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German Pages 210 Year 1999
NETIESHEIM I SCHIERA (Hrsg.)
Der integrierte Staat
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 54
Der integrierte Staat Verfassungs- und europarechtliche Betrachtungen aus italienischer und deutscher Perspektive
Herausgegeben von Martin Nettesheim Pierangelo Schiera
Duncker & Humblot · Berlin
lstituto italiano di cultura, Berlin Istituto italiano di Studi filosofici, Neapel Europäische Akademie, Berlin in Zusammenarbeit mit dem IX. Deutsch-italienischen Verfassungsrechtskolloquium Das Endziel der europäischen Integration. Von den Nachkriegsordnungen zu einem neuen europäischen Konstitutionalismus 2.- 4. Mai 1996 Übersetzung der italienischen Aufsätze von Judith Elze
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der integrierte Staat : verfassungs- und europarechtliche Betrachtungen aus italienischer und deutscher Perspektive I hrsg. von Martin Nettesheim ; Pierangelo Schiera. [Übers. der ital. Aufsätze von Judith Elze]. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 54) ISBN 3-428-09584-7
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09584-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Am 3. und 4. Mai 1996 fand in Berlin eine Tagung zum Thema ,.Das Endziel der europäischen Integration -Von den Nachkriegsordnungen zu einem neuen europäischen Konstitutionalismus" statt. Die Themenstellung war bewußt provokant gewählt. Ihr lag die These zugrunde, daß es knapp fünfzig Jahre nach den institutionalisierten Anfängen der europäischen Integration an der Zeit sei, über die innere Finalität des Integrationsprozesses und die Struktur der sich herausbildenden Ordnung ausgreifender nachzudenken, als es dies in der durch mannigfaltige tagespolitische Zwänge und sonstige Faktoren eingeengten Diskussion manchmal geschieht. Dabei war auf der einen Seite klar, daß sich in dem fünfzigjährigen Entwicklungsprozeß eine Struktur herausgebildet hat, die in bestimmten Facetten (namentlich in ihren rechtlichen Grundlagen) Bestand behalten wird. Zugleich aber bestand unter den Teilnehmern auch Einigkeit, daß der Entwicklungsprozeß weder zum Abschluß gekommen ist noch eine Richtung wählen wird, die mit der identisch sein wird, die der sich herausbildende Nationalstaat des 19. Jahrhunderts genommen hat. Wie ließe sich auch sinnvollerweise erwarten, daß die Rezepte, mit denen auf die Herausforderungen eines längst vergangeneo Jahrhunderts geantwortet wurde, auch zur Bewältigung der zur Jahrtausendwende anstehenden Probleme angewandt werden könnten? Die Europäische Union ist die post-staatliche Antwort darauf, daß es der Idee und Realität des Nationalstaates nicht mehr gelingen kann, die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zu befriedigen. Sie muß auch als post-staatliches Gebilde begriffen werden- auch wenn ihr ionerster Kern, die Trägerschaft öffentlicher Herrschaftsgewalt, mit jenem des Nationalstaates identisch ist.
Die verfassungstheoretischen Strukturen, die der Integrationsverband einmal aufweisen wird, sind bislang nur schemenhaft zu erkennen. Eine geschlossene Leitidee, an der sich der vertragsändernde Verfassungsgesetzgeber orientieren könnte (oder gar müßte), existiert nicht. Es ist auch keinesfalls zu erwarten, daß sich hieran etwas ändern wird: Eine Leitidee abstrakt und apriorisch herauszubilden, der ideell verbindliche Kraft zukommen soll, ist schon angesichts der gesellschaftlichen Pluralität und der so unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die der einzelne an die europäische Integration heranträgt, ausgeschlossen. Die Fortentwicklung des Integrationsverbandes wird nicht umhin kommen, auf die Interessen, Werte und Hoffnungen der einzelnen berücksichtigend einzugehen. Europäische Integrationspolitik läßt sich (jedenfalls heute) nur noch als Veranstaltung betreiben, in der der europäischen Öffentlichkeit ein angemessener Platz zugewiesen ist - auch wenn damit mancher Spielraum, der den Verhandlungspartnern andernfalls zur Verfügung stehen würde, verloren geht. Auch
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Vorwort
