel

im

übrigen

H e r v o r z u h e b e n ist, daß w e d e r die p r i v a t e U V u n d H P f l V e r s . noch die gesetzliche U V i n a l l e r R e g e l 2 0 5 Staatszuschüsse k e n n e n . I n der gesetzl i c h e n U V h a t sich dieses P r i n z i p seit d e m U V G v o n 1884 2 0 6 e r h a l t e n 203 Z w a r bestehen f ü r die Höhe des Gründungsstocks des V V a G keine allgemeinen Grundsätze. I n Ermangelung derselben sind jedoch die G r u n d sätze anzuwenden, die bei einer VersAG f ü r den eingezahlten T e i l des Grundkapitals gelten (vgl. Prölss, V A G - K o m m . , § 22 V A G , A n m . 2). Die genannte Summe von 2 M i l l . D M schlüsselt sich i n 500 000 D M (UV) + 1 M i l l . 500 000 D M (HPflVers.) auf: vgl. Prölss, V A G - K o m m . , §8 V A G , A n m . 12. 204 Die Satzung der B G k a n n jedoch diesen Betrag auf den 3fachen Jahresbetrag (des abgelaufenen Geschäftsjahres) erhöhen: §753 Abs. 3 Satz 2 RVO. 205 Eine Ausnahme bildete einst die Bergbau-BG u n d bilden noch heute die landw. BGen. Die Bergbau-BG erhält aufgrund des A r t . 1 § 1 Nr. 20 des Gesetzes zur V e r w i r k l i c h u n g der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I I . Teil, v. 21.12.1967 (BGBl. I S. 1259) — F i n Ä n d G 1967 —, der die Vorschrift des § 723 Abs. 2 RVO i n ihrer seit dem 1.1.1965 gültigen Fassung aufgehoben hat, m i t W i r k u n g v o m 1.1.1968 keine Bundeszuschüsse mehr. M i t diesem Zeitpunkt entfiel der v o m B u n d an die Bergbau-BG seit 1965 geleistete Z u schuß i. H. v. 40 °/o der seit dem 1.1.1953 entstandenen Rentenleistungen. Seitdem ist die Bergbau-BG hinsichtlich dieser Leistungen allein gegenüber den anderen gewerbl. BGen und der See-BG ausgleichsberechtigt. Diese sind hinsichtlich der gem. A r t . 3 §§ 1 ff. U V N G i. d. F. des A r t . 2 §4 F i n Ä n d G 1967 zu berechnenden Ausgleichslast zugunsten der Bergbau-BG ausgleichspflichtig. Die landw. BGen erhalten jedoch Bundeszuschüsse: vgl. hierzu z. B. den Bundeshaushaltsplan f ü r das Haushaltsjahr 1970 (gedr. i n der Bundesdruckerei, Bonn 1970), Bd. I (Finanzhaushalt 1970), K a p i t e l 1002, T i t e l 656 52, S. 454 unter C 2; siehe i n diesem Zusammenhang auch § 13 a Abs. 1 des Gesetzes über eine Altershilfe f ü r L a n d w i r t e i. d. F. v o m 14. 9.1965 (BGBl. I S. 1449) — G A L — hinsichtlich des Altersgeldes f ü r L a n d w i r t e sowie § 45 G A L f ü r die L a n d abgaberente. 206 Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 8. Abschn. der Zusammenfassung der 3 Ge-

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

und ihre Selbstverwaltungsstruktur maßgeblich bestimmt 2 0 7 . Die A u f wendungen der B G werden — i n der Regel — ausschließlich durch die Beiträge der Unternehmer 2 0 8 , den alleinigen Mitgliedern der BG, gedeckt 209 . Die Versicherten (Arbeitnehmer) brauchen zur U V keinen Beitrag zu entrichten 2 10 . Anders verhält es sich i n der PrivatVers., wo die Arbeitgeber als V N i m Eigen- oder Fremdinteresse und als Mitglieder sowie die Arbeitnehmer als Versicherte und Nichtmitglieder des V V a G i n gleicher Weise beitragsverpflichtet sind. Diese Abwandlung des privaten Unfall- und HPflVersRechts gegenüber der gesetzlichen U V erklärt sich wiederum aus „dem Wesen der U V als einer solidarischen Ablösung der einzelunternehmerischen zivilrechtlichen Haftpflicht" 2 1 1 . I n der Beschränkung der Beitragspflicht auf die Unternehmer i n der gesetzlichen U V drückt sich besonders augenfällig die Unterschiedlichkeit der PrivatVers. gegenüber jenem Rechtsgebiet aus: I n der PrivatVers. sind sowohl die Vereinsmitglieder (Arbeitgeber) w i e auch die Nichtmitglieder (AN) i n gleicher Weise entweder sämtlich gegen Unfall oder — spartenmäßig klar abgetrennt — sämtlich gegen Haftpflicht versichert. Weder der einen noch der anderen Gruppe ist eine Privilegierung einzuräumen: Beide werden deshalb i n gleicher Weise zur Prämienzahlung herangezogen. setzentwürfe unter Ziff. 4. Die weitere Ausnahme, die f ü r Küstenfischer Beitragszuschüsse der Länder u n d Gemeinden vorsieht (§878 RVO), fällt nicht ins Gewicht. 207 Vgl. hierzu ausführlich Rengert, „Finanzierungsprobleme der U V " i n Grundsatzfragen der Sozialen U V " , Festschrift für Lauterbach, S. 95 ff. (97 f.). 208 Eine Ausnahme läßt § 806 RVO zu. Hiernach kann die Satzung landwirtschaftlicher BGen Kleinunternehmer m i t geringer Unfallgefahr von Beiträgen befreien. Diese Vorschrift, von der allerdings bisher — bis auf eine Ausnahme (vgl. Noell, Komm, zur Landwirtschaftlichen UV, §806 A n m . 2, S. 248/249) — kein Gebrauch i n der Praxis gemacht worden ist, stellt eine Abweichung vom VersGedanken dar und ist nur aus sozialen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. 209 Hierzu kommen noch die M i t t e l aus dem (kontenmäßig nicht i n E r scheinung tretenden) durch funktionelle Überschneidung begründeten Transfer von M i t t e l n der sozialen KrankenVers. W i r begnügen uns m i t dieser einfachen Beobachtung u n d möchten den Problemen, inwieweit die Arbeitgeberbeiträge wirtschaftlich gesehen auch Lohnkosten darstellen (vgl. hierzu Claussen, „Die Kosten des sozialen Fortschritts" i n B A r b B l . 1960, S. 52 ff. [52]) oder über die Preise als Beteiligung der gesamten Volkswirtschaft anzusehen sind (vgl. hierzu Mahr, Einführung i n die Vers Wirtschaft, § 23, S. 338), hier nicht näher auf den Grund gehen. 210 Dies stellt eine Ausnahme i m SozialVersRecht dar: vgl. n u r z. B. § 394 Abs. 1 Satz 1 RVO, wonach die krankenversicherten A N sich bei der Lohnzahlung ihre Beitragsteile v o m Barlohn abziehen lassen müssen. 211 So Gotzen-Doetsch, UV-Komm., Anm. zu § 723 RVO, S. 245.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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I n der gesetzlichen U V hingegen, die unter ihrem Dache gleichzeitig die Versicherung der Arbeitgeber gegen Haftpflicht und der Arbeitnehmer gegen Unfall beherbergt, sind aus sozialen Gesichtspunkten 212 die Arbeitnehmer durch fehlende Beitragspflicht besser gestellt. A n dieser Besserstellung hat das U V N G festgehalten, obwohl die Arbeitnehmer i n zunehmendem Maße auch gegen Risiken geschützt sind, die m i t der Haftpflichtablösung zugunsten der Unternehmer i n keinem Zusammenhang mehr stehen und die, wie beispielsweise die Wegeunfälle von und zur Arbeitsstätte, außerhalb der unmittelbaren betrieblichen Einflußsphäre liegen. 3. Bildung von Rücklagen I n entsprechender Weise haben VVaG und BG eine Rücklage zu bilden: § 37 Abs. 1 V A G bzw. § 752 RVO. Diese muß i n der PrivatVers. 2 1 3 wie auch i n der gesetzlichen U V 2 1 4 angelegt werden. I n beiden Rechtskreisen geht es i n gleicher Weise darum, die Vermögenswerte möglichst krisensicher und rentabel anzulegen. Während die Anlage der Rücklagen i n der PrivatVers. grundsätzlich völlig frei 2 1 5 erfolgt, richtet sie sich i n der gesetzlichen U V nach den bindenden Vorschriften der §§ 26—27 f RVO. Gleichermaßen ist es den Privat-VUn wie den BGen verwehrt, aus freien Stücken den Rücklagen M i t t e l zu entnehmen. So ist den PrivatV U n eine Entnahme aus den Rücklagen nur „zur Deckung eines außergewöhnlichen Verlustes aus dem Geschäftsbetrieb" (§ 37 Abs. 1 VAG) gestattet, während die BGen M i t t e l aus der Rücklage nur für den beson212 Erinnert sei an die damaligen Überlegungen i m 3. Regierungsentwurf zum U V G aus dem Jahre 1884, Drucks, des RTs., 5. Leg.Per., 4. Sess., 1884, Bd. 1, Nr. 4, S. 37: „ W e n n hiernach einer gleichen Verteilung der VersPrämie auf A r b e i t geber u n d Arbeitnehmer die nach beiden Seiten zu nehmenden Rücksichten der B i l l i g k e i t nicht entgegenstehen würden, so w i r d doch aus praktischen Gründen die Durchführung derselben n u r i n sehr beschränktem Umfange tunlich sein. Bei einer großen Masse unserer Arbeiter reicht der L o h n n u r eben zur Bestreitung der nach den sozialen Zuständen unentbehrlichen Lebensbedürfnisse. Soll der A r b e i t e r darüber hinaus VersPrämien zahlen, so müßte zur Bestreitung derselben entweder die Lebenshaltung des A r b e i ters diesem Betrage entsprechend herabgedrückt oder sein L o h n erhöht w e r den." 213 Die Anlegung erfolgt nach Richtlinien des B A V , die an § 68 V A G orientiert sind. Vgl. hierzu des näheren Prölss, V A G - K o m m . , Vorb. zu § 68 V A G , A n m . 2. 214 Vgl. § 754 Abs. 2 Satz 1 RVO. 215 v g l , Prölss, V A G - K o m m . , Vorb. zu § 68 V A G , A n m . 2 b.

