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German Pages 246 Year 2016
Marie-Theres Modes Raum und Behinderung
Kultur und soziale Praxis
Marie-Theres Modes (Dr. rer. pol.) lehrt Soziologie an der Hephata Akademie für Soziale Berufe in Schwalmstadt und an der Ev. Hochschule Darmstadt im Bereich Soziale Arbeit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Disability Studies, Soziale Differenzkonstruktionen und Raumsoziologie.
Marie-Theres Modes
Raum und Behinderung Wahrnehmung und Konstruktion aus raumsoziologischer Perspektive
Diese Studie wurde als Dissertation an der Universität Kassel im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften angenommen. Die Disputation erfolgte am 09.12.2015.
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Inhalt
I. Einleitung | 9 1. Einführung in die Thematik | 9 2. Zur Struktur der vorliegenden Studie | 16 3. Der Forschungsprozess als ethnographische Beschreibung | 20
II. Forschungsort, Forschungsfeld, Forschungsraum | 25 1. 2. 3.
Das Hotel als Forschungsort | 25 Das methodische Vorgehen im Feld | 31 2.1 Rahmenbedingungen der Forschung | 35 2.2 Überlegungen zum subjektiven Empfinden im Feld | 38 2.3 Spurensuche in Gästebüchern | 40 Analyse und Auswertung des Materials. Die Rekonstruktion räumlicher Wahrnehmung anhand sprachlicher Zeugnisse | 43
III. Behinderung im Kontext von räumlichen Dimensionen | 49 1. Behinderung als soziale Kategorie – Behinderung als Differenz | 49 2. Kultursoziologische Perspektiven auf Behinderung | 56 3. Der Spatial Turn im Forschungsprozess | 65 3.1 Raum als relationales Konzept | 71 3.2 Wechselseitige Konstruktionen von Raum und verkörperter Differenz | 77 4. Raumtheoretische Konzepte im Kontext der Forschungsinteressen | 84
IV. Voraussetzungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel | 101 1. Raumzeitlich gebundene Erfahrung von Differenz | 101 2. Gäste als Akteure zwischen Öffentlichkeit und Privatheit | 106 3. Normierte Raumkonzeptionen | 111
3.1 Räume in der Funktion von Vorder- und Hinterbühnen | 114 3.2 Platzierungstechniken von Objekten | 122 3.3 Aspekte einer bezahlten Raumerfahrung | 131
V. Raumatmosphäre am Forschungsort | 143 1. Die Bedeutung von Atmosphäre im Kontext räumlicher Wahrnehmung | 143 1.1 Anschlüsse an eine soziologische Perspektive auf räumliche Atmosphäre | 147 1.2 Das Hotel als Atmosphärenraum | 152 2. Zum Verhältnis von Raumkonstruktion und sinnlicher Wahrnehmung | 160 3. Die Dynamik zwischen Raumatmosphäre und Wahrnehmung von verkörperter Differenz | 173 VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse von Raum und verkörperter Differenz | 177 1. Räume machen Körper – Körper machen Räume | 177 1.1 Transformationen von Erfahrungen | 179 1.2 Stilisierung von verkörperter Differenz | 183 2. Projektionsort und Wunschraum | 186 2.1 Teilhabe als erlebter Raum | 191 2.2 Integration als räumliche Praxis. Raumerfahrung als Katalysator für Wahrnehmungsprozesse | 196 3. Verkörperte Differenz im Kontext von räumlichen Platzierungspraktiken | 200
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung. Abschließende Betrachtungen | 207 1. Zusammenfassung | 207 1.1 Wahrnehmung und Herstellung von Raum und Behinderung als ko-konstitutiver Prozess | 208 1.2 Räume in der Funktion von Katalysatoren | 210 Atmosphäre als bedeutsames Element der Raumwahrnehmung | 212 1.3 1.4 Disziplinäre Verortung der Ergebnisse | 213 2. Diskussion | 215 3. Ausblicke | 219 3.1 Inklusion als wirksamer Raum | 222
3.2 3.3
Raumsoziologisch gelenkte Überlegungen zum Behinderungsbegriff | 224 Das Hotel als besonderer Ort. Konvivalismus als räumliche Praxis | 226
VIII. Literatur | 231 Mein Dank | 243
I. Einleitung
»Die Originalität der räumlichen Wahrnehmung zeigt sich darin, dass sie uns mitten in einem höchst lebendigen räumlichen Spektakel wechselnder Einfälle, Einsichten und spontaner Veränderungen ansiedelt. Unsere Wahrnehmungen sind wie Blasen in einem Topf kochenden Wassers, sie entstehen, wir wissen nicht wann und wo und für wie lange, bewegen sich, platzen, machen anderen Platz.« (Elisabeth Blum) »Unruhe kennzeichnet den Ort, an dem der innere Antrieb und der Kontakt mit der Umwelt zusammentreffen und eine Gärung in Gang setzen, sei es in Wirklichkeit oder in der Vorstellung.« (John Dewey)
1. E inführung in die Thematik Das Forschungsinteresse an dem komplexen Phänomen des Raums und seinen Bedeutungen für soziale Praktiken von Akteurinnen und Akteuren ist insbesondere in soziologisch relevanten Diskursen in den letzten Jahren stark gestiegen. Dabei wird vermehrt deutlich, dass der Gegenstandsbereich Raum einer interdisziplinären Herangehensweise bedarf, um der im Gegenstand selbst begründeten Komplexität annähernd gerecht zu werden. Das zunehmend interdisziplinär ausgerichtete Interesse an räumlichen Dimensionen bringt es mit sich, dass das Thema Raum zu einer forschungsrelevanten Kategorie auch für Bereiche und Disziplinen wird, in denen es bislang eine eher marginale Rolle eingenommen hat. Die vorliegende Arbeit nimmt Raum in Bezug auf das Thema Behinderung in den Blick und analysiert, inwiefern Raum und Behinderung als ineinandergreifende, eng verzahnte und sich gegenseitig beeinflussende Phänomene aufgefasst werden können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Behinderung im Kontext eines bestimmten räumlichen Arran-
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gements von Akteuren und Akteurinnen wahrgenommen wird und als eine raumbezogene Zuschreibungspraktik erfolgt. Den Ausgangspunkt hierfür bilden ethnographische Feldstudien, die in einem Hotel durchgeführt wurden, in welchem behinderte und nicht behinderte Angestellte gemeinsam arbeiten. Die Betrachtung dieser sich wechselseitig beeinflussenden Wahrnehmungsweisen von Behinderung und Raum bedarf dabei der genauen Analyse, wie Akteurinnen und Akteure Räume wahrnehmen, herstellen und letztlich als Raum begreifen. Gleichzeitig gilt es, Vorstellungen von Behinderung als Teil dieser räumlichen Wahrnehmungsweisen zu erfassen. Ein zentrales Anliegen der Studie ist demzufolge die eingehende Betrachtung, inwiefern die Wahrnehmung von Raum und das konkrete sich Befinden in räumlichen Arrangements Vorstellungen und Konstruktionen von Behinderung verändern kann. Neben der genauen Analyse der Konstitutionsprozesse von Raum bedeutet dies, den hier noch nicht näher ausdifferenzierten Begriff der Behinderung in den Blick zu nehmen und der Frage nachzuspüren, was genau eigentlich – im Kontext räumlicher Wahrnehmungsweisen – als Behinderung wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang ist es außerdem zielführend, Körper und ihre Beschaffenheit zu betrachten und der Frage nachzugehen, wie Körper in der Wahrnehmung zu abweichenden und als behindert empfundenen Körpern werden. Strukturell kennzeichnend für diese Studie, die die wechselseitigen Dynamiken in den Herstellungs- und Wahrnehmungsweisen von Raum und Behinderung auslotet, ist dabei ebenfalls die Form einer fortwährenden Wechselseitigkeit: Die empirischen Befunde der ethnographischen Feldforschung und theoriegeleitete Überlegungen werden von Beginn an miteinander verzahnt und in Beziehung zueinander gesetzt. Diese Vorgehensweise ist meines Erachtens gut geeignet, um sich der komplexen Thematik und den dargelegten Fragen schrittweise anzunähern. Die durchgehende Verknüpfung von Empirie und Theorie ermöglicht eine rekonstruierende und detaillierte Beschreibung des gesamten Forschungsprozesses; zudem zeigt dieses Vorgehen, wie anhand von (Zwischen-)Ergebnissen und Befunden, die theoretisch reflektiert und rückgebunden wurden, sich die forschungsleitenden Fragestellungen zunehmend präzisierten und sich die zentralen Ergebnisse der Studie formten.
I. Einleitung
Zu der allgegenwärtigen Beschäftigung mit Raum und der Frage: Was hat Behinderung mit Raum zu tun? Mit dem Spatial Turn, der so genannten Raumwende innerhalb der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung, gewinnt der Raum als Kategorie und forschungsrelevantes Phänomen zunehmend an Bedeutung für soziologische Fragestellungen und Auseinandersetzungen. Dabei hat Raum als Gegenstand und Ausgangspunkt insbesondere interdisziplinär ausgerichteter Forschungsansätze die in der Vergangenheit festgestellte »Raumblindheit« (Läpple 1991, 163) längst überwunden. Wie und wann der Spatial Turn zunehmend in die Forschung verschiedener Disziplinen Eingang fand, rekonstruieren Döring und Thielmann (2008). Sie datieren das erste Auftauchen des Begriffs auf das Jahr 1989, in welchem der Humangeograph Edward W. Soja in seinem Text Postmodern Geographies in einem Unterkapitel anmahnt, den französischen Soziologen Henri Lefebvre neu zu bewerten, der 1974 in seinem Werk La production de l´espace »als erster die Raumvergessenheit des westlichen radical thought überwunden habe« (zitiert nach Döring/Thielmann 2008, 7). Es war also ein Geograph, der den Begriff des Spatial Turn mit auf den Weg brachte. Noch kann nicht eindeutig beantwortet werden, ob und in wieweit mit dem Spatial Turn tatsächlich ein umfassender Paradigmenwechsel einhergeht und ob von humangeographischer Seite oder von den Sozial- und Kulturwissenschaften der Anspruch auf die Einleitung dieses Wechsels erhoben werden darf (vgl. ebd., 10). Mittlerweile scheint der Begriff Spatial Turn omnipräsent. Döring und Thielmann sprechen sogar von vielen verschiedenen sich etablierenden Spatial Turns, deren Begründung anhand eines zentralen und transdisziplinären Raumparadigmas jedoch nach wie vor ausstehe (vgl. ebd., 10). Das generiert die Frage, inwiefern diese Vielzahl von Annäherungen an den Raum gewinnbringend in der Forschung genutzt werden kann. Auch sind bereits kritische Stimmen hinsichtlich dieses allerorts verbreiteten »Räumelns« zu vernehmen (ebd., 12). Bislang steht der konkrete Hinweis noch aus, dass die verstärkte Hinwendung zum Raum anhand unterschiedlicher Vorgehensweisen und Theoriebezüge mehr Probleme als forschungsbezogenen Nutzen generiert. Unbestritten scheint, dass der Facettenreichtum von Raum gleichermaßen zu faszinieren wie auch ob seiner Unüberschaubarkeit zu verunsichern vermag. Die teils sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Denkmodelle von Raum sollten meiner Meinung nach als Denkangebote aufgefasst werden, die
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es ermöglichen, Wissensbereiche und Phänomene in eben diese räumlichen Bezüge zu setzen und sie mithilfe von Raum anders, ergänzend und unter Umständen auch neu zu denken. Behinderung als soziale Kategorie kann einer dieser Wissensbereiche sein, wie die vorliegende Arbeit zeigt.1 Die Beschäftigung mit Raum ist als ein zusätzlicher Weg zu sehen, die gesellschaftliche Wahrnehmung und Konstruktion von Behinderung weiter zu denken, nach bislang verborgenen Zusammenhängen zu fragen und insgesamt neue oder zumindest veränderte Denkangebote zu eröffnen. Schroer spricht in diesem Zusammenhang treffend von der »Suchbewegung« in der soziologisch motivierten Annäherung an den Raum und von Möglichkeiten und Wegen, Raumvorstellungen und Raumbegriffe zu denken und konstruktiv zu nutzen (vgl. Schroer 2006, 9). Interessanterweise verwendet er in der Einleitung zu seinem Werk Räume, Orte, Grenzen nicht den Begriff des Spatial Turns. Dies könnte darauf hindeuten, dass es keinen Spatial Turn als richtungsweisendes Label für die Beschäftigung mit dem Raum braucht. Vielmehr tragen vielfältige Sicht- und Denkweisen und auch die methodologisch-methodisch höchst unterschiedlichen Annäherungen an den Raum zur Präzisierung der Wissenskategorie Raum bei, machen seine Bezüge und Verbindungslinien zu anderen Bereichen sichtbar und generieren forschungsrelevante Anschlüsse und Fragen. Werlen, dessen raumtheoretische Überlegungen auch für diese Studie von Bedeutung sind, kritisiert diese Vernachlässigung der räumlichen Komponente in der Betrachtung menschlichen Handelns. Er plädiert für eine konsequente Verknüpfung von humangeographischen und soziologischen Perspektiven, um Fragen im Zusammenhang mit sozialen Räumen überhaupt gerecht werden zu können (vgl. Werlen 2010, 255). Nicht der konkurrierende Vergleich, sondern das konstruktive Nebeneinander von (interdisziplinären) Annäherungen und Denkweisen ist in der Lage, das vielschichtige Phänomen Raum zu beschreiben. Das ungeheuer breite Spektrum der daraus folgenden, sich teilweise überlappenden, aber auch stark divergierenden Sichtweisen auf Räume spiegelt sich in der Viel1 | Dies soll nicht heißen, dass die wissenschaftliche Betrachtung von Behinderung den Raum als Gegenstandsbereich nicht bereits auf vielfältige Weise einbezieht. Dies geschieht vor allem in Bezug auf den Begriff des Sozialraums, worauf an späterer Stelle näher eingegangen wird.
I. Einleitung
zahl der wissenschaftlichen und insbesondere sozialwissenschaftlichen Publikationen zum Thema: Untersucht werden soziale, mediale, körperliche, ästhetische, politisch-geographische, technische und physikalische Räume. Es existiert ein Nebeneinander raumbezogener Diskurse, die in Bezug auf einige Aspekte gemeinsame Wege beschreiten, und doch an vielen Stellen hinsichtlich ihrer speziellen Fokussierung isoliert erscheinen. Die Frage nach der einen Raumsoziologie kann meiner Ansicht nach nicht gestellt werden, sondern vielmehr nur die nach den Raumsoziologien.2 Den meisten, nicht nur soziologisch gerahmten Auseinandersetzungen und Annäherungen an den Raum ist dabei gemein, dass sie sich intensiv mit dem Erleben und Erfahren von Raum durch Akteure und Akteurinnen auseinandersetzen. Raumerleben und Raumerfahrung sind alltagsimmanente Erscheinungen. Jeder Mensch erlebt und erfährt täglich viele verschiedene Räume. Räume und die Herstellung spezifischer Räume sind Teil einer medialen und kommerziellen Maschinerie, die mit unerschöpflichen Produkten und Konzepten auf das tägliche Raumerleben zielt, in dem Versuch, dieses so angenehm wie möglich zu gestalten. Spezielle Räume und die Möglichkeiten, diese herzustellen werden werbewirksam angepriesen; dies trifft insbesondere auf konkret abgrenzbare und lokalisierbare Räume wie beispielsweise bestimmte Gebäude oder Häuser zu. Die Dinge und Dienstleistungen, die in Bezug auf die Gestaltung von bestimmten Räumen angeboten werden, dienen in den meisten Fällen dazu, das subjektive Raumerleben angenehmer, besser oder schöner zu machen. Die Studie fokussiert insbesondere, wie Akteure und Akteurinnen Raum unterschiedlich wahrnehmen und welchen Einfluss das Erleben bestimmter Räume auf soziale Interaktionen und Praktiken hat. Der Schwerpunkt meiner Auseinandersetzung liegt dabei auf der Frage, inwiefern diese in Alltagsroutinen vollzogenen und dabei oft nicht näher reflektierten Raumerfahrungen daran beteiligt sind, wie wir andere Menschen sehen, sie und insbesondere ihre Körper wahrnehmen und ihnen 2 | Zu den umfangreichen und teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen und begrifflichen Abgrenzungsversuchen von Raum im Kontext der neueren sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung geben insbesondere die Monographien und Textsammlungen von Läpple 1992, Löw 2001, Schroer 2006 und Dünne/Günzel 2006, das von Günzel 2010 herausgegebene interdisziplinäre Handbuch zu Raum sowie Döring/Thielmann 2008 einen fundierten Überblick.
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möglicherweise eine durch den jeweiligen Raum mitbestimmte Rolle und Bedeutung zuschreiben. Was bedeutet es, einen Raum zu erleben? Was vermag das Erleben in uns zu bewirken bzw. an Spuren zu hinterlassen? Welchen Einfluss hat diese alltägliche Praxis des Raumerlebens auf unser soziales Handeln? Sind Räume in der Lage, hinsichtlich ihrer jeweiligen Wirkungsweise Effekte zu produzieren, die weit größeren Einfluss auf unsere Sichtweisen nehmen als von uns angenommen? Wie vermag ein Raum bestimmte Wirkungsweisen zu erzielen und vor allem: Wie können diese durch Raumerleben generierten Wirkungsweisen sichtbar gemacht werden? Mit Einbezug der Kategorie Behinderung lassen sich diese Fragen weiter zuspitzen: Ist der wahrgenommene und erlebte Raum daran beteiligt, ob ich einen anderen Menschen als behindert oder nicht behindert wahrnehme? Ist Behinderung möglicherweise eine räumlich beeinflusste soziale Konstruktion, eine mit räumlicher Wahrnehmung verknüpfte Sichtweise, Zuschreibung und Herstellungspraxis? Die Studie geht diesen Fragen nach und stellt dar, wie die Wahrnehmung von Raum und Behinderung als ein dynamischer und wechselseitig aufeinander bezogener Prozess aufgefasst werden kann.
Raum als Erlebnis Die differenzierte Auseinandersetzung mit dem räumlichen Erleben findet sich vor allem in kultur- und kunstwissenschaftlich orientierten Arbeiten zu ästhetischen und künstlerischen Räumen und hier insbesondere im Kontext der Theater- und Filmwissenschaften. Aber auch in zeitlich weiter zurückliegenden Studien, wie beispielsweise den 1931 erschienenen Texten von Ernst Cassirer über den mythischen, ästhetischen und theoretischen Raum sowie Max Herrmanns Ausführungen zum Theater (vgl. Dünne/Günzel 2006, 485 ff), wird das Raumerlebnis thematisiert. Beide sehen in der Erfahrung ästhetischer Räume eine »Reflexion von Möglichkeitsbedingungen« und eine »Wirklichkeitsbewältigung anhand ordnungsfunktionaler symbolischer Sinnformen« (Lüdeke 2006, 452) und somit Auswirkungen von Räumen auf Individuen, wenngleich diese nicht näher beschrieben werden. Das am Subjekt orientierte Raumerleben und dessen mögliche Wirkungsweisen nehmen bereits in Georg Simmels Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle ein. Frisby bezeichnet ihn folgerichtig als »ersten Soziologen, der ausdrücklich die gesellschaftliche Bedeutung räumlicher Zusammenhänge für die menschliche Interaktion betont«
I. Einleitung
(Frisby 1989, 78).3 Interessanterweise bleibt für Simmel in seinen Ausführungen Der Raum und die räumliche Ordnung der Gesellschaft ([1908] 1992), in welchen er zwischen Raumqualitäten und Raumgebilden differenziert, der Raum zwar ein Ort möglicher sozialer Projektion, er betont aber gleichzeitig, dass bei aller Wirksamkeit und Einwirkung durch besondere Raumkonfigurationen der Raum stets »die an sich wirkungslose Form sei« (ebd., 687). »Nicht der Raum, sondern die von der Seele her erfolgende Gliederung und Zusammenfassung seiner Teile hat gesellschaftliche Bedeutung.« (Ebd., 688) In diesem Zusammenhang sieht Simmel den Raum als passives Instrument, das erst durch die den Raum erlebenden Personen eine Wirkung hat. Wiederum stellt sich die Frage, ob der Raum, oder auch der Ort4 als eine Form von Raum, tatsächlich ein an sich nicht wirkendes Gebilde darstellt und ob die von ihm ausgehende Wirkung hinsichtlich sozialer Prozesse und Deutungen allein aus der Interpretation der Wahrnehmungsweise von Akteuren hervorgeht – oder ob Räume nicht doch eine quasi eigenständige Wirksamkeit oder gar Wirkmächtigkeit innehaben, deren Resultate sich in individuellen Raumerfahrungen und Raumerlebnissen widerspiegeln. Sowohl aus raumsoziologischer als auch aus humangeographischer Perspektive schätzt Werlen die Frage nach der Bedeutung von Räumlichkeit für die kulturellen Aspekte der menschlichen Existenz als eine »der wichtigsten Fragen der Gegenwart« ein (2003, 1). Werlen sieht außerdem die interdisziplinäre Verflechtung von geographischer und soziologischer Perspektive als grundsätzlich notwendig für eine erkenntnisbringende Betrachtung sozialer Räume an (vgl. 2010, 255). Seine Ausführungen, die sich in erster Linie auf die Praxis einer sozialgeographischen Ethnologie stützen, geben für diese Arbeit, die sich auf die Wirkung von räumlichen Gegebenheiten an einem konkret lokalisierbaren Ort kon3 | Zu Simmels Überlegungen zu Raum vgl. auch die Ausführungen von Schäfers und Bauer 1994, 45-57. 4 | Die Verwendung des Begriffes Ort bezieht sich hier auf die von Löw angenommene Bedeutung von »Orten als eine Lokalisierung von Räumen« (Löw 2001, 198). Ein konkreter Ort ist nach Löw beispielsweise ein Platz oder eine Stelle, die zumeist geographisch markiert und konkret benennbar ist. Gleichzeitig weist Löw darauf hin, dass Orte, sobald ihnen soziologische Relevanz zugesprochen wird, vielfach mit Räumen gleichgesetzt werden (vgl. ebd., 199). Auf diese Perspektive von Löw wird zu gegebener Zeit noch vertieft eingegangen.
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zentriert, wertvolle Hinweise. Werlen führt aus, dass »die Bedeutungen von Orten als auch die Räumlichkeit von Gegebenheiten handlungstheoretisch betrachtet wohl nur in Bezug auf und als Folge von Tätigkeiten (empirisch) erschlossen werden können« (2003, 5). Auch diese Studie fragt danach, wie diese Bedeutungen erschlossen werden können und inwieweit das Aufspüren derselben im Rahmen einer empirisch-qualitativen Vorgehensweise geleistet werden kann. Zentral und richtungsweisend für die hier verwendete Vorgehensweise und mein spezifisches Erkenntnisinteresse ist die raumsoziologische Konzeption von Löw, die als theoretischer Rahmen für die schrittweise Annäherung an die Verbindungslinien und Bezüge von Raum und Behinderung herangezogen und gleichzeitig als methodisches Instrument verwendet wurde.
2. Z ur S truk tur der vorliegenden S tudie Die Untersuchung basiert auf den empirischen Befunden aus einer ethnographischen Feldforschung, die in einem Hotel mit behinderten und nicht behinderten Beschäftigten5 durchgeführt wurde. Der empirische Gesamtprozess, der den Ergebnissen und Befunden zugrunde liegt, wird im Folgenden detailliert nachgezeichnet. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit der Situation der Feldforschung selbst, die von Breidenstein bezeichnenderweise auch als das »unsichere Terrain« bezeichnet wird (2010, 206), eine entscheidende Rolle. Diese Studie zeichnet einen vielschichtigen und komplexen Forschungsprozess nach, der zuweilen klar und stringent voranschritt, um im nächsten Augenblick neue thematische Schleifen und Schauplätze zu produzieren, deren Einbezug wiederum neue Herausforderungen generierten. Die anhand des Materials gewonnenen Erkenntnisse und Befunde werden gleichsam entlang eines roten Fadens nach ihrem jeweiligen Auftreten im Forschungsprozess erörtert und theoretisch reflektiert. Diese Form der kontinuierlichen Verhandlung und Weiterentwicklung der im Prozess generierten Befunde soll das Verstehen und die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse unterstützen. Gleichzeitig kann diese Darstellungs5 | In dieser Studie wird sowohl die männliche als auch die weibliche Form in der Schreibweise verwendet. Wird nur eine Form verwendet, ist die jeweilige andere mitgemeint, anderenfalls wird explizit im Text darauf verwiesen.
I. Einleitung
form den individuellen Forschungsprozess als Prozess der schrittweisen Annäherung an die komplexen Verbindungen und die Verwobenheit der Bedeutungen von Raum und Behinderung meines Erachtens bestmöglich abbilden. Das im Anschluss an das Einleitungskapitel folgende Kapitel II Forschungsort, Forschungsfeld, Forschungsraum beginnt mit zentralen Überlegungen zum Hotel als Forschungsort und zum Forschungsdesign, zu Vorgehen und Methoden im Feld unter Einbezug von Girtlers Erörterungen zur Feldforschung (2001) und den Überlegungen zwei besonders einschlägiger Autoren, Hirschauer und Amann (1997), im Hinblick auf ethnographische Herangehensweisen im Kontext einer soziologischen Empirie. Daran schließen sich – in Anlehnung an den chronologischen Verlauf der Feldforschungsphase – Betrachtungen zur Rolle von Forschenden im Feld an, die erste Auswertungsergebnisse von Feldprotokollen und des Forschungstagebuchs beinhalten und diese mit Aspekten neuerer Beiträge zum Thema der Subjektivität und des diesbezüglichen Erkenntnispotentials in der qualitativen Forschung (u.a. Behse-Bartels/Brand 2009) verknüpfen. Das Kapitel beinhaltet außerdem (rückblickende) Betrachtungen zu Nutzen und Risiken einer ethnographischen und damit multiperspektivischen Forschung, insbesondere im Hinblick auf raumbezogene Phänomene. In diesem Zusammenhang werden auch Überlegungen zu methodischen Schwierigkeiten während der Feldphase und den anfänglichen Unsicherheiten meinerseits in der konkreten Forschungssituation mit kognitiv beeinträchtigten Menschen thematisiert. Die Beschreibung der Datenerhebung im Feld sowie die methodischen Herausforderungen und Begrenzungen innerhalb des Erhebungsprozesses bilden einen weiteren Schwerpunkt des Kapitels. Auch das Gästebuch des Hotels als wichtigste Datenquelle neben Feldprotokollen und Feldnotizen wird einer eingehenderen Betrachtung unterzogen. Die Beschreibung der zur Analyse und Auswertung des Datenmaterials herangezogenen Methoden und Verfahren, inklusive eines vertieften Blicks auf die für den Fortgang des Gesamtprozesses bedeutsame Grounded Theory (Glaser/Strauss 2008), schließen das Kapitel ab. Kapitel III Behinderung im Kontext von räumlichen Dimensionen rekonstruiert die Entdeckung der räumlichen Bedeutsamkeit und bezieht dabei sowohl erste Eindrücke während des Feldaufenthaltes als auch erste Auswertungsergebnisse der erhobenen Daten mit ein. Eine dieses
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Kapitel begleitende Frage war, wie sich Raum oder räumliche Struktur auf die sich innerhalb eines Raums befindenden Personen auswirkt und inwieweit der Raum Einfluss auf eine möglicherweise intersubjektiv geteilte, gemeinsame Wahrnehmung der vor Ort vorgefundenen Gegebenheiten und Phänomene hat. Zugleich beginnt hier der Einbezug raumsoziologischer Konzeptionen und Überlegungen, auf deren Fundament sich der fortschreitende Analyseprozess stetig weiterentwickelte. Hierzu gehört insbesondere die Auseinandersetzung mit Löws relationalem Raummodel (2001), das sich für die Fragestellungen der Studie als wegweisendes Konzept erwies. Im Hinblick auf die Betrachtung von Behinderung als soziale Kategorie und als Phänomen einer verkörperten Differenz werden die Überlegungen Waldschmidts und Schneiders zu Behinderung und Körper (2007) aus der Perspektive der Disability Studies aufgegriffen. Methodisch-methodologische Aspekte zur wissenschaftlichen Erschließung von Raum werden unter Einbezug der Analysemodelle von Sturm (2000) und Ruhne (2003) in den Blick genommen und ihr Nutzen für den eigenen Forschungsprozess hinterfragt. In diesem Kapitel werden außerdem erste Zwischenergebnisse zu der konstatierten wechselseitigen Beeinflussung von Raum und Emotionen und zu den mit diesen in Verbindung stehenden Wahrnehmungsmustern von Behinderung erörtert. In Kapitel IV Voraussetzungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel erfolgt die Auseinandersetzung mit den als maßgeblich erachteten Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung von Raum und Behinderung innerhalb des Forschungsraums Hotel. Das Kapitel setzt sich mit feldspezifischen Faktoren und Gegebenheiten für die Wahrnehmung von Raum und Behinderung bzw. verkörperter Differenz auseinander, um daran raumsoziologische Perspektiven anzuschließen. Öffentlichkeit und Privatheit, normierte Raumkonzeptionen, aber auch der Raum in der Funktion einer Bühne sind in diesem Zusammenhang wichtige Aspekte; zudem thematisiert das Kapitel die Bedeutung von Objekten und ihrer Materialität für räumliche Konstitutions- und Konstruktionsprozesse und die damit in Verbindung stehenden Wahrnehmungsweisen, in denen Körper als behindert oder nicht behindert klassifiziert werden. Kapitel V Raumatmosphäre am Forschungsort thematisiert die Bedeutung des atmosphärischen Raums und seine Auswirkungen auf die Wahrnehmungsweisen von Anwesenden. Wichtig ist hier insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Begriff der raumbezogenen Atmosphäre in-
I. Einleitung
nerhalb eines soziologisch motivierten Erkenntnisinteresses. Maßgeblich für die Überlegungen dieses Kapitels ist die Frage, wie der atmosphärische Raum innerhalb raumsoziologischer Überlegungen gedanklich verortet und konzeptualisiert werden kann und wie sowohl seine Erscheinungsformen als auch seine Wirkungsweisen für empirische Prozesse sinnvoll genutzt werden können. In diesem Zusammenhang wird die Konzeption Löws kritisch hinterfragt und im Hinblick auf Anschlussstellen für das Phänomen des atmosphärischen Raums reflektiert. Ergebnisse und Befunde, die auf die Dynamik und Verknüpfung zwischen Raumatmosphäre und der Konstruktion von Behinderung bzw. verkörperter Differenz hinweisen, schließen das Kapitel ab. Kapitel VI Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse von Raum und verkörperter Differenz stellt wesentliche empirische Befunde der Feldstudie vor, auch im Rückgriff auf bereits erörterte Zwischenergebnisse. Die wechselseitigen Konstitutionsprozesse und wahrnehmungsbezogenen Herstellungsweisen von Raum und verkörperter Differenz werden am empirischen Material aufgezeigt. Im Fokus steht die Beschreibung der komplexen Dynamik, die zwischen Raumwahrnehmung und den damit einhergehenden Bedeutungszuschreibungen an Körper besteht. Im Rückgriff auf die Befunde werden Körper als Elemente von räumlichen Praktiken und Platzierungstechniken beschrieben und es wird ihre Bedeutung für die Konstitution von Raum diskutiert. Das letzte Kapitel VII Wahrnehmung- und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung. Abschließende Betrachtungen fasst die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen. Daran anschließend werden die Befunde im Hinblick auf ihre Bedeutung für eine raumsoziologische Programmatik diskutiert und weiterführende Anschlussmöglichkeiten dargestellt. Dabei wird neben anderen Aspekten die wechselseitige Dynamik zwischen Raumherstellungsprozessen und der Wahrnehmung verkörperter Differenz für den Diskurs der Disability Studies hinterfragt. Es schließen sich Überlegungen zu Körper und Raum an, die die Bedeutung und Funktionsweise von Materialität für raumbezogene Wahrnehmungsprozesse aufgreifen. Der atmosphärische Raum als unterschätztes Phänomen für die Untersuchung sozialer Prozesse wird nochmals in den Blick genommen. Im Rückgriff auf Löws Konzeption von Raum wird erörtert, wie der atmosphärische Raum als zentrales Phänomen innerhalb einer qualitativ orientierten Forschungsstrategie aufgefasst und nutzbar gemacht werden kann. Im Ausblick geht es abschließend um Überlegungen zu besonderen
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Orten und spezifischen räumlichen Arrangements insbesondere im Hinblick auf Menschen mit Beeinträchtigungen sowie den Inklusionsbegriff. Thematisiert wird außerdem die Frage, inwiefern die Ergebnisse der Studie genutzt werden können, über konvivalistische Perspektiven im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Raum und verkörperter Differenz nachzudenken.
3. D er F orschungsprozess als ethnogr aphische B eschreibung Ich setze mich dazu und sage, dass ich nicht stören wolle, ich wolle nur ein bisschen Pause machen. Frau K. bietet mir an, mitzuessen, ich lehne ab, aber nehme mir dankend etwas zu trinken. Der behinderte junge Mann aus dem Service erkennt mich gleich wieder und will wissen, was ich hier mache. Ich versuche, es relativ einfach zu erklären und sage, dass ich etwas über das Hotel schreiben möchte. Er strahlt mich an und sagt: »Oh, Sie schreiben ein Buch, das möchte ich dann aber auch lesen!« Ich nicke und sage, dass es allerdings ein wenig dauern wird, bis es fertig ist. (Auszug Feldtagebuch vom 03.10.08)
Diese Passage aus meinem Feldtagebuch schildert eine kurze Begegnung mit einem behinderten jungen Mann, der im Servicebereich des Hotels arbeitet. Sie ist hier wiedergegeben, da sie in engem Zusammenhang mit einer Frage stand, die mich während des gesamten Forschungsprozesses hindurch begleitete. Es war die Frage, an welchen Adressatenkreis außerhalb einer mit raumsoziologischen Aspekten befassten scientific community sich die Ergebnisse der Studie richten würden. Meine in der Passage durchscheinende Zurückhaltung gegenüber dem jungen Mann, der sich für das entstehende Buch interessierte, ist ein Hinweis auf eine mögliche Unsicherheit im Zusammenhang mit meiner eigenen Bedeutungszuschreibung an das Thema Behinderung, die von mir mit in die Feldforschungssituation hineingebracht wurde und dementsprechend den Forschungsprozess begleitet und beeinflusst hat. Für mich schien es in der besagten Situation fraglich, ob der junge Mann mit dieser Art Buch, respektive der geplanten Forschungsarbeit, etwas anfangen kann. Dennoch habe ich auf seinen Wunsch mit einem Nicken reagiert, sowohl aus Gründen der Höflichkeit als auch aus der Annahme heraus, dass er auch ohne spezielles Interesse an raumsoziologischen Überlegungen
I. Einleitung
Freude an einem Buch haben könnte, das Beschreibungen über ihn und seinen Aufgabenbereich innerhalb des Hotels enthält. Das geschilderte Ereignis ließ meine Aufmerksamkeit während des gesamten Forschungsprozesses immer wieder zu der Frage zurückkehren, ob und inwieweit gerade ethnographische Studien und die aus diesen resultierenden Texte in der Lage sein sollten, möglichst viele Adressaten, auch außerhalb der eigenen scientific community, anzusprechen. Nach Geertz haben solche Studien auch »eine Erweiterung des menschlichen Diskursuniversums zum Ziel« (1987, 20). Geertz sieht es als Aufgabe, anhand von empirisch gewonnenen Erkenntnissen eine »dichte Beschreibung« zu erstellen, die programmatisch übergeordnet für die interpretativ deutende Beschreibung von Kultur herangezogen werden kann (vgl. ebd.).6 »Dichte Beschreibung« versteht Geertz als die Fixierung eines flüchtigen Ereignisses, welches in der Niederschrift existiert und wieder herangezogen werden kann, und damit die Möglichkeit bietet, »den Bogen eines sozialen Diskurses nachzuzeichnen« und ihn »in einer nachvollziehbaren Form festzuhalten« (ebd., 28). Dass eine dichte Beschreibung ein »kompliziertes intellektuelles Wagnis« ist (ebd., 10) und die Beschäftigung mit einer »Vielzahl komplexer, oft übereinander gelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen umfasst, die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind und die er [der Ethnograph, Anm. d. A.] zunächst einmal irgendwie fassen muss« (ebd., 15), ist nicht von der Hand zu weisen. Zudem, und dieser Aspekt wird in Geertz’ Ausführungen meiner Ansicht nach vernachlässigt, ist die Erstellung von dichten Beschreibungen mit einer großen Verantwortung verbunden: Zunächst ist dies die Verantwortung für den kontinuierlichen Prozess einer forschungsbezogenen Selbstreflexion, die wiederholte Überprüfung der eigenen analytischen und methodischen Vorgehensweise. Des Weite6 | Zu seinem Verständnis von Kultur vgl. Geertz 1983, 9ff. Da es sich bei meiner Arbeit vielfach um die Auseinandersetzung mit dem Raum und der Lokalisation von Räumen an Orten handelt, an dieser Stelle noch ein kurzer Blick auf Geertz` Auffassung von Ort, die in seinen Ausführungen zur dichten Beschreibung enthalten ist. Darin betont Geertz, dass »der Ort der Untersuchung nicht der Gegenstand der Untersuchung ist« (ebd., 32). Es erscheint mir bemerkenswert, dass Geertz dem Ort keine Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand zumisst, insbesondere da für den ethnographischen Forschungsprozess der Untersuchungsort und seine Rahmenbedingungen meiner Ansicht nach höchst bedeutsam sind.
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ren folgt die Verantwortung für das Produkt der dichten Beschreibung, also für den Text als solchen. Dieser kann als detailliertes Abbild des Prozesses gesehen werden, der durch seine schriftliche Fixierung etwas Endgültiges erhält. Diese Verantwortung für den Text bedeutet dabei auch den gedanklichen Einbezug potentieller Leser und am Gegenstand interessierter Personen, denen man die im ethnographischen Prozess entstandene, eigene Lesart der Geschehnisse in Form einer dichten Beschreibung vorstellt. Die Intention der dichten Beschreibung sieht Geertz unter anderem darin, »das »Gesagte« eines sozialen Diskurses dem vergänglichen Augenblick zu entreißen« (ebd., 30). Er sieht die essentiellen Aufgaben des Ethnographen in den folgenden Tätigkeiten: »Er beobachtet, er hält fest, er analysiert.« (Ebd., 29) In beiden Aussagen wird aus meiner Sicht deutlich, dass die Plausibilität einer dichten Beschreibung in unmittelbarem Zusammenhang damit steht, inwiefern die potentiellen Leser in die Rekonstruktion des Forschungsprozesses mit einbezogen werden. Auch Girtler, dessen Überlegungen zur ethnographischen Feldforschung ein weiteres Fundament für die vorliegende Studie darstellen, erachtet dieses Mitdenken des Lesers als wichtig: »Aber dennoch meine ich, die Kunst eines guten Forschers besteht darin, anderen Menschen einigermaßen fesselnd über seine Forschungsarbeiten zu erzählen. Ich glaube, erst jene Arbeiten sind sinnvoll, die von einem größeren Publikum mit Freude und Interesse gelesen werden.« (2001, 171) Matt, der sich intensiv mit dem ethnographischen Schreiben auseinandergesetzt hat, sieht in diesem gedanklichen Einbezug des Lesers auch die Kunst, »den Leser mit einem ihm eher unvertrauten, unbekannten, unerkannten Bereich sozialer Wirklichkeit in seiner Eigenart vertraut zu machen« (2001, 9). Es sei die Aufgabe des Autors, die Ergebnisse ethnographischer Studien angemessen und verständlich darzustellen. Mit dieser »Umwandlung des Verstehens in ein textliches Produkt«, welches das Erkannte für andere repräsentieren soll, kann jedoch auch Verunsicherung einhergehen (vgl. ebd., 14). Dies führt Matt unter anderem auf die zumeist bewusst angelegte Offenheit ethnographischer Projekte zurück, die bezüglich ihrer Durchführung kein spezielles Regelwerk aufweisen. Auch für die schriftliche Darstellung ethnographischer Studien und ihrer Ergebnisse lassen sich keine festgeschriebenen Regeln finden, wenngleich Gütekriterien im Hinblick auf ihre Plausibilität und wissenschaftliche Angemessenheit existieren. Welche Form genau eine ethnographische Beschreibung schließlich annimmt, beruht letztlich auf der jeweiligen Entscheidung des Verfassers.
I. Einleitung
Die Darstellungsweise der vorliegenden Studie ist eng an die Form des wissenschaftlichen Essays angelehnt. Dieser ist per definitionem als eine Abhandlung zu verstehen, die ein wissenschaftliches oder literarisches Thema in knapper und anspruchsvoller Weise darstellt. Für das Abfassen eines Essays existiert keine festgelegte, normierte Vorgehensweise. Auch Geertz sieht diese Darstellungsform als das »natürliche Genre« ethnographischer Präsentation an (1987, 36). Der Essay ist meiner Meinung nach das einzig mögliche Genre, um den komplexen Prozess ethnographischer Forschung, von den Feldstudien bis hin zu den empirischen Ergebnissen angemessen nachzuzeichnen. In diesem Zusammenhang verstehe ich einen Essay auch als Form einer wissenschaftlich gerahmten, interpretativen Berichterstattung, die durch ihre prinzipielle Offenheit gewisse Freiheiten in der Darstellung ermöglicht. Diese Freiheit wurde für die vorliegende Arbeit intensiv genutzt und findet sich insbesondere innerhalb der kontinuierlichen Verknüpfung von Empirie und Theorie in der Darstellung wieder.
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II. Forschungsort, Forschungsfeld, Forschungsraum Ich durchstreife wieder alle mir zugänglichen öffentlichen Bereiche, betrachte die Bilder und überall ausgelegten Bücher, zumeist großformatige Bildbände auf kleinen Tischchen, sammle ein paar kleine Infobroschüren und staune abermals ob der Perfektion, mit der das gesamte Gebäude bis ins kleinste Detail ausgestattet ist. (Auszug Feldprotokoll, Beginn erste Feldforschungsphase)
1. D as H otel als F orschungsort Die Überlegung, die Gegebenheiten und Situationen innerhalb eines Hotels mittels einer ethnographischen Feldforschung zu thematisieren, hat ihren Ursprung in meiner beruflichen Tätigkeit an einer Berufsakademie für sozial- und heilpädagogische Berufe. Im Kontext meines Lehrauftrags für die Fächer Soziologie und Sozialpolitik ist die Thematik der beruflichen Integration beeinträchtigter Menschen von besonderer Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten ihrer Eingliederung in den so genannten ersten Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund erschien mir die in den letzten Jahren stetige Zunahme von Eingliederungsprojekten für behinderte Menschen innerhalb der Hotel- und Gaststättenbranche interessant, insbesondere aufgrund der Hinweise auf die damit verbundenen Erfolge.1 Schließlich wurde ich auf ein Hotel aufmerksam, welches behinderte und nicht behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt und sich darüber hinaus durch spezielle Angebote und Rahmenbedingun1 | Vgl. zu Organisation und Struktur der integrativen Projekte innerhalb des Hotel- und Gaststättengewerbes in der Bundesrepublik auch das Netzwerk www. embrace-hotels.de.
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gen von anderen integrativen Projekten innerhalb Gastronomiegewerbes unterschied. Aus soziologischer Perspektive schien es interessant, die dort stattfindenden vielseitigen Interaktionsprozesse zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen zu untersuchen, um Aussagen zu einer möglichen Entstigmatisierung durch dort entstehende soziale Kontakte und Interaktionen treffen zu können. Diese ersten Gedanken wurden insbesondere durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Stigmabegriff von Goffman ([1963] 1975) angeregt. Die Frage, inwieweit die berufliche Integration beeinträchtigter Menschen innerhalb des gastronomischen Dienstleistungsbereichs gelingen kann bzw. anhand welcher Gegebenheiten und sozialer Praktiken dieser Sektor als besonders geeignet für integrative Prozesse zu sein scheint, war zunächst zentral für die Durchführung des Forschungsvorhabens. Auch das Hotel als besondere räumliche Konzeption und damit als konkreter Ort der interaktiven Prozesse fand Eingang in erste forschungspraktische Überlegungen. Dem Ort respektive den am Ort wahrgenommenen Räumen wurde allerdings zu Beginn weitaus weniger Bedeutung und Aussagekraft zugemessen, als sie letztendlich während des Forschungsprozesses erlangen sollten. In Bezug auf die Bundesrepublik nehmen Hotels einen universalen und bedeutsamen Platz innerhalb der ökonomischen Infrastruktur ein. Hinsichtlich des Leistungsspektrums sowie der Ausstattung scheinen Hotels keine Grenzen gesetzt zu sein; diese reichen von der einfachen Zweckmäßigkeit bis hin zur Luxusvariante, was sich entsprechend auch im Preis widerspiegelt. Mit dem Begriff Hotel ist grundsätzlich die Möglichkeit zur Übernachtung verbunden, obgleich ein dazugehöriges Restaurant auch ohne Buchung eines Zimmers aufgesucht werden kann.2 Die Bandbreite möglicher Gründe und Motivationen sich in ein Hotel zu begeben, ist sehr groß und umfasst vor allem Urlaubs- und Freizeitaufenthalte sowie den beruflich bedingten Aufenthalt. Immer gleich oder doch zumindest ähnlich sind meines Erachtens die zwei folgenden Aspekte: Zum einen 2 | Die Möglichkeit, aber der nicht zwingende Umstand, ein Hotel zur Übernachtung und zur Verpflegung aufzusuchen, wird auch in der etymologischen Betrachtung des Begriffs deutlich: Hotel »Haus mit einem bestimmten Komfort, in dem Gäste übernachten [und verpflegt werden] können«: Das Substantiv wurde im 18. Jh. aus frz. hôtel (afrz.[h]ostel) entlehnt, das auf spätlat. hospitale »Gast[schlaf] zimmer« zurückgeht (vgl. Hospital). Diese Angaben beziehen sich auf die Darstellung in Duden, Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim 2007, Herv. i. O.
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erfolgt das Aufsuchen eines Hotels in den meisten Fällen aus freiwilligen und selbstbestimmten Beweggründen (von einer Notunterbringung beispielsweise aufgrund einer Schlechtwetterlage abgesehen), zum anderen stellt das Hotel unabhängig von den Gründen des Aufenthalts durch seine Gegebenheiten die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse sicher: Schlafen, trinken, essen und hygienische Versorgung. Dabei handelt es sich um die Inanspruchnahme einer bezahlten Dienstleistung. Ein Hotel ist ein Ort, der meist innerhalb eines Gebäudes situiert und als dieses besonders gekennzeichnet ist, zum Beispiel durch großformatige Schilder und Wegweiser, um das Auffinden zu erleichtern. Der Aufenthalt in einem Hotel unterliegt institutionalisierten und rechtsverbindlichen Regeln, so erhält man durch die in den meisten Fällen schriftlich bestätigte Buchung auch die Garantie, die gewünschte Leistung für einen bestimmten Zeitraum in Anspruch nehmen zu können, gleichzeitig verpflichtet man sich, diese zu bezahlen. Als Gast in einem Hotel verhält man sich entsprechend der vor Ort geltenden Normen, beispielsweise hält man bestimmte Frühstückszeiten oder eine festgelegte Nachtruhe ein. Diese innerhalb eines Hotels geltenden Regeln werden meist anhand allgemein bekannter Verhaltenserwartungen praktiziert, die sich sowohl auf die Interaktionen der Gäste untereinander als auch auf die Kontakte zwischen Gästen und Hotelangestellten erstrecken. Somit produziert ein Hotel als räumliche Gegebenheit ein bestimmtes menschliches Verhalten, das zumeist ohne großes Nachdenken von den dort befindlichen Personen praktiziert wird. Diesem zugrunde liegt das gemeinsame Interesse an den vor Ort vorhandenen und individuell genutzten Gegenständen und Dienstleistungen. Einem Hotel kann somit durchaus eine auf den Raum bezogene Ordnungsfunktion3 menschlicher Handlungsweisen attestiert werden, wie an späterer Stelle noch ausführlich dargestellt wird. Neben dem Angebot des bereits erläuterten Leistungsspektrums, dessen Qualität durch eine reglementierte Vergabe von Sternen bewertet wird, sind Hotels oft mit einem thematischen Schwerpunkt verbunden. So gibt es Sporthotels, Wellnesshotels, Hotels mit speziellen musikalischen und kulturellen Angeboten, Hotels, die insbesondere auf die Belange beeinträchtigter Menschen eingestellt sind, solche mit Angeboten der Fort- und Weiterbildung, kurzum: Der thematischen Spezialisierung sind keine Grenzen gesetzt. 3 | Zu den Ordnungsfunktionen von Räumen vgl. auch Simmel [1908] 1992, 687ff.