europäische Verfassungstheorie läßt sich insofern nicht betreiben, ohne die empirisch-pluralistischen Gegebenheiten und die funktionalen Erwartungshaltungen in den Mitgliedstaaten des Integrationsverbundes in den Blick zu nehmen. Und doch w äre es untunlich, Überlegungen zur europäischen Verfassungstheorie anzustellen, ohne die ideellen Gehalte des Verfassungsstaates der Neuzeit auf ihre Dauerhaftigkeit und Zeitgemäßheit zu überprüfen, die fortdauernd bedeutsamen Elemente zu isolieren und in eine originäre Verfassungstheorie des europäischen Integrationsverbandes zu überführen. Die Narrnativität einer europäischen Verfassungstheorie, die sich nicht der ideellen Rückbindung versichern würde, wäre fragil. Die empirisch-pluralistische bzw. funktionale Perspektive sowie die ideell-verfassungstheoretische Sichtweise sind so in der Diskussion um die Fortentwicklung des Integrationsverbandes unlösbar miteinander verschränkt. Es war ein Anliegen der Organisatoren der Tagung, diese Verschränkung in der Auswahl der Referatsthemen und im Zuschnitt der Referate selbst zum Ausdruck kommen zu lassen und fruchtbar zu machen. Mehr ideell-verfassungstheoretisch zugeschnittene Beiträge stehen an der Seite von Vorträgen, die sich der empirisch-funktionalen Sichtweise bedienen. Schon aus Zeitgründen war dabei eine Beschränkung auf ausgewählte Fragestellungen erforderlich. Die italienische Republik hatte im ersten Halbjahr des Jahres 1995 die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union inne. Es war das Anliegen des Istituto Italiano di Cultura (Berlin), diesen Umstand zum Anlaß zu nehmen, eine verfassungswissenschaftliche Fachtagung zur Fortentwicklung der europäischen Integration durchführen zu lassen. Zeitliche und inhaltliche Übereinstimmungen ermöglichten es, diese Fachtagung zugleich auch als IX. Deutsch-Italienisches Verfassungsrechtskolloquium auszuweisen. Die Schirmherrschaft über die Tagung hatte S. E. der Botschafter der Italienischen Republik in der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Die Tagung wäre ohne die großzügige Hilfe und Unterstützung einer Reihe von Institutionen nicht zustande gekommen: Dank gebührt zunächst dem Istituto Italiano di Studi filosofici, Neapel, ohne dessen Freigiebigkeit die finanziellen Mittel zur Durchführung der Tagung und zur Übersetzung der italienischen Beiträge nicht hätten aufgebracht werden können. Ebenso ist dem Istituto Italiano di Cultura in Berlin für seine finanzielle und logistische Hilfe zu danken. Die Europäische Akademie Berlin stellte ihre schönen Räume zur Verfügung, organisierte die Simultanübersetzung und übernahm die Betreuung der Gäste - auch ihr, und dort vor allem Frau Weiß, danken die Herausgeber. Die Übersetzung der italienischen Manuskripte übernahm Frau judith Elze, der an diese Stelle ebenfalls gedankt sei. Den Herausgebern der "Schriften zum Europäischen Recht", Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, danken wir für die Aufnahme des Bandes in ihre Schriftenreihe. Martin Nettesbeim
Pierangeta Scbiera
Inhaltsverzeichnis 1. Menschenrechte und Staatsaufgaben
Erbard Denninger Menschenrechte und Staatsaufgaben - ein .europäisches" Thema • Diskussionsbeiträge: Armin von Bogdandy • • • • • • • • • . . • • • • • • • • • • • • • • • . • . . Martin Nettesbeim • • . . • • . . . • • . . . . . • • . . • . • • . • . • • • . •
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2. Privatisierung von Staatsaufgaben
Sabino Cassese Die Privatisierungen: Rückschritt oder Neuorganisation des Staats?
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Gunnar Falke Scbuppert Privatisierung und Regulierung - Vorüberlegungen zu einer Theorie der Regulierung im kooperativen Verwaltungsstaat . • • • • • • • • • • • • • •
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Giuseppe Sanviti Staat und Markt in der Verfassungsrechtsprechung •
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Diskussionsbeiträge: Reiner Scbmidt . Gunter Kisker Dian Scbefold •
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3. Einheitsbildung und Subsidiarität Helmut Lecheier Einheitsbildung und Subsidiarität Antonio D'Atena Das Subsidiaritätsprinzip in der italienischen Verfassung •
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4. Demokratie, Pluralismus und Wirtschaftssystem Giorgio Berti Demokratie, Pluralismus und Wirtschaftssystem. Die mitgliedstaatliehen Verfassungen und die Europäische Union . • . .
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Alexander von Brünneck Das Endziel der Europäischen Integration: Zielsetzungen, Spielräume und Möglichkeiten- Demokratie, Pluralismus und Wirtschaftssystem • • • •
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Inhaltsverzeichnis
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Diskussionsbeiträge: Ingolf Pernice Dian Schefo/d • • •
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5. Die Qualität des Zusammenschlusses Christian Tomuscbat Das Endziel der europäischen Integration: Maastricht ad infinitum? . • • . • • 155 Mario P Chili Das Ziel der europäischen Integration: Staat, internationale Union oder ..• 177 "Monstra simile"? . . Diskussionsbeiträge: Gian Enrico Rusconi Peter M. Huber . . Martin Nettesbeim . .