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

deren Fall einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Krise 2 1 6 und auch dann nur grundsätzlich m i t Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 757 Satz 1 RVO) entnehmen dürfen. Da es für den Bereich der PrivatVers. gem. § 81 Abs. 1 V A G der Aufsichtsbehörde obliegt, die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften, m i t h i n auch die Befolgung des § 37 Abs. 1 VAG, zu überwachen, vollzieht sich die Rücklagenentnahme letztlich gleichermaßen i n Privat- und SozialVers. aufsichtsbehördlich kontrolliert. I I I . Die Beitragsgestaltung 217 Die private U V und HPflVers. wie auch die gesetzliche U V sind von dem Streben nach Beitragsgerechtigkeit beherrscht. Dieses Streben verwirklichen die VVaG auf dem Gebiete der U V 2 1 8 und die BGen i n gleicher Weise durch Aufstellung von Gefahrtarifen 2 1 9 m i t Gefahrenklassen. Hier wie dort haben die Gefahrenklassen die Aufgabe, eine dem Risiko des einzelnen, des Betriebes oder Gewerbezweiges angemessene Verteilung der Beitragslast zu erreichen. Dem „Tarifbuch" i n der privaten U V entspricht das „Unfallverzeichnis" i n der gesetzlichen U V ; beide enthalten u. a. aufgrund statistischer Erhebungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums ermittelte Angaben über die Unfallgefährlichkeit des versicherten Betriebes bzw. Gewerbezweiges. Während für den Gefahrtarif i n der PrivatVers. 2 2 0 die spezielle Unfallgefährlichkeit des Einzelbetriebes ausschlaggebend ist, w i r d i n der 216

Vgl. Rengert, „Finanzierungsprobleme der U V " , a. a. O., S. 100. Auch i n der PrivatVers. ist bei den V V a G der Ausdruck „Beiträge" geläufig, die gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 V V G als „Prämien" i. S. des V V G gelten. 218 I n der HPflVers. sind i n den Tarifen keine eigentlichen Gefahrenklassen enthalten, sondern n u r sog. Sachverzeichnisse, i n denen die einzelnen Personengruppen oder Betriebe aufgezählt werden. Doch ist f ü r die Festsetzung der i n den Sachverzeichnissen angegebenen Prämienbeträge wiederu m maßgebend, ob die betreifende Person mehr oder minder einer H a f t pflichtgefahr ausgesetzt ist. Vgl. hierzu Herrmannsdorf er, Versicherungswesen, § 13, S. 122. 219 Unter Tarifen der PrivatVers. sind die Zusammenstellungen der f ü r die bestimmte Versicherungsart, i n unserem Falle f ü r die U V u n d die HPflVers., zu zahlenden (Brutto-)Prämien nach der näheren Ausgestaltung der Gefahrenklassen zu verstehen. Vgl. hierzu Prölss, V A G - K o m m . , § 11 V A G A n m . 2, f ü r den F a l l der LebensVers. Ebenso verhält es sich i n der gesetzlichen U V : vgl. §§ 725 Abs. 1, 730 RVO. Z u r näheren Ausgestaltung der Tarife i n der Einzel- u n d Gruppen-UV vgl. Grewing, „Unfallversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 5, Zusatzheft I I I 1, S. 25 ff. u n d 28 ff. Z u m HPfLVers-Prämientarif siehe des näheren Jannott, „Haftpflichtversicherung" i n „Die Versicherung", Bd. 4, Zusatzheft I I I 3, S. 133 ff. 220 Deswegen kennt die PrivatVers. — besonders auf dem Gebiete der 217

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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gesetzlichen U V 2 2 1 — großzügiger — auf die durchschnittliche Gefährlichkeit aller gleichartigen Betriebe oder Betriebszweige abgestellt. Allerdings relativiert die gesetzliche U V diese Egalisierung durch die jetzt zwingend vorgeschriebene Festsetzung von Zuschlägen oder Nachlässen zur Beitragsumlage aufgrund der i n den Einzelbetrieben vorgekommenen Arbeitsunfälle (§ 725 Abs. 2 Satz 1 RVO). Hierdurch w i r d dann doch letztlich die individuelle Unfallast berücksichtigt. I n beiden VersGebieten stellen die Gefahrtarife keine konstanten Größen dar: während sie i n der privaten UV, insbesondere der GruppenUV, von der jeweiligen Tätigkeit der Versicherten abhängen und Veränderungen hierin gem. § 15 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1, 2 A U B dem V U unverzüglich anzuzeigen sind, prüft i n der gesetzlichen U V der Vorstand der BG seinerseits den Gefahrtarif alle 5 Jahre m i t Rücksicht auf die eingetretenen Arbeitsunfälle nach, § 731 Abs. 1 RVO. I n gleicher Weise hat eine Veränderung der Tätigkeit i n beiden Rechtsgebieten keinen Einfluß auf den Fortbestand der Versicherung. A l l e r dings ist i n der privaten U V hierfür Voraussetzung, daß der V U für den neuen Beruf oder die neue Beschäftigung überhaupt VersSchutz gewährt (§ 4 Abs. 1 AUB); dies kann i n der privaten U V eher nicht der Fall sein als i n der gesetzlichen UV. Denn i n der privaten U V trifft einen generellen Ausschluß bereits eine Beschäftigung, für die der Tarif keine Position enthält 2 2 2 , während die allgemeine gesetzliche U V i m Grundsatz großzügiger alle Unternehmen und die i n ihnen verrichteten Tätigkeiten umfaßt (§ 643 RVO). Während i n der privaten U V Veränderungen der versicherten Beschäftigung eine verstechnische Prämienkorrektur 2 2 3 nach sich ziehen, werden i n Entsprechung hierzu die Unternehmer bei Veränderung der durchschnittlichen Unfallgefährlichkeit ihrer Betriebe von der B G neu veranlagt (§ 734 Abs. 1 RVO). I V . Ausrichtung der Beiträge nach dem Entgelt Die Ausrichtung der Beiträge erfolgt i n der privaten U V grundsätzlich an den Versicherungsleistungen 224 , die regelmäßig vertraglich festKollektivVers. (vgl. Herrmannsdorf er, a. a. O., § 7, S. 71) — eine Sondertarifen. 221 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m , A n m . zu §§ 730—734 RVO, 222 Vgl. Prölss, V V G - K o m m . , A n h . zu §§ 179—185 W G , § 4 A U B 223 V g L Prölss, W G - K o m m , A n h . zu §§ 179—185 W G , § 4 A U B 224 Vgl. die nähere Aufschlüsselung bei Grewing, a. a. O., S. 27 ff.

18 v.Heinz

Reihe v o n S. 254. A n m . 3. A n m . 1.

„Unfallversicherung",

274

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

gelegt sind. Die Beiträge können sich aber auch nach Gehalts- oder Lohnsummen orientieren. Auch i n der HPflVers. ist eine solche Beitragsorientierung nach Gehalts- oder Lohnsummen möglich 2 2 5 . Es lassen sich für die Privat Vers, i m übrigen keine festen Regeln aufstellen, da die Auswahl der Kriterien für die Beitragsbemessung der freien Vereinbarung der Parteien unterliegt. I n der gesetzlichen U V hingegen richtet sich die Beitragshöhe grundsätzlich gem. § 725 Abs. 1 RVO „nach dem Entgelt der Versicherten i n den Unternehmen". Sowohl i n der privaten Unfall- und HPflVers. wie auch i n der gesetzlichen U V können w i r also von einer Lohnbezogenheit der Beiträge sprechen, wenn auch diese i m PrivatVersRecht vereinbart sein muß und sie i n der gesetzlichen U V kraft Gesetzes festgelegt ist. I n der gesetzlichen U V kommt freilich — ebenso wie i n der PrivatVers. — die Lohnsumme nicht unmanipuliert als Grundlage der Beitragsberechnung i n Betracht. Denn w i r haben soeben gesehen 228 , daß die Lohnsumme erst über das Regulativ der nach dem Grad der Gefahr gebildeten Gefahrenklassen zum Zuge kommt. V. Verfahren für die Mittelaufbringung Kurz zu beleuchten ist das Verfahren, dessen sich die privaten Unfallund HaftpflichtVU sowie die BGen zur Mittelaufbringung bedienen. Während für den Bereich der PrivatVers. gem. § 24 Abs. 1 V A G die Satzung des V V a G Vorschriften über die A r t des Deckungsverfahrens enthalten muß und als eine A r t das Umlagesystem für die Auswahl durch den V U zuläßt, ist dieses System i n § 740 RVO für die BGen bindend vorgeschrieben. Das Wesen der Umlagen ist, daß sie nicht i n einem festen oder variablen Prozentsatz eines geschätzten Bedarfs i m voraus, sondern erst nach E i n t r i t t eines tatsächlichen Bedarfs erhoben werden. Dies bringt es m i t sich, daß von einem V V a G zum anderen und von einer BG zur anderen die Höhe der Umlage verschieden ist. Die Nachteilhaftigkeit des Umlagesystems — die sich besonders auf dem Gebiet der PrivatVers. bei festgelegten Leistungen z. B. i n einer ständigen Erhöhung der Umlagebeiträge äußern kann, wenn die Zahl der Mitglieder beträchtlich sinkt —, bringt es m i t sich, daß dieses Dekkungsverfahren nicht jedem privaten V U von der Aufsichtsbehörde ge225 226

Vgl. Jannott, „Haftpflichtversicherung", a. a. O., S. 137. Vgl. oben unter I I I .

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

275

nehmigt wird. Vielmehr hängt seine Zulassung davon ab, ob es für den privaten U V - oder HPflVersVU den i n § 8 Abs. 1 Nr. 2 V A G genannten Erfordernissen (besonders i n bezug auf die dauernde Erfüllbarkeit der Vers Verpflichtungen) Genüge tut 2 2 7 . Des weiteren lassen die Nachteile dieses Systems bereits seit der Schöpfung des U V G von 1884228 bis i n die heutige Zeit hinein 2 2 9 für den Bereich der gesetzlichen U V immer wieder die Diskussion darüber aufkommen, ob es nicht zugunsten des Kapitaldeckungsprinzips 230 abgelöst werden soll. Wenn sich das Umlageverfahren gleichwohl i m U V G vom 6. 7.1884 durchgesetzt hat und auch heute als versicherungstechnisch zweckmäßig i n der gesetzlichen U V beibehalten wurde, so ist der Grund hierfür insbesondere i n der Befürchtung zu sehen, daß die A n sammlung der zur Kapitaldeckung aller Renten erforderlichen Summen die Beiträge unerträglich hoch steigen lassen könnte. I m übrigen spricht auch die innerhalb von kurzer Zeit zwei M a l eingetretene Geldentwertung nach den Weltkriegen gegen große Kapitalansammlungen und gegen jede „Fondshypertrophie". VI. Sonstiges zur finanziellen Gestaltung der privaten U V und HPflVers. sowie der gesetzlichen UV Die VVaG wie die BGen — beide sind Einrichtungen ohne Gewinnabsichten — stehen gleichermaßen vor dem Problem eines sich ständig ausweitenden Bedürfnisses nach Absicherung immer komplizierter und unübersichtlicher werdender Risiken. Beide versuchen, wie w i r gesehen haben, ihre Leistungskraft zum Teil i n ähnlicher Weise zu schaffen und zu erhalten. 227 Die Regel ist vielmehr heute i n der PrivatVers. das Kapitaldeckungsverfahren (dazu unten A n m . 230). Eine derartige Finanzierungsform ist hier auch regelmäßig notwendig, w e i l der versicherte Personenkreis weder bestimmbar noch voraussehbar ist. So könnte sich bei einer rasch eintretenden Verringerung der Versichertenanzahl ergeben, daß f ü r die Leistungen der verbliebenen Versicherten keine Deckung bestünde. — Anders verhält es sich i n der gesetzlichen U V , die auf Z w a n g beruht und die Z a h l der Versicherten m i t einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausberechnen kann. 228 Y g i hierzu die Zusammenfassung der drei Entwürfe i m 1. Teil, S. 145 ff. (S. 146 unter 5.). 229