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Wenngleich diese Vielfältigkeit zunächst den Eindruck einer Erweiterung der Auswahlmöglichkeiten für die Kunden suggeriert, so hält eine Spezialisierung unter Umständen auch Gäste ab, die kein Interesse an dem jeweiligen Angebot haben. Hotels sind somit oft sehr gruppen- und adressatenspezifisch ausgerichtet. In einem Hotel treffen die unterschiedlichsten Menschen und Personenkreise aufeinander, die zwar jeweils ihren individuellen Aufenthalt vor Ort selbst gewählt haben, in der Regel aber nicht darüber entscheiden können, wer sich außer ihnen zum selben Zeitraum dort befindet. Es begegnen sich also einander fremde Personen, es sei denn, man hält sich aufgrund besonderer Umstände, beispielsweise einer Familienfeier oder einem Arbeitstreffen, dort auf. Dieser Umstand produziert eine räumlich begrenzte Vielfalt in den innerhalb eines Hotels stattfindenden sozialen Kontakten und Interaktionen. Unabhängig von Herkunft, Persönlichkeit, Interessenlage, sozialem Status und Grund des Aufenthalts der Gäste bleibt dabei der wesentliche Grund der Anwesenheit weitgehend gleich; so geht es um die Inanspruchnahme eines Angebots, das die genannten Grundbedürfnisse erfüllt. Hotelgäste können also eine von den gleichen Absichten geleitete, zeitlich begrenzte Gemeinschaft bilden. Die tatsächlichen Kontakte und sozialen Beziehungen untereinander, sowohl was Gäste als auch Mitarbeitende betrifft, variieren dabei jedoch stark. So gibt es Gäste, die während des Aufenthalts außer den notwendigen formalen Kommunikationssituationen keinerlei weitere Kontakte zu anderen suchen, und solche, für die der Aufenthaltsort Hotel gerade diese gewünschten Kontaktsituationen und Interaktionen ermöglicht. Diese soziale Vielfältigkeit menschlicher Kontakte und deren mögliches Spannungsverhältnis, resultierend aus dem frei gewählten Vor-Ort-Sein oder auch einer unfreiwilligen Anwesenheit, verbunden mit der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse und der gleichzeitigen Anpassung und Übernahme der durch das Hotel vorgegebenen Normen und Verhaltensweisen, ist möglicherweise auch einer der Gründe, warum das Hotel als Ort insbesondere in literarischen und filmischen Darstellungen immer wieder aufgegriffen wird.4 Demgegenüber wird das Hotel als spezifischer Ort viel4 | Man denke beispielsweise an den Roman »Menschen im Hotel« von Vicki Baum 2008 [1929], der auch mit großem Erfolg verfilmt wurde. Dieser erzählt von den miteinander verwobenen Schicksalen und diffusen Gefühlslagen mehrerer Menschen in einem Hotel im Berlin der 1920er Jahre und beleuchtet dabei deren indivi-
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schichtiger Interaktionsweisen innerhalb der sozialwissenschaftlichen Betrachtung bisher eher wenig berücksichtigt.5 Interessante Hinweise und Aspekte zu der Bedeutung und gesellschaftlichen Funktion von Hotels lassen sich aber bei einem Seitenblick auf die humangeographische Forschung finden. Diese transdisziplinären Bezüge verdeutlichen abermals die Komplexität des Themas Raum und zeigen die dringende Notwendigkeit eines solchen transdisziplinären Blicks für das Verstehen raumbezogener Phänomene. Ein Hotel kann zu einem Themenort werden (vgl. Flitner/Lossau 2005, 7), wenngleich das Wort Hotel bereits implizit ein bestimmtes Thema enthält, nämlich das der bereits erörterten Grundbedürfnisse. Unter Themenorten verstehen Flitner und Lossau zunächst die ganz allgemein strategische Inszenierung von Orten in der spätmodernen Gesellschaft, deren Ausrichtung sich jedoch zunehmend an kommerziellen Zwecken orientiert. Die Autoren vermuten hinter der stetig wachsenden Anzahl von Themenorten, dass dadurch verschiedenste Bedürfnisse nach Sinn, Inhalt und konsumierbarer Differenz befriedigt werden (vgl. ebd., 8). Die Bedeutungen von Zweck- und Themenorten können im Fall des Hotels eng miteinander verbunden sein; so kann sich der Grund des Aufenthalts sowohl auf die nicht innerhalb des Hotels erfüllbaren Anliegen und Interessen der Gäste beziehen als auch unmittelbar mit diesen verbunden sein. Als Beispiel könnten hier Teilnehmende eines außerhalb des Hotels stattfindenden Kongresses genannt werden oder aber Personen, welche das Hotel aufgrund der dort vorzufindenden Sportanlagen gewählt haben. Als Themenort in einem anderen Sinne stellt sich ein Hotel für die dort angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar: Hier ist das Thema des Ortes die Arbeit und das damit verbundene finanzielle Einkommen. Der duelle Probleme und Sichtweisen auf die Gesellschaft, die sich in dem spannungsgeladenen Umgang untereinander widerspiegeln. Die gesamte Handlung findet dabei nahezu ausschließlich innerhalb des Hotels statt. Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Hotels vgl. auch die literatur- und kulturwissenschaftlich orientierten Publikationen von Niederberghaus (2006) und Künzli (1996) sowie Knoch (2005), der das Grandhotel als einen spezifischen Ort der Moderne beschreibt. 5 | Es finden sich durchaus Arbeiten und Studien zum Thema der Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen sozialen Situation von Menschen innerhalb des gastronomischen Dienstleistungssektors. Deren Fokus und Interesse ist jedoch mehr auf sozialökonomische Belange gerichtet.
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in der Regel zeitlich begrenzte Aufenthalt der Angestellten dient somit im übertragenen Sinne auch der Befriedigung von Grundbedürfnissen, unterliegt dabei aber im Gegensatz zu den Gästen ganz anderen normativen Erwartungen und Pflichten hinsichtlich des Verhaltens, das durch arbeits- und vertragsrechtliche Richtlinien bestimmt wird. Das Hotel als Arbeitsort stellt in der Regel bestimmte Ansprüche an das Verhalten der Angestellten und vermag es damit in gewisser Weise bereits im Vorfeld zu strukturieren. So gibt es die Erwartung, dass das Personal im gastronomischen Service freundlich zu den Gästen sein sollte; eine Zuwiderhandlung kann sogar den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen.6 Sicherlich wird Freundlichkeit auch von den Gästen erwartet, doch wird diese im Vergleich zum Personal nicht verpflichtend vorausgesetzt. Zu den gegensätzlichen Aufenthaltsgründen Arbeit und Freizeit oder auch dem pflichtgebundenen und dem freiwilligen Aufenthalt in einem Hotel zählt auch der Aspekt des Geld-Verdienens und des Geld-Ausgebens, der in Kapitel IV eingehender betrachtet wird. Für das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist ein weiterer Gedanke Flitners und Lossaus in punkto Themenort interessant, der über den kommerziellen Zweck dieser Orte hinausgeht und die politischen und im weitesten Sinne machtgesteuerten Intentionen, die sich hinter diesen verbergen können, betrachtet. Dabei geht es um absichtsvoll erzeugte, bestimmte Lesarten eines Raums oder Orts, welche mit Erfolg durchgesetzt werden und Orte und Räume somit zum Platz einer strategischen Inszenierung werden lassen. Anhand der unterschiedlichsten Repräsentationsmittel wird das Thema des Orts verstärkt, durchgesetzt und stabilisiert (vgl. 2005, 9). Inwiefern sich auch das für diese Studie gewählte Hotel als Untersuchungsfeld als strategische Inszenierung mit absichtsvoll erzeugten Wirkungen auf die sich dort befindenden Menschen deuten lässt, wird im weiteren Verlauf erörtert, ebenso die Frage, inwieweit diese Wirkungen über den konkreten Ort hinaus erhalten und wirksam bleiben können. Dieser Umstand beschäftigt auch Flitner und Lossau, wenn sie fragen, anhand welcher komplexer Prozesse ein Themenort zu einem bleibenden 6 | In diesem Zusammenhang kann auf die Ausführungen Hochschilds verwiesen werden, die in ihrer emotionssoziologischen Studie Das gekaufte Herz (2006) ausführlich die im Rahmen einer Arbeitssituation verpflichtend geforderten Gefühle und die damit verbundenen situativen Gefühlsregeln darstellt, deren Einfluss als maßgeblich für die am Arbeitsplatz stattfindenden Interaktionen anzusehen sind.
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Ort innerhalb der menschlichen Erinnerung wird (vgl. ebd., 11). Zunächst aber sollen die methodischen Überlegungen dargestellt werden, anhand derer sich meine konkrete Forschung vor Ort vollzog.
2. D as methodische V orgehen im F eld Der Gedanke, die forschungsleitenden Fragestellungen anhand ethnographischer Forschungsstrategien zu bearbeiten, festigte sich schnell, da diese meiner Ansicht nach für das Untersuchungsfeld Hotel und den damit verbundenen komplexen Ebenen des dortigen Miteinanders am geeignetsten schienen.7 Gleichzeitig erachtete ich es als sinnvoll, mich für die Erhebungsphasen im Hotel einzuquartieren, um während der teilnehmenden Beobachtung kontinuierlich im Forschungsfeld sein zu können. Meine Überlegungen zum methodischen Vorgehen vor Ort im Vorfeld des Forschungsaufenthalts gründeten im Wesentlichen auf die folgenden Fragen: Anhand welcher der vielfältigen ethnographischen Methoden kann die besondere Situation von behinderten und nicht behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hinblick auf Interaktionsmuster und -strategien gewinnbringend betrachtet werden? Welche dieser Methoden ist gleichzeitig auch mit der vor Ort eingenommenen Rolle als Gast realisierbar? Dass insbesondere die ethnographische Forschung eher als »komplexe Forschungsstrategie denn als eine Methode im engeren Sinn verstanden werden kann« (Breidenstein 2010, 206), innerhalb derer das jeweilige Feld die passenden bzw. geeigneten spezifischen methodischen Herangehensweisen und Formen erst selbst hervorbringt und dabei von den Forschenden ein Höchstmaß an Anpassungsfähigkeit innerhalb der konkreten Forschungssituation abverlangt, ist auch mit Risiken verbunden. Sich völlig frei, möglichst unstrukturiert und fern von jedweden »Methodenzwängen« (Amann/Hirschauer 1997, 17) in die Situation des Feldes zu begeben, mag zwar im Sinne von fast unbegrenzten Möglichkeiten, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, zunächst verlockend sein, doch ist es unumgänglich, sich im Vorfeld mit dieser Vielzahl an
7 | Für einen Überblick zu Entwicklung und Charakteristik der ethnographischen Forschung insbesondere im deutschsprachigen Raum sowie den in diesem Zusammenhang etablierten Methoden vgl. Flick 2007.
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Möglichkeiten gezielt auseinanderzusetzen, um sich nicht über Gebühr in der Feldsituation zu verlieren oder gar zu verirren. Die intensive Auseinandersetzung mit der Ethnographie und ihren Ansprüchen, Erfordernissen und Zielen im Rahmen ihrer breit gefächerten Möglichkeiten vor Beginn der Feldforschungsphase verhält sich nicht kontraproduktiv zu der insbesondere von Girtler formulierten Kritik der Operationalisierung soziologischer Forschung im Sinne eines Testens von vorher getroffenen Hypothesen durch ein verlässliches Instrumentarium (vgl. 2001, 50). Meines Erachtens ist eine methodologische Vorstrukturierung im Sinne gezielter Vorüberlegungen eine wichtige Voraussetzung für einen relativ freien Feldzugang und einen gelingenden Forschungsverlauf. Insbesondere die von Hirschauer und Amann formulierten Aufgaben einer soziologisch motivierten ethnographischen Forschung sind als Leitlinien und gleichsam als Versuch einer methodologischen Rahmung für die Durchführung des hier beschriebenen Projekts anzusehen. Hirschauer und Amman erörtern in ihrem prominenten Aufsatz über die »Befremdung der eigenen Kultur« (1997) Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse im Hinblick auf alltägliche Phänomene. Ihnen zufolge ermöglicht erst der methodisch gewählte Blick aus der Position einer angenommenen Fremdheit, zu einer »Heuristik der Entdeckung des Unbekannten« zu gelangen (ebd. 10). Im Zusammenhang mit dieser von mir für das Untersuchungsfeld angestrebten Forschungsperspektive im Sinne eines befremdeten Blicks nach Hirschauer und Amman stand die Frage, ob der Aufenthalt im Hotel als Gast und damit eine ständige Anwesenheit im Feld unter Umständen kontraproduktiv wirken könnte, da selbst der Rückzug auf das Hotelzimmer – zumindest aus räumlicher Sicht – kein wirkliches Heraustreten aus dem Forschungsfeld darstellt. Dieser Gedanke wurde jedoch verworfen. Eine permanente Anwesenheit erschien aus forschungsökonomischen Überlegungen günstiger, da sie die Sammlung von umfangreichem Datenmaterial in relativ kurzer Zeit versprach. Das methodische Vorgehen sollte zunächst in erster Linie aus teilnehmenden Beobachtungen und den daraus resultierenden Protokollen bestehen, des Weiteren wurde das Führen eines Forschungstagebuchs angedacht, das Platz für Notizen und Bemerkungen jeglicher Art hinsichtlich des Feldaufenthaltes bieten, aber auch meine persönliche Befindlichkeit im Feld dokumentieren sollte. In Anlehnung an Girtlers Ausführungen zu den Methoden der freien Feldforschung (2001) sowie den von ihm verfassten zehn Geboten der Feldforschung (Girtler 2004), deren theoretische
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Überlegungen und konkret praxisorientierte Hinweise als maßgeblicher Orientierungsrahmen für die Durchführung der Feldphasen zu nennen sind, wurden weitere Möglichkeiten des methodischen Vorgehens vor Ort zunächst nicht näher konkretisiert. Girtler verweist mehrfach auf die notwendige Offenheit und Beweglichkeit insbesondere hinsichtlich der anzuwendenden Methoden innerhalb von Feldforschungsvorhaben. Die Strukturierung entsteht bei dieser Herangehensweise letztendlich erst im Verlauf des Forschungsprozesses. Diese damit einhergehende Flexibilität des Forschungsablaufs ermöglicht es, sich dem Forschungsgegenstand adäquat sowohl in methodischer als auch theoretischer Hinsicht anzunähern (vgl. Girtler 2001, 56).8 Zusätzlich zu dieser geplanten offenen Herangehensweise an die Feldsituation schien mir die von Girtler konzipierte »ero-epische« Gesprächsführung (2001, 147) für die Gewinnung von Datenmaterial in methodischer Hinsicht adäquat und gut durchführbar, so dass eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Methode stattfand. Das ero-epische Gespräch mit Personen im Untersuchungsfeld entsteht spontan in verschiedenen Kontaktsituationen und verläuft im Gegensatz zu einem geplanten Interview nicht strukturiert und an speziellen Fragen orientiert. Das eroepische Gespräch ist laut Girtler im Sinne eines Forschungsgesprächs zu verstehen, in welches sich Forscher und Gesprächspartner gleichermaßen mit einbringen und das es ermöglicht, gegenseitiges Fragen und Erzählen in einer Gesprächssituation miteinander zu verbinden (vgl. ebd., 151).9 8 | Girtler bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf die von Glaser und Strauss dargelegten Prinzipien einer prozessualen soziologischen Theoriebildung in Anlehnung an das Konzept einer Grounded Theory (Glaser/Strauss 2008). 9 | Die von Girtler als ero-epische Gesprächsführung bezeichnete Methode ist innerhalb des Methodenkanons der qualitativen Forschung nicht unumstritten. Sie findet keine bzw. nur selten Erwähnung in einschlägigen Publikationen und Lehrbüchern im Bereich der qualitativen Methoden. Zur Entwicklung des Begriffs, seiner wissenschaftstheoretischen Einordnung und seinen Vorzügen im Vergleich zu den von Girtler stark kritisierten verschiedenen Interviewformen vgl. Girtler 2001, 147ff. Eine ähnliche methodische Vorgehensweise wie die der ero-epischen Gesprächsführung findet sich im US-amerikanischen Kontext, vgl. beispielsweise die Überlegungen zu einer ethnographic practice von Clifford (1997) und Marcus (1995).
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Diese Gesprächsform, laut Girtler in bestimmten Forschungskontexten unter Umständen »die einzig gute Methode, um an brauchbare Ergebnisse zu kommen« (ebd., 153), vermag durch die Tatsache, dass sich Forscher und Gesprächsperson in einer quasi natürlichen Unterhaltung befinden, die zudem im besten Fall von beiden als angenehm und anregend empfunden wird, tiefere Einblicke und Erkenntnisse in das Feld zu gewähren als andere Kommunikationssituationen, insbesondere gelenkte Gesprächsabläufe in Interviews. Für die Feldforschung in einem Hotel bot sich diese Vorgehensweise an, da sich eine solche Gesprächsführung gut in die aufgrund meiner Rolle als Gast stattfindenden verschiedenen Kontaktsituationen zwischen Angestellten, Gästen und anderen Personen vor Ort integrieren ließ. Zusätzlich befand ich die Methode der ero-epischen Gesprächsführung auch gut geeignet, um mit Personen mit kognitiven und möglichen lautsprachlichen Einschränkungen in der Feldsituation in Kontakt zu treten, da sie sehr situativ eingesetzt und flexibel gestaltet werden kann, anders als beispielsweise leitfadengestützte oder teilstrukturierte Verfahren. Die Datenerhebung im Rahmen von Interviews erschien dagegen eher unpassend, weil sie möglicherweise Arbeitsabläufe und Verpflichtungen des Personals stören bzw. den Gästen unangenehm sein könnte. Der Forschungsprozess vor Ort wurde zunächst für zwei jeweils mehrtägige Untersuchungsphasen im Abstand von einigen Wochen geplant.10
10 | Zur (notwendigen) zeitlichen Dauer ethnographischer Studien und insbesondere einer soziologischen Ethnographie hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Gültigkeit und der damit verbundenen Ergebnisse gibt es unterschiedliche Ansichten, vgl. dazu vor allem Knoblauchs Ausführungen zur fokussierten Ethnographie (2001, 123) sowie die kritische Stellungnahme von Breidenstein und Hirschauer zu den möglichen Problemen des Verfahrens (2002, 125), auf die Knoblauch wiederum mit seinen Ausführungen über die »fokussierte Ethnographie als Teil einer soziologischen Ethnographie« reagierte (2002, 129). Was die vorliegende Arbeit betrifft, so könnte man diese nach Knoblauchs Versuch, die spezielle Vorgehensweise und Kennzeichnung einer fokussierten Ethnographie darzustellen, die neben anderen Merkmalen auch die kürzere Dauer der Feldaufenthalte beinhaltet, durchaus als eine fokussierte soziologische Ethnographie bezeichnen.
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2.1 Rahmenbedingungen der Forschung Der konkrete Ort der Feldforschungsphasen, das ausgewählte Hotel, liegt in einer Kleinstadt in Süddeutschland. Das Hotel verfügt über ein Hauptgebäude, in dem der größte Teil der Zimmer und ein hoteleigenes Restaurant angesiedelt sind, sowie über ein im direkten Umfeld gelegenes Zweitgebäude, in dem sich ebenfalls Gästezimmer befinden sowie Räumlichkeiten für Tagungen und Seminare. Zur Zeit der Datenerhebung arbeiteten dort ca. 40 Personen, von denen etwa die Hälfte eine kognitive Beeinträchtigung bzw. geistige Behinderung hatte.11 Die Beschäftigung der beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb des Hotels erfolgt in Kooperation mit einer in der Nähe gelegenen Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Die Werkstatt fungiert dabei als offizieller Arbeitgeber hinsichtlich aller sozialrechtlichen Belange und Bezüge; das Hotel kann somit als Außenarbeitsstelle der Werkstatt betrachtet werden. Werkstatt- und Hotelleitung sind bezüglich aller Abläufe und Gegebenheiten der Arbeitssituation im Hotel in ständigem Kontakt. Die Beschäftigten mit einer Behinderung sind gemeinsam mit ihren nichtbehinderten Kolleginnen und Kollegen in allen Arbeitsbereichen des Hotels tätig, wie beispielsweise in der Küche, im Gastronomie- und Zimmerservice sowie in der Wäscherei. Die Beeinträchtigungen der Angestellten sind von sehr unterschiedlicher Art und Weise. Die Mitarbeitenden mit einer Behinderung haben entsprechend ihrer Fähigkeiten verschiedene Arbeitsplätze und Aufgabenfelder innerhalb des Hotels inne. Dabei stehen ihnen grundsätzlich ein oder mehrere nicht behinderte Beschäftigte zur Seite, so dass von einer Tandemstruktur in Bezug auf den Einsatz des Perso11 | Wichtig an dieser Stelle ist der Hinweis, dass es sich bei der Bezeichnung ›geistig behinderte bzw. kognitiv beeinträchtigte Beschäftigte‹ um die bereits vollzogene Beurteilung bzw. Feststellung in Bezug auf bestimmte Eigenschaften der dortigen Arbeitnehmerschaft aus der Sicht unseres gesellschaftlichen Hilfeund Unterstützungssystems handelt. Ich verwende zunächst aus pragmatischen Gründen diese Bezeichnungen in der Darstellung, möchte aber auf die kritische Auseinandersetzung mit dieser (problematischen) Begrifflichkeit in Kap. III verweisen. Insofern stellt die Verwendung der Begriffe behinderte bzw. nicht behinderte Arbeitnehmer auch aufgrund mangelnder begrifflicher Alternativen eine Art Hilfskonstruktion dar. Dass diese Begrifflichkeiten implizite gesellschaftliche Wertungen und Bedeutungszuschreibungen enthalten, bleibt als Problem bestehen.
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nals gesprochen werden kann. Neben der engen Kooperation zwischen Hotelleitung und dem von der Werkstatt zuständigen pädagogischen Fachpersonal, das die Sicherstellung aller sozial- und arbeitsrechtlichen Abläufe sowie deren Koordination begleitet, werden den beeinträchtigten Beschäftigten durch Hotelleitung und Werkstatt weitere Angebote und Möglichkeiten eröffnet, beispielsweise gemeinschaftliche Mahlzeiten und die Bereitstellung von zusätzlichen Räumlichkeiten. Zu Beginn der ersten Feldforschungsphase fand ein im Vorfeld schriftlich erbetenes Gespräch mit den Verantwortlichen auf der Leitungsebene statt, in welchem ich ausführlich meine Forschungsinteressen sowie die Einzelheiten des geplanten Vorgehens vor Ort darlegte. Die Methoden der teilnehmenden Beobachtung sowie der ero-epischen Gesprächsführung wurden besprochen. Von Seiten der Leitung wurde mir freundliche Unterstützung bei allen anfallenden Fragen rund um den Hotelbetrieb zugesichert. In Bezug auf die Gäste des Hotels wurde ich jedoch gebeten, mich mit der Erhebung von Daten durch Gespräche zurückzuhalten, um diese nicht zu stören. Durch diese nachvollziehbare Bitte der Hotelleitung entstand eine methodische Begrenzung, die mich zunächst befürchten ließ, dass die für das Forschungsvorhaben wichtigen Sichtweisen der Gäste zu kurz kommen könnten. Freundlicherweise wurde mir alternativ der Vorschlag unterbreitet, stattdessen die seit Bestehen des Hauses geführten Gästebücher als Datenmaterial zu nutzen. Direkt nach dem Einverständnis zu meinem Forschungsvorhaben durch die Hotelleitung begann die erste mehrtägige Untersuchungsphase. Im Anschluss daran erfolgten für einen Zeitraum von etwa acht Wochen die erste Sichtung der erhobenen Daten und des Materials sowie die ersten Schritte der Auswertung und Analyse. Auf der Basis erster richtungsweisender Befunde und weiterführender Fragen dieser Analyse wurde die zweite Untersuchungsphase geplant und durchgeführt, an die sich wiederum eine mehrmonatige Auswertungsphase anschloss. Aufgrund des sehr umfangreichen Materials, das aus den beiden Feldphasen resultierte, wurde auf eine dritte Erhebungsphase verzichtet.
Die Datenerhebung im ethnographischen Prozess Die Datenerhebung während der Feldaufenthalte, die sich im Wesentlichen an der bereits beschriebenen Vorgehensweise Girtlers (2001) orientierte, erfolgte kontinuierlich und in der retrospektiven Betrachtung mit großer Intensität, die auf die permanente Anwesenheit meinerseits als
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Gast und Forscherin zurückgeführt werden kann. Bis auf wenige kurze Zeitabschnitte, in denen ich das Hotel beispielsweise für einen Spaziergang durch die Stadt verließ, erstreckte sich der Erhebungsprozess von den frühen Morgen- bis in die späten Abendstunden. In dieser Zeit hielt ich sämtliche Beobachtungen, Eindrücke, Empfindungen und Gespräche vor Ort fest. In erster Linie erfolgte die Erhebung in Form von Feldprotokollen mit genauen zeitlichen Angaben, die ich direkt im Anschluss an eine Beobachtungssituation erstellte. Diese Form der Beobachtung bezog sich jeweils auf eine konkrete Situation, die auch entsprechend räumlich abgegrenzt war, wie beispielsweise das Einnehmen einer Mahlzeit im Restaurant oder die Begleitung des Room-Services. Weiterhin verfasste ich kontinuierlich Feldnotizen in Form von kurzen Bemerkungen in einem stets mitgeführten Heft. Die Gespräche mit Beschäftigten und Vertretern der Leitung hielt ich direkt im Anschluss in einem Gedächtnisprotokoll fest, da ich mich gegen den Einsatz von Aufzeichnungsgeräten entschieden hatte. Sämtliche personenbezogene Daten wurden anonymisiert.12 Zusätzlich sammelte ich das frei zugängliche Material zu Leitlinien und zur Konzeption des Hotels in Form von Prospekten, Zeitungsartikeln, Bild- und Fotomaterialien, um dieses für eventuelle spätere Analysen zu nutzen. Freundlicherweise versorgte mich auch die Hotelleitung mit viel Material. Während meines zweiten Feldaufenthaltes konnte ich außerdem die bereits erwähnten Gästebücher des Hotels einsehen, die sich als wichtige Datenquelle für den weiteren Forschungsverlauf herausstellten. Neben diesen Formen der Datenerhebung und Datensammlung führte ich über den gesamten Zeitraum der Untersuchung ein Forschungstagebuch, das insbesondere die subjektiven Empfindungen während der Feldphasen, aber auch den fortschreitenden Forschungsprozess mit all seinen Fragen, Erkenntnissen und den sich sukzessive entwickelten Fokussierungen dokumentiert.
12 | Aufgrund der mit den beteiligten Akteuren im Forschungsfeld getroffenen Vereinbarungen zur Wahrung des Datenschutzes und wie allgemein im Rahmen qualitativer Forschungsdesigns üblich wird auf jegliche Angabe personenbezogener Daten und Ortsangaben in der schriftlichen Darstellung verzichtet. Zu der Berücksichtigung forschungsethischer Grundsätze und Fragen im Rahmen qualitativer Untersuchungen vgl. auch Hopf 2008, 598ff sowie Przyborski und WohlrabSahr 2010, 67ff.
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2.2 Überlegungen zum subjektiven Empfinden im Feld Das Interesse an der Bedeutung des subjektiven Empfindens von Forschenden im Rahmen der qualitativen Sozialforschung rückt insbesondere seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend in den Vordergrund, nicht zuletzt beeinflusst durch den intensiven methodologischen und methodischen Diskurs im Kontext qualitativer und dabei oftmals multiperspektivischer Forschungsdesigns, die zunehmend individueller, maßgeschneiderter und dadurch auch experimentierfreudiger ausfallen. Die in den letzten Jahren angestiegenen Publikationen zum Stellenwert von Subjektivität im Rahmen qualitativer Forschungsprozesse fordern einen zunehmend selbstbewussten Umgang und Einbezug der Kategorie Subjektivität. So sprechen Behse-Bartels und Brand von der Möglichkeit, Subjektivität als zentrales Gütekriterium und entscheidende Ressource im Rahmen der Reflexion über den Forschungsprozess zu etablieren (vgl. 2009, 14). Auch Breidenstein thematisiert die subjektiven Erfahrungen der Forschenden als eine zentrale und unverzichtbare Ressource und plädiert für einen begründeten und strategischen Einsatz eben dieser im Verlauf des Forschungsprozesses. »Es sind insbesondere eigene Fehlleistungen, Verunsicherungen oder Missverständnisse während der Feldforschung, die aufschlussreich sein können für die Erkundung der in dieser Kultur gültigen Verhaltensnormierungen, Regeln oder Konventionen.« (2008, 2)13 Es scheint innerhalb des methodologisch-methodischen Diskurses keinen Zweifel mehr an der Notwendigkeit des Einbezugs von subjektiven Empfindungen und Bewertungen in Bezug auf die Formulierung von Untersuchungsergebnissen zu geben. Dennoch kann durch die (noch) ausstehende regelgeleitete Anleitung für den Umgang mit diesen forschungsbezogenen subjektiven Einflüssen im Bereich der ethnographischen Forschung der konkrete Umgang zu einer spezifischen Herausforderung werden. Insbesondere im Hinblick auf das Themenfeld Behinderung stellte sich mir im Rahmen des Forschungsprozesses diese Herausforderung. So ist nicht auszuschließen, dass durch meine bisherige Auseinandersetzung mit der Thematik Annahmen, Bedeutungszuschreibungen, aber auch Erwartungen in Bezug auf die im Feld angetroffenen Personen mit einer 13 | Breidenstein betont in diesem Kontext die stets vorhandenen objektiven Dimensionen subjektiver Erfahrungen (2008, 1).
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Behinderung, Einfluss auf die Feldsituationen und die Auswertung des Datenmaterials genommen haben. Insbesondere mit Blick auf die im Prozess gewählten Erhebungsmethoden wird dies deutlich, da sie sich jeweils auch an der Frage orientieren, inwiefern sie sich für Personen eignen bzw. für Personen annehmbar sind, die aufgrund einer Beeinträchtigung über eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten verfügen. Ein komplexes Spannungsfeld, dass sich hier meines Erachtens mit Blick auf meine ethnographische Vorgehensweise eröffnet, ist das Verhältnis der Reflexion der eigenen Vorstellungen in Bezug auf Behinderung und das gleichzeitige Heraustreten bzw. der Versuch, aus diesen herauszutreten, um die Forschungssituation nicht über Gebühr zu beeinflussen.14 Inwieweit die Einflüsse subjektiver Interpretation und Bewertung im Verlauf des Forschungsprozesses wiederum zu einer eigenständigen Betrachtung werden können, wie diese innerhalb des Prozesses unterschieden und gleichzeitig konstruktiv nutzbar gemacht werden können, wird von Bereswill dargestellt. In ihrem Vergleich zwischen interaktionstheoretischen und psychoanalytischen Zugängen zu diesem Thema betont sie die Notwendigkeit einer theoretischen Konturierung der Kategorie Reflexion (vgl. 2003, 512), die in den bisherigen Diskursen zumeist vermieden wird. Bereswill grenzt dabei intrasubjektive und intersubjektive Formen von Reflexivität15 voneinander ab. Deren Unterscheidung – sofern sich diese entsprechend differenzieren lassen bzw. der Forschende selbst in der Lage ist, diese Form einer Supervision von Subjektivität zu vollziehen – kann zu einer Klärung bzw. Schärfung für die gegenstandsbezogene Bedeutung der eigenen subjektiven Sichtweisen führen und entsprechend Potential für den Erkenntnisgewinn generieren. Bereswill betont die Wichtigkeit von beiderlei subjektiven Reflexionsformen als potentielle Ressource, warnt aber auch vor einer möglichen Überbewertung derselben, was aus meiner Sicht insbesondere für ethnographische Verfahren von Bedeutung ist. So sollte es vermieden werden, die eigenen und mit in die Feldsituation hineingebrachten biografischen Konflikte in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses zu stellen (vgl. ebd., 525). 14 | Hilfreich in diesem Zusammenhang erwies sich auch die Reflexion des besagten Spannungsfeldes in einer sozialwissenschaftlichen Interpretationsgruppe. 15 | Zur genauen Begriffsbestimmun und Abgrenzung von Inter- und Intrasubjektivität sowie deren theoretischer Verortung aus der Perspektive von interaktionstheoretischen und psychoanalytischen Paradigmen vgl. Bereswill 2003, 512-518.
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Auch in dieser Studie wurde im Rahmen der Analyse und Auswertung des Datenmaterials eine Supervision16 der eigenen Subjektivität versucht, um intrasubjektive Deutungsmuster von vermeintlich intersubjektiven abzugrenzen. Da entsprechende methodische Konzepte und Vorgehensweisen (noch) nicht hinreichend etabliert sind, erfolgte dies meist mittels autodidaktischer Selbstversuche. Für das Forschungsfeld Hotel ergab sich die Notwendigkeit, den Einfluss des eigenen subjektiven Empfindens auf die Erhebung der Daten genau zu hinterfragen, um die verschiedenen Rollen, die im Rahmen der Feldphase eingenommen wurden, voneinander abzugrenzen. Meine permanente und sehr intensive Anwesenheit im Feld in einer quasi Rund-um-die-Uhr-Situation ließen insbesondere die Rollen einer sozialwissenschaftlichen Forscherin und eines gleichzeitig bezahlenden Gastes, der Dienstleistungen in Anspruch nimmt, ineinander übergehen. Die Reflexion dieser rollenbedingten Überlagerungen und der damit verbundenen zum Teil widersprüchlichen Empfindungen förderte jedoch in nicht unerheblichem Maße den fortschreitenden Erkenntnisgewinn. Dabei korrelierte der reflexive Blick auf die eigene Subjektivität während des Forschungsprozesses immer mit der bereits erwähnten Situation der künstlichen Befremdung (Hirschauer/Amann 1997). Dieser wiederholt einzunehmende befremdete Blick und der Versuch, diesen permanent in Bezug zu vorhandenen inter- wie auch intrasubjektiven Deutungsmustern zu hinterfragen, stellt letztlich ein fortwährendes Spannungsfeld dar, das es im Rahmen von ethnographischen Forschungssituation auszubalancieren gilt.
2.3 Spurensuche in Gästebüchern Die Analysen der schriftlichen Einträge in die Gästebücher des Hotels trugen erheblich zu den Ergebnissen dieser Studie bei. Da es sich bei der Textsorte Gästebuch um einen im Rahmen der qualitativen Sozialforschung nicht alltäglichen Untersuchungsgegenstand handelt, war es mir wichtig, das Gästebuch als Datenquelle eingehender zu betrachten. Auffällig war, dass selbst intensive Recherchen innerhalb der deutsch16 | Der Begriff der Supervision wird von mir in diesem Zusammenhang im Sinne einer allgemeinen, übergeordneten Reflexion des gesamten Forschungsprozesses verwendet und nicht im Sinne eines institutionell verankerten Beratungssettings mit mehreren Beteiligten.
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sprachigen Literatur kaum Aufschluss darüber geben konnten, inwieweit sich Gästebücher kulturhistorisch entwickelt haben bzw. auf welche Entstehungsgeschichte sie zurückzuführen sind.17 Wissenschaftliche Forschungen anhand oder über Gästebücher wurden meines Wissens bisher nicht publiziert. Dennoch handelt es sich bei dieser Textsorte um einen Gegenstand, der in der heutigen Alltagspraxis geradezu omnipräsent ist; Gästebücher existieren nicht nur im Bereich des Hotel- und Gastronomiegewerbes, sondern sind zunehmend auch ein fester Bestandteil von Internetseiten,18 wo Besucher einer Seite Meinungen und Eindrücke kundtun können. Gästebücher sind auf Kunstausstellungen und in Museen vorhanden und werden bei größeren Festen wie beispielsweise Hochzeiten und Geburtstagen ausgelegt. Gemeinsam ist diesen vielfältigen Formen von Gästebüchern, dass ein entsprechender Eintrag auf freiwilliger Basis erfolgt, ein Besucher oder Gast kann also eine entsprechende Mitteilung hinterlassen, muss es aber nicht. Ebenso bleibt dem Eintragenden überlassen, inwieweit sein Text anonym erfolgt oder mit Namen versehen wird, welche Schrift er wählt und ob er seinen Eintrag mit einer Skizze oder Ähnlichem verziert. Der kreativen Freiheit sind dabei keine Grenzen gesetzt. Das heißt, dass es nur wenig normative Festlegungen in Bezug auf den Eintrag in diese Bücher gibt, wenn auch letztendlich wohlwollende und positive Einträge und Kommentare erwünscht sind und zumeist erwartet werden. Die analysierten Gästebucheintragungen am Forschungsort konnten allesamt als sehr positive Bekundungen klassifiziert werden. Diese signifikante Einseitigkeit in Bezug auf die festgestellten positiven Wahrnehmungen lässt ebenfalls Rückschlüsse darauf zu, inwiefern der positive Eintrag als gesellschaftlich erwünscht angesehen werden kann, insbesondere im Hinblick auf die Kontaktsituation mit behinderten Menschen im Rahmen der Hotelsituation. Neben den Aspekten der Freiwilligkeit des Eintrags sowie des von Seiten der Gästebuchbesitzer er17 | Selbst das in Bezug auf kulturhistorische Recherchen und Informationen äußerst hilfreiche Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (digitale Version 2004) konnte keine näheren Informationen beisteuern. 18 | Insbesondere im Hinblick auf das Internet entstehen vielfältige neue Befindlichkeits- und Bewertungspraktiken in Anlehnung an die Form des Gästebucheintrags und damit auch Formen virtueller Räume, in denen Akteure ihrer jeweiligen Wahrnehmung Ausdruck verleihen können.
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wünschten möglichst positiven Vermerks ist noch die beurteilende und bezeugende Funktion, von der beide Seiten entsprechend partizipieren, nennenswert. Während der Eintragende durch seinen Text Situationen, Räume, Orte, Arrangements etc. aufgrund seines subjektiven Empfindens19 beurteilt und dadurch auch eine Machtposition einnimmt, erhält der Besitzer des Buches eine für ihn mitunter wertvolle Zuschreibung, ein Prädikat, eine Belobigung, die über den flüchtigen Moment hinaus wirksam bleiben kann, indem sie beispielsweise öffentlich zugänglich gemacht wird und somit werbewirksam eingesetzt werden kann. In diesem Sinne entsteht eine Art des reziproken Profits, wobei der positive Nutzen meines Erachtens für den Besitzer des Buchs überwiegt. Für die Forschung zu den Gästebucheinträgen ist neben den oben genannten Faktoren außerdem interessant, wo genau sich diese Bücher im Gebäude befinden, also inwieweit die Gäste gezielt auf diese aufmerksam gemacht werden. Im Fall des untersuchten Hotels gab es vier konkrete Plätze, an denen Gästebücher ausgelegt waren. Zwei dieser Platzierungen befanden sich an recht stark frequentierten Zugängen, einmal im Eingangsbereich des Restaurants sowie am Aufgang zu den Zimmern des Nebengebäudes. Die Bücher standen aufrecht auf einem Schreibpult, so dass sie sehr deutlich von den Besuchern wahrgenommen werden konnten, auch wenn sie sich am Rande des jeweiligen Raums befanden. Der durch diese Platzierung vermittelte Eindruck signalisiert die Freiwilligkeit der Gästebücher: Man kann einen Kommentar hinterlassen, muss dies aber nicht, da es ebenso möglich ist, das platzierte Buch zu ignorieren. Zwei weitere Gästebücher befanden sich an eher unauffälligen Plätzen, im Ruhebereich bzw. der Loggia in der oberen Etage des Schlafbereichs sowie in der Bibliothek. Zum Gästebuch in der Bibliothek ist anzumerken, dass dieses interessanterweise fast ausschließlich mit Einträgen und Zeichnungen von Kindern und Jugendlichen gefüllt war. Diese beiden eher im Hintergrund befindlichen Bücher entdeckte ich erst im Rahmen einer Raumbegehung zu Forschungszwecken. Bei den Einträgen aller Gästebücher handelte es sich überwiegend um kurze Kommen19 | Inwieweit die Einträge in Gästebüchern tatsächlich die Empfindungen der Eintragenden widerspiegeln, ob diese durch andere Akteure beeinflusst oder manipuliert werden, oder aber Personen mit ihren Einträgen einfach den Inhalten der Vorgänger folgen, sind berechtigte Fragen, denen hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann.
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tare, meist bestehend aus ein oder zwei Sätzen, teilweise auch nur aus Phrasen oder einzelnen Begriffen zusammengesetzt. Zumeist wurde von den Eintragenden eine Seite benutzt und diese mit Datum und Namen versehen, nur wenige Kommentare erfolgten in anonymer Form. Teilweise wurden Skizzen und selbstgemalte Bilder sowie Zitate hinzugefügt. Alle Eintragungen erfolgten handschriftlich, der überwiegende Teil auf Deutsch, aber es fanden sich auch Einträge in anderen Sprachen. Die Einträge waren zumeist gut lesbar, einige wenige ließen sich aufgrund des Schriftbildes nur schwer entziffern. Rechtschreibung und Grammatik, insbesondere die gängigen Normen der Interpunktion, wurden häufiger außer Acht gelassen. Auffällig war zudem der Unterschied in der verwendeten Schriftgröße, die von sehr großen Buchstaben und der Füllung einer Seite mit wenigen Worten hin zu sehr kleinen, fast miniaturhaften Einträgen mit winzigen Buchstaben reichten. Für die Analyse wurden sowohl die aktuell ausliegenden Bücher während des Feldaufenthaltes genutzt, als auch die freundlicherweise von der Leitung zur Verfügung gestellten Bücher der vergangenen Jahre, so dass auch der temporäre Aspekt mit einbezogen werden konnte. Für die Detailanalyse wurden Fotokopien der Einträge angefertigt und die Autorenschaft grundsätzlich anonymisiert. Im Hinblick auf die Einordnung der Datenquelle Gästebuch im Rahmen einer qualitativ orientierten und rekonstruktiv vorgehenden Sozialforschung bleibt zu bemerken, dass das Datenmaterial der Gästebücher durch die jeweilige Erstellung in der Vergangenheit als nicht reaktives Material eingestuft werden kann, da es bereits im Vorfeld der Feldforschung entstand und nicht im Rahmen dieser generiert wurde. Letztlich war es unter anderem diese Nicht-Reaktivität, die Ergebnisse konturieren und die zugrundeliegenden Fragestellungen präzisieren konnte und die der Materialquelle Gästebuch eine höchst bedeutungsvolle Rolle für den gesamten Forschungsprozess zuwies.
3. A nalyse und A uswertung des M aterials . D ie R ekonstruk tion r äumlicher W ahrnehmung anhand spr achlicher Z eugnisse Die ethnographische Forschungspraxis stellt weniger eine stringent und linear nachvollziehbare Vorgehensweise dar, sondern ist vielmehr als komplexe und dabei multiperspektivische Forschungsstrategie aufzu-
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fassen (vgl. Breidenstein 2010). Dass im Rahmen einer solchen Vorgehensweise entsprechend vielfältiges und unterschiedliches Datenmaterial generiert wird, ist eine logische Konsequenz. Inwieweit den zumeist komplexen und teilweise unterschiedlichen Materialtypen mittels angemessener Auswertungs- und Analysemethoden entsprechend Rechnung getragen werden kann, ohne dabei in die Versuchung zu geraten, eine unstrukturierte Mischung diverser Methoden anzuwenden, stellt eine spezifische Herausforderung dar. Bei einer Kombination verschiedener Methoden sollte die Gegenstandsangemessenheit (vgl. Glaser/Strauss 2008) der verwendeten Verfahren an erster Stelle stehen. Die kombinierten Erhebungs- und Auswertungsstrategien werden so zu einer Art Grundgerüst der qualitativen Forschungsperspektive, das der jeweiligen Situation entsprechend angepasst werden kann. Gleichzeitig können durch die Kombination verschiedener methodischer Instrumente die jeweiligen methodischen Stärken genutzt und etwaige Unzulänglichkeiten kompensiert werden (vgl. Neuber 2008, 52). Letztlich kommt es auch bei der Kombination verschiedener Verfahren darauf an, die Plausibilität der erzielten Ergebnisse im Hinblick auf den gesamten Forschungsprozess transparent und somit in nachvollziehbarer Weise darzustellen. Als richtungsweisend für die Auswertung waren für mich zunächst Methoden, anhand derer ich das bereits formulierte Erkenntnisinteresse in Bezug auf die Verwobenheit von Raum und Wahrnehmung von Behinderung sukzessive weiter präzisieren konnte, ohne eine der beiden Kategorien in der Betrachtung zu vernachlässigen oder zu bevorzugen. Das Datenmaterial aus den Feldforschungsphasen, bestehend aus Feldprotokollen, Feldnotizen, dem Forschungstagebuch, Gästebucheinträgen, protokollierten Gesprächen, Zeitungsartikeln sowie Werbematerialien, wurde zunächst hauptsächlich in Anlehnung an die Kodierverfahren der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 2008) ausgewertet, um die Gesamtheit des Materials zu reduzieren und erste Hinweise auf mögliche kollektive Deutungsmuster zu erhalten. Analog zu der oftmals bescheinigten Kreativität, die insbesondere im Rahmen ethnographischer Forschungsstrategien vom Forschenden verlangt wird, sieht auch Corbin die Analyse des empirischen Materials als kreativen Prozess an, der auf der Fähigkeit der Forschenden beruht, »Datenmaterial zu benennen oder ihm konzeptuelle Etiketten zu geben, und dann die entsprechenden Konzepte in innovative und plausible Erklärungen lebendiger Erfahrung zu integrieren« (2006, 71). Dabei ist die ebenfalls eher offene und explo-
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rative Methode der Grounded Theory besonders hilfreich, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Erfassung und Auswertung von sehr großen Mengen und dabei noch höchst unterschiedlichen Daten geht. Von Vorteil ist auch, dass die Verfahren der Grounded Theory selbst als ein sich stets fortentwickelnder und dabei eigendynamischer Prozess anzusehen sind (vgl. Glasser/Strauss 2008, 41). Sie passen sich an den spiralförmig aufgebauten Gesamtprozess an, der durch die fortschreitende Verflechtung von Empirie und theoriegeleitetem Wissen entsteht, ohne eventuell verfrühte Endergebnisse zu formulieren, die den oftmals produktiven Blick auf Nebenschauplätze verhindern. In der vorliegenden Studie konnten anhand der zunächst vorgenommenen Kodierungen unter Einbezug einer steten komparativen Analyse20 sowie der fortlaufenden Niederschrift von Memos bestimmte Kategorien, von mir im Arbeitsprozess auch als topics bezeichnete, orientierungsleitende Bedeutungsfelder und Themen, sichtbar gemacht werden. Diese wurden in weiteren Analyseschritten mittels des »selektiven Kodierens« (Corbin 2006, 74) und unter Rückgriff auf die ersten Annahmen zu den aufeinander bezogenen Wirkungsweisen von räumlichen Strukturen und der Wahrnehmung von Behinderung, präzisiert. Zusätzlich wurden, insbesondere für die Feldprotokolle sowie die Gästebucheinträge, Verfahren der objektiven Hermeneutik in Anlehnung an die von Oevermann et al. in den 1970er Jahren entwickelte Methodik zur Unterscheidung und Auffindung von latenten und subjektiv-intentionalen Sinngehalten angewendet.21 Mithilfe dieser Techniken konnte ein Zugang zu den textimmanenten und latenten Sinn- und Bedeutungsebenen ermöglicht werden, die im Rahmen der Analyse anhand der Grounded Theory zwar teilweise erkennbar waren, jedoch aufgrund der Grenzen dieser Methode nicht weiterführend untersucht werden konnten (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 252f). Gerade diese latenten Sinngehalte jedoch erwiesen sich für den untersuchten Zusammenhang von räumlichen Strukturen und den Wahrnehmungsmustern von Behinde20 | Vgl. zur Methode des ständigen Vergleichens in der qualitativen Analyse ausführlich Glasser/Strauss 2008, 107-119, sowie Corbin 2006, 72 bezüglich der verschiedenen Kodierungstypen im Rahmen der Grounded Theory. 21 | Zu Entstehungsgeschichte, Grundprinzipien sowie der angewandten methodischen Umsetzung der objektiven Hermeneutik vgl. Oevermann 1981, Oevermann/Allert/Konau/Krambeck 1979 sowie Wernet 2009.