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Stichwortverzeichnis
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Verzeichnis der Autoren und Herausgeber
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1. Menschenrechte und Staatsaufgaben
Menschenrechte und Staatsaufgaben ein "europäisches" Thema Von Erhard Denninger
1. Chancen für einen "europäischen Republikanismus" Das Europa der Fünfzehn ist, technisch gesprochen, in die Phase N 2 eingetreten: Wie es sich für einen "Verbund" "souverän bleibender Staaten" gehört, der seine Hoheitsgewalt, - um in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts zu bleiben 1 - "primär gouvernemental bestimmt" wahrnimmt, und wie Art. N Abs. 2 des Maastricht-Vertrages es vorschreibt, stehen wir am Beginn einer Serie von Regierungsvertreter-Konferenzen, die der Frage nachgehen, wie die Union der Völker Europas "immer enger" werden und doch die Unionsgewalt "möglichst bürgernah" ausgeübt werden kann2. Immerhin ist es den Unionsbürgern nicht verboten, sich dazu auch selbst ihre Gedanken zu machen. In Deutschland geschieht dies mit deutscher Gründlichkeit und begrifflicher Grundsätzlichkeil im Streit um zwei Fragenkomplexe: nämlich 1., ob die Europäische Union ein "Staat" sei, ein "Bundesstaat", und damit etwas kategorial anderes als nur ein "Verbund" oder ein "Staatenbund", ob sie vielleicht auf dem (irreversiblen?) Wege dorthin sei, ob sie diesen Weg (politisch) einschlagen könne oder, angesichtsder Art. 23, 24, 79 GG, rechtlich gehen dürfe und ob sie dies überhaupt solle. Und 2. wird gefragt, ob "Europa" eine Verfassung braucht, eine solche vielleicht schon hat oder vielleicht gar nicht haben kann und auch nicht haben soll3 . Man ist versucht, beide Kontroversen, die um die aktuelle, potentielle oder nicht einmal wünschbare "Staatsqualität" der Europäischen Integration und die um ihre "Verfassungsfähigkeit" als bloß terminologischen, "akademischen" Streit beiseite zu legen. Wie man die rechtliche und soziale Realität des offensichtlich noch im Bau befindlichen "europäischen Hauses" begrifflich einordne, sei ebenso gleichgültig wie die Bezeichnung eines Flugzeuges als "Schwalbe", "Airbus" BVerfGE, 89, 155, 186. Art. A Abs. 2 ElN. Vgl. statt vieler: R. Bieber, s. folgende Anm.; D. Grimm, s.u. Anm. 8; ]. Isensee, s.u. Anm. 5; M. Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, in: JZ 1993, 1069 ff. Ferner: G.F. Scbuppert, Zur Staatswerdung Europas, in: StWStPr 1994, 35 ff.
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Erhard Denninger
oder "Starrflügler"; wesentlich sei allein, ob es fliegen solle und könne4 • Leider hinkt der Vergleich, da gerade unklar und umstritten ist, welche wesentlichen Funktionen das gemeinsame, vielleicht nie ganz "fertige" Haus erfüllen soll. Und begriffliche Fixierungen und Verhältnisbestimmungen markieren und limitieren von vornherein das Feld möglicher Argumentationen. Zum Beispiel: Die Funktionen von Menschenrechten einerseits, von Staatsaufgaben-Normen andererseits und ihr Verhältnis zueinander stellen sich, im staatlichen wie im supranationalen Bereich, verschieden dar, je nach dem, wie man das Verhältnis von "Staat" und •Verfassung" und damit das Grundverhältnis Bürger/Staat bestimmt. Geht man etwa mit Isensee davon aus, daß der moderne Staat seiner jeweiligen Verfassung vorausliegt, daß er .ihr Gegenstand und ihre Voraussetzung" ist5 , und daß beider Synthese, der "Verfassungsstaat", seine Legitimation und sein Referenzsubjekt in "einem einzigen Volkssouverän" findet6 , dann ist die Frage nach einer "Verfassung" für Europa rasch, und zwar negativ, beantwortet. Eine Verfassung in dem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gebräuchlichen emphatischen Sinn als politische Selbstorganisation einer Gesellschaft kann Europa mangels eines einheitlichen europäischen Volkes nicht hervorbringen. Es brauche aber, im Unterschied zum Staat, auch gar keine Verfassung. Denn, so Isensee, während der Staat der Verfassung bedürfe, um sich von einer "bloßen Machtorganisation" durch Unterwerfung unter das Recht zum Verfassungsstaat zu steigern, existiere die Europäische Union von Anfang an nur als vertraglich begründete Rechtsgemeinschaft; sie stehe und falle mit ihrer vertraglichen Basis. Diese scheinbar zwingende Logik läßt zweierlei vermissen: a) den Nachweis, daß nicht doch kraft einzurichtender Verfahren und Institutionen eine hinreichende supranationale demokratische Legitimation jenseits des tradierten nationalstaatliehen Volksbegriffs geschaffen werden könnte. Die Analogie vom nationalen .Volk" zum "Europavolk" ist verlängertes 19. Jahrhundert, mehr nicht. Das Problem ist vielmehr, ob und wie eine "europäische Bürgergesellschaft" entstehen kann. Die vorsichtige Lösung von der Vorstellung, demokratische Legitimation sei nur auf der Basis einer eng begriffenen nationalstaatlich fundierten, homogenen Volksgemeinschaft möglich7 , findet sich zwar R. Bieber, Steigerungsform der europäischen Union: Eine Europäische Verfassung, in: j. Ipsen I Rengeling u.a. (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, Jubiläumsschrift für den C.Heymanns Verlag, Köln u.a. 1995, S. 291, 299. 