Vgl. zum Stand der Diskussion Löwe, „Finanzierungsprobleme der SozialVers." i n B A r b B l . 1960, S. 635 ff. (635). 230 ß e i i h m w i r d der K a p i t a l w e r t aller Versicherten-Renten i m voraus berechnet u n d auf die Mitglieder umgelegt. Es sollen — falls wiederkehrende Leistungen (Renten) vorgesehen sind — i m Z e i t p u n k t des die Zahlung der wiederkehrenden Leistungen auslösenden Ereignisses die Barwerte aller dieser Leistungen bereits gedeckt sein, auch soweit diese erst später fällig w e r den. Vgl. hierzu Brackmann, H d B der SozialVers., Bd. 1, A l l g . Teil, 11. Abschn. „Finanzierung"/B. Einnahmen, S. 190 y. *

276

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Z u r Erhaltung der Leistungskraft bedienen sich — dies sei noch erwähnt — die P r i v a t - V U und die BGen ähnlicher Maßnahmen: So können die BGen eine Zusammenlegung der Last i. S. von § 737 RVO vereinbaren; hierdurch entstehen Rechtsbeziehungen unter den BGen nach A r t der Rückversicherung 231 , wie sie i n der privaten U V und HPflVers. vorkommt. Ähnliches kann man bei einer verordneten Gemeinlast 2 3 2 i. S. von § 738 RVO annehmen. I n entsprechender Weise zielen diese Maßnahmen hier wie dort auf eine „Atomisierung des Risikos" hin. I m Falle einer Erschöpfung der M i t t e l des W a G und der B G ist der Versicherte i m PrivatVersRecht weniger günstig gestellt als i m SozialVersRecht. Während nämlich durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Vereins der Verein aufgelöst w i r d (§ 42 Nr. 3 VAG), gehen bei Auflösung einer zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen unfähigen B G ihre Rechte und Pflichten auf den Staat über (§ 652 Abs. 2 Satz 1 und 2 RVO) 2 8 3 . I m Gegensatz zum privatrechtlichen Bereich, i n dem der Versicherte das wirtschaftliche Risiko fehlender Leistungsfähigkeit seines Vertragspartners, des VUs, i n Kauf zu nehmen hat, schließt es „das Postulat der SozialVers. als Aufgabe des Staates . . . aus, diesen aus jeder Verantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der U V zu entlassen" 2 3 4 . Der Platz eines fehlenden Staatszuschusses w i r d i n der gesetzlichen U V gleichsam von einer Staatsgarantie eingenommen, wie noch an späterer Stelle zu beleuchten sein w i r d 2 3 5 .

281

Vgl. hierzu oben S. 158 unter Anm. 2. Scharf hiervon zu trennen ist jedoch eine aufgebürdete Last, wie sie nach A r t . 3 U V N G festgelegt wurde. Gemäß dieser Vorschrift wurde die alte Rentenlast der Bergbau-BG aus VersFällen, die sich vor dem 1.1.1953 ereignet haben, nachträglich den gewerblichen BGen und der See-BG aufgebürdet. Die damit verbundene Problematik soll uns noch an späterer Stelle beschäftigen: vgl. dazu unten S. 459 ff. 233 Ebenso bereits § 33 des U V G vom 6. 7.1884 (RGBl. S. 69). 232

234 235

So Rengert, a. a. O., S. 98. Vgl. dazu unten S. 448.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

Dritter

277

Abschnitt

Die Staatsaufsicht Erster Unterabschnitt Begrenzung der Untersuchungen und Arbeitsplan I. Begrenzung Angesichts der Fülle der m i t der Staatsaufsicht über die P r i v a t - V U und gesetzlichen UV-Träger zusammenhängenden Fragen und Probleme erweist sich eine Begrenzung der Untersuchungen als unumgänglich: Es stellt sich aufs erste gleichermaßen i m PrivatVersRecht wie auch i m SozialVersRecht die Frage, ob eine Aufsicht zurecht besteht oder nicht. Da es nicht i m Rahmen dieser Arbeit liegt, spekulative Betrachtungen etwa über die Beseitigung der Aufsicht i m VersWesen anzustellen 236 , soll dieser Fragenkreis i n unseren Betrachtungen unberücksichtigt bleiben. Geht man also nunmehr von einer zurecht bestehenden Aufsicht aus 237 , so könnten Entsprechungen und Abwandlungen des Rechts unserer beiden PrivatVersZweige i n der gesetzlichen U V aufgezeigt werden hinsichtlich der Aufsichtsregelungen bei der Entstehung, während des (Geschäfts-) Betriebes und bei der Auflösung eines VUs bzw. SVTs. Schließlich käme i n Betracht, die Sanktionen gegen die Verletzung von Aufsichtsnormen, die Rechtsmittel gegen die Aufsichtsentscheide und die Kostenregelung der Aufsicht zu beleuchten sowie den Umfang der i n beiden Bereichen vorkommenden M i t w i r k u n g der Aufsichtsbehörden bei einzelnen Akten der V U bzw. SVT vergleichend gegenüberzustellen. Jedoch werden w i r von allen diesen Fragenkreisen lediglich den uns am wichtigsten erscheinenden, nämlich den der Aufsicht während des (Geschäfts-)Betriebes eines inländischen privaten Unfall- und Haftpflicht-VUs bzw. eines gesetzlichen UV-Trägers, herausgreifen und versuchen, einen Vergleich des Wesens dieser Aufsicht i n Privat- und SozialVers. anzustellen. 238 v g l hierzu beispielsweise f ü r den Bereich der PrivatVers. Boss, Systeme der Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmungen, § 2: „Pro u n d kontra Staatsaufsicht", S. 14 ff., insbes. unter I I : „Gründe gegen die Staatsaufsicht", S. 17. 237 Dies ist i m versrechtlichen Schrifttum, soweit ersichtlich, einhellig der F a l l : so auch Boss, a. a. O., S. 17; vgl. insbes. Prölss, V A G - K o m m . , Vorb. I V 1.

278

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

I I . Arbeitsplan Da gleichermaßen i m PrivatVersRecht wie i n der gesetzlichen U V die Aufsicht vornehmlich das öffentlich-rechtliche 238 Verhältnis des VUs bzw. SVTs zum Staat, nicht aber das Verhältnis der V U bzw. SVT zum Versicherten betrifft 2 3 9 , knüpfen w i r zweckmäßigerweise an unsere obigen Ausführungen über die Beteiligten des Vers Verhältnisses, und dort wiederum über die privaten V U bzw. UV-Träger, an. Diese sollen nunmehr selbst nebst ihren verschiedenen Ausformungen zusammengestellt und nach Zusammengehörigkeit und Vergleichbarkeit i n folgende drei Gruppen aufgeteilt werden: 1. Gruppe: Der Grundtypus des (großen) V V a G 2 4 0 m i t seinen Ausformungen „Versicherungsverband für Gemeinden und Gemeindeverbände" (VVaG i n Köln) 2 4 1 und „Württembergischer Gemeinde-Versicherungsverein a. G." (Stuttgart) 2 4 2 sowie des weiteren der „Allgemeine Kommunalhaftpflichtschadenausgleich" ( A K H A ) 2 4 3 auf der einen Seite und die (gewerbliche) B G auf der anderen Seite. 2. Gruppe: A u f der einen Seite die kommunalen Schadenausgleiche der Gemeinden 2 4 4 und auf der anderen Seite die Gemeindeunfallversicherungsverbände 245 . 3. Gruppe: Die beiden von uns ausgewählten öffentlich-rechtlichen VersEinrichtungen i n Gestalt des „Bayer. Versicherungsverbandes" (München) 246 238 „Das Verhältnis Staat/Privat-VU ist ein öffentlich-rechtliches (der Staat ist übergeordnet, der V U untergeordnet); das Aufsichtsrecht gehört somit zum öffentlichen Recht, i m Gegensatz zum Verhältnis VU/Versicherter." So zutreffend Boss, a. a. O., 2. Abschn., § 4, S. 23. 239 Vgl. für den Bereich der PrivatVers. Boss, a. a. O., 2. Abschn., § 4, S. 22. Für die gesetzliche U V läßt sich dies bereits aus § 705 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 RVO ableiten. Diese Feststellung schließt jedoch nicht aus, daß ein Versicherter, der sich nicht rechtmäßig behandelt fühlt, sich an die Aufsichtsbehörde wenden kann; diese wiederum w i r d deswegen, wenn sie Gesetzesverstöße feststellt, aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Leistungsträger ergreifen dürfen. 240 241 242 243 244 245 246

Vgl. dazu oben S. 251 ff. Vgl. dazu oben S. 267 ff. Vgl. dazu oben S. 267 ff. Vgl. dazu oben S. 265 ff. Vgl. dazu oben S. 246 f. Vgl. dazu oben S. 246 ff. Vgl. dazu oben S. 262 ff.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

279

und des „Verbandes der öffentlichen Lebens- und Haftpflichtversicherer" (Düsseldorf) 247 . Diese drei Gruppen werden i m weiteren jede für sich (wegen der verwickelten Gesetzeslage) i n einem Unterabschnitt daraufhin untersucht, welche Behörde die Aufsicht i m einzelnen führt, und wie das Wesen der Aufsicht jeweils zu kennzeichnen ist. I m Zuge dieser Untersuchungen gilt es, Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und HPflVersRechts i n der gesetzlichen U V herauszuarbeiten. Zweiter Unterabschnitt Aufsicht über den W a G nebst Ausformungen sowie über die B G (1. Gruppe) I . Die aufsichtsführenden Behörden über den W a G A. Bereich des privaten Unfall- und HPflVersRechts