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rung als bedeutsam. Als hilfreich für die Präzisierung der Befunde zeigte sich weiter, dass einzelne Sequenzen des Materials, insbesondere die Gästebucheintragungen und kurze Passagen aus meinem Forschungstagebuch, zunächst sehr genau entlang der Auswertungsregeln der objektiven Hermeneutik interpretiert wurden. Die verdichteten Ergebnisse, die ich in Form kurzer Zusammenfassungen als Befundskizzen formulierte, wurden dann zu einem späteren Zeitpunkt im Forschungsprozess erneut von der Interpretationsgruppe, auf die im Folgenden noch eingegangen wird, diskutiert. Diese zweite Betrachtung und Interpretation erfolgte dabei bewusst unter Einbezug aller bis zu diesem Zeitpunkt formulierten Ergebnisse und eines vertieften Kontextwissens, über das die Gruppe durch den anhaltenden Arbeitsprozess verfügte. Der vergleichende Blick auf die ersten Befundskizzen und die später in Bezug auf diese Skizzen getroffenen erneuten Aussagen waren hilfreich, um insbesondere die räumlichen Wahrnehmungsweisen zu präzisieren. So wurden die Befundskizzen, in denen im Interpretationsprozess deutlich eine raumbezogene Thematik zu erkennen war, erneut im Hinblick auf andere mögliche Lesarten betrachtet, was dazu führte, formulierte Befunde im Hinblick auf die räumliche Wahrnehmung am Forschungsort zu bestätigen wie auch zu überdenken bzw. diesen in modifizierter Form erneut nachzugehen. Die interpretative Analyse einzelner Textsequenzen, -passagen und Feldnotizen erfolgte über einen längeren Zeitraum im Rahmen einer an der Universität Kassel angesiedelten hermeneutisch arbeitenden Interpretationsgruppe, die sich aus Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern verschiedener Fach- und Arbeitsgebiete zusammensetzte, zusätzlich wurden einzelne Materialsequenzen in einem Promotionskolloquium ausgewertet. Da markante Befunde dieser Studie auf diese Interpretations- und Analysesitzungen zurückzuführen sind, soll an dieser Stelle auf die Bedeutung des gemeinsamen Arbeitsprozesses im Rahmen einer Interpretationsgruppe eingegangen werden. Zweifelsohne ist insbesondere für hermeneutische Deutungs- und Analyseverfahren die Einbindung Anderer in den eigenen interpretativen Arbeitsprozess unabdingbar. So können schließlich mit Hilfe einer Interpretationsgruppe viele unterschiedliche Les- und Deutungsarten einzelner Sequenzen entwickelt werden und anhand der sinnlogischen Anschlussmöglichkeiten kann der Blick auf latente Sinnstrukturen über den manifesten Sinn des Materials hinaus gerichtet werden (vgl. Neuber 2009, 63). Meiner Ansicht nach ist es für die gemeinsame Arbeit unumgänglich, dass eine solche
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Gruppe bestimmte Kriterien erfüllt, um einen Arbeitsprozess zu gewährleisten aus dem plausible und validierbare Ergebnisse hervorgehen. Diese Qualitätsmerkmale einer Interpretationsgruppe, die bisher im Rahmen der methodischen Qualitätssicherung nicht explizit formuliert wurden, sind aus meiner Sicht a) ein feststehender Personenkreis mit möglichst wenig oder besser keinem personalen Wechsel, b) eine Gruppengröße unter zehn Personen, c) regelmäßig stattfindende Treffen über einen längeren Zeitraum, d) die detaillierte Involvierung in die stattfindenden Prozesse und vertiefte Kenntnisse über die jeweiligen Forschungsprojekte, e) die gegenseitige Versicherung über die Wahrung des Datenschutzes und somit die Gewährleistung eines geschützten Rahmens, f) Fachkenntnisse in Bezug auf die im Rahmen der Gruppe angewendeten analytischen Verfahren und möglichst eigene Erfahrung in der Anwendung unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen. Das in der Gruppe geteilte Expertenwissen in der Funktion eines Erfahrungs- und Wissens-Multiplikators ist für Forschungsprozesse sehr bedeutsam, nicht nur für die dieser Studie zugrundeliegenden multiperspektivischen Ansätze einer soziologischen Ethnographie. Im Rahmen der Interpretationsgruppe wurde auch die bereits angesprochene Unterscheidung von intrasubjektiven und intersubjektiven Deutungsmustern im Zusammenhang mit den fortlaufenden Texten des Forschungstagebuchs systematisch erörtert und diskutiert, indem die Gruppe meine Forschungsreflexion quasi einer Supervision unterzog und wertvolle Hinweise auf Konfliktpotentiale und Mehrdeutigkeiten geben konnte. Letztlich bleibt der Versuch einer Differenzierung zwischen intra- und intersubjektiven Perspektiven der Forschenden nach wie vor ein methodisches Wagnis und somit auch eine »methodologische Herausforderung« (Bereswill 2003, 527), die meines Erachtens gut im Rahmen einer institutionalisierten Interpretationsgruppe mit den oben erwähnten Qualitäts- und Strukturmerkmalen angegangen und bewältigt werden kann. Bei der Schwierigkeit, zwischen intersubjektiven, also den für mich im Rahmen einer rückblickenden Selbstreflexion erkennbaren subjektiven Anteilen und Verhaltensweisen im Feld, und intrasubjektiven Elementen, die auf unbewusste intrapsychische Vorgänge und Rollenkonflikte zielen, zu unter-
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scheiden und diese möglichst klar voneinander abzugrenzen, fungierte die Interpretationsgruppe als ein Hilfs-Ich oder als eine Art intersubjektives Validierungskomitee. Anhand der mitunter komplexen und zeitintensiven Differenzierungsversuche zwischen den beiden Bedeutungsebenen konnten jedoch auch jene Vorgänge in den Blick genommen werden, die von Bereswill treffend als das »Durchschauen der Dramaturgie des eigenen Handelns im Feld« bezeichnet werden (2003, 518).
III. Behinderung im Kontext von räumlichen Dimensionen Schön, dass meine Tochter hier studiert und ich so Ihr Hotel kennenlernen konnte. Das Konzept mit und für Behinderte ein Hotel zu bauen und führen läßt den Aufenthalt für mich noch »besonderer« sein. Hier findet für mich das statt, was ich gerne verbreiten möchte! (Gästebucheintragungen, Gruppierung V)1
1. B ehinderung als soziale K ategorie – B ehinderung als D ifferenz Die Beschäftigung mit der Kategorie Behinderung und der Lebenssituation behinderter Menschen sowie den gesellschaftlichen Bedingungen für diesen Personenkreis nimmt in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen kontinuierlich zu. Nicht zuletzt dafür verantwortlich sind stetig weiterentwickelte und etablierte sozialrechtliche Rahmenbedingungen und Neuerungen, welche gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabechancen sowie größtmögliche Selbstbestimmung behinderter Menschen zum Ziel haben. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die interdisziplinäre wissenschaftliche Betrachtung und Erforschung von Prozessen, die zu Behinderung führen und diese konstituieren, zunehmend an Bedeutung. Der Diskurs zum Thema Inklusion und die Debatte zu Inklusion statt Integration sind allgegenwärtig, ebenso die zunehmende Bemühung auf Landes- und Bundesebene im Bereich der Wohn-, Arbeits- und Lebenssituation behinderter Menschen Instrumente und sozialräumliche Bedingun1 | Die zur Verfügung stehenden Gästebucheintragungen wurden nach inhaltlichen Schwerpunkten systematisiert und insgesamt acht unterschiedlichen Gruppen zugeordnet.
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gen zu installieren, die der nach wie vor vorhandenen Benachteiligung in vielen Bereichen entgegenwirken. Neue Berufsgruppen entstehen, deren Aufgabe vornehmlich die assistierende Dienstleistung und die Realisierung der angestrebten gesellschaftlichen Gleichberechtigung und Teilhabe ist.2 Längst ist der behinderte Mensch nicht mehr nur das Objekt einer staatlichen Fürsorgepolitik, sondern auch selbstbestimmendes Subjekt in Bezug auf individuelle Bedürfnisse, Entwicklung und Gestaltung des eigenen Lebensentwurfs.3 Der viel zitierte Paradigmenwechsel, der den in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich erwünschten Umgang mit behinderten Menschen beschreibt, rückt vermehrt in den Fokus einer transdisziplinären wissenschaftlichen Betrachtung und der empirischen Forschung. Dies wird durch die Etablierung von entsprechenden universitären Lehrstühlen und der Vielzahl an Publikationen zu behindertenpädagogischen, sozialrechtlichen und sozialwissenschaftlichen Aspekten in Bezug auf die Kategorie Behinderung vorangetrieben und unterstützt.4
Probleme des Begriffs ›Behinderung‹ Wie kann mit dem Begriff Behinderung umgegangen werden, ohne die Problematik, die damit verbunden ist, auszusparen? Welcher Begriff eignet sich, um Personen, die Behinderung erfahren und Beeinträchtigungen aufweisen – ob sie nun selbst für sich eine solche wahrnehmen oder ob von anderen als beeinträchtigt wahrgenommen – sprachlich adäquat 2 | Vgl. in diesem Zusammenhang Wansing 2005. 3 | Die insbesondere im sozialpolitischen Bereich etablierten Errungenschaften der letzten Jahre dürfen nicht die Tatsache verschleiern, dass Menschen mit Behinderungen nach wie vor in ihrem Alltag immer wieder multiplen Diskriminierungs-, Stigmatisierungs- und Ausgrenzungstendenzen ausgesetzt sind, die ihrer gleichberechtigten Teilhabe und der politisch geforderten Gleichstellung entgegenwirken. Vgl. dazu Cloerkes 2007, 201ff, der die sozialen Einstellungen, Reaktionen und Verhaltensweisen gegenüber beeinträchtigten Menschen beschreibt und im Kontext von sozialtheoretischen und ökonomischen Theorien erörtert, ebenso Wansing 2012, die sich vor dem Hintergrund der Begriffe Inklusion und Exklusion kritisch mit der Arbeitsmarktsituation für behinderte Menschen auseinandersetzt. 4 | Einen kompakten Überblick zu der aktuellen sozialpolitischen und sozialrechtlichen Situation und den gültigen Gesetzgebungen in Bezug auf die Situation behinderter Menschen liefern insbesondere Theunissen/Schirbort 2006 sowie die Beiträge in Cloerkes 2003 und Thimm 2006.
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zu begegnen? Dederich bringt die mit dem Behinderungsbegriff verbundene Problematik auf den Punkt: »Eine allgemein anerkannte Definition von Behinderung liegt bis zum heutigen Tage nicht vor, obwohl der Begriff seit einigen Jahrzehnten im allgemeinen Sprachgebrauch gängig und wissenschaftlich etabliert ist. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass es sich um einen medizinischen, psychologischen, pädagogischen, soziologischen sowie bildungs- und sozialpolitischen Terminus handelt, der in den jeweiligen Kontexten seiner Verwendung unterschiedliche Funktionen hat und auf der Grundlage heterogener theoretischer und methodischer Voraussetzungen formuliert wird.« (Dederich 2009, 15) 5
Gleichzeitig weist Dederich auf ein Dilemma hin, das darin besteht, dass Begriffe benötigt werden, um Sachverhalte verständlich darzulegen und zu beschreiben – und das auch, wenn sie, wie im Fall des Behinderungsbegriffs, unzureichend erscheinen (vgl. ebd., 18). Der Ausdruck ›Behinderter‹ wird im Sinne einer political correctness immer häufiger durch den Ausdruck ›Mensch mit Behinderung‹ bzw. ›Mensch mit einer Beeinträchtigung‹ ersetzt. Die tatsächlich vorhandene, selbst empfundene oder durch andere Umstände erfahrene Behinderung der Person bleibt zwar durch diese begriffliche Zuweisung erhalten, steht aber doch zumindest in sprachlicher Hinsicht nicht mehr so sehr im Vordergrund. Meines Erachtens kann das tatsächliche Problem einer Teilhabebehinderung, die durch Einschränkungen von körperlichen und/oder mental-kognitiven Fähigkeiten entsteht, auch nicht durch eine andere Bezeichnung aufgehoben werden. Da diese Studie die Dynamik und wechselseitige Bezogenheit in den Wahrnehmungen von Raum und Behinderung untersucht, bleibt die Unzulänglichkeit des Begriffs für die folgenden Überlegungen zwar präsent, im Hinblick auf das Forschungsinteresse kann jedoch zunächst darauf verzichtet werden, sich auf einen Begriff festzulegen bzw. diesen definitorisch für das weitere Vorgehen im Hinblick auf seine An5 | Dederich geht sehr ausführlich und pointiert auf die Probleme und Grenzen des Behinderungsbegriffs ein (2009, 15-19). Ebenfalls informativ im Kontext der Begriffsproblematik sind die Darstellung von Eckert (2014, 24ff) sowie der Teilhabebericht (2014) der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, der auch die Problematik der Begrifflichkeit aufgreift (vgl. Abschnitt 2: Konzeptionelle Grundlagen).
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wendbarkeit zu begründen. Für das Forschungsinteresse von Bedeutung ist die Frage, ob und warum Personen im Rahmen von räumlicher Wahrnehmung als behindert oder nicht behindert konstruiert werden, nicht aber, ob diese Wahrnehmungsformen von Behinderung entlang eines spezifischen Behinderungsbegriffs bzw. im Rückgriff auf ein konkretes Modell vollzogen werden. Die Ergebnisse der Studie werden jedoch an späterer Stelle nochmals im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Behinderungsbegriff aufgegriffen. Im Rahmen dieser Arbeit wird sowohl von Menschen mit Behinderungen als auch von Menschen mit Beeinträchtigungen gesprochen, ebenso werden die Termini behinderter Mensch bzw. behinderte Personen verwendet. Dies kann zwar das Begriffsdilemma nicht lösen, vermag aber zu verdeutlichen, dass der Blick auf Behinderung als komplexes Phänomen die wahrnehmbaren Beeinträchtigungen von körperlichen Funktionen einschließt (Mensch mit Beeinträchtigung), gleichzeitig aber auch außer Frage steht, dass Behinderung im alltäglichen Leben erfahren und wahrgenommen wird, wenn beispielsweise Teilhabe nur eingeschränkt oder nicht möglich ist (behinderter Mensch). Teilweise wird in den gängigen Diskursen in Bezug auf Behinderung deutlich zwischen einer rein körperlichen und einer rein geistigen Behinderung differenziert, bzw. sofern Menschen beiderlei Symptomatik zeigen von Mehrfachbehinderung gesprochen. Im Rahmen der vorliegenden Studie kann diese Ausdifferenzierung vernachlässigt werden. Da das forschungsleitende Interesse auf der Wahrnehmung von Behinderung bzw. Personen, die als behindert bezeichnet werden im Zusammenspiel von räumlicher Wahrnehmung beruht, ist die Unterscheidung, um welche angenommene Form der Behinderung es sich handelt, zunächst nicht weiter relevant. Dass es Unterschiede in der Wahrnehmung von Behinderungen gibt, bleibt unumstritten; so ist eine so genannte Körperbehinderung oft sofort zu sehen, während eine so genannte geistige oder intellektuelle Behinderung mitunter erst während einer Interaktion als solche erkennbar und als eine solche wahrgenommen wird. Insbesondere im Kontext der sozial- und kulturwissenschaftlichen Betrachtung wird Behinderung als Kategorie aufgefasst, die im alltäglichen Leben und in interaktiven Prozessen produziert und erfahrbar wird. Diese Perspektive auf Behinderung lässt deutlich werden, inwieweit Behinderung eine von verschiedenen Kriterien und Kontexten abhängige Kategorie darstellt (vgl. Dederich 2009, 15), aber auch, wie stark der Be-
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hinderungsbegriff mit der Wahrnehmung und (Selbst-)Deutung von behinderten und nicht behinderten Personen verknüpft ist.
Das ICF als eine modellhafte Beschreibung der Kategorie Behinderung In Bezug auf Behinderung wird im Folgenden keine spezifische Begrifflichkeit als theoretischer Bezugsrahmen verwendet. Der Blick auf Behinderung erfolgt im weitesten Sinne entlang einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive, die Behinderung in erster Linie als eine im Rahmen von Wahrnehmungs- und Zuschreibungsprozessen interaktiv hergestellte soziale Kategorie begreift. Dennoch bleibt unbestritten, dass die Herstellungsweisen von Behinderung eng verknüpft mit körperbezogenen Merkmalen erfolgen, die im Rahmen von gängigen Normalitätsvorstellungen als abweichend angesehen werden. Dieser Studie liegt also kein einer bestimmten Denktradition verhaftetes Modell von Behinderung zugrunde, wenngleich etablierte Modelle dieser Art während des Forschungsprozesses einbezogen wurden. Als das Forschungsinteresse unterstützendes Modell von Behinderung ist das ICF-Modell (International Classification of Functioning, Disability and Health) zu nennen, das 2001 von der WHO verabschiedet wurde und eine Weiterentwicklung eines Modells zu Krankheit und Behinderung aus dem Jahre 1980 darstellt. Das ICF stellt Behinderung als eine aus multiplen Faktoren entstehende Gegebenheit dar. Der Blick des Modells richtet sich auf das Zusammenspiel von körperlichen und gesundheitsbezogenen Faktoren und personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren. Ein vorrangiger Fokus des auch als biopsychosozial bezeichneten Modells liegt dabei auf der Frage, inwiefern Partizipation und Teilhabe von Personen eingeschränkt sind (vgl. Rentsch/Bucher 2006, 17). Das ICF, das nach Dederich eine Art »Minimalkonsens« für die Betrachtung von Behinderung darstellt (2009, 16), ist für die Ausgangsfragen dieser Studie insofern annehmbar, als dass in seinem Zusammenhang die Bedeutung von Kontextfaktoren hervorgehoben wird. Die Kategorie Raum ist in einigen Komponenten des ICF zwar andeutungsweise enthalten, Raum und die Wahrnehmung von Raum erscheint aber nicht als bedeutsamer Faktor für die Beschäftigung mit Behinderung. Somit kann das ICF als relativ offen gehaltenes, multiperspektivisches Erklärungsmodell von Behinderung für die vorliegende Studie genutzt werden. Im Hinblick auf die Bedeutung
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von Raum bietet es Anknüpfungspunkte, die es noch differenziert zu betrachten gilt.
Abbildung 1: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF (Rentsch/Bucher 2006, 25) Im Rahmen des ICF ist auch die von Cloerkes formulierte Relativität von Bedeutung, nach der Behinderung als Folgeerscheinung begreif bar wird. »Nicht der Defekt, die Schädigung ist ausschlaggebend, sondern die Folgen für das einzelne Individuum.« (2007, 9) Diese Relativität steht nach Cloerkes in Zusammenhang mit den folgenden Faktoren: 1. Die zeitliche Dimension, d.h. ein Mensch kann zeitlich begrenzt als behindert gelten oder aber auch für seine gesamte Lebenszeit, was zu unterschiedlichen sozialen Reaktionen führen kann. 2. Die subjektive Auseinandersetzung: Abhängig von Grad und Schwere einer Beeinträchtigung kann diese sehr unterschiedlich aufgefasst und verarbeitet werden. 3. Die Relativität in Abhängigkeit zu verschiedenen Lebensbereichen und Lebenssituationen, in denen die Bedeutung und das subjektive Empfinden der Behinderung unterschiedlich bewertet werden, beispielsweise in den Bereichen Berufstätigkeit und Freizeit. 4. Die Abhängigkeit von der kulturspezifisch sehr unterschiedlichen sozialen Reaktion auf Behinderung (vgl. ebd., 9). Cloerkes berücksichtigt in seiner Darstellung interessanterweise nicht explizit die räumliche Dimension, auch wenn diese in der genannten kulturspezifischen Abhängigkeit einer Definition von Behinderung be-
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reits anklingt. Seine Aussage »was bei uns als Behinderung gilt, muss woanders durchaus nicht so gesehen werden und umgekehrt« (ebd., 10) bleibt aber sehr vage und lässt nicht unmittelbar auf einen räumlichen Bedeutungszusammenhang schließen. Generell ist es meiner Ansicht nach auffällig, dass die Bedeutung räumlicher Strukturen und Dimensionen in Bezug auf die Lebenssituation von behinderten Menschen und die Wahrnehmung von Behinderung in den aktuellen Diskursen vernachlässigt werden. Vorhandene empirische Studien betrachten zwar den Sozialraum, fokussieren dabei aber eher Themen wie beispielsweise die Lebensqualität in bestimmten Stadtvierteln mit Blick auf Barrierefreiheit und Teilhabemöglichkeiten. Wie jedoch Behinderung in Abhängigkeit zu räumlichen Strukturen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen wahrgenommen und dadurch die Reproduktion der sozialen Kategorie Behinderung beeinflusst wird, bleibt weitestgehend ausgeblendet. Doch gerade dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Der Begriff des Raums bezieht sich hier zunächst auf das Forschungsfeld Hotel, in welchem behinderte und nicht behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam arbeiten. Bei den behinderten Personen handelt es sich um so genannte geistig und mehrfach behinderte Menschen. Während sich das forschungsleitende Interesse also zunächst auf einen konkreten Ort und damit auf einen eingrenzbaren Raum beziehen, sollen sie im weiteren Verlauf, in Anlehnung an Löws relationalen Raumbegriff (2001), auch auf einen sozial hergestellten und als Ausdruck sozialer Praktiken Raum angewendet werden. Für die schrittweise Entwicklung und den Einbezug tragfähiger Theoriekonzeptionen analog zu dem empirischen Prozess muss zunächst ein weiterer Blick auf die Kategorie Behinderung geworfen werden. Nur so ist das erkenntnisleitende Interesse daran, wie die beiden Kategorien Raum und Behinderung sich wechselseitig beeinflussen, zu verstehen. In diesem Kontext sind neuere kultursoziologische Überlegungen zu Behinderung von Bedeutung, erweitern sie doch die sozialwissenschaftlich und soziologisch ausgerichtete Perspektive und zeigen Anschlussstellen für eine erweiterte Betrachtung von Behinderung als das Resultat einer als different wahrgenommenen Körperlichkeit auf.
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2. K ultursoziologische P erspek tiven auf B ehinderung Die sich Ende der 1960er Jahre zunehmend in den USA und Großbritannien etablierenden Disability Studies, die sich als Querschnittsdisziplin verstehen, untersuchen das Thema Behinderung neben den gängigen medizinischen und pädagogischen Betrachtungsweisen vor allem aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive und stellen es in den Mittelpunkt eines sowohl theoretisch als auch methodologisch anspruchsvollen Forschungsprogramms (vgl. Waldschmidt/Schneider 2007). In Anlehnung daran weisen auch hierzulande jüngere Publikationen darauf hin, dass diese erweiterte und multiperspektivische Sicht auf Behinderung notwendig ist, um der Komplexität des Themenfelds gerecht zu werden. Diese Sichtweisen, die insbesondere die soziale Konstruktion von Behinderung in den Blick nehmen, eröffnen zugleich neue und dabei stark interdisziplinär ausgerichtete Forschungsfelder, indem sie Behinderung in einen differenztheoretischen Zusammenhang setzen: Behinderung wird somit zu einem Phänomen, das in Bezug auf die Wahrnehmung einer als different empfundenen Körperlichkeit oder, um den gebräuchlicheren Begriff zu benutzen, einer verkörperten Differenz betrachtet werden kann. Der Begriff der verkörperten Differenz ist dabei nicht unproblematisch; so könnte man argumentieren, dass sich Körper von Menschen grundsätzlich auf irgendeine Art unterscheiden und damit Differenzen aufweisen, wenngleich diese, wie beispielsweise bei eineiigen Zwillingen, durchaus gering sein können. Dies wäre zunächst ein Verständnis von Differenz, das sich auf die unverwechselbare körperliche Besonderheit eines jeden Menschen bezieht (vgl. Barkhaus 1996, 237). In dieser Studie wird dagegen der Begriff verkörperte Differenz in der Hinsicht verwendet, dass über als different wahrgenommene Merkmale Zuordnungspraktiken und Bedeutungszuschreibungen vollzogen werden. Somit kann die Zuordnung einer Person als behindert oder nicht behindert auch als Folge der Wahrnehmung einer (körperlichen) Differenz betrachtet werden. Insbesondere die Forschungen von Waldschmidt et al. verdeutlichen die Notwendigkeit des Einbezugs weiterer sozialwissenschaftlicher Konzepte und soziologischer Theoreme, um Behinderung als gesellschaftliches Phänomen besser darstellen und verstehen zu können. Innerhalb des Forschungsfelds, das neben den so genannten klassischen behindertenpädagogisch und rehabilitationswissenschaftlich ausgerichte-
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ten Forschungsprogrammen in der Bundesrepublik erst seit wenigen Jahren vertreten ist, geht man davon aus, dass »körperliches ›Anderssein‹ und ›verkörperte Differenz‹ weit verbreitete Lebenserfahrungen darstellen, deren Erforschung zu Erkenntnissen führt, die nicht nur für die auf ›Behinderung‹ spezialisierten gesellschaftlichen Teilsysteme und die sogenannten ›Betroffenen‹, sondern für die allgemeine Gesellschaft und für das Verständnis des Zusammenlebens von Menschen schlechthin relevant sind« (Waldschmidt/Schneider 2007, 13).
Das Thema Behinderung erhält im Rahmen dieses kultursoziologischen Kontexts eine veränderte Bedeutung und eine Beachtung, die über das bisherige Interesse an Behinderung in Bezug auf den Zusammenhang von Normalität und Abweichung und der damit einhergehenden Bewertung hinausgeht (vgl. ebd.). Die in den letzten Jahren entstandenen Richtungen und Schwerpunkte der Querschnittsdisziplin Disability Studies umfassen ein weites Spektrum und divergieren bisweilen stark; insbesondere hinsichtlich der jeweils zugrunde gelegten Denktraditionen.6 Dennoch vereinen die Disability Studies als intra- und interdisziplinärer Containerraum gerade jene wissenschaftlichen Herangehensweisen an das Themenfeld Behinderung, die man als neu, unkonventionell, oder gar experimentell bezeichnen könnte. Als verbindendes Element der mitunter unterschiedlichen Perspektiven ist jedoch größtenteils die Auseinandersetzung mit Diskursen zu Körpern, Wissensbeständen und der Ausübung von Macht in diesen Zusammenhängen festzustellen. Behinderung als Phänomen einer verkörperten Differenz zu betrachten, ist dabei weniger als eine diskurstheoretische Konzeption angelegt, sondern stellt vielmehr die erweiterten und quasi noch nicht erprobten Perspektiven auf das Thema Behinderung in das Zentrum des Forschungsprogramms. Wenn auch durch diesen erweiterten Blick das Thema Behinderung aus dem oftmals einengenden und determinierenden Kontext einer medizinischen und auf Rehabilitation gerichteten Einordnungspraxis gelöst werden kann, bleibt die praxisbezogene Einbettung der Perspektive bisweilen vage. So ist anzumerken, dass die Begrifflichkeit verkörperte Differenz zunächst stark an Körperbehinderungen erinnert, deren Prä6 | Für einen pointierten Überblick über die Entwicklung und die unterschiedlichen Perspektiven der Disability Studies vgl. Waldschmidt 2009, 125f.
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senz in Interaktionen visuell wahrnehmbar ist, ob aufgrund einer offenkundigen Abweichung des Körpers oder eines benötigten Hilfsmittels. Kognitive Beeinträchtigungen und Behinderungsformen sind dagegen seltener aus der reinen Präsenz von Körpern zu schließen. Oft werden diese, beispielsweise bei eingeschränkten Kommunikationsfähigkeiten, erst im Rahmen von interaktiven Handlungsverläufen festgestellt bzw. als eine Differenz aufgefasst. Nicht sofort sichtbare Beeinträchtigungen und Abweichungen, die gemeinhin als Behinderung klassifiziert werden, werden so unter Umständen nicht wahrgenommen. Insofern stellen insbesondere kognitive Beeinträchtigungen meines Erachtens ein eigenes Phänomen dar, da sie auch in gemeinsam geteilten und erfahrenen Räumen gänzlich verborgen bleiben können, wenn es z.B. zu keiner Interaktion zwischen den Anwesenden kommt. Im Rahmen der kultursoziologisch ausgerichteten Diskussion der Disability Studies werden klassische Theoriekonzeptionen und soziologische Schwerpunktthemen wie z.B. Wissen, Macht und Interaktion einbezogen und diskutiert, aber auch der Begriff und die Bedeutung des Körpers und der Körperlichkeit, wie intensiv bei Dederich (2007). Dieser ist letztendlich ausschlaggebend dafür, dass Behinderung als Phänomen einer verkörperten Differenz überhaupt erörtert werden kann. Das Thema des Raums als Kategorie für die Beschäftigung mit Behinderung ist im Kontext der Disability Studies jedoch noch kaum berücksichtigt. Wenngleich auch Raum implizit vorhanden ist, so fehlt bislang der explizite Einbezug und die Konkretisierung der Bedeutung von räumlichen Dimensionen, insbesondere aus (raum-)soziologischer Perspektive. Gerade in Bezug auf die aktuellen, intensiv diskutierten Vorschläge und programmatischen Schritte auf dem Weg zu einer Inklusion, also zu einer Beseitigung exkludierender Strukturen für beeinträchtigte Menschen, mag dies verwundern. Den sozialwissenschaftlichen Begriffen Inklusion und Exklusion ist eine raumbezogene Bedeutung inhärent, wenngleich der Raumbegriff hier meist im Sinne eines übergeordneten und abstrakten (sozialen) Raummodells begriffen wird und sich zumindest im bisherigen Forschungsdiskurs weniger auf Raum als konkreten Ort bezieht. Ein neuerer Forschungsbeitrag, in dem das Thema des vorhandenen Raums mitschwingt, ist beispielsweise von Schillmeier (2007), der Behinderung als Ereignis versteht. Er diskutiert anhand des Ereignis- und Erfahrungsbegriffs kritisch, wer eigentlich wann, wo und durch was behindert oder nicht behindert wird. In seinen Ausführungen zur Lokalisie-
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rung von Behinderung, die das Erkennen von Behinderung oder Nicht-Behinderung im Rahmen situativer sozialer Praktiken beschreiben, betont Schillmeier, dass in modernen Gesellschaften keine Einigung mehr darüber herrsche, was Behinderung sei. Vielmehr sei diese von der jeweiligen Sicht auf Behinderung abhängig, so dass die jeweils situativen Strukturen, Prozesse und Interaktionen berücksichtigt werden müssten (vgl. ebd., 80). Schillmeiers Darstellung von Behinderung als ein soziales Ereignis kann dabei mit den hier verhandelten Forschungsfragen verknüpft werden, die die räumliche Dimension für die jeweilige Sicht auf Behinderung betrachten und diese als stark beeinflussenden Faktor annehmen. Schillmeiers Fokus ist stark auf die gesellschaftspolitische Macht- und Ungleichheitsebene in einer sozialpolitischen Praxis des »Behindert-Werdens« (ebd., 80) gerichtet. Er spricht von einer von außen vorgenommen Lokalisation von Behinderung in und an Individuen und der Perspektive auf diese als gesellschaftliches Konstrukt, das Behinderung als soziales Ereignis und als Erfahrung in Abhängigkeit zu spezifischen Strukturen und Prozessen konstituiert. Darauf bezogen erörtert er das Phänomen einer »gesellschaftlichen Verortung« von Behinderung (ebd., 81), die in seiner Darstellung allerdings weniger eine durch konkrete räumliche und örtliche Strukturen beeinflusste Wahrnehmung beschreibt, sondern Raum im Sinne eines übergeordneten Rahmens begreift. Einen weiteren theoretischen Schwerpunkt in Bezug auf die Kategorie Behinderung stellt die Auseinandersetzung mit Körper und Körperlichkeit dar. Die gesellschaftliche Konstruktion, d.h. die jeweilige Herstellung und Identifikation eines Individuums als behindert, ist dabei im Kontext der visuell-auditiven Wahrnehmung von differenter Körperlichkeit bzw. differenten, abweichenden körperlichen Ausdrucksformen zu verstehen. Dies geschieht beispielsweise durch die Wahrnehmung eines geschädigten Körpers oder Körperteils oder eingeschränkter sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten. Der Körper trägt somit die ausschlaggebenden Merkmale, anhand derer die Herstellung und Einordnung des Anderen als behindert oder nicht behindert vorgenommen wird. Während die Soziologie des Körpers ein bereits etabliertes sozialwissenschaftliches Forschungsfeld darstellt und von Gugutzer (2006) in der deutschsprachigen Soziologie mit dem Begriff des body turn programmatisch dargelegt wird, werden körpertheoretische Konzepte in der jüngeren Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Frage der gesellschaftlichen Konstruktion von gender diskutiert – und somit wiederum in Bezug auf die Frage, wie
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Differenz in sozialen Interaktionen konstruiert bzw. dekonstruiert wird. Zunehmend rückt dabei auch der Körper als Raum und seine Betrachtung als Körperraum in den Vordergrund.7 Der Körper selbst wird somit zu einem eigenen Raum, von welchem ausgehend die unmittelbare Umgebung als eine Form von Raum konstruiert wird. Laut Löw werden »über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse Güter und Menschen zusammengefasst« (2001, 159) und stellen anhand einer komplexen Verknüpfungs- bzw. Syntheseleistung der vorgefundenen Menschen und Gegenstände ein als Raum wahrgenommenes Gebilde dar. Wenn man das mit der Perspektive der Disability Studies und ihrer Auffassung von Behinderung als einem Differenzphänomen verknüpft, kann Folgendes festgestellt werden: Der eigene Körperraum fungiert als Ausgangsbasis bzw. Standpunkt innerhalb räumlicher Strukturen und Arrangements. Von ihm aus erfolgt die Wahrnehmung anderer Menschen innerhalb eines Raums und damit verbunden die Feststellung, inwiefern diese als beeinträchtigt bzw. behindert anzusehen sind. Aus der Perspektive eines nicht behinderten Menschen ist es also zunächst die visuell oder auch auditiv erfahrene Differenz der wahrgenommenen Körper bzw. der Äußerungen dieser Körper in einem wahrgenommenen Raum, anhand derer die Feststellung einer Behinderung getroffen wird. Die sich im Raum befindenden Individuen, unabhängig davon, ob sie beeinträchtigt sind oder nicht, sind dabei wiederum Bestandteile des Raums, in welchem die Konstruktionsleistung oder der von Löw als Synthese bezeichnete Prozess stattfindet. Somit findet die individuelle Raumkonstruktion respektive Raumwahrnehmung gleichzeitig mit der Differenzfeststellung in Bezug auf sich in diesem Raum befindende Personen statt, die als behindert oder nicht behindert wahrgenommen werden. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Gleichzeitigkeit der konstruktiven Wahrnehmungsleistung anhand derer eine Raumherstellung und eine Differenzfeststellung in Bezug auf Behinderung geschieht unbewusst vollzieht, so dass es schwer feststellbar ist, ob 7 | Zu einem grundlegenden soziologischen Verständnis von Körper und Körperlichkeit vgl. Gugutzer 2006, Schroer 2005 und Meuser 2004, speziell zur Thematik des Körpers in den Disability Studies auch Gugutzer/Schneider 2007, für eine raumsoziologische Betrachtung von Körpern als Körperräume Löw 2001, 115ff, zu abweichender Körperlichkeit die Beiträge in Junge/Schmincke 2007, sowie zu Geschlecht und Körper Reuter 2011.
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man zunächst den Raum wahrgenommen und identifiziert oder bereits vorher dort Anwesende als behindert oder beeinträchtigt empfunden hat.8 Die Wahrnehmung einer Abweichung oder eines Unterschieds, auf die schließlich die Differenzfeststellung folgt, ist somit unmittelbar mit den räumlichen Bedingungen und Gegebenheiten verknüpft, in welchen sich die Wahrnehmungsprozesse vollziehen. Aufgrund dieser Annahme stellt sich die Frage, ob und inwiefern diese Differenzfeststellung variieren kann oder unter Umständen auch gar nicht vollzogen wird, wenn der Wahrnehmungsprozess durch entsprechend arrangierte räumliche Gegebenheiten beeinflusst wird. Würde man versuchen, anhand einfacher Fragen diese Ko-Konstruktion der sich gleichzeitig vollziehenden Raumherstellung und Differenzfeststellung darzustellen, so könnten diese lauten: Wo bin ich und wer ist das? Hierbei kann die Frage nach dem ›wer‹ nur in Abhängigkeit zu der ersten und damit dominierenden Frage, dem ›wo‹ gestellt werden. Hinweise auf die beschriebene Ko-Konstruktion in der Wahrnehmung von Raum und Differenz gab es bereits während der ersten Feldforschungsphase. Entlang des empirischen Prozesses und der durchgeführten teilnehmenden Beobachtungen im Hotel verdichtete sich zunehmend die Erkenntnis, dass der Blick der anwesenden, von mir als nicht behindert wahrgenommenen Gäste, auf die vor Ort arbeitenden beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein besonderer Blick zu sein schien. Seine Besonderheit gründete sich zunächst darauf, dass, anders als von mir erwartet, keine Differenzfeststellung in irgendeiner Weise ersichtlich
8 | Dass die Wahrnehmung von Behinderung respektive das Erkennen dieser auf dem impliziten Wissen beruht, was gesellschaftlich als eine Behinderung aufgefasst und angenommen wird, ist Voraussetzung für den dargestellten Herstellungsund Feststellungsprozess. Der Begriff des Wissens ist dabei insbesondere für das Forschungsprogramm der Disability Studies von Bedeutung, da letztlich das Wissen um die gesellschaftlich vorhandene Kategorie Behinderung die Betrachtung dieser ermöglicht bzw. einen Ausgangspunkt für die theoretische Auseinandersetzung mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Differenzphänomenen darstellt. Vgl. dazu auch Waldschmidt (2007), die im Anschluss an Foucault die Begriffe Macht, Wissen und Körper in ihrer jeweiligen Bedeutung für den Forschungsansatz der Disability Studies darstellt.
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war.9 Meine Vorannahme war, dass im Rahmen eines Hotel- und Restaurantbesuchs normierte Erwartungshaltungen in Bezug auf die dort angebotenen Dienstleistungen vorherrschen. In der Beobachtung trat jedoch ein interessantes Phänomen schrittweise in den Vordergrund: Die (von mir erwartete) Beachtung der Differenz und mögliche Reaktion auf diese konnte nicht beobachtet werden. Ich hatte den Eindruck, als würde niemand auch nur annähernd bemerken, dass er von Menschen mit Beeinträchtigungen umgeben war, die in Bezug auf die Ausübung bestimmter Tätigkeiten, insbesondere des Gastgewerbes, auf Unterstützung bzw. Hilfestellung von nicht behinderten Mitmenschen bzw. Kollegen angewiesen waren. Vor diesem Hintergrund konnte mein ursprünglicher Fokus, der sich auf die Beobachtung von Interaktionsprozessen zwischen Gästen und Beschäftigten und dort vermutete Techniken der Entstigmatisierung und der damit verbundenen Zunahme einer positiven Einstellung gegenüber behinderten Menschen konzentrierte, keinerlei nennenswerte und für eine weitere Untersuchung fruchtbare Ergebnisse liefern. Dies führte zunächst zu einer gewissen Irritation und Befremdung, lenkte letztlich aber unter Einbezug der stetig wachsenden Daten des Feldforschungsprozesses den Blick auf den Zusammenhang von Raum und Differenzwahrnehmung. Eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Differenzkategorien erfreut sich insbesondere bei den Kultur- und Sozialwissenschaften zunehmender Beliebtheit. Die zahlreichen Publikationen, die den Begriff Differenz im Titel tragen, zeugen ebenso davon wie die Zunahme von For9 | Auch ich bin nicht frei von Vorannahmen in die Forschungssituation gegangen, in diesem Fall mit einer Differenzunterstellung in Bezug auf behinderte Menschen. Dementsprechend habe ich von den nicht behinderten Gästen beobachtbare Reaktionen auf die wahrnehmbaren Differenzen der im Hotel tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwartet. Vgl. dazu auch Cloerkes 2007, 101ff, der ausführlich die Einstellung und das Verhalten gegenüber behinderten Menschen erörtert, zugleich aber auf die methodischen Probleme der Forschung zu Einstellung und sozialer Reaktion auf behinderte Menschen verweist, die sich insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren überwiegend auf quantitative Daten bezog. Seiner Ansicht nach ist die Erfassung und Erforschung des tatsächlichen Verhaltens gegenüber behinderten Menschen äußerst schwierig, wobei er qualitativen Studien eine höhere Erfolgsquote beimisst und für eine verstärkte Beachtung dieser Forschungsansätze plädiert (vgl. ebd., 112).
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schungsprojekten, welche – häufig in einem interdisziplinären Kontext – alle nur erdenklichen Formen von Differenz untersuchen, beschreiben, konstruieren und dekonstruieren, um das komplexe Phänomen für den Wissenschaftsdiskurs verschiedener Fachrichtungen nutzbar zu machen. Ebenso wird Differenz auch im Zusammenhang mit dem Begriff Diversity und sozioökonomischen Perspektiven, beispielsweise im Hinblick auf Unternehmensstrategien, erörtert. Differenz, zunächst als Sammelbegriff für alle Formen von Unterschiedlichkeit und Anderssein benutzt, entbehrt dabei selbst eines genauen definitorischen Rahmens. Durch seine Offenheit offeriert der Begriff jedoch vielseitige Anschlussmöglichkeiten und Denkangebote. Dies stellt möglicherweise eine Ursache für die vielfältige Aneignung und Einordnung insbesondere in kulturwissenschaftliche Zusammenhänge dar. Feldmann geht in ihren Ausführungen mit dem Titel Differenzen ohne Ende? (2010) dagegen kritisch auf die stetige Zunahme und Bildung immer neuer Differenzkategorien im Bereich der Kulturwissenschaften ein und versucht die Grenzen dieser Kategorienbildung für den wissenschaftlichen Diskurs auszuloten.10 Während nun Differenz respektive die Konstruktion von Differenz für die Bereiche der Genderforschung, der Human- und Sozialgeographie mit dem Schwerpunkt der Migration sowie für die Beschreibung von Diskriminierungs- und Ausgrenzungsprozessen in den letzten Jahrzehnten als ein zentraler Begriff bezeichnet werden kann, ist die Betrachtung von Behinderung als Differenzkonstruktion deutlich langsamer und erst mit dem im deutschsprachigen Raum im letzten Jahrzehnt zunehmend etablierten Forschungsfeld der Disability Studies in den Vordergrund gerückt. Behinderung als eine Form von erfahrener Differenz in interaktiven Situationen anzunehmen und zu denken, ermöglicht das Heraustreten aus den nach wie vor vorherrschenden medizinisch-klinischen Debatten, die darauf fokussieren, negative Auswirkungen von Behinderung mit Hilfe eines umfangreichen Rehabilitationsapparats zu überwinden. Das Hinzuziehen einer raumsoziologischen Perspektive auf das Differenzkonstrukt Behinderung kann in Bezug auf
10 | Der komplexe differenztheoretische Diskurs wird an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Konstruktive Impulse für die vorliegende Studie gaben die Überlegungen von Hirschauer (2014) dazu, wie Differenzkonstruktionen als immer auch kontextgebundene Kategorisierungsmechanismen Prozessen der Veränderung unterliegen.
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den Konstruktionsprozess weitere Erkenntnisse liefern und mögliche Bedingungen in Abhängigkeit zur Kategorie des Raums aufzeigen. Behinderung wird im Folgenden als eine von zahlreichen möglichen Differenzkonstruktionen in menschlichen Austausch- und Handlungsprozessen gefasst, die sich körperlich präsentiert bzw. als körperliche Konstitution und/oder durch kommunikative Äußerungen der Sprache, der Gestik und Mimik visuell und/oder auditiv wahrgenommen wird und als abweichend von einer als Normalität angenommenen Vorstellung klassifiziert wird. Angelehnt an die forschungsleitenden Fragestellungen liegt der Fokus dieser Studie auf den Wahrnehmungen und Differenzkonstruktionen der nicht behinderten Mitarbeitenden und Gäste des Hotels in Bezug auf Kollegen und Mitarbeitende mit einer Beeinträchtigung.11 Dass auch von den beeinträchtigten Mitarbeitern im Hotel Differenzwahrnehmungen in Bezug auf die (nicht behinderten) Kollegen und Gäste erfolgen, ist selbstverständlich. Es wird davon ausgegangen, dass sich die jeweiligen Differenzfeststellungen zwischen behinderten und nicht behinderten Mitarbeitenden und Gästen anhand von komplexen und ineinander verflochtenen Prozessen vollziehen.12 Während die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Raum und Differenz allgegenwärtig ist, so scheint die Betrachtung der Kategorie Raum im Hinblick auf Behinderung als eine Form der verkörperten Differenz hingegen noch weitestgehend unerforscht.
11 | Auch hier muss wieder auf die von Cloerkes dargestellte Relativität von Behinderung (vgl. 2007, 9) verwiesen werden. So wurde beispielsweise in Gesprächen mit nicht beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich, dass diese auch eigene Seh- und Hörschwächen, die das Tragen einer Brille oder eines Hörgerätes erfordern, als Behinderung einstuften. 12 | Hinsichtlich der wechselseitigen Differenzkonstruktionen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen ist meines Erachtens die Perspektive – die jedoch hier nicht weiterverfolgt werden kann – des so genannten othering lohnenswert, bei welchem das als fremd bzw. different Wahrgenommene im Gegensatz zu dem Eigenen konstruiert bzw. verstanden wird.
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3. D er S patial Turn im F orschungsprozess Der Einbezug räumlicher Dimensionen nahm bei der Planung der Feldforschungsphasen zunächst einen marginalen Platz ein. Nach der Ankunft und einer ersten Orientierungsphase im Feld wurde mit der Datenerhebung mittels teilnehmender Beobachtung und der ero-epischen Gesprächsführung sowie mit der Sichtung der zur Verfügung gestellten Gästebücher begonnen. Im Verlauf dieser ersten Orientierungsphase nahm ich außerdem eine relativ zeitaufwändige und dokumentarisch dichte Ortsbegehung vor, die in erster Linie der Verbesserung der eigenen Orientierung im Feld dienen sollte. Zudem sollten die in diesem Zusammenhang angefertigten von mir als Raumprotokolle bezeichneten Aufzeichnungen den späteren Auswertungsprozess und die Analyse unterstützen.13 Somit entstand eine detaillierte Beschreibung der meisten Räume des Hotels14, die systematisch, im Erdgeschoss beginnend, abgeschritten wurden. […] direkt neben dem Tresen der Rezeption, die mir für die Größe des Hauses eigentlich ziemlich klein vorkommt, führt eine Holztreppe in die oberen Geschosse. Neben der Rezeption führt rechts ein Gang wahrscheinlich zur Küche, man kann Geschirrgeklapper hören, von meinem Standpunkt aus kann ich aber nicht in den Gang sehen. Ein paar Meter von mir entfernt beginnt der großzügige Eingangsbereich des Restaurants, man kann geradeaus hindurchsehen bis zu dem großen Sitzbereich im Wintergarten. Die langen dunkelroten Vorhänge rechts und links erinnern mich ein wenig an ein Theater, seitlich steht eine Tafel, auf 13 | Auf Foto- und Videoaufnahmen im Erhebungsprozess wurde bewusst verzichtet, in erster Linie aus Gründen des Datenschutzes, in zweiter Linie aber auch aus dem Ansinnen heraus, nicht noch einen zusätzlichen Datentyp zu generieren, dessen Auswertung wiederum eigenen Analysemechanismen und -techniken unterlegen hätte. Zwar wurde auch von der Hotelleitung zur Verfügung gestelltes Bildmaterial für die Auswertung herangezogen, dies jedoch nur in sehr knapper und ergänzender Funktion. 14 | Hiermit sind die mit dem Einverständnis der Leitung zugänglichen Räume gemeint, die neben den für Gäste zur Verfügung stehenden Räumen auch die Küchen-, Wirtschafts- und Aufenthaltsräume der Mitarbeitenden beinhalteten, selbstverständlich aber nicht die Zimmer anderer Gäste, sowie Räume, deren Zutritt durch eine entsprechende Beschilderung nicht erwünscht war.