5 ]. Isensee, Staat und Verfassung, in: HbStR I, § 13, 1987, Rdn. 1; ebenso in: Integrationsziel Europastaat?, in: Due I Lutter I Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, 1995, S. 567 ff., 580. 6 j. Isensee, Staat und Verfassung, Note, S. 581. In diese Richtung aber noch: BVerfGE 89, 155, 186 mit sehr einseitiger, fast verzerrender Berufung auf H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, 1928. Immerhin war es Heller, der schon damals die Frage stellte, ob nicht ein europäischer Bundesstaat (!) der Selbsterhaltung der Nation vielleicht besser diene als der herkömmliche Nationalstaat. (Ges. Schriften Il, S. 433). Vgl. auch Denninger, Das wiedervereinte Deutschland in Europa, in: KritV, 1995, S. 263, 267. Für die Übersteigerung des Homogenitätspostulates als Demokratievoraussetzung zeichnet nicht Heller verantwortlich, son-
Menschenrechte und Staatsaufgaben - ein "europäisches" Thema
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bei Dieter Grimm, doch nur, um sogleich in der negativen Prognose unterzugehen, auf längere Sicht werde und könne es keine "europäische Öffentlichkeit" und keinen "europäischen politischen Diskurs", damit auch keine ausreichende europäische demokratische Legitimation geben8 . Dieser Skepsis ist (nur) insoweit zu folgen, als europäischer "Republikanismus" - man gestatte hier dieses Kürzel für einen Komplex von Werthaltungen, Idealen, normativen Überzeugungen unter multikulturellen Bedingungen - nicht durch kurzfristige institutionelle Reformen erzwungen werden kann. Hingegen sind die Bedingungen für die allmähliche Entwicklung einer "diskursfähigen" europäischen Öffentlichkeit so günstig wie noch nie in der Geschichte. Hier sei nur an zwei Faktoren erinnert, an die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechniken und, bedingt durch diese, an die Veränderungen in der Wahrnehmung und Verarbeitung der eigenen Geschichte. Wenn es zutrifft, was von Nationalstaats- und Volks-Theoretikern wie von kommunitaristischen Liberalismuskritikern, von ]ohann Gottfried Herder bis zu Michael Sande/ oder Alasdair Maclntyre unablässig betont wird, daß das "Hineingeborenwerden in Kultur und Geschichte"10, daß das Erlebnis und Nacherlebnis einer gemeinsamen Geschichte die soziale und rechtliche Integration bis hin zum Nationalstaat entscheidend prägt, dann dürfen und müssen wir heute mit dem Phänomen gemeineuropäischen Geschichtserlebens rechnen. Und nicht zufällig steht dabei die Gemeinsamkeit negativer Erfahrungen im Vordergrund: etwa das gemeinsame Versagen einer europäischen Politik im BosnienKrieg oder der Versuch einer gemeinsamen Bewältigung der BSE-Seuchengefahr. Auch die Anklagen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Menschenrechtsverletzungen sind Bausteine bei der langsamen Bildung eines überstaatlich legitimierten Rechtsbewußtseins und Rechtsgewissens. Freilich kommt der (aufkeimende europäische) Republikanismus dabei, um mit Habermas zu reden, ..in dem Maße zu sich selbst, wie er das ambivalente Potential des Nationalismus, das ihm einst als Vehikel gedient hat, abschüttelt" 11 • Aber es geht hier nicht um ein schroffes Entweder-Oder, um Staat-sein oder Nicht-Staat-sein, sondern es geht um die gleichzeitige Verwirklichung gestufter dem C. Scbmitt, bei dem sie in der Freund-Feind-Theorie kulminiert (vgl. nur ders., Verfassungslehre 1928, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 13 ff., Staat, Bewegung, Volk, 1933, S. 42). Schmitt gelangt von der "Gleichartigkeit" 0928) des Volkes zur "Artgleichheit" (1933). Was die Nationalsozialisten unter dieser Etikette verstanden und wie sie danach handelten, ist bekannt. 8 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung' in: JZ 1995, S. 581 ff., S. 589. 9 Vgl. j.G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit; M. Sande/, Die verfahrensrechtliche Republik und das ungebundene Selbst, sowie A. Mac/ntyre, Ist Patriotismus eine Tugend?, beide in: A . Honnetb (Hrsg.) Kommunitarismus, Frankfurt am Main I New York 1994, S. 18 ff. bzw. 103 ff. Autoren wie Werke stehen hierparspro toto. 10 P. Kirchhof, HbStR VII, §183, Rdn. 28, S. 868, unter Zitierung von Herder. 11 ]. Habermas, Die Normalität einer Berliner Republik, 1995, S. 182.
