Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für Präventionsmaßnahmen [1 ed.] 9783428533527, 9783428133529

Gegenstand der Arbeit von Anna Rink ist die Untersuchung von Inhalt und Reichweite des berufsgenossenschaftlichen Präven

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German Pages 316 Year 2010

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Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für Präventionsmaßnahmen [1 ed.]
 9783428533527, 9783428133529

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 289

Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für Präventionsmaßnahmen

Von

Anna Rink

Duncker & Humblot · Berlin

ANNA RINK

Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 289

Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für Präventionsmaßnahmen

Von

Anna Rink

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13352-9 (Print) ISBN 978-3-428-53352-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83352-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von Sommer 2009. Durch den Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2010 in Kraft getreten ist, haben sich Änderungen ergeben, die nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Inhalt und Umfang der arbeitsschutzrechtlich relevanten Rechtsgrundlagen des Art. 137 EG a. F. (jetzt Art. 153 AEUV) und des Art. 95 EG a. F. (jetzt Art. 114 AEUV) werden hierdurch nicht berührt, da es sich insoweit lediglich um eine Neunummerierung bei gleich bleibendem Wortlaut handelt. Mein herzlicher Dank gilt zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Axer, der nicht nur den Anstoß für diese Bearbeitung gegeben hat, sondern auch während ihrer Anfertigung durch seine stetige Gesprächsbereitschaft maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Herrn Professor Dr. Reinhard Hendler danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz besonders danke ich an dieser Stelle meinen Eltern sowie meinem Freund Julian Nusser für ihre uneingeschränkte und liebevolle Unterstützung. Hamburg, im Mai 2010

Anna Rink

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

1. Kapitel Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

24

A. Begriff der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung . . . . I. Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9.3.1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz vom 30.6.1900. . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Berufskrankheitenverordnung vom 12.5.1925 und 2. Änderungsgesetz vom 14.7.1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 . . . . . . . . . . . . VI. Arbeitssicherheitsgesetz vom 12.12.1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.1996 . . . . . . . . . . . . . . VIII. Entwicklung der Prävention unter europäischem Einfluss. . . . . . . . . . . . IX. Fazit der geschichtlichen Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff des Arbeitsschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Duales Arbeitsschutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatliche Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften . . . . 2. Zusammenarbeit nach der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenarbeit nach der „Experimentierklausel“ des § 21 Abs. 4 ArbSchG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 30 32 32 33 34 35 36 37 37 37 39 39 43 47

D. Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

E. Regelungsinstrumente der berufsgenossenschaftlichen Prävention nach dem SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unfallverhütungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsgegenstand von Unfallverhütungsvorschriften . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Unfallverhütungsvorschriften für die Prävention . . . II. Berufsgenossenschaftliche Regeln und Informationen . . . . . . . . . . . . . . .

51 51 51 54 55

8

Inhaltsverzeichnis III. IV. V. VI. VII.

Überwachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelfallanordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. . . . . . . . . . Sofort vollziehbare Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F. Beitragsrecht als Präventionsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltung des Beitragsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung 2. Prävention durch Beitragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zusammenarbeit mit den Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 59 59 61 61 62 63 65

2. Kapitel Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

68

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die funktionale Selbstverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Garantie der sozialen Selbstverwaltung . . . . . . . . III. Konzeptionen der Selbstverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politische und juristische Selbstverwaltungskonzeptionen . . . . . . . . . 2. Formelle und materielle Selbstverwaltungskonzeptionen . . . . . . . . . . IV. Begriffsmerkmale der sozialen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlich-rechtliche Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betroffenenpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 69 71 73 74 74 76 77 77 78

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung . . . . . . . . . I. Selbstverwaltungsorgane. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertreterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verband der Unfallversicherungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 79 80 82 83 84

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Typologie der Gestaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Gestaltungsspielräume im Rahmen der einzelnen Präventionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Unfallverhütungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Erlassverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Inhaltliche Gestaltungsspielräume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis

III.

dd) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mittelauswahl und Überwachungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschäftigung der Aufsichtspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aus- und Fortbildung der für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Überbetrieblicher arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beitragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahrtarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beitragsausgleichsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention . . . . . . . . . . I. Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßstab der Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einhaltung von Gesetz und sonstigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweckmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsichtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratung zur Behebung der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verpflichtung zur Behebung der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . II. Fachaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfang und Grenzen der Fachaufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV . . . 1. Rechtsstaatsprinzip als Aufsichtsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedanke der Systemgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionsadäquanz der Fachaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Organisationsadäquanz der Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mitwirkungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

104 105 105 106 107 109 109 111 112 113 113 115 117 117 120 125 129 131 132 132 134 134 136 137 137 139 139 142 142 143 144 145 148 149 150 151

E. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

10

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

156

A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Anfänge des europäischen Arbeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einheitliche Europäische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Neue Konzeption“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt der „Neuen Konzeption“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die europäische Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 156 159 160 160 161 162

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 137 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regelung des Art. 137 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff der Arbeitsumwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handlungsmöglichkeit nach Art. 137 Abs. 2 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnatur der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mitgliedstaaten als Adressaten der Umsetzungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtlinien nach Art. 137 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rahmenrichtlinie 89/391/EWG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 95 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regelung des Art. 95 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richtlinien nach Art. 95 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164 164 164 165 167 167 168 168

C. Die Auswirkungen des europäischen Arbeitsschutzes auf die berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die heutige Umsetzungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unfallverhütungsvorschriften als potentielles Umsetzungsinstrument von europäischen Richtlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umsetzungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsqualität des innerstaatlichen Umsetzungsaktes . . . . . . . . . . . . . 3. Fristwahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsbereich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richtlinien nach Art. 95 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Persönlicher Anwendungsbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richtlinien nach Art. 137 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169 170 170 172 174 174 176 177 177 179 179 180 182 183 184 184 184 188 188

Inhaltsverzeichnis III.

11

Praktikabilität der Richtlinienumsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

D. Die Auswirkung des europäischen Arbeitsschutzes auf die sonstige berufsgenossenschaftliche Präventionstätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Einbringung des berufsgenossenschaftlichen Sachverstandes auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 II. Einflussnahme durch Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 E. Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

4. Kapitel Verfassungsmäßigkeit der unternehmerischen Präventionsverpflichtungen A. Aufgabe und Finanzierung der Prävention in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für die Beitragserhebung . . II. Merkmale des Sozialversicherungsbegriffs nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialer Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozialer Ausgleich in der Sozialversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Äquivalenzprinzip als Gegenpol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten der Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Exkurs: Vereinbarkeit des Unfallversicherungsmonopols mit den Art. 81 ff. EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sozialer Ausgleich in der Unfallversicherung? . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisatorische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Unfallversicherungsbeitrag in der finanzverfassungsrechtlichen Abgabentypik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unfallversicherungsbeitrag als Steuer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unfallversicherungsbeitrag als Vorzugslast? . . . . . . . . . . . . . . cc) Unfallversicherungsbeitrag als Verbandslast? . . . . . . . . . . . . . dd) Unfallversicherungsbeitrag als Sonderabgabe? . . . . . . . . . . . ee) Unfallversicherungsbeitrag als Abgabe sui generis. . . . . . . . b) Erhebung der Beiträge von den Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweckbindung des Sozialversicherungsbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . aa) Prävention als eigene Aufgabe der Unfallversicherung . . . . bb) Grenzziehung zwischen eigenen und fremden Aufgaben der Unfallversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

197 197 199 199 203 203 203 207 207 207 210 216 218 219 220 221 223 225 226 228 229 230 231 234

12

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III. IV.

(1) Präventionsmaßnahmen mit auf die Versichertengemeinschaft begrenztem Wirkungskreis . . . . . . . . . . . . . (2) Präventionsmaßnahmen mit unbegrenztem Wirkungsbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zum Kompetenztitel des Arbeitsschutzes i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für Aufgabe und Finanzierung der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die staatsbürgerliche Lastengleichheit unter dem Blickwinkel der Finanzierungsverantwortlichkeit des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Unternehmer . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigung der Finanzierungsverantwortlichkeit für die Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exkurs: Die Rechtfertigung eigennütziger Beitragsanteile . . . . . . b) Rechtfertigung der Finanzierung der Prävention durch fremdnützige Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fremdnütziger Beitragsanteil als Lohnbestandteil? . . . . . . . . bb) Solidarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besondere Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . 2. Gleichheitsrechtliche Bewertung der Finanzierung einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten . . . . . I. Vermögensschutz durch Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berufsregelnde Tendenz der Abgabepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unternehmerische Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnismäßigkeit der unternehmerischen Finanzierungsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prävention von betrieblich verursachten Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prävention allgemeiner Gesundheitsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236 239 242 243 243 246 246 247

249 250 250 250 253 254 257 259 259 260 262 264 265 265 267 267

D. Vereinbarkeit der präventionsbedingten Organisationspflichten des Unternehmers mit Freiheitsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Präventionsbedingte Organisationspflichten des Unternehmers. . . . . . . . 268 II. Vereinbarkeit der Organisationspflichten mit Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . 270

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E. Vereinbarkeit des Präventionsauftrags nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII mit rechtsstaatlichen Anforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Vorbehalt des Gesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 F. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Einleitung Die Prävention von Krankheiten und Unfällen gewinnt zunehmend an Bedeutung1. War die ursprüngliche, unter Bismarck errichtete Sozialversicherung zunächst auf die Kompensation von Versicherungsfällen ausgerichtet, rückt das vorbeugende Handeln immer weiter in den Vordergrund. So bekräftigt der Gesetzgeber, dass „nur ein Gesundheitswesen, das die Menschen gesund erhält, statt sich im Kurieren von Krankheiten zu erschöpfen, diesen Namen wirklich verdient“2 hat. Der demographische Wandel einerseits3, aber insbesondere auch die Folgen der modernen Dienstleistungsgesellschaft wie Bewegungsarmut, schlechte Ernährung4 sowie Nikotin- und Alkoholgenuss5 führen zu unkalkulierbaren Risiken für die Volksgesundheit und damit zu erheblichen finanziellen Belastungen für die Sozialversicherungsträger6. Um weiterhin die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung garantieren zu können, ist es unabdingbar, im Vorfeld der Erkrankungen anzusetzen. Präventionsarbeit ist damit nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern eine ökonomische Notwendigkeit zur Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit aller Sozialversicherungssysteme. Dass auch der Gesetzgeber die Notwendigkeit eines Ausbaus der Gesundheitsförderung erkannt hat, zeigt sich in den Initiativen zum Erlass des so genannten „Präventionsgesetzes“7. Ziel des – bislang nicht verwirklichten – 1 So wurden im Jahr 2007 zu diesem Thema die europäische Konferenz „Gesundheit und soziale Sicherheit im Lebenszyklus“ von der DGUV, dem BKK-Bundesverband und dem AOK-Bundesverband sowie der 2. Nationale Präventionskongress durchgeführt. Auch schreibt das Bundesministerium für Gesundheit jährlich einen eigenen Präventionspreis aus. Siehe hierzu: Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 48. 2 BT-Drs. 14/9085, S. 2. 3 Ausführlich zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Krankenversicherung: Rürup, in: G+G 3/2007, S. 22 ff. 4 Vgl. hierzu insbesondere den Ergebnisbericht Teil 1 der Nationalen Verzehrstudie II des BMELV (2008). 5 Vgl. hierzu die Studie von John/Hanke, in: European Journal of Public Health, 2003, S. 275, 276. 6 Zu den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen vgl.: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, Kap. 9. 7 „Gesundheitsausgaben“. 7 Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Erlass eines Präventionsgesetzes, BT-Drs. 14/9085; Gesetzesentwurf vom 15.2.2005, BT-Drs. 15/4833; Referentenentwurf der Bundesregierung vom 23.11.2007. Ähnliche Gesetze wurden schon in Frankreich

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Gesetzesvorhabens ist der Ausbau der Gesundheitsförderung sowie der gesundheitlichen Prävention zu einer eigenständigen Säule im Gesundheitswesen8. Zu diesem Zweck sollen einerseits effizientere Strukturen geschaffen werden, andererseits sollen die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt sowie „das Bewusstsein und die Befähigung für einen verantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit“ gefördert werden9. Im Hinblick auf die überproportional schlechten Gesundheitschancen sozial schwächerer Bevölkerungsschichten wird der Schlüssel zur Effizienzsteigerung insbesondere in einer lebensweltbezogenen Prävention gesehen, so dass nicht nur einzelne Personen, sondern gesamte „Systeme“ wie Schulen, Kindergärten oder bestimmte Stadtteile mit den Präventionsmaßnahmen erreicht werden sollen. Ein weiteres in den Gesetzesentwürfen vorgesehenes Instrument zur Effizienzsteigerung ist eine Qualitätssicherung durch die Etablierung einheitlicher und regelmäßig zu überprüfender Anforderungen an die Präventionstätigkeit10. Verantwortlich für die Durchführung der in dem Gesetzesentwurf normierten Aufgaben sind vornehmlich die so genannten Präventionsträger11. Dies sind jedenfalls nach dem letzten Regierungsentwurf neben den Trägern der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung sowie der privaten Krankenversicherung der neu zu bildende Nationale Präventionsrat und der ebenfalls neu zu bildende Präventionsrat Land12. Obwohl allgemeine Einigkeit im Hinblick auf die Notwendigkeit einer verbesserten und umfassenderen gesundheitlichen Prävention besteht13, ist es in wiederholten Gesetzesinitiativen nicht gelungen, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden14. Neben Differenzen bezüglich der Organisation scheiterte der letzte Gesetzesentwurf insbesondere an der Finanzierungs2004 und in Schweden 2003 erlassen, vgl. hierzu: Weinbrenner/Wörz/Busse, in: G+G Wissenschaft 2/2007, S. 19, 24 f. 8 RegE vom 23.11.2007, S. 2; BT-Drs. 15/4833, S. 24. 9 RegE vom 23.11.2007, S. 18. 10 RegE vom 23.11.2007, S. 7 f., § 9; BT-Drs. 15/4833, S. 9, § 20. 11 RegE vom 23.11.2007, S. 4, §§ 2, 3; BT-Drs. 15/4833, S. 4 f., §§ 6, 7. 12 RegE vom 23.11.2007, S. 4, § 2 Abs. 1. 13 Bunge, in: G+G 2/2006, S. 48; Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 48; Christian Weber, in: GPK 12/2007, S. 8 ff.; Zentralverband des Deutschen Handwerks, Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007, S. 2; Bundesärztekammer, Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007, S. 2; Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte und die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, gemeinsame Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007. 14 Der erste Gesetzesentwurf vom 2.2.2005 (BT-Drs. 15/4671) wurde am 2.6.2005 aufgrund von Differenzen im Vermittlungsausschuss vertagt. Der zweite Gesetzesentwurf, in Form des Referentenentwurfs vom 23.11.2007 scheiterte am 6.3.2008. Hierzu: FAZ vom 7.3.2008, S. 15.

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frage. Die erforderlichen Finanzmittel sollten nach den Vorstellungen der Bundesregierung, ohne Einbindung des Bundes oder der Länder, hauptsächlich von den beteiligten Sozialversicherungsträgern sowie von den Trägern der privaten Krankenversicherung aufgebracht werden. Dagegen wird eingewendet, dass eine umfassende gesundheitliche Prävention nicht zu den Zwecken der Sozialversicherung gehöre. Die allgemeine gesundheitliche Prävention stelle vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, die damit auch von der gesamten Gesellschaft getragen werden müsste und nicht einseitig auf die in der Sozialversicherung zusammengefassten Bürger abgewälzt werden dürfe15. Nach den Gesetzesentwürfen würden jedoch Allgemeinwohlbelange durch die Beiträge eines von der Allgemeinheit verschiedenen, abgrenzbaren Personenkreises finanziert. Wesentlicher Kritikpunkt ist mithin die Verwendung von Sozialversicherungsbeiträgen für versicherungsfremde Aufgaben, also für Aufgaben, die sich nicht aus der Realisierung des von der Versichertengemeinschaft durch Beiträge abgedeckten Risikos ergeben, sondern die vielmehr aus allgemeinen Lebensrisiken resultieren. Zudem wird die Sorge geäußert, dass der Bund sich aus seinen bislang wahrgenommenen Präventionsverpflichtungen, wie insbesondere die Finanzierung gesundheitlicher Aufklärungskampagnen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, im Hinblick auf die erweiterten Leistungsverpflichtungen der Sozialversicherungsträger, zurückziehen könnte16. Es wird deshalb vielfach gefordert, die aus dem Entwurf des Präventionsgesetzes resultierenden Aufgaben durch die Gesamtbevölkerung und damit durch Steuermittel finanzieren zu lassen17. Wird die Bedeutung der Prävention für weite Bereiche der Sozialversicherung erst in letzter Zeit erkannt, ist sie in der gesetzlichen Unfallversicherung schon seit deren Anfangsjahren wesentlicher Bestandteil. Die Prävention stellt die primäre Aufgabe der Unfallversicherungsträger dar und geht nach §§ 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII der Kuration und Rehabilitation vor. Die Unfallversicherungsträger werden gesetzlich zu umfassenden Präventionsmaßnahmen ermächtigt, indem sie nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Be15 Eberle, in: G+G 11/2007, S. 38, 39 ff.; Deutschland, in: G+G 10/2007, S. 12 (Interview der G+G); Rabbata, in: Deutsches Ärzteblatt 2008, S. 105; Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 50; Christian Weber, in: GPK 12/2007, S. 8, 9; Zentralverband des Deutschen Handwerks, Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007, S. 2; gleichlautende Kritik zu den vorangegangenen Gesetzesentwürfen: Bunge, in: G+G 2/2006, S. 48. 16 Siehe zu diesen Bedenken: Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 50. 17 Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007, S. 3; Christian Weber, in: GPK 12/2007, S. 8, 8; Zentralverband des Deutschen Handwerks, Stellungnahme zum RegE vom 23.11.2007, S. 2.

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rufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu sorgen haben. Seit Jahrzehnten setzen die Unfallversicherungsträger diesen weiten Präventionsauftrag durch ein vielseitiges Vorsorgeprogramm erfolgreich um. So stiegen seit 1970 die Investitionen in eine wirksame Prävention von 101.623.000 DM auf 735.928.000 e im Jahre 2006 kontinuierlich an18. Bei einem sinkenden Beitragssatz verringerte sich gleichzeitig die Zahl der Arbeitsunfälle um 56%19. Damit ist die gesetzliche Unfallversicherung der einzige Zweig der Sozialversicherung mit sinkenden Beiträgen. Jenseits der Vorteile und der unbestrittenen Notwendigkeit einer effektiven Präventionsarbeit bergen die berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsmaßnahmen zum Teil jedoch erhebliche Belastungen für die nach § 21 Abs. 1 SGB VII für ihre Durchführung verantwortlichen Unternehmer. Zum einen sind die Unternehmer nämlich verpflichtet, die organisatorischen Voraussetzungen für die Unfallverhütungsmaßnahmen zu schaffen, darüber hinaus trifft sie zudem die Finanzierungsverantwortlichkeit. Im Hinblick auf die Organisationspflichten der Unternehmer ist insbesondere an solche Verpflichtungen zu denken, die sich aus der Befolgung der von den Unfallversicherungsträgern nach § 15 Abs. 1 SGB VII erlassenen Unfallverhütungsvorschriften ergeben20. So sind die Unternehmer beispielsweise gem. § 29 BGV A121 verpflichtet, den Versicherten die persönliche Schutzausrüstung in ausreichender Zahl zur persönlichen Verwendung zur Verfügung zu stellen. Außerdem haben sie dabei zu beachten, dass für die Schutzausrüstung EG-Konformitätserklärungen vorliegen. Nach § 25 BGV A1 haben die Unternehmer dafür zu sorgen, dass das Erste-Hilfe-Material jederzeit schnell erreichbar und leicht zugänglich ist und dass die erforderliche Zahl an ausgebildeten Ersthelfern zur Verfügung stehen (§ 26 BGV A1). Weitere organisatorische Verpflichtungen der Unternehmer ergeben sich aus den nach § 17 SGB VII angeordneten Betriebsüberwachungen. So sind die Unternehmer beispielsweise gem. § 19 18 BG-Statistiken für die Praxis 2006, Aktuelle Zahlen und Zahlenreihen aus der Unfallversicherung der gewerblichen Wirtschaft, S. 66, Übersicht 39 (Steuerungskosten für Prävention). Aufgrund der Fusion des HVBG mit den Unfallkassen der Länder werden für das Jahr 2007 nur die gemeinsamen Steuerungsausgaben für die Prävention von den gewerblichen Berufsgenossenschaften und den Unfallkassen veröffentlicht: Diese liegen für 2007 bei 827.386.391 e, Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand, S. 55, Übersicht 47; siehe hierzu ebenfalls: DGUV-Statistiken für die Praxis, S. 83, Übersicht 40. 19 www.hvbg.de/d/pages/praev/index.html (Stand 17.12.2008). 20 Zum genauen Inhalt von Unfallverhütungsvorschriften vgl.: 2. Kap. C. II. 1. b). 21 Unfallverhütungsvorschriften werden als „Berufsgenossenschaftliche Vorschriften“, abgekürzt „BGV“ bezeichnet.

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Abs. 2 S. 1 SGB VII n. F.22 verpflichtet, den Aufsichtspersonen Zutritt zum Betrieb zu gewähren, ihnen Einsicht in die benötigten betrieblichen Unterlagen zu gestatten oder ihnen die Überprüfung von Arbeitsmitteln, persönlicher Schutzausrüstung und Arbeitsabläufen zu ermöglichen23. Ferner müssen die Unternehmer nach § 22 Abs. 1 SGB VII Sicherheitsbeauftragte im Unternehmen bestellen, die sie in dem Maße von der Arbeit freizustellen haben, in dem dies für die Erfüllung von deren Aufgaben sowie für etwaige Fortbildungen notwendig ist24. Auch haben die Unternehmer alle sonstigen für die Durchführung von Unfallverhütungsmaßnahmen zuständigen Personen wie insbesondere Ersthelfer und Betriebssanitäter25 für entsprechende Aus- und Fortbildungen von der Arbeit freizustellen26. Die sich daraus ergebenden Einschränkungen für die Betriebsabläufe haben die Unternehmer hinzunehmen oder müssen sie gegebenenfalls durch einen erhöhten Organisationsaufwand eindämmen. Über die organisatorischen Verpflichtungen hinaus sind die Unternehmer aufgrund der ausschließlichen Finanzierung der Unfallversicherung durch Unternehmerbeiträge auch in finanzieller Hinsicht für die Prävention verantwortlich. Die entsprechend dem umfassenden Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 SGB VII vielfältigen, von den Berufsgenossenschaften durchzuführenden Präventionsmaßnahmen wie beispielsweise Beratung, Information, Überwachung, Ausbildung und Forschung werden damit letztlich von den Unternehmern finanziert27. Zudem müssen auch alle Kosten, die im Zusammenhang mit der Ausarbeitung von Unfallverhütungsvorschriften, Technischen Regeln für Betriebssicherheit sowie der Begleitung der Normungsprozesse auf europäischer Ebene28 durch Unternehmerbeiträge abgedeckt werden. Neben individualisierten Präventionsmaßnahmen, die auf die Reduzierung der in den einzelnen Betrieben existierenden Risiken abzielen, werden zudem groß angelegte Kampagnen als Präventionsmaßnahmen von den Un22 Früher: § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII, geändert durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 23 Vgl. hierzu auch § 10 BGV A1. 24 Vgl. hierzu auch § 20 BGV A1, der bestimmt, dass die Sicherheitsbeauftragten insbesondere Gelegenheit haben müssen, an Betriebsbesichtigungen sowie Aus- und Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen. 25 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 23 Rn. 2. 26 Umkehrschluss zu § 23 Abs. 3 SGB VII, der bestimmt, dass für die Arbeitszeit, die wegen der Teilnahme an einem Lehrgang ausgefallen ist, gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. 27 Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 10. 28 „Alles aus einer Hand“, Informationsbroschüre der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Stand Mai 2005), S. 11, 15.

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fallversicherungsträgern initiiert. Exemplarisch sei hier die von Unfallversicherungs- und Krankenversicherungsträgern gemeinsam durchgeführte Präventionskampagne „Haut“ genannt29. Da Hautkrankheiten im Vergleich zu anderen anerkannten Berufskrankheiten sehr viel häufiger auftreten30, wollen die Berufsgenossenschaften und die Krankenversicherungsträger durch Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen der Präventionskampagne „Haut“ zu einem erhöhten Bewusstsein in der Gesellschaft für Aufbau und Funktion der Haut sowie für mögliche Krankheitsrisiken sorgen und auf diese Weise zur Anwendung entsprechender Schutzmaßnahmen motivieren31. Die Kampagne gliedert sich in eine gemeinsame Dachkampagne und einzelne branchenspezifische Trägerkampagnen. Ziel der Dachkampagne ist es, das Thema Hautschutz durch groß angelegte Aktionen in der breiten Öffentlichkeit sowie bei Arbeitgebern und Versicherten bekannt zu machen32. Aus diesem Grund wird die Dachkampagne als Forum genutzt, um auf allgemeine Risiken hinzuweisen, wie Sonneneinstrahlung oder künstliches UV-Licht in Solarien, die zu Hautschäden und -erkrankungen führen können33. Anders als die Dachkampagne sind die Trägerkampagnen nicht auf eine Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit angelegt, sondern wollen mit zielgruppenorientierten Aktionen in den einzelnen Betrieben konkrete Aufklärungsarbeit zum Thema Hautschutz leisten, um auf diese Weise das Auftreten der Berufskrankheit Nr. B 5101 (Hautkrankheiten) zu reduzieren34. Soweit es sich bei den Aktionen im Rahmen der Hautkampagne um spezielle branchenorientierte Trägerkampagnen handelt, die der Verhütung von Berufskrankheiten dienen, werden die Unfallversicherungsträger unproblematisch im Rahmen ihres Präventionsauftrages nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII tätig. Die Verwendung der hierfür erforderlichen Geldmittel erfolgt ausschließlich für einen der wichtigsten Zwecke der Unfallversicherung, der Prävention von Berufskrankheiten und damit im Sinne der Solidargemein29

Siehe zu Konzept und Inhalt der Präventionskampagne „Haut“: Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10 f.; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12 ff. 30 So betrug in den Jahren 2006 und 2007 ihr Anteil unter den anerkannten Berufskrankheiten über 40% (vgl hierzu die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2006, S. 37, Übersicht 33.; Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand 2007, S. 41, Übersicht 33). 31 v. Mannstein, in: G+G Spezial 1/07, S. 5 (Interview der G+G Spezial); „Krankheiten und Hautschutz“, Aufklärungsbroschüre der DGUV (2007), S. 4. 32 v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12, 12; Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11. 33 Die BG 2007, S. 168 f. 34 Bach/Trappe, in: Die BG 2007, S. 15 f.; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12, 14; Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11.

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schaft. Anders gestaltet sich die Situation allerdings hinsichtlich der Dachkampagne, die primär der Sensibilisierung der breiten Bevölkerung für das Thema Hautschutz und nur sekundär der Verhütung von Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gefahren dient. Die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung über die Gefahren von Hauterkrankungen entspricht grundsätzlich nicht den Zwecken der in der Unfallversicherung zusammengefassten Solidargemeinschaft. Insofern stellt sich die Frage, ob die Beitragsgelder der Unternehmer, die die Berufsgenossenschaften für die Aktionen der Dachkampagne verwenden, noch im Sinne der Zielsetzung der Unfallversicherung verbraucht werden oder ob eine solche Aufklärung der Allgemeinbevölkerung nicht – vergleichbar den Forderungen der Kritiker des Präventionsgesetzes – durch die gesamte Gesellschaft und damit durch Steuermittel finanziert werden müsste. Eine ähnliche Problematik lässt sich auch für den Bereich der Verkehrssicherheit beobachten. Wegeunfälle im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB VII, die einen beträchtlichen Teil der Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung ausmachen35, sind ein gewichtiger Kostenfaktor36. Zur Reduzierung ihrer Ausgaben nutzen die Berufsgenossenschaften ihren Präventionsauftrag und engagieren sich in diesem Bereich37 unter Einsatz von öffentlichkeitswirksam angelegten Kampagnen38. Allerdings beschränkt sich der Wirkungskreis der Kampagnen oftmals nicht nur auf die Prävention von Wegeunfällen, mithin auf die Verhütung von Versicherungsfällen der Unfallversicherung. Vielmehr intendieren sie, mittels der breit angelegten Aufklärungsmaßnahmen, wie dem Einsatz von Großflächenplakaten an Straßenund Autobahnrändern, die gesamte Auto fahrende Bevölkerung auf die Gefahren des Straßenverkehrs aufmerksam zu machen. Ebenso wie die Präventionskampagne „Haut“ zielen die Maßnahmen damit nicht auf die Verhütung eines Risikos ab, das ausschließlich dem Aufgabenbereich der Unfallversicherungsträger zuzuordnen ist, sondern widmen sich daneben generell der Verhütung von Verkehrsunfällen. Soweit die Beitragsmittel zugunsten der Sensibilisierung der allgemeinen Bevölkerung für die Gefahren des Straßenverkehrs eingesetzt werden, stellt sich auch hier die Frage, ob 35

Im Jahr 2006 ereigneten sich 158.769 meldepflichtige Wegeunfälle, Geschäftsund Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2006, S. 19. 36 Im Jahr 2006 kamen 6146 neue Wegeunfallrenten hinzu, Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2006, S. 23. 37 Zur Bedeutung der Prävention im Bereich der Wegeunfälle siehe auch Joachim Breuer, in: DVR-report 2/2007, S. 17 ff. (Interview des DVR-reports). 38 Beispielhaft können hier folgende Kampagnen genannt werden: „Raser kommen nicht an“ (hierzu: Die BG 2007, S. 213; www.raser-kommen-nicht-an.de); „Kein Platz für Kreuze“ (hierzu: DVR-report 2/2007, S. 3 ff.; www.kein-platz-fuerkreuze.de); „Hast Du die Größe? Fahr mit Verantwortung“ (hierzu: DVR-report 1/2007, S. 3 ff.; www.hast-du-die-groesse.de).

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Einleitung

ein solches Engagement der Unfallversicherungsträger überhaupt durch Unternehmerbeiträge finanziert werden darf oder ob es sich nicht ebenso wie bei der im Präventionsgesetz vorgesehenen allgemeinen gesundheitlichen Prävention um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die ausschließlich durch Steuermittel finanziert werden müsste. Gegenstand dieser Arbeit wird deshalb die Untersuchung von Inhalt und Reichweite des Präventionsauftrages der gesetzlichen Unfallversicherung sein. Besondere Beachtung wird dabei die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Staat und Unternehmer im Rahmen der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten finden. Das erste Kapitel ordnet die unfallversicherungsrechtliche Prävention in das Gesamtsystem des Arbeitsschutzes ein und stellt ihre einfachrechtliche Ausgestaltung dar. Dabei wird zunächst auf die geschichtliche Entwicklung der Prävention eingegangen, um dann einen Überblick über das duale System des deutschen Arbeitsschutzes zu geben. Weiterhin werden der Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII und die zu seiner Erfüllung vorgesehenen Regelungsinstrumente, wie die Unfallverhütungsvorschriften, die Beratung, die Überwachung oder die Einzelfallanordnung, dargestellt. Inhalt des zweiten Kapitels ist die Prävention als Aufgabe der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung. Zunächst werden die Besonderheiten der sozialen Selbstverwaltung in Abgrenzung zur kommunalen Selbstverwaltung dargestellt. Sodann wird überprüft, ob die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung alle konstitutiven Merkmale des Selbstverwaltungsbegriffs in sich vereinigt, wobei insbesondere die öffentlich-rechtliche Rechtsform, die Betroffenenpartizipation und die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung zu nennen sind. Neben der organisatorischen Ausgestaltung der Betroffenenpartizipation soll ausführlich der Frage nachgegangen werden, inwieweit der Sozialgesetzgeber den Berufsgenossenschaften überhaupt Gestaltungsspielräume zur eigenverantwortlichen Regelung überlassen hat. Weiterhin wird untersucht, ob eine eigenverantwortliche Erfüllung der Präventionsaufgabe durch die in § 87 Abs. 2 SGB IV angeordnete Fachaufsicht unmöglich gemacht wird, so dass im Bereich der berufsgenossenschaftlichen Prävention an sich nicht mehr von „Selbstverwaltung“ gesprochen werden kann. Anders wäre allerdings dann zu entscheiden, wenn der Umfang der Fachaufsicht derartig beschränkt wird, dass den Berufsgenossenschaften trotz Fachaufsicht die Präventionsaufgabe zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verbleibt. Gegenstand des dritten Kapitels ist die Frage nach dem europäischen Einfluss auf die berufsgenossenschaftliche Prävention. Dabei werden zunächst die für den europäischen Arbeitsschutz relevanten Rechtsgrundlagen erläutert und die bedeutsamsten in diesem Bereich ergangenen Rechtsakte dar-

Einleitung

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gestellt, wie die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie39 und die Maschinenrichtlinie40. Sodann sollen die Auswirkungen des europäischen Arbeitsschutzrechts auf die berufsgenossenschaftliche Präventionstätigkeit untersucht werden, wobei sich die Arbeit insbesondere auf die Frage konzentrieren wird, ob die derzeitige Umsetzungspraxis der europäischen Richtlinien in staatliches Arbeitsschutzrecht zwingend ist, oder ob es möglich und unter Umständen auch vorzugswürdig sein kann, Unfallverhütungsvorschriften als Umsetzungsinstrumente heranzuziehen. Das vierte Kapitel wird der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der berufsgenossenschaftlichen Präventionsaufgabe nachgehen. In diesem Rahmen ist zunächst auf die kompetenzrechtlichen Vorgaben einzugehen, die sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ergeben, wobei einerseits mit Blick auf das berufsgenossenschaftliche Beitragsrecht zu klären ist, ob in der Unfallversicherung überhaupt der von der Kompetenznorm geforderte soziale Ausgleich stattfindet. Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit dem weitreichenden berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrag Grenzen gesetzt werden, weil die Kompetenznorm der Sozialversicherung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen nur zur Finanzierung von Aufgaben der Sozialversicherung erlaubt. Da die Präventionsmaßnahmen durch die Unfallversicherungsbeiträge der Unternehmer finanziert werden, ist insofern zu klären, ob und in welchem Umfang die Prävention eine eigene Aufgabe der Unfallversicherung darstellt. Sodann ist die unternehmerische Finanzierungsverantwortlichkeit auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten hin zu untersuchen. Von besonderer Relevanz im Zusammenhang mit dieser Finanzierungsbelastung ist die Vereinbarkeit mit dem aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG folgenden Grundsatz der Belastungsgleichheit, da die Unternehmer im Unterschied zu anderen Staatsbürgern neben ihren Steuerverpflichtungen zu weiteren staatlichen Abgaben herangezogen werden. Daneben können Abgabeverpflichtungen rechtfertigungsbedürftige freiheitsrechtliche Beeinträchtigungen darstellen, so dass die Finanzierungsverpflichtung auch an Freiheitsgrundrechten zu messen ist. Weiterhin werden die Unternehmer durch die Vorgaben der berufsgenossenschaftlichen Prävention auch in organisatorischer Hinsicht beeinträchtigt, indem sie unter anderem dazu verpflichtet werden, das betriebliche Umfeld und die Arbeitsabläufe im Sinne der Unfallverhütungsarbeit auszugestalten. Insofern muss die Präventionsverpflichtung zudem in organisatorischer Hinsicht mit den Freiheitsgrundrechten vereinbar sein. Abschließend ist noch zu überprüfen, ob der weitgefasste Präventionsauftrag mit rechtsstaatlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes und des Bestimmtheitsgrundsatzes vereinbar ist. 39 40

RL 89/391/EWG vom 12.6.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 1 ff. RL 89/392/EWG vom 14.6.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 9 ff.

1. Kapitel

Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII A. Begriff der Prävention In der Gesundheitsökonomie ist Sinn von Präventionsmaßnahmen, „in der Gegenwart etwas zu unternehmen, um unangenehme oder unerwünschte Zustände in der Zukunft zu vermeiden“1. Bezogen auf die Sozialversicherung bedeutet Prävention mithin die Verhütung des Risikoeintritts, also die Verhinderung des Leistungsfalls, für den das jeweilige Sozialleistungssystem installiert wurde2. Folglich ist die Bedeutung des Präventionsbegriffs wesentlich von dem jeweils versicherten Risiko abhängig. Die Präventionsmaßnahmen der Unfallversicherung dienen der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Sie setzen damit im Vorfeld des Risikoeintritts bei der Risikoentstehung an. Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung haben gem. § 20 Abs. 1 SGB V Leistungen zur Primärprävention vorzusehen, die den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen3. Welche Präventionsleistungen die Krankenkassen zu erbringen haben, wird im Gesetz nicht geregelt. Vielmehr obliegt es den Krankenkassen, entsprechende Bestimmungen in ihre Satzungen aufzunehmen und somit selbstän1 Leppin, in: Hurrelmann/Klotz/Haisch, Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung, S. 31. 2 Bieback, in: ZSR 2003, S. 403, 405. 3 Mit der besonderen Betonung der Abhängigkeit der Gesundheitschancen von sozialen Faktoren wird dem Zusammenhang zwischen ungleichen Lebensbedingungen aufgrund des Einkommens, Vermögens, Bildungsniveaus, der Arbeits- sowie Ernährungsbedingungen und ungleichen Gesundheitschancen Rechnung getragen und es wird gleichzeitig ein wesentlicher gesundheitlichen Risikofaktor betont (Welti, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 20 Rn. 8; siehe hierzu auch: Schütze, in: Schlegel/ Voelzke, juris-PK SGB V, § 20 Rn. 26). Allgemein zu den Antrengungen der Krankenkassen auf dem Gebiet der Prävention siehe: den Präventionsbericht 2007. Vgl. hierzu insbesondere: Handschuch/Strippel, in: Die KrV 2008, S. 25 ff.; Strippel, in: Die ErsK 2008, S. 107 ff.

A. Begriff der Prävention

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dig über Inhalt und Art der Präventionsaktivitäten zu entscheiden4. Sie haben als prioritäre Handlungsfelder einerseits, entsprechend der besonderen Bedeutung sozialer Faktoren für die Gesundheitschancen, lebensweltbezogene Maßnahmen sowie andererseits Maßnahmen, die einem individuellen Ansatz folgen, festgelegt5. Im Rahmen des so genannten Setting-Ansatzes sollen die Betroffenen in ihren Lebenswelten, wie dem Arbeitsplatz, der Schule, dem Kindergarten oder dem Stadtteil, erreicht werden, um auf diese Weise sozial bedingte Beeinträchtigungen der Gesundheitschancen verringern zu können. Demgegenüber zielen individuelle Präventionsmaßnahmen auf die Verhütung individueller Gesundheitsrisiken ab und wollen den Einzelnen zu einem seinen Bedürfnissen entsprechenden Gesundheitsverhalten motivieren. Über den allgemeinen Präventionsauftrag des § 20 SGB V hinaus verpflichtet § 20a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGB V die Krankenkassen in Kooperation mit den Unfallversicherungsträgern zur Durchführung einer betrieblichen Gesundheitsförderung6, um unter Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb die gesundheitliche Situation einschließlich ihrer Risiken und Potenziale zu erheben und Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten zu entwickeln und deren Umsetzung zu unterstützen. Ferner müssen die Krankenkassen gem. § 20b Abs. 1 SGB V die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bei ihren Aufgaben zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren unterstützen und sie insbesondere über gewonnene Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen unterrichten. Präventionsmaßnahmen der Krankenversicherung setzen damit sowohl bei der Verhinderung der Risikoentstehung, als auch bei der Früherkennung von Krankheiten an. Die gesetzliche Rentenversicherung will mit ihren Leistungen vorrangig Krankheiten überwinden und sieht die Rentenzahlungen erst als nachrangige Aufgabe an, wie sich aus § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VI ergibt, der den Grundsatz „Rehabilitation vor Rente“ formuliert7. So muss die Rentenversicherung gem. § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI Leistungen erbringen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken 4

§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB V; Heinrich/Liedtke/Wanek, in: Die KrV 2008, S. 117, 117; Welti, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 20 Rn. 12. 5 Schütze, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB V, § 20 Rn. 33 ff.; Welti, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 20 Rn. 15. 6 Zu Maßnahmen und Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsförderung siehe: Busch/Roscher, in: Die KrV 2008, S. 202 f.; Hohnl/Flade, in: Die KrV 2008, S. 197 ff.; Macco, in: G+G 11/2008, S. 14. 7 Hirsch, in: Reinhardt, SGB VI, § 9 Rn. 5; Kreikebohm, in: ders., SGB VI, § 9 Rn. 6; Slottke, in: Hauck/Noftz, SGB VI, § 9 Rn. 12 ff.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Präventionsmaßnahmen der Rentenversicherung setzen demnach beim Krankheitsverlauf an und sollen die Verschlimmerung der Erkrankung sowie den Eintritt weiterer nachteiliger Folgen verhindern. Gleiches gilt für die vorbeugenden Maßnahmen der Pflegeversicherung. Gem. § 5 Abs. 1 SGB XI haben die Träger der sozialen Pflegeversicherung bei den zuständigen Leistungsträgern darauf hinzuwirken, dass frühzeitig alle geeigneten Leistungen der Prävention, der Krankenbehandlung und zur medizinischen Rehabilitation eingeleitet werden, um den Eintritt von Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit stellt ein wesentliches Ziel der Sozialpolitik dar, weil Pflegebedürftigkeit einerseits unter humanen Gesichtspunkten zu erheblichen, die Lebensqualität in besonderem Maße beeinträchtigenden Einschränkungen führt und andererseits die Gesamtwirtschaft durch eine kostenintensive Inanspruchnahme der Sozialversicherung schwächt8. Konkretisiert wird diese Präventionsverpflichtung insbesondere durch § 31 Abs. 1 SGB XI, der den Grundsatz des Vorrangs der Rehabilitation vor der Erbringung von Pflegeleistungen festschreibt9 und die Pflegekassen dazu verpflichtet, im Einzelfall zu prüfen, welche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzenden Leistungen geeignet und zumutbar sind, um Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Des Weiteren stellt auch die Arbeitslosenversicherung mit § 1 Abs. 1 S. 2 SGB III den „arbeitsförderungsrechtlichen Präventionsgedanken“10 als Zielbestimmung dem sonstigen Leistungsrecht voran, indem es dort heißt, dass die Leistungen der Arbeitsförderung insbesondere darauf auszurichten sind, das Entstehen von Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen11. Eine weitere Betonung erfährt diese Zielbestimmung durch § 4 Abs. 1 SGB III, wonach alle Entgeltersatzleistungen gegenüber der Vermittlung nachrangig sind. Die vorbeugenden Maßnahmen der Arbeitslosenversicherung setzen demnach bei der Verhinderung des Risikoeintritts sowie bei Verkürzung des Leistungsfalls an. 8

Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, SGB XI, § 5 Rn. 3; Trenk-Hinterberger, in: Wannagat, SGB XI, § 5 Rn. 4; Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI, § 5 Rn. 2. 9 Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, SGB XI, § 31 Rn. 2; Reimer, in: Hauck/Noftz, SGB XI, § 31 Rn. 1. 10 Schmidt-De Caluwe, in: Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, § 1 Rn. 34. 11 Siehe hierzu: Niesel, in: ders., SGB III, § 1 Rn. 2; Schmidt-De Caluwe, in: Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, § 1 Rn. 34.

A. Begriff der Prävention

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Präventionsmaßnahmen haben also je nach dem von welchem Sozialversicherungsträger sie vorgenommen werden, einen unterschiedlichen Bezugspunkt und damit auch einen unterschiedlichen Inhalt. Eine einheitliche Begriffsdefinition, die auf den Inhalt sämtlicher Präventionsmaßnahmen zutrifft, existiert demnach nicht. Zur Systematisierung hat sich allerdings eine Dreigliederung des Präventionsbegriffs etabliert, die auch vom Gesetzgeber in einem älteren Entwurf zum Präventionsgesetz übernommen wurde12. Unterschieden wird zwischen der Primärprävention, der Sekundärprävention und der Tertiärprävention. Primärprävention bezeichnet im Hinblick auf das Gesundheitswesen „die Verminderung von (Teil-)Ursachen bestimmter Erkrankungen oder von Krankheit überhaupt“13. Es sollen also die Ursachen für die Risikoentstehung aufgedeckt und das Risiko so in seinem Keim erstickt werden14. Mögliche Maßnahmen sind deshalb die Aufklärung über den Umgang mit dem Risiko, die Unterstützung bei der Veränderung individueller gesundheitsbezogener Verhaltensweisen oder medizinische Maßnahmen zur Abwehr der Gesundheitsrisiken15. Naturgemäß verfolgt sie einen allgemeinen Ansatz und richtet sich eher an ganze Bevölkerungsgruppen als an Individuen16. Ziel der Sekundärprävention ist die Früherkennung des Risikos, noch bevor es zu einer subjektiv spürbaren Beeinträchtigung gekommen ist, um Verschlimmerungen auszuschließen oder zumindest abzuschwächen17. Sie richtet sich an besonders gefährdete Risikogruppen18. Für eine effektive Umsetzung der Sekundärprävention sind individualisierte Maßnahmen wie etwa Vorsorgeuntersuchungen notwendig19. Aufgabe der Tertiärprävention ist demgegenüber die Verhinderung einer Verschlimmerung des realisierten Risikos sowie die Verhinderung weiterer Folgebeeinträchtigungen20. Adressaten von Maßnahmen der Tertiärprävention sind demnach bereits erkrankte Personen. Mögliche Angebote sind deshalb medizinisch-therapeutische Maßnahmen im Rahmen der Krankenbehandlung oder Rehabilitation, Angebote der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe sowie die Unterstützung bei der Entwicklung individueller Verhaltensweisen um 12 Vgl. den Entwurf des Präventionsgesetzes vom 15.2.2005, BT-Drs. 15/4833, S. 25. 13 Rosenbrock/Gerlinger, Gesundheitspolitik, S. 57. 14 Lambertin, in: SozSich 2008, S. 45, 46; Leppin, in: Hurrelmann/Klotz/Haisch, Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung, S. 32; Seewald, in: FS 50 Jahre BSG, S. 289, 292. 15 BT-Drs. 15/4833, S. 4; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 14 Rn. 6a. 16 Bieback, in: ZSR 2003, S. 403, 406. 17 Bieback, in: ZSR 2003, S. 403, 406; Leppin, in: Hurrelmann/Klotz/Haisch, Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung, S. 32. 18 Lambertin, in: SozSich 2008, S. 45, 46. 19 Seewald, in: FS 50 Jahre BSG, S. 289, 296; siehe auch: BT-Drs. 15/4833, S. 4. 20 BT-Drs. 15/4833, S. 25; Bieback, in: ZSR 2003, S. 403, 406.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

einer Krankheitsverschlimmerung oder der Entstehung von Folgeerkrankungen entgegenzuwirken21. Gerade in diesem Bereich der Prävention ist eine klare Abgrenzung zur Rehabilitation und Kuration nicht immer möglich. Das gilt umso mehr, als auch Rehabilitation und Kuration die Verschlimmerung der Beeinträchtigung verhindern wollen und somit präventive Ansätze verfolgen22. Für den Bereich der hier zu behandelnden Unfallversicherung ist vorrangig die Primärprävention von Interesse, da die Regelungen der §§ 14 ff. SGB VII auf die Verhinderung der Risikoentstehung abzielen. Prävention ist also im Folgenden zu verstehen als der Versuch, die Ursachen des Risikos auszuschalten, umsodem Eintritt von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zuvorzukommen.

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung I. Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9.3.1839 Die zunehmende Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte zu tiefgreifenden Veränderungen der Gesellschaftsstruktur in Deutschland. War Deutschland noch im vorherigen Jahrhundert ein Agrarstaat, so änderte sich das mit der einsetzenden Technisierung in rasanter Geschwindigkeit23. Schon im Jahr 1900 arbeiteten lediglich noch 38% der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft24. Der hier angedeutete Wandel schuf neue, bislang nicht existente soziale Probleme. In der vorindustriellen Gesellschaft wurden die Risiken Krankheit und Arbeitsunfall von der jeweiligen sozialen Gemeinschaft, dem Hof oder der Familie des Meisters, abgefedert, sie garantierten ein Existenzminimum im Alter. Mit der Industrialisierung lösten sich diese Strukturen zunehmend auf25. Damit waren große Bevölkerungsteile ohne eine soziale Absicherung. Ferner beinhaltete die 21

BT-Drs. 15/4833, S. 4. Leppin, in: Hurrelmann/Klotz/Haisch, Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung, S. 32. 23 Pohl, Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Grundzüge der Epoche 1870–1914, S. 23; Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 5. 24 Henning, Die Industrialisierung in Deutschland 1800–1914, S. 20, Tab. 1. 25 Gitter, Unfallversicherung, in: BMAS/Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik, Bd. 2/1, S. 532; Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung, (Textband), S. 10. 22

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung

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maschinelle Arbeit in den Fabriken neuartige Gefahren, die zu einer erheblichen Zunahme an Arbeitsunfällen führten26. Aufgrund des großen Bedarfs an Arbeitskräften nahm auch die Kinderarbeit zu. Oftmals arbeiteten Kinder zu sehr schlechten Konditionen mit überlangen Arbeitstagen und niedriger Entlohnung. Die preußische Bürokratie sah insbesondere in der Kinderarbeit einen Missstand mit erheblichem gesellschaftlichem und sozialem Risikopotential27. Um den neuen Problemen entgegenzutreten, erließ der preußische Gesetzgeber das „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“28 vom 9.3.1839, das den Beginn des staatlichen Arbeitsschutzrechts markiert. Neben dem Beschäftigungsverbot für unter Neunjährige und einer Höchstarbeitszeit für unter Sechzehnjährige enthielt es die Möglichkeit, die Einhaltung der Vorschriften durch die örtliche Polizeibehörde überwachen zu lassen. Mit der Verordnung vom 9.2.1849 zur Preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung29 wurden erstmals auch Erwachsene von der Verpflichtung zur Sonn- und Feiertagsarbeit freigestellt. Darüber hinaus beinhaltete die Verordnung ein Truckverbot30, das es den Arbeitgebern verbot, ihre Arbeitnehmer mit Waren aus der eigenen Produktion zu entlohnen. Vielmehr sollte die Arbeit von nun an ausschließlich mit Geld vergütet werden. In Anbetracht der Ineffizienz polizeilicher Fabriküberwachung31 folgte als weitere Arbeitsschutzmaßnahme das Gesetz vom 16.5.185332, das das Regulativ vom 9.3.1839 insofern abänderte, als die Überwachung fortan nicht mehr durch die örtliche Polizeibehörde vorgenommen wurde, sondern durch eine neu geschaffene staatliche Aufsichtsbehörde. Damit war der Grundstein für den Aufbau eines Systems staatlicher Gewerbeaufsichtsbehörden gelegt. Im Rahmen der Novelle zur Reichsgewerbeordnung vom 17.7.187833 wurde die bis dahin fakultative Fabrikinspektion im ganzen Reich obligatorisch. Daneben enthielt das Gesetz Vorschriften über Unfallschutz und Unfallverhütung. Die ersten Jahre des Arbeitsschutzes waren mithin durch einen allmählichen Ausbau der Arbeitsschutzbehörden und eine Ausdehnung des ge26

Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 297. Kaufhold, in: AuR 1989, S. 225, 227. 28 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1839, S. 156 ff.; vgl. hierzu sowie allgemein zu den Anfängen des Arbeitsschutzes: Bethge, Arbeitsschutz, in: BMAS/Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik, Bd. 2/1, S. 215 ff. 29 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1849, S. 93 ff. 30 Kaufhold, in: AuR 1989, S. 225, 230; Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 13. 31 Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 13. 32 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1853, S. 225 ff. 33 RGBl. 1878, S. 199 ff. 27

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

schützten Personenkreises gekennzeichnet34. Dabei kam insbesondere Preußen eine Vorreiterrolle zu. Erst nach und nach erließen auch Bayern, Baden und Sachsen Regelungen zur Verhinderung oder Einschränkung von Kinderarbeit35.

II. Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 Die staatlichen Arbeitsschutzmaßnahmen alleine vermochten jedoch nicht die sozialen Probleme zu lösen. Trotz einer zunehmenden Anzahl von Arbeitsunfällen maß der Gesetzgeber einer wirksamen Unfallverhütung anfangs keine besondere Bedeutung zu36. Überwiegend wurden Arbeitsunfälle als Schicksalsschläge des Lebens verstanden, die ihre Ursache in der fortschreitenden Technisierung hatten37, eine Sichtweise, die ein staatliches Tätigwerden in diesem Bereich erübrigte. Zu erheblichen sozialen Problemen führte insbesondere die Tatsache, dass es für verunglückte Arbeitnehmer keine soziale Sicherung gab und es für sie aufgrund der Beweislastverteilung fast unmöglich war, den durch Arbeitsunfälle entstandenen Schaden ersetzt zu bekommen38. Trotz solcher erheblicher sozialer Missstände reagierte der Gesetzgeber erst durch den Erlass des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.188439. Wesentlicher Inhalt des Gesetzes war die Gründung der Berufsgenossenschaften, die als Vereinigungen von Unternehmern verwandter Betriebe in einem bestimmten Bezirk branchennahe, risikonahe und versichertennahe Träger der Unfallversicherung darstellen40. Weiterer bedeutsamer Inhalt des Unfallversicherungsgesetzes war die Einführung eines verschuldensunabhängigen Ersatzanspruchs der Arbeitnehmer für die Kompensation 34

Kaufhold, in: AuR 1989, S. 225, 229. Kaufhold, in: AuR 1989, S. 225, 229 f. 36 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 164; zu der anfänglich untergeordneten Bedeutung des Arbeitsschutzes siehe auch: Kaufhold, in: ZfA 1991, S. 277, 291 f. 37 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 164; Siller, in: Die BG 1986, S. 160, 160. 38 Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 297 f.; Kaskel/Sitzler, Grundriß des sozialen Versicherungsrechts, S. 5; Stolleis, Geschichte der Sozialversicherung, S. 80; Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung, (Textband), S. 22 f. 39 RGBl. 1884, S. 69 ff.; ausführlich zur Entwicklung des Unfallversicherungsgesetzes: Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd. 1, S. 19 ff.; ferner: Richter, Sozialversicherungsrecht, S. 14. 40 Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 298; Horst Peters, Geschichte der sozialen Versicherung, S. 62; Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd. 1, S. 24 f.; Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 48; zu Aufgaben und Organisation der Berufsgenossenschaften siehe: §§ 9 ff. Unfallversicherungsgesetz (RGBl. 1884, S. 74 ff.). 35

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung

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von Arbeitsunfällen41. Mit dem neuen Gesetz setzte sich also allmählich die Einsicht durch, dass Arbeitsunfälle zumindest auch dem Risikobereich der Arbeitgeber zuzurechnen sind42. Ferner enthielt das VII. Kapitel des Unfallversicherungsgesetzes Regelungen zur Unfallverhütung, indem es in § 78 den Berufsgenossenschaften die Befugnis zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften übertrug und sie in § 82 zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen ermächtigte. Damit wurde neben der seit 1878 etablierten staatlichen Gewerbeaufsicht eine weitere Überwachungsinstanz geschaffen, so dass der Grundstein des „dualen Systems“ gelegt worden war43. Eine spürbare Verbesserung der Unfallverhütung brachte das Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 allerdings nicht, zumal sowohl der Erlass von Unfallverhütungsvorschriften als auch die Fabrikkontrollen fakultativer Natur waren. In den Anfängen der Unfallversicherung stellte vielmehr das Heilverfahren den Schwerpunkt des berufsgenossenschaftlichen Engagements dar44. Die Unternehmer, die mit ihren Beiträgen die Unfallversicherung alleine finanzierten, erkannten jedoch bald, dass eine Versicherung, die primär den Schadenseintritt verhindert, finanziell sehr viel lohnenswerter ist als die reine Kompensation von Arbeitsunfällen45. Auch das Reichsversicherungsamt hob die Bedeutung der Prävention hervor und forderte in seinem grundlegenden Rundschreiben vom 19.4.188646 die Berufsgenossenschaften zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften auf. Es sah gerade die Unfallversicherungsträger aufgrund ihrer fachlichen Gliederung und ihrer Zusammensetzung als befähigt an, die Unfallverhütung fortzuentwickeln47. Neben dem Ausbau der Unfallverhütungsvorschriften erfuhr die Präventionsarbeit eine maßgebliche Effektivierung durch die zu dieser Zeit beginnende systematische Auswertung der Unfallanzeigen. Auf diese Weise konnten die Berufsgenossenschaften gewisse Risikoschwerpunkte herausfiltern und ihre Präventionsmaßnahmen entsprechend den gewonnenen Erkenntnissen ausrichten48. 41 §§ 5 ff. Unfallversicherungsgesetz (RGBl. 1884, S. 71 ff.); hierzu: Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 398 f.; Stolleis, Geschichte des Sozialrechts, S. 81 f. 42 Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 299. 43 Bethge, Arbeitsschutz, in: BMAS/Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik, Bd. 2/1, S. 216. 44 Busse, in: Die BG 1998, S. 516, 519; Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 101; vgl. ferner Siller, in: BG 1986, S. 160, 160. 45 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 163; Schraft, in: FS Krohn, S. 267, 268. 46 Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes 1886, S. 62 f. 47 Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes 1886, S. 63. 48 v. Chossy, in: FS Lauterbach, S. 253, 257; Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 168.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

III. Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz vom 30.6.1900 Zu einem weiteren Ausbau des Arbeitsschutzrechts trug das GewerbeUnfallversicherungsgesetz vom 30.6.190049 bei, das die Möglichkeit vorsah, Berufsgenossenschaften zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften anzuhalten50 und darüber hinaus in § 119 Abs. 1 S. 1 eine Verpflichtung zur Betriebsüberwachung begründete. Allerdings wies das Reichsversicherungsamt die Berufsgenossenschaften darauf hin, dass ihr vorrangiges Ziel die Unterstützung der Unternehmer bei der Erfüllung ihrer Präventionsaufgabe sei51. Damit lag die wichtigste Aufgabe der berufsgenossenschaftlichen Aufsichtsbeamten nicht in der Kontrolle, sondern in der sachverständigen Beratung der Unternehmer hinsichtlich der betrieblichen Umsetzung der Schutzvorschriften. Nur als ultima ratio sollten die Aufsichtsbeamten ihre Ordnungsfunktion wahrnehmen und Verstöße der Unternehmer gegen die Unfallverhütungsvorschriften zur Anzeige bringen52. Trotz des wachsenden Engagements im Bereich der Unfallverhütung und der zunehmenden Bedeutung der Unfallverhütungsvorschriften war ihr Erlass für Berufsgenossenschaften immer noch nicht verpflichtend. Erst mit der Eingliederung des Unfallversicherungsgesetzes in die Reichsversicherungsordnung vom 19.7. 191153 wurde eine entsprechende Verpflichtung in § 848 eingeführt.

IV. Berufskrankheitenverordnung vom 12.5.1925 und 2. Änderungsgesetz vom 14.7.1925 Darüber hinausgehende Änderungen der Unfallversicherung erfolgten im Jahr 1925. Zunächst wurde am 12.5.1925 die Berufskrankheitenverordnung54 erlassen, die die gewerbliche Unfallversicherung auf Berufskrankheiten ausdehnte55. Für den Bereich der Prävention bedeutete dies, dass gänzlich neue Maßnahmen ergriffen werden mussten, da die Verhütung von Berufskrankheiten völlig anderen Regeln als die Verhütung von Arbeitsunfällen folgt. Insbesondere waren hier erstmals vorbeugende Maßnahmen, wie Vorsorgeuntersuchungen, erforderlich56. 49

RGBl. 1900, S. 585 ff. § 112 Abs. 1 Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz (RGBl. 1900, S. 627). 51 Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 101. 52 Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 101. 53 RGBl. 1911, S. 509 ff.; zur Reichsversicherungsordnung vgl.: Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 103 ff. 54 RGBl. 1925, I, S. 69 f. 55 Zu Entwicklung und Hintergrund der Berufskrankheitenverordnung siehe: Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 184 ff. 56 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 172. 50

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung

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Weitere grundlegende Neuerungen wurden durch das 2. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.7.192557 eingeführt. Von nun an waren die Berufsgenossenschaften nicht nur für den Erlass von Unfallverhütungsvorschriften und für deren Überwachung zuständig, sondern allgemein dafür, dass die Verhütung von Arbeitsunfällen nach dem jeweiligen Stand der Technik erfolgte und dass den Verletzten bei Unfällen eine wirksame Erste Hilfe garantiert wurde58. Ferner bezog das Änderungsgesetz in § 545a die Wegeunfälle in die entschädigungspflichtigen Arbeitsunfälle mit ein59, so dass Präventionsmaßnahmen auch dieser Art von Unfällen entsprechen mussten60. Der Aufgabenkreis der Unfallversicherungsträger wurde damit ausgedehnt auf einen umfassenderen Präventionsansatz, was die Berufsgenossenschaften in Bezug auf ihren Mitteleinsatz zum Umdenken zwang. Waren lange Zeit Unfallverhütungsvorschriften das einzige Präventionsinstrument, setzten die Berufsgenossenschaften nun unterschiedlichste Medien ein. Insbesondere versuchten sie durch die Verwendung von Bildern und Filmen die Unternehmer sowie die Bevölkerung insgesamt für das Thema der Unfallverhütung zu sensibilisieren61. Im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung der Unfallverhütung ist auch die Errichtung einer Zentralstelle für Unfallverhütung zu sehen. Auf dem Berufsgenossenschaftstag vom 17./18.9.1920 wurde die Gründung dieser Einrichtung beschlossen, die 1926 erweitert wurde62. Hintergrund war die Erkenntnis, dass die Vielzahl der erforderlichen Präventionsmaßnahmen eine Konzentration der Aufgaben in einer Zentrale verlangte63.

V. Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 Nachdem die Unfallverhütungsarbeit mit dem Kriegsende 1945 zum Erliegen gekommen war, nahmen die Berufgenossenschaften in der Folgezeit ihre Arbeit wieder auf. Der Wirtschaftsaufschwung führte zu zahlreichen technischen Innovationen, die Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit hatten und 57

RGBl. 1925, I, S. 97 ff. § 848 Abs. 1 RVO, RGBl. 1925, I, S. 103; hierzu: Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 189. 59 RGBl. 1925, I, S. 97. 60 Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 102. 61 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 172; Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 102; vgl. ferner: Volkmann, in: FS Lauterbach, S. 271, 274. 62 Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 202; zur Gründung der Zentralstelle für Unfallverhütung siehe auch das Protokoll des Berufsgenossenschaftstages S. 44 (abgedruckt in: Die BG 1920, Technische Beilage Nr. 1). 63 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 180. 58

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

damit eine umfangreiche Präventionsarbeit erforderten64. Der Gesetzgeber reagierte darauf, indem er mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.196365 den Präventionsauftrag an die Spitze des 3. Buches stellte66. Neben dieser redaktionellen Betonung der Unfallverhütung weitete das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz die Präventionsaufgaben erheblich aus67. Die Berufsgenossenschaften wurden in § 546 Abs. 1 RVO verpflichtet, für die Unfallverhütung „mit allen geeigneten Mittel“ zu sorgen. Mussten die Unfallversicherungsträger bislang nur die Unfallverhütungsvorschriften durchsetzen, sind sie seit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz für die Durchführung der Unfallverhütung schlechthin verantwortlich68. Vor diesem Hintergrund wurden die Befugnisse der technischen Aufsichtsbeamten spezifiziert und erweitert: Insbesondere wurden sie ermächtigt, in Einzelfällen Anordnungen zur Abwendung besonderer Unfall- und Gesundheitsgefahren zu erlassen (§ 712 Abs. 1 S. 2 RVO)69. Ferner beinhaltete das Gesetz für Betriebe ab einer bestimmten Größe die Verpflichtung, Sicherheitsbeauftragte zu bestellen70, deren vorrangige Aufgabe in der Unterstützung des Unternehmers bei der Durchführung der Unfallverhütung besteht71.

VI. Arbeitssicherheitsgesetz vom 12.12.1973 Von maßgeblicher Bedeutung für die Effektivierung des Arbeitsschutzes war neben dem Ausbau und der Verbesserung der Prävention in der gesetzlichen Unfallversicherung der Erlass des Arbeitssicherheitsgesetzes vom 12.12.197372. Hintergrund des neuen Gesetzes war die Erkenntnis, dass das deutsche Recht zwar in einem ausreichenden Umfang Vorschriften zur Ver64 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 180; zum Anstieg der Arbeitsunfälle in dieser Zeit siehe ferner Volkmann, in: FS Hofmann, S. 37, 38. 65 BGBl. 1963, I, S. 241 ff. 66 Stolleis, Geschichte des Sozialrechts, S. 299; zur Bedeutung der Unfallverhütung nach dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz siehe: Dörner, in: BArBl. 1963, S. 360 f. 67 Ausführlich zu den Neuregelungen des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz siehe: Friedrichs, in: SGb 1963, S. 193 ff. 68 Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 102; kritisch: Volkmann, in: FS Hofmann, S. 37, 40. 69 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 181; Wolber, in: SozVers 1986, S. 101, 102. 70 § 719 Abs. 1 RVO (BGBl. 1963, I, S. 241, 268); hierzu: Wickenhagen, Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung (Textband), S. 370. 71 Friedrichs, in: SGb 1963, S. 193, 198; ausführlich zur Aufnahme dieser Vorschrift in das Gesetz siehe: Volkmann, in: FS Hofmann, S. 37, 45 ff. 72 BGBl. 1973, I, S. 1885 ff.

B. Historische Entwicklung der Prävention in der Unfallversicherung

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hütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zur Verfügung stellte, dass aber der tatsächliche Zustand dem normativ angestrebten aufgrund mangelhafter Umsetzung nicht entsprach73. Dieses Umsetzungsdefizit sollte durch den Aufbau einer betrieblichen Arbeitsschutzorganisation behoben werden, indem das ASiG den Arbeitgeber gem. §§ 2, 5 ASiG zur Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit verpflichtet74. Deren Aufgabe besteht gem. § 1 ASiG darin, den Arbeitgeber, der selten über die notwendige Fachkenntnis verfügt, bei seinen Arbeitsschutzaufgaben zu unterstützen, indem sie ihm eine fachkundige Beratung gewährleisten und daneben auch Aufsichtsfunktionen erfüllen75. Die genauen Durchführungsbefugnisse der Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte hat das ASiG, das als Rahmengesetz ausgestaltet wurde, nicht geregelt. Vielmehr bedarf es weiterer konkretisierender Vorschriften76. Den Unfallversicherungsträgern kommt dabei gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII die Kompetenz zu, die Verpflichtungen der Arbeitgeber aus dem ASiG durch Unfallverhütungsvorschriften zu präzisieren. Dass der Gesetzgeber ungeachtet der bereits bestehenden Fülle von Arbeitsschutzvorschriften dennoch den Erlass eines ASiG für nötig erachtete, zeigt die zunehmende Bedeutung, die einem präventiven Gesundheitsschutz zugemessen wurde77.

VII. Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.1996 Eine weitere Ausdehnung des Präventionsauftrages der Berufsgenossenschaften erfolgte mit dem im Rahmen der angestrebte Vereinheitlichung und Vervollständigung des Sozialgesetzbuchs78 erlassenen Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.199679, das die Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch integrierte. In Anbetracht der Änderungen durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz im Jahr 1963 war der inhaltliche Reformbedarf gering80, so dass man auch von der „Kodifikation bei begrenzter Sachreform“ sprach81. 73

BT-Drs. 7/260, S. 9; Bücker/Feldhoff/Kothe, Arbeitsschutz, Rn. 42 ff. Anzinger/Bieneck, ASiG, Teil B, Einf. Rn. 2; Bücker/Feldhoff/Kothe, Arbeitsschutz, Rn. 44 f. 75 Anzinger/Bieneck, ASiG, Teil B, Einf. Rn. 2. 76 Anzinger/Bieneck, ASiG, Teil B, Einf. Rn. 14 ff. 77 Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 181. 78 BT-Drs. 13/2204, S. 73. 79 BGBl. 1996, I, S. 1254 ff. 80 Langguth, in: DStR 1996, S. 1944, 1944; vgl. auch: BT-Drs. 13/2204, S. 73. Kritisch aber: Gitter, in: BB 1998, Beil. 6 zu Heft 22, S. 1 ff. 81 Niemeyer/Freund, in: NZS 1996, S. 497, 497. 74

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

Wegen des anhaltenden technischen Fortschritts und der damit zusammenhängenden Zunahme des Gefahrenpotentials der Arbeitsbedingungen nahm man die Reform dennoch zum Anlass, einige inhaltliche Änderungen vorzunehmen82. So wurde der Präventionsauftrag dahingehend erweitert, dass er sich nun auch auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren bezieht83. Damit können die Berufsgenossenschaften in Bereichen Unfallverhütungsmaßnahmen vornehmen, die weder „Arbeitsunfall“ noch „Berufskrankheit“ darstellen, die Gesundheit der Beschäftigten aber ebenso gefährden84. Neben dieser Erweiterung enthielt das Gesetz mit § 14 Abs. 1 S. 2 SGB VII einen Auftrag an die Berufsgenossenschaften, die Ursachen von arbeitsbedingten Gesundheits- und Lebensgefahren zu erforschen. Hiermit wurde die von den Berufsgenossenschaften schon jahrelange betriebene Forschungsarbeit gesetzlich verankert.

VIII. Entwicklung der Prävention unter europäischem Einfluss Wesentliche Änderungen erfuhren das deutsche Arbeitsschutzrecht und insbesondere die berufsgenossenschaftliche Präventionsarbeit in neuerer Zeit durch die Entwicklung des europäischen Arbeitschutzes. Obwohl das Europarecht ursprünglich keine arbeitsschutzrelevanten Bestimmungen enthielt, beruhen heute wesentliche Arbeitsschutzgesetze auf europäischen Richtlinien85. Da die Richtlinien überwiegend durch staatliches Recht umgesetzt wurden, löste die Entwicklung bei den Berufsgenossenschaften einen erheblichen Verlust an Regelungskompetenzen aus86. Aus diesem Grund nahmen die Berufsgenossenschaften mehr und mehr Abstand davon, ihren Präventionsauftrag vorrangig durch den Erlass von Unfallverhütungsvorschriften umzusetzen. Vielmehr haben sie ihr umfangreiches Vorschriftenwerk gekürzt und sind dazu übergegangen ihre Erfahrungen direkt in den europäischen Rechtsetzungsprozess einzubringen, indem sie in den europäischen Normungsgremien, dem CEN und dem CENELC, mitarbeiten87. 82 Zu den Auswirkungen des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz auf die Prävention siehe: Graeff, in: SGb 1996, S. 297, 300 f. 83 § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII. 84 Niemeyer/Freund, in: NZS 1996, S. 497, 497 nennen in diesem Zusammenhang den Umgang mit Gefahrstoffen. 85 Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 83. So beruhen beispielsweise wesentliche Gesetze, wie das Arbeitsschutzgesetz (BGBl. 1996, I, S. 1246), das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (BGBl. 2004, I, S. 2), die Arbeitsstättenverordnung (BGBl. 2004, I, S. 2179) oder die Gefahrstoffverordnung (BGBl. 2004, I, S. 3758) auf europäischen Richtlinien. 86 Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 409; ausführlich hierzu siehe: 3. Kap. C. 87 Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 410.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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IX. Fazit der geschichtlichen Entwicklung In ihren Anfangszeiten war die Unfallverhütung sowohl im Bereich des staatlichen Rechts als auch im Bereich des autonomen Rechts der Unfallversicherungsträger unsystematisch und wenig erfolgreich. Anstatt flächendeckende Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen, reagierte man nur auf einzelne, eklatante Missstände, wie beispielsweise die Kinderarbeit. Obwohl die Unfallverhütung von Anfang an Bestandteil der gesetzlichen Unfallversicherung war, wurde ihr zu Beginn keine große Bedeutung zugemessen. Vielmehr stand zunächst die Heilung von Arbeitsunfällen im Vordergrund. Präventionsleistungen erbrachten die Berufsgenossenschaften allenfalls in Form von Unfallverhütungsvorschriften. Erst die immer komplexer werdenden Arbeitsmechanismen zwangen zum Umdenken und ließen allmählich ein ausgefeiltes System von Präventionsmaßnahmen entstehen. Neben einem umfassenden Werk an Unfallverhütungsvorschriften und einem umfangreichen Beratungsangebot nutzten die Berufsgenossenschaften sämtliche zur Verfügung stehenden Medien wie Zeitung, Film und Schulung zur Erfüllung ihres Präventionsauftrages. Aus dem anfangs so geringen Unfallverhütungsangebot hat sich also mit der Zeit ein erfolgreiches und umfangreiches Präventionssystem entwickelt. Der Präventionsarbeit wird mittlerweile sogar eine solche Bedeutung zugemessen, dass es Bestrebungen gibt, ein eigenes Präventionsgesetz zu erlassen88, das nicht allein der Verhütung von Gesundheitsgefahren bei der Arbeit dienen soll, sondern auf eine umfassende Gesundheitsförderung abzielt89. Es hat sich also die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht nur im Bereich des Arbeitsschutzes sondern im gesamten Gesundheitswesen vorrangiges Ziel nicht Kuration und Kompensation, sondern die Verhütung von Gesundheitsgefahren und Krankheiten sein muss.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem I. Begriff des Arbeitsschutzes Der Arbeitsschutz betrifft den Schutz der Arbeitnehmer vor aus der Arbeit resultierenden Gefahren90. Er beinhaltet alle rechtlichen, organisatori88 Siehe zu dem bislang nicht verwirklichten Gesetzesvorhaben: Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Erlass eines Präventionsgesetzes (BT-Drs. 14/9085); Gesetzesentwurf vom 15.02.2005 (BT-Drs. 15/4833); Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 23.11.2007. 89 BT-Drs. 15/4833, S. 24.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

schen, technischen und medizinischen Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um Arbeitnehmer vor arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen und um ihre Gesundheit zu erhalten91. Ziel ist mithin die Bewahrung der Gesundheit und die Gewährleistung der Sicherheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit92. Dies soll sowohl durch gefahren- oder schadensabwehrende Maßnahmen, als auch durch gestaltende Maßnahmen erreicht werden, die die menschlichen Bedürfnisse bei der Einrichtung von Arbeitsplätzen berücksichtigen93. Allerdings hat sich im Laufe der Zeit der Arbeitsschutzansatz und damit der Begriff des Arbeitsschutzes geändert94. Stand früher ein so genannter pathogener Ansatz im Vordergrund, der auf einer Analyse der gesundheitlichen Risiken fußte und damit von belastungsspezifischen Arbeitsschutzmaßnahmen ausging, stehen heute gesundheitsfördernde Maßnahmen im Vordergrund, die den Eintritt einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch ganzheitliche, präventionsorientierte Handlungsweisen verhindern95. Das Arbeitsschutzrecht ist in staatlichen Gesetzen und Verordnungen sowie in den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften geregelt. In systematischer Hinsicht wird zwischen Vorschriften des sozialen Arbeitsschutzes und solchen des technischen Arbeitsschutzes differenziert, obwohl eine strikte Trennung aufgrund der sich teilweise überschneidenden Zielsetzungen nicht immer möglich ist96. Der soziale Arbeitsschutz97 beinhaltet vornehmlich Regelungen zum Arbeitszeitschutz und zum Schutz besonders schutzbedürftiger Personen, wie Jugendliche oder Schwangere98. Regelungen hinsichtlich des Einsatzes und der Konzeption von Geräten, Maschinen und Gefahrstoffen sowie der Gestaltung von Arbeitsstätten werden demgegenüber dem technischen Arbeitsschutz99 zugerechnet100. Sie 90 Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12 Rn. 23; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 163; Stettner, in: Dreier, GG, Art. 74 Rn. 66. 91 Bethge, in: BMAS/Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/1, S. 213; Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 9. 92 Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 9. 93 Bethge, in: BMAS/Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/1, S. 213; Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 10. 94 Zur Veränderung der Voraussetzungen des Arbeitsschutzes in Abhängigkeit von den Arbeitsbedingungen siehe: Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 5 ff. 95 Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 10 f. 96 Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 59; Wank/Börgmann, Deutsches und Europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 13; Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 207 Rn. 7. 97 Gesetze des sozialen Arbeitsschutzes sind beispielsweise das MuSchG, das JArbSchG, sowie das ArbZG. 98 Wank/Börgmann, Deutsches und Europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 13. 99 Zu den Regelungen des technischen Arbeitsschutzes zählen insbesondere das ArbSchG, das ASiG und die ArbStättV.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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sollen die Arbeitnehmer vor Gefahren für Leben und Gesundheit bewahren, die durch technische Einrichtungen des Betriebes oder durch Produktionsweisen drohen101. Innerhalb des technischen Arbeitsschutzes wird weiterhin zwischen Vorschriften des betrieblichen Arbeitsschutzes und solchen des vorgreifenden produktbezogenen Gefahrenschutzes differenziert. Während der betriebliche Arbeitsschutz auf das betriebliche Geschehen bezogen ist und beispielsweise die Gestaltung von Arbeitsplätzen, die Bereitstellung von Schutzausrüstung oder den Einsatz von Betriebsärzten betrifft, ist der vorgreifende produktbezogene Arbeitsschutz durch Regelungen gekennzeichnet, die sicherheitsrelevante Anforderungen festlegen, die bei der Herstellung und dem Vertrieb von technischen Erzeugnissen sowie chemischen Stoffen und Zubereitungen, mithin auch bei Arbeitsgeräten, zu beachten sind102.

II. Duales Arbeitsschutzsystem Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet den Staat, sich schützend für das Leben und die Gesundheit seiner Bürger einzusetzen103. In Bezug auf den Arbeitsschutz bedeutet dies, dass der Staat verpflichtet ist, die Arbeitnehmer vor arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu schützen104. Allerdings kommt ihm hinsichtlich der Umsetzung seiner Schutzverpflichtung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. In Deutschland besteht die Besonderheit des so genannten „dualen Arbeitsschutzsystems“; der Staat bedient sich nämlich bei der Erfüllung des Schutzauftrages nicht nur der staatlichen Arbeitsschutzbehörden, sondern auch der Unfallversicherungsträger105. 1. Staatliche Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften Das staatliche Arbeitsschutzrecht wird durch die Bundesländer als eigene Angelegenheit vollzogen106. Sie regeln den Behördenaufbau und das Verwaltungsverfahren (Art. 83, 84 GG). Überwiegend sind die Arbeitsschutz100

Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 207 Rn. 5. Schaub, in: ders., ArbR HdB, § 152 Rn. 2; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 323. 102 Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 207 Rn. 13 f. 103 BVerfGE 115, 25, 49; 115, 118, 159 f.; 46, 160, 164; 45, 187, 254 f.; 39, 1, 42 ff. Zu den staatlichen Schutzpflichten im Bereich des Arbeitsschutzes siehe auch: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 69 f. 104 Wiedmann, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. A Rn. 52. 105 Kittner/Pieper, ArbSchR, Teil I, Einl. Rn. 27; v. Rimscha, in: Die BG 2001, S. 305, 306. 106 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 3. 101

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

behörden bei den Landesarbeits- und Sozialministerien angesiedelt, zum Teil sind sie allerdings auch – entweder vollständig oder nur für bestimmte Bereiche – den Landesumweltministerien oder den Gesundheitsministerien zugeordnet107. Da die Länder unterschiedliche Regelungen getroffen haben, tragen die Behörden keine einheitlichen Bezeichnung: Oftmals werden sie „Gewerbeaufsichtsamt“, teilweise aber auch „Amt für Arbeitsschutz“ oder „Umweltamt“ genannt. Die Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden besteht in der Durchführung des staatlichen Arbeitsschutzrechts108. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedienen sich die Behörden vorrangig ihrer Überwachungs- und Beratungsbefugnisse. § 21 Abs. 1 S. 2 ArbSchG109 ermächtigt sie, die Einhaltung des ArbSchG „und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu überwachen“. Zu diesem Zweck können sie von den Betrieben die erforderlichen Auskünfte und Unterlagen verlangen (§ 22 Abs. 1 S. 1 ArbSchG) sowie die Betriebsstätten, Geschäftsräume und Betriebsräume betreten und dort, soweit erforderlich, Prüfungen von Betriebsanlagen, Arbeitsmitteln und persönlicher Schutzausrüstung sowie Messungen vornehmen (§ 22 Abs. 2 ArbSchG). Außerdem sind die Arbeitsschutzbehörden gem. § 22 Abs. 3 ArbSchG ermächtigt, zur Erfüllung der Pflichten aus dem ArbSchG oder zur Abwendung besonderer Gefahren für Leben und Gesundheit der Beschäftigten Einzelfallanordnungen zu treffen110. Zusätzlich zu der Überwachungsaufgabe sind sie gem. § 21 Abs. 1 S. 2 ArbSchG verpflichtet, die Betriebe „bei der Erfüllung ihrer Pflichten“ zu beraten. Die Beratungspflicht erstreckt sich auf die Information des Arbeitgebers hinsichtlich der anzuwendenden Arbeitsschutzvorschriften und den damit erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen111. Den Arbeitsschutzbehörden kommt mithin nicht nur eine überwachende Funktion zu, sondern auch die Aufgabe, die Arbeitgeber bei ihren Arbeitsschutzverpflichtungen zu unterstützen. Zweiter bedeutender Partner des deutschen Arbeitsschutzsystems sind die Berufsgenossenschaften, die als Zusammenschlüsse von Unternehmern Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind112. Sie besit107 Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 47, 55; eine Zusammenstellung der einzelnen Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer findet sich bei: Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 3. 108 Hierzu zählen insbesondere das ArbSchG und die hierauf beruhenden Verordnungen, das ASiG, das ArbZG, das MuSchG sowie das JArbSchG. 109 Ferner enthalten auch die einzelnen speziellen Arbeitsschutzgesetze jeweils Überwachungsbefugnisse, siehe zum Beispiel: § 17 ArbZG, § 51 JArbSchG, § 20 MuSchG, § 13 ASiG, § 21 ChemG, § 25 GenTG. 110 Ausführlich zur Anordnungsbefugnis nach § 22 Abs. 3 ArbSchG siehe: Koll, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 22 Rn. 37 ff. 111 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 9; Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 208 Rn. 60. 112 § 29 Abs. 1 SGB IV.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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zen aufgrund ihrer branchenmäßigen Untergliederung und ihrer Mitgliederstruktur eine hohe Fachkompetenz, die sie zu einer sehr spezialisierten Unfallverhütungsarbeit befähigt. Da die Mitglieder der Unfallversicherungsträger ausschließlich Unternehmer sind, liegt es nahe, dass die Präventionsaufgabe der Berufsgenossenschaften vorrangig in der Unterstützung der Unternehmer bei ihren Arbeitsschutzverpflichtungen besteht113. So besteht eine der wichtigsten Aufgaben der Unfallversicherungsträger in der Beratung der Unternehmer, wozu sie nach § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII verpflichtet sind. Allerdings kommen den Unfallversicherungsträgern nicht nur unterstützende, sondern auch eingreifende Befugnisse zu. Insbesondere sind sie nach § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII verpflichtet „die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirksame erste Hilfe“ zu überwachen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind die berufsgenossenschaftlichen Aufsichtspersonen gem. § 19 Abs. 2 SGB VII n. F.114 befugt, die Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten und zu besichtigen, von dem Unternehmer die erforderlichen Auskünfte zu verlangen und in betriebliche Unterlagen einzusehen sowie Arbeitsmittel zu überprüfen. Ferner haben die Aufsichtspersonen die Befugnis, Einzelfallanordnungen zur Erfüllung der Pflichten aufgrund der Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 SGB VII und zur Abwendung besonderer Unfall- und Gesundheitsgefahren zu erlassen115. Soweit Gefahr im Verzug für Leben oder Gesundheit besteht, können sie gem. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F.116 auch sofort vollziehbare Anordnungen treffen. Ebenso wie die staatlichen Arbeitsschutzbehörden sind die Unfallversicherungsträger also befugt, die Unternehmer zu überwachen, zu beraten sowie Einzelfallanordnungen zu treffen. Obwohl die Maßnahmen der Unfallversicherungsträger und der Arbeitsschutzbehörden bedingt durch die geschichtliche Entwicklung grundsätzlich eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen117, die staatlichen Arbeitsschutzbehörden stehen den Unternehmern überwiegend in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüber, den Berufsgenossenschaften kommt eher eine die Unternehmer unterstützende Funktion zu, haben beide Behörden mithin ein ähnliches Aufgabenfeld. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf 113 Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 694; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 20 Rn. 7. 114 Früher: § 19 Abs. 1 SGB VII, geändert durch Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 115 § 17 Abs. 1 S. 2 SGB VII. 116 Früher: § 19 Abs. 2 SGB VII, geändert durch Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 117 Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 694; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 20 Rn. 7.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

die sich überschneidenden Rechtsgrundlagen, da der betriebliche Arbeitsschutz sowohl durch staatliches Arbeitsschutzrecht als auch durch Unfallverhütungsvorschriften der Berufgenossenschaften geregelt wird118. Gerade die Ausdehnung des berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrages (§§ 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII) und die damit einhergehende Ausweitung der Rechtsetzungsermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII auf die „Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“119 durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.1996120 hat die Bereiche erweitert, die für mögliche Überschneidungen anfällig sind, da zu den Maßnahmen des Arbeitsschutzes121 nach § 2 Abs. 1 ArbSchG ebenfalls die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zählt. Beide Gesetze ermächtigen demnach die Aufsichtsdienste zur Vermeidung aller Gefahren, die im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit oder dem Arbeitsplatz die Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigen können. Unfallverhütungsvorschriften können zwar keine dem staatlichen Arbeitsschutzrecht entgegenstehenden Regelungen enthalten, da sie als Satzungen erlassen werden und das staatliche Arbeitsschutzrecht, das oftmals Gesetzesrang hat oder zumindest in der Form einer Rechtsverordnung erlassen wird, dem berufsgenossenschaftlichen Regelwerk nach der Normenhierarchie vorgeht. Es besteht aber die Möglichkeit, dass Unfallverhütungsvorschriften und staatliche Arbeitsschutzvorschriften völlig oder zumindest teilweise identisch sind oder, dass die Unfallverhütungsvorschriften die staatlichen Gesetze konkretisieren. In diesem Fall müssten grundsätzlich sowohl die staatlichen Aufsichtsbehörden als auch die berufsgenossenschaftlichen Aufsichtspersonen tätig werden, um jeweils die Einhaltung ihrer Vorschriften zu kontrollieren. Folglich sind Überschneidungen und Doppelbesichtigungen beider Aufsichtsdienste nicht von vornherein auszuschließen122. Ungeachtet dieser sachlichen Überschneidungen sind die Verantwortungsbereiche von staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften formal getrennt123. So hat der Gesetzgeber in § 21 ArbSchG klargestellt, dass sich die Aufgaben und Befugnisse nach dem jeweils einschlägigen Regelwerk richten. Nach § 21 Abs. 1 ArbSchG ist die Überwachung der Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes Aufgabe der staatlichen Behörden. 118 Wlotzke, in: NZA 1996, S. 1017, 1020; ders., in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 208 Rn. 49. 119 Zum Begriff der arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren siehe: Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 3 f. 120 BGBl. 1996, I, S. 1254 ff., vgl. hierzu schon oben: 1. Kap. B. VII. 121 Zum Begriff der „Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ siehe: Koll, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 2 Rn. 1 ff.; Kothe, in: Kollmer, ArbSchG, § 2 Rn. 9 ff. 122 v. Rimscha, in: Die BG 2001, S. 305, 306. 123 Wlotzke, in: NZA 1996, S. 1017, 1020.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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Damit korrespondierend wird in § 21 Abs. 2 S. 1 ArbSchG betont, dass sich die Aufgaben und Befugnisse der Unfallversicherungsträger nach dem Sozialgesetzbuch richten. Selbst soweit die Unfallversicherungsträger „nach dem Sozialgesetzbuch im Rahmen ihres Präventionsauftrages auch Aufgaben zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten wahrnehmen“, werden sie gem. § 21 Abs. 2 S. 2 ArbSchG ausschließlich im Rahmen ihrer autonomen Befugnisse tätig. 2. Zusammenarbeit nach der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie“ Um das Aufsichtshandeln beider Behörden zu koordinieren, waren die Berufsgenossenschaften und die staatlichen Arbeitsschutzbehörden bislang nach § 21 Abs. 3 ArbSchG a. F. gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet124. Nach Satz 1 waren die Aufsichtsdienste dazu angehalten, bei der Überwachung eng zusammenzuarbeiten und den Erfahrungsaustausch zu fördern. Der Erfahrungsaustausch bezog sich sowohl auf die Beratung und Überwachung der Betriebe als auch auf die gegenseitige Teilnahme an Aus- und Fortbildungsveranstaltungen sowie auf den Austausch von Referenten für Vortragsveranstaltungen125. Satz 2 verlangte die gegenseitige Unterrichtung über durchgeführte Betriebsbesichtigungen und deren wesentlichen Ergebnisse. Spiegelbildlich dazu wurde § 20 Abs. 1 SGB VII erlassen, der dieselben Verpflichtungen im Unfallversicherungsrecht manifestierte. Die Zusammenarbeit sollte sowohl auf Betriebsebene als auch auf Landesebene erfolgen. Aus diesem Grund bestimmte § 20 Abs. 2 SGB VII, dass die Unfallversicherungsträger landesbezogene Stellen einrichten, die die Zusammenführung von Informationen zur Überwachungstätigkeit der oftmals auf Bundesebene organisierten Unfallversicherungsträger gegenüber den obersten Landesarbeitsschutzbehörden und den beiderseitigen Erfahrungsaustausch sicherstellen sollten126. Konkretisiert wurden die Voraussetzungen der Zusammenarbeit in allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB VII127. 124

BT-Drs. 13/4853, S. 17. Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 20 Rn. 12. 126 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 20 Rn. 7; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 20 Rn. 8; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 20 Rn. 3; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 20 Rn. 7; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 20 Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 20 Rn. 6. 127 Allgemeine Verwaltungsvorschrift über das Zusammenwirken der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und der Gewerbeaufsichtsbehörden vom 26.7.1968 (BAnz. Nr. 142), geändert durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 28.11.1977 (BAnz. Nr. 225). 125

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

Ungeachtet seiner praktischen Erfolge und der in der Praxis schon aufgrund der knappen personellen Kapazitäten beider Aufsichtsdienste geringen Rate an Doppelbesichtigungen128 ist das duale Arbeitsschutzsystem seit jeher dem Vorwurf der Ineffizienz und Überregulierung ausgesetzt. Seit einigen Jahren existieren deshalb Bestrebungen, die Kooperation zwischen staatlichen Arbeitsschutzbehörden und den Unfallversicherungsträgern über die bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten hinaus zu optimieren und zu vereinfachen. So wurde beispielsweise angedacht, entsprechend dem Modell des § 21 Abs. 4 ArbSchG129 staatliche Aufgaben des betrieblichen Arbeitsschutzes in größerem Umfang auf die Unfallversicherungsträger zu übertragen. Ein anderer Vorschlag ging dahin, die Kooperation zwischen staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträgern im Sinne von § 21 Abs. 3 ArbSchG a. F. weiter auszubauen. Schließlich wurde noch die Möglichkeit diskutiert, die Überwachung ausschließlich den staatlichen Arbeitsschutzbehörden zuzuweisen und die Aufgaben der Unfallversicherungsträger auf versicherungsrechtliche Angelegenheiten zu beschränken130. Gleichzeitig mit der nationalen Dualismusdebatte wurde von der Europäischen Kommission eine neue Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz erarbeitet, mit der der demographische Wandel sowie die Entwicklung von einer Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft in den Maßnahmen des Arbeitsschutzes Berücksichtigung finden sollten131. Nach der Vorstellung der Kommission sollten die Ziele der Gemeinschaftsstrategie insbesondere durch eine Verbesserung des Vollzugs der nationalen Arbeitsschutzvorschriften und die Förderung und Verbesserung der Präventionskultur erreicht werden132. Unter Berücksichtigung dieser europäischen Vorgaben entschied sich die 82. Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2005 für ein Kooperationsmodell im Sinne von § 21 Abs. 3 ArbSchG auf der Grundlage einer gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie und bat den Bund die sich für Unfallversicherungsträger und Arbeitsschutzbehörden aus der gemeinsamen Arbeitsschutzstrategie ergebenden Verpflichtungen in das ArbSchG und das SGB VII auf128 Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 697; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 31; v. Rimscha, in: Die BG 2001, S. 305, 306. 129 Siehe hierzu sogleich unten: 1. Kap. C. II. 3. 130 Zu den einzelnen Vorschlägen vgl.: Rentrop, in: Die BG 2008, S. 46, 46. 131 ABl. EG 2002, Nr. C 161, S. 1 ff.; Titel der Gemeinschaftsstrategie von 2002 bis 2006 war „Mehr und bessere Arbeit“; die Gemeinschaftsstrategie für die Jahre 2007 bis 2012 steht unter dem Motto „Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern“, ABl. EU 2007, Nr. C 145, S. 1 ff. Siehe hierzu: Timm, in: Die BG 2007, S. 438 ff. 132 KOM (2002) 118 endgültig, Mitteilung der Kommission, Anpassung an den Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft: eine neue Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002–2006, S. 10 ff.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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zunehmen133. Diesem Verlangen kommt der Gesetzgeber mit dem Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz vom 30.10.2008134 nach. Ziel der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie ist die Fortentwicklung und Effektivierung des deutschen Arbeitsschutzsystems135. So wird durch das Reformgesetz ein § 20a in das ArbSchG eingefügt, der Bund, Länder und Unfallversicherungsträger zur Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung einer gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie verpflichtet136. Spiegelbildlich dazu wird in § 14 SGB VII ein Absatz 3 eingefügt, nach dem die Unfallversicherungsträger an der Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie teilnehmen137. Die gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie umfasst gem. § 20a Abs. 2 ArbSchG n. F. „1. die Entwicklung gemeinsamer Arbeitsschutzziele, 2. die Festlegung vorrangiger Handlungsfelder und von Eckpunkten für Arbeitsprogramme sowie deren Ausführung nach einheitlichen Grundsätzen, 3. die Evaluierung der Arbeitsschutzziele, Handlungsfelder und Arbeitsprogramme mit geeigneten Kennziffern, 4. die Festlegung eines abgestimmten Vorgehens der für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden und der Unfallversicherungsträger bei der Beratung und Überwachung der Betriebe, 5. die Herstellung eines verständlichen, überschaubaren und abgestimmten Vorschriften- und Regelwerks“138. Eine besondere Bedeutung bei der Umsetzung der gemeinsamen Arbeitsschutzstrategie kommt der Abstimmung und Vereinheitlichung der Vorgehensweise von Unfallversicherungsträgern und Arbeitsschutzbehörden zu139. Dementspre133 Siehe hierzu: „Eckpunkte für eine Strategie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und für eine Optimierung des dualen deutschen Systems“ der 82. Arbeitsund Sozialministerkonferenz, November 2005. Das Eckpunkte-Papier ist im Internet abrufbar unter: http://lasi.osha.de/docs/ASMK_Beschluss_Eckpunkte.pdf (Stand: 17.12.2008). 134 BGBl. 2008, I, S. 2130 ff. Zum zugrundeliegenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 8.5.2008, siehe: BT-Drs. 16/9154. 135 „Eckpunkte für eine Strategie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und für eine Optimierung des dualen deutschen Systems“ Nr. 3 der 82. ASMK; BTDrs. 16/9154, S. 63. 136 BGBl. 2008, I, S. 2130, 2144 f. 137 BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131. 138 Ausführlich zur Entwicklung von gemeinsamen Arbeitsschutzzielen und Handlungsfeldern: Meffert, in: Die BG 2008, S. 49, 49 ff. 139 „Eckpunkte für eine Strategie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und für eine Optimierung des dualen deutschen Systems“ Nr. 3, 8, 11, im Internet abrufbar unter: http://lasi.osha.de/docs/ASMK_Beschluss_Eckpunkte.pdf; Beschluss Top 3.8 der 83. ASMK 2006, S. 44 ff., im Internet abrufbar unter: http://lasi.osha.de/docs/83_Beschluss_ACK_GDA.pdf (17.12.2008); BT-Drs. 16/ 9154, S. 63, 113. Zur Verbesserung der Kooperationsbeziehungen siehe: Rentrop, in: Die BG 2008, S. 54, 54 f.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

chend legt § 20 Abs. 1 SGB VII n. F. fest, dass die Unfallversicherungsträger und Arbeitsschutzbehörden auf der Grundlage der gemeinsamen Beratungs- und Überwachungsstrategie im Sinne des § 20a Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG n. F. eng zusammen arbeiten und den Erfahrungsaustausch sicherstellen. Kernelement der Kooperation im Rahmen der Beratung und Überwachung ist die Abstimmung allgemeiner Grundsätze zur methodischen Vorgehensweise bei der Beratung und Überwachung der Betriebe, bei der Festlegung inhaltlicher Beratungs- und Überwachungsschwerpunkte, aufeinander abgestimmter oder gemeinsamer Schwerpunktaktionen und Arbeitsprogramme und bei der Förderung eines Daten- und sonstigen Informationsaustausches, insbesondere über Betriebsbesichtigungen und deren wesentliche Ergebnisse140. Konkretisiert werden die einzelnen Elemente der gemeinsamen Beratungs- und Überwachungsstrategie durch eine Vereinbarung, die die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen festlegt, und die von der gemeinsamen landesbezogenen Stelle der Unfallversicherungsträger mit den für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden abgeschlossen wird141. Durch die gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie sollen also Beratungs- und Überwachungsaufgaben der Unfallversicherungsträger und Arbeitsschutzbehörden, die bislang parallel wahrgenommen wurden, stärker miteinander verzahnt werden142, was insbesondere im Hinblick auf die schwindenden personellen Kapazitäten der staatlichen Aufsichtbehörden notwendig ist143. Dementsprechend verpflichtet § 21 Abs. 3 ArbSchG n. F. die Behörden nicht lediglich zur Zusammenarbeit, sondern verlangt, dass „die zuständigen Landesbehörden und die Unfallversicherungsträger [. . .] auf der Grundlage einer gemeinsamen Beratungs- und Überwachungsstrategie nach § 20a Abs. 2 Nr. 4 eng zusammen[wirken] und [. . .] den Erfahrungsaustausch sicher[stellen]. Diese Strategie umfasst die Abstimmung allgemeiner Grundsätze zur methodischen Vorgehensweise bei 1. der Beratung und Überwachung der Betriebe, 2. der Festlegung inhaltlicher Beratungsund Überwachungsschwerpunkte, aufeinander abgestimmter oder gemeinsamer Schwerpunktaktionen und Arbeitsprogramme und 3. der Förderung eines Daten- und Informationsaustausches, insbesondere über Betriebsbesichtigungen und deren wesentlichen Ergebnisse“. Die bisherige Kooperation beider Aufsichtdienste wird mithin weiter aufeinander abgestimmt, indem sie an einer gemeinsamen Überwachungsstrategie, die bestimmte Beratungs- und Überwachungsschwerpunkte festsetzt, auszurichten ist144. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Zusammenarbeit nur auf 140 141 142 143 144

§ 20 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F., BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. § 20 Abs. 2 S. 3 SGB VII n. F., BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. Rentrop, in: Die BG 2008, S. 54, 54. BT-Drs. 16/9154, S. 113. BT-Drs. 16/9154, S. 115 f.