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die mit Kreide »herzlich willkommen« geschrieben ist, das Herz von herzlich ist als solches gemalt. Im vorderen Raum des Restaurants ist es eher dunkel, auf den Tischen und an den Wänden brennen Kerzen, im Hintergrund läuft eine ganz leise Musik. Vom Eingangsbereich aus kann man nur wenige Tische sehen, durch den Blick bis in den Wintergarten erahnt man aber die Größe des Restaurants. Nach links führt auch noch ein Gang und ich erinnere mich an den dortigen Besprechungsraum, in dem mein erstes Treffen mit der Leitung stattfand. Meine Blicke werden unablässig auf die vielen Bilder an den Wänden gelenkt, im Treppenaufgang sind besonders viele davon. Auf dem Weg in den ersten Stock entdecke ich einen gerahmten Gästebucheintrag zwischen den Bildern, der sich auf den Aufenthalt hier bezieht, ich nehme mir vor, ihn bei Gelegenheit abzuschreiben. Die alte Holztreppe ist wunderbar aufgearbeitet, knarrt jedoch erheblich. Leicht gewunden führt sie nach oben, da es sich um ein Fachwerkhaus oder eben ein älteres Gebäude handelt, zumindest das Vorderhaus, der hintere Restaurantbereich mit Wintergarten scheint neu, es führen nicht viele Stufen in den ersten Stock […]. (Auszug aus Raumprotokoll Orientierungsphase I)
Dieser Auszug aus dem Protokoll, welches zu Beginn der Feldforschung angefertigt wurde, lässt bereits den Bezug auf räumliche Gegebenheiten erkennen, die hier in Form einer konkreten Ortsbeschreibung erkennbar sind. Auffällig ist zunächst, dass ein Großteil der Beschreibungen von einem bestimmten Standpunkt aus getätigt wurde, nämlich dem Eingangsbereich des Hotels. Die somit eingenommene Positionierung ist Ausgangspunkt der weiteren Beschreibungen, die – ähnlich wie eine Karte, nur in sprachlicher Form – direktive Richtungsanweisungen beinhalten. Durch die Angaben oben, vorn, hinten, rechts und links, die auf den konkreten damals eingenommenen Standpunkt verweisen, konnte in der späteren Analyse der Untersuchungsort als bildhafter Erinnerungsmoment rekonstruiert werden. Weiter fallen die von mir wahrgenommenen und raumkonstituierenden Elemente auf, denen im weiteren Verlauf der Studie hinsichtlich der so bezeichneten Raumatmosphäre und der damit verbundenen sinnlichen Wahrnehmung eine besondere Bedeutung zukommt: Musik, Kerzenschein und entsprechende Lichtverhältnisse, eine knarrende Treppe sowie bestimmte Elemente der Inneneinrichtung. Die Aussage zu den unablässig gelenkten Blicken gibt einen ersten Hinweis auf raumkonstituierende Gegebenheiten, denen man sich als im Raum befindliche Person schwerlich entziehen kann, es sei denn, man würde die
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Augen schließen. Diese wahrgenommenen Gegenstände bzw. deren symbolische Bedeutung – im obigen Auszug sind es zunächst nicht näher beschriebene Bilder und ein gerahmter und damit speziell hervorgehobener Gästebucheintrag – beeinflussen die Raumwahrnehmung und übermitteln eine ihnen zugewiesene Bedeutung bzw. Botschaft an die Raumteilnehmer. Insbesondere der Gästebucheintrag fiel mir damals ins Auge; er befindet sich an einer exponierten Stelle, herausgelöst aus seiner eigentlichen Umgebung, dem an einem anderen Ort ausliegenden Gästebuch. Mit dieser zielgerichteten Positionierung erhält der Gästebucheintrag eine verstärkte öffentliche Wirkung: In diesem Fall erfährt der Lesende etwas über die Qualitäten des Hotels als besonderer Ort der Achtsamkeit und Fürsorge. Eine mögliche Absicht des Eintrags könnte somit darin bestehen, den Lesenden ebenfalls von dieser Besonderheit zu überzeugen und den Aufenthalt vor Ort dadurch als positiv wahrzunehmen. Im Vorgriff auf die im weiteren Verlauf als Bezugsrahmen verwendete raumsoziologische Theorie von Löw kann formuliert werden, dass im genannten Fall die durch den Prozess des Spacing bewusst platzierten raumkonstituierenden Bilder und Objekte ihre spezifische Wirkungsweise in dem von den Raumteilnehmern geleisteten Syntheseprozess entfalten (vgl. Löw 2001, 258). Die eigentliche Fokussierung des Raumthemas und die damit den weiteren Prozess stark beeinflussende Wende in der vorliegenden Studie erfolgte nach der ersten Sichtung und Systematisierung der gewonnenen Daten. Hier zeigte sich eine immer wiederkehrende Bezugnahme auf räumliche Dimensionen und Gegebenheiten. Nachdem so deutlich wurde, dass der räumlichen Thematik im Forschungsfeld offensichtlich eine entscheidende Bedeutung zukommt, wurden für den weiteren Forschungsverlauf insbesondere soziologisch relevante Theoriekonzeptionen von Raum schrittweise in die Betrachtung mit einbezogen. Dieser fokussierte Einbezug des Raums wirkte sich entsprechend auf die weitere Feldforschung sowie die angewandten Erhebungsmethoden aus, anhand derer das Phänomen Raum in Bezug auf die Präsenz von Menschen mit Beeinträchtigungen fortschreitend weiter erforscht und systematisiert wurde. Die folgenden Beispiele aus dem generierten Datenmaterial beinhalten Sichtweisen der Akteure im Hotel, die auf die Verknüpfung der Bedeutung von Räumen und der in diesen Räumen wahrgenommenen Behinderung hinweisen.15 15 | Perspektiven und Befunde zu den beiden hier dargelegten Sequenzen wurden bereits im Rahmen eines Aufsatzes publiziert (Modes 2014b, 163f).
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Der hier zunächst herangezogene Eintrag ist zugleich der bereits im Raumprotokoll erwähnte ausgestellte Gästebucheintrag: Wenn ich in wenigen Worten beschreiben soll, was ich hier in den letzten 4 Tagen erlebt habe, so sind es gelebte Fürsorge und Achtsamkeit: Sorge für das leibliche Wohl, für jeden Winkel dieses wunderschönen Hauses, für Anregungen aus der Welt durch Bücher. Achtsamkeit für die Möglichkeiten des Einzelnen, für die Ecken und Kanten, den Charme des manchmal nicht ganz Perfekten. Dies alles darf sein, wie es ist. (Auszug Gästebucheintrag, Gruppierung VIII)
Dieser Gästebucheintrag kann als eine Raumbeschreibung angesehen werden, in der verschiedene Räume charakterisiert werden. So werden Aussagen zu dem konkret materiellen Raum, dem wunderschönen Haus, vorgenommen, gleichzeitig beziehen sich die Äußerungen auf einen erlebten und gefühlten Raum, der an diesem bestimmten Ort wahrgenommen wird. Der Eintrag beschreibt ein räumliches Erlebnis, das sich sowohl auf materielle Aspekte des Hotels als einem konkreten Ort bezieht als auch auf die an diesem Ort geteilten und empfundenen Räume, in welchen Achtsamkeit und Fürsorge gelebt werden, und die als soziale oder metaphorische Räume angesehen werden können. Die Beschreibung des erlebten materiellen und metaphorischen Raums beinhaltet zudem eine zeitliche Angabe, die das spezifische räumliche Erleben auf eine Zeitspanne begrenzt und damit zusätzlich die Besonderheit der wahrgenommenen Räume hervorhebt. Auch wenn der Eintrag aus einer Ich-Perspektive erfolgt und von der Achtsamkeit für die Möglichkeiten des Einzelnen spricht, lässt der Ausdruck gelebte Fürsorge und Achtsamkeit die Interpretation zu, dass es sich bei den im Hotel wahrgenommenen Räumen um einen gemeinsam mit anderen erlebten und geteilten Raum handelt, in dem sich Fürsorge und Achtsamkeit nicht auf den Gast allein, sondern auf alle dort anwesende Menschen beziehen. Fürsorge und Achtsamkeit lassen sich in der Beschreibung als eine Art räumliches Prinzip deuten, das im Hotel gelebt und erfahrbar wird. Dies konstatiert die Person, die den Eintrag vorgenommen hat, durch die Formulierung, wenn ich in wenigen Worten beschreiben soll, was ich hier in den letzten 4 Tagen erlebt habe als wesentlich für das räumliche Erleben. In dem Eintrag lassen sich keine manifesten Aussagen in Bezug auf die Begegnung mit Behinderung bzw. Menschen mit Beeinträchtigungen erkennen, jedoch sind implizite Beschreibungen und Andeutungen vorhan-
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den, deren latente Sinngehalte auf das Thema Behinderung verweisen. Die Textpassage Achtsamkeit für die Möglichkeiten des Einzelnen, für die Ecken und Kanten, den Charme des manchmal nicht ganz Perfekten. Dies alles darf sein, wie es ist bezieht sich aus meiner Sicht auf die im Hotel angetroffenen Personen mit einer Beeinträchtigung und auf die Wahrnehmung von Behinderung vor Ort. Der zuvor beschriebene erlebte Raum der Achtsamkeit und Fürsorge wird hier erweitert und auf Personen bezogen, die – so die Lesart an dieser Stelle – zwar über individuelle Möglichkeiten verfügen, gleichwohl aufgrund einer Beeinträchtigung bestimmte Möglichkeiten nicht wahrnehmen können. Das Hotel als Ort ermöglicht einen Raum, in dem die individuellen Möglichkeiten des Einzelnen, gleich welcher Art und Weise, respektiert und geachtet werden. Gleichsam stellt das Hotel Räume zur Verfügung, in denen sich die jeweiligen Möglichkeiten entfalten können, nicht zuletzt durch das räumliche Prinzip von Achtsamkeit und Fürsorge. Die erwähnten Ecken und Kanten sowie der Hinweis auf das manchmal nicht ganz Perfekte können hier als wohlwollende Umschreibung einer Wahrnehmung von Behinderung gedeutet werden, die auf eine Vorstellung von Behinderung als abweichend und möglicherweise defizitär zurückgehen könnten. Jedoch kann diese Abweichung, das als nicht ganz perfekt umschriebene Anders-Sein bzw. Behindert-Sein, innerhalb des Hotels und seinen Räumen sein wie es ist. Diese Schilderungen verweisen auf eine Verwobenheit der Wahrnehmung von Raum und Behinderung. Die zunächst als Behinderung wahrgenommene Abweichung erfährt innerhalb des wahrgenommenen räumlichen Zusammenhangs eine andere Betrachtungsweise. Auch das nächste Beispiel lässt diese raumbezogene Sichtweise auf Behinderung erkennen: Sie hat höchsten Respekt vor der Arbeitsleistung der Leute, die sich oftmals noch enorm steigert. »Sie machen ihre Sache richtig gut und wir haben hier wirklich viel zu tun«. Sie würde auch immer wieder über die verborgenen Talente staunen, die es bei den behinderten Mitarbeitenden zu entdecken gibt und von denen wir als so genannte nicht Behinderte lernen können. (Auszug Protokoll ero-episches Gespräch mit einer Person der Hotelleitung)
Das Hotel wird hier als ein Ort charakterisiert, an dem Menschen mit einer Beeinträchtigung eine Tätigkeit ausüben können, die anerkannt und wertgeschätzt wird. Zusätzlich kann die Äußerung dahingehend interpretiert werden, dass ein gewisses Erstaunen seitens der sich äu-
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ßernden Person vorhanden ist, dass Menschen trotz einer Beeinträchtigung in der Lage sind, die komplexen Arbeitsanforderungen zu erfüllen. Das Hotel wird als Ort des Staunens und Entdeckens beschrieben, der Räume in Form von Arbeitsfeldern für Personen mit Beeinträchtigungen bereitstellt und damit gleichzeitig Räume, an denen gemeinsam voneinander gelernt und erfahren werden kann. Das Beispiel beschreibt den konkreten Ort als Ausgangspunkt, der verschiedene Möglichkeitsräume sowohl für behinderte als auch nicht behinderte Personen bereitstellt; der Blick und die Wahrnehmung von Behinderung in diesen Möglichkeitsräumen ist dabei stets von Respekt und Anerkennung geprägt. Abschließend soll nochmals das erste Beispiel eines Gästebucheintrags, der über den Charme des manchmal nicht ganz Perfekten berichtet, in den Blick genommen werden. Der Gästebucheintrag lässt nach einer hermeneutischen Interpretation in Bezug auf den latenten Sinngehalt den Rückschluss zu, dass die raumbezogene Wahrnehmungsweise und die Erfahrung von Behinderung durchaus ambivalente Züge tragen. Behinderung wird im Rahmen einer exzeptionellen Arbeitssituation im Hotel bzw. innerhalb des exklusiven Aufenthalts als Gast wahrgenommen und erfahren. Eine Behinderung verursacht in diesem Zusammenhang keine Probleme und darf aus Sicht des Gastes so sein, wie sie ist. Behinderung erscheint als eine spezifisch auf den erlebten Raum bezogene Differenzkonstruktion und damit zugleich als Teil einer räumlichen Praxis, die eine entsprechende Wahrnehmung vorbereitet und ermöglicht. Insofern lassen sich Tendenzen einer ambivalenten Wahrnehmung und Erfahrung von Behinderung erkennen, in der eine latent-implizite Auffassung von Behinderung hervortritt, die außerhalb der speziellen räumlichen Situation und damit außerhalb des hier durchaus als problematisch angesehen wird bzw. außerhalb des exklusiven, zeitlich begrenzten räumlichen Erlebens eben gerade nicht so sein darf, wie es ist. Für das Hotel bedeutet diese Sichtweise, dass dieses in der Form eines inklusiven und inkludierenden Raums erlebt wird, der die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglicht, indem er sich öffnet und bestimmte Rahmenbedingungen bereitstellt. Gleichzeitig aber wird der erlebte Raum als ein besonderer, exklusiver und damit außerhalb anderer räumlicher Erfahrungen stehender Raum charakterisiert, der als geschütztes und geschlossenes räumliches Konzept diese Form der Teilhabe offeriert. Die dargestellten empirischen Befunde zeigen, dass die Wahrnehmung von Behinderung eng mit der Wahrnehmung von Räumen in
III. Behinderung im Kontext von räumlichen Dimensionen
Verbindung steht, sowohl in Bezug auf konkret-materielle Aspekte der räumlichen Umgebung als auch auf den Raum als gefühltes, vorgestelltes und miteinander geteiltes metaphorisches Gebilde. Behinderung wird in den geschilderten Fällen in Abhängigkeit von den räumlichen Erfahrungen beschrieben und erinnert, gleichzeitig sind die geschilderten Wahrnehmungen von Behinderung als Teil des räumlichen Erlebens im Hotel anzusehen. Die Wahrnehmungsweisen von Raum und Behinderung erscheinen in einer wechselseitigen Dynamik aufeinander bezogen und miteinander verwoben, wobei die wahrgenommenen Räume, wie in den Beispielen aufgezeigt, unterschiedliche Funktionen einnehmen können, die auf die jeweilige Sichtweise und Wahrnehmung von Behinderung einwirken.
3.1 Raum als relationales Konzept Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Raum und insbesondere der soziologischen Perspektive auf den Raum stößt man unweigerlich auf einige Theorien, deren Akzeptanz in Bezug auf die Betrachtung der Kategorie Raum als hoch einzustufen ist und die häufig als Grundlage und Ausgangsbasis für raumbezogene Forschungsfragen herangezogen werden. Meiner Ansicht nach sind dies vor allem jene Beschreibungen, denen es gelingt, das komplexe Phänomen Raum in transparenter und verständlicher Art zu erörtern, zu hinterfragen und die interdisziplinären Schnittstellen des Gegenstands konstruktiv zu nutzen. Gerade raumbezogene Forschung benötigt aufgrund ihrer Komplexität eine interdisziplinär ausgerichtete Herangehensweise. Erst diese ermöglicht meines Erachtens diverse Anschlussstellen für ein empirisch ausgerichtetes Forschungsinteresse und dient damit insbesondere dem Blick auf die alltagsweltliche Bedeutung von Raum für soziale Prozesse. Diese Praktikabilität in Bezug auf alltägliche Routinen und soziale Praktiken ist insbesondere für das sozialwissenschaftlich orientierte Forschungsinteresse ein Gütekriterium. So ist gerade das Erkenntnisinteresse im Hinblick darauf, wie räumliche Dimensionen in ihrer Eigenschaft als prozesshafte Konstruktionen wahrgenommen werden und auf Handlungsverläufe und gesellschaftliche Praktiken zurückwirken oder diese gar beeinflussen, groß. Die überwiegende Perspektive auf Raum sieht diesen als sozial konstruiertes Phänomen, als hergestellte Wirklichkeitsebene und prägende Umgebung für soziale Zusammenhänge, dessen
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Konstruktion wiederum auf Handlungsweisen zurückwirkt. Raum wird dabei nicht ausschließlich auf einen materiell erfassbaren und begrenzbaren architektonischen Raum oder Ort bezogen.16 Da die vorliegende Studie Wahrnehmungsmuster in Abhängigkeit zu räumlichen Dimensionen fokussiert und die Wahrnehmungsprozesse dabei selbst als Handlungen ansieht, sind die weiteren Ausführungen und Betrachtungen auf eine relationale, sozial-konstruktivistische Raumvorstellung bezogen.17 Diese, insbesondere für den soziologischen Diskurs angenommene Vorstellung von Raum als einem relationalen Raum und damit einem Phänomen, das als potentiell dynamisch und veränderbar begriffen wird, beruht auf einer ausgiebigen theoretischen und diskursiven Beschäftigung mit dem Thema, die sich vor allem im letzten Jahrhundert stetig weiterentwickelte. Dass auch die aktuelle soziologisch motivierte Beschäftigung mit Raum immer wieder auf die rückblickende Betrachtung der räumlichen Auffassung in philosophischen und vor allem physikalischen Kontexten angewiesen ist, verdeutlicht abermals die Dynamik des Gegenstandes, aber auch seine Einbindung in interdisziplinäre Sichtweisen und Modellvorstellungen, die durch die absolutistische und relativistische Auffassung von Raum (vgl. Löw 2001, 24-35) geprägt und entwickelt wurden. Somit ist davon auszugehen, dass es nicht bei der heutigen, für das sozialwissenschaftliche Interesse insbesondere relational geprägten Auffassung von Raum bleiben wird. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Raum, vorrangig die empirisch begründete, kann somit zu einer theoretischen Verortung auf breit rezipierte räumliche Modelle und Konzeptionen zurückgreifen. Raum muss nicht neu definiert und gedacht werden, vielmehr können 16 | Schroer stellt hierzu fest, dass das absolutistische Behältermodell (Containermodell) von Raum keineswegs von der – zumeist favorisierten – relationalen Raumauffassung verdrängt worden ist, sondern nach wie vor einen gültigen Platz für die Analyse sozialer Phänomene beansprucht, insbesondere im Kontext von Begriffen wie Macht, Herrschaft und Gewalt. Er begründet den Vorzug des relationalen Modells, in welchem der konstruierte Raum im Rahmen dynamischer Prozesse auf die raumkonstruierenden Akteure und ihre Handlungsweisen zurückwirkt, durch die heute überwiegend handlungstheoretische Ausrichtung raumsoziologischer Arbeiten (vgl. 2006, 175). 17 | Vgl. dazu auch Löw 2001, 198. Löw begreift sinnlich-kognitive Wahrnehmungsprozesse als aktives Handeln, das Syntheseleistung und Spacing gleichermaßen durchzieht.
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neue Erkenntnisse an entsprechende Anschlussstellen und noch nicht hinlänglich erforschte Fragestellungen anknüpfen und auf diese Weise dazu beitragen, das komplexe Phänomen Raum für die wissenschaftliche Rezeption weiter zu denken. Die Ergebnisse dieser Studie knüpfen verstärkt an das relationale Raummodell von Martina Löw an und differenzieren es insbesondere hinsichtlich des atmosphärischen Raums weiter aus. In Bezug auf die nach wie vor vieldiskutierte Frage, wie sich räumliche Dimensionen und Bedeutungszusammenhänge methodisch und methodologisch erschließen lassen, wird das Quadrantenmodell der Soziologin und Methodologin Gabriele Sturm für die systematische Betrachtung der vorhandenen räumlichen Gegebenheiten herangezogen (vgl. 2000, 199). Zudem wird als eine ergänzende Theorieperspektive die Konzeption von Renate Ruhne in die Überlegungen eingebunden, deren Perspektive auf das Phänomen Raum insbesondere die wechselseitigen und dynamischen Faktoren von Raum in Verbindung mit sozialen Erscheinungsformen fokussiert (vgl. 2003, 162). Die von Martina Löw 2001 publizierte Monographie »Raumsoziologie«, in welcher sie unter Einbezug der wissenschaftshistorischen Betrachtung von Raum eine systematische Annäherung an eine soziologische Auffassung von Raum vornimmt und letztlich eine relationale Betrachtung desselben postuliert, ist insbesondere in soziologisch relevanten Forschungskontexten präsent und häufig die Basis weiterführender Forschungsfragen. Im Folgenden sollen nur einige zentrale Aspekte der Konzeption Löws angesprochen werden, die für das Verständnis der vorliegenden Studie benötigt werden und entlang des empirischen Prozesses zunehmend einbezogen werden. Das von Löw entwickelte relationale Raummodell beschreibt Raum als ein sozial hergestelltes und prozessuales Phänomen, als eine (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen (vgl. ebd., 158). Bei der Konstitution von Räumen unterscheidet sie zwei analytisch voneinander zu trennende Prozesse, das Spacing und die Synthese. Während sich das Spacing auf die Platzierung, das Errichten, Aufstellen und die Positionierung von sozialen Gütern18 und Menschen bezieht, bezeichnet die Synthese die Wahrnehmung des vorgefundenen Raums. Unter Synthese ist zu verstehen, dass über Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Vorstellungsprozesse die vorhandenen Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst wer18 | Zum Verständnis Löws von sozialen Gütern vgl. ebd., 153ff.
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den bzw. als räumliches Gebilde oder Komplex wahrgenommen werden (vgl. ebd., 159). Dabei sind die wahrnehmenden Menschen zugleich die den Raum synthetisierenden Subjekte und – im Sinne des Spacings – als menschliche Körper zugleich Elemente des Raums, d.h. selbst unmittelbar am räumlichen Konstitutionsprozess beteiligt. Räume entstehen somit durch Handlungsverläufe, die aber auch über das individuelle Handeln hinaus als Raum bestehen können. Ziehen diese bestehenden Räume genormte Syntheseleistungen und Spacings nach sich, sind Räume institutionalisiert (vgl. ebd., 166). Diese Räume werden im alltäglichen Handeln reproduziert, d.h. sie werden repetitiv wiederhergestellt, wobei durch den Wiederherstellungsakt die Räume auch verändert oder adaptiert werden können, sofern es die Situation oder die Wünsche der raumkonstituierenden Akteure erfordern. Raumkonstitution produziert Orte bzw. lokalisiert Räume an Orten (vgl. ebd., 198), wobei an einem Ort verschiedene Räume nebeneinander oder auch in Konkurrenz zueinander existieren können. Fasst man räumliche Atmosphären, wie in der vorliegenden Studie, als ein dem hergestellten Raum immanentes Element auf, gilt demnach auch für diese das Prinzip ihrer (notwendigen) Lokalisierbarkeit an Orten.19 Die Raumkonstitution erfolgt abhängig von den in der Handlungssituation vorgefundenen materiellen und symbolischen Faktoren, vom sozialen Status sowie den körperlichen Möglichkeiten der Handelnden. Daraus folgt, dass die Konstitution von Räumen in Bezug auf eine hierarchisch organisierte Gesellschaft ungleiche Verteilungen hervorbringen kann, da je nach vorhandenen Ressourcen die Konstitution von Raum oder die (An-) Ordnung durchgesetzt oder auch verwehrt werden kann. In letzter Konsequenz ist damit das Vermögen (oder Unvermögen), Raumkonstitution zu ermöglichen bzw. Voraussetzungen für diese zu schaffen, mitverantwortlich für die Entstehung sozialer Ungleichheit sowie für Prozesse sozialer Inklusion und Exklusion.20 Die Frage, inwiefern Machtverhältnisse bzw. die Möglichkeit, Formen von Macht innerhalb räumlicher Dimensionen zu positionieren und zu etablieren, immer auch Teil des räumlichen Konstitutionsprozesses ist, wird an späterer Stelle nochmals diskutiert.
19 | Für eine systematische Bearbeitung des Phänomens der räumlichen Atmosphäre vgl. Kapitel V. 20 | Vgl. dazu ihre Ausführungen zu Raum und sozialer Ungleichheit (Löw 2001, 210ff).
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Räumliche Strukturen21 entstehen nach Löw immer dann, wenn der räumliche Konstitutionsprozess, d.h. die (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen, nach Regeln vollzogen und durch Ressourcen abgesichert ist. Räumliche Strukturen bilden sich in institutionalisierten Formen von Raum ab bzw. sind in diesen enthalten. Räumliche Strukturen sind nach Löw ein Element der (gesamt-)gesellschaftlichen Strukturen, deren normative Ordnungen und Regeln unmittelbar Handlungen beeinflussen (vgl. ebd., 166). In der Auseinandersetzung mit Bourdieus Begriff des Habitus und der von Giddens formulierten »Dualität von Struktur und Handeln« beschreibt Löw (ebd., 171) Geschlecht und Klasse als ein den räumlichen Strukturen immanentes Strukturprinzip. Dabei betont sie im Rückgriff auf den ebenfalls körperbetonten Begriff des Habitus22, dass Strukturprinzipien ihrer Ansicht nach, gerade weil sie körperlich gelebt und erfahrbar sind, alle Strukturen und somit letzten Endes auch die räumlichen Strukturen durchziehen. Auch wenn an dieser Stelle der Zusammenhang von Strukturprinzip und Körperlichkeit nicht weiter vertieft werden soll, stellt sich entlang der Argumentationslinie Löws im Kontext der bereits vorgestellten theoretischen Betrachtung von Behinderung als einer verkörperten Differenz die Frage, inwieweit Behinderung als ein (mögliches) Strukturprinzip aufgefasst werden könnte, welches sich im übergeordneten Kontext der räumlichen Struktur als verkörpertes Anderssein darstellt. Ein Aspekt ihrer Konzeption, der für die Befunde dieser Studie von besonderer Bedeutung ist, ist das Thema der Atmosphären im Kontext einer raumsoziologischen Praxis. Löw selbst stellte fest, dass Atmosphären in soziologischen Kontexten bisher eher wenig Bedeutung beigemessen wird (vgl. ebd., 205). In Anlehnung an die Existenzialphilosophie und die Phänomenologie spricht sie von »gestimmten Räumen«, in welchen soziale Güter und Menschen eine Eigenwirkung haben bzw. diese entwickeln. »Atmosphären sind demnach die in der Wahrnehmung [innerhalb 21 | Zum Begriff der räumlichen Strukturen im Kontext von Handlungsprozessen vgl. ausf. ebd. 166, sowie zu den nach Löw strukturimmanenten Strukturprinzipien Geschlecht und Klasse ebd., 173. 22 | »Pierre Bourdieu begreift in Anlehnung an den Kunsthistoriker Erwin Panofsky den Habitus als ein dauerhaftes und übertragbares ›System der Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata‹, als dessen Ergebnis das Soziale in die Körper einzieht.« (Vgl. Bourdieu/Wacquant 1996, 160, zitiert nach Löw 2001, 177) Vgl. dazu auch den Exkurs zu Bourdieu und Raum bei Löw, ebd., 179ff.
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eines konstruierten und sozial hergestellten Raums, Anm. d. A.] realisierte Außenwirkung sozialer Güter und Menschen in ihrer räumlichen (An-) Ordnung. Das bedeutet, Atmosphären entstehen durch die Wechselwirkungen zwischen Menschen oder/und aus der Außenwirkung sozialer Güter im Arrangement.« (Ebd., 205) Diese Außenwirkungen können nicht als isoliert nebeneinanderstehende Wirkungen betrachtet werden, sie entwickeln vielmehr in ihrem spezifischen gemeinsamen Arrangement Atmosphären, denen Löw die Bedeutung einer eigenen Potentialität beimisst. Diese Potentialität der Räume ist laut Löw in der Lage, Gefühle zu beeinflussen und Menschen »umzustimmen«. Löw führt hier das Beispiel eines Menschen an, der hektisch noch schnell vor Ladenschluss einen Einkauf tätigen muss und vor Ort durch die abgespielte Musik in eine gelassene und ruhige Stimmung versetzt wird (vgl. ebd., 204). Während Löw zwar den Begriff der Atmosphäre in Bezug auf ein phänomenologisch ausgerichtetes Verständnis von Wahrnehmung und dem darin inhärenten Wechselspiel von wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt detailliert schildert, wird die durch die Räume entstehende Potentialität und ihr Vermögen, die Gefühle der Raumteilnehmer zu beeinflussen, nicht näher ausgeleuchtet. Löw betont, dass Atmosphären unmittelbar an die Konstitution von Raum gebunden sind (vgl. ebd., 207). Wie genau die atmosphärische Potentialität eines Raums und ihre – so Löw – tatsächlich existierende Möglichkeit der Beeinflussung von Gefühlen im komplexen Wechselverhältnis von Spacing und Synthese für eine tiefergehende Untersuchung erfasst werden kann, bleibt in ihren Ausführungen ungeklärt. Wenn räumliche Atmosphären also potentiell in der Lage sind, Gefühle zu beeinflussen – und meiner Ansicht nach diese auch erzeugen können – stellen sich mehrere Fragen: Wie können diese im atmosphärischen Raum beeinflussten Gefühle im empirischen Prozess methodisch beobachtet und analysiert werden? Wie schlagen sie sich unmittelbar auf Handlungs- und Wahrnehmungsmuster nieder? Welche Faktoren sind entscheidend für das Vorhandensein bzw. die Entstehung von Atmosphären im Raum? Das Phänomen der räumlichen Atmosphäre kann als ein maßgeblich beeinflussender Faktor für die Entstehung oder Umwandlung der im jeweiligen Raum wahrgenommenen Emotionen angesehen werden. Somit stellen räumliche Atmosphären ein wichtiges Bindeglied zwischen Raum und von Emotionen beeinflussten oder determinierten Handlungsweisen dar, denen im Folgenden gesonderte Aufmerksamkeit zukommt. Erste Hin-
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weise auf die atmosphärische Vorbestimmtheit eines Raums, die gezielt Emotionen hervorzurufen versucht, finden sich auch bei Löw im Kontext der Auseinandersetzung mit Böhmes Auffassung von Atmosphäre. Diesen Hinweisen wird in Kapitel V dieser Arbeit noch gezielt nachgegangen. Räume können demnach bewusst für eine intendierte Syntheseleistung oder Wiedererkennung angelegt und vorbereitet werden. So stellt Löw in diesem Zusammenhang fest: »Es zeigt sich, dass Spacingprozesse, also das Platzieren von sich selbst, anderen Menschen oder Gütern, auch die Inszenierungsarbeit beinhaltet, das Positionierte für die Wahrnehmung vorzubereiten.« (Ebd., 208, Herv. i. O.) Ein die Raumkonstitution vorbereitender, intendierter Spacingprozess beinhaltet demnach auch die bewusste oder unbewusste Absicht, Gefühle innerhalb dieser Raumkonstitution zu erzeugen oder zu verändern, sowie die wiederum bewusste oder unbewusste Intention, durch die erzeugten oder veränderten Gefühle auf Handlungsverläufe einzuwirken. Somit wäre der vorstrukturierte, absichtsvoll erzeugte Raum im erweiterten Sinne auch als ein gefühlsdeterminierender Raum oder zumindest als ein Raum, der diese Steuerung der Gefühle anstrebt, anzusehen. Wie diese gefühlsregulierenden Absichten im Rahmen des Spacings rekonstruiert werden können, welche Gefühle im konstruierten Raumgebilde identifiziert werden können und ob mittels dieser tatsächlich eine Einwirkung auf bestehende Handlungs- und Wahrnehmungsprozesse erfolgt, sind Teil der forschungsrelevanten Fragen, denen sich die vorliegende Studie sukzessive anzunähern versucht.
3.2 Wechselseitige Konstruktionen von Raum und verkörperter Differenz Im Folgenden werden das Forschungsfeld und seine zugehörigen Akteure mit Bezug auf das relationale Raummodell von Löw systematisiert, um die Ausgangslage für die im Forschungsprozess generierten Ergebnisse und Analysen theoretisch zu verankern. Vor dem Hintergrund dieser Rahmendarstellung und der feldspezifischen Voraussetzungen werden dann im weiteren Prozess im Material vorgefundene Auffälligkeiten und Phänomene herausgelöst und im Hinblick auf ihre möglichen Bedeutungsebenen dargestellt. Das Hotel als Forschungsort ist als Lokalisierung eines Raums bzw. mehrerer nebeneinander bestehender Räume an einem bestimmten Ort zu begreifen, der geographisch markiert ist und sich in Süddeutschland be-
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findet. Das Hotelgebäude ist ein gezielt platziertes materielles Konstrukt, dessen Ursprungsplatzierung auf das 16. Jahrhundert zurückdatiert werden kann. Vor seiner Nutzung als Hotel hatte das Gebäude mehrere Besitzer und wurde als Wohn- und Geschäftshaus genutzt. 1998 wurde von den heutigen Eigentümern ein Hotel geplant, das nach umfangreichen Umbauund Sanierungsarbeiten im Jahre 2003 in seiner heutigen Konzeption, als Hotel- und Gastronomiebetrieb mit behinderten und nicht behinderten Beschäftigten, eröffnete. 2005 wurde ein weiteres Gebäude in unmittelbarer Nähe erworben und das Hotel entsprechend erweitert. Den Gebäuden, in denen sich das Hotel befindet, kommen im Rahmen der menschlichen Erinnerung verschiedene Bedeutungen zu. So kann es in einer heutigen erinnernden Syntheseleistung von Gästen als das (besondere) Hotel erinnert werden. Die Erinnerung von älteren Menschen kann sich – neben der aktuellen räumlichen Synthese und Wahrnehmung als Hotel – auch auf andere, vergangene Bedeutungen und Nutzungen des Gebäudes beziehen.23 So wie das Hotelgebäude als äußere materielle Hülle in einem Platzierungsakt entstanden ist, ist auch das gesamte Interieur als absichtlich platziert aufzufassen; sowohl die Gebäudehülle als auch das Interieur unterliegen einer ständigen Veränderungsdynamik, beispielsweise durch Umbauten, Umgestaltungsprozesse und Erweiterungsmaßnahmen. Die Platzierung der sozialen Güter innerhalb des Gebäudes erfolgt nach bestimmten Kriterien der Zweckmäßigkeit; das heißt, das Spacing im Innenbereich geschieht in der Logik einer zielgerichteten Platzierung, die den Betrieb eines Hotels ermöglichen und die zugehörigen Arbeitsabläufe strukturieren soll: Gästezimmer auf einer Etage, Küchenbereich neben dem Restaurant, Wirtschaftsräume im Erdgeschoss, Rezeption im Eingangsbereich, Fahrstuhl im Zentrum des Gebäudes etc.24 Diese strukturierte, zielgerichtete und zweckmäßige Planung der anzuordnenden Gegenstände wird bei Gebäuden mit einer bestimmten Nutzung heute oftmals von Spacing-Experten durchgeführt, wie Planungsspezialisten, Innenarchitekten oder Raumausstattern. Die end23 | Zur Erinnerung an Räume und Orte sowie der Syntheseleistung als Form der Erinnerung vgl. Löw 2001, 199. 24 | Beachtet werden sollte dabei, dass das Spacing der sozialen Güter nicht nur an der Notwendigkeit ihrer Nutzungsmöglichkeit ausgerichtet ist, sondern immer auch Elemente des individuellen Geschmacks einbezieht. Das heißt, dass in jedem Spacing-Prozess eine subjektive Komponente mitschwingt, auch wenn diese stark reglementiert und zweckgerichtet ist.
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gültige Entscheidung darüber, was an welcher Stelle an Gütern und Gegenständen wie platziert wird, obliegt meist nur wenigen Personen, zumeist den Besitzern des Gebäudes oder der Leitungsebene einer Institution. Das Spacing in Bezug auf die Personen in einer Hotelsituation erweist sich als komplexer. Eingebunden in die Raumsituation Hotel sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Gäste, sowie Personen mit anderweitigen Aufgaben (Hotelleitung, Anbieter externer Dienstleister, z.B. Lebensmittellieferanten etc.). Das personenbezogene Spacing im Hotel stellt ein höchst dynamisches Gefüge dar, in welchem sich Personen aufhalten und bewegen, zeitlich begrenzt einander begegnen und kommunizieren oder auch in parallel verlaufenden Handlungen miteinander in Interaktion treten. Das Spacing der am Geschehen beteiligten Personen ist freiwillig25 und unterliegt unterschiedlichen Motivationslagen. So hat ein Gast andere Beweggründe sich im Hotel aufzuhalten als beispielsweise die Mitarbeitenden des RoomService oder das Küchenpersonal. Strukturell kann man in einem Hotel zwischen Räumen unterscheiden, in denen eine verstärkte Interaktion zwischen Angestellten und Gästen stattfindet (Restaurant, Rezeptionsbereich) und solchen Plätzen, an denen nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interagieren (Wirtschaftsräume, Küche). In diesem Sinne fungiert das Hotel zwar als übergeordneter Spacing-Rahmen für die sich dort aufhaltenden Akteure, die gemeinsamen Handlungsverläufe und Kontaktsituationen können jedoch höchst unterschiedlich und individuell ausfallen, so dass es zu einzelnen Mikro-Spacing-Konstellationen zwischen den Akteuren kommen kann. Verbindendes Element dieser Struktur ist dabei das implizite Wissen um die anderen Anwesenden, für die eine Dienstleistung vollzogen wird, beispielsweise vom Küchenpersonal in Bezug auf die Gäste im Restaurant. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass Gäste um die Anstrengung derjenigen Mitarbeiterinnen wissen, welche die Zimmer herrichten, auch wenn diese Personen während des Aufenthalts möglicherweise nicht persönlich angetroffen werden. Dieses Wissen um die anderen Anwesenden im gemeinsamen Ortskontext kann als ein implizites Element des Spacings von 25 | Diese Freiwilligkeit hat Grenzen: Insbesondere hinsichtlich des Personals gelten arbeitsvertragsrechtliche Grundlagen, die auch das Spacing in Bezug auf den jeweiligen Aufenthalt von Personen vor Ort betreffen, so ist der Aufenthalt der Köchin oder des Raumpersonals an bestimmte Räume gebunden, in denen ihre Aufgabenbereiche liegen.
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Personen aufgefasst werden, das unabhängig von der realen gemeinsamen Kontaktsituation insbesondere für die raumkonstituierende Synthese von Bedeutung ist. Somit synthetisieren die Menschen vor Ort (oder auch Abwesende im Rahmen von Erinnerungsprozessen) das Hotel möglicherweise als räumliches Gesamtkonstrukt oder auch übergeordnetes Raumprinzip, in welchem man sich befindet oder befand. Innerhalb der jeweiligen Teile dieses übergeordneten Prinzips erfolgen je nach spezifischer Spacing-Ausgangslage und je nach Anwesenheit der dort befindlichen Akteure unterschiedliche Raumwahrnehmungen. So ist die Syntheseleistung und die diesbezügliche Raumwahrnehmung eines Gastes im Restaurant eine andere als die eines Raumpflegers in einem Hotelzimmer. Die individuelle Syntheseleistung, das Erfahren bzw. Wahrnehmen eines Raums, ist dabei abhängig vom dynamischen Prozess des Spacings, der zuvor oder auch während der Synthese erfolgt. So verändert sich beispielsweise im Restaurantbereich des Hotels permanent die Anzahl der anwesenden Menschen, das jeweilige Setting des Spacing unterliegt ebenso wie die Syntheseleistung einer ständigen Dynamik. Es finden also multiple, gleich- und nachzeitig ablaufende und sich stets verändernde Spacing- und Syntheseprozesse statt. Der Synthesevollzug erfolgt dabei nicht ohne Beeinflussung. Löw weist zwar auf ein vorhandenes Bewusstsein und reflexive und durch Gefühle gesteuerte Routinen für den Vorgang der individuellen Raumkonstitution hin (vgl. 2001, 62), führt aber die spezifische Bedeutung von Stimmungen und Gefühlen für den Akt der Synthese nicht näher aus.26 Die räumliche Synthese erfolgt nicht aus einer neutralen Position heraus, sondern unter Einfluss der zum Zeitpunkt der Synthese bestehenden Gefühlslagen und emotionalen Befindlichkeiten der Akteure. Der dabei immer neu und vor dem Hintergrund der im Moment vorhandenen Emotionen individuell wahrgenommene Raum ist einzigartig und flüchtig. So kann beispielsweise eine durch Einwirkung der Atmosphäre umgestimmte Person im nächsten Augenblick das sie umgebende Raum-
26 | Löw spricht im Rahmen der räumlichen Atmosphären davon, dass Räume »umstimmen« können (2001, 204). Dies setzt aber voraus, dass ein den Raum im Syntheseprozess wahrnehmendes Individuum die unmittelbare Synthese bereits aus einer bestimmten emotionalen Befindlichkeit heraus vornimmt, die dabei dem Individuum selbst nicht bewusst sein muss.
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gebilde wieder ganz verändert erfahren und wahrnehmen.27 Wenn man davon ausgeht, dass Akteure in diesem Sinne ununterbrochen bewusst und unbewusst die sie umgebenden Zustände als Raumwahrnehmungen konstruieren, entstehen unendlich viele individuelle Raumwahrnehmungen, die in ihrer flüchtigen Existenz immer im Zusammenhang mit der emotionalen Befindlichkeit des raumwahrnehmenden Individuums stehen. Die Differenzfeststellung in Bezug auf in Räumen angetroffene Personen kann demnach auch durch Emotionen beeinflusst werden, deren Entstehung bzw. Veränderung wiederum durch räumliche Atmosphären im Rahmen des Synthesevorgangs erfolgt. Bisher sind Fallanalysen zur wechselseitigen Dynamik von Raum und Gefühl eher spärlich vertreten. Die 2011 von der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert herausgegebene Publikation Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung nimmt anhand verschiedener Topoi, wie beispielsweise dem künstlerischen, dem urbanen und dem literarischen Raum, jene Verschränkungen von Raum und Emotion in den Blick, die nach Ansicht der Herausgeberin bisher hinsichtlich ihres konstitutiven Zusammenhangs noch nicht programmatisch untersucht wurden. »Räume und Gefühle stehen mithin unablässig in produktivem Austausch und konstituieren in dieser Verschränkung Mentalitäten, Lebensformen und Lebensstile einer Kultur.« (Lehnert 2011, 10) Die Beiträge der Publikation rekonstruieren das besagte Wechselverhältnis in erster Linie in Bezug auf dessen Vorhandensein im Bereich der Literatur und der medialen Künste, vorrangig im Rahmen eines philosophisch-psychoanalytisch geprägten Diskurses, der soziologische Perspektiven nur am Rande thematisiert. Wenngleich diese Beiträge als wegweisend für die theoretische Auseinandersetzung von Raum und Emotion angesehen werden können, so fehlt bislang eine genuin sozialwissenschaftliche bzw. soziologische Bearbeitung, mittels derer nicht nur auf die Konsequenzen der beschriebenen Ko-Existenz von Raum und Emotion für die Handlungsweisen von Akteuren verwiesen werden kann, sondern auch – im Hinblick auf bestehende Theoriekonzeptionen – eine genaue Verortung der 27 | Konkretisiert man den Begriff der Atmosphäre (vgl. dazu auch Kapitel V), so beinhaltet diese auch Effekte, die olfaktorisch und gustatorisch wahrgenommen werden. Demnach können Düfte oder aber beispielsweise der Geschmack eines Gerichtes während eines Restaurantbesuchs dazu beitragen, dass sich die Raumwahrnehmung verändert.
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Entstehung und Beeinflussung von Emotionen im Rahmen eines raumorientierten Blicks erfolgt. Wegbereitende Hinweise bezüglich des Blicks auf andere Individuen im Kontext von Raum finden sich bei Bourdieu, der den sozialen Raum auch als »Beziehungsraum« betrachtet, der eine (An-) Ordnung von Personengruppen auf der Basis gleicher bzw. unterschiedlicher Verfügungsmöglichkeiten über ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital darstellt (vgl. Löw 2001, 181).28 Der wahrnehmende Blick auf den oder die Anderen im gemeinsam erlebten und geteilten sozialen Raum beschäftigte Bourdieu (2005) im Rahmen seiner Analysen zur männlichen Herrschaft und zur Dichotomie des Geschlechterverhältnisses. Auch wenn er den sozialen Raum nicht explizit als eine wesentliche Bedingung oder gar Konstante für die Erhaltung und Reproduktion von symbolischer Herrschaft und Gewalt benennt, lässt sich dessen grundlegende Bedeutung und die handlungsdeterminierende Bestimmtheit des sozialen Raums für Wahrnehmungsprozesse in Bezug auf andere Menschen wiederfinden. Bourdieu stellt dies exemplarisch an der Wahrnehmung der jeweiligen Körper bzw. der körperlichen Ausdrucksweisen des oder der Anderen dar, die für ihn als widerspiegelnde Orte der gesellschaftlich zugewiesenen Ordnungen und Bewertungsschemata fungieren. Er konstatiert, dass sowohl das praktische als auch das rationale Wissen es gestatten, psychologische und moralische Eigenschaften mit körperlichen und physiognomischen Merkmalen zu verbinden (vgl. ebd., 114). »Andererseits werden diese körperlichen Eigenschaften durch Wahrnehmungsschemata erfaßt, deren Gebrauch bei den Bewertungsakten von der jeweiligen Position im sozialen Raum abhängt: […]. Die soziale Vorstellung von seinem Körper, der jeder Akteur sicherlich schon sehr früh Rechnung tragen muss, wird also durch die Anwendung einer sozialen Taxonomie gewonnen, deren Prinzip dasselbe ist wie dasjenige der Körper, auf die sie angewendet wird.« (Ebd., 114/115)
Der Blick auf den bzw. die Anderen ist nach Bourdieu dabei als symbolisches Vermögen zu betrachten, das abhängig von der Position des Wahrnehmenden und derer, die wahrgenommen werden, die implizit vorhandenen Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata aufrechterhält 28 | Zur Bedeutung der Analysen Bourdieus für den aktuellen raumsoziologischen Diskurs sei hier auf das Kapitel »Exkurs: Bourdieu und der Raum« verwiesen, das Löw im Rahmen ihrer theoretischen Konzeption erörtert (vgl. 2001, 179ff).
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und reproduziert (vgl. ebd., 115). Im Kontext der vorliegenden Studie ist die Differenzfeststellung in Bezug auf Beeinträchtigungen neben dem durch räumliche Gegebenheiten und emotionale Befindlichkeiten beeinflussten Blick auf das »Anderssein« auch abhängig von dem Bewusstsein um die eigene körperliche Erscheinung: das Bewusstsein der nicht behinderten Anwesenden, über einen (relativ) unversehrten Körper zu verfügen, sowie das Bewusstsein derjenigen mit einer Beeinträchtigung, die durch die Anwesenheit der nicht behinderten Akteure damit konfrontiert sind, was in einem übergeordneten normativen Rahmen als nicht behindert gilt.29 Der in einer räumlichen Umgebung getätigte Blick auf Differenz, die als Behinderung aufgefasst wird, kann auf Seite der nicht behinderten Anwesenden emotional vorstrukturiert sein. So sind viele Einstellungen und Befindlichkeiten gegenüber behinderten Menschen beispielsweise durch Mitleid oder altruistische Annahmen geprägt oder aber durch Angst und Unsicherheiten aufgrund negativer oder fehlender Erfahrungen.30 Die Synthese von Räumen und ihre implizite Wahrnehmung der anwesenden Akteure mit einer Beeinträchtigung muss also neben den aktuell im Raum entstehenden emotionalen Befindlichkeiten immer auch im Hinblick auf 29 | Allerdings nehmen insbesondere Menschen mit einer schwerwiegenden kognitiven oder so genannten geistigen Behinderung mögliche Einschränkungen nicht unbedingt selbst als eine Behinderung wahr – dies jedenfalls wird von Menschen ohne solche Beeinträchtigungen vielfach angenommen. Für die im Forschungsfeld angetroffenen Menschen mit einer Beeinträchtigung trifft dies allerdings nicht zu. Die dort angetroffenen Personen äußerten mir gegenüber, dass sie sich in Bezug auf bestimmte Dinge bzw. Prozesse als behindert empfinden. Meines Erachtens muss bei dem Thema Selbstreflexion gerade bei so genannten geistig behinderten Menschen sehr vorsichtig verfahren werden; so wäre es vorschnell – wie leider vielfach üblich – diesem Personenkreis geringere selbstreflexive Kompetenzen zuzusprechen. Cloerkes bemerkt hierzu, dass insbesondere geistig behinderten Menschen nach wie vor oft die Fähigkeit zu einer Reflexion der eigenen Identität und eines Selbstkonzepts abgesprochen wird. Diesbezügliche Untersuchungen werden erst seit wenigen Jahren in Angriff genommen und vorgelegt; sie weisen ausdrücklich auf die Tendenz zu positiven Selbstbildern als auch auf vielfältige Strategien hin, das Selbstbild vor verletzenden Fremdzuschreibungen zu schützen (vgl. Cloerkes 2007, 192). 30 | Vgl. hierzu auch die Ausführungen Cloerkes zu Verhaltensweisen und typischen Reaktionsformen gegenüber behinderten Menschen (2007, 104ff).
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die bereits bestehenden emotionalen Einstellungen und zugehörigen Bewertungsschemata geschehen, die im Bewusstsein verankert sind.
4. R aumtheoretische K onzep te im K onte x t der F orschungsinteressen Neben der notwendigen theoretischen Verortung der sich sukzessive im empirischen Prozess herauskristallisierenden Fragen, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, ergeben sich insbesondere hinsichtlich des methodischen Vorgehens im Kontext von raumbezogener Forschung viele offene Fragen. In welcher Art und Weise können der im Rahmen der Forschungssituation angetroffene Raum respektive die räumlichen Dimensionen systematisiert werden, um im äußerst komplexen Gegenstandsbereich Raum hinsichtlich der erkenntnisleitenden Fragen eine erste Orientierung zu erlangen? Die Soziologin und Methodologin Gabriele Sturm entwickelt in ihrer Habilitationsschrift Wege zum Raum anhand eines detaillierten Einbezugs der historischen und gegenwärtigen Raumvorstellungen in Mathematik, Physik und Kulturwissenschaften ein Modell, mit dem raumbezogene Fragestellungen mithilfe einer Quadrantenstruktur konkretisiert werden können (Sturm 2000). Der Raum, welcher als gesellschaftlich hergestellt und in interdisziplinären Aushandlungsprozessen konstituiert betrachtet wird, kann mithilfe dieser mehrdimensionalen Anschauungsform sukzessive beschritten werden.31 Das als Rahmenkonzept bezeichnete Raum-Zeit-Relativ oder auch Raum-Zeit-Modell, welches in erster Linie für die Belange der Raumplanungsforschung konzipiert wurde und dabei insbesondere die theoretischen Überlegungen zu Raumvorstellungen von Löw und Läpple (1992)32 31 | In einem Gespräch mit Gabriele Sturm, das im Rahmen eines von ihr geleiteten Workshops mit dem Titel »Die Gesellschaft und ihr Raum« im Kontext des DFG Graduiertenkollegs »Dynamiken von Raum und Geschlecht« am 26.10.2010 an der Universität Kassel stattfand, bezeichnete sie das Modell auch als »Differenzierungswerkzeug« bzw. »Brückenkonzept«. 32 | Läpple schlug Anfang der 1990er Jahre als erster die Systematisierung von räumlichen Dimensionen anhand von vier Komponenten vor (1992, 196ff), die wechselseitig den physisch/materiellen Raum mit den Aspekten der sozialen Raumwahrnehmung und Raumnutzung verbinden.