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Erhard Dennirrger
Identitäten 12 , es geht, wie der Maastricht-Vertrag sagt13, einerseits um die Stärkung der Identität und Unabhängigkeit Europas und andererseits um die Wahrung der nationalen Identität der Mitgliedsstaaten der Union. Die Kunst besteht darin, für dieses Miteinander der Identitäten eine neue Sensibilität und eine angemessene Begrifflichkeit zu entwickeln. b) Der zweite kritische Einwand gegen die These von der fehlenden Verfassungsfähigkeit und -bedürftigkeit der Union betrifft das Verhältnis von Staat und Verfassung. Es fällt mir schwer, die Isensee'scbe Vorstellung nachzuvollziehen, es gebe so etwas wie eine vorverfassungsrechtliche "Basisstaatlichkeit", die als zweckrational organisierte Entscheidungs- und Machteinheit den Rohtypus des "modernen Staates" darstelle14 . Dieser sei weniger durch seine Aufgaben und Ziele als durch seine Mittel, zumal - Max Weber folgend - durch das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit charakterisiert, "moderner Staat" also als "relativ zielindifferentes Instrumentarium" 15. Diese Idee von "Staatlichkeit" als einer zwar zweckrational organisierten (!), aber zielindifferenten, aufgabenneutralen Machteinheit ist weder "vormodern" noch "modern", sie ist eine ahistorische irreale Abstraktion. Gerade der moderne Staat, gleichgültig, ob man ihn theoretisch bei Hobbes, Rousseau oder Kant und praktisch, d.h. als historische Wirklichkeit mit der Französischen Revolution beginnen läßt, ist durch eine originäre, spezifische Verbindung von Macht und Recht ausgezeichnet: Staatsgewalt, "Hoheits"-Gewalt ist Rechtsgewalt; sie ist es (selbstverständlich) auch dann, wenn sie Unrecht tut. Der Rechtsstaat im materiellen Sinne ist gerade daran zu erkennen, daß er (institutionell, durch Gerichte) die Möglichkeit staatlichen Unrechts überhaupt in Betracht zieht 16 . Der "moderne Staat", wie er uns als Typus im Entwurf der Französischen Revolution begegnet, ist in dem 12 In diesem Sinne verstehe ich auch j.H.H. Weiler, wenn er sagt: "Maybe the national in-reaching ethno-cultural demos and the out-reaching supranational civic demos by continuously keeping each other in check offer a structured model of critical citizenship". Die "dual membership" muß in positivem Sinne gesehen werden "as conditioning us not to consider any polity claiming our loyalty to be "über alles". Weiler, Does Europe Need a Constitution? - Reflections on the Ethos, Telos and Demos of the European Constitutional Order, in: Tinnefeid I Philipps I Heil (Hrsg.), Informationsgesellschaft und Rechtskultur in Europa, Baden-Baden 1995, S. 236 ff., 257. Ebenso ders., The State "über alles". Demos, Telos and the German Maastricht Decision, in: Due I Lutter I Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, II, 1995, S. 1651 ff.,l688. 13 Präambel und An. F Abs.1, Art. B, 2. Spiegelstrich. Zur Fragwürdigkeit der Redeweise von der ",dentität Europas" vergl. D. Simon, Wie weit reicht Europa? in: Tinnefeld I Phitipps I Heil (Hrsg.), Informationsgesellschaft und Rechtskultur in Europa, 1995, S. 23 ff., 30. "Europa" ist ein Problem der "richtigen" historischen Erinnerung. Und eben diese ist selbst ein rein kognitiv nicht lösbares Problem. Eine insoweit nicht ausreichend reflektierte Gegenposition bei: ]. Isensee, Nachwort: Europa - die politische Erfindung eines Erdteils, in: Kirchhof I Schäfer I Tietmeyer, Europa als politische Idee und als rechtliche Form, Berlin 1993, S. 103 ff. 14 ]. Isensee, HbStR III, 1988, § 57, Rdn.41. 15 Ebenda, Rdn.42. 16 P Schneider, Recht und Macht, Mainz 1970, S. 228 u.ö.; ders., Rechtsstaat und Unrechtsstaat (Mainzer Universitätsgespräche 75. Folge), Mainz 1995.