1. WaG Grundlage 248 für die VersAufsicht ist hier das Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten VersUnternehmungen und Bausparkassen v. 6. Juni 1931 i n der zuletzt durch das EinfG zum A k t G v. 6.9.1965 abgeänderten Form (VAG). Gem. § 1 Abs. 1 V A G unterliegen Privatunternehmungen, die den Betrieb von VersGeschäften zum Gegenstand haben, i n unserem Falle die W a G , der Aufsicht nach diesem Gesetz. Die/Durchführung dieser Aufsicht ist, soweit sie i m Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung i. S. der A r t . 72 Abs. 1, 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft i n Form des „privatrechtlichen Versicherungswesens") dem Bund zusteht, i m Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen v. 31. J u l i 1951 (BGBl. I S . 480) — B A G — geregelt. Diese dem Bund zustehende Aufsicht über die W a G führt das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (BAV) durch: §§ 1 Satz 1, 2 Abs. 1 BAG. Das B A V ist eine dem Bundeswirtschaftsminister (BWM) nachgeordnete selbständige Bundesoberbehörde i. S. von A r t . 87 Abs. 3 Satz 1 GG: § 1 der sog. Überleitungs- und Einrichtungs-VO 2 4 9 . 247 Vgl. dazu oben S. 262 ff. 248 v g l . Prölss, V A G - K o m m . , Vorb. I 2. 249

Die genaue Bezeichnung lautet: Erste D V O zum Gesetz über die E r -

280

3. Teil: Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

F r a g l i c h k a n n i m E i n z e l f a l l sein, w a n n d i e A u f s i c h t ü b e r e i n e n W a G n i c h t d e m B u n d , s o n d e r n d e n L ä n d e r n zusteht. D i e A n t w o r t h i e r a u f e r g i b t sich w i e d e r u m aus d e m B A G , das n i c h t n u r e i n Gesetz ü b e r die E r r i c h t u n g des B A V , s o n d e r n auch e i n Gesetz z u r A b g r e n z u n g d e r A u f s i c h t zwischen B u n d u n d L ä n d e r n 2 5 0 d a r s t e l l t . S o w e i t n ä m l i c h d a r i n n i c h t a u s d r ü c k l i c h das B A V f ü r z u s t ä n d i g e r k l ä r t w i r d 2 5 1 , s t e h t die A u f s i c h t d e n L ä n d e r n zu. D i e Regel i s t 2 5 2 , daß d i e A u f s i c h t ü b e r e i n e n W a G d a n n d e m B u n d zusteht, w e n n das V e r s U n t e r n e h m e n ü b e r d e n B e r e i c h eines L a n d e s h i n aus t ä t i g w i r d 2 5 8 . I s t das n i c h t der F a l l , w i r d also e i n W a G n u r i n n e r h a l b der L a n d e s g r e n z e n 2 5 4 t ä t i g , so s t e h t r e g e l m ä ß i g d e m b e t r e f f e n d e n L a n d e die A u f s i c h t zu. Dies f ü h r t u n s dazu, i m w e i t e r e n d i e A u f s i c h t s b e h ö r d e n der g e n a n n t e n A u s f o r m u n g e n des W a G zu b e s t i m m e n . 2. „Versicherungsverband für Gemeinden und Gemeindeverbände" (WaG in Köln) und „Württ. Versicherungs-Verein a. G" (in Stuttgart)

Gemeinde-

B e i d e stellen, w i e w i r sahen, p r i v a t r e c h t l i c h o r g a n i s i e r t e 2 5 5 V U z u r A b d e c k u n g k o m m u n a l e r Haftpflichtwagnisse dar. D e r genannte W a G richtung eines Bundesaufsichtsamts f ü r das Versicherungs- u n d Bausparwesen v. 13. 2.1952 (BGBl. I S. 94). 250 V g L prölss, V A G - K o m m . , § 1 B A G , A n m . 7. 251 Dies k a n n geschehen i n F o r m der sog. ursprünglichen Zuständigkeit i. S. v o n § 2 Abs. 1 B A G u n d i n F o r m der sog. abgeleiteten Zuständigkeit i. S. v. § 4 Abs. 1 B A G , die einen A n t r a g der Landesregierung zur Übernahme der Aufsicht an das B A V voraussetzt. 252 Z u r Ausnahme vgl. A n m . 253 auf S. 280 dieser Arbeit. 253 Dies ist aus dem Begriff des „privatrechtlichen Versicherungswesens" i. S. v. A r t . 74 Nr. 11 GG zu folgern, dem die Länder durch Z u s t i m m u n g zum B A G — genauer gesagt durch Unterlassung eines Antrags gem. A r t . 77 Abs. 2 GG, die nach A r t . 78, 2. A l t . GG der förmlichen Z u s t i m m u n g gleichsteht — i m Bundesrat diese Auslegung gegeben haben (vgl. hierzu Prölss, V A G - K o m m . , Vorb. I I 1, S. 6). Vgl. zur Zuständigkeit des B A V auch die Übersicht über die Verteilung der VersAufsicht zwischen dem B A V u n d den Ländern bei Prölss, V A G - K o m m . , Zusatz zu § 5 B A G , A n m . 2. Hiernach f ü h r t gem. dem Stand v o m 1.1.1966 das B A V die Aufsicht über private V U größerer wirtschaftlicher Bedeutung, auch w e n n sich i h r Geschäft auf ein L a n d beschränkt, w e n n diese die A l l g . HPflVers. betreiben, u n d zwar ohne Rücksicht auf die Prämieneinnahme; bei UV-Unternehmen f ü h r t das B A V die Aufsicht, w e n n die Jahresprämieneinnahme über 100 000 D M beträgt. 254 Entscheidend sind hierbei die i n der Präambel zum GG aufgeführten Länder, freilich unter Berücksichtigung dessen, daß Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern u n d Baden nunmehr ein L a n d darstellen; ferner kamen hinzu das L a n d B e r l i n u n d das Saarland. Vgl. hierzu Prölss, V A G Komm., § 2 B A G , A n m . 5. 255 Durch den Firmenzusatz „ W a G " (vgl. § 16 V A G i. V. m. §§ 17 Abs. 1,

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

281

i n K ö l n umfaßt nach § 1 seiner Satzung als Geschäftsbereich das Gebiet der BRD 2 5 8 und unterliegt bereits aus diesem Grunde der Aufsicht des BAV. Der Württ. Gemeinde-Versicherungsverein a. G. i n Stuttgart hat dagegen als Geschäftsgebiet (gem. § 1 Nr. 2 seiner Satzung) lediglich das Gebiet des früheren Landes Württemberg m i t Hohenzollern. Gleichwohl unterliegt auch er der Aufsicht des BAV. Denn der besagte VersVerein i n Stuttgart betreibt die Allgemeine HPflVers. und verfügt über eine Jahresprämieneinnahme von über 100 000 D M i m UV-Zweig 2 5 7 . Gesetzt den Fall, die Jahresprämieneinnahmen i m UV-Sektor lägen unter 100 000 DM, so wäre für die Aufsicht die Landesaufsichtsbehörde zuständig. Das wäre i n Baden-Württemberg das Wirtschaftsministerium — VersAufsicht — gemäß dem Gesetz Nr. 585 über die Beaufsichtigung der VersUnternehmen i n Württemberg-Baden 2 5 8 . 3. „Allgemeiner

Kommunalhaftpflichtschadenausgleich"

(AKHA)

Der A K H A könnte nur als Rück-VU 2 5 9 versicherungsaufsichtspflicht i g sein, da er nicht als Erstversicherer auftritt. Jedoch ist gem. § 148 Abs. 1 Satz 1 V A G die RückVers, dann nicht aufsichtspflichtig, wenn sie ausschließlich betrieben w i r d und die RückVers-Einrichtung nicht die Form eines VVaG hat. Diese beiden Voraussetzungen erfüllt der A K H A ; denn er stellt, wie schon ausgeführt 280 , eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft dar, und es können nur kommunale VersEinrichtungen Mitglieder sein. Jedoch wurde i n § 148 Abs. 1 Satz 2 V A G dem Reichswirtschaftsminister (RWM) die Befugnis eingeräumt, anzuordnen, daß auch Unternehmen, die gem. § 148 Abs. 1 Satz 1 V A G aufsichtsfrei sind, der Aufsicht unterliegen und bestimmte Vorschriften des V A G auch für sie gelten. I n der Tat hat der R W M von diesem Recht Gebrauch gemacht i n Gestalt der VO über die Beaufsichtigung der inländischen privaten Rück18 Abs. 1 HGB) k o m m t — wie es gesetzlich gefordert ist — zum Ausdruck, daß Versicherung auf Gegenseitigkeit betrieben w i r d : § 18 Abs. 2 Satz 2 V A G . 258 De facto ist er nach A u s k u n f t seines Vorstands i n allen Ländern, ausgenommen den Freistaat Bayern u n d Berlin, tätig. 257 A u s k u n f t des Vorstands. 258 G. v. 17. 3.1952, Reg.Bl. 23 i. V. m. § 1 C 2 der 4. V O zur Überleitung v o n Verwaltungsaufgaben v. 22. 9.1952 (GBl. 33), V e r B A V 1952, S. 123. 259 Daß er als R ü c k - V U anzusehen ist, ergibt sich aus seiner Satzung, nach der n u r solche Einrichtungen aufgenommen werden können, die bereits i h r e r seits die Versicherung v o n Haftpflichtschäden übernehmen: vgl. Knott, Die kommunalen Haftpflichtschadenausgleiche, S. 76 unter E. 260 Vgl. hierzu oben S. 266.

282

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

VersUnternehmen v. 2.12.1931 (RGBl. 1931 S. 696). Darin ist bestimmt, daß auch solche Rück-VU einer Reihe von Vorschriften des V A G 2 8 1 unterliegen, die die RückVers, aufsichtspflichtiger VersZweige betreiben. Zu diesen aufsichtspflichtigen Zweigen zählen wiederum die U V und HPflVers. (arg. § 148 Abs. 1 Satz 1 VAG). Dies führt dazu, daß der A K H A heutzutage der Aufsicht für Rückversicherungen seitens des B A V unterliegt. B. Bereich der gesetzlichen U V

1. Bundesunmittelbare

BGen

Die Führung der Aufsicht über die BGen ist i n den §§ 705—707 RVO geregelt. Gem. § 705 Abs. 1 Satz 1 RVO führt das Bundesversicherungsamt (BVA) 2 8 2 die Aufsicht über die sog. bundesunmittelbaren BGen. Das B V A untersteht als selbständige Bundesoberbehörde i. S. von Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), § 1 Abs. 1 Satz 1 Bundesversicherungsamtsgesetz — B V A G — 2 6 3 . § 705 RVO übernimmt i m übrigen die durch das B V A G für die Aufsicht getroffene allgemeine Zuständigkeitsregelung für den Bereich der gesetzlichen U V i n das 3. Buch der RVO 2 8 4 . Ausgenommen aus der A u f sichtsbefugnis des B V A ist jedoch die Unfallverhütung und Erste Hilfe. Für diesen Bereich liegt die Aufsichtsführung über die bundesunmittelbaren BGen beim B M A : § 5 Satz 1 B V A G (vgl. hierzu auch § 709 Satz 1 RVO). 2. Landesunmittelbare BGen — ihre Abgrenzung zu bundesunmittelbaren