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mit einbezieht (vgl. Sturm 2000, 179ff), wurde auch im Rahmen dieser Studie angewendet, als sich im Verlauf des empirischen Prozesses zunehmend die Hinweise auf den Raum als zentrale Bedeutungsfigur verdichteten. Das Modell wurde nicht als Methode im klassischen Sinn der qualitativen Datenerhebung verwendet, vielmehr diente es in erster Linie zur Fokussierung und Orientierung des weiteren Vorgehens im Feld sowie der Herausbildung zentraler Topoi, die für die weitere Forschung als besonders bemerkenswert erachtet wurden. Im Folgenden werden die wichtigen Dimensionen des Modells dargelegt. Das abgebildete Modell beschreibt mit den vier Quadranten Facetten naturwissenschaftlicher und gesellschaftswissenschaftlicher Raumvorstellungen, die nach Sturm in ihrer Gesamtheit notwendig sind, um Raum entstehen zu lassen. Sturm bezeichnet diese Anordnung als »relative Unabhängigkeit«, die methodologisch notwendig ist, um die Forschungsfragestellung zu präzisieren (ebd., 199).
Abbildung 2: Vorläufige Ergebnisformation eines methodologischen Quadrantenmodells für Raum mit Zeitspirale als Entwicklungsdimension sowie einer Orientierungsleiste für die operationalisierbaren Wechselwirkungen zwischen den Feldern (Sturm 2000, 199).
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Die jeweils raumbezogenen Inhalte der Quadranten fokussieren: I. Die materiale Gestalt des Raums II. Die strukturierende Regulation im Raum und des Raums III. Das historische Konstituieren des Raums (Das soziale Handeln im Raum)33 IV. Der kulturelle Ausdruck im Raum und des Raums (ebd., 200, Herv. i. O.). Die Kreisanordnung repräsentiert die multiplen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Quadranten und Halbkreisen, wie durch die unterhalb platzierten kleinformatigen und mit Pfeilen gekennzeichneten Graphiken nochmals verdeutlicht wird. Die gegenseitige Abhängigkeit von Raum und Zeit zeigt die spiralförmige Drehung, die die Entstehung von mehreren Schichten übereinander ermöglicht, welche »das historische Gewordensein von Raum und im Raum dokumentieren« (ebd., 200) und als Ausdruck der Verbindung von gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen sozialen Handlungsverläufen in Bezug auf den Raum aufgefasst werden können. Analog zu den vier unterschiedlichen Facetten des Modells plädiert Sturm auch dafür, die analytische Raumbetrachtung in vier Vorgehensebenen zu differenzieren, nämlich 1. die erkennende Wahrnehmung,34 2. das Ordnen zu einem ordinalen Muster innerhalb und zwischen Mikro-, Meso- und Makro-Räumen, 33 | In Sturms Habilitationsschrift ist der dritte Quadrant mit »III. Das historische Konstituieren des Raums« bezeichnet (vgl. 2000, 199). In einer graphischen Darstellung, die Sturm im Rahmen eines Vortrags an der Universität Kassel zeigte, wurde der dritte Quadrant mit »soziales Handeln« bezeichnet. Bezieht man die methodologischen Überlegungen Sturms zur Genese des Modells mit ein, scheint mir die Bezeichnung des sozialen Handelns für den dritten Quadranten als zutreffender, da die Beschreibung »historische Konstituierung« den Blick auf bereits vergangene Handlungsverläufe und Prozesse lenkt und die gegenwärtige soziale (Handlungs-) Dimension von Raum möglicherweise verdrängt. 34 | Eine genaue Ortserkundung bzw. räumliche Orientierung im Forschungsfeld spielt auch in den methodischen Überlegungen Girtlers (vgl. 2001, 2004) zur Feldforschung eine wichtige Rolle, welche wiederum für die ethnographische Vorgehensweise dieser Studie von besonderer Bedeutung waren.
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3. die geschichtliche Überlagerung und 4. die Schlussfolgerungen für Konzeptionen der Raumgestaltung in der Gegenwart (vgl. ebd., 203). Im Rahmen meines empirischen Prozesses entstanden unter Einbezug des Modells von Sturm auch Zeichnungen und Skizzen des Hotels, da diese Form mir insbesondere für den sukzessiven Zugang zu den räumlichen Repräsentationen und Bedeutungsebenen vor Ort am geeignetsten schien. Die Skizzen beruhen auf Aufzeichnungen aus dem Forschungstagebuch, die im Anschluss an den ersten Feldaufenthalt entstanden sind. Dabei tauchen inhaltliche Überschneidungen zwischen den Topoi der einzelnen Quadranten auf, die die von Sturm intendierte Wechselwirkung und gegenseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Themenfelder widerspiegeln. Im Folgenden werden einige anhand des Modells von Sturm präzisierte forschungsleitende Fragen zum Forschungsort Hotel aufgeführt, die nach dem ersten Aufenthalt im Feld im Forschungstagebuch festgehalten wurden:
I. materiale Gestalt: Wo befindet sich das Hotel, wie ist seine Lage innerhalb der Stadt? Nähe zu anderen Geschäften, verkehrstechnische Einbindung des Hotels, Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Einzellage an einem Platz oder in einer Häusergruppe? Zugehörige Parkplätze, Tiefgarage? Wegweiser mit der Aufschrift Hotel im Stadtbild vorhanden? Beschaffenheit des Gebäudes: hoch, niedrig, verwinkelt, breite Front, Fensteranzahl, Eingangstüren. Gestaltung des Zugangsbereichs behindertengerecht? Altes Gebäude oder neue Bausubstanz, aus welchem Jahrhundert stammt das ursprüngliche Gebäude? Gestaltung des Eingangsbereichs, Fassadenfarbe, sind Gardinen vor den Fenstern? Gibt es Bäume und Pflanzen vor dem Gebäude? Innere Aufteilung, wo befinden sich welche Räume, wie viele Treppen bzw. Stockwerke gibt es? Sind die Räume für das Personal für die Besucher und Gäste sichtbar oder an nicht zugänglichen Orten platziert, wo ist die Küche? Wie viele Gästezimmer gibt es, was sind die unterschiedlichen Kosten für diese? Wie sind die Zimmer eingerichtet, wie das Restaurant und die Rezeption? Gibt es Blumen, Bilder, Wandmalerei und andere Einrichtungsgegenstände, ist die Dekoration eher spärlich oder opulent? Wie viele Menschen sind vor Ort, alles Übernachtungsgäste oder nur Restaurantbesucher? Wie viele Angestellte? Gibt es Wegweiser,
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die im Hotel zu bestimmten Räumlichkeiten führen? Schriftliche Infos auf dem Zimmer? Ist es eher dunkel oder hell, gibt es verschiedene Lichtverhältnisse in verschiedenen Bereichen?
II. strukturierende Regulation: Wem gehört das Hotel, wer hat es initiiert? Ist die Leitung vor Ort oder außer Haus, wie viele Personen sind in der Leitung, wie viele Angestellte gibt es, in welchen Bereichen arbeiten diese, gibt es Schichtarbeitszeiten? Seit wann existiert das Hotel in dieser Form? Sind alle Mitarbeitenden Fachkräfte oder gibt es auch ungelernte Kräfte? Wie viele Sterne hat das Hotel, wonach werden diese vergeben? Gibt es besondere Strukturen und Arbeitsrichtlinien, die die Mitarbeit der beeinträchtigten Angestellten betrifft, wer ist dafür zuständig? Auf welcher arbeitsrechtlichen Grundlage erfolgt die Beschäftigung der beeinträchtigten Mitarbeitenden, sind diese in allen Bereichen eingesetzt? Gibt es besondere Regelungen/Anweisungen für die Arbeiten, die von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorgenommen werden? Wie wird das besondere Konzept des Hauses kommuniziert? Finden sich in der Inneneinrichtung Hinweise darauf, dass vor Ort beeinträchtigte Menschen beschäftigt werden? Wie und in welcher Form wird das Hotelkonzept beworben bzw. in der Öffentlichkeit präsentiert? Sind die Mitarbeitenden unabhängig von einer jeweiligen Beeinträchtigung in allen Räumen des Hotels anzutreffen? Wo befinden sich Räume, die nur für die Mitarbeitenden bereitgestellt werden? Wird das Konzept des Hotels auch im Rahmen der Inneneinrichtung z.B. durch entsprechende Hinweise auf den Zimmern kommuniziert? Ist das Hotel besonders für beeinträchtigte Gäste geeignet?
III. historisches Konstituieren (soziales Handeln): Wie wird das Hotelkonzept in der Öffentlichkeit angenommen, inwieweit hat es Modellcharakter für die Eingliederung beeinträchtigter Menschen? Wie ist der Kontakt zur Nachbarschaft? Ist das Hotel aufgrund seines Konzeptes bekannt oder aufgrund anderer Faktoren? Wurde das Anfangskonzept beibehalten oder im Laufe der Zeit modifiziert? Gibt es Zukunftspläne für eine Erweiterung des Konzepts? Wie vollzieht sich ein gemeinsamer Arbeitstag zwischen den behinderten und den nicht behinderten Mitarbeitenden? Wie fühlen sich die beeinträchtigten Angestellten an ihrem Arbeitsplatz und sind sie zufrieden mit ihrer Tätigkeit? Wer unterstützt gegebenenfalls wen und wann? Kommen beeinträchtigte
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Menschen immer in Kontaktsituationen mit den Gästen? Existiert eine bestimmte Kleiderordnung für alle Mitarbeitenden? Kommen Stammgäste immer wieder? Wie reagieren die Gäste auf die Menschen mit einer Behinderung? Zeigen sich Unsicherheiten oder besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf die behinderten Angestellten? Kommt es auch zu krisenhaften Situationen? Was passiert, wenn Arbeitsabläufe nicht funktionieren? Kommt es zu Verständigungsproblemen zwischen Gästen und Mitarbeitenden? Können die beeinträchtigten Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz selbständig aufsuchen bzw. wieder verlassen? Kommen aufgrund des Konzeptes besonders viele Gäste mit einer Beeinträchtigung? Können die beeinträchtigten Mitarbeiter alle Räume gut erreichen bzw. haben sie auch Schlüssel für diese? Bestehen Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Arbeitsaufgaben?
IV. kultureller Ausdruck: Warum wird das Hotel als besonderer Ort wahrgenommen? Hat die Einbindung der beeinträchtigten Menschen vor Ort Modellcharakter? Wie prägt der Aufenthalt im Hotel die Wahrnehmung von Menschen mit einer Behinderung? Welche Rolle spielt dabei, dass es ein Hotel der gehobenen Kategorie darstellt? Welche Rezeption erfährt das Konzept über den konkreten Ort hinaus? Warum funktioniert die Einbindung beeinträchtigter Menschen im Rahmen der gastronomischen Dienstleistung so gut? Welche Kontaktsituationen und Interaktionen finden zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen in welchen Räumen vor Ort statt? Ist das Hotel aufgrund seines Konzepts ein Themenort? Inwiefern besuchen Menschen aus Neugier das Hotel? Wie bekunden die Gäste ihr Wohlbefinden? Ist das Hotel als Ort der Integration bzw. Inklusion zu betrachten? Ist das Hotel ein geschützter Ort mit besonderen Bedingungen und Voraussetzungen? Was genau läuft anders im Vergleich zu anderen Hotels derselben Kategorie? Haben die Ausstattung und das Ambiente einen besonderen Einfluss auf die Wahrnehmung von Behinderung? Wie beurteilen die nicht behinderten Angestellten ihren Arbeitsplatz? Gibt es Hierarchien unter den Angestellten? Welche Rolle spielt die quasi-Öffentlichkeit des Hotels für die Angestellten mit einer Beeinträchtigung? Sturm wendet ihr Modell im Rahmen einer Landschafts-Analyse an, in der sie Forschungsfragen für die jeweilige Thematik der Quadranten generiert, die im weiteren Vorgehen sukzessive verfeinert und verdichtet wer-
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den. Ergebnisse dieser Fragestellungen können dann in einem weiteren Schritt in Bezug auf die vorhandenen Wechselwirkungen und Austauschprozesse der Quadranten innerhalb des Modells untersucht werden. Für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung ist der Einbezug von Emotionen in Sturms exemplarischer Anwendung des Modells, der sich innerhalb des vierten Quadranten vollzieht. Unter der Rubrik des kulturellen Ausdrucks stellt sie Fragen nach den Spuren, Zeichen und Symbolen in der materialen Gestalt des Raums sowie deren Repräsentierung durch kulturelle Ausdrucksformen. Entlang der subjektiven Wahrnehmungsleistung der oder des Raumforschenden geht es um die entsprechenden Nutzungen und Aneignungen der Zeichen und Symbole. So fokussiert sie auch Verbindungen, die die Forschenden zwischen der Wahrnehmung und den körperlichen Empfindungen verspüren, und nennt als Beispiele Wohlbefinden, Vertrautheit, Angst und Fremdheit (vgl. ebd., 2000, 203). Sturms Einbezug der körperlichen Empfindungen ist innerhalb ihres Beispiels jedoch unpräzise. Diese beziehen sich ausschließlich auf die Wahrnehmungen und Empfindungen der Forschenden und lassen die möglichen Emotionen anderer Akteure im Raum außer Acht. Nicht deutlich wird anhand des Beispiels die Trennung zwischen objektiver Beschreibung der vorgefundenen räumlichen Arrangements und der subjektiven Wahrnehmungsleistungen, die letztendlich die genannten (Emotions-) Beispiele Angst, Vertrautheit etc. generieren. Die Formulierung »körperliche Empfindung« (ebd., 203), die bei Sturm die Emotionen mit einbezieht, kann ebenso die sinnliche Wahrnehmung von Kälte oder Hitze oder auch von Lichtverhältnissen beinhalten, die zwar für die Generierung von Gefühlen eine mögliche Rolle einnehmen können, nicht aber mit diesen gleichzusetzen sind. Trotz dieser fehlenden Trennschärfe verdeutlicht Sturms Beschreibung, dass den Emotionen der Forschenden im Kontext einer raumbezogenen Analyse eine wichtige Bedeutung zukommt und diese damit als Bestandteil der Raumanalyse selbst den Forschungsprozess mitgestalten.35 Die Konstruktion und die Konstitution von Räumen ist dabei unmittelbar an die Emotionen der Akteure gekoppelt, sowohl mit den bereits vorhandenen Gefühlen, die quasi als eine Art Ausgangsbasis für die räumliche Wahrnehmung fungieren, als auch mit den erst durch den erfahrenen Raum hervorgebrachten oder veränderten Gefühlen. Raum 35 | Zur Bedeutung von Subjektivität im Rahmen des Forschungsprozesses vgl. auch Bereswill 2003, sowie Kapitel II, 2.2.
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und Emotion können somit als eine wechselseitige Bedingung (Emotionen bewirken eine bestimmte Raumkonstruktion, die Raumkonstruktion bewirkt bestimmte Emotionen) betrachtet werden, die sich in der sozialen Alltagspraxis permanent und entsprechend schnell vollzieht. Sowohl in Löws als auch in Sturms theoretischer Konzeption und Raumvorstellung sind Emotionen zwar als (wichtige) Gegebenheit erwähnt, wie sie sich aber genau auf die jeweilige raumkonstituierende Wahrnehmung und die praktische Raumkonstruktion auswirken, bleibt weitestgehend unbearbeitet. In Bezug auf die Kategorien Raum und Differenz im Rahmen einer theoretischen Verortung sind die Emotionen der Forschenden und der vorhandenen Akteure im Raum respektive in räumlichen Dimensionen als konstitutiver Bestandteil von räumlichen Herstellungsprozessen aufzufassen. Geht man davon aus, dass Akteure sich in fortwährenden36 Prozessen der Raumkonstitution und Raumkonstruktion (mittels Spacing und Synthese) befinden, so sind auch die von den räumlichen Gegebenheiten erzeugten und durch diese veränderten emotionalen Befindlichkeiten in raumanalytischen Fragestellungen zu berücksichtigen, da sie als raumbildender Faktor fungieren. Mittels Spacing und Synthese kann meines Erachtens in Bezug auf räumliche Gegebenheiten und Konstellationen ein detaillierter Analyseprozess erfolgen, der darüber Aufschluss gibt, inwiefern der »für die Wahrnehmung vorbereitete« bzw. inszenierte Raum (Löw 2001, 208) die Wahrnehmung von Menschen mit einer Beeinträchtigung beeinflusst und sich gegebenenfalls auf weitere Handlungsverläufe auswirkt. Die Soziologin Renate Ruhne untersucht geschlechtsbezogene Unsicherheiten im öffentlichen Raum. Mit dem Vorhaben, ein praktikables 36 | Der permanente Wechsel zwischen räumlichen Gegebenheiten, Situationen und Orten und die damit verbundene Konstruktionsleistung in Bezug auf den Raum entzieht sich größtenteils der bewussten Reflexion, da die fortwährende Reflexion über das Im-Raum-Sein und die Frage danach, wie dieser Raum ist und warum er ist, innerhalb von Alltagsroutinen nicht geleistet werden kann. So kann die permanente Raumherstellung auch im Kontext des von Giddens konzeptualisierten Begriffs des »praktischen Bewusstseins« verortet werden (vgl. Giddens 1988, 111f sowie Löws Ausführungen zum repetitiven Alltag, 2001, 161). Weitaus stärker vorhanden in alltäglichen sozialen Praktiken ist meines Erachtens die bewusste Reflexion und das Wissen um die (momentan) vorherrschende eigene Gefühlslage, wenngleich diese von den Akteuren nicht immer unmittelbar auf räumliche Gegebenheiten zurückgeführt werden bzw. nicht immer auf diese zurückzuführen sind.
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»forschungsmethodologisches Instrumentarium für die Analyse räumlich-geschlechtlicher Fragestellungen« (2003, 11) bereit zu stellen, entwickelt sie ein Analyse-Modell, welches die Kategorien Raum und Geschlecht als ein dynamisches Wirkungsgefüge ansieht, die in ihrer wechselseitigen Beeinflussung Unsicherheiten im öffentlichen Raum produzieren und diese anhand von Ordnungsmustern verfestigen. Ihr forschungsmethodologischer Blick auf das Wirkungsgefüge von Raum und Geschlecht ist dabei im Kontext einer konstruktivistischen Raumvorstellung auf die mehrdimensionalen, prozesshaften Wirkungen zwischen Raum und Geschlecht gerichtet, die insbesondere von Machtstrukturen beeinflusst werden, die innerhalb des Analyse-Modells als »dynamischer Faktor« aufgefasst werden (ebd., 130).37 Ihr Analysemodell kann als konzeptionelle Weiterentwicklung der theoretischen Arbeiten von Läpple (1991, 1992) und Sturm (2000) betrachtet werden. Es wurde hinsichtlich seiner Analysemöglichkeiten für den fokussierten Blick auf die Wechselwirkungen von Raum und Geschlecht adaptiert und präzisiert.38 Ruhne begreift die Kategorien Raum und Geschlecht als ein sich wechselseitig bedingendes und beeinflussendes »Wirkungsgefüge« (ebd., 131), so dass beide Kategorien im 37 | Zur theoretisch-konzeptionellen Grundlegung sowie sukzessiven Entwicklung des Modells vgl. Ruhne 2003, 123ff. 38 | Zur Kritik an der Modellkonzeption von Sturm und ihrer Argumentation für eine notwendige Adaption bzw. Neuformierung des Modells für ihre Forschungszwecke vgl. Ruhne 2003, 81. Im Rahmen ihrer Anmerkungen geht es auch um die Frage, inwiefern die Begriffe Spacing und Synthese den jeweiligen Quadranten des Modells von Sturm zuzuordnen sind. Ruhne kritisiert den von Löw selbst vorgenommenen Zuordnungsvorschlag für den zweiten und dritten Quadranten (Löw, 2001, 222) als zu starr und restriktiv (vgl. Ruhne 2003, 82). Ihrer Ansicht nach vollziehen sich die jeweiligen Spacing- und Syntheseprozesse im Rahmen aller Quadranten, wenngleich auch in unterschiedlicher Form (vgl. ebd.). Diese Ansicht teile ich ebenfalls. Im Rahmen des bereits erwähnten Gesprächs mit Gabriele Sturm, das im Kontext eines Workshops des DFG-Graduiertenkollegs »Dynamiken von Raum und Geschlecht« am 26.11.2010 an der Universität Kassel stattfand, betonte Sturm ihrerseits, dass Spacing- und Syntheseprozesse sich in allen vier von ihr vorgeschlagenen Quadranten vollziehen, da jeder Quadrant als Element des fortwährenden Konstruktions- und Konstitutionsprozesses von Raum und räumlichen Strukturen betrachtet werden muss, so dass Spacing und Synthese nicht als losgelöste Handlungen nur im Rahmen einer Dimension des Modells aufzufassen sind.
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Rahmen ihres Analysemodells in den Blick genommen werden. Anhand von »vier Dimensionen des Sozialen« (ebd., 196), untersucht Ruhne das dyadische Konzept der räumlich-geschlechtlichen Bezogenheit im Hinblick auf seine gesellschaftsbezogenen Wirkungsweisen und bezieht dabei Macht als »Spannungsmoment und dynamischen Wirkungsfaktor« (ebd.) in die jeweilige Analysedimension mit ein.
Abbildung 3: Analysedimensionen eines dynamischen Wirkungsgefüges zwischen Raum und Geschlecht mit Macht als zentralem Wirkungsfaktor (Ruhne 2003, 162). Inklusive der im Modell als »dynamische Wirkungsfaktoren« (siehe Abb. 2) begriffenen Macht und Machtverhältnisse werden Geschlechter- und Raumverhältnisse als ein aufeinander bezogenes Konstrukt in Bezug auf
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ihre Materialität bzw. ihre objektiven Manifestationen, ihr Eingebundensein in normative Regulationssysteme, ihre Ausprägung im Rahmen von Interaktions- und Handlungsstrukturen sowie ihre möglichen Repräsentationen innerhalb symbolisch-kultureller Ordnungen analysiert. Geschlechter- und Raumverhältnisse werden somit als »dynamische, prozesshafte und relational miteinander verknüpfte Macht(beziehungsgefüge)« in den Blick genommen (ebd., 196, Herv. i. O.). Diese mehrdimensionale Analyse der Konstitutions- und Konstruktionsprozesse in Bezug auf die beiden Ausgangskategorien Raum und Geschlecht intendiert neben einer systematischen und dabei sehr differenzierten Möglichkeit der Betrachtung auch die praktikable Anwendung hinsichtlich des komplexen Forschungsbereichs. Ruhne sieht in dem von ihr entwickelten Instrumentarium ein Modell, das den Forschungsprozess überschaubar und handhabbar gestaltet, und ermutigt gleichzeitig dazu, die Konzeption für eigene Forschungsvorhaben zu nutzen, bzw. das gegebene Modell im Hinblick auf geeignete Ausgangsfragen weiter zu spezifizieren (vgl. ebd., 196). Im Sinne von stets als prozesshaft und veränderbar aufgefassten Analyseoptionen, die nicht auf eine abschließende Gültigkeit der Ergebnisse zielen, »bietet das vorgeschlagene Analyse-Modell zum einen die Notwendigkeit, zum anderen aber auch die Chance einer fortwährenden Weiterentwicklung und Anpassung an unterschiedliche Fragestellungen, Kontextualisierungen oder auch an theoretische Grundannahmen« (ebd., 197). Auch im Rahmen der vorliegenden Studie wurde Ruhnes Modell im fortgeschrittenen Stadium des empirischen Prozesses genutzt, um Zwischenergebnisse und erste Annahmen zu konkretisieren und hinsichtlich der gegebenen Wechselwirkungen zwischen Raum und verkörperter Differenz bzw. der wahrnehmbaren Behinderung von anwesenden Personen zu untersuchen. Bevor die Ergebnisse bzw. verdichteten Perspektiven der Anwendung des Modells in Bezug auf die erkenntnisleitenden Fragestellungen dargelegt werden, soll zunächst Ruhnes Auffassung von (Un-)Sicherheit einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Die Überlegungen von Ruhne, Unsicherheit als eine von räumlichen Strukturen beeinflusste bzw. generierte Emotion aufzufassen, waren letztlich mit ausschlaggebend dafür, in der vorliegenden Studie Emotionen als dynamischen Wirkungsfaktor hinsichtlich der Wahrnehmung von Differenz zu bedenken. Ruhne fasst Unsicherheit respektive Sicherheit als sozial konstruiertes Phänomen bzw. als mehrdimensional beeinflusstes
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Konstrukt auf, das im Rahmen des komplexen Wirkungsgefüges von Raum und Geschlecht unter Einbezug von Macht und Machtverhältnissen als gesellschaftliche Wirklichkeit zutage tritt. Gleichzeitig versteht sie (Un-)Sicherheiten als mächtige Produzenten von räumlich-geschlechtlichen Ordnungsmustern, die durch eine fortwährende Reproduktion normativer Rahmenbedingungen die existierenden Auffassungen der Bezogenheit von Raum und Geschlecht verfestigen. Mit Rekurs auf die Problematik, inwiefern wahrgenommene Sicherheit und Unsicherheit als subjektiv bzw. objektiv gelten können,39 richtet Ruhne den Blick auf die Frage, wie die Verankerung der gesellschaftlichen Konstruktion von (Un-)Sicherheit im öffentlichen Raum vollzogen wird bzw. wurde (vgl. ebd., 43). Dass Unsicherheit aber immer auch ein Gefühl, eine vom Individuum subjektiv erzeugte emotionale Befindlichkeit darstellt, bearbeitet sie nicht systematisch. In ihren Darstellungen zu Unsicherheit als soziale Konstruktion werden zwar durch räumliche Gegebenheiten beeinflusste und erzeugte Gefühlslagen implizit angesprochen, Unsicherheit als Gefühl und somit als ein Element der durch komplexe Konstruktions- und Konstitutionsleistungen im Raum hergestellten gesellschaftlichen Wirklichkeit wird aber nicht näher fokussiert.40 Ruhnes nicht näher ausdifferenzierte Erörterung von Emotion als mitverantwortlicher Faktor für die im Rahmen des Wirkungsgefüges von Raum und Geschlecht erzeugte Unsicherheit beruht auf der Annahme, dass Räume als unsicher oder sicher wahrgenommen werden (vgl. ebd., 83). Sofern also der emotionalen Befindlichkeit des konstruierenden Individuums eine Rolle innerhalb der Raumherstellung zufällt, wäre hier der Blick auf vorhandene Emotionen interessant, die ein Individuum vor der Syntheseleistung und somit vor der Verknüpfung von Gegebenheiten zu einer räumlichen Wahrnehmung empfindet. Ruhnes Modell, welches die Befindlichkeitslagen von Individuen immer auch in den Konstitutionsprozess von gesellschaftli39 | Ruhne bezieht sich in ihren Überlegungen u.a. auf den Soziologen Kaufmann, der Unsicherheit und Sicherheit als soziale Konstruktionen ansieht, deren Herstellung im Rahmen von komplexen sozialen Prozessen geschieht, in denen subjektive und objektive bzw. als objektiv wahrgenommene Faktoren miteinander in Beziehung gebracht werden (ebd., 38). 40 | Dabei ist in Ruhnes Ausführungen bei der Betrachtung von Unsicherheit durchaus von Gefühlen die Rede, so vom »Unsicherheitsgefühl« (ebd., 35) oder den »subjektiven Unsicherheitsempfindungen« (ebd., 37).
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chen Wirklichkeiten mit einbezieht, kann in leicht modifizierter Form und mit einem verstärkten Fokus auf eben diese Befindlichkeitslagen der raumkonstruierenden Individuen auch für das Anliegen der vorliegenden Studie genutzt werden. Betrachtet man Raum und verkörperte Differenz als ein aufeinander bezogenes Wirkungsgefüge und sieht die Emotionen als ein dieses Wirkungsgefüge dynamisch beeinflussendes Element bzw. steuernden Faktor an, so ergeben sich entlang der Analysedimensionen Ruhnes die folgenden richtungsweisenden Verdichtungen in Bezug auf die bereits konstatierte Verwobenheit von Raum, Differenz und Gefühl: Anhand der ersten Dimension können die körperlich-materiellen und somit die objektiv vorhandenen Manifestationen von Raum und verkörperter Differenz fokussiert werden, welche unter Einfluss des Faktors Emotion im Rahmen einer fortwährenden Konstruktionsleistung durch Spacing und Synthese die Auswirkungen dieser »emotions-balancierten Verwirklichung«41 der gesellschaftlichen Realität widerspiegeln. Im Rahmen der zweiten Dimension können die vorhandenen normativen Regulationssysteme in den Blick genommen werden, die für Raum und verkörperte Differenz in Form von Gesetzen, Normen und Werten eine Rolle spielen. Auch hier können die am Konstruktionsprozess beteiligten Emotionen auf ihren Beitrag zu einer »emotions-balancierten Verregelmäßigung« in normativen Ordnungssystemen untersucht werden. In der dritten Dimension erfolgt die Analyse der in Bezug auf Raum und verkörperte Differenz präsenten Interaktions- und Handlungsstrukturen der Akteure. Der in dieser Dimension besonders starke Einfluss von Emotionen auf Handlungsverläufe innerhalb des betrachteten Raums kann über die »emotions-balancierte« Aushandlung rekonstruiert werden. Mittels der vierten Dimension können die Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssysteme von Raum und verkörperter Differenz bzw. Behinderung im Hinblick auf den kulturellen Kontext vertieft betrachtet werden, um gerade auch kulturell geformte Deutungsmuster und Wahrnehmungsformen gezielter in den Blick zu nehmen. Diese als Gedankenexperiment durchgeführte Anwendung des Modells von Ruhne auf erste Interpretationen und Befunde des erhobenen Materials zeigt zum einen die praktikable Handhabung des Modells als 41 | Hier wurden die von Ruhne in ihrem Modell verwendeten Begriffe (ebd., 162) im Hinblick auf die Betrachtung von Raum, verkörperter Differenz und Emotion in ihrer wechselseitigen Bezogenheit angewendet.
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Forschungsinstrument für raumbezogene Fragestellungen. Durch seine modifizierbare Offenheit kann es auf individuelle Forschungsfragen und -aspekte bezogen werden, zum anderen können auch noch vage, aber möglicherweise bedeutungsrelevante Hinweise entlang der vier Dimensionen zugeordnet und systematisiert werden. Für das forschungspragmatische Vorgehen bei der Erschließung und Untersuchung sozialer Phänomene im Kontext einer raumbezogenen Forschung kann das Modell von Ruhne als wertvolle Konkretisierungshilfe einbezogen werden. Insbesondere durch das sukzessive Unterteilen und Auf brechen der komplexen Kategorie Raum ermöglicht es für die vorliegende Studie eine Systematisierung mit dem Fokus auf den Verbindungslinien zwischen räumlichen Konstruktions- und Konstitutionsprozessen, der diesen Prozessen inhärenten Wahrnehmung von verkörperter Differenz und den wiederum an der Raumherstellung maßgeblich beteiligten Emotionen. So kann anhand der Konzeption von Sturm eine erste, wenn auch noch relativ ungeordnete Systematisierung des Forschungsbereichs erfolgen, die im Rahmen von Ruhnes Modell, deren Analysedimensionen meiner Ansicht nach stärker auf die Wahrnehmungsleistungen und subjektiven Empfindungen innerhalb von räumlichen Dimensionen zielen, zunehmend verdichtet werden können. Durch die Systematisierung der Analysedimensionen von Ruhne besteht die Möglichkeit, die forschungsrelevanten Untersuchungstopoi in differenzierter Form herauszuarbeiten. Durch die multiperspektivisch-mehrdimensionale Vorgehensweise wird keiner der als relevant erachteten Faktoren – Raum, verkörperte Differenz und Emotion – vernachlässigt. Unter stetem Einbezug der relevanten Ergebnisse der Feldforschungsdaten sowie der darauf hin generierten Forschungsfragen können für die Verknüpfung von empirischem Prozess und einer theoretisch-methodologischen Verankerung die folgenden Aussagen getroffen werden: Synthese- und Spacingprozesse im Rahmen der von Löw (2001) erarbeiteten Konzeption sind maßgeblich für das Konstituieren und das Konstruieren von Raum und Raumvorstellungen sozialer Akteure. In Bezug auf die vorliegende Studie werden am konkret lokalisierbaren Ort des Hotels unterschiedliche Räume auf diese Weise sichtbar. Dabei sind die sozialen Akteure selbst, im vorliegenden Fall alle im und mit dem Untersuchungsort Hotel verbundenen Personen, sowohl aktiv an beiden Prozessen beteiligt als auch selbst Element der jeweiligen Raumherstellung und Raumvorstellung. Im Rahmen der Syntheseleistung, innerhalb de-
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rer soziale Güter und Menschen zu Räumen verknüpft werden, wird der so hergestellte Raum zu einem Teil der als Wirklichkeit empfundenen Realität. Teil der Raumherstellung ist dabei auch die Feststellung der Präsenz von (verkörperter) Differenz in Form einer wahrgenommenen Behinderung oder Beeinträchtigung bei den als Elemente der Raumherstellung fungierenden anwesenden Personen. Ebenso können beeinträchtigte Personen andere Anwesende als nicht behindert wahrnehmen. Die Feststellung von (verkörperter) Differenz bzw. die Wahrnehmung von Personen, die in Bezug auf allgemeingültige Normvorstellungen von Körpern und ihren kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten abweichend erscheinen, ist sowohl Teil der verknüpfenden Syntheseleistung als auch Element des hergestellten und wahrgenommenen Raums. Raumherstellung und Differenzfeststellung sind als prozesshafte Wahrnehmungsleistungen somit eng miteinander verbunden. Die wechselseitige Beeinflussung von Raumherstellung und Wahrnehmung von verkörperter Differenz kann analog zur Argumentation von Ruhne auch als ein Wirkungsgefüge aufgefasst werden. Die Wahrnehmung von verkörperter Differenz erfolgt also in unmittelbarer Verbundenheit mit der raumkonstruierenden Synthese, so dass davon auszugehen ist, dass die für die jeweilige Synthese vorliegenden räumlichen Gegebenheiten und Arrangements von Menschen und sozialen Gütern eine Einflussnahme auf die Wahrnehmung von anwesender verkörperter Differenz haben. Ebenso übt im Umkehrschritt die anwesende verkörperte Differenz einen Einfluss auf die jeweilige Raumkonstruktion aus. Die Synthese von sozialen Gütern und Menschen zu Räumen erfolgt dabei nicht aus einer neutralen Grundhaltung, sondern unter Einfluss von Gefühlen und emotionalen Befindlichkeiten. Die von sozialen Akteuren konstruierten Räume sind in der Lage, Emotionen hervorzurufen bzw. diese zu beeinflussen. Im Hinblick auf diese hervorgerufenen und/oder durch den Raum veränderten Gefühle, ist die raumatmosphärische Wirkungsweise von Räumen noch näher zu untersuchen. Die Emotionen von sozialen Akteuren – sowohl die vor der räumlichen Syntheseleistung vorhandenen als auch die durch die Raumherstellung generierten und/oder veränderten Emotionen – sind als konstitutive Elemente des Syntheseprozesses aufzufassen und somit an der Wahrnehmung von verkörperter Differenz beteiligt. In der Analyse von Raumherstellung und Differenzfeststellung müssen die vor, während und nach der Raumherstellung generierten bzw. veränderten Emotionen soweit möglich mitberücksichtigt werden,
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da anzunehmen ist, dass sich die durch die Raumwahrnehmung einstellende Gefühlslage auch auf die jeweilige Wahrnehmung von verkörperter Differenz auswirkt.
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IV. Voraussetzungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel Selten hat mich in einem Hotel ein so liebevoller Geist angeweht wie im […]. Hier liegt etwas in der Luft, das mich ganz stark berührt und Hoffnung weckt auf eine Welt, die von diesem zarten, fürsorglichen Miteinander erfüllt ist. (Gästebucheintragungen, Gruppierung III)
1. R aumzeitlich gebundene E rfahrung von D ifferenz In auffällig vielen der analysierten Gästebucheintragungen des Hotels finden sich die Formulierungen »der Aufenthalt«, »mein Aufenthalt« oder »unser Aufenthalt hier« sowie der Vermerk, dass man unbedingt wiederkommen wolle. Nun könnte man argumentieren, dass es sich hierbei um eine allgemeine Floskel handle, die für solche Eintragungen üblich ist. Über die Bedeutungen des immer wieder verwendeten Begriffs Aufenthalt können jedoch zusätzliche Erkenntnisse für die raumkonstruierenden Prozesse der sozialen Akteure in dem untersuchten Hotel gewonnen werden. Ein Aufenthalt bezeichnet etymologisch das Bleiben und Verweilen und gleichzeitig auch den Ort des Verweilens (vgl. Duden 2007). Ein Aufenthalt in einem Hotel ist in der Regel zeitlich begrenzt. Für die vorliegende Studie bedeutet das, dass die mit diesem Aufenthalt verbundenen Kontaktsituationen mit beeinträchtigten Menschen sowie die bereits angesprochenen Raumkonstruktions- und Raumkonstitutionsprozesse und die ihnen inhärent gebildeten Wahrnehmungsmuster von verkörperter Differenz – zumindest für den Großteil der anwesenden Gäste – nur kurze Zeit dauern. Den meisten Gästen ist bereits vor dem Besuch des Hotels bekannt, dass dort aufgrund eines bestimmten Konzepts behinderte und nicht behinderte Menschen gemeinsam arbeiten. Meines Erachtens beeinflusst
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das Wissen um die zeitlich begrenzte Kontaktsituation mit beeinträchtigten Menschen die Wahrnehmung von Behinderung bzw. verkörperter Differenz maßgeblich. Im vorliegenden Fall kann davon ausgegangen werden, dass dieses Vorwissen bereits strukturierend in die Raumkonstruktion vor Ort einfließt und dabei auch die Wahrnehmung von Beeinträchtigung vorbereitet. Das analysierte Material zeigt, dass das zeitlich eingrenzbare Miteinander eine positive Einschätzung und Wahrnehmung von Menschen mit einer Beeinträchtigung begünstigt. Auch die Verbindung mit anderen Annehmlichkeiten (gutes Essen, angenehmes Ambiente etc.), die eine positive emotionale Befindlichkeit hervorrufen, spielt eine Rolle. Der ausschnitthafte Blick fokussiert dabei stärker das positive Erleben von verkörperter Differenz und der Fähigkeiten der beeinträchtigten Personen. Die möglicherweise mit einer Behinderung verbundenen schwierigen Lebensumstände und weit reichenden Einschränkungen in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe können in der örtlich und zeitlich begrenzten Wahrnehmung weitestgehend ausgeblendet werden.1 Somit sind das Vorwissen und die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts als zwei wesentliche Rahmenbedingungen der sich vor Ort vollziehenden Raumherstellungsprozesse anzusehen, in welchen mittels Synthese die materiellen Gegebenheiten und die anwesenden Personen als räumliches Gebilde wahrgenommen werden. Auch sind hier die Emotionen der Anwesenden, aufgrund und mittels derer die Syntheseprozesse vollzogen und somit auch die Wahrnehmungen von verkörperter Differenz konstruiert werden, als wesentliche Faktoren zu berücksichtigen. Als weitere Rahmenbedingung für die Raumwahrnehmung wurde bereits die Ortsge1 | Der Befund im Hinblick auf die zeitlich und örtlich begrenzte zumeist eher positive Wahrnehmung von Behinderung bzw. verkörperter Differenz lässt sich als Gedankenkonstrukt auch auf andere Bereiche übertragen. So finden beispielsweise oft in Institutionen der Behindertenhilfe und Arbeitsstätten für beeinträchtigte Menschen so genannte »Tage der offenen Tür« statt, an denen sich Angehörige und Interessierte über die Situation vor Ort informieren können bzw. mittels derer sich die besagten Institutionen auch werbewirksam vorstellen können. Auch hierbei handelt es sich bei der Wahrnehmung von Differenz um zeitlich und örtlich begrenzte Ausschnitte, die entsprechend vorbereitet wurden. Diese Abhängigkeit der Wahrnehmung von Behinderung im Hinblick auf die zeitliche und örtliche Begrenzung des Kontakts ist im bisherigen behindertensoziologischen und behindertenpädagogischen Diskurs noch weitestgehend unbearbeitet.
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bundenheit erwähnt, die im Folgenden für die Hotelsituation differenziert zu betrachten ist. Auch wenn der Aufenthalt in einem Hotel in der Regel freiwillig ist, so ist man dadurch doch an einen bestimmten Ort gebunden. Diese Ortsgebundenheit variiert in Bezug auf den Grund des Aufenthalts. So gibt es Gäste, die sich sehr wenig im Hotel aufhalten und dies nur zu Übernachtungszwecken aufsuchen, oder aber solche, die einen Großteil ihres Aufenthalts im Hotelgebäude verbringen. Allein der Umstand, durch den Aufenthalt im Hotel eine bezahlte Dienstleistung wahrzunehmen, bedeutet eine Bindung an diesen Ort. Auch die Angestellten sind an das Hotel gebunden: Es stellt den Ort und die Platzierung ihres Arbeitsverhältnisses dar. Somit besteht sowohl für die Gäste als auch für die Angestellten des Hotels eine Verbindlichkeit in Bezug auf die räumlich-materiellen Gegebenheiten. Für die Gäste bedeutet dies in dem untersuchten Hotel zugleich auch den verbindlichen Kontakt mit beeinträchtigten Menschen, da diese aufgrund der Dienstleistungssituation in alle die Gäste betreffenden Belange und Aufgaben eingebunden sind. Ortsgebundenheit und die bewusste Reflexion über die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts können insbesondere im Hinblick auf die Hotelgäste als Rahmenbedingungen für die vor Ort stattfindenden Raumkonstruktionen aufgefasst werden, innerhalb derer auch die Kontaktsituationen zu beeinträchtigten Menschen stattfinden. Die Kontaktsituation im Rahmen des Hotelaufenthalts folgt demnach den Prinzipien eines kalkulierbaren Miteinanders in Bezug auf Zeit und Raum und wirkt durch das implizite Wissen der beteiligten Akteure um diese Gegebenheiten vorstrukturierend auf Raumherstellung und Differenzfeststellung ein. Der Aufenthaltsort Hotel wird dadurch auch zum Erfahrungsort verkörperter Differenz, was insbesondere für jene Gäste zutrifft, die in ihren alltäglichen Routinen wenig bis gar keinen Kontakt zu beeinträchtigten Menschen haben. Über die verschiedenen Beweggründe, gerade dieses Hotel mit seinem besonderen Arrangement aufzusuchen, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Sie können von einer vom Konzept unabhängigen Notwendigkeit einer Übernachtung bis hin zu einem bewusst aufgrund der Besonderheit gewählten Aufenthalt reichen. Berücksichtigt man das wahrscheinlich vorhandene Wissen um die Konzeption des Hotels, so ist davon auszugehen, dass die dadurch bei den Gästen angelegten Gefühle (z.B. Bewunderung, Neugier, Anerkennung, Wertschätzung, Unterstützungswille) als konstitutives Element der Raumherstellung vor Ort innerhalb des Syntheseprozesses mitwirken. Diesen Umstand galt es insbesondere für die Analyse der Gäste-
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bucheinträge zu berücksichtigen. Zudem spielte er eine wesentliche Rolle für die Reflexion des Forschungsprozesses im Hinblick auf meine subjektiven Anteile als Forscherin in der Feldsituation. Die kalkulierbare, zeitlich und örtlich begrenzte Kontaktsituation zu Menschen mit einer Beeinträchtigung kann aus der bereits dargelegten Perspektive Schillmeiers auch als eine kulturelle Erfahrung von Behinderung gesehen werden und damit als »zeitlich-räumlich kontingentes und heterogenes Ereignis« (2007, 85). Aus dem von ihm eingenommenen Blickwinkel der Disability Studies, in denen Behinderung als ein Ergebnis innergesellschaftlicher Strukturen und Konstruktionen (vgl. ebd.) dargestellt wird, kann die zeitlich und örtlich begrenzte »Möglichkeit aktualisiert werden, sowohl den eigenen Beobachtungsgegenstand als auch die eigene Beobachtung für das Ausgeschlossene, das Andere zu öffnen. Durch die Erfahrung und das Ereignis von Behinderung geht die sozialund kulturwissenschaftliche Perspektive als eine andere, eine veränderte hervor« (ebd., 86). Schillmeier, der für die Entwicklung einer Theorie des Behindert-Werdens im Hinblick auf die soziale und gesellschaftlich hergestellte Konstruktion von Behinderung im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlich-medizinischen Determinierung im Sinne von Behindert-Sein plädiert (vgl. ebd., 82), bezieht durch seine Beschreibung von Behinderung als eine (kontingente) zeitlich-räumliche Erfahrung von behinderten als auch nicht behinderten Akteuren den Aspekt des Umgebungsraums mit ein. Er führt jedoch die mögliche Bedeutung, die von räumlichen Gegebenheiten und individuell konstruierten Raumgebilden für die Betrachtung von Behinderung als Erfahrung respektive Ereignis ausgeht, nicht weiter aus. Auch innerhalb des behindertensoziologischen Diskurses, der Kontakte und Kontaktsituationen von behinderten und nicht behinderten Menschen sehr ausführlich untersucht und beschrieben hat, finden sich bisher kaum Hinweise auf die Notwendigkeit des Einbezugs von räumlichen Dimensionen im Hinblick auf deren Einfluss auf Kontaktsituationen und ihre Gestaltung. Demgegenüber wird den Emotionen in diesen Situationen ein großes Gewicht beigemessen, allerdings ohne auf von Raumkonstruktionen abhängige und beeinflusste Emotionen zu rekurrieren. Insbesondere Cloerkes (2007), aber auch Pettigrew und Tropp (2000), welche die Bedingungen des Kontakts zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen und die damit verbundenen Einstellungen und Wahrnehmungen beschreiben, weisen den (begleitenden) Emotionen eine entscheidende Bedeutung zu. So ist laut Cloerkes für den Kontakt
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mit behinderten Personen nicht die Häufigkeit der Kontaktsituationen ausschlaggebend, sondern deren Intensität und emotionale Fundierung. »Der positive Einfluss enger, intimer Beziehungen, insbesondere das Miteinander in einem gemeinsamen Lebensraum, ist wiederholt nachgewiesen worden. Der intensiven Beziehung müssen allerdings affektive, gefühlsmäßige Bindungen zugrunde liegen. ›Freude am Kontakt‹ und ›positive Gefühle‹ beim Zusammensein mit einem behinderten Menschen haben darum einen günstigen Einfluss auf die Einstellung.« (Cloerkes 2007, 147)
Cloerkes’ Hinweis auf das (emotional positiv motivierte) Miteinander in einem gemeinsamen Lebensraum wirft zwar einen verhaltenen Blick auf die Bedeutung des Raums, zieht diesen aber nicht als beeinflussenden Faktor für die emotionalen Befindlichkeiten von Akteuren in Betracht. Als förderlich für eine positive Einstellung gegenüber Behinderten erwähnt er weiter die Erwartung einer Anerkennung für entsprechende Kontakte im Rahmen des sozial erwünschten Verhaltens sowie »die Verfolgung gemeinsamer wichtiger Aufgaben und Ziele«, die beispielsweise bei Arbeitskontakten in einem leistungsneutralen Klima entstehen. Gleichwohl müssen die Kontakte stets auf freiwilliger Basis stattfinden, da der sonst entstehende »Zwangscharakter« eher die Gefahr einer Verstärkung negativer Einstellungen begünstigt (ebd., 147). Anhand der Überlegungen zu den Rahmenbedingungen des zeitlich und örtlich begrenzten Kontakts von behinderten und nicht behinderten Menschen am Aufenthalts- und Arbeitsort Hotel zeigen sich die Verbindungslinien zwischen der soziologischen Betrachtung von Behinderung in Interaktionssituationen und der Relevanz von räumlichen Dimensionen für diese Situationen. Hierbei müssen eine raumsoziologische Perspektive und insbesondere die durch Spacingprozesse generierten und veränderten Emotionen und die damit verbundenen Wahrnehmungsmuster von Behinderung einbezogen werden. So können neue Perspektiven entstehen, die es ermöglchen, die bisherige Nicht-Berücksichtigung von Raum im Hinblick auf die soziale Konstruktion von Behinderung zu überwinden und die Kategorie des Raums für die Betrachtung von Behinderung analytisch zu nutzen.