Menschenrechte und Staatsaufgaben - ein .,europäisches" Thema
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Sinne "Verfassungsstaat", daß er sich nicht einmal gedanklich in eine vorverfassungsmäßige Staatlichkeil und eine diese gewissermaßen bändigende Verfassungsmäßigkeit zerlegen läßt. Denn er ist von seinem Entstehungsgrund wie von seinem Telos her als rechtliche Ordnung des Zusammenlebens konzipiert. Der Staat entsteht als politisches Subjekt als .,die Figur der Gesellschaft, die sich über die Staatsgewalt selbst besitzt" 17 , und Ausdruck ihres autonomen öffentlichen Willens ist das Gesetz (Art. 6 der ErklMuBRe). Das Ziel aber "jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte", wie Art. 2 der Erklärung vom 26.8.1789 proklamiert. Für eine ziellose, zielindifferente rein instrumentelle "Staatsgewalt" ist hier kein Platz. Es ist diese Staatsgründung auf das Prinzip des Rechts, welche auch Hege/ - der wahrlich kein Anhänger der Vertragsidee war ! - zur Begeisterung hinriß: "Im Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basiert sein. Solange die Sonne am Firmamente steht und die Planeten um sie herumkreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, d.i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem erbaut. Anaxagoras hatte zuerst gesagt, daß der nous die Welt regiert; nun aber erst ist der Mensch dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Wirklichkeit regieren solle. Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen" 18. Ob wohl ein winziger Hauch dieses .,Enthusiasmus des Geistes" noch spürbar sein wird, wenn der gemäß Art. K.4 EUV und Art.lOO d EGV eingesetzte .,Koordinierungsausschuß" aus hohen Beamten sich mit den Fragen der Inneren Sicherheit, der Asyl- und Einwanderungspolitik, der Drogenkriminalität und der Terrorismusbekämpfung beschäftigt?
2. Menschenrechte als "Staatsaufgaben" normieren? Betrachtungen über Staat und Verfassung, die bei der Frage nach den Staatsaufgaben und den einzusetzenden Mitteln ansetzen, stehen seit jeher in einem Spannungsverhältnis zu solchen, die sich um eine konsequente Orientierung an den Menschenrechten bemühen. Diese Spannung, die aber nicht als unauflöslicher Gegensatz begriffen werden darf, schlägt sich auch in den Verfassungstexten nieder, vor allem als ungelöstes Problem der normativen Einordnung von Menschenrechtsaussagen in die staateneigentümliche positive Normenhierarchie. Menschenrechte stehen, bildlich gesagt, quer zu der wohlvertrauten, alltagspraktischen Ordnung, sie sind gewissermaßen ein steter Stachel im braven Juristenfleisch, störend und doch faszinierend zugleich. Der einfache Gedanke, 17
M . Gaucbet, Die Erklärung der Menschenrechte, Reinbek 1991, S. 26.
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G. WF. Hege/, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: Werke, XII
(1970), S. 529.