C. Die berufsgenossenschaftliche Prävention im deutschen Arbeitsschutzsystem

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solche Arbeitsschutzaufgaben bezieht, die sowohl von Unfallversicherungsträgern als auch von den Arbeitsschutzbehörden wahrzunehmen sind. Ansonsten bleibt es bei dem Grundsatz des § 21 ArbSchG, nach dem die Überwachung staatlichen Arbeitsschutzrechts Aufgabe der staatlichen Arbeitsschutzbehörden ist145. 3. Zusammenarbeit nach der „Experimentierklausel“ des § 21 Abs. 4 ArbSchG Eine erweiterte Form der Zusammenarbeit von staatlichen Aufsichtsdiensten und gesetzlicher Unfallversicherung beinhaltet § 21 Abs. 4 ArbSchG, indem der obersten für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörde die Möglichkeit gegeben wird, mit den Berufsgenossenschaften Vereinbarungen abzuschließen, nach denen die Träger der Unfallversicherung in näher zu bestimmenden Tätigkeitsbereichen die Einhaltung des ArbSchG sowie der auf dessen Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen überwachen. Die Norm durchbricht damit den in § 21 Abs. 1 ArbSchG aufgestellten Grundsatz, nach dem die Überwachung der Einhaltung des ArbSchG allein Angelegenheit der staatlichen Arbeitsschutzbehörden ist. Auf diese Weise sollen mögliche Synergieeffekte zwischen staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträgern genutzt werden146. Diese so genannte „Experimentierklausel“147 ist allerdings verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere in Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz148, das Verbot der verfassungsrechtlich unzulässigen Mischverwaltung149 sowie den staatsorganisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt150 aus145

Rentrop, in: Die BG 2008, S. 54, 54. Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 36. 147 Getsberger, in: Kollmer, ArbSchG, § 21 Rn. 19; Kittner/Pieper, ArbSchR, § 21 ArbSchG Rn. 25; Kollmer/Markus Vogel, Das neue Arbeitsschutzgesetz, Rn. 261. 148 Denninger, Zur Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 4 Arbeitsschutzgesetz, Rechtsgutachten im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Sozialordnung, März 1998, S. 10; vgl. hierzu auch: Getsberger, in: Kollmer, ArbSchG, § 21 Rn. 21; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 37. 149 Getsberger, in: Kollmer, ArbSchG, § 21 Rn. 24; Kollmer/Markus Vogel, Das neue Arbeitsschutzgesetz, Rn. 262; zum Problem der unzulässigen Mischverwaltung im Hinblick auf die Zusammenarbeit der Arbeitsschutzbehörden auf Landesebene und den auf Bundesebene organisierten Unfallversicherungsträgern: Egger, in: NZS 1994, S. 352, 355; allgemein zum Problem der Mischverwaltung: Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rn. 84 ff. 150 Denninger, Zur Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 4 Arbeitsschutzgesetz, S. 21; vgl. hierzu Getsberger, in: Kollmer, ArbSchG, § 21 Rn. 21; Pinter, in: Koll/ Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 37. Allgemein zum organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 124 ff. 146

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

gesetzt, so dass sie aufgrund eines Beschlusses der 31. LASI-Sitzung am 24./25. Juni 1998, Zif. 5 nahezu nicht angewendet wird und damit praktisch bedeutungslos ist.

D. Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII Die Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln stellt nach §§ 1, 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII die vorrangige Aufgabe der Unfallversicherungsträger dar. Als ethische und moralische Verpflichtung zur Humanisierung der Arbeit kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu151. Darüber hinaus hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die wirksamste Versicherung diejenige ist, die Leistungsfälle erst gar nicht entstehen lässt152. Insofern trägt die Verhütung von Leistungsfällen in einem erheblichen Maße zur Finanzierbarkeit der Unfallversicherung bei153. Diese besondere Stellung der Prävention und ihren Vorrang vor Rehabilitation und Kompensation hat der Gesetzgeber auch in formaler Hinsicht betont, indem er die Prävention mit § 1 SGB VII und den §§ 14 ff. SGB VII dem Leistungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung vorangestellt hat154. Die Gesetzesformulierung kann fälschlicherweise zu der Annahme führen, dass die Unfallversicherungsträger selbst mit eigenen personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln für die Durchführung der Prävention verantwortlich seien. Dass es aber vielmehr die Pflicht der Arbeitgeber ist, für Arbeitssicherheit im Betrieb zu sorgen155 verdeutlicht insbesondere § 21 Abs. 1 SGB VII, der besagt, dass der Unternehmer für die Durchführung der Unfallverhütungsmaßnahmen verantwortlich ist156. Den Unfallversicherungsträgern kommen demgegenüber lediglich Steuerungsaufgaben zu157: Sie haben beratend und überwachend auf die Durchführung der Prävention durch die Unternehmer einzuwirken158. 151 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 4. 152 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 1 Rn. 4. 153 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 26. 154 Dörner, in: BArBl. 1963, S. 360, 360. 155 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 14 Rn. 10; Kranig/Waldeck, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 1; Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 4; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 4.3; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 5; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 14 Rn. 4. 156 Daneben ergibt sich auch aus § 618 Abs. 1 BGB, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass der Arbeitnehmer keinen Gefahren für Leben und Gesundheit ausgesetzt ist. 157 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 1.

D. Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII

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Der Präventionsauftrag umfasst die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren159. Arbeitsunfälle sind gem. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit wie betriebliche Unfälle, Unfälle auf Betriebswegen oder Wegeunfälle. Unter Berufskrankheiten werden Krankheiten verstanden, die nicht Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos sind, sondern die die Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden160. Im Gegensatz zum Arbeitsunfall ist die Berufskrankheit nicht durch eine enge zeitliche Begrenzung des schädigenden Ereignisses gekennzeichnet, sondern beruht in der Regel auf einer längeren Einwirkungszeit schädlicher Faktoren161. Ob eine Berufskrankheit vorliegt, bestimmt sich nach der Berufskrankheiten-Verordnung, die die anerkannten Berufskrankheiten aufzählt und von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird162. Soweit eine Berufskrankheit nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung enthalten ist, kommt eine Anerkennung „wie eine Berufskrankheit“ nach § 9 Abs. 2 SGB VII in Betracht163. Über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten hinaus ist Gegenstand des Präventionsauftrages seit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.1996 auch die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren. Obwohl die Unfallversicherungsträger es schon vor der gesetzlichen Neuregelung als ihre Aufgabe verstanden, sich, neben der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, allgemein um den betrieblichen Gesundheitsschutz zu kümmern, hielt es der Gesetzgeber in sozialpolitischer Hinsicht für sinnvoll, diesen erweiterten und umfassenden Handlungsauftrag in Gesetzesform festzuhalten164. Das erklärt sich aus der mit dem technischen Fortschritt wachsenden Erkenntnis, dass sich eine zeitgemäße und wirksame Prävention nicht auf die Verhütung von Arbeitsunfäl158 Zum Umfang der Präventionsaufgaben der Unfallversicherungsträger siehe: 1. Kap. D., E. 159 Ferner bezieht sich der Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII auch auf eine wirksame Erste Hilfe, die an sich Maßnahmen nach Eintritt des Versicherungsfalls betreffen, systematisch aber noch zur Prävention gezählt werden, vgl. dazu näher: Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 53 ff.; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 33. 160 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 2; Waltermann, Sozialrecht, Rn. 294; zum Begriff der Berufskrankheit siehe auch: § 9 SGB VII. 161 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 9 Rn. 4; Streubel, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 9 Rn. 12. 162 Ausführlich zu der Problematik der Berufkrankheiten vgl.: Koch, in Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 9 Rn. 34 ff. 163 Vgl. hierzu insbesondere: Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 9 Rn. 22 ff. 164 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 19.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

len und Berufskrankheiten beschränken darf, sondern im Sinne eines ganzheitlichen Arbeitsschutzansatzes auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren ausgedehnt werden muss. Nur so lässt sich die notwendige Flexibilität der Unfallversicherungsträger gewährleisten, die Voraussetzung dafür ist, dass sie auf die neuartigen Gefahren angemessen reagieren können165. Nach allgemeiner Ansicht werden unter arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren Einflüsse im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit oder dem Arbeitsplatz verstanden, die die Gesundheit beeinträchtigen können166. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um ergonomische Faktoren der Arbeitsplatzgestaltung, um das Raumklima, die Arbeitszeitgestaltung und die Arbeitsorganisation167. Gesundheit in diesem Sinne umfasst das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden. Arbeitsbedingt sind Gesundheitsgefahren, wenn Umstände der versicherten Tätigkeit ursächlich oder zumindest mitursächlich für die Gefahr sind. Wenn darüber hinaus weitere Faktoren, wie Alter, körperliche Konstitution oder Ernährung, die nicht den Arbeitsbedingungen zuzurechnen sind, mitursächlich sind und die Gefahr erhöhen, ändert dies nichts an der Arbeitsbedingtheit168. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass die Unfallversicherungsträger ihr Tätigkeitsfeld generell auf den allgemeinen Gesundheitsschutz erweitern können. Vielmehr verlangen Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren einen kausalen Bezug der Gefahr zur versicherten Tätigkeit169. Die Einbeziehung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren in den Präventionsauftrag führt dazu, dass sich die Unfallverhütung auch auf solche Krankheiten bezieht, die keinen Versicherungsfall, insbesondere keine Berufkrankheit nach § 9 SGB VII hervorrufen würden, die aber aufgrund ihrer arbeitsbedingten Ursachen dem den Unfallversicherungsträgern zugeordneten Präventionsbereich angehören170.

165 Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 23. 166 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 32; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 14 Rn. 7; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 14 Rn. 6; ausführlich zum Begriff der arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren siehe: Sokoll/Coenen, in: Die BG 1995, S. 460; Coenen, in: Die BG 1997, S. 222. 167 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 3. 168 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 32. 169 Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 26; Niemeyer/Freund, in: NZS 1996, S. 497, 499. 170 Krasney, in: NZS 1996, S. 259, 261.

E. Regelungsinstrumente

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E. Regelungsinstrumente der berufsgenossenschaftlichen Prävention nach dem SGB VII Die Unfallversicherungsträger haben den Präventionsauftrag mit allen geeigneten Mitteln zu erfüllen. Da ihnen nicht die konkrete Umsetzung obliegt, sondern lediglich Steuerungsaufgaben zukommen, kann es sich bei den „geeigneten Mitteln“ auch nur um Steuerungsmittel handeln171. Hinsichtlich der Auswahl der Mittel kommt den Berufsgenossenschaften ein weiter Ermessensspielraum zu, so dass sie sich über die Instrumente der §§ 15 ff. SGB VII hinaus aller denkbaren geeigneten Mittel bedienen dürfen172. Als geeignete Mittel neben Unfallverhütungsvorschriften, Beratung, Überwachung und Anordnungen kommen insbesondere Schulungen, Öffentlichkeitsarbeit, wie Werbemaßnahmen, Forschung und Dokumentation von Unfallursachen in Betracht173. Die Grundsätze wirtschaftlicher und sparsamer Mittelverwendung schränken die Mittelauswahl nicht ein, sondern schreiben nur einen effizienten Mitteleinsatz vor174. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Regelungsinstrumente der berufsgenossenschaftlichen Prävention gegeben. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt und den den Berufsgenossenschaften eingeräumten Gestaltungsspielräumen erfolgt im 2. Kapitel Teil C.

I. Unfallverhütungsvorschriften 1. Regelungsgegenstand von Unfallverhütungsvorschriften § 15 Abs. 1 SGB VII ermächtigt die Unfallversicherungsträger zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften. Unfallverhütungsvorschriften sind autonomes Recht der jeweiligen Berufsgenossenschaften und entfalten dementsprechend grundsätzlich nur für die Mitgliedsunternehmen der Unfallversicherungsträger Bindungswirkung175. Als untergesetzliche Rechtsnormen müssen sie mit dem staatlichen Recht in Einklang stehen und dienen ins171

Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 36. Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 14; Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 14 Rn. 8; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 34; Kutscher/Stoy, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 6; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 14 Rn. 13; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 14 Rn. 7. 173 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 14; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 14 Rn. 13; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 14 Rn. 4; Schmitt, SGB VII, § 14 Rn. 7; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 14 Rn. 8. 174 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 6; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 14 Rn. 4. 172

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

besondere seiner Ergänzung und Konkretisierung176. Sie zeigen typisierte Gefährdungssituationen auf, die aufgrund der in dem jeweiligen Gewerbe gemachten langjährigen Erfahrungen ermittelt werden, und verpflichten Unternehmer sowie Beschäftigte, die Gefährdung durch Befolgung der angeordneten Sicherheitsmaßnahmen auszuschließen177. Enthielten sie früher überwiegend sicherheitstechnische Regelungen, hat das heute vorherrschende Verständnis eines ganzheitlichen Arbeitsschutzansatzes zu der Erkenntnis geführt, dass sich die Gefahren des Arbeitslebens aus einem Zusammenspiel von technischen, organisatorischen, baulichen und verhaltensbedingten Faktoren ergeben. Aus diesem Grund sind neben sicherheitstechnischen Fragen auch das Arbeitsverfahren, die Arbeitsorganisation und das Verhalten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer Gegenstand von Unfallverhütungsvorschriften178. Die genauen Regelungsgegenstände der Unfallverhütungsvorschriften werden in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–7 SGB VII abschließend aufgezählt. Nach Nr. 1 können Unfallverhütungsvorschriften erlassen werden über Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen haben, sowie die Form der Übertragung dieser Aufgaben auf andere Personen. Die Norm ermächtigt also zur Regelung der unternehmerischen Präventionspflichten und dient damit der Konkretisierung der primären Unternehmerverantwortlichkeit für die Durchführung des Arbeitsschutzes im Betrieb179. Unfallverhütungsvorschriften nach Nr. 2 haben das Verhalten der Versicherten zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zum Gegenstand. Sie betreffen die Präventionsverpflichtungen der Arbeitnehmer180 und die175 Zur Geltungserstreckung in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Unfallversicherungsträgers und auf ausländische Unternehmen: § 16 SGB VII. Siehe hierzu auch: Hänlein, in: SGb 1996, S. 462, 462 ff. 176 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 15 Rn. 5; Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 46. 177 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 10; Kutscher/Stoy, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 42; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 5; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 3. 178 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 22 f. 179 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 24; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 15 Rn. 14; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 5; Schmitt, SGB VII, § 15 Rn. 12; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 19. 180 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 16; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 11; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 21; Schmitt, SGB VII, § 15 Rn. 16; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 33.

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nen sowohl der eigenen Sicherheit der Versicherten als auch der Sicherheit der anderen im Betrieb tätigen Arbeitnehmer181. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII ermächtigt die Unfallversicherungsträger zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften über vom Unternehmer zu veranlassende arbeitsmedizinische Untersuchungen und sonstige arbeitsmedizinische Maßnahmen vor, während und nach der Verrichtung von Arbeiten, die für Versicherte oder für Dritte mit arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit verbunden sind. In diesem Zusammenhang bestimmt § 15 Abs. 1 S. 2 SGB VII ferner, dass in den Unfallverhütungsvorschriften nach Nr. 3 auch festgelegt werden kann, dass arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen ebenso durch den Unfallversicherungsträger veranlasst werden können. Unfallverhütungsvorschriften nach Nr. 4 betreffen die Voraussetzungen, die der Arzt zu erfüllen hat, der mit Untersuchungen oder Maßnahmen nach Nummer 3 beauftragt ist, sofern die ärztliche Untersuchung nicht durch staatliche Rechtsvorschrift vorgesehen ist. Die Berufsgenossenschaften werden demnach ermächtigt, bestimmte Ärztequalifikationen für die nach Nr. 3 erforderlichen Untersuchungen festzulegen182. Diese Unfallverhütungsvorschriften können sowohl persönlich-fachliche als auch sachliche Kriterien, wie apparative Untersuchungs- und Diagnosemöglichkeiten, betreffen183. Regelungen zur Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe können die Berufsgenossenschaften aufgrund der Ermächtigung nach Nr. 5 erlassen. Unfallverhütungsvorschriften nach Nr. 6 haben Maßnahmen zum Inhalt, die der Unternehmer zur Erfüllung der sich aus dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit ergebenden Pflichten zu treffen hat. Die Unfallversicherungsträger konkretisieren mithin die Unternehmerpflichten nach dem ASiG und regeln dabei insbesondere die Einsatzzeiten, die von den Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit zu erbringen sind184. Schließlich ermächtigt Nr. 7 die Berufsgenossenschaften zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften über die Zahl der Sicherheitsbeauftragten, die nach § 22 SGB VII unter Berücksichtigung der in den Unternehmen für Leben und Gesundheit der Versicherten bestehenden arbeitsbedingten Gefahren und der Zahl der Beschäftigten zu bestellen sind. 181 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 27; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 7. 182 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 41; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 42. 183 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 23; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 9; Schmitt, SGB VII, § 15 Rn. 24. 184 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 45 f; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 20.1; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 6; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 11; Schmitt, SGB VII, § 15 Rn. 6.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

2. Bedeutung der Unfallverhütungsvorschriften für die Prävention Lange Zeit waren Unfallverhütungsvorschriften das wichtigste Mittel zur Erfüllung des berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrages185. Erst die Europäisierung des Arbeitsschutzrechts führte zu enormen Einbußen der Rechtsetzungskompetenz der Unfallversicherungsträger und bedingte somit eine erhebliche Verringerung der Anzahl von Unfallverhütungsvorschriften, da die europäischen Richtlinien vorrangig durch staatliches Arbeitsschutzrecht umgesetzt wurden186. In Anbetracht der Entwicklung187 beschloss der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1996 eine Neukonzeption des berufsgenossenschaftlichen Regelwerks, die eine drastische Reduzierung der Unfallverhütungsvorschriften angestrebte188. Kernstück der Umstrukturierung ist die Unfallverhütungsvorschrift BGV A1 „Grundsätze der Prävention“, die den rechtlichen Rahmen der Prävention definiert189. Im Gegensatz zur Vorgängervorschrift VBG 1 enthält die BGV A1 keine Doppelregelungen zum staatlichen Arbeitsschutzrecht mehr, sondern verweist in ihrem § 2 auf die staatlichen Arbeitsschutzregelungen und bezieht sie auf diese Weise in die Präventionsverpflichtungen der Unternehmer mit ein. Ferner sollen neue Unfallverhütungsvorschriften nur bei Regelungsdefiziten erlassen werden, um den Betrieben einen flexibleren Handlungsspielraum zu gewährleisten. Neben den allgemeinen Vorgaben der BGV A1 „Grundsätze der Prävention“ werden die speziellen Unfallverhütungsvorschriften nach den unterschiedlichen Gefährdungsarten gegliedert190. Darüber hinaus erfährt der Rechtsetzungsauftrag der Unfallversicherungsträger durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz191 weitere Einschränkungen: Nach § 15 Abs. 1 SGB VII n. F. ermächtigt der Gesetzgeber die Unfallversicherungsträger nur noch soweit zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, wie diese „zur Prävention geeignet und erforderlich“ 185

So auch heute noch: Waltermann, Sozialrecht, Rn. 268. Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 7; ausführlich zum europäischen Einfluss auf die berufsgenossenschaftliche Rechtsetzungstätigkeit siehe: 3. Kap. C. 187 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 7; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 21. 188 Vgl. hierzu: Leitlinienpapier des BMA „Leitlinien zur künftigen Gestaltung des Vorschriften- und Regelwerks im Arbeitsschutz“, abgedruckt in: BArbBl. 6/2003, S. 48 ff.; Fischer/Rentrop, in: Die BG 1997, S. 456, 456 ff.; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 6 ff. 189 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 9. 190 Beispielsweise Mechanische Gefährdungen, Elektrische Gefährdungen, etc.; siehe dazu: Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 22. 191 BGBl. 2008, I, S. 2130 ff. 186

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sind „und staatliche Arbeitsschutzvorschriften hierüber keine Regelungen treffen“192. Auf diese Weise soll der Rechtsetzungsauftrag auf ein „unabdingbar notwendiges Maß“ reduziert werden und der grundsätzliche Vorrang des staatlichen Arbeitsschutzrechts festgeschrieben werden193.

II. Berufsgenossenschaftliche Regeln und Informationen Neben den Unfallverhütungsvorschriften haben die Unfallversicherungsträger für ihre Präventionsarbeit einen umfangreichen Bestand an unverbindlichen Schriften entwickelt, die den Inhalt von Unfallverhütungsvorschriften und staatlichen Arbeitsschutzvorschriften erläutern und mit praktischen Umsetzungshinweisen versehen. Schließlich wäre es für viele Unternehmer ansonsten nur schwer möglich, die für ihren Gefahrenbereich relevanten Regelungen aus der Flut an Arbeitsschutzvorschriften herauszufiltern194. Unterhalb der Ebene von Unfallverhütungsvorschriften wird zwischen BG-Regeln195 und BG-Informationen196 unterschieden. Die BGRegeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BG-Regeln) sind Zusammenstellungen und Konkretisierungen von Inhalten staatlicher Arbeitsschutzvorschriften, berufsgenossenschaftlicher Unfallverhütungsvorschriften, EU-Richtlinien bzw. ihrer Umsetzungsgesetze und internationaler Übereinkommen sowie von technischen Spezifikationen und Erfahrungen berufsgenossenschaftlicher Präventionsarbeit197. Sie dienen der sachgerechten Umsetzung von Unfallverhütungsvorschriften oder anderer arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften und enthalten insbesondere diesbezügliche unverbindliche Erläuterungen, Präzisierungen oder beispielhafte Lösungsmöglichkeiten198. Die BG-Informationen enthalten Informationen über allgemeine sicherheitstechnische Erkenntnisse und Regelungen, die zu einem bestimmten Schutzgebiet in Rechtsvorschriften, berufsgenossenschaftlichen Schriften und Regelwerken aufgezeichnet sind199. Ebenso wie die BG-Regeln ha192

BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131. BT-Drs. 16/9154, S. 8. 194 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 57. 195 BG-Regeln sind eine Zusammenführung der früheren Richtlinien und Sicherheitsregeln, siehe hierzu: Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 6. Zur Gestaltung und zum Erlassverfahren der BG-Regeln: Pinter, in: Koll/Janning/ Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 24 ff. 196 BG-Informationen stellen die früheren Merkblätter dar. 197 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 57; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 5. 198 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 24. 199 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 5.9; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 6. 193

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

ben sie keine rechtsverbindliche Wirkung, sondern eher empfehlenden Charakter200. Neben diesem dreistufigen berufsgenossenschaftlichen Regelwerk aus Unfallverhütungsvorschriften, BG-Regeln und BG-Informationen stehen die BG-Grundsätze. Sie enthalten Maßstäbe für bestimmte Verfahrensfragen, insbesondere hinsichtlich der Durchführung von Prüfungen201 und richten sich im Unterschied zu den anderen berufsgenossenschaftlichen Vorschriften nicht an die Unternehmer, sondern an Prüfeinrichtungen und Zertifizierungsstellen.

III. Überwachung Ein weiteres Präventionsinstrumentarium ist die Überwachung der Unternehmen. Nach § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren in den Unternehmen zu überwachen. Überwachung bedeutet die Überprüfung der Unternehmen hinsichtlich der Gefährdungen und Belastungen, denen die Versicherten ausgesetzt sind202. Die Anlässe für eine Betriebsüberwachung variieren. In Betracht kommen Routineüberwachungen, Überwachungen aufgrund von Verdachtsmomenten oder Erkenntnissen aus Arbeitsunfällen sowie Schwerpunktüberwachungen wegen einer großen Häufigkeit von Versicherungsfällen. Im Sinne einer effektiven Prävention wurde die Überwachungsaufgabe sehr weit gefasst und gefährdungsorientiert ausgerichtet203: Auf diese Weise soll die Kontrolle und Entdeckung jeglicher Gegebenheiten ermöglicht werden, die zu Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten führen können. Demnach ist es zweckmäßig, dass sich die Überwachung neben der Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften auch auf die Beachtung des staatlichen Arbeitsschutzrechts bezieht204 und darüber hinaus die Kontrolle sämtlicher freiwilligen Präventionsstrategien der Unternehmer umfasst205. Die Überwachung von Präventionsmaßnahmen findet laut § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII „in den Unternehmen“ statt. Aus dieser Formulierung 200 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 5.9. 201 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 57; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 7. 202 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 6; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 17. 203 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11. 204 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 6; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 15; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 3. 205 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 17 Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 3.

E. Regelungsinstrumente

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ergibt sich, dass sich die Überwachung nicht nur an die Unternehmer wendet, sondern auch an die Beschäftigten und die mit besonderen Arbeitsschutzaufgaben betrauten Personen, wie Sicherheitsbeauftragte, Betriebsärzte und Betriebsräte206. Durchgeführt wird die Überwachung in der Regel von so genannten Aufsichtspersonen207 – früher auch technische Aufsichtsbeamte genannt – sowie von Präventionsexperten mit besonderen Fachkenntnissen, wie beispielsweise Psychologen oder Pädagogen208. Die Qualifikation der Aufsichtspersonen richtet sich nach den Voraussetzungen des § 18 SGB VII und der aufgrund dieser Norm erlassenen Prüfungsordnungen. Sie werden in aufgabenbezogenen Lehrgängen ausgebildet209. Zu diesem Zweck unterhalten die Unfallversicherungsträger Schulungszentren, in denen Aus- und Fortbildungen geplant, organisiert und durchgeführt werden210. Um einen gleichbleibend hohen Ausbildungsstandard garantieren zu können, unterliegen die Lehrgänge ständigen Optimierungsbemühungen und Qualitätskontrollen unter Berücksichtigung des neusten Standes der Wissenschaft. Nicht erst seit Einführung des § 14 Abs. 1 S. 2 SGB VII, der die Unfallversicherungsträger zur Ursachenforschung verpflichtet, beteiligen sich die Berufsgenossenschaften deshalb in erheblichem Maße an der Arbeitsschutzforschung. Allein die DGUV als Spitzenverband unterhält mit dem Institut für Arbeitsschutz (BGIA), dem Institut Arbeit und Gesundheit (BGAG) und dem Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin (BGFA) drei Forschungseinrichtungen211. Daneben existieren noch einige weitere Forschungseinrichtungen von einzelnen Berufsgenossenschaften212. 206 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 12; Leube, in: Kater/ Leube SGB VII, § 17 Rn. 3. 207 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 7.4; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 7; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 17 Rn. 5. 208 Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 9. 209 „Alles aus einer Hand“, Informationsbroschüre der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Stand Mai 2005), S. 12 f. 210 „Alles aus einer Hand“, Informationsbroschüre der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Stand Mai 2005), S. 33. 211 Während das BGIA naturwissenschaftlich-technisch ausgerichtet ist, hat das BGAG einen sozial-, wirtschafts-, erziehungswissenschaftlichen sowie arbeitspsychologischen Schwerpunkt und das BGFA widmet sich arbeitsmedizinischen Fragestellungen. Entsprechend der Vielschichtigkeit der zu verhütenden Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verfolgt die DGUV in ihren Forschungsschwerpunkten mithin einen ganzheitlichen Ansatz. Vgl. hierzu: „Alles aus einer Hand“, Informationsbroschüre der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Stand Mai 2005), S. 16. 212 Zu nennen sind hier das Institut für Gefahrenforschung der Bergbau-Berufsgenossenschaft, das Institut zur Erforschung elektrischer Unfälle der Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik, das Institut für Strahlenschutz der Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik und der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, das Zentrum für Sicherheitstechnik der Berufsgenossenschaft der

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

Die Befugnisse, die den Aufsichtspersonen zur Erfüllung ihrer Aufgabe zukommen, sind in § 19 Abs. 2 SGB VII n. F.213 beispielhaft („insbesondere“) aufgezählt. So sind die Aufsichtspersonen unter anderem befugt, die Betriebsstätte während der Betriebs- und Geschäftszeiten zu betreten (Nr. 1), vom Unternehmer die für die Überwachung erforderlichen Auskünfte zu verlangen (Nr. 2), in die geschäftlichen oder betrieblichen Unterlagen einzusehen (Nr. 3), Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen sowie ihre bestimmungsgemäße Verwendung zu prüfen (Nr. 4), Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen und insbesondere das Vorhandensein und die Konzentration gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu ermitteln (Nr. 5) sowie eine Begleitung durch den Unternehmer oder durch eine von ihm beauftragte Person zu verlangen (Nr. 8). Der Gesetzgeber verfolgt mit der Norm vorrangig rechtsstaatliche Ziele, um dem Unternehmer, indem er die wichtigsten und schwerwiegendsten Eingriffe nach Inhalt und Ausmaß geregelt hat, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hinsichtlich der Beeinträchtigungen zu geben, die er aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen hinzunehmen hat214. Welche Befugnisse die Aufsichtspersonen zur Durchführung der Überwachung wahrnehmen, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen215. Soweit bei der Überwachung Mängel in der Präventionstätigkeit entdeckt werden, sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, die in Art und Gestaltung vom Einzelfall abhängen. In Betracht kommen insbesondere die Beratung, so genannte Revisionsschreiben, mit denen den Unternehmern die bei der Überwachung getroffenen Feststellungen nochmals schriftlich mitgeteilt werden, Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F.216, und, soweit Gefahr im Verzug droht, ist auch eine sofort vollziehbare Anordnung nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F.217 möglich218. Bauwirtschaft, die Hauptstelle für das Grubenrettungswesen der Bergbau-Berufsgenossenschaft und das Zentrallabor der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten. 213 Früher: § 19 Abs. 1 SGB VII, geändert durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 214 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 7; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 19 Rn. 2. 215 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 19 Rn. 3.1. 216 Einzelfallanordnungen konnten bislang nach § 17 Abs. 1 S. 2 SGB VII erlassen werden. Durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz wurde diese Vorschrift im Sinne der Rechtsklarheit ohne inhaltliche Änderungen in § 19 SGB VII integriert, vgl. hierzu auch: BT-Drs. 16/9154, S. 68 f. 217 Sofort vollziehbare Anordnungen ergingen bislang auf Grundlage von § 19 Abs. 2 SGB VII. Durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz wurde diese Vorschrift im Sinne der Rechtsklarheit ohne inhaltliche Änderungen in § 19 Abs. 1 SGB VII integriert, vgl. hierzu auch: BT-Drs. 16/9154, S. 69. 218 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 15.

E. Regelungsinstrumente

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IV. Beratung Die Beratung ist aus historisch-organisatorischer Sicht eine der Kernaufgaben der Unfallversicherungsträger. Schließlich sind die Berufsgenossenschaften Zusammenschlüsse von Unternehmern, so dass die beratende Unterstützung hinsichtlich der Präventionsverpflichtungen schon mit Blick auf die Mitgliederstruktur eine der vornehmlichen Aufgaben der Berufsgenossenschaften ist. Obwohl § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII keine ausdrückliche Mitwirkungspflicht vorsieht, ist der Unternehmer seinerseits verpflichtet, die Beratung anzunehmen und sich beraten zu lassen219. Grundlage der Beratungspflicht des Unternehmers ist seine Verpflichtung, die Unfallversicherungsträger bei ihrer Präventionstätigkeit zu unterstützen, was als Minimum die Bereitschaft sich beraten zu lassen voraussetzt220. Darüber hinaus stellt § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII klar, dass die Unfallversicherungsträger auch die Versicherten zu beraten haben, was einem ganzheitlichen Präventionsansatz entspricht221. Die Versicherten können sich auch direkt an die Unfallversicherungsträger wenden, wenn sie ein Bedürfnis für verstärkte Informationen sehen oder beispielsweise über ihre Pflichten aufgeklärt werden wollen222. Als primäres Beratungsziel soll es Unternehmern und Versicherten ermöglicht werden, besser für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sorgen zu können. Dazu wird informierend und motivierend auf die Präventionstätigkeit Einfluss genommen223. Umfang und Art und Weise der Beratung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Unfallversicherungsträger. Neben der individuellen Beratung anlässlich der Überwachung haben sie beispielsweise die Möglichkeit, ihrer Verpflichtung durch Schulungen nachzukommen, können aber die Unternehmer auch mittels Veröffentlichungen im Mitteilungsblatt der Unfallversicherungsträger informieren224.

V. Einzelfallanordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F.225 ermächtigt die Unfallversicherungsträger zum Erlass von Einzelfallanordnungen, die entweder der Durchsetzung von Unfallverhütungsvorschriften (Nr. 1) oder der Abwehr besonderer Un219

Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 22. Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 22. 221 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 18; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 33; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 17 Rn. 10. 222 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 17 Rn. 4; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 6. 223 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 17. 224 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 7.2; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 5. 220

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

fall- und Gesundheitsgefahren (Nr. 2) dienen. Die Anordnungen nach Nr. 1 dürfen ausschließlich der Durchsetzung von Unfallverhütungsvorschriften, nicht aber von staatlichem Recht dienen226. Eine Ausnahme besteht insoweit nur hinsichtlich des Arbeitssicherheitsgesetzes, das durch Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII präzisiert wird. Demgegenüber können Anordnungen nach Nr. 2 auch auf Vorschriften des staatlichen Arbeitsschutzrechts gestützt werden227, da sie der Abwehr von besonderen Unfall- und Gesundheitsgefahren dienen, für die keine Unfallverhütungsvorschriften existieren228. Würde man verlangen, dass auch Anordnungen nach Nr. 2 lediglich der Durchsetzung von Unfallverhütungsvorschriften dienen dürfen, hätte Nr. 2 im Vergleich zu Anordnungen nach Nr. 1 keinen eigenen Anwendungsbereich und wäre demnach überflüssig229. Einzelfallanordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. stellen belastende Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X dar230, deren Adressaten sowohl Unternehmer als auch Versicherte sein können231. Ob tatsächlich eine Anordnung erlassen wird, liegt im Ermessen des Unfallversicherungsträgers, der genauso wie alle Stellen, die hoheitliche Gewalt ausüben können, an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist232. Es ist also in jedem Einzelfall zu prüfen, ob nicht ein milderes Mittel, wie beispielsweise eine mündlich ausgesprochene Beanstandung, vorzuziehen ist233. 225 Früher: § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII, geändert durch das Unfallversicherungsmodernisierngsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 226 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 17 Rn. 5; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 22; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 17 Rn. 6; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 11; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 17 Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 9. 227 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 22; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 17 Rn. 8; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 11; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 17 Rn. 3; Sokoll, in: NZS 1993, S. 9, 11; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 17 Rn. 20. 228 Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 10. 229 Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 17 Rn. 3; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 17 Rn. 16 f. 230 Zur umstrittenen Frage, ob vor ihrem Erlass eine Anhörung zu erfolgen hat, vgl.: Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 25 (verneinend); Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 17 Rn. 10 (bejahend), jeweils m. w. N. 231 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 21; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 10; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 17 Rn. 6; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 8. 232 Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 8; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 10; Schmitt, SGB VII, § 17 Rn. 8. 233 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 21; Ricke, in: Niesel, KassKomm, § 17 Rn. 3.

E. Regelungsinstrumente

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VI. Sofort vollziehbare Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F. Soweit Gefahr im Verzug für Leben und Gesundheit der Versicherten besteht, können die Aufsichtsbeamten nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F.234 sofort vollziehbare Anordnungen erlassen235. Der Unterschied zu den Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. besteht darin, dass Gefahr im Verzug236 für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit vorliegen muss und dass es sich um sofort vollziehbare Anordnungen handelt237, so dass Rechtsbehelfe hiergegen keine aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO haben. Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F. dienen ausschließlich dem Schutz solcher Personen, die Gesundheitsgefahren deshalb ausgesetzt sind, weil sie eine Tätigkeit ausüben, die unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen kann238. Die Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit wird nicht erfasst239. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass durch die Gesetzesänderung vom 29.4.1997240 die Worte „der Versicherten“ gestrichen wurden. Diese Änderung zielt nämlich ausschließlich darauf ab, sofort vollziehbare Anordnungen auch bei Gefahr im Verzug für Beschäftigte ausländischer Unternehmer erlassen zu können, nicht aber darauf, die Einbeziehung der Allgemeinheit in den Schutzbereich des § 19 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F. zu ermöglichen241.

VII. Beitragsrecht als Präventionsinstrument Die Unfallversicherungsträger sollen ihren Präventionsauftrag gem. § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII mit „allen geeigneten Mitteln“ erfüllen. Hierzu gehören selbstverständlich die bislang dargestellten Mittel, wie der Erlass von 234

Früher: § 19 Abs. 2 SGB VII. Ausführlich hierzu: Leube, in: Die BG 1999, S. 66, 68. 236 Zum Begriff der „Gefahr im Verzug“ vgl.: Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 19 Rn. 16. 237 Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 19 Rn. 37. 238 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 19 Rn. 40. 239 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 19 Rn. 23.1; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 19 Rn. 15; Pinter, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 19 Rn. 21; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 19 Rn. 15. 240 BGBl. 1997, I, S. 968 ff. (3. Wahlrechtsverbesserungsgesetz vom 29.4.1997). 241 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 19 Rn. 40, Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 19 Rn. 15. Demgegenüber will Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 19 Rn. 35 f. auch den unversicherten Unternehmen mit in den nach § 19 Abs. 2 SGB VII zu schützenden Personenkreis einbeziehen. 235

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

Unfallverhütungsvorschriften, die Überwachung, Beratung und der Erlass von Anordnungen. Daneben werden aber von § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII auch alle anderen nur erdenklichen, der Unfallverhütung dienenden Mittel erfasst. Besondere Bedeutung für die Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten kommt in diesem Zusammenhang dem Beitragsrecht des SGB VII zu. 1. Gestaltung des Beitragsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung Die Ausgestaltung des Beitragsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung ist in den §§ 150 ff. SGB VII geregelt. Im Gegensatz zu den anderen Sozialversicherungszweigen, die eine hälftige Beitragstragung der Unternehmer und Beschäftigten vorsehen242, wird die Unfallversicherung alleine durch Beiträge des Unternehmers finanziert243. Hintergrund einer solchen Ausgestaltung der Finanzierung ist die in § 104 SGB VII niedergelegte Haftungsablösung des Unternehmers244. Danach besteht eine Unternehmerhaftung nur für die Fälle des Vorsatzes und des Wegeunfalls im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII. In allen anderen Fällen gleicht der Unfallversicherungsträger den entstandenen Schaden aus und der Unternehmer wird von der Haftung freigestellt245. Insofern „kauft“ sich der Unternehmer durch seine Unfallversicherungsbeiträge gleichsam von seiner zivilrechtlichen Haftung frei, so dass eine alleinige Finanzierung seitens der Unternehmer grundsätzlich gerechtfertigt ist. Die Finanzierung der Unfallversicherung erfolgt gem. § 152 Abs. 1 SGB VII im Umlageverfahren nach dem Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung, das heißt der Finanzbedarf des abgelaufenen Kalenderjahres muss in den einzelnen Berufsgenossenschaften exakt ermittelt werden, um dann auf die Beiträge der Unternehmer umgelegt zu werden246. Die individuelle Beitragshöhe ergibt sich gem. § 167 Abs. 1 SGB VII aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß. Die 242 Krankenversicherung: § 249 Abs. 1 SGB V; Rentenversicherung: § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI; Pflegeversicherung: §§ 1 Abs. 6, 54 ff. SGB XI; Arbeitsförderung: §§ 340 ff. SGB III. 243 Vgl. § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII. 244 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 150 Rn. 3; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 2; Waltermann, Sozialrecht, Rn. 252. 245 Ausführlich zur Haftungsablösung: Lepa, Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht. 246 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 152 Rn. 9 ff.; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 152 Rn. 4; Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 152 Rn. 2; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 153 Rn. 2.

E. Regelungsinstrumente

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Gefahrklasse spiegelt die durchschnittliche Gefährdung in einem Gewerbezweig wider247. Je höher die Gefahr von Versicherungsfällen in einem Unternehmen ist, desto höher ist auch die Gefahrklasse. Die Gefahrklasse ist dem jeweiligen Gefahrtarif zu entnehmen, der als autonomes Recht von den Unfallversicherungsträgern festgesetzt wird, und führt zu einer Beitragsstaffelung der Unternehmer entsprechend ihrer durchschnittlichen Gefährdung248. Unter Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Leistungen aus einer Beschäftigung zu verstehen, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Für die Beitragsberechnung sind deshalb alle im Lohnnachweis nach § 165 SGB VII gemeldeten oder nach §§ 153 Abs. 3, 156 SGB VII errechneten Arbeitsentgelte im obigen Sinn bis zum Höchstjahresarbeitsverdienst maßgeblich. Die Berücksichtigung der Arbeitsentgelte im Rahmen der Beitragsberechnung erlaubt einen Rückschluss auf die Größe des Unternehmens249. Der Beitragsfuß stellt das Bindeglied zwischen dem jährlichen Umlagesoll, den Gefahrklassen und dem Arbeitsentgelt dar250. Seine Berechnung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 SGB VII, wonach der Beitragsfuß mittels Division des Umlagesolls durch die Beitragseinheiten errechnet wird, die ihrerseits das Produkt von Arbeitsentgelten und Gefahrklassen darstellen. Anders als in den anderen Sozialversicherungszweigen erfolgt die Beitragsberechnung in der Unfallversicherung mithin nicht allein nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Vielmehr finden, vergleichbar der Privatversicherung, insbesondere durch die Berücksichtigung der Gefahrklasse auch Elemente des Versicherungsrisikos Eingang in die Beitragsbemessung, so dass die Beiträge in einem gewissen Maße an der divergierenden Unfallgefahr der verschiedenen Gewerbezweige ausgerichtet sind. 2. Prävention durch Beitragsgestaltung Gäbe es die Beitragsstaffelung nach Gefahrklassen nicht, wären finanzielle Folgen von Versicherungsfällen für den Unternehmer aufgrund der Haftungsersetzung nach den §§ 104 ff. SGB VII kaum spürbar. Soweit er 247

Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 2. Ausführlich zur Festsetzung der Gefahrklassen im Gefahrtarif durch die Berufsgenossenschaften siehe unten 2. Kap. C. II. 6. a). 249 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 167 Rn. 3. 250 Peter Becker, in: Die BG 2004, S. 528, 541. 248

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

nicht vorsätzlich handelt oder es sich um einen Wegeunfall handelt, kann der Verletzte von ihm keinen Schadensersatz fordern, sondern muss sich an den Unfallversicherungsträger wenden. Dieser kann den Unternehmer gem. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII nur bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln in Regress nehmen oder gegebenenfalls gem. § 110 Abs. 3 SGB VII nach billigem Ermessen hiervon absehen. Die übrigen Versicherungsfälle sind, außer bei Vorsatz, in der Regel von der Betriebshaftpflicht oder sonstigen Versicherungen abgedeckt, so dass drohende Schadensersatzansprüche aus Versicherungsfällen wenig Anreiz für den Unternehmer darstellen, seine Präventionsarbeit zu verbessern251. Um dem entgegenwirken zu können, gibt es mit den nach Unfallgefahren gestaffelten Beiträgen eine Möglichkeit, dem Unternehmer in finanzieller Hinsicht die Folgen seiner defizitären Unfallverhütung vor Augen zu halten252. Ergänzend zu den Präventionsanreizen durch die Beitragsstaffelung nach Gefahrtarifen sieht § 162 SGB VII eine weitere Ausdifferenzierung des Beitragssystems vor. Nach § 162 Abs. 1 SGB VII haben die Berufsgenossenschaften im so genannten Beitragsausgleichsverfahren unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge anzuordnen oder Nachlässe zu gewähren. Es stellt damit einen weiteren finanziellen Präventionsanreiz dar, der es den Unfallversicherungsträgern ermöglicht, die Beiträge entsprechend der tatsächlichen Unfallgefahr in den einzelnen Unternehmen zu erhöhen oder zu verringern. Mehr noch als der Gefahrtarif spiegelt das Beitragsausgleichsverfahren das individuelle Unfallrisiko der Unternehmer wider, indem sich hier nicht das gruppenspezifische Unfallrisiko der jeweiligen Tarifstelle finanziell für den Unternehmer auswirkt, sondern sein Einzelverhalten durch Beitragszuschläge oder -nachlässe bewertet wird253. Daneben stellt es § 162 Abs. 2 SGB VII in das Ermessen der Berufsgenossenschaften über das Beitragsausgleichsverfahren hinaus mit der Gewährung von Prämien weitere Anreize für eine wirksame Präventionsarbeit zu setzen254. Prämien können in Form von Beitragsnachlässen gewährt wer251

Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung, S. 109 f.; Hanau, in: Hanau/Admeit, Arbeitsrecht, Abschn. G, Rn. 708. 252 Auf die Anreizwirkung des berufsgenossenschaftlichen Beitragssystem weisen auch hin: Peter Becker, in: Die BG 2004, S. 528, 534; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 28. 253 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII; § 162 Rn. 12; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 1 f.; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 2; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 65. 254 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 217; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 39; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 52; Höller, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.

E. Regelungsinstrumente

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den, aber auch in anderer Weise, beispielsweise durch eine finanzielle Beteiligung der Berufsgenossenschaften an der Präventionsmaßnahme255. Im Hinblick auf den Präventionszweck des § 162 Abs. 2 SGB VII können Prämien allerdings nur für solche Maßnahmen gewährt werden, die über das gesetzlich vorgegebene Maß hinausgehen256. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Beitragsausgleichsverfahren und dem Prämiensystem liegt darin, dass das Beitragsausgleichsverfahren nur mittelbare Auswirkungen auf die Prävention hat, nämlich dann, wenn eine geringe Unfallhäufigkeit zu Beitragsnachlässen führt. Demgegenüber zielt das Prämiensystem schon nach seinem Gesetzeswortlaut direkt auf eine Beeinflussung des Präventionsverhaltens der Unternehmer ab257.

VIII. Zusammenarbeit mit den Krankenkassen Den bislang aufgezeigten Präventionsmaßnahmen der Unfallversicherungsträger ist gemeinsam, dass sie auf eine Beeinflussung der Unternehmer oder Beschäftigten abzielen, indem sie motivierend, informierend, beratend oder befehlend auf das Präventionsverhalten einwirken. Damit haben sich die Präventionsinstrumente der Unfallversicherungsträger aber nicht erschöpft. Gem. § 14 Abs. 1 S. 2 SGB VII müssen sie die Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit erforschen. Wesentliche Bedeutung für die Erfüllung des Forschungsauftrags hat die in § 14 Abs. 2 SGB VII normierte Verpflichtung der Berufsgenossenschaften zur Zusammenarbeit mit den Krankenkassen258. Einen entsprechenden Auftrag an die Krankenkassen enthalten §§ 20a Abs. 2, 20b Abs. 2 SGB V. Eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsträgern ist insbesondere aus der Erkenntnis heraus notwendig, dass Gesundheitsgefahren oftmals das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von verschiedenen endogen und exogenen Faktoren sind, die in ihren Details häufig nicht bekannt sind259. Möchte man die verschiedenen Faktoren Institutionen zuordnen, die für die verursachten Schäden einzustehen haben oder für ihre Prävention verantwortlich sind, kommen dabei vorrangig Unfallversicherungs-, 255 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 26; Mehrtens, in: BereiterHahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.4. 256 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 220; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 25; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 162 Rn. 33; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20a. 257 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 218. 258 Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 29. 259 Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 30 f.

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1. Kap.: Der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des SGB VII

Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsträger in Betracht260. Die Verschiedenartigkeit der gesundheitsgefährdenden Faktoren verbietet jedoch ihre exakte Zuordnung zu einer einzigen Institution, so dass nur eine Kooperation der betroffenen Sozialversicherungsträger eine effektive Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ermöglicht. Gemeinsames Handlungsfeld von Unfallversicherungsträgern und Krankenkassen261 ist einerseits die gegenseitige Unterstützung bei der Ermittlung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, indem die von den Krankenkassen gewonnenen Erkenntnisse über das Erkrankungsgeschehen von den Berufsgenossenschaften in die Bewertung über Gefährdungen und Belastungen durch die Arbeitsumwelt miteinbezogen werden. Andererseits können die jeweiligen Erkenntnisse und Erfahrungen von Berufsgenossenschaften und Krankenkassen bei der Entwicklung von Präventionsansätzen genutzt werden. Weiterhin dient die Zusammenarbeit der Abstimmung und Koordinierung von ergänzenden Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung mit denen des Arbeitsschutzes262. Sinn der Zusammenarbeit ist damit insbesondere der Daten- und Erkenntnisgewinn, wobei die Heranziehung von Arbeitsunfähigkeitsdaten von besonderem Interesse ist263. Auch wenn sie nur den Teil der Erkrankungen widerspiegeln, der behandlungsbedürftig ist, geben sie aber insoweit doch einen Überblick, der als Grundlage der weiteren Maßnahmen dienen kann264. Die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen ermöglicht somit die Sammlung von Erkenntnissen über Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen265. Auf diese Weise wird es den Unfallversicherungsträgern erlaubt, gezieltere Maßnahmen zu ergrei260

Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 32. 261 Zu den einzelnen Handlungsfeldern der Kooperation von Unfallversicherungsträgern und Krankenkassen siehe die Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zur Zusammenarbeit bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, Nr. 2, abgedruckt in: Die BG 1998, S. 25, 25 ff. Zur Aktualisierung der Rahmenvereinbarung von Dezember 2001, vgl.: Die BG 2002, S. 103. 262 Leitfaden für Zusammenarbeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften mit den Krankenkassen bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren (I. 1.). 263 Coenen/Bindzius, in: Die BG 1998, S. 24, 25; siehe auch: Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zur Zusammenarbeit bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, Nr. 2, abgedruckt in: Die BG 1998, S. 25, 25 ff. Zu den datenschutzrechtlichen Voraussetzungen der Zusammenarbeit siehe: §§ 199 Abs. 1 Nr. 5, 204, 206, 207 SGB VII. 264 Zu den Vor- und Nachteilen der Nutzung von Arbeitsunfähigkeitsdaten siehe: Coenen/Bindzius, in: Die BG 2000, S. 502, 504. 265 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 14 Rn. 41; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 11.

E. Regelungsinstrumente

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fen und folglich auch Kosten zu sparen, so dass die Präventionsarbeit effizienter wird266. Neben dem Datenaustausch können die Krankenkassen den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen durchführen. Da es primär Aufgabe der Unfallversicherungsträger ist, Präventionsarbeit mit allen geeigneten Mitteln zu betreiben, handelt es sich bei den von den Krankenkassen durchgeführten Maßnahmen lediglich um begleitende Maßnahmen, die eine Koordinierung mit den Unfallversicherungsträgern erfordern267. Die Zusammenarbeit von Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern führt also zu einer effizienteren Präventionsarbeit und bewirkt den Gewinn von Daten, die dem jeweils anderen Sozialversicherungsträger allein nicht zugänglich wären. Auf diese Weise wird eine umfassendere Analyse von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ermöglicht.

266

Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 14 Rn. 9. Eiermann/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 14 Rn. 42. 267

2. Kapitel

Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung Seit Errichtung der Sozialversicherung werden die Sozialversicherungsträger nicht als Behörden der unmittelbaren Staatsverwaltung geführt, sondern als vom Staat organisatorisch distanzierte Selbstverwaltungsträger. So heißt es bereits in der Kaiserlichen Botschaft vom 17.11.18811: „Der engere Anschluss an die realen Kräfte dieses Volkslebens und die Zusammenfassung der letzteren in der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung werden, wie wir hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein in gleichem Umfang nicht gewachsen sein würde.“ Man sah also die „realen“ gesellschaftlichen Kräfte eher als zur Lösung bestimmter sozialer Probleme befähigt an als die unmittelbare Staatsverwaltung. Auch heute noch wird die Partizipation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an der Sozialversicherung als Garant für besonders sachgerechte und lebensnahe Lösungen verstanden2. So können die von den „Großgruppen unserer Wirtschaftsgesellschaft“ ausgearbeiteten Lösungen eine ganz andere gesellschaftliche Akzeptanz bewirken als einseitig vom Staat auferlegte Vorgaben3. Insbesondere führt die gleichrangige Beteiligung der Versicherten an der Selbstverwaltung dazu, dass deren naturgemäßes Interesse an der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten besondere Berücksichtigung findet4. Da die Arbeitgeber im Hinblick auf die sich aus der Unfallverhütung ergebenden finanziellen Vorteile ebenfalls ein besonderes Interesse an der wirksamen Verhütung von Versicherungsfällen haben, verwundert es nicht, dass die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung allen voran in der Prävention ihre größten Erfolge feiert5. Auch der Gesetzgeber scheint dem Erfolg 1 Kaiserliche Botschaft, abgedruckt in: ZSR 1981, S. 730, 733; vgl. hierzu: Rohwer-Kahlmann, in: ZSR 1981, S. 657 ff. 2 Jürgen Becker, in: G+G 2/2008, S. 14, 14; Reiter, in: SDSRV 34 (1991), S. 17, 20; auf die Bedeutung der Sozialpartnerschaft für die soziale Selbstverwaltung weist auch hin: Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 2. 3 Reiter, in: SDSRV 34 (1991), S. 17, 20. 4 Radek, in: NZS 1994, S. 6, 7. 5 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 13 ff.; Radek, in: NZS 1994, S. 6, 7; Reiter, in: SDSRV 34 (1991), S. 17, 23 f.; Rische, in:

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung

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der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsarbeit Recht zu geben und den staatlichen Einfluss in diesem Bereich gering zu halten, indem er die Unfallversicherungsträger zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten mit „allen geeigneten Mitteln“6 ermächtigt und ihnen somit grundsätzlich weite Gestaltungsspielräume einräumt. Insofern ist erstaunlich, dass die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung dennoch gerade in diesem Bereich nicht wie in ihren übrigen Tätigkeitsfeldern lediglich unter Rechtsaufsicht steht, sondern aufgrund von § 87 Abs. 2 SGB IV darüber hinaus einer Zweckmäßigkeitskontrolle untersteht. Weitere Begrenzungen des berufsgenossenschaftlichen Gestaltungsspielraums, die sich insbesondere im Bereich der Unfallverhütungsvorschriften auswirken, ergeben sich zudem aus dem Vorrang des staatlichen Arbeitsschutzrechts, der es den Unfallversicherungsträgern verbietet, in den Bereichen, die auch Gegenstand des staatlichen Arbeitsschutzrechts sind, eigene, vom staatlichen Recht abweichende Regelungen zu erlassen7. Aus diesem Grund wird teilweise die These aufgestellt, dass es in der Prävention keine wirkliche Selbstverwaltung mehr gebe, vielmehr komme den Berufsgenossenschaften lediglich eine „Kompetenz zum ersten Versuch“ zu8.

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung I. Die funktionale Selbstverwaltung Elementares Organisationsprinzip der Sozialversicherung ist die Selbstverwaltung9. Gem. § 29 Abs. 1 SGB IV stellen die Sozialversicherungsträger rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung dar. Körperschaften sind mitgliedschaftlich verfasste, vom Wechsel der einzelnen Mitglieder unabhängige, kraft normativer Zurechnung willensund handlungsfähige Organisationen10. Indem den SozialversicherungsträSDSRV 34 (1991), S. 81, 83. Zu den sinkenden Arbeitsunfallzahlen und Berufskrankheiten siehe: DGUV Statistiken für die Praxis 2007, S. 18 ff. 6 § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII. 7 Zum Bedeutungsverlust der berufsgenossenschaftlichen Rechtsetzungskompetenz vor dem Hintergrund der Ausweitung des staatlichen Arbeitsschutzrechts siehe: 1. Kap. E. I. 2. 8 Seewald, in: SGb 2006, S. 569, 573. 9 BSG, in: SozR 1500, § 51 Nr. 38, S. 62; SozR 3-2200, § 1344 Nr. 1, S. 3; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 29 Rn. 3; Wickenhagen, in: SDSRV 1 (1966), S. 70, 70; so auch: Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 377 in Bezug auf die Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung. 10 Geis, in: Schnapp, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, S. 65, 70; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, § 87 Rn. 7. Zur Organisations-

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

gern in § 29 Abs. 1 SGB IV das Recht der Selbstverwaltung zugesprochen wird, macht der Gesetzgeber deutlich, dass es sich „um eine Form dezentralisierter Wahrnehmung eigener Angelegenheiten von unterstaatlichen Trägern öffentlicher Verwaltung im eigenen Namen und auf eigene Kosten“11 handeln soll12. Die Idee der dezentralisierten und selbständigen Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben durch die betroffenen Bürger entstammt dem Bild der kommunalen Selbstverwaltung13, die ihren Ursprung in der am 19.11.1808 erlassenen preußischen Städteordnung findet14. Die preußische Städteordnung brach mit der bis dahin vorherrschenden Vorstellung einer obrigkeitlich-autoritären Verwaltung, indem sie dezentrale Verwaltungseinheiten schuf, die den Angehörigen der jeweiligen örtlichen Gemeinschaft die Möglichkeit gaben, ihre Angelegenheiten frei von staatlicher Einflussnahme zu regeln15. Dementsprechend enthält die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG eine Allzuständigkeit der Gemeinden, die sie befähigt, im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung regeln16. Bezugspunkt für die Zugehörigkeit zu einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft ist die Ansässigkeit in einem bestimmten Gebiet17. Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zu einem Träger funktionaler Selbstverwaltung ist die Ausübung eines bestimmten Berufs, einer bestimmten Funktion oder die Betroffenheit von einer bestimmten Aufgabe. Träger funktionaler Selbstverwaltung können demnach beispielsweise berufsständische Kammern, Hochschulen oder Sozialversicherungsträger sein18. Anform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft: Bieback, Die öffentliche Körperschaft; Endrös, Entstehung und Entwicklung des Begriffs „Körperschaft des öffentlichen Rechts“; Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. 11 Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 1. 12 Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 29 Rn. 27. 13 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, § 94 Rn. 1 ff. 14 Hierzu: Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 471; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 8 ff; ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 2 ff.; ders., in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 1 Rn. 3 f. 15 Ausführlich zu preußischen Städteordnung vgl.: Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, S. 92 ff.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, S. 174 ff.; Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 561 ff. 16 Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 6. 17 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, § 97 Rn. 2. 18 Ausführlich zu den Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 30 ff.

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung

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ders als in der kommunalen Selbstverwaltung kommt ihnen keine Allzuständigkeit zu, vielmehr dürfen sie ausschließlich zur Erfüllung der einzelnen gesetzlich vorgegebenen Aufgaben tätig werden19.

II. Verfassungsrechtliche Garantie der sozialen Selbstverwaltung Im Hinblick auf die Bedeutung der sozialen Selbstverwaltung könnte es nahe liegen, dass sie ebenso wie die kommunale Selbstverwaltung eine verfassungsrechtliche Absicherung erfahren hat. Schließlich erfordert das der Bismarckschen Sozialgesetzgebung zugrundeliegende Ziel der Einbeziehung der Sozialpartner in die Sozialversicherung zwecks sachgerechter und lebensnaher Aufgabenerfüllung einen gewissen Gestaltungsspielraum der Sozialversicherungsträger, da andernfalls die Erfahrungen und Vorstellungen der gesellschaftlichen Kräfte keine Berücksichtigung finden könnten. Eine gewisse Verselbständigung ist weiterhin aus finanzwirtschaftlicher Sicht notwendig, da das Beitragsvolumen durch die Errichtung selbständiger Sozialversicherungsträger als parafiskalische Institutionen dem staatlichen Zugriff und damit der allgemeinen haushaltspolitischen Verteilungsmasse entzogen werden soll20. Würde eine Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbare verfassungsrechtliche Garantie der sozialen Selbstverwaltung existieren, wäre der Gesetzgeber gehindert, die Selbstverwaltungsrechte der Sozialversicherungsträger einzuschränken, abzuändern oder gar zu beseitigen. Eine mögliche grundgesetzliche Verankerung der sozialen Selbstverwaltung könnte sich in Art. 87 Abs. 2 GG finden, der die Führung der Sozialversicherungsträger als bundesunmittelbare bzw. landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts vorsieht. Allerdings geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass die soziale Selbstverwaltung und insbesondere ihre konkrete Ausgestaltung, die Gliederung in Selbstverwaltungskörperschaften sowie die ihr zugewiesenen Aufgabenbereiche, verfassungsrechtlich nicht garantiert sind und dass sie demnach keine Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbare Absicherung erfahren21. Für ein solches Verständnis spricht, dass der 19 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, § 97 Rn. 2; Krause, in: ders./ von Maydell/Merten, GK-SGB IV, § 30 Rn. 5; Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 2. 20 BVerfGE 75, 108, 148; Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 397; Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 2. 21 BVerfGE 39, 302, 314 f.; 77, 340, 344; Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 292; Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 155; Burgi, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 87 Rn. 74; Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 50 ff.; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 29 Rn. 37 ff.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Verfassungsgeber anders als im Falle des Art. 28 Abs. 2 GG nicht die Ausgestaltung der Sozialversicherungsträger als Selbstverwaltungseinrichtungen vorschreibt22. Dieses grundgesetzliche Schweigen muss im Hinblick auf die mit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörperschaften einhergehenden Einfluss- und Leitungsverluste des Staates als Absage einer verfassungsrechtlichen Verankerung der sozialen Selbstverwaltung verstanden werden23. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Art. 87 Abs. 2 GG lediglich eine Kompetenznorm darstellt, die nicht als Hinweis auf eine verfassungsrechtliche Absicherung der Sozialversicherung verstanden werden kann24. Eine Art. 28 Abs. 2 GG entsprechende verfassungsrechtliche Garantie der sozialen Selbstverwaltung existiert demnach nicht. Allerdings wäre ein rein formales Verständnis des Art. 87 Abs. 2 GG als bloße Kompetenznorm ohne jeglichen materiellen Gehalt zu eng. Eine solche Sichtweise würde nämlich verkennen, dass organisationsrechtliche Kompetenznormen auch eine materielle Aussage dahingehend enthalten, dass sie vorgeben, welche Rechtsgüter zu schützen und auszugestalten sind25. Eine Kompetenzzuweisung, die eine entsprechende Gesetzgebung nicht aktivieren soll, wäre sinnlos und widersprüchlich. In organisationsrechtlicher Hinsicht verlangt Art. 87 Abs. 2 GG, dass die Träger der sozialen Selbstverwaltung als Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden26. Ungeachtet der Frage, ob der Begriff der Körperschaft im technischen Sinne zu verstehen ist oder ob auch Anstalten hiervon erfasst werden27, folgt daraus, dass die Sozialversicherung durch verselbständigte, dem Rn. 152; Versuche die soziale Selbstverwaltung verfassungsrechtlich abzusichern finden sich beispielsweise bei Salzwedel, in: ZfS 1963, S. 202, 203 und Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 117. Eine Zusammenstellung der hierzu vertretenen Ansichten gibt: Kröninger, in: SozVers 1975, S. 309 ff. 22 Hermes, in: Dreier, GG, Art. 87 Rn. 64; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten, GK-SGB IV, § 29 Rn. 37. 23 Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 52. Ähnlich auch: Axer, Die Normsetzung der Exekutive, S. 286 f., der darauf hinweist, dass es angesichts der namentlichen verfassungsrechtlichen Verankerung der sozialen Selbstverwaltung in der Hessischen und der Bremer Landesverfassung sowie im Hinblick auf die Regelung des Art. 161 WRV einer ausdrücklichen Entscheidung des Verfassungsgebers bedurft hätte, um eine Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbare grundgesetzliche Absicherung der sozialen Selbstverwaltung zu begründen. 24 BVerfGE 39, 302, 314 f.; 21, 362, 371. 25 Lerche, AöR 90 (1965), S. 341, 347; Pestalozza, in: Der Staat 11 (1972), S. 161, 169 ff.; Schnapp, in: FS v. Unruh, S. 881, 888; ders., in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 49 Rn. 41; auf einen über die reine Kompetenzzuweisung hinausgehenden Gehalt des Art. 87 Abs. 2 GG weist auch Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 386 f. hin. 26 BVerfGE 63, 1, 36. 27 Zu dieser Streitfrage siehe: Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 155 ff.

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung

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staatlichen Einfluss in einem gewissen Maße entzogene Verwaltungsträger geführt werden muss und nicht durch bundes- oder landeseigene Behörden verwaltet werden darf28. Die mit der Anordnung der körperschaftlichen Organisation verbundene Verselbständigung der Sozialversicherungsträger verlangt zudem regelmäßig einen gewissen Grundbestand an Selbstverwaltung29. Dennoch muss bei allen Überlegungen hinsichtlich Bestand und Umfang der sozialen Selbstverwaltung stets berücksichtigt werden, dass keine Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbare Selbstverwaltungsgarantie existiert. Es wird keinerlei Aussage über den verfassungsrechtlichen Schutz bestimmter, den einzelnen Sozialversicherungsträgern zugewiesenenen Aufgaben gemacht30. Umfang und Inhalt der Aufgaben der Sozialversicherungsträger werden demnach durch den einfachen Gesetzgeber bestimmt, der von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, den Sozialversicherungsträgern einzelne Aufgabenbereiche wieder abzuerkennen oder unter Fachaufsicht zu stellen31. Für den hier relevanten Bereich der sozialen Selbstverwaltung ergibt sich dies aus § 30 Abs. 1 SGB IV. Nur soweit der Gesetzgeber ihnen in diesem Rahmen Gestaltungsspielräume überlässt, können sie eigenverantwortlich über die Aufgabenerfüllung bestimmen.

III. Konzeptionen der Selbstverwaltung Um die inhaltlichen Anforderungen klären zu können, die an die Berufsgenossenschaften als Selbstverwaltungsträger zu stellen sind, müssen zunächst die wesentlichen Merkmale des Begriffs der „Selbstverwaltung“ benannt werden. Da allerdings kein einheitlicher Selbstverwaltungsbegriff existiert, müssen seine Facetten anhand der verschiedenen Selbstverwaltungskonzeptionen herausgearbeitet werden.

28 Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 387; Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 9 ff.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 244; Hase, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 145 Rn. 15; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 87 Rn. 61; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 538 Fn. 16; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 157 ff.; Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 2. Vgl. auch Selk, in: JuS 1990, S. 895, 895 ff. 29 Burgi, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 87 Rn. 77 f.; Boecken, in: DRV 1999, S. 717, 735; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 87 Rn. 64; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 159; Schnapp, in: FS v. Unruh, S. 881, 891 f.; ähnlich auch: Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 10. 30 Hermes, in: Dreier, GG, Art. 87 Rn. 64. 31 Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 159.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

1. Politische und juristische Selbstverwaltungskonzeptionen Zurückgehend auf Laband32 und Rosin33 wird zwischen politischer und juristischer Selbstverwaltung differenziert34. Der Begriff der politischen Selbstverwaltung bezeichnet die Wahrnehmung von öffentlichen Verwaltungsaufgaben durch ehrenamtliche Personen und nicht durch berufsmäßig angestellte Beamte35. Juristische Selbstverwaltung ist demgegenüber die dezentralisierte, eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch vom Staat verschiedene Träger öffentlicher Verwaltung unter Ausschluss staatlicher Einmischung36. Während also die Definition der politischen Selbstverwaltung das partizipatorische Element in den Mittelpunkt stellt, ist nach der juristischen Betrachtungsweise die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben durch rechtlich verselbständigte Träger Wesensmerkmal der Selbstverwaltung. Beide Ansätze finden sich auch heute noch im Sozialgesetzbuch wieder37: So liegt der Regelung des § 29 Abs. 2 SGB IV, der die Ausübung der Selbstverwaltung den Arbeitgebern und Versicherten zuweist, die Idee der politischen Selbstverwaltung zugrunde. Die juristische Selbstverwaltung hat demgegenüber in § 29 Abs. 3 SGB IV, nach dem die Versicherungsträger ihre Aufgaben im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts in eigener Verantwortung erfüllen, Eingang gefunden. 2. Formelle und materielle Selbstverwaltungskonzeptionen Soweit an die Frage angeknüpft wird, ob zur inhaltlichen Bestimmung des Selbstverwaltungsbegriffs lediglich auf die organisatorische Verselbständigung oder auch auf die Beteiligungsrechte der Betroffenen abzustellen ist, wird zwischen einer formellen und einer materiellen Selbstverwaltungskon32

Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 95 ff. Rosin, in: Annalen des Deutschen Reichs, 1883, S. 265, 319 f. 34 Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 193; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 19 f.; Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 20 ff.; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 49 Rn. 64 ff.; ders., in: VSSR 2006, S. 191, 193. 35 Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 193 f.; Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 13; ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 13; Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 62; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GKSGB IV, § 29 Rn. 28; Schnapp, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd 1, KV, § 49 Rn. 68; ders., in: VSSR 2006, S. 191, 193. 36 Rosin, in: Annalen des Deutschen Reiches 1883, S. 319 f.; Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 194; Schnapp, in: FS v. Unruh, S. 881, 885. 37 Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 5; Schneider-Danwitz, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 29 Rn. 27 ff.; Steinbach, in: Hauck/ Noftz, SGB IV, § 29 Rn. 16 ff.; Winkler, in: ders., SGB IV, § 29 Rn. 14. 33

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung

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zeption unterschieden38. Nach dem formellen Ansatz stellt der Begriff der Selbstverwaltung vorrangig auf die Wahrnehmung eigener Aufgaben durch vom Staat verselbständigte juristische Personen des öffentlichen Rechts ab39. So wird Selbstverwaltung als die „fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen“ verstanden40. Gegen ein solches rein formales Verständnis des Selbstverwaltungsbegriffs wird eingewendet, dass auf diese Weise die ursprüngliche Idee der Selbstverwaltung, die freiheitsverwirklichende Beteiligung von Staatsbürgern an administrativen Aufgaben, völlig in den Hintergrund gedrängt werde41. Um dem grundlegenden Partizipationsgedanken mehr Ausdruck zu verleihen, hebt eine materielle Selbstverwaltungskonzeption die staatsbürgerliche Teilnahme an den Verwaltungsaufgaben als konstitutives Begriffselement hervor42. Dementsprechend versteht ein Vertreter der materiellen Konzeption die Zweckbestimmung der Selbstverwaltung in der „eigenverantwortlichen Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben“43. Nach einer zusammenfassenden Definition soll Selbstverwaltung einen „Bereich spezifischer verfassungsrechtlicher Legitimation und Verantwortlichkeit, in dem aus dem Verwaltungsapparat der Organe des politischen Gemeinwesens ausgegliederte, grundsätzlich standardisierbare Funktionen der Daseinsvorsorge für die konkreten Bedürfnisse der Adressaten abweichend von den Prinzipien der Art. 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 GG in voll- oder teilrechtsfähigen Organisationen demokratisch verwaltet werden“44, darstellen. Ebenfalls den materialen Selbstverwaltungstheorien zuzuordnen ist die Konzeption der „gesellschaftlichen Selbstverwaltung“45. Gesellschaftliche Selbstverwaltung bezeichnet die „eigenverantwortliche Verwaltung eigener öffentlicher Auf38

Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 20. Schuppert, in: FS v. Unruh, S. 183, 183. 40 Wolff, in: Wolff/Bachof, VerwR II, 4. Aufl. 1976, § 84 IV b. Siehe in diesem Sinne auch: Forsthoff, VerwR, Bd. I, S. 478, der Selbstverwaltung als „Wahrnehmung an sich staatlicher Aufgaben durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“ begreift. 41 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 272; Linckelmann, in: DÖV 1959, S. 561, 563 f. 42 Erich Becker, in: Hans Peters, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 1. Aufl., S. 116; Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 223 f. 43 Erich Becker, in: Hans Peters, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis 1. Aufl., S. 116. 44 Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, S. 211 f. 45 Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 222 ff. Gegenstück der gesellschaftlichen Selbstverwaltung ist die Selbstverwaltung, die Salzwedel als mittelbare Staatsverwaltung bezeichnet. Im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung gliedert 39

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

gaben (. . .) durch körperschaftlich organisierte Solidargemeinschaften der Betroffenen“46. Sie ist zu unterscheiden von der mittelbaren Staatsverwaltung, bei der es sich um eine bloße organisatorische Ausgliederung von staatlichen Aufgaben aus dem Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung handelt, während der Staat weiterhin die „Gesetzesherrschaft“ innehat47. Im Rahmen der gesellschaftlichen Selbstverwaltung werden an sich öffentliche Angelegenheiten als eigene Aufgaben durch die Betroffenen wahrgenommen, ohne dass der Staat die „Gesetzesherrschaft“ innehat. Eine einheitliche Definition des Selbstverwaltungsbegriffs existiert mithin nicht. Dennoch widersprechen sich die verschiedenen Selbstverwaltungskonzeptionen nicht, vielmehr betonen sie unterschiedliche Aspekte des Selbstverwaltungsbegriffs. Erst in ihrer Kombination führen sie zu einem umfassenden Bild der Elemente der Selbstverwaltung48. Während der politische Selbstverwaltungsbegriff das personelle Element und damit die ursprüngliche Idee der Selbstverwaltung in den Vordergrund stellt, betont der Begriff der juristischen Selbstverwaltung die Dezentralisierung und Organisation der juristischen Person49. Ebenso heben die formelle und die materielle Selbstverwaltungskonzeption lediglich unterschiedliche Aspekte der Selbstverwaltung hervor. Die formelle Konzeption betrifft ähnlich wie der juristische Selbstverwaltungsbegriff vorrangig die organisatorische Ausgestaltung der Selbstverwaltungsträger. Demgegenüber stellt die materielle Selbstverwaltungskonzeption auf die Betroffenenpartizipation ab und erfasst damit demokratisch-legitimatorische Dimensionen der Selbstverwaltung.

IV. Begriffsmerkmale der sozialen Selbstverwaltung Unter Berücksichtigung der durch die unterschiedlichen Definitionsansätze aufgedeckten Facetten des Selbstverwaltungsbegriffs lassen sich als konstitutive Begriffsmerkmale mithin die Betroffenenpartizipation, die eigenverantwortliche, vom Staat distanzierte Aufgabenerfüllung sowie die öffentlich-rechtliche Rechtsform der Selbstverwaltungseinheiten benennen50. der Staat nur den Gesetzesvollzug aus seinem Aufgabenbereich aus, hält aber die Gesetzesherrschaft weiter inne. 46 Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 223 f. 47 Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 223. 48 Siehe hierzu: Hase, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 145 Rn. 5; Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 20. 49 Schnapp, in: VSSR 2006, S. 191, 193. 50 Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 17 ff.; ders., in: SDSRV 34 (1991), S. 65, 70; Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 208 ff.; Frotscher, in: FS v. Unruh, S. 127, 141 ff.; ähnlich auch Kluth, Funktionelle Selbstverwaltung, S. 352 f.; Seewald, in: SGb 2006, S. 569, 571. Teilweise wird darüber hinaus auch

A. Selbstverwaltung in der Unfallversicherung

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1. Öffentlich-rechtliche Rechtsform Die Selbstverwaltungsträger müssen in öffentlich-rechtlicher Form organisiert sein51. Dieser Vorgabe entspricht § 29 Abs. 1 SGB IV, der besagt, dass die Sozialversicherungsträger Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Die Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung sind folglich Körperschaften des öffentlichen Rechts, so dass die öffentlichrechtliche Organisationsform in der Selbstverwaltung der Unfallversicherung gewährleistet ist52. 2. Betroffenenpartizipation Ein weiteres konstitutives Element des Selbstverwaltungsbegriffs ist die Betroffenenpartizipation. Selbstverwaltung liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn der Selbstverwaltungsträger institutionell aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliedert ist. Vielmehr verlangt der Begriff weiterhin, dass den Betroffenen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Vorstellungen in die Entscheidungen des Selbstverwaltungsträgers einzubringen53. Die Betroffenenpartizipation wird für die Sozialversicherung in § 29 Abs. 2 SGB IV vorgeschrieben, nach dem die soziale Selbstverwaltung durch die Versicherten und Arbeitgeber ausgeübt wird. Organisatorisch wird die Vorgabe der Betroffenenpartizipation dadurch umgesetzt, dass den Betroffenen Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der Selbstverwaltungsträger gegeben werden54. Im Unterschied zu den übrigen Staatsbürgern werden die einem Selbstverwaltungsträger zugeordneten Bürger durch die von dem Träger wahrgenommenen öffentlichen Aufgaben in einem besonderen Umfang berührt55. Insofern stellt Selbstverwaltung „Betroffenenschutz durch Betroffenenteilnahme“56 dar. Wie Ardie Möglichkeit einer privatrechtlichen Organisation angedacht, vgl. hierzu: Schuppert, in: FS v. Unruh, S. 183, 197 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 12 I. 2. 51 Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 17. Teilweise wird darüber hinaus auch die Möglichkeit einer privatrechtlichen Organisation angedacht, vgl. hierzu: Schuppert, in: FS v. Unruh, S. 183, 197 ff. 52 Zur Frage ob der Begriff der Körperschaften im technischen Sinne zu verstehen ist oder ob auch Anstalten des öffentlichen Rechts ausreichen, vgl. Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 94 ff.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 160. 53 Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 28 f.; Schmidt-Aßmann, in: GS Martens, S. 249, 252; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 12 I. 7. a. 54 Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 29. 55 Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 14; ders., in: v. Maydell/ Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 18. 56 Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 14; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 543, spricht insoweit von „Demokratischer Betroffenenverwaltung“.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

beitgeber und Arbeitnehmer die sie betreffenden Angelegenheiten der Unfallversicherung beeinflussen und an der Aufgabenerfüllung mitwirken, kann nur mit Blick auf die innere Organisation der Selbstverwaltung geklärt werden (Abschnitt „B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung“). 3. Eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung Die Beteiligungsmöglichkeit der Betroffenen wäre allerdings ihrer Bedeutung beraubt, wenn dem Selbstverwaltungsträger kein eigener Gestaltungsspielraum zustünde und er lediglich für den Vollzug staatlichen Rechts zuständig wäre. Aus diesem Grund ist das dritte konstitutive Merkmal des Selbstverwaltungsbegriffs die eigenverantwortliche Wahrnehmung der eigenen Aufgaben durch den Sozialversicherungsträger57. Welche Aufgaben eigene Angelegenheiten des Sozialversicherungsträgers sind, ergibt sich gem. § 30 Abs. 1 SGB IV aus den für den Sozialversicherungsträger maßgeblichen Gesetzen. Mangels einer Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie58 werden Umfang und Inhalt des Eigenverantwortlichkeitsprinzips damit wesentlich durch den Gesetzgeber bestimmt59. Dies zugrunde gelegt, scheint der berufsgenossenschaftliche Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII, „die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten mit allen geeigneten Mitteln“ zu betreiben, der Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger einen umfangreichen Gestaltungsspielraum zuzugestehen. Einschränkungen dieses berufsgenossenschaftlichen Gestaltungsspielraums können sich allerdings einerseits durch normative Vorgaben aus einer detaillierten und ausdifferenzierten Sozialgesetzgebung ergeben, die keinerlei Gestaltungsspielräume der Sozialversicherungsträger vorsehen sowie aus höherrangigem staatlichen Arbeitsschutzrecht, das der autonomen berufsgenossenschaftlichen Rechtsetzung vorgeht. Andererseits können Einschränkungen des Eigenverantwortlichkeitsprinzips durch die Anordnung staatlicher Aufsicht über die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung bedingt sein60. Da eine umfassende Fachaufsicht dem Selbstverwaltungsträger jeglichen Gestaltungsspielraum nehmen würde, verlangt das Merkmal der Ei57 Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 39; Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 35; ders., in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 36; Steinbach, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 29 Rn. 18 ff.; Winkler, in: ders., SGB IV, § 29 Rn. 17. 58 Siehe hierzu schon oben: 2. Kap. A. II. 59 Reiter, in: DRV 1993, S. 657, 659. 60 Steinbach, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 29 Rn. 22.

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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genverantwortlichkeit eine gewisse Staatsdistanz und damit die Beschränkung der staatlichen Kontrollmöglichkeiten auf eine Rechtsaufsicht. Unvereinbar mit der Forderung nach Eigenverantwortlichkeit wäre es demnach, wenn die Berufsgenossenschaften bei allen ihren Aufgaben einer grundsätzlichen Fachaufsicht unterlägen. In diesem Fall könnte nicht mehr von „Selbstverwaltung“ gesprochen werden61. Eine nur vereinzelte Zweckmäßigkeitskontrolle stellt jedoch die Selbstverwaltung eines Sozialversicherungsträgers nicht generell in Frage. Gem. § 87 Abs. 1 SGB IV unterliegen die Unfallversicherungsträger grundsätzlich der Rechtsaufsicht. Dem Staat kommt mithin nur die Befugnis zur Rechtskontrolle zu. Für den Bereich der Prävention in der Unfallversicherung bestimmt § 87 Abs. 2 SGB VII allerdings hiervon abweichend, dass dem Staat neben der Rechtsaufsicht auch die Fachaufsicht zukommt, so dass er eine darüber hinausgehende Zweckmäßigkeitskontrolle vornehmen kann. Zur Beantwortung der Frage, inwieweit der nach dem Gesetzeswortlaut des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII einen umfassenden Gestaltungsspielraum der Berufsgenossenschaften implizierende Präventionsauftrag überhaupt eigene Handlungsmöglichkeiten der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung eröffnet, ist einerseits insbesondere unter Berücksichtigung des staatlichen Arbeitsschutzrechts zu untersuchen, ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber den Unfallversicherungsträgern tatsächlich einen Gestaltungsspielraum zugesteht (2. Kap. C.). Sodann ist zu klären, welche Auswirkungen die Anordnung der Fachaufsicht auf die Selbstverwaltungsbefugnisse hat (2. Kap. D.). Da für das Merkmal der „eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung“ allerdings von wesentlicher Bedeutung ist, dass die Aufgabenerfüllung durch die Betroffenen erfolgt, ist zunächst auf die Binnenorganisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung einzugehen (2. Kap. B.).

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung I. Selbstverwaltungsorgane Die Organisation der Unfallversicherung richtet sich nach den für die Organisation aller Sozialversicherungsträger geltenden allgemeinen Vorschriften des SGB IV. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB IV bestimmt, dass als Selbstverwaltungsorgane bei jedem Sozialversicherungsträger eine Vertreterversammlung und ein Vorstand zu bilden sind. In diesen Gremien sind die 61

Hendler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 143 Rn. 36.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Betroffenen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer repräsentiert. Weiterhin muss jeder Sozialversicherungsträger einen Geschäftsführer haben, § 31 Abs. 1 S. 2 SGB IV. Für Versicherungsträger, die mehr als eineinhalb Millionen Versicherte haben, können, soweit dies die Satzung bestimmt, nach § 36 Abs. 4 SGB IV auch drei Geschäftsführer ernannt werden. Jenseits der eigentlichen Selbstverwaltungsorgane werden die Abstimmungen in den einzelnen Organen in Ausschüssen62 vorbereitet und auf diese Weise beschleunigt63. 1. Vertreterversammlung Die Vertreterversammlung der Unfallversicherungsträger setzt sich nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammen64. Teilweise wird die gleichrangige Arbeitgeberbeteiligung an der sozialen Selbstverwaltung als „Fremdverwaltung“ kritisiert65. Schließlich fuße die Beteiligung der Arbeitgeber im Wesentlichen auf ihrer Beitragszahlungspflicht, nicht jedoch auf der eigenen Betroffenheit. Eine solche rein formale Beteiligung aufgrund der Beitragszahlung reiche als Legitimation für eine gleichberechtigte Vertretung in den Selbstverwaltungsorganen nicht aus. Die Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung deckten ausnahmslos Risiken der Arbeitnehmer ab und seien deshalb ausschließlich Versicherungen der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber. Im Bereich der Unfallversicherung stellt sich diese Frage jedoch nicht in gleicher Weise, da die Unfallversicherung nicht nur eine Versicherung der Arbeitnehmer vor den Versicherungsfällen des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit ist, sondern sie zugleich die privatrechtliche Haftpflicht des Arbeitgebers ersetzt und ihr insofern gewissermaßen die Wirkung einer sozialen Haftpflichtversicherung zukommt66. Die Arbeitgeber sind demnach nicht nur über die Beitragszahlungspflicht beteiligt, sondern auch vergleich62 Zu nennen sind insbesondere der Erledigungsausschuss, der Beratungsausschuss sowie der Rentenausschuss vgl.: Bieback, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 138 ff. 63 Ausführlich zu den Ausschüssen der sozialen Selbstverwaltung: Udo Kruse/ Silke Kruse, in: SozVers 1990, S. 141 ff. 64 Zur Zusammensetzung der Vertreterversammlung bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung siehe § 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV sowie § 44 Abs. 2a Nr. 1–6 SGB IV hinsichtlich der Unfallkassen der Länder und Gemeinden, der gemeinsamen Unfallkassen für den Landes- und kommunalen Bereich, der Eisenbahn-Unfallkasse, der Unfallkasse Post und Telekom und der Unfallkasse des Bundes. 65 Haverkate, Verfassungslehre, S. 300 f.; Schulin, in: ders., HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 6 Rn. 89 ff. 66 Waltermann, in: FS 50 Jahre BSG, S. 571, 576 ff., 588 f.; ders., Sozialrecht, Rn. 245.

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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bar einem „Versicherten“. Aus diesem Grund ist eine gleichrangige Beteiligung der Arbeitgeber an der Vertreterversammlung der Unfallversicherungsträger gerechtfertigt und wird auch nicht kritisiert67. Die Mitgliederzahl der Vertreterversammlung wird durch die Satzung bestimmt und orientiert sich an der Größe der jeweiligen Berufsgenossenschaft68, sie darf aber gem. § 43 Abs. 1 S. 2 SGB IV nicht mehr als sechzig Mitglieder umfassen. Die Mitglieder werden von den Versicherten und den Arbeitgebern gem. § 46 Abs. 1 SGB IV aufgrund von Vorschlagslisten getrennt nach Gruppen gewählt. Soweit nicht mehr Bewerber auf den Vorschlagslisten stehen, als Mitglieder zu wählen sind, sind keine tatsächlichen Wahlhandlungen erforderlich, vielmehr können nach § 46 Abs. 2 SGB IV so genannte Friedenswahlen erfolgen. Problematisch ist bei solchen „Wahlen ohne Wahlhandlung“69 allerdings, dass gerade nicht die Gemeinschaft der Versicherten und der Arbeitgeber der jeweiligen Berufsgenossenschaft über die personelle Besetzung der Vertreterversammlung abstimmen und somit keine mehrheitliche Entscheidung aller Betroffenen erfolgt. Vielmehr wird die personelle Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane ausschließlich von denjenigen vorgegeben, die die Vorschlagslisten erstellen. Dazu gehören nach § 48 Abs. 1 SGB VII vornehmlich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Aus diesem Grund sind Friedenswahlen oftmals dem Vorwurf ausgesetzt undemokratisch zu sein70. Dennoch finden Friedenswahlen auch im Hinblick auf das in der Regel geringe Interesse an Sozialversicherungswahlen in der Praxis insbesondere auf Arbeitgeberseite fast ausschließlich statt; lediglich auf Arbeitnehmerseite erfolgen vereinzelt „echte“ Sozialversicherungswahlen71. 67

Schulin, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 6 Rn. 96. § 43 Abs. 1 S. 1 SGB IV. 69 Radek, in: NZS 1994, S. 6, 9. 70 Kritische Bewertungen der Friedenswahlen finden sich unter anderem bei: Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 385 f.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionellen Selbstverwaltung, S. 459 f.; Haverkate, Verfassungslehre, S. 301 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 459 f.; Ruland, in: Wannagat, SGB IV, § 46 Rn. 18 ff.; ders., in: Schmidt-Aßmann, Bes. VerwR, 12. Aufl., 7. Kap. Rn. 247; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 49 Rn. 174; Wimmer, in: NJW 2004, S. 3369, 3369 ff.; a. A.: BSGE 36, 242, 243 ff.; Engelmann, in: NZS 2000, S. 1, 76, 77 f.; Hendler, in: DRV 1986, S. 319, 326 ff.; Reiter, in: DRV 1993, S. 657, 665, die darauf hinweisen, dass die Wahlrechtsgrundsätze der Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG aufgrund der körperschaftlichen Struktur der Sozialversicherungsträger bei Sozialrechtswahlen nicht gelten würden. Siehe in diesem Zusammenhang auch: Hase, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 146 Rn. 31, der auf die niedrigen gesetzlichen Quoren hinweist, die für die Erzwingung einer Abstimmung erforderlich sind. 71 Im Jahr 2005 fanden beispielsweise nur bei 8 von 340 Sozialversicherungsträgern echte Sozialversicherungswahlen statt und selbst hier nur auf Seiten der Ver68

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Aufgabe der Vertreterversammlung als „Parlament“72 der Unfallversicherungsträger ist insbesondere der Erlass des autonomen Rechts, § 33 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Dazu gehören vornehmlich die Satzung, die Dienstordnung, die Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 SGB VII sowie die Gefahrtarife nach § 157 SGB VII73. Darüber hinaus obliegt der Vertreterversammlung die Erledigung der grundlegenden Angelegenheiten des Unfallversicherungsträgers74. Hierzu zählen beispielsweise die Feststellung des Haushaltsplans (§ 70 Abs. 1 S. 2 SGB IV) und die Beschlüsse über besondere Haftpflichtversicherungen (§§ 140 ff. SGB VII)75. Ferner ist die Vertreterversammlung Kreationsorgan für den Geschäftsführer (§ 36 Abs. 2 SGB VII) und den Vorstand (§ 52 Abs. 1 SGB VII). 2. Vorstand Als Selbstverwaltungsorgan setzt sich der Vorstand ebenso wie die Vertreterversammlung paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten zusammen, § 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Er wird von den Mitgliedern der Vertreterversammlung getrennt nach Gruppen aufgrund von Vorschlagslisten gewählt, § 52 Abs. 1 1. HS SGB IV76. Gem. § 35 Abs. 1 SGB IV bestehen die wesentlichen Aufgaben des Vorstandes in der Verwaltung des Unfallversicherungsträgers und seiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung. Als zentrales Verwaltungsorgan kann er außerdem Richtlinien für die Führung der Verwaltungsgeschäfte durch den Geschäftsführer erlassen, § 35 Abs. 2 SGB IV. Weiterhin hält der Vorstandsvorsitzende ein Beanstandungsrecht inne, das ihn dazu berechtigt, rechtswidrige Beschlüsse des Vorstandes und der Vertreterversammlung zu beanstanden, § 38 SGB IV. Da die Beanstandung aufschiebende Wirkung entfaltet, kann ein beanstandeter Beschluss nicht umgesetzt werden77.

sicherten, siehe hierzu: Jung, in: SGb 2007, S. 65, 66; Ruland, in: Wannagat, SGB IV, § 46 Rn. 6. 72 Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 33 Rn. 6. 73 Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 144; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 33 Rn. 8 f. 74 Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 49; Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 144. 75 Vgl. hierzu auch Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 144. 76 Aufgrund des Verweises in § 52 Abs. 3 SGB IV auf § 46 Abs. 2 SGB IV stellen sich bei der Wahl des Vorstandes die Probleme der Friedenswahl ebenso wie bei der Wahl der Vertreterversammlung. 77 Dankelmann, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 38 Rn. 8; Hassenkamp, in: Wannagat, SGB IV, § 38 Rn. 25; Winkler, in: ders., SGB IV, § 38 Rn. 11 f.