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2. G äste als A k teure z wischen Ö ffentlichkeit und P rivatheit Im Hinblick auf die Vermischung von Öffentlichkeit und Privatheit im Raum eines Hotels müssen diese Begriffe näher spezifiziert werden. Ein Hotel befindet sich – so meine These – in einer Art Schwebezustand zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, da es sozialen Akteuren die Möglichkeit der Konstruktion und somit den Aufenthalt in sowohl privaten als auch gleichzeitig öffentlichen Räumen bietet. Ruhne (2003) begreift Öffentlichkeit und Privatheit als dichotome Pole einer gesellschaftlichen Konstruktion und fasst diese als Raum und Raumvorstellungen definierende Größen bzw. die individuelle Raumkonstruktion beeinflussende Faktoren auf. Somit sind die im Alltäglichen permanent verwendeten und geteilten, jedoch weitestgehend unreflektierten Annahmen darüber, was ein öffentlicher und was ein privater Raum ist bzw. woran eben solche erkannt und in der Wahrnehmung entsprechend konstruiert werden, als in komplexen sozialen Prozessen hergestellte private und öffentliche Räume zu denken.2 Diese weithin als selbstverständlich rezipierte und reproduzierte dichotome Ordnung von privaten und öffentlichen Räumen (vgl. ebd., 95) kann als ein normativ wirkendes Ordnungs- und Orientierungssystem für Akteure angesehen werden, die ihre jeweiligen Handlungen und Interaktionen daran orientieren, ob sie sich in einem öffentlichen oder privaten Raum befinden. Als öffentlicher Raum wird oft der städtische Außenraum, wie zum Beispiel Straßen, Plätze, Parks sowie Orte so genannter sozialer Infrastruktur, aufgefasst, während als privater Raum vor allem die Wohnung eine wichtige Rolle spielt (vgl. Sturm 1997, 55). Als Teil des alltäglichen Handelns nehmen Individuen die sie umgebenden Räume somit als öffentlich oder privat wahr bzw. stellen diese über Spacing und Synthese als eben diese her. Das individuelle Bewusstsein und damit das subjektive Empfinden, ob man sich in einem öffentlichen oder privaten Raum befindet, ist ein konstitutives Element der Raumwahrnehmung. Wenngleich dieses nicht permanent reflektiert wird, so sind Akteure doch in der Lage, auf die Frage nach den sie umgebenden räumlichen Dimensionen diese als privat oder öffentlich einzuschätzen. Fragt 2 | Zur historischen Herausbildung von privaten und öffentlichen Räumen sowie den daraus resultierenden und teilweise bis heute gültigen Annahmen darüber, was als privater und öffentlicher Raum anzusehen ist vgl. Ruhne 2003, 88f.
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man danach, wie soziale Akteure andere Personen – im vorliegenden Fall mit einer Beeinträchtigung – innerhalb räumlicher Konstruktionsprozesse wahrnehmen, muss mit bedacht werden, dass die jeweilige Raumkonstruktion von privaten und/oder öffentlichen Räumen die Sichtweise auf die Anwesenden beeinflusst. Sofern die durch Räume generierten Emotionen der Akteure vor, während und nach dem Synthesevollzug als signifikante Faktoren für die Wahrnehmung von anwesenden Menschen anzusehen sind, nimmt – so die Annahme – auch die jeweilige Raumkonstruktionsleistung und Unterscheidung von öffentlich und privat einen Einfluss auf die jeweiligen Sichtweisen von verkörperter Differenz. Die durch die Raumkonstruktion entstehenden Emotionen und Wahrnehmungsmuster von Behinderung können somit durch die Feststellung, ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Raum handelt, gelenkt und beeinflusst werden. Als Beispiel wäre hier in Anlehnung an die behindertensoziologische Forschung die sozial erwünschte Reaktion auf Menschen mit einer Behinderung zu nennen, die insbesondere im öffentlichen Raum häufig beobachtet werden kann. Dabei kommt es in Anbetracht einer möglichen öffentlichen Beobachtung und des normativ wirkenden gesellschaftlichen Verhaltenscodex zu besonders freundlichen und aufmerksamen Reaktionen auf behinderte Personen. Dies steht möglicherweise im Gegensatz zu den originären Gefühlen der nicht behinderten Person, die eigentlich andere Reaktionsweisen nach sich ziehen würden, wie beispielsweise Ablehnung, Unsicherheit oder auch das gezielte Ausweichen.3 Auch für den halböffentlichen Aufenthaltsort Hotel kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gäste den beeinträchtigten Personen just diese sozial erwünschten Verhaltensweisen entgegenbringen. Das heißt, dass ihre empirisch rekonstruierbaren Wahrnehmungsmuster von Behinderung auch unter der normativ wirkenden Erwartungshaltung der quasi öffentlichen Situation im Rahmen des Hotelbetriebs zu deuten sind. Trotz der allgemeinen Unterscheidung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum finden sich Räume, innerhalb derer eine Überschneidung und Überlagerung 3 | Vgl. diesbezüglich die Ausführungen Cloerkes’ zu typischen Reaktionsformen auf behinderte Menschen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang meines Erachtens die von Davis (1961) zuerst formulierte »Irrelevanzregel«, die den Versuch beschreibt, den behinderten Mitmenschen als nicht behindert anzusehen und die Beeinträchtigung als irrelevant aufzufassen (Cloerkes 2007, 108).
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bis hin zu einem gleichwertigen Nebeneinander von Öffentlichkeit und Privatheit anzutreffen sind. Diese oft zeitgleich erfolgende Überlagerung von öffentlich und privat ist meiner Ansicht nach insbesondere an konkreten Orten zu beobachten, in denen der private und der öffentliche Raum beispielsweise durch bauliche Gegebenheiten abgegrenzt wird und die Bewegung von sozialen Akteuren als eine permanente Wanderung zwischen diesen beiden Sphären begriffen werden kann. Als Beispiel wäre hier die Verbindung von Arbeitsstelle und Wohnung zu nennen, wie z.B. das Ladengeschäft, in dessen hinterem Bereich sich die Wohnräume befinden. Sichtbar wird die Trennung der beiden Sphären oftmals durch die Kennzeichnung der materiellen Grenzzonen. So sind Schilder mit der Aufschrift ›privat‹ ein probates Mittel, um zu verdeutlichen, dass sich dahinter eine andere räumliche Sphäre befindet, deren Zutritt nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist. Obwohl mit den Schildern kein ausdrückliches Eintrittsverbot ausgesprochen wird, beinhalten sie doch die Aufforderung an nicht zugehörige Akteure jene Räume nicht aufzusuchen.4 Akteure konstruieren Räume – den konkret materiellen Raum in der Form beispielsweise eines Zimmers möglicherweise häufiger – bewusst als privat und/oder öffentlich oder auch als ein beide Bedeutungsebenen enthaltendes Konstrukt. Der Aufenthaltsort Hotel nimmt somit durch die ständige Überschneidung und Überlagerung von als öffentlich und privat konstruierten Räumen und durch einen permanenten Wechsel zwischen diesen Räumen eine Sonderstellung ein. Bereits in der raumplanerischen Gestaltung und der normativen Raumkonzeption, die an späterer Stelle noch ausführlich betrachtet wird, kann die Überschneidung von privat und öffentlich festgestellt werden. Ein Hotel als institutionelles Gebilde ist zunächst als ein öffentliches Angebot zu sehen. Es gewährt jeder Person Zugang und gegen Entgelt ein bestimmtes Dienstleistungsangebot. Während nun die Empfangshalle sowie ein möglicherweise eingegliedertes Restaurant im Erdgeschoss als öffentlich und quasi jedermann zugäng4 | Neben zumeist schriftlichen Hinweisen zur Privatheit, mit denen die Erwartungshaltung einhergeht, diese auch als solche zu akzeptieren, finden sich auch sehr direktiv wirkende Kennzeichnungen, die verdeutlichen, dass es sich hier um Grenzziehungen zwischen räumlichen Gegebenheiten handelt, deren Nichteinhaltung zu Konsequenzen führen kann. Dazu gehören Hinweisschilder wie z.B.: »Privat. Zutritt strengstens verboten« oder auch »Privatparkplatz. Widerrechtlich geparkte Fahrzeuge werden abgeschleppt«.
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lich erscheinen, sind die Gastzimmer, die sich in den meisten Fällen in den oberen Stockwerken befinden, als Privaträume der Gäste anzusehen.5 Ebenso sind bestimmte Räume wie beispielsweise Aufenthaltsräume der Angestellten sowie der Leitungsebene gekennzeichnet, um den öffentlichen Zugang zu beschränken bzw. auszuschließen.6 Die anwesenden Gäste, die Belegschaft und das Leitungspersonal befinden sich aufgrund der räumlichen Anordnungen und deren materielle Grenzen wie Wände oder Türen in der fortwährenden Situation, Räume als privat, öffentlich oder als eine Mischform der beiden Zustände wahrzunehmen und ihre jeweiligen Handlungen gegebenenfalls an diese anzupassen. Eine Unterhaltung zwischen Angestellten mag innerhalb des Aufenthaltsraums für das Personal anders erfolgen als beispielsweise im Restaurantbereich, ebenso verhalten sich möglicherweise Gäste beim Essen im Restaurant anders als zu Hause am Esstisch. Die Hotelsituation bzw. der Hotelaufenthalt mit Blick auf alle involvierten Personen ist demnach ein exzellentes Beispiel für die Verwobenheit von privaten und öffentlichen Raumkonstruktionsprozessen. Er stellt durch seine räumliche und institutionelle Konzeption die Anforderung an soziale Akteure, die jeweilige Raumwahrnehmung über die vollzogenen Syntheseprozesse als privat oder öffentlich zu erkennen. Der Hotelaufenthalt kann somit auch als ein halböffentliches Ereignis aufgefasst werden, innerhalb dessen es zu komplexen Überlagerungen und Überschneidungen von öffentlichen und privaten Raumvorstellungen kommen kann.7 Auch wenn durch die Inanspruchnahme der bezahlten 5 | Auch hier kommt es bereits zu Überschneidungen: Das für eine Feier gemietete Hotelrestaurant kennzeichnet mit dem Hinweis auf eine »geschlossene Gesellschaft« für Außenstehende die auf einen bestimmten Zeitraum begrenzte Privatheit des Raums. Schlafräume, die durch Schilder an den Türen mit beispielsweise »Bitte nicht stören« oder »privacy please« zusätzlich als Privatsphäre der Gäste markiert werden können, werden zu anderen Zeiten vom Personal zu Reinigungszwecken aufgesucht. Dieses besitzt in der Regel eigene Schlüssel, so dass der Zugang zu den Gasträumen theoretisch jederzeit erfolgen kann. Beide Beispiele verdeutlichen die enge Verknüpfung von privater und öffentlicher Sphäre im Rahmen des Hotelbetriebs. 6 | Z.B. »Nur für Mitarbeitende« oder »staff only«. 7 | Ich verwende an dieser Stelle die Bezeichnung halböffentlich, da die öffentliche Sphäre im Rahmen der Hotelsituation überwiegt und von m.E. geringer ausfallenden Anteilen einer privaten Raumwahrnehmung durchzogen werden.
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Dienstleistungen in einem Hotel für eine begrenzte Dauer bei den Gästen eine Art Zugehörigkeitsgefühl8 entstehen kann, ist ein Hotelaufenthalt für die meisten eher als ein Aufenthalt im öffentlichen Raum anzusehen, was nicht zuletzt durch die permanente Beobachtung durch andere Anwesende (insbesondere beim Verlassen und Betreten des Hotels, Einnehmen der Mahlzeiten etc.) begünstigt wird. Es ist anzunehmen, dass diesen zumeist als öffentlich wahrgenommenen Räumen ebenfalls eine maßgebliche Rolle für die Wahrnehmung von verkörperter Differenz in dem untersuchten Hotel zukommt, zumal sich der Kontakt zu beeinträchtigten Menschen hauptsächlich in diesen vollzieht. Im Hinblick auf die anhand der Gästebucheintragungen rekonstruierten Wahrnehmungsmuster von Differenz muss zudem berücksichtigt werden, dass sich die Gästebücher ebenfalls in den innerhalb des Hotels als öffentlich wahrgenommenen Bereichen befinden (Eingangsbereich, Restaurant). Das Hineinschreiben und das Lesen anderer Einträge sind somit in der bereits beschriebenen Halböffentlichkeit situiert. Es ist daher zu überlegen, ob Gäste ihre Eintragungen möglicherweise auch unter diesem Aspekt öffentlichkeitswirksam gestalten, z.B. im Sinne einer öffentlich erwünschten positiven Bekundung über den Hotelaufenthalt.9 Die individuelle Wahrnehmung von privaten und öffentlichen Räumen sowie entsprechenden Mischformen ist neben der zeitlichen und konkreten räumlichen Begrenzung des Kontakts zu beeinträchtigten Menschen als weitere Voraussetzung aufzufassen, wie verkörperte Differenz bzw. Behinderung wahrgenommen wird.
8 | In Bezug auf das Zugehörigkeitsgefühl im Kontext räumlicher Erfahrung während eines Hotelaufenthaltes wäre es sicher lohnenswert, die Konzepte von all-inklusive Hotels näher zu betrachten. Im Rahmen dieser Konzepte erhalten Gäste oftmals Armbänder oder andere Kennzeichnungen, die den Gast für die angebotenen Dienstleistungen als insgesamt zugehörig oder als nur für bestimmte Bereiche und räumliche Gegebenheiten bzw. Angebote zugehörig markieren. 9 | Meines Erachtens ist davon auszugehen, dass der freiwillige Eintrag in das Gästebuch immer auch im Wissen um dessen öffentlichen Charakter erfolgt. Da sämtliche für diese Studie untersuchten Einträge als sehr positiv und lobenswert einzuordnen sind, gehen möglicherweise von diesem allgemein und öffentlich vorhandenen Bewertungsschema auch Impulse auf die weiteren sich einschreibenden Gäste aus bzw. passen sich diese in ihrer Darstellung an. Negative Aspekte oder Befindlichkeiten – sofern vorhanden – werden offensichtlich nicht niedergeschrieben.
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3. N ormierte R aumkonzep tionen Gebäude werden zumeist in aufwändigen Planungsprozessen entsprechend der Nutzungsabsicht konzipiert und konstruiert, um im Anschluss realisiert zu werden. Die Prozesse von der Planung bis zur konkreten Umsetzung beschäftigen meist ein multiprofessionelles Team, so dass das Endprodukt Raum – in diesem Fall als konkret lokalisierbares und materiell erfassbares Gebäude verstanden – in seinen Funktionen und seiner strukturellen Anordnung (an dieser Stelle könnte man im Sinne Löws (2001) auch von einer relationalen (An-)Ordnung sprechen), den Ansprüchen und Bedürfnissen der intendierten Nutzer genügt.10 Ein wesentliches Ziel dieser Ansprüche an den Raum ist dabei dessen Tauglichkeit und Funktionalität für soziale Praktiken und Alltagsroutinen, die sich innerhalb des Gebäudes vollziehen. Im Hinblick auf die praktische Nutzung von Gebäuden kann eine Verschränkung von raumkonzeptioneller Intention und normativ wirkenden Raumkonzeptionen festgestellt werden, deren ständige gesellschaftliche Reproduktion schon zur Alltäglichkeit gehört. Dabei sind die Gebäudeteile bzw. Räume, die an die verschiedenen Bedürfnisse der alltagsweltlichen Gegebenheiten angepasst werden, nicht nur als handlungsleitend bzw. handlungsdeterminierend zu verstehen (beispielsweise das Kochen in der Küche, die Garage als Platz für das Auto, das Betreten eines Gebäudes durch die Eingangstür etc.), sondern sie wirken in ihrer konkreten Konzeption auf die reproduzierten alltäglichen Handlungsverläufe zurück und beeinflussen diese anhand normativer Vorgaben. Räume sind in diesem Fall für bestimmte Handlungen vorgesehen und durch das entsprechende Spacing mit sozialen Gütern ausgestattet, die diese Handlungen ermöglichen bzw. unterstützen. Wie stark diese normativ wirkende Raumkonzeption in der alltäglichen Erfahrungswelt verankert ist, zeigt sich insbesondere an Stellen, wo diese Ordnung aus den Fugen gerät bzw. nicht einer allgemein angenommenen Erwartungshaltung in Bezug auf normative Raumanordnungen folgt. Eine Abweichung von einer normativen Raumkonzeption kann beispielsweise durch die Zweckentfremdung eines Raums entstehen. Dies kann insbesondere mit Blick auf die materielle Repräsentation von Raum 10 | Zu Raum als Gegenstand der Planungswissenschaften und den damit verbundenen interdisziplinären Sichtweisen auf Raum vgl. Sturm 2000, 7ff.
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Befremdung und Konfusion erzeugen, insofern die gewohnten Alltagsroutinen verändert und durchbrochen werden.11 Räume und die ihnen konzeptionell zugedachte Bestimmung und Funktion werden über die Syntheseleistung »erinnert« (Löw 2001, 159)12 und auf ähnliche räumliche Dimensionen übertragen. Die für das alltägliche Handeln verfügbaren Ordnungs- und Orientierungsschemata im Zusammenhang mit Räumen können eine entlastende Funktion haben. Räume werden als bekannt und vertraut konstruiert und es werden routinierte Handlungen oder Abläufe mit ihnen verbunden oder automatisch ausgelöst. Für ein Hotel mitsamt seinen vielen verschiedenen Räumen kann eine stark normativ wirkende Raumkonzeption festgestellt werden, an welche sich die Personen vor Ort mit ihren Handlungen und Verhaltensweisen anpassen. Die Vorstellung, wie ein Hotel räumlich aufgebaut ist bzw. aufgebaut sein sollte, ist Bestandteil der individuell geprägten kulturellen Erfahrung von Menschen. Diese kann stark variieren. So gibt es Menschen, die relativ oft ein Hotel aufsuchen, und Personen, die dies vielleicht niemals in ihrem Leben tun. Zusätzlich gibt es länderspezifische Unterschiede in der Konzeption und baulichen Gestaltung von Hotels. Unabhängig von der eigenen Erfahrung werden räumliche Anordnungen und die damit verbundenen normativen Raumkonzeptionen von Hotelgebäuden häufig durch Medien repräsentiert, und hier vor allem von Kinofilmen13 und Fernsehserien. Das durch eigene Erfahrung und mediale 11 | Zu bereits in der Kindheit erworbenen Raumvorstellungen sowie damit verbundenen Lernprozessen einer subjektiven Raumkonstruktion und -konstitution, deren Inhalte in Form komplexer Reproduktionsverfahren Eingang in das alltägliche Handeln finden und zu Orientierungs- und Ordnungsbewusstsein in Bezug auf räumliche Gegebenheiten führen, vgl. Ecarius und Löw 1997, 7ff. Auch Gabriele Geiger (2003) beschreibt in ihrer Theorie zu einer postmodernen Raumorganisation wie anhand von Wahrnehmungs- und Lernprozessen Raumbilder und -vorstellungen von konkreten Örtlichkeiten zu einem Element der Alltagsorientierung werden. Speziell zum Prozess der Raumorganisation vgl. auch Drepper 2003. 12 | Zu Orten und ihrer Funktion als Erinnerungsorte bzw. Erinnerungsräume vgl. auch Assmann 1999, 298ff. 13 | Das Kino bedient sich auch der Hotelszenerie als Kulisse für Handlungen aller Art, vor allem zwischenmenschliche Begegnungen und Verstrickungen. Das Hotel fungiert dabei als Aufenthaltsort und/oder als momentane Heimat der Protagonisten. Als aktuelle Beispiele wären der Film »Lost in translation« (2003) der
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Repräsentation gewonnene Wissen um die konkret materiell-räumliche Anordnung von Bereichen in einem Hotel kann bei Besuchen als Orientierungshilfe genutzt werden. Indem Menschen bereits eine Erwartungshaltung an die konzeptionelle Ordnung haben, die ihnen vorgibt, was wo an welcher Stelle getan wird und was nicht, sind sie nicht nur ausführende Akteure der raumkonzeptionellen Vorgaben, sondern reproduzieren auch durch ihr entsprechendes Verhalten die an räumliche Dimensionen gekoppelten normativen Vorgaben. Das implizite Wissen und das entsprechende Befolgen der vorgegebenen Nutzung und Aneignung räumlicher Dimensionen ist nicht auf den Ort Hotel beschränkt. Es ist meines Erachtens davon auszugehen, dass sich insbesondere an konkreten Orten und Plätzen, deren teilweise institutionalisierte Formen besonders häufig in gesellschaftlichen Kontexten anzutreffen sind (Schulen, Kirchen, Krankenhäuser etc.) dieses implizite Wissen um räumliche Ordnungsmechanismen wiederholt bzw. reproduzierend angewendet wird. Je stärker dabei konkrete materielle Ähnlichkeiten von Gebäuden wahrgenommen werden können (beispielsweise in der Bauweise von Schulen; insbesondere ältere Schulgebäude weisen eine starke Ähnlichkeit in ihrer räumlichen Anordnung auf, wie z.B. lange Flure, Treppenhäuser und oftmals gleichgroß angelegte Klassenräume), desto mehr steuert das implizite Wissen gleich einer Landkarte oder einer räumlichen Bedienungsanweisung die Handlungen sozialer Akteure vor Ort. Hierbei können Akteure auf ihre bereits erfolgten kognitiven Raumkonstruktionen ähnlicher Form zurückgreifen, so dass keine Neukonstruktion (unbekannter) räumlicher Dimensionen notwendig ist. Dieses Wissen um die räumliche Ordnung schließt beim Aufenthaltsort Hotel auch das Wissen um das Vorhandensein von angeordneten Räumen ein, die zwar nur bestimmten Personengruppen und deren Handlungen vorbehalten, aber im Kontext des Gesamtgeschehens unabdingbar für die reibungslosen Abläufe sind. Gäste eines Hotels wissen im Allgemeinen, dass sich in für sie nicht zugänglichen Räumen zahlreiche logistische Handlungen vollziehen, um die – in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten – umfangreichen Platzierungen sozialer Güter und Dienstleistungen zu gewährleisten. Diese zum Teil in räumlichen Anordnungen verborgene Logistik, die als wesentliches Element der normativen Raumkonzeption innerhalb eines Hotels angesehen werden kann, Regisseurin Sofia Coppola zu nennen, oder »The Grand Budapest Hotel« (2014) von Wes Anderson.
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soll nun im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden, um ihre möglichen Einflüsse auf die Wahrnehmung von verkörperter Differenz aufzuzeigen.
3.1 Räume in der Funktion von Vorder- und Hinterbühnen Die Feststellung, dass die in einem Hotel vorhandenen Räume in öffentliche, private und halböffentliche Räume unterteilt werden können, legt nahe, auch die in diesen verschiedenen räumlichen Sphären getätigten Interaktionen bzw. Selbstdarstellungspraktiken zu untersuchen. Wenn der individuell konstruierte Raum wie bereits erörtert als handlungsanleitend und Emotionen beeinflussend angesehen werden kann, so ist die Wahrnehmung von anwesenden Personen als Bestandteil der jeweiligen räumlichen Sphäre immer auch die Wahrnehmung von Akteuren, die sich aufgrund ihrer Raumkonstruktion in einer bestimmten Weise verhalten. Hierbei ist anzunehmen, dass bestimmte Verhaltensweisen und Kommunikationsformen in Abhängigkeit zu den umgebenden räumlichen Dimensionen stattfinden bzw. von diesen veranlasst werden. Dies kann für das Hotelgeschehen an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Der im Restaurant speisende Hotelgast stellt das ihn umgebende Arrangement sozialer Güter und Personen, in diesem Fall die anderen Gäste sowie Angestellte, mittels der Syntheseleistung als seine individuelle Raumwahrnehmung her. Die bereits erörterte normative Raumkonzeption des Restaurants wirkt dabei als handlungsleitend, d.h. der Gast verhält sich entsprechend der allgemeinen und erwünschten Form, die für einen Restaurantbesuch vorgesehen ist. Durch den Wechsel von Menschen und sozialen Gütern (Gäste kommen und gehen, Speisen werden gebracht, Lichtverhältnisse ändern sich, es gibt Gesprächssituationen mit dem Personal etc.) kann sich die jeweilige Raumwahrnehmung verändern, auch in nur geringfügiger Weise. Teil dieser fortwährenden raumkonstruierenden Prozesse ist dabei die mögliche Entstehung neuer und die Veränderung bereits vorhandener Emotionen und Befindlichkeiten des Gastes, die sowohl als Folge der Raumwahrnehmung als auch als mitgestaltendes konstitutives Element dieser aufgefasst werden können. Dieser raumkonstruierende Prozess trifft in gleicher Weise auf die anderen anwesenden Personen und für den Fall des untersuchten Hotels auch auf die anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Beeinträchtigung zu. Gäste und beeinträchtigte Angestellte begegnen sich in der jeweiligen
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Kontaktsituation im Restaurant also in der gleichen räumlichen Umgebung, die jedoch von den Beteiligten als unterschiedliche Raumvorstellung konstruiert wird und somit auch unterschiedliche Einflüsse auf deren Emotionen, Verhalten und Wahrnehmung ausübt. Die Wahrnehmung des Anderen erfolgt in einer geteilten räumlichen Situation, aber anhand jeweils unterschiedlich konstruierter Raumvorstellungen. Wenn im Verlauf der Studie die Wahrnehmungsmuster von verkörperter Differenz in Abhängigkeit zu den raumkonstruierenden Prozessen fokussiert werden, muss davon ausgegangen werden, dass die Herstellung der Differenz des Anderen immer auch die Wahrnehmung von verkörperter Differenz darstellt, die sich aufgrund der räumlichen Gegebenheiten in bestimmter Weise verhält und repräsentiert. Der Gast begegnet den beeinträchtigten Mitarbeitenden innerhalb des Restaurants im Rahmen von raumdeterminierten Handlungen und Verhaltensweisen.14 Die Wahrnehmung verkörperter Differenz und die Deutung dieser als Behinderung erfolgen in einem eigens dafür vorgesehenen und entsprechend arrangierten räumlichen Zusammenhang. Diese vorbereiteten räumlichen Arrangements haben unter Einbezug der bereits erörterten Unterteilungsmöglichkeit in öffentliche, private und halböffentliche Bereiche wiederum sehr unterschiedliche Bedeutungen in Bezug auf die Gesamtsituation des Hotelbetriebs. In einem Hotelbetrieb, der als Unternehmen daran interessiert ist, profitabel zu wirtschaften, können meiner Auffassung nach aus raumbezogener Perspektive verschiedene räumliche Sphären identifiziert werden, denen ein unterschiedlich hohes Maß an Bedeutung für die gesamte Betriebssituation zukommt. Das bedeutet nicht, dass bestimmte räumliche Bereiche und die zugehörigen Arbeitsbereiche als für die Gesamtsituation unwichtig einzustufen sind, aber es können anhand der räumlichen Repräsentationen (des Spacings sozialer Güter und Personen) unterschiedliche Abstufungen der Bedeutsamkeit räumlicher Dimensionen in einem Hotel identifiziert werden. Insbeson14 | Hierunter fällt auch bestimmte Kleidung. Kleiderordnungen, die den Träger als zu bestimmten Bereichen bzw. Dienstleistungen zugehörig kennzeichnen (beispielsweise die Bediensteten im Restaurant, das Personal in der Küche, die Personen des Room-Service), sind innerhalb des Hotelgewerbes weit verbreitet und konnten von mir auch am Untersuchungsort beobachtet werden. Die dadurch mögliche Zuordnung der Personen zu unterschiedlichen Arbeitsbereichen wurde während der komplexen Feldforschungsphase als sehr hilfreich empfunden.
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dere die öffentlichen und halböffentlichen Bereiche, die von Gästen frequentiert werden – im untersuchten Fall das Restaurant, die Bar, der Eingangsbereich sowie die Gästezimmer – können als besonders bedeutend hinsichtlich des arrangierten Spacings von Gütern und Menschen für die raumkonstruierenden Prozesse der Gäste, denen man einen angenehmen Aufenthalt bereiten und die man zur Wiederkehr bewegen möchte, angesehen werden. Spezielle räumliche Bereiche sind hingegen für die Gäste nicht erfahrbar, da sie sich außerhalb der öffentlichen Zonen befinden. Hier handelt es sich zumeist um jene, in denen die komplexen logistischen Unternehmungen für die räumlichen Anordnungen vorbereitet und vollzogen werden (Küche, Wirtschaftsräume, Wäscherei etc.). Es ist anzunehmen, dass bei den Gästen ein implizites Bewusstsein über diese sich im Hintergrund abspielende Logistik vorhanden ist. Dem Gast wird ein zuvor geplantes und arrangiertes Raumerleben zuteil, innerhalb dessen auch die Wahrnehmung der dort platzierten Menschen mit einer Beeinträchtigung erfolgt. Unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Interessen, die die zahlenden Gäste in den Vordergrund rücken, können aus raumsoziologischer Sicht verschiedene Hierarchien räumlicher Bedeutungen im Rahmen des Hotelgeschehens identifiziert werden. Diese unterschiedlichen Bedeutungsebenen sind dabei wiederum abhängig vom jeweiligen Standpunkt des raumwahrnehmenden Individuums und seiner Platzierung innerhalb des Gesamtgeschehens. Während sich beispielsweise die raumkonstruierende Aufmerksamkeit des Gastes ausschließlich auf das Gastzimmer und den Restaurantbereich bezieht und diese von ihm als für den Aufenthalt und das persönliche Wohlbefinden als besonders wichtig hinsichtlich der Ausstattung und der dargebotenen Dienstleistungen erachtet werden, ist der raumkonstruierende Blick der Mitarbeiterin in der hauseigenen Wäscherei auf den Raum mit den Waschmaschinen und Bügelapparaten gerichtet sowie auf die angrenzenden Bereiche, wo Mitarbeitende die zugehörigen vielfältigen logistischen Arbeiten erledigen.15 Aufgrund 15 | Anhand von Gesprächen und Beobachtungen wurde deutlich, dass die beeinträchtigten Angestellten den unterschiedlichen Räumen des Hotels unterschiedliche Wichtigkeit einräumten. Im Gegensatz zu dem nicht beeinträchtigten Personal, das zwar Gewichtungen in der Bedeutung von für sie relevanten Räumen vornahm, diese aber immer als zugehörige Teilelemente des Gesamtraumes Hotel konstruierten, war das Interesse am räumlichen Gesamtkonzept bzw. an räumli-
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der individuellen Platzierung und den damit verbundenen Erwartungshaltungen und Aufgaben – die nicht zuletzt auch durch die bereits erörterten normativen Raumkonzeptionen erfolgen – konstruieren soziale Akteure Räume als Räume von unterschiedlicher Wichtigkeit. Räume können in Haupt- und Nebenschauplätze16 unterteilt werden, in denen die komplexen Handlungsverläufe im Rahmen des Gesamtgeschehens stattfinden. Die unterschiedliche Gewichtung der Bedeutung von räumlichen Dimensionen für die eigene Person wird anhand der jeweiligen Syntheseprozesse konstruiert und kann als handlungsleitendes Motiv in das raumbezogene Verhalten einfließen. Diese Hierarchisierung von Bedeutungsebenen findet sich auch in ähnlicher Form innerhalb der architektonischen Gestaltung von Gebäuden wieder (Hervorhebung durch beispielsweise Überdimensionierung oder Betonung durch den Einsatz bestimmter materieller Stilmittel, die dabei gleichzeitig die Zugehörigkeit des Gebäudes zu einer Epoche kennzeichnen). Man denke hier an Schlösser oder andere herrschaftliche Gebäude vergangener Zeiten, aber auch an heutige bauliche Repräsentationen großer Wirtschaftsunternehmen oder gesellschaftlich bedeutender Institutionen, in denen der Ausgestaltung des Eingangsbereichs und damit dem für soziale Akteure zunächst relevanten Bereich der raumkonstruierenden Prozesse besondere Bedeutung zukommt. Interessante Forschungsperspektiven aus raumsoziologischer Sicht ergäben sich aus meiner Perspektive auch in Bezug auf die Raumorganisation und Repräsentationen räumlicher Dimensionen privater Haushalte, innerhalb derer Räume aufgrund der für sie zugedachten Bedeutung unterschiedlich für die Raumwahrnehmung durch andere vorbereitet und ausgestaltet werden (beispielsweise der vielerorts als ›gute Stube‹ bezeichnete Wohnraum oder die – möglichst vor fremden Blicken zu schützende – Rumpelkammer). In Goffmans Analysen zur Interaktion in öffentlichen Räumen (2009 [1963]) hingegen wird der Wahrnehmung des Anderen aus der Perspektive der eigenen raumkonstruierten Verhältnisse und somit der Tatsache von zwar physisch geteilten, aber von den Akteuren unterschiedlich konstruchen Dimensionen außerhalb der von ihnen als wichtig erachteten Bereiche des Hotels bei den beeinträchtigten Beschäftigten eher gering. 16 | Der Begriff des Schauplatzes wird auch von Goffman insbesondere im Zusammenhang mit Interaktionen im öffentlichen Raum verwendet, vgl. z.B. 2009 [1963], 1999 [1967].
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ierten Raumvorstellungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Goffman beschreibt zwar die Notwendigkeit der gemeinsamen Präsenz und der damit verbundenen geringen Distanz als Voraussetzung für die gegenseitige Wahrnehmung innerhalb eines Raums (vgl. ebd., 33) und konstatiert für den öffentlichen Raum anhand des Beispiels von Gast und Bedienung das Vorkommen »unterschiedlicher sozialer Wirklichkeiten am selben Ort« (ebd., 36).17 Zugleich stellt er aber für die gemeinsame Präsenz im Raum fest, dass »in unserer von Wänden durchzogenen westlichen Gesellschaft man im Allgemeinen davon ausgeht, dass diese Umstände gegeben sind innerhalb eines Raums und dass sie für alle Personen in diesem Raum gelten« (ebd., 33). Dem Raum in Goffmans Analysen wird insbesondere als »handlungsrahmende und handlungsbedingende Form« Aufmerksamkeit geschenkt. Goffmans diesbezügliche Darstellungen gehen dabei größtenteils – in Anlehnung an die absolutistischen Raumvorstellungen des Container-Behälters – davon aus, dass der vorhandene Raum für die sich in ihm befindenden Akteure eine gemeinsam geteilte Form der Wirklichkeit repräsentiert, die als gleichermaßen handlungsbeeinflussend aufgefasst wird. Goffmans Räume sind dabei als Schauplätze von Interaktionen zu verstehen, deren konkret materielle Ausgestaltung und Anordnung im Vordergrund der Betrachtung stehen. Er berücksichtigt weniger eine individuell vorgenommene raumwahrnehmende Konstruktionsleistung in ihrer Auswirkung auf Interaktionsprozesse. Auch in Goffmans Analysen zu den alltäglichen Selbstdarstellungspraktiken (2000 [1959]) aus der Perspektive des Theaters, in welchen er die Handlungsschauplätze als Bühnen tituliert, finden sich zahlreiche Hinweise, inwiefern bestimmte Orte Akteure dazu veranlassen, aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ein »ortsbestimmtes Verhalten« (ebd., 99) zu praktizieren. Anhand einiger Aspekte dieser theaterwissenschaftlich geprägten Betrachtung von alltäglichen Interaktionssituationen lassen sich auch Rückschlüsse auf die verschiedenen räumlichen Bedeutungsebenen im Rahmen der Hotelsituation ziehen.
17 | In Goffmans Beschreibung von »unterschiedlichen sozialen Wirklichkeiten am selben Ort« (2009, 36) sind meines Erachtens bereits theoretische Überlegungen zu den von Individuen unterschiedlich gebildeten Raumvorstellungen angelegt, deren Bedeutung für Interaktionsprozesse Goffman jedoch nicht weiter spezifiziert.
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Goffmans Analysen zur Bedeutung von natürlichen und sozialen Rahmungen für Interaktionsprozesse und die Organisation sozialer Praktiken (1980 [1974]) lieferten wichtige Impulse für diese Studie. Er unterteilt die Orte des Geschehens in »Vorder- und Hinterbühnen« (2000, 104ff). Die Vorderbühne, von Goffman metaphorisch als »Brennpunkt der Aufmerksamkeit« bezeichnet (ebd., 99), verlangt von Akteuren ein an vorhandenen Normen ausgerichtetes Verhalten, das immer auch unter der Beobachtung anderer anwesender Akteure, quasi dem Publikum, erfolgt: »Es ist anzunehmen, dass anständiges Benehmen zwar die Form des ausdrücklichen Respekts vor der Region und dem Bühnenbild, in dem man sich befindet, annehmen kann, dass aber dieser zur Schau gestellte Respekt natürlich von dem Wunsch motiviert sein kann, einen günstigen Eindruck auf das Publikum zu machen, oder Sanktionen zu verhindern usw.« (Ebd., 101)
Die Hinterbühne indes wird von Goffman als Region charakterisiert, in welcher die auf der Vorderbühne unter Umständen unterdrückten Verhaltensweisen und Befindlichkeiten ausgelebt werden können. Die Handlungen auf der Hinterbühne sind für das Publikum nicht sichtbar, der Raum wird von den ihn Aufsuchenden als privat empfunden und entsprechend angeeignet. Der Zutritt zu der Hinterbühne bleibt dabei nur einem kleinen Kreis von Personen, in Goffmans Ausführungen den Ensemblemitgliedern, und damit Personen, die sich zu einer bestimmten Gruppe als zugehörig empfinden, vorbehalten (vgl. ebd., 104). Das Prinzip der Unterscheidung und Hierarchisierung von Räumlichkeiten im Kontext der subjektiven Raumwahrnehmung anhand der Ortsangaben vorne bzw. vorderer Bereich und hinten bzw. hinterer Bereich wird von Goffman insbesondere mit Blick auf die hierarchische Arbeitsteilung aufgegriffen, in der »sozial tieferstehende Personen« ein Gebäude meist durch die Hintertür betreten, während andere Personen die Vordertür benutzen (dürfen) (vgl. 2000, 114).18 Diese Hierarchisierung von räumlicher Bedeutung konstatiert Goffman auch für die materielle Ausstattung:
18 | Vgl. dazu auch Haug 2009, der im Rahmen seiner Kritik der Warenästhetik ausführlich über den Seiteneingang reflektiert.
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»Sind die Werte einer bestimmten Gesellschaft bekannt, so wird offensichtlich, dass der Hinterbühnen-Charakter bestimmter Orte ihnen materiell inhärent ist, dass diese Orte im Verhältnis zu benachbarten Regionen unausweichlich Hinterbühne sind. In unserer Gesellschaft wird diese Entscheidung oft schon vom Innendekorateur vorausbestimmt. Der hintere Teil eines Gebäudes bleibt dunkel und unverputzt, die Vorderfront dagegen präsentiert sich in weißem Stuck.« (Ebd.)19
Hinsichtlich der Wahrnehmung von Personen im Rahmen dieser unterschiedlichen räumlichen Bedeutungsebenen stellt Goffman fest, dass meist nur Personen, »die einen guten Eindruck« machen, in vorderen Bereichen tätig sind (ebd.). Als geographisch markierte und lokalisierbare Räume sind Vorder- und Hinterbühne voneinander getrennt. »Sehr häufig liegt die Hinterbühne am Ende des Ortes, an dem die Vorstellung gegeben wird, und ist durch eine Zwischenwand und einen behüteten Zugangsweg von ihm getrennt. Liegen Vorderbühne und Hinterbühne so nahe beisammen, dann kann der Darsteller auf der Bühne Hilfe von der Hinterbühne bekommen, solange die Vorstellung im Gange ist, und kann seine Vorstellung gelegentlich durch Ruhepausen unterbrechen.« (Ebd., 105)
Im Hotel konnten anhand der erörterten hierarchischen Raumaufteilungen und -zuweisungen für das Gesamtgeschehen bedeutsame und weniger bedeutsame Räume identifiziert werden. Deren Bedeutungsebenen und die darin inhärente Auffassung von wichtig oder weniger wichtig hingen aber grundsätzlich vom Standpunkt des jeweiligen raumkons19 | Auch hinsichtlich der Wahrnehmung von Personen im Rahmen dieser unterschiedlichen räumlichen Bedeutungsebenen stellt Goffman fest, dass meist nur Personen, »die einen guten Eindruck« machen, in vorderen Bereichen tätig sind (vgl. 2000, 114). Hieran schließt sich meiner Ansicht nach die interessante Forschungsperspektive an, inwiefern diese räumliche Hierarchisierung in Bezug auf verkörperte Differenz oder auch Abweichung in Erscheinung tritt und mögliche Stigmatisierungstechniken produziert. Ein Beispiel wäre das bis in die 1960er Jahre praktizierte in die Ecke stellen von Schülern, die durch diese Raumzuweisung diskreditiert werden sollten, oder aber auch die unterschwellig platzierten Hinweise in manchen Stellenanzeigen, dass für eine bestimmte repräsentative Funktion eines Unternehmens oder einer Firma – beispielsweise für den Empfang – Menschen mit gutem Aussehen gesucht werden.
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truierenden Subjekts ab, so dass der von einer Mitarbeiterin als besonders wichtig erachtete räumliche Rahmen in der Wahrnehmung eines Kollegen durchaus eine untergeordnete Rolle einnehmen konnte. Die von Goffman beobachtete mitunter sehr starke Verhaltensänderung von Akteuren aufgrund ihres Aufenthalts auf einer Vor- oder Hinterbühne bzw. aufgrund des Aufenthalts vor Publikum oder im (geschützten) Beisammensein des Ensembles, die er auch im Rahmen von empirischen Studien in einem Hotel vorfand 20, konnte indes von mir in der Feldsituation nicht beobachtet werden. Zwar zeigten sich hinsichtlich des präsentierten Verhaltens im Bereich des Restaurants eine deutliche, situationsangepasste Höflichkeit im Gespräch mit den Gästen, die sich aber nicht von den Verhaltensweisen in den nur für die Angestellten vorgehaltenen Räumlichkeiten und den dort stattfindenden Gesprächen unterschied.21 Doch zurück zu den Überlegungen in Bezug auf die Wahrnehmung von Personen im Rahmen raumkonstruierender Prozesse: Sind die im Raum anwesenden Akteure immer auch als Teilelement der durch den Syntheseprozess vollzogenen Raumwahrnehmung zu begreifen und maßgeblich an dieser beteiligt, ist zu berücksichtigen, dass sich die jeweilige Wahrnehmung auf Akteure richtet, die sich aufgrund von bestimmten räumlichen Gegebenheiten (und deren normativen Wirkungen) in bestimmter Weise verhalten. Diese raumbedingten und durch den Raum beeinflussten Verhaltensweisen sind dabei sowohl für die raumwahrnehmenden als auch für die wahrgenommenen Akteure festzustellen. Wer20 | Die Ergebnisse und Annahmen dieser Beobachtungen sind Teil des Untersuchungsmaterials über eine Kleinpächtergemeinschaft auf einer der ShetlandInseln, die Goffman u.a. seiner Studie »Wir alle spielen Theater« (2000) [1959] zugrunde legt. Diesbezüglich stellte er eine auffällige ortsbedingte Verhaltensänderung des Personals des Shetland Hotels fest, das sich zwischen Gastraum (Vorderbühne) und der im hinteren Bereich befindlichen Küche (Hinterbühne) bewegt (vgl. ebd., 107ff). 21 | Hier sollte berücksichtigt werden, dass ich im Hotel in diesen HinterbühnenRäumen wahrscheinlich als beobachtendes Publikum wahrgenommen wurde, so dass durch meine Anwesenheit eine Verschiebung der Raumbedeutungen stattfand. Allerdings konnten auffällige Änderungen im Verhalten auch nicht bemerkt werden, nachdem ich durch die Dauer des Forschungsaufenthalts allmählich bekannt war und zunehmend als selbstverständlich Anwesende in den logistischen Räumlichkeiten und Aufenthaltsräumen für die Mitarbeitenden in Erscheinung trat.
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den Wahrnehmungsmuster festgestellt, sind diese stets Muster, die sich auf ein bestimmtes, in öffentlichen und halböffentlichen Situationen beobachtbares Verhalten beziehen sowie im Kontext der jeweils persönlich vollzogenen hierarchischen Gewichtung von Raumbedeutungen situiert sind. Somit bewegen sich Akteure in einem fortwährenden wechselseitigen Prozess, innerhalb dessen sie sowohl die Position von raumkonstituierenden (Element des Raums) als auch raumkonstruierenden Subjekten (raumwahrnehmende Person) einnehmen, deren Wahrnehmungen immer auch im Rückgriff auf das ortsbestimmte eigene Verhalten und das anderer Akteure erfolgt.
3.2 Platzierungstechniken von Objekten Es ist nicht verwunderlich, dass sich nahezu jeder zweite der untersuchten Gästebuchkommentare auf das Ambiente des Hotels bezieht und dieses als besonders, schön, traumhaft, wunderbar, einzigartig etc. bezeichnet, ist doch die lobende Erwähnung einer als besonders angenehm empfundenen räumlichen Ausstattung und Umgebung eine gängige Praxis für derlei Eintragungen.22 Für die forschungsrelevante Fokussierung der Wahrnehmungsmuster von verkörperter Differenz gilt es allerdings auch dieses Wohlfühlen in einer schönen Umgebung hinsichtlich seiner elementaren Bedeutung für die Raumwahrnehmungen zu betrachten.23 Der Begriff des Interieurs bezieht sich auf die Innenausstattung von Räumen und vermag besser als die in den Gästebüchern häufiger gebrauchte Bezeichnung Ambiente darauf hinzuweisen, worauf genau sich die analysierten Einträge beziehen, nämlich auf die erfahrbaren materiellen
22 | In diesem Zusammenhang stehen auch Eintragungen, die »das schöne Haus«, »tolle Zimmer« oder das »bis ins Detail wunderbar ausgestattete Haus« beschreiben. 23 | In den meisten Einträgen wird der Begriff Ambiente unmittelbar im Kontext von Atmosphäre, Stimmung oder Ausstrahlung genannt. Zu dieser begrifflichen Koppelung bzw. zu der Annahme, dass das Ambiente bzw. Teile der räumlichen Ausstattung als elementar für die Konstitution von räumlichen Atmosphären anzusehen sind und emotionale Empfindungen im Rahmen des raumkonstruierenden Prozesses hervorrufen vgl. auch Kapitel V.
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sozialen Güter (hier Gegenstände und Ausstattungsmaterialien) in den Innenräumen des Hotels.24 Die untersuchten Kommentare stellen demnach die Raumwahrnehmungen von materiellen Teilelementen der übergeordneten räumlichen Gesamtdimension Hotel dar. Hierbei gehe ich davon aus, dass sich die vorgefundene Verwendung des Ausdrucks Ambiente grundsätzlich auf diese abgrenzbare, an Orte gebundene Form räumlicher Repräsentation erstreckt und dabei insbesondere auf Innenräume bzw. das Rauminnere verweist.25 Aus der Gästeperspektive ist diese Bezeichnung genauso plausibel wie Interieur; zum einen, da es sich um einen geläufigen Begriff im Rahmen von Orts- und Raumbeschreibungen handelt, dessen Bekanntheit auch von der häufigen Verwendung in medialen Zusammenhängen herrührt,26 zum anderen, da Ambiente aufgrund seiner Wortherkunft eine räumliche Erfahrung im Zusammenhang mit dem Umhergehen,27 und damit mit der Raumwahrnehmung von mobilen Akteuren, deren Raumerschließung in der Bewegung durch den Raum erfolgt, beschreibt. Auch die hier untersuchten Wahrnehmungsmuster sind vor dem Hintergrund dieser Mobilität zu betrachten, da sich die Gäste meistens durch die verschiedenen Räume des Hotels bewegen und die Raumwahrnehmung in den meisten Fällen nicht aus einer statischen Position heraus erfolgt. Die 24 | Die folgenden Darstellungen beziehen sich auf die materiell abgegrenzten Innenräume des Hotels und dabei insbesondere auf die durch Funktionen abgrenzbaren Bereiche wie beispielsweise Eingangsbereich, Restaurant, Treppenhaus, Gästezimmer, Bar und Bibliothek. 25 | Auch in Bezug auf Außenräume bzw. auf entsprechende raumherstellende Konstruktionen im öffentlichen Bereich wie beispielsweise Plätze, Parks oder Straßen kann von Ambiente die Rede sein, wenngleich hier auch von Umgebung gesprochen wird. Auch diese Orte sind mit sozialen Gütern ausgestattet (Pflanzen, Bäume, Bänke, Laternen etc.). 26 | Der Begriff des Ambientes wird in vielerlei Formen von den gewerblichen Zweigen der Innenarchitektur, des Wohnraumdesigns und der Raumausstattung genutzt; Zeitschriften, TV-Spots und Möbelhausketten werben mit den Vorzügen eines schönen Ambientes, das durch den Kauf und damit durch die Platzierung von Gegenständen erreicht werden kann. 27 | Vgl. dazu Duden 2007: Ambiente »das Umgebende, Umwelt, Milieu«: Das im 20 Jh. aus gleichbed. it. ambiente entlehnte Wort geht zurück auf lat. ambiens, Genitiv ambientis, das 1. Partizip von ambire »herumgehen«.