Erhard Denninger
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daß der Staat um des Menschen willen da sei, und nicht der Mensch um des Staates willen, der als Eingangssatz den Grundgesetz-Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents schmückte, dieser Gedanke wurde schon vom Parlamentarischen Rat als "unjuristisch" verworfen. Doch das bevölkerungsmäßig kleinste und am dünnsten besiedelte der fünf neuen Bundesländer, Mecklenburg-Vorpommern, hat als einziges Land diese geglückte Ursynthese von Staatsziel- und -aufgabenbestimmung mit der Menschenrechtsbasis wiederbelebt19 . Die These, die ich entwickeln möchte, hat einen historischen und einen zukunftsgerichteten theoretischen Aspekt. Der erste konzentriert sich in der Beo bachtung, daß zwar auf der internationalen Ebene eine lebhafte und phantasiereiche Menschenrechtsdiskussion stattfindet, die alles in allem "eine Wendung zu einer stärkeren internationalen Solidarität" gebracht hae0 , daß demgegenüber aber auf der staatlichen und auch auf der supranationalen europäischen Ebene die staatsaufgabenorientierte Betrachtungsweise vorherrscht. Nicht nur für die deutsche Verfassungsrechtssituation ist die Tendenz festzustellen, "Menschenrechte" nicht als subjektive Individualrechte, als Rechte eines jeden Menschen, sondern als objektivrechtliche Normen, als Staatsziel- oder Staatsaufgabenbestimmungen festzuschreiben. Gleichzeitig wird der subjektivrechtliche Freiheitsspielraum, welchen die Grundrechte gewähren, diese gleichursprünglichen, positivierten Schwestern der "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte", immer stärker objektivrechtlich entfaltet und umhegt, aber auch eingeschränkt, wo immer er in Kollision mit einer Staatsaufgabennorm gerät. Der zweite, theoretische, vielleicht auch programmatisch zu nennende Aspekt gipfelt in dem Postulat, daß die "Verfassung Europas", wenn sie denn jemals und überhaupt textlichen Ausdruck finden sollte, die Gewichte im Verhältnis von Menschenrechts- zu Aufgabenbestimmungen anders setzen muß als der bisherige Gemeinschafts-Trend, Maastricht eingeschlossen. Man kann darauf vielleicht verzichten, wenn man die Integration Europas dauerhaft auf dem Niveau eines bürokratisch/ technokratisch agierenden Zweckverbandes halten will21 . Auf Dauer wird ein solches Gebilde aber nicht einmal seine Rolle als ökonomisch-ökologisches Krisenmanagement erfolgreich durchhalten können.
3. Positivrechtlich: Glanz und Elend der Menschenrechte Menschenrechte nehmen nicht nur je nach Erdteil oder Weltregion unterschiedliche Betonungen und Inhalte an22 , sie treten auch hierzulande mit ganz Art. 5 Abs. 2 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommem vom 23. 5. 1993. Vgl. Kj. Partscb, Hoffen auf Menschenrechte, Zürich 1994, 5.171. 2 1 In dieser Richtung: ]. Isensee, Integrationsziel Europastaat?, in: Due I Lutter I Schwarze (Hrsg.), Festschrift für U. Everling, 1995, S. 583 f. 22 Vgl. etwa die Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker Afrikas, die am 21. 10. 1986 in Kraft getreten ist. 19
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Menschenrechte und Staatsaufgaben - ein "europäisches" Thema
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unterschiedlichem Rang auf23 • Der paradoxe Vergleich mit der bunten Kleiderordnung des Ancien Regime drängt sich auf, die Stand und Rang erkennen ließ. Das ehrfurchtgebietende Königskleid umgibt den "Menschenrechts-" oder "Menschenwürdegehalt" von Grundrechtsverbürgungen der Art. 2 bis 19 GG insoweit, als dieser "zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar" ist. 24 Obwohl die .. Unantastbarkeit der Würde des Menschen . . . Quelle aller Grundrechte" ist, wie der Verfassungsgeber des Freistaates Sachsen erkannt hat25 , gibt es offenbar einen Kernbereich von Menschenrechts-"substanz", der sich in den einzelnen Grundrechtsgewährleistungen findet. Dieser Kernbereich ist nach deutschem Verfassungsrecht sogar dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen, Art. 79 Abs. 3 GG. Fürstlich gewandet, doch in verblichenem Glanz kommen Menschenrechte wie die auf Leben, Freiheit und Eigentum als Grundrechte daher. Zwar binden sie nicht nur Verwaltung und Rechtsprechung, sondern auch den Gesetzgeber als unmittelbar geltendes Recht, Art. 1 Abs. 3 GG, doch müssen sie sich gerade durch diesen immer häufiger immer stärkere Begrenzungen gefallen lassen. Vornehm auch und von Stande, normativ in geziemendem Gewande, erscheinen die Menschenrechte, wenn sie als allgemeine Regel des Völkerrechts