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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3. Geschäftsführer Neben den ehrenamtlichen Selbstverwaltungsorganen der Vertreterversammlung und des Vorstandes existiert bei jedem Unfallversicherungsträger ein hauptamtlicher Geschäftsführer, der auf Vorschlag des Vorstandes von der Vertreterversammlung gewählt wird, § 36 Abs. 1, 2 SGB IV. Wesentliche Aufgabe des Geschäftsführers ist gem. § 36 Abs. 1 SGB IV die Führung der Geschäfte der laufenden Verwaltung. Ebenso wie dem Vorstand kommen dem Geschäftsführer damit Verwaltungsaufgaben zu. In Abgrenzung zum Vorstand ist der Geschäftsführer allerdings nicht grundsätzlich für alle Verwaltungsaufgaben des Unfallversicherungsträgers zuständig, sondern gem. § 36 Abs. 1 SGB IV nur für die Geschäfte der laufenden Verwaltung. Unter Heranziehung der kommunalrechtlichen Definition werden unter Geschäften der laufenden Verwaltung mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrende Geschäfte, die sachlich, insbesondere wirtschaftlich keine erhebliche Bedeutung haben, verstanden78. Dieser Definition ist das Bundessozialgericht im Wesentlichen gefolgt, indem es zu den Geschäften der laufenden Verwaltung im Sinne des § 36 Abs. 1 SGB IV solche Geschäfte zählt, die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren, ohne eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu haben79. Das Gericht hat die kommunalrechtliche Definition allerdings dahingehend modifiziert, dass für die Abgrenzung nicht allein die Häufigkeit der anfallenden Aufgabe und deren finanzielle Bedeutung maßgeblich sei80, sondern dass weiterhin zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und gesetzlich übertragenen Pflichtaufgaben, auch als Auftragsangelegenheiten bezeichnet, zu unterscheiden sei81. Gesetzlich übertragene Pflichtaufgaben des Unfallversicherungsträgers erschöpfen sich regelmäßig in der bloßen Anwendung und Auslegung von Rechtsnormen, so dass es sich um rechtlich vorgezeichnete Entscheidungen handelt, die keiner intensiven Entscheidungsfindung bedürfen. Insoweit liegen Routineentscheidungen vor, die unter die Geschäfte der laufenden Verwaltung gefasst werden und damit in den Aufgabenbereich des Geschäftsführers fallen82. Selbstverwaltungsaufgaben sind demgegenüber dadurch ge78 OVG Rh-Pf, in: NVwZ-RR 1999, S, 524, 524; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 378; Seewald, in: Steiner, Bes.VerwR, Kap. I Rn. 226. 79 BSGE 26, 129, 131. 80 So auch Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 36 Rn. 39. 81 BSGE 26, 129, 131. 82 Bieback, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 153. Allerdings weist Bieback an dieser Stelle darauf hin, dass sich eine pauschale Einordnung der gesetzlich übertragenen Pflichtaufgaben als Geschäfte der laufenden Verwaltung verbietet, da es auch in diesem Bereich möglich ist, dass den Unfallversicherungsträ-

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

kennzeichnet, dass sie gesetzlich nicht detailliert vorgegeben sind und dem Sozialversicherungsträger einen gewissen Handlungsspielraum belassen und damit eine eingehendere Entscheidungsfindung erfordern. Soweit es sich aber um routinemäßige Leistungen ohne erhebliche Bedeutung handelt83, ist es auch in diesem Bereich denkbar, dass ein Geschäft der „laufenden Verwaltung“ zuzurechnen ist84. In Zweifelsfällen ist deshalb auf Sinn und Zweck der Aufgabenverteilung abzustellen85. Es ist nicht zweckmäßig, wenn der Vorstand mit Routineaufgaben belastet wird, die in ihrer Häufigkeit und Umfang die Kapazitäten des Vorstandes übersteigen würden, sich aber innerhalb von vorgefertigten rechtlichen Bahnen bewegen und deshalb keiner intensiven Beschlussfassung bedürfen. Vielmehr ist es Aufgabe des Vorstandes sich um grundsätzliche Angelegenheiten der Verwaltung zu kümmern, die einer intensiveren Beratung bedürfen. Aufgabe des Geschäftsführers ist demgegenüber die Entlastung des Vorstandes von Routineaufgaben.

II. Verband der Unfallversicherungsträger Neben den eigentlichen Selbstverwaltungsorganen, wie der Vertreterversammlung, dem Vorstand und dem Geschäftsführer, werden die Tätigkeiten der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung maßgeblich durch den Spitzenverband der Unfallversicherungsträger, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) bestimmt. Anders als es die gesetzlichen Grundlagen vermuten lassen, finden nämlich wesentliche Abstimmungsvorgänge nicht in den Selbstverwaltungsorganen der einzelnen Berufsgenossenschaften statt, vielmehr erfolgt die eigentliche Arbeit oftmals auf Spitzenverbandsebene86. Die Verlagerung der Zuständigkeiten auf den Verband, die auch als „heteronome Hochzonung“87 bezeichnet wird, dient der Koordination der Handlungen der einzelnen Unfallversicherungsträger88. Ungeachtet seiner immensen Bedeutung für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwalgern erhebliche Gestaltungsspielräume verbleiben, wie beispielsweise Entscheidungen über die Ausgestaltung der medizinischen und beruflichen Rehabilitation, so dass die Aufgabenerfüllung dennoch dem Vorstand obliegt. 83 Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 36 Rn. 39. 84 Dies ist insbesondere bei laufenden Personalentscheidungen, der Verwaltung der Kassen- und Betriebsmittel oder der Unterhaltung der Dienstgebäude zu bejahen, vgl. insoweit: Bieback, in: Schulin, Hdb SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 152. 85 Krasney, in: DRV 1990, S. 742, 748. 86 Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 438. 87 Schnapp, in: FS v. Unruh, S. 881, 893. 88 Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 159; zur Notwendigkeit der Sozialversicherungsverbände als Koordinationsinstrument: Ruland, in: SDSRV 1 (1988), S. 82, 82 ff. Siehe zu den Vorteilen der Verbände, insbesondere

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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tung ist die Einrichtung eines Spitzenverbandes der Unfallversicherungsträger gesetzlich nicht vorgesehen. Allerdings werden dem Verband beispielsweise durch die präventionsrechtlichen Regelungen des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes89 gesetzlich Aufgaben übertragen, woraus geschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Existenz des Spitzenverbandes voraussetzt90. Bislang existierten im Rahmen der Unfallversicherung mit dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, dem Bundesverband der Unfallkassen sowie dem Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften drei Spitzenverbände91. Bedingt durch die Organisationsreform der gesetzlichen Unfallversicherung92 und in Anbetracht der Tatsache, dass zwischen dem Aufgabenbereich des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften und des Bundesverbandes der Unfallkassen erhebliche Überschneidungen existieren93, sind diese beiden Verbände im Sinne einer effizienteren und wirtschaftlicheren Nutzung der Kapazitäten zum 1.6.2007 zu einem gemeinsamen Spitzenverband, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, verschmolzen94. Mitglieder des Spitzenverbandes sind die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und die gewerblichen Berufsgenossenschaften95. Organe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sind die Mitgliederversammlung sowie der Vorstand96. Die Mitglieder des Spitzenverbandes entsenden je einen Vertreter der Versicherten und der Arbeitgeber in die Mitgliederversammlung des Verbandes97. Ebenso ist der von der Mitgliederversammlung gewählte Vorstand paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten besetzt98. Anders als seine Mitgliedsunternehmen ist der Verband, trotz eines entsprechenden gesetzgeberischen Vorstoßes99, nicht in öffentlich-rechtzu ihrer freiheitssichernden Funktion: Horn, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 41 Rn. 40. 89 BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131 f. 90 Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 209. 91 Zur historischen Entwicklung der Verbände der Unfallversicherung: Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 210 ff. 92 Zur Organisationsreform der Unfallversicherung siehe: BT-Drs. 16/9154. 93 Nr. 2 der Grundsatzerklärung der Mitgliederversammlung des BUK und des HVBG, abgedruckt in: Die BG 2007, S. 5. 94 Siehe hierzu: Die BG 2007, S. 4, 6, 208. 95 § 3 Satzung der DGUV. 96 § 5 Satzung der DGUV. 97 § 7 Satzung der DGUV. 98 § 9 Abs. 1, 2 Satzung der DGUV. 99 So noch die „Eckpunkte zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung“, Beschluss Bund-Länder-Arbeitsgruppe am 29.6.2006, S. 5 ff. Ausführlich zu einer möglichen Verkörperschaftung des Spitzenverbandes der Unfallversicherungsträger:

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

licher Rechtsform organisiert, sondern als privatrechtlicher Verein100. Im Hinblick auf die mit einer Verkörperschaftung verbundenen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten war es nach Ansicht der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung von besonderer Bedeutung, die privatrechtliche Organisationsform beizubehalten, da nur auf diese Weise die Bedeutung der Selbstverwaltung und der notwendige Handlungsspielraum des Verbandes gewährleistet werden konnten101. Vorrangige Aufgabe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 2 Abs. 1 Satzung der DGUV die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder sowie die Förderung deren Aufgaben zum Wohl der Versicherten und Unternehmer. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Aufgaben, die der Verband im Bereich der Prävention übernimmt: So bestimmt beispielsweise § 2 Abs. 4 Nr. 1 Satzung der DGUV, dass der Verband für die Koordinierung, Durchführung und Förderung gemeinsamer Maßnahmen sowie der Forschung auf dem Gebiet der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zuständig ist. Nach § 2 Abs. 4 Nr. 2 Satzung der DGUV muss der Verband Muster-Unfallverhütungsvorschriften vorbereiten und ausarbeiten sowie beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften mitwirken und auf eine Rechtsvereinheitlichung hinwirken. Ferner verpflichtet § 2 Abs. 8 Satzung der DGUV den Verband zur Förderung der gemeinsamen Aufgaben der Mitglieder auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes sowie der Fort- und Weiterbildung im Arbeitsschutz insbesondere durch das Institut für Arbeitsschutz in Sankt Augustin, das Institut Arbeit und Gesundheit in Dresden und das Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin in Bochum. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung koordiniert und fördert mithin wesentliche Bereiche der Prävention. Da der Spitzenverband als privatrechtlicher Verein konzipiert ist, stellen diese Aufgaben grundsätzlich lediglich satzungsmäßige Verpflichtungen dar. Allerdings wird dem Verband durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz die Erfüllung dieser Aufgaben teilweise auch gesetzlich aufgegeben. So bestimmt § 14 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 SGB VII n. F., dass der Verband für die Koordinierung, Durchführung und Förderung gemeinsamer Maßnahmen sowie der Forschung auf dem Gebiet der PrävenRuland, Verein oder Körperschaft?, Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales; Schnapp, Organisationsreform der Gesetzlichen Unfallversicherung durch Zentralisierung?, Rechtsgutachten im Auftrag des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. 100 § 1 Abs. 2 Satzung der DGUV. 101 Nr. 3 der Grundsatzerklärung der Mitgliederversammlung des BUK und des HVBG, abgedruckt in: Die BG 2007, S. 5; zu weiterer Kritik an dem Vorhaben den Spitzenverband zu verkörperschaften siehe: Joachim Breuer, in: Die BG 2007, S. 57, sowie ders., a. a. O., S. 205.

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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tion von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zuständig ist102. Koordinationsaufgaben kommen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ferner im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit von Unfallversicherungsträgern und staatlichen Arbeitsschutzbehörden zu. Nach § 20 Abs. 2 S. 2 SGB VII n. F. koordiniert der Spitzenverband die organisatorisch und verfahrensmäßig notwendigen Festlegungen für die Bildung, Mandatierung und Tätigkeit der gemeinsamen landesbezogenen Stellen103. Weiterhin hat der Verband nach § 14 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 SGB VII n. F. grundsätzliche Fach- und Rechtsfragen zur Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung in der Prävention zu klären104. Darüber hinaus legt das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz in § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. auch die Mitwirkung des Spitzenverbandes im Rahmen des Erlasses von Unfallverhütungsvorschriften gesetzlich fest105. Zudem verpflichtet § 15 Abs. 1 S. 2 SGB VII n. F. den Spitzenverband, beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften auf Rechtseinheitlichkeit hinzuwirken. Die Teilnahme des Spitzenverbandes am Rechtsetzungsprozess ist damit obligatorisch geworden. Zusätzlich zur gesetzlichen Normierung der bislang freiwilligen, satzungsmäßigen Aufgaben des Spitzenverbandes stellt das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz in § 87 Abs. 3 SGB IV n. F. die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung unter die Staatsaufsicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, soweit sie Aufgaben nach §§ 14 Abs. 4, 15 Abs. 1 oder 20 Abs. 2 S. 2 SGB VII n. F. wahrnimmt. Damit unterliegt der Verband in wesentlichen Bereichen seiner präventionsrechtlichen Verpflichtungen der Aufsicht. Als Begründung für eine solche erhebliche Ausweitung der staatlichen Einflussnahme wird angeführt, dass der privatrechtliche Verband, dem diese Aufgaben gesetzlich übertragen werden, hoheitlich und damit als Beliehener tätig werde106. Insbesondere seitens des Spitzenverbandes selbst ist diese Gesetzesänderung, die ursprünglich neben der Rechtsaufsicht auch eine Fachaufsicht vorsah, auf heftige Kritik gestoßen. 102

BT-Drs. 16/9154, S. 7. BT-Drs. 16/9154, S. 10. 104 BT-Drs. 16/9154, S. 7. 105 BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131 f. Schon bislang wurden Unfallverhütungsvorschriften, ohne dass es eine entsprechende gesetzliche Grundlage gegeben hätte, in den Fachausschüssen des Spitzenverbandes bzw. seiner Vorgängerverbände ausgearbeitet. Siehe hierzu: Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 230 f. Zum Einfluss des Spitzenverbandes auf das Erlassverfahren von Unfallverhütungsvorschriften siehe: Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 50 ff.; Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 9; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 41 ff.; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 14 f., sowie unten 2. Kap. C. II. 1. a). 106 BT-Drs. 16/9154, S. 107. 103

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Die gesetzliche Normierung der schon jahrzehntelang von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und deren Vorgängerverbänden wahrgenommenen Präventionsaufgaben sowie die damit zusammenhängende Staatsaufsicht seien lediglich Mittel, um den Gestaltungsspielraum der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung zu verringern107. Insofern handele es sich um eine „Verköperschaftung durch die Hintertür“108. Auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales109 hat der Gesetzgeber die Neuregelung entschärft und die Fachaufsicht aus dem Gesetzesentwurf gestrichen, so dass § 87 Abs. 3 SGB IV n. F. den Spitzenverband lediglich einer Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterstellt. Allerdings kann weiterhin angezweifelt werden, ob es einer Aufsicht über die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung überhaupt bedarf. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Verband tatsächlich mit hoheitlichen Aufgaben beliehen wäre, da dann die Aufsicht Voraussetzung für die Beleihung wäre110. Bei den dem Spitzenverband gesetzlich auferlegten Präventionsaufgaben nach § 14 Abs. 4 SGB VII n. F. handelt es sich im Wesentlichen um Koordinierungsaufgaben, die der gegenseitigen Abstimmung, der Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung sowie der Nutzung von Synergieeffekten zwischen den Mitgliedern des Verbandes dienen. In Erfüllung dieser Aufgaben unterstützt der Spitzenverband ausschließlich seine Mitglieder und verfolgt kein öffentliches Interesse. Deshalb handelt es sich nicht um hoheitliches Verwaltungshandeln, sondern um die Erfüllung rein verbandsinterner Aufgaben, so dass keine Beleihung, die eine Staatsaufsicht rechtfertigen könnte, vorliegt111. Anders könnte nur in Bezug auf die Mitwirkungspflicht des Verbandes beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, also beim Satzungserlass, zu entscheiden sein, da die Normsetzung eine öffentliche Aufgabe ist. Jedenfalls ist festzuhalten, dass eine mögliche Staataufsicht das besondere Fachwissen des Spitzenverbandes und 107 Stellungnahme der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, AusschussDrs. 16(11)1028, S. 25 – allerdings vor dem Hintergrund der damals noch in Rede stehenden Fachaufsicht. 108 Joachim Breuer, in: Die KrV 2008, S. 141, 143; ähnlich: Stellungnahme der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschuss-Drs. 16(11)1036, S. 5. 109 BT-Drs. 16/9788, S. 10, 20. 110 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 58. 111 Stellungnahme der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, AusschussDrs. 16(11)1028, S. 24 f.; Stellungnahme der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschuss-Drs. 16(11)1036, S. 5; Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschuss-Drs. 16(11)1035, S. 15.

B. Organisation der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung

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den damit einhergehenden Wissensvorsprung beachten muss und sich, wie nun auch gesetzlich vorgesehen, lediglich auf eine Rechtskontrolle beschränken muss. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine ausufernde Aufsicht den Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltung umgehen würde und den Spitzenverband zum verlängerten Arm des Staates machen würde. Ungeachtet der besonderen Bedeutung, die dem Spitzenverband für die Aufgabenerfüllung der einzelnen Berufsgenossenschaften zukommt, wird teilweise Kritik an dem erheblichen Einfluss geübt, den der Spitzenverband auf seine Mitglieder hat112. Schließlich führt dessen Koordinierungsarbeit zu einer Zentralisierung der an sich dezentral organisierten Unfallversicherungsträger113. Insofern könnte der Gedanke nahe liegen, dass sich die Unfallversicherungsträger durch die Mitgliedschaft im Spitzenverband ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse „entledigen“ und keinen wirklichen Einfluss mehr auf die Gestaltung ihrer Angelegenheiten haben, da mit jeder zentralen Bündelung von Befugnissen ein Einflussverlust auf der dezentralen Ebene verbunden ist114. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass die Mitgliedschaft in einem Spitzenverband nichts an der Verantwortlichkeit des Verbandsmitgliedes für eine ordnungsgemäße Erfüllung der eigenen Aufgaben ändert115. Außerdem sind die einzelnen Berufsgenossenschaften durch jeweils einen Versichertenvertreter und einen Arbeitgebervertreter im Spitzenverband repräsentiert, so dass die Verbandsentscheidungen nicht völlig losgelöst von der Mitwirkung der einzelnen Mitglieder erfolgen116. Da die ausgearbeiteten Präventionskonzepte eine fachliche Spezialisierung für die jeweiligen Gewerbezweige erfahren, werden auch die besonderen fachlichen Bedürfnisse der einzelnen Berufsgenossenschaften berücksichtigt. Ferner erlaubt die auf Verbandsebene gebündelte Arbeit eine effektivere Nutzung der finanziellen Ressourcen und führt zu einer erhöhten Fachkompetenz117. Insofern hat diese Organisationsform zu einer Optimie112 Kröninger, in: ZSR 1975, S. 385, 385 ff.; Pohle, in: VerwArch 53 (1962), S. 333, 333 ff. 113 Zur Aufhebung des Dezentralisierungseffektes durch die Spitzenverbände: Pohle, in: VerwArch 53 (1962.), S. 333, 357 f.; Ruland, in: SDSRV 1 (1988), S. 82, 92. 114 Nach Pohle, in: VerwArch 53 (1962), S. 333, 358 wird durch den Interessenverband die eigenverantwortliche Tätigkeit der Selbstverwaltung beeinträchtigt. Ebenfalls auf das Problem des Kompetenzverlustes auf Mitgliederebene hinweisend: Horn, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 41 Rn. 42; Ruland, in: SDSRV 1 (1988), S. 82, 92. 115 Harald Bogs, in: DRV 1975, S. 1, 9, 25; Kröninger, in: ZSR 1975, S. 385, 388. 116 § 7 Abs. 1 Satzung der DGUV. 117 Ruland, in: SDSRV 1 (1988), S. 82, 83; Kröninger, in: ZSR 1975, S. 385, 387 bezeichnet die Verbände der Sozialversicherungsträger als „institutionelle Ex-

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

rung der Präventionsarbeit geführt und ist insbesondere auch notwendig, um ein „unkoordiniertes Nebeneinanderherarbeiten“118 der einzelnen Unfallversicherungsträger zu vermeiden, da dies schnell das gesamte System der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung schwächen würde119. Aus diesem Grund ist die mit der Vereinheitlichung einhergehende partielle Schwächung der einzelberufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung hinzunehmen120, um die Effektivität des gesamten Systems der Selbstverwaltung in der Unfallversicherung zu garantieren. Zudem ist die Entscheidung der Selbstverwaltungen der einzelnen Berufsgenossenschaften, einem Spitzenverband beizutreten und für bestimmte Aufgaben dessen organisatorischen Strukturen zu nutzen, von ihrer Organisationshoheit mit umfasst und insofern Ausdruck der Gestaltungsfreiheit121.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume Konstitutives Merkmal des Selbstverwaltungsbegriffs ist die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung122. „Selbstverwaltung“ verlangt mithin die Anerkennung eines Tätigkeitsbereichs, in dem der Selbstverwaltungsträger seine Aufgaben frei von staatlicher Einflussnahme in eigener Verantwortung erfüllen kann. Andernfalls wäre der Selbstverwaltungsträger lediglich ein Vollzugsorgan des Staates. Ausgehend von der kommunalen Selbstverwaltung wird zwischen verschiedenen Selbstverwaltungshoheiten differenziert, die als Gemeindehoheiten bezeichnet werden123. Man unterscheidet herkömmlicherweise zwischen der Gebietshoheit, der Organisationshoheit, der Personalhoheit, der Finanzhoheit, der Planungshoheit und der Rechtsetzungshoheit124. Die Gebietshoheit beinhaltet das perten (. . .) die den produktiven Sammel- und Umschlagplatz für das sich laufend wandelnde und mehrende Fachwissen“ bilden. Siehe ferner Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 54 Rn. 158, der auf die wirtschaftliche Notwendigkeit der zentralisierten Aufgabenwahrnehmung hinweist. 118 Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 440. 119 Auf die generelle Notwendigkeit der Koordinierung der Sozialversicherungsträger durch Verbände weist auch Kröninger, in: ZSR 1975, S. 385, 387 hin. 120 So auch Hein, Die Verbände der Sozialversicherungsträger, S. 440. 121 In diesem Sinne auch Harald Bogs, in: DRV 1975, S. 1, 13 f. hinsichtlich der Entscheidung eines Rentenversicherungsträgers, die Datenverarbeitung in zentralisierter Form auf einen privatrechtlichen Verband zu übertragen. 122 Siehe hierzu schon oben: 2. Kap. A. IV. 3. 123 Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 107; Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 12.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume

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Recht der Gemeinde, Hoheitsgewalt gegenüber jedermann im Gemeindegebiet auszuüben125. Die Organisationshoheit berechtigt die Gemeinden ihre interne Organisation auszugestalten, was insbesondere das Recht auf Einrichtung von Gemeindeorganen oder Organteilen wie Ausschüsse oder Beiräte beinhaltet sowie die Befugnis, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Aufgabenwahrnehmung der Gemeindeorgane konkret festzulegen und die innere Untergliederung der Gemeindeorgane zu bestimmen126. Kraft ihrer Personalhoheit sind die Gemeinden berechtigt, das Gemeindepersonal auszuwählen sowie über dessen Anstellung, Beförderung und Entlassung zu entscheiden127. Die Finanzhoheit gibt den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens128. Sie kann in eine Einnahmenhoheit, eine Ausgabenhoheit und eine Verwaltungshoheit untergliedert werden129. Die Einnahmenhoheit berechtigt die Gemeinden Finanzmittel entgegenzunehmen sowie eigenverantwortlich über die Einnahmengestaltung unter Verwendung von Hoheitsbefugnissen zu entscheiden, während die Ausgabenhoheit das Recht beschreibt, frei über die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel im Rahmen des eigenverantwortlich 124 Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 33; Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 130 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 160 ff.; Schoch, in: Jura 2001, S. 121, 131 ff.; Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 12. Darüber hinaus werden teilweise noch andere Gemeindehoheiten genannt, wie die Kooperationshoheit, die Abgabenhoheit, die Sparkassenhoheit oder die Informationshoheit. Diese Komplexe lassen sich aber den oben aufgezählten Hoheiten zuordnen und haben mithin keine eigen Bedeutung, vgl. hierzu: Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 160 ff.; Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 13. 125 BVerfGE 52, 95, 117 f.; Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 131; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 160; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 Rn. 98. 126 BVerfGE 91, 228, 236; Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 33; Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 133; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 174; Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 12; eingehend zur Organisationshoheit: Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 161 ff.; 219 ff.; 285 ff.; ferner auch Frenz, VerwArch 86 (1995), S. 378 ff. 127 BVerfGE 17, 172, 181 f.; Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 139; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 175; Lecheler, in: FS v. Unruh, S. 541, 541 ff.; Schoch, in: Jura 2001, S. 121, 131 f. 128 BVerfGE 26, 228, 244; 71, 25, 36; Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 137 f. 129 Meyer, Die Finanzverfassung der Gemeinden, S. 48 f.; Rosenschon, Gemeindefinanzsystem und Selbstverwaltungsgarantie, S. 17; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 63 f.; Paul Kirchhof, in: Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Bd. 6, S. 3, 10 f.; zwischen Einnahmen- und Ausgabenhoheit unterscheidend Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 142.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

festgesetzten Haushaltsplans zu entscheiden130. Die Verwaltungshoheit verbürgt das Recht der Kommunen zur hoheitlichen Durchsetzung der rechtlich begründeten Geldforderungen131. Weiterhin halten die Gemeinden die Planungshoheit inne. Hierunter wird die „Befugnis zur Selbstgestaltung“132 verstanden. Sie ist insbesondere im Bereich der Raumplanung von Relevanz, hat aber darüber hinaus für alle kommunalen Bereiche Bedeutung, „in denen langfristige konzeptionelle Vorstellungen in institutionalisierter Form verabschiedet werden“133. Schließlich kommt den Gemeinden noch die Rechtsetzungshoheit zu, die sie zum Erlass von abstrakt-generellen Regelungen, insbesondere von Satzungen, ermächtigt134. Das Satzungsrecht ist das wichtigste Instrument der Selbstorganisation, der Eingriffs- und Leistungsverwaltung sowie der Planung auf kommunaler Ebene135. Ob und inwieweit die dargestellten Selbstverwaltungshoheiten auch im Rahmen der sozialen Selbstverwaltung existieren, muss im Folgenden überprüft werden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass den Sozialversicherungsträgern keine der kommunalen Selbstverwaltung vergleichbare verfassungsrechtlich garantierte Allzuständigkeit zukommt, was erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung bedingt. Schließlich dürfen die Sozialversicherungsträger nach dem „Totalvorbehalt“136 des § 31 Abs. 1 SGB I bzw. nach § 30 Abs. 1 SGB IV allein solche Aufgaben wahrnehmen, die ihnen gesetzlich übertragen wurden. Nur dort, wo der Gesetzgeber den Unfallversicherungsträgern die Aufgabenerfüllung mithin übertragen hat, kann für sie überhaupt ein Handlungsspielraum bestehen. Die Einräumung eines solchen Spielraums erfordert allerdings eine gewisse Zurückhaltung des Gesetzgebers, so dass dieser darüber entscheiden kann, ob und in welchem Umfang er den Unfallversicherungsträgern Gestaltungsspielräume zuerkennt. 130 Paul Kirchhof, in: Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Bd. 6, S. 3, 11 f.; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 63 f. 131 Paul Kirchhof, in: Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Bd. 6, S. 3, 11; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 63 f. 132 Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 33; Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 12. 133 Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 33; andere als städtebauliche Planung existiert beispielsweise mit der Planung von öffentlichen und sonstigen Einrichtungen zum Wohle der Einwohner, vgl hierzu: Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 170. 134 Tettinger, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11 Rn. 12. 135 Burgi, Kommunalrecht, § 15 Rn. 1; Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn. 143; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 248. 136 Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 381.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume

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I. Typologie der Gestaltungsspielräume Der Gesetzgeber kann einem Verwaltungsträger auf unterschiedliche Weise eigene Entscheidungsspielräume zugestehen137. Zu nennen ist hier insbesondere die Einräumung von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen. Allerdings dient die Ermessensgewährung nicht primär der eigenverantwortlichen Regelung eines Rechtsgebiets durch einen Verwaltungsträger. Dem Verwaltungsträger wird lediglich die Freiheit zugestanden, zwischen mehreren zulässigen Entscheidungen unter Abwägung der öffentlichen Belange mit den Einzelfallinteressen die zweckmäßigste Entscheidung zu treffen138. Vorrangige Funktion der Einräumung von Ermessen ist damit die Sicherung einer sachgerechten, an den Besonderheiten des Einzelfalls orientierten Entscheidungsfindung, nicht aber die Wahrnehmung bestimmter Interessen des Selbstverwaltungsträgers139. Ähnliches gilt für die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen. Der Gesetzgeber bedient sich unbestimmter Rechtsbegriffe, um Normen abstrakt und flexibel zu halten, damit sie auch auf atypische Fallkonstellationen Anwendung finden können. Anders als bei Ermessensentscheidungen besteht hier der Gestaltungsspielraum der Verwaltung nicht auf Rechtsfolgenseite, sondern auf Tatbestandsseite140. Der Verwaltung wird auf diese Weise jedoch kein kontrollfreier Beurteilungsspielraum zugestanden, sondern die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unterliegt nach vorherrschender Ansicht grundsätzlich einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle141. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verwaltungsbehörde gegenüber dem Gericht einen uneinholbaren Erkenntnisvorsprung hat, wie dies insbesondere bei Prognoseentscheidungen der Fall ist142. Ein größerer Gestaltungsspielraum kann den Unfallversicherungsträgern durch die Einräumung von Normsetzungskompetenzen zum Erlass von au137

Vgl. zum Folgenden: Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 40; Seewald, in: SGb 2006, S. 569, 571. 138 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rn. 13. 139 Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 40. 140 Kopp, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rn. 71. 141 BVerwGE 94, 307, 309; 100, 221, 225; BVerfGE 84, 34, 49 f.; 88, 40, 56 ff.; ebenso: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 33 ff.; vgl. ferner auch: Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, VerwR, Bd. 1, § 10 Rn. 83 ff.; kritisch, im Ergebnis aber ebenso: Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, VerwR, Bd. 1, 12. Aufl., § 31 Rn. 15 ff.; siehe hierzu ferner: Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 32 ff.; demgegenüber gehen von dem Bestehen eines gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums aus: Bachhof, in: JZ 1955, S. 97, 99 ff.; Ule, in: VerwArch 76 (1985), S. 1, 16 ff.; andeutend: ders., in: GS Jellinek, S. 309, 325 ff. 142 Zu weiteren Fällen, in denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird: Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR, Bd. 1, § 31 Rn. 21.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

tonomem Recht eingeräumt werden143. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben144 haben die Sozialversicherungsträger dann grundsätzlich die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung der sie berührenden Belange. Einschränkungen des Gestaltungsspielraums können sich jedoch ergeben, wenn der Gesetzgeber den Erlass des autonomen Rechts an umfangreiche Genehmigungs- oder Mitwirkungserfordernisse koppelt. Neben der Einräumung von Rechtsetzungsbefugnissen kann der Gesetzgeber den Unfallversicherungsträgern Gestaltungsspielräume zugestehen, wenn er nur die Aufgabenübertragung, nicht aber die konkrete Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich normiert. In diesem Fall kann die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung beispielsweise entscheiden, wer innerhalb ihrer Organisation für die Wahrnehmung einer Aufgabe verantwortlich ist oder mit welchen Mitteln die Aufgabe durchgeführt wird. Es kann also zusammenfassend festgestellt werden, dass dem Gesetzgeber für die Übertragung von Handlungsspielräumen an die Sozialversicherungsträger verschiedene Instrumente zur Verfügung stehen, die unterschiedlich weit reichende Gestaltungsspielräume implizieren. Dabei ist allerdings stets zu berücksichtigen, dass im Unterschied zur kommunalen Selbstverwaltung kein verfassungsrechtlich garantierter Kernbereich von Selbstverwaltungsangelegenheiten der Sozialversicherungsträger existiert. Vielmehr können berufsgenossenschaftliche Gestaltungsspielräume nur dann bestehen, wenn und soweit der Gesetzgeber sie eingeräumt hat.

II. Gestaltungsspielräume im Rahmen der einzelnen Präventionsinstrumente Der weit formulierte Gesetzesauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII, Prävention mit allen geeigneten Mitteln zu betreiben, legt die Vermutung nahe, dass der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung ein umfangreicher Gestaltungsspielraum belassen werde und die staatliche Einflussnahme gering sei145. Demnach bestünden hier erhebliche Handlungsspielräume, so dass die Berufsgenossenschaften, anders als Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur sozialen Selbstverwaltung entnommen werden kann146, nicht lediglich ein Vollzugsorgan staatlicher Sozialgesetzgebung sind. Inwieweit diese Feststellung allerdings tatsächlich zutrifft, lässt sich nur durch eine entsprechende Analyse der einzelnen Tätigkeitsbereiche berufsgenossenschaftlicher Prävention beantworten. 143 144 145 146

Ulrich Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 13 Rn. 40. § 31 SGB I. Radek, in: NZS 1994, S. 6, 7; Reiter, in: SDSRV 34 (1991), S. 17, 24. BVerfGE 39, 302, 313 f.; ähnlich auch BVerfGE 76, 256, 308.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume

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1. Unfallverhütungsvorschriften a) Erlassverfahren Unfallverhütungsvorschriften werden als autonomes Recht der Unfallversicherungsträger in Form von körperschaftlichen Satzungen erlassen147. Das Erlassverfahren war im SGB VII bislang allerdings nur in Grundzügen geregelt und sah mit § 15 Abs. 4 SGB VII lediglich ein Genehmigungserfordernis vor148. Ausgearbeitet werden Unfallverhütungsvorschriften in den Fachausschüssen der bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung eingerichteten Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit149. Um von Anfang an den Sachverstand und die Interessen aller Betroffener in den Normgebungsprozess einzubeziehen, sind die Fachausschüsse mit Vertretern der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit, Aufsichtspersonen der fachlich beteiligten Berufsgenossenschaften, Vertretern des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Vertretern der Gewerbeaufsicht, der Hersteller und Betreiber der Einrichtungen des jeweiligen Fachgebietes sowie mit Vertretern der Fachverbände der Arbeitgeber und der Gewerkschaften besetzt150. Soweit erforderlich, können auch noch Sachverständige hinzugezogen werden151. Nachdem die Beratungen im Fachausschuss beendet sind, wird der Entwurf der jeweiligen Vertreterversammlung der betroffenen Berufsgenossenschaften zur Beratung zugesendet152. Gleichzeitig übermittelt der Fachausschuss den Entwurf an 147 Clemens, in: FS 40 Jahre Landessozialgerichtsbarkeit, S. 239, 250; ders., in: NZS 1994, S. 337, 341; Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 93; ausführliche Erwägungen zur Rechtsnatur von Unfallverhütungsvorschriften finden sich bei: Jörg Vogel, Die Rechtsbindung der Arbeitnehmer an Unfallverhütungsvorschriften gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII, S. 83 ff., der a. a. O. auf S. 120 ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass es sich bei Unfallverhütungsvorschriften um Satzungsrecht handelt. 148 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 50. 149 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 9; Kranig/ Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 50; siehe auch den Beschluss des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 21.9.1971 zur „Bearbeitung von Unfallverhütungsvorschriften“, abgedruckt, in: Die BG 1971, S. 416. Zu den Fachausschüssen der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (damals noch „Zentralstelle für Unfallverhütung“ genannt) siehe die „Bestimmungen zur Durchführung der Grundsätze über Aufgaben und Stellung der berufsgenossenschaftlichen Fachausschüsse“, abgedruckt, in: Die BG 1971, S. 415 f. 150 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 9; Kranig/ Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 52; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, Arbeitsschutzgesetz, § 21 Rn. 14. 151 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, Arbeitsschutzgesetz, § 21 Rn. 14. 152 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 9; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, Arbeitsschutzgesetz, § 21 Rn. 15.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das bei länderübergreifenden Unfallversicherungsträgern Aufsichtsbehörde ist, um vorab eine Zustimmung der Aufsichtsbehörde zum Entwurf zu bekommen153. Das Ministerium seinerseits übermittelt den Entwurf an die zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder, um das nach § 15 Abs. 4 S. 2 SGB VII geforderte „Benehmen“ herzustellen. „Benehmen“ in diesem Sinne verlangt den Versuch einer Verständigung und einvernehmlichen Lösung zwischen dem Bundesministerium und den Ländern. Soweit eine solche Einigung allerdings nicht zustande kommt, kann das Bundesministerium auch ohne das Einverständnis der Länder entscheiden154. Nach Abschluss der Beratungen in der Vertreterversammlung kann sie den Entwurf gem. § 33 Abs. 1 SGB IV beschließen und ihn danach der Aufsichtsbehörde gem. § 15 Abs. 4 S. 1 SGB VII zur Genehmigung vorlegen. Da sich die Mitwirkungsbefugnisse bei Genehmigungen nicht nur auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränken, kann die Aufsichtsbehörde auch eigene Zweckmäßigserwägungen anstellen155. Soweit die Aufsichtsbehörde die Unfallverhütungsvorschrift genehmigt, müssen die Unfallversicherungsträger die Regelung gem. § 43 Abs. 2 SGB IV zur ihrer Wirksamkeit öffentlich bekanntmachen. In Betracht kommt bei länderübergreifenden Unfallversicherungsträgern eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Da eine bestimmte Form der Bekanntmachung jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, reicht auch eine Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der jeweiligen Berufsgenossenschaft aus156. Mit dem Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz157 sind diese Verfahrensvoraussetzungen nun gesetzlich festgeschrieben worden. So bestimmt § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F., dass Unfallverhütungsvorschriften „unter Mitwirkung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ erlassen werden. In § 15 Abs. 1 S. 3 SGB VII n. F. wird weiter ausgeführt, dass der Spitzenverband im Rahmen des Erlassverfahrens auf eine Rechtsvereinheit153 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 9; Kranig/ Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 52. Bei Unfallversicherungsträgern, die unter der Aufsicht eines Landes stehen, liegt die Entscheidung bei der zuständigen obersten Landesbehörde. 154 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 54; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 15; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 28; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 55. 155 Ausführlich zum Kontrollumfang bei staatlichen Mitwirkungsrechten siehe unten: 2. Kap. D. IV. Die Genehmigungsvoraussetzungen, die gesetzlich nicht festgelegt sind, richten sich bislang nach den „Leitlinien zur künftigen Gestaltung des Vorschriften- und Regelwerks im Arbeitsschutz“, abgedruckt, in: BArBl. 2003, S. 48. 156 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, Arbeitsschutzgesetz, § 21 Rn. 15; ausführlich zur öffentlichen Bekanntmachung von autonomem Recht der Sozialversicherungsträger: Leube, in: NZS 1999, S. 330, 330 ff. 157 BGBl. 2008, I, S. 2130 ff.; BT-Drs. 16/9154.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume

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lichung hinwirken soll. Damit ist die koordinierende Tätigkeit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nun gesetzlich verankert158. Weiterhin sieht die Gesetzesnovelle in § 15 Abs. 4 SGB VII n. F. eine Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen vor159. Gem. § 15 Abs. 4 S. 4 SGB VII n. F. ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sich die Vorschriften im Rahmen der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 SGB VII halten und ordnungsgemäß von der Vertreterversammlung beschlossen wurden. Die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen ist im Genehmigungsantrag von den Unfallversicherungsträgern darzulegen160, wobei insbesondere anzugeben ist, dass eine entsprechende Regelungen im staatlichen Arbeitsschutzrecht nicht zweckmäßig ist (Nr. 1), dass das angestrebte Präventionsziel ausnahmsweise nicht durch Regelungen erreicht werden kann, die in einem Ausschuss nach § 18 Abs. 5 ArbSchG ermittelt werden (Nr. 2) und dass die nach Nr. 1 und Nr. 2 erforderlichen Feststellungen in einem besonderen Verfahren unter Beteiligung der Arbeitsschutzbehörden des Bundes und der Länder getroffen wurden (Nr. 3)161. In Anbetracht der bislang nur fragmentarischen Regelung des Erlassverfahrens bringt die Neuregelung – auch für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung – einen Zuwachs an Rechtssicherheit. Insgesamt kann allerdings festgestellt werden, dass aufgrund der frühzeitigen Einbindung der Aufsichtsbehörde in das Verfahren zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, die Selbstverwaltungsbefugnisse im Rahmen des § 15 Abs. 1 SGB VII schon allein aufgrund der Ausgestaltung des Verfahrens gewichtige Begrenzungen erfahren162. b) Inhaltliche Gestaltungsspielräume Die Berufsgenossenschaften werden in § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften ermächtigt, die der Regelung der aufgrund einschlägiger Betriebserfahrungen analysierten typischen Gefährdungssituationen des Arbeitslebens dienen163. 158 Kritisch zu dieser Kodifizierung: Stellungnahme der DGUV zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz im Ausschuss für Arbeit und Soziales, AusschussDrs. 16(11)1028, S. 20 f. Der Verband weist darauf hin, dass durch die Kodifizierung der Anschein erweckt würde, dass diese Koordinationsaufgaben der DGUV hoheitlich in Form der Beleihung übertragen worden wären. 159 Siehe hierzu auch: BT-Drs. 16/9154, S. 67. 160 § 15 Abs. 4 S. 5 SGB VII n. F. 161 § 15 Abs. 4 S. 6 SGB VII n. F. 162 Ausführlich zur Aufsicht und deren Bedeutung für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung siehe unten: 2. Kap. D. 163 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 5; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 3.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Unfallverhütungsvorschriften können Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Arbeitgeber zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen haben (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII), die präventionsrechtlichen Verpflichtungen der Versicherten (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII), die vom Arbeitgeber zu veranlassenden arbeitsmedizinischen Maßnahmen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII), die an die Betriebsärzte zu stellenden Anforderungen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VII), die Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII), die Konkretisierung der Vorschriften des ASiG bezüglich der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII) sowie die Zahl der zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten betreffen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII). § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII enthält somit einen sehr umfangreichen Rechtsetzungsauftrag, was die Annahme von erheblichen Selbstverwaltungsspielräumen der normgebenden Körperschaften nahe legen könnte. Unfallverhütungsvorschriften müssen als untergesetzliches Recht im Einklang mit den in der Normenhierarchie höherrangigen Rechtssätzen stehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf das in Deutschland etablierte duale Arbeitsschutzsystem164 relevant, demzufolge sowohl die staatlichen Arbeitsschutzbehörden als auch die Unfallversicherungsträger für die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zuständig sind und zu einer entsprechenden Normsetzung ermächtigt sind. Soweit das staatliche Arbeitsschutzrecht Regelungen trifft, die in den Bereich der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII fallen, dürfen die Unfallversicherungsträger keine hiervon abweichenden Regelungen treffen165. Zudem haben die Unfallversicherungsträger im Rahmen einer Neuordnung ihres Vorschriftenwerkes beschlossen, auch auf sämtliche Doppelregelungen zum staatlichen Arbeitsschutzrecht zu verzichten, was nun durch das Unfallversicherungs164 Zum dualen Arbeitsschutzsystem siehe: Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, § 207 Rn. 1 ff.; Coenen, in: Die BG 2000, S. 694 ff.; vgl. hierzu schon oben: 1. Kap. C. II. 165 Eine erhebliche Ausweitung hat das staatliche Arbeitsschutzrecht durch die zunehmende Europäisierung des Arbeitsschutzes erfahren, die insbesondere im Bereich des technischen Arbeitsschutzes durch immer umfangreichere und detailliertere europäische Richtlinien hervortrat (v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: NZS 1993, S. 233, 238; Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1239; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 3; Tegtmeier, in: BArBl. 12/1990, S. 5, 8 f.; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 89 f.). Da die europäischen Richtlinien überwiegend in staatliches Recht umgesetzt wurden, entfielen somit in erheblichem Ausmaß Regelungskompetenzen der Unfallversicherungsträger, so dass die Unfallverhütungsvorschriften zunehmend den staatlichen Arbeitsschutzvorschriften weichen mussten (Kranig/ Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 22; Molkentin, in: Franke/ Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 3; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 89 f.). Ausführlich zum europäischen Einfluss auf die Unfallverhütungsvorschriften siehe unten: Kap. 3 C.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume

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modernisierungsgesetz mit § 15 Abs. 1 SGB VII n. F. auch gesetzlich vorgeschrieben ist166. Der Umfang des Gestaltungsspielraums, der der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung eingeräumt wird, wird also maßgeblich durch das Ausmaß der staatlichen Arbeitsschutzvorschriften bestimmt. aa) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII ermächtigt die Berufsgenossenschaften zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften über Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen haben. Den Unfallversicherungsträgern kommt damit das Recht zu, die präventionsrechtlichen Pflichten der Arbeitgeber zu konkretisieren167. Einrichtungen im Sinne von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII sind alle baulichen und technischen Arbeitsmittel, Anlagen, Maschinen, Geräte sowie persönliche Schutzausrüstungen168. Soweit Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII die bauliche Gestaltung von Orten betreffen, die zur Nutzung für Arbeitsplätze vorgesehen sind oder zu denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben, müssen die Unfallversicherungsträger die Vorschriften der dem staatlichen Arbeitsschutzrecht zuzuordnenden Arbeitsstättenverordnung berücksichtigen, die ebenfalls Anforderungen an die Sicherheit und die Gesundheitsverträglichkeit von Arbeitsstätten stellt169. Insbesondere § 3 ArbStättVO i. V. m. dem Anhang „Anforderungen an Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättVO“ normiert konkrete Vorgaben für die Gestaltung und Einrichtung von Arbeitsstätten, wie beispielsweise die Konstruktion und Festigkeit von Gebäuden, die Gestaltung von Fußböden, Decken, Wänden oder Türen und die Einrichtung von Fluchtwegen. In diesem Bereich dürfen die Berufsgenossenschaften keine eigenen, abweichenden und nach neuer Rechtslage auch keine gleichlautenden Regelungen treffen. Während in der früheren Unfallverhütungsvorschrift „Allgemeine Vorschriften“ noch detaillierte Vorgaben 166 Siehe hierzu schon 1. Kap. E. I. 2. Nach § 15 Abs. 1 SGB VII n. F. dürfen Unfallversicherungsträger nur dann Unfallverhütungsvorschriften erlassen, soweit „staatliche Arbeitsschutzvorschriften hierüber keine Regelungen treffen“, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131. 167 Kater, in: Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 14; Kranig/Waldeck, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 24; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 5 f. 168 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 6; Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 32; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 24; Leube, Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 14; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 14; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 22. 169 Vgl. § 1 Abs. 1 ArbStättVO.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

zur Gestaltung der Arbeitsplätze enthalten waren, entfallen in der neuen Unfallverhütungsvorschrift BGV A1 alle Regelungen, die bereits in der Arbeitsstättenverordnung normiert wurden, vielmehr begnügen sich die Unfallversicherungsträger mit einer allgemeinen Inbezugnahme des staatlichen Arbeitsschutzrechts in § 2 Abs. 1 BGV A1 i. V. m. Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 BGV A1170. Zusätzliche spezielle Anforderungen an die Gestaltung von Arbeitsplätzen, die den berufsgenossenschaftlichen Gestaltungsspielraum weiter einschränken, finden sich in Spezialgesetzen, wie beispielsweise § 36 StrlSchVO171, § 9 GenTSV172 i. V. m. Anhang III „Sicherheitsmaßnahmen für Labor- und Produktionsbereich der GenTSV oder § 10 BioStoffVO173 i. V. m. Anhang II, III der BioStoffVO. Insofern muss sich die berufsgenossenschaftliche Normsetzung auf die Konkretisierung und Ausfüllung der verbleibenden Freiräume begrenzen. Im Rahmen von Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII, die sich auf Maschinen beziehen, sind das aufgrund der Maschinen-Richtlinie174 ergangene Geräte- und Produktsicherheitsgesetz175 sowie die Maschinenverordnung176 zu berücksichtigen. Da der Begriff der Maschine im Sinne der Maschinen-Richtlinie sehr weit gefasst wird177 und die Richtlinie bzw. die entsprechenden nationalen Umsetzungsgesetze nahezu umfassend den Bereich der Maschinensicherheit regeln, bleibt hier für eigenständiges autonomes Recht der Berufsgenossenschaften kein Raum mehr. Konsequenz der Maschinen-Richtlinie und ihrer Umsetzungsgesetze ist deshalb, dass eine Vielzahl an Unfallverhütungsvorschriften, die Beschaffenheitsanforderungen für Maschinen aufstellten, obsolet geworden 170 Vgl. ausführlich zum Einfluss der ArbStättVO auf die berufsgenossenschaftliche Rechtsetzung: Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 15 ff. 171 Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 (BGBl. 2001, I, S. 1714 ff.). 172 Gentechnik-Sicherheitsverordnung, in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.3.1995 (BGBl. 1995, I, S. 297 ff.). 173 Biostoffverordnung vom 27.1.1999 (BGBl. 1999, I, S. 50 ff.). Die BioStoffVO dient i. V. m. dem ArbSchG der Umsetzung der EG-Richtlinie 90/679/EWG vom 26.11.1990 (ABl. EG 1990, Nr. L 374, S. 1 ff.) über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (7. Einzelrichtlinie i. S. v. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG (sog. Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie); ausführlich zur RL 89/391/EWG siehe: 3. Kap. B. I. 4. a). 174 RL 89/392/EWG vom 14.6.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 9 ff. 175 Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte vom 6.1.2004 (BGBl. 2004, I, S. 2 ff.). 176 Neunte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz vom 12.5.1993 (BGBl. 1993, I, S. 704 ff.). 177 Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 446; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 102; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 72; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 88.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 101

sind und die Berufsgenossenschaften erhebliche Kompetenzeinbußen erfahren mussten178. Gegenstand von Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII können darüber hinaus auch Maßnahmen sein, die der Arbeitgeber zur Unfallverhütung zu treffen hat. Der Begriff der „Maßnahme“ umfasst alle sonstigen präventionsbezogenen Vorkehrungen, die der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren dienen179. Hierzu zählen beispielsweise Informationen, Schulungen oder Bewusstseinsbeeinflussung, um das Sicherheitsverhalten der Beschäftigten zu verbessern180. Allerdings ist zu beachten, dass auch die §§ 3 ff. ArbSchG den Arbeitgeber zu einem präventionsgemäßen Verhalten verpflichten181. So bestimmt § 3 Abs. 1 ArbSchG, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, „die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen“. Konkretisiert wird diese Generalklausel durch die weiteren Bestimmungen des ArbSchG sowie durch spezielle Gesetze des Arbeitsschutzrechts, wie die GefStoffVO, die ArbStättVO oder die BildscharbVO182. Insofern erfährt der berufsgenossenschaftliche Gestaltungsspielraum durch das ArbSchG Einschränkungen. Für die Ermächtigung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII kann also festgestellt werden, dass den Unfallversicherungsträgern dem Gesetzeswortlaut nach eine Regelungsbefugnis von erheblichem Umfang zugestanden wird. Aufgrund vielfältiger und detaillierter, dem autonomen Unfallverhütungsrecht vorrangigen Regelungen des staatlichen Arbeitsschutzes erfährt die Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger jedoch erhebliche Kompetenzeinbußen, die viele ihrer früheren Regelungen hinfällig werden lässt. Besonders im Bereich der sicherheitstechnischen Anforderungen an Maschinen wird die Rechtsetzungskompetenz der Unfallversicherungsträger nahezu völlig durch die staatlichen Regelungen verdrängt.

178 Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 50; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 7; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 89; siehe hierzu auch: 3. Kap. C. I. 179 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 8; Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 35; Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 24; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 14; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 14. 180 Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 24. 181 Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 35. 182 Kothe, in: Kollmer, ArbSchG, § 3 Rn. 26.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

bb) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII betreffen das Verhalten der Versicherten zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Die in den Unfallverhütungsvorschriften aufgestellten Verhaltenspflichten können sich sowohl auf die versicherte Tätigkeit als solche, als auch auf andere versicherte Verrichtungen wie Pausen, Betriebswege oder den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit beziehen183. Sie können dem Schutz des Versicherten selbst oder dem Schutz eines anderen Versicherten sowie des nicht versicherten Unternehmers dienen184. Außerdem können sie im Sinne der Solidargemeinschaft jedes Verhalten zum Gegenstand haben, das auf die Minimierung von Entschädigungslasten durch Arbeitsunfälle abzielt185. Möglicher Gegenstand von Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII ist damit jedes Verhalten, das Versicherungsfälle oder arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren des Versicherten sowie Dritter hervorrufen kann. Allerdings enthalten auch die §§ 15, 16 ArbSchG entsprechende Verpflichtungen der Versicherten. So müssen die Beschäftigten gem. § 15 Abs. 1 ArbSchG „nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge [. . .] tragen“. Weiterhin wird den Beschäftigten in § 15 Abs. 2 ArbSchG aufgeben, die vorhandenen Schutzvorrichtungen und die persönliche Schutzausrüstung ordnungsgemäß zu verwenden. § 16 ArbSchG normiert ferner besondere Unterstützungspflichten der Beschäftigten. Insbesondere sind sie verpflichtet, dem Arbeitgeber „jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden“. Neben diesen Vorgaben des ArbSchG bestehen weitere Verhaltenspflichten für die Versicherten in Spezialgesetzen, wie beispielsweise in der BioStoffVO186. Gem. § 11 Abs. 3 S. 1 BioStoffVO dürfen die Beschäftigten „an Arbeitsplätzen, an denen die Gefahr einer Kontamination durch biologische Arbeitsstoffe besteht, keine Nahrungs- und Genussmittel zu sich nehmen“. Beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, die Verpflichtungen der Versicherten normieren, haben die Berufsgenossenschaften mithin so183

Eiermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 15 Rn. 47; Kranig/ Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 27; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 15 Rn. 16; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 11; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 15 Rn. 34. 184 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 27; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 7. 185 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 27. 186 Weitere Spezialgesetze, die den Versicherten arbeitsschutzrechtliche Verpflichtungen aufgeben, sind z. B. das ArbZG, das BBiG oder das MuSchG.

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wohl die allgemeinen Vorschriften der §§ 15, 16 ArbSchG als auch sämtliche spezialgesetzlichen Vorgaben zu beachten und dürfen keine entgegenstehenden – und nach neuer Rechtslage keine gleichlautenden Unfallverhütungsvorschriften erlassen. Mithin ist auch im Bereich des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII der Gestaltungsspielraum der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung geringer, als seine Formulierung zunächst vermuten lässt. cc) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII ermächtigt die Unfallversicherungsträger zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, die die Vorgaben hinsichtlich der vom Unternehmer zu veranlassenden arbeitsmedizinischen Untersuchungen und Maßnahmen konkretisieren. Gegenstand der Unfallverhütungsvorschriften kann allerdings nicht die allgemeine arbeitsmedizinische Betreuung der Beschäftigten sein, die der Aufdeckung von arbeitsplatzbedingten Gesundheitsgefahren durch Untersuchung und Beratung des Arbeitnehmers sowie durch Begehung des Arbeitsplatzes dient187, um eine mögliche Erkrankung zu verhindern. Die allgemeine arbeitsmedizinische Betreuung wird von den Betriebsärzten aufgrund des ASiG vorgenommen188, zu dessen Konkretisierung die Unfallversicherungsträger aufgrund der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII befähigt sind189. Spezielle arbeitsmedizinische Untersuchungen werden demgegenüber mit dem Ziel durchgeführt, die Eignung oder Tauglichkeit einer Person für die Tätigkeit an einem mit besonderen Gesundheitsgefahren verbundenen Arbeitsplatz zu überprüfen190. Rechtsgrundlagen für solche speziellen arbeitsmedizinischen Untersuchungen finden sich sowohl im staatlichen Arbeitsschutzrecht als auch in Unfallverhütungsvorschriften. Für das staatliche Arbeitsschutzrecht sind hier insbesondere die §§ 37 ff. RöV191, §§ 15, 16 GefStoffVO192, §§ 15 f. BioStoffVO, §§ 13 f. LärmVibrationsArSchVO193 sowie §§ 60 ff. StrlSchVO von Relevanz. Das autonome Recht der Unfallversicherungsträ187

§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 3 ASiG. Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 30 f.; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 24. Die Aufgaben der Betriebsärzte sind in § 3 ASiG normiert. 189 Siehe hierzu unten: 2. Kap. C. II. 1. b) ff). 190 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 32; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 24. 191 Röntgenverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.4.2003 (BGBl. 2003, I, S. 604 ff.). 192 Gefahrstoffverordnung vom 23.12.2004 (BGBl. 2004, I, S. 3758 ff.). 193 Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung vom 6.3.2007 (BGBl. 2007, I, S. 261 ff.). 188

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

ger stellt in der Unfallverhütungsvorschrift „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ (BGV A4) Regelungen für spezielle arbeitsmedizinische Untersuchungen auf. In Anbetracht der Fülle an staatlichen Vorgaben für den Bereich der arbeitsmedizinischen Untersuchungen haben die Unfallversicherungsträger nur einen sehr begrenzten Gestaltungsspielraum für den Erlass eigener Regelungen, so dass die den Unfallversicherungsträgern ursprünglich zugestandene Regelungskompetenz auch hier stark eingeschränkt wurde. Aus diesem Grund wird sogar seitens des Spitzenverbandes der Unfallversicherungsträger angedacht, keine eigenständige Unfallverhütungsvorschrift „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ mehr zu erlassen, sondern sie in die BGV A1 zu integrieren194. dd) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VII Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VII werden die Unfallversicherungsträger ermächtigt, die Qualifikationen zu normieren, die die mit den arbeitsmedizinischen Untersuchungen beauftragten Ärzte zu erfüllen haben. Dabei umfasst diese Ermächtigung sowohl die Regelung der von den Ärzten zu fordernden fachlichen Qualifikationen als auch die Festlegung der materiellen Ausstattung der Arztpraxen195. Schon der Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VII schränkt jedoch den berufsgenossenschaftlichen Regelungsspielraum ein, indem dort bestimmt wird, dass die Unfallversicherungsträger nur dann entsprechende Unfallverhütungsvorschriften erlassen können, wenn „die ärztliche Untersuchung nicht durch eine staatliche Rechtsvorschrift vorgesehen ist“. Im Hinblick auf den sich aus der Normenhierarchie ergebenden Vorrang des staatlichen Rechts vor dem autonomen Recht wäre eine solche Einschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigung nicht erforderlich gewesen. Auf Anregung des Bundesrates während des Gesetzgebungsverfahrens wurde sie aber in die Vorschrift aufgenommen, um die Norm „den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen“196. Staatliche Regelungen, die die Qualifikationsvoraussetzungen der Ärzte festlegen, sind beispielsweise § 41 Abs. 1 RöV oder § 64 Abs. 1 StrlSchVO. Nach Maßgabe dieser Vorschriften dürfen nur solche Ärzte zur Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen ermächtigt werden, die eine besondere Fachkunde im Strahlenschutz haben. Ferner verlangen § 15 Abs. 3 BioStoffV sowie § 15 Abs. 3 GefStoffV, dass die Ärzte die Zusatzbezeichnung 194 Vgl. http://www.hvbg.de/d/bgz/praevaus/amed/fragen/index.html#003 (17.12. 2008). 195 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 41; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 15 Rn. 23; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 15 Rn. 9. 196 BT-Drs. 13/4853 S. 17 zu § 15 Abs. 1 Nr. 4.

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Betriebsmedizin führen. In Anbetracht des weiten Anwendungsbereichs der staatlichen Vorschriften wird die berufsgenossenschaftliche Regelungskompetenz von den staatlichen Vorgaben oftmals verdrängt. ee) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII Mit § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII ermächtigt der Gesetzgeber die Unfallversicherungsträger, Unfallverhütungsvorschriften zur Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe zu erlassen. Für den Bereich des staatlichen Arbeitsschutzrechts sind hier insbesondere § 10 ArbSchG und § 6 Abs. 4 ArbStättV197 i. V. m. Anhang „Anforderungen an Arbeitsstätten zu § 3 Abs. 1“ Nr. 4.3 zu beachten. Nach § 10 ArbSchG hat der Arbeitgeber die zur Ersten Hilfe erforderlichen Maßnahmen zu treffen sowie einen Beschäftigten zu ernennen, der die Aufgaben der Ersten Hilfe übernimmt. § 6 Abs. 4 ArbStättV i. V. m. Anhang „Anforderungen an Arbeitsstätten zu § 3 Abs. 1“ Nr. 4.3 schreibt vor, dass der Erste-Hilfe-Raum für Personen mit Rettungstransportmitteln leicht zugänglich und mit den erforderlichen Einrichtungen und Materialien ausgestattet sein muss. Ferner wird verlangt, dass eine Erste-Hilfe-Ausstattung überall dort aufzubewahren ist, wo es die Arbeitsbedingungen erfordern. Da jedoch beide Regelungen nur in Grundzügen die Verpflichtungen des Arbeitgebers im Bereich der Ersten Hilfe festlegen und keine weitergehenden Vorgaben hinsichtlich der erforderlichen Einrichtungen und Sachmittel, der Zahl und Ausbildung der Ersthelfer sowie der Zahl und Ausbildung der Betriebssanitäter machen, verbleiben für die Berufsgenossenschaften Gestaltungs- und Konkretisierungsmöglichkeiten, die sie mit den §§ 24 ff. BGV A1 ausgefüllt haben. ff) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII Auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII können die Unfallversicherungsträger Unfallverhütungsvorschriften erlassen, die das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) konkretisieren. Das ASiG verpflichtet den Arbeitgeber in § 2 und § 5 Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte zu bestellen und legt in § 3 ASiG und § 6 ASiG deren grundlegende Aufgaben fest. Es macht jedoch keine ausführlichen Angaben hinsichtlich des 197 Arbeitsstättenverordnung vom 12.8.2004 (BGBl. 2004, I, S. 2179 ff.). Die ArbStättVO dient der Umsetzung der EG-Richtlinie 89/654/EWG (ABl. EG 1989, Nr. L 393, S. 1 ff.) vom. 30.11.1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten (Erste Einzelrichtlinie im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der RL 89/391/EWG).

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

genauen Gegenstands ihres Einsatzes, der Dauer der Einsatzzeiten sowie bezüglich der erforderlichen Ausbildung198. Aus diesem Grund haben die Unfallversicherungsträger die Aufgabe den Einsatzumfang der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte in einem angemessenen Verhältnis zu den für die Versicherten jeweils drohenden Gefahren festzusetzen199. Mit der Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (BGV A2) sind die Unfallversicherungsträger diesem Normsetzungsauftrag nachgekommen und regeln dort insbesondere den genauen Gegenstand der Einsätze, die Anlässe für eine arbeitsmedizinische oder sicherheitstechnische Betreuung sowie die erforderliche arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Fachkunde. gg) Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII In welcher Anzahl Sicherheitsbeauftragte im Sinne von § 22 SGB VII zu bestellen sind, können die Berufsgenossenschaften gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII in Unfallverhütungsvorschriften festlegen. Determinanten für die Ermittlung der Zahl der Sicherheitsbeauftragten sind einerseits die in dem Unternehmen für die Beschäftigten bestehenden arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie andererseits die Zahl der Beschäftigten200. Die Normsetzungsermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger mit Erlass des § 20 BGV A1 sowie der dazugehörigen Anlage 2 wahrgenommen. Während § 20 BGV A1 die Funktion der Sicherheitsbeauftragten klärt und für alle Unfallversicherungsträger gilt, wird in der Anlage 2 zu § 20 BGV A1 die genaue Anzahl der zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten differenzierend nach Berufsgenossenschaften und Gefährdungssituation geregelt. Zur Bestimmung der Gefährdungssituation stellen einige Berufsgenossenschaften auf die Anzahl der Beschäftigten unter Berücksichtigung der jeweiligen Gefahrenklasse201 ab202, andere se198 Lediglich im Anhang EV Auszug aus EinigVtr Anlage I Kapitel VII Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 12 d, e (BGBl. 1990, II, S. 889, 1029) sind Mindestwerte für die Einsatzzeit der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit enthalten. Allerdings bestimmt Anhang EV Auszug aus EinigVtr Anlage I Kapitel VII Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 12 f, dass an die Stelle der Bestimmungen der Buchstaben d und e entsprechende Bestimmungen aus Unfallverhütungsvorschriften treten, soweit der betroffene Arbeitgeber Mitglied eines Unfallversicherungsträgers ist, der Unfallverhütungsvorschriften im Sinne von § 14 ASiG erlassen hat. In diesem Fall sind die Unfallverhütungsvorschriften also gegenüber dem staatlichen Recht ausnahmsweise vorrangig. 199 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 15 Rn. 45; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 20.1. 200 § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII. 201 Zur Ermittlung der Gefahrenklassen vgl. unten: 2. Kap. C. II. 6. a).

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 107

hen allein die Anzahl der Beschäftigten als maßgeblich an203. Ebenso wie Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII dienen die Unfallverhütungsvorschriften, die aufgrund von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII ergehen, der Konkretisierung von staatlichen Gesetzen. In diesem Rahmen kommt den Unfallversicherungsträgern der erforderliche Gestaltungsspielraum zu, den sie benötigen, um ihrer Ergänzungsfunktion zu entsprechen. hh) Zwischenergebnis Dem Gesetzeswortlaut nach werden den Unfallversicherungsträgern mit § 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII in den wesentlichen Bereichen der Präventionsarbeit umfangreiche Rechtsetzungsbefugnisse zugestanden. Nach genauerer Analyse der Vorschrift unter Berücksichtigung des staatlichen Arbeitsschutzrechts wird jedoch deutlich, dass gerade in den Bereichen, in denen den Berufsgenossenschaften dem ersten Anschein nach die bedeutendsten Gestaltungsspielräume überantwortet wurden, die engmaschigsten staatlichen Regelungen existieren. Soweit die Unfallverhütungsvorschriften dem staatlichen Arbeitsschutzrecht nicht widersprechen, war es den Unfallversicherungsträgern bislang zwar möglich, gleichlautende Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen oder bereits existierende Vorschriften beizubehalten. Ein solches Vorgehen würde aber zu einer Fülle von Doppelregelungen führen, die für die Normadressaten eine erhebliche Rechtsunsicherheit bedeuten würde204, so dass zumindest der Erlass gleichlautender Regelungen nach der Neufassung des § 15 SGB VII durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz auch nicht mehr zulässig ist. Im Hinblick auf das Erfordernis eines verständlichen und übersichtlichen Regelwerks beschloss der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften schon 1996 eine Neuordnung des berufsgenossenschaftlichen Regelungswerkes, das der geänderten rechtlichen Situation Rechnung trug und mit einer erheblichen 202 So beispielsweise BG Feinmechanik und Elektrotechnik, die Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft oder die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, vgl. hierzu: Anlage 2 zu § 20 BGV A1 in der Fassung der jeweiligen Berufsgenossenschaft. 203 So beispielsweise die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft, die Berufsgenossenschaft der Gas-, Fernwärme und Wasserwirtschaft, die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, die Holz-Berufsgenossenschaft, die Papiermacher-Berufsgenossenschaft, die Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung, die Fleischerei-Berufsgenossenschaft oder die Zucker-Berufsgenossenschaft, vgl. hierzu: Anlage 2 zu § 20 BGV A1 in der Fassung der jeweiligen Berufsgenossenschaft. 204 Fischer/Rentrop, in: Die BG 1997, S. 456, 456; auf die Unverständlichkeit des früheren Vorschriftenwerkes weist auch Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 18 hin.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Straffung der Vorschriften einherging205. Insbesondere der Bereich der Beschaffenheitsanforderungen für Maschinen, der lange Zeit zu den traditionellen Bereichen von Unfallverhütungsvorschriften zählte206, ist seit der Neuordnung des berufsgenossenschaftlichen Vorschriftenwerkes aufgrund der umfangreichen Geltung der Maschinenrichtlinie nicht mehr Gegenstand von Unfallverhütungsvorschriften207. Insoweit läuft die Rechtsetzungsermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII leer. Die autonome Rechtsetzung der Unfallversicherungsträger konzentriert sich seither vielmehr auf die Regelung der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation, wie die Einzelheiten der Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte sowie die arbeitsmedizinische Vorsorge208. So wird der Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger in den Bereichen ein Gestaltungsspielraum zugestanden, die die betriebliche Arbeitsschutzorganisation betreffen, wie die arbeitsmedizinische Vorsorge (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VII), die Erste Hilfe (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII), die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII) oder die Sicherheitsbeauftragten (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII). Es kann damit festgestellt werden, dass der Umfang der gesetzlichen Ermächtigung nicht den tatsächlichen Gestaltungsbefugnissen berufsgenossenschaftlicher Selbstverwaltung entspricht. Insoweit wurde zwar das Regelungswerk der Unfallversicherungsträger durch die Neuordnung von 1996 den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst, nicht aber das SGB VII. Erst mit der Neufassung des § 15 Abs. 1 SGB VII durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz gibt auch der Gesetzeswortlaut die tatsächliche Bedeutung der Unfallerhütungsvorschriften wieder: So ist nach dem Reformgesetz der Erlass von Unfallverhütungsvorschriften nur dann zulässig, „soweit dies zur Prävention geeignet und erforderlich ist und staatliche Arbeitsschutzvorschriften hierüber keine Regelungen treffen“209. Hiermit wird nun auch gesetzlich der Vorrang des staatlichen Arbeitsschutzrechts vor dem berufsgenossenschaftlichen Satzungsrecht festgeschrieben210. 205 Vgl. hierzu die von der Mitgliederversammlung der gewerblichen Berufsgenossenschaften aufgestellten Thesen zur Neuordnung des berufsgenossenschaftlichen Vorschriften- und Regelwerkes, abgedruckt in: Die BG 1997, S. 456, 456. Vgl. außerdem den zur gleichen Zeit angestrebten Prozeß zur Neuordnung des Arbeitsschutzrechts des BMA und das von ihm formulierte Leitlinienpapier „Leitlinien zur künftigen Gestaltung des Vorschriften und Regelwerks im Arbeitsschutz“, abgedruckt in: BArBl. 6/2003, S. 48 ff. 206 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 3. 207 Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 21. 208 Fischer/Rentrop, in: Die BG 1997, S. 456, 458; Pinter, in: Koll/Janning/Pinter, ArbSchG, § 21 Rn. 21. 209 § 15 Abs. 1 SGB VII n. F., BGBl. 2008, I, S. 2130, 2131. 210 BT-Drs. 16/9154, S. 67.

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2. Überwachung a) Mittelauswahl und Überwachungsanlass Traditioneller Bestandteil berufsgenossenschaftlicher Unfallverhütungsarbeit ist seit jeher die Überwachung der Mitgliedsunternehmen bei der Erfüllung ihrer präventionsrechtlichen Verpflichtungen211. Seine gesetzliche Grundlage findet der Überwachungsauftrag in § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Er bezieht sich auf die Überwachung der Unfallversicherungsträger bei der Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirksame Erste Hilfe. Unbeachtlich ist dabei, ob die Maßnahmen auf staatlichem Arbeitsschutzrecht oder auf Unfallverhütungsvorschriften beruhen212. Da der Überwachungsauftrag weit auszulegen ist und sich auf alle Umstände bezieht, die zu Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder sonstigen arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren führen können213, kommt den Unfallversicherungsträgern bei der Erfüllung dieser Aufgabe ein umfangreicher, durch ihre Selbstverwaltung auszufüllender Gestaltungsspielraum, zu214. Insbesondere steht es ihnen frei, mit welchen Mitteln sie die Überwachung durchführen215. In Betracht kommen zunächst alle Befugnisse aus § 19 Abs. 2 SGB VII n. F.216 Danach können die Betriebe besichtigt werden (Nr. 1), Auskünfte vom Unternehmer verlangt (Nr. 2), Unterlagen eingesehen (Nr. 3), Arbeitsmittel und Schutzausrüstungen überprüft (Nr. 4), Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe untersucht (Nr. 5), Proben entnommen (Nr. 6), Unfallhergänge untersucht (Nr. 7) oder Begleitung verlangt werden (Nr. 8). Da es sich bei § 19 Abs. 2 SGB VII n. F. um eine lediglich beispielhafte Darstellung handelt, können die Aufsichtspersonen darüber hinaus auch in anderer Weise als in der in § 19 Abs. 2 SGB VII genannten tätig werden217. Allerdings ist zu beachten, dass die Befugnisse nach § 19 Abs. 2 SGB VII n. F. für die Unternehmer jedenfalls teilweise mit erheb211

Zur Überwachung siehe schon oben: 1. Kap. E. III. Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 16. 213 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 15. 214 Den weiten Gestaltungsspielraum betont ebenfalls: Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 7. 215 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 14; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 19 Rn. 2; Schmitt, SGB VII, § 19 Rn. 2. 216 Früher: § 19 Abs. 1 SGB VII, geändert durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 217 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 19 Rn. 10; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 19 Rn. 2; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 19 Rn. 3; Pinter, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB 212

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

lichen Einschränkungen verbunden sind, so dass ihre Anwendung eine strenge Erforderlichkeitsprüfung verlangt218. Da der Gesetzgeber in § 19 Abs. 2 S. 1 SGB VII n. F. die bedeutsamsten Eingriffsbefugnisse geregelt hat, gilt das Erfordernis der Erforderlichkeitsprüfung umso mehr für Maßnahmen, die sich außerhalb dieser Aufzählung bewegen219, so dass eine Maßnahme von den Aufsichtspersonen nur ergriffen werden darf, wenn sie zur Sicherung einer effektiven Überwachung notwendig ist. Abgesehen von dieser Einschränkung sind die Unfallversicherungsträger und ihre Aufsichtsbeamten frei in der Auswahl ihrer Mittel, die sie zur Überwachung der Unternehmen einsetzen. Soweit die Aufsichtspersonen anlässlich einer Überwachung Missstände aufdecken, die Unfallgefahren darstellen, können sie mit einem so genannten Revisionsschreiben220 reagieren, in welchem sie den Unternehmer auf die Unfallgefahr hinweisen. In Betracht kommt darüber hinaus der Erlass einer verbindlichen Einzelfallanordnung im Sinne von § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F.221. Wie die Unfallversicherungsträger reagieren, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und liegt somit im Ermessen der Berufsgenossenschaften. Neben der weiten Mittelauswahl ist der umfangreiche Gestaltungsspielraum der Unfallversicherungsträger bei der Überwachung auch der Tatsache zu verdanken, dass die Überwachung nicht verschuldens-, sondern gefährdungsorientiert erfolgt. Das bedeutet, dass der Überwachungstätigkeit jegliche Umstände zugrunde zu legen sind, die möglicherweise zu Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren führen können, und dass die Berufsgenossenschaften nicht erst dann tätig werden dürfen, wenn eine arbeitsschutzrechtliche Pflicht schuldhaft verletzt wurde222. Auslöser für Überwachungen können ein gehäuftes Auftreten von Versicherungsfällen, bestimmte Erkenntnisse oder Informationen über in einem Unternehmen bestehende Gefährdungen sein; es sind aber auch reine Routineüberwachungen möglich.

VII, § 19; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 19 Rn. 2; Schmitt, SGB VII, § 19 Rn. 2. 218 § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3, 5 SGB VII verlangen schon ihrem Wortlaut nach die Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahme für eine wirksame Überwachung. Vgl. zum Kriterium der Erforderlichkeit Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 19 Rn. 11; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 19 Rn. 2; Schmitt, SGB VII, § 19 Rn. 2. 219 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 19 Rn. 10. 220 Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 3. 221 Früher § 17 Abs. 1 S. 2 SGB VII, geändert durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, BGBl. 2008, I, S. 2130, 2132. 222 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 11.

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b) Beschäftigung der Aufsichtspersonen Um eine wirksame Überwachung der Unternehmen sicherzustellen, sind die Unfallversicherungsträger gem. § 18 Abs. 1 SGB VII verpflichtet, Aufsichtspersonen in der erforderlichen Zahl anzustellen. Die Berufsgenossenschaften haben demnach zu entscheiden, wie viele Aufsichtspersonen beschäftigt werden. Ihr Beurteilungsspielraum ist allerdings insofern beschränkt, als die Aufsichtspersonen zumindest ausreichende Kapazitäten haben müssen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können223. Aus diesem Grund sind bei der Entscheidung über die Anzahl der zu beschäftigenden Aufsichtspersonen die Struktur der Berufsgenossenschaft, die Art der Gewerbezweige, die Zahl und Größe der Mitgliedsunternehmen sowie die Art der Arbeitsverfahren zu berücksichtigen224. Die Berufsgenossenschaften sind verpflichtet, nur hinreichend qualifizierte Personen als Aufsichtspersonen zu beschäftigen, um die Qualität der Überwachungsarbeit zu sichern. Die erforderliche Befähigung müssen die Aufsichtspersonen gem. § 18 Abs. 2 SGB VII in Form einer von den Unfallversicherungsträgern abzunehmenden Prüfung nachweisen. Die konkrete Ausgestaltung der Prüfung, insbesondere Bestimmungen zur Prüfungszulassung, zum Prüfungsgegenstand, dem Ergebnis und der Zusammensetzung des Prüfungsausschusses225, muss gem. § 18 Abs. 2 S. 2 SGB VII in einer von den Berufsgenossenschaften zu erlassenden Prüfungsordnung festgelegt werden226. Die Ermächtigung zum 223

Schmitt, SGB VII, § 18 Rn. 3 spricht insofern von einer Untergrenze. Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 18 Rn. 10; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 18 Rn. 3; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 18 Rn. 1; Pinter, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 18 Rn. 2; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 18 Rn. 3. 225 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 18 Rn. 15; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 18 Rn. 10; vgl. auch die Prüfungsordnung I der gewerblichen Berufsgenossenschaften, abgedruckt bei Pinter, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 18 Rn. 27. 226 Wer innerhalb der Organisation der Unfallversicherungsträger für den Erlass der Prüfungsordnung zuständig ist, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Zu beachten ist aber, dass die Ordnung Regelungen enthält, die über die Befähigung zur Ausübung der Aufsichtstätigkeit entscheiden und die damit verbindliche Wirkung gegenüber Dritten haben. Insofern ist sie mit den von den Vertreterversammlungen der Berufsgenossenschaften nach § 144 S. 1 SGB VII aufzustellenden Dienstordnungen vergleichbar, da auch hier verbindliche Regelungen für die von den Unfallversicherungsträgern angestellten Personen getroffen werden, die außerhalb der Selbstverwaltungsgemeinschaft stehen. Ebenso wie Dienstordnungen haben die Prüfungsordnungen somit Bedeutung für die rechtliche Stellung von Dritten (vgl. Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 18 Rn. 12). Unter Heranziehung des Gedankens der vom Bundesverfassungsgericht begründeten Wesentlichkeitstheorie (BVerfGE 61, 260, 275 f.; 88, 103, 116) ist in einer Angelegenheit, die die rechtliche Situation der Prüflinge in wesentlichen Bereichen berührt, eine von der Gesamtheit der Selbstver224

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Erlass der Prüfungsordnung gibt der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung weit reichende Befugnisse, da sie auf dieser Grundlage generelle rechtliche Regelungen erlassen können, die auch Wirkung für Dritte, nämlich für die auszubildenden Aufsichtspersonen, haben. Darüber hinaus ist diese Ermächtigung für die Effektivität der berufsgenossenschaftlichen Präventionstätigkeit von Bedeutung, da sie den Unfallversicherungsträger die Kompetenz überträgt, für die Befähigung zur Durchführung der Überwachungsaufgabe ein gewisses fachliches Niveau festzulegen und somit die Qualität der berufsgenossenschaftlichen Prävention zu sichern. c) Zwischenergebnis In Anbetracht der geringen Regelungsdichte besteht für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung im Rahmen der Überwachungstätigkeit ein Gestaltungsspielraum von substantiellem Wert. Dies gilt insbesondere für den Bereich der von ihnen zu beschäftigenden Aufsichtspersonen, da sowohl die Anzahl der einzustellenden Aufsichtspersonen, als auch die von ihnen nachzuweisende Befähigung von den Unfallversicherungsträgern festgelegt werden. Darüber hinaus kommen den Unfallversicherungsträgern weite Gestaltungsmöglichkeiten bei der Ausführung der Überwachung zu, indem sie über die Häufigkeit der Überwachung und die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden können. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Einfluss des staatlichen Arbeitsschutzrechts verändert. Nach dem dualen Arbeitsschutzsystem227 sind zwar sowohl die Berufsgenossenschaften als auch die staatlichen Arbeitsschutzbehörden für die Überwachung der Betriebe zuständig. Allerdings geht die staatliche Überwachungstätigkeit der berufsgenossenschaftlichen nicht vor, vielmehr ergänzen sich beide Überwachungsdienste. So bezieht sich die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit228 vorrangig auf den gegenseitigen Erfahrungsaustausch und die Unterrichtung über durchgeführte Betriebsbesichtigungen sowie deren wesentlichen Ergebnisse229, um auf diese Weise Mehrfachüberwachungen desselben Betriebes auszuschließen. Eine inhaltliche Beschränkung der berufsgenossenschaftlichen Gestaltungsfreiräume bedingt diese Zusammenarbeit damit nicht230. waltungsgemeinschaft oder zumindest von der Gesamtheit ihrer Vertreter getragene Entscheidung erforderlich. Daraus folgt, dass die Vertreterversammlung und nicht ein Ausschuss die Prüfungsordnung zu erlassen hat (Kranig/Waldeck, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 18 Rn. 14; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 18 Rn. 12). 227 Zum dualen Arbeitsschutzsystem siehe schon oben: 1. Kap. C. II. 228 § 20 SGB VII, § 21 ArbSchG. 229 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 20 Rn. 5 f.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 113

3. Beratung Ebenso wie die Überwachung wird auch die Beratung von den Aufsichtspersonen durchgeführt231. Schon aufgrund der Struktur der Unfallversicherungsträger als Zusammenschluss von Unternehmern gehört die Beratung der Mitglieder zu den Hauptaufgaben der Berufsgenossenschaften232. Aus diesem Grund impliziert die Beratungstätigkeit neben der Information der Unternehmer über Entwicklungen im Arbeitsschutz insbesondere Hilfestellungen zur Ermittlung von Gefährdungspotential und Unterstützung der Unternehmer bei der Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz233. Inhaltliche Vorgaben, wie die Beratung zu erfolgen hat, enthält des SGB VII nicht. § 17 Abs. 1 S. 1 SGB VII bestimmt lediglich, dass die Beratung zu den Aufgaben der Unfallversicherungsträger gehört. Über Art und Weise der Beratung entscheidet der Aufsichtsbeamte im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen234. Demnach besteht ebenso wie im Bereich der Überwachung ein erheblicher Gestaltungsspielraum für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung. 4. Aus- und Fortbildung der für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen Gem. § 23 Abs. 1 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger für die erforderliche Aus- und Fortbildung der Personen in den Unternehmen zu sorgen, die mit der Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie mit der Ersten Hilfe betraut sind. Hierzu zählen insbesondere der Unternehmer und sein Stellvertreter, Vorgesetzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte, Sicherheitsbeauftragte, Ersthelfer, Betriebssanitäter, Betriebs- und Personalräte sowie sonstige Personen, die vom Unternehmer mit Präventionsaufgaben beauftragt wurden235. Unter dem Begriff der 230 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 20 Rn. 6; § 14 Rn. 3.1. 231 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 7.4; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 5. 232 Rentrop, in: Lauterbach, SGB VII, § 17 Rn. 34. 233 Andrejs, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 42 Rn. 12; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 17 Rn. 7 ff.; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 17 Rn. 36. 234 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 17 Rn. 20. 235 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 23 Rn. 9; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 23 Rn. 3; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 23 Rn. 5; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 23

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Ausbildung ist in diesem Zusammenhang nicht die berufliche Ausbildung, sondern die Vermittlung von besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Prävention zu verstehen, die die jeweilige Person im Unternehmen zur Aufgabenerfüllung benötigt236. Fortbildung meint demgegenüber alle Maßnahmen, die die Kenntnisse erhalten, erweitern oder den fortschreitenden technischen Gegebenheiten anpassen237. Auf welche Weise die Aus- und Fortbildungsaufgabe von den Unfallversicherungsträgern zu erfüllen ist, hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben, so dass hinsichtlich der Einrichtung und Durchführung der Ausbildungen der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung ein erheblicher Handlungsspielraum verbleibt238. Die Vorgabe für eine „erforderlichen Aus- und Fortbildung“ zu sorgen, verlangt lediglich, dass in dem Lehrgang die Kenntnisse vermittelt werden, die zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe notwendig sind239. Daraus ergibt sich, dass unterschiedliche Aus- und Fortbildungsveranstaltungen für beispielsweise Fachkräfte für Arbeitssicherheit240, Betriebsärzte, Unternehmer und Sicherheitsbeauftragte241 anzubieten sind. Für die Ausbildungsdurchführung kommt insbesondere die Wissensvermittlung in ein- oder mehrtägigen Kursen in Betracht, die die Unfallversicherungsträger in ihren eigenen Ausbildungsstätten aber auch vor Ort in den Unternehmen veranstalten können. Weiterhin besteht für die Berufsgenossenschaften die Möglichkeit, Veranstaltungen anderer Stellen mitzufinanzieren oder an Einrichtungen mit entsprechenden Veranstaltungen mitzuwirken242. Insgesamt ist die AusRn. 2; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 6 f.; Schmitt, SGB VII, § 23 Rn. 4; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 23 Rn. 4. 236 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 23 Rn. 3; Molkentin, in: Franke/Molkentin, § 23 Rn. 2; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 9; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 23 Rn. 5. 237 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 23 Rn. 4; Molkentin, in: Franke/Molkentin, § 23 Rn. 2; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 9. 238 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 23 Rn. 4; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 11; Wiester, in: Brackmann, SGB VII, § 23 Rn. 6. 239 Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 11. 240 Zu Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Fachkräfte für Arbeitssicherheit siehe: § 4 Abs. 2 Nr. 3 BGV A2 (in der Fassung der Bergbau-Berufsgenossenschaft). 241 Zu Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Sicherheitsbeauftragte siehe: § 20 BGV A1. 242 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 23 Rn. 4; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 23 Rn. 11; Rentrop, a. a. O. gibt in Anhang 1 eine Zusammenstellung der berufsgenossenschaftlichen Ausbildungsstätten.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 115

und Fortbildung der für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen ein Bereich, in dem die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung mangels detaillierter gesetzlicher Vorgaben einen erheblichen Gestaltungsspielraum hat. 5. Überbetrieblicher arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Dienst Zur Sicherung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung der Unternehmer nach dem ASiG können die Unfallversicherungsträger nach § 24 Abs. 1 SGB VII überbetriebliche arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Dienste einrichten243. Sinn dieser Dienste ist die Gewährleistung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung auch in solchen Betrieben, in denen der Unternehmer keine hauptamtlich tätigen Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte einstellen kann oder will244. Es liegt im Ermessen der Unfallversicherungsträger, ob sie überhaupt einen solchen Dienst aufbauen245. Dabei kann es sich um einen eigenen Dienst oder um einen mit anderen Berufsgenossenschaften gemeinsam eingerichteten arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienst handeln246. Sinnvoll ist die Errichtung eines arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienstes immer dann, wenn eine Berufsgenossenschaft mehrere kleine und mittlere Unternehmen als Mitglieder hat, für die eine betriebseigene Bestellung von Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften nicht zweckmäßig ist247. Soweit sich die Unfallversicherungsträger für die Einrichtung eines arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienstes entscheiden, verlangt der Gesetzgeber in § 24 Abs. 1 S. 3 SGB VII, dass der Dienst organisatorisch, räumlich und personell von den übrigen Organisationseinheiten des Unfallversicherungsträgers zu trennen ist. Damit soll verhindert werden, dass der Unfallversicherungsträger als Sozialleistungsträger an Daten gelangt, die er als Träger des arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen 243 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 24 Rn. 1; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 24 Rn. 1; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 24 Rn. 1; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 24 Rn. 2; Schmitt, SGB VII, § 24 Rn. 3. 244 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 2; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 4. 245 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 24 Rn. 5. 246 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 24 Rn. 2; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 24 Rn. 2; Schmitt, SGB VII, § 24 Rn. 3. So auch der Wille des Gesetzgebers: BT-Drs. 13/2204, S. 82. 247 Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 12.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Dienstes bekommen hat. Eine Verknüpfung der Daten wird also durch eine datenrechtliche Abschottung unterbunden248. Die organisatorische Trennung verlangt, dass der arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Dienst als eine organisatorische Untereinheit des Unfallversicherungsträgers errichtet wird und damit eigene Strukturen und Verwaltungsabläufe hat249. Die Vorgabe der personellen Trennung verbietet Doppelfunktionen für den Unfallversicherungsträger und den arbeitsmedizinischen Dienst250. Die räumliche Trennung erfordert schließlich, dass datenschutzrechtlich relevante Räume nicht von beiden Einrichtungen genutzt werden dürfen251. Abgesehen von diesen datenschutzrechtlichen Bestimmungen kommt den Unfallversicherungsträgern bei der Einrichtung und Ausgestaltung der Dienste ein umfangreicher Gestaltungsspielraum zu252. Sie dürfen gem. § 24 Abs. 1 S. 1 SGB VII „das Nähere“ in der Satzung regeln. So können sie beispielsweise die Zuständigkeit des Dienstes auf bestimmte Unternehmensarten beschränken sowie Beginn und Ende der Zugehörigkeit zu einem Dienst oder die Austrittsfristen festlegen253. Gem. § 151 SGB VII sind die Unfallversicherungsträger ermächtigt, in ihrer Satzung Bestimmungen zur Finanzierung des Dienstes durch die Unternehmer zu treffen. Weitere Gestaltungsspielräume kommen den Unfallversicherungsträgern bei der Entscheidung über die Einführung eines Anschlusszwanges zu. Nach § 24 Abs. 2 SGB VII können sie in ihrer Satzung bestimmen, dass die Unternehmer verpflichtet sind, sich dem überbetrieblichen arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienst anzuschließen, wenn sie innerhalb einer von den Unfallversicherungsträgern bestimmten Frist nicht in einem ausreichenden Umfang Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit bestellen. Ob die Berufsgenossenschaften eine solche Anschlussverpflichtung begründen, liegt in ihrem Ermessen254. Es steht ihnen frei, die Verpflichtung nur auf bestimmte 248 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 24 Rn. 14 f.; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 6; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 18. 249 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 6.1; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 24 Rn. 5; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 19. 250 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 6.3; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 24 Rn. 5; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 19. 251 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 6.2; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 24 Rn. 5; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 20. 252 BSG, in: SGb 2000, S. 274, 277. 253 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 24 Rn. 11; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 24 Rn. 5. 254 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 24 Rn. 7; Rentrop, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 24 Rn. 25.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 117