BGen

Hingegen steht das Aufsichtsrecht über die landesunmittelbaren BGen den Ländern zu, § 3 Abs. 1 BVAG. 261 Z u der näheren, hier nicht interessierenden Aufzählung siehe Knott, a. a. O., S. 77—83 unter E. 262 Erwähnenswert ist i n diesem Zusammenhang, daß bis zum Jahre 1945 das durch das U V G von 1884 ins Leben gerufene Reichsversicherungsamt die oberste Aufsichtsinstanz i n der gesetzlichen U V war. Daneben vereinte es i n sich die Tätigkeiten der obersten Rechtsprechungs- u n d Verwaltungsinstanz. M i t Recht spricht also Wannagat (LB, 1. Abschn., § 7, S. 70) von der „Eigenart dieses Amtes". 283 Gesetz über die Errichtung des Bundesversicherungsamts, die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger u n d die Regelung v o n Verwaltungszuständigkeiten i n der SozialVers. u n d der betrieblichen Altersfürsorge v. 9. M a i 1956 (BGBl. I S. 415). 264 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m , A n m . zu §§ 705—707 RVO, S. 210.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

283

Welche BG bundesunmittelbar und welche landesunmittelbar ist, grenzt § 3 Abs. 1 B V A G ab. Hiernach sind diejenigen BGen landesunmittelbar, „deren Zuständigkeitsbereich sich nicht über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt". Die Aufsicht über die landesunmittelbaren BGen führen die für die SozialVers. zuständigen, obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten sonstigen Behörden, § 3 Abs. 1 BVAG. I m ersten Falle sind es die Arbeits- und Sozialministerien oder Senatoren der Arbeit, i m letzteren Falle diejenigen Behörden, an die die Aufsichtsbefugnisse i m Verordnungswege delegiert wurden 2 6 5 . Erwähnenswert ist, daß den zuständigen Landesbehörden auch die Aufsicht über die Bereiche der Unfallverhütung und der Ersten Hilfe zusteht 266 , die für die bundesunmittelbaren BGen beim B M A liegt. Allerdings steht den zuständigen obersten Landesbehörden lediglich ein Recht auf Anhörung vor der Genehmigung und Änderung der Unfallverhütungsvorschriften zu, über die der B M A i n gleichem Maße bei bundes- und bei landesunmittelbaren BGen zu entscheiden hat: § 709 Satz 1 und 2 RVO. Die Abgrenzung hinsichtlich der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde kommt bei den gewerblichen BGen praktisch jedoch kaum zur Geltung. Denn 34 267 von den 36 gewerblichen BGen haben den Status bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts, während nur 2 gewerbliche BGen 2 6 8 landesunmittelbare Körperschaften sind. C. Entsprechungen und Abwandlungen

Aus den Darlegungen unter A. und B. geht hervor, daß i m privaten Unfall- und HPflVersRecht wie i n der gesetzlichen U V die Aufsichtskompetenzen nach sich gegenseitig entsprechender A r t festgelegt sind. Beide Bereiche bedienen sich i n aller Regel zur Aufsichtsbestimmung der Einteilung der privaten V U bzw. SVT nach dem K r i t e r i u m des räumlichen Wirkungskreises. Bleibt dieser auf ein Land beschränkt, so soll gemäß dem föderativen Grundgedanken des Grundgesetzes, wie er durch die Art. 30 und 83 GG zum Ausdruck kommt, auch das betreffende Land mit der Aufsicht betraut sein. 265 Z u r näheren Aufschlüsselung dieser Behörden vgl. Dersch, Knoll u. a., RVO-Gesamtkomm., § 30 RVO, A n m . 2, S. 36. 266 Vgl. hierzu Dersch, Knoll, a. a. O., Vorb. zu § 30 RVO, S. 34. 287 Vgl. Gotzen-Doetsch, U V - K o m m . , A n m . zu §§705—707 RVO, S. 210. Bundesunmittelbar ist i m übrigen auch die See-BG: vgl. Lauterbach, U V Komm., A n m . 4 zu § 1155 a. F. RVO, Erg.-Bl. August 1957, S. 365. 288 Nämlich die Württembergische (in Stuttgart) und die Bayerische BauB G (in München).

284

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Sprengt der Wirkungskreis die Landesgrenzen, so w i r d zur Durchführung der Aufsicht i n entsprechender Weise hier wie dort eine selbständige obere Bundesbehörde bestimmt, die jeweils einem Bundesministerium nachgeordnet ist. Die Abwandlung des PrivatVersRechts i n der gesetzlichen UV, daß gemäß ersterem der B W M und i n letzterer der B M A als oberste Aufsichtsbehörde zuständig ist, kann nicht etwa durch eine — immerhin denkbare 269 — Änderung der Geschäftsbereiche der Bundesminister dah i n aufgehoben werden, daß beispielsweise die Zuständigkeit für den Bereich der gesetzlichen U V dem B W M zugeschrieben wird. Die hierfür erforderliche förmliche Änderung der „Geschäftsordnung der Bundesregierung" 2 7 0 , die durch Stimmenmehrheit der Bundesregierung beschlossen und — wie zu ihrer Verbindlichkeit erforderlich 2 7 1 — vom Bundespräsidenten genehmigt werden müßte, könnte nämlich — rechtswirksam — nicht von der Ressortzuständigkeit abweichen, wie sie i n einer bundeseinheitlich geltenden VO (vgl. § 1 Überleitungs- und EinrichtungsVO, die auf § 10 Abs. 1 B A G beruht; oben S. 279) oder einem Gesetz (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 B V A G ; oben S. 282) festgelegt ist. Denn die Geschäftsordnung der Bundesregierung besteht aus Rechtsnormen besonderer A r t , die lediglich die Beziehungen der Mitglieder der Bundesregierung untereinander regeln, und dem nicht-rechtssatzmäßigen Geschäftsplan 272 . II. Das Wesen der Aufsicht: diesbezügliche Entsprechungen und Abwandlungen des privaten VersRechts in der gesetzlichen U V 1. Grundsätzliche

Gegebenheiten

Für die i m Bereich des privaten Unfall- und HPflVersRechts w i r t schaftenden Subjekte ist zu berücksichtigen, daß sie sich i n einer grund-

269 Angesichts der dauernden Bestrebungen, das Bundeskabinett zu v e r kleinern, stellt sich dies als ein höchst aktuelles Problem dar: vgl. hierzu Südd. Zeitung Nr. 242 v o m 9.10.1969, S. 1 Ii. unten. 270 v. 11.5.1951 (GMB1. S. 137) i. d. F. der Änderung v. 12.9.1967 (GMB1. S. 430), abgedr. bei Sartorius Nr. 38. Sie enthält zusammen m i t den gemeinsamen Geschäftsordnungen der Bundesministerien I u n d I I (v. 8.1.1958 u n d v. 1. 8.1958), dem Haushaltsplan, sonstigen einschlägigen Gesetzen, Organisations-VOen u n d allgemeinen Verwaltungsvorschriften die Abgrenzung der einzelnen Ressorts u n d damit den Umfang der Zuständigkeiten u n d Aufgaben jedes Bundesministers. Vgl. hierzu v. Mangoldt-Klein, Das Bonner GG, A r t . 65 (Satz 2), A n m . I V 2 a (und die dort zitierten Fundstellen). 271

Vgl. v. Mangoldt-Klein, a. a. O., A r t . 65 GG, A n m . V I 2, 3. Vgl. v. Mangoldt-Klein, a.a.O., A r t . 65 GG, A n m . V I 2 u n d die dort zitierten Fundstellen. 272

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

285

sätzlich freien Wirtschaftsordnung befinden, wie sie aus dem System der sozialen Marktwirtschaft fließt. „Frei" heißt i n diesem Zusammenhang, daß grundsätzlich „die Ausübung jedes beliebigen Berufes frei und unabhängig vom Staat" 2 7 5 durchgeführt werden darf. Der Aufsicht des Staates, der i n einem solchen System i m wesentlichen nur die Rechtsordnung zur Verfügung zu stellen hat, die zum einen das Privateigentum und zum anderen die Vertragsfreiheit gewährleistet, kommt damit nur noch der Charakter einer Gewerbe- und Wirtschaftspolizei 2 7 4 zu. Anders sind diese grundsätzlichen Gegebenheiten i m Bereich der gesetzlichen U V zu beurteilen. Denn hier sind die BGen als — m i t dem Recht der Selbstverwaltung ausgestattete — Körperschaften des öffentlichen Rechts, und die durch sie ausgeübte Vorsorgetätigkeit, m i t der allgemeinen Staatsverwaltung gekoppelt. Inwieweit die Aufsicht i n der gesetzlichen U V tatsächlich als ein Ausfluß der Zugehörigkeit der letzteren zur Staatsverwaltung anzusehen ist 2 7 5 , w i r d zu prüfen bleiben. „Die Aufsichtsführung als solche" — das ist sicherlich richtig — „ist unmittelbare Staatsverwaltung." 2 7 e Die nähere Abgrenzung des Selbstverwaltungsbereichs von dem i h n gleichsam umhüllenden Staatsverwaltungsbereich w i r d uns i m folgenden unter 2 b) beschäftigen. Sie könnte Aufschluß über die zu prüfende Frage geben. 2. Kennzeichnung des Gesamtcharakters der Aufsicht — Begrenzung der Aufsicht a) Bereich der PrivatVers. aa) Umfangreicher Katalog von Aufsichtsinstrumenten — Weite des Ermessens I m Bereich des privaten Unfall- und HPfLVersRechts herrscht das „System der materiellen Staatsaufsicht (mit Bewilligungsprinzip)" 2 7 7 . 273 Vgl. Boss—Finke—Starke, „Versicherungsaufsicht — A . I n d i v i d u a l Vers." i n H d W B des Vers Wesens, Bd. 2, Sp. 2230. 274 Vgl. z.B. Prölss, V A G - K o m m . , Vorbem. I I I 1, der das „eigentliche Aufsichtsrecht" i m PrivatVersWesen als Gewerbepolizeirecht bezeichnet. Bereits die Begründung zum V A G aus dem Jahre 1901 charakterisierte das Gesetz als ein gewerbe- u n d wirtschaftspolizeiliches: vgl. hierzu des näheren Prölss, V A G - K o m m . , Vorbem. I V 3. 275 So z. B. f ü r den Gesamtbereich der SozialVers. die Ausführungen v o n