gelten. Weitgereist, ,weiterfahren' und allgemein anerkannt sind sie dann; sie bedürfen keiner Beglaubigung durch das heimische Parlament, vielmehr gehen sie den staatlichen Gesetzen vor, Art. 25 GG26 . Der schlichte Rock des Bürgers, mehr oder weniger vorteilhaft geschnitten, bleibt Menschenrechten, die keine bessere Herkunft vorweisen können als die aus einem internationalen Pakt, welcher der Transformation in innerstaatliches Recht durch Bundesgesetz bedarf, Art. 59 Abs. 2 GG. Sie gelten dann nicht mehr und nicht weniger als andere (Gesetze) auch. Und schließlich das grobe Tuch des Bauern, von plumpem Schnitt und ohne Schmuck: Menschenrechte, die Leistungen vom Staat einfordern und die dieser deshalb lediglich als anzustrebende Ziele, nicht als strenge Pflichten anerkennt, müssen mit ihm vorlieb nehmen. Viele (nicht der Verf.) meinen, so gekleidet sei mit dieser Art von .. Menschenrechten" überhaupt kein Staat zu machen. Mangels Bestimmtheit und mangels .. Einklagbarkeit" handele es sich überhaupt nicht mehr um Rechte, sondern um Versuche der "Integration durch diffuse Verheißung", die dem Stil des Grundgesetzes widersprächen27 . Art. 7 Abs.1 der Sächsischen Verfassung von 1992 bietet für diesen Typus das Muster: Vgl. dazu P Kirchhof, in: EuGRZ 1994, 1 ff. , 25 ff. Vgl. BVerfGE 84, 90, 121, auch zum folgenden. Ferner Dürig in: Maunz I Dürig, GG, Art. 1 Abs. 2, Rdn. 81. 25 Art. 14 Abs. 2 der Verfassung vom 27.5.1992. 26 Dazuj.A. Frowein, übernationale Menschenrechtsgewährleistungen und nationale Staatsgewalt, in: HbStR, VII (1992), § 180, Rdn.l. 27 j. Isensee, in: HbStR, III (1988), § 57, Rdn. 131. 23
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2 Neuesheim I Schiera
Erhard Denninger
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"Das Land erkennt das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges. Dasein, insbesondere auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf angemessenen Lebensunterhalt, auf soziale Sicherung und auf Bildung, als Staatsziel an"28 .
Die etwas respektlose Metapher, die Leitsterne der Aufklärung und der Revolution in die ständische Kleiderordnung des Ancien Regime zu zwängen, soll nur den Blick dafür schärfen, daß Funktion und Geltungskraft der Menschenrechte sich in den dogmatischen Kategorien einer positiven Rechtsordnung nicht erschöpfend beschreiben und messen lassen29 . Rechte, die jeweils nach dem staatlichen Rechtsanwendungsbefehl auf allen Rangstufen anzutreffen sind, die als bloßer Programmsatz ebenso wie als einfaches Gesetz wie als feierlicher Verfassungssatz auftreten können, sind, so scheint es, aus sich heraus schwach, substanzlos, haltlos, manipulierbar. Behalten also schließlich doch die Kritiker der Menschenrechte Recht, antirevolutionäre konservative, wie revolutionäre oder liberale, Kritiker von so grundverschiedenen Positionen aus, wie sie etwa durch Edmund Burke, Kar/ Marx und Hannah Arendt repräsentiert werden? So verschieden ihre Konsequenzen ausfallen, so übereinstimmend erblicken sie die entscheidende Schwäche der Menschenrechte und des ihnen zugrundeliegenden "Menschenbildes" in ihrer Abstraktheit, in ihrer Abstraktion vom konkreten (Schutz-)Bedürfnis des Menschen, in der Abstraktion der Freiheit von ihrer notwendigen Beschränkung (Burke), in der Zerreissung zwischen dem "wirklichen individuellen Menschen" und dem .abstrakten Staatsbürger" (Marx) oder, mit Blick auf Ausgebürgerte, Staatenlose und Flüchtlinge unserer Tage, in der Abstraktion des .Menschen überhaupt" mit seinen Rechten .nur als Mensch" von seiner konkreten Verwurzdung in einem .Volk" oder mindestens als Mitglied einer staatlichen Gemeinschaft (Arendt) . •Staaten", sagt Burkein der absichtsvoll zuschärfenden Wiedergabe durch das Metternich'sche Sprachrohr Friedrich Gelltz (1794), "sind nicht gemacht, um natürliche Rechte einzuführen, die in völliger Unabhängigkeit von allen Staaten existieren können und wirklich existieren, und in viel größerer Klarheit und in einem weit höheren Grade abstrakter Vollkommenheit existieren. Aber eben in ihrer abstr.akten Vollkommenheit liegt ihre praktische Unzulänglichkeit''. Den Leidenschaften und Begierden der Menschen, zumal der großen Masse, müsse .eine Gewalt von außen" wirksam Einhalt gebieten. "Von dieser Seite betrachtet, gehören die Einschränkungen des Menschen so gut als seine Freiheiten unter seine Rechte. Da aber die Grade der Freiheit und Einschränkung nach Zeit und Umständen wechseln müssen, so können sie unmöglich vermittelst einer abstrakten Regel festgesetzt werden; und nicht