Unternehmen zu erstrecken, die beispielsweise eine gewisse Größe nicht überschreiten oder einer bestimmten Gefahrenklasse angehören. Auch die Bestimmung der Frist im Sinne des § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VII unterliegt dem Gestaltungsspielraum der Unfallversicherungsträger. Keinen Gestaltungsspielraum haben die Unfallversicherungsträger allerdings hinsichtlich der Rechtsform des Dienstes, da im Hinblick auf die in § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VII geregelte Möglichkeit eines Anschlusszwanges einzig eine öffentlich-rechtliche Organisationsform in Betracht kommt255. Abgesehen von dieser Einschränkung sowie den datenschutzrechtlichen Vorgaben des § 24 Abs. 1 SGB VII kommt den Berufsgenossenschaften bei der Errichtung und Ausgestaltung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienste ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, der sie zum Aufbau eigener Organisationsstrukturen ermächtigt. 6. Beitragsrecht a) Gefahrtarif Den §§ 157 ff. SGB VII kommt für die berufsgenossenschaftliche Prävention eine erhebliche Bedeutung zu, da sie durch die Festlegung von Gefahrklassen eine risikobezogene Beitragsgestaltung ermöglichen. So können die Unternehmer auf finanziellem Wege zu einer verbesserten Präventionsarbeit angehalten werden, da eine effektivere Präventionsarbeit zu sinkenden Versicherungsfällen führt, was wiederum die Herabsetzung der Gefahrklasse und damit geringere Beiträge zur Folge hat256. Für die Beitragsstaffelung nach Gefährdungsrisiko ist die Festsetzung des Gefahrtarifs von maßgeblicher Bedeutung. Hierbei kommen den Berufsgenossenschaften bedeutsame Gestaltungsspielträume zu257. Der Gefahrtarif wird gem. § 157 Abs. 2 S. 1 SGB VII nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrgemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Die zentrale gesetzliche Vorgabe, der die Zusammensetzung der Tarifstellen demnach unterliegt, ist folglich die vergleichbare Gefährdungswahrscheinlichkeit. Gefährdungszusammenhänge bestehen sowohl zwischen den Schadenssummen und den Tätigkeiten der Versicherten als auch zwischen den Schadenssummen und 255 Kranig/Waldeck, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 24 Rn. 5; Leube, in: Kater/ Leube, SGB VII, § 24 Rn. 3; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 24 Rn. 5.3; ferner: Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 24 Rn. 3; offen gelassen von: Schmitt, SGB VII, § 24 Rn. 5. 256 Siehe hierzu schon oben: 1. Kap. E. VII. 2. 257 BSG, in: SozR 4-2700, § 157 Nr. 1, S. 4 f.; zur Verfassungsmäßigkeit dieses weiten Gestaltungsspielraums siehe: BVerfG, in: NZS 2008, S. 144, 146.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

den Gewerbezweigen, denen die Versicherten angehören258. Die Berufsgenossenschaften können demnach Gefahrgemeinschaften mit vergleichbarer Gefährdungswahrscheinlichkeit entweder unter Berücksichtigung der ausgeübten Tätigkeit oder unter Berücksichtigung der Gewerbezweige bilden. Dementsprechend wird zwischen Tätigkeitstarifen und Gewerbezweigtarifen unterschieden259. Der Tätigkeitstarif fasst Gefahrgemeinschaften im Hinblick auf die versicherte Tätigkeit zusammen, so dass die Tarifstellen aus Tätigkeiten mit annähernd vergleichbarem Risiko bestehen260. Theoretisch gewährleistet der Tätigkeitstarif einen hohen Grad an Beitragsgerechtigkeit, da er die einzelnen Risiken der Unternehmen exakt erfasst261. In der Praxis ist der Tätigkeitstarif allerdings im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand, der für die Erfassung aller in den Mitgliedsunternehmen der jeweiligen Berufsgenossenschaft ausgeübten Tätigkeiten notwendig ist, kaum durchsetzbar262. Aus diesem Grund wird mittlerweile der Gewerbezweigtarif vorgezogen263, der das gesamte Unternehmen mit allen ausgeübten Tätigkeiten in einer Tarifstelle zusammenfasst264. Allerdings existieren auch weiterhin Elemente des Tätigkeitstarifs fort, indem beispielsweise eigene Tarifstellen für Bürotätigkeiten errichtet werden265. 258 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 8; Heldmann, in: Die BG 2007, S. 36, 36; vgl. außerdem: Schulz, Grundfragen des berufsgenossenschaftlichen Gefahrtarifs, Kapitel 1, S. 3 ff. 259 Zur Differenzierung zwischen Gewerbezweig- und Tätigkeitstarif siehe: Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 9; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 91 ff.; ders., in: Die BG 2007, S. 36, 36 f. 260 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 9; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 91; ders., in: Die BG 2007, S. 36; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 157 Rn. 6; Schulz, Grundfragen des berufsgenossenschaftlichen Gefahrtarifs, Kapitel 1, S. 3 ff.; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 5. 261 Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 8; Hartmann, Das Gefahrtarifwesen und die Beitragsberechnung in der Unfallversicherung, S. 23 f.; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 91. 262 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 9; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 8; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 91 f.; Hartmann, Das Gefahrtarifwesen und die Beitragsberechnung der Unfallversicherung, S. 24; in diesem Sinne auch schon Renz, Der Gefahrtarif der gewerblichen Berufsgenossenschaften, S. 53, 56. 263 Zu Beginn der Unfallversicherung wurde auf Anraten des Reichsversicherungsamtes dem Tätigkeitstarif der Vorzug gegeben, siehe: Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes 1888, S. 204. 264 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 157 Rn. 31a; Freischmidt, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 8; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 157 Rn. 6; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 7; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 5. 265 Zur Zulässigkeit einer solchen Vermischung des Gewerbezweigtarifs mit Elementen des Tätigkeitstarifs siehe: BSG, in: SozR 4-2700, § 157 Nr. 1.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 119

Wesentliche Aufgabe der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung bei der Aufstellung von Gefahrtarifen ist die Abgrenzung der einzelnen Gefahrgemeinschaften, die eine eigene Tarifstelle bilden sollen. Insbesondere haben die Unfallversicherungsträger die Frage zu beantworten, welche unterschiedlichen Unfallrisiken und Belastungen innerhalb einer Tarifstelle noch hinnehmbar sind. Soweit es nicht möglich ist, eine eigene Tarifstelle für jeden Gewerbezweig zu bilden, müssen mehrere Gewerbezweige mit annähernd gleichem Risiko zu einer Tarifstelle zusammengefasst werden. Um dies zu gewährleisten, können die Berufsgenossenschaften auf zwei unterschiedliche Prinzipien zurückgreifen: Nach dem Technologieprinzip266 werden in einer Tarifstelle solche Unternehmen zusammengefasst, die sachlich, also beispielsweise hinsichtlich Produktionsverfahren, verwendetem Material oder technischer Einrichtungen, vergleichbar sind. Setzen die Berufsgenossenschaften die Tarifstellen aufgrund des Belastungsprinzips267 zusammen, ist allein die Vergleichbarkeit der Belastungsverhältnisse maßgeblich. Den Unfallversicherungsträgern kommt mangels detaillierterer gesetzlicher Vorgaben bei der Tarifstellenbildung ein großer Gestaltungsspielraum zu, der Platz für Pauschalisierung und Typisierungen lässt268. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die jeweiligen Gefahrgemeinschaften eine hinreichende Größe haben müssen, um den in § 157 Abs. 1 S. 1 SGB VII vorgeschriebenen versicherungsmäßigen Risikoausgleich gewährleisten zu können269. Nach Abschluss der Tarifstellenbildung wird jeder Tarifstelle eine Gefahrklasse zugeordnet, aus der sich das durchschnittliche Gefährdungsrisiko der in ihr zusammengefassten Unternehmen ablesen lässt270. Berechnet werden die Gefahrklassen gem. § 157 Abs. 3 SGB VII aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten. „Gezahlte Leistungen“ in diesem Sinn sind alle Entschädigungsleistungen für Versicherungsfälle des jeweiligen Unfallversicherungsträgers, einschließlich der Wegeunfälle. Unberücksichtigt bleiben Verwaltungsausgaben und Aufwendungen für die Präventionsarbeit271. Dabei erlaubt die Einbeziehung der gezahlten Entschä266 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 12; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 157 Rn. 11a. 267 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 12; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 157 Rn. 11a. 268 Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 6. 269 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 157 Rn. 31a; Freischmidt, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 11; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 12; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 157 Rn. 11a; ausführlich zur erforderlichen Mindesgröße: Schulz, Der Gefahrtarif der gewerblichen Berufsgenossenschaften, S. 83 ff. 270 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 11; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 14.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

digungssummen in die Gefahrklassenbildung Rückschlüsse auf die Anzahl und die Schwere der Versicherungsfälle; die innerhalb des Gewerbezweiges gezahlten Arbeitsentgelte stellen Indikatoren für die Anzahl der dem Risiko ausgesetzten Beschäftigten dar272. Allerdings ist bei der Gefahrklassenberechnung zu bedenken, dass die Berufsgenossenschaften bisweilen Ersatzleistungen für Unfälle zahlen, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Würden solche Altlasten bei der Berechnung Berücksichtigung finden, könnten die Gefahrklassen keinen Aufschluss über die aktuelle durchschnittliche Unfallgefahr einer Tarifstelle geben. Aus diesem Grund praktizieren die Berufsgenossenschaften das so genannte Neulastverfahren, nach dem in die Gefahrtarifberechnung immer nur diejenigen Leistungsfälle mit einbezogen werden, die sich in dem festgelegten Beobachtungszeitraum ereignet haben, der bei den meisten Berufsgenossenschaften auf fünf Jahre festgelegt wurde273. Da die Dauer des Beobachtungszeitraumes allerdings nicht vom Gesetzgeber vorgegeben wird, sind die Berufsgenossenschaften frei, auch einen längeren274 oder kürzeren Beobachtungszeitraum festzulegen275. b) Beitragsausgleichsverfahren Weitere präventionsrechtlich relevante Gestaltungsspielräume der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung bestehen im Zusammenhang mit dem Beitragsrecht im Hinblick auf die Höhe von Beitragszuschlägen oder Beitragsnachlässen im so genannten Beitragsausgleichsverfahren nach § 162 Abs. 1 SGB VII sowie bei der Gewährung von Prämien gem. § 162 Abs. 2 SGB VII276. 271 Peter Becker, in: Die BG 2004, S. 528, 534; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 13; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 18; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 15; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 157 Rn. 14. 272 Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 44; ders., in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 15. 273 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 157 Rn. 28; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 157 Rn. 14; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 19 ff.; Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 331; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 9. 274 Beispielsweise erfordert ein größeres Belastungsgefälle innerhalb einer Gefahrklasse einen längeren Beobachtungszeitraum, um eine solide Belastungsbewertung zu erzielen, vgl. hierzu: Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 20. 275 Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 157 Rn. 15; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 157 Rn. 19 f.; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 9. 276 Daneben kommen der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung im Rahmen der Erhebung eines Mindestbeitrages nach § 161 SGB VII Gestaltungsspiel-

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 121

Das Beitragsausgleichsverfahren nach § 162 Abs. 1 SGB VII ermöglicht es den Unfallversicherungsträgern, die Beiträge durch Zuschläge oder Nachlässe entsprechend der tatsächlichen Unfallgefahr in den einzelnen Unternehmen zu erhöhen oder zu verringern. Es dient damit als weiterer finanzieller Präventionsanreiz und spiegelt mehr noch als der Gefahrtarif das individuelle Unfallrisiko der Unternehmer wider. Im Unterschied zum Gefahrtarif wirkt sich hier nämlich nicht das gruppenspezifische Unfallrisiko der jeweiligen Tarifstelle finanziell für den Unternehmer aus, sondern es wird sein Einzelverhalten durch Beitragszuschläge oder -nachlässe bewertet277. Die insoweit bestehende „nivellierende Wirkung“278 des Gefahrtarifs wird also verringert, um auf diese Weise weitere Anreize für die Präventionsbemühungen des Unternehmers zu geben279. Der Gesetzgeber hat der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung hinsichtlich der Ausgestaltung des Beitragsausgleichsverfahrens erhebliche Gestaltungsspielräume belassen, indem er nur den gesetzlichen Rahmen festlegt280 und ansonsten in § 162 Abs. 1 S. 3 SGB VII bestimmt, dass das Nähere die Satzung regelt. In diesem Sinne betont auch das Bundessozialgericht den weiten berufsgenossenschaftlichen Gestaltungsspielraum, der die Unfallversicherungsträger dazu ermächtigt „kraft ihrer besonderen Sachkunde eigenverantwortlich Entscheidungen [zu] treffen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressaten [zu] verringern. Zugleich wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und örtliche Verschiedenheiten berücksichtigen zu müssen, die für ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veränderung er nicht rasch genug reagieren kann“281. Die Frage, ob überhaupt ein Beitragsausgleichsverfahren durchgeführt wird, steht nicht im Ermessen der Berufsgenossenschaften, da sie gem. § 162 Abs. 1 S. 1 SGB VII verpflichtet sind, „unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle“ Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe räume zu. Hierauf soll aber nicht weiter eingegangen werden, da die Erhebung eines Mindestbeitrags keine Bedeutung für die Präventionstätigkeit hat. 277 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 12; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 1 f.; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 2; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 65; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 2. 278 Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 432. 279 Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 5. 280 LSG Rh.-Pf., in: NZS 2006, S. 496, 498; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 5; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 2; v. HoyningenHuene/Compensis, in: SGb 1992, S. 145, 145; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 5; Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 432. 281 BSG, in: SozR 2200, § 725 Nr. 10, S. 32; den weiten Gestaltungsspielraum betont das Gericht ebenfalls in: SozR 4-2700, § 162 Nr. 1, S. 3.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

zu bewilligen282. Inwieweit die Unfallversicherungsträger allerdings auch solche Versicherungsfälle in das Beitragsausgleichsverfahren mit einbeziehen wollen, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen, auf Betriebswegen oder durch Berufskrankheiten eintreten, können sie gem. § 162 Abs. 1 S. 3 SGB VII eigenverantwortlich in ihrer Satzung festgelegen. Diese Ausschlussmöglichkeit rechtfertigt sich daraus, dass der Eintritt von Versicherungsfällen dieser Art ebenso wie bei den kraft Gesetzes vom Beitragsausgleichsverfahren ausgenommenen Wegeunfällen, außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmers liegt, so dass er sie demnach selbst mit den engagiertesten Präventionsbemühungen nicht hätte verhindern können283. Gesetzlich zwingend ist das Beitragsausgleichsverfahren gem. § 162 Abs. 1 S. 1 SGB VII nur für anzeigepflichtige Versicherungsfälle. Darüber hinaus ermächtigt § 162 Abs. 1 S. 5 SGB VII die Berufsgenossenschaften, in ihrer Satzung zu bestimmen, ob auch die nicht anzeigepflichtigen Versicherungsfälle für die Berechnung der Zuschläge und Nachlässe berücksichtigt werden sollen. Weitere Gestaltungsspielräume haben die Berufsgenossenschaften hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen für die Höhe des Beitragsausgleichs. Nur die heranzuziehenden Bemessungskriterien, die Zahl, die Schwere oder die Aufwendungen für die Versicherungsfälle sind in § 162 Abs. 1 S. 4 SGB VII gesetzlich vorgegeben. Welche Merkmale die jeweilige Berufsgenossenschaft im Rahmen ihres Beitragsausgleichsverfahren anwenden will, ob sie alle drei als maßgeblich ansieht, oder nur zwei oder ein Merkmale einbeziehen will, kann sie unter Berücksichtigung der Struktur ihrer Mitgliedsunternehmen selbst entscheiden284. Da die Merkmale der „Schwere der Versicherungsfälle“ und der „Aufwendungen für Versicherungsfälle“ einer Konkretisierung bedürfen, eröffnen sich für die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung zusätzliche Beurteilungsspielräume: So müssen Abstufungskriterien gefunden werden, anhand derer entschieden 282 Zur Frage, ob auch der freiwillig versicherte Unternehmer in das Beitragsausgleichsverfahren einbezogen werden sollte: Schulz/Stemmler, in: SGb 1998, S. 390, 393 ff. 283 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 27; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 10; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 9 f.; v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: SGb 1992, S. 145, 146; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 4; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 5, 7. 284 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 18; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 35; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 12; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd 2, UV, § 58 Rn. 76; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 15; Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 433 f.; Weiß, in: Franke/ Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 13.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 123

werden kann, welche Schwere ein Versicherungsfall hat. In Betracht kommen beispielsweise die Dauer der durch den Versicherungsfall ausgelösten Arbeitsunfähigkeit, der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die Unfallfolgen (tödlicher Ausgang oder Verletzung) oder der Rentenbezug285. Zur Anwendung des Kriteriums „Aufwendungen für die Versicherungsfälle“ muss bestimmt werden, aus welchem Zeitraum die zu berücksichtigenden Aufwendungen stammen dürfen. Da sich die Kosten vieler Versicherungsfälle oftmals auf mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte erstrecken, können im Hinblick auf den Präventionszweck des Beitragsausgleichsverfahrens, der es verlangt, dass auf das aktuelle Unfallgeschehen reagiert wird, nicht die Gesamtkosten eines Versicherungsträgers berücksichtigt werden286. Vielmehr muss die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung einen Kostenausschnitt aus einem relativ nahen Zeitraum auswählen. Aus diesem Grund werden von vielen Berufsgenossenschaften nur solche Aufwendungen berücksichtigt, die der Unfallversicherungsträger für Versicherungsfälle aufbringen musste, die sich in diesem und dem vergangenen Jahr ereignet haben287. Der Gestaltungsspielraum der Berufsgenossenschaften beschränkt sich allerdings nicht auf die Bemessungsmaßstäbe, sondern besteht auch hinsichtlich der Wahl des Verfahrens für die Berechnung des Beitragsausgleichs288. So können die Unfallversicherungsträger zwischen einem reinen Zuschlagsoder reinem Nachlassverfahren sowie einem kombinierten Zuschlags- und Nachlassverfahren wählen, wobei Grundlage der Verfahren oftmals ein Vergleich der Eigenbelastung des Unternehmers mit der Durchschnittsbelastung 285 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 20; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 14; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 7.2; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 74; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 17; ausführliche Darstellung der Kriterien bei Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 433. 286 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 15; Mehrtens, in: BereiterHahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 7.3; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 75. 287 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 46; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 21; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 15; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 7.3; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 75; Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 433. Zur Zulässigkeit der 2-Jahres-Grenze siehe auch: BSG, in: SozR 2200, § 725 Nr. 7, S. 27 f. 288 LSG Rh.-Pf., in: NZS 2006, S. 496, 498; LSG Berlin-Brandenburg, v. 9.1.2006, Az. L 3 U 58/04, Rz. 24 ff.; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 8; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 5; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 77 ff.; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 8 ff.; a. A.: SG Reutlingen, v. 5.6.2007, Az. S 2 U 1791/06, Rz. 21; Eßling, in: NZS 2005, S. 359, 361.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

der Mitgliedsunternehmen ist289. Im reinen Nachlassverfahren bekommen Unternehmen einen Beitragsnachlass, deren individuelle Belastung die Durchschnittsbelastung unterschreitet290. Im Zuschlagsverfahren wird demgegenüber ermittelt, ob die Einzelbelastung eines Unternehmens die Durchschnittsbelastung der Mitgliedsunternehmen überschreitet. Soweit dies der Fall ist, wird von dem Unternehmen ein Zuschlag erhoben291. Legen die Unfallversicherungsträger in ihrer Satzung ein kombiniertes Zuschlags- und Nachlassverfahren fest, werden Abweichungen der Einzelgefährdungen sowohl nach oben wie nach unten von der Durchschnittsgefährdung ermittelt, um dann sowohl Nachlässe wie auch Zuschläge zu gewähren. Ferner bestehen auch im Rahmen der konkreten Berechnung des Zuschlags oder Nachlasses Gestaltungsmöglichkeiten für die Unfallversicherungsträger292. In Betracht kommen ein einfaches Summationsverfahren, die Berechnung anhand der prozentualen oder absoluten Abweichungen der Einzelbelastung von der Durchschnittsbelastung verbunden mit einer Staffelung des Beitragsausgleichs oder die Ermittlung der Zuschläge anhand eines festen Anteils am Umlagesoll293. Die gesetzgeberische Zurückhaltung im Rahmen des Beitragsausgleichsverfahrens eröffnet den Berufsgenossenschaften mithin weite Gestaltungsspielräume. Sie können in ihrer Satzung festlegen, ob sie die Versicherungsfälle im Sinne von § 162 Abs. 1 S. 3 SGB VII in dem Verfahren berücksichtigen wollen, welche der in § 162 Abs. 1 S. 4 SGB VII genannten Merkmale sie als Bemessungsgrundlage heranziehen, sowie anhand welcher Kriterien die Merkmale konkretisiert werden sollen. Ferner können sie Regelungen zum Berechnungsverfahren und der konkreten Berechnungsmethode treffen. Durch umfangreiche Rechtsetzungsbefugnisse im Bereich des Beitragsausgleichsverfahrens werden den Unfallversicherungsträgern mithin einerseits Freiräume für eine eigenständige Präventionsarbeit zugestanden, darüber hinaus werden sie andererseits für den Bereich der Zuschläge und Nachlässe zu einer weitestgehend eigenständigen Regelung ihrer Finanzen ermächtigt. Seine Grenzen findet dieser Gestaltungsspielraum darin, dass die Satzungsregelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sein müssen und nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen dürfen294. Weiterhin 289 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 16; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 17. 290 Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 79; Weiß, in: Franke/ Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 18. 291 Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, § 58 Rn. 78; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 19. 292 BSG v. 16.11.2005, Az. B 2 U 15/04 R, Rz. 13 ff. 293 Ausführliche Erklärung der einzelnen Berechnungsmethoden finden sich bei Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 434.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 125

müssen die Zuschläge und Nachlässe eine solche Höhe haben, dass sie wirtschaftlich ins Gewicht fallen, da sie andernfalls ihren Präventionszweck nicht erreichen würden295. Allerdings dürfen sie wiederum nicht so umfangreich sein, dass kein solidarischer versicherungsmäßiger Risikoaustausch mehr stattfindet und das Versicherungsprinzip auf diese Weise ausgehöhlt wird296. Da es sich bei diesen Beschränkungen jedoch um allgemeine rechtsstaatliche und kompetenzrechtliche Vorgaben handelt, wird der weite Gestaltungsspielraum der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung hierdurch nicht nennenswert eingeschränkt. Schließlich müssen die Berufsgenossenschaften, wie jeder Verwaltungsträger, bei allen ihren Handlungen das Übermaßverbot und den Vorrang höherrangigen Rechts beachten. Auch dürfen sie generell keine Regelungen treffen, die dem Versicherungsprinzip zuwiderlaufen und damit den Versicherungscharakter der Unfall„versicherung“297 in Frage stellen. Zudem dürfte die Vorgabe, dass die Zuschläge und Nachlässe wirtschaftlich ins Gewicht fallen müssen, dem Präventionsinteresse der Unfallversicherungsträger entsprechen, so dass dies keine substantielle Einschränkung ihres Gestaltungsspielraums darstellt. c) Prämien Weitere Gestaltungsspielräume sind der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung im Rahmen des Prämienverfahrens eröffnet298. Gem. § 162 Abs. 1 S. 1 SGB VII können die Unfallversicherungsträger unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der von den Unternehmern getroffenen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren Prämien ge294 BSG, in: SozR 4-2700, § 162 Nr. 1, S. 3 f.; Benz, in: BB 1995, S. 1901, 1903; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 31; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 18; v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: SGb 1992, S. 145, 147 f.; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 5; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 6. 295 Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 31; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 18; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 5; Schulz, in: Die BG 1983, S. 432, 432. 296 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 24; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 31; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 18; v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: SGb 1992, S. 145, 147; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 5; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 6. 297 Ausführlich zum Versicherungsprinzip als konstitutives Merkmal der Sozialversicherung: 4. Kap. A. II. 1. 298 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 27; Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 226 ff.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

währen. Schon aus dem Gesetzeswortlaut geht hervor, dass die Einführung eines Prämienverfahrens im Ermessen der Unfallversicherungsträger steht und sie hierzu nicht verpflichtet sind299. Das Prämienverfahren ermöglicht über die Einordnung in Gefahrklassen und das Beitragsausgleichsverfahren hinaus eine zusätzliche risikobezogene Abstufung des Unfallversicherungsbeitrags300. Indem dem Unternehmer für getroffene Präventionsmaßnahmen finanzielle Vorteile gewährt werden, dient die Gewährung von Prämien ebenso wie das Beitragsausgleichsverfahren der Prävention301. Im Unterschied zum Beitragsausgleichsverfahren knüpfen die Prämien nach § 162 Abs. 1 SGB VII allerdings nicht an in Form von Versicherungsfällen messbaren Präventionserfolgen oder -misserfolgen der Vergangenheit an, sondern honorieren Maßnahmen, von denen zu erwarten ist, dass sie positive Auswirkungen auf das zukünftige Versicherungsfallgeschehen haben werden302. Ferner kann sich die Gewährung von Prämien, anders als das Beitragsausgleichsverfahren, auch auf die Verhütung von Wegeunfällen, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und die im Rahmen des § 162 Abs. 1 SGB VII oftmals ausgeschlossenen Berufskrankheiten beziehen303. Das Prämienverfahren stellt damit einen eigenständigen, vom Verfahren des § 162 Abs. 1 SGB VII unabhängigen Tatbestand dar, so dass beide Präventionsinstrumente gegebenenfalls auch nebeneinander angewendet werden können304. Soweit sich die Unfallversicherungsträger für die Einführung eines Prämienverfahrens entscheiden, stehen ihnen bei dessen Ausgestaltung weite Gestaltungsspielräume zu. So muss die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung zunächst entscheiden, welche Präventionsmaßnahmen überhaupt prämierbar sind. Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 162 Abs. 2 S. 1 SGB VII muss diese Entscheidung unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der Maßnahme getroffen werden. Außerdem verlangen Sinn und Zweck der Regelung, dass es sich um zusätzliche Präventionsmaßnahmen handelt, da Prämien nicht allein schon aufgrund der ordnungsgemäßen Befolgung der 299

Ebenso: LSG Rh.-Pf., in: NZS 2006, S. 496, 498. Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 217. 301 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 217; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 39; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 52; Höller, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10. 302 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; ähnlich: Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 218. 303 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; Mehrtens, in: BereiterHahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.1. 304 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 162 Rn. 18; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10. 300

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 127

gesetzlichen Präventionsvorschriften verteilt werden dürfen305. Abgesehen von diesen Vorgaben steht es im Ermessen der Unfallversicherungsträger, welche Maßnahmen sie als prämierungswürdig ansehen. Grundlage der Entscheidung kann beispielsweise eine Gesamtschau des in dem jeweiligen Unternehmen herrschenden Sicherheitszustandes unter Berücksichtigung aller vorgenommenen personellen, organisatorischen, psychologischen oder technischen Maßnahmen sein306. Prämien können aber auch für Einzelmaßnahmen vergeben werden, bei denen eine besondere präventive Wirkung zu erwarten ist307. Unbeachtlich ist, ob die Maßnahmen tatsächlich zu einer Verhütung von Versicherungsfällen geführt haben, da der reale Rückgang oder Zuwachs von Versicherungsfällen vielmehr im Rahmen des Verfahrens nach § 162 Abs. 1 SGB VII Berücksichtigung findet. Für das Prämienverfahren ist eine ex-ante Betrachtung hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Maßnahmen ausreichend308. Neben der Entscheidung, welche Maßnahmen prämierbar sind, hat die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung auch Gestaltungsspielräume bei der Frage, welcher Art die Prämie sein soll309. Denkbar wäre es, die Prämiengewährung als Beitragssenkung auszugestalten und demjenigen, der eine Prämie bekommen soll, eine Beitragsminderung um einen bestimmten Betrag oder Prozentsatz zu gewähren. In Betracht käme allerdings auch, dass die Prämie in Form einer Kostenbeteiligung der Berufsgenossenschaft an der Präventionsmaßnahme eingeräumt wird. Ein zusätzlicher Gestaltungsspielraum eröffnet sich für die Unfallversicherungsträger hinsichtlich der Bestimmung der Höhe der Prämie. Kriterien für die Prämienhöhe ergeben sich insbesondere aus der präventionsbezogenen Zielsetzung des § 162 Abs. 2 SGB VII310. Unter Berücksichtigung des Präventionsziels des Prämienverfahrens bietet es sich an, die Wirksamkeit der 305

Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 220; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 25; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 162 Rn. 33; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20a. 306 Benz, in: BB 1995, S. 1901, 1905; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 25; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.2; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 162 Rn. 33. 307 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 25. 308 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 222; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 39; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 25; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 162 Rn. 20; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.1; Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 162 Rn. 33. 309 Zum Folgenden: Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 26; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10.4; siehe zu den unterschiedlichen Prämienarten auch die Übersicht über die Prämienverfahren der Fleischerei BG, der BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege und der Steinbruchs BG bei Bieback, VSSR 2006, S. 215, 219. 310 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 234.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Maßnahme, welchen Nutzen sie also insbesondere bei den Versicherten hat, als Grundlage zur Bestimmung der Prämienhöhe heranzuziehen311. Daneben können auch die Kosten der Präventionsmaßnahme berücksichtigt werden312. Allerdings muss von den Berufsgenossenschaften bei der Bestimmung der Prämienhöhe immer beachtet werden, dass die Maßnahme dem Unternehmen ohnehin schon zugute kommt, so dass die Prämie nicht von einer solchen Höhe sein darf, dass sie einen Großteil der Kosten der Präventionsmaßnahmen abdeckt313. Vielmehr muss der überwiegende Teil vom Unternehmen getragen werden314. Um die Voraussetzungen für die Gewährung von Prämien für die einzelnen Unternehmen hinreichend transparent zu gestalten315, müssen sie in einer generell-abstrakten Regelung der Selbstverwaltung festgehalten werden316. Allerdings ist im Unterschied zum Beitragsausgleichsverfahren hierfür kein Satzungsrecht erforderlich, auch eine Richtlinie des Vorstandes wäre ausreichend317. Lediglich für die prinzipielle Entscheidung zugunsten der Einführung eines Prämienverfahrens sowie für die grundsätzliche Ausgestaltung des Verfahrens ist im Hinblick auf die Bedeutung der Entscheidung für das Umlageverfahren ein Beschluss der Vertreterversammlung zu fordern318. Ähnlich wie im Rahmen des Beitragsausgleichsverfahrens kommt der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung also hinsichtlich des Prämienverfahrens ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie können darüber entscheiden, ob sie überhaupt Prämien für bestimmte Präventionsmaßnahmen verteilen, welche Maßnahmen sie für prämierungswürdig halten, welche Prämienart sie vergeben wollen, in welcher Höhe die Prämien gewährt werden und welches Verfahren dafür einzuhalten ist. Begrenzt wird dieser 311

Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 234, der auch ausführlich die mit diesem Kriterium verbundenen Probleme erörtert; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 26; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20b. 312 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 235. 313 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 234; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 26. 314 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 26. 315 Zu dem hiermit zusammenhängenden Problem des gleichen Zugangs der Unternehmen zu den Prämienverfahren siehe: Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 237 ff. 316 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 29; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20a. 317 Bieback, in: VSSR 2006, S. 215, 226; Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 39; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 52; Höller, in: Hauck/ Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 27; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 162 Rn. 19; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 10; a. A. jedoch ohne Begründung: Platz, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 162 Rn. 33. 318 Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 27; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 162 Rn. 19; Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20.

C. Prävention als Bereich berufsgenossenschaftlicher Gestaltungsspielräume 129

Gestaltungsspielraum ebenso wie im Rahmen des Beitragsausgleichsprinzips durch die Forderung nach einer versicherungsmäßigen Risikoumverteilung. Die Prämiengewährung darf also nicht zu einer so exakten risikobezogenen Beitragsabstufung führen, dass eine Umverteilung innerhalb der Versichertengemeinschaft nicht mehr statt finden kann319. Daneben haben die Unfallversicherungsträger die Belange des Art. 3 Abs. 1 GG zu wahren. Schließlich muss jede Prämienzahlung aus dem Beitragsaufkommen der Unternehmer gezahlt werden, so dass die Gewährung von Prämien zu einer Erhöhung des Umlagesolls und damit zu einer Beitragssteigerung führen kann. Diejenigen Unternehmer, die trotz Präventionsbemühungen keine Prämienzahlung bekommen, werden also nicht nur durch die nicht gezahlte Prämie benachteiligt, sondern müssen zusätzlich noch mit ihren Beiträgen für die Prämien der anderen aufkommen, so dass die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen besteht320.

III. Ergebnis Der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung kommen je nach Präventionsinstrument unterschiedlich weit reichende Gestaltungsbefugnisse zu. Während Unfallverhütungsvorschriften früher zu den wichtigsten Präventionsmechanismen der Unfallversicherungsträger zählten, müssen die Berufsgenossenschaften hier heute die einschneidendsten Einschränkungen ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse hinnehmen. Dies gilt insbesondere für die Ermächtigung zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4 SGB VII. Aufgrund der detaillierten und umfangreichen staatlichen Arbeitsschutzgesetzgebung verbleibt den Unfallversicherungsträgern nur noch ein geringer Gestaltungsspielraum. Etwas positiver fällt die Bilanz im Hinblick auf die Rechtsetzungsermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5–7 SGB VII aus, die die betriebliche Arbeitsschutzorganisation betrifft. So kann die Selbstverwaltung auf Grundlage von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VII in den §§ 24 ff. BGV A1 die für die Erste Hilfe erforderlichen Einrichtungen und Sachmittel sowie die Zahl und Ausbildung der Ersthelfer und Betriebssanitäter normieren. Die Ermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB VII zur Konkretisierung des ASiG wird durch die Unfallverhütungsvorschrift BGV A2 mit Regelungen über Gegenstand und Anlass der Einsätze von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie über deren erforderliche Fachkunde ausgefüllt. Die Zahl der 319

Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 28. Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 39; Höller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 24; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 162 Rn. 17; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 23; ferner: Ricke, in: Niesel, KassKomm, SGB VII, § 162 Rn. 20d, 13. 320

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

gem. § 22 SGB VII zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten bestimmen die Unfallversicherungsträger im Sinne der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB VII in § 20 BGV A1. Trotz dieser Gestaltungsräume unterliegen die Rechtsetzungsbefugnisse der Berufsgenossenschaften im Bereich des § 15 Abs. 1 SGB VII insgesamt allerdings derartig weit reichenden Restriktionen, so dass sie nicht mit der kommunalen Rechtsetzungshoheit verglichen werden können. Anders stellt sich die Situation im Rahmen der Überwachung und Beratung dar, wo der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung umfangreiche Gestaltungsspielräume zukommen. So können sie darüber bestimmen, mit welchen Mitteln die Überwachung durchgeführt werden soll. Außerdem entscheiden sie über die Auswahl, die Anzahl, die Einstellung und die Entlassung der Aufsichtspersonen und legen zudem die Prüfungsordnung für die von den Aufsichtspersonen abzulegende Prüfung fest. Im Hinblick auf die Aufsichtspersonen kommen den Unfallversicherungsträgern damit Selbstverwaltungsbefugnisse zu, die mit Inhalt und Umfang der Personalhoheit der kommunalen Selbstverwaltung vergleichbar sind. Weit reichende Gestaltungsspielräume kommen den Unfallversicherungsträgern darüber hinaus hinsichtlich der Einrichtung eines überbetrieblichen arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienstes zu. Es steht in ihrem Ermessen, ob sie überhaupt eine solche organisatorische Untereinheit errichten. Sie können den Umfang ihrer Zuständigkeit festlegen und ihn etwa auf eine bestimmte Unternehmensart beschränken sowie Beginn und Ende der Zugehörigkeit eines Unternehmens zu dem arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienst bestimmen. Auch unterliegt es ihrem Gestaltungsspielraum, ob und unter welchen Voraussetzungen sie einen Anschlusszwang der Unternehmen an den Dienst vorsehen. Den Unfallversicherungsträgern kommt mithin das Recht zu, über die Einrichtung eines Organteils sowie seiner Zuständigkeiten zu entscheiden. Insofern lassen sich die Entscheidungsfreiräume, die der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung bei der Errichtung und Ausgestaltung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienste zukommen, durchaus mit der kommunalen Organisationshoheit vergleichen. Darüber hinaus eröffnen sich den Unfallversicherungsträgern weitere erhebliche Gestaltungsspielräume durch das Beitragsrecht. So unterliegt die Aufstellung des für die Beitragsberechnung maßgeblichen Gefahrtarifs in wesentlichen Bereichen der Gestaltungsfreiheit der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung. Ferner bestimmen sie in weiten Teilen die Ausgestaltung des Beitragsausgleichsverfahrens und entscheiden darüber, ob ein Prämienverfahren eingeführt werden soll und wie es ausgestaltet werden soll. Auch hinsichtlich der Verwendung der Beitragsmittel für Präventionszwecke kommt der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung ein weiter Gestaltungsspielraum zu, da sie gem.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII „Prävention . . . mit allen geeigneten Mitteln“ betreiben sollen. Sie können die Beitragsmittel demnach für sämtliche ihnen geeignet erscheinenden Präventionsmaßnahmen und -aktionen verwenden, wie beispielsweise Aufklärungs-, Informations- und Schulungsmaßnahmen oder Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen der Prävention haben die Unfallversicherungsträger demnach eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft inne, so dass ihre Befugnisse der kommunalen Finanzhoheit ähneln. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass obwohl sich die kommunale und die soziale Selbstverwaltung in struktureller Hinsicht schon insofern grundlegend unterscheiden, als den Gemeinden eine verfassungsrechtlich garantierte Allzuständigkeit zukommt, sie also alle eigenen Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln können, die Sozialversicherungsträger demgegenüber mangels einer verfassungsrechtlichen Absicherung nur dann eigenverantwortliche Handlungen vornehmen können, wenn der Gesetzgeber sie hierzu ermächtigt321, existieren, bezogen auf die Prävention, in der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung organisatorische, finanzielle und personelle Gestaltungsspielräume, die dem Inhalt der Gemeindehoheiten ähneln322.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention Einschränkungen der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung durch die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung ergeben sich nicht allein aus einem engmaschigen Netz an normativen Vorgaben der Sozial- und Arbeitsschutzgesetzgebung. Die Frage, ob den Unfallversicherungsträgern im Rahmen ihres Präventionsauftrages tatsächlich Gestaltungsspielräume im Sinne einer vom Staat verselbständigten Aufgabenerfüllung zukommen, hängt zudem wesentlich vom Umfang der Staatsaufsicht ab. Hinsichtlich der normativen Vorgaben wurde herausgearbeitet, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Prävention dem für den Selbstverwaltungsbegriff konstitutiven Eigenverantwortlichkeitsprinzip dadurch Rechnung getragen hat, dass er den Unfallversicherungsträgern Gestaltungsspielräume beispielsweise beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, bei der Beratung und Überwachung, bei der Aus- und Fortbildung der für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen, bei der Einrichtung von arbeitsmedizinischen und si321

BSGE 67, 256, 263 f. Winkler, in: ders., SGB IV, § 29 Rn. 14 erklärt diese Bereiche, die Organisationshoheit, die Finanzhoheit und die Personalhoheit zu den Kernbereichen der sozialen Selbstverwaltung. 322

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

cherheitstechnischen Diensten sowie im Bereich des Beitragsrechts eingeräumt hat323. Dennoch hat er die Prävention mit § 87 Abs. 2 SGB IV einer Zweckmäßigkeitskontrolle unterstellt. In Anbetracht der mit der Zweckmäßigkeitskontrolle verbundenen möglichen staatlichen Eingriffsbefugnisse liegt die Frage nahe, ob im Rahmen der Präventionstätigkeit überhaupt noch eine Verselbständigung der Berufsgenossenschaften gegenüber den staatlichen Behörden existiert. Die Beantwortung der Frage hängt maßgeblich davon ab, inwiefern die Zweckmäßigkeitskontrolle ihrerseits Grenzen unterliegt.

I. Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV 1. Begriff der Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV Die Sozialversicherungsträger unterliegen als Selbstverwaltungskörperschaften staatlicher Aufsicht324. Dementsprechend unterliegt auch die Präventionstätigkeit der Unfallversicherungsträger der staatlichen Aufsicht. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Staatsaufsicht, die ihre Grundlage insbesondere in der Gesetzesbindung der Verwaltung und dem staatlichen Steuerungsinteresse findet325, ein notwendiges Gegenstück zur Selbstverwaltung darstellt326. Für den Bereich der Prävention bestimmt § 87 Abs. 2 SGB IV, dass sich die Aufsicht „auch auf den Umfang und die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen“ erstreckt. Mit dieser Formulierung legt der Gesetzgeber fest, dass alle Handlungen der berufsgenossenschaftlichen Prävention der Fachaufsicht unterstehen327. Gegenstand der Fachaufsicht ist die Zweckmäßigkeitskontrolle der getroffenen Maßnahme, sie beinhaltet die Prüfung, ob die Maßnahme nach Art, Inhalt, Umfang, Zeit und Ort ange323

Vgl. hierzu oben: 2. Kap. C. II. § 87 Abs. 1 S. 1 SGB IV. 325 Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, Bes. VerwR, Kap. 1 Rn. 41. 326 Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Staatsaufsicht ein „notwendiges Korrelat der Selbstverwaltung“ darstellt, vgl. hierzu: Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 57 Rn. 1; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 114 ff.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 1; Herich, Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 61; Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 209, Plagemann, in: VSSR 2007, S. 121, 121; Stößner, Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 37; Einschränkungen für den Bereich der Universitäten und Rundfunkanstalten nimmt Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 2 vor. 327 Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 4; Engelhard, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 87 Rn. 63; Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 104; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 24, 31; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 16. 324

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

133

messen und sachdienlich ist328. Die Fachaufsichtsbehörde wird somit ermächtigt, fachliche Weisungen zu erteilen, die es der Behörde ermöglichen, ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens des Unfallversicherungsträgers zu setzen329. Im Unterschied zum sonstigen Aufsichtsrecht, werden hier nicht das Bundesversicherungsamt oder die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder als Aufsichtsbehörde tätig, sondern gem. § 90 Abs. 1 S. 1 SGB VII ist Aufsichtsbehörde für den Bereich der berufsgenossenschaftlichen Prävention das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Mit Ausnahme der Prävention in der Unfallversicherung unterliegen die Berufsgenossenschaften gem. § 87 Abs. 1 SGB IV grundsätzlich der Rechtsaufsicht, die die Aufsichtstätigkeit auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle, die Überprüfung der Einhaltung von Recht und Gesetz, beschränkt330. Zweckmäßigkeitserwägungen der Aufsichtsbehörde finden demnach prinzipiell keine Berücksichtigung. Ungeachtet dieser konzeptionellen Unterschiede von Rechts- und Fachaufsicht ist eine strikte Unterscheidung beider Aufsichtsarten praktisch kaum durchzuführen, da zum einen die Zweckmäßigkeit Inhalt der Norm werden kann und somit verobjektiviert und verrechtlicht wird, so dass sie folglich Gegenstand der Rechtsaufsicht wird331. Ferner werden die Einflussmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde im Bereich der Rechtsaufsicht immer umfangreicher, je detaillierter die gesetzlichen Vorgaben sind332.

328 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 87 Rn. 66; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 31; Schütte-Graeff, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 16. 329 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 87 Rn. 67; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 31; Schütte-Graeff, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 16. 330 Bieback, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 57 Rn. 6; Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 6; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 87 Rn. 16, 42 ff.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 30; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 6; Schütte-Graeff, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 8; Reiter, in: DRV 1993, S. 657, 665. 331 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 217; Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 6; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 117 f.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 1a; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 8; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 13. Ferner Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 65, der allerdings den Ausnahmecharakter der Einbeziehung von Zweckmäßigkeitserwägungen in die Rechtsaufsicht betont. 332 Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 1a; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 11; Wallerath, in: NZS 1997, S. 1, 4.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

2. Maßstab der Aufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV Die Fachaufsicht ist „ihrem Wesen nach“ erweiterte Rechtsaufsicht333. Sie umfasst damit neben der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme auch die Kontrolle ihrer Zweckmäßigkeit. a) Einhaltung von Gesetz und sonstigem Recht Die Rechtsaufsicht erstreckt sich nach § 87 Abs. 1 S. 2 SGB IV auf „die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgebend ist“. Mit der Verwendung der Begriffe „Gesetz“ und „Recht“ wurde die Norm Art. 20 Abs. 3 GG nachempfunden334, inhaltlich trug diese Formulierung jedoch nicht zur Klärung des Aufsichtsmaßstabes bei335. Einigkeit besteht insoweit, dass mit den beiden Begriffen eine „umfassende Bindung an das geltende Recht im weiteren Sinne“336 zum Ausdruck gebracht werden soll. Der Gesetzesbegriff des § 87 Abs. 1 S. 2 SGB IV bezieht sich demnach zunächst auf alle Gesetze im formellen Sinn, also solche, die in einem verfassungsmäßig vorgegebenen Verfahren von den für die Gesetzgebung zuständigen Organen erlassen werden. Darüber hinaus werden auch so genannte Gesetze im materiellen Sinn erfasst, mithin jede Vorschrift, die Rechtsnormen enthält337. Diese weite Auslegung führt dazu, dass als Aufsichtsmaßstab neben formellen Parlamentsgesetzen auch Rechtsverordnungen, Sozialversicherungsabkommen, sowie Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nach § 31 BVerfGG herangezogen werden338. Durch die Verwendung des Begriffs des „sonstigen Rechts“ sollen alle weiteren relevanten Rechtsquellen erfasst werden, die keine Gesetze sind339. Hierzu zählen insbesondere das von den Selbstverwaltungsträgern erlassene 333 Leopold, Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 164; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 107. 334 Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 121; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3. 335 Zu den Auslegungsproblemen des Aufsichtsmaßstabes „Gesetz und Recht“: Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 121 ff.; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 36; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 57. 336 Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 122. 337 Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 8; Engelhard, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 87 Rn. 47; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 10; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 9. 338 Ausführlich mit den einzelnen Gegenständen des Gesetzesbegriff des § 87 Abs. 1 S. 2 SGB IV befasst sich Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 51 Rn. 36 ff. 339 Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 59.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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autonome Recht340 und das Gewohnheitsrecht341. Ob darüber hinaus auch Verwaltungsvorschriften als Maßstab der Rechtsaufsicht herangezogen werden können, ist differenzierend zu entscheiden. Nach überwiegender Ansicht können allgemeine Verwaltungsvorschriften, die aufgrund von Art. 84 Abs. 2 GG und Art. 86 Abs. 1 GG ergangen sind, von der Aufsichtsbehörde als Maßstab herangezogen werden342. Gegenstand dieser allgemeinen Verwaltungsvorschriften, deren Bindungswirkung schon „qua Verfassungsrecht“343 angeordnet wird, ist nämlich die Auslegung und Durchführung von Gesetzen. Soweit die Verwaltungsvorschriften zu Gesetzen ergangen sind, die für die Sozialversicherungsträger maßgeblich sind, können sie aufgrund ihrer verbindlichen Wirkung als Aufsichtsmaßstab herangezogen werden. Da es sich nicht um eine Rechtsbeziehung zwischen einer natürlichen Person und einem Verwaltungsträger handelt, ist insoweit auch die fehlende Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften unbeachtlich344. Anders sind demgegenüber Verwaltungsvorschriften zu beurteilen, die die interne Organisation der Sozialversicherung betreffen345. Die grundsätzliche Entscheidung zur Führung der Sozialversicherung in Selbstverwaltungskörperschaften verlangt ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit der Sozialversicherungsträger. 340 Die Zuordnung von Satzungen zum Begriff des „sonstigen Rechts“ erfolgt nicht ganz einheitlich. Teilweise werden Satzungen dem Bereich des „sonstigen Rechts“ zugeordnet, so: Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 49; Graeff, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 3; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 159; Meydam, in: Krause/v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 87 Rn. 2; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 10. Andere ordnen Satzungen den Gesetzen im materiellen Sinne zu: Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 8; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 10. Im Ergebnis bleibt die unterschiedliche Einordnung aber folgenlos, da Satzungen in beiden Fällen als Aufsichtsmaßstab herangezogen werden. 341 Das Gewohnheitsrecht wird von der überwiegenden Literatur als Aufsichtsmaßstab der Rechtsaufsicht herangezogen, vgl.: Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 52; ebenso BSGE, 24, 118, 121; a. A.: Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 13; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 54 f. 342 BSG, in: SozR 3-2400, § 87 Nr. 1, S. 4 ff.; Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 8; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 124 ff.; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 50; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 12; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 49; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 10 f.; für den Bereich des Art. 86 GG wohl auch: Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 121 f; a. A. Bonvie, in: Die BG 1986, S. 740, 742 ff. 343 Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 49. 344 BSG, in: SozR 3-2400 § 87 Nr. 1, S. 5; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 124 f.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a. 345 BSG, in: SozR 3-2400 § 87 Nr. 1, S. 7 f.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 12; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 11.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Dem würde es widersprechen, wenn Verwaltungsvorschriften in Kernbereichen der Selbstverwaltung, wie der internen Organisation, bindende Wirkung entfalten könnten346. Organisatorische Verwaltungsvorschriften können demnach nicht als Aufsichtsmaßstab herangezogen werden347. Soweit sich die Rechtsaufsicht auf die Einhaltung von Normen bezieht, die den Sozialversicherungsträgern Gestaltungsspielräume in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen oder Ermessen einräumen, sind die Aufsichtsbehörden nicht dazu ermächtigt, eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. Insbesondere darf die Aufsichtstätigkeit im Bereich von Ermessensnormen und unbestimmten Rechtsbegriffen nicht zu einer faktischen Nivellierung des Gestaltungsspielraums der Sozialversicherungsträger führen. Vielmehr hat die Rechtsaufsichtsbehörde bei unbestimmten Rechtsbegriffen die Einschätzungsprärogative der Sozialversicherungsträger zu berücksichtigen348. Im Rahmen der Überprüfung von Ermessensnormen reduziert sich die Aufsichtstätigkeit auf die Überprüfung der Einhaltung der Ermessensgrenzen349, mithin auf die Kontrolle von Ermessensfehlern, wie den Ermessensausfall, den Ermessensfehlgebrauch oder die Ermessensüberschreitung350. b) Zweckmäßigkeitskontrolle Eine solche Beschränkung der aufsichtsrechtlichen Kontrolle existiert im Rahmen der Fachaufsicht nicht. Vielmehr kann die Fachaufsichtsbehörde über die reine Rechtskontrolle hinaus auch die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme überprüfen. Im Rahmen von fachlichen Weisungen351 können sie 346 BSG, in: SozR 3-2400, § 87 Nr. 1, S. 7 f.; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 126 f.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 12. 347 BSG, in: SozR 3-2400, § 87 Nr. 1, S. 8; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 126; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 50. Mit der gleichen Argumentation wird die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften verneint, die Einfluss auf das Finanzwesen nehmen, vgl. hierzu: Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3a. 348 BSG, in: SozR 3-2400, § 69 Nr. 1, S. 3; SozR 3-2400, § 89 Nr. 1, S. 5; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 59 sowie § 89 Rn. 23 ff.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3c. 349 BSGE 3, 180, 189; 9, 57, 65; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 59; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 3c; Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 196; Schnapp, in: HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 69 ff. 350 Zur Ermessensfehlerlehre siehe: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 19 ff. 351 Die Zulässigkeit von fachlichen Weisungen der Fachaufsichtsbehörde an den Sozialversicherungsträger wird von der Literatur nahezu einhellig unproblematisch

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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ihre eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle der Sozialversicherungsträger setzen und dürfen insbesondere Ermessensentscheidungen nicht nur auf Ermessensfehler, sondern auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüfen. Ebenso müssen sie bei unbestimmten Rechtsbegriffen keinen Beurteilungsspielraum der Selbstverwaltung berücksichtigen. Sie dürfen mithin kontrollieren, ob eine Maßnahme nach Art, Inhalt, Umfang, Zeit und Ort angemessen und sachdienlich ist352. 3. Aufsichtsmittel Welche Aufsichtsmittel von der Fachaufsichtsbehörde eingesetzt werden können, bestimmt § 89 Abs. 2 SGB IV i. V. m. § 89 Abs. 1 SGB IV. Danach finden die für die Rechtsaufsicht zulässigen Aufsichtsmittel, die Beratung, die Verpflichtung zur Behebung nach vorheriger Fristsetzung sowie die Vollstreckung, im Rahmen der Fachaufsicht entsprechende Anwendung. Dies bedeutet, dass die Aufsichtsmittel nicht nur bei einer Rechtsverletzung angewendet werden dürfen, sondern auch dann, wenn der Grundsatz der Zweckmäßigkeit verletzt wurde, wenn also die betreffende Maßnahme nach Art, Inhalt oder Umfang nicht angemessen oder nicht zweckdienlich ist353. a) Beratung zur Behebung der Rechtsverletzung Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat die Aufsichtsbehörde, bevor sie zu eingreifenden Aufsichtsmaßnahmen übergeht, die Unfallversicherungsträger zunächst mittels einer Beratung auf den Rechtsverstoß aufmerksam zu machen354 und ihre Rechtsauffassung darzulegen355. vorausgesetzt, vgl nur: Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 104; Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 186; Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 8; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 107. A. A.: Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 35 f., der an der Zulässigkeit der fachlichen Weisung zweifelt, da sie nicht in § 89 SGB IV als eigenständiges Aufsichtsmittel aufgezählt ist. Im Ergebnis geht allerdings auch Wallerath davon aus, dass die Erteilung von fachlichen Weisungen im Rahmen der Prävention zulässig ist, da dies „die größere Plausibilität für sich“ hat. 352 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 66; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4. 353 Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 7. 354 § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Allerdings verwendet die Vorschrift das Wort „soll“, woraus entnommen werden kann, dass in besonderen Ausnahmefällen von einer vorherigen Beratung abgesehen werden kann, siehe hierzu: BSG, in: SozR 4-2400, § 89 Nr. 2, S. 15 f.; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4. 355 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 89 Rn. 11.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Auf diese Weise soll der Unfallversicherungsträger in die Lage gesetzt werden, sein eigenes Rechtsverständnis überprüfen und gegebenenfalls der Aufsichtsbehörde seinen Standpunkt vermitteln zu können. Die Beratung dient mithin der Vermeidung weiterer aufsichtsrechtlicher Maßnahmen und möglicherweise folgenden Gerichtsverfahren356. Insoweit ist die Beratung als vorrangiges Aufsichtsmittel Ausdruck der „partnerschaftlichen Kooperation“ zwischen der Behörde und dem Versicherungsträger357. Vor diesem Hintergrund genügt nicht lediglich ein Hinweis auf die Rechtsverletzung; vielmehr setzt ein ordnungsgemäß durchgeführtes Beratungsverfahren eine individuelle, auf die Besonderheiten der jeweiligen Berufsgenossenschaft abgestimmte Beratung voraus358. So verlangt das Bundessozialgericht, dass die Aufsichtsbehörde dem Versicherungsträger zunächst einen begründeten Hinweis darauf geben muss, dass und aus welchen Gründen sein Handeln oder Unterlassen eine Rechtsverletzung darstellt. Weiter muss die Behörde dem Versicherungsträger eine Möglichkeit aufzeigen, wie er die Rechtsverletzung beheben kann359. Dem Wortlaut des § 89 Abs. 1 SGB IV ist zu entnehmen, dass eine Beratung erst nach einer eingetretenen Rechtsverletzung zu erfolgen hat. Im Hinblick auf die Kooperationsbeziehung zwischen Aufsichtsbehörde und Sozialversicherungsträger kann sie aber auch im vorhinein zur Abwehr einer drohenden Rechtsverletzung durchgeführt werden360. Eine präventive Beratung durch die Aufsichtsbehörde, die dem Zweck dient, die Vorstellungen der Aufsichtsbehörde und des Versicherungsträgers in einer bestimmten Angelegenheit aufeinander abzustimmen, bedarf als informelles, nicht eingreifendes Handeln keiner gesetzlichen Grundlage und steht damit außerhalb des Anwendungsbereiches des § 89 SGB IV361.

356 BSG, in: SozR 3-2400, § 89 Nr. 1, S. 3; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 4b; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 89 Rn. 7. 357 BSG, in: SozR 4-2400, § 89 Nr. 2, S. 15; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB IV, § 89 Rn. 39; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 4b; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 89 Rn. 7. 358 Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 4 b; Engelhard, in: Schlegel/ Voelzke, juris-PK-SGB IV, § 89 Rn. 41; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 89 Rn. 8; Stober/Schuler, in: Wannagat, SGB IV, Rn. 8. 359 BSG, in: SozR 4-2400, § 89 Nr. 2, S. 15; SozR 3-2400, § 89 Nr. 1, S. 3. 360 Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 89 Rn. 5; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 4a; Stober/Schuler, in: Wannagat, SGB IV, Rn. 4. 361 Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 89 Rn. 4a; Stober/Schuler, in: Wannagat, SGB IV, Rn. 4.

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b) Verpflichtung zur Behebung der Rechtsverletzung Beheben die Versicherungsträger die Rechtsverletzung trotz Beratung nicht, kann die Aufsichtsbehörde sie hierzu, nach Ablauf einer angemessenen Frist, verpflichten, § 89 Abs. 1 S. 2 SGB IV. Die Verpflichtungserklärung ist ein belastender Verwaltungsakt362, der, nachdem er in Bestandskraft erwachsen ist, mithilfe des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden kann, § 89 Abs. 1 S. 3, 4 SGB IV. Mittel der Verwaltungsvollstreckung sind die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und der unmittelbare Zwang. Allerdings scheidet die Ersatzvornahme als Zwangsmittel oftmals aus, da es sich um unvertretbare Handlungen handelt363.

II. Fachaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten? In Anbetracht der mit der Zweckmäßigkeitskontrolle verbundenen möglichen staatlichen Eingriffsbefugnisse könnten Zweifel an der Zulässigkeit der Fachaufsicht im Bereich der Prävention bestehen, falls es sich bei der Unfallverhütung um eine Selbstverwaltungsaufgabe der Unfallversicherungsträger handelt und sich die Erfüllung von Selbstverwaltungsangelegenheiten bei gleichzeitiger Anordnung von Fachaufsicht in der sozialen Selbstverwaltung ebenso wie im Kommunalrecht ausschließen würde364. Im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung werden die Aufgaben, die die Gemeinden wahrnehmen, traditionell in „Selbstverwaltungsangelegenheiten“ und „Auftragsangelegenheiten“ eingeteilt365. Unter Selbstverwal362 Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 89 Rn. 7; Engelhard, in: Schlegel/ Voelzke, juris-PK SGB IV, § 87 Rn. 61; Graeff, in: Hauck/Noftz, § 89 Rn. 5b; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 89 Rn. 13; Stober/Schuler, in: Wannagat, SGB IV, § 89 Rn. 10. 363 Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 89 Rn. 16. 364 So will Herich, Die Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 60 die Fachaufsicht auf Auftragsangelegenheiten beschränken. Vgl. in diesem Zusammenhang ebenfalls: Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 104. Zur Unvereinbarkeit von Fachaufsicht und Selbstverwaltungsangelegenheiten im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung: Hendler, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 1 Rn. 15; Wolff, in: Wolff/ Bachof, VerwR 2, 4. Aufl. 1976, § 84 IV b. Auch Forsthoff, Lehrbuch des VerwR, Bd. 1, S. 571 f. und Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 35, 44 weisen darauf hin, dass die Fachaufsicht eine besondere Aufsichtsart für Auftragsangelegenheiten ist. Siehe zudem ferner: Schröder, in: Achterberg/Püttner, BesVerwR, Bd. II, Kap. 5/1 Rn. 19 ff., der darauf hinweist, dass die Aufsicht über Pflichtaufgaben nach Weisung im Unterschied zu Auftragsangelegenheiten besondere Regeln beachten muss. Allgemein zur Kommunalaufsicht siehe: ders., in: JuS 1986, S. 371 ff.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

tungsangelegenheiten werden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verstanden366. Die Gemeinden stehen hier den staatlichen Behörden als Rechtssubjekte mit eigenen Rechten im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO gegenüber367. Es besteht mithin ein Außenrechtsverhältnis zwischen Gemeinde und Staat, das es dem Staat verwehrt, durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen auf die gemeindlichen Handlungen Einfluss zu nehmen368. Würden der Aufsichtsbehörde bei der Kontrolle von Selbstverwaltungsaufgaben fachaufsichtsrechtliche Einflussmöglichkeiten eröffnet, könnte sie die Aufgabenerfüllung auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüfen und eigene Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle der gemeindlichen Entscheidungen setzen. Bei einer derartigen staatlichen Einwirkung würde es an dem für die Selbstverwaltung konstitutiven Merkmal der Staatsdistanz des Selbstverwaltungsträgers fehlen. Es läge mithin keine Selbstverwaltung mehr vor369. Insofern ist die Anordnung von Fachaufsicht über die Erfüllung gemeindlicher Selbstverwaltungsangelegenheiten grundsätzlich nicht möglich370. Demgegenüber nehmen die Gemeinden im Rahmen der Auftragsangelegenheiten originär staatliche Aufgaben wahr371. Da die 365 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 227; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 12; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 33. Demgegenüber geht das monistische Gliederungsschema von einem einheitlichen Begriff der öffentlichen Aufgaben aus, die die Gemeinden zu erfüllen haben. Allerdings wird auch hier weiter zwischen weisungsfreien Aufgaben, Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung differenziert. Hierzu: Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 230; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 37 ff.; Schmidt-Jorzig, Kommunalrecht, Rn. 541. 366 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 13; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 35; zu den einzelnen Selbstverwaltungsangelegenheiten vgl.: Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 232. 367 Knemeyer, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 12 Rn. 65; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 35. 368 Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 35. 369 Hendler, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 1 Rn. 15; vgl. hierzu auch: Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 118 sowie Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 104 ff., jeweils in Bezug auf die soziale Selbstverwaltung. 370 Hendler, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 1 Rn. 15; ferner: Forsthoff, Lehrbuch des VerwR, Bd. 1, S. 571 f.; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 35, 44, die die Fachaufsicht eindeutig allein den Auftragsangelegenheiten zuordnen. 371 Nach überwiegender Ansicht werden die Aufgaben der Auftragsangelegenheiten nicht durch die Übertragung an die Gemeinden zu kommunalen Aufgaben, vielmehr bleiben sie staatlicher Natur: Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 837; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 23; Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 36; a. A.: Knemeyer, in: Mann/Püttner, HdB der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 12 Rn. 73, 86.

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Gesamtverantwortung beim Staat verbleibt, kommt ihm ein unbegrenztes Weisungs- und Leitungsrecht zu, das ihn zur Einbringung eigener Zweckmäßigkeitserwägungen ermächtigt372. Im Bereich der Auftragsangelegenheiten führen die Gemeinden mithin Aufgaben aus, die dem staatlichen Innenbereich angehören. Sie werden als Unterbehörde des Staates tätig373, so dass sie nicht als eigenes Rechtssubjekt erscheinen, sondern den „verlängerter Arm des Staates“ darstellen374. Die Fachaufsicht kollidiert folglich nicht mit dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Überträgt man diese Überlegungen auf den Bereich der Selbstverwaltung in der Unfallversicherung, ergeben sich folgende Konsequenzen für die Aufsicht über die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung: Soweit die Unfallversicherungsträger Auftragsangelegenheiten ausführen, ist es unbedenklich, wenn ihre Handlungen sowohl der Rechtsaufsicht als auch der Fachaufsicht unterliegen. Werden sie jedoch im Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten tätig, muss sich die Aufsichtsbehörde auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit beschränken, um nicht in die eigenen Rechte der Unfallversicherungsträger einzugreifen und das Selbstverwaltungsrecht zu untergraben375. Ungeachtet der Tatsache, dass die Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von der ganz überwiegenden Ansicht zu den eigenen Angelegenheiten der Unfallversicherungsträger gezählt wird376, ist eine Übertragung der aus dem Kommunalrecht bekannten Grundsätze jedoch nur dann denkbar, wenn die soziale Selbstverwaltung über einen ebenso wie in der kommunalen Selbstverwaltung verfassungsrechtlich geschützten Kern an Selbstverwaltungsrechten verfügen würde. Nur dann nämlich wäre eine 372 Schmidt-Aßmann/Röhl, in: Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Kap. Rn. 36; Schmidt-Jorzig, Kommunalrecht, Rn. 541. 373 BVerwGE 19, 121, 123; 45, 207, 211. 374 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 837; Jesch, in: DÖV 1960, S. 739, 740; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 23; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 107. 375 Herich, Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 58 ff., siehe ferner: Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 104 f. 376 Asanger, in: FS Lauterbach zum 60. Geburtstag, S. 297, 299; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 164; Salzwedel, in: Die BG 1959, S. 381, 381; ders., in: SDSRV 1 (1966), S. 50, 61; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 108 f.; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 29; vgl. ferner: Schnapp, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 1, KV, § 52 Rn. 10, der die Prävention deutlich von den Auftragsangelegenheiten unterscheidet; a. A. Werner Weber, in: SDSRV 1 (1966), S. 27, 43, der jedoch in Fn. 38 darauf hinweist, dass im Bereich der Prävention die Eigenverantwortlichkeit der Berufsgenossenschaften derartig in den Vordergrund gestellt wird, dass sie wohl eher als „weisungsabhängige Selbstverwaltungspflichtaufgabe“ zu qualifizieren sei.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

staatliche Einflussnahme mittels fachaufsichtsrechtlicher Eingriffsbefugnisse verfassungswidrig und damit ausgeschlossen. Da Art. 87 Abs. 2 GG jedoch keine verfassungsrechtliche Garantie für einen bestimmten Bestand an eigenen Aufgaben der sozialen Selbstverwaltungsträger gibt377, lassen sich ihm auch keine Vorgaben für einen Mindestumfang des Gestaltungsspielraums entnehmen. Aus diesem Grund ist in der sozialen Selbstverwaltung die Einräumung von Fachaufsichtsbefugnissen grundsätzlich auch im Rahmen von eigenen Angelegenheiten möglich.

III. Umfang und Grenzen der Fachaufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV Inwieweit die Anordnung der Fachaufsicht in § 87 Abs. 2 SGB IV die gesetzlich eingeräumten Gestaltungsspielräume der Unfallversicherungsträger im Rahmen der Prävention einschränkt, hängt wesentlich von Umfang und Grenzen der Aufsicht ab. 1. Rechtsstaatsprinzip als Aufsichtsbegrenzung Aufsicht und Selbstverwaltung stehen naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zueinander378. Allerdings ist die Einräumung von Selbstverwaltungsbefugnissen grundsätzlich nicht ohne die Anordnung staatlicher Aufsicht denkbar, da auch nach der Übertragung von Aufgaben auf selbständige Rechtsträger die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung weiterhin in der Verantwortung des Staates liegt379. Dieser staatlichen Verantwortung trägt das Aufsichtsrecht Rechnung. Selbstverwaltung und Aufsicht stehen demnach nicht nur in einem Spannungsverhältnis, sondern ergänzen darüber hinaus einander und müssen aufeinander abgestimmt werden380. So darf die Selbstverwaltung nicht durch eine allumfassende Aufsicht gegenstandslos werden, ebenso darf sie nicht jeglicher staatlichen Einflussnahme entgegenstehen381. Mithin läuft die gesetzliche Ausdehnung der 377 Siehe zur Frage nach der verfassungsrechtlichen Garantie der sozialen Selbstverwaltung schon oben: 2. Kap. A. II. 378 Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 114; Friauf, in: DRV 1982, S. 111; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 155. 379 Stößner, Die Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 37; Plagemann, in: VSSR 2007, S. 121, 133; vgl. auch BVerfGE 111, 191, 216 ff. 380 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 187; Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 114; Stößner, Die Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 37. 381 Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 115.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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Aufsicht auf Zweckmäßigkeitsfragen nicht grundsätzlich dem Wesen der Selbstverwaltung zuwider. In Frage gestellt wird die Selbstverwaltung erst, wenn die Aufsicht jeglicher rechtlichen Determinierung entbehrt382. Aus diesem Grund ist eine gesetzlich nicht determinierte Freiheit der Aufsichtsbehörde, also eine Aufsicht ohne gesetzlichen Maßstab, gegenüber Selbstverwaltungsträgern undenkbar383. Es bedarf demnach zwingend einer gesetzlichen Determinierung der Fachaufsicht. Eine unbegrenzte Handlungsfreiheit der Fachaufsichtsbehörde und eine damit verbundene unbegrenzte Einflussmöglichkeit auf die berufsgenossenschaftliche Prävention wäre folglich mit dem das deutsche Rechtssystem prägenden Rechtsstaatsprinzip384 unvereinbar. a) Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes Zu den Kernelementen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips zählen insbesondere der Vorbehalt des Gesetzes sowie der Bestimmtheitsgrundsatz385. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes ordnet an, dass bestimmte staatliche Maßnahmen einer formell-gesetzlichen Grundlage bedürfen386. Besondere Bedeutung hat der Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes im Bereich der Grundrechte387. Daneben existieren zahlreiche staatsorganisatorische Gesetzesvorbehalte, zu denen auch die institutionellen Gesetzesvorbehalte zählen388. Der institutionelle Gesetzesvorbehalt verlangt als rechtliche Grundlage für die Ausgestaltung der staatlichen Binnenorganisation im Bereich der exekutivischen Organisationsgewalt ein parlamentarisches Gesetz389. Dies gilt insbesondere für die Einrichtung und Ausgestaltung von Trägern funktionaler Selbstverwaltung sowie für die Aufgaben382

Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 217. Salzwedel, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206, 220; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 31. 384 Hierzu statt Vieler: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 1 ff. Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 226 ff. 385 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 39; Stern, Staatsrecht Bd. I, § 20 IV. 4. 386 BVerfGE 98, 218, 258; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 44; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 105; Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 273. 387 Vgl. zu den Grundrechtsvorbehalten: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 106 ff. 388 Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 56; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 124 ff.; allgemein zum institutionellen Gesetzesvorbehalt vgl.: Burmeister, Der institutionelle Gesetzesvorbehalt. 389 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 126. 383

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

übertragung an solche Verwaltungseinheiten390. Bezogen auf die Unfallversicherungsträger bedeutet dies, dass sowohl ihre Errichtung als auch ihre Ausgestaltung sowie die ihnen übertragenen Aufgaben einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Diese Vorgaben hat der Gesetzgeber mit den Regelungen zur Organisation der Unfallversicherung in § 114 SGB VII und den allgemeinen Regelungen des SGB IV erfüllt. Der vorliegend interessierende Aufgabenbereich der Prävention wird mit den §§ 14 ff. SGB VII ebenfalls durch ein parlamentarisches Gesetz festgelegt. Durch die Anordnung der Fachaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention werden die Selbstverwaltungsbefugnisse der Unfallversicherungsträger im Bereich der Prävention jedoch wieder eingeschränkt. Bedarf die Übertragung bestimmter Rechte eines parlamentarischen Gesetzes, so muss ihre Aufhebung oder Einschränkung auf einer gleichrangigen Gesetzesgrundlage erfolgen391. Aus diesem Grund bedarf die Fachaufsicht über die Präventionstätigkeit ebenfalls einer formell-gesetzlichen Grundlage392. Diesem Erfordernis ist der Gesetzgeber mit § 87 Abs. 2 SGB IV nachgekommen, so dass dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes entsprochen wird. b) Bestimmtheitsgebot Eng verbunden mit der Forderung nach einer formell-gesetzlichen Grundlage für die Fachaufsicht ist das Erfordernis einer hinreichend bestimmten Gesetzesgrundlage. Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass gesetzliche Tatbestände so präzise formuliert werden, „dass der Normadressat sein Handeln kalkulieren kann, weil die Folgen für ihn voraussehbar und berechenbar sind“393. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Grad der Bestimmtheit abhängig vom Regelungsgegenstand variieren kann394. Je grundrechtsintensiver der Eingriff ist, desto höhere Anforderungen sind an die Bestimmtheit zu stellen. Umgekehrt gilt aber auch, je weniger in grundrechtlich geschützte Bereiche vorgedrungen wird, desto geringer sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage. 390 BVerfGE 111, 191, 217; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 5 Rn. 27; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 126. 391 Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 32. 392 So auch Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 164; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 107. 393 BVerfGE 31, 255, 264; 83, 130, 145; 84, 133, 149; 87, 234, 263; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 356; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129; Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 289. 394 BVerfGE 83, 130, 145; Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 291.

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Anders als die kommunale Selbstverwaltung genießt die soziale Selbstverwaltung keinen verfassungsrechtlich geschützten Bereich an Selbstverwaltungsgarantien, die dem staatlichen Zugriff von vornherein entzogen sind und ist insbesondere auch kein Träger von Grundrechten395. Das Grundgesetz gibt mit Art. 87 Abs. 2 GG lediglich vor, dass die Sozialversicherungsträger in rechtlich verselbständigter Organisationsform geführt werden sollen, was regelmäßig einen Grundbestand an Selbstverwaltungsrechten erlaubt. Die konkrete Ausgestaltung sowie die Zuweisung von Handlungsbefugnissen erfolgt allerdings ausschließlich durch den einfachen Gesetzgeber. Damit stellt die Anordnung von Fachaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention keine Beschränkung eines verfassungsrechtlich geschützten Bereichs von Selbstverwaltungsgarantien dar, sondern bestimmt lediglich Inhalt und Umfang der den Unfallversicherungsträgern gesetzlich eingeräumten Rechte396. Folglich greift die gesetzliche Bestimmung des § 87 Abs. 2 SGB IV nicht in einen grundrechtlich geschützten Bereich ein, so dass an die Bestimmtheit des § 87 Abs. 2 SGB IV nicht so strenge Anforderungen zu stellen sind. Vielmehr wird § 87 Abs. 2 SGB IV dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht, indem er die Fachaufsicht auf das Gebiet der Prävention in der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt. Das zweite Kapitel des SGB VII, das die §§ 14–25 umfasst, trägt die Überschrift „Prävention“. Mithin ist für die Unfallversicherungsträger als Normadressaten klar, welche ihrer Handlungen der Fachaufsicht unterliegen. Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des § 87 Abs. 2 SGB IV bestehen demnach nicht. 2. Gedanke der Systemgerechtigkeit Eine mögliche Begrenzung der Fachaufsicht kann sich aus dem Gedanken der Systemgerechtigkeit ergeben. Der vom Bundesverfassungsgericht erstmals im Zusammenhang mit der Wahlgleichheit397 erwähnte Gedanke der Systemgerechtigkeit wird überwiegend als Ausprägung des gleichheitsrechtlichen Willkürverbotes verstanden398. Er verpflichtet den Gesetzgeber 395

BVerfGE 39, 302, 314 f.; 77, 340, 344; Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 292; Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 155; Burgi, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 87 Rn. 74; Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 50 ff.; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 29 Rn. 37 ff.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 152; sowie schon oben 2. Kap. A. II. 396 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 63. 397 BVerfGE 1, 208, 246 ff.; 6, 84, 90, 93; 11, 351, 362 f. 398 Harald Bogs, in: ders./v. Ferber, Soziale Selbstverwaltung, Bd. 1, S. 31; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 128; Leibholz/Rinck,

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

zu einem gewissen Maß an Systemtreue, so dass er einmal gewählte Ordnungsprinzipien in der gesetzlichen Einzelausgestaltung eines Rechtsgebietes berücksichtigen muss399. Zu einer unabänderlichen Bindung des Gesetzgebers führt er jedoch nicht. Soweit der Gesetzgeber aus einem sachlichen Grund von der zuvor getroffenen Systementscheidung abrückt, liegt kein rechtswidriger Systembruch vor400. Über die Gesetzgebung hinaus kommt dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit auch Bedeutung für die Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung zu401, die sich an den Rahmen der Systementscheidung des Gesetzgebers halten müssen. Indem der Gesetzgeber die Sozialversicherungsträger als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung ausgestaltet hat, hat er sich grundsätzlich für ein bestimmtes Organisationssystem der sozialen Selbstverwaltung entschieden, nämlich für die rechtliche Verselbständigung der Versicherungsträger sowie für ihre Ausstattung mit einem gewissen Bestand an Selbstverwaltungsrechten402. Ein übermäßiger staatlicher Einfluss mit umfassenden Fachaufsichtsbefugnissen würde einer solchen Verselbstständigung entgegenstehen403. Grundsätzlich stehen die Unfallversicherungsträger deshalb gem. § 87 Abs. 1 SGB IV lediglich unter Rechtsaufsicht. Fachaufsichtsbefugnisse kommen den Aufsichtsbehörden nach § 87 Abs. 2 SGB IV nur im Bereich der Prävention zu. Begründet wird die erweiterte Aufsicht über die berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsarbeit mit dem engen Zusammenhang zwischen der berufsgenossenschaftlichen Präventionsarbeit und dem staatlichen Arbeitsschutz sowie der besonderen politischen Bedeutung der Prävention404. Zudem wurde bei Einführung der Fachaufsicht durch das 2. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.7.1925 argumentiert, solche weitergehenden Aufsichtsbefugnisse seien notwendig, um die Arbeitnehmer vor mangelhaften berufsgenossenschaftGG, Art. 3 Rn. 11; Schnapp, in: Die BG 1978, S. 525, 527; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 33; i. Erg. ebenso Battis, in: FS Ipsen, S. 11, 27; a. A. Lange, in: Die Verwaltung 4 (1971), S. 259, 268 ff., der den Gedanken der Systemgerechtigkeit aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit ableitet. 399 Battis, in: FS Ipsen, S. 11, 13 f.; Harald Bogs, in: ders./v. Ferber, Soziale Selbstverwaltung, Bd. 1, S. 31; Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers, S. 4; Leopold, Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 77 f.; Schnapp, in: Die BG 1978, S. 525, 527. 400 Battis, in: FS Ipsen, S. 11, 17; Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers, S. 25 f. 401 Battis, in: FS Ipsen, S. 11, 30; Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 118 f. 402 Zur Systemgerechtigkeit im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung siehe: Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers, S. 62 ff. 403 Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 118. 404 Fattler, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 4.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

147

lichen Präventionsmaßnahmen zu schützen405. Im Hinblick auf die Gesetzesbegründung des am 6.7.1884 erlassenen Unfallversicherungsgesetzes, nach der den Unfallversicherungsträgern das Gebiet der Prävention gerade deshalb übertragen wurde, da dies als einzige Möglichkeit angesehen wurde, um ein wirkungsvolles Unfallverhütungssystem zu etablieren406, kann es allerdings nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, durch die Anordnung von Fachaufsicht eine umfassende staatliche Einflussnahme auf die Prävention zu ermöglichen, die den Berufsgenossenschaften diesen Aufgabenbereich de facto wieder entziehen würde. Mithin wird die Aufsichtsbehörde durch die Fachaufsichtsbefugnisse nicht in die Lage versetzt, sämtliche Entscheidungen durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen beeinflussen zu können. Vielmehr dienen die Aufsichtsbefugnisse nur als anlassbezogenes Eingriffsmittel zum Schutze der Arbeitnehmer. Eine solche Auslegung der gesetzliche Anordnung der Fachaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention ist mit dem Gedanken der Systemgerechtigkeit vereinbar, da sie nach Sinn und Zweck des § 87 Abs. 2 SGB IV keine umfassenden allgemeinen aufsichtsbehördlichen Leitungsrechte impliziert. Außerdem betrifft sie nur einen bestimmten Ausschnitt der berufsgenossenschaftlichen Aufgabenbereiche und wird mit sachlichen Gründen belegt. Allerdings darf diese an sich systemkonforme Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch eine zu extensive Gesetzesauslegung und -anwendung der Aufsichtsbehörden konterkariert werden. Schließlich gehört die Prävention zu einem der vornehmsten Aufgabenbereiche der Unfallversicherungsträger und der Gesetzgeber hat ihnen insbesondere in diesem Aufgabenfeld erhebliche Gestaltungsspielräume eingeräumt407. Unter Berücksichtigung des Gedankens der Systemgerechtigkeit muss deshalb die Fachaufsicht nach § 87 Abs. 2 SGB IV die grundsätzliche verwaltungsorganisatorische Entscheidung, die Prävention an die Unfallversicherungsträger zur eigenständigen Wahrnehmung zu übertragen, berücksichtigen. Damit der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung ein Mindestmaß an Eigenverantwortlichkeit verbleibt, ist demnach zu fordern, dass die Aufsichtsbehörden nur in Ausnahmesituationen, in denen der gesundheitliche Schutz der Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet ist, die berufsgenossenschaftlichen Entscheidungen durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen beeinflussen dürfen408. Im Sinne des Gedankens der Systemgerechtigkeit müssen 405 Begründung der Reichstagsdrucksache Nr. 691, III. Wahlperiode 1924/25, S. 16, 18. 406 Verhandlungen des Reichstages, 5. Legislaturperiode, IV. Session 1884, Aktenstück Nr. 4, S. 68. 407 Siehe hierzu oben: Kap. 2 C. II. 408 Zu diesem Ergebnis kommt auch Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 109. Siehe ferner Emde, Die demokratische Legitimation der funktio-

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

sich die Fachaufsichtsbehörden also auf eine restriktive Aufsichtspraxis beschränken und dürfen nur aufgrund eines konkreten Anlasses tätig werden. Es müssen also begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Pflichtverletzung der Unfallversicherungsträger bevorsteht oder schon erfolgt ist, die ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde rechtfertigen können409. Insofern sollten die Behörden nicht schon jede geringe Abweichung des Unfallversicherungsträgers von den eigenen Vorstellungen als Anlass zum Einschreiten nehmen, sondern nur bei erheblichen Divergenzen tätig werden, bei denen eine Vereitelung des Arbeitsschutzes droht410. Aus diesem Grund wird auch von einer Erstregelungskompetenz der Unfallversicherungsträger für den Bereich der Prävention gesprochen411. 3. Funktionsadäquanz der Fachaufsicht Eine weitere Begrenzung erfährt die Fachaufsicht durch das Erfordernis der Funktionsadäquanz der Aufsicht. Mit dem Begriff der Funktionsadäquanz wird die funktionelle Abhängigkeit der Aufsicht von der ihr zugrunde liegenden Aufgabe beschrieben412. „Die Aufsicht muss der zu beaufsichtigenden Aufgabe gerecht werden“413. Daraus folgt, dass die Aufsichtsbehörden die jeweiligen Besonderheiten des Aufsichtsgegenstandes im Rahmen ihrer Tätigkeit zu berücksichtigen haben. Der Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII gibt den Berufsgenossenschaften keinen konkreten Handlungsauftrag, auf welche Weise die nalen Selbstverwaltung, S. 85, der eine Fachaufsicht im Bereich von Selbstverwaltungsangelegenheiten für zulässig ansieht, wenn sie vom Gesetzgeber „vereinzelt und punktuell“ zugelassen wird. Meydam, in: Krause/v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 88 Rn. 7 spricht sich ebenfalls für eine enge Auslegung der Zweckmäßigkeitsaufsicht aus, „da sie die grundsätzliche Eigenverantwortung der Unfallversicherungsträger . . . berührt“. 409 Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 106; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 165; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 108 f. 410 Ebenso Stößner, Die Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, S. 109. 411 Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 6 Rn. 107. Allgemein zum „Recht des ersten Zugriffs“ der Verwaltung als Abschirmung gegen Weisungen von oben: Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 106 Rn. 26 f., 31. 412 Wallerath, Rechtsetzungsbefugnisse der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 45 f.; siehe ferner Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 116, der diesen Gedanken unter den Begriff der Aufgabenadäquanz fasst sowie Hopf, in: Die BG 1982, S. 354; Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, S. 136; in Bezug auf die parlamentarische Kontrolle: Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 396. 413 Bull, in: VSSR 1977, S. 113, 116.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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Unfallverhütung erfolgen soll. In den §§ 15 ff. SGB VII sind nur die wesentlichen Eingriffsbefugnisse geregelt, ansonsten sollen sie Prävention „mit allen geeigneten Mitteln“ betreiben. Mangels detaillierter Vorgaben ist der Bereich der Prävention in besonderem Maße auf die Eigenständigkeit der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung angewiesen414. So beruht die Unfallverhütungsarbeit der Unfallversicherungsträger im Wesentlichen auf einer Auswertung der im Laufe der Zeit von ihren Mitgliedern gemachten Erfahrungen. Außerdem ergehen Präventionsmaßnahmen, die sich auf die Verhinderung eines potentiellen, multikausalen Arbeitsunfalls beziehen, immer aufgrund von Prognoseentscheidungen, die jedoch wegen ihrer Zukunftsorientierung grundsätzlich Ungewissheiten beinhalten415. Aus diesem Grund sind die Unfallversicherungsträger im Rahmen ihrer Präventionsarbeit auf die Anerkennung eines gewissen Prognosespielraums angewiesen. Soweit die Fachaufsichtsbehörden vollkommen detaillierte Weisungen erlassen, missachten sie diesen Prognosespielraum der Berufsgenossenschaften und lassen damit die Besonderheiten des zugrunde liegenden Sachgebietes unberücksichtigt416. Im Sinne einer funktionsadäquaten Aufsicht ist demnach zu fordern, dass Weisungen der Fachaufsicht keine Vollregelungen enthalten, sondern, dass sie die Einschätzungsprärogative der Unfallversicherungsträger berücksichtigen. Insofern wird das Ermessen der Fachaufsichtsbehörde durch den Zweck begrenzt, zu dem ihr das Fachaufsichtsrecht über die berufsgenossenschaftliche Prävention eingeräumt wurde417. Dies bedeutet nicht, dass es der Aufsichtsbehörde völlig verwehrt ist, eigene Zweckmäßigkeitserwägungen einzubringen, sie dürfen dabei nur nicht den Unfallversicherungsträgern eingeräumten Gestaltungsspielraum derart nivellieren, dass den Berufsgenossenschaften lediglich noch die Möglichkeit bleibt, die Entscheidung der Aufsichtsbehörde durchzuführen. 4. Organisationsadäquanz der Fachaufsicht Ein weiteres Instrument zur Herstellung eines schonenden Ausgleichs von Fachaufsicht und Selbstverwaltungsbefugnissen wird mit dem Begriff 414 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 13 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 176; Wallerath, Berufsgenossenschaftliche Rechtsetzungsbefugnis und Fachaufsicht, S. 45. 415 Wallerath, Rechtsetzungsbefugnisse der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 45. 416 Vgl. in diesem Sinne auch Salzwedel, in: SDSRV 1 (1966), S. 50, 61. 417 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 208 f.; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 43; ebenso: Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 200 in Bezug auf die Mitwirkungsrechte.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

der Organisationsadäquanz beschrieben. Eine organisationsadäquate Ausübung der Aufsicht verlangt, dass die Aufsichtsbehörde berücksichtigt, dass sie einem organisatorisch verselbständigten Verwaltungsträger mit eigenen Rechten gegenübersteht418. Die Aufsichtsbehörde muss die Grundentscheidung des Art. 87 Abs. 2 GG zugunsten einer organisatorischen und rechtlichen Verselbständigung der Sozialversicherungsträger419 als „ermessensleitende Direktive“420 im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit berücksichtigen. Sie muss die Unfallversicherungsträger als eigene Rechtssubjekte wahrnehmen, denen ein Rechtsbereich zur vorrangigen Regelung überantwortet wurde421. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses darf die Fachaufsichtsbehörde nur dann ihre eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle der Auffassung des Selbstverwaltungsträgers setzen, wenn die Präventionsmaßnahme des Selbstverwaltungsträgers von den gesetzgeberischen Direktiven abweicht422. Insofern rückt die Fachaufsicht über die Unfallversicherungsträger in die Nähe einer Rechtsaufsicht423. 5. Ergebnis Anders als § 87 Abs. 2 SGB IV zunächst vermuten lassen könnte, kommen den Aufsichtsbehörden im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Prävention mithin keine umfassenden, einem allgemeinen Weisungs- und Leitungsrecht vergleichbare Aufsichtsbefugnisse zu424. Vielmehr müssen sie bei ihrer Aufsichtstätigkeit die organisatorische Verselbständigung der Unfallversicherungsträger sowie den Prognosecharakter von Präventionsmaßnahmen berücksichtigen. Sie müssen die Aufsichtsbefugnisse restriktiv einsetzen und dürfen nur dann eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen, wenn die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung von den gesetzgeberischen Direktiven abweicht, so dass die Gefahr besteht, dass das Präventionsziel nicht erreicht wird. Unter Beachtung dieser Vorgaben werden die Gestaltungsspielräume der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung berücksichtigt, so dass eine eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung vorliegt. 418

Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 42. 419 Vgl. hierzu schon oben: 2. Kap. A. II. 420 Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 43 f. 421 Schnapp, in: SDSRV 31 (1988), S. 116, 140. 422 Salzwedel, in: SDSRV 1 (1966), S. 50, 61. 423 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 217; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnis der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 43. 424 Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 165; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 108 f.

D. Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention

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IV. Mitwirkungsrechte Neben den Aufsichtsbefugnissen im engeren Sinne kommen den staatlichen Aufsichtsbehörden Mitwirkungsrechte zu, wie Genehmigungs- und Zustimmungserfordernisse. Für den Bereich der Prävention sind hier insbesondere zu nennen das Genehmigungserfordernis für Unfallverhütungsvorschriften nach § 15 Abs. 4 S. 1 SGB VII sowie für Prüfungsordnungen nach § 18 Abs. 2 S. 3 SGB VII. Darüber hinaus bedarf auch der Erlass eines Gefahrtarifes nach § 158 SGB VII der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Diese Mitwirkungsbefugnisse werden nicht der allgemeinen Staatsaufsicht zugeordnet, so dass die §§ 87 ff. SGB IV keine Anwendung finden425. Nach ganz überwiegender Meinung ist die Aufsichtsbehörde nicht auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt, vielmehr steht ihr grundsätzlich auch ein Recht zur Zweckmäßigkeitskontrolle zu426. Etwas anderes gilt nur insoweit, als das Gesetz selbst eine Beschränkung der Mitwirkung auf Rechtmäßigkeitsgesichtspunkte vorsieht. Begründet wird diese staatliche Einflussmöglichkeit damit, dass die Tatbestände, die staatliche Mitwirkungsbefugnisse vorsehen, den Selbstverwaltungskörperschaften Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung übertragen und dass der Staat, den weiterhin die Gesamtverantwortung trifft, sich in diesen wesentlichen Bereichen im Sinne einer sach- und funktionsgerechten Aufgabenerfüllung der Sozialversicherungsträger Einflussmöglichkeiten sichern wollte427. Zu beachten ist aber, dass die Mitwirkungsbefugnisse kein umfassendes staatliches Prüfungs- und Beanstandungsrecht im Sinne einer Fachaufsicht begründen428. Eine solche ausgedehnte Einflussmöglichkeit der Aufsichtsbehörde würde der grundsätzlichen Entscheidung zur Führung der Sozialversicherung durch rechtlich und organisatorisch verselbständigte 425

BSG, in: SozR 3-2400, § 41 Nr. 1, S. 2 f.; Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 6; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 5; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 25; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 19; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 113; a. A.: Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 38, der die Mitwirkungsrechte der allgemeinen Rechtsaufsicht zuordnen, mit der Konsequenz, dass sich die Mitwirkung auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt. 426 BSG, in: SozR 2200, § 690 Nr. 4, S. 18 f.; SozR 3-2400 § 41 Nr. 1, S. 3; Breitkreuz, in: Winkler, SGB IV, § 87 Rn. 6; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 5a; Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 200; Marschner, in: Wannagat, SGB IV, § 87 Rn. 25; Salzwedel, in: SDSRV 1 (1966), S. 50, 62; SchütteGeffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 20; Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 118 ff. 427 BSG, in: SozR 3-2400 § 41 Nr. 1, S. 3; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK, SGB IV, § 87 Rn. 74; Graeff, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 87 Rn. 5a.; Schütte-Geffers, in: Kreikebohm, SGB IV, § 87 Rn. 20. 428 BSG, in: SozR 3-2400 § 41 Nr. 1, S. 5.

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

Körperschaften widersprechen. Aus diesem Grund beschränkt das Bundessozialgericht die Mitwirkungsbefugnisse dahingehend, dass eine Verweigerung der Mitwirkung nur dann in Betracht kommt, wenn sie aus Zwecken erfolgt, um deretwillen die Mitwirkungsbefugnisse eingeräumt wurden429. Überdies hinaus werden die Mitwirkungsbefugnisse begrenzt, indem die Aufsichtsbehörde verpflichtet ist, die „Primärkompetenz“ der sozialen Selbstverwaltung zu beachten430. Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist es also nicht, „den Beschluss des Versicherungsträgers nach Form und Inhalt zu gestalten“, sondern lediglich die „Vollziehbarkeit der Maßnahme [zu] bejahen oder [zu] verneinen“431. Ebenso wie die Fachaufsicht im Sinne von § 87 Abs. 2 SGB IV haben die aufsichtsbehördlichen Mitwirkungrechte damit die Befugnisse der Selbstverwaltung zu achten und implizieren keinesfalls umfassende staatliche Einflussmöglichkeiten. Der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung muss beim Erlass von Unfallverhütungsvorschriften, Prüfungsordnungen und Gefahrtarife also eine Erstregelungskompetenz zukommen, die nicht durch Zweckmäßigkeitserwägungen der Aufsichtsbehörden konterkariert werden dürfen, es sei denn die Erreichung des Präventionszwecks ist gefährdet.

E. Ergebnis Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist Gegenstand unzähliger wissenschaftlicher Untersuchungen. Oftmals wird ihr – entsprechend der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts432 – eine lediglich untergeordnete Funktion zugesprochen433. Mangels eigener Entscheidungsbefugnisse käme der sozialen Selbstverwaltung lediglich die Funktion zu, die staatliche Sozialgesetzgebung zu vollziehen. Soweit man bei der Überlegung von dem überkommenen Bild der kommunalen Selbstverwaltung mit verfassungsrechtlich garantierter Allzuständigkeit ausgeht, mag dieses Ergebnis nahe liegen. Dabei wird aber übersehen, dass sich die kommunale und die soziale Selbstverwaltung in elementaren Punkten unterscheiden, so dass solange nicht die Besonderheiten der sozialen Selbstverwaltung berücksichtigt werden, ein solcher Vergleich „hinkt“. In der sozialen Selbstverwaltung existiert 429 BSGE 3, 180, 189 f.; siehe hierzu auch Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 200; sowie Salzwedel, in: SDSRV 1 (1966) S. 50, 63. 430 Krause, in: FS 25 Jahre BSG, Bd. 1, S. 185, 200 f. 431 Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 113. 432 BVerfGE 39, 302 ff. 433 Schnapp, in: VSSR 2006, S. 191, 203; ders., in: FS v. Unruh, S. 881 ff.; Seewald, in SGb 2006, S. 569 ff; Werner Weber, in: SDSRV 1 (1966), S. 27, 30; Wertenbruch, in: SGb 1975, S. 261 ff.