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in den Hotelräumen vorhandenen sozialen Güter und Gegenstände, die als konstitutive Elemente in den Raumherstellungsprozessen der anwesenden Personen zu Raumwahrnehmungen verknüpft werden, sind als geplant platzierte Objekte des Spacings zu betrachten, deren jeweilige Platzierung und Anordnung im Raum auf bestimmte Funktionen zurückzuführen ist. Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf die im Beobachtungsprozess von mir als relevant für die raumkonstruierenden Prozesse erachteten Gegenstände wie beispielsweise Mobiliar, Tapeten, Teppiche, Lampen, Blumenschmuck und Pflanzen, Gemälde, Fotos, Tischdecken, Kerzenständer, Bücher, Speisekarten etc.28 Weitere Merkmale der Innenausstattung wie beispielsweise Musik und Gerüche, deren Wahrnehmung anhand anderer Sinneseindrücke erfolgt, werden hier zunächst nicht differenzierter betrachtet. Ihnen kommt jedoch im Rahmen der später folgenden Erörterung der räumlichen Atmosphären eine wichtige Rolle zu. Die sich im Raum befindenden Objekte und Gegenstände können zunächst in direkt funktionale und indirekt funktionale unterteilt werden. Mit direkt funktionalen Gütern in Innenräumen sind solche gemeint, deren Gebrauch und Nutzen unmittelbar mit einer – für diesen Raum normativ vorgesehenen – Tätigkeit verbunden sind. Beispielsweise benötigt man einen Tisch, an dem man essen kann, ebenso ein Bett, um darin zu schlafen, oder einen Wasserhahn, um sich die Hände zu waschen. Als indirekt funktional sind solche Güter und Gegenstände zu bezeichnen, deren Positionierung und Anordnung dem Raum zwar ein charakteristisches Bild verleihen, die aber keinen bestimmten Gebrauchswert für die sich dort ereignenden Handlungsverläufe haben, wie beispielsweise Pflanzen, Gemälde, Fotos, Kerzenständer etc. Diese im weitesten Sinne als Dekoration aufzufassenden Gegenstände sind indirekt funktional, weil sie als positionierte Güter die jeweiligen Raumkonstruktionsvorgänge beeinflussen. Ihr Nutzen ist insofern von rein ästhetischer Qualität, als dass der visuelle Konsum der platzierten Objekte bei möglichst vielen der Anwesenden zu 28 | In diesem Zusammenhang berücksichtigt worden sind neben den in den Feldprotokollen – insbesondere denjenigen aus der Raumorientierungsphase – vermerkten Gegenständen und Gütern auch solche, die von den Mitarbeitenden im Rahmen von Gesprächssituationen benannt wurden. In einigen Gesprächen mit beeinträchtigten Mitarbeiterinnen verwiesen diese wiederholt darauf, »dass es hier so schön ist« und nannten in diesem Zusammenhang bestimmte Gegenstände und Ausstattungsmaterialien.
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einer angenehmen (emotionalen) Befindlichkeit während des Aufenthalts führen soll.29 Diese Gegenstände sind größtenteils so angeordnet, dass sie die Aufmerksamkeit unmittelbar auf sich ziehen bzw. die Blicke der im Raum befindlichen Personen lenken. Diese Form der Positionierung kann besonders für die vielen im untersuchten Hotel vorhandenen großformatigen Gemälde konstatiert werden, die als konstitutive Bestandteile der raumkonstruierenden Prozesse eine wesentliche Rolle einnehmen. Neben den aufwändig gerahmten und mit einem Informationsschild versehenen Werken bedeutender zeitgenössischer Künstler befinden sich auch Werke – in der gleichen aufwändigen Darstellungsform – von Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung. Einige dieser Werke wurden von den beeinträchtigten Angestellten des Hotels im Rahmen eines Kunstprojektes erstellt. Auf den jeweiligen Informationsschildern an den Bildern ist jedoch nicht vermerkt, ob es sich um einen beeinträchtigten oder nicht beeinträchtigten Künstler handelt. Diese Information erhielt ich erst im Laufe des Forschungsaufenthaltes. Diese gemeinsame Präsentation von Kunstwerken zeigt zum einen die Wertschätzung der für das Spacing verantwortlichen Personen im Hinblick auf die künstlerischen Fähigkeiten beeinträchtigter Menschen, zum anderen aber auch die (machtvollen) Wirkungsweisen eines für Raumwahrnehmung vorbereiteten und mit bestimmten Intentionen verbundenen Spacings von Objekten: Im Rahmen des Syntheseprozesses, in dem die Kunstwerke zum Bestandteil des wahrgenommenen Raums werden, kann keine Unterscheidung getroffen werden, ob die Werke von behinderten oder nicht behinderten Künstlern stammen. Innerhalb des raumkonstruierenden Prozesses – zumindest im Rahmen der Rezeption der dargestellten Werke – löst sich damit das dichotome Wahrnehmungsmuster behindert vs. nicht behindert auf.
29 | Inwiefern diese ästhetische Ausstrahlung der positionierten indirekt funktionalen Güter auch tatsächlich von den raumkonstruierenden Akteuren als angenehm, schön, inspirierend etc. aufgenommen wird, hängt natürlich auch von deren individuellem Geschmack ab. Obwohl anhand des erhobenen Materials keine abschließenden Aussagen darüber getroffen werden konnten, ob und inwiefern einzelne Güter tatsächlich immer den individuellen Geschmack der Anwesenden treffen, liegt aufgrund der Befunde jedoch nahe, dass die angeordneten Güter, insbesondere die indirekt funktionalen, in ihrem Gesamtarrangement von allen Anwesenden als angenehm empfunden wurden.
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Sowohl direkt funktionale als auch indirekt funktionale Güter sind in der Lage, aufgrund ihrer jeweiligen Positionierungen im Raum etwas zu produzieren, was ich als Wiedererkennungseffekte bezeichne. So können die platzierten Gegenstände auch der räumlichen Orientierung dienen: Man erkennt beispielsweise den Flur, auf dem sich das eigene Gästezimmer befindet, anhand des dort platzierten Möbelstücks. Des Weiteren tragen sie dazu bei, dass Akteure sich an räumliche Gegebenheiten erinnern, auch wenn sie sich nicht in diesen aufhalten. Oftmals ist die Erinnerung an bestimmte Gegenstände ein wesentlicher Teil der erinnernden Raumkonstruktion. Die durch einen gleichen oder ähnlichen Gegenstand in einer anderen räumlichen Umgebung vollzogene Raumherstellung bezieht Erinnerungen mit ein, die zum Teil aus vergangenen Raumkonstruktionen herrühren, in welcher dieser Gegenstand ein konstitutives Element der Raumwahrnehmung darstellte. Die am Untersuchungsort vorgefundenen materiellen Raumkonstituenten können zudem als besonders hochwertig klassifiziert werden, da es sich um ein Hotel der gehobenen Kategorie handelt. Die Qualität und Beschaffenheit der dortigen Gegenstände, Produkte und Speisen sind von besonderer Güte. Damit einher geht auch eine entsprechende Erwartungshaltung30 der Gäste, eine hochwertige bzw. luxuriöse Ausstattung anzutreffen.31 Für das Interieur des Hotels kann festgestellt werden, dass es sich um Arrangements von Gegenständen handelt, die im Rahmen einer gemeinsamen Raumnutzung und der dadurch entstehenden Raumwahrnehmung von den Anwesenden für einen bestimmten Zeitraum geteilt erfahren werden. Die wahrgenommenen Güter sind zwar Teil der bezahlten und von den Gästen in Anspruch genommenen Dienstleistungen, werden aber nicht im Sinne eines Kaufs erworben, sondern in einer Art bezahlter Leihgabe von den Gästen genutzt und durch die sinnliche Wahrnehmung konsumiert. Als Ausnahme für diese im 30 | Vgl. dazu auch Seemüller 2008, 39, der in seiner ökotrophologischen Studie die Bewertungen von Mahlzeiten im Zusammenhang mit dem dargebotenen Ambiente untersucht und erörtert, wie sich Menschen aufgrund der äußeren Restaurantfassade bereits ein detailliertes Bild darübermachen, was sie im Inneren in Bezug auf Ausstattung, Speisen und Service erwartet. 31 | Die Klassifikation von Hotels in Deutschland und die dadurch signalisierte Güte der zu erwartenden Inneneinrichtungsgegenstände und Dienstleistungen wird durch die Vergabe von Sternen gekennzeichnet, die anhand von feststehenden Richtlinien vergeben werden. Das hier untersuchte Hotel hat vier Sterne.
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Rahmen der räumlichen Dimensionen geteilte Nutzung bzw. Erfahrung von sozialen Gütern können die Speisen angesehen werden, welche erworben und konsumiert werden – im weitesten Sinne werden sie also von den Akteuren durch die Einverleibung vom Aufenthaltsort mitgenommen. Die platzierten Güter und Gegenstände sind somit als räumlich und zeitlich begrenzte Waren aufzufassen, deren (ästhetische) Aneignung und (praktische) Benutzung zwar aufgrund einer Bezahlung durch die Gäste erfolgt, die von diesen aber im Rahmen der raumkonstruierenden Prozesse nicht als Erwerbsgüter aufgefasst, sondern als gemeinsam geteiltes und für alle im Raum anwesenden Personen gleichermaßen zur Verfügung stehendes Arrangement wahrgenommen werden. Hierin liegt aus meiner Sicht nach eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die jeweiligen raumkonstruierenden Prozesse, die sich insbesondere in den durch die Raumwahrnehmung generierten emotionalen Befindlichkeiten niederschlägt: Anders als beispielsweise in einem Kaufhaus oder Geschäft, in welchem man Gegenstände und Güter – möglicherweise unter Zeitdruck – erwerben möchte und dadurch eventuell in einer Konkurrenzsituation zu anderen potentiellen Käufern steht, die ebenfalls Interesse an besagten Gütern haben, entfallen diese Konsumzwänge32 im gemeinsam geteilten Aufenthaltsort Hotel. Sowohl Gästen als auch Mitarbeitenden ist bewusst, dass es sich bei den für die Raumbenutzung angeordneten Dingen um solche handelt, die am konkreten Ort verbleiben und nur für eine begrenzte zeitliche Dauer in Anspruch genommen und konsumiert werden können. Diese für die Anwesenden geltenden Konditionen in Bezug auf das Interieur und dessen Nutzung33 tragen meines Erachtens wesentlich zu der empfundenen Erlebnisqualität bei. Im untersuchten Fall manifestieren sie sich in den Aussagen von Gästen und Angestellten über den angenehmen Aufenthalt im Hotel. Für die Betrachtung 32 | Zu Warenästhetik und den durch die Werbebranche vermittelten Konsumzwängen sowie deren Folgen für die Erwerbssituation von Waren und Produkten vgl. Haug 2009. 33 | Diese gemeinsame Nutzungsmöglichkeit hat bestimmte Grenzen, so können beispielsweise im Restaurant nicht zwei Personen auf ein und demselben Stuhl sitzen. In dieser Hinsicht kann es auch im Rahmen der Hotelsituation zu Konkurrenz in Bezug auf die Aneignung und Benutzung des platzierten Interieurs kommen. Akteure reagieren auf diese Konkurrenzsituationen, indem sie beispielsweise einen bestimmten Tisch vorbestellen oder ein bestimmtes Zimmer reservieren lassen.
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von raumkonstruierenden Prozessen und Wahrnehmungsmustern von verkörperter Differenz, die in Form von konkreten Personen neben den sozialen Gütern und Gegenständen als Elemente des Spacings aufzufassen sind, ist die Wirkungsweise der platzierten Güter, des Interieurs, insofern von Bedeutung, als dass dessen Wahrnehmung, Benutzung und Aneignung wiederum auf die raumkonstruierenden Akteure zurückwirkt. Die Wahrnehmung der materiellen Dinglichkeit und ihrer spezifischen Bedeutungen in der konkreten räumlichen Umgebung ist dabei zugleich Teil des raumherstellenden Syntheseprozesses wie auch konstitutiv für die im Rahmen der Raumherstellung erfolgten Wahrnehmungsmuster von anderen Personen. Für das untersuchte Hotel ist festzustellen, dass die im Zuge der individuellen Raumkonstruktion im Hotelinneren wahrgenommene »wunderbare, geschmackvolle, schöne, inspirierende, atmosphärische etc.«34 Ausgestaltung und Einrichtung einen wesentlichen Einfluss auf eine positive emotionale Befindlichkeit der Akteure hat. Diese, folgt man der Argumentation Löws zu Spacing und Synthese, beeinflusst wiederum die Syntheseprozesse und damit die innerhalb des Raums generierten Wahrnehmungsmuster in Bezug auf die anwesenden Menschen mit einer Beeinträchtigung bzw. die Wahrnehmung von abweichender Körperlichkeit. Aufgrund der Analyseergebnisse kann eine Übertragung der durch die ausgesuchte Positionierung von Gegenständen und Gütern generierten positiven emotionalen Befindlichkeit auf die im wahrgenommenen Raum anwesenden Personen mit einer verkörperten Differenz angenommen werden. Auch wenn bislang in sozialwissenschaftlichen Forschungen der Einfluss von Gegenständen und materiellen Gütern auf die Wahrnehmung von in derselben räumlichen Umgebung anwesenden Personen erst langsam in den Fokus rückt und als forschungsrelevant erachtet wird, so kann den materiellen Objekten des Spacings für raumsoziologisch motivierte Analysevorhaben eine wichtige Bedeutung zugeschrieben werden.35 Auch 34 | Diese Angaben beziehen sich auf Originalzitate aus dem erhobenen Material. 35 | Es gibt im alltäglichen Leben und speziell für Wohn- und Arbeitssituationen vielerlei Hinweise darauf, dass das Arrangement von Gütern und die bewusste Platzierung von Gegenständen in Innenräumen zu einer positiven oder negativen Befindlichkeit beitragen können. Man denke hier beispielsweise an das Raumausstattungskonzept der in China gegründeten Lehre des Feng Shui, welches durch bestimmte Platzierung von materiellen Objekten die Befindlichkeit verbessern
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Löw konstatiert für den Fall der räumlichen Wahrnehmung, dass »diese meistens auf soziale Güter bzw. Lebewesen in ihrem Arrangement zielt« und dass der wahrgenommene Ort in der Raumkonstruktion unmittelbar an die dort platzierten Elemente gebunden ist (2001, 199). Hieran schließt sich auch die für die folgenden Betrachtungen der räumlichen Atmosphäre ausschlaggebende Vermutung Löws an, dass die als räumliche Atmosphäre bezeichnete unsichtbare aber wahrnehmbare Stofflichkeit eines Raums oder auch die Potentialität des Raums aus eben dieser »Wahrnehmung von Wechselwirkungen zwischen Menschen und/oder aus der Außenwirkung sozialer Güter im Arrangement« herrührt (vgl. ebd., 204f). Teilweise entsteht in neueren raumsoziologisch orientierten Studien und Publikationen der Eindruck, dass die Bedeutung der konkreten Materialität für die Wahrnehmung von Raum vernachlässigt wird. Meiner Ansicht nach sind forschungsrelevante Aussagen zu raumkonstruierenden Prozessen von Akteuren kaum möglich, wenn die konkret wahrnehmbaren raumkonstituierenden Elemente, die in Form von materiellen Gegenständen vorhanden sind, hinsichtlich ihrer Bedeutungsebenen, Symbol- und Aussagekraft nicht oder nur am Rande berücksichtigt werden.36 Das Thema der Materialität in und von Räumen in ihren verschiedenartigen Präsentationsformen muss für raumsoziologisch motivierte soll, sowie die (Werbe-)Botschaften von Einrichtungshäusern und Innendesignern, welche suggerieren, dass durch das Aufstellen und die Nutzung bestimmter Möbel und Gegenstände das Wohlbefinden gesteigert, die Arbeitskraft verbessert wird etc. Empirische Studien, inwiefern durch die Platzierung von Gütern und materiellen Objekten im Rahmen der raumkonstruierenden Prozesse auch ein möglicher Einfluss auf die Sichtweise auf andere Akteure erfolgt, sind bisher nicht existent, wohl aber Forschungen zur Bewertung von (materiellen) Produkten in Abhängigkeit zu dem sie umgebenden Ambiente. Seemüller (2008) bescheinigt in seiner ernährungswissenschaftlichen Dissertation dem räumlichen Ambiente einen großen Einfluss auf die Bewertungs- und Wahrnehmungsmuster von Speisen. 36 | Eine Ausnahme bilden hier raumkonstruierende Prozesse beispielsweise im Rahmen des Cyberspace, in denen materielle Objekte als raumkonstitutive Elemente nur sehr bedingt eine Rolle spielen, ebenso wie in rein gedanklich vorgenommenen Raumherstellungsprozessen, die sich beispielsweise in der Erinnerung oder während des Träumens vollziehen, wobei auch diese sich oftmals auf eine in der Vergangenheit liegende konkrete Raumerfahrung beziehen, in welcher materielle Objekte und Güter als konstitutive Elemente beteiligt waren.
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Fragestellungen nicht nur als ein wesentlicher Ausgangspunkt für Analyseschritte angesehen, sondern immer auch für die Betrachtung von raumkonstruierenden Prozessen durch Akteure mitberücksichtigt werden, gerade weil Menschen Räume völlig unterschiedlich wahrnehmen, selbst wenn es sich um denselben räumlich abgrenzbaren Ort mit ein und denselben dort platzierten Objekten und Gegenständen handelt.37 Auch wenn diese Praxis der gezielten Anordnung und Platzierung von Objekten und Gegenständen in (Innen-)Räumen mit dem Ziel, in bestimmter Weise auf Akteure einwirken zu können, mittlerweile ganze Berufszweige beschäftigt, gilt es weiterhin zu erkunden, inwiefern diese professionalisierte Platzierungspraxis auch einen Einfluss auf die Wahrnehmung von anderen Menschen in der geteilten räumlichen Erfahrung ausübt. Hinweise auf diesen (machtvollen) Zusammenhang der bewussten Platzierungspraxis materialisierter Formen und Objekte lassen sich in der noch relativ jungen Forschungsrichtung der Architektursoziologie finden.38 Die Architektursoziologie nimmt Bedeutungsebenen der baulich und materiell repräsentierten architektonischen Formen in Bezug auf deren Wirkungsweise auf vergesellschaftende Prozesse in den Blick und untersucht, wie die Architektur als eine sichtbare Ausformung und Repräsentation des Sozialen (vgl. Delitz 2009) auch beeinflusst, wie Menschen wahrgenommen werden. So sieht Castoriadis beispielsweise als grundlegendes Element für vergesellschaftende Prozesse die räumliche Gestaltgebung an, innerhalb derer Menschen und Dinge eingeteilt und klassifiziert wer37 | Insbesondere Sturm (2000) konstatiert eine enorme Wichtigkeit räumlicher Materialität und der entsprechenden materiellen Formen von platzierten Objekten für die analytische Annäherung an das Phänomen Raum. Die raumsynthetisierenden Subjekte stellen innerhalb eines konkreten Ortes der Raumerfahrung, der auch als Ausgangspunkt oder Standpunkt der Raumwahrnehmung aufgefasst werden kann, Räume unter stetem Rekurs auf ihre konkret erfahrbaren Kennzeichnungen und Ausstattungsmerkmale her und verknüpfen diese zu sowohl sozial konstruierten als auch materiell-dinglich repräsentierten Raumformen. Sturm kritisiert in diesen Zusammenhängen auch die zunehmende »Entmaterialisierung« des Raums insbesondere in methodologischen und methodischen Herangehensweisen an denselben (vgl. ebd., 9, 14ff, 27ff, 173ff). 38 | Für einen detaillierten Überblick auf die verschiedenen Denkrichtungen und Ansätze der Architektursoziologie vgl. Delitz 2009 und die Beiträge in Fischer/Delitz 2009.
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den können (vgl. Castoriadis 1984, zit.n. Delitz 2009, 93). Auch Deleuze und Guattari (1992) verweisen auf das Gefüge materieller Systeme, die in Form menschlicher, artifizieller, tierischer und pflanzlicher Körper in Erscheinung treten und anhand ihrer »spezifischen Materialströme« Affekte produzieren (zit.n. Delitz 2009, 95). Auch wenn in der vorliegenden Studie diesbezüglich keine vertiefte Betrachtung erfolgt, so finden sich meines Erachtens in den Perspektiven einer architektursoziologischen Raumauffassung bedenkenswerte Hinweise für zukünftige Forschungsfragen hinsichtlich der materiellen Anordnungspraxis und ihrer Beeinflussung der raumbedingten Sicht- und Wahrnehmungsweisen auf und von anderen Akteuren.
3.3 Aspekte einer bezahlten Raumerfahrung Eine weitere Rahmenbedingung von zentraler Bedeutung für die Betrachtung der Wahrnehmung von verkörperter Differenz hinsichtlich der raumkonstruierenden Prozesse im Forschungsort Hotel ist dem Umstand geschuldet, dass es sich bei einem Hotel immer auch um ein Unternehmen handelt, welches Dienstleistungen gegen Bezahlung offeriert. Hierbei ist das Dienstleistungsunternehmen daran interessiert, möglichst gewinnbringend zu wirtschaften, was letztlich für die Existenz des Hotels und seinen dargebotenen Standard zwingend ist und auch die Bezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließt. Im Folgenden wird daher versucht, aus raumsoziologischer Perspektive die möglichen Bedeutungen der bezahlten Dienstleistung vor Ort gezielter in den Blick zu nehmen und deren mögliche Einflüsse auf die raumkonstruierenden Prozesse der Anwesenden zu beleuchten. Da ein Hauptinteresse der vorliegenden Studie auf die Wahrnehmungsmuster von verkörperter Differenz in gemeinsam erlebten räumlichen Gefügen gerichtet ist, gilt es zunächst, das raumkonstituierende Element der Bezahlung in Bezug auf die Gäste und die Angestellten zu betrachten. Hierbei ist der Aspekt der Bezahlung für beide Gruppen gleichermaßen von Belang, aber erzeugt meiner Auffassung nach ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die jeweiligen Raumauffassungen und -aneignungen.39 Der Aufenthalt in 39 | Hier richtet sich der Blick nur auf eine bestimmte Gruppe der Akteure und deren Interaktionssituationen d.h. auf die im Rahmen der Feldforschungsphase beobachteten Kontakt- und Kommunikationssituationen von Gästen mit behin-
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einem Hotel ist für die Gäste grundsätzlich mit der Tatsache verbunden, dass sie für die Inanspruchnahme verschiedener Dienstleistungen entsprechend bezahlen.40 Diese Bezahlung ist zwar maßgebliche Voraussetzung für den Aufenthalt, geschieht aber weitestgehend unauffällig. Die Kosten des Hotelaufenthalts werden bei der Anreise oder bereits davor, spätestens jedoch bei der Abreise beglichen. Zumeist erfolgt dies mittels bargeldloser Zahlungsverfahren, lediglich im Restaurantbetrieb wird auch mit Scheinen und Münzen direkt bezahlt. In diesem Fall entscheiden Gäste auch, inwiefern sie ein so genanntes Trinkgeld geben, das die Serviceleistungen des Personals direkt honoriert und von diesem auch einbehalten wird.41 Die offenkundige und für die im selben Raum Anwesenden sichtbare Bezahlung im Restaurant steht im Gegensatz zu der eher diskreten und unauffälligen Bezahlung der Übernachtungen.42 Dies wird ebenfalls deutlich durch eine entsprechende Positionierung von Hinweisen: Während im Restaurantbereich die empfohlenen Tagesgerichte oder besondere Angebote auf Tafeln oder Hinweisschildern mit dem entsprechenden Preis offeriert werden, gibt es im unmittelbar angrenzenden Eingangsbereich des untersuchten Hotels keinerlei offenkundige Hinweise darauf, was eine Übernachtung je nach Komfort und Größe des gewählten Gastzimmers kostet. Diese Informationen sind auf Nachfrage erhältlich, also in der direkten Kommunikation mit dem Servicepersonal, oder aber derten und nicht behinderten Mitarbeitenden im Servicebereich. Mitarbeiterinnen der Hotelleitung sowie das Leitungspersonal des übergeordneten Konzerns wurden dabei nicht einbezogen. 40 | Ausnahmen können beispielsweise ein gewonnener Hotelaufenthalt sein oder aber ein Aufenthalt aus arbeitstechnischen Gründen, der durch den Arbeitgeber bezahlt wird. In diesen Fällen bezahlen die Gäste zwar nicht für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, sind aber gleichzeitig meist auch eingeschränkt, was die individuelle Auswahlmöglichkeit der angebotenen Arrangements betrifft. 41 | Zur historischen Entwicklung des Trinkgelds in der Gastronomie vom 14. Jahrhundert bis zur heutigen Zeit vgl. Durst 1993, 159ff; zur Bedeutung desselben für die Interaktionen zwischen Gästen und Servicepersonal die Darstellungen Girtlers in seiner umfangreichen Feldforschungsstudie zu Lebens- und Arbeitssituationen von Kellnerinnen und Kellnern (2008, 320ff.) 42 | Eine Bezahlung mit Bargeld ist zwar möglich, aber eher unüblich. Ein Grund hierfür könnte in der Höhe der Beträge liegen, die man in der Regel nicht als Bargeld mit sich führt.
IV. Vorausset zungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel
über die Internetpräsentation des Hotels. Preislisten für die Übernachtungen sowie Hinweise auf Sonderangebote und saisonale Arrangements finden sich ebenfalls in den Hotelprospekten, die sich auf den Zimmern befinden, nicht jedoch in den halböffentlichen Aufenthaltsbereichen und geteilten Räumlichkeiten der Gäste. Innerhalb des Hotels entstehen somit abgrenzbare Räume, denen gemein der Aufenthalt von Akteuren im Rahmen der Inanspruchnahme von bezahlten Dienstleistungen ist, die sich aber in der Form der jeweiligen Bezahlung deutlich unterscheiden. Die offenkundige Bezahlung ist im Restaurantbereich elementarer Teil der Raumkonstitution und in ihrer sinnlich wahrnehmbaren Komponente (das Klappern von Geldstücken, der sichtbare Bezahlvorgang der Gäste am Nebentisch, unter Umständen auch das Mithören von genannten Geldbeträgen beispielsweise bei der Trinkgeldvergabe) Teil des räumlichen Spacings sowie des raumkonstruierenden Syntheseprozesses. Da sich ein Großteil des erhobenen Datenmaterials auf teilnehmende Beobachtungen der Interaktionssituationen und Handlungsverläufe zwischen Gästen und behinderten und nicht behinderten Mitarbeitenden im Restaurantbereich bezieht, wird auch der Aspekt des offenkundigen Bezahlens innerhalb dieser räumlichen Dimension sowohl für die individuell konstruierten Raumwahrnehmungen der Akteure als auch für die in diesem Rahmen stattfindenden Beziehungsgestaltungen zwischen Gästen und dem Personal berücksichtigt. Diese sind nicht zuletzt ausschlaggebend für die raumbedingten Wahrnehmungsmuster der Gäste von verkörperter Differenz. Das Hotel wird zu einem Ort des bezahlten Aufenthalts, d.h. der Faktor der Bezahlung wird zur wesentlichen Bedingung der Anwesenheit. Die Möglichkeit von Akteuren, sich vor Ort aufzuhalten, ist an deren Vermögen geknüpft, die erforderliche Bezahlung leisten zu können. Die raumkonstruierenden Prozesse der Akteure und insbesondere der Gäste finden innerhalb des Bewusstseins statt, dass für den Aufenthalt eine finanzielle Gegenleistung erfolgt. Diese Reziprozität gleichsam eines an den Ort gebundenen Gebens und Nehmens gewährt dabei im Sinne eines Tauschvorgangs den Gästen den Zugang und die Nutzung räumlicher Arrangements und Gegebenheiten sowie deren konkrete Benutzung. Die Bezahlung dieser Raumnutzungen durch die Gäste ist wiederum elementar für die Anwesenheit des Personals, dessen Aufenthalt vor Ort auf der durch die Hotelleitung vorgenommenen Bezahlung beruht. Im Gegenzug für diese Bezahlung stellt das Personal Dienstleistungen zur Verfügung bzw. bereitet die räumlichen
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Arrangements für die Gäste auf. Die Anwesenheit der Akteure im Hotel ist somit an einen zumeist im Hintergrund ablaufenden Kreislauf der Bezahlung gebunden, der für Gäste und Mitarbeitende unterschiedliche Ausformungen hat. Hinsichtlich der Bezahlung als Zugangskriterium für Akteure kann ein Hotelbetrieb auch als »Themenort« charakterisiert werden, der auf verschiedene Arten produziert, aber auch konsumiert wird (vgl. Flitner/Lossau 2005, 17). Da es sich bei einem Aufenthalt in einem Hotel der gehobenen Klasse zumeist um die Konsumierung angenehmer Dinge handelt, kann das Hotel auch ein Ort der Freizeitgestaltung sein, der mit den gleichen Zugangsvoraussetzungen operiert wie beispielsweise ein Freizeitpark, ein Museum oder andere Orte, an denen gegen Bezahlung bestimmte räumliche und gegenständliche Arrangements angeboten werden. Flitner und Lossau charakterisieren diese Orte als »strategische Inszenierungen« (ebd., 7), die anhand gezielter thematischer Aufladungen in der Lage sind, Bedürfnisse nach Inhalt, Sinn und konsumierbarer Differenz befriedigen zu können (vgl. ebd., 8). Weiterhin weisen sie darauf hin, dass die Produktion von Themenorten und insbesondere deren materielle Durchsetzung immer auch mit Prozessen gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion einhergehen (vgl. ebd., 17). Für das untersuchte Hotel ist dieser Aspekt in mehrfacher Hinsicht interessant, da es in seiner Funktion als Themenort sowie aufgrund der Bezahlung als Zugangsvoraussetzung einem bestimmten, zahlungskräftigen Personenkreis vorbehalten ist und somit in seiner Funktionsweise auch Ausschlüsse produziert. Gleichzeitig aber fungiert es als integrativer Arbeitsort, der es beeinträchtigten Menschen, deren Benachteiligung insbesondere auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt evident ist, ermöglicht, eine bezahlte Tätigkeit im Gastgewerbe auszuführen.43 Gleichwohl kann angenommen werden, dass ein Teil der Gäste das Hotel aufsucht, um das integrative Projekt zu unterstützen und durch den Aufenthalt eine entsprechende Anerkennung dafür zu vermitteln.44 Im Hinblick auf die Bezahlung als ein Aufenthaltskriterium 43 | Es ist davon auszugehen, dass sich viele Menschen, die durch eine Beeinträchtigung eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten haben, einen Aufenthalt als zahlender Gast in einem Hotel der gehobenen Kategorie nicht leisten können. 44 | In Gesprächen mit der Leitungsebene wurde mir berichtet, dass Gruppen von beeinträchtigten Menschen oder behinderte Menschen mit ihren Angehörigen das Hotel bzw. das Restaurant und Café gerne aufsuchten. Dies wird von der Leitungsebene als sehr erfreulich und weiter wünschenswert empfunden, da man das Hotel
IV. Vorausset zungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel
kann festgestellt werden, dass das untersuchte Hotel gleichzeitig weniger finanzstarke Akteure ausschließt als auch als integrativer Arbeitsort beeinträchtigte Akteure und damit in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen benachteiligte Personen inkludiert.45 Für die Gäste resultiert aus dem Aspekt des bezahlten Aufenthalts immer auch die Erwartungshaltung, für den geleisteten Betrag entsprechende Räumlichkeiten und Dienstleistungen nutzen zu können. Gäste erwarten neben einer auf einem hohen Niveau präsentierten räumlichen Ausstattung vor allem angemessene Serviceleistungen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie von anderen Personen ausgeführt werden und damit Akteure davon entbinden, entsprechende Tätigkeiten selbst auszuführen, wie beispielsweise Aufräumen, Einkaufen und Zubereiten einer Mahlzeit, Abwaschen etc. Der bezahlte Aufenthalt in einem Hotel bezieht sich gleichermaßen auf die räumliche Umgebung und damit auf die Aspekte des raumformenden Spacings wie auch auf das – wiederum im Rahmen dieses Spacings – eingesetzte Personal. Der Gast wird in seiner ortsbezogenen Rolle bedient, was wiederum von anderen Akteuren in ihren jeweiligen ortsbezogenen Rollen und Funktionen ausgeführt wird. Das Bedientwerden stellt dabei die essentielle Form der Dienstleistung dar, insbesondere innerhalb des gastronomischen Sektors. Als Gast erwartet man nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Gegengabe, freundlich, höflich und kompetent bedient zu werden. Inwiefern die Erwartungshaltung der Gäste in Bezug auf die durch das Personal erbrachten Dienstleistungen von einem bereits vor dem Aufenthalt existenten Bewusstsein beeinflusst ist, dass dort auch beeinträchtigte Menschen arbeiten, die sich beispielsweise nicht ganz deutlich artikulieren können oder in ihren Bewegungen eingeschränkt sind, konnte anhand des erhobenen Materials nicht rekonstruiert werden. Anhand der Interaktionen zwischen Gästen und den beeinträchtigten Mitarbeitenden konnte jedoch beobachtet werden, dass kleine Missgeschicke im selbst als einen Ort sieht, in dem das Miteinander und der kommunikative Austausch von behinderten und nicht behinderten Menschen ermöglicht und gefördert wird. 45 | Diese parallel verlaufenden Funktionen von Orten, die sowohl inkludierende als auch exkludierende Strukturen produzieren bzw. durch konkrete räumliche Dimensionen repräsentieren, lassen sich auch auf andere Themenorte übertragen, die anhand bestimmter Zugangsvoraussetzungen die Anwesenheit für bestimmte Personenkreise ermöglichen und für andere Akteure ausschließen.
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Service, die sehr selten auftraten (beispielsweise Überlaufen des Kaffees beim Reichen der Tasse, Umkippen von Gläsern auf dem Tablett) zumeist höflich ignoriert wurden oder aber überschwängliche Feststellungen nach sich zogen, dass das kein Problem sei und nichts mache. Die beobachtete Toleranz in Bezug auf die Serviceleistungen kann allerdings auch als Unsicherheit im Umgang mit beeinträchtigten Menschen gewertet werden. Es stellt sich die Frage, ob die Reaktionsweisen andere gewesen wären, hätten nicht behinderte Personen im Service die genannten Missgeschicke verursacht. In diesem Kontext muss erwähnt werden, dass die beeinträchtigten Mitarbeitenden mit entsprechender Begleitung intensiv auf ihre Tätigkeiten vorbereitet werden. Zudem befinden sich die nicht beeinträchtigten Kolleginnen immer in unmittelbarer Nähe, um etwaige Hilfestellung leisten zu können. Der Anspruch der Hotelleitung, alle üblichen Leistungen einer gehobenen Gastronomie anzubieten, wurde mir gegenüber mehrfach geäußert. Unter anderem wurde angemerkt, dass man zwar ein sozial orientiertes Unternehmen sei, welches die Fähigkeiten des Einzelnen respektiere und unterstütze, man jedoch keine Abstriche hinsichtlich des durch die gehobene Kategorie des Hotels erwarteten Niveaus machen wolle. Dass die Rollen der Akteure als Bediente und Bedienende innerhalb der spezifischen Interaktionsstrukturen immer auch Machtverhältnisse und asymmetrische soziale Beziehungen generieren können, beschreibt Durst (1993) in ihren Studien zur Dienstleistungsarbeit im Gastgewerbe. Diesbezüglich kann auch für die vorliegende Untersuchung nicht ausgeschlossen werden, dass die raumbedingte Wahrnehmung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus einer Perspektive der Gäste erfolgt, der eine unterschwellige und implizit in den Bewusstseinsstrukturen angelegte hierarchisch geprägte Auffassung gegenüber den Bediensteten und im konkreten Fall auch Bediensteten mit einer wahrnehmbaren Beeinträchtigung zugrunde liegt.46 Da anhand des erhobenen Materials jedoch keine solchen Erscheinungsformen aufgezeigt werden konnten, kann diese Möglichkeit für die Betrachtung nicht explizit berücksichtigt werden. Dementsprechend gilt es, die konkret beobachtete wechselseitige Beziehungsgestaltung in ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung von Individuen im Kontext räumlicher Dimensionen näher in den Blick zu nehmen. 46 | Zum geringen sozialen Prestige gastronomischer Dienstleistungstätigkeiten insbesondere im Service und den daraus resultierenden Spannungen und Herausforderungen für die Situation der dort Tätigen vgl. Durst 1993, 281f.
IV. Vorausset zungen der Wahrnehmung von Raum und Differenz im Hotel
Für die aus dem Aufenthaltsort Hotel resultierende raumbedingt eingenommene Rolle des Gastes als zahlender Konsument können wiederum Rückschlüsse auf die raumkonstruierenden Prozesse und die mit diesen in Verbindung stehenden verbundenen Wahrnehmungsmuster getätigt werden. Für die von den Gästen vollzogenen räumlichen Herstellungsund Wahrnehmungsprozesse beispielsweise innerhalb des Restaurants, in welchem sich im Rahmen des Gesamtbetriebs die meisten Interaktionsprozesse und Kommunikationssituationen zwischen Mitarbeitenden und Gästen vollziehen, muss die Beziehungsgestaltung zwischen den nicht behinderten Gästen als zahlende Kunden und den beeinträchtigten Angestellten als ein im Syntheseprozess verankertes Element berücksichtigt werden. Die fortwährenden raumkonstruierenden Prozesse sind in dieser Hinsicht nicht als statisch, sondern als sich unablässig neuformierende, verändernde Ausgestaltungen einer Raumwahrnehmung aufzufassen, die stark von den stattfindenden Interaktionen beeinflusst sind. Hinweise auf diese Einflüsse lassen sich anhand der analysierten Gästebucheintragungen aufzeigen, die sich vielfach mit der vor Ort erlebten Interaktion befassen.47 Die in diesem Zusammenhang in den Blick genommenen Einträge zeugen allesamt von einer als besonders positiv empfundenen Kontaktsituation. Auch wenn nicht explizit in den Einträgen dargestellt, so kann an mehreren Stellen angenommen werden, dass sich die positive Erwähnung insbesondere auf die Kontaktsituationen mit den beeinträchtigten Mitarbeitenden bezieht. Eine Vermutung in diesem Zusammenhang ist, dass bei ausschließlich nicht behinderten Mitarbeitenden im Servicebereich zwar auch lobende Erwähnungen zu finden wären, nicht aber in der vorgefundenen Intensität. Das besondere Lob zufriedener Gäste für Serviceleistungen und Kontaktsituationen mit dem Personal ist zunächst als nicht ungewöhnlich für Gästebucheintragungen anzusehen 47 | In diesem Kontext wurden Formulierungen (Gästebucheintragungen Gruppierung I) analysiert wie beispielsweise »der besondere Dank an das besonders nette und freundliche Personal«, »das sehr zuvorkommende Personal«, die »sehr nette und zuvorkommende ›Belegschaft‹« (Kennzeichnung im Original), die »aufmerksame und professionelle Bedienung«, die als »tolle Leistung« vermerkt wird, das »mehr als freundliche Personal«, das »wirklich nette Personal«, das »zuvorkommende, freundliche und hilfsbereite Personal«, »die freundliche, sehr auskunftsfreudige Bedienung«, »sehr freundliches Personal« (Kennzeichnung im Original), um nur einige zu nennen.
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und kann sogar – sofern eine Zufriedenheit tatsächlich vorhanden ist – als gängige Formulierung für diese Formate der persönlichen Bekundung bezeichnet werden. Der anhand der Eintragungen feststellbare Überschuss der lobenden Äußerungen, die explizite und teilweise orthographisch sichtbar gekennzeichnete Betonung des Lobes der anwesenden Mitarbeitenden lassen im Hinblick auf die Kontaktsituationen insbesondere der nicht behinderten Gäste mit den beeinträchtigten Mitarbeitern die folgende Interpretation zu: Das durch die Gäste explizit und überschwänglich formulierte Lob der anwesenden Personen und ihrer Serviceleistungen kann als Zustimmung und Anerkennung des integrativ arbeitenden wirtschaftlichen Gesamtprojekts verstanden werden, gleichzeitig aber auch als Ausdruck der Verwunderung aufgefasst werden. Man ist erstaunt, auf welch hohem Niveau und mit welcher Perfektion die beeinträchtigten Beschäftigten ihre jeweiligen Aufgaben bewältigen. Infolgedessen können die sich überschüssig präsentierenden Lobeszuweisungen auch als Ausdrucksform subjektiver Schamgefühle angesehen werden, die aus der Annahme resultieren, dass beeinträchtigte Menschen diese Tätigkeiten aufgrund ihrer Behinderung eigentlich nicht oder nur unzureichend ausführen können. Das besondere Lob für das quasi besondere Personal fungiert möglicherweise als Ausdrucksform einer Entschuldigung für diese gewissermaßen negativen Vorannahmen und unterstreicht die Tatsache, dass man diese Leistung eigentlich nicht von beeinträchtigten Personen erwartet hätte. Mit ihren Gästebucheintragungen suchen die Akteure einen Ausgleich zwischen ihren immer auch von Unsicherheiten geprägten Erwartungshaltungen und der tatsächlich erfahrenen Situation herzustellen. Dieser kleine Einblick in die vorgenommenen interpretativen Analysen verdeutlicht abermals die Bedeutung der sich innerhalb der raumkonstruierenden Prozesse vollziehenden Kontaktsituationen zwischen behinderten und nicht behinderten Akteuren für den Konstruktionsprozess von Raum. Diese können in ihrem unmittelbaren Vollzug als konstitutives Element der Raumherstellung durch multiple Syntheseleistungen aufgefasst werden und verändern und bestimmen diesen (mit). Doch zurück zur Bezahlung als einer der Bedingungen für die raumkonstruierenden Prozesse der Akteure, die sich nicht zuletzt aufgrund der Tatsache der Bezahlung überhaupt erst vor Ort begegnen und miteinander in Kontakt treten. Versucht man die Wahrnehmungsmuster von nicht beeinträchtigten Menschen zu beschreiben, die sich auf die Wahr-
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nehmung von beeinträchtigten Menschen bzw. verkörperter Differenz in geteilten, wenngleich auch unterschiedlich konstruierten und angeeigneten Räumen bezieht, muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei um die Wahrnehmung von beeinträchtigten Menschen handelt, die sich aufgrund ihrer Position in bestimmter Weise verhalten und präsentieren.48 Insbesondere für in Dienstleistungsbereichen tätige Personen ist dabei zu bedenken, dass die Akteure aufgrund ihrer Platzierung in bestimmten räumlichen Kontexten eine darauf bezogene emotionale Befindlichkeit einnehmen und gegenüber den Kunden bzw. Gästen repräsentieren. Bezieht man dabei den Aspekt ein, dass sich die dienstleistenden Akteure aufgrund einer bezahlten Tätigkeit an Ort und Stelle aufhalten, sind ihre Verhaltensweisen im jeweiligen Wahrnehmungsraum auch diesbezüglich zu bewerten. Rastetter beschreibt, wie insbesondere im Dienstleistungsbereich eine effektive »Emotionsarbeit« erwartet wird: »Innerhalb der Dienstleistungsbeziehung wird eine spezifische Form von Arbeit geleistet, nämlich Emotionsarbeit (Herv. i. O.): Die Beschäftigte soll sich zum Zwecke der Aufgabenerfüllung ihrer Gefühle bewusst annehmen und sie betrieblichen Erfordernissen unterwerfen, z.B. unkontrollierte Launen unterdrücken, in bestimmten Situationen Hochstimmung entwickeln, in anderen sich hingegen zurücknehmen. Ziel ist die Erfüllung der Kriterien Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, die im Dienste der Profitsteigerung stehen und mit deren wachsender Bedeutung auch der Anteil an Emotionsarbeit innerhalb von Dienstleistungstätigkeiten steigt.« (Rastetter 2008, 11)
Rastetter untersucht in ihrer empirischen Studie die Emotionsarbeit von Akteuren im Rahmen eines Versicherungsunternehmens. Dabei bezieht sie sich auf die Studien der US-amerikanischen Soziologin Arlie Russell Hochschild (1979, 2006 [1983]), die als erste die Begriffe Emotionsarbeit bzw. Gefühlsarbeit in den sozialwissenschaftlichen Diskurs einbrachte. Im Wesentlichen konstatiert Hochschild der durch Arbeitgeber oder andere Instanzen angeordneten Emotionsarbeit negative Begleiterscheinungen und Auswirkungen für die Akteure, die durch diese Form der bezahlten Arbeit eine Entfremdung vom Selbst und ihren originären Gefühlslagen erfahren, was sich auch auf ihre Lebensumstände und so48 | Vgl. dazu auch Kapitel IV, 3 zu normierten Raumkonzeptionen innerhalb eines Hotels und ihren handlungsdeterminierenden Eigenschaften.
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ziale Beziehungsgestaltung niederschlägt (vgl. Hochschild 2006 [1983], Rastetter 2008, 15ff). Hochschilds Überlegungen, die das Thema insbesondere aus der interaktionstheoretischen Perspektive betrachten, gelten heute als Klassiker der Sozialforschung und beeinflussten die erst in den letzten Jahren beginnende Beschäftigung mit Emotionen im Rahmen soziologischer Fragestellungen maßgeblich. Rastetter sucht in ihrer Studie anhand von Kritikpunkten und offenen Fragen Hochschilds Konzept weiterzuentwickeln und zu spezifizieren (vgl. ebd., 21). Auffällig ist bei Hochschild die Vernachlässigung der Kategorie des Raums und der Bedeutung räumlicher Gegebenheiten für die vollzogene Emotionsarbeit, wenngleich auch in ihren Arbeiten immer wieder implizite Hinweise auf die Bedeutung von Örtlichkeiten zu entdecken sind. Auch bei Rastetter, deren Studie in ihrer Entstehungszeit bereits in den Zeitraum der Wiederbelebung und (Neu-)Berücksichtigung des Raums als relevante Kategorie in den Sozial- und Kulturwissenschaften fällt, wird Raum als elementare Bedingung und Voraussetzung für die Emotionsarbeit leistenden Akteure nur am Rande betrachtet. Die interaktions- und handlungstheoretische Perspektive von Rastetter beschreibt die Emotionsregulation und das Management der eigenen Subjektivitäts- und Identitätskonstruktionen von Emotionsarbeit leistenden Akteuren im Rahmen von Dienstleistungstätigkeiten. Sie untersucht die erbrachten emotionalen repräsentierten Befindlichkeiten aber nicht in einem – von mir als rahmengebende Ausgangsbedingung aufgefassten – Kontext der räumlichen Strukturen und Gegebenheiten, in welchem sich die repräsentierten Befindlichkeiten nicht zuletzt in Anlehnung an die konstruktiven Herstellungs- und Wahrnehmungsprozesse der Akteure von Raum ereignen und aufgrund dieser in sozialen Aktionen und Handlungsverläufen eingenommen werden. Der Raum in der Form lokalisierbarer Orte wird von Rastetter bei der Betrachtung von Emotionsarbeit an verschiedenen Arbeitsorten bzw. Arbeitsplätzen berücksichtigt, bezieht sich dabei aber auf die emotionale Arbeit im Hinblick auf organisatorische und betriebliche Erfordernisse und die Frage, inwiefern unterschiedliche Arbeitsplätze unterschiedliche Gefühlsregeln sowie die Einhaltung und Anwendung dieser generieren (vgl. ebd., 52). Inwiefern räumliche Dimensionen und Gegebenheiten bzw. deren individuell vollzogene konstruktive Aneignung und Vorstellung die geleistete Emotionsarbeit beeinflussen und in diesem Zusammenhang neben den institutionellen und organisatorischen Normen als konstituierendes Element fungieren, bleibt unbe-
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rücksichtigt. Emotionsarbeit und damit die aktiv vollzogene Annahme und Veränderung von originären Befindlichkeiten im Rahmen von dienstleistungsbezogenen Tätigkeiten bedarf meiner Ansicht nach des Einbezugs der jeweils gegebenen räumlichen Dimensionen, da diese selbst durch die jeweilige Konstruktionsleistung Emotionen in Individuen hervorrufen bzw. bereits vorhandene verändern. So muss neben der Feststellung, dass Raumwahrnehmungsprozesse als elementar für die vollzogene Emotionsarbeit anzusehen sind, auch differenziert werden, inwiefern die emotionale Arbeit an Gefühlen in Dienstleistungsbereichen solche betrifft, die im Kontext der räumlichen Wahrnehmung generiert werden – und unter Umständen durch betriebliche und institutionelle Erfordernisse einer Änderung bedürfen.49 Der Blick der anwesenden Gäste auf Personen mit einer verkörperten Differenz ist somit auch der Blick auf Personen, deren repräsentierte emotionale Befindlichkeit unter Umständen nicht ihre originären Gefühlslagen widerspiegelt. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung der im Raum agierenden beeinträchtigten Akteure auch die Wahrnehmung von Personen, die sich den Gästen aufgrund des örtlichen Rahmens durch entsprechende Emotionsarbeit präsentieren.50 Deutlich zeigt sich an diesen ersten 49 | Treffende Beispiele für die Bedeutung räumlicher Dimensionen in Bezug auf die emotionale Arbeit in Dienstleistungsbereichen liefert die Schilderung Goffmans von den repräsentierten Verhaltensweisen der Bediensteten im ShetlandHotel, deren Verhalten und emotionaler Ausdruck je nach Aufenthaltsort variierte. Dass diese emotionale Arbeit dabei sehr schnell von den Akteuren vollzogen werden kann, wird unter anderem am Beispiel eines Kellners aufgezeigt, der aus der Küche heraus in den Gastraum tritt (vgl. Goffman 2000 [1959], 112f). 50 | Inwiefern das von mir beobachtete Verhalten der beeinträchtigten Mitarbeitenden in Kontaktsituationen mit den Gästen immer auch tatsächlich als Resultat einer aktiven Emotionsarbeit aufgrund der räumlich-normativen Anforderungen gewertet werden kann, kann nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Es ist durchaus möglich, dass die den Gästen entgegengebrachte emotionale Befindlichkeit aus den originären Gefühlslagen der Personen entspringt und nicht vorsätzlich eingenommen wurde. Dies ist selbstverständlich auch für die nicht beeinträchtigten Angestellten anzunehmen. Die beeinträchtigten Mitarbeitenden zeigten mir gegenüber in Kontaktsituationen und Gesprächen unterschiedliche emotionale Befindlichkeiten, die in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen Aufenthaltsort bzw. -raum standen. Als Beispiel ist hier die Kontaktsituation mit einem jungen beein-
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Überlegungen zu der emotionalen Arbeit der Akteure am Forschungsort, nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für die Gäste, die im Rahmen ihrer Rolle ebenfalls um ein bestimmtes Verhalten bemüht sind, dass die gegenseitige Wahrnehmung in geteilten bzw. gemeinsam erlebten räumlichen Dimensionen und Zusammenhängen sowie Gefühlen und ihrer Präsenz in den individuellen Raumkonstruktionen eine bedeutende Rolle zukommt. Der Frage, inwiefern das komplexe Ineinandergreifen von Raum und innerhalb der Raumkonstruktion generierten Befindlichkeiten sich wiederum auf die Wahrnehmung von differenter Körperlichkeit und Behinderung auswirkt und diese beeinflusst und welche Rolle die raumkonstituierenden Faktoren von Spacing und Synthese in diesem Zusammenhang einnehmen, wird im nächsten Kapitel erörtert. Es widmet sich der Bedeutung von räumlicher Atmosphäre für diese Prozesse.
trächtigten Mann zu nennen, der mich im Rahmen der Restaurantsituation freundlich, höflich und zuvorkommend wie die anderen Gäste auch behandelte, aber bei einem Gespräch im Aufenthalts- und Essensraum der Mitarbeitenden eher irritiert auf meine Anwesenheit reagierte, was möglicherweise auch darauf zurückzuführen ist, dass ich in diesem Raum eine offensichtlich andere Rolle als die des Gastes einnahm.