286

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

I h m liegt als umfassendsten von allen bestehenden Aufsichtssystemen 278 der Gedanke zugrunde, daß nur eine Fachbehörde, die mit allen nötigen Kompetenzen ausgestattet ist, die V U wirkungsvoll beaufsichtigen und dadurch die Versicherten vor Schaden bewahren kann. Neben die Kontrolle durch das Versicherung suchende Publikum 2 7 9 t r i t t die Überwachung durch die Aufsichtsbehörden, denen grundsätzlich über die Normativbestimmungen hinaus ein weiter Ermessensbereich i m Gebrauch eines umfangreichen Katalogs von Aufsichtsinstrumenten eingeräumt wird. Die Aufsichtsbehörde kann jederzeit materiell auf den Betrieb eines VUs Einfluß nehmen. bb) Begrenzung der Befugnisse Jedoch hat der Gesetzgeber ihre Befugnisse so zu begrenzen, „daß einerseits eine wirksame Betriebsüberwachung möglich wird, andererseits eine übermäßige Einengung der Unternehmen i n ihrer Bewegungsfreiheit vermieden wird. Für die Entscheidungen der Aufsichtsbehörden muß ein gewisser Spielraum gewährt werden, damit dem Einzelfall Rechnung getragen werden kann. Schränkt man das Ermessen der Behörde allzusehr ein, so w i r d auch durch die starren gesetzlichen Formeln die Entwicklungsfähigkeit des Vers Wesens beschränkt" 280 . cc) Kernstück der Aufsicht Als Kernstück der Aufsicht i m privatversrechtlichen Bereich haben Gesetzgeber und Aufsichtsbehörde die Interessen der Versicherten und der V U zu beachten. Der Gedanke der Gewährleistung dieser Interessen „zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze V A G " 2 8 1 . Da diese Interessen auf Seiten der Versicherten i n erster Linie von der Zahlungsfähigkeit des VUs i m Schadensfalle geprägt sind, liegt der Schwerpunkt der Aufsichtsbefugnisse auf dem Gebiet der Finanzaufsicht. J. Meier, „VersAufsicht — B. SozialVers." i n H d W B des VersWesens, Bd. 2, Sp. 2242. 276 So Peters, „Die U V als Selbstverwaltungseinrichtung" i n Sozialer Fortschritt, Sonderbeilage zu Jg. 11/1962, Heft 12, S. 1 ff. (3). 277 Vgl. statt vieler Prölss, V A G - K o m m . , Vorbem. I V 2 sowie Boss, Systeme der Staatsaufsicht über VersUnternehmen, 3. Abschn., § 6, S. 31. 278 Vgl. Prölss, a. a. O., Vorbem. I V 2; zu den anderen darüber hinaus bestehenden Aufsichtssystemen siehe Boss, a. a. O., 3. Abschn., S. 31 ff. 279 Sie liegt als Grundgedanke dem sog. Publizitätssystem zugrunde, wie es v o r allem i n Großbritannien gilt u n d wie es von dem deutschen Aufsichtssystem praktisch m i t beinhaltet w i r d . Vgl. hierzu Boss, a. a. O., 3. Abschn. § 7, S. 33 ff. 280 So zutreffend schon Reuss i n Maries' Versicherungslexikon, Sp. 1148. 281 Vgl. Boss—Finke—Starke, a.a.O., Sp. 2223; siehe hierzu auch Prölss, V A G - K o m m . , Vorbem. I V 3.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

287

dd) A r t der Aufsicht Die Aufsicht über die privaten V U ist — wie bereits erwähnt — durchwegs gewerbepolizeilicher A r t und damit eher Fachaufsicht 282 als Dienstaufsicht. Da die beiden letzten Begriffe jedoch dem Aufsichtsrecht über die öffentlich-rechtlichen V U entlehnt sind, sollen sie erst bei Beleuchtung der 3. Gruppe 2 8 3 näher gekennzeichnet werden. ee) Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle Es sei aber schon an dieser Stelle hervorgehoben, daß die Aufsicht über die privaten V U sich nicht nur auf die Rechtmäßigkeit von deren Maßnahmen, sondern auch auf deren Zweckmäßigkeit bezieht. Zwar ist lediglich die Rechtmäßigkeitskontrolle i m Gesetz ausdrücklich erwähnt. So statuiert § 81 Abs. 1 V A G : „Die Aufsichtsbehörde hat den ganzen Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmungen, besonders die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften... zu überwachen." Jedoch ergibt sich aus der Vielzahl der den Aufsichtsbehörden ansonsten zur Verfügung stehenden gesetzlichen Maßnahmen, daß auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle stattfindet. So können z. B. gem. § 89 Abs. 1 Satz 2 V A G sogar alle Arten von Zahlungen, besonders von VersLeistungen, zeitweilig von der Aufsichtsbehörde verboten werden, wenn sich bei der Prüfung der Geschäftsführung und der Vermögenslage einer Unternehmung ergibt, „daß diese für die Dauer nicht mehr imstande ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, die Vermeidung des Konkurses aber zum Besten der Versicherten geboten erscheint" (§ 89 Abs. 1 Satz 1 VAG). Solche Maßnahmen, die zu ergreifen i m pflichtgemäßen 284 Ermessen der Ausichtsbehörden steht, sind ohne eine laufende Zweckmäßigkeitskontrolle undenkbar. Nur durch sie kann die Aufsichtsbehörde i n unserem Beispiel zu dem Schluß gelangen, daß eine Vermeidung des Konkurses i. S. von § 89 Abs. 1 Satz 1 V A G zum Besten der Versicherten geboten „erscheint" — i m Hinblick auf die Fassung des Gesetzes wieder u m eine Ermessensfrage der Aufsichtsbehörde, die i n einem Rechtsmittelverfahren nur i n Richtung auf einen Mißbrauch oder sachwidrige Erwägungen 2 8 5 (vgl. § 114 VwGO) nachgeprüft werden kann.

282

prölss, V A G - K o m m . , § 1 B A G , A n m . 2. Siehe unten S. 306 ff. 284 Vgl. zu den Erwägungen, die v o n der Aufsichtsbehörde allgemein bei A n w e n d u n g des V A G angestellt werden müssen, anderenfalls Ermessensfehler vorliegen: Prölss, V A G - K o m m . , Vorbem. I V 3. 285 V g L Prölss, V A G - K o m m . , § 89 V A G , A n m . 1. 283

V g L

288

3. T e i l : Gegenüberstellung v o n Einzelaspekten

b) Bereich der gesetzlichen U V aa) Grundsatz der Rechtmäßigkeitskontrolle — Zweckmäßigkeitskontrolle als Ausnahme Für den Bereich der gesetzlichen U V w i r d der Gesamtcharakter der Aufsicht durch das Recht und die Pflicht der aufsichtsführenden Stelle gekennzeichnet, darüber zu wachen, „daß Gesetz und Satzung beachtet werden" (§ 30 Abs. 1 RVO). Hier handelt es sich also u m eine Rechtskontrolle. Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidungen der Verwaltung ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Eine Ausnahme hiervon gewährt lediglich § 706 RVO, wonach sich das Aufsichtsrecht bezüglich der Unfallverhütung und der Ersten Hilfe auch auf Umfang und Zweckmäßigkeit der Maßnahmen der BGen erstreckt. Darüber hinaus besteht zugunsten der Aufsichtsbehörden nur noch eine indirekte Möglichkeit, Zweckmäßigkeitserwägungen 286 bezüglich der (künftigen) Verwaltungstätigkeit einer BG dadurch anzustellen, daß gem. § 672 Abs. 1 RVO eine Satzung und ihre Änderung der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen. bb) Rückschluß auf den Selbstverwaltungscharakter der BGen Durch die grundsätzliche Begrenzung der Aufsicht auf eine bloße Rechtskontrolle w i r d deutlich dem Selbstverwaltungsrecht der UV-Träger Rechnung getragen. cc) Frage der Zugehörigkeit zur „mittelbaren Staatsverwaltung" Diese Feststellung führt dazu, unsere obigen Ausführungen — insbesondere zur Rechtsform der BG — nochmals aufzugreifen 287 und i m Anschluß hieran die Frage aufzuwerfen, ob die BGen tatsächlich — wie es Teile des Schrifttums und der Rechtsprechung nachzuweisen sich bemühen 2 8 8 — i n den Bereich der sog. mittelbaren Staatsverwaltung einzubeziehen sind. Gerade i m Zusammenhang m i t der Beleuchtung des Aufsichtsverhältnisses nämlich könnte eine gegenteilige A n t w o r t auf diese Frage erarbeitet werden. aaa) Rückblick i n die geschichtliche Entwicklung des Aufsichtsrechts der BGen Zunächst ist hierfür ein Rückblick i n die Geschichte der aufsichtsrechtlichen Entwicklung erforderlich. I n § 30 Abs. 1 ihrer ursprünglichen 288 287 288

Orte.

Vgl. hierzu Dersch, Knoll u. a., RVO-Gesamtkomm., § 30 A n m . 4, S. 38. Vgl. dazu oben S. 251 unter A n m . 117. Siehe auch die Fundstellen an dem hier unter A n m . 287 angegebenen

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

289

Fassung vom 19. J u l i 1911 (RGBl. S. 509) schloß sich die Reichsversicherungsordnung dem auch schon vorher bestehenden Rechtszustand an, nach dem sich die Staatsaufsicht über die BGen auf die Beachtung von „Gesetz und Satzung" beschränkten, die Rechtmäßigkeit m i t h i n alleiniger Aufsichtsmaßstab war. Später brachte die VO vom 30. Oktober 1923 (RGBl. I S. 1057) eine dahingehende Änderung des § 30 Abs. 1 RVO, daß die Staatsaufsicht nunmehr auf die Beachtung von „Gesetz und Satzung s o . . . , wie es der Zweck der Versicherung erfordert", zu richten war. Hieraus leitete das Schrifttum 2 8 9 bereits einen Ubergang von der Rechtskontrolle zur gezielten Zweckmäßigkeitskontrolle her. Weiterhin gab die Notverordnung vom 5. Juni 1931 (RGBl. I S. 22) dem Reichsarbeitsminister die Ermächtigung, das Aufsichtsrecht auch auf Fragen des Ermessens i n bezug auf die Finanzgebarung der BGen auszudehnen. Schließlich führte das sog. Aufbaugesetz vom 5. J u l i 1934 (RGBl. I S. 577) die Zweckmäßigkeitsaufsicht ganz allgemein ein. Erst die Änderungsvorschrift des § 8 Ziff. 1 B V A G aus dem Jahre 1956 und die durch sie bewirkte Neufassung des § 30 Abs. 1 RVO: „Das Aufsichtsrecht der Aufsichtsbehörde erstreckt sich darauf, daß Gesetz und Satzung beachtet werden." erklärte die Rechtmäßigkeit wiederum zum alleinigen Aufsichtsmaßstab. Somit nahm das Gesetz durch Wiederherstellung der früheren Abgrenzung der Aufsicht seine ursprüngliche Konzeption wieder auf. Diese ursprüngliche Konzeption und die sie begründenden Umstände wollen w i r uns nochmals vor Augen führen, stets unsere Ausgangsfrage beachtend, ob die Tätigkeit der BGen zur „mittelbaren Staatsverwaltung" zu rechnen oder ob dies zu verneinen ist. Bis zum Jahre 1884, also bis zum Zeitpunkt vor dem ersten UVG, bestanden i m wesentlichen drei Formen einer Fürsorge für die arbeitenden Bevölkerungsschichten 290 : eine Fürsorge des Arbeitgebers, eine genossenschaftliche Fürsorge und eine Fürsorge durch öffentliche Verbände, wobei die letzte durchwegs aus Armenunterstützung bestand. U m die Unzulänglichkeiten der bestehenden Einrichtungen lindern zu helfen, erging am 17. November 1881 die sog. Kaiserliche Botschaft. 289

Vgl. Lauterbach, UV-Komm., zu § 722 RVO a. F. Anm. 2.