E. Ergebnis

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keine Art. 28 Abs. 2 GG entsprechende verfassungsrechtliche Absicherung eines gewissen Kerns von sozialen Selbstverwaltungshoheiten. Abgesehen von der Entscheidung des Art. 87 Abs. 2 GG zur Führung der Sozialversicherungsträger in Körperschaften des öffentlichen Rechts, unterliegt die Ausgestaltung der sozialen Selbstverwaltung dem Gesetzgeber. Dieser bestimmt damit grundsätzlich, in welchem Umfang den Sozialversicherungsträgern Aufgaben zur eigenen Wahrnehmung überantwortet werden434. Diese grundsätzlichen Unterschiede vorausgesetzt, kann der überaus pessimistischen Einschätzung der sozialen Selbstverwaltung für den Bereich der Prävention in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gefolgt werden. Entsprechend ihres umfassenden Präventionsauftrages nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII kommen den Unfallversicherungsträgern hier – im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben – bedeutsame Handlungsspielräume zu. So unterliegen sie in ihrer Beratungs- und Überwachungstätigkeit nahezu keinerlei gesetzlicher Einschränkungen. Gleiches gilt für die Aus- und Fortbildung der für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen sowie für die Einrichtung überbetrieblicher arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Dienste. Ebenfalls weite Gestaltungsspielräume kommen den Unfallversicherungsträgern im Bereich des präventionsrechtlich relevanten Beitragsrechts zu435. Einschränkend ist allerdings für den Komplex der Unfallverhütungsvorschriften mit Blick auf den wachsenden Einfluss der staatlichen Arbeitsschutzgesetzgebung anzumerken, dass die Berufsgenossenschaften hier erhebliche Einbußen erfahren haben, da das umfangreiche Recht der Maschinensicherheit sowie der große Bereiche des Arbeitsstättenrechts heute überwiegend durch staatliche Vorschriften geregelt wird. Umfangreiche eigene Gestaltungsspielräume der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung bestehen auf der Ebene des betrieblich organisierten Gesundheitsschutzes. Über die gesetzlich vorgegebenen Präventionsstrategien wie die Unfallverhütungsvorschriften, die Beratung und die Überwachung hinaus kommt insbesondere dem öffentlichkeitswirksamen Präventionshandeln der Berufsgenossenschaften eine besondere Bedeutung zu. So nutzen die Unfallversicherungsträger unterschiedlichste Medien, um bei den Versicherten und den Arbeitgebern ein Bewusstsein für aus dem Arbeitsleben resultierende Gefahren zu schaffen, was unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ist. Zu nennen sind hier insbesondere der Einsatz von Printmedien, wie Zeitschriften, Faltblätter und Plakate, sowie von Aufklärungsfilmen. Ferner sorgen sie durch die Unterhaltung von Forschungszentren für einen stetigen Fortschritt der wissen434

Ruland, in: SozVers 1994, S. 5, 12. Hase, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 145 Rn. 22, spricht allgemein von der Finanzhoheit der Sozialversicherungsträger. 435

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2. Kap.: Präventionsauftrag zwischen Staat und Selbstverwaltung

schaftlichen Erkenntnisse, was zu einer permanenten Verbesserung der Prävention führt. Da der Gesetzgeber hier keine exakten gesetzlichen Vorgaben gemacht hat, gewährt er den Berufsgenossenschaften erhebliche Handlungsspielräume, zu deren Ausfüllung sie aufgrund ihres umfangreichen Fachwissens in besonderem Maße befähigt sind. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, der sozialen Selbstverwaltung komme lediglich die Funktion des Gesetzesvollzuges zu, trifft also auf die berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung zumindest im Bereich der Prävention nicht zu. Vielmehr kommen ihr hier Entscheidungsspielräume hinsichtlich der inneren Organisation sowie des Personal- und Finanzwesens zu, die den Kommunalhoheiten in einem gewissen Umfang vergleichbar sind. Anders als dies für weite Bereiche der sozialen Selbstverwaltung zutrifft, ist also wesentlicher Grund für die dezentrale Organisationsform der Sozialversicherungsträger nicht allein die organisatorische Trennung der Berufsgenossenschaften von den allgemeinen Staatsfinanzen, um das Beitragsvolumen den „fiskalischen Begehrlichkeiten des Staates“436 zu entziehen437. Vielmehr dient sie einer echten Betroffenenbeteiligung, die kraft besonderen Fachwissens den Aufgabenbereich sachnäher zu regeln vermag. Damit die Selbstverwaltungshoheiten nicht durch die nach § 87 Abs. 2 SGB VII angeordnete Zweckmäßigkeitskontrolle ausgehöhlt werden, muss die Aufsichtsbehörde stets berücksichtigen, dass die Prävention den Unfallversicherungsträgern aufgrund ihrer besonderen Sachkenntnis als eigene Aufgabe zur selbständigen Wahrnehmung übertragen wurde. Schon aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die Einführung der Zweckmäßgkeitskontrolle nicht zu einem der kommunalen Fachaufsicht vergleichbaren, umfassenden Weisungs- und Leitungsrecht der Aufsichtsbehörde führen soll, sondern vielmehr der Behörde anlassbezogene Eingriffsmöglichkeiten zum Schutz der Versicherten gewährt. Außerdem soll durch die Fachaufsicht ein Gleichlauf der sozialrechtlichen Präventionstätigkeit mit dem staatlichen Arbeitsschutzrecht sichergestellt werden. Unter Berücksichtigung dieser Zwecksetzung wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Unfallversicherungsträgern und Aufsichtsbehörde nicht mit dem eines Über-, Unterordnungsverhältnisses zwischen weisungsbefugter und angewiesender Behörde vergleichbar sein kann. Vielmehr muss die Aufsicht in ihrem Umfang und ihrer Ausgestaltung der Funktion und Organisation der zu beaufsichtigenden Unfallversicherungsträger entsprechen. Ferner ist bei allen Überlegungen zu Umfang und Grenze der Aufsichtsbefugnisse zu berücksichtigen, dass die 436

Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 397. Vgl hierzu: Axer, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 377, 397; Ruland, in: SozVers 1994, S. 5, 6; Wallerath, Rechtsetzungsbefugnisse der Berufsgenossenschaften und Fachaufsicht, S. 17. 437

E. Ergebnis

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Aufsicht nicht schlechthin als „Feind“ der Selbstverwaltung betrachtet werden kann. Aufsicht und Selbstverwaltung ergänzen einander438. Folgerichtig steht im Rahmen der Aufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention die kooperative Zusammenarbeit beider Behörden im Vordergrund439. Darüber hinaus ist die Staatsaufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention Ausdruck der gesamtstaatlichen Verantwortung für eine wirksame Unfallverhütung, denn die Übertragung bestimmter Aufgaben auf Selbstverwaltungskörperschaften ändert nichts an der Letztverantwortlichkeit des Staates für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung. Insofern dient die Aufsicht über die berufsgenossenschaftliche Prävention der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung440. Auf die häufig gestellte Frage441, ob es noch Selbstverwaltung in der Sozialversicherung gibt, kann damit zusammenfassend für den Bereich der Prävention in der Unfallversicherung mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet werden.

438

Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 155. Hopf, in: Die BG 1982, S. 354; zum Kooperationsverhältnis siehe auch: Plagemann, in: VSSR 2007, S. 121, 130. 440 Plagemann, in: VSSR 2007, S. 121 ff. spricht insofern von einer „Gewährleistungsaufsicht“. 441 Vgl. nur Schnapp, in: VSSR 2006, S. 191 ff.; Seewald, in SGb 2006, S. 569 ff.; Wertenbruch, in: SGb 1975, S. 261 ff. 439

3. Kapitel

Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes I. Die Anfänge des europäischen Arbeitsschutzes Die Europäische Gemeinschaft war ursprünglich eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, mit dem Ziel, einen einheitlichen Wirtschaftsraum herzustellen. Spezielle arbeits- und sozialrechtliche Ermächtigungsgrundlagen enthielt der EWG-Vertrag nicht1, so dass arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen nur aufgrund der allgemeinen, primär der wirtschaftlichen Integration dienenden Ermächtigungsgrundlagen der Art. 100 EWG2 und Art. 235 EWG3 erlassen werden konnten. Soweit in der Anfangszeit der Europäischen Gemeinschaft überhaupt arbeitsschutzrelevante Vorschriften erlassen wurden, handelte es sich folglich um den Arbeitsschutz flankierende Regelungen, die zumindest auch der wirtschaftlichen Integration dienten. Aufgrund dieser vorrangig wirtschaftlichen Ausrichtung verwundert es nicht, dass die europäische Rechtssetzungsaktivität im Bereich des Arbeitsschutzes zu Beginn nur sehr gering ausfiel4. Allein im Bereich der Gefahrstoffe und des produktbezogenen Arbeitsschutzes ergingen schon in den Anfangsjahren etliche Richtlinien, die dem Schutz der Arbeitnehmer vor gefährlichen Stoffen und Chemikalien dien1

Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 61; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 136 Rn. 3; zur anfänglich untergeordneten Bedeutung des Sozialrechts auf europäischer Ebene siehe ferner: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 932. 2 Zur Rechtsangleichung nach Art. 100 EWG vgl.: Eiden, Die Rechtsangleichung nach Art. 100 EWG-Vertrag; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 686 ff. 3 Zur Rechtsetzungsbefugnis nach Art. 235 EWG vgl.: Everling/Schwartz/Tomuschat, Die Rechtsetzungsbefugnis der EWG in Generalermächtigungen, insbesondere in Art. 235 EWG-Vertrag, EuR, Sonderheft 1976. 4 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 63; Schulze-Halberg, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 41 Rn. 3; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 81; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 87; ferner: Schnell/Wesenberg, in: DRV 2008, S. 275, 278.

A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes

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ten5. Die technische Harmonisierung sowie der betriebliche Arbeitsschutz waren demgegenüber zu dieser Zeit nur sehr vereinzelt Gegenstand europäischer Rechtsetzungsbemühungen. Erwähnenswert sind hier lediglich die Harmonisierungsrichtlinien für Druckbehälter6, Hebezeuge und Fördergeräte7 sowie Baugeräte und -maschinen8. Durch die stetige Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft änderte sich jedoch allmählich ihr Selbstverständnis. So wurde auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs 1972 in Paris die Bedeutung der europäischen Sozialpolitik erheblich aufgewertet, indem die Gemeinschaftsorgane aufgefordert wurden, sozialpolitische Aktionsprogramme zu erlassen9. Daraufhin verabschiedete der Rat am 21.1.1974 ein sozialpolitisches Aktionsprogramm10, das allgemein die Ziele, Schwerpunkte und Mittel zur Verwirklichung der gemeinsamen Sozialpolitik für die folgenden Jahre festlegte und weitere Aktionsprogramme für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz forderte, die 197811 und 198412 erlassen wurden. Für die Entwicklung des sozialpolitischen Engagements der europäischen Gemeinschaft waren diese Aktionsprogramme von besonderer Bedeutung, da sie erstmals das europäische Interesse an einer von der Wirtschaftspolitik unabhängigen gemeinsamen Sozialpolitik formulierten13. Neben Aktivitäten 5 Z. B. RL 67/548/EG zur Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe; RL 73/173/EWG zur Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Zubereitungen gefährlicher Stoffe (Lösemittel); RL 77/728/EWG zur Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Farben, Anstrichmitteln und Klebstoffen; RL 80/1107/EWG zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefährdungen durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit; vgl. außerdem die ausführliche Auflistung bei: Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1236 f. 6 RL 76/767/EWG vom 27.9.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über gemeinsame Vorschriften für Druckbehälter sowie über Verfahren zu deren Prüfung, ABl. EG 1976, Nr. L 262, S. 153 ff. 7 RL 84/528/EWG vom 17.9.1984 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über gemeinsame Vorschriften für Hebezeuge und Fördergeräte, ABl. EG 1984, Nr. L 300, S. 72 ff. 8 RL 84/532/EWG vom 17.9.1984 Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend Baugeräte und Baumaschinen, ABl. EG 1984, Nr. L 300, S. 111 ff. 9 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 24.10. 1972, Nr. 148, S. 1761, 1765 Ziff. 6; Opfermann, in: FS Wlotzke, S. 729, 734; zum Pariser Gipfel siehe weitergehend: Miller, in: BArBl. 1973, S. 484 ff.; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rn. 9 ff. 10 ABl. EG 1974, Nr. C 13, S. 1 ff. 11 Aktionsprogramm für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 29.6.1978 ABl. EG 1978, Nr. C 165, S. 1 ff. 12 Zweites Aktionsprogramm für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 27.2.1984, ABl. EG 1984, Nr. C 67, S. 2 ff.

158 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

wie der Erstellung von Berichten, Statistiken, Empfehlungen, der Veranstaltung von Konferenzen oder der Veranlassung von Forschungsarbeiten, sahen die Aktionsprogramme auch den Erlass von arbeitsschutzbedeutsamen Richtlinien vor. Zu nennen sind hier vornehmlich die Richtlinien zum Gefahrstoffrecht14. Trotz dieser sozialpolitischen Bemühungen konnte die gemeinschaftliche Rechtsetzung die Arbeitssicherheit nicht entscheidend verbessern. Auch fiel die Zahl der arbeitsschutzrechtlich relevanten Rechtsakte weiterhin insbesondere in den Bereichen der technischen Harmonisierung sowie des betrieblichen Arbeitsschutzes sehr gering aus15. Begründet wird dies einerseits mit der mangelnden Bedeutung der Sozialpolitik für die gemeinsame Wirtschaftspolitik. Lediglich die Sozialkosten wurden als Wirtschaftsfaktor begriffen16, ansonsten war die Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes schließlich nicht von der Existenz einer europäischen Sozialpolitik abhängig. Ferner werden auch konzeptionelle Hindernisse, wie mangelnde ausdrücklich sozialrechtliche Rechtsetzungskompetenzen, als Ursache für die zunächst untergeordnete Rolle der europäischen Sozialpolitik genannt17. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass sowohl Art. 100 EWG als auch Art. 235 EWG einstimmige Entscheidungen aller Ratsmitglieder verlangten, so dass Abstimmungsprozesse durch das Veto eines einzelnen Staates blockiert werden konnten18. Für den Bereich 13 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 64; ders., Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 53; Ernst, Das Sozialrecht in der EWG, S. 10.; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeitsund Sozialrechts, § 11 Rn. 14. 14 Siehe insbesondere die Rahmenrichtlinie zum Gefahrstoffrecht (RL 80/1107/ EWG) – auf Grundlage dieser Rahmenrichtlinie wurden folgende Einzelrichtlinien erlassen: RL 82/605/EWG vom 28.7.1982 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch metallisches Blei und seine Ionenverbindung am Arbeitsplatz, ABl. EG 1982, Nr. L 247, S. 12 ff.; RL 83/477/EWG vom 19.9.1983 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz, ABl. EG 1983, Nr. L 263, S. 25 ff.; RL 86/188/EWG vom 12.5.1986 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Lärm am Arbeitsplatz, ABl. EG 1986, Nr. L 137, S. 28 ff. 15 Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 51 f.; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 86 f.; ders., in: NZA 1990, S. 417, 418. 16 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 61. 17 Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1234; Opfermann, in: FS Wlotzke, S. 729, 735; Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 89; ders., in: RdA 1992, S. 85, 87; Zachert, in: AuR 1989, S. 161, 162; a. A.: Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 63, der weniger die Kompetenzdefizite als das Einstimmigkeitsprinzip als Ursache für die zunächst untergeordnete Bedeutung der Sozialpolitik ansieht. 18 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 120.

A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes

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der arbeitsschutzrechtlich relevanten Binnenmarktrichtlinien nach Art. 100 EWG wird als zusätzliches Hindernis für einen zügigen Ausbau der europäischen Arbeitsschutzgesetzgebung die angewandte Harmonisierungsmethode genannt19. Nach der ursprünglichen Konzeption enthielten diese Richtlinien nämlich sämtliche technischen Details20, so dass der Rechtsetzungsprozess schon aufgrund der aufwendigen Ermittlung der zu regelnden technischen Einzelheiten erheblich in die Länge gezogen wurde21.

II. Die Einheitliche Europäische Akte Den entscheidenden Ausweg aus den stagnierenden Bemühungen um einen einheitlichen europäischen Arbeitsschutz stellte die am 17./18.2.1986 verabschiedete und am 1.7.1987 in Kraft getretene Einheitliche Europäische Akte22 dar. Ihr primäres Ziel bestand zwar in der Realisierung des Binnenmarktes zum 1.1.1993. Darüber hinaus veränderte sie aber auch die Voraussetzungen des europäischen Arbeitsschutzes, indem sie inhaltliche sowie institutionelle Neuerungen der gemeinschaftlichen Rechtsetzung mit sich brachte. So wurde einerseits Art. 100a EWGV – der jetzige Art. 95 EG – eingeführt, auf dessen Grundlage der Rat Maßnahmen zur Angleichung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen kann, die die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. In Abkehr von dem zuvor geltenden Einstimmigkeitsprinzip kann der Rat nun die entsprechenden Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit erlassen, so dass die für die Fortentwicklung der europäischen Arbeitsschutzgesetzgebung als hinderlich erkannten Entscheidungsprozesse vereinfacht wurden. Eine weitere bedeutende Neuerung der Einheitlichen Europäischen Akte stellte die Einführung des Art. 118a EWGV – der heutige Art. 137 EG – dar, mit dem erstmals eine „autonom sozialpolitische Kompetenznorm“23 in den Vertrag aufgenommen wurde. Aufgrund dieser Vorschrift konnte der Rat Mindestbestimmungen zur Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer erlassen. Ebenso wie im Rahmen des Art. 100a EWGV reicht für den Erlass der arbeitsschutzrelevanten Vorschriften nach Art. 118a EWGV eine qualifizierte Mehrheit aus. 19 Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 87; ders, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 89. 20 Vgl. hierzu auch Anselmann, in: RIW 1986, S. 936, 939. 21 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 120; Berghaus, in: Die BG 1991, S. 4; Konstanty/Zwingmann, WSI-Mitteilungen 1989, S. 558 f. 22 ABl. EG 1987, Nr. L 169, S. 1 ff. 23 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 69; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rn. 39.

160 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

Im Unterschied zum früheren Rechtszustand existiert somit seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte eine spezielle arbeitsschutzrechtliche Rechtsgrundlage. Ferner sind, jedenfalls für solche Binnenmarktrichtlinien, die den hier relevanten Bereich des Arbeitsschutzes tangieren, die Entscheidungsprozesse vereinfacht worden. Hintergrund für die verstärkten europäischen Aktivitäten in diesem Bereich war insbesondere die Erkenntnis, dass eine hohe Anzahl an Arbeitsunfällen jenseits der damit verbundenen menschlichen Schicksale enorme Kosten verursacht, die sich negativ auf die Wirtschaft auswirken könnten24. Darüber hinaus bestand die Sorge, dass der finanzielle Aufwand, den ein hoch entwickelter Arbeitsschutz verursacht, als negativer Wettbewerbsfaktor zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten begriffen werden und demnach zum Absinken des Arbeitsschutzniveaus führen könnte25. Um dem entgegenzuwirken, wurden auf europäischer Ebene auf Grundlage der neu eingefügten Vorschriften einheitliche Mindestvorschriften erlassen.

III. Die „Neue Konzeption“ 1. Inhalt der „Neuen Konzeption“ Neben der Einheitlichen Europäischen Akte war für die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes die so genannte „Neue Konzeption“ von besonderer Bedeutung, durch die das europäische Rechtsetzungsverfahren vereinfacht wurde. Vor dem Hintergrund, dass die zunächst schleppende Entwicklung der europäischen Arbeitsschutzgesetzgebung auch durch die bisher angewandte Harmonisierungsmethode bedingt war, nach der alle technischen Details in der Richtlinie selbst geregelt wurden, erließ der Rat nach dem Vorbild der Niederspannungsrichtlinie26 die Entschließung vom 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung27. Richtlinien, die nach den Grundsätzen der „Neuen Konzeption“ erlassen werden, enthalten keine Detailregelungen, sondern legen ausschließlich grundlegende Sicherheitsanforderungen fest. Die nötigen Spezifikationen werden von den für die Industrienormung zuständigen Gremien ausgearbeitet, so dass sich die konkreten Arbeitsschutz24 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 70; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rn. 41; siehe ferner: Clever, in: ZfSH/SGB 1990, S. 225, 231. 25 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B, Rn. 70. 26 RL 73/23/EWG vom 19.2.1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen, ABl. EG 1973, Nr. L 77, S. 29 ff. 27 ABl. EG 1985, Nr. C 136, S. 1 ff.

A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes

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bestimmungen aus einem Zusammenspiel von Richtlinie und technischen Normen ergeben28. Neben der Beschleunigung des Rechtsetzungsprozesses ermöglicht die Trennung des Richtlinienerlasses von der Normung eine flexiblere Reaktion auf technische Neuerungen, da neue technische Erkenntnisse keine Richtlinienänderung mehr erfordern29. Auf technischen Fortschritt kann nun durch die technische Normung reagiert werden. 2. Die europäische Normung Ausgearbeitet werden die europäischen Normen von den beiden Trägern der europäischen Normung, dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) sowie dem Europäischen Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC)30. Aufgrund vertraglicher Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Normungsgremien31 besteht die Aufgabe von CEN und CENELEC in der technischen Konkretisierung der allgemeinen Vorgaben von Harmonisierungsrichtlinien, mithin in der Ausarbeitung von technischen Details, die nicht in den Harmonisierungsrichtlinien enthalten sind32. Sowohl das CEN als auch das CENELEC sind privatrechtlich organisierte Vereine, deren Mitglieder die nationalen Normungsgremien sind. Deutschland wird demnach durch das Deutsche Institut für Normung (DIN) und die Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE (DKE) in den europäischen Normungsorganisationen vertreten33. Die eigentliche Normungsarbeit erfolgt in den von den europäischen Normungsorganisationen gebildeten Arbeitsgremien, in denen neben den satzungsmäßigen Mitgliedern auch Nichtmitgliedern vertreten sind. Um den harmonisierten Normen durch einen breiten Konsens eine hohe Akzeptanz zu verschaffen, wer28 Anselmann, in: RIW 1986, S. 936, 939; Bruha, in: ZaöRV 46 (1986), S. 1, 9 ff.; Jansen/Römer, in: Die BG 1988, S. 438, 440; Römer, in: Moderne Unfallverhütung 1988, Heft 32, S. 9, 9 f.; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rn. 32; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 101 f.; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 62 ff. Kritisch hierzu: Joerges, in: FS Steindorff, S. 1247, 1257 ff. 29 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 121. 30 Ausführlich zur europäischen Normung vgl.: Anselmann, in: RIW 1986, S. 936 ff. 31 Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der EG-Kommission und CEN/CENELEC vom 13.11.1984, veröffentlicht in: DIN-Mitteilungen 64, 1985, Nr. 2, S. 78 f. 32 Entschließung des Rates vom 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und Normung, ABl. EG 1985, Nr. C 136, S. 1 ff.; vgl. hierzu auch Anselmann, in: RIW 1986, S. 936, 939. 33 Schulze-Halberg, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 41 Rn. 69.

162 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

den an dem Normungsverfahren die betroffenen Kreise, wie die Hersteller, die Verbraucher oder die Gewerkschaften, beteiligt34. Von deutscher Seite sind darüber hinaus die Berufsgenossenschaften in erheblichem Umfang an der Ausarbeitung der europäischen Normen beteiligt und können ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen in den Normungsprozess miteinfließen lassen35. Aufgrund der privatrechtlichen Organisationsform des CEN und des CENELEC handelt es sich bei den europäischen Nomen grundsätzlich um rechtlich unverbindliche Normen, deren Befolgung freiwillig ist. Allerdings sind die Mitglieder der europäischen Normungsorganisationen vereinsrechtlich verpflichtet, die europäischen Normen auf nationaler Ebene zu übernehmen und in ihr Regelwerk zu inkorporieren, so dass die europäischen Normen für die Mitglieder der nationalen Normungsorganisationen als privates Satzungsrecht Bindungswirkung entfalten. Rechtliche Verbindlichkeit im Sinne einer staatlichen Normgeltung kommt dem privaten Satzungsrecht jedoch nicht zu36. Eine Schlüsselrolle hält die europäische Normung aber dennoch inne, weil sie für Produkte, die den technischen Anforderungen der Normen entsprechen, die Vermutung begründen, dass diese Produkte mit den in der entsprechenden Harmonisierungsrichtlinie festgelegten „grundlegenden Anforderungen“ in Einklang stehen37. Sie begründen damit eine Konformitätsvermutung hinsichtlich der Richtlinienanforderungen38. Demgegenüber müssen Hersteller von nicht normkonformen Erzeugnissen selbst darlegen, dass sich die Erzeugnisse mit den „grundlegenden Sicherheitsanforderungen“ der Richtlinie decken.

IV. Bewertung Die Einführung und Umstrukturierung der arbeitsschutzrechtlich relevanten Ermächtigungsgrundlagen des EG-Vertrages ermöglichten eine Vielzahl 34 Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung, ABl. EG 1985, Nr. C 136, S. 1, 5; zur konkreten Ausarbeitung der Normen siehe insbesondere die Homepage des DIN „Entstehung einer europäischen Norm“ (http://www.din.de/cmd?level=tpl-rubrik&languageid=de&cmsrubid=entstehung_einer _europaeischen_norm), abgerufen am 17.12.2008. 35 Ulrich Becker, in: Die BG 1989, S. 550, 551 f.; Römer/Jansen, in: Die BG 1988, S. 498, 499 f.; Waldeck, in: Die BG 1996, S. 348, 348; ders, in: Die BG 1991, S. 700, 701; ders., in: Die BG 1989, S. 560, 561; zur Bedeutung des berufsgenossenschaftlichen Einflusses auf die europäische Normungsarbeit für die Prävention siehe unten: 3. Kap. D. I. 36 Vgl. hierzu: Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 281 ff. 37 Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung, ABl. EG 1985, Nr. C 136, S. 1, 2. 38 Anselmann, in: RIW 1986, S. 936, 939; Ulrich Becker, in: Die BG 1989, S. 550, 551; Schulze-Halberg, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 41 Rn. 80.

A. Die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes

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neuer europäischer Rechtsetzungsakte in diesem Bereich. So beschränken sich die Aktivitäten schon längst nicht mehr auf das Gefahrstoffrecht, vielmehr haben sie auch den Bereich der Maschinensicherheit und des betrieblichen Arbeitsschutzes erfasst. Insofern nahm die Zahl der in das Recht der Mitgliedstaaten zu transformierenden Arbeitsschutz-Richtlinien erheblich zu und führte zu umfangreichen Änderungen des deutschen Arbeitsschutzrechts. Kaum ein anderer Bereich wurde so sehr von der europäischen Rechtsetzung durchdrungen39, so dass man mittlerweile von einem vollständigen europäischen Arbeitsschutzsystem sprechen kann40. Allerdings wurde Europa nicht nur auf dem Gebiet der arbeitsschutzrechtlichen Normsetzung tätig, sondern hat mit der nunmehr zweiten Gemeinschaftsstrategie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit einen umfassenden Handlungsansatz entwickelt41. Zentrales Ziel der Gemeinschaftsstrategie für 2007–2012 ist die Verringerung der Arbeitsunfälle und arbeitsbedingten Erkrankungen unter besonderer Berücksichtigung des demographischen Wandels, der Zunahme besonderer Beschäftigungsverhältnisse, der Folgen verstärkter Migration sowie der Zunahme bestimmter berufsbedingter Erkrankungen wie Muskel-Skelett-Erkrankungen. Zur Erreichung dieses Ziels soll das jeweilige mitgliedstaatliche Arbeitsschutzrecht modernisiert, die Umsetzung nationaler Arbeitsschutzstrategien gefördert, Verhaltensänderungen bei Arbeitnehmern angeregt, die Identifizierung und Bewertung neuer Risiken verbessert, Erfolgskontrollen durchgeführt und das Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in andere Politikfelder integriert werden. Eine weitere Betonung erfahren die sozialen Ziele der Europäischen Union durch Art. 3 Abs. 3 EU in der Fassung des Lissabonner Vertrages42, wonach die Union „die soziale Gerechtigkeit und [den] sozialen Schutz“ fördert. Weitergehende substantielle Änderungen ergeben sich aus der Vertragsänderung für den Arbeitsschutz grundsätzlich nicht, da Art. 95 EG und Art. 137 EG inhaltlich weitestgehend unverändert bleiben43. 39 Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EG-Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 85. 40 Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 137 Rn. 23; ähnlich: Birk, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 18 Rn. 155. 41 ABl. EU 2007, Nr. C 145, S. 1 ff. Die Gemeinschaftsstrategie für die Jahre 2007 bis 2012 steht unter dem Motto „Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern“, siehe hierzu: Timm, in: Die BG 2007, S. 438 ff. Titel der ersten Gemeinschaftsstrategie von 2002 bis 2006 war „Mehr und bessere Arbeit“, siehe hierzu: ABl. EG 2002, Nr. C 161, S. 1 ff. 42 ABl. EG 2008, Nr. C 115, S. 1 ff. Allerdings wurde der Vertrag von Lissabon bislang noch nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert, so dass er noch nicht in Kraft getreten ist. 43 Zu den sozialpolitischen Auswirkungen des Vertrags von Lissabon: Schnell/ Wesenberg, in: DRV 2008, S. 275 ff.

164 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes I. Art. 137 EG 1. Die Regelung des Art. 137 EG Mit Art. 137 EG wurde erstmals eine ausdrücklich sozialpolitisch motivierte Kompetenzgrundlage in den EG-Vertrag aufgenommen44. Ausgehend von der allgemeinen Zielvorgabe des Art. 136 EG bestimmt Art. 137 Abs. 1 lit. a EG, dass sich die Mitgliedstaaten um die Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer bemühen45. Zur Verwirklichung dieser Ziele wird in Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG der Rat ermächtigt „unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften zu erlassen“. Wie schon aus dem Wortlaut des Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG hervorgeht, handelt es sich bei den Richtlinien nach Art. 137 EG um Mindestvorschriften, so dass strengere mitgliedsstaatliche Regelungen möglich sind. Anders als im Rahmen der Binnenmarktrichtlinien wird also keine Totalharmonisierung angestrebt46, vielmehr wird lediglich ein bestimmter arbeitsschutzrechtlicher Mindeststandard festgelegt, der verhindern soll, dass es aus Wettbewerbsgesichtspunkten zu einem Abbau des Arbeitsschutzniveaus kommt47. Dies ergibt sich einerseits aus Art. 137 Abs. 4 UAbs. 2 EG, der strengere nationale Maßnahmen ausdrücklich für zulässig erklärt, als auch aus dem Schutzzweck der Norm, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wonach ein Verbot strengerer Arbeitsschutzvorkehrungen sinnwidrig wäre. Indem Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG die Beachtung der in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen sowie eine schritt44

Birk, in: RdA 1992, S. 68, 69 f. Ferner ordnet Art. 137 Abs. 1 lit. b EG an, dass die Gemeinschaft auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen tätig wird. Diese Ermächtigung stellt zwar dem ersten Anschein nach eine sehr umfangreiche Rechtsetzungsermächtigung dar, da allerdings alle Materien, die schon in anderen Katalogen des Art. 137 Abs. 1 EG aufgelistet sind, also insbesondere die soziale Sicherheit, der Schutz des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsvertrages, das Arbeitsentgelt sowie das kollektiven Arbeitsrecht nicht erfasst werden, bezieht sich die Ermächtigungsgrundlage vorrangig auf den Erlass von Regelungen hinsichtlich der Begründung und Beendigung des Arbeitsvertrages (Langenfeld/Benecke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 137 Rn. 41). Für den vorliegend interessierenden Bereich des Arbeitsschutzes ist die Ermächtigung damit nicht relevant. 46 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 54. 47 Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 137 Rn. 8; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 60. 45

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

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weise Anwendung der Richtlinien vorschreibt, dient er dem Schutz von wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten mit einem nicht so hochentwickelten Arbeitsschutzniveau. Diese Länder sollen nicht durch eine zu schnelle Harmonisierung überfordert werden48. Ziel des Art. 137 EG ist es also, ein einheitliches europäisches Mindestarbeitsschutzniveau zu schaffen, von dem weiter entwickelte Mitgliedsländer zum Schutz der Arbeitnehmer nach oben hin abweichen dürfen49. 2. Der Begriff der Arbeitsumwelt Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG ermächtigt den Rat zum Erlass von Richtlinien, die der „Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer dienen“. Für den Umfang der Regelungskompetenz ist damit von besonderer Bedeutung, wie der Begriff der „Arbeitsumwelt“ auszulegen ist. Nach einer Ansicht, die ein weites Verständnis der „Arbeitsumwelt“ zugrunde legt, erfasse der Begriff nicht nur Bestimmungen bezüglich der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern zugleich den gesamten Bereich der Arbeitsbedingungen sowie der Arbeitsorganisation50. Dem folgt auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 15.12.1988 mit der Begründung, dass Faktoren wie die Dauer, die Organisation und der Inhalt der Tätigkeit sich auf die Arbeitssicherheit und Arbeitshygiene auswirkten51. Im Sinne eines möglichst umfassenden und effektiven Arbeitsschutzes müsste der Begriff der Arbeitsumwelt weit ausgelegt werden und alle Bedingungen erfassen, die sich in irgendeiner Weise auf die Arbeitssicherheit auswirken können52. Unter Zugrundelegung dieses weiten Verständnisses würde Art. 137 EG als Generalklausel für den Erlass von arbeits- und sozialpolitisch motivierten Richtlinien fungieren53. 48

Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 54; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art. 137 EG Rn. 30; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 60. 49 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 54; Eichenhofer, in: Streinz, EUV/ EGV, Art. 137 Rn. 8; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 137 Rn. 29. 50 Zachert, in: AuR 1989, S. 161, 163, der unter den Begriff der Arbeitsumwelt die Versammlungsfreiheit, das Vertretungs- und Verhandlungsrecht, die Arbeitszeit, die Lohnpolitik, die Mitbestimmung, die Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten fasst, auch ohne dass hier ein Bezug zur Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehen würde. 51 Veröffentlicht in: BT-Drs. 11/3899, S. 3 f. 52 Europäisches Parlament, in: BT-Drs. 11/3899, S. 3. 53 Vgl hierzu auch: Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EGRechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 68.

166 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

Anderer Ansicht zufolge soll der Begriff der Arbeitsumwelt restriktiv ausgelegt werden und sich nur konkret auf den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer beziehen54. Demnach wäre der Rat durch Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG ausschließlich zum Erlass von ArbeitsschutzRichtlinien ermächtigt. Für ein solches enges Begriffsverständnis kann zunächst der Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 lit. a EG angeführt werden55. Die Formulierung „zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer“ konkretisiert den Begriff der Arbeitsumwelt. Demnach stellt Art. 137 EG keine Ermächtigungsgrundlage für die Regelung aller Bereiche der Arbeitsumwelt dar, sondern nur für den Ausschnitt, der den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer betrifft. Insofern ist der Begriff der „Arbeitsumwelt“ genauso überflüssig wie das Wort „insbesondere“56. Dieses Ergebnis wird auch durch die systematische Auslegung der Vorschrift bestätigt. Art. 137 EG ist im Zusammenhang mit Art. 95 EG zu sehen, der in Abs. 2 eine Bereichsausnahme für Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer festlegt57. Gem. Art. 95 Abs. 2 EG kann die europäische Gemeinschaft also für den Bereich der „Rechte und Interessen der Arbeitnehmer“ keine Harmonisierungsvorschriften erlassen. Demgegenüber sieht Art. 95 Abs. 4 EG eine Rechtfertigungsmöglichkeit für mitgliedstaatliche Sonderregelungen in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt vor und erlaubt mithin eine Abweichung von Harmonisierungsrichtlinien. Im Gegensatz zu den „Rechten und Interessen der Arbeitnehmer“ können Bestimmungen zur Arbeitsumwelt folglich Gegenstand von Harmonisierungsrichtlinien sein. Mithin können die Begriffe der „Rechte und Interessen der Arbeitnehmer“ sowie der „Arbeitsumwelt“ inhaltlich nicht deckungsgleich sein. Vielmehr ist der Begriff der Arbeitsumwelt enger aus54 Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 106 ff.; Birk, in: RdA 1992, S. 68, 70 f.; Langenfeld/Benecke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 137 Rn. 16; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 12 Rn. 48; Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EG-Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 68; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 85 f. 55 Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 12 Rn. 48. 56 Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EG-Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 67 f.; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 85; in diesem Sinne ferner auch: Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 99; a. A.: Langenfeld/Benecke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 137 Rn. 17. 57 A. A. Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 169, der davon ausgeht, dass der Begriff der Arbeitsumwelt in Art. 95 EG und Art. 137 EG unterschiedlich zu verstehen ist.

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

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zulegen58. Da die Normen des EG-Vertrages nicht völlig beziehungslos nebeneinander stehen, ist dieses in Art. 95 EG angelegte Begriffsverständnis von „Arbeitsumwelt“ auch im Rahmen anderer Normen, die diese Begrifflichkeiten ebenfalls verwenden, zu berücksichtigen. Der systematische Zusammenhang von Art. 137 EG und Art. 95 EG spricht also für eine enge Auslegung des Begriffs der Arbeitsumwelt. Ebenso verlangt die teleologische Auslegung des Art. 137 EG eine restriktive Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG. Wie sich schon aus Art. 95 Abs. 2 EG ergibt, soll der Europäischen Gemeinschaft keine umfassende Regelungskompetenz für das Arbeitsrecht zukommen. Dies vorausgesetzt kann Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG keine umfassende Rechtsetzungsermächtigung für sämtliche Richtlinien sein, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen. Vielmehr sollten nur solche Regelungen erfasst werden, die sich auf die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit beziehen59. Für den hier relevanten Bereich des technischen Arbeitsschutzes ist der Streit jedoch ohne Bedeutung, da nach beiden Ansichten der Begriff der Arbeitsumwelt jedenfalls den technischen Arbeitsschutz mit umfasst und demnach für diesen Bereich eine taugliche Ermächtigungsgrundlage darstellt. Insofern kann eine weitere Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen dahinstehen, obwohl die besseren Argumente für eine restriktive Auslegung des Begriffs der Arbeitsumwelt sprechen60. 3. Handlungsmöglichkeit nach Art. 137 Abs. 2 EG a) Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG Zur Verbesserung des europäischen Arbeitsschutzes stehen dem Rat gem. Art. 137 Abs. 2 S. 1 EG unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Nach Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG ist der Rat ermächtigt, Unterstützungsmaßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten für den Bereich des Arbeitsschutzes zu erlassen. Allerdings 58 Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EG-Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 68; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 85; vgl. hierzu auch: Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 145. 59 Birk, in: RdA 1992, S. 68, 71; Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EG-Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 68; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 85. 60 Eine eingehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Argumenten findet sich bei Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 87 ff. sowie bei Wank, in: v. Maydell/Schnapp, Die Auswirkungen des EGRechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik, S. 63, 66 ff.

168 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

ist Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG vorrangig im Bereich der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung (Art. 137 Abs. 1 lit. j) und der Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes (Art. 137 Abs. 1 lit. k) von Bedeutung, da hier keine Mindestharmonisierungs-Richtlinien erlassen werden können61. Hinsichtlich der möglichen Handlungsformen für Unterstützungsmaßnahmen enthält Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. a EG keine konkreten Vorgaben, so dass alle Handlungsformen des Art. 249 EG aber auch Beschlüsse über Aktionsprogramme in Betracht kommen62. b) Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG Für die vorliegende Arbeit ist die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG von vorrangigem Interesse, wonach der Rat unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen Richtlinien erlassen kann. Die Handlungsform der Richtlinie ist mithin für die Festlegung von Mindeststandards im Arbeitsschutz zwingend vorgeschrieben. aa) Rechtsnatur der Richtlinie Nach Art. 249 EG stehen der Europäischen Gemeinschaft unterschiedliche Handlungsformen zur Verfügung. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben kann sie insbesondere Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen erlassen. Während Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 249 Abs. 5 EG) unverbindlicher Natur sind und Entscheidungen (Art. 249 Abs. 4 EG) verbindliche Einzelfallregelungen enthalten, wirken Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EG) und Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EG) allgemein normativ63. Verordnungen sind gem. Art. 249 Abs. 2 EG in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar verbindliches Recht. Demgegenüber bestimmt Art. 249 Abs. 3 EG, dass Richtlinien für jeden Mitgliedstaat, an den sie sich richten, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich sind, die Wahl der Form und der Mittel wird jedoch den innerstaatlichen Stellen überlassen. Im Unterschied zu Verordnungen gelten Richtlinien damit in den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar, sondern bedürfen der Umsetzung in nationales Recht. Eine solche indirekte Rechtsetzungsmethode ist eine Be61

Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 137 Rn. 4. Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 137 Rn. 22. 63 Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 95. Allgemein zu den Rechtsakten nach Art. 249 EG siehe: Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 33 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 39 ff.; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 52 ff. 62

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

169

sonderheit des Gemeinschaftsrechts64, die vornehmlich der Schonung der mitgliedsstaatlichen Souveränität dient65. Die Mitgliedstaaten sind zwar verpflichtet, das in der Richtlinie vorgegebene Ziel zu verwirklichen, es steht ihnen jedoch grundsätzlich frei, welche Rechtsform sie für die Umsetzung wählen. Aufgrund des den Mitgliedstaaten verbleibenden Umsetzungsspielraums wurde die Richtlinie ursprünglich als Instrument der Rechtsangleichung verstanden, während Verordnungen der Rechtsvereinheitlichung dienten66. Allerdings ist zu beachten, dass je nach Detaillierungsgrad der Richtlinie der den Mitgliedsstaaten verbleibende Umsetzungsspielraum erheblich variiert, so dass im Falle sehr ausführlicher Richtlinienvorgaben unter Umständen nahezu kein Spielraum für Lösungen verbleibt, die die mitgliedstaatlichen Besonderheiten berücksichtigen. In diesen Fällen führt die Richtlinie mithin eher zur Rechtsvereinheitlichung als zu Rechtsangleichung67. bb) Mitgliedstaaten als Adressaten der Umsetzungsverpflichtung Die Umsetzungspflicht für Richtlinien trifft, wie schon der Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EG erkennen lässt, nur die Mitgliedstaaten und begründet keine Verpflichtungen für Einzelpersonen68. Sie beinhaltet die Verpflichtung zum Erlass von nationalen Rechtsakten, die das Richtlinienziel vollständig und fristgerecht69 verwirklichen müssen70. Allerdings genügt ein Mitgliedsstaat den europarechtlichen Umsetzungsanforderungen nicht schon dann, wenn er einen Rechtsakt erlässt, der die Richtlinie vollständig umsetzt und eine hinreichend bestimmte sowie unbedingte Rechtslage 64 Insbesondere sind Richtlinien nicht mit der früheren Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG vergleichbar, da ihnen keine unmittelbare rechtsgestaltende Regelungswirkung zukommt, vgl. hierzu: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 Rn. 124. 65 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 Rn. 124; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 45; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 68. 66 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 69. 67 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 47; zur Regelungsintensität siehe auch: Zuleeg, in: ZGR 1980, S. 466, 471 ff. 68 EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, S. I-3325, 3356, Rn. 24; Rs. C-192/94, El Corte Inglés, Slg. 1996, S. I-1281, 1303, Rn. 17; Rs. C-97/96, Daihatsu, Slg. 1997, S. I-6843, 6865 f., Rn. 24; Rs. C-355/96, Silhouette, Slg. 1998, S. I-4799, 4834, Rn. 36. 69 Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Umsetzungsverpflichtung vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 Rn. 154 ff. 70 Allgemein zur Richtlinienumsetzung in deutsches Recht siehe: Schröder, in: Hohloch, Richtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, S. 113 ff.

170 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

schafft71. Darüber hinaus verlangt eine vollständige Umsetzung eine Realisierung des gesamten Richtlinienprogramms auch in der Verwaltungspraxis72. Nach Art. 249 Abs. 3 EG unterliegt es der Wahl der Mitgliedstaaten, mit welchen nach dem nationalen Recht zur Verfügung stehenden Rechtsetzungsinstrumenten die Richtlinie umgesetzt wird. Dieses Wahlrecht hat der EuGH in seinem Urteil vom 30.5.1991 dahingehend konkretisiert, dass es für die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht unbedingt erforderlich ist, „dass ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, dass – soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll – die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“73. Demnach unterliegt es grundsätzlich der mitgliedsstaatlichen Entscheidung, ob eine Richtlinie durch ein Parlamentsgesetz oder durch einen Rechtsakt der Exekutive umgesetzt werden soll. Einschränkungen bestehen allerdings, wenn die Richtlinie dem Bürger subjektive Rechte verleiht. In diesem Fall ist eine Umsetzung mittels außenwirksamen Rechtssätzen erforderlich, so dass beispielsweise eine Umsetzung durch zwar verbindliche, aber lediglich intern wirkende Verwaltungsvorschriften74 nicht in Betracht kommt. Insofern wird die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten durch den Inhalt der Richtlinie begrenzt. 4. Richtlinien nach Art. 137 EG a) Rahmenrichtlinie 89/391/EWG Von allen auf Grundlage von Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG ergangenen Richtlinien75 nehmen die RL 89/391/EWG76, die so genannte Arbeits71 So die ständige Rspr. des EuGH, siehe EuGH, Rs. C-220/94, Kommission/Luxemburg, Slg. 1995, S. I-1589, 1607, Rn. 10. 72 EuGH, Rs. C-62/00, Marks & Spencer, Slg. 2002, S. I-6325, 6358 f., Rn. 26 ff. 73 EuGH, Rs. C-361/88, TA-Luft, Slg. 1991, S. I-2567, 2600 f., Rn. 15. 74 Zur Richtlinienumsetzung durch Verwaltungsvorschriften v. Danwitz, in: VerwArch, 84 (1993), S. 73 ff. 75 Einen Überblick über die aufgrund von Art. 137 EG, bzw. Art. 118a EWG ergangenen Richtlinien gibt Langenfeld, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 137 Rn. 19 ff. 76 Richtlinie über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit vom 12.6.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 1 ff.

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

171

schutz-Rahmenrichtlinie, sowie die dazugehörigen Einzelrichtlinien die bedeutendste Stellung ein77. Im Hinblick auf eine im Zeitpunkt des Richtlinienerlass unzulängliche Arbeitsschutzsituation in den Mitgliedstaaten bestehen die Ziele der Rahmenrichtlinie einerseits in der Verbesserung des Arbeitsschutzes sowie andererseits in der Verhinderung von zwischenmitgliedstaatlicher Konkurrenz aufgrund von Standortvorteilen, die sich nachteilig auf den Arbeitsschutz auswirken könnten78. Das Arbeitsschutzniveau darf also nicht allein durch wirtschaftliche Entscheidungen bedingt werden, vielmehr muss der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitsmittel und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze den „Faktor Mensch“79 berücksichtigen. Um diese Ziele verwirklichen zu können, liegt der Richtlinie ein weiter Arbeitsschutzbegriff zugrunde, der auch Gesundheitsschäden durch psychische Arbeitsbelastungen wie Stress und Monotonie erfasst80. Die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie, die in Deutschland durch das ArbSchG umgesetzt wurde, ist auf nahezu alle Beschäftigungsverhältnisse anwendbar. Sie enthält die wesentlichen Leitlinien und Grundsätze des europäischen Arbeitsschutzes und wird deshalb auch „Grundgesetz des europäischen Arbeitsschutzes“81 genannt. Entsprechend ihrer Bezeichnung als Rahmenrichtlinie enthält sie keine Detailregelungen, sondern statuiert allgemein die grundlegende Verpflichtung des Arbeitgebers, für einen wirksamen Gesundheitsschutz zu sorgen. Im Sinne eines effektiven Gesundheitsschutzes vor arbeitsbedingten Gefahren weitet die Richtlinie die Arbeitgeberpflichten erheblich aus. Die Verpflichtungen beziehen sich nicht nur auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, die Regelung einer betrieblichen Arbeitsschutzorganisation oder die Bereitstellung der erforderlichen Mittel; vielmehr wird zugleich die Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer in allen Fragen des Arbeitsschutzes erfasst. Um dem laufenden technischen Fortschritt gerecht zu werden, verlangt die Richtlinie in Art. 6 Abs. 1, 2 lit. e, dass der Arbeitgeber bei der Erfüllung seiner Pflichten den jeweiligen Stand der Technik berücksichtigt. Neben den Verpflichtungen der Arbeitgeber enthält die Rahmenrichtlinie auch die grundlegen77 Sokoll, in: NZS 1993, S. 9, 14; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 73; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 91. 78 Siehe die Erwägungen des Rates zur RL 89/391/EWG, in: ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 1, 1 f., sowie Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt. Rn. 246; Kollmer/Markus Vogel, Das neue Arbeitsschutzgesetz, Rn. 15. 79 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 89; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 91. 80 Sokoll, in: NZS 1993, S. 9, 14; Tegtmeier, in: BArBl. 12/1991, S. 5, 6. 81 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 78; Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt; Rn. 245; Rondorf/Wittrock, BArBl. 12/1992, S. 5, 8; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 91.

172 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

den Pflichten der Arbeitnehmer, insbesondere die Verpflichtung zum sicherheitsgerechten Verhalten (vgl. Art. 13 Abs. 1 RL 89/391/EWG)82. b) Einzelrichtlinien Die Rahmenrichtlinie enthält grundlegende Sicherheitsanforderungen, die für alle Beschäftigungsbereiche gelten. Spezielle Regelungen, die auf die in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern bestehenden Gefährdungen zugeschnitten sind, enthalten die der Konkretisierung der Rahmenrichtlinie dienenden Einzelrichtlinien. Bislang sind folgende 19 Einzelrichtlinien ergangen: – Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten83 – Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit84 – Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit85 – Richtlinie über Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Arbeitnehmer insbesondere eine Gefährdung der Lendenwirbelsäule mit sich bringt86 – Richtlinie über Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten87 – Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdungen durch Karzinogene bei der Arbeit88 – Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit89 82 Ausführlich zu den einzelnen durch die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie statuierten Verpflichtungen und Rechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern: Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 91, 94 f.; ferner: Birk, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 18 Rn. 162 ff. 83 RL 89/654/EWG vom 30.11.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 393, S. 1 ff. 84 RL 89/655/EWG vom 30.11.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 393, S. 13. 85 RL 89/656/EWG vom 30.11.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 393, S. 18 ff. 86 RL 90/269/EWG vom 29.5.1990, ABl. EG 1990, Nr. L 156, S. 9 ff. 87 RL 90/270/EWG vom 29.5.1990, ABl. EG 1990, Nr. L 156, S. 14 ff. 88 RL 90/394/EWG vom 28.6.1990, ABl. EG 1990, Nr. L 196, S. 1 ff. 89 RL 90/679/EWG vom 26.11.1990, ABl. EG 1990, Nr. L 374, S. 1 ff., geändert durch die Richtlinie 2000/54/EG vom 18.9.2000, ABl. EG 2000, Nr. L 262, S. 21 ff.

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

173

– Richtlinie über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz90 – Richtlinie über Mindestvorschriften für die Sicherheit- und Gesundheitskennzeichnung am Arbeitsplatz91 – Richtlinie über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz92 – Richtlinie über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in den Betrieben, in denen durch Bohrungen Mineralien gewonnen werden93 – Richtlinie über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in übertägigen und untertägigen mineralgewinnenden Betrieben94 – Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bord von Fischereifahrzeugen95 – Richtlinie zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit96 – Richtlinie über Mindestvorschriften zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die durch explosionsfähige Atmosphären gefährdet werden können97 – Richtlinie über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (Vibration)98 – Richtlinie über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (Lärm)99 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

RL RL RL RL RL RL RL RL RL RL

92/57/EWG vom 24.6.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 245, S. 6 ff. 92/58/EWG vom 24.6.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 245, S. 23 ff. 92/85/EWG vom 19.10.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 348, S. 1 ff. 92/91/EWG vom 3.11.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 348, S. 9 ff. 92/104/EWG vom 3.12.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 404, S. 10 ff. 93/103/EWG vom 23.11.1993, ABl. EG 1993, Nr. L 307, S. 1 ff. 98/24/EG vom 7.4.1998, ABl. EG 1998, Nr. L 131, S. 11 ff. 99/92/EG vom 16.12.1999, ABl. EG 2000, Nr. L 23, S. 57 ff. 2002/44/EG vom 25.6.2002, ABl. EG 2002, Nr. L 177, S. 13 ff. 2003/10/EG vom 6.2.2003, ABl. EG 2003, Nr. L 42, S. 38 ff.

174 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

– Richtlinie über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder)100 – Richtlinie über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (künstliche optische Strahlung)101

II. Art. 95 EG 1. Die Regelung des Art. 95 EG Neben Art. 137 EG kommt Art. 95 EG eine besondere Bedeutung für das europäische Arbeitsschutzrecht zu. Die Norm ermächtigt den Rat, Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes102 zum Gegenstand haben, und stellt damit eine der weitest reichenden Ermächtigungsgrundlagen für die gemeinschaftliche Rechtsetzung dar103. Maßnahmen im Sinne des Art. 95 Abs. 1 EG können grundsätzlich in Gestalt aller in Art. 249 EG aufgezählten Handlungsformen ergehen, überwiegend wird allerdings das Rechtsetzungsinstrument der Richtlinie genutzt104. Diese so genannten Binnenmarktrichtlinien dienen dem Abbau von Handelshemmnissen, die insbesondere durch unterschiedliche nationale Vorschriften hervorgerufen werden können105. Nach der Dassonville-Formel stellt eine mitgliedstaatliche Regelung dann ein Handelshemmnis dar, wenn sie geeignet ist, „den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“106. Im Hinblick auf seine binnenmarktrechtliche Ausrichtung ist Art. 95 Abs. 1 EG keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von primär arbeits100

RL 2004/40/EG vom 29.4.2004, ABl. EG 2004, Nr. L 159, S. 1 ff. RL 2006/25/EG vom 5.4.2006, ABl. EG 2006, Nr. L 114, S. 38 ff. 102 Ausführlich zur Frage, wie der Begriff des gemeinsamen Binnenmarktes zu verstehen ist, vgl.: Tietje, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 95 Rn. 12 ff., in jedem Fall dient das Binnenmarktkonzept der Verwirklichung der Grundfreiheiten und damit insbesondere der im Rahmen des produktbezogenen Arbeitsschutzes relevanten Warenverkehrsfreiheit. 103 Tietje, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 95 Rn. 26. 104 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 9; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 87. 105 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 13; Schulze-Halberg, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 41 Rn. 20. 106 EuGH, Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, S. 837, 852, Rn. 5. 101

B. Rechtsgrundlagen des europäischen Arbeitsschutzes

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schutzrechtlichen Richtlinien. Zudem nimmt Art. 95 Abs. 2 EG Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Art. 95 Abs. 2 EG heraus107. Dennoch kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass auf Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG generell keine arbeitsschutzrechtlich relevanten Richtlinien erlassen werden, schließlich erlaubt Art. 95 Abs. 4 EG einzelstaatliche Sonderregelungen im Bereich der Arbeitsumwelt, so dass solche Regelungen offensichtlich zumindest auch in den Anwendungsbereich des Art. 95 Abs. 1 EG fallen108. Insbesondere im Bereich des technischen Arbeitsschutzes kommt Art. 95 Abs. 1 EG eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Handelshemmnisse entstehen nämlich unter anderem auch dann, wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten divergierende sicherheitstechnische Anforderungen für Geräte, Maschinen und Anlagen existieren, mit denen Arbeitnehmer in Berührung kommen109. Damit ein Hersteller seine Produkte in allen Mitgliedstaaten vertreiben kann, müsste er unter Umständen 27 verschiedene Sicherheitsvorschriften berücksichtigen. Solchen Handelshemmnissen tritt Art. 95 EG entgegen, indem er den Rat ermächtigt, einheitliche sicherheitstechnische Beschaffenheitsanforderungen in Richtlinien zu erlassen, die, soweit sie Arbeitsgeräte betreffen, arbeitsschutzrechtlichen Bezug aufweisen. Damit der Erlass der Harmonisierungsrichtlinien nicht dazu führt, dass das Sicherheitsniveau zugunsten eines florierenden Binnenmarktes in einem für Arbeitnehmer gesundheitsgefährdenden Maß gesenkt wird, bestimmt Art. 95 Abs. 3 EG, dass in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit von einem hohen Schutzniveau auszugehen ist110. „Hohes Schutzniveau“ ist nicht mit „höchstem Schutzniveau“ gleichzusetzen, es kann aber auch nicht auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ beschränkt werden. Vielmehr verlangt ein hohes Schutzniveau im Sinne von Art. 95 Abs. 3 EG, dass unter „Berücksichtigung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für ökonomisch schwächere Mitgliedstaaten“111 ein über dem europäischen Durchschnitt liegendes Arbeitsschutzniveau etabliert wird, was insbesondere auch offen für die weiteren technischen Entwicklungen sein muss112. 107 Ausführlich zur Frage, wie die Formulierung der „Rechte und Interessen der Arbeitnehmer“ in Art. 95 Abs. 2 EG zu verstehen ist, vgl.: Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 136 ff. 108 Leible, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 11; Steinmeyer, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, HdB des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 12 Rn. 97; Tietje, in: Grabitz/Hilf, Recht der Europäischen Union, Art. 95 Rn. 25. 109 Birk, in: RdA 1992, S. 68, 71. 110 Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 82 f.; Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 87. 111 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 27. 112 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 27.

176 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

Vor Entwicklung der „Neuen Konzeption“113 wurde in den Binnenmarktrichtlinien selbst die für die Harmonisierung notwendigen technischen Beschaffenheitsanforderungen detailgenau geregelt114. Da dies aber den Rechtsetzungsprozess erheblich erschwerte, ging der Rat mit der „Neuen Konzeption“ dazu über, in den Binnenmarktrichtlinien nur noch die grundsätzlichen Sicherheitsanforderungen zu regeln. Die technischen Details werden seitdem in harmonisierten technischen Normen festgelegt, die zwar keine verbindlichen Rechtssätze darstellen, aber bei Einhaltung eine Beweislastumkehr zugunsten des Herstellers bewirken. Anders als die Richtlinien nach Art. 137 Abs. 2 S. 1 lit. b EG stellen die Binnenmarktrichtlinien nach Art. 95 EG keine Mindestvorschriften dar, die von den Mitgliedstaaten zwar nicht unterschritten werden dürfen, allerdings strengeren einzelstaatlichen Regelungen nicht entgegenstehen. Vielmehr unterliegen die Richtlinien nach Art. 95 EG, im Sinne der Zielvorgabe der Verwirklichung des Binnenmarktes, dem Prinzip der Totalharmonisierung, so dass nationale Vorschriften mit der engen Ausnahme von Art. 95 Abs. 4–7 EG keine strengeren Vorgaben enthalten dürfen115. Daraus ergibt sich, dass abweichende deutsche Vorschriften des produktbezogenen Arbeitsschutzes im Geltungsbereich einer Harmonisierungsrichtlinie keine Anwendung mehr finden können. 2. Richtlinien nach Art. 95 Abs. 1 EG Die für den Bereich des Arbeitsschutzes wohl bedeutendste Richtlinie, die auf Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG erlassen wurde, ist die so genannte Maschinenrichtlinie116, die durch das GPSG und die Maschinenverordnung (9. GPSGV) in deutsches Recht umgesetzt wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass vorrangiges Ziel der Richtlinie der Abbau von Handelshemmnissen ist117, ist sie von besonderer arbeitsschutzrechtlicher Relevanz, da sie einheitliche Beschaffenheitsanforderungen für Maschinen aufstellt 113

Vgl. hierzu schon oben: 3. Kap. A. III. Balze, Die sozialpolitischen Kompetenzen der europäischen Union, S. 120. 115 Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 50; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 27; Wlotzke, in: Richardi, MüArbR, Bd. II, § 206 Rn. 88. 116 RL 89/392/EWG vom 14.6.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 9 ff. Die MaschinenRichtlinie wurde durch die RL 2006/42/EG vom 17.5.2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG, ABl. EU 2006, Nr. L 157, S. 24 ff. neugefasst. Zur Maschinenrichtlinie siehe ferner: Birk, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 18 Rn. 157 f. 117 Siehe hierzu die Erwägungen zur RL 89/392/EWG, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 9 ff. 114

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

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und insofern zur Vereinheitlichung der im Zusammenhang mit Maschinen zu beachtenden Sicherheitsvorschriften führt. Ziel der Richtlinie ist einerseits die Festlegung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen an Maschinen und andererseits die Gewährleistung des freien Warenverkehrs118. Ihre herausragende Bedeutung kommt der Maschinenrichtlinie insbesondere aufgrund ihres weiten Anwendungsbereiches zu, der durch den Begriff der Maschine abgesteckt wird. Eine Maschine im Sinne des Art. 1 Abs. 2 RL 89/392/EWG ist eine Gesamtheit von miteinander verbundenen Teilen oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines beweglich ist. Ebenfalls unter den Maschinenbegriff werden Gesamtheiten von Maschinen gefasst, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren. Es werden somit in einem sehr großen Umfang Maschinen erfasst, mit denen Arbeitnehmer bei ihrer Arbeit in Berührung kommen119. Herausgenommen aus dem Anwendungsbereich werden gem. Art. 1 Abs. 3 RL allerdings insbesondere bewegliche Maschinen, Hebezeuge sowie Maschinen, die in den Anwendungsbereich anderer Richtlinien fallen120. In Art. 1 Abs. 1 legt die Richtlinie die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für Maschinen fest. Ferner verlangt die Richtlinie in ihrem Art. 2 Abs. 1, dass nur solche Maschinen in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung die Sicherheit von Personen nicht gefährden. Im Sinne der 1985 verabschiedeten „Neuen Konzeption“ werden die technischen Details auf Ebene der europäischen Normung geregelt, so dass sich die konkret einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften folglich aus einem Zusammenspiel der Richtlinie mit den jeweiligen technischen Normen ergeben.

C. Die Auswirkungen des europäischen Arbeitsschutzes auf die berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften I. Die heutige Umsetzungspraxis Auf Grundlage der Art. 137 EG und Art. 95 EG erließ die Europäische Union seit 1987 eine Vielzahl von Richtlinien, die dem Schutz der Arbeit118

Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 88. Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 446; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 102; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 72. 120 Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 446. 119

178 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

nehmer bei der Arbeit dienten. Diese Richtlinien, die der Umsetzung in das deutsche Recht bedurften, führten zu tief greifenden Veränderungen des innerstaatlichen Arbeitsschutzsystems. Regelten die Unfallversicherungsträger früher einen Großteil des technischen Arbeitsschutzrechts durch Unfallverhütungsvorschriften, erfuhren sie im Laufe der zunehmenden Europäisierung des Arbeitsschutzes erhebliche Kompetenzeinbußen121. Besonders schwerwiegend war der Kompetenzverlust für die Berufsgenossenschaften durch die aufgrund von Art. 95 EG ergangenen Harmonisierungsrichtlinien, wobei speziell die Maschinen-Richtlinie122 hervorzuheben ist, in deren Anwendungsbereich ein Großteil der Maschinen fällt, mit denen Arbeitnehmer bei der Arbeit in Berührung kommen. Ursprünglich gehörte die Festlegung der bei der Benutzung von Maschinen zu beachtenden grundlegenden Sicherheitsanforderungen gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII zu den Aufgaben der Berufsgenossenschaften, die auf diese Weise ihre langjährigen Erfahrungen in den Rechtsetzungsprozess mit einfließen lassen konnten. Da es sich bei der Maschinen-Richtlinie jedoch um eine Harmonisierungsrichtlinie handelt, verbieten sich hiervon abweichende nationale Beschaffenheitsanforderungen. Insofern ist es den Berufsgenossenschaften verwehrt, selbst wenn sie es im Hinblick auf die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer für nötig erachten, im Anwendungsbereich der Richtlinie in Unfallverhütungsvorschriften strengere Beschaffenheitsanforderungen aufzustellen123. Erheblich verstärkt wurden die berufsgenossenschaftlichen Kompetenzverluste weiterhin durch die innerstaatliche Umsetzungspraxis. So wurden nahezu alle arbeitsschutzrechtlich relevanten Richtlinien, also auch solche nach Art. 137 EG, im Sinne der Vereinheitlichung des Arbeitsschutzrechts in staatliches Recht und nicht in autonomes Recht der Unfallversicherungsträger umgesetzt124. Allein die Richtlinie 92/58/EWG über Mindestvorschriften für die Sicherheit- und Gesundheitskennzeichnung am Arbeitsplatz125 sowie die Richtlinie 93/193/EG über Mindestvorschriften für Si121

Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 409; Waldeck, in: Die BG 1991, S. 700,

702. 122 RL 89/392/EWG vom 14.6.1989, ABl. EG 1989, Nr. L 183, S. 9 ff., vgl. zur Maschinen-Richtlinie 3. Kap. B. II. 2. 123 v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: NZS 1993, S. 233, 238; Pinter, in: Moderne Unfallverhütung 1993, Heft 37, S. 9, 10; Sokoll, in: NZS 1993, S. 9, 10; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 93. 124 Zur deutschen Umsetzungspraxis siehe: Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 15 Rn. 5.10.1; Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 15 Rn. 8; Pinter, in: Moderne Unfallverhütung 1993, Heft 37, S. 9, 10 f.; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 113 f.; ferner: Weinmann, in: Die BG 1996, S. 345, 345. 125 RL 92/58/EWG vom 24.6.1992, ABl. EG 1992, Nr. L 245, S. 23 ff.

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

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cherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bord von Fischereifahrzeugen126 wurden in Unfallverhütungsvorschriften umgesetzt127, wobei die erstgenannte Richtlinie nunmehr durch Nr. 1.3 des Anhangs zu § 3 Abs. 1 ArbStättVO ebenfalls in staatliches Recht transformiert wurde.

II. Unfallverhütungsvorschriften als potentielles Umsetzungsinstrument von europäischen Richtlinien Ob die deutsche Umsetzungspraxis, europäische Richtlinien grundsätzlich in staatliches Recht umzusetzen, im Hinblick auf die Vorteile, die mit dem berufsgenossenschaftlichen Regelwerk verbunden sind, insbesondere mit der branchenorientierten Ausrichtung sowie mit der Berücksichtigung der langjährigen berufgenossenschaftlichen Erfahrungen, Zustimmung verdient, erscheint zweifelhaft. Allerdings ist umstritten, ob eine Umsetzung von europäischen Arbeitsschutz-Richtlinien in berufsgenossenschaftliches Satzungsrecht überhaupt möglich ist128. Zu bejahen ist diese Frage nur, wenn die Berufsgenossenschaften Umsetzungsadressaten von Richtlinien im Sinne von Art. 249 Abs. 3 EG sein können, Satzungsrecht als Umsetzungsinstrument in Betracht kommt und soweit die berufsgenossenschaftliche Regelungskompetenz dem sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie entspricht. 1. Umsetzungsadressat Nach Art. 249 Abs. 3 EG sind Richtlinien hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, bezüglich Form und Mittel der Umsetzung besteht allerdings ein Wahlrecht des Mitgliedstaates. Richtlinien stellen damit kein 126

RL 93/103/EG vom 23.11.1993, ABl. EG 1993, Nr. L 307, S. 1 ff. Die RL 92/58/EG wurde zunächst durch die Unfallverhütungsvorschrift „Sicherheits- und Gesundheitskennzeichnung am Arbeitsplatz“ (VBG 125) umgesetzt und die RL 93/193/EG durch die Unfallverhütungsvorschrift „See“ (VBG 108). 128 Eine Richtlinienumsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften grundsätzlich bejahend: Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 143 ff.; Steiger, Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften, Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der BG Feinmechanik und Elektrotechnik, S. 14 ff.; ders., in SGb 1992, S. 524 ff.; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 86 ff.; differenzierend: Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1238; ablehnend: Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 636; v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: NZS 1993, S. 233, 238 Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 138 ff.; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 89. 127

180 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht dar, sondern bedürfen der Umsetzung in nationales Recht durch eine innerstaatliche Stelle. Welches innerstaatliche Organ den richtlinientransformierenden nationalen Rechtsakt erlassen muss, legt Art. 249 Abs. 3 EG nicht fest, sondern überlässt dies der mitgliedstaatlichen Kompetenzordnung129. Da Adressat der Verpflichtung der Gesamtstaat ist, kommen alle Einrichtungen des Staates in Betracht, „die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die sich aus den für die Beziehung zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben“130. Unfallverhütungsvorschriften kommen demnach nur dann als Umsetzungsinstrument für europäische Richtlinien in Betracht, wenn sie von einer innerstaatlichen Stelle im Sinne des Art. 249 Abs. 3 EG erlassen werden. Unfallverhütungsvorschriften werden als autonomes Satzungsrecht von den Berufsgenossenschaften erlassen. Gem. § 29 SGB IV sind die Berufsgenossenschaften als Sozialversicherungsträger Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Sie gehören damit zwar nicht der unmittelbaren Staatsverwaltung an, nehmen aber im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung hoheitliche Befugnisse unter staatlicher Aufsicht wahr, wie beispielsweise den Erlass von Satzungen. Die Unfallversicherungsträger sind demnach staatliche Stellen im Sinne von Art. 249 Abs. 3 EG und stellen folglich grundsätzlich taugliche Umsetzungsadressaten für europäische Richtlinien dar131. 2. Rechtsqualität des innerstaatlichen Umsetzungsaktes Art. 249 Abs. 3 EG überlässt den Mitgliedstaaten die Entscheidung, welche Rechtssatzqualität das innerstaatlich Umsetzungsgesetz haben soll, solange sich das Richtlinienziel mit dem jeweiligen Umsetzungsinstrument erreichen lässt132. Ebenso entscheidet der EuGH, nach dem „die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise [verlangt], dass ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen, besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tat129

Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 Rn. 130; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 63. 130 Schroeder, in: Streinz, EUG/EUV, Art. 249 Rn. 73. 131 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 143; Steiger, in: SGb 1992, S. 525, 526; Wilhelm, Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 86. 132 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 54; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 87.

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

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sächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, dass – soweit die Richtlinie Ansprüche des Einzelnen begründen soll – die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“133. Es ist demnach nicht erforderlich, dass eine Richtlinie in formelles Gesetzesrecht umgesetzt wird, vielmehr kommen auch untergesetzliche Rechtssätze wie Rechtsverordnungen oder Satzungsrecht als Umsetzungsinstrumente in Betracht, soweit diese eine vollständige Anwendung der Richtlinie ermöglichen. Der gewählte rechtliche Umsetzungsrahmen muss allerdings garantieren, dass der Einzelne von etwaigen subjektiven Ansprüchen Kenntnis erlangen und sie unter Umständen gerichtlich durchsetzen kann, was eine Einsichtmöglichkeit des Umsetzungsaktes erfordert. Unfallverhütungsvorschriften sind autonomes Satzungsrecht der Berufsgenossenschaften. Satzungsrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass es von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen wird134. Indem sie die Mitglieder der Körperschaft berechtigen und verpflichten, stellen Satzungen verbindliche Rechtsnormen dar135. Nach § 15 Abs. 1 SGB VII werden die Berufsgenossenschaften berechtigt, verbindliche Regelungen für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihrer Mitgliedsunternehmen zu erlassen, deren Einhaltung gerichtlich überprüfbar ist. Insoweit haben Unfallverhütungsvorschriften die vom EuGH geforderte Rechtsverbindlichkeit und kommen demnach grundsätzlich als Umsetzungsinstrumente in Betracht136. Darüber hinaus müssen Unfallverhütungsvorschriften dem vom EuGH aufgestellten Publizitätserfordernis genügen. Soweit sie Ansprüche des Einzelnen begründen, muss ihr Inhalt somit dem Berechtigten zugänglich sein. Ohne eine bestimmte Form der Veröffentlichung vorzuschreiben, bestimmt § 34 Abs. 2 SGB IV, dass Unfallverhütungsvorschriften öffentlich bekannt zu machen sind137. Anders als formelle Gesetze oder Rechtsverordnungen werden sie jedoch nicht im Bundesgesetzblatt, sondern entweder im Bundesanzeiger oder in den amtlichen Mitteilungsblättern der Berufsgenossenschaften veröffentlicht. Teilweise wird eingewendet, dass eine Veröffentlichung im berufsgenossenschaftlichen Mitteilungsblatt nicht dem Publizi133

EuGH, Rs. C-361/88, TA-Luft, Slg. 1991, S. I-2567, 2600 f., Rn. 15. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 14. 135 Steiger, in: SGb 1992, S. 525, 526. 136 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das duale Arbeitsschutzsystem, S. 143; Steiger, in: SGb 1992, S. 525, 526; Wilhelm, Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 88. 137 Zur öffentlichen Bekanntmachung der Unfallverhütungsvorschriften siehe schon oben: 2. Kap. C. II. 1. a). 134

182 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

tätserfordernis genüge, da es nicht allgemeinzugänglich sei138. Folglich sei eine Umsetzung von europäischen Richtlinien in Unfallverhütungsvorschriften europarechtswidrig und mithin ausgeschlossen. Dem kann allerdings entgegnet werden, dass die Form der Veröffentlichung den Mitgliedstaaten überlassen ist, so dass eine Bekanntmachung des Umsetzungsgesetzes im Bundesgesetzblatt europarechtlich nicht zwingend notwendig ist. Sind also auch andere Publikationsorgane denkbar, kann eine Veröffentlichung in den Mitteilungsblättern der Unfallversicherungsträger nicht europarechtswidrig sein139. Außerdem sind die amtlichen Mitteilungsblätter der Berufsgenossenschaften frei zugänglich. Möglichen praktischen Schwierigkeiten beim Auffinden der berufsgenossenschaftlichen Mitteilungsblätter könnte durch eine entsprechende Verpflichtung der Berufsgenossenschaften, Unfallverhütungsvorschriften im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, abgeholfen werden. Hinsichtlich ihrer Rechtsnormqualität und des Publikationserfordernis stellen Unfallverhütungsvorschriften mithin taugliche Umsetzungsinstrumente für Richtlinien dar. 3. Fristwahrung Gegen die Umsetzung von europäischen Arbeitsschutzrichtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften wird von manchen eingewendet, dass es keine Gewähr für eine fristgerechte Richtlinienumsetzung gebe. Im Unterschied zur Umsetzung durch den staatlichen Gesetzgeber, müsse eine Vielzahl von Normgebern tätig werden, da eine flächendeckende Anwendung der Richtlinien eine Umsetzung durch jede einzelne von der Richtlinie betroffene Berufsgenossenschaft erfordere. Ein solcher „Umsetzungspluralismus“ berge naturgemäß die Gefahr, dass einige Unfallversicherungsträger ihrer Verpflichtung nicht fristgerecht nachkämen. Ferner wird in diesem Zusammenhang angeführt, dass das berufsgenossenschaftliche Rechtsetzungsverfahren durch die Beteiligungs- und Genehmigungserfordernisse des SGB VII sehr kompliziert und zeitaufwendig sei140. In der Tat bedingt eine Mehrzahl an Normgebern eine erhöhte Verzögerungsgefahr. Jedoch bestehen auf Ebene des Spitzenverbandes der Unfall138

Bücker/Feldhoff/Kothe, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 636. Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das duale Arbeitsschutzsystem, S. 144; Steiger, in: SGb 1992, S. 525, 527; Wilhelm, Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 88. Siehe zum Publizitätserfordernis ferner: König, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 2 Rn. 40; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 91, die jeweils nur darauf hinweisen, dass das Umsetzungsgesetz veröffentlicht werden muss, eine bestimmte Form der Veröffentlichung wird nicht gefordert. 140 Bücker/Feldhoff/Kohte, Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, Rn. 636. 139

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

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versicherungsträger, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Vereinheitlichungsmöglichkeiten, wie beispielsweise die Erstellung von MusterUnfallverhütungsvorschriften, die das Rechtsetzungsverfahren in den einzelnen Berufsgenossenschaften erheblich vereinfachen und damit beschleunigen141. Ferner ist im Zusammenhang mit dem Erfordernis der Fristwahrung zu berücksichtigen, dass auch der staatliche Gesetzgeber kein Garant für eine fristgerechte Richtlinienumsetzung ist142, wie sich insbesondere am Beispiel der verspäteten Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes gezeigt hat143. Außerdem ist das staatliche Rechtsetzungsverfahren, das sich unter anderem Fachausschüssen oder Sachverständiger bedient, nicht weniger aufwendig als die berufsgenossenschaftliche Normgebung144. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die fristgerechte Richtlinienumsetzung zwar im Falle einer Umsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften vor einem erhöhten Koordinierungszwang steht. Aufgrund der auf Spitzenverbandsebene bestehenden Vereinheitlichungsmöglichkeiten stellen diese Hindernisse jedoch keinen Grund dar, der zur Europarechtswidrigkeit führen würde und demnach einer Umsetzung von Arbeitsschutzrichtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften entgegenstehen würde. Ferner könnte ebenfalls mit Mitteln der Fachaufsicht im Sinne des § 87 Abs. 2 SGB IV auf eine fristgerechte Umsetzung hingearbeitet werden. Auch im Hinblick auf das Erfordernis der Fristwahrung sind Unfallverhütungsvorschriften folglich ein taugliches Umsetzungsinstrument. 4. Anwendungsbereich der Richtlinie Eine europarechtskonforme Richtlinienumsetzung erfordert weiterhin, dass das in der Richtlinie vorgegebene Ziel vollumfänglich im nationalen Recht erreicht wird145. Demnach muss der gewählte nationale rechtliche Rahmen mit dem Anwendungsbereich der Richtlinie übereinstimmen. Da141 Steiger, Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften?, S. 26; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 89. 142 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 144; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und des europäischen Rechts, S. 89. 143 Zur verspäteten Umsetzung der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie siehe: Paland, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. C Rn. 13. 144 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 144; Steiger, in: SGb 1992, S. 525, 527; ders., Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften?, S. 27 f. 145 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 Rn. 139; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 48.

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mit Unfallverhütungsvorschriften als taugliches Umsetzungsinstrument in Betracht kommen, muss folglich ihr Anwendungsbereich mit dem der jeweiligen Arbeitsschutz-Richtlinie sowohl in personeller als auch in sachlicher Hinsicht konform sein. a) Richtlinien nach Art. 95 EG Die arbeitsschutzrechtlich relevanten Richtlinien nach Art. 95 EG enthalten einheitliche technische Beschaffenheitsanforderungen für Arbeitsmittel, Maschinen und Geräte. Sie betreffen neben dem Verwender auch den Inverkehrbringer, wie den Hersteller, Einführer oder Händler. aa) Sachlicher Anwendungsbereich Soweit die Richtlinien ausschließlich arbeitsschutzrechtliche Fragen betreffen, kommen Unfallverhütungsvorschriften als Umsetzungsinstrumente grundsätzlich in Betracht146. Aufgrund der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII sind die Berufsgenossenschaften in der Lage, technische Beschaffenheitsanforderungen für Arbeitsmittel festzulegen. Soweit das Schutzziel der Richtlinien allerdings daneben auch den Umwelt- oder Verbraucherschutz147 betrifft, besteht keine hinreichende Satzungsermächtigung der Berufsgenossenschaften, so dass Unfallverhütungsvorschriften in diesem Fall keine tauglichen Umsetzungsinstrumente sind148. bb) Persönlicher Anwendungsbereich Ungeachtet der sich möglicherweise im Bereich des sachlichen Anwendungsbereichs ergebenden Divergenzen verlangt eine europarechtskonforme Richtlinienumsetzung darüber hinaus, dass der Inhalt der Richtlinie auch in persönlicher Hinsicht uneingeschränkt zur Anwendung kommt. Soweit Unfallverhütungsvorschriften zur Richtlinienumsetzung herangezogen werden sollen, müssen sie also alle von der Richtlinie betroffenen Personenkreise 146 So auch Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 145. 147 Zu den möglichen Schutzzielen der Richtlinien nach Art. 95 EG vgl.: Balze, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. B Rn. 45. 148 Ulrich Becker, in: Die BG 1989, S. 550, 554; Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1238; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 139; vgl. hierzu auch: Steiger, Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften? S. 43, der im Sinne einer umfassenden berufsgenossenschaftlichen Regelungskompetenz eine Erweiterung der Ermächtigungsgrundlage des § 15 SGB VII fordert.

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erfassen. Der persönliche Anwendungsbereich von arbeitsschutzrelevanten Richtlinien nach Art. 95 EG, die harmonisierte Beschaffenheitsanforderungen festlegen, bezieht sich regelmäßig neben dem Verwender insbesondere auf die Inverkehrbringer der Arbeitsgeräte, wie den Hersteller, den Einführer oder den Händler149. Demgegenüber haben Unfallverhütungsvorschriften aufgrund ihrer Qualifizierung als Satzungsrecht nur für die Unternehmer und Versicherten des jeweiligen Unfallversicherungsträgers Verbindlichkeit. Eine rechtliche Bindung für Personen, die außerhalb der Selbstverwaltungskörperschaft stehen, ist von der berufsgenossenschaftlichen Satzungsautonomie dagegen nicht gedeckt150. Damit fallen insbesondere die Inverkehrbringer, an die sich die Richtlinien nach Art. 95 EG primär wenden, als Nicht-Mitglieder der Unfallversicherungsträger nicht in den Anwendungsbereich von Unfallverhütungsvorschriften. Im Hinblick auf diesen Personenkreis stellen Unfallverhütungsvorschriften damit kein taugliches Umsetzungsinstrument dar, weil sie aufgrund ihres eingeschränkten persönlichen Anwendungsbereiches keine vollständige Richtlinienumsetzung ermöglichen151. Etwas anderes könnte aber dann gelten, wenn der persönliche Anwendungsbereich der Unfallverhütungsvorschriften faktisch ausgeweitet würde. In Betracht käme – ähnlich wie schon im Rahmen des mittlerweile außer Kraft getretenen § 3 Abs. 1 GSG a. F.152 praktiziert – eine Ausweitung ihres persönlichen Anwendungsbereichs mittels gesetzlicher Inbezugnahme. Der staatliche Gesetzgeber müsste also eine Vorschrift erlassen, die die jeweiligen Unfallverhütungsvorschriften für den von der berufsgenossenschaftlichen Satzungsgewalt nicht erfassten Personenkreis, also insbesondere für die Inverkehrbringer, für anwendbar erklärt. Auf diese Weise würde gewährleistet, dass die Richtlinien auch in persönlicher Hinsicht vollumfänglich Anwendung fänden153. Allerdings könnten Zweifel bestehen, ob eine solche indirekte Richtlinienumsetzung mit den europarechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Schließlich würde diese Lösung dazu 149 Siehe hierzu beispielsweise den persönlichen Geltungsbereich der MaschinenRichtlinie: Art. 2 Abs. 1 RL 82/392/EWG sowie ferner: v. Hoyningen-Huene/Compensis, in: NZS 1993, S. 233, 236; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 102 f.; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 89. 150 Zur Ausnahme der Geltungserstreckung auf Außenseiter siehe: Hänlein, in: SGb 1996, S. 462 ff. 151 Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1238; Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 139. 152 Gesetz über technische Arbeitsmittel vom 24.6.1968 (BGBl. 1968, I, S. 717, 718). 153 So auch Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 145; Steiger, Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften?, S. 21 f.

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führen, dass die Richtlinie nicht durch ein einziges Umsetzungsgesetz in deutsches Recht transformiert wird, sondern dass eine umfassende Richtliniengeltung nur durch die Verbindung von Verweisungsnorm und Unfallverhütungsvorschrift realisiert wird. Insofern könnten sich insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis einer inhaltlich bestimmten Umsetzung Probleme ergeben. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss der Mitgliedsstaat eine so bestimmte, klare und transparente Lage schaffen, dass der Einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann154. Der Normbetroffene muss also durch Gesetzeskonsultation eindeutig erkennen können, welche rechtlichen Vorgaben für seinen Lebenssachverhalt getroffen wurden und sein Verhalten hiernach ausrichten können155. Im Falle einer gesetzlichen Verweisung auf Unfallverhütungsvorschriften kann der Normbetroffene aus der Verweisungsnorm selbst die für die jeweiligen Arbeitsgeräte einzuhaltenden Beschaffenheitsanforderungen nicht entnehmen. Es bedarf darüber hinaus der Kenntnis der in Bezug genommenen Unfallverhütungsvorschriften. Wie aus der Rechtsprechung des EuGH hervorgeht, folgt aus einer solchen indirekten Richtlinienumsetzung jedoch nicht zwangsweise ein Verstoß gegen den europäischen Bestimmtheitsgrundsatz. Vielmehr lässt sich einem Urteil des Gerichtshofes vom 20.3.1997156 entnehmen, dass eine Richtlinienumsetzung durch Verweisung nicht grundsätzlich unzulässig ist. Streitgegenstand war die Umsetzung von zwei Richtlinien zum Aufenthaltsrecht157. Nach Auffassung der Kommission war die Bundesrepublik Deutschland ihrer Umsetzungspflicht nicht nachgekommen, da sie die Richtlinien nicht vollständig in deutsches Recht transformiert hatte, sondern sich mit einer gesetzlichen Verweisung auf die jeweiligen Richtlinien begnügt hat. Die Bundesrepublik war der Ansicht, dass eine Verweisungsreglung dem Gebot der Rechtsklarheit genügen kann, „wenn sich der Einzelne aus allgemein zugänglichen Quellen, wie dem Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Kenntnis von den ihn begünstigenden Rechtsvorschriften verschaffen und sich dabei abschließend und umfassend über die ihm darin vermittelten Rechtspositionen unterrichten könne“158. So bestimmte § 2 Abs. 2 AuslG vom 154

EuGH, Rs. 29/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, S. 1661, 1673, Rn. 23. So Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rn. 129 zum Bestimmtheitsgrundsatz auf Ebene des deutschen Verfassungsrechts nach Art. 20 GG. 156 Rs. C-96/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1997, S. I-1653, 1678 f., Rn. 34 ff. 157 RL 90/365/EWG vom 28.6.1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABl. EG 1990, Nr. L 180, S. 28 f. sowie RL 90/364/EWG vom 28.6.1990 über das Aufenthaltsrecht, ABl. EG 1990, L 180, S. 26 f. 158 EuGH, Rs. C-96/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1997, S. I-1653, 1678 f., Rn. 34. 155

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9.7.1990159, dass auf die Ausländer, die nach dem Europäischen Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genießen, das AuslG nur Anwendung findet, soweit das Europäische Gemeinschaftsrecht und das Aufenthaltsgesetz/EWG keine abweichenden Bestimmungen enthalten. Zur Streitfrage, ob dieser Verweis auf das Europarecht eine hinreichend bestimmte Richtlinienumsetzung darstellt, führte der EuGH aus, dass „die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendig [verlangt], dass ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen, besonderen Rechtsvorschrift wiedergegeben werden“. Für den zu entscheidenden Fall bestimmte das Gericht allerdings, dass eine lediglich allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht, wie sie in § 2 Abs. 2 AuslG erfolgte, keine ordnungsgemäße Richtlinienumsetzung darstellte, da sie die Verleihung von subjektiven Rechten, wie dies durch die beiden streitbefangenen Richtlinien erfolgen sollte, nicht in hinreichend bestimmter und klarer Weise gewährleisten konnte160. Auch wenn der Gerichtshof für den dargestellten Fall eine europarechtskonforme Richtlinienumsetzung mittels Verweisung verneint hat, kann der Rechtsprechung des EuGH jedoch entnommen werden, dass eine Richtlinienumsetzung nicht zwangsweise erfordert, dass sich der Richtlinieninhalt allein aus dem Umsetzungsgesetz ergibt. Vielmehr kann eine Richtlinienumsetzung auch dadurch erfolgen, dass nationale Rechtsakte auf die umzusetzende Richtlinie verweisen, soweit die Richtlinie die erforderliche Bestimmtheit und Klarheit enthält161. Die Gemeinschaftsrechtsverletzung sieht der Gerichtshof im vorliegenden Fall eher darin, dass sich die Bundesrepublik mit einem allgemeinen Hinweis auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts begnügte162 und keinen konkreten Verweis auf die exakt anzuwendende Richtlinienbestimmung gab. Ein solches Vorgehen kann offensichtlich nicht garantieren, dass etwaige in der Richtlinie begründete Rechte Einzelner für den Betroffenen erkennbar sind und er sie gerichtlich geltend machen kann und widerspricht somit dem europarechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Es besteht mithin grundsätzlich die Möglichkeit europäische Richtlinien unter Verwendung einer Verweisungsnorm umzusetzen. Insofern können Unfallverhütungsvorschriften auch im Bereich von Richtlinien nach Art. 95 159

BGBl. 1990, I, S. 1354. EuGH, Rs. C 96/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1997, S. I-1653, 1679, Rn. 36. 161 Klindt, in: DVBl 1998, S. 373, 379; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 55; Schröder, in: Hohloch, Richtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, S. 113, 121 f.; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 Rn. 94; eine solche indirekte Richtlinienumsetzung existiert im deutschen Recht z. B. mit § 19a Abs. 3 BNatSchG und § 19 Abs. 2 BJagdG. 162 EuGH, Rs. C-96/95; Kommission/Deutschland; Slg. 1997, S. I-1653, 1679, Rn. 36. 160

188 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

EG als Umsetzungsinstrument in Betracht kommen, wenn der Gesetzgeber mittels einer Verweisungsnorm den persönlichen Anwendungsbereich des Satzungsrechts dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie anpasst163. Der EuGH verlangt lediglich, dass sich aus der Verweisungsnorm genau ergeben muss, auf welche Norm verwiesen werden soll, und dass die Norm, auf die verwiesen wird, ihrerseits den Anforderungen genügen muss, die der EuGH an die Bestimmtheit stellt. cc) Zwischenergebnis Richtlinien nach Art. 95 EG, die Beschaffenheitsanforderungen an Arbeitsgeräte stellen, können also grundsätzlich durch Unfallverhütungsvorschriften umgesetzt werden, wenn die vollständige Umsetzung in persönlicher Hinsicht durch eine staatliche Verweisungsvorschrift sichergestellt wird. Unfallverhütungsvorschriften kommen als Umsetzungsinstrument allerdings dann nicht in Betracht, wenn die Richtlinie über den Arbeitsschutz hinausgehende Ziele wie den Verbraucher- oder Umweltschutz verfolgt, für die § 15 Abs. 1 SGB VII keine berufsgenossenschaftliche Rechtsetzungsermächtigung vorsieht. b) Richtlinien nach Art. 137 EG Anders als die Richtlinien nach Art. 95 EG haben die aufgrund von Art. 137 EG ergangenen Richtlinien keine primär wirtschaftliche Ausrichtung, sondern dienen der Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer. Hierbei handelt es sich um Regelungsgegenstände, die vollumfänglich von der berufsgenossenschaftlichen Rechtsetzungsermächtigung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 SGB VII erfasst werden. Die Satzungsbefugnis der Unfallversicherungsträger und der Anwendungsbereich der Richtlinien nach Art. 137 EG sind in sachlicher Hinsicht demnach deckungsgleich, so dass einer Richtlinienumsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften nicht die im Rahmen des Art. 95 EG existierenden Probleme entgegenstehen164. Dagegen bereitet die unterschiedliche Reichweite des persönlichen Anwendungsbereichs von Satzungsrecht und Richtlinien ebenso wie im Falle der Binnenmarktrichtlinien Schwierigkei163

Im Ergebnis ebenso: Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 145 f.; Steiger, Was spricht für und gegen eine Umsetzung der EG-Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften?, S. 21 f.; a. A.: Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 93. 164 Koll, in: DB 1989, S. 1234, 1238.

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

189

ten165. Die sozialpolitisch motivierten Richtlinien nach Art. 137 EG betreffen zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also Adressatengruppen, auf die sich auch Unfallverhütungsvorschriften beziehen können, es werden aber nicht nur Personen erfasst, die einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis unterliegen. Vielmehr können sich Richtlinien nach Art. 137 EG an alle Personen richten, die sich in einem Anstellungverhältnis befinden, ungeachtet der Frage, ob es sich um ein privatrechtliches oder öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis handelt oder ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Soweit die Richtlinien beispielsweise auch Beamte, freiberuflich Tätige oder Selbständige erfassen sollen, käme eine Umsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften nicht in Betracht, da sich die Satzungsgewalt der Unfallversicherungsträger nicht auf diesen Adressatenkreis bezieht. Eine vollständige Richtlinienumsetzung wäre wiederum nur dann gewährleistet, wenn der persönliche Anwendungsbereich der Umsetzungsnorm durch staatliche Verweisung sichergestellt würde. Insoweit gilt das zu den Richtlinien nach Art. 95 EG herausgearbeitete Ergebnis.

III. Praktikabilität der Richtlinienumsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften Es besteht mithin grundsätzlich die Möglichkeit, europäische Richtlinien durch Unfallverhütungsvorschriften in deutsches Recht umzusetzen. Ob einer solchen Lösung tatsächlich Vorzug gegenüber einer Umsetzung durch staatliches Recht zu geben ist, erscheint indes zweifelhaft. Schließlich reicht für eine vollständige Richtlinienumsetzung nicht allein der Erlass von entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften aus. Aufgrund des gegenüber dem berufsgenossenschaftlichen Satzungsrecht weiteren persönlichen Anwendungsbereichs von Arbeitsschutzrichtlinien bedarf es darüber hinaus entsprechender staatlicher Verweisungsnormen, die den persönlichen Anwendungsbereich der Unfallverhütungsvorschriften faktisch ausweiten. Demgegenüber würde bei einer Umsetzung durch staatliches Recht der Erlass einer einzigen Umsetzungsnorm ausreichen, ohne dass eine weitere Verweisung notwendig wäre. Insofern könnte eine Umsetzung durch staatliches Recht schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit geboten sein, da die „Verweisungslösung“ die Gefahr von Doppelregelungen birgt und auf diese Weise eine unübersichtliche Rechtslage geschaffen würde166. 165

Siehe hierzu: Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 94 f. 166 So auch Wank/Börgmann, Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, S. 139.

190 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

In diesem Zusammenhang ist auch das europarechtliche Gebot des „effet utile“ zu berücksichtigen, das verlangt, dass nationale Regelungen die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht übermäßig erschweren dürfen167. Würde also der dargestellte Lösungsansatz dazu führen, dass Arbeitsschutzrichtlinien keine praktische Wirksamkeit entfalten könnten, wäre eine Umsetzung durch staatliches Recht schon gemeinschaftsrechtlich geboten. Allerdings liegt es in der Hand des Gesetzgebers, auch unter Verwendung von Verweisungsnormen eine klare und übersichtliche Rechtslage zu schaffen. Soweit die „Verweisungslösung“ so umgesetzt wird, dass sie nicht zu einer unübersichtlichen Rechtslage führt, könnten sich Unfallverhütungsvorschriften dennoch als die geeigneteren Umsetzungsinstrumente erweisen. Der Vorteil des berufsgenossenschaftlichen Regelwerks gegenüber staatlichem Arbeitsschutzrecht liegt insbesondere in der Sach- und Branchennähe der Unfallversicherungsträger168. Dies ergibt sich einerseits aus der paritätischen Zusammensetzung der Berufsgenossenschaften, die sicherstellt, dass Unfallverhütungsvorschriften von den (Norm-)Betroffenen selbst erlassen werden und auf diese Weise garantiert, dass die sich in der Praxis ergebenden Probleme tatsächlich Eingang in die Normgebung finden. Daneben ist auch die fachliche Untergliederung der Berufsgenossenschaften für die Sach- und Branchennähe von besonderer Bedeutung, da so sichergestellt wird, dass branchenspezifische Besonderheiten in den Unfallverhütungsvorschriften Berücksichtigung finden. Jedoch greift das Argument der Sach- und Branchennähe nur insoweit, als die Unfallversicherungsträger im Rahmen einer möglichen Richtlinienumsetzung überhaupt in der Lage sind, ihren Sachverstand einfließen zu lassen. Dieser Einwand ist insbesondere hinsichtlich der Richtlinien nach Art. 95 EG von Bedeutung, deren Ziel die Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes durch den Abbau von Handelshemmnissen ist, die durch divergierende nationale Beschaffenheitsanforderungen für Arbeitsgeräte hervorgerufen werden169. Da der Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes jegliche abweichenden nationalen Beschaffenheitsanforderungen entgegenstehen würden, verfolgen die Richtlinien nach Art. 95 EG das Prinzip der Totalharmonisierung, das strengere mitgliedstaatliche Regelungen ver167 EuGH, verb. Rs. 205–215/82, Milchkontor, Slg. 1983, S. 2633, 2665 f. Rn. 19 ff.; ferner: EuGH, Rs. C-217/88, Tafelwein, Slg. 1990, S. I-2879, 2903 Rn. 16; Arndt, Europarecht, S. 204. 168 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 150 f.; vgl. auch Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 93, der von einer „bewährten Praxis der Unfallverhütungsvorschriften“ spricht. 169 Zum Folgenden siehe: Römer/Jansen, in: Die BG 1988, S. 498, 499.

C. Europarechtliche Auswirkungen auf Unfallverhütungsvorschiften

191

bietet. Aus diesem Grund beschränkt sich die Richtlinienumsetzung im Rahmen des Art. 95 EG auf die exakte Transformation der europäischen Vorgaben in nationales Recht, ohne dass für die Mitgliedstaaten ein nennenswerter Handlungsspielraum besteht. Das bedeutet, dass die Unfallversicherungsträger, soweit sie arbeitsschutzrechtlich relevante BinnenmarktRichtlinien in Unfallverhütungsvorschriften umsetzen würden, auf eine 1:1-Umsetzung der Richtlinienvorgaben beschränkt wären170. Die Einbringung des berufsgenossenschaftlichen Sachverstandes in das Rechtssetzungsverfahren wäre in diesem Fall somit nicht möglich, so dass dieser Vorteil, der Unfallverhütungsvorschriften ansonsten gegenüber staatlichem Arbeitsschutzrecht zukommt, hier nicht zur Geltung käme. Vielmehr würde sich die berufsgenossenschaftliche Richtlinienumsetzung in einem reinen Abschreiben des europäischen Rechtsaktes erschöpfen. Daher erscheint das Interesse, das die Berufsgenossenschaften an einer Richtlinienumsetzung in diesem Bereich haben könnten, sehr gering, so dass eine Richtlinienumsetzung durch staatliches Rech vorzuziehen ist. Anders stellt sich die Situation dagegen im Rahmen der Richtlinien nach Art. 137 EG dar, die lediglich arbeitsschutzrechtliche Mindeststandards festlegen. Nationale Vorschriften, die strengere Anforderungen normieren, sind demnach durchaus zulässig, so dass die Unfallversicherungsträger hier ihren Sachverstand einfließen lassen und auf diese Weise für praxisnahe und problemorientierte Vorschriften sorgen könnten171. Der Vorteil sachnaher berufsgenossenschaftlicher Regelungen käme somit zur Geltung. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Unfallverhütungsvorschriften als Umsetzungsinstrumente für Richtlinien nach Art. 137 EG sowohl in europarechtlicher Hinsicht als aus Praktikabilitätsgründen in Betracht kommen und im Hinblick auf die besondere Sachnähe der Unfallversicherungsträger sogar gegenüber einer Umsetzung durch staatliches Recht als vorzugswürdig erscheinen. Mangels Regelungsspielraum besteht für die Umsetzung von Richtlinien nach Art. 95 EG kein derartiges Interesse der Berufsgenossenschaften.

170 Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 151. 171 Römer/Jansen, in: Die BG 1988, S. 498, 499; Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz und seine Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzsystem, S. 150 f.; i. Erg. ebenso: Waldeck, in: Die BG 1989, S. 560, 561.

192 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

D. Die Auswirkung des europäischen Arbeitsschutzes auf die sonstige berufsgenossenschaftliche Präventionstätigkeit Ungeachtet der Vorzüge, die Unfallverhütungsvorschriften als Umsetzungsinstrumente bieten, werden arbeitsschutzrechtlich relevante Richtlinien regelmäßig durch staatliches Recht umgesetzt, was zu erheblichen Kompetenzeinbußen der Unfallversicherungsträger führt. Um zumindest inhaltlich die Anforderungen der Unfallverhütungsvorschriften fortbestehen zu lassen und auf diese Weise ein Absinken des nationalen Sicherheitsstandards zu verhindern172, verfolgen die Unfallversicherungsträger unterschiedliche Strategien.

I. Einbringung des berufsgenossenschaftlichen Sachverstandes auf europäischer Ebene Unfallverhütungsvorschriften stellen nicht die einzige Möglichkeit dar, wie die berufsgenossenschaftlichen Erfahrungswerte Eingang in die Normsetzung finden können. Von erheblicher Bedeutung für die im Bereich des technischen Arbeitsschutzes jeweils einzuhaltenden Sicherheitsstandards ist seit der Entschließung des Rates vom 7.5.1985 zur so genannten „Neuen Konzeption“ die europäische Normung173. Durch die europäische Normung werden die in den Binnenmarktrichtlinien nach Art. 95 EG enthaltenen grundlegenden Sicherheitsanforderungen mittels technischer Detailregelungen konkretisiert, die von den europäischen Normungsgremien CEN und CENELEC erlassen werden174. Insofern kommt der europäischen Normung eine herausragende Bedeutung für den Sicherheitsstandard insbesondere im Zusammenhang mit Arbeitsgeräten zu. CEN und CENELEC sind aus den jeweiligen nationalen Normungsgremien zusammengesetzt, so dass die Bundesrepublik Deutschland durch das DIN auf europäischer Ebene repräsentiert wird. Da die Berufsgenossenschaften eng mit dem DIN zusammenarbeiten, finden sie über das deutsche Normungsinstitut Zugang zur europäischen Normung und können auf diese Weise ihre Erfahrungswerte und ihren Sachverstand in die europäische Normung mit einbringen175. Die Be172 Zu dieser vielfach geäußerten Sorge vgl.: Waldeck, in: Die BG 1989, S. 560, 560; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 90 f. 173 Vgl. hierzu schon oben: 3. Kap. A. III. 174 Ausführlich zur europäischen Normung vgl.: Anselmann, in: RIW 1986, S. 936 ff. 175 Ulrich Becker, in: Die BG 1989, S. 550, 552; Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 410; Pinter, in: Moderne Unfallverhütung 1993, Heft 37, S. 9, 11; Römer,

D. Auswirkung auf die sonstige berufsgenossenschaftliche Präventionstätigkeit 193

rufsgenossenschaften haben im Hinblick auf die Bedeutung der europäischen Normung für das Sicherheitsniveau im technischen Arbeitsschutz ihre Einflussnahme in diesem Bereich erheblich ausgebaut, indem sie verstärkt Leitungs- und Führungspositionen im CEN und CENELEC übernehmen176. Neben der Einflussnahme auf die europäische Normung bringen die Berufsgenossenschaften ihren Sachverstand auch direkt auf der Ebene des Richtlinienerlass in den europäischen Arbeitsschutz ein. So geben sie den am Richtlinienerlass durch Anhörungen und Beratungen beteiligten deutschen Vertretern Argumentationshilfen oder begleiten sie teilweise auch in die Sitzungen177.

II. Einflussnahme durch Konkretisierung Ein weiteres mögliches Tätigkeitsfeld der Unfallversicherungsträger, in dem sie trotz des starken europäischen Einfluss ihr Fachwissen einbringen können, liegt in der effektiven Nutzung von verbleibenden Handlungsspielräumen. Solche Spielräume existieren einerseits dort, wo entweder keine Richtlinien erlassen wurden oder wo Richtlinien nur allgemeine Vorgaben machen und keine ausfüllenden europäischen Normen bestehen. Andererseits sehen manche Richtlinien aber auch ausdrücklich Gestaltungsspielräume vor, wie beispielsweise Art. 5 Abs. 1 S. 2 der Maschinen-Richtlinie, die es von den Berufsgenossenschaften zu nutzen gilt178. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die europarechtlichen Vorgaben, soweit es sich nicht um verbindliche Höchstanforderungen nach Art. 95 EG handelt, durch berufsgenossenschaftlichen Schriften unterhalb des Ranges von Unfallverhütungsvorschriften, wie BG-Regeln, BG-Informationen oder Grundsätze179, zu konkretisieren180. in: Moderne Unfallverhütung 1988, Heft 32, S. 9, 11; Waldeck, in: Die BG 1991, S. 700, 701; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 131 ff. 176 Römer, in: Moderne Unfallverhütung 1988, Heft 32, S. 9, 11; ders./Jansen, in: Die BG 1988, S. 498, 499; Waldeck, in: Die BG 1989, S. 560, 561; ders., in: Die BG 1991, S. 700, 701. 177 Römer, in: Moderne Unfallverhütung 1988, Heft 32, S. 9, 11; ders./Jansen, Die BG 1988, S. 498, 499; Wilhelm, Die Unfallverhütungsvorschriften im System des deutschen und europäischen Rechts, S. 131. 178 Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 410; Pinter, in: Moderne Unfallverhütung 1993, Heft 37, S. 9, 11; Wlotzke, in: RdA 1992, S. 85, 94. Eine vergleichbare Regelung enthält auch Art. 5 Abs. 1 lit. a der Neufassung der Maschinenrichtlinie (RL 2006/42/EG vom 17.5.2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 91/16/EG, ABl. EU 2006, Nr. L 157, S. 24, 29.). 179 Zum berufsgenossenschaftlichen Schriftenwerk siehe oben: 1. Kap. E. II.

194 3. Kap.: Berufsgenossenschaftliche Prävention unter europäischem Einfluss

E. Endergebnis Die arbeitsschutzrechtlich relevanten Richtlinien nach Art. 95 EG und Art. 137 EG führten zu erheblichen Veränderungen der berufsgenossenschaftlichen Prävention. Der vollständige Verzicht auf Unfallverhütungsvorschriften im Bereich der Richtlinienumsetzung ist europarechtlich nicht geboten sowie im Hinblick auf die Vorzüge des berufsgenossenschaftlichen Satzungsrechts auch nicht wünschenswert. Der Gesetzgeber hat sich dennoch bislang dazu entschieden, Richtlinien ausschließlich durch staatliches Recht umzusetzen. Die dadurch entstandenen Kompetenzverluste der Unfallversicherungsträger konnten sie durch einen erheblichen Ausbau ihrer Aktivitäten auf Ebene der europäischen Normung sowie durch die Einflussnahme auf den Richtlinienerlass zumindest teilweise kompensieren. Insofern hat sich der Schwerpunkt der berufsgenossenschaftlichen Normsetzung im Bereich des technischen Arbeitsschutzrechts im Laufe der zunehmenden Europäisierung von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene verlagert.

180 Eiermann, in: Die BG 1992, S. 408, 410; Pinter, in: Moderne Unfallverhütung 1993, Heft 37, S. 9, 1; allgemein zu den berufsgenossenschaftlichen Schriften unterhalb von Unfallverhütungsvorschriften siehe Molkentin, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 17 Rn. 4 ff.

4. Kapitel

Verfassungsmäßigkeit der unternehmerischen Präventionsverpflichtungen Eine effektive Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ist aus humanitären und ökonomischen Gründen eine unbestrittene Notwendigkeit. Zugleich bedeutet sie für die für ihre Durchführung verantwortlichen Unternehmer teilweise erhebliche organisatorische und finanzielle Belastungen, die sich an der Verfassung messen lassen müssen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht besonders bedenklich ist es, wenn mit den von den Unternehmern aufgebrachten Unfallversicherungsbeiträgen Präventionsmaßnahmen finanziert werden, die nicht ausschließlich der Versichertengemeinschaft, sondern die darüber hinaus der gesamten Bevölkerung zugute kommen. Zu nennen sind hier insbesondere die von den Berufsgenossenschaften großflächig angelegten Präventionskampagnen. So richtet sich beispielsweise die Dachkampagne der Präventionskampagne „Haut“1 nicht allein an Arbeitgeber und Versicherte sondern ebenso an die breite Öffentlichkeit2, indem allgemein die Aufmerksamkeit für das Thema Hautschutz geschärft werden soll. Erreicht werden soll diese Sensibilisierung durch den Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsmedien. Es werden unter anderem mehrere tausend Großflächen-Plakate geschaltet, Flyer und Broschüren verteilt, es sind monatliche Pressemeldungen vorgesehen und es wurde ein gemeinsames Internet-Portal3 errichtet, auf dem Informationen zur Kampagne sowie ein ausführlicher Ratgeber zur Hautpflege zu finden sind4. Außerdem unterstützt die Präventionskampagne „Haut“ als offizieller Gesundheitspartner mehrere Marathonveranstaltungen und präsentiert sich entlang der Laufstrecke mit Bannern und Plakaten sowie mit einer Musikbühne und auf den begleitenden Messen mit einem Messestand5. Zur besseren Medienwirksamkeit greifen die Kampagnenträger für 1 Allgemein zum Inhalt der Präventionskampagne Haut siehe: Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10 f.; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12 ff. 2 Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12, 12. 3 www.2m2-haut.de. 4 Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12, 12.

196

4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

ihre Aufklärungsmaßnahmen wiederholt auf die Unterstützung von berühmten Persönlichkeiten zurück6. Neben der Präventionskampagne „Haut“ lässt sich eine ähnliche gesamtgesellschaftliche Ausrichtung von Präventionsmaßnahmen auch bei den Verkehrssicherheitskampagnen finden, die die Unfallversicherungsträger oftmals in Kooperation mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) durchführen. Zu nennen sind hier beispielsweise die gemeinsame Schwerpunktaktion 2006/07 „Raser kommen nicht an“, die sich intensiv mit dem Thema Geschwindigkeit beschäftigte7, sowie die gemeinsame Schwerpunktaktion 2007/08 „Kein Platz für Kreuze“, die auf den Gefahrenherd Landstraße aufmerksam machte8. Darüber hinaus haben die DGUV und der DVR mit Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums eine gemeinsame Jugendaktion „Hast Du die Größe? Fahr mit Verantwortung“ gestartet, die die Unfallzahlen unter den jungen Fahrern senken will9. Zu nennen ist ferner die Kampagne „Runter vom Gas“, die auf die Gefährdungen durch überhöhte Geschwindigkeit aufmerksam macht10. Die Kampagnen arbeiten insbesondere mit großflächigen Plakaten, auf denen einprägsame und drastische Slogans abgedruckt sind und die vorzugsweise in der Nähe von vielbefahrenen Straßen, Landstraßen und Autobahnen aufgestellt werden. Daneben werden beispielsweise Aufklärungsbroschüren, Internet-Auftritte oder CD-ROMs eingesetzt, die die Kampagne publik machen sollen und die Bevölkerung für die Gefahren des Straßenverkehrs sensibilisieren wollen11. Angesichts des weiten Wirkungskreises der beschriebenen Präventionskampagnen stellt sich die Frage, inwieweit den Unfallversicherungsträgern bei der Erfüllung ihres Präventionsauftrages, der seine zentrale Normierung in § 14 Abs. 1 SGB VII gefunden hat, verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt werden. Schließlich befähigt die Ermächtigungsgrundlage des § 14 5 Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11; Renate Klein, in: G+G Spezial 1/07, S. 4, 5; v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12, 12; siehe auch die Berichterstattung zur Marathonveranstaltung in Köln in: Die BG 2007, S. 474 f. 6 Die Marathon-Europameisterin und Leichtathletin des Jahres 2006 Ulrike Maisch, die Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt und die Schwimmeuropameisterin Britta Steffen werben für die Präventionskampagne „Haut“; vgl. hierzu auch: Die BG 2007, S. 346 f., 168 f., 128 f. 7 Die BG 2007, S. 213; www.raser-kommen-nicht-an.de. 8 DVR-report 2/2007, S. 6; Die BG 2007, S. 213; www.kein-platz-fuer-kreuze.de. 9 DVR-report 1/2007, S. 5; www.hast-du-die-groesse.de. 10 Die BG 2008, S. 152 f.; www.runter-vom-gas.de. 11 Zur Jugendkampagne: DVR-report 1/2007, S. 5; zur Kampagne „Raser kommen nicht an“: Die BG 2007, S. 213; zur Kampagne „Kein Platz für Kreuze“: Die BG 2007, S. 213; DVR-report 2/2007, S. 4 ff. sowie die jeweiligen Internet-Auftritte.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

197

Abs. 1 SGB VII die Unfallversicherungsträger zu umfassenden, unternehmerfinanzierten Präventionsmaßnahmen. Insofern ist einerseits zu überprüfen, ob sich die Präventionsaufgabe in den Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG hält. Darüber hinaus muss sie mit grundrechtlichen Vorgaben in Einklang stehen, wobei insbesondere die Grundrechte der zur Finanzierung herangezogenen Unternehmer zu berücksichtigen sind. Weiterhin muss sie rechtsstaatlichen Anforderungen wie dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Vorbehaltes des Gesetzes genügen.

A. Aufgabe und Finanzierung der Prävention in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung I. Bedeutung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für die Beitragserhebung Als Kompetenznorm dient Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bundes- und Landesgesetzgeber. So ist der Regelung zu entnehmen, dass auf dem Gebiet der Sozialversicherung der Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit innehat12. Allerdings ermächtigt die Gesetzgebungskompetenz für die „Sozialversicherung“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG den Gesetzgeber nicht zu einer allumfassenden Regelung der sozialen Sicherung13. Vielmehr ist der Begriff der Sozialversicherung als „weitgefasster, verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff zu verstehen“14, der sich an der von Bismarck entwickelten ursprünglichen Sozialversicherung orientiert, die die Risiken Krankheit, Alter, Unfall und Invalidität absicherte15. Kennzeichnend für die Sachmaterie der „Sozialversicherung“ ist damit „jedenfalls die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielfalt“16. Strukturmerkmale der Sozialversicherung sind folglich die „Versicherung“ und die „Aufbringung der Mittel durch Beiträge“, das „soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten“ sowie ihre „Durchführung 12 Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR VI, § 133 Rn. 36 f. spricht insofern von der Zuteilungsfunktion einer Kompetenznorm. 13 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 74 Rn. 67; Oeter, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, Art. 74 Rn. 117. 14 BVerfGE 75, 108, 146. 15 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 56; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 74 Rn. 67; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 170; Oeter, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, Art. 74 Rn. 117; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 135 Rn. 21. 16 BVerfGE 75, 108, 146.

198

4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

durch selbständige Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts“17. Dem traditionellen Bild der Sozialversicherung haftet also die Verbindung von Leistungsrecht und Finanzierungsfrage an, indem sie den Begriff der Sozialversicherung dahingehend prägt, dass Leistungen mittels der von den Versicherten erbrachten vorsorgenden Beiträge finanziert werden. Das Bundesverfassungsgericht zieht hieraus den Schluss, der auch in der Literatur18 Zustimmung gefunden hat, dass die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG „aus sich heraus auch auf die Regelung der Finanzierung der Sozialversicherung, mithin auf die Erhebung von Sozialversicherungsabgaben, gerichtet“19 ist. Demnach ist dem Kompetenztitel der „Sozialversicherung“ die Beitragsfinanzierung immanent, was zur Folge hat, dass der Gesetzgeber auch Regelungen zur Finanzierung treffen darf, soweit er die Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG innehält. Einer darüber hinausgehenden ausdrücklichen Ermächtigung bedarf es somit nicht. Allerdings hat der Gesetzgeber zu beachten, dass ihn Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nur zur Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen ermächtigt, worunter ausschließlich solche Beiträge zu verstehen sind, die „ihren Grund und ihre Grenze in der Finanzierung der Sozialversicherung“20 finden. Keinesfalls darf er die Regelungskompetenz dazu nutzen, um „Mittel für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben aufzubringen“21, da solche Regelungen auf Grundlage der finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen ergehen müssten und der Kompetenztitel der Sozialversicherung hierfür keine Grundlage darstellt22. Insofern ist die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG strikt von den finanzverfassungsrechtlichen Gesetzgebungszuständigkeiten nach Art. 104a ff. GG zu trennen. Kompetenzgemäß können Sozialversicherungsbeiträge in Abgrenzung zu sonstigen Beiträgen nur erhoben werden, wenn sie „von Beteiligten der Sozialversicherung erhoben werden, [. . .] rechtlich und organisatorisch verselbständigten, demgemäß mit eigener Ertragshoheit versehenen Sozialversicherungsträgern zufließen und [. . .] dort zur Deckung desjenigen Finanzbedarfs eingesetzt werden, der mit der Erfüllung des Sozialversicherungsauftrages verbunden ist“23. Die Auslegung des 17 BVerfGE 75, 108, 146; Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 28; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 57; siehe auch: Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 135 Rn. 241, 244. 18 Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 41; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 124; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 59; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 74 Rn. 67; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 135 Rn. 241. 19 BVerfGE 75, 108, 148; 113, 167, 197. 20 BVerfGE 75, 108, 148. 21 BVerfGE 75, 108, 148. 22 Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 40. 23 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 126.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

199

Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ergibt folglich, dass die Gesetzgebungskompetenz auf die Erhebung von Beiträgen begrenzt ist, die für Zwecke der Sozialversicherung verwendet werden.

II. Merkmale des Sozialversicherungsbegriffs nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG 1. Versicherung Die Inanspruchnahme des Kompetenztitels „Sozialversicherung“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verlangt zunächst, dass es sich bei der Regelung um eine Versicherung handelt. Nach der grundlegenden Definition von Wannagat24 ist die Sozialversicherung eine „staatlich organisierte, nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung aufgebaute öffentlich-rechtliche, vorwiegend auf Zwang beruhende Versicherung großer Teile der arbeitenden Bevölkerung für den Fall der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit (und des Todes) sowie des Eintritts der Arbeitslosigkeit“. Ungeachtet des Attributs „sozial“ ist die Sozialversicherung unter Zugrundelegung dieser Definition folglich genauso wie die Privatversicherung in erster Linie eine Versicherung. Auch das Bundesverfassungsgericht erkannte den „versicherungsmäßigen Risikoausgleich“ als Wesensmerkmal der Sozialversicherung an, indem es bestimmte, dass Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG jedenfalls die „gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielfalt“ umfasst25. Angesichts der zentralen Bedeutung des Versicherungsprinzips für das Wesen der Sozialversicherung, bestehen zwischen der Privatversicherung und der Sozialversicherung strukturelle Gemeinsamkeiten26. Charakteristikum der Privatversicherung ist, dass es sich um einen Zusammenschluss gleichartig Gefährdeter zu einer Gefahrengemeinschaft handelt, um die auftretenden Risiken auf eine Mehrzahl von Personen zu verteilen27. Zur Deckung des Finanzbedarfs der Gefahrengemeinschaft ist jeder Versicherungsnehmer verpflichtet, die auf ihn anfallende Prämie zu entrichten. 24

In: Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Band, S. 25. BVerfGE 75, 108, 146. Zum versicherungsmäßigen Risikoausgleich als Bestandteil der Sozialversicherung siehe auch: BVerfGE 17, 1, 9; 28, 324, 348 f.; 40, 121, 136; 67, 231, 237. 26 Bley/Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht, Rn. 281; Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 5 Rn. 12; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 17. 27 Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 4 Rn. 3; Siehe ferner zum Begriff der (Privat-)Versicherung: Lorenz, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, VersicherungsrechtsHandbuch, § 1 Rn. 111 ff.; Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 16. 25

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

Im Gegenzug hat er im Falle des Risikoeintritts einen Anspruch auf Abdeckung der entstandenen Einbuße28. Ebenso stellt die Sozialversicherung einen Zusammenschluss gleichartig Gefährdeter dar, indem sie Gefahrengemeinschaften hinsichtlich der Risiken Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alter oder Arbeitslosigkeit bildet. Zur Finanzierung des gemeinsamen Bedarfs entrichten die Versicherten und die Arbeitgeber Beiträge29. Bei Risikoeintritt haben die Versicherten gegen die Sozialversicherungsträger einen Anspruch auf die jeweilige Versicherungsleistung30. Im Hinblick auf die Gemeinsamkeiten von Privatversicherung und Sozialversicherung ist heute allgemein anerkannt, dass es sich bei der Sozialversicherung nicht um eine Form der öffentlichen Fürsorge handelt31, sondern dass das im Bereich der Privatversicherung verankerte Versicherungsprinzip ebenfalls wesentlicher Bestandteil der Sozialversicherung ist32. Dennoch darf nicht verkannt werden, dass zwischen der Sozialversicherung und der Privatversicherung erhebliche Unterschiede bestehen, da das Versicherungsprinzip in der Sozialversicherung insbesondere durch den Gedanken des sozialen Schutzes und des sozialen Ausgleichs modifiziert wird33: So besteht in der Sozialversicherung der Versicherungsschutz unabhängig von der Beitragsentrichtung34 und den eingebrachten Risiken, während in der Privatversicherung für die Versicherungsleistungen die entrichteten Prämien sowie etwaige Vorbelastungen maßgeblich sind. In der Sozialversicherung findet also eine der 28

Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 4 Rn. 3. Vgl. hierzu § 20 Abs. 1 SGB IV. 30 Bley/Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht, Rn. 281 f.; Muckel, Sozialrecht, § 7 Rn. 5; Gitter/Schmitt, Sozialrecht § 4 Rn. 4. 31 So aber von Anhängern der „Theorie der sozialpolitischen Fürsorge“ vertreten, siehe hierzu: Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 3, S. 292 ff.; ausführlich zu den Positionen der „Theorie der sozialpolitischen Fürsorge“: Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 19 ff. 32 Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12 Rn. 31; Bley/Kreikebohm/ Marschner, Sozialrecht, Rn. 283; Walter Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, S. 24; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 212 ff., 216; Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 4 Rn. 2; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 35; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 66 f.; Muckel, Sozialrecht, § 7 Rn. 4. 33 BVerfGE 11, 105, 113 f.; 21, 362, 378; 59, 36, 49 f.; 79, 87, 101; Bieback, in: VSSR 2003, S. 1, 28 f.; Bley/Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht, Rn. 283; Walter Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, S. 25 f; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 212 ff., 218 f.; Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 153; Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 4 Rn. 5; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 67; Muckel, Sozialrecht, § 7 Rn. 6 f.; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, S. 17. 34 In der gesetzlichen Krankenversicherung sind beispielsweise auch Ehegatten und unterhaltsberechtigte Kinder versichert, ohne eigene Beiträge zu entrichten, § 10 SGB V. 29

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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Privatversicherung unbekannte soziale Umverteilung zugunsten der sozial schwächeren Personen statt35. Im Hinblick auf diese Abänderung des Versicherungsprinzips wird vereinzelt vertreten, dass es sich nicht lediglich um eine Modifizierung des privatversicherungsrechtlichen Versicherungsprinzips handele, sondern dass die Sozialversicherung vielmehr eine eigenständige Sicherungsform darstelle36. Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheiten lässt sich festhalten, dass die Sozialversicherung als eine Institution zur gemeinsamen Deckung eines im Einzelfall zufälligen, in seiner Gesamtheit aber schätzbaren Bedarfs zahlreicher gleichartig bedrohter Personen angesehen werden kann, demnach der Vorsorge des Einzelnen dient und folglich eine Versicherung darstellt. Ungeachtet der grundsätzlichen Qualifizierung der Sozialversicherung als Versicherung wurde in Bezug auf die gesetzliche Unfallversicherung insbesondere aufgrund der alleinigen Beitragstragung der Unternehmer von einigen Stimmen angezweifelt, dass es sich um eine wirkliche Sozialversicherung zugunsten der Arbeitnehmer handele37. In Anbetracht der Haftungsfreistellung der Unternehmer nach §§ 104 ff. SGB VII stelle die gesetzliche Unfallversicherung eher eine Haftpflichtversicherung der Unternehmer, als eine Versicherung zugunsten der Arbeitnehmer dar38. Allerdings verkennt diese Ansicht, dass eine Qualifizierung der Unfallversicherung als Haftpflichtversicherung nur dann in Betracht kommt, wenn sie das Risiko des Eintritts des Haftungsfalls abdecken soll. Dies setzt allerdings voraus, dass eine entsprechende Haftung der Unternehmer besteht. Die §§ 104 ff. SGB VII schließen jedoch die Haftung der Unternehmer von vorneherein aus, so dass überhaupt keine Unternehmerhaftung für Arbeitsunfälle existiert. Schon aus diesem Grund kann die Unfallversicherung keinesfalls eine echte Haftpflichtversicherung darstellen. Zudem käme eine Entschädigung der Arbeitnehmer für Wegeunfälle, wie in § 8 Abs. 2 SGB VII i. V. m. § 26 Abs. 1 SGB VII vorgesehen, oder für einen Arbeitsunfall infolge verbotswidrigen Handelns im Sinne von § 7 Abs. 2 SGB VII mangels zivilrechtlicher Verantwortlichkeit des Arbeitgebers nicht in Betracht, wenn die Unfallversiche35 Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 5 Rn. 16, zu den Unterschieden zwischen Privatversicherung und Sozialversicherung siehe auch: Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12 GG, Rn. 32; ausführlich zur sozialen Umverteilung als Wesensmerkmal der Sozialversicherung siehe unten: 4. Kap. A. II. 2. 36 Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 35 ff. 37 Lauterbach, in: Die BG 1953, S. 125, 126; Schrader, in: FS Krohn, S. 259, 265; vgl. auch Knoll, Grundfragen und Grundlagen der Unfallversicherung, S. 22. Ausführlich zu den unterschiedlichen Positionen: Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 51 ff.; siehe hierzu ferner: Kaskel/Sitzler, Grundriß des sozialen Versicherungsrechts, S. 33 ff. 38 Lauterbach, in: Die BG 1953, S. 125, 126; Knoll, Grundfragen und Grundlagen der Unfallversicherung, S. 22.

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rung eine echte Haftpflichtversicherung wäre39. Darüber hinaus spricht gegen die Einordnung als Haftpflichtversicherung, dass die Haftungsfreistellung der §§ 104 ff. SGB VII nicht im Interesse der Unternehmer eingeführt wurde, sondern vielmehr dem sozialen Frieden dient, indem sie den Arbeitnehmern im Falle eines Arbeitsunfalls zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen ohne die Beachtung schwieriger Beweisführungserfordernisse verhilft40. Die gesetzliche Unfallversicherung ist mithin keine Haftpflichtversicherung der Unternehmer, allenfalls kommt ihr aufgrund der Haftungsablösung die Wirkung einer Haftpflichtversicherung zu41. Weiterhin wird gegen den Versicherungscharakter der Unfallversicherung angeführt, dass hier nicht die Gefährdeten selbst durch eigene Beiträge Vorsorge für den möglichen Risikoeintritt treffen, sondern dass allein der Arbeitgeber die Beiträge zur Unfallversicherung trage und es sich deshalb um genossenschaftliches Entschädigungsrecht handele42. Allerdings kennt auch das Privatversicherungsrecht eine Versicherung zugunsten Dritter43, so dass die Beitragszahlung für einen Dritten den Versicherungscharakter der Unfallversicherung nicht in Frage stellt44. Gleiches gilt für die besondere Betonung der Prävention in der Unfallversicherung. Die vorrangige Nennung der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsaufgabe in § 1 Nr. 1 SGB VII vor dem Leistungsrecht nimmt der Unfallversicherung ihren Versicherungscharakter nicht, zumal auch die Privatversicherung die Verpflichtung zu schadensverhütenden Maßnahmen kennt, ohne dass ihr die Versicherungsqualität abgesprochen würde45. Trotz ihrer Besonderheiten dient die 39 BSGE 6, 213, 227; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 72. 40 Lepa, Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht, S. 19 ff.; siehe ferner auch Baldschun, Solidarität und soziales Schutzprinzip in der gesetzlichen Unfallversicherung, S. 162, die die Einordnung der gesetzlichen Unfallversicherung als Unternehmer-Haftpflichtversicherung mit dem Hinweis auf das in der Unfallversicherung verwirklichte soziale Schutzprinzip ablehnt. 41 Gitter/Nunius, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 5 Rn. 70; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 71; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 15 spricht insoweit von einer „besonders ausgestalteten Haftungsordnung für Arbeitsschäden“, die für sich alleine gesehen den Versicherungscharakter der Unfallversicherung gefährden würde, im Hinblick auf die Einheitlichkeit des Versicherungsverhältnisses zugunsten der Arbeitnehmer sei allerdings eine „echte Versicherung im Rechtssinne“ zu bejahen. 42 Schrader, in: FS Krohn, S. 259, 265. 43 § 179 Abs. 1 VVG; §§ 328, 330 BGB. 44 Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 73; Heldmann, Die Beiträge zur Sozialversicherung, S. 71; Krohn, in: FS Lauterbach (1961), S. 23, 31; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, S. 14. 45 Heldmann, Die Beiträge zur Sozialversicherung, S. 72; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, S. 16.

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Unfallversicherung folglich der Vorsorge der Versicherten gegen den Eintritt künftiger und ungewisser Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten und ist demnach als Versicherung zu qualifizieren.

2. Sozialer Ausgleich a) Sozialer Ausgleich in der Sozialversicherung aa) Begriff Ein weiteres Strukturmerkmal der Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ist der „soziale Ausgleich“, der die Sozialversicherung von der rein risikoorientierten Privatversicherung abgrenzt46. Obwohl dieses Merkmal zu den „Grundpfeilern“47 der Sozialversicherung gezählt wird, ist die Begrifflichkeit rechtsdogmatisch unerschlossen48. Nach dem Bundessozialgericht besteht der soziale Ausgleich in einem Ausgleich der bei den verschiedenen Versicherten bestehenden ungleichen Risiken, wobei der Ausgleich der gesamten Solidargemeinschaft obliegt und nach sozialen Gesichtspunkten zu erfolgen hat49. Realisiert wird der soziale Ausgleich durch eine Umverteilung von Finanzmitteln50. In Bezug auf die Unfallversicherung ist in diesem Zusammenhang allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund der alleinigen Beitragstragung durch die Unternehmer eine Umverteilung nicht wie in der Kranken- oder Rentenversicherung zwischen den Versicherten, sondern von vornherein nur zwischen den Unternehmern denkbar ist51. Ferner ist zu beachten, dass nicht jede Form der Umverteilung von Finanzmitteln eine Ausprägung des sozialen Ausgleichs darstellt, vielmehr werden vier Grundfälle der Umverteilung unterschieden, von denen nur zwei einen „echten“ sozialen Ausgleich beinhalten: 46

Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 35. Neben der kompetenzrechtlichen Bedeutung des sozialen Ausgleichs betonen Papier/Möller, in: NZS 1998, S. 353, 357 sowie in: SGb 1998, S. 337, 340 die Unverzichtbarkeit des Solidarausgleichs im Hinblick auf die Rechtfertigung der Zwangsmitgliedschaft von Unternehmern und Versicherten in der Unfallversicherung. 47 Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, S. 117. 48 Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 252; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 53 f.; Isensee, in: SDSRV 35 (1992), S. 7, 26. 49 BSGE 48, 134, 137 f. 50 Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 254; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 17 f.; siehe hierzu auch: Schulin, in: FS Zacher, S. 1029, 1034. 51 Joachim Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 201.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

In der Sozialversicherung, wie in jeder Versicherung, findet ein „versicherungsimmanenter Risikoausgleich“52 statt, der zwischen den von dem versicherten Risiko stark betroffenen und den weniger stark betroffenen Versicherten erfolgt. Es handelt sich mithin im Rahmen der Krankenversicherung um eine Umverteilung von den Gesunden zu den Kranken, von den kürzer Lebenden zu den Langlebenden in der Rentenversicherung oder von den Beschäftigten zu den Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung. Dieser Ausgleich ist das Charakteristikum einer jeden Versicherung53. Mithin muss der soziale Ausgleich, als Besonderheit der Sozialversicherung, über diesen versicherungsimmanenten Risikoausgleich hinausgehen54. Weiterhin findet in der Sozialversicherung eine Beitragsumschichtung in Form des „intrapersonalen Ausgleichs“55 statt. Hierunter ist die „zeitliche Verschiebung von Beiträgen und Leistungen an ein und dieselbe Person“56 zu verstehen. Insofern kommt der Sozialversicherung nach dem Prinzip „zahle jetzt, erhalte später“ eine „Sparbuchfunktion“ zu57. Besonders sichtbar ist diese Art der Umverteilung in der Rentenversicherung, in der der einzelne Versicherte im Laufe seines Arbeitslebens Beiträge entrichtet, die er Jahrzehnte später mit Eintritt ins Rentenalter in Form von Rentenzahlungen „zurückerhält“. Da es sich hierbei allerdings um eine zeitliche Beitragsumverteilung innerhalb ein und derselben Person handelt, stellt sie keine Ausprägung des sozialen Ausgleichs dar, weil es hierzu immer einer Umverteilung zwischen verschiedenen Personen, die unterschiedlichen Risikogruppen angehören, bedarf58. Eine Erscheinungsform des sozialen Ausgleichs liegt demgegenüber in der „interpersonellen Umverteilung“, die dazu führt, dass der Beitrag eines Versicherten zur Finanzierung der Leistung eines anderen Versicherten verwendet wird59. Faktoren der interpersonellen Umverteilung sind insbeson52

Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 228. Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 228. 54 Penner, in: NZS 2007, S. 521, 525; Seewald, in: SGb 2004, S. 453, 458. 55 Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 228 f. bezeichnet diese Art von Umverteilung als „intertemporale Umschichtung“. 56 Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66. 57 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 229; Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66. 58 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 229; Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66; vgl. in diesem Sinne auch die Definition des BSG (E 48, 134, 137 f.), das einen Ausgleich der bei den verschiedenen Versicherten bestehenden sozialen Risiken verlangt. 59 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 229; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 17 f.; Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66. 53

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dere das Einkommen, das Alter, die familiäre Situation oder das Geschlecht. In der Krankenversicherung beispielsweise besteht die interpersonelle Einkommensumverteilung darin, dass die Beiträge gem. § 226 SGB V nach dem Arbeitsentgelt bemessen werden, die medizinischen Leistungen allerdings für alle Versicherten gleich sind und sich, bis auf Leistungen mit Entgeltersatzfunktion60, nicht nach den gezahlten Beiträgen richten61. Es erfolgt also eine Umverteilung von den Besserverdienenden zu den finanziell schlechter Situierten, da die Besserverdienenden für eine medizinische Leistung mehr zahlen als die schlechter Verdienenden. Überdies wird ein sozialer Ausgleich auch dadurch bewirkt, dass eine alleinstehende Person bei gleichem Einkommen den gleichen Beitrag wie ein verheirateter Familienvater zu entrichten hat, obwohl nach § 10 SGB V dessen unterhaltsberechtigten Kinder und Ehegatten kostenlos krankenversichert sind. Der Alleinstehende trägt folglich durch seine Beiträge zur kostenlosen Familienversicherung der Angehörigen des Familienvaters bei. In der Rentenversicherung realisiert sich der soziale Ausgleich vorrangig durch die Zahlung von Witwen-62 oder Waisenrenten63. Ein kinderloser, alleinstehender Versicherter zahlt bei gleichem Arbeitsentgelt den gleichen Beitrag wie ein verheirateter Versicherter, der Kinder hat und finanziert auf diese Weise die Hinterbliebenenrenten mit. Eine derartige soziale Umverteilung lässt sich allerdings nur mittels einer Zwangsversicherung wie der Sozialversicherung, realisieren, da sich andernfalls die „guten Risiken“, also die jungen, gesunden, besser verdienenden und ledigen Arbeitnehmer in einer am jeweiligen Risiko orientierten privaten Versicherung zusammenfinden würden, während alle „schlechten Risiken“, also die Einkommensschwachen, Alten und Kranken in der Sozialversicherung bleiben würden. Dies hätte zur Folge, dass die Leistungen nicht mehr finanzierbar wären64. Neben der interpersonellen Umverteilung ist die „intergenerationelle Umverteilung“65 eine weitere Ausprägung des sozialen Ausgleichs. Sie betrifft die zwischen den Generationen stattfindende Umverteilung, die sich als Konsequenz daraus ergibt, dass der Finanzbedarf eines Sozialversicherungsträgers stets aus den laufenden Einnahmen gedeckt wird66. 60 Gem. § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70% des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts. 61 Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung, S. 100. 62 Vgl. § 46 SGB VI für die Witwenrente und Witwerrente. 63 Vgl. § 48 SGB VI für die Waisenrente. 64 Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 4 Rn. 15 f. 65 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18, spricht in diesem Zusammenhang vom „intertemporären Solidarausgleich“.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

Über den sich innerhalb der Versichertengemeinschaft eines Sozialversicherungsträgers vollziehenden Sozialausgleich hinaus kann die Umverteilung unterschiedlicher sozialer Risiken auch zwischen verschiedenen Sozialversicherungsträgern erfolgen, wie beispielsweise durch den Risikostrukturausgleich in der Krankenversicherung nach § 266 SGB V oder durch das Lastenausgleichsverfahren zwischen den einzelnen Berufsgenossenschaften nach § 176 ff. SGB VII. Diese Art der Umverteilung wird als „interkorporativer Ausgleich“67 bezeichnet. Es wird teilweise vertreten, dass es sich hierbei nicht um eine Ausprägung des sozialen Ausgleichs handele, da nicht die Solidarität zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern im Vordergrund stehe68. Vielmehr diene der Lastenausgleich der Abmilderung von Mängeln des Umlageverfahrens und stelle damit Beitragsäquivalenz her69. Das Bundesverfassungsgericht geht demgegenüber davon aus, dass auch der interkorporative Ausgleich eine Ausprägung des Solidarprinzips darstelle70. In der Tat erschöpft sich der Sinn der interkorporativen Umverteilung nicht in einem reinen Ausgleich der Haushalte der Sozialversicherungsträger. Darüber hinaus fördert er den Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen der verschiedenen Sozialversicherungsträger71, die maßgeblich durch die Zusammensetzung der Versichertengemeinschaft geprägt sind72. Insofern ist es gerechtfertigt auch den interkorporativen Ausgleich als eine Ausprägung des sozialen Ausgleichs zu sehen73. 66

Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 234 f.; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18; Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 66. 67 Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 67; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 240 spricht von „extramuraler korporativer Umverteilung“, während Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsträger, S. 18 die Bezeichnung „interorganisatorischer Solidarausgleich“ wählt. 68 Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 65, 67; siehe auch: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 242, der dem interkorporativen Ausgleich für die inhaltliche Bestimmung des Merkmals „sozialer Ausgleich“ keine Bedeutung zukommen lässt, da es kein Charakteristikum der ursprünglichen Sozialversicherung gewesen sei. 69 Giesen, in: ZESAR 2004, S. 151, 156; ihm folgend: Penner, in: NZS 2007, S. 521, 525 f. 70 BVerfGE 113, 167, 217 ff. (zum Risikostrukturausgleich). 71 BT-Drs. 12/3608, S. 117. 72 Vgl. hierzu auch die BT-Drs. 15/5669, S. 4 f., in der der Gesetzgeber hinsichtlich des berufsgenossenschaftlichen Lastenausgleichs von einer „solidarischen Lastenverteilung“ spricht. 73 So auch: BVerfGE 113, 167, 217 ff.; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18; Nipperdey/Säcker, Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Finanzausgleich und Gemeinlast in der Sozialversicherung, S. 27; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18 ff.

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bb) Äquivalenzprinzip als Gegenpol Gegenpol des sozialen Ausgleichs ist das Äquivalenzprinzip, auch Versicherungsprinzip genannt. Als versicherungsrechtlicher Begriff besagt er zunächst einmal, dass sich Ausgaben und Einnahmen des Versicherungsträgers decken müssen. Bezogen auf die Gesamtheit der Versicherungsprämien bedeutet dies, dass sie in ihrer Höhe den zu erwartenden Versicherungsfällen entsprechen müssen74. Eine solche Globaläquivalenz von Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben ist eine unabdingbare Voraussetzung jeder Versicherung – gleichgültig, ob es sich um eine Privat- oder Sozialversicherung handelt, – da andernfalls die Versicherung nicht finanzierbar wäre75. Neben der jeder Versicherung immanenten Globaläquivalenz verlangt das Äquivalenzprinzip in seiner Ausprägung als Individualäquivalenz weitergehend, dass die individuelle Beitragsbemessung dem individuellen Risiko entspricht. Die Versicherungsprämien werden also im Sinne des Verursacherprinzips, abgestuft nach Risikowahrscheinlichkeit, erhoben76. Während in der Privatversicherung die Versicherungsprämien nach dem individuellen Risiko bemessen werden und das Prinzip der Individualäquivalenz mithin voll verwirklicht wird, kann in der Sozialversicherung, die vom Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt ist, keine reine Individualäquivalenz herrschen. Andernfalls könnten die Elemente des sozialen Schutzes, wie der Ausgleich sozialer Nachteile mittels einer einkommensbezogenen Beitragsbemessung, nicht realisiert werden. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Äquivalenzprinzip in der Sozialversicherung nur soweit gilt, wie das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit keine Abweichungen erfordert77. Mithin verbietet das Solidarprinzip in der Sozialversicherung eine rein risikobezogene Beitragsbemessung. b) Besonderheiten der Unfallversicherung aa) Exkurs: Vereinbarkeit des Unfallversicherungsmonopols mit den Art. 81 ff. EG Inwieweit die gesetzliche Unfallversicherung den Anforderungen des Solidarprinzips, insbesondere dem Erfordernis der nicht risikobezogenen Bei74 Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung, S. 78; Papier/Möller, in: SGb 1998, S. 338, 339; Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 331. 75 Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 331. 76 Papier/Möller, in: SGb 1998, S. 338, 339; Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 331. 77 BVerfGE 79, 223, 236 f.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

tragsbemessung entspricht, ist umstritten. Besondere Brisanz erhält das Thema im Hinblick auf die regelmäßig wiederkehrende Frage nach der Vereinbarkeit des berufsgenossenschaftlichen Monopols mit europäischem Gemeinschaftsrecht. Nach den europarechtlichen Wettbewerbsregelungen der Art. 81 ff. EG soll ein ungehinderter Handel zwischen den Mitgliedstaaten dadurch ermöglicht werden, dass der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung von Unternehmen verhindert wird. Unternehmen in diesem Sinn ist „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“78. Adressiert sind die Art. 81 ff. EG damit an alle Unternehmen, die „eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, indem sie Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anbieten“79. Inwieweit das durch den Versicherungszwang begründete Monopol der gesetzlichen Unfallversicherung gegen die Art. 81 ff. EG verstoßen könnte, hängt folglich entscheidend von der Frage ab, ob die Berufsgenossenschaften als Unternehmen im Sinne dieser Vorschriften einzuordnen sind. Im Rahmen der verbundenen Rechtssache Poucet und Pistre, die das französische Sozialversicherungssystem betraf, hat der EuGH entschieden, dass der Unternehmensbegriff unanwendbar ist auf Träger staatlich organisierter und beaufsichtigter Sozialversicherungssysteme, die nicht den Marktgesetzen unterliegen, sondern einen sozialen Zweck verfolgen und wesentlich auf dem Grundsatz der Solidarität basieren80. Neben der staatlichen Aufsicht und dem sozialen Zweck ist damit wesentliches, den Anwendungsbereich der Art. 81 ff. EG ausschließendes Merkmal das Solidarprinzip. Unter Anwendung dieser Kriterien hat der EuGH in der Rechtssache Cisal, die die Vereinbarkeit des italienischen Unfallversicherungsmonopols mit den europäischen Wettbewerbsvorschriften betraf, den Unternehmenscharakter des italienischen Unfallversicherungsträgers mit der Begründung verneint, dass anders als bei einem Unternehmen der privaten Wirtschaft hier der soziale Zweck und das Solidarprinzip im Vordergrund stünden81. Entscheidendes Argument des EuGH, das zum Ausschluss des Unternehmenscharakters im Sinne der Art. 81 ff. EG führt, ist damit in beiden Urteilen das Solidarprinzip, welches insbesondere durch die mangelnde Proportionalität von Beiträgen und Risiko und somit durch die Durchbrechung des strengen, in der Privatversicherung vorherrschenden Äquivalenzprinzips gekennzeichnet ist82. 78 EuGH, Rs. C-41/90, Höfer-Elsner/Macrotron, Slg. 1991, S. I-1979, 2016 Rn. 21; verb. Rs. C-159–160/91, Poucet und Pistre, Slg. 1993, S. I-637, 669, Rn. 17; verb. Rs. C-180–184/98, Pavlov, Slg. 2000, S. I-6451, 6520, Rn. 74. 79 EuGH, verb. Rs. C-180–184/98, Pavlov, Slg. 2000, S. I-6451, 6520, Rn. 75. 80 EuGH, verb. Rs. C-159–160/91, Poucet und Pistre, Slg. 1993, S. I-637, 669, Rn. 13; vgl. hierzu auch BSGE 91, 263, 265. 81 EuGH, Rs. C-218/00, Cisal, Slg. 2002, S. I-691 ff.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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Im Zusammenhang mit der aus der Zwangsmitgliedschaft in der Unfallversicherung resultierenden Beitragspflicht der Unternehmer kam auch für das deutsche Recht wiederholt die Frage auf, ob das berufsgenossenschaftliche Monopol mit den Art. 81 ff. EG vereinbar ist83. In einer grundlegenden Entscheidung hat das Bundessozialgericht unter Anwendung des vom EuGH vorgegebenen Unternehmensbegriffs erklärt, dass das deutsche Unfallversicherungsmonopol mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist, da auch hier, ähnlich wie in der italienischen Unfallversicherung, der soziale Zweck und damit das Solidarprinzip im Vordergrund stehe84. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit des italienischen mit dem deutschen Unfallversicherungssystem bedürfe es keiner erneuten Vorlage an den EuGH85. Anderer Ansicht ist insbesondere das LSG Sachsen, das in seinem Vorlagebeschluss vom 24.7.200786 davon ausgeht, dass in der deutschen Unfallversicherung das Solidarprinzip aufgrund der risikoorientierten Beitragsabstufung durch den Gefahrtarif, das Beitragsausgleichsverfahren und das Prämiensystem nicht im gleichen Umfang wie in der italienischen Unfallversicherung ausgeprägt sei, so dass der Unternehmensbegriff der Art. 81 ff. EG auf die deutsche Unfallversicherung Anwendung finden könnte, was einen Verstoß des berufsgenossenschaftlichen Monopols gegen das europäische Wettbewerbsrecht zur Folge hätte87. Dem ist nun der EuGH mit seinem Urteil vom 5.3.2009 entgegengetreten und hat die Vorlagefrage des LSG Sachsen dahingehend beantwortet, dass die deutschen Unfallversicherungsträger keine Unternehmen i. S. der Art. 81 ff. EG sind, sondern dass sie als System der sozialen Sicherung 82

EuGH, Rs. C-218/00, Cisal, Slg. 2002, S. I-691, 731, Rn. 42 ff.; vgl. zum Inhalt des sozialen Ausgleichs auch schon: 4. Kap. A. II. 2. a). 83 Grundlegend hierzu BSGE 91, 263 ff.; siehe auch BSG, in: Die BG 2007, S. 10 ff.; BSG, in: Die BG 2008, S. 91 ff.; zuletzt: LSG Sachsen, in: ZESAR 2007, S. 434 ff. 84 BSGE 91, 263, 264 ff.; bestätigt durch BSG, in: Die BG 2007, S. 102 ff.; BSG, in: Die BG 2008, S. 91 ff. 85 BSGE 91, 263, 268; bestätigt durch BSG, in: Die BG 2007, S. 102 ff.; BSG, in: Die BG 2008, S. 91 ff.; zustimmend: Axer, in: SDSRV 51 (2004), S. 111, 126 f.; Fuchs, in: SGb 2005, S. 65, 70; ders., in: ZESAR 2007, S. 439, 443; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13 ff.; Waltermann, in: VSSR 2005, S. 103, 122 ff.; in diesem Sinne auch schon Rolfs, SGb 1998, S. 202, 207; a. A. ist demgegenüber das LSG Sachsen, in: ZESAR 2007 S. 434 ff., das die Europarechtskonformität des berufsgenossenschaftlichen Monopols anzweifelt und dem EuGH die Frage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Klärung vorgelegt hat. Von der Europarechtswidrigkeit gehen ferner aus: Giesen, in. ZESAR 2004, S. 151 ff.; Seewald, in: SGb 2004, S. 387 ff., 453 ff. 86 ZESAR 2007 S. 434 ff. 87 Ebenso schon: Giesen, in. ZESAR 2004, S. 151 ff.; Seewald, in: SGb 2004, S. 387 ff., 453 ff.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

ohne Gewinnerzielungsabsicht handeln und den Grundsatz der Solidarität umsetzen88. bb) Sozialer Ausgleich in der Unfallversicherung? Ungeachtet dieser Entscheidung des EuGH wird auf nationaler Ebene schon seit langem diskutiert, ob die Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht die Annahme nahelegt, dass hier das Äquivalenzprinzip eine weitaus stärkere Ausprägung gefunden hat als in den anderen Sozialversicherungszweigen. Insofern könnte sich die Frage stellen, ob das Solidarprinzip in der Unfallversicherung überhaupt in einem für den Kompetenztitel der „Sozialversicherung“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ausreichendem Maße Berücksichtigung gefunden hat oder ob die Unfallversicherung nicht vielmehr typische Elemente einer Privatversicherung enthält. Teilweise wird deshalb vertreten, dass dem Solidarprinzip in der Unfallversicherung keine wesentliche Bedeutung zukomme. Vielmehr stehe eine risikoadäquate Beitragserhebung im Vordergrund89. So würde die Beitragsberechnung gem. § 153 Abs. 1 SGB VII wesentlich durch die Zuordnung der Unternehmen zu einer Gefahrklasse bestimmt, die Einfallstor für eine risikoorientierte Beitragsbemessung sei. Zudem würde neben dem Gefahrtarif mit dem Beitragsausgleichsverfahren nach § 162 SGB VII ein weiteres, am individuellen Risiko orientiertes Element in die Beitragsberechnung einfließen90. Aufgrund dieser Betonung der risikoäquivalenten Beitragsberechnung finde weder zwischen den Unternehmern noch unter den Versicherten eine der Krankenversicherung vergleichbare Umverteilung von guten zu 88 EuGH, Rs. C-350/07, Kattner-Stahlbau, Rn. 68; ebenso die Schlussanträge des Generalanwalts Ján Mázak vom 18.11.2008, Rs. 350/07, Kattner-Stahlbau, Rz. 62. 89 Giesen, in. ZESAR 2004, S. 151, 155 ff.; Seewald, in: SGb 2004, S. 387, 394 u. S. 453, 457 ff.; kritisch zur Ausprägung des Solidarausgleichs in der gesetzlichen Unfallversicherung ferner: Papier/Möller, in: SGb 1998, S. 337 ff. sowie dies., in: NZS 1998, S. 353 ff. 90 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 225; Seewald, in: SGb 2004, S. 387, 394; a. A.: Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18, der im Beitragsausgleichsverfahren eine Verwirklichung des Solidarprinzips sieht, da es die Mitgliedsunternehmen zu versicherungsgerechtem Verhalten animiere und demnach Versicherungsfälle vermeide. Auch die Verhinderung von Versicherungsfällen entspreche dem Solidarprinzip, da die Unternehmen dann der Solidargemeinschaft weniger zur Last fallen würden. Dagegen kann allerdings eingewendet werden, dass die Vermeidung von Versicherungsfällen mittels Beitragsgestaltung eher Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten entspringt und keine Form sozialer Umverteilung von Gefährdungsrisiken darstellt. Zur Zielsetzung des Beitragsausgleichsverfahrens: Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 162 Rn. 1; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 162 Rn. 1; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 162 Rn. 2; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 162 Rn. 5.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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schlechten Risiken statt91. Vielmehr folge die Beitragsberechnung dem der Privatversicherung immanenten Prinzip der Individualäquivalenz92. Zu einem anderen Ergebnis führe auch das nach §§ 176 ff. SGB VII praktizierte Lastenausgleichsverfahren nicht, da es nicht der Herstellung von Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgenossenschaften diene, sondern seine Funktion allein im Ausgleich der durch das Umlageverfahren bedingten Abweichungen vom Äquivalenzprinzip liege93. Die überwiegende Ansicht geht demgegenüber zutreffend davon aus, dass in der gesetzlichen Unfallversicherung das Solidarprinzip verwirklicht und nicht vom Versicherungsprinzip verdrängt wird94, schließlich führt die Berechnung der Beiträge anhand von Gefahrklassen nicht zu einer rein risikoäquivalenten, der Privatversicherung vergleichbaren Beitragsgestaltung. Gem. § 157 Abs. 3 SGB VII werden die Gefahrklassen für einen bestimmten Beobachtungszeitraum aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten in Bezug auf die jeweilige Gefahrgemeinschaft, die Tarifstelle, berechnet. In den Tarifstellen werden ein oder mehrere Gewerbezweige95 zusammengefasst, die ein annähernd gleiches Gefährdungsrisiko haben, um auf diese Weise den von § 157 Abs. 2 S. 1 SGB VII geforderten versicherungsmäßigen Risikoausgleich zu ermöglichen96. Die Unternehmen einer Tarifstelle bilden folglich eine Solidargemeinschaft, die den entstandenen Schadensaufwand untereinander kompensiert97. Durch die Zuordnung eines jeden Unternehmens zu der entsprechenden Gefahrklasse orientiert 91

Giesen, in. ZESAR 2004, S. 151, 155; Seewald, in: SGb 2004, S. 453, 458. Seewald, in: SGb 2004, S. 387, 394. 93 Giesen, in: ZESAR 2004, S. 151, 156; ders., Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 227 ff.; ihm folgend: Penner, in: NZS 2007, S. 521, 526; im Ergebnis ebenso: Baldschun, Solidarität und soziales Schutzprinzip in der gesetzlichen Unfallversicherung, S. 186 ff. Baldschun kommt dementsprechend zu dem Ergebnis, dass die Unfallversicherungsträger die Unternehmenseigenschaft des Art. 81 EG erfüllen (a. a. O., S. 205 ff.), sieht das Unfallversicherungsmonopol aber unter Rückgriff auf den Ausnahmetatbestand des Art. 86 Abs. 2 EG als gerechtfertigt an (a. a. O., S. 232). 94 Fuchs, in: SGb 2005, S. 65, 70; ders., in: ZESAR 2007, S. 439, 443 (Anm. zu LSG Sachsen vom 24.7.2007); Ricke, in: SGb 2005, S. 9, 10 ff.; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13 ff.; Waltermann, in: VSSR 2005, S. 103, 122 ff.; vgl. ferner: Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 70 ff. 95 Anstelle dieser Gewerbezweigtarife besteht auch die Möglichkeit die Tarifstellen nach den Tätigkeiten der Arbeitnehmer zu gliedern. Aufgrund erheblicher Abgrenzungsfragen werden Tätigkeitstarife in ihrer Reinform heute allerdings nicht mehr gebildet, vgl. Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 332. 96 Schulz, in: Die BG 1991, S. 331, 332; ausführlich zur Tarifstellenzusammensetzung siehe: ders., Grundfragen des berufsgenossenschaftlichen Gefahrtarif, Kap. 1.2; 1.3. 97 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 176 Rn. 2. 92

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

sich die Beitragshöhe an dem in den Unternehmen bestehenden Gefährdungsrisiko und ist mithin in einem gewissen Maße risikoäquivalent. Allerdings handelt es sich bei dieser risikoorientierten Beitragsabstufung lediglich um eine typisierende Betrachtung, die nicht im Hinblick auf die konkrete Gefährdungssituation eines Einzelunternehmens ergeht, sondern vielmehr die Durchschnittsgefährdung in einem ganzen Gewerbezweig erfasst98. Insofern wird die in der Zuordnung zu Gefahrklassen angelegte Risikoäquivalenz der Beitragsgestaltung schon durch die typisierende Betrachtungsweise relativiert, da die Beitragshöhe lediglich dem in der jeweiligen Branche durchschnittlich herrschenden Risiko, nicht aber der individuellen Gefährdungslage des einzelnen Unternehmens entspricht. Ferner wird die Risikoäquivalenz der Beiträge dadurch verringert, dass die Gefahrtarife als so genannte Neulasttarife erlassen werden, die nur solche Leistungen der Berufsgenossenschaften in die Berechnung mit einfließen lassen, die ihren Ursprung innerhalb des Beobachtungszeitraums haben99. Unberücksichtig bleiben deshalb alle berufsgenossenschaftlichen Leistungen, die zwar während des Beobachtungszeitraumes erbracht wurden, ihren Ursprung aber in einer früheren Periode haben100. Auf diese Weise gibt das Neulastverfahren ausschließlich die aktuelle Risikoentwicklung der jeweiligen Tarifstelle wieder101, so dass in die Berechnung der Gefahrklassen bei weitem nicht alle von den Berufsgenossenschaften gezahlten Leistungen Eingang finden. Im Ergebnis werden durch das Neulastverfahren Gewerbezweige mit hohen Altlasten begünstigt, da sie nur einen Bruchteil ihrer Lasten selbst tragen müssen und die restlichen finanziellen Lasten im Rahmen eines solidarischen Ausgleichs auf andere Tarifstellen mit geringeren Altlasten aufgeteilt werden102. Begründet wird dieses Verfahren mit der zwischen den Unternehmen aufgrund des Umlageverfahrens bestehenden Solidaritäts- und Ver98 Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 2. Ausführlich zur Unterscheidung von Gewerbezweigtarifen und Tätigkeitstarifen siehe: Schulz, Grundfragen des berufsgenossenschaftlichen Gefahrtarifs, Kap. 1. 1, S. 3 ff. 99 Anstelle eines Neulasttarifes könnten die Unfallversicherungsträger auch einen Gesamtlasttarif erlassen. Hier würden dann nicht nur die Neulasten Berücksichtigung finden, sondern auch so genannte Altlasten, d.h. Versicherungsfälle, die vor dem Beobachtungszeitraum ihren Ursprung haben, vgl. hierzu: Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 110 f.; die Gestaltungsfreiheit der Unfallversicherungsträger hinsichtlich Neulasttarif und Gesamtlasttarif wird hervorgehoben von: BSGE 91, 128, 137. 100 Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 16; ders., in: Die BG 1991, S. 331, 332 f.; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 157 Rn. 9. 101 Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 111; Schulz, in: Die BG 1991, S. 334. 102 Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 111; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 157 Rn. 9.1; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 16; BSGE 91, 128, 137 f.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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antwortungsbeziehung, die sich nicht nur auf das aktuelle Unfallgeschehen, sondern auch auf Jahre zurückliegende Versicherungsfälle bezieht103. Das Neulastverfahren begrenzt also die Äquivalenz von Beitrag und Risiko und begünstigt damit den sozialen Ausgleich in der Unfallversicherung104. Eine, wie von der Gegenansicht vertreten105, rein risikoäquivalente Beitragsgestaltung aufgrund der Gefahrklassenbildung liegt somit nicht vor. Darüber hinaus wird die Äquivalenz von Risiko und Beitrag durch das in der Unfallversicherung gem. § 152 Abs. 1 S. 1 SGB VII praktizierte Umlageverfahren nivelliert. Nach dem Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung muss die Umlage den Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres einschließlich der zur Ansammlung der Rücklage nötigen Beträge decken106. Anders als im so genannten Kapitaldeckungsverfahren werden keine Rückstellungen für erfolgte Versicherungsfälle vorgenommen107. Der Bedarf des Unfallversicherungsträgers ist für das vergangene Kalenderjahr exakt festzustellen und muss dann auf die Mitgliedsunternehmen umgelegt werden108. Heutige „Unternehmer-Generationen“ kommen demnach mit ihren Beiträgen für Rentenleistungen auf, deren Ursprung in der Vergangenheit liegt, ebenso werden die gegenwärtig entstehenden Rentenverpflichtungen von zukünftigen „Unternehmer-Generationen“ beglichen. Dem Umlageverfahren immanent ist somit eine zeitliche Verschiebung von Versicherungsfall und Beitragsverpflichtung109, die oftmals auch eine entsprechende personelle Verschiebung mit sich bringt. Insofern führt das Umlageverfahren zu einer intergenerationellen Umverteilung110. Eine darüber hinausgehende Verringerung der Beitragsäquivalenz bewirkt die zeitliche Verschiebung der Rentenverpflichtungen insbesondere dann, wenn sich das Lohnvolumen einer Tarifstelle verändert. Die Beiträge werden aufgrund der Berechnungsformel des § 167 SGB VII (Arbeitsentgelt × Gefahrklasse × Beitragsfuß) an das jährliche Lohnvolumen und damit an das Beschäftigungsvolumen angepasst111. 103

Peter Becker, in: Die BG 2004, S. 528, 538; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13,

16. 104

Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 16 f.; ders., in: Die BG 1991, S. 331, 334. Seewald, in: SGb 2004, S. 387, 394. 106 § 152 Abs. 1 S. 2 SGB VII; zum Umlageverfahren siehe: Schimanski, in: Die BG 1996, S. 135, 135; Schulz, in: Die BG 1996, S. 700 ff.; ders., in: Die BG 2001, S. 312, 317. 107 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 225 f.; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 152 Rn. 1. 108 Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 152 Rn. 6; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 152 Rn. 1 f.; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 6; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 152 Rn. 2. 109 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 226. 110 Zum Begriff siehe oben: 4. Kap. A. II. 2. a). aa). 111 Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18. 105

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

Gehen in einer Tarifstelle aufgrund wirtschaftsstruktureller Veränderungen die Beschäftigtenzahlen zurück, ändert sich auch das Arbeitsentgeltvolumen. Soweit die Gefahrklasse und der Beitragsfuß gleich bleiben, führt das verringerte Arbeitsentgeltvolumen, selbst wenn die Ausgaben der Tarifstelle gestiegen sein sollten, zu einer geringeren Beitragssumme112. Da im Ergebnis die Lasten von anderen Tarifstellen, die ein gleichbleibendes Beschäftigungsniveau haben, getragen werden, verstärkt das Umlageverfahren die Abweichung vom Äquivalenzprinzip und intensiviert den sozialen Ausgleich zwischen den Unternehmen113. Über den Ausgleich zwischen den Unternehmen einer Berufsgenossenschaft hinaus sieht das SGB VII mit den §§ 176 ff. ferner einen Ausgleich zwischen den Berufsgenossenschaften vor114. Zweck dieser Regelungen ist es, „die Beitragspflichtigen einer Berufsgenossenschaft vor übermäßigen Beitragsbelastungen zu schützen, wenn durch besondere Ereignisse die Arbeitsentgelte im Verhältnis zur Unfallbelastung extrem sinken“115. Grundsätzlich herrscht in der Unfallversicherung das Prinzip, dass jede Berufsgenossenschaft ihre Kosten allein tragen muss116. Im Hinblick auf die strukturellen Verschlechterungen im deutschen Bergbau in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die einhergingen mit sinkenden Entgeltsummen und steigenden Rentenaltlasten, wurde es notwendig vom Grundsatz der branchenbezogenen Lastentragung abzuweichen. Andernfalls wären die Unfallversicherungsbeiträge für die noch im Bergbau existierenden Unternehmen untragbar hoch geworden und die ohnehin schon wirtschaftlich geschwächten Unternehmen wären noch weiter belastet worden117. Aus die112

Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18. Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 176 Rn. 3; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18; vgl. ferner: Fuchs, in: SGb 2005, S. 65, 70, der insbesondere den Zusammenhang zwischen Umlageverfahren und Versicherungsmonopol hervorhebt; ebenso BSGE 91, 263, 266; ferner misst der EuGH, Rs. C-115/97 bis C-117/97, in: EuZW 2000, S. 174, 178 der Frage, ob das Kapitaldeckungsverfahren oder das Umlageverfahren angewendet wird, für die Anwendbarkeit der Art. 81 ff. EG eine große Bedeutung zu; a. A. Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 227; ders., in: ZESAR 2004, S. 151, 156, der in dem durch das Umlageverfahren bewirkten Missverhältnis von Beitrag und Risiko keine Ausprägung des Solidarprinzips sieht, sondern es als Verwaltungsvereinfachung und Krisensicherung qualifiziert. 114 Zur Verfassungsmäßigkeit des Lastenausgleichsverfahrens siehe: BVerfGE 23, 12, 24 ff.; BSG, in: SozR 3-2700 § 180 Nr. 1. 115 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 176 Rn. 2; Weiß, in: Franke/Molkentin, SGB VII, § 176 Rn. 2. 116 Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 176 Rn. 3; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 168; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 176 Rn. 2; Palsherm, in: NZS 2006, S. 81, 81. Ebenso zum Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz vom 30.10.2008 siehe: BTDrs. 16/9154, S. 34. 113

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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sem Grund wurde in Art. 3 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes von 1963118 eine gemeinsame Tragung der Altlasten der Bergbau-Berufsgenossenschaften durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften festgelegt. Durch das Finanzierungsänderungsgesetz von 1967119, dessen Inhalt im Wesentlichen in das SGB VII eingegliedert wurde120, erfuhr das Lastenausgleichsverfahren eine Ausweitung auf alle gewerblichen Berufsgenossenschaften. In der Folgezeit wurden aufgrund anhaltender konjunktureller Probleme in einigen Branchen121 die Regelungen zum Lastenausgleich mehrmals nachgesteuert, so wurde insbesondere der für die Ausgleichsberechtigung maßgebliche Grenzwert abgesenkt122 sowie eine Obergrenze für das von den ausgleichsverpflichteten Berufsgenossenschaften aufzubringende Finanzvolumen eingeführt123. Eine weitere strukturelle Änderung erfuhr das Lastenausgleichsverfahren durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz vom 30.10.2008124. Waren bislang gem. § 176 SGB VII a. F. nur diejenigen Berufsgenossenschaften ausgleichsberechtigt, deren Rentenlastsatz oder Entschädigungslastsatz die gesetzlich bestimmten Grenzwerte überstieg und konnten auch nur solche Berufsgenossenschaften gem. § 178 SGB VII a. F. zur Ausgleichspflicht herangezogen werden, deren Eigenbelastung durchschnittliche Belastungswerte nicht überschritten, bestimmt nun § 176 SGB VII n. F., dass die gewerblichen Berufsgenossenschaften ihre Rentenlasten gemeinsam tragen. Mithin werden nach der Neuregelung grundsätzlich alle Berufsgenossenschaften in das Lastenausgleichsverfahren einbezogen. Dabei geht § 178 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. von dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip aus, indem zunächst einmal jeder Unfallversicherungsträger seine Rentenlasten in Höhe des aktuellen Rentenwertes selbst zu tragen hat125. Der Unfallversicherungsträger wird nach der Regelung so gestellt, als hätte seine aktuelle Risikostruktur schon in der Vergangenheit 117

Zum geschichtlichen Hintergrund des Lastenausgleichsverfahrens: Bigge, in: Wannagat, SGB VII, § 176 Rn. 5 ff.; Joachim Breuer, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 1 Rn. 188 ff.; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 168 ff.; Schimanski, in: Die BG 1996, S. 135, 135 ff. 118 BGBl. 1963, I, S. 241, 288 f. 119 BGBl. 1967, I, S. 1259 ff. 120 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.9.1996, BGBl. 1996, I, S. 1254 ff. 121 Betroffen waren insbesondere die Baubranche, aber auch die Textil- und Bekleidungsindustrie, vgl. hierzu: Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 176 Rn. 3. 122 § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII, Gesetz zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom 14.8.2005, BGBl. 2005, I, S. 2410; ausführlich zu dieser Gesetzesänderung siehe: Palsherm, in: NZS 2006, S. 81 ff. 123 § 176 Abs. 4 SGB VII, Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 24.7.2003, BGBl. 2003, I, S. 1526, 1528. 124 BGBl. 2008, I, S. 2130, 2135 ff. 125 BT-Drs. 16/9154, S. 33.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

bestanden126. Soweit die Rentenlast den in § 178 Abs. 1 SGB VII n. F. bestimmten Wert übersteigt, wird sie als Überaltlast gem. § 178 Abs. 2, 3 SGB VII n. F. von allen Unfallversicherungsträgern nach folgendem Verteilungsschlüssel gemeinsam getragen: 30% der Überaltlast wird nach dem Verhältnis der verursachten Neurenten auf die Unfallversicherungsträger verteilt. Insofern erfolgt die Heranziehung zum Lastenausgleich unter Berücksichtigung des jeweiligen Gefährdungsrisikos. Der prozentual größere Teil, die restlichen 70% der Überaltlasten werden entsprechend der Arbeitsentgelte der Versicherten und damit unter Berücksichtigung der Wirtschaftskraft der Unternehmen verteilt. Im Hinblick auf die besondere Beachtung der Wirtschaftskraft der Unternehmer wird durch das Verfahren nach §§ 176 ff. SGB VII n. F. der soziale Ausgleich zwischen den Gewerbezweigen gefördert und eine überproportionale Belastung der Unternehmen verhindert127. Darüber hinaus wird der Solidargedanke ebenso wie nach der alten Rechtslage128 durch die Regelung des § 180 SGB VII n. F. noch verstärkt, indem Kleinunternehmen vor einer Ausgleichsbelastung geschützt werden129. Mithin stärkt das Lastenausgleichsverfahren – so auch der eindeutige Wille des Gesetzgebers130 – die Solidarität zwischen den Berufsgenossenschaften und verringert die Proportionalität zwischen Beitrag und Risiko131. cc) Zwischenergebnis Obwohl in der Unfallversicherung mit der Gefahrklassenzuordnung, dem Beitragsausgleichsverfahren sowie mit dem Prämiensystem eine gewisse Äquivalenz von Beitrag und Gefährdungsrisiko hergestellt wird, ergibt sich nach einer genaueren Betrachtung, dass dem Äquivalenzprinzip neben dem Solidarprinzip nur nachrangige Bedeutung zukommt. Die Gefahrklassenzuordnung gibt nur einen Rückschluss auf ein durchschnittliches Gefährdungsrisiko, erlaubt aber keinesfalls eine exakte Berechnung des individuel126

BT-Drs. 16/9154, S. 34. BT-Drs. 16/9154, S. 33 f.; a. A. Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EGVertrag, S. 230; Penner, in: NZS 2007, S. 521, 526 f., die davon ausgehen, dass das Lastenausgleichsverfahren keinen sozialen Ausgleich bezwecke, sondern lediglich dazu diene, Abweichungen vom Äquivalenzprinzip auszugleichen. Zur Frage, ob es sich beim Lastenausgleichsverfahren um eine Form der sozialen Umverteilung handelt, siehe schon oben: 4. Kap. A. II. 2. a) aa). 128 Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, S. 174 f.; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 19. 129 BT-Drs. 16/9154, S. 35. 130 BT-Drs. 15/5669, S. 4 f.; BT-Drs. 16/9154, S. 33. 131 BSGE 91, 263, 267; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 176 Rn. 2; Fuchs, in: SGb 2005, S. 65, 68; Palsherm, in: NZS 2006, S. 81, 81; Schulz, in: ZESAR 2005, S. 13, 18 f.; so auch EuGH, Rs. 350/07, Kattner-Stahlbau, Rn. 48. 127

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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len Risikos. Außerdem führen das Neulastverfahren, das Umlageverfahren sowie das Lastenausgleichsverfahren zu einer erheblichen Nivellierung der Proportionalität von Beitrag und Risiko. Insofern tragen die Unternehmer mit ihren Beiträgen auch immer die Leistungen der wirtschaftlich schwächeren Unternehmer mit. Aus diesem Grund kann von einer interpersonellen Umverteilung132 zwischen den Unternehmern gesprochen werden, auch wenn der Begriff eher auf die Umverteilung von sozialen Faktoren zwischen den Versicherten zugeschnitten ist. Darüber hinaus wird die Disproportionalität von Beitrag und Gefährdungsrisiko dadurch eingeschränkt, dass die Unfallversicherungsträger die von ihren Mitgliedern gezahlten Beiträge nicht nur zur Abdeckung von Versicherungsfällen, wie der Finanzierung der Heilbehandlung oder der Zahlung von Verletztenrenten verwenden133, sondern auch einen nicht unbeträchtlicher Beitragsanteil für die Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgeben134. Die Aufwendungen, die die Unfallversicherungsträger im Bereich der Unfallverhütung tätigen, stehen nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem von den Unternehmern versicherten Risiko; sie dienen vielmehr der Erfüllung des staatlichen Präventionsauftrages der §§ 14 ff. SGB VII. Es ist zwar zu bedenken, dass auch in der Privatversicherung Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden. Solche Maßnahmen stehen dort allerdings unter einem strengen Wirtschaftlichkeitsvorbehalt135 und dienen ausschließlich der Kostensenkung. Die berufsgenossenschaftliche Prävention, wie die Öffentlichkeitsarbeit, die Forschungseinrichtungen, das Regelwerk, die Informationstätigkeit oder die Betriebsüberwachungen geht jedoch weit über das Wirtschaftlichkeitsgebot und den Aspekt der Kostensenkung hinaus. Sie zielt auf die Verwirklichung eines umfassenden Arbeitsschutzkonzeptes ab136 und ist folglich vom Gedanken der Solidarität geprägt. Insofern wird in dem Rahmen, in dem die Unfallversicherungsbeiträge für Präventionsmaßnahmen ausgegeben werden, eine Umverteilung vorgenommen137. Die 132

Zu dem Begriff der interpersonellen Umverteilung siehe oben: 4. Kap. A. II. 2. a) aa). 133 Zur Beitragsverwendung durch die Berufsgenossenschaften siehe: Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 152 Rn. 3.1; Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 10. 134 So gaben die Berufsgenossenschaften und die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand im Jahr 2007 insgesamt 827 Mio e für Steuerungskosten der Prävention aus, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 1,28% ausmacht, siehe hierzu: Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand 2007, S. 55. 135 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 232. 136 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 232. 137 Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, S. 231 f; hierauf weist auch der EuGH, Rs. 350/07, Kattner-Stahlbau, Rn. 55 ff. hin.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

Verwendung der Beiträge für die Unfallverhütungstätigkeit stellt mithin einen weiteren Grund dafür dar, dass die Bedeutung des Äquivalenzprinzips in der gesetzlichen Unfallversicherung durch das Solidarprinzip verringert wird. Allein das Beitragsausgleichsverfahren nach § 162 SGB VII stärkt die Beitragsäquivalenz, indem es abhängig von der Höhe des Gefährdungsrisikos dem einzelnen Unternehmer entweder Zuschläge auferlegt oder Nachlässe und Prämien gewährt. Diese Abweichung vom Solidarprinzip findet allerdings ihre Rechtfertigung in dem berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrag, da sie den Unternehmer mit finanziellen Mitteln zur Unfallverhütung anhalten will. Mithin findet in der Unfallversicherung ein sozialer Ausgleich statt. Auch im Hinblick auf die europarechtlich Problematik des Unfallversicherungsmonopols kann folglich entsprechend des Urteils des EuGH138 und der Schlussanträge des Generalanwalts Ján Mázak vom 18.11.2008 im Vorlageverfahren des LSG Sachsen139 abschließend festgestellt werden, dass die Unfallversicherungsträger dem Solidarprinzip verpflichtet sind und demnach keine Unternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG darstellen. 3. Organisatorische Durchführung Weiteres konstitutives Merkmal der Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ist die Art und Weise ihrer organisatorischen Durchführung140. Verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 87 Abs. 2 GG ist, dass die Sozialversicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden. Demnach darf der Staat seine sozialversicherungsrechtlichen Aufgaben nicht durch eigene Behörden erfüllen. Ungeachtet der umstrittenen Frage, ob die soziale Selbstverwaltung in ihrer konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich garantiert ist141, verlangt die Ein138

Rs C-350/07, Kattner Stahlbau, Rz. 68. Rs C-350/07, Kattner Stahlbau, Rz. 62. 140 BVerfGE 11, 105, 113; 63, 1, 35; 75, 108, 146; 87, 1, 34. Vgl. zu Umfang und Inhalt der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften schon das 2. Kapitel. 141 Das Bundesverfassungsgericht sowie die überwiegende Mehrheit im Schrifttum geht davon aus, dass die soziale Selbstverwaltung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht verfassungsrechtlich garantiert ist: BVerfGE 39, 302, 314 f.; 77, 340, 344; Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 292; Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 155; Burgi, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 87 Rn. 74; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 246 f.; Hendler, in: v. Maydell/Ruland, SRH, 2. Aufl., § 6 Rn. 50 ff.; Krause, in: ders./v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 29 Rn. 37 ff.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 152. Versuche die soziale Selbstverwaltung verfassungsrechtlich abzusichern finden sich beispielsweise bei: Salzwedel, in: ZfS 1963, S. 202, 203 und Friauf, in: DRV 1982, S. 113, 117. Eine Zusammenstellung der hierzu vertretenen Ansichten gibt: Kröninger, in: SozVers 1975, S. 309 ff. Siehe zu allem auch schon oben: 2. Kap. A. II. 139

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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richtung der Sozialversicherungsträger als vom Staat verselbständigte Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 87 Abs. 2 GG zumindest eine gewisse Staatsdistanz. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Berufsgenossenschaften, sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert, denen bestimmte Aufgaben, wie insbesondere weite Bereiche der Prävention gesetzlich zur eigenverantwortlichen Erfüllung übertragen wurden142. Demnach entsprechen die Berufsgenossenschaften den organisatorischen Anforderungen der Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. 4. Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge Für das Eingreifen des Kompetenztitels der Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass die Versicherungsträger „ihre Mittel durch Beiträge der Beteiligten aufbringen“143. Viertes konstitutives Merkmal des Sozialversicherungsbegriffs ist damit die Finanzierung der Sozialversicherung durch Beiträge144. Beiträge in diesem Sinne sind „alle Geldleistungen, die von den Beteiligten aufgrund gesetzlicher Vorschrift zur Deckung des Finanzbedarfs der Versicherungsträger an die Versicherungsträger erbracht werden“145. Unter Zugrundelegung dieser Definition müssen die Unfallversicherungsbeiträge folglich von den Beteiligten erhoben werden und der Finanzierung der Unfallversicherung dienen146. 142 Neben der Präventionsaufgabe wurden den Unfallversicherungsträgern mit dem Beitragsrecht oder der Befugnis nach § 3 SGB VII zu bestimmen, wer kraft Satzung in der Unfallversicherung versichert ist, weitere Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen. Erheblich Gestaltungsspielräume stehen den Berufsgenossenschaften überdies auch im Rahmen der Heilbehandlung und Rehabilitation zu (vgl. hierzu: Wirthl, in: Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 26 Rn. 10). Ausführlich zum Umfang der präventionsrechtlichen Selbstverwaltungsbefugnisse siehe oben: 2. Kap. C. 143 BVerfGE 75, 108, 146; 87, 1, 34. 144 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass staatliche Zuschüsse aus Steuermitteln, wie sie insbesondere in der Rentenversicherung erforderlich sind, eine grundsätzliche Beitragsfinanzierung nicht in Frage stellen, soweit die Beiträge quantitativ und qualitativ eine bedeutende Einnahmequelle des jeweiligen Sozialversicherungszweiges bleiben und damit das maßgebende und prägende Finanzierungsinstrument darstellen. Siehe hierzu: BVerfGE 109, 96, 110; Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12 Rn. 39; sowie Art. 120 Abs. 1 S. 4 GG. 145 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 256; in diesem Sinne auch: Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 49. 146 Vgl. hierzu auch: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 257; sowie Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 49.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

a) Der Unfallversicherungsbeitrag in der finanzverfassungsrechtlichen Abgabentypik Die Erhebung von Abgaben ist im Grundgesetz nur hinsichtlich der Steuer in den Art. 104a ff. ausdrücklich geregelt. Alle anderen Abgaben werden als Annexkompetenz im Rahmen der jeweiligen Sachkompetenz erhoben147. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kommt damit als Kompetenzgrundlage für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen nur in Betracht, wenn die Beiträge nicht als Steuern zu qualifizieren sind. Andernfalls müssten sie den Voraussetzungen der Art. 104a ff. GG entsprechen. Grundsätzlich wird der Staatshaushalt durch Steuern finanziert. Es gilt damit das Prinzip des Steuerstaates148. Hieraus ergibt sich zum einen, dass nicht-steuerliche Abgaben die Ausnahme sind149 und dass sie stets daraufhin überprüft werden müssen, ob sie die finanzverfassungsrechtlichen Wertungen unterlaufen150. Weiterhin folgt aus dem Prinzip des Steuerstaates, dass allgemeine Staatsaufgaben aus dem durch die Gemeinschaft der Steuerbürger aufgebrachten Steueraufkommen finanziert werden müssen151. Hierin äußert sich das Gebot der staatsbürgerlichen Lastengleichheit, nach dem die Finanzierung staatlicher Gemeinschaftsaufgaben nicht einzelnen Bürgern oder bestimmten Bevölkerungsgruppen auferlegt werden darf152. Es wäre gleichheitswidrig, wenn manche Bürger einerseits im Rahmen ihrer 147 Hendler, in: AöR 115 (1990), S. 577, 598; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 29; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 437 f.; Jarass, in: DÖV 1989, S. 1013, 1014; Paul Kirchhof, in: Isensee/ Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 13; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 105 Rn. 2. 148 BVerfGE 78, 249, 266 f.; 82, 159, 178 f.; 92, 91, 113; 93, 319, 342; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 267; Isensee, in: FS Ipsen, S. 409, 409 f.; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 437; ders., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 74; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 2; Paul Kirchhof, in: VVDStRL 39 (1981), S. 213, 215; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 105 Rn. 2; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 69 ff.; Klaus Vogel, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 30 Rn. 51 ff., 69; Waldhoff, in: Isenee/Kirchhof, HStR V, § 116 Rn. 5; kritisch zum Prinzip der Steuerstaatlichkeit: Hendler, in: AöR 115 (1990), S. 577, 595 ff. 149 BVerfGE 78, 249, 266 f.; siehe hierzu ferner: Paul Kirchhof, in: FS Friauf, S. 669, 670; Klaus Vogel, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 30 Rn. 70. 150 BVerfGE 78, 249, 266; 75, 108, 147; Jarass, in: DÖV 1989, S. 1013, 1014; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 72. 151 Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 54; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/ Starck, GG, Art. 105 Rn. 2; Ferdinand Kirchhof, in: Die Verwaltung 21 (1988), S. 137, 148. 152 BVerfGE 93, 319, 343; 108, 1, 16; 110, 370, 387; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 267; Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 45 ff.; Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 14.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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Steuerpflicht Gemeinschaftsaufgaben finanzieren müssten und darüber hinaus mittels weiterer Abgabepflichten erneut an der Erfüllung allgemeiner Staatfinanzierung beteiligt würden153. Eine über die allgemeine Steuerpflicht hinausgehende zusätzliche Abgabenpflicht kommt deshalb nur in Betracht, wenn für die weitere Abgabenbelastung ein Rechtfertigungsgrund dergestalt besteht, dass der belastete Bürger in einer besonderen Verantwortungsbeziehung zu der zu erfüllenden Aufgabe steht154. Allerdings liegt in diesem Fall auch keine Allgemeinlast mehr vor, sondern eine Aufgabe der jeweiligen mit der Abgabe belasteten Gruppe155. Besondere Bedeutung kommt dem Prinzip des Steuerstaates ferner im Hinblick auf die bundesstaatliche Kompetenzverteilung zu156. Die im Grundgesetz getroffene Verteilungsregelung der Steuerkompetenzen bedingt die Finanzmacht von Bund und Ländern und damit ihre politische Einflussmöglichkeit157. Würde dem Bund die Möglichkeit gegeben durch die voraussetzungslose Erhebung weiterer Abgaben, die in den allgemeinen Bundeshaushalt fließen sollen, seine Finanzmacht auszuweiten, würde die grundgesetzliche Machtverteilung unterlaufen. Im Hinblick auf ihre besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit müssen Abgaben, wie der Unfallversicherungsbeitrag, demnach von der Steuer abgegrenzt werden158. aa) Unfallversicherungsbeitrag als Steuer? Eine Einordnung des Sozialversicherungsbeitrags als Steuer scheidet nicht schon aufgrund seiner Bezeichnung als „Beitrag“ aus, da die Steuereigenschaft von der Bezeichnung der jeweiligen Abgabe unabhängig ist159. Ebenso wenig wird die Steuerqualität durch die fehlende Steuerhoheit der Sozialversicherungsträger ausgeschlossen, die lediglich eine kompetenz153 Ausführlich hierzu: Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45 ff.; vgl. auch Jarass, in: DÖV 1989, S. 1013, 1014. 154 Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 50; Hendler, in: AöR 115 (1990), S. 577, 597; zum Rechtfertigungserfordernis nicht-steuerlicher Abgaben siehe auch Isensee, in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 482 ff. 155 Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 50. 156 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 288 f.; Isensee, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 437. 157 Isensee, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 437; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 43 f. 158 Isensee, in: NZS 2004, S. 393, 396 f.; ausführlich zum Folgenden: Isensee, in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461 ff. 159 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 38; in diesem Sinne auch Selmer, in: GewArch 1981, S. 41, 41; ausführlich zur Abgrenzung von Sozialversicherungsbeitrag und Steuer siehe: Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 142 ff.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

rechtliche Frage behandelt, jedoch keinerlei Aussage über das begriffliche Vorliegen einer Steuer trifft160. Nach dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff, der laut Bundesverfassungsgericht an den vom Grundgesetzgeber in § 1 RAO vorgefundenen und mittlerweile inhaltsgleich in § 3 AO überführten Steuerbegriff anknüpft, sind Steuern „einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“161. Steuern decken mithin den allgemeinen Finanzbedarf des Staates und dienen damit als Gemeinlast ausschließlich dem Nutzen der Allgemeinheit. Anders als die Sonderlast bedürfen sie keiner besonderen Legitimation und sind gegenleistungsfrei zu erbringen. Auch wenn Steuern grundsätzlich primär der Einnahmenerzielung dienen, können sie Umverteilungs- und Lenkungsaufgaben verfolgen, so dass der Fiskalzweck durchaus in den Hintergrund treten kann162. Insofern kann die Umverteilungsfunktion von Sozialversicherungsbeiträgen nicht als Argument gegen eine Qualifizierung als Steuer angeführt werden. Eine Abgrenzung zwischen Sozialversicherungsbeitrag und Steuer könnte möglicherweise anhand des Kriteriums der Gegenleistungsfreiheit der Steuer erfolgen. Schließlich werden Sozialversicherungsbeiträge zur Erlangung von Versicherungsschutz geleistet163. Allerdings steht die Widmung einer Abgabe für einen bestimmten Zweck dem Steuerbegriff nicht entgegen164. Die Gegenleistungsfreiheit entfällt erst, wenn die Abgabe aufgrund eines indivi160 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 38; Selmer, in: GewArch 1981, S. 41, 42; a. A.: Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259, 273; Klaus Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, Vorbem. zu Art. 104a–115 Rn. 377. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Gegenansicht findet sich bei: Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 4. 161 BVerfGE 3, 407, 435; 7, 244, 251; 42, 223, 228; 49, 343, 353; 55, 274, 299; 72, 330, 433; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 3; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 20; a. A Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 75 ff., der davon ausgeht, dass der verfassungsrechtliche Steuerbegriff nicht mit dem traditionellen Steuerbegriff identisch ist und letztlich eine negative Bestimmung des Steuerbegriffs vornimmt. Siehe ferner den Steuerbegriff nach Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht Bd. I, S. 316, der die Steuer als eine Geldzahlung definiert, „welche dem Untertanen durch die öffentliche Gewalt auferlegt wird schlechthin zur Vermehrung der Staatseinkünfte, aber nach einem allgemeinen Maßstabe“. 162 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 39; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 9; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 88; ferner: Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 118 Rn. 23 ff. 163 Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 14. 164 BVerfGE 93, 319, 348; Axer, in: GS Heinze, S. 1, 3; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105, Rn. 4; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 10; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 84 f.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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duell gewährten staatlichen Vorteils erfolgt, wenn also Individualäquivalenz zwischen der Abgabe und dem gewährten Vorteil besteht165. Strukturmerkmal der Unfallversicherung als Zweig der Sozialversicherung ist das durch die Individualäquivalenz geprägte Versicherungsprinzip. Insofern besteht zwischen Unfallversicherungsbeiträgen und Versicherungsschutz in einem gewissen Rahmen Individualäquivalenz. Allerdings wird das Versicherungsprinzip durch die Anforderungen des sozialen Ausgleichs modifiziert, so dass keine strikte Individualäquivalenz zwischen Beitrag und Vorteil existiert166. Entscheidend gegen die Steuerqualität von Sozialversicherungsbeiträgen spricht jedoch, dass die Beiträge nicht der Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben dienen167, sondern in den Sonderhaushalt der Sozialversicherungsträger fließen168. Unfallversicherungsbeiträge dienen damit nicht der Deckung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs und sind demnach nicht als Steuern zu qualifizieren. Folglich richtet sich die Zulässigkeit der Unfallversicherungsbeiträge nicht nach den Art. 104a ff. GG, sondern als nicht-steuerliche Abgabe nach der Sachkompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Allerdings existieren unter den nicht-steuerlichen Abgaben mit den Gebühren und Beiträgen sowie mit den Sonderabgaben unterschiedliche Abgabentypen mit jeweils eigenen Voraussetzungen, von denen der Unfallversicherungsbeitrag abgegrenzt werden muss169. bb) Unfallversicherungsbeitrag als Vorzugslast? Vorzugslasten sind Entgeltabgaben, wozu sowohl Beiträge als auch Gebühren gezählt werden. Gemeinsam ist Beitrag und Gebühr, dass sie einen Ausgleich für einen individuell erlangten staatlichen Vorteil darstellen170. In dieser Verknüpfung von dem individuellen, staatlich vermittelten Vorteil 165