290 v g l hierzu die zusammenfassenden Ausführungen dieser A r b e i t auf S. 72 f.; siehe auch Kaskel-Sitzler, Grundriß des sozialen VersRechts, S. 3 ff. 19 v. Heinz

290

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

Diese setzte an den Mängeln des bisherigen Zustands an, ohne jedoch — und hierauf kommt es an — die nunmehr gesetzlich zu regelnden Einrichtungen zur Staatsaufgabe zu erklären. Vielmehr erhob das auf der Kaiserlichen Botschaft beruhende U V G von 1884 den Korporativgedanken unter den Betroffenen zur Grundlage der gesetzlichen UV, indem es den staatlichen Zwang anstelle eines freiwilligen Beitritts einführte und wirtschaftlich leistungsfähige Genossenschaften als Schuldner von Leistungen schuf, die auf der Anerkennung eines gesetzlichen Entschädigungsrechts aufgrund vorangegangener Beitragszahlung von Seiten der Berechtigten aufbauten. bbb) Analyse der Entwicklung Diese Maßnahmen standen gerade i m Gegensatz zur staatlichen Fürsorgetätigkeit. Denn der Staat entledigte sich nicht einer eigenen, m i t h i n staatlichen Aufgabe durch die neuartige Konstruktion der gesetzlichen Versicherung, vielmehr „baute er auf den bestehenden rechtlichen und moralischen Pflichten der Arbeitgeber auf, indem er die genossenschaftliche Aufgabe der Betroffenen auf der Basis der gegenseitigen Risikotragung zur Basis der ganzen Einrichtung machte und m i t seinen Machtmitteln lediglich die aus der Erfahrung der Vergangenheit erkannten Mißstände überwinden half" 2 9 1 . Der Staat bot also damals — und dasselbe gilt auch für den heutigen Rechtszustand — durch die Hebel seiner Zwangsmittel lediglich eine Hilfsstütze dafür, daß die haftpflichtgefährdeten Arbeitgeber und die unfallgefährdeten Arbeitnehmer auf korporativer genossenschaftlicher Grundlage innerhalb des Versicherungsprinzips durch eigene Leistung ihre Risiken verteilen konnten. Diesen Gesichtspunkt, der sich auf den Ursprung und das historische Heranwachsen der gesetzlichen UV gründet, gilt es besonders hervorzuheben und i m Range vor der M i t w i r k u n g des staatlichen Gesetzgebers bei Gründung einer BG und vor der Tätigkeit staatlicher Aufsichtsbehörden einzustufen. Wenn also durch Regelung der Rechte und Pflichten der Beteiligten und zur Ermöglichung zwangsweiser Durchsetzung die öffentlich-rechtlichen BGen gegründet wurden, so wurden dadurch die Pflichten und Leistungen nicht etwa mittelbar staatliche, „ebensowenig wie etwa die Ansprüche aus der Mängelhaftung beim Kauf dadurch mittelbar staatliche werden, daß der Staat sie i m BGB geregelt und m i t Hilfe seiner Gerichte durchsetzbar gemacht" 292 . 291 So zutreffend Peters, „Die U V a. a. O., S. 2. 292 So deutlich Peters, a. a. O., S. 2.

als

Selbstverwaltungseinrichtung",

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

291

Aus diesem Grunde mußte auch der Versuch zur Gründung einer Monopolversicherungsanstalt gemäß dem 1. Entwurf eines U V G von 1881203 scheitern, der, wie w i r dargelegt haben 294 , von festen Prämien der Unternehmer (2/s) und Zuschüssen des Reichs (Va) ausgegangen war. Denn eine solche Konzeption hätte den Grundgedanken der Eigenverpflichtung der Beteiligten verzerrt. Dem Staate 295 lag m i t h i n lediglich die Aufsicht über die Erfüllung der durch seine Gesetze, i m sozialen Interesse festgelegten Pflichten und die Rechtsprechung i n Streitigkeiten zwischen den Beteiligten ob. Er konnte sich m i t einer bloßen Rechtmäßigkeitskontrolle begnügen, da die Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Maßnahmen i n den eigenständigen Bereich des VersTrägers fiel. ccc) Ergebnis: Insoweit keine Einbeziehung der Tätigkeit der BGen i n die „mittelbare Staatsverwaltung" Es wäre also insoweit unrichtig, angesichts dieser Entwicklung die Tätigkeit der BGen i n die „mittelbare Staatsverwaltung" einzubeziehen 296 . Denn der Staat hat i m Falle der BGen nicht i m Wege eines rechtstechnischen Kunstgriffs eine eigene Aufgabe i n eine Fremdverwaltung überführt, wie dies für die „mittelbare Staatsverwaltung" erforderlich ist 2 9 7 . Vielmehr hat er umgekehrt fremde Angelegenheiten lediglich durch seine gesetzgeberische und verwaltungsmäßige Hilfe i n Durchführung und Erledigung erleichtert. Durch diese Erleichterung bekundet der Staat sein Interesse an der Wichtigkeit der Angelegenheit, ohne daß letztere jedoch grundsätzlich hierdurch auch nur mittelbar zu einer staatlichen wird.

293

Siehe dazu oben S. 102 ff. unter V I I . Vgl. oben S. 99. 295 Vgl. insbesondere die Ausführungen zum R V A oben S. 102 ff. (104 ff.). 296 Diese Einbeziehung befürwortet jedoch neben vielen anderen Stößner, „Aufsicht u n d Genehmigung i n der U V " i n B G 1959, S. 115 ff. (115); ders., „Nochmals Aufsicht u n d Genehmigung i n der U V " i n B G 1960, S. 155 ff. (157); ders., Die Staatsaufsicht i n der Sozialversicherung, S. 21 ff. (28). 297 v g i # Peters, „Die U V als Selbstverwaltungseinrichtung", a. a. O., S. 3. Eine solche Uberführung eigener Aufgaben des Staates i n eine Fremdverw a l t u n g hat man z. B. i n Gestalt der v o n den Selbstverwaltungskörperschaften durchgeführten Auftragsangelegenheiten v o r sich. Als mittelbare Staatsv e r w a l t u n g sind auch die gem. A r t . 85 Abs. 1 GG auf die Länder übertragenen Bundesangelegenheiten zu bezeichnen (vgl. hierzu Röttgen, „Wesen u n d Rechtsreform der Gemeinden u n d Gemeindeverbände" i n Peters' Handbuch der kommunalen Wissenschaft u n d Praxis, Bd. 1, §25, S. 185 ff. (217). Auch zählen hierzu die Fälle der sog. Organleihe oder Institutionsleihe (vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 4 I C 2, S. 26) z. B. i n der Form, daß einem kommunalen Organ, aber eben gerade nicht der Gemeinde zur eigenverantwortlichen Ausführung eine öffentliche Aufgabe zur E r f ü l l u n g für den Staat übertragen w i r d . 294

*

292

3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

ddd) Bestätigung dieses Ergebnisses durch das Selbstverwaltungsgesetz Daß diese Rechtsauffassung als zutreffend anzusehen ist und auch nicht aufgrund der hier kurz dargelegten nationalsozialistischen Rechtsentwicklung i m Wesenskern abzuwandeln ist, ergibt sich überdies aus dem Selbstverwaltungsgesetz (SVwG) vom 22.2.1951. So sagt dessen Begründung 2 9 8 : „Der Entwurf w i l l die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die i n der Wirtschaft maßgebenden Faktoren der Arbeitnehmer und Arbeitgeber i n höherem Maße als i n der Vergangenheit die SozialVers. i n eigener Verantwortlichkeit 299 übernehmen." A m Anfang der Gesetzesbegründung w i r d darüber hinaus betont, die Schöpfer der SozialVers. seien der Uberzeugung gewesen, „daß die soziale Sicherung der werktätigen Bevölkerung nur i n der Form der genossenschaftlichen Selbsthilfe wirksam durchgeführt werden kann. Die Beteiligten sollten sie als eigene Angelegenheit mitgestalten und verwalten." Auch aus diesen Zitaten ist der Schluß zu ziehen, daß der Gesetzgeber jetzt wie auch i m Jahre 1884 das Risiko für Unfallfolgen den Beteiligten zum genossenschaftlichen Ausgleich i m Wege versicherungsrechtlicher Regelung belassen und sie als grundsätzlich eigene Angelegenheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer betrachtet hat. dd) Begründung des Grundsatzes der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die grundsätzliche Ausklammerung der BGen aus der „mittelbaren Staatsverwaltung" Durch den hier vor allem historisch geführten Nachweis, daß die Tätigkeit der BGen nicht als mittelbare Staatsverwaltung zu betrachten ist, w i r d auch deutlich, warum sich die staatlichen Aufsichtsbefugnisse i m Grundsatz auf eine nachträgliche, also repressiv wirkende Rechtmäßigkeitskontrolle beschränken müssen. Denn bei Einbeziehung i n die mittelbare Staatsverwaltung müßten die staatlichen Aufsichtsbefugnisse i n Form von Weisungsrechten so weit reichen wie etwa bei Auftragsangelegenheiten. Dadurch jedoch würde zwingend i n großem Maße i n die Freiheit der BGen bei wirklich eigenen Angelegenheiten eingegriffen. Die Maßnahmen der BGen würden letztlich zu Staatsaufgaben, sie wären nicht mehr eigene Angelegenheiten, wie es die angeführte Begründung zum SVwG festgelegt hat. Der Staat dürfte dann seine Kontrolle nicht auf eine Rechtsaufsicht beschränken, sondern müßte seine Aufsicht, da er selbst an den Angelegenheiten beteiligt wäre, generell auf die Zweckmäßigkeitsbeurteilung ausdehnen.

298 Drucks. Nr. 444, 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestags 1949, S. 2, am Ende v o n I. (Allgemeiner Teil). 299

Die Hervorhebungen stammen v o m Verfasser.