Isensee, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 440; ders., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 40; Selmer, in: GewArch 1981, S. 41, 42 ff. 166 Vgl. hierzu schon: 4. Kap. A. I. 2. a) und b). 167 Zu diesem Merkmal des Steuerbegriffs vgl.: Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 3; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 105 Rn. 11. 168 Isensee, in: Umverteilung durch Sozialversicherung, S. 41; Ferdinand Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 23; Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 111; Selmer, in: GewArch 1981, S. 41, 42 ff. 169 Zu der Frage der Beschränkung der Abgabetypen siehe: Isensee, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 443; Paul Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 12 ff. 170 Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 9; Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 17; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 93.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

und der Zahlungsverpflichtung liegt der entscheidende Unterschied zur gegenleistungsfreien Steuer171. Nach dem Bundesverfassungsgericht sind Gebühren „öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahmen auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken“172. Gebühren dienen mithin der Deckung von Kosten, die durch eine konkrete Inanspruchnahme staatlicher Leistungen entstanden sind173. Demgegenüber stellen Beiträge Abgabenverpflichtungen dar, die, unabhängig von der konkreten Inanspruchnahme der staatlichen Leistung, allein für die Möglichkeit der Inanspruchnahme des staatlichen Sondervorteils entstehen174. Soweit im Sozialversicherungsbeitrag eine Gegenleistung für die reine Gewährung von Versicherungsschutz für den Fall des Risikoeintritts gesehen wird, erscheint eine Einordnung als Gebühr nahe liegend. Allerdings bleibt hierbei unberücksichtigt, dass der Sozialversicherungsbeitrag unabhängig von der konkreten Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes zu entrichten ist. Insofern ähnelt der Sozialversicherungsbeitrag eher dem Abgabentyp des Beitrags. Jedoch sind beide Arten der Vorzugslasten an das Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzip gebunden175. Der individuelle staatlich gewährte Vorteil stellt eine Rechtfertigung für die Auferlegung der Abgabe dar. Aus diesem Grund darf die Höhe der Vorzugslast nicht beliebig festgelegt werden, sondern muss sich an dem Wert des individuellen staatlichen Vorteils orientieren176. Dem Sozialversicherungsbeitrag ist zwar eine gewisse Beitragsäquivalenz immanent, jedoch wird hier das Äquivalenzprinzip durch die Anforderungen des sozialen Ausgleichs modifiziert177. Aufgrund ihres Entgeltcharakters ist Vorzugslasten der Ausgleich von sozialen Unterschieden grundsätzlich fremd178. Da 171 v. Einem, in: DVBl. 1988, S. 12, 15; Friauf, in: FG 25 Jahre BVerfG, S. 300, 311; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 35. 172 BVerfGE 113, 128, 148; 110, 370, 388; 97, 332, 345. 173 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 32; Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 26; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 95. 174 Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 62; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 97. 175 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 34 f.; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 443. 176 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Äquivalenzprinzip hier nur bedeute, dass Leistung und Gegenleistung nicht in einem völligen Missverhältnis stehen dürfen, siehe hierzu: BVerfGE 20, 257, 270; 83, 363, 392. 177 Siehe hierzu schon oben: 4. Kap. A. I. 2. b). 178 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 279; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 34; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/

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der soziale Ausgleich ein Strukturprinzip der Sozialversicherung ist, lassen sich Sozialversicherungsbeiträge, trotz ihrer Bezeichnung, nicht als finanzrechtliche Beiträge und damit nicht als Vorzugslasten qualifizieren179. Demnach stellen Unfallversicherungsbeiträge keine Vorzugslasten dar. cc) Unfallversicherungsbeitrag als Verbandslast? In Betracht käme weiterhin, Sozialversicherungsbeiträge als Verbandslasten zu qualifizieren. Hierunter versteht man Abgaben, die „von den Mitgliedern einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zur Finanzierung des korporativen Zwecks erhoben werden“180. Sie dienen nicht dem Ausgleich eines individuellen Vorteils, sondern der Deckung des körperschaftlichen Finanzbedarfs181. Gegen eine Einordnung des Sozialversicherungsbeitrags als Verbandslast spricht allerdings, dass der Sozialversicherungsbeitrag sowohl von Versicherten als auch von Nicht-Versicherten gezahlt wird. Eine sozialversicherungsrechtliche Leistungsbeziehung besteht mithin nicht hinsichtlich aller Abgabenverpflichteter182. Zudem wird eingewendet, dass die Sozialversicherung nicht durch eine personale Verbandsmitgliedschaft charakterisiert wird, sondern vielmehr durch ein wirtschaftliches Verwaltungsverhältnis183. Insofern fehlt es an der für die Verbandslast typischen korporativen Legitimation184. Dies gilt umso mehr für die Unfallversicherung, da dort der Beitrag allein von den Arbeitgebern, die keinen Versicherungsschutz erhalten, aufgebracht wird. Eine Qualifizierung des Unfallversicherungsbeitrags als Verbandslast kommt mithin nicht in Betracht. Starck, GG, Art. 105 Rn. 12; siehe ferner auch: Kempen, in: NVwZ 1995, S. 1163, 1167; Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 119 Rn. 54. 179 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 279 f.; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 36; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 126. 180 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 281. 181 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 281; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 37; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 448; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 21; Jarass, in: DÖV 1989, S. 1013, 1017; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 119. 182 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 282; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 37. 183 Isensee, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 449; ders., in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 486; Ferdinand Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 23. 184 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 282; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 37; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 449; ders., in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 486; Ferdinand Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 23.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

dd) Unfallversicherungsbeitrag als Sonderabgabe? Ein weiterer, über die klassische Einteilung des Abgabenrechts in Steuern, Beiträge und Gebühren hinausgehender Abgabentyp ist die Sonderabgabe. Sonderabgaben stellen eine zusätzliche finanzielle Belastung einer bestimmten Gruppe zur Finanzierung besonderer Aufgaben dar und stehen damit in besonderer Konkurrenz zur Steuer185. Aus diesem Grund dürfen sie nur ausnahmsweise und unter Beachtung folgender Voraussetzungen erhoben werden186: Sie müssen einen bestimmten Sachzweck verfolgen und dürfen nicht der bloßen Mittelbeschaffung dienen, sie müssen eine homogene Gruppe belasten, die in einer spezifischen Verantwortungsbeziehung zum verfolgten Zweck steht, und sie müssen gruppennützig verwendet werden. Teilweise wurden Sozialversicherungsbeiträge als Sonderabgaben qualifiziert oder es wurden zumindest die für Sonderabgaben geltenden Voraussetzungen auf Sozialversicherungsbeiträge übertragen187. Allerdings ist das Bundesverfassungsgericht einer solchen Einordnung des Sozialversicherungsbeitrages in der Entscheidung zur Künstlersozialversicherung mit der Begründung entgegengetreten, dass nichtsteuerliche Abgaben nur dann als Sonderabgaben einzuordnen seien, wenn sie in Konkurrenz zur Steuer stünden und die durch die Finanzverfassung aufgestellte Ordnung gefährdeten188. Für den Bereich der Sozialversicherung existiere kein derartiges Konkurrenzverhältnis, da der Sozialversicherungsbeitrag ausschließlich dem Haushalt des jeweiligen Sozialversicherungsträgers zufließe und demnach dem Staat für die Erfüllung allgemeiner Staatsaufgaben von vornherein nicht zur Verfügung stehe189. Dagegen wird eingewendet, dass eine solche rein formale Betrachtung den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werde. Zwar habe der Staat keine direkte Möglichkeit Sozialversicherungsbeiträge für allgemeine Staatsaufgaben zu verwenden, jedoch könne er die Staatsfinanzen auf Kosten der Sozialversicherungshaushalte entlasten190. Schließlich habe der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Sozialver185 Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 15; allgemein zu Sonderabgaben: Paul Kirchhof, in: FS Friauf, S. 669 ff. 186 BVerfGE 82, 159, 179 ff.; 75, 108, 147 f.; 55, 274, 297 f., 308; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 15 ff.; ausführlich zur Zulässigkeit von Sonderabgaben: Friauf, in: JA 1981, S. 261 ff.; Franz Klein, in: DStR 1981, S. 275 ff.; Selmer, in: GewArch 1981, S. 41 ff. 187 So insbesondere im Hinblick auf den Arbeitgeberanteil: Arndt, in: DRV 1987, S. 282, 285 ff.; Franz Klein, in: DStR, 1981, S. 275, 277; kritisch zum Abgabentypus der Sonderabgaben: Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 147 ff. 188 E 75, 108, 147 f. 189 E 75, 108, 147 f. Ebenso: Ferdinand Kirchhof, in: NZS 1999, S. 161, 164. 190 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 50 ff.; vgl. hierzu auch: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 289.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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sicherung inne, so dass es in seiner Macht liege, ihren Aufgabenkreis dahingehend auszuweiten, dass der Sozialversicherung die Erfüllung allgemeiner Staatsaufgaben obliege. Der Bund könne also auf indirektem Wege – mittels Delegation von Staatsaufgaben auf die Sozialversicherungsträger – den Staatshaushalt entlasten191. Darüber hinaus stehe der Haushalt der Sozialversicherungsträger nicht völlig isoliert neben dem allgemeinen Staatshaushalt, vielmehr begründe Art. 120 Abs. 1 S. 4 GG eine Verknüpfung zwischen beiden Haushalten und lege die Zuschüsse des Bundes zur Sozialversicherung fest. Soweit der Bund die Zuschüsse kürze, ergäben sich staatliche Einsparungen auf Kosten der Sozialversicherungsträger192. Trotz dieser berechtigten Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dem Gericht im Ergebnis zuzustimmen. Schließlich lassen sich die an Sonderabgaben gestellten Voraussetzungen nicht ohne Mühe auf Sozialversicherungsbeiträge übertragen. Probleme bereitet insbesondere die Voraussetzung der „gruppennützigen Verwendung des Aufkommens“ hinsichtlich der Arbeitgeberbeiträge. In Bezug auf die Unfallversicherung kann zwar eingewendet werden, dass die Unternehmerbeiträge zumindest auch dem Interesse der Arbeitgeber dienen, da sie Grundlage der Haftungsfreistellung sind. Vorrangiges Ziel der Unfallversicherung ist allerdings die Sicherung der Arbeitnehmer vor den Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten193. Die Unternehmer profitieren allenfalls mittelbar von der Beitragsverwendung. Insofern werden die Unternehmerbeiträge auch in der Unfallversicherung nicht gruppennützig, sondern zugunsten gruppenfremder Personen eingesetzt. Soweit man das realitätsferne Ergebnis vermeiden möchte, dass sämtliche seit Einführung der Sozialversicherung erhobenen Beiträge verfassungswidrig waren, ist eine Qualifizierung des Sozialversicherungsbeitrages als Sonderabgabe nur möglich, wenn man die Erhebung fremdnütziger Sonderabgaben ausnahmsweise als zulässig ansieht und die Inanspruchnahme des Arbeitgebers aus triftigen Gründen gerechtfertigt werden kann194. Ohne die Kreierung von Ausnahmetatbeständen sind folglich die Voraussetzungen für Sonderabgaben nicht auf Sozialversicherungsbei191 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 289; Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 53; ferner: Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992), S. 68 f. 192 Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 53. 193 Die Sicherung der Arbeitnehmer vor Arbeitsunfällen war auch schon primäres Anliegen des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884 (RGBl. 1884, S. 71 ff.), das mit den §§ 5 ff. einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch der Arbeitnehmer einführte. Siehe hierzu ferner: Gitter, in: SGb 1993, S. 297, 398 f.; Stolleis, Geschichte des Sozialrechts, S. 81 f. 194 v. Einem, in: DVBl. 1988, S. 12, 15; so ferner die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der in Ausnahmefällen eine fremdnützige Sonderabgabe zulässig sein kann, wenn sich aus der „Natur der Sache eine finanzielle In-

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

träge übertragbar. Auch in systematischer Hinsicht ist es nicht vorzugswürdig, die Voraussetzungen der Sonderabgaben anzuwenden. Da Sonderabgaben in direkter Konkurrenz zur Steuer stehen, drohen sie das finanzverfassungsrechtliche Gefüge zu unterlaufen. Um diese Gefahr weitest möglich einzudämmen, sollen Sonderabgaben als finanzverfassungsrechtliche Ausnahmen nur unter eng begrenzten Voraussetzungen zulässig sein195. Demgegenüber haben Sozialversicherungsbeiträge keinen Ausnahmecharakter, sondern sind neben der Steuer „die zweite große Form der finanziellen Inpflichtnahme der Bürger durch den Staat“196. Aufgrund dieser strukturellen Besonderheiten sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Sonderabgaben nicht auf Sozialversicherungsbeiträge übertragbar, so dass Unfallversicherungsbeiträge nicht den Anforderungen der Sonderabgaben entsprechen müssen. ee) Unfallversicherungsbeitrag als Abgabe sui generis Unfallversicherungsbeiträge sind demnach weder als Steuern noch als Vorzugs- oder Verbandslasten zu qualifizieren. Sie sind auch keine Sonderabgaben, noch sind die Voraussetzungen von Sonderabgaben auf Sozialversicherungsbeiträge übertragbar. Vielmehr sind Unfallversicherungsbeiträge, wie alle Sozialversicherungsbeiträge, als Abgabe sui generis zu qualifizieren197. Demzufolge unterliegen Regelungen betreffend die Finanzierung von Aufgaben der Unfallversicherung keinen weiteren kompetenzrechtlichen Begrenzungen, außer dass es sich materiell um Vorschriften der „Sozialversicherung“ handeln muss198. Über ihre grundrechtliche Zulässigkeit wurde damit indes noch keine Aussage getroffen.

anspruchnahme der Abgabepflichtigen zugunsten fremder Begünstigter aus triftigen Gründen eindeutig rechtfertigt“, so: E 55, 274, 307. 195 Zum Ausnahmecharakter fremdnütziger Sonderabgaben: BVerfGE 55, 274, 308; Franz Klein, in: DStR 1981, S. 275, 277. Osterloh, in: NJW 1982, S. 1617, 1619. 196 Osterloh, in: NJW 1982, S. 1617, 1620. 197 Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 52; Heun, in: Dreier, GG, Art. 105 Rn. 23; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 42; Ferdinand Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 23; ders., in: NZS 1999, S. 161, 164; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 127; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 116 Rn. 95. 198 BVerfGE 113, 167, 203, 205; 75, 108, 148; Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 40; sowie ferner ders., in: SGb 2003, S. 485, 489.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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b) Erhebung der Beiträge von den Beteiligten Die Sozialversicherung muss durch Beiträge der Beteiligten finanziert werden. Unklarheit herrscht allerdings darüber, wie der Begriff des Beteiligten auszulegen ist, wer also als Beteiligter in diesem Sinne zu qualifizieren ist. Nach dem so genannten engen Beteiligten-Begriff sind hierzu nur die Sozialversicherten selbst zu zählen, so dass die nichtversicherten Beitragszahler, also insbesondere die Arbeitgeber, auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht ohne Vorliegen eines weiteren Rechtfertigungsgrundes zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfen199. Im Unterschied zu den Versicherten erhalten die Nichtversicherten nämlich keinen Versicherungsschutz als Gegenleistung für ihre Beitragszahlung, so dass es sich um fremdnützige Abgaben handelt. Eine solche außersteuerliche gegenleistungsfreie Abgabenverpflichtung bedarf jedoch unter Berücksichtigung der finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben und der staatsbürgerlichen Lastengleichheit einer besonderen Rechtfertigung200. Insofern verlangt diese Ansicht für die Heranziehung der Arbeitgeber zur Finanzierung der Sozialversicherung schon auf Kompetenzebene einen besonderen Rechtfertigungsgrund. Im Unterschied hierzu erfasst der so genannte weite Beteiligten-Begriff neben den Versicherten auch die Arbeitgeber201. Demzufolge ermächtigt Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zur Erhebung von Sozialversicherungsabgaben, die der Deckung des Finanzbedarfs des jeweiligen Versicherungsträgers dienen, ohne dass zwischen Versicherten und Nichtversicherten unterschieden wird. Einzige materielle Voraussetzung ist, dass die Heranziehung der Arbeitgeber einen sachorientierten Anknüpfungspunkt aufweist, der ihre „Heranziehung nicht außerhalb der Vorstellungen liegend erscheinen lässt, von denen die Sozialversicherung in ihrem sachlichen Gehalt bestimmt wird“202. Für den weiten Beteiligten-Begriff spricht, dass er eine systematisch sauberere Prüfung erlaubt203. Nach dem engen Beteiligten-Begriff muss schon 199 Zum engen Beitragsbegriff siehe: Arndt, in: DRV 1987, S. 282, 284; v. Einem, in: DVBl. 1988, S. 12, 14; Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 56 f.; Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 131. 200 Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 57; zur Lastengleichheit siehe auch schon 4. Kap. A. II. 4. a). 201 BVerfGE 11, 105, 113; 75, 108, 146; Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 40; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 292 ff.; Osterloh, in: NJW 1982, S. 1617, 1619 f.; Schnapp, in: GS Heinze, S. 815, 823. 202 BVerfGE 75, 108, 147. 203 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 292; zustimmend auch: Schnapp, in: SGb 2005, S. 1, 4.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

auf Kompetenzebene die Rechtfertigung für die Auferlegung von nichtsteuerlichen gegenleistungsfreien Abgaben geprüft werden, mithin werden schon hier Grundrechtsfragen relevant. Der weite Beteiligten-Begriff trennt demgegenüber zwischen kompetenziellen und materiell-rechtlichen Fragen. Auf der Kompetenzebene wird lediglich untersucht, wen der Gesetzgeber im Rahmen von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zur Beitragstragung verpflichten darf. Die Frage, ob die Abgabenbelastung mit den Grundrechten vereinbar ist, stellt sich erst auf materiell-rechtlicher Ebene. Insofern wird eine Vermischung von materiellen und kompetenziellen Problemstellungen verhindert. Für die vorliegende Arbeit kann eine weitere Auseinandersetzung mit der Streitfrage allerdings dahin gestellt bleiben, da sich in der Unfallversicherung die Beteiligten-Frage nicht wie in den anderen Versicherungszweigen stellt. Zwar erhält der beitragspflichtige Arbeitgeber mit Ausnahme des nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII freiwillig versicherten Arbeitgebers auch in der Unfallversicherung für seine Abgaben keinen eigenen Versicherungsschutz, jedoch kommt ihm aufgrund der in den §§ 104 ff. SGB VII angeordneten Haftungsfreistellung ein individueller Sondervorteil zu. Im Falle eines Arbeitsunfalls muss er keine persönliche Inanspruchnahme durch den Geschädigten befürchten. Insofern dienen die Beiträge des Arbeitgebers zur Unfallversicherung auch seinen Interessen204. Die Gefahr einer Umgehung der finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben und der staatsbürgerlichen Lastengleichheit stellt sich deshalb in der Unfallversicherung nicht in der gleichen Weise wie in den anderen Sozialversicherungszweigen. Aus diesem Grund wird selbst von Vertretern des engen Beteiligten-Begriffs im Bereich der Unfallversicherung von einer grundrechtlichen Prüfung auf Kompetenzebene abgesehen205. Die von den Unternehmern getragene Unfallversicherung wird mithin durch Beiträge der Beteiligten finanziert. c) Zweckbindung des Sozialversicherungsbeitrags Die Sozialversicherungsbeiträge müssen zweckgebunden für die Finanzierung von Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden206 und dürfen demnach nicht für die Erfüllung von Aufgaben verwendet werden, die nicht im Zusammenhang mit dem versicherten Risiko und der Versichertengemeinschaft stehen. Werden die Beiträge dennoch für versicherungsfremde Zwecke, wie insbesondere für Aufgaben der Allgemeinheit, eingesetzt, kön204 Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 57. Zur Eigennützigkeit der Unfallversicherungsbeiträge der Arbeitgeber siehe auch: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 579. 205 So insbesondere: Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 57. 206 Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 40; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 42 f.; Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 132.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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nen sie nicht in verfassungskonformer Weise auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erhoben werden. Vielmehr mutieren sie zur Zwecksteuer, die ebenfalls verfassungswidrig ist, da sie nicht den Vorgaben der Finanzverfassung entspricht207. Außerdem entstehen den Sozialversicherungsträgern durch die Erfüllung von Aufgaben der Allgemeinheit mit versicherungseigenen Mitteln in erheblichem Umfang Mehrausgaben, die sich letztlich in der Beitragshöhe der Mitglieder niederschlagen208. Da die Erfüllung solcher Aufgaben jedoch im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt, müssten sie an sich von der gesamten Bevölkerung getragen werden, so dass eine Steuerfinanzierung angezeigt wäre209. Dennoch werden in den einzelnen Sozialversicherungszweigen in nicht unerheblichem Umfang Aufgaben wahrgenommen, deren Erfüllung nicht nur der jeweiligen Versichertengemeinschaft zugute kommt, sondern darüber hinaus im gesamtstaatlichen Interesse liegt210. So dienen in der Arbeitslosenversicherung beispielsweise die Berufsberatung oder die Arbeitsvermittlung nicht nur den Interessen der Mitglieder der Versichertengemeinschaft, sondern der Allgemeinheit. In der Rentenversicherung werden Ausbildungs- oder Kindererziehungszeiten als Anrechnungszeiten berücksichtigt, obwohl in diesen Zeitspannen von den Betroffenen keine Beiträge abgeführt wurden211. Die Krankenversicherung übernimmt die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs, ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei einer Schwangerschaft nicht um eine Krankheit und damit grundsätzlich nicht um ein in der Krankenversicherung versichertes Risiko handelt212. aa) Prävention als eigene Aufgabe der Unfallversicherung Auch in der Unfallversicherung werden Leistungen gewährt, bei denen der Bezug zur Versichertengemeinschaft zweifelhaft ist. Zu nennen sind hier beispielsweise Leistungen, denen kein messbarer Schaden gegenüber207

Ausführlich hierzu: Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 42 f., 52 ff. 208 Leisner, in: NZS 1996, S. 97, 98. 209 So zum Entwurf des Präventionsgesetzes: Bunge, in: G+G 2/2006, S. 48, 48; Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 50; Christian Weber, in: GPK 12/2007, S. 8, 8 f.; siehe ferner generell in Bezug auf Fremdlasten: Rolfs, in: NZS 1998, S. 551, 554; Ruland, in: DRV 1995, S. 28, 28. 210 Siehe hierzu die ausführlichen Beispiele bei Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 117 f., 143 ff. 211 Ausführlich zu Fremdlasten in der Rentenversicherung siehe: Rolfs, in: NZS 1998, S. 551 ff.; Ruland, in: DRV 1995, S. 28 ff. 212 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Erbringungen von Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung bei Schwangerschaftsabbrüchen siehe: BVerfGE 88, 203, 325 ff.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

steht, wie Renten bei geringer Minderung der Erwerbsunfähigkeit213. Auch bei den berufsgenossenschaftlichen Präventionsleistungen stellt sich die Frage, ob diese Leistungen im Interesse der Versichertengemeinschaft ergehen oder ob der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nicht zumindest auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt214. Insofern ist zunächst zu klären, ob die Finanzierung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen überhaupt eine Aufgabe der Unfallversicherung darstellt oder ob sie nicht vielmehr im Interesse der Allgemeinheit liegt und damit generell eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Mit Blick auf die Privatversicherung kann festgestellt werden, dass die Verhütung des Risikoeintritts grundsätzlich keine Leistung ist, die vom Versicherer aus dem Versicherungsverhältnis geschuldet wird, sondern vielmehr prinzipiell eine Obliegenheit eines jeden Versicherungsnehmers darstellt215. Dementsprechend werden in der streng am Versicherungsprinzip ausgerichteten Privatversicherung nur in begrenztem Umfang Schadensverhütungsmaßnahmen ergriffen: Vorrangiger Präventionsmechanismus ist hier die nach Risiko abgestufte Prämienhöhe216. Darüber hinausgehende Schadensverhütungsmaßnahmen müssen sich in der Privatversicherung immer in dem durch den Wettbewerb eng gesteckten wirtschaftlichen Rahmen halten, der ihnen nur die Ergreifung solcher Schadensverhütungsmaßnahmen erlaubt, die sich für das Unternehmen in absehbarer Zeit rentieren217. Insofern stehen Präventionsmaßnahmen in der Privatversicherung unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit und dürfen keine größeren finanziellen Aufwendungen produzieren, als ein Schadensausgleich im eingetretenen Versicherungsfall ohne Vorsorgemaßnahmen kosten würde218. Allerdings ist bei allen Einschränkungen zu berücksichtigen, dass eine Minimierung des Risikos auch in der Privatversicherung grundsätzlich im Interesse der Versichertengemeinschaft liegt und dass aus diesem Grund schadensverhütende Maßnahmen keine der Privatversicherung grundsätzlich fremden Leistungen darstellen, auch wenn sie kein notwendiger Bestandteil der Versicherung 213 Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 160 f.; Wallerath, FS Krasney, S. 697, 719 ff. 214 Dass die Verhütung von Arbeitsunfällen immer zumindest auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt, ergibt sich schon daraus, dass Präventionsmaßnahmen auch durch die staatlichen Arbeitsschutzbehörden durchgeführt werden, die mit Steuern, also mit Gemeinlasten, finanziert werden. Zur Abgrenzung zwischen dem Kompetenztitel „Arbeitsschutz“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und dem der „Sozialversicherung“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG siehe unten: 4. Kap. A. IV. 215 Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 141. 216 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 660. 217 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 435. 218 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 661.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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sind219. In der Sozialversicherung werden der Prävention demgegenüber keine Grenzen anhand eines strengen Wirtschaftlichkeitsmaßstabs gesetzt220. Als ein gesetzlich zwingendes staatliches Vorsorgesystem vereint die Sozialversicherung eine erheblich größere Anzahl an Versicherten in sich und hat keinen Einfluss auf die Zusammenstellung der in ihr versammelten Risikostruktur221. Aufgrund ihres Zwangscharakters unterliegt sie sehr viel umfangreicheren Sozialbindungen als die Privatversicherung222 und wird insbesondere nicht allein durch das Versicherungsprinzip bestimmt223. Der Risikoeintritt, sei es in Form von Krankheit, von Arbeitsunfällen, von Invalidität oder von Arbeitslosigkeit, ist mit erheblichem persönlichen Leid des jeweiligen Versicherten verbunden. Ihn zu verhindern liegt im besonderen Interesse der Versichertengemeinschaft. Daher hat sich die Sozialversicherung von Anfang an auch im Bereich der Vorsorge engagiert224. Ferner ist eine effektive Präventionsarbeit in der Sozialversicherung aufgrund ihres fehlenden Einflusses auf die Risikostruktur der Versichertengemeinschaft und der Beitragsbemessung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip notwendig, um die Ausgaben für Versicherungsfälle gering zu halten und damit die Finanzierbarkeit der Sozialversicherung zu gewährleisten225. Die Sozialversicherung ist mithin mehr als eine reine Versicherung226. Dies ergibt sich schon aus ihrem gesetzlichen Auftrag, einen gerechten Ausgleich zwischen den sozialen Risiken herbeizuführen. Insofern stellt die Prävention neben der Leistungserbringung eine der wesentlichen Aufgaben der Sozialversicherung dar227. Dass zwischen dem Sozialversicherungsbeitrag und den für alle Versicherten einheitlichen Präventionsleistungen keine Äquivalenz besteht, hindert diese Wertung aufgrund der besonderen Bedeutung des sozialen Ausgleichs für die Sozial219

Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 661. Schewe, in: ZVersWiss 1968, S. 97, 104 f. 221 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 435 ff.; Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 141 f. 222 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 661. 223 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 738, 746. Zu Inhalt und Grenzen des Versicherungsprinzips in der Sozialversicherung siehe zudem schon oben: 4. Kap. A. II. 1. 224 Ebenfalls das umfangreiche Engagement der Sozialversicherungsträger im Bereich der Prävention betont: Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 426 ff. 225 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 428. 226 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 738, 746. 227 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 430; Möller, in: ZVersWiss 1968, S. 59, 66 spricht insoweit von einem dualistischen Charakter der Sozialversicherung, die zwei Typen von Hauptleistungen kenne: Versicherungsleistungen und Präventivleistungen. 220

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

versicherung nicht228. Die in den einzelnen Sozialversicherungszweigen vorgenommenen Präventionsmaßnahmen entsprechen den besonderen Interessen der Solidargemeinschaft und sind demnach als eigene Aufgabe der Sozialversicherung zu qualifizieren229. Eine Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge ist damit legitim. Dieses Ergebnis gilt umso mehr für die Prävention in der Unfallversicherung, zu deren gesetzlichen Aufgaben schon sehr früh neben der Leistungserbringung auch die Unfallverhütung gehörte. So wurde den Berufsgenossenschaften bereits durch das Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 die Präventionsaufgabe übertragen, um ein wirkungsvolles Unfallverhütungssystem zu etablieren230. Die Präventionsmaßnahmen in der Unfallversicherung dienen der Humanisierung der Arbeitsbedingungen und sind demnach eine ethische und menschliche Verpflichtung231. Sie verbessern die Sicherheit am Arbeitsplatz und verringern auf diese Weise das Risiko der Arbeitnehmer, durch betriebliche Gefahren einen mit möglicherweise erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen sowie Verdienstausfällen verbundenen Arbeitsunfall zu erleiden. Außerdem dienen sie der betrieblichen Gemeinschaft, da jeder Arbeitsunfall einen tiefen Eingriff in der betrieblichen Produktionsgemeinschaft sowie in dem Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hinterlässt232. Sie entsprechen damit dem Interesse der Versichertengemeinschaft und nicht bloß einer über die Solidargemeinschaft hinausgehenden Allgemeinheit. Mithin ist die Prävention grundsätzlich eine eigene Aufgabe der Unfallversicherung233. bb) Grenzziehung zwischen eigenen und fremden Aufgaben der Unfallversicherung Ungeachtet der begrifflichen Weite des Präventionsauftrages des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII, der die Berufsgenossenschaften zur Verhütung von 228 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 655, 738, 746 bezeichnet die Prävention aus diesem Grund als „irgendwie versicherungsfremd“. 229 Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 425 ff.; Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 738, 746; Frohn, in: SGb 2000, S. 1, 9 f.; Krause, in: VSSR 1980, S. 115, 141 f.; Möller, in: ZVersWiss 1968, S. 59, 66. 230 Siehe zur Zwecksetzung der Übertragung der Prävention an die Unfallversicherungsträger: Verhandlungen des Reichstages, 5. Legislaturperiode, IV. Session 1884, Aktenstück Nr. 4, S. 68. 231 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 4. 232 Walter Bogs, in: ZSR 1969, S. 654, 738, 740. 233 Ebenso: Burmann, Das Recht der personalen und technischen Sicherheit im Betrieb, S. 471.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren unter Verwendung aller geeigneter Mitteln ermächtigt, können die Unfallversicherungsbeiträge der Unternehmer nicht für eine allumfassende Gesundheitsvorsorge der Arbeitnehmer eingesetzt werden, da sie dann nicht mehr dem Zweck der Unfallversicherung dienen und sich demnach nicht mehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG halten würden. Insofern erscheinen einige berufsgenossenschaftliche Präventionskampagnen, wie beispielsweise die Kampagne zum Hautschutz, als problematisch, da sie nicht allein auf die Sensibilisierung der Versichertengemeinschaft für dieses Thema abzielen, sondern vielmehr ein entsprechendes Bewusstsein in der gesamten Gesellschaft schaffen wollen. Mithin profitieren von den durch Unternehmerbeiträge finanzierten allgemeinen Aufklärungsmaßnahmen auch Nicht-Versicherte. Ähnliches gilt für die Präventionsmaßnahmen zur Verhütung von Wegeunfällen. Auch hier entfalten beispielsweise die Aufklärungsplakate ihre Wirkung nicht nur hinsichtlich der Versicherten, die sich gerade auf einem nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Weg befinden, vielmehr richten sie sich ebenfalls an außerhalb des Unfallversicherungsschutzes stehende Autofahrer. Es stellt sich folglich die Frage, wann berufsgenossenschaftliche Präventionsmaßnahmen noch im Sinne der Versichertengemeinschaft ergehen und damit zu den eigenen Aufgaben der Unfallversicherungsträger gehören und ab wann ihnen der Bezug zur Versichertengemeinschaft fehlt und sie als versicherungsfremde Maßnahmen vielmehr im gesamtgesellschaftlichen Interesse durchgeführt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts234 der Begriff der Sozialversicherung als inhaltsoffener „verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff“ umschrieben wird und demnach eine Übertragung neuer Aufgaben auf die Sozialversicherungsträger grundsätzlich möglich ist. Allerdings führt das Gericht einschränkend aus, dass es sich bei den neu übertragenen Aufgabenfeldern um Lebenssachverhalte handeln muss, die dem Bild entsprechen, „das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist“235. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sind Aufgaben der Sozialversicherung grundsätzlich solche, die herkömmlicherweise von der Sozialversicherung übernommen werden. Primäres Anliegen der von Bismarck 1884 errichteten Sozialversicherung war die Absicherung des sozial ungeschützten Arbeitnehmers vor den klassischen Risiken Krankheit, Invalidität, Alter und Arbeitslosigkeit durch die Bildung von Solidargemeinschaften. Sie stand damit in engem Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis und beruhte wesentlich auf dem Gedanken, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses 234 235

E 75, 108, 146. E 75, 108, 146.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

die materielle Existenzgrundlage für den Arbeitnehmer darstellte. Das klassische Bild der Sozialversicherung wird also durch die Absicherung des Arbeitsplatzrisikos geprägt. Insofern kann als grundlegendes Abgrenzungskriterium zwischen eigenen und fremden Aufgaben der Sozialversicherung der Bezug zum Beschäftigungsverhältnis festgehalten werden236. Demzufolge würden Präventionsmaßnahmen immer dann als eigene Aufgabe der Unfallversicherung erscheinen, wenn sie einen engen Bezug zum Beschäftigungsverhältnis aufweisen. Soweit ein solcher Bezug fehlt, würden sie im gesamtgesellschaftlichen Interesse ergehen und wären demnach für die Unfallversicherung fremde Aufgaben. (1) Präventionsmaßnahmen mit auf die Versichertengemeinschaft begrenztem Wirkungskreis Auch wenn das Merkmal des „engen Bezugs zum Beschäftigungsverhältnis“ noch zu konkretisieren ist, wird ein hinreichend enger Bezug in jedem Fall zu bejahen sein, wenn die Verhütung von solchen Arbeitsunfällen in Rede steht, deren Eintritt Arbeitnehmern an ihrer Arbeitsstätte aufgrund von Gefahren droht, die ihren Ursprung in der Arbeitstätigkeit haben. Gleiches gilt für die Verhütung von Berufskrankheiten, die sich beim Arbeitnehmer aufgrund der Arbeitstätigkeit und den an seinem Arbeitsplatz herrschenden Bedingungen entwickeln können. Demgegenüber ist ein enger Bezug zum Beschäftigungsverhältnis zumindest dann zu verneinen, wenn sich die Präventionsmaßnahmen auf eine allgemeine Gesundheitsvorsorge der Arbeitnehmer oder sogar der gesamten Gesellschaft beziehen, die losgelöst vom Arbeitsverhältnis erfolgt. Im Unterschied zum ersten Beispiel hat eine generelle Gesundheitsvorsorge für die Arbeitnehmer oder die Gesellschaft keinerlei Bezug mehr zu der Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer, die der Unfallversicherung zugrundeliegt, während Maßnahmen, die der Verhütung von Gefahren aus der konkreten, arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit dienen, dem Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden können. Zudem ist zu beachten, dass sich der Arbeitnehmer allein während seiner Arbeitszeit in den Einflussbereich des Unternehmers und den aus seiner betrieblichen Sphäre resultierenden Gefahren begibt. Dementsprechend ist er nur in dieser Zeit in die betriebliche Organisation des Unternehmers eingegliedert und dem Weisungsrecht237 unterstellt, kraft dessen der Unternehmer Inhalt, Durchführung, Dauer und Ort der Arbeitstätigkeit 236

Vgl. hierzu: Leisner, in: NZS 1996, S. 97, 100; ders., Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen, S. 112 f. 237 Zum Weisungsrecht des Arbeitgebers siehe: Richardi, in: ders., MüArbR, Bd. I, § 12 Rn. 50 ff.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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bestimmen darf. Aufgrund der mit dem Weisungsrecht verbundenen Organisationsgewalt hat der Unternehmer in seiner betrieblichen Sphäre die Möglichkeit, die arbeitsbedingten Gefahren für die Gesundheit der Arbeitnehmer zu beherrschen. Präventionsmaßnahmen sind folglich zumindest immer dann dem eigenen Aufgabenkreis der Unfallversicherungsträger zuzurechnen, wenn sie auf die Verhütung von Versicherungsfällen abzielen, deren Eintritt Versicherten am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit droht. Neben der Vorgabe, dass sich die Verhütungsmaßnahmen in persönlicher Hinsicht auf die Versicherten beziehen, müssen sie mithin Gefahren betreffen, die funktionell von der Tätigkeit selbst, den Arbeitsgeräten oder dem Betriebsgelände ausgehen, die sich örtlich innerhalb einer vom Unternehmer beherrschten Sphäre ereignen238 und während der Zeit drohen, in der der Unternehmer sein Weisungsrecht ausüben kann. Probleme bereitet allerdings die Abgrenzung zwischen fremden und eigenen Aufgaben der Unfallversicherung, wenn es um die Verhütung von Versicherungsfällen geht, die sich nicht während der Arbeitszeit auf dem Betriebsgelände ereignen. Zu nennen sind hier insbesondere Wegeunfälle im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB VII. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind auch Wege von oder nach dem Ort der versicherten Tätigkeit in der Unfallversicherung versichert. Im Unterschied zum betrieblichen Umfeld hat der Arbeitgeber keinen Einfluss auf die Sicherheit des Straßenverkehrs. Er kann nicht wie im Betrieb durch die Ergreifung bestimmter Maßnahmen die Sicherheit des Straßenverkehrs erhöhen239. Vielmehr wird das Sicherheitsniveau auf den Straßen durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, die sich dem Einflussbereich des Arbeitsgebers entziehen, wie beispielsweise die Fahrweise des Arbeitnehmers, die Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer, die Verkehrstauglichkeit des Fahrzeuges, die Beschaffenheit der Straße oder das Wetter240. Zudem ist zu beachten, dass Arbeitnehmer auf 238 Ähnlich Leisner, in: NZS 1996, S. 97, 100, der auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als Abgrenzungskriterium abstellt. Siehe in diesem Sinne auch Krause, in VSSR 1980, S. 115, 160 nach dem für die Unfallversicherung fremde Lasten immer dann vorliegen, wenn sie „nicht in den Verantwortungsbereich der Unternehmer gehören“. Ausführlich zur Begründung der Verantwortungszusammenhänge für die Prävention von Arbeitsunfällen siehe unten: 4. Kap. B. II. 1. b) cc). 239 Zu den fehlenden Präventionsmöglichkeiten im Rahmen der Wegeunfälle: Gitter, in: BB 1998, Beil. 6 zu Heft 22, S. 6; Krasney, in: GS Heinze, S. 529, 535; Schulin, in: ders., HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 33 Rn. 2. A. A.: Kranig/Aulmann, in: NZS 1995, S. 203, 209 f. 240 Aus diesen Gründen ist es seit jeher umstritten, ob die Wegenunfällen zu den Versicherungsfällen der Unfallversicherung gehören sollten, siehe hierzu: Gitter, in: BB 1998, Beil. 6 zu Heft 22, S. 6; Köhler, in: SGb 2004, S. 533, 533 f.; Kranig/ Aulmann, in: NZS 1995, S. 203, 203; Schulin, in: ders., HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 33 Rn. 2 f.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

den Wegen von oder zur Arbeit nicht dem Weisungsrecht des Unternehmers unterstehen. Darüber hinaus ist der Wirkungskreis von verkehrssicherheitsbezogenen Präventionsmaßnahmen, wenn sie nicht in Form von Fahrtrainings oder Theoriestunden in den Unternehmen stattfinden, schwer eingrenzbar, so dass diese Maßnahmen oftmals der gesamten autofahrenden Bevölkerung zugute kommen. Auf Kosten der Unternehmer wird damit die allgemeine Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen erhöht241. Im Hinblick auf die fehlende Einflussmöglichkeit sowie auf das fehlende Weisungsrecht der Unternehmer ist es angezeigt, die Unternehmerbeiträge nicht für solche Präventionsmaßnahmen zu verwenden, die sich auf Gefahren beziehen, die den Arbeitnehmern außerhalb ihrer Arbeitszeit und abseits ihres Arbeitsplatzes drohen. Insofern wird der Präventionsauftrag grundsätzlich räumlich durch den Ort des Arbeitsplatzes und zeitlich durch die Arbeitszeit begrenzt. Soweit diese Grenzen nicht eingehalten werden, handelt es sich regelmäßig um der Unfallversicherung fremde Maßnahmen, die nicht durch Unternehmerbeiträge finanziert werden dürfen, sondern vielmehr nach einer Steuerfinanzierung verlangen. Allerdings ist speziell für den Bereich der Wegeunfälle zu beachten, dass es sich hierbei um Versicherungsfälle handelt, deren finanziellen Auswirkungen die Unfallversicherungsträger und damit letztlich die Unternehmer tragen müssen. Daher könnte seitens der Unternehmer dennoch ein Interesse bestehen, die Zahl der Wegeunfälle durch Präventionsarbeit gering zu halten. Wenn also in diesem Bereich trotz der weitestgehend fehlenden Einwirkungsmöglichkeit der Unternehmer auf das Unfallgeschehen Präventionsarbeit geleistet werden soll, ist es im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Vorgabe der Zweckbindung der Sozialversicherungsbeiträge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG notwendig, die Unfallverhütungsmaßnahmen auf Maßnahmen zu beschränken, die vorrangig den Versicherten zugute kommen242. Insbesondere für das Abgrenzungskriterium der Ortsnähe zum Arbeitsplatz ist jedoch zu bedenken, dass hier nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen, da die berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen auch andere Gefahren als solche, die von ortsfesten Arbeitsplätzen in einem Betrieb ausgehen, erfassen sollen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Gefahren, die einem Berufskraftfahrer an seinem „Arbeitsplatz“ drohen, der naturgemäß mit stetigen Ortsveränderungen verbunden ist. Im Unterschied zu den nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Wegen ist der Betriebskraftfahrer den Gefahren des Straßenverkehrs während seiner Arbeits241 Demgegenüber loben den ganzheitlichen Sicherheitsansatz der Berufsgenossenschaften bei der Verhütung von Wegeunfällen: Kranig/Aulmann, in: NZS 1995, S. 203, 209 f. 242 Zu Präventionsmaßnahmen, deren Wirkungsbereich den Versichertenkreis überschreiten, siehe sogleich unten: 4. Kap. A. II. 4. c) bb) (2).

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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zeit ausgesetzt, also in einer Zeit, in der er dem arbeitgeberischen Weisungsrecht untersteht. Insofern kann der Unternehmer insbesondere das Fahrzeug, die Fracht, den Weg, die Zeit und die personelle Besetzung bestimmen. Außerdem benutzt der Betriebskraftfahrer typischerweise ein Kraftfahrzeug, das dem Unternehmer gehört, auf dessen Sicherheitsstandard der Unternehmer demnach Einfluss hat. Auch wenn der unternehmerische Einfluss auf die Sicherheit seines Berufskraftfahrers schon aufgrund der Vielzahl von Faktoren, die für die Sicherheit im Straßenverkehr verantwortlich sind, geringer ist als beispielsweise auf die Sicherheit eines Fabrikarbeiters, hat er aufgrund der Tatsache, dass der Berufskraftfahrer während der Autofahrten seinem Weisungsrecht untersteht, Möglichkeiten auf die Sicherheit der Arbeitnehmer einzuwirken. Insofern müssen sich die Präventionsmaßnahmen auch auf solche Arbeitsplätze erstrecken, die zwar einer örtlichen Veränderung unterliegen, deren grundsätzliche Sicherheitsausstattung allerdings dem Weisungsrecht des Unternehmers unterliegen. Es lassen sich mithin bislang folgende Kriterien für die Bestimmung der Grenzen des berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrages zusammenfassen: Jede Präventionsmaßnahme bedarf eines Bezugs zum Beschäftigungsverhältnis. Ein solcher Bezug ist gegeben, wenn die Präventionsmaßnahme auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren abzielt, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass unter das Kriterium des Arbeitsplatzes auch solche Orte zu fassen sind, die zwar Ortsveränderungen unterliegen, aber dennoch dem Weisungsrecht des Unternehmers unterstehen. (2) Präventionsmaßnahmen mit unbegrenztem Wirkungsbereich Die Unfallversicherungsträger führen allerdings nicht nur Präventionsmaßnahmen durch, deren Wirkungsbereich sich auf den Versichertenkreis beschränkt. Grundsätzlich gilt nach dem oben gefundenen Ergebnis, dass Präventionsmaßnahmen, deren Zweck in einer gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsvorsorge liegt, nicht mehr den erforderlichen Bezug zum Beschäftigungsverhältnis aufweisen, da sie nicht der Verhütung von Gefahren dienen, die dem Arbeitnehmer innerhalb einer vom Unternehmer beherrschten Sphäre während seiner Arbeitszeit drohen. Solche Präventionsmaßnahmen können mithin prinzipiell nicht durch Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden, sondern bedürfen entsprechend ihres Wirkungskreises einer gesamtgesellschaftlichen Finanzierung durch Steuern. Es wäre allerdings lebensfremd von den Berufsgenossenschaften zu verlangen, dass ihre Präventionsmaßnahmen keinerlei Wirkung außerhalb des zeitlich und örtlich begrenzten Arbeitsverhältnisses haben dürfen. Insbesondere ist es denkbar, dass Präventionsmaßnahmen mit Bezug zu arbeitsbedingten Gesundheits-

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

gefahren ihre Wirksamkeit potenzieren, wenn sie in eine allgemeine, auf die gesamte Gesellschaft bezogene, übergeordnete Kampagne eingebettet sind. Soweit die erhöhte Wirksamkeit im Ergebnis dazu führt, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in einem größeren Umfang sinkt, als es der Fall wäre, wenn allein die speziellen Präventionsmaßnahmen mit Bezug zu arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren durchgeführt worden wären und somit insgesamt die Ausgaben der Unfallversicherungsträger gesenkt werden, könnte eine Beitragsverwendung, deren Wirkung über die Versichertengemeinschaft hinausreicht, vorzugswürdig sein und den Interessen der Unternehmer eher entsprechen. Ein Beispiel für eine solche zweigliedrige Präventionskampagne kann die Kampagne zum Hautschutz liefern243. Während die Dachkampagne, deren Ziel die Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für das Thema Hautschutz ist, massenwirksame Maßnahmen, wie Großflächen-Plakate, Flyer, Broschüren und monatliche Pressemeldungen nutzt, wollen die branchenorientierten Trägerkampagnen mit zielgruppenorientierten Aktionen in den einzelnen Betrieben konkrete Aufklärungsarbeit zum Thema Hautschutz leisten, um der Ausbreitung arbeitsbedingter Hauterkrankungen entgegenzuwirken244. Das Zusammenspiel von Dach- und Trägerkampagnen soll die Wirksamkeit der Trägerkampagnen dadurch steigern, dass die Dachkampagne zu einer „Grundsensibilisierung“ der Gesellschaft führt, die von den Trägerkampagnen jeweils branchenorientiert vertieft wird245. Insofern kann argumentiert werden, dass auch die Dachkampagne dem Zweck der in den Berufsgenossenschaften zusammengefassten Versichertengemeinschaft dient. Allerdings stellt sich bei einer solchen Argumentation die Frage, wo die Grenze zwischen der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe eines allgemeinen, auf die gesamte Bevölkerung bezogenen Gesundheitsschutzes und der auf die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bezogenen berufsgenossenschaftlichen Prävention liegt. Allein das Kriterium, ob eine Maßnahme des gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsschutzes auch die Zwecke der berufsgenossenschaftlichen Versichertengemeinschaft fördert, kann zur Abgrenzung nicht ausreichen. Einerseits werden sich aufgrund der Unbestimmbarkeit des Kriteriums in nahezu allen Fällen des gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsschutzes auch positive Auswirkungen auf die Versichertengemeinschaft feststellen lassen. Andererseits würde in diesem Fall das aus der Verfassung folgende Merkmal der „Zweckbindung der Unfallversicherungsbeiträge“ allein unter einen Wirksamkeitsvorbehalt dergestalt gestellt, dass Unfallversicherungsbeiträge dann zweckgebunden, also verfas243 Siehe zu Konzept und Inhalt der Präventionskampagne „Haut“ schon oben in der Einleitung und am Anfang des 4. Kap. sowie: v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12 ff.; Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10 f. 244 v. Mannstein, in: Die BG 2007, S. 12 f. 245 Doepke/Bindzius, in: Die BG 2007, S. 10, 11.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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sungskonform eingesetzt werden, wenn sie auch nur mittelbar, in irgendeiner Weise der Versichertengemeinschaft zugute kommen. Es bedarf mithin differenzierterer Abgrenzungskriterien: Ausgehend von der oben entwickelten Überlegung, dass Sinn der Sozialversicherung seit ihrer Einführung die Absicherung des Arbeitsplatzrisikos ist, ist auch hier ein enger Bezug zum Beschäftigungsverhältnis zu fordern246. Allgemeine gesundheitsfördernde Maßnahmen der Berufsgenossenschaften müssen also immer schwerpunktmäßig an die versicherten Arbeitnehmer oder die Unternehmer adressiert sein. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn sie im Rahmen eines einheitlichen Konzepts akzessorisch zu einer spezifischen branchenorientierten Präventionsmaßnahme ergehen und wenn ihre inhaltliche Ausgestaltung im Rahmen der branchenspezifischen Verhütung von Berufskrankheiten oder Arbeitsunfällen dienlich ist. Neben diesen inhaltlichen Vorgaben könnte für die Abgrenzung als weiteres Indiz die Frage herangezogen werden, ob der finanzielle Schwerpunkt für die Unfallversicherungsträger bei den speziellen branchenspezifischen Präventionsmaßnahmen liegt. Wendet man diese Kriterien auf die Dachkampagne der Präventionskampagne „Haut“ an, ergibt sich folgendes Ergebnis: Die Dachkampagne erfolgt zur Einbettung von verschiedenen trägerspezifischen Hautschutzkampagnen in einen allgemeineren Rahmen. Eine Akzessorietät von Dachkampagne und speziellen Trägerkampagnen besteht mithin. Ob allerdings die inhaltliche Ausgestaltung der Dachkampagne auch im Rahmen der Berufskrankheit Nr. B 5101 (Hautkrankheiten) dienlich ist, kann zumindest teilweise bezweifelt werden. Sicherlich führt eine allgemeine Sensibilisierung für das Thema Hautschutz und Hauterkrankungen durch massive Öffentlichkeitsarbeit in Form von Plakaten, Flyern oder Medienpräsenz auch im Rahmen des Berufslebens zu einer entsprechenden erhöhten Aufmerksamkeit. Zweifel bestehen allerdings bei solchen Maßnahmen, denen jeglicher Bezug zur Arbeitswelt fehlt wie die Warnung vor Solarien247, die Hinweise zum Umgang mit Vorurteilen über Neurodermitis248 oder die Tipps zum Sport im Freien249. Ob diese Maßnahmen der Versichertengemeinschaft bei der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten dienen, erscheint äußerst fraglich. Im Hinblick auf ihre primäre außerberufliche Zielsetzung liegt die Annahme nahe, dass diese Maßnahmen eine branchenspezifische Präventionsarbeit nicht unterstützen, so dass eine Beitragsverwendung für solche Maßnahmen gegen das Erfordernis des zweckgebundenen Beitrags246 Siehe hierzu schon oben: 4. Kap. A. II. 4. c) bb); sowie: Leisner, in: NZS 1996, S. 97, 100; ders., Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen, S. 112 f. 247 Siehe hierzu: Die BG 2008, S. 150 f. 248 Siehe hierzu: Die BG 2008, S. 151. 249 Siehe hierzu: Die BG 2007, S. 168.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

einsatzes des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verstößt und mithin verfassungswidrig ist. Etwas anders könnte nur gelten, soweit nachgewiesen werden kann, dass derartige Maßnahmen tatsächlich den branchenspezifischen Maßnahmen zugute kommen. Ähnliche Schwierigkeiten können bei den Verkehrssicherheitskampagnen auftreten, die die Berufsgenossenschaften in Kooperation mit dem DVR durchführen. Auch hier handelt es sich um Präventionsmaßnahmen, die sich genauso wie die dargestellte Dachkampagne in ihrem Wirkungskreis nicht auf die berufsgenossenschaftliche Versichertengemeinschaft beschränken. Vielmehr sollen insbesondere die Autobahnplakate alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen zur Vorsicht anhalten. Soweit diese Maßnahmen anders als bei der Präventionskampagne „Haut“ nicht in eine einheitliche Gesamtkampagne eingebettet sind250, die zu einer Wirksamkeitserhöhung der speziellen berufsgenossenschaftlichen Maßnahmen führen, fehlt es an einer Akzessorietät zwischen allgemeiner und spezifischer Maßnahme, so dass kein zweckgebundener Mitteleinsatz im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfolgt. Demnach ist die Verwendung der Unternehmerbeiträge für derart allgemeine Verkehrssicherheitsmaßnahmen wie Autobahnplakate verfassungswidrig. cc) Zwischenergebnis Grundsätzlich stellt die Prävention eine eigene Aufgabe der Unfallversicherungsträger dar. Soweit sich die Präventionsmaßnahmen in persönlicher Hinsicht auf die in der Unfallversicherung versicherten Arbeitnehmer beziehen, können die Maßnahmen mit Unternehmerbeiträgen finanziert werden, wenn sie auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren abzielen, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen. Dabei erfasst das Kriterium des Arbeitsplatzes auch solche Orte, die zwar Ortsveränderungen unterliegen, aber dennoch dem Weisungsrecht des Unternehmers unterstehen. Präventionsmaßnahmen, die in persönlicher Hinsicht einen unbegrenzten Wirkungsbereich haben, können grundsätzlich nicht mit Unfallversicherungsbeiträgen finanziert werden. Eine Ausnahme besteht nur, soweit sie dennoch einen engen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Ein solcher Bezug besteht, wenn die allgemein-gesundheitsfördernde Maßnahme im Rahmen eines einheitlichen Präventionskonzepts akzessorisch zu einer spezifischen branchenorientierten Präventionsmaßnahme ergeht und wenn ihre inhaltliche Ausgestaltung der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten dienlich ist. 250 An einer solchen einheitlichen Einbettung fehlt es zumindest im Rahmen der Kampagne „Runter vom Gas“, siehe hierzu: Die BG 2008, S. 152.

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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III. Ergebnis Die Übertragung der Präventionsaufgabe einschließlich ihrer Finanzierung auf die Unfallversicherungsträger steht grundsätzlich in Einklang mit den kompetenzrechtlichen Vorgaben des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Die Unfallversicherung ist eine Versicherung im Sinne dieser Vorschrift, sie enthält Elemente des sozialen Ausgleichs, die Berufsgenossenschaften sind rechtlich und organisatorisch verselbständigte Körperschaften, außerdem entspricht der Einsatz von Beitragsmitteln zu Präventionsaufgaben einer zweckgebundenen Beitragsverwendung, soweit die Unfallversicherungsträger die personellen, funktionellen, zeitlichen und räumlichen Grenzen einhalten.

IV. Abgrenzung zum Kompetenztitel des Arbeitsschutzes i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Die Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren kann nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung nicht nur auf Grundlage des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG enthaltenen Titels der „Sozialversicherung“, sondern auch aufgrund des Kompetenztitels „Arbeitsschutz“ geregelt werden. Eine Konsequenz der zweifachen Zuweisung der Gesetzgebungszuständigkeit ist das in Deutschland existierende duale Arbeitsschutzsystem, nach dem für die Aufgabe des Arbeitsschutzes sowohl die staatlichen Arbeitsschutzbehörden als auch die Berufsgenossenschaften zuständig sind251. Im Hinblick auf diesen Dualismus stellt sich die Frage, ob die Existenz von zwei möglichen Kompetenztiteln den Gesetzgeber beim Erlass von Regelungen zur Prävention dahingehend bindet, dass gewisse Sachbereiche der Prävention notwendiger Weise ausschließlich einem der beiden Präventionsträgern zugeordnet werden müssen oder ob der Gesetzgeber frei ist in der Entscheidung, welchem Zuständigkeitsbereich er die Präventionsaufgaben übertragen möchte. Der Kompetenztitel des Arbeitsschutzes ermächtigt den Gesetzgeber zum Erlass von Regelungen, die der Abwehr von aus dem Arbeitsleben resultierenden Gefahren dienen, wozu nicht nur der Schutz vor arbeitsspezifischen Gefahren zählt, sondern beispielsweise auch das Arbeitszeitrecht252. Indem 251

Vgl. hierzu schon ausführlich 1. Kap. C. Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 23; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 54; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 163; Oeter, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 74 Rn. 115; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 74 Rn. 29; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 100 Rn. 239; Stettner, in: Dreier, GG, Art. 74 Rn. 66. 252

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

das Arbeitsschutzrecht Mindeststandards im technischen Bereich sowie Mindest- und Höchstbedingungen im sozialen Bereich definiert, schützt es die Rechtsgüter des Arbeitnehmers, insbesondere ihr Leben und ihre Gesundheit253. Im Hinblick auf die Funktion des Arbeitsschutzrechts, die Gefahrenabwehr, besteht die vorrangige Aufgabe der staatlichen Arbeitsschutzbehörden in der Überwachung des Gesetzesvollzuges, so dass das staatliche Arbeitsschutzrecht von dem für die Eingriffsverwaltung typischen Über-/ Unterordnungsverhältnis zwischen Behörde und Arbeitnehmer geprägt ist254. So sind die Arbeitsschutzbehörden befugt, von den Betrieben Auskünfte sowie Einsicht in die Unterlagen zu verlangen255, sie können Betriebsbesichtigungen vornehmen, was naturgemäß ein Betretungsrecht der Betriebe impliziert256 und Anordnungen erlassen257. Über diese hoheitlichen eingreifenden Befugnisse hinaus sieht § 21 Abs. 1 S. 2 ArbSchG eine Beratungspflicht der Arbeitsschutzbehörden vor, so dass ihnen auch leistungsverwaltungsrechtliche Befugnisse zukommen. Dass sich die Behörden selbst ebenfalls nicht als reine Kontrollinstanz verstehen, lässt sich insbesondere aus den unterschiedlichen von ihnen durchgeführten Präventionsaktionen wie beispielsweise Veranstaltungen zum Lärm-Schutz erkennen258. Die Unfallverhütungsarbeit der Berufsgenossenschaften beruht demgegenüber auf dem Kompetenztitel der „Sozialversicherung“. Im Unterschied zu den Behörden des staatlichen Arbeitsschutzes sind die Unfallversicherungsträger nicht in die unmittelbare Staatsverwaltung eingegliedert, sondern stellen Körperschaften der funktionellen Selbstverwaltung dar und gehören damit der mittelbaren Staatsverwaltung an. Da es sich bei den Unfallversicherungsträgern um Zusammenschlüsse von Unternehmern handelt, ergibt sich schon aus ihrer Mitgliederstruktur, dass hier nicht ein vertikales Subordinationsverhältnis im Vordergrund steht, sondern dass vielmehr die Unterstützung der Unternehmer im Hinblick auf ihre präventionsrechtlichen Verpflichtungen maßgeblich ist. Zudem verfügen die Berufsgenossenschaften über spezifische Branchenkenntnisse und -erfahrungen, die sie zu einer praxis- und einzelfallorientierten Unfallverhütungsarbeit befähigt259. Insofern steht bei der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsarbeit die fachspezifische Beratung im Vordergrund. Darüber hinaus sind die Unfallversicherungsträger, um ihren Erfahrungen zur Durchsetzung zu verhelfen, aller253

Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 23. Vgl. hierzu: Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 694. 255 § 22 Abs. 1 ArbSchG. 256 § 22 Abs. 2 ArbSchG. 257 § 22 Abs. 3 ArbSchG. 258 Vgl. hierzu den Jahresbericht 2006 der Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, S. 33 f. 259 Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 694. 254

A. Die Präventionsaufgabe in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung

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dings auch ermächtigt gem. § 15 SGB VII Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, deren Umsetzung sie durch Überwachungs- und Anordnungsbefugnisse verwirklichen können260. Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und die Berufsgenossenschaften haben also grundsätzlich unterschiedliche Funktionen in der Präventionsarbeit und verfügen auch über einen anderen organisatorischen Hintergrund. Dennoch stehen ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben weitestgehend identische Instrumente zur Verfügung. Beide Behörden können eingreifend mittels Überwachung und Anordnung tätig werden, sie können aber auch beratend den Unternehmern zur Seite stehen. Insofern kann der Gesetzgeber Präventionsaufgaben grundsätzlich frei auf die Berufsgenossenschaften und die staatlichen Arbeitsschutzbehörden verteilen. Eine klare Unterteilung nach Sachgebieten existiert nicht. Bedeutende Unterschiede zwischen beiden Systemen bestehen allerdings im Rahmen der Finanzierung: Während der staatliche Arbeitsschutz aus Steuermitteln finanziert wird, werden die für die berufsgenossenschaftliche Prävention erforderlichen Finanzmittel allein von den Unternehmern aufgebracht. Soweit Aufgaben auf die Berufsgenossenschaften übertragen werden, bedeutet das mithin eine finanzielle Belastung der Unternehmer und gleichzeitig eine Endlastung des Staatshaushaltes261. In einem gewissen Rahmen ist die Aufteilung der finanziellen Lasten der Unfallverhütungsarbeit zwischen Unternehmern und Staat durch das duale Arbeitsschutzsystem vorgesehen. Eine Überwälzung sämtlicher Präventionsaufgaben auf die Berufsgenossenschaften würde allerdings dazu führen, dass sie gänzlich durch die Unternehmer finanziert würden, so dass sich der Staat der ihn nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG treffenden Verantwortlichkeit für den Arbeitsschutz auf Kosten der Unternehmer entziehen würde. Etwas anderes würde nur gelten, wenn der Staat sich mit Steuerzuschüssen zur Unfallversicherung an der Präventionsaufgabe beteiligte262. Neben diesen Finanzierungserwägungen wird die gesetzgeberische Freiheit bei der Verteilung der Präventionsaufgaben innerhalb des dualen Arbeitsschutzsystems weiterhin auch durch den europarechtlichen Einfluss auf das deutsche Arbeitsschutzsystem eingeschränkt. Nach der derzeitigen Umsetzungspraxis werden die europäischen Richtlinien in staatliche Arbeitsschutzgesetze und nicht in berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschriften umgesetzt263. Sämtliche Präventionsaufgaben, die sich aus euro260

§§ 17, 19 SGB VII. Auf die Entlastungswirkung zugunsten des Staates weist auch Coenen, in: Die BG 2000, S. 694, 694, 700 hin. 262 Zur Zulässigkeit von Steuerzuschüssen zur Sozialversicherung: Axer, in: Bonner Kommentar, Art. 74 Nr. 12, Rn. 39. 263 Zur Umsetzung europäischer Arbeitsschutzrichtlinien in Unfallverhütungsrichtlinien vgl.: 3. Kap. C. II. 261

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

päischen Richtlinien ergeben, können demnach nicht auf die Berufsgenossenschaften übertragen werden. Allerdings hat die derzeitige Umsetzungspraxis keinen Verfassungsrang und könnte jederzeit vom Gesetzgeber abgeändert werden. Präventionsaufgaben können nach dem Grundgesetz folglich sowohl auf die Unfallversicherungsträger als auch auf die staatlichen Arbeitsschutzbehörden übertragen werden. Eine strikte Aufteilung, nach der bestimmte Sachgebiete zwangsläufig entweder unter den Kompetenztitel des „Arbeitsschutzes“ oder der „Sozialversicherung“ zu fassen wären, existiert nicht. Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Aufgabenübertragung den staatlichen Schutzauftrag für das Leben und die Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 GG beachten und gegebenenfalls staatliche Steuerzuschüsse an die Berufsgenossenschaften gewähren.

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für Aufgabe und Finanzierung der Prävention I. Die staatsbürgerliche Lastengleichheit unter dem Blickwinkel der Finanzierungsverantwortlichkeit des Unternehmers Die Belastung der Arbeitgeber mit der Finanzierung umfangreicher Präventionsaufgaben ist vorrangig ein gleichheitsrechtliches Problem. Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und verbietet damit eine Ungleichbehandlung von wesentlich gleichen Sachverhalten264. Für das Abgabenrecht ist der Gleichheitssatz insbesondere in seiner Ausprägung der Lastengleichheit relevant, wonach die Belastung der Bürger mit Abgabepflichten unter einem „strengen Gleichheitspostulat“265 steht266. Dieser im Steuerrecht verwurzelte Grundsatz verlangt, dass jeder Steuerbürger nach seiner Leistungsfähigkeit, die sich insbesondere nach den individuellen Einkommensverhältnissen bestimmt, zur Finanzierung der Gemeinlasten herangezogen wird267. Es wird also keine absolute Lastengleichheit gefordert, in dem Sinne, dass sich jeder Staatsbürger in gleicher Höhe an den Gemeinlasten beteiligen muss, sondern vielmehr eine relative Lastengleichheit, die die persönliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen berück264

Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 4 ff. Starck, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 3 Rn. 84. 266 BVerfGE 99, 280, 289 f.; 96, 1, 6; 84, 239, 268 ff.; 75, 108, 158; Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 46; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 80; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 44; Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1992). S. 65, 70 f.; Rolfs, in: NZS 1998, S. 551, 552; Ruland, in: DRV 1995, S. 28, 29 f. 267 BVerfGE 66, 214, 223; 84, 239, 269 ff. 265

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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sichtigt268. Über das Postulat der relativ gleichen Belastung aller Steuerbürger hinaus verlangt der Grundsatz der Lastengleichheit, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben auch tatsächlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen beglichen werden und nicht zur Schonung des Staatshaushaltes auf vom Steuerzahler verschiedene einzelne Personen abgewälzt werden269. Andernfalls würde die gleichheitsstiftende Funktion der Steuerfinanzierung unterlaufen und somit die Lastengleichheit der Steuerbürger in dem Maße, in dem einzelne für Gemeinschaftsaufgaben aufkommen müssen, verletzt. Jenseits der gegenleistungsfreien Steuerverpflichtung dürfen die Bürger deshalb nur dann zu weiteren Abgaben herangezogen werden, wenn für die zusätzliche Belastung ein besonderer Rechtfertigungsgrund ersichtlich ist270. Die unternehmerische Finanzierungsverantwortlichkeit für die Prävention beinhaltet eine Ungleichbehandlung der Unternehmer und der übrigen Steuerzahler, da der Unternehmer über seine Steuerpflicht hinaus noch zu weiteren staatlichen Abgaben, nämlich den Unfallversicherungsbeiträgen, herangezogen wird, während „Nicht-Unternehmer“ nur ihre Steuerverpflichtung erfüllen müssen. Diese Ungleichbehandlung verstößt gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, wenn für die Heranziehung der Unternehmer kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich ist.

II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Unternehmer Der Gleichheitssatz verbietet zwar die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, jedoch folgt daraus nicht, dass der Gesetzgeber unter allen Umständen zur Gleichbehandlung von Gleichem verpflichtet ist, vielmehr kommt ihm grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu271. Zur rechtlichen Überprüfbarkeit dieses Gestaltungsspielraums hat das Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Formeln entwickelt272, von denen lange Zeit die so genannte „Willkürformel“ herrschend war273. Danach darf der Gesetzgeber weder Gleiches willkürlich ungleich, noch Ungleiches willkürlich gleich behandeln274. Der Gleichheitssatz ist demnach erst verletzt, wenn 268

Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 46 f.; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 75. Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 48; Ruland, in: DRV 1995, S. 28, 30. 270 BVerfGE 75, 108, 158. 271 BVerfGE 90, 22, 26; 83, 395, 401; 80, 109, 118; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 51; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 3 Rn. 16; Starck, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG Art. 3 Rn. 10; vgl. auch: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 14 ff. 272 Ausführlich zu den einzelnen Formeln Starck, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 3 Rn. 10 ff. 273 Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 8. 274 BVerfGE 61, 138, 147; 60, 16, 42; 51, 295, 300. 269

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

sich kein sachlicher Grund für die gesetzliche Differenzierung finden lässt275. Im Jahr 1980 hat das Bundesverfassungsgericht die Willkürformel durch die so genannte „Neue Formel“ ergänzt, derzufolge der Gleichheitssatz dann verletzt ist, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“276. Ob ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt, ist demnach nicht mehr eine Frage der Evidenz, sondern muss durch eine Abwägung der entgegenstehenden Verfassungsgüter ermittelt werden. Die Prüfungsintensität variiert je nach Regelungsgegenstand zwischen einer bloßen Willkürkontrolle bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung277. Werden Personen oder Personengruppen ungleich behandelt oder wirkt sich die Differenzierung auf grundrechtlich geschützte Freiheiten negativ aus, ist ein strengerer Prüfungsmaßstab heranzuziehen, knüpft die Ungleichbehandlung dagegen an Sachverhalte an, reicht grundsätzlich eine Evidenzkontrolle aus278. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erscheint die mit der Finanzierungsverantwortlichkeit der Arbeitgeber für die Prävention zusammenhängende Ungleichbehandlung als personenbezogene Differenzierung, da sich die Beitragspflicht nach der Eigenschaft „Unternehmer“ richtet. „Nicht-Unternehmer“ müssen die berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen im Unterschied zu Unternehmern nicht finanzieren. Überdies führt die Finanzierungsverpflichtung auch zu Einschränkungen im Bereich von Freiheitsgrundrechten279. Demnach ist eine strenge Überprüfung der Ungleichbehandlung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen, wobei im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen zwischen eigennützigen und fremdnützigen Beitragsanteilen differenziert werden soll280. Eigennützig sind solche Beitragsanteile, die zu zahlen wären, wenn sich die Beitragskalkulation allein an dem zu versicherten Risiko orientieren würde. Alle Beitragsanteile, die hierüber hinaus gehen, werden im Folgenden als fremdnützige Beitragsanteile bezeichnet.

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BVerfGE 89, 132, 141; 83, 1, 23; 68, 237, 250; 61, 138, 147. BVerfGE 55, 72, 88; 75, 348, 357; 81, 156, 205; 82, 60, 86. 277 BVerfGE 110, 412, 431; 107, 27, 45; 103, 172, 193; 99, 367, 388; 92, 365, 407; 88, 87, 96 f. 278 Ausführlich zu den unterschiedlichen Prüfungsanforderungen Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 17 ff. 279 Ausführlich hierzu unten: 4. Kap. C. 280 Eine ebensolche Beitragsdifferenzierung erfolgt auch bei: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 356 ff. 276

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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1. Rechtfertigung der Finanzierungsverantwortlichkeit für die Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren Die Finanzierung der berufsgenossenschaftlichen Präventionsaufgaben erfolgt aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen. Generell wird die alleinige Heranziehung des Unternehmers zur Finanzierung der Unfallversicherung mit Blick auf die Haftungsfreistellung der §§ 104 ff. SGB VII als gerechtfertigt angesehen, da es sich überwiegend um eigennützige Beitragsanteile handele281. Dabei wird allerdings verkannt, dass entsprechend den Beiträgen der Versicherten in anderen Sozialversicherungszweigen auch in der Unfallversicherung zwischen eigennützigen und fremdnützigen Beitragsanteilen zu differenzieren ist. Schließlich ist die Unfallversicherung ein Zweig der Sozialversicherung, der ein sozialer Ausgleich immanent ist, so dass die Unfallversicherungsbeiträge schon aus diesem Grund keinesfalls ausschließlich eigennützige Beiträge der Unternehmer sein können282. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Unfallversicherung nicht um eine Haftpflichtversicherung zugunsten der Unternehmer handelt, sondern sie vielmehr dem Schutz der Arbeitnehmer und des sozialen Friedens dient, indem sie den Arbeitnehmern im Falle eines Arbeitsunfalls zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen ohne die Beachtung schwieriger Beweisführungserfordernisse verhilft283. Zudem werden die Beiträge nicht allein für die Kompensierung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten verwendet, sondern daneben insbesondere auch für die Unfallverhütung, Erste Hilfe sowie für Verwaltungskosten eingesetzt284. Äquivalenz würde allerdings nur zwischen der Beitragszahlung und der gesetzlichen Haftungsablösung nach §§ 104 ff. SGB VII bestehen, die den Unternehmer von der Haftung für Arbeitsunfälle seiner Arbeitnehmer befreit. Soweit mit den Beiträgen über die Kompensation von Arbeitsunfällen hinausgehend beispielsweise Präventionsmaßnahmen finanziert werden, handelt es sich um eine fremdnützige Verwendung der Beitragsanteile, da sie der Gesundheit der Arbeitnehmer dienen und mithin für den Arbeitgeber kein Äquivalent seiner Beitragszahlung darstellen. Anteile der Arbeitgeberbeiträge, mit denen Präventionsmaßnahmen finanziert werden, sind demnach für die Arbeitgeber nicht eigennütziger, sondern fremdnütziger Natur und bedürfen mithin einer besonderen Rechtfertigung. 281 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 579; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 177, Fn. 117; angedeutet auch von Schnapp, in: SGb 2005, S. 1, 1. 282 Zum sozialen Ausgleich in der Unfallversicherung siehe oben: 4. Kap. A. II. 2. 283 Lepa, Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht, S. 19 ff. 284 Platz, in: Schulin, HdB SozVersR, Bd. 2, UV, § 58 Rn. 10.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

a) Exkurs: Die Rechtfertigung eigennütziger Beitragsanteile Die gleichheitsrechtliche Rechtfertigung von eigennützigen Beitragsanteilen soll hier nur kurz skizziert werden. Schließlich werden diese Beitragsanteile nicht für die vorliegend interessierende Finanzierung der Prävention verwendet, sondern für die Kompensation von Versicherungsfällen. Vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich für die Belastung mit eigennützigen Beitragsanteilen jedoch keine Probleme, da der Beitragszahler in diesem Fall lediglich einen finanziellen Ausgleich für den ihm gewährten Sondervorteil erbringt285. Ähnlich wie bei Beiträgen oder Gebühren wird durch den eigennützigen Beitragsanteil eine staatliche Bevorzugung abgegolten. Insofern wird durch die Beitragsbelastung die staatsbürgerliche Lastengleichheit erst hergestellt, die durch den Sondervorteil der Haftungsfreistellung aufgehoben wäre286. Dementsprechend sind in der Unfallversicherung die Beitragsanteile, die der Kompensation von Versicherungsfällen dienen, im Hinblick auf die sich aus §§ 104 ff. SGB VII ergebende Haftungsfreistellung gerechtfertigt287. b) Rechtfertigung der Finanzierung der Prävention durch fremdnützige Beiträge Von vorrangigem Interesse für die vorliegende Arbeit ist die Frage nach der Rechtfertigung der Belastung der Unternehmer mit der Finanzierung von berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen. aa) Fremdnütziger Beitragsanteil als Lohnbestandteil? Einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung bedürfte es allerdings nicht, wenn sich der gesamte Arbeitgeberbeitrag zur Unfallversicherung, das heißt auch der Beitragsanteil, der der Finanzierung der Prävention dient, als Lohnbestandteil des Arbeitnehmers darstellen würde288. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses stellt sich der vom Arbeitgeber zu 285 Ferdinand Kirchhof, in: SDSRV 35 (1991), S. 65, 71 f.; Wallerath, in: SDSRV 45 (1999), S. 7, 14. 286 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 360. 287 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 579; Plagemann, Gesetzliche Unfallversicherung, Kap. 8 Rn. 1. 288 Diese Ansicht wird vertreten von Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 89; Ruland, in: v. Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 17 Rn. 185; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, S. 153 ff.; ebenso: Joachim Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 154 f., der allerdings keine Differenzierung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil vor-

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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entrichtende Beitrag nämlich nicht als eigene, rechtfertigungsbedürftige Belastung des Unternehmers dar, vielmehr kommt dem Arbeitgeber hiernach lediglich die Funktion einer Zahlstelle für den Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitnehmers zu289. Jedoch berücksichtigt diese Ansicht nicht, dass der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber keinen Anspruch auf Abführung des entsprechenden Beitragsanteils hat. Einziger Gläubiger des Beitrages ist nämlich der Unfallversicherungsträger290, der gem. § 168 Abs. 1 SGB VII den zu zahlenden Beitrag per Bescheid gegenüber dem Arbeitgeber festsetzt. Überdies sprechen auch die Regelungen der Beitragsbemessung gegen eine Qualifizierung des Arbeitgeberanteils als Lohnbestandteil. Gem. § 153 Abs. 1 SGB VII ist Bemessungsgrundlage der Unfallversicherungsbeiträge neben dem Umlagesoll und den Gefahrenklassen das Arbeitsentgelt der Versicherten. Gem. § 14 SGB IV besteht das Arbeitsentgelt aus allen laufenden oder einmaligen Leistungen aus einer Beschäftigung291. In diesem Zusammenhang ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeberanteil nicht hierunter fällt292. Auch die steuerrechtliche Behandlung des Arbeitgeberbeitrags legt es nahe, ihn nicht als Lohnbestandteil zu qualifizieren. Nach überwiegender Ansicht wird der Arbeitgeberanteil als gewinnmindernde Betriebsausgabe des Arbeitgebers im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG behandelt293. Mithin legt es schon der Wortlaut nahe, den Arbeitgeberbeitrag als eine Belastung des Arbeitgebers und nicht des Arbeitnehmers zu verstehen294. Dieser Wertung widerspricht ferner nicht § 3 Nr. 62 EStG, der zukunftssichernde Ausgaben der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer von der Steuerbarkeit befreit, die aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen getätigt werden und der insofern die Annahme nahelegen könnte, dass der Arbeitgeberanteil als Einkunft aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG grundsätzlich besteuerungsfähig sei und nimmt, sondern den gesamten Sozialversicherungsbeitrag als Bestandteil des Arbeitsentgeltes qualifiziert. 289 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 587 f. 290 Anders erfolgt demgegenüber die Beitragszahlung im Rahmen der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil werden gem. § 28d SGB IV als Gesamtsozialversicherungsbeitrag vom Arbeitgeber an die Krankenkassen abgeführt und von dort aus weiterverteilt. 291 § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV. 292 BSG, in: SozR 3-4100, § 94 Nr. 1, S. 6; Merten, in: Krause/v. Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 14 Rn. 19; Schnapp, in: GS Heinze, S. 815, 820; ders., in: SGb 2005, S. 1, 3; Seewald, in: Niesel, KassKomm, SGB IV, § 14 Rn. 63. 293 BFHE 93, 304, 305 f.; Joachim Becker, in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Rn. 1020 ff.; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 589; Schnapp, in: SGb 2005, S. 1, 3. 294 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 589.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

nur durch § 3 Nr. 62 EStG von der Steuerbarkeit ausgenommen werde295. Nach überwiegender Ansicht hat § 3 Nr. 62 EStG jedoch lediglich deklaratorische Wirkung, so dass der vom Arbeitgeber gezahlte Sozialversicherungsbeitrag von vornherein nicht zum besteuerungsfähigen Vermögen des Arbeitnehmers zählt296. Solange der Arbeitgeber allein seine eigenen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen erfüllt, begleicht er mit der Zahlung keine Verpflichtungen des Arbeitnehmers. Erst wenn er über seine gesetzliche Verpflichtung hinaus zukunftssichernde Maßnahmen für seine Arbeitnehmer erbringt, ist die Leistung dem Arbeitnehmer zuzurechnen297. Die Qualifizierung des Arbeitgeberbeitrags als Lohnbestandteil könnte jedoch aus Gründen der Eigentumsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts erforderlich sein. So entschied das Gericht für den Bereich der Krankenund Rentenversicherung, dass sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberanteile unter bestimmten Voraussetzungen den eigentumsrelevanten Eigenleistungen des Arbeitnehmers zuzurechnen seien und somit unter dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG stünden298. Allerdings folgt aus der Einbeziehung der sozialversicherungsrechtlichen Arbeitgeberbeiträge in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht zwangsweise, dass der Beitrag als Lohnbestandteil des Arbeitnehmers zu werten ist. Gegen eine solche Interpretation der Entscheidung spricht insbesondere, dass nach § 210 Abs. 3 SGB VI die Beiträge nur in der Höhe erstattet werden, in der die Versicherten sie selbst getragen haben. Getragen werden die Beiträge in der Rentenversicherung gem. § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts299 bedeutet Beitragstragung für den Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang „die Last [. . .] eines Entgeltabzuges durch den Arbeitgeber als seinen individuellen, allerdings nur indirekten „Beitrag“ zur Finanzierung des Systems hinzunehmen“. Demnach ist die Beitragstragung mit einer finanziellen Einbuße verbunden. Da der Arbeitnehmer jedoch nur hinsichtlich seines eigenen Anteils einen Abzug vom Bruttolohn zu dulden hat, kann auch nur diesbezüglich von einer Beitragstragung durch den Arbeitnehmer gesprochen werden. Folglich kann der Arbeitnehmer nach § 210 Abs. 3 SGB VI nur seinen ei295 So vertreten von Ferdinand Kirchhof, in: NZS 1999, S. 161, 165. Ausführlich zur Auslegung des § 3 Nr. 62 EStG: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 589 ff. 296 BSG, in: NZS 2001, S. 370, 384 unter Berufung auf BFHE 93, 304, 305 f.; v. Beckerath, in: Paul Kirchhof, EStG, § 3 Rn. 180; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 590 f.; Heinicke, in: Schmidt, EStG, § 3, Stichwort „Zukunftssicherungsleistungen“, Buchst. a; Schnapp, in: SGb 2005, S. 1, 3. 297 BFHE 93, 304, 305; v. Beckerath, in: Paul Kirchhof, EStG, § 3 Rn. 180. 298 E 69, 272, 299 ff. 299 E 86, 262, 276.

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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genen Beitragsanteil erstattet bekommen, nicht aber den des Arbeitgebers300. Wäre die These vom Arbeitgeberanteil als Lohnbestandteil zutreffend, wäre ein solches Ergebnis nicht denkbar und § 210 Abs. 3 SGB VI verfassungswidrig, was das Bundesverfassungsgericht allerdings ausdrücklich verneint hat301. Zudem betraf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur die verfassungsrechtliche Zuordnung der Pflichtbeiträge der Arbeitgeber, was nicht impliziert, dass das einfache Recht den Arbeitgeberanteil ebenfalls als Eigenleistung des versicherten Arbeitnehmers zu werten hat302. Demnach verlangt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Qualifizierung des Arbeitgeberanteils als Lohnbestandteil303. Da der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung nach dem voran stehenden nicht als Lohnbestandteil des Arbeitnehmers verstanden werden kann, handelt es sich um eine finanzielle, rechtfertigungsbedürftige Belastung des Arbeitgebers. bb) Solidarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund In anderen Sozialversicherungszweigen wird ein Rechtfertigungsansatz für die umverteilungsbedingte Belastung des Arbeitnehmers mit fremdnützigen Beitragsanteilen in der innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer bestehenden Solidarität gesehen304. Entsprechend dieses Rechtfertigungsansatzes könnte es naheliegen, den Gedanken der Solidarität auch für die Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention nutzbar zu machen. Dies verlangt allerdings, dass zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine solidarische Verbindung besteht. Voraussetzung einer solchen Gruppensolidarität ist eine gewisse Homogenität der zur Solidarität verpflichteten Gruppe305. Dabei genügt nicht schon, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen von dem Risiko des Arbeitsunfalls betroffen sind306, da eine solche „Risiko-Homogenität“ noch keine Solidarität zwischen den Gruppenmitgliedern begründet. Sie wäre auch in keiner Weise 300

Schnapp, in: GS Heinze, S. 815, 820 f.; ders., in: SGb 2005, S. 1, 2, 6. BVerfG, in: SozR 2200, § 1303, Nr. 34. 302 BSGE 86, 262, 288. 303 BSGE 86, 262, 288; Schnapp, in: GS Heinze, S. 815, 821. 304 Ausführlich zum Solidarprinzip bezogen auf die Versichertengemeinschaft: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 363 ff.; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 17 ff. 305 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 63. 306 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 594; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 91; Ruland, in: ders., HdB der Rentenversicherung, Kap. 19 Rn. 66. 301

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

dazu geeignet, den Kreis der in die Sozialversicherung einzubeziehenden Personen sinnvoll von der Allgemeinheit abzugrenzen307. Voraussetzung für Gruppensolidarität als mögliche Rechtfertigung für die Heranziehung zu fremdnützigen Beiträgen ist vielmehr eine „soziologisch-ökonomische Zusammengehörigkeit innerhalb der Gruppe“308, die insbesondere in einem „berufsständisch fest umrissenen Personenkreis“ gegeben ist309. Eine solche soziologische Zusammengehörigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern existiert allerdings nicht, da beide Gruppen grundsätzlich konträre Interessen verfolgen und sich als soziale Gegenspieler gegenüberstehen310. Insofern kann der Gedanke der Solidarität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht zur Rechtfertigung der mit der Finanzierungsverpflichtung des Arbeitgebers für die Prävention verbundenen Ungleichbehandlung herangezogen werden. cc) Besondere Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund Die finanzielle Heranziehung der Arbeitgeber für Maßnahmen, die nicht ihrem eigenen Schutz dienen, sondern den Arbeitnehmern, also Dritten, zugute kommen, bedarf einer besonderen Legitimation. Das Bundesverfassungsgericht sieht eine Rechtfertigung für die Belastung der Arbeitgeber mit fremdnützigen Sozialversicherungsbeiträgen zugunsten ihrer Arbeitnehmer in der „spezifischen Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehung zwischen Zahlungsverpflichteten und Versicherten“311. Dass eine Solidaritätsbeziehung zwischen beiden Gruppen mangels Homogenität nicht vorliegt, wurde oben festgestellt. Allerdings könnte sich ein Rechtfertigungsgrund für die Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention unter dem Blickwinkel der „Verantwortlichkeitsbeziehung“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben. Schließlich ist das Arbeitsverhältnis ein oftmals auf lange Dauer angelegtes Rechtsverhältnis, das in besonderem Maße auf Vertrauen und Gegenseitigkeit der Vertragsparteien beruht und durch eine spezifische Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber geprägt ist312, die nicht nur seine wirtschaftlichen Verhält307

Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 91 f. Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 91; ebenso Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 595, der eine „soziologische Zusammengehörigkeit der Gruppenmitglieder“ fordert. 309 BVerfGE 25, 314, 321. 310 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 594 f.; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 91. 311 E 75, 108, 158. 312 Kort, in: NZS 1996, S. 854, 854. 308

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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nisse betrifft. Vielmehr stehen auch sonstige Rechtsgüter des Arbeitnehmers wie insbesondere seine Gesundheit zur Exposition des Arbeitgebers, da er täglich den am Arbeitsplatz herrschenden Bedingungen ausgesetzt ist313. Die Existenz einer gewissen Verantwortlichkeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird demnach wohl schwerlich zu verneinen sein. Ob sie allerdings ausreichende Legitimationsbasis für die finanzielle Belastung des Arbeitgebers im Rahmen der Prävention sein kann, muss noch geprüft werden. Zur Konkretisierung der Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird oftmals auf den Gedanken der arbeitgeberischen Fürsorgepflicht zurückgegriffen314. Da es sich bei der Fürsorgepflicht um einen genuin arbeitsrechtlichen Begriff handelt, ist es, soweit er auch für die Rechtfertigung der Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention herangezogen werden soll, unerlässlich, das arbeitsrechtliche Verständnis der Fürsorgepflicht zu berücksichtigen315. Nach überwiegender Ansicht wird die Rechtsgrundlage der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis selbst gesehen316. Sie wird damit als nebenvertragliche Schutz- und Förderungspflicht verstanden und ist mithin Korrelat der Treuepflicht des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber zu einem betriebsförderlichen Gesamtverhalten, insbesondere zur Wahrung seiner berechtigten Interessen verpflichtet317. Ebenso ist der Arbeitgeber dazu ver313 Zu den einzelnen Merkmalen des Arbeitsverhältnisses siehe: Zöllner/Loritz/ Hergenröder, ArbR, S. 131 ff. 314 Die Fürsorgepflicht als Legitimationsgrundlage für den fremdnützigen Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitgebers ziehen heran: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 596 ff.; Isensee, in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 487; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 459; Krause, in: VSSR 8 (1980), S. 115, 131 f.; Leisner, Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen, S. 104 ff.; Picot, in: RdA 1979, S. 16, 21; Wegmann, Transferverfassungsrechtliche Probleme der Sozialversicherung, S. 230 ff.; hinsichtlich der Legitimationsweite der Fürsorgepflicht siehe: Arndt, in: DRV 1987, S. 282, 286 f.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherungsträger, S. 58 ff.; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 178 ff.; Henseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 138 ff. 315 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 598; Leisner, Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen, S. 108. 316 Blomeyer, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 94 Rn. 12 ff.; Koch, in: Schaub, ArbR HdB, § 107 Rn. 1; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, S. 391 Fn. 6. Teilweise wird die dogmatische Grundlage der Fürsorgepflicht auch im Sozialstaatsprinzip, dem allgemeinen Schutzcharakter des Arbeitsrechts, im Grundsatz von Treu und Glauben oder im Arbeitsverhältnis als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis gesehen, vgl. zu den unterschiedlichen Ansichten: Blomeyer, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 94 Rn. 4 ff. 317 Zur Treuepflicht des Arbeitnehmers: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, S. 241 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 159.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

pflichtet, die Interessen des Arbeitnehmers zu wahren und zu fördern, sowie ihn vor Nachteilen zu beschützen. Für die genaue inhaltliche Ausgestaltung der Fürsorgepflicht ist die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber maßgeblich318. Die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers ergibt sich daraus, dass er sich infolge der Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation der Weisungsmacht des Arbeitgebers unterwirft319. So kann der Arbeitgeber im Rahmen der arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Vorgaben Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit bestimmen. Zu der persönlichen Abhängigkeit tritt regelmäßig eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers hinzu, die daraus resultiert, dass die Erwerbstätigkeit die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers ist320 und er in dem Umfang, in dem er seine Arbeitskraft in den Dienst des Arbeitgebers stellt, sie nicht für andere erwerbswirtschaftliche Zwecke nutzen kann. Der Arbeitnehmer opfert seine Arbeitskraft für die wirtschaftlichen Zwecke des Arbeitgebers und setzt sich durch die Eingliederung in dessen Arbeitsorganisation den betrieblichen Gefahren aus. Gleichzeitig hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, das sich aus dem Einsatz der Arbeitskraft ergebende Produkt, den wirtschaftlichen Mehrwert, für seine unternehmerischen Zwecke zu nutzen und erntet damit die „Früchte“ der Arbeit des Arbeitnehmers321. Aufgrund dieser besonderen Abhängigkeitsbeziehung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ist es gerechtfertigt, den Arbeitgeber zum Schutz derjenigen Arbeitnehmerinteressen zu verpflichten, „die infolge der Einordnung des Arbeitnehmers in seinen Betrieb und seine Belegschaft einer besonderen Gefährdung unterliegen“322. Allerdings begründet eine so verstandene Fürsorgepflicht keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Errichtung einer umfassenden Gesundheitsvorsorge für den Arbeitnehmer, vielmehr beschränkt sich diese Verpflichtung schon aufgrund ihres arbeitsvertraglichen Ursprungs ausschließlich auf die aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Gefährdungen323. Insofern 318

Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 600; Blomeyer, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 94 Rn. 14 f., der als Kernbereich der Fürsorgepflicht „den Schutz der Arbeitnehmerinteressen [sieht], die infolge der Einordnung des Arbeitnehmers in den Betrieb und die Belegschaft einer besonderen Gefährdung unterliegen“ und sodann insbesondere den Schutz der körperlichen Integrität, der Vermögesinteressen und der Persönlichkeit aufzählt. 319 Hromadka/Maschmann, ArbR Bd. 1, § 1 Rn. 27 ff.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 47 f. 320 Schaub, in: ders., ArbR HdB, § 2 Rn. 5; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 49 f. 321 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 601; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 59 f. 322 Blomeyer, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 94 Rn. 14. 323 Blomeyer, in: Richardi, MüArbR, Bd. I, § 94 Rn. 1.

B. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes

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kann dem Arbeitgeber keine generelle Finanzierungsverantwortlichkeit für eine umfassende, alle Lebensbereiche betreffende Gesundheitsvorsorge der Arbeitnehmer überbürdet werden324. Beschränkt auf die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Gefahren kann die besondere Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedoch als Legitimation für die Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention, mithin für die Belastung mit fremdnützigen Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werden. Schließlich ermöglicht erst der mit betrieblichen Gefahren verbundene Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers die Verfolgung von unternehmerischen Zwecken. Zudem dient eine wirksame Prävention auch mittelbar den Interessen des Arbeitgebers, da Arbeitsunfälle zu empfindlichen Störungen des Betriebsablaufes und des Betriebsklimas führen können. 2. Gleichheitsrechtliche Bewertung der Finanzierung einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge Anders stellt sich die gleichheitsrechtliche Bewertung allerdings dann dar, wenn die Beiträge nicht zur Finanzierung der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verwendet werden, sondern zum Zwecke einer gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsprävention. Eine solche Beitragsverwendung ist beispielsweise im Bereich der Verkehrssicherheitskampagnen zu beobachten, wo öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie Autobahnplakatierungen gewählt werden, um auf die Gefahren für Leib und Leben durch den Straßenverkehr aufmerksam zu machen. Der Wirkungskreis solcher Verkehrssicherheitskampagnen beschränkt sich nicht auf die Verhütung von Versicherungsfällen, sondern dient vielmehr der Sicherheit des gesamten Straßenverkehrs und verfolgt damit einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Eine ähnliche Beitragsverwendung lässt sich in Teilen auch im Rahmen der Präventionskampagne „Haut“ beobachten, wenn dort beispielsweise eine Aufklärung vor den Gefahren des Solariums betrieben werden. Im Hinblick auf den gesamtgesellschaftlichen Ansatz kann die sich aus der Kampagnenfinanzierung ergebende Beitragsbelastung der Arbeitgeber nicht durch die besondere Verantwortungsbeziehung der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer gerechtfertigt werden. Verantwortung hat der Arbeitgeber für die Rechtsgüter des Arbeitnehmers nur im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, da der Arbeitnehmer nur in diesem Bereich seine Rechtsgüter dem Einflussbereich des Arbeitgebers aussetzt. Zur Legitimation der finanziellen Heranziehung des Arbeitgebers für eine gesamtgesellschaftliche Gesund324 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 602; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 93 f. Siehe ferner auch: Friauf, in: DB 1991, S. 1773, 1779.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

heitsvorsorge kann der Fürsorgegedanke nicht herangezogen werden. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum der Arbeitgeber mit seinen Unfallversicherungsbeiträgen allgemeine gesundheitliche Präventionsmaßnahmen finanzieren sollte. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang das Prinzip des Steuerstaates zu berücksichtigen, nach dem gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus Steuermitteln finanziert werden müssen325. Die Gesunderhaltung der Bevölkerung liegt im Interesse aller Staatsbürger und stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Die Finanzierungsverantwortung für die Erfüllung der Aufgabe kann demnach nicht bei einem von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreis liegen, sondern ist vielmehr der gesamten Bevölkerung zuzuschreiben326, so dass eine Steuerfinanzierung angezeigt ist. Das Prinzip des Steuerstaates steht damit einer Finanzierungsverantwortlichkeit der Arbeitgeber für eine umfassende, von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren losgelösten Gesundheitsvorsorge entgegen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz dem Staat mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Art. 87 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 2 einen Sicherstellungsauftrag zur Versorgung der Bevölkerung durch ein funktionsfähiges Gesundheitswesen zuweist327. Ungeachtet der Tatsache, dass sich aus diesem Auftrag nicht ergibt, mit welchen Mitteln der Staat die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherstellen soll und die grundgesetzlichen Bestimmungen insbesondere einer Privatisierung des Gesundheitswesens nicht entgegenstehen328, können nicht einzelne Private ohne rechtfertigenden Grund zur Finanzierung einer allgemeinen Gesundheitsprävention verpflichtet werden329. Andernfalls begeht der Staat einen vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit. Ebenso wie im Rahmen der kompetenzrechtlichen Prüfung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG muss also auch bei der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung der unternehmerischen Finanzierungsverantwortung zwischen Präventionsmaßnahmen mit Bezug zum Arbeitsverhältnis und solchen mit einem eher gesamtgesellschaftlichen Ansatz differenziert werden. Zur Abgrenzung sei auf die oben entwickelten Kriterien verwiesen330. 325 Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 54; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/ Starck, GG, Art. 105 Rn. 2; Ferdinand Kirchhof, in: Die Verwaltung 21 (1988), S. 137, 148. 326 Siehe hierzu auch Ferdinand Kirchhof, in: Die Verwaltung 21 (1988), S. 137, 152, der verlangt, dass Angelegenheiten der Allgemeinheit finanziell von allen getragen werden sollen. 327 Axer, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, § 95 Rn. 45. 328 Axer, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, § 95 Rn. 45. 329 So zum Präventionsgesetz: Bunge, in: G+G 2/2006, S. 48; Eberle, in: G+G 11/2007, S. 38, 41; Lambertin, in: SozSich 2008, S. 45, 49 f.; Wanek, in: Die KrV 2008, S. 48, 50; Christian Weber, in: GPK 12/2007, S. 8, 9. 330 Siehe hierzu: Kap. 4 A. II. 4. c) bb).

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten

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Mithin ist eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung nur möglich, wenn die Beiträge für die Finanzierung solcher Präventionsmaßnahmen verwendet werden, die der Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren dienen, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen.

III. Zwischenergebnis Grundsätzlich ist die aus der Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention folgende Ungleichbehandlung gerechtfertigt, da den Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für seine Arbeitnehmer trifft und er ihr Leben und ihre Gesundheit schützen muss. Dies gilt umso mehr als der Arbeitnehmer mit seiner Arbeitskraft die wirtschaftlichen Zwecke des Arbeitgebers fördert und er seine Rechtsgüter Leben und Gesundheit den im Betrieb herrschenden arbeitsbedingten Gefährdungen aussetzt, die dem Einfluss des Unternehmers unterliegen. Die Finanzierung von Präventionsmaßnahmen, die sich auf die Verhütung von aus dem betrieblichen Verhältnis resultierende Gefahren beziehen, kann deshalb dem Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG auferlegt werden. Anders ist aber im Hinblick auf die Finanzierung einer allgemeinen gesundheitlichen Prävention zu entscheiden. Hier hat der Arbeitgeber keine besondere Verantwortungsstellung. Vielmehr steht die Finanzierung allgemeingesundheitlicher Präventionsmaßnahmen, die sich an die gesamte Bevölkerung richten, im Widerspruch zum Grundsatz der Belastungsgleichheit und sind demnach nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Da eine gesamtgesellschaftliche Gesundheitsförderung eben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, muss auch die Finanzierung einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz verfolgen und die gesamte Bevölkerung mit einbinden. Insofern muss hier eine Steuerfinanzierung erfolgen.

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten Neben gleichheitsrechtlichen Problemen ergeben sich aus der Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention auch freiheitsrechtliche Fragestellungen. So kann in der Abgabeverpflichtung eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Grundrechte der Art. 12 GG und Art. 14 GG zu sehen sein, zumindest aber begründen sie einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

I. Vermögensschutz durch Art. 14 GG Inwieweit die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG durch die präventionsbedingte Finanzierungsverpflichtung der Arbeitgeber beeinträchtigt wird, hängt maßgeblich von der Beantwortung der Frage ab, ob Art. 14 GG den Bürger auch vor hoheitlichen Abgabeverpflichtungen schützt. Das Bundesverfassungsgericht verneint diese Frage seit 1954 immer wieder indem es den Standpunkt vertritt, dass das Vermögen als solches nicht unter den Schutz des Art. 14 GG falle331. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die staatliche Abgabenbelastung ein solches Ausmaß annehme, dass sie die Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtige und eine erdrosselnde, konfiskatorische Wirkung entfalte332, mithin, wenn das Rechtsinstitut des Eigentums nicht mehr gesichert sei333. Als Begründung wird angeführt, dass die Eigentumsgarantie ein normgeprägtes Grundrecht sei, dessen Schutz nur soweit reiche, wie die Rechtsordnung die Eigentumspositionen ausgestalte334. Da die Rechtsordnung das Vermögen als solches jedoch nicht als Recht anerkenne, könne es auch nicht unter den Schutzbereich des Art. 14 GG fallen335. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des so genannten Einheitswertbeschlusses336 die Eigentumsgarantie in einem gewissen Umfang auch für den Vermögensschutz geöffnet, indem es zum einen entschied, dass mit Art. 14 GG eine Besteuerung nicht vereinbar sei, die den Vermögensstamm berühre. Vielmehr müsse die Steuerverpflichtung aus dem Vermögensertrag bezahlbar sein337. Darüber hinaus ist der Entscheidung die Aussage zu entnehmen, dass dem steuerzahlenden Bürger ein privater Eigennutz am Vermögensertrag bleiben müsse, der sich an einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand zu orientieren habe, da der Eigentumsschutz zugleich dem privaten Nutzen sowie dem Allgemeinwohl diene338. Das Gericht spricht sich mithin implizit für einen Einbezug des Vermögens in den Schutzbereich des Art. 14 GG aus. In einer weiteren Entscheidung, die die Belastung mit Einkommens- und Gewerbesteuer betraf, hat das 331 BVerfGE 4, 7, 17; 8, 274, 330; 10, 89, 116; 10, 354, 371; 11, 105, 126; 30, 250, 271 f.; 65, 196, 209; 74, 129, 148; 75, 108, 154; 95, 267, 300. 332 BVerfGE 14, 221, 241; 19, 119, 129; 30, 250, 272; 68, 287, 310 f.; 78, 232, 243; 82, 159, 190; 95, 267, 301; 105, 17, 32; 108, 186, 233. 333 Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 56. 334 BVerfGE 37, 132, 141; 24, 367, 396. 335 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 165; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 160; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 56. 336 BVerfGE 93, 121 ff.; siehe hierzu auch: Bull, in: NJW 1996, S. 281 ff.; Flick/ Schauhoff, in: ZRP 1996, S. 101 ff. 337 BVerfGE 93, 121, 137. 338 BVerfGE 93, 121, 138 f.

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten

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Bundesverfassungsgericht entschieden, dass jedenfalls eine solche Steuerpflicht, die „tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt“, in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie eingreift339. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist es also grundsätzlich möglich, Abgabeverpflichtungen auch jenseits einer „konfiskatorischen Wirkung“ an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen. Auch im Schrifttum wird die Frage nach dem Einbezug des Vermögensschutzes in die Eigentumsgarantie kontrovers diskutiert. Jedoch wird seit längerem vermehrt auf das grundrechtsgefährdende Potential einer immer weiter anwachsenden Steuer- und Abgabenbelastung hingewiesen340 und durch unterschiedliche Begründungsansätze der Eigentumsschutz zumindest in einem gewissen Umfang auf das Vermögen ausgedehnt. So wird nach einer Ansicht das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum nicht als Rechtsgut definiert, das vor Abgabeverpflichtungen abzusichern sei; vielmehr umfasse „Eigentum“ im Sinne des Art. 14 GG „den Handlungsspielraum, der dem Eigentümer bei seinem ökonomischen Verhalten zur Verfügung“ stehe341. Dieser Handlungsspielraum dürfe nicht durch eine Besteuerung derartig verkürzt werden, dass jegliche Privatnützigkeit des Eigentums verhindert werde342. Nach einer anderen Ansicht erfasse der Schutzbereich des Art. 14 GG das Vermögen, wenn die Abgabeverpflichtung an die Innehabung und Nutzung von Eigentum anknüpften und somit den in Art. 14 GG verbürgten Eigentumsbestand und die Privatnützigkeit betreffen343. Allerdings stelle nicht jede Abgabepflicht eine grundrechtlich relevante Vermögensverletzung dar. Vielmehr werde der Eigentumsbestand erst dann verletzt, wenn die Abgabepflicht nicht mehr aus dem Vermögensertrag, sondern aus dem Vermögensstamm beglichen werden müsse. Die Art. 14 GG innewohnende Nutzungsgarantie sei verletzt, wenn die Abgabenbelastung dem Eigentum seine Privatnützigkeit nehme. Nach beiden Konzeptionen erfasst der Schutzbereich des Art. 14 GG folglich grundsätzlich auch Vermögensbeeinträchtigungen, jedoch greift der Vermögensschutz erst ab Überschreiten einer bestimmten Belastungsgrenze ein. Einen darüber hinausgehenden Vermögensschutz befürwortend, wird teilweise im Schrifttum vertreten, dass jede Abgabenverpflichtung, insbesondere auch die Sozialversicherungsbeiträge, in den Schutzbereich des Art. 14 GG eingreifen und demnach recht339

BVerfGE 115, 97, 111. In diesem Sinne siehe: Depenheuer, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 164; Dietlein, in: Stern, StaatsR IV/1, § 113 III. 3. d. e. 341 Paul Kirchhof, in: VVDStRL 39 (1981), S. 213, 235 f. 342 Paul Kirchhof, in: VVDStRL 39 (1981), S. 213, 272. 343 Papier, in: DVBl. 1980, S. 787, 791; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 170 ff.; ähnlich auch schon Schenke, in: FS Armbruster, S. 177, 190 ff. 340

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

fertigungsbedürftig seien344. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass nicht einzusehen sei, warum das Sacheigentum einen größeren Schutz als das Vermögen als solches erfahren soll345. Ferner sei nicht einleuchtend, warum das Bundesverfassungsgericht das Vermögen erst ab einem bestimmten Belastungsumfang durch die Eigentumsgarantie als geschützt ansehe346. Ob die Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention an Art. 14 GG zu messen ist, hängt demnach davon ab, ob mit der letztgenannten Ansicht ein umfassender Vermögensschutz durch die Eigentumsgarantie proklamiert wird. Eine Entscheidung kann für die vorliegende Untersuchung allerdings dahinstehen, da die Finanzierungsverantwortlichkeit der Unternehmer zumindest an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist, in dessen Rahmen die Wertungen des Art. 14 GG ebenfalls zu berücksichtigen sind347.

II. Berufsregelnde Tendenz der Abgabepflicht In der Finanzierungsverpflichtung der Arbeitgeber für die Prävention könnte zudem eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu sehen sein. Allerdings liegt nach überwiegender Ansicht eine vor Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftige Maßnahme erst dann vor, wenn dem staatlichen Handeln eine objektiv berufsregelnde Tendenz innewohnt348. Grundrechtsrelevant ist mithin nicht jede lediglich mittelbar wirkende Beeinträchtigung der Berufsausübung oder Berufswahl, vielmehr wird verlangt, dass die Abgabenpflicht in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht349. Ein solcher enger Zusammenhang zwischen Abgabeverpflichtung und beruflicher Tätigkeit wird hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge überwiegend mit der Begründung verneint, dass die Abgaben nach ihrer Zielsetzung keine spezifische Regelung der Unternehmenstätigkeit beinhalten, sondern lediglich der Aufbringung der finanziellen Mittel der Sozialversicherung dienten350. Teilweise wird die feh344

Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 347. Musa, in: BB 1964, S. 1125, 1128. 346 Dietlein, in: Stern, StaatsR Bd. IV/1, § 113 III. 3. g. d. 347 Hierzu: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 80, 99. 348 BVerfGE 75, 108, 153 f.; 97, 228, 254; 98, 218, 258; 110, 274, 288; 111, 191, 213; Bieback, in: FS 50 Jahre BSG, S. 117, 131; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 12; Tettinger/Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 73; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 85. 349 BVerfGE 55, 7, 25 f.; 70, 191, 214; 81, 108, 121 f.; Maschmann, in: SGb 1991, S. 300, 304 f.; Tettinger/Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 73; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 85. 350 BVerfGE 75, 108, 153 f.; Bieback, in: FS 50 Jahre BSG, S. 117, 131; Maschmann, in: SGb 1991, S. 300, 304 f.; ebenfalls grundsätzlich eine berufsregelnde 345

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten

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lende berufsregelnde Tendenz auch mit der geringen Höhe des einzelnen Sozialversicherungsbeitrages begründet351. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien stellt sich die Finanzierungsverpflichtung des Arbeitgebers nicht als eigentumsrelevante Maßnahme dar. Als Teil des Unfallversicherungsbeitrages knüpft die Abgabe lediglich formal an die berufliche Tätigkeit an und dient der Mittelbeschaffung für die Durchführung der Prävention. Bei einem im Vergleich zu den übrigen Sozialversicherungszweigen ohnehin schon niedrigen Unfallversicherungsbeitrag ist die Höhe des Anteils vom Unfallversicherungsbeitrag, der für die Finanzierung der Prävention verwendet wird, gering, so dass auch die niedrige finanzielle Belastung dafür spricht, der Abgabe keine objektiv berufsregelnde Tendenz zuzusprechen. Demgegenüber will eine Ansicht im Schrifttum auf die Kriterien der objektiv berufsregelnden Tendenz und des engen Zusammenhangs zwischen Abgabe und beruflicher Tätigkeit verzichten und damit jede Maßnahme, die sich – sei es auch nur mittelbar faktisch – auf die Berufsfreiheit auswirkt, an Art. 12 GG messen352. Zur Begründung wird angeführt, dass es keinen ersichtlichen Grund gebe, von der allgemeinen Eingriffsdogmatik abzuweichen, schließlich schützten die Grundrechte nicht nur vor gezielten Maßnahmen, sondern vor allen hoheitlichen Eingriffen353. Ob ein im Hinblick auf Art. 12 GG rechtfertigungsbedürftiger hoheitlicher Eingriff vorliege, müsse sich nach der „materiellen Betroffenheit des Grundrechtsträgers“354 bestimmen. Ferner habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine tragfähigen Abgrenzungskriterien für das Vorliegen oder Fehlen einer berufsregelnden Tendenz entwickelt und sei demnach undogmatisch und „verworren“355. Folgt man diesem weiten Verständnis, stellt die Finanzierungspflicht des Arbeitgebers für die Prävention einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, weil sie an die Stellung als Arbeitgeber und damit an die Berufstätigkeit anknüpft356. Tendenz von Abgabeverpflichtungen verneinend: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 13; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 85. 351 BVerfGE 75, 108, 154; kritisch zur Geringfügigkeitsgrenze als Voraussetzung für die Annahme eines Grundrechtseingriffs vgl.: Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 163; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 78 IV. 1. a. 352 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 347 ff.; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 74 ff.; zustimmend: Dietlein, in: Stern, StaatsR Bd. IV/1, § 111 IV. 2. Siehe ferner auch die Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei: Cremer, in: DÖV 2003, S. 921, 928. 353 Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 350; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 74. 354 Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 74. 355 Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 74. 356 So Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 351, in Bezug auf alle Sozialversicherungsbeiträge.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

III. Unternehmerische Betätigungsfreiheit Eine Entscheidung, ob die Finanzierungsverantwortlichkeit in den Schutzbereich der Eigentums- und der Berufsfreiheit eingreift, würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung bei weitem überschreiten. Sie kann allerdings auch dahinstehen, da die Abgabenbelastung der Arbeitgeber zumindest einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit begründet357. Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt jedes menschliche Verhalten358. Der Schutzbereich umfasst mithin auch die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet359, die in ihrer Ausprägung der Unternehmerfreiheit das Recht des Unternehmers beinhaltet, über den Einsatz von Betriebs- und Investitionsmitteln frei zu entscheiden360. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berührt eine Abgabe im wirtschaftlichen Bereich zwar die Unternehmerfreiheit, sie ist aber zulässig, wenn dem Betroffenen ein angemessener Spielraum verbleibt, in dem er sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich frei entfalten kann361. Dies ist zu bejahen, wenn und soweit die Abgabenbelastung verhältnismäßig ist362. Ob die Finanzierungsverpflichtung der Arbeitgeber für die Prävention in freiheitsrechtlicher Hinsicht mit der Verfassung vereinbar ist, ist demnach aufgrund einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln. Dabei ist auch hier ebenso wie im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung zwischen Abgaben, die für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verwendet werden, und solchen zu unterscheiden, die die Unfallversicherungsträger für eine allgemeine, die gesamte Bevölkerung betreffende Gesundheitsvorsorge einsetzen363. Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Schutzbereich von Art. 14 GG und Art. 12 GG oder nur der der allgemeinen Handlungsfreiheit als eröffnet angesehen wird, da die Wertungen, die sich aus speziellen Grundrechten ergeben, auch im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG Berücksichtigung finden müssen. Dies gilt selbst dann, wenn der Schutzbereich der speziellen Grundrechte nicht eröffnet 357

Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 93. St. Rspr. seit BVerfGE 6, 32, 36; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 12; Dreier, in: ders., GG, Art. 2 Rn. 27; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 2; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 41 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 8 ff. 359 BVerfGE 75, 108, 154; Dreier, in: ders., GG, Art. 2 Rn. 38; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 4a; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 54. 360 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 126. 361 BVerfGE 12, 341, 347 f.; 75, 108, 154 f.; 78, 232, 245. 362 BVerfGE 48, 102, 115 f.; 75, 108, 155; 91, 207, 221. 363 Vgl. zu dieser Differenzierung schon 4. Kap. A. II. 4. c) bb). 358

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten

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ist364. Maßstäbe, die für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Eigentums- und Berufsfreiheit gelten, sind demnach auch im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als wirtschaftliche Betätigungsfreiheit zu berücksichtigen. Außerdem stellt die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 14 GG angewendete Schwere- und Sonderopfertheorie365 lediglich eine Ausprägung des Übermaßverbots und damit des ebenfalls bei Art. 2 Abs. 1 GG zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Gleiches gilt für die so genannte „Drei-Stufentheorie“ des Art. 12 GG366.

IV. Verhältnismäßigkeit der unternehmerischen Finanzierungsverantwortlichkeit 1. Prävention von betrieblich verursachten Gefahren Zweck der unternehmerischen Abgabenverpflichtung ist die Aufbringung der Mittel, die zur Finanzierung der berufsgenossenschaftlichen Prävention nötig sind. Ein solches Ziel ist nicht willkürlich, sondern dient vielmehr vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls, da ausreichende finanzielle Mittel die Basis für eine effektive Präventionsarbeit und damit für die Verringerung von Arbeitsunfällen sind. Auch die Geeignetheit der Abgabeverpflichtung zur Erreichung dieses Ziels steht nicht in Frage. Damit die Abgabeverpflichtung zur Zielerreichung darüber hinaus auch erforderlich ist, darf es kein milderes, für die Zielerreichung gleich geeignetes Mittel geben. Anstelle einer alleinigen Finanzierung der Prävention durch die Unternehmer wäre eine Steuerfinanzierung denkbar, also eine Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die Aufgabe der Unfallverhütung. Nach dem Prinzip des Steuerstaates müssen ohnehin grundsätzlich alle staatlichen Aufgaben durch Steuermittel finanziert werden367. Eine von der Allgemein364

Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 80, 99. Zur Sonderopfer- und Schweretheorie siehe: Dietlein, in: Stern, StaatsR IV/1, § 113 IV. 1. b. 366 Zum Inhalt der 3-Stufenlehre siehe: Dietlein, in: Stern, StaatsR IV/1, § 111 V. 4. Eine Übersicht über die geäußerte Kritik an der 3-Stufen-Theorie geben: Tettinger/Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 123 ff.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 112 ff. 367 BVerfGE 78, 249, 266 f.; 82, 159, 178; 92, 91, 113; 93, 319, 342; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 267; Isensee, in: FS Ipsen, S. 409, 409 f.; ders., in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435, 437; ders., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 74; Jachmann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 105 Rn. 2; Paul Kirchhof, in: VVDStRL 39 (1981), S. 213, 215; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 105 Rn. 2; Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a Rn. 69 ff.; Klaus Vogel, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 30 Rn. 69 f.; Waldhoff, in: Isenee/Kirchhof, HStR V, § 116 Rn. 5. 365

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

heit verschiedene Personengruppe kann nur dann mit der Finanzierung einer staatlichen Aufgabe belastet werden, wenn sie zu dieser Aufgabe in einer besonderen Verantwortungsbeziehung steht368. Die Arbeitnehmer stellen ihre Arbeitskraft in den Dienst des wirtschaftlichen Zwecks des Arbeitgebers, der damit den Nutzen aus der fremden Arbeit ziehen kann. Er ist für die Dauer seiner Arbeitszeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstellt und in diesem Rahmen den betrieblichen Gefahren ausgesetzt. Aufgrund seiner Leitungsmacht kann der Arbeitgeber die sich aus den verschiedenen Arbeitsabläufen ergebenden betrieblichen Gefahren besser als der einzelne Arbeitnehmer kontrollieren und hat somit erheblichen Einfluss auf die betriebliche Sicherheit. Angesichts der „strukturellen Überlegenheit“ des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern, besteht entsprechend dem Gedanken der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht eine besondere Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Gesundheit seiner Arbeitnehmer369, so dass die alleinige Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers mit dem Prinzip des Steuerstaates vereinbar ist. Würde die Prävention von Arbeitsunfällen demgegenüber allein durch Steuermittel finanziert, würde dies zu einer Senkung der Unternehmerbeiträge führen. Mithin würde die finanzielle Verantwortung gerade demjenigen abgenommen, der die arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren für die Arbeitnehmer verursacht. Da auf diese Weise die finanziellen Auswirkungen der verursachten Gefahrenquellen für die Unternehmer geringer werden, bestünde insofern die Gefahr, dass sie die gesundheitlichen Belange der Arbeitnehmer vernachlässigen und allein ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgen könnten und somit ein Absinken des Präventionsniveaus bewirken. Eine Steuerfinanzierung der Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ist demnach kein ebenso wie die Beitragsfinanzierung geeignetes Mittel, so dass eine alleinige Finanzierung der berufsgenossenschaftlichen Prävention durch die Unternehmer notwendig ist. Die finanzielle Belastung der Arbeitgeber mit den Präventionskosten ist unter Abwägung der widerstreitenden Interessen auch angemessen. Der Unternehmer ist Verursacher der arbeitsbedingten Gefahrenquellen für die Arbeitnehmer, da er im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die Einrichtung des Betriebsgeländes, die Auswahl der Arbeitsmittel sowie die Ausgestaltung der Arbeitsorganisation festlegt. Gleichzeitig zieht er den wirtschaftlichen Nutzen aus der Gefährdung. Insofern kann zur Begründung der Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers angeführt werden, dass sie zu einer gerechteren Verteilung der mit dem unternehmerischen Zweck verbundenen 368 Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45, 50; Hendler, in: AöR 115 (1990), S. 577, 597; zum Rechtfertigungserfordernis nicht-steuerlicher Abgaben siehe auch Isensee, in: Zacher, Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 482 ff. 369 Zur besonderen Verantwortung des Unternehmers für die Sicherheit seiner Arbeitnehmer siehe auch schon oben: 4. Kap. B. II. 1. b) cc).

C. Vereinbarkeit der Beitragsfinanzierung mit Freiheitsgrundrechten

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Belastungen führt, da sie denjenigen trifft, der finanziell von der Gefährdung profitiert. Dies gilt umso mehr, als das Gefährdungspotential für die Arbeitnehmer vorrangig davon abhängig ist, welchen wirtschaftlichen Zweck der Unternehmer verfolgt: Handelt es sich beispielsweise um ein Unternehmen des Baugewerbes, sind die arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, denen die Arbeitnehmer ausgesetzt sind, erheblich viel größer als in Unternehmen mit überwiegender Bürotätigkeit. Das Gefährdungsrisiko wird demnach vom unternehmerischen Zweck bestimmt und unterliegt auch aus diesem Grund in erheblichem Umfang dem Einfluss des Arbeitgebers. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Unfallversicherungsbeitrag im Vergleich zu anderen Sozialversicherungsbeiträgen eher gering ist und dass es sich bei dem für die Prävention verwendeten Anteil nur um einen Bruchteil des gesamten Beitrages handelt. Insofern ist die finanzielle Belastung der Unternehmer durch die Prävention nicht unverhältnismäßig hoch. In Anbetracht der Bedeutung der Arbeitnehmerinteressen, die der unternehmerischen Finanzierungsbelastung insbesondere Rechtsgüter im Sinne von Art. 2 Abs. 2 GG entgegensetzen können, und der Tatsache, dass der Arbeitgeber die Gesundheitsgefahren für die Arbeitnehmer geschaffen hat, ist die Finanzierungspflicht der Arbeitgeber für die Prävention damit grundsätzlich gerechtfertigt. 2. Prävention allgemeiner Gesundheitsrisiken Anders stellt sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Finanzierungsverantwortlichkeit jedoch dar, wenn mit den Unternehmerbeiträgen die Prävention allgemeiner Gesundheitsrisiken bestritten wird. Allgemeine Präventionsmaßnahmen zur generellen Gesunderhaltung der Bevölkerung stehen in keinem Bezug zu betrieblich bedingten, dem Unternehmer zurechenbaren Gefahren. Zudem kann der Gedanke der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nur für Gefahren nutzbar gemacht werden, die aus dem Arbeitsverhältnis resultieren. Den Arbeitgeber trifft für die Prävention allgemeiner Gesundheitsrisiken aus diesem Grund keine weitergehende Verantwortung als den Rest der Bevölkerung. Deshalb ist die Belastung des Arbeitgebers mit der Finanzierung von Maßnahmen einer gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsvorsorge freiheitsrechtlich ebenso wie gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen und damit verfassungswidrig.

V. Zwischenergebnis Die Finanzierungsverantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Prävention stellt zumindest einen zu rechtfertigenden Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers dar. So-

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

weit die Abgaben für die Gewährleistung einer effektiven Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verwendet werden, die einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben, ist der Eingriff im Hinblick auf die besondere Verantwortung der Arbeitgeber für die Sicherheit in ihrem Betrieb gerechtfertigt. Verfassungswidrig und damit nicht zu rechtfertigen ist allerdings die Verwendung der Arbeitgeberbeiträge für eine gleichsam gesamtgesellschaftliche Gesundheitsvorsorge, da den Arbeitgeber hier keine von der Allgemeinbevölkerung abweichende besondere Verantwortungsbeziehung trifft.

D. Vereinbarkeit der präventionsbedingten Organisationspflichten des Unternehmers mit Freiheitsgrundrechten I. Präventionsbedingte Organisationspflichten des Unternehmers Aus seiner Präventionsverantwortlichkeit erwachsen dem Unternehmer nicht nur Finanzierungspflichten, sondern sie bedingt auch eine Reihe von Vorgaben hinsichtlich der Organisation des Arbeitsablaufes. Wie das betriebliche Umfeld und die Arbeitsabläufe organisiert und ausgestaltet sein müssen, um eine bestmögliche Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zu gewährleisten, ergibt sich einerseits aus dem staatlichen Arbeitsschutzrecht, andererseits – und das ist der vorliegend interessierende Bereich – insbesondere aus den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften. So verlangt beispielsweise die Unfallverhütungsvorschrift BGV C22 für Bauarbeiten in § 7, dass Arbeitsplätze für Bauarbeiten so eingerichtet und beschaffen sein müssen, dass sie entsprechend der Art der baulichen Anlage, den wechselnden Bauzuständen, den Witterungsverhältnissen und den jeweils auszuführenden Arbeiten ein sicheres Arbeiten gewährleisten. Konkretisierend verlangt beispielsweise § 8 BGV C22, dass bei Arbeitsplätzen auf geneigten Flächen Maßnahmen gegen das Abrutschen ergriffen werden müssen. Weiterhin bestimmt § 10 BGV C22, dass Arbeitsplätze auf Baustellen über begehbare oder befahrbare Verkehrswege von einer bestimmten Breite erreichbar sein müssen. Ferner gibt § 12 BGV C22 auf, Absturzsicherungen an bestimmten, gefährlichen Stellen zu erbauen. Für Steinbrüche bestimmt beispielsweise die Unfallverhütungsvorschrift BGV C11 in § 9, wie die Wände in Steinbrüchen anzulegen und zu unterhalten sind. Weiterhin machen die §§ 13, 14 BGV C11 Vorgaben über Wandhöhen und Wandneigungen in Steinbrüchen. Die Unfallverhütungsvorschrift BGV C19 für Metallhütten legt in § 5 fest, wie Ladestellen ausgestaltet werden müssen, und bestimmt in § 17, dass und auf welche Weise Begichtungsöffnungen

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von Schachtöfen gegen Hineinstürzen von Versicherten gesichert sein müssen. Weitere, die betriebliche Organisation und Ausgestaltung betreffende, durch den Unternehmer vorzunehmende Sicherheitsvorkehrungen sehen die entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften im Rahmen der durch die ArbStättVO vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten für sämtliche Tätigkeitsbereiche vor370. Schon anhand dieser rein exemplarischen Aufzählung wird deutlich, dass die Organisation und Ausgestaltung des Betriebes nicht dem Entscheidungsspielraum des Unternehmers unterliegt, sondern dass er vielmehr an detaillierte Vorgaben gebunden ist, die teilweise sogar strafbewehrt sind371. Neben Bestimmungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitsplätze verlangen Unfallverhütungsvorschriften vom Unternehmer beispielsweise, dass er seinen Arbeitnehmern eine persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung stellt372 oder dass er ihnen die Unfallverhütungsvorschriften zugänglich macht373. Darüber hinaus ist der Unternehmer verpflichtet, die Arbeitssicherheit in seinem Betrieb von Aufsichtspersonen kontrollieren zu lassen. So muss er nach § 10 BGV A1 den berufsgenossenschaftlichen Aufsichtspersonen die Besichtigung des Unternehmens ermöglichen, sie bei der Besichtigung gegebenenfalls begleiten und ihnen auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte erteilen. Ferner muss der Arbeitgeber nach § 19 BGV A1 unter Berücksichtigung des ASiG und der Unfallverhütungsvorschrift BGV A2 Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebssicherheit bestellen. Zudem verlangt § 20 BGV A1 die Bestellung von Sicherheitsbeauftragten sowie deren Freistellung für die Erfüllung ihrer Aufgaben und für die Teilnahme an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Ein weiteres Präventionsinstrument der Berufsgenossenschaften, das die Unternehmer bei der Organisation und Ausgestaltung ihrer Betriebe einschränkt, sind die Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F., die die Unfallversicherungsträger zur Durchsetzung von Unfallverhütungsvorschriften oder zur Abwehr von besonderen Gesundheits- und Unfallgefahren einsetzen können. So wurden beispielsweise auf Grundlage vom früheren § 17 Abs. 1 S. 2 SGB VII (jetzt § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII) Anordnungen erlassen, in denen einem Reinigungsunternehmen Arbeiten an Glaswänden in einer Höhe von zwei Metern unter Verwendung von bloßen Anlegeleitern untersagt wurden374 oder die einem Geldtransportunternehmen die Verwendung von gepanzerten Fahrzeugen auferlegten375. Leisten die Unternehmer 370 Vgl. hierzu: BGV C1, 2, 3, 5, 7, 9, 10, 11, 14, 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28. 371 So z. B. § 28 BGV C11; § 38 BGV C19; § 74 BGV C22. 372 § 29 BGV A1 i. V. m. § 2 PSA-Benutzungsverordnung. 373 § 12 BGV A1. 374 VG Berlin, Urt. v. 12.12.2005, Az. 35 A 146.03. 375 LSG Niedersachen, Urt. v. 20.7.1999, Az. L 6 U14/96.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

diesen Anordnungen nicht Folge, kann ihnen gemäß § 209 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII ein Bußgeld auferlegt werden.

II. Vereinbarkeit der Organisationspflichten mit Art. 12 GG Der Arbeitgeber unterliegt demnach bei der Führung, Ausgestaltung und Organisation seines Unternehmens einer Vielzahl von gesetzlichen Vorgaben, so dass er hierüber keinesfalls frei verfügen kann. Insofern stellt sich nicht nur hinsichtlich der Finanzierung der Prävention, sondern auch hinsichtlich ihrer organisatorischen Ausgestaltung die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bewertung der freiheitsrechtlichen Beschränkungen. Einschlägige Grundrechte sind in diesem Zusammenhang Art. 12 GG und Art. 14 GG. Als einheitliches Grundrecht schützt die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG sowohl die Berufsausübung als auch die Berufswahl376. Eine spezielle Ausformung der Berufsausübungsfreiheit ist die Unternehmerfreiheit377, die das Recht auf eine freie Gründung und Führung eines Unternehmens beinhaltet378. Hierzu zählen insbesondere die arbeitgeberischen Leitungsbefugnisse bezüglich der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen379, die Produktionsfreiheit, die sich auf die Art und den Umfang der Produktion bezieht380 sowie die Dispositionsfreiheit, die die wirtschaftliche Planung, die Personalpolitik und die Verfügung über die Betriebsmittel umfasst381. Indem die Unfallverhütungsvorschriften bestimmte Vorgaben für die Ausgestaltung der Produktionsstätten und Arbeitsplätze machen, beeinträchtigen sie die durch Art. 12 GG geschützte Produktions- und Leitungsfreiheit der Arbeitgeber. Die arbeitgeberische Dispositionsfreiheit, die insbesondere auch den freien Einsatz des Personals umfasst382, wird durch solche Rege376 BVerfGE 9, 338, 344 f.; 17, 269, 276; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 2; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 62. 377 Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (2. Aufl.), § 147 Rn. 61 ff.; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 68; Ossenbühl, in: AöR 115 (1990), S. 1, 3 ff. 378 BVerfGE 50, 290, 363; Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (2. Aufl.), § 147 Rn. 61. 379 Papier, in: VVDStRL 35 (1977), S. 55, 57; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 133. 380 Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (2. Aufl.), § 147 Rn. 63; Ossenbühl, in: AöR 115 (1990), S. 1, 19 f.; Papier, in: VVDStRL 35, (1977), S. 55, 99; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 133; siehe auch BVerfGE 23, 50, 56 f.; 41, 360, 370 ff. (Nachtbackverbot). 381 Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (2. Aufl.), § 147 Rn. 63; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 68; Ossenbühl, in: AöR 115 (1990), S. 1, 18 f. 382 Ossenbühl, in: AöR 115 (1990), S. 1, 18.

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lungen betroffen, die wie § 20 BGV A1 eine berufliche Freistellung zum Zwecke der Aus- und Fortbildung oder der Aufgabenerfüllung bei denjenigen Arbeitnehmern vorsehen, die als Sicherheitsbeauftragte tätig werden. Der daraus resultierende zeitweilige Personalausfall geht zu Lasten der Arbeitgeber und muss von ihnen abgefedert werden. Diesen organisatorischen Beeinträchtigungen kommt eine objektiv berufsregelnde Tendenz zu, da sie in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern383, so dass sie einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen. Herkömmlicherweise wird im Rahmen des Art. 12 GG auf Grundlage der 3-Stufen-Theorie384 zwischen Grundrechtsbeeinträchtigungen mit unterschiedlicher Eingriffsintensität unterschieden: Die geringste Eingriffsintensität haben die so genannten Berufsausübungsregelungen. Sie betreffen lediglich die Art und Weise der Berufsausübung. Eine bedeutend intensivere Eingriffswirkung entfalten die so genannten Berufswahlbeschränkungen, die den Zugang zu einem bestimmten Beruf reglementieren. Hier wird je nach dem, ob die Berufswahlregelung an in der Person oder außerhalb der Person liegende Zugangskriterien anknüpft, zwischen subjektiven und objektiven Berufswahlbeschränkungen unterschieden. Regelungen, die Unternehmern zum Schutz der Arbeitnehmer Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung und Organisation ihrer Betriebe machen, betreffen nicht die Berufswahl, sondern die Ausübung des Berufs. Bei den präventionsbedingten Organisationspflichten handelt es sich demnach um Berufsausübungsregelungen. Darüber hinaus berühren die präventionsbedingten Organisationspflichten auch den Schutzbereich des Art. 14 GG, wobei dahinstehen kann, ob die Pflichten in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb385 eingreifen, da zumindest in die einzelnen Bestandteile des Gewerbebetriebes eingegriffen wird, indem die Vorgaben betreffend der Ausgestaltung der Betriebsräume das Eigentum des Unternehmers an dem Betriebsgebäude einschränken. Wie jeder Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Freiheit bedürfen auch Eingriffe in die Berufsfreiheit und die Eigentumsfreiheit der verfas383 Zu den Anforderungen an das Vorliegen einer objektiv berufsregelnden Tendenz, vgl.: BVerfGE 97, 228, 254; 110, 274, 288; 111, 191, 213 f. 384 Vgl. hierzu grundlegend das sog. „Apothekenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts: E 7, 377, 400 ff. Siehe ferner: Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (2. Aufl.), § 148 Rn. 6 ff.; Manssen, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 138 ff. Kritisch zur 3-Stufen-Theorie: Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 136. 385 Siehe hierzu: Depenheuer, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 132 f.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 50 ff.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

sungsrechtlichen Rechtfertigung. Sie müssen also unter Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter verhältnismäßig sein. Gemeinsam ist allen den Arbeitgeber belastenden präventionsbedingten Organisationspflichten, dass sie zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer vor arbeitsbedingten Gefahren erlassen werden. Sie dienen mithin legitimen Belangen des Gemeinwohls, zu deren Erreichung oder Förderung sie auch geeignet sind. Als Berufsausübungsregelungen stehen die Präventionspflichten der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der 3-Stufen-Lehre auf niedrigster Eingriffsstufe, so dass ein milderes Mittel, also ein Eingriff auf niedrigerer Stufe grundsätzlich nicht denkbar ist, es sei denn, es wird eine weniger belastende Maßnahmen auf der Ebene der Berufsausübungsregelungen gefunden. Geringere Eingriffsintensität als den verpflichtenden, teilweise sogar strafbewehrten Unfallverhütungsvorschriften käme beispielsweise auf Freiwilligkeit beruhenden Sicherheitshinweisen zu. So wäre es denkbar, dass die Berufsgenossenschaften keine bindenden Regeln oder Anordnungen erlassen, sondern lediglich unverbindliche Ratschläge zur Arbeitssicherheit im Betrieb geben. In diesem Fall wäre es dem staatlichen Arbeitsschutzrecht vorbehalten, verbindliche und sanktionsbewehrte Schutzvorschriften zu erlassen, während die Unfallversicherungsträger lediglich beratend tätig würden386. Abgesehen von den Vorgaben des staatlichen Arbeitsschutzes würde die Organisation und Ausgestaltung der Betriebe damit den Unternehmern überlassen, sie könnten den Sicherheitshinweisen der Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen Folge leisten. In diesem Fall würde das berufsgenossenschaftliche Regelwerk weder in die von Art. 12 GG geschützte Unternehmerfreiheit noch in die durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsgarantie eingreifen. Allerdings würde eine solche Aufteilung zwischen staatlichem und berufsgenossenschaftlichem Recht eine Abkehr vom dualen Arbeitsschutzsystem bedeuten387 und es würde unberücksichtigt bleiben, dass dem berufsgenossenschaftlichen Regelwerk trotz des europäischen Einflusses auch heute noch eine besondere Bedeutung zukommt, da es von den Betroffenen erlassen wird und aufgrund der detaillierten branchen-, tätigkeits- und gefahrstoffbezogenen Untergliederung eine höhere Sachnähe als das staatliche Arbeitsschutzrecht aufweist. Diese Betroffenennähe könnte zwar in unverbindlichen berufsgenossenschaftlichen Sicherheitshinweisen ebenfalls erhal386 Baldschun, Solidarität und soziales Schutzprinzip in der gesetzlichen Unfallversicherung, S. 105 ff., nennt in diesem Zusammenhang als ein mögliches milderes Mittel die Festschreibung der Präventionsverpflichtungen in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen. Sie kommt allerdings ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei nicht um gleichermaßen geeignete Mittel handelt, da es an einer wirksamen staatlichen Durchsetzungsmöglichkeit fehlt. 387 Vgl. zum dualen Arbeitsschutzsystem schon: 1. Kap. C. II.

D. Vereinbarkeit der Organisationspflichten mit Freiheitsgrundrechten

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ten bleiben, allerdings käme ihnen dann nicht mehr die gleiche Wirksamkeit wie den verbindlichen Unfallverhütungsvorschriften zu. Ungeachtet ihres wirtschaftlichen Nutzens auch für die Unternehmer werden die Erfordernisse des Arbeitsschutzes nämlich oftmals von den Unternehmern als Belastung und Behinderung ihrer Unternehmensführung empfunden, so dass zu befürchten ist, dass unverbindliche berufsgenossenschaftliche Sicherheitshinweise nicht oder nur unvollständig befolgt würden, was ein Absinken des Arbeitsschutzniveaus zur Folge hätte. Freiwillige Sicherheitshinweise kommen demnach nicht als gleich geeignete, mildere Mittel in Betracht. Weiterhin könnte daran gedacht werden, anstatt strafbewehrter Unfallverhütungsvorschriften lediglich verpflichtende, nicht aber sanktionsbewehrte Vorschriften zu erlassen und dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall zuzugestehen, dass der Arbeitgeber die Unfallverhütungsvorschrift nicht beachtet388. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass § 209 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII schon in seiner aktuellen Fassung nicht bei jedem Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift ein Bußgeld vorsieht, sondern nur dann, wenn die jeweilige Unfallverhütungsvorschrift auf § 209 SGB VII verweist389. Außerdem ist im Hinblick auf das bedeutende Schutzgut der Unfallverhütungsvorschriften, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG, fraglich, ob ein Leistungsverweigerungsrecht seitens des Arbeitnehmers den Schutzzweck der berufsgenossenschaftlichen Vorschriften überhaupt erreichen kann. Schließlich kann der Arbeitnehmer nicht in jedem Fall die sich aus seinem Arbeitsplatz ergebenden Gesundheitsgefahren absehen, so dass nicht sicher ist, ob er überhaupt sein Leistungsverweigerungsrecht geltend machen wird. Der Arbeitnehmer muss gewissermaßen „vor sich selbst geschützt werden“390. Ferner kann die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht auch dadurch erschwert werden, dass der Arbeitnehmer insbesondere in finanzieller Hinsicht vom Unternehmer abhängig ist und er sich womöglich aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht auf das Leistungsverweigerungsrecht beruft. Ein Leistungsverweigerungsrecht anstelle einer bußgeldbewehrten Vorschrift stellt demnach ebenfalls kein milderes, gleich geeignetes Mittel dar. Das Gleiche gilt mit Blick auf die besondere Bedeutung der geschützten Rechtsgüter auch für die Anordnungen nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VII n. F. Ein weniger eingreifendes, aber den Unfallverhütungsvorschriften und Anordnungen vergleich388 So angedacht in Bezug auf die staatlichen Arbeitsschutzvorschriften bei: Wiedmann, in: Kollmer, ArbSchG, Einl. A Rn. 105 ff. 389 Auf § 209 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII verweisen z. B. § 32 BGV A1, § 28 BGV C11, § 38 BGV C19. 390 So in Bezug auf das staatliche Arbeitsschutzrecht: Löwisch, in: ZfA 1996, S. 293, 304.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

bar effektives Mittel ist demnach nicht ersichtlich, so dass der Eingriff erforderlich ist. Die Verhältnismäßigkeit der präventionsbedingten Organisationspflichten hängt davon ab, ob zwischen den durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgütern der Arbeitnehmer und den Rechten der Unternehmer aus Art. 12 GG und Art. 14 GG ein gerechter Interessenausgleich stattgefunden hat. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, warum die Unternehmer neben der finanziellen auch für die organisatorische Ausgestaltung der Prävention verantwortlich sind. Schließlich hat grundsätzlich primär jeder selbst für den Schutz seiner Rechtsgüter Sorge zu tragen. Der umsichtige Umgang mit der eigenen Gesundheit liegt damit zunächst einmal in der Verantwortung des Einzelnen391. Anders muss aber entschieden werden, wenn das Leben und die Gesundheit durch Handlungen oder auf Veranlassung von Dritten bedroht wird. In diesem Fall muss insbesondere der Dritte dafür sorgen, dass die Gesundheitsgefährdungen beseitigt werden. So besteht beispielsweise im Polizeirecht die Pflicht, Sachen so einzurichten, dass anderen keine Gefahren hieraus entstehen392. Geht dennoch von einer Sache eine Gefahr aus, wird entweder derjenige als so genannter Zustandsstörer zur Verantwortung herangezogen, der die Sachherrschaft über die Sache innehat, von der eine Gefahr ausgeht, oder derjenige, der Eigentümer ist. Die Verantwortlichkeit gründet darin, dass der Betroffene aufgrund seiner besonderen Beziehung zur Sache eine Einwirkungsmöglichkeit hat und demnach die Gefahr beseitigen kann393. Diese Zustandsverantwortlichkeit wird allgemein als gerechtfertigte Beschränkung des Eigentums in Form der Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG angesehen, da die Regelungen das Ergebnis einer Abwägung zwischen der Privatnützigkeit und der Sozialnützigkeit des Eigentums sind394. Nach dem grundgesetzlichen Eigentumskonzept dient der Gebrauch des Eigentums immer auch dem Wohle der Allgemeinheit. Demnach setzt die Gemeinwohlverträglichkeit der privaten Eigentumsnutzung Grenzen395. Dabei werden diese Grenzen umso enger, „je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht“396. Je elementarer also die betrof391 So bestimmt beispielsweise § 1 S. 2 SGB V, dass die Versicherten für ihre Gesundheit mit verantwortlich sind. 392 Denninger, in: Lisken/Denninger, HdB PolizeiR, Kap. E Rn. 69; Götz, POR, Rn. 192; Schenke, POR, Rn. 228, 268. 393 BVerfGE 102, 1, 17; Drews/Wacke/Klaus Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 319; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 520. 394 Denninger, in: Lisken/Denninger, HdB PolizeiR, Kap. E Rn. 72; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 519; Schenke, POR, Rn. 271. 395 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 519. 396 BVerfGE 50, 290, 340; 70, 191, 201; 84, 382, 385; 95, 64, 84.

D. Vereinbarkeit der Organisationspflichten mit Freiheitsgrundrechten

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fenen Drittinteressen sind, desto stärker kann in den eigentumsbeschränkenden Gesetzen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG die Sozialbindung des Eigentums berücksichtigt werden397. Übertragen auf das Arbeitsschutzrecht bedeutet dies, dass der Arbeitgeber aufgrund seiner Eigentümerstellung und Sachherrschaft, die ihre Konkretisierung in der Leitungs- und Dispositionsmacht finden, dafür verantwortlich ist, dass aus seinem Betrieb keine Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer resultieren398. Schließlich entstehen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren in einem Bereich, in dem sich die Arbeitnehmer dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterordnen. Aufgrund seiner überlegenen Stellung kann er die im Betrieb existierenden Gefahren ebenso wie der polizeirechtliche Zustandsstörer besser übersehen und beherrschen399 und ist in der Lage, für eine sicherheitsgerechte Betriebsausstattung zu sorgen, während der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitsstätte hat. In Anbetracht der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter der Arbeitnehmer, ihrem Leben und ihrer Gesundheit, muss der Arbeitgeber gegebenenfalls sogar umfangreiche Beschränkungen hinnehmen. Insofern setzt die Sozialnützigkeit der Privatnützigkeit des Betriebes und damit auch der Berufsfreiheit des Arbeitgebers Grenzen. Darüber hinaus rechtfertigt sich die Auferlegung der präventionsbedingten Organisationspflichten an den Arbeitgeber auch daraus, dass er den Nutzen aus der Arbeit der Beschäftigten zieht. Schließlich werden die Rechtsgüter der Arbeitnehmer bei der „wirtschaftlichen Veranstaltung des Arbeitgebers“ gefährdet, deren Früchte der Arbeitgeber erntet. Da der Arbeitgeber also die Arbeitskraft des Arbeitnehmers für seine Interessen nutzt, erscheint es nur als gerechte Kehrseite, dass er durch den Einsatz von Schutzvorrichtungen die Gesundheit der Arbeitnehmer vor arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu schützen hat. Dieses Ergebnis wird auch mit Blick auf die arbeitgeberische Fürsorgepflicht bestätigt, die den Arbeitgeber in § 618 BGB dazu verpflichtet, Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt ist400. Der Arbeitgeber ist folglich aufgrund seiner Fürsorgepflicht dazu verpflichtet, das Arbeitsumfeld, also alle Örtlichkeiten, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit aufsuchen muss, sowie die Gegenstände, die er zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung nutzen muss, so zu gestal397

Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 312. Ähnlich auch, insbesondere mit Hinweis auf die polizeirechtliche Zustandsverantwortlichkeit: Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 177. 399 Junker, ArbR, Rn. 268. 400 Ebenfalls die Vorrangigkeit der Schutzpflicht des Arbeitgebers für Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers betonen: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, S. 392. 398

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

ten, dass die körperliche Integrität des Arbeitnehmers nicht gefährdet wird401. Die Übertragung der Organisationspflichten auf die Arbeitgeber ist demnach grundsätzlich mit den Freiheitsrechten der Art. 12 GG und Art. 14 GG vereinbar. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich nur dann, wenn die Gesamtheit der Organisationspflichten es dem Unternehmer unmöglich machen würde, seinen unternehmerischen Zweck zu verfolgen. Da dies bislang nicht ersichtlich ist, bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Auferlegung der Organisationspflichten. Dies gilt umso mehr, als die Präventionsarbeit mittelbar auch den Unternehmern zugute kommt, da sie zu einer sinkenden Zahl an Arbeitsunfällen und damit zu weniger kostenträchtigen Personalausfällen und sinkenden Beiträgen führt.

E. Vereinbarkeit des Präventionsauftrags nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII mit rechtsstaatlichen Anforderungen Nachdem die Vereinbarkeit der Präventionsaufgabe mit den Grundrechten überprüft wurde, bleibt noch die Frage zu beantworten, inwieweit die Präventionsverpflichtungen mit rechtsstaatlichen Anforderungen, insbesondere mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar sind. Dabei soll nicht jede einzelne präventionsbedingte Verpflichtung des Arbeitgebers auf ihre Vereinbarkeit mit diesen Grundsätzen hin untersucht werden. Schließlich ist eine Vielzahl der Rechtsgrundlagen für berufsgenossenschaftliche Präventionsmaßnahmen, die in die Betriebsorganisation und damit in die Unternehmerfreiheit eingreifen, im Hinblick auf die rechtsstaatlichen Anforderungen unbedenklich, da es sich um hinreichend bestimmte parlamentarische Ermächtigungsgrundlagen handelt. Zu nennen sind hier beispielsweise die Rechtsetzungsermächtigung des § 15 SGB VII sowie die §§ 17–22 SGB VII, die Ermächtigungsgrundlagen für Betriebsüberwachungen, verpflichtende Anordnungen sowie für die Befugnisse der Aufsichtspersonen, für die Verpflichtung zur Bestellung von Sicherheitsbeauftragten und für die mit deren Aus- und Fortbildung verbundenen Eingriffe in die Unternehmerfreiheit enthalten. Rechtsstaatliche Fragen unter dem Blickwinkel des Vorbehalts des Gesetzes und des Bestimmtheitsgrundsatzes stellen sich allerdings insbesondere im Hinblick auf die Generalklausel des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII, nach der die Unfallversicherungsträger „mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ zu sorgen haben. Auf dieser Grundlage sind die Unfallversicherungsträger zu umfassenden Präventionsmaßnahmen 401 Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK § 618 Rn. 9 ff.

Arbeitsrecht,

E. Rechtsstaatliche Vorgaben für den Präventionsauftrag

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ermächtigt, wie beispielsweise die Durchführung von Informationsveranstaltungen, die Ergreifung von Werbemaßnahmen oder die Errichtung von Schulungszentren. In Anbetracht der Weite der Ermächtigungsgrundlage stellt sich die Frage, ob § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots entspricht.

I. Vorbehalt des Gesetzes Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes bedürfen „Eingriffe in Freiheit und Eigentum“ des Bürgers einer parlamentsgesetzlichen Grundlage402. In diesem Bereich sind Verwaltungsmaßnahmen rechtswidrig, die sich nicht auf eine parlamentarische Ermächtigungsgrundlage zurückführen lassen. Es besteht mithin eine Handlungssperre für die Verwaltung403. Verfassungsrechtlich verankert ist der Gesetzesvorbehalt insbesondere im Rechtsstaatsprinzip404, daneben ist er aber auch Teil des Demokratieprinzips405, da er für bestimmte Regelungsbereiche eine parlamentarische, mithin auf das Volk zurückzuführende Entscheidung verlangt. Im Hinblick auf Dauer und Aufwand des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jede Regelung in Form eines Parlamentsgesetzes erfolgen kann. Vielmehr muss die Regelung bestimmter Sachgebiete auf Verordnungs- oder Satzungsgeber delegiert werden können. Insofern bestimmt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie, dass der parlamentarische Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat“406. Was allerdings „wesentlich“ in diesem Sinne ist, ist nicht abschließend geklärt407. Von besonderer Bedeutung ist jedenfalls die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme un402

Hoffmann-Riem, in: AöR 130 (2005), S. 5, 10 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 44; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 105; Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 276. 403 Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 26; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 105. 404 BVerfGE 40, 237, 248; 78, 179, 197; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 44; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6 ff.; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 105. 405 BVerfGE 85, 386, 403 f.; 105, 279, 303; Reimer, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 26; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 105; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 273. 406 BVerfGE 49, 89, 126; 61, 260, 275; 88, 103, 116; sowie ferner: BVerfGE 77, 170, 230 f.; 95, 267, 307; 101, 1, 34; 108, 282, 312. 407 Zu Konkretisierungsproblemen der Wesentlichkeitstheorie siehe: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101 Rn. 56 ff.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

ter Berücksichtigung ihrer Eingriffsintensität in die Freiheitsrechte des Bürgers408. Als weitere Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit kommen beispielsweise die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter, die Größe des Adressatenkreises, die Langfristigkeit der Festlegung oder die Unmittelbarkeit und Zielgerichtetheit der Regelung in Betracht409. Die hier zu untersuchende Regelung des § 14 SGB VII stellt eine parlamentsgesetzliche Regelung dar. Allerdings genügt eine formell-gesetzliche Grundlage allein noch nicht den Anforderungen des Vorbehaltes des Gesetzes, da dieser Grundsatz verlangt, dass der Gesetzgeber „alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat“. Insofern stellt der Vorbehalt des Gesetzes auch inhaltliche Anforderungen an den parlamentarischen Gesetzgeber410. Eine rein fragmentarische Regelung reicht nicht aus, da sie weder die mit dem Gesetzesvorbehalt verfolgte „rechtsstaatliche Sicherungsfunktion noch die demokratische Legitimationsfunktion“411 erfüllen könnte. Ein gewisses Maß an Bestimmtheit ist mithin notwendig. Insofern wird der Inhalt des Vorbehalts des Gesetzes auch von dem Bestimmtheitsgrundsatz vorgegeben412.

II. Bestimmtheitsgrundsatz Ein gesetzlicher Tatbestand genügt dem Bestimmtheitsgrundsatz, wenn er so genau formuliert ist, dass der „Normadressat sein Handeln kalkulieren kann, weil die Folgen der Regelung für ihn voraussehbar und berechenbar sind“413. Trotz dieses rechtsstaatlichen Bestimmtheitsbedürfnisses müssen Gesetze allerdings ein gewisses Maß an Unbestimmtheit aufweisen, da sie 408 BVerfGE 40, 237, 249; 49, 89, 127; 57, 295, 320 f.; 98, 218, 252; 111, 191, 216 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 46; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 113; Sommermann, in: v. Mangoldt/Hermann Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 276. 409 Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 48; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 113. 410 Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 62; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 26. 411 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 26. 412 So auch Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 26; andere begreifen dagegen den Bestimmtheitsgrundsatz als eigenständiges Verfassungsprinzip, so z. B.: Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 62. Siehe aber auch: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchof, HStR V, § 101 Rn. 30, der auf die enge Verbindung des Gesetzesvorbehalts mit dem Bestimmtheitsgrundsatz hinweist. Für die inhaltlichen Anforderungen ergeben sich allerdings keine Unterschiede. 413 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 129; in diesem Sinne auch: BVerfGE 31, 255, 264; 83, 130, 145.

E. Rechtsstaatliche Vorgaben für den Präventionsauftrag

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als abstrakt-generelle Regelungen eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen sollen und außerdem der Verwaltung die für eine situationsangepasste Reaktion nötige Flexibilität gewähren müssen. Aus diesem Grund kann der Bestimmtheitsgrundsatz kein Höchstmaß an Bestimmtheit fordern414, vielmehr wird lediglich eine „hinreichende Bestimmtheit“ verlangt415. Der Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 SGB VII enthält mit der Formulierung „alle geeigneten Mittel“ einen weiten Gestaltungsspielraum zugunsten der Unfallversicherungsträger, der sich nicht nur auf die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, sondern darüber hinaus auch auf alle „arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ bezieht. Da unter den Begriff der „arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ alle denkbaren Gesundheitsgefahren gefasst werden, die „mit der Arbeitswelt in sachlich-logische Verbindung gebracht werden“416, ermächtigt dies die Berufsgenossenschaften zu allen möglichen, mit beruflichen Tätigkeiten zusammenhängenden Präventionsmaßnahmen. Ob eine solche Ermächtigungsgrundlage hinreichend bestimmt ist, hängt von unterschiedlichen Kriterien ab. Besondere Bedeutung kommt dabei zunächst der Grundrechtsrelevanz einer Regelung zu: Je intensiver die Grundrechtsausübung durch eine gesetzliche Vorschrift beeinträchtig wird, desto strengere Anforderungen sind an die Bestimmtheit der grundrechtsbeschränkenden Regelung zu stellen417. Präventionsmaßnahmen, die auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII ergehen, schränken die Grundrechte der Arbeitgeber insofern ein, als sie durch ihre Beiträge finanziert werden und demnach Eingriffe in ihre Freiheitsgrundrechte darstellen und zudem eine Ungleichbehandlung implizieren418. Demnach handelt es sich bei den auf § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII beruhenden Präventionsmaßnahmen um grundrechtsrelevante Maßnahmen, was für strengere Bestimmtheitsanforderungen sprechen würde. Zu bedenken ist allerdings, dass allein die Grundrechtsrelevanz einer Regelung noch nicht zwangsläufig die Anforderungen an ihren Bestimmtheitsgrad erhöht. Vielmehr sind weitere Differenzierungskriterien zu beachten: So verlangen beispielsweise Satzungen von Trägern kommunaler Selbstverwaltung aufgrund der besonderen verfas414 Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 63; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 29 f. 415 BVerfGE 111, 54, 96; Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 63. 416 Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 5. 417 BVerfGE 86, 288, 311; 110, 33, 55; Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 63; kritisch hierzu: Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 33. 418 Vgl. hierzu: 4. Kap. B., C.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

sungsrechtlichen Legitimation des Selbstverwaltungsträgers eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich des Detaillierungsgrades ihrer Ermächtigungsgrundlagen419. Anders wird jedoch hinsichtlich der Satzungsermächtigung von Trägern funktioneller Selbstverwaltung entschieden. Mangels einer der kommunalen Selbstverwaltung vergleichbaren Legitimationsbasis sind hier die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit der Satzungsermächtigungen hoch anzusiedeln420. Insbesondere soll verhindert werden, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen ihre Regelungsbefugnisse auf Dritte erstrecken421. Insofern stellt sich die Frage, ob neben der Grundrechtsrelevanz der Regelungen auch die Tatsache, dass es sich bei § 14 SGB VII um eine Ermächtigungsgrundlage für funktionelle Selbstverwaltungskörperschaften handelt, zu erhöhten Bestimmtheitsanforderungen führt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die präventionsrechtlich relevanten Satzungen der Unfallversicherungsträger, die Unfallverhütungsvorschriften, nicht auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 SGB VII erlassen werden, sondern aufgrund von § 15 Abs. 1 SGB VII ergehen. § 14 SGB VII dient demnach nicht als Satzungsermächtigung, so dass nicht wie bei Satzungen die Gefahr einer rechtlichen Bindung von Außenseitern besteht. Vielmehr belasten die aufgrund von § 14 Abs. 1 SGB VII ergehenden Präventionsmaßnahmen allein die Mitglieder der Berufsgenossenschaften, da sie durch ihre Beiträge finanziert werden. Soweit außerhalb der Berufsgenossenschaften stehende Dritte von den Präventionsmaßnahmen überhaupt berührt werden, profitieren sie allenfalls von den Maßnahmen, keinesfalls wird in ihre Rechte eingegriffen. Insofern besteht keine den Satzungen funktioneller Selbstverwaltungsträger vergleichbare Gefährdungslage, so dass allein die Tatsache, dass die Berufsgenossenschaften funktionelle Selbstverwaltungskörperschaften sind, keine erhöhten Bestimmtheitsanforderungen bedingt. Ein weiteres Differenzierungskriterium zur Determinierung des erforderlichen Bestimmtheitsgrades einer Vorschrift ist der jeweilige Regelungsgegenstand422. So verlangen insbesondere Regelungen, die sich auf entwicklungsoffene und vielgestaltige Sachgebiete beziehen, eine gewisse Zurückhaltung des Gesetzgebers423. Das Arbeitsschutzrecht unterliegt, bedingt durch den andauernden technischen 419

Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 31. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 31, Kap. 6 Rn. 86; zu den unterschiedlichen Anforderungen des Vorbehalt des Gesetzes im Rahmen von kommunaler und funktioneller Selbstverwaltung vgl.: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101 Rn. 70; Waldhoff, in: FS Klaus Vogel, S. 495, 510 ff. 421 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 31, Kap. 6 Rn. 86. 422 BVerfGE 49, 168, 181; 59, 104, 114; 87, 234, 263; 93, 213, 238; 102, 347, 361; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 60; Papier/Möller, in: AöR 122 (1997), S. 177, 185; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 32; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 129. 420

F. Ergebnis

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Fortschritt, permanenten Änderungen, die eine regelmäßige Anpassung des berufsgenossenschaftlichen Präventionskonzepts verlangen. Detaillierte gesetzliche Vorgaben hinsichtlich einzelner, von den Unfallversicherungsträgern zu ergreifenden Präventionskonzepte, würden einer schnellen Anpassung der Präventionsprogramme an neue wissenschaftliche Erkenntnisse entgegenstehen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die objektive Wirksamkeit vieler Präventionsmaßnahmen nur eingeschränkt überprüfbar ist424, so dass es nicht möglich wäre, den Präventionsauftrag ausschließlich auf „wirksame“ und nicht lediglich auf „geeignete“ Mittel zu beschränken. Ein zu hoher Bestimmtheitsgrad der Ermächtigungsgrundlage wäre für eine effektive Präventionsarbeit hinderlich, vielmehr verlangt die Eigenheit des Regelungsgegenstandes der Prävention eine gewisse gesetzgeberische Zurückhaltung, damit die Unfallversicherungsträger ihre Fachkenntnis unter Berücksichtigung der jeweiligen technischen Entwicklungen in die Unfallverhütungsarbeit einbringen können. Allerdings kann diese tatbestandliche Weite natürlich keine unbegrenzte Ermächtigung der Unfallversicherungsträger zu Präventionsmaßnahmen implizieren. Eine Grenze des Präventionsauftrages nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm selbst: Schließlich dürfen die Unfallversicherungsträger die geeigneten Mittel nur „für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ einsetzen. Die Gesundheitsvorsorge im rein privaten Bereich ist demnach keine Aufgabe der Unfallversicherungsträger425 und darf folglich von ihnen auch nicht übernommen werden. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen entspricht der Präventionsauftrag des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII trotz seiner weiten Ermächtigung, Prävention „mit allen geeigneten Mitteln“ zu betreiben, dem Bestimmtheitsgebot und damit auch dem Vorbehalt des Gesetzes. Rechtsstaatliche Bedenken bestehen mithin grundsätzlich nicht. Soweit die Unfallversicherungsträger allerdings Maßnahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge durchführen, handeln sie außerhalb der gesetzlichen Ermächtigung, so dass es sich nicht um ein Bestimmtheits-, sondern um ein Rechtmäßigkeitsproblem handelt.

F. Ergebnis Die in § 14 Abs. 1 SGB VII normierte Präventionsaufgabe der Unfallversicherungsträger ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Sie kann 423 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 60; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Kap. 4 Rn. 32. 424 Jung, in: Wannagat, SGB VII, § 14 Rn. 8; Mehrtens, in: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 14 Rn. 3. 425 Kutscher/Stoy, in: Schulin, HdB SozVers, Bd. 2, UV, § 40 Rn. 9.

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4. Kap.: Verfassungsmäßigkeit der Präventionsverpflichtungen

den Berufsgenossenschaften auf Grundlage des Kompetenztitels der Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vom Gesetzgeber übertragen werden und dementsprechend durch Unfallversicherungsbeiträge finanziert werden. Soweit es sich bei den wahrgenommenen Präventionsaufgaben um unfallversicherungseigene Aufgaben handelt, bestehen keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen die finanzielle Heranziehung der Unternehmer. Eigene Aufgaben der Unfallversicherung liegen immer dann vor, wenn die Aufgabe einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat, was insbesondere voraussetzt, dass die Präventionsmaßnahmen auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren abzielen, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen. Soweit Präventionsmaßnahmen in persönlicher Hinsicht einen unbegrenzten Wirkungsbereich haben, können sie nur ausnahmsweise mit Unfallversicherungsbeiträgen finanziert werden, wenn sie dennoch einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Ein solcher Bezug besteht, wenn die Maßnahme im Rahmen eines einheitlichen Konzepts akzessorisch zu einer spezifischen branchenorientierten Präventionsmaßnahme ergeht und wenn ihre inhaltliche Ausgestaltung der Verhütung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen dienlich ist. Auch in grundrechtlicher Hinsicht steht die Präventionsaufgabe mit der Verfassung in Einklang. Die Belastung der Unternehmer mit ihrer Finanzierung rechtfertigt sich aus der zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehenden Verantwortungsbeziehung, die darin begründet liegt, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur Erreichung des wirtschaftlichen Zwecks des Unternehmers einsetzt und sich in diesem Rahmen den betrieblichen Gefahren aussetzt, während der Unternehmer den sich aus der Arbeitskraft ergebenden Mehrwert wirtschaftlich nutzen kann. Zudem ist der Arbeitgeber im Unterschied zum Arbeitnehmer in der Lage, die sich aus dem betrieblichen Geschehen ergebenden arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren aufgrund seiner Organisations- und Leitungsmacht zu kontrollieren. Die Übertragung von präventionsbedingten Organisationspflichten auf die Unternehmer ist mithin gerechtfertigt. Anders stellt sich die verfassungsrechtliche Bewertung allerdings dar, wenn die Unternehmer mit der Finanzierung von unfallversicherungsfremden Aufgaben belastet werden. In diesem Fall kann zur Rechtfertigung weder die besondere Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herangezogen werden noch kann der Unternehmer die Gefahren, die außerhalb seines arbeitsrechtlichen und betrieblichen Enflussbereichs liegen, besser als andere Staatsbürger kontrollieren. Mangels eines rechtfertigenden sachlichen Grundes ist eine solche Belastung verfassungswidrig. Sobald Präventionsmaßnahmen den arbeitsrechtlichen Bezug verlassen, dürfen sie deshalb nicht mehr durch Unternehmerbeiträge finanziert werden, sondern müssen gesamtgesellschaftlich durch Steuern getragen werden.

Schlussbetrachtung Die berufsgenossenschaftliche Prävention wird auf mehreren Ebenen von vielfältigen gesetzlichen Vorgaben beeinflusst. Auf einfachgesetzlicher Ebene wird den Unfallversicherungsträgern in § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII zunächst ein scheinbar umfassender Präventionsauftrag erteilt, der sie zu zahlreichen Maßnahmen der Unfallverhütung ermächtigt. Einige inhaltliche Konkretisierungen des Präventionsauftrages nimmt der Gesetzgeber mit den §§ 15 ff. SGB VII vor, indem er dort die wesentlichen Präventionsinstrumente aufzählt. So sind die Unfallversicherungsträger ermächtigt Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, die Unternehmen zu überwachen und zu beraten sowie gegebenenfalls verbindliche Anordnungen zu erteilen. Zudem ermöglicht es der Gesetzgeber den Unfallversicherungsträgern mit den §§ 152 ff. SGB VII durch eine im Grundsatz nach der Gefährdungshöhe abgestimmte Beitragsberechnung finanzielle Anreize für das Präventionsverhalten der Unternehmer zu setzen. Neben den gesetzlich normierten Präventionsinstrumenten haben die Berufsgenossenschaften aufgrund des umfassenden Auftrages des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII die Möglichkeit zu vielfältigen weiteren Präventionsmaßnahmen, wie insbesondere öffentlichkeitswirksame Aufklärungskampagnen. Allerdings wurde gezeigt, dass die Berufsgenossenschaften bei der Wahl und der Ausgestaltung ihrer Präventionsmaßnahmen trotz der weiten gesetzlichen Ermächtigung dennoch in erheblichem Umfang Einschränkungen unterliegen. Zu nennen sind hier zunächst die sich aus dem dualen Arbeitsschutzsystem und dem damit einhergehenden Vorrang des staatlichen Arbeitsschutzrechts ergebenden Einengungen, die sich insbesondere im Rahmen der autonomen berufsgenossenschaftlichen Rechtsetzung auswirken. Soweit in Bereichen der Ermächtigung des § 15 Abs. 1 SGB VII Vorschriften des staatlichen Arbeitsschutzrechts existieren, dürfen die Berufsgenossenschaften keine Unfallverhütungsvorschriften mehr erlassen, da das staatliche Arbeitsschutzrecht den niederrangigeren Unfallverhütungsvorschriften vorgeht. Erheblich verstärkt wird diese Bedeutungsabwertung der Unfallverhütungsvorschriften durch den immensen Einfluss des Europarechts, da die arbeitsschutzrechtlich relevanten Richtlinien durchweg durch staatliches Arbeitsschutzrecht umgesetzt werden. Auf diese Weise sind den Unfallversicherungsträgern sämtliche Regelungsbereiche weggebrochen, die Gegenstand europäscher Arbeitsschutzgesetzgebung sind.

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Schlussbetrachtung

Weitere Einschränkungen erfährt die berufsgenossenschaftliche Präventionstätigkeit durch die Anordnung staatlicher Fachaufsicht in § 87 Abs. 2 SGB IV. Allerdings berechtigt § 87 Abs. 2 SGB IV die Fachaufsichtsbehörden nicht zu umfassenden Weisungen, die den Gestaltungsspielraum der Unfallversicherungsträger im Bereich der Prävention völlig unterlaufen können. Vielmehr haben die Aufsichtsbehörden bei ihrer Aufsichtstätigkeit zu berücksichtigen, dass es sich bei den Unfallversicherungsträgern um eigenständige Rechtssubjekte handelt, denen die Prävention zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen wurde. Insofern dürfen fachaufsichtsrechtliche Weisungen nur erteilt werden, wenn ein konkreter Anlass besteht und selbst dann dürfen sie keine Vollregelungen enthalten, sondern müssen die Einschätzungsprärogative der Unfallversicherungsträger beachten. Über diese einfachrechtlichen Vorgaben hinaus wird die Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger wesentlich durch das Verfassungsrecht beeinflusst. In kompetenzieller Hinsicht beruht die berufsgenossenschaftliche Präventionsaufgabe auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, der den Gesetzgeber zur Regelung der Sozialversicherung ermächtigt. Insofern müssen sich alle Präventionsmaßnahmen stets dem Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zugrundeliegenden Begriff der Sozialversicherung zuordnen lassen. Von besonderer Bedeutung für den Umfang des Präventionsauftrages ist dabei das dem Sozialversicherungsbegriff immanente Merkmal der „Zweckbindung des Sozialversicherungsbeitrags“, nach dem Sozialversicherungsbeiträge ausschließlich für Aufgaben der Sozialversicherung verwendet werden dürfen. Den Unfallversicherungsträgern ist es demnach nicht erlaubt, Beitragsmittel für Präventionsmaßnahmen einzusetzen, die sich nicht auf das in der Unfallversicherung versicherte Risiko beziehen, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz verfolgen. Der Zusammenhang der Präventionsmaßnahme mit dem versicherten Risiko wird durch das Kriterium des engen Bezugs zum Arbeitsverhältnis konkretisiert, welcher dadurch gekennzeichnet ist, dass die Präventionsmaßnahmen auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren abzielen, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen. Eine Mittelverwendung für Präventionsmaßnahmen, deren Wirkungskreis über den versicherten Personenkreis hinausreicht, kommt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nur dann in Betracht, wenn auch hier ein enger Bezug zum Arbeitsverhältnis garantiert wird. Über diese kompetenzrechtlichen Vorgaben hinaus schränken auch die Grundrechte des Arbeitgebers den Umfang der Präventionsaufgabe ein, da die finanzielle Heranziehung eines Bürgers außerhalb seiner Steuerverpflichtungen nur dann verfassungsgemäß ist, wenn ein legitimierender Grund für die zusätzliche Belastung ersichtlich ist. Ein solcher rechtfertigender Grund kann für die unternehmerische Finanzierungsverpflichtung der berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen in der besonderen

Schlussbetrachtung

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Verantwortungsbeziehung zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern gesehen werden, die durch die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht konkretisiert wird. Da die Fürsorgepflicht allerdings nur in Bezug auf das jeweilige Arbeitsverhältnis besteht, kann sie nicht als legitimierender Grund für die finanzielle Heranziehung des Unternehmers für Präventionsmaßnahmen benannt werden, die der Verhütung von allgemeinen Gesundheitsgefahren ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis dienen. Dies gilt umsomehr, als der Arbeitgeber auf die Entstehung von außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegenden Gesundheitsgefahren keinerlei Einfluss hat und der Gefahrenquelle mithin nicht näher als andere Bürger steht. Insofern ist die Präventionsaufgabe der Unfallversicherungsträger verfassungsrechtlich auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren beschränkt, die einen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Soweit der Gesetzgeber eine erneute Initiative starten sollte, könnten ähnliche Kriterien für die Finanzierungsfrage im Rahmen eines etwaigen Präventionsgesetzes nutzbar gemacht werden. Wenn Gegenstand des Präventionsgesetzes ein ganzheitlicher, gesamtgesellschaftlicher Präventionsansatz ist, der dem Ausbau einer allgemeinen Gesundheitsförderung dient, dann muss entsprechend der gesamtgesellschaftlichen Zielsetzung auch eine gesamtgesellschaftliche Finanzierung gewählt werden. Eine Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge kommt nur dann in Betracht, wenn ein rechtfertigender Grund für die neben die Steuer tretende zusätzliche finanzielle Belastung der in den beteiligten Sozialversicherungsträgern zusammengefassten Personenkreise ersichtlich ist. Eine besondere Verantwortungsbeziehung dieses Personenkreises zu der zu erfüllenden Aufgabe kommt als legitimierender Grund allerdings nicht in Betracht, wenn mit dem Präventionsgesetz eine allgemeine, gesamtgesellschaftliche Gesundheitsförderung verfolgt wird. In diesem Fall steht der zur Finanzierung herangezogene Personenkreis nämlich der Aufgabenerfüllung nicht näher als die restliche Bevölkerung. Vielmehr kommt eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Gesundheitsförderung der gesamten Bevölkerung zugute, so dass schon aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen eine Steuerfinanzierung notwendig ist. Solange also das Präventionsgesetz nicht ausschließlich oder zumindest vorrangig eine Gesundheitsförderung des zur Finanzierung herangezogenen Personenkreises anstrebt, kann es nicht durch Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden, da in diesem Fall mangels zweckgebundenen Einsatzes der Beiträge neben Grundrechtsverletzungen auch die Kompetenzgrundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht greifen würde1. Der 1 Etwas anderes würde nur für die zur Finanzierung herangezogenen Arbeitgeber gelten, da diese mit sämtlichen Sozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich keine unmittelbaren Vorteile erlangen.

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Schlussbetrachtung

Gesetzgeber hat also bei einer etwaigen neuen Gesetzesinitiative zu beachten, dass ungeachtet der Notwendigkeit eines Ausbaus der gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsförderung und Prävention nicht allein ein solches Beürfnis den zweckentfremdeten Einsatz von Sozialversicherungsbeiträgen rechtfertigt. Vielmehr müssen auch bei einem noch so wünschenswerten Ziel die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet werden, so dass Bund und Länder nicht aus ihrer aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Finanzierungsverantwortung entlassen werden dürfen und Steuereinnahmen zur Erfüllung der sich aus einem möglichen Präventionsgesetz ergebenden Aufgaben verwenden müssen. Für die Prävention gilt damit: Der Zweck heiligt nicht die Mittelverwendung.

Thesen 1. Die Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ist eine Aufgabe der Unfallversicherung und kann deshalb durch Unfallversicherungsbeiträge finanziert werden. 2. Die finanzielle und organisatorische Belastung der Unternehmer durch die berufsgenossenschaftliche Prävention steht mit den kompetenziellen und grundrechtlichen Vorgaben der Verfassung in Einklang. Sie rechtfertigt sich aus der besonderen Verantwortungsbeziehung zwischen Unternehmer und Beschäftigten, die durch die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht und die Organisations- und Leitungsmacht der Unternehmer konkretisiert wird. 3. Eine über die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren hinausgehende Prävention allgemeiner Gesundheitsgefahren unter Verwendung von Unfallversicherungsbeiträgen ist dagegen verfassungswidrig. Die Unternehmerbeiträge dürfen nur für die Verhütung des in der Unfallversicherung versicherten Risikos eingesetzt werden, so dass die berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen immer der Versicherungsgemeinschaft zugute kommen. 4. Abgrenzungskriterium zwischen verfassungskonformen und verfassungswidrigen berufsgenossenschaftlichen Präventionsmaßnahmen ist der Bezug zum Beschäftigungsverhältnis. Dieser Bezug ist gegeben, wenn die Präventionsmaßnahme auf die Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren abzielt, die dem Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz während seiner Arbeitszeit drohen. 5. Weitergehende Präventionsmaßnahmen, deren Wirkungskreis die gesamte Bevölkerung erfasst, dürfen nur mit Beitragsmitteln der Unfallversicherungsträger finanziert werden, wenn auch hier ein Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht. Dies ist zu bejahen, wenn die allgemein-gesundheitsfördernde Maßnahme im Rahmen eines einheitlichen Präventionskonzepts akzessorisch zu einer spezifischen branchenorientierten Präventionsmaßnahme ergeht und wenn ihre inhaltliche Ausgestaltung der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten dienlich ist. 6. Präventionsmaßnahmen, die losgelöst vom Arbeitsverhältnis der Verhütung allgemeiner Gesundheitsgefahren für die gesamte Bevölkerung dienen, verfolgen einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz und stellen

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Thesen

deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Als gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen sie auch durch von der gesamten Gesellschaft getragene Gemeinlasten, also Steuern, finanziert werden. 7. Umfang und Inhalt des weiten berufsgenossenschaftlichen Präventionsauftrages werden neben diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Regelungsdichte des staatlichen Arbeitsschutzrechts sowie durch die Reichweite der fachaufsichtsrechtlichen Befugnisse beeinflusst. 8. Das staatliche Arbeitsschutzrecht geht den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften vor, die als autonomes Satzungsrecht erlassen werden. Im Hinblick auf den erheblichen Zuwachs an Vorschriften des staatlichen Arbeitsschutzrechts hat die berufsgenossenschaftliche Präventionsarbeit, die früher wesentlich auf dem Erlass von Unfallverhütungsvorschriften beruhte, einen Wandel erfahren, da die Ermächtigung zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften in all den Bereichen leerläuft, die nun Gegenstand staatlicher Regelungen sind. 9. Dem Bedeutungsverlust von Unfallverhütungsvorschriften könnte entgegengewirkt werden, wenn europäische Arbeitsschutz-Richtlinien, die auf Grundlage von Art. 137 EG ergehen, durch Unfallverhütungsvorschriften umgesetzt werden. Aus europarechtlicher Sicht ist eine Richtlinienumsetzung durch Unfallverhütungsvorschriften möglich. 10. Die Fachaufsichtsbehörden können durch fachliche Weisungen Einfluss auf die berufsgenossenschaftliche Präventionsarbeit nehmen. Allerdings haben sie nach dem Gedanken der Systemgerechtigkeit, der Funktionsund der Organisationsadäquanz der Aufsicht zu beachten, dass es sich bei den Unfallversicherungsträgern um eigenständige Rechtssubjekte handelt, denen die Prävention zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen wurde. Fachaufsichtsrechtliche Weisungen müssen deshalb stets die Einschätzungsprärogative der Unfallversicherungsträger beachten und dürfen nur erteilt werden, wenn ein konkreter Anlass besteht.

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Sachwortverzeichnis Anschlusszwang 116 f., 130 Äquivalenzprinzip 207, 208 ff. Arbeitgeberbeitrag 249 ff. arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren 36, 42, 49 f., 66 f., 279 Arbeitsschutz – Begriff 37 f. – betrieblicher Arbeitsschutz 39 – europäischer Arbeitsschutz 156 ff. – produktbezogener Arbeitsschutz 39 – sozialer Arbeitsschutz 38 – technischer Arbeitsschutz 38 f., 175 Arbeitsschutzbehörden, staatliche 39 f. Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 170 ff. Arbeitsschutzsystem, duales 39 ff., 243 ff. Arbeitssicherheitsgesetz 34 f., 103, 105 f. Arbeitsstättenverordnung 99 f., 179 Arbeitsumwelt 165 ff. Arbeitsunfall 49 Aufsichtsmaßstab i. R. d. Fachaufsicht s. Fachaufsicht Aufsichtsmittel i. R. d. Fachsicht s. Fachaufsicht Aufsichtspersonen 41, 57 ff., 109 f., 111 f. Auftragsangelegenheiten 139 ff. Aus- und Fortbildung 113 ff. Beitragsäquivalenz s. Äquivalenzprinzip Beitragsausgleichsverfahren 65, 120 ff., 209, 210, 216, 218

Beitragsfinanzierung 219 ff., 259 ff. Beitragsfuß 62, 63, 213, 214 Beitragsrecht, berufsgenossenschaftliches – als Präventionsinstrument 63 ff. – Ausgestaltung 62 f. Belastungsgleichheit 247, 258, 259 Belastungsprinzip 119 Beratung, berufsgenossenschaftliche 59, 113, 130, 153 Berufsfreiheit 262 ff., 270 ff. Berufsgenossenschaften – Aufgaben 41 – Verhältnis zu staatlichen Arbeitsschutzbehörden 41 ff. – Zusammensetzung 40 f. Berufskrankheit 32, 49 Berufskrankheitenverordnung 32 berufsregelnde Tendenz 262 f., 271 Bestimmtheitsgebot s. Bestimmtheitsgrundsatz Bestimmtheitsgrundsatz 144 f., 278 f. Beteiligten-Begriff 229 f. betrieblicher Arbeitsschutz s. Arbeitsschutz Betroffenenpartizipation 77 f. BG-Grundsätze 56, 193 BG-Informationen 55 f., 193 BG-Regeln 55 f., 193 Binnenmarktrichtlinien 174, 176, 192 CEN 161 f., 192 f. CENELEC 161 f., 192 f. Dassonville-Formel 174 Demokratieprinzip 277

312

Sachwortverzeichnis

Deutsche Elektrotechnische Kommission s. DKE Deutsches Institut für Normung s. DIN DGUV s. Spitzenverband der Unfallversicherungsträger DIN 161, 192 DKE 161 Drei-Stufentheorie 265, 271 f.

formelle Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung fremdnütziger Beitragsanteil 248 ff. Friedenswahl 81 funktionale Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Funktionsadäquanz 148 f. Fürsorgepflicht 255 ff., 266, 267, 275, 284 f.

Effet utile 190 eigennütziger Beitragsanteil 248 ff. Eigentumsfreiheit 260 ff., 270 ff. Eigentumsgarantie s. Eigentumsfreiheit Eigentumsjudikatur 252 Eigenverantwortlichkeitsprinzip 78 f. Einheitliche Europäische Akte 159 f. Einheitswertbeschluss des BVerfG 260 Einzelfallanordnungen 59 f., 110 Ermessen 93, 136 f. Erste Hilfe 53, 105, 129 europäischer Arbeitsschutz s. Arbeitsschutz Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung s. CENELEC Europäisches Komitee für Normung s. CEN Experimentierklausel 47

Gebietshoheit 90 Gefahrgemeinschaft 117 ff., 211 Gefahrklasse 62 f., 117, 119 f., 210, 211 ff. Gefahrtarif 63, 82, 117 ff., 151, 209, 210, 212 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie 43 ff. Geräte- und Produktsicherheitsgesetz 100 gesamtgesellschaftliche Aufgabe 231 f., 235 f., 239 f., 257 ff., 267 f., 284 f. Geschäftsführer 83 f. Gesellschaftliche Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Gesetzesvorbehalt 143 f., 277 f. Gesetzliche Unfallversicherung – Geschichte 28 ff. – Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz 32 – Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz 35 f., 42 – Unfallversicherungsgesetz 30 ff., 147, 234 – Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz 33 f. Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz s. Gesetzliche Unfallversicherung Gewerbezweigtarif 118 Gleichheitssatz 246 ff. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 60, 137, 248, 274

Fachaufsicht – Aufsichtsmaßstab 134 ff. – Aufsichtsmittel 137 ff. – Begriff 78 f., 132 ff. – Umfang und Grenzen 142 ff. Fachaufsichtsbehörde 133, 137 ff. Finanzhoheit 91 f., 131 Finanzierung der Unfallversicherung s. „Beitragsrecht“ Finanzierungsverantwortlichkeit 246 ff., 253 ff., 257 ff., 262, 265 ff.

Sachwortverzeichnis Haftpflichtversicherung 201 f., 249 Haftungsfreistellung 62, 63, 201 f., 230, 249 Harmonisierungsrichtlinien 157, 161, 166, 175, 178 Industrialisierung 28 juristische Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Kaiserliche Botschaft 68 Kapitaldeckungsverfahren 213 kommunale Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Körperschaft 69 Lastenausgleichsverfahren 206, 215 ff. Lastengleichheit 220, 246 f. Maschinenrichtlinie 100, 176 f., 178, 193 Maschinenverordnung 100, 176 materielle Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Mischverwaltung 47 mittelbare Staatsverwaltung 76, 244 Mitwirkungsrechte 151 f. Nachlassverfahren 123 f. Neue Konzeption 160 f. Neulasttarif 212 Neulastverfahren 120, 212 f., 217 Normsetzungskompetenz 93 f. Normung 161 f., 192 f. Organisationsadäquanz 149 Organisationshoheit 91, 130 Organisationspflichten, präventionsbedingte 268 ff. Personalhoheit 91, 130 Planungshoheit 92

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politische Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung Prämiensystem 64 f., 125 ff., 209, 216 Prävention – als Aufgabe der Unfallversicherung 231 ff. – Begriff 24 ff. – europäischer Einfluss 36 – Primärprävention 24, 27 – Sekundärprävention 27 – Tertiärprävention 27 Präventionsauftrag, berufsgenossenschaftlicher 48 ff., 148 f., 153 ff. Präventionsgesetz 15 f., 285 Präventionskampagnen 20 ff. – Präventionskampagne „Haut“ 20 f., 195 f. – Verkehrssicherheitskampagnen 21, 196 Primärprävention s. Prävention Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung 62, 213 Prinzip des Steuerstaates 220 f., 258, 265 f. Privatversicherung 199 f. produktbezogener Arbeitsschutz s. Arbeitsschutz Rechtmäßigkeitskontrolle 133, 151 Rechtsaufsicht 78 f., 133, 134 ff. Rechtsetzungshoheit 92, 130 Rechtsstaatsprinzip 142 ff., 277 Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken 28 ff. Reichsversicherungsordnung 32 Revisionsschreiben 58, 110 Richtlinie 168 ff. – Adressat 169 f., 179 f. – Rechtsnatur 168 f. – Umsetzungsinstrumente 179 ff. Risiko-Homogenität 253 Risikostrukturausgleich 206

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Sachwortverzeichnis

Sekundärprävention s. Prävention Selbstverwaltung – Begriff 69 ff., 73 ff. – formelle Selbstverwaltung 74 ff. – funktionale Selbstverwaltung 70 – gesellschaftliche Selbstverwaltung 75 f. – juristische Selbstverwaltung 74 – kommunale Selbstverwaltung 70 – materielle Selbstverwaltung 74 ff. – politische Selbstverwaltung 74 – soziale Selbstverwaltung 76 ff. – verfassungsrechtliche Garantie 71 ff. Selbstverwaltungsangelegenheiten 139 ff. Selbstverwaltungshoheit 90, 92, 153, 154 Selbstverwaltungskörperschaft 69 ff., 135 Selbstverwaltungsorgane 79 ff. Sicherheitsbeauftragter 34, 53, 57, 106, 269 sofort vollziehbare Anordnungen 61 Solidarität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern 253 f. Solidarprinzip 206, 207 ff. Sonderabgabe 226 ff. soziale Selbstverwaltung s. Selbstverwaltung sozialer Arbeitsschutz s. Arbeitsschutz sozialer Ausgleich 203 ff. Sozialversicherung – Begriff 197 f., 199 f. – Gesetzgebungskompetenz 197 ff. Spitzenverband der Unfallversicherungsträger 84 ff. – Aufgaben 86 f. – Staatsaufsicht 87 f. – Zusammensetzung 85 Staatsaufsicht 131 ff. Staatsdistanz 140, 219 Steuer 221 ff. Systemgerechtigkeit 145 ff.

Tarifstelle 117 ff., 211 ff. Tätigkeitstarif 118 technischer Arbeitsschutz s. Arbeitsschutz Technologieprinzip 119 Tertiärprävention s. Prävention überbetrieblicher arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Dienst 115 ff. Überwachung – als Element der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie 46 f. – als Präventionsinstrument 56 ff., 109 ff. – Gestaltungsspielraum 110, 112 – im Rahmen der Experimentierklausel 47 – Mittel der Überwachung 109 ff. Überwachungsanlass 109 ff. Umlageverfahren 62, 128, 206, 212 ff., 217. Umverteilung 201, 203 ff., 210 ff. unbestimmter Rechtsbegriff 93, 136 f. Unfallverhütungsvorschriften – als Umsetzungsinstrument europäischer Richtlinien 177 ff. – Bedeutung 54 ff. – Erlassverfahren 95 f. – Gestaltungsspielraum 97 ff., 107 f. – Regelungsgegenstand 51 ff., 97 ff. Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz s. Gesetzliche Unfallversicherung Unfallversicherungsgesetz s. Gesetzliche Unfallversicherung Unfallversicherungsmonopol 207 ff. Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz s. Gesetzliche Unfallversicherung unternehmerische Betätigungsfreiheit 264 f., 267 VDE 161 Verantwortlichkeitsbeziehung 254 ff.

Sachwortverzeichnis Verbandslast 225 Vermögensschutz 260 ff. Versicherung 199 ff. Versicherungsprinzip 199 ff. Vertreterversammlung 80 ff., 95 ff., 128 – Aufgaben 82 – Wahl 81 Verwaltungsvollstreckung 139 Verwaltungsvorschrift 135 f. Vorbehalt des Gesetzes s. Gesetzesvorbehalt Vorstand 82 Vorzugslast 223 ff.

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Wegeunfall 21, 33, 122, 201, 235, 237 f. Weisungsmacht s. Weisungsrecht Weisungsrecht 141, 236 ff., 256 Wesentlichkeitstheorie 277 Willkürverbot 145

Zentralstelle für Unfallverhütung 33 Zuschlagsverfahren 123 f. Zweckmäßigkeitskontrolle 79, 132 f., 136 f., 139, 151, 154