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

293

Jedoch stellen sich, wie w i r aufgrund der historischen Zusammenhänge nachgewiesen haben, diese Angelegenheiten gerade nicht als staatliche Aufgaben, sondern als Selbstverwaltungsangelegenheiten dar. Diese unterstehen zwar der staatlichen Aufsicht, „ i n ihrem Wesen liegt es aber", wie Siegfried Balke 3 0 0 zutreffend hervorgehoben hat, „daß diese Aufsicht nur Rechtsaufsicht sein kann, d. h. die Aufsichtsbehörde kann grundsätzlich nur verlangen, daß Gesetz und Satzung beachtet werden." ee) Die Behandlung der BGen als zur „mittelbaren Staatsverwaltung" gehörig i n Ausnahmefällen Auch wenn man der — i m Grunde versöhnlichen — Ansicht ist, es müsse „so viel Selbstverwaltung i m Interesse der Beteiligten als möglich, so viel Staat als zum Wohle des Ganzen unbedingt notwendig" 8 0 1 herrschen, so ist doch nicht zu verhehlen, daß sich heutzutage das Problem der Zugehörigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften i n Gestalt der (bundesunmittelbaren) BGen zur „mittelbaren Staatsverwaltung" i m Verhältnis zur Aufsichtsbehörde (BVA) mitunter als eine Machtfrage darstellt. Diese entzündet sich beispielsweise i m Dienstordnungsrecht 802 : eine BG hat ihren Stellenplan für Dauerangestellte nach der Dienstordnung (DO-Angestellte) gemäß ihrer Satzung neu aufgestellt und dabei u. a. „eine entscheidende Planstelle" 3 0 3 m i t einer höheren Besoldungsgruppe ausgestattet. Die Aufsichtsbehörde wendet sich m i t einer Beanstandungsverfügung gegen die Anhebung der Planstelle und später m i t einer CJntersagungsverfügung gegen den Vollzug. Hierbei ist sie gezwungen, sich zur Begründung der Verfügungen m i t der Feststellung zu begnügen, daß sich die Stellenanhebung „nicht m i t den für den . . . mittelbaren Bundesdienst geltenden Grundsätzen vereinbaren läßt" 3 0 4 , da ihr inso300 „ U n f a l l v e r h ü t u n g als ethische u n d technische Aufgabe unter besonderer Berücksichtigung des Strahlenschutzes" i n B G 1959, S. 271 ff. (275); vgl. hierzu auch Salzwedel, „Berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung u n d Staatsaufsicht" i n B G 1959, S. 381 ff., der zutreffend dargelegt hat, daß aus der Konzeption der Trennung zwischen dem Bereich der staatlichen V e r w a l t u n g u n d der m i t Selbstverwaltung ausgestatteten genossenschaftlichen V e r w a l t u n g die Aufsicht gesetzlich ausgestaltet ist u n d daß h i e r i n nach dem Jahre 1945 noch konsequenter als i n der Zeit vorher verfahren wurde. Denn die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung wurde seitdem noch stärker ausgebaut u n d gewisse Einschränkungen der Selbstverwaltung aus der W e i marer Epoche u n d der NS-Zeit nicht aufrechterhalten. 301 g 0 — sicherlich nicht anfechtbar — Maunz, zit. i n einer Buchbesprechung über „Die Sozialordnung der Gegenwart" (Bd. 10, 1971) i n DAngVers. 1972, S. 125 (Ii. Sp.). 302 Siehe hierzu Silier, „Selbstverwaltung, Staatsaufsicht u n d »Mittelbare Staatsverwaltung 4 — A u s w i r k u n g e n einer fragwürdigen Begriffskonstrukt i o n " i n B G 1971, S. 383 ff. 303 So Silier, a. a. O., S. 383 (Ii. Sp.). 304 So das Zitat bei Silier, a. a. O., S. 383 (Ii. Sp.); die Hervorhebungen stammen v o m Verfasser.

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3. Teil: Gegenüberstellung von Einzelaspekten

w e i t k e i n (geschriebenes, formelles) „ G e s e t z " i m S i n n e v o n § 30 A b s . 1 R V O f ü r i h r V o r g e h e n z u r Seite s t e h t 3 0 4 3 . D i e betroffene B G r ü g t die Rechtswidrigke i t der Bescheide hauptsächl i c h m i t d e m H i n w e i s , sie w e r d e z u U n r e c h t v o n der A u f s i c h t s b e h ö r d e der „ m i t t e l b a r e n S t a a t s v e r w a l t u n g " zugerechnet, u n d m i t der B e r u f u n g a u f i h r S e l b s t v e r w a l t u n g s r e c h t . J e n e r H i n w e i s e r f o l g t seitens der B G s e l b s t v e r s t ä n d l i c h i n d e m B e w u ß t s e i n , daß sich die A u f s i c h t s b e h ö r d e , w i e d a r g e l e g t , eben a u f k e i n e n geschriebenen Rechtssatz ( i m S i n n e des § 30 A b s . 1 R V O ) z u r B e g r ü n d u n g ihres V o r g e h e n s b e r u f e n k a n n . Es m u ß n ä m l i c h a u s d r ü c k l i c h als — z u r Z e i t n o c h 3 0 5 — offen bezeichn e t w e r d e n , ob eine (formelle) R e c h t s g r u n d l a g e z u g u n s t e n der A u f sichtsbehörde b e z ü g l i c h e i n e r E i n b e z i e h u n g insbesondere der B G e n i n die „ m i t t e l b a r e S t a a t s v e r w a l t u n g " i m S o z i a l s t a a t s p r i n z i p (Sozialstaatsklausel) als n a c h k o n s t i t u t i o n e l l e m Recht zu sehen ist, w i e es die A r t . 20 A b s . 1, 28 A b s . 1 G G e n t h a l t e n („sozialer B u n d e s s t a a t " , „sozialer Rechtsstaat"). W e d e r i n der R e c h t s p r e c h u n g 3 0 0 noch i m S c h r i f t t u m 3 0 7

3043 Die §§ 690—704 RVO sind insoweit nicht bestimmt genug. Sie enthalten nämlich i m wesentlichen n u r Verweisungsvorschriften auf die Dienstordnung. 305 „ Z u r Zeit noch" deshalb, w e i l der Verfasser dazu neigt, das Problem auch v o r seinem wirtschaftlichen H i n t e r g r u n d zu beurteilen. So lange die BGen (in der Regel) keine Staatszuschüsse erhalten, werden sich die (Verwaltungs-)Befugnisse des Staates vergleichsweise geringer halten müssen als i m Falle des Empfanges solcher Zuschüsse. M a n w i r d stärkere (Aufsichts-) Befugnisse des Staates jedoch k a u m verneinen können, w e n n die M i t t e l f ü r die U V gar ausschließlich aus Haushaltsmitteln, d. h. aus Steuermitteln, der zuständigen Gebietskörperschaften bereitgestellt werden, w i e es neuerdings i n der gesetzlichen U V der Kinder, Schüler u n d Studierenden zugunsten der dafür i m einzelnen zuständigen Träger der F a l l ist. Vgl. hierzu das Gesetz über U V f ü r Schüler u n d Studenten sowie K i n d e r i n Kindergärten v o m 18. 3.1971 (BGBl. I S. 237) m i t den hierdurch neu gefaßten Vorschriften der RVO, das den Kreis der unfallversicherten Personen u m rd. 50 %> (!) erhöht hat. Des näheren siehe hierzu Vollmar, U V f ü r Schüler und Studenten sowie K i n d e r i n Kindergärten, S. 11, 91 ff. (96). — Je stärker i m Sozialversicherungsrecht, das eine Mischform von Versicherung, Versorgung u n d gelegentlich Fürsorge darstellt, jedoch (noch) überwiegend durch „eine Verbindung von versmäßiger Selbsthilfe u n d sozialem Ausgleich" gekennzeichnet ist [so zutreffend Gitter, „Harmonisierung sozialer Leistungen innerhalb des Sozialgesetzbuches — Die K u m u l i e r u n g sozialer Leistungen —", Gutachten (erstattet i m Auftrage des B M A ) , S. 21, sowie z. B. das U r t . des B V e r f G v. 24. 7.1963 — 1 B v L 30/57; 11/61 — i n SozR GG A r t . 3 Nr. 52, wo die A n k n ü p f u n g der SozialVers. an „versicherungsfremde", nämlich „soziale" Gesichtspunkte (im Gegensatz zur PrivatVers.) betont w i r d ] , die Versorgungs-Elemente i n den Vordergrund rücken, desto stärker werden auch die Kontrollbefugnisse des Staates entwickelt sein. 306

Vgl. hierzu B V e r f G Bd. 1, S. 105; Bd. 5, S. 122, 197; Bd. 6, S.41; Bd. 22, S. 204; zum Sozialstaatsgedanken i n der Rspr. des B V e r f G siehe auch Leibholz-Rinck, Grundgesetz, A r t . 20, A n m . 12, 13. Des weiteren vgl. B G H N J W 1959, S. 891; B G H JZ 1962, S. 765. 307

Vgl. hierzu die ausführlichen Erörterungen von Wolff,

VerwRecht I,

3. Kap.: Die Beteiligten des Vers Verhältnisses

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findet sich jedoch, soweit ersichtlich, bis jetzt eine dahin gehende Konkretisierung der Sozialstaatsklausel ausdrücklich i n Beziehung auf die BGen 308 . Aus der dargelegten Sach- und Rechtslage w i r d aber deutlich, daß i m obigen Beispiel des Streites über die Anhebung „einer entscheidenden Planstelle" die betroffene B G sich angesichts der Kompliziertheit der rechtlichen Situation nicht rechtmäßig verhält. Diese Situation ist gekennzeichnet durch die spezifische Stellung der BGen i n unserem daseinsvorsorglichen Verwaltungsgefüge. Salzwedel 309 hat deren Stellung treffend an dem Beispiel der Genehmigungsvorbehalte 310 als „engsten Nahtstellen zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaften" umrissen, „ i n denen das Frei-SeinWollen (der BGen) vom Staat und das Einbezogen-Bleiben-Müssen i n den Staat wie i n einem rechtssoziologisch-politischen Kräfteparallelogramm antinomisch gegeneinanderwirken." 311 Dieses i n seiner Struktur empfindliche Kräfteparallelogramm würde jedoch — zu Lasten der Versichertengemeinschaft und zu niemandes Nutzen — i n seinem Bestand erschüttert oder gar zum Einsturz gebracht, würde die BG i n unserem Falle m i t der Aufsichtsklage durchdringen, weil die VerwAkte des B V A nicht das „Gesetz" i m Sinne des § 30 Abs. 1 RVO zitieren (können), da ein solches i m Dienstordnungsrecht eben nicht existiert. Der Aufsichtsbehörde ist daher m i t durchschlagenden Gründen 3 1 2 das Recht nicht abzusprechen, bezüglich der Aufstellung von Stellenplänen §11 I I b (insbesondere die Zusammenfassung der bisher geäußerten verschiedenen Auslegungsmodalitäten der Sozialstaatsklausel auf S. 54 a. a. O.); V e r w . Recht I I I , § 138 I a) bis c) (S. 132—136); vgl. auch ders., VerwRecht I I , §§ 74 I I c, 75 I a 2