V. Raumatmosphäre am Forschungsort »Wir nehmen also mit anderen Worten eine Atmosphäre nicht wahr, sondern wir nehmen gemäß einer Atmosphäre wahr.« (J ean -Paul Thibaud, 2003) Eine bemerkenswerte Atmosphäre die ich noch nirgends in der Welt (und ich war an vielen Orten in vielen Ländern) angetroffen habe! Vielen Dank für den gemütlichen Aufenthalt (Gästebucheintragungen, Gruppierung III)
1. D ie B edeutung von A tmosphäre im K onte x t r äumlicher W ahrnehmung Betrachtet man das erhobene Datenmaterial in Bezug auf die Wahrnehmung des untersuchten Hotels als Ort, so zeigt sich vielfach eine Bezugnahme auf die dort vorherrschende bzw. sich in der individuellen Raumkonstruktion entfaltende Atmosphäre.1 Diesen von Gästen und Mitarbeitenden wahrgenommenen Atmosphären soll im Folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Meines Erachtens sind sie als ausschlaggebendes Element für die Entstehung von emotionalen Befindlichkeiten im Rahmen raumkonstruierender Prozesse anzusehen. In 1 | Der Begriff Atmosphäre wurde in den erhobenen Daten häufig nicht näher spezifiziert verwendet, wie »die Atmosphäre« oder »diese Atmosphäre«, aber auch sprachlich attributiv verstärkt, wie beispielsweise »eine wohltuende Atmosphäre«, »eine bemerkenswerte Atmosphäre«, »eine angenehme Atmosphäre«, eine harmonische und liebevolle Atmosphäre«, »eine solch schöne Atmosphäre«, »eine tolle Atmosphäre«, »die wunderbare Atmosphäre«, »die einmalige Atmosphäre«, »die gemütliche Atmosphäre«, »eine freundliche, warmherzige Atmosphäre«, um hier nur einige Formulierungen zu nennen.
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diesem Zusammenhang sind sie insbesondere für die forschungsleitende Fragestellung, inwiefern die Wahrnehmung von verkörperter Differenz im Kontext individueller Raumherstellung und -aneignung erfolgt und gegebenenfalls durch diese beeinflusst wird, von Bedeutung. Wie aber lassen sich diese individuell wahrgenommenen räumlichen Atmosphären differenziert beschreiben und im Kontext eines relationalen Raummodells verorten? Dieser Frage voraus geht die Annahme, dass räumliche Atmosphären und ihre jeweiligen Entstehungen innerhalb von Spacing und Synthese verortet sind, bzw. dass sie im Rahmen dieser für die Raumkonstruktion und Raumwahrnehmung bedeutsamen Prozesse entstehen und als Ausgangsbasis für die innerhalb eines Raums wahrgenommenen, entstehenden oder veränderten Emotionen fungieren. Somit ist die jeweils individuelle Wahrnehmung räumlicher Atmosphären konstitutiver Bestandteil von raumkonstruktiven Herstellungsprozessen, zugleich aber auch ein die räumliche Wahrnehmung stetig veränderndes und beeinflussendes Element. Der Einfluss dieser individuell empfundenen räumlichen Atmosphären ist meiner Ansicht nach dabei stets dynamisch und prozessual aufzufassen, was gleichermaßen für die durch die Atmosphären generierten Gefühle und Befindlichkeiten gilt. Für die Beschreibung räumlicher Atmosphären als dynamische Bestandteile der raumkonstruktiven Herstellung und ihres Vermögens, Gefühle hervorzurufen und/oder zu verändern, bedarf es zunächst einer differenzierten Betrachtung, an welchen Stellen einer relationalen Raumauffassung die entstehenden Atmosphären verortet sind. Die im Raum wahrgenommenen Atmosphären können als Form eines abstrakten und nicht zwangsweise an materielle Manifestationen gebundenen Raumerlebens oder Raumempfindens aufgefasst werden, das sich im Rahmen der raumkonstruierenden Syntheseleistung vollzieht. Räumlichen Atmosphären und ihren spezifischen Wirkungsweisen wird bisher im (raum-)soziologischen Diskurs wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was meiner Auffassung nach auch daher rührt, dass ihre Wirkungsweisen, bei welchen es sich immer um individuell wahrgenommene Empfindungen handelt, äußerst schwierig in theoretische Konzeptionen und Diskurse einzubinden sind. Der Begriff Atmosphäre wird in der alltagssprachlichen Kommunikation insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in bestimmten Räumen und an bestimmten Plätzen gebraucht. Jeder kennt das Phänomen, dass Räume sich positiv oder negativ auf die eigene emotionale Be-
V. Raumatmosphäre am Forschungsor t
findlichkeit auswirken können. Der Beschreibbarkeit der durch den Raum erzeugten Empfindungen scheinen jedoch enge Grenzen gesetzt zu sein. Entsprechend rar sind wissenschaftliche Befunde und Auseinandersetzungen in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich der komplexen Verknüpfung von Raum und durch den Raum generierten Emotionen widmen. Löw beschreibt räumliche Atmosphären als eine dem Raum eigene Potentialität, die sich aus der Verbindung der Außenwirkung der platzierten sozialen Güter und Menschen mit der Wahrnehmungsfähigkeit der synthetisierenden und damit raumkonstruierenden Akteure entwickelt und in der Lage ist, die Gefühle der raumkonstruierenden Subjekte zu verändern (vgl. 2001, 204). Inwiefern diese durch räumliche Atmosphären generierten bzw. veränderten Gefühle wiederum einen Einfluss auf den Gesamtprozess räumlicher Wahrnehmung ausüben oder aber sich im Rahmen dieses Prozesses auf die Sichtweisen der platzierten Güter und Menschen auswirken, legt sie nicht dar. »Die Außenwirkung sozialer Güter und Menschen [innerhalb der raumkonstruierenden Prozesse, Anm. d. A.] bleiben nicht einfach als verschiedene Wirkungen nebeneinander bestehen, sondern entwickeln im gemeinsamen Arrangement eine eigene Potentialität. In der Zusammenschau verschiedener Außenwirkungen entstehen, so möchte ich zuspitzen, spezifische Atmosphären, die dann aber, was für Wahrnehmungsprozesse allgemein gilt, aktiv aufgegriffen werden müssen.« (Ebd., 204f)
Ebenfalls konstatiert Löw den entstehenden Atmosphären eine enge Bindung an materielle Sachverhalte, die wiederum insbesondere an konkreten Orten präsent sind (vgl. ebd., 205). Folgt man der Argumentationslinie Löws, die sich auf den Raum als ein sozialkonstruktivistisches, relationales Phänomen bezieht, so wird deutlich, dass Räume und insbesondere konkret lokalisierbare und abgrenzbare Räume in Form bestimmter Orte in ihrem spezifischen Arrangement aus dort platzierten Gütern und anwesenden Menschen eine eigenständige und aufgrund ihrer Dinglichkeit vorhandene Aura oder Ausstrahlungskraft innehaben. Löw fasst diese Atmosphären als räumliche Potentialitäten auf, was meines Erachtens begrifflich unterstreicht, dass Räume zwar Kraft des ihnen durch ein Spacing gegebenen Arrangements sozialer Güter und Menschen Atmosphären besitzen, diese jedoch nur wirksam werden, wenn sie durch eine entsprechende Wahrnehmung realisiert werden. Atmosphären können
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als Träger der den Raum betreffenden Informationen angesehen werden, die ohne die räumlichen Konstruktionsprozesse zunächst als gewissermaßen neutral erscheinen. Im Rahmen von Raumherstellungsprozessen und Raumaneignungsversuchen verdichten sie sich jedoch innerhalb der Wahrnehmung des synthetisierenden Subjekts zu einer gehaltvollen und spezifischen Information. Diese im Rahmen der Wahrnehmung von räumlichen Atmosphären aufgenommenen Informationsgehalte sind in der Lage Gefühle hervorzurufen, Stimmungslagen zu verändern und Befindlichkeiten zu beeinflussen. Mit dieser Ansicht vertrete ich die These, dass räumliche Atmosphären bzw. die innerhalb des individuellen Raumherstellungsprozesses wahrgenommenen Atmosphären als Ort oder Ausgangsbasis für Emotionen fungieren, die Menschen spüren und erfahren, wenn sie sich in einem Raum befinden. Diese These impliziert gleichzeitig die Frage, inwiefern Menschen sich gegen die Wahrnehmung einer räumlichen Atmosphäre entscheiden bzw. sich bewusst ihrer Wirkungsweise entziehen können, oder ob sie Kraft ihres irdischen Daseins als wahrnehmende Subjekte grundsätzlich im Rahmen ihrer Raumwahrnehmung die inhärenten Atmosphären verspüren. Das Abwehren einer verspürten Raumatmosphäre bzw. der von ihr erzeugten Gefühle ist ein weiteres Indiz für die geleistete Emotionsarbeit, deren Auftreten ich in engem Zusammenhang mit den gegebenen räumlichen Dimensionen sehe. Für das untersuchte Hotel zeigen die systematische Reflexion des empirischen Prozesses und die anhand des Datenmaterials generierten Befunde deutlich, inwiefern die innerhalb der Raumkonstruktion und durch die räumlichen Atmosphären verspürten und hervorgerufenen Emotionen die Sichtweise auf Menschen mit einer wahrnehmbaren körperlichen Differenz beeinflussen. Aufgrund der vorliegenden Materialauswertung ist anzunehmen, dass die durch den atmosphärischen Raum transportierten Informationen respektive generierten emotionalen Befindlichkeiten dazu beitragen, dass Akteure verkörperte Differenz in unmittelbarem Kontext mit der wahrgenommenen räumlichen Umgebung konstruieren und bewerten. Im Folgenden gilt es daher, die innerhalb der raumkonstruierenden Prozesse entstehenden Atmosphären und ihre möglichen Wirkungsweisen differenzierter zu betrachten.
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1.1 Anschlüsse an eine soziologische Perspektive auf räumliche Atmosphäre Dass Räume über atmosphärische Wirkungen verfügen und Akteure diese in vielfältiger Weise wahrnehmen und verspüren können, wird im Alltag immer wieder thematisiert. Böhme spricht in diesem Zusammenhang auch von der »Zugehörigkeit atmosphärischer Erfahrung zum alltäglichen Lebensgefühl« (2006, 32). Akteure sind permanent »Atmosphären ausgesetzt, und dieses Ausgesetztsein enthält nicht nur Bedrohung, sondern auch Verheißung. Auf der anderen Seite stellen wir Atmosphären selbst her. Von Seiten der Herstellung von Atmosphären wissen wir in der Tat viel mehr über sie als durch ihre Erfahrung.« (Ebd., 26) Wenngleich räumliche Atmosphären also als ein fester Bestandteil der alltäglichen Wahrnehmung zu konstatieren sind und somit auch als ein Element vielfältiger sozialer Prozesse und Handlungssituationen auf der gesellschaftlichen Ebene, werden sie aus einer soziologischen Perspektive kaum näher betrachtet. Man bestätigt zwar ihr Vorhandensein und ihre Wirkmächtigkeit auf die sie erlebenden Akteure, jedoch bleiben Aussagen über diese Wirksamkeit bzw. über die Ergebnisse raumatmosphärischer Wirkungen vage und unbestimmt. Das Interesse am Phänomen der räumlichen Atmosphären ist dennoch enorm. Dies bezeugen insbesondere die jüngeren Publikationen im Bereich der Kulturtheorie, wie beispielsweise die Arbeit Böhmes (2006) zu Architektur und Atmosphäre (2006), die medien- und designwissenschaftlich ausgerichteten Hypothesen zum Prozess der räumlichen Wahrnehmung von Blum (2010), der interdisziplinäre Sammelband von Goetz und Graupner (2007) sowie die Publikation von Rodatz (2010) zur atmosphärischen Wahrnehmung in und außerhalb von Theaterräumen. In all den genannten Beispielen geht es um den Versuch, sich dem schwer zu präzisierenden Begriff der Atmosphäre zu nähern, ihr allgegenwärtiges Vorhandensein in den unterschiedlichsten Lebensbereichen aufzuzeigen, Atmosphäre und ihre Verknüpfung mit räumlichen Gegebenheiten zu erörtern und der menschlichen Faszination an Atmosphären nachzuspüren. Den Publikationen gemein ist dabei ein teilweise unkonventionell anmutender, pragmatisch orientierter Umgang mit dem Phänomen der Atmosphäre innerhalb der alltäglichen Erfahrung, der aus einer disziplinübergreifenden, multiperspektivischen Sichtweise erfolgt und meiner Einschätzung nach gerade durch diesen Umstand eine sehr dichte, alltagsweltliche und span-
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nende Beschreibung des komplexen Phänomens ermöglicht. Doch soll es im Folgenden nicht darum gehen, das Faszinosum der wahrnehmbaren Atmosphären erneut aufzurollen und darzulegen. Dies ist bereits in vielfältiger Hinsicht und äußerst gründlich, insbesondere aus einer philosophischen Perspektive geschehen.2 Vielmehr geht es darum, vor dem Hintergrund eines sozialwissenschaftlichen Interesses die am Forschungsort erhobenen Befunde des atmosphärischen Befindens und Spürens im Hinblick auf die Wahrnehmung von verkörperter Differenz anzudenken und hierbei die räumlich erfahrene Atmosphäre als Einflussfaktor einzubeziehen. Inwieweit räumliche Atmosphäre als ein entscheidender Faktor innerhalb der konstruktiven Herstellung und Aneignung von Raum zu berücksichtigen ist und zu welchen Folgen für soziale Prozesse sie führt, ist bislang nicht ausführlich bearbeitet worden. Löw bestätigt in ihren Ausführungen die marginale Stellung der räumlichen Atmosphäre innerhalb des bisherigen raumsoziologischen Diskurses (vgl. 2001, 205). In diesem Zusammenhang präzisiert sie die für eine raumsoziologische Perspektive relevanten Positionen bzw. Überlegungen zu räumlichen Atmosphären, insbesondere von Luhmann, der die Atmosphäre auch als »Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit des Raums« benennt und davon ausgeht, dass Dinge im Raum Atmosphäre entstehen lassen. »Bezogen auf die Einzeldinge, die die Raumstellen besetzen, ist Atmosphäre jeweils das, was sie nicht sind, nämlich die andere Seite ihrer Form; also auch das, was mitverschwinden würde, wenn sie verschwänden.« (1997, 181) Sowohl Löw als auch Luhmann beziehen sich auf die philosophischen Überlegungen Böhmes zum Begriff der Atmosphäre, der diese als »die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen« bezeichnet (1995, 34), merken aber an, dass die Überlegungen Böhmes »dem Atmosphärischen nicht gerecht werden kann« (Luhmann 1997, 181) bzw. dass seine Überlegungen die eigene Qualität von Atmosphären,
2 | Als richtungsweisende, in der Philosophie verortete Werke für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Atmosphären sind vor allem Böhme (1995), Hauskeller (1995), Tellenbach (1968) und Schmitz (2009, 1981) zu nennen, die ein jeweils komplexes Begriffssystem für die Betrachtung von Atmosphären entwickeln. Unterschiede und Differenzen insbesondere in der Auffassung von Böhme und Schmitz werden u.a. von Henckmann (2007) erörtert und auch in Form eines kurzen Abrisses bei Löw (2001, 206f).
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die immer an die Konstitution von Räumen gebunden ist, nicht systematisch berücksichtigt (vgl. Löw 2001, 207). Letztlich bleibt also die »schwierige empirische Handhabbarkeit« von Atmosphären als nicht materielle »Halbdinge« bestehen (Katzig 2007, 167). Katzigs humangeographischer Ansatz schlägt vor, Atmosphären in Anlehnung an den französischen Soziologen Jean-Paul Thibaud als Medium in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt zu begreifen. Dessen Argumentation zufolge sind Atmosphären weniger Gegenstand der Wahrnehmung als eine Rahmenbedingung für diese (vgl. ebd., 169). Hierin sieht Katzig eine Möglichkeit, sich Atmosphären mit Blick auf ihre pragmatischen Bedeutungen zu nähern und ihre Auswirkungen auf Handlungsweisen zu untersuchen: »Als Medium oder Vermittelnde beeinflussen sie die Art und Weise, wie die Welt und das Subjekt sich in wechselseitiger Beziehung aufeinander herausbilden.« (Ebd., 170) Es drängt sich die Vermutung auf, dass die soziologische Forschung und ihr Methodeninventar dabei an Grenzen stoßen, was die Beschreibung und den Versuch betrifft, räumliche Atmosphären als eine Erlebnisqualität zu konkretisieren.3 Die Frage, die sich stellt, ist, wie räumliche Atmosphären empirisch erfasst und plausibel dargelegt werden können, insbesondere wenn es sich nicht nur um die erlebten räumlichen Atmosphären der Forschenden, sondern gerade um solche handelt, die unter Umständen als mitwirkende Faktoren für die untersuchten Handlungsverläufe und sozialen Phänomene relevant sind, also auch die atmosphärischen Erlebnisse und Befunde anderer Akteure mit einschließen.4 Stößt man in sozialwissenschaftlich-qualitativ orientierten Forschungsarbeiten auf das Vorhan3 | Thibaud entwickelte das qualitative Experiment der »parcours commentés«, eine Erhebungs- und Auswertungsmethode für in öffentlichen Räumen empfundene und identifizierte Atmosphären. Dies ist bislang das einzige mir bekannte Untersuchungsinstrument für einen qualitativ-empirischen Zugang zu Atmosphären (vgl. Thibaud 2001, 79ff). 4 | Zum Problem der Darstellung eigener und fremder atmosphärischer Wahrnehmungen innerhalb von Feldforschungssituationen vgl. auch Rauh 2007. Seine kunstpädagogisch geprägten Überlegungen widmen sich unter anderem der Frage, wie eine Atmosphärenbeschreibung gelingen kann, die zwischen der eigenen atmosphärischen Wahrnehmung und den von Konversationspartnern bzw. Lesern nachempfundenen Eindrücken und erinnerten atmosphärischen Erfahrungen eine Verbindung herzustellen versucht (ebd., 138f).
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densein von Atmosphären, so werden diese zwar als existent bescheinigt, Aussagen und Hypothesen hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen und Bedeutungen aber oftmals nur vage formuliert, fast so, als scheue man sich, Atmosphären als ursächliche Faktoren für soziale Sachverhalte in Betracht zu ziehen.5 Einen Erklärungsansatz für diese Unsicherheit liefern Goetz und Graupner, wenn sie davon sprechen, »dass die Einwände gegen eine phänomenologisch-kritische oder reflexiv-erkenntnistheoretische Untersuchung des Gegenstandsbereichs Atmosphären (Herv. i. O.) nach wie vor von den naturwissenschaftlich geprägten Vorstellungen exakten Benennens diktiert sind, eine die Fachgrenzen überschreitende, kooperierende und sich gegenseitig ergänzende Bearbeitung des Forschungsfeldes also erschwert ist. Atmosphären werden sowohl inhaltlich als auch begrifflich als unscharf und somit einer eingehenden Untersuchung für nicht relevant genug erachtet.« (2007, 10)
Für die Situation am Forschungsort Hotel sind die im Rahmen von Raumherstellungsprozessen wahrgenommenen Atmosphären meines Erachtens als ein entscheidender Faktor dafür zu identifizieren, wie Menschen in einer räumlich und zeitlich begrenzten Situation die verkörperte Differenz anderer Personen erleben und empfinden. Raumherstellung im Kontext von Spacing und Synthese beinhaltet dabei stets auch die Herstellung bzw. synästhetisch konstruierte Wahrnehmung Anderer; und somit eine räumlich beeinflusste Sicht auf die Anwesenden und ihre jeweilige körperliche Beschaffenheit. Dass es sich bei der Rekonstruktion der am Forschungsort von Gästen und Mitarbeitenden empfundenen und wahrgenommenen räumlichen Atmosphären nicht um objektivierbare Ergebnisse handeln kann, liegt auf der Hand. Die erlebten räumlichen Atmosphären sind stets als personenbezogene und dabei jeweils einzigartige Wahrnehmungen der Raumqualitäten anzusehen. Dennoch stellt die Tatsache, dass die Anwesenden bestimmte Atmosphären spüren 5 | Es gibt auch Studien, die sehr deutlich einen Zusammenhang von (räumlich) erlebter Atmosphäre und ihren Bedeutungen und Auswirkungen für die lebensweltliche Praxis formulieren, wie beispielsweise die stadtsoziologisch-olfaktorische Untersuchung von Bischoff (2007) oder die Studie von Krammling-Jöhrens (1997), die Atmosphären im Zusammenhang mit der Lernsituation an einer Schule untersucht.
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konnten und in ihren Schilderungen wiederholt auf diese rekurrieren, ein wesentliches Element der raumkonstruierenden Prozesse innerhalb des Hotels dar. Es geht also darum,6 die wahrgenommenen Atmosphären als ein konstitutives Element der Raumherstellung und -aneignung zu begreifen. Aus dieser Sichtweise heraus wird deutlich, dass die erlebten und im Kontext von Raum erfahrenen Atmosphären als eine Art überindividuelles Bedeutungsmoment funktionieren, welches eindeutig aus der Wahrnehmung am Forschungsort Hotel resultiert. Wenn es darum geht, die räumlich bedingte bzw. beeinflusste Sichtweise auf Personen mit einer verkörperten Differenz zu betrachten, sollte dies folglich auch unter Einbezug der räumlich erfahrenen Atmosphären geschehen. Bevor in Kapitel VI Erscheinungsformen der räumlich beeinflussten Wahrnehmung von verkörperter Differenz dargestellt werden, gilt es zunächst jedoch, die Verbindung von räumlicher Atmosphäre und Gefühlen näher zu beleuchten. Im Anschluss daran und mit Rückgriff auf Löws raumsoziologische Überlegungen wird der Versuch unternommen, den atmosphärischen Raum und seine Potentialität hinsichtlich sozialer Prozesse in Form einiger zentraler zusammenfassender Überlegungen zu formulieren. Ziel dieser Thesen ist, den atmosphärischen Raum als bedeutungsvolles konstitutives Element der Raumherstellungs- und Aneignungsprozesse zu fassen und zugleich seine Bedeutung für die Begegnung mit differenter Körperlichkeit aufzuzeigen.
6 | Vgl. dazu auch Rauh, der einen quasi-objektiven Charakter von Atmosphären beschreibt, der dabei jedoch immer an die aktuelle und dabei subjektiv gebundene Wahrnehmungssituation anschließt. »Ästhetische Arrangements sollen zwar möglichst überindividuelle Bedingungen für die gleichen Stimmungen bereitstellen, aber selbst wenn zwei Personen auf derselben Feier waren, haben sie unter Umständen nicht dieselbe Atmosphäre gespürt.« (2007, 132) Rauh widmet sich außerdem dem Problem der Zeit in der rekonstruierenden Beschreibung erlebter Atmosphären und macht deutlich, dass die mündlichen und/oder schriftlichen Beschreibungen derselben in den meisten Fällen nachzeitig erfolgen, so dass die Beschreibung von Atmosphären immer auch auf Erinnerungsleistungen beruht (vgl. ebd., 134f). Dies gilt auch für die Gästebucheinträge, die sich auf die im Hotel erlebte Atmosphäre beziehen, da in den meisten Fällen das Einschreiben in die Gästebücher erst beim Verlassen des Hotels erfolgt. Sprachlich wird dies auch in der Verwendung von Vergangenheitsformen sichtbar.
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1.2 Das Hotel als Atmosphärenraum […] und dann erzählte er (Herr M.), dass gerade vorhin mal wieder ein volles Tablett mit Gläsern zu Bruch gegangen ist, weil (Herr G.) das mal wieder an die Stelle gestellt hätte, wo es eigentlich nicht hinsollte. Aber das wäre hier gar kein Problem, sagte er dann lachend, »da nimmt man ruckzuck den Besen und ab in die Tonne mit den Scherben, macht doch nichts«. Das würde schon mal vorkommen, aber er hätte da die Ruhe weg. (Auszug Protokoll ero-episches Gespräch mit dem Barkeeper Herrn M. in der Hotelbar über seine gemeinsame Arbeit mit Herrn G., einem behinderten Kollegen, 21 Uhr, Herr G. war nicht mehr anwesend, weil er schon Dienstschluss hatte)
Dieser kurze Ausschnitt 7 aus einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des untersuchten Hotels verdeutlicht exemplarisch, wie das konkrete SichBefinden in diesem räumlichen Kontext, die Anwesenheit in einem für die Wahrnehmung vorinstallierten, institutionell gerahmten »Hier«, entscheidenden Einfluss auf die Sichtweise und Beurteilung der beeinträchtigten Mitarbeitenden und ihrer Tätigkeiten ausübt. Der Ausdruck »hier« bzw. die Feststellung des »Hierseins« und somit die raumkonstruktive Wahrnehmung inklusive der diese (mit-)konstituierenden Informationen in Form der empfundenen Atmosphären weisen auf einen räumlichen Kontext hin, in dem es »kein Problem« darstellt, wenn Gläser zu Bruch gehen. Das Beispiel verweist somit auf die räumlich bedingte Empfindung des Mitarbeitenden, der dem Missgeschick seines Kollegen mit Ruhe begegnet und mir diese Episode in heiterer Gelassenheit berichtet. Innerhalb des erhobenen Materials finden sich durch die Ortsbezeichnung »hier« wiederholt Hinweise auf eine im Forschungsort verankerte Sichtweise und durch den räumlichen Kontext beeinflusste Wahrnehmung der Personen mit einer verkörperten Differenz sowie deren Handlungen. Das genannte »hier« des Barkeepers wird von diesem als Möglichkeitsraum geschildert, in welchem die Fähigkeiten des Anderen, aber auch dessen eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten einen Platz bekommen. Innerhalb der räumlichen Sichtweise erfahren die im Kontext dieser Differenz 7 | Einige Überlegungen zu der hier dargelegten Sequenz wurden in leicht veränderter Form bereits in zwei Aufsätzen publiziert, vgl. Modes 2014a, 354f, sowie Modes 2014b, 166f.
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auftretenden möglichen Probleme eine Relativierung: Das »Hier« wird zu einem konkreten Ort, an dem etwaige Fehler, Missgeschicke oder andere, von einer üblichen Arbeitssituation abweichende Handlungsverläufe des beeinträchtigten Kollegen als nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches, sondern als Teil der Situation und als Teil des speziellen räumlichen Kontexts aufgefasst werden. Abweichungen stellen zumindest in der Schilderung des Barkeepers »hier kein Problem dar«, was eine weitere Lesart der Aussage impliziert, nämlich die, das an anderen Orten dies sehr wohl ein Problem bedeuten würde. Das implizite Wissen des Barkeepers, dass an anderen Orten das geschilderte Missgeschick als unangenehm oder problematisch aufgefasst werden könnte, wird durch den expliziten Verweis »hier« mitgeteilt; d.h. die Aussage bezieht sich nicht auf eine generelle Problemlosigkeit von zerbrochenen Gläsern. Der Barkeeper teilt zudem seine situationsbedingte, räumlich beeinflusste Befindlichkeit mit: Er spricht von seiner Gelassenheit und Ruhe im Umgang mit dieser Situation und den kaputten Gläsern und schildert die Episode fröhlich und heiter, er lacht sogar. Nun könnte man diese Heiterkeit auch als Spott auffassen. Mein damaliger Eindruck und meine rekonstruierende Interpretation jedoch konstatieren für diese Form der heiteren Erzählung die aufrichtig gemeinte und in der Gesprächssituation gezielt vermittelte Erleichterung, einen Arbeitsplatz innezuhaben, an dem diese Form der Missgeschicke bzw. Abweichungen nicht als solche betrachtet werden. Dem räumlichen Kontext kann an dieser Stelle eine entlastende Funktion für die Interaktion der behinderten und nicht behinderten Beschäftigten zugesprochen werden, was die Akzeptanz möglicher Fehler betrifft. Eigentlich abweichende Vorkommnisse werden in der spezifischen räumlichen Situation als nicht ungewöhnlich aufgefasst. Die auf die räumliche Situation zurückzuführende Wahrnehmung und Einstellung des Barkeepers im Hinblick auf die geschilderte Situation verdeutlicht ebenfalls, inwiefern das Hotel als Aufenthaltsort die Funktion eines Atmosphären- und Gefühlsraums einnimmt. Nach Böhme ist die Wahrnehmung räumlicher Atmosphären untrennbar mit den durch diese hervorgerufenen oder veränderten emotionalen Befindlichkeiten verbunden. »Wenn ich in einen Raum hineintrete, dann werde ich in irgendeiner Weise durch diesen Raum gestimmt. Seine Atmosphäre ist für mein Befinden entscheidend. Erst wenn ich sozusagen in der Atmosphäre bin, werde ich auch diesen oder jenen Gegenstand identifizieren und wahrnehmen.« (1995, 15) Auch wenn Böhme hier von einer atmosphärisch
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beeinflussten Wahrnehmung von Gegenständen spricht, kann anhand des aufgeführten Beispiels aus dem Hotel nachgezeichnet werden, dass der atmosphärisch beeinflusste Blick und die in diesem Zusammenhang auftretenden Befindlichkeiten ebenso eine Rolle für die Wahrnehmung, oder nach Böhme die »Identifikation«, einer anderen Person spielen. Zahlreiche Forschungsarbeiten, insbesondere Auseinandersetzungen innerhalb des kunstästhetischen und kunstpädagogischen Bereichs, greifen die Frage auf, in welcher Form die raumatmosphärisch bedingte Befindlichkeit Einfluss darauf nimmt, wie beispielsweise Kunstwerke oder Objekte wahrgenommen, empfunden und beurteilt werden. So schildern Strack und Höfling am Beispiel des Museumsbesuchers den Zusammenhang von (raum-)atmosphärisch bedingter Stimmung und Urteilsbildung bzw. annehmenden oder ablehnenden Empfindungen gegenüber den wahrgenommenen Objekten (vgl. ebd., vgl. 2007, 107). Für die Frage, inwiefern die räumliche Atmosphäre und die mit ihr einhergehenden Empfindungen für die Wahrnehmung anderer Personen entscheidend sind, kann jedoch eine eklatante Forschungslücke festgestellt werden. Es entsteht der Eindruck, als scheue man sich, einen Zusammenhang zwischen raumatmosphärischer Befindlichkeit und der Wahrnehmung anderer Menschen anzudenken und somit die raumatmosphärische Wirkung als potentiellen Faktor beispielsweise für das Empfinden von Sympathie oder Antipathie in Betracht zu ziehen. Die empirischen Befunde der vorliegenden Studie können den Zusammenhang aufzeigen und präzisieren: Wie in der dargestellten Passage des ero-epischen Gesprächs mit dem Barkeeper deutlich geworden beeinflussen raumkonstruktive Herstellungsprozesse und die mit diesen einhergehenden atmosphärischen Befindlichkeiten die Wahrnehmung von Personen mit einer verkörperten Differenz und deren Handlungen, die möglicherweise von den üblichen Erwartungen abweichen. Die angesprochene Zurückhaltung bei der Bearbeitung des Themenfeldes ›Wahrnehmung Anderer‹8 innerhalb 8 | Wenn im Folgenden von der Wahrnehmung und Konstruktion des Anderen die Rede ist, bezieht sich dies auf die Wahrnehmung einer anderen, anwesenden Person innerhalb raumkonstruktiver Herstellungsprozesse. Die Verwendung des Begriffes anders zielt dabei nicht darauf, dass die wahrgenommene Person bereits als anders, im Kontext der vorliegenden Studie somit als different bzw. beeinträchtigt konstruiert und wahrgenommen wird. Die Verwendung des Begriffs »der oder die Andere« bezieht sich zunächst nur auf die Tatsache, dass sich Menschen im
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und anhand von raumkonstruktiven Herstellungspraktiken mag unter anderem mit der nach wie vor vorhandenen Schwierigkeit soziologischer Forschung einhergehen, »die soziale Relevanz leiblicher Erfahrungen und Wahrnehmungen systematisch in soziologische Theorien aufzunehmen«, wie Gugutzer und Schneider in ihren Überlegungen zum Blick auf den behinderten Körper und die alltagsimmanenten Herstellungspraktiken und gesellschaftlichen Konstruktionen desselben formulieren (2007, 47). Auch Lindemann spricht zugespitzt von der »quasimentalistischen Bornierung« (2005, 115) der Soziologie, die ihrer Ansicht nach immer noch den Blick auf die gesellschaftliche Konstruktion von Körpern und deren Bedeutung für die Konzeption von Sozialität vernachlässigt, da nach wie vor zu wenig in den Blick genommen wird, »dass es soziale Akteure gibt, die Hunger und Durst haben, die sich ängstigen« (ebd.). Dementsprechend drängt sie darauf, Verkörperung grundlegend in die Konzeption von Sozialität einzubeziehen (vgl. ebd.). Diese Forderung bedeutet jedoch meiner Ansicht nach auch, die bisher in soziologischen Kontexten eher marginal thematisierten sinnlichen Wahrnehmungsprozesse, seien es beforschte oder forschende, im Hinblick auf ihre Bedeutung stärker in den Blick zu nehmen. Zumindest in der Diskussion ethnographischer Forschungspraktiken und mit diesen einhergehenden Methoden nimmt die sinnliche Wahrnehmung einen relativ hohen Stellenwert ein, der meines Erachtens zunehmend an Bedeutung für sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungsstrategien gewinnt.9 Die Frage nach der raumabhängigen Wahrnehmung Anderer ist nun aus meiner Sicht auch ein wenig Rahmen ihrer raumkonstruierenden Herstellungsprozesse begegnen und gegebenenfalls auch interagieren. Inwiefern innerhalb dieser räumlichen Begegnungen der oder die Andere dann tatsächlich als anders im Sinne von different bzw. normativ abweichend aufgrund der körperlichen Erscheinungsform oder kommunikativ wahrnehmbaren Äußerungsformen konstruiert und aufgefasst wird, versucht die Studie anhand des analysierten Datenmaterials in einem weiteren Schritt aufzuzeigen. Die empirischen Befunde deuten darauf hin, dass gerade aufgrund des sich Befindens in bestimmten räumlichen Kontexten eine Konstruktion von Anderen als different bzw. abweichend nicht vollzogen wird bzw. dass ihr innerhalb der räumlichen Wahrnehmung eine untergeordnete, oder gar verschwindende Bedeutung zukommt. Vgl. dazu auch Kapitel VI, 3. 9 | Als besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang sehe ich die jüngst erschienenen Beiträge im Band von Arantes und Rieger (2014) an, welche die Rolle
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provokativ, da sie letztendlich die Vermutung unterstellt, dass der Raum und seine wahrgenommenen Qualitäten als entscheidende Faktoren für den beurteilenden Blick und die Konstruktion anderer Individuen zu berücksichtigen sind. Die Begegnungen mit anderen Menschen und die in diesem Zusammenhang auftretenden Empfindungen sind also nicht nur als selbstbestimmte Entscheidungsprozesse anzusehen, sondern in steter Abhängigkeit zu den Räumen, in denen man sich aufhält und die in unablässiger Weise konstruktiv hergestellt werden. Der Raum und dessen (atmosphärische) Informationen werden zum konstitutiven Element der Wahrnehmung, Beurteilung und emotionalen Empfindung gegenüber anderen Anwesenden. Das heißt, die Personen im Hotel befinden sich aufgrund ihrer unablässigen raumkonstruktiven Herstellungsprozesse in einem atmosphärischen Raum, dessen wahrgenommene Informationen sich auf ihre emotionale Befindlichkeit auswirken. Der Atmosphärenraum wird somit gleichzeitig auch zu einem Gefühlsraum, in welchem Akteure neue, räumlich bedingte Emotionen empfinden oder bereits bestehende verändern.10 Die empirischen Befunde zu der Hotelsituation sinnlicher Wahrnehmung für ethnographische Forschungsstrategien aufzeigen und anhand unterschiedlicher Forschungssettings darlegen. 10 | Der Begriff des Gefühlsraums, in dem sich Gefühle als »leiblich ergreifende Atmosphären« ausdehnen, wurde insbesondere von Schmitz im Rahmen seiner phänomenologischen Betrachtungen zu Leib, Raum und Gefühlen ausgearbeitet (2009, 47). Seine häufig rezipierte Begriffssystematik und seine im Zusammenhang mit Arbeiten zu Raum und Emotionen oftmals als Basis herangezogene Konzeption des Gefühlsraums thematisieren dabei vor allem das »Spüren mit und anhand des leiblichen Raums« und dessen Bedeutung für die phänomenologische Betrachtung von Raum, die er auf vier Themenfelder verteilt: Den leiblichen Raum, den Gefühlsraum, den Ortsraum und die Wohnung als »Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum« (ebd.). Seine zweifelsohne bedeutsamen Überlegungen zur Verbindung von Atmosphäre und Gefühl innerhalb des Raums bieten meines Erachtens allerdings aus soziologischer Sicht wenig Möglichkeiten, Überlegungen zu sozialen Prozessen, möglichen Auswirkungen und Folgen des Sich-Befindens in einem Gefühlsraum anzuschließen, da seine Ausführungen einer leibphänomenologischen Sichtweise verhaftet sind, die für die vorliegende Studie von marginaler Bedeutung ist. Zur Unterscheidung von Leib und Körper bzw. leiblicher und körperlicher Wahrnehmung und Erfahrung insbesondere aus einer philosophisch-phänomenologischen Perspektive vgl. Schmitz 1987. Für eine soziologische Perspektive auf diese
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knüpfen an Böhmes Auffassung an, was mit Menschen in bestimmten räumlichen Kontexten passiert: Auch bei Böhme halten sich Personen in einem atmosphärischen Raum auf, dessen Beschaffenheit für das emotionale Befinden entscheidend ist. Der Gefühlsraum oder gefühlte Raum ist ein Element des atmosphärisch wahrgenommenen Raums. Böhmes Formulierung des »Hineintretens« (1995, 15) in einen Raum verdeutlicht außerdem die »Unausweichlichkeit« (ebd.), die mit der Anwesenheit an bestimmten Orten und der damit einhergehenden raumkonstruktiven Herstellung einhergeht. Man kommt in einen räumlichen Kontext, dessen raumatmosphärischer Wirkung und den damit verbundenen Gefühlsregungen man sich schwerlich entziehen kann. Dies bezeichnet Rauh in Anlehnung an Böhmes Konzeptionen zur ästhetischen Wahrnehmung auch als Ingressionserfahrung: »Eine Ingressionserfahrung ist das Wahrnehmen von Etwas, indem man in es hineingerät. Man begegnet einer Stimmung, einem emotionalen Charakter, der zunächst nicht der eigene ist. Hierbei wird die Atmosphäre als etwas Raumartiges entdeckt, das in seiner Gestimmtheit auf die Befindlichkeit wirkt.« (2007, 126) Demgegenüber beschreibt Rauh die Diskrepanzerfahrung, bei der durch Wahrnehmungsprozesse die mitgebrachte Stimmung deutlich verändert wird bzw. die wahrgenommene Atmosphäre und deren Stimmung von der zuvor empfundenen abweicht (vgl. ebd). Die Ingressionserfahrung des Hineingeratens in atmosphärisch bedingte Empfindungen kann vielfach für die Raumwahrnehmung der Akteure innerhalb der Hotelsituation beobachtet werden. Sie manifestiert sich besonders deutlich in den Zeugnissen der Gäste über den Aufenthalt, wie die folgenden Beispiele aus den Gästebucheintragungen (Gruppierung III) zeigen:11 Selten hat mich in einem Hotel ein so liebevoller Geist angeweht wie im […]. Hier liegt etwas in der Luft, das mich ganz stark berührt und Hoffnung weckt auf eine Welt, die von diesem zarten, fürsorglichen Miteinander erfüllt ist.
Unterscheidung vgl. außerdem Fuchs 2005, 49, der mit dem Begriff des Körpers einen Zugang zu Bewusstsein und Sozialsystem gleichermaßen intendiert und eine Unterscheidung von Leib und Körper als nicht zwingend notwendig erachtet. 11 | Einige Überlegungen zu den drei hier dargestellten Einträgen wurden bereits in einem Aufsatz publiziert, vgl. Modes 2014a, 345f.
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Vielen Dank für die angenehme wohltuende Atmosphäre und die zauberhafte Stimmung hier in Ihrem Hause! Eine bemerkenswerte Atmosphäre die ich noch nirgends in der Welt (und ich war an vielen Orten in vielen Ländern) angetroffen habe! Vielen Dank für den gemütlichen Aufenthalt.
Die hier angeführten Beispiele zeigen deutlich die Verbindung der verspürten und wahrgenommenen Atmosphäre am Forschungsort mit den durch diese generierten emotionalen Empfindungen. Es handelt sich bei den Eintragungen um die Schilderung von Atmosphären und wahrgenommenen Stimmungen, die aus dem Hineingeraten in die bereits erörterte zeitlich und räumlich begrenzte Anwesenheit im Hotel resultieren. Die Beispiele sprechen dabei nicht explizit die Begegnung mit den beeinträchtigten Mitarbeitenden an, dennoch sind diese Begegnungen konstitutiver Teil der atmosphärischen Wahrnehmung, sofern hier die Konzeption von Löws räumlichen Atmosphären herangezogen wird, in welcher die räumliche Atmosphäre aus den Außenwirkungen der wahrgenommenen Personen und Güter resultiert. Das im ersten Beispiel thematisierte etwas, das in der Luft liegt, das ich als atmosphärische Wahrnehmung interpretiere, wird zum expliziten Verursacher von Empfindungen, indem es berührt und Hoffnungen weckt. Die nicht näher erläuterte, dennoch durch die Verwendung des Demonstrativpronomens hervorgehobene Rede von diesem zarten, fürsorglichen Miteinander lässt hier die Lesart zu, dass es sich um den (erlebten) gemeinsamen Umgang von behinderten und nicht behinderten Personen vor Ort handelt. Auch das zweite und dritte Beispiel zeigen deutlich die Verbindung zwischen der räumlich wahrgenommenen Atmosphäre, die als gemütlich bzw. angenehm wohltuend beschrieben wird, und der dadurch generierten Befindlichkeit. Im zweiten Beispiel wird außerdem auf die Stimmung12 hingewiesen, die als zauberhaft und damit als über die Realität hinausgehend geschildert wird; 12 | Die Begriffe Stimmung und Atmosphäre werden in der forschungsrelevanten Literatur teilweise synonym verwendet. In manchen Zusammenhängen wird Atmosphäre aber als das eine Stimmung erst erzeugende Phänomen aufgefasst. Zur Unterscheidung von Stimmung und Atmosphäre vgl. Henckmann 2007. Für die vorliegende Studie ist eine genaue Begriffsdifferenzierung jedoch nicht notwendig, da sowohl der Begriff Stimmung als auch die Bezeichnung Atmosphäre innerhalb
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eine Stimmung, die auf etwas Magisches und Märchenhaftes verweist, das lediglich hier empfunden bzw. angetroffen werden kann, und sich ebenfalls auf das vor Ort erlebte Miteinander, d.h. die Begegnungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen und deren gegenseitige Wahrnehmung bezieht. Im dritten Beispiel wird die Atmosphäre als einzigartig charakterisiert, indem darauf hingewiesen wird, dass bislang kein Ort auf der Welt angetroffen wurde, der eine solch bemerkenswerte Atmosphäre innehatte. Die erlebte Atmosphäre ist hier ebenfalls stark an den konkreten Ort gebunden und in ihrer Einzigartigkeit nicht durch andere Orte wiederholbar. Diese Gästebucheintragungen zeigen, inwiefern der Aufenthalt im untersuchten Hotel mit einer atmosphärischen Ingressionserfahrung verbunden ist. Akteure geraten hier in Räume bzw. stellen diese konstruktiv her, die als stark atmosphärisch wirkend wahrgenommen werden und emotionale Empfindungen hervorrufen. Die gegenseitige Wahrnehmung der Akteure aufgrund ihrer gemeinsamen Position an einem konkreten Ort ist immer auch als atmosphärisch beeinflusste Wahrnehmung des jeweils Anderen zu verstehen. Die anwesenden Personen sind dabei aufgrund ihrer materiellen Körperlichkeit und der durch diese generierten Außenwirkungen produktiv an der Erzeugung der atmosphärischen Wirkung beteiligt, während sie diese gleichzeitig mithilfe entsprechender Sinnesleistungen aufnehmen und verarbeiten. Die Begegnung mit anderen Anwesenden erfolgt somit immer auch vor dem Hintergrund dieser atmosphärischen Informationen und trägt nicht zuletzt durch die dabei entstehenden Emotionen dazu bei, wie Andere wahrgenommen und empfunden werden. Zugespitzt auf den vorliegenden Fall ist die Wahrnehmung der beeinträchtigten Mitarbeitenden durch die nicht beeinträchtigten Anwesenden im Rahmen der Hotelsituation als eine an den konkreten Ort gebundene und durch den Ort erzeugte raumatmosphärische Wahrnehmung von verkörperter Differenz zu konstatieren.
des Datenmaterials sich auf den sinnlich wahrgenommenen Umgebungsraum am Forschungsort beziehen.
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2. Z um V erhältnis von R aumkonstruk tion und sinnlicher W ahrnehmung Wie bereits dargelegt, sind räumliche Atmosphären, die im Rahmen der Raumkonstruktion und Raumerfahrung empfunden und wahrgenommen werden, Träger von Informationen, die individuell aufgenommen und verarbeitet werden.13 Sie generieren ganz unterschiedliche Wirkungsweisen und Effekte, die in engem Zusammenhang mit den aufgrund von raumkonstruktiven Prozessen erfahrenen Emotionen zu sehen sind. »Atmosphären sind demnach die in der Wahrnehmung realisierte Außenwirkung sozialer Güter und Menschen in ihrer räumlichen (An-)Ordnung. Das bedeutet, Atmosphären entstehen durch die Wechselwirkungen zwischen Menschen oder/und aus der Außenwirkung sozialer Güter im Arrangement.« (Löw 2001, 204, Herv. i. O.) Mittels der Definition von Löws räumlicher Atmosphäre, die meiner Auffassung nach eine stabile Basis für weitergehende Differenzierungsschritte darstellt, werden im Folgenden diese – von Löw nicht näher bearbeiteten – Außenwirkungen im Hinblick auf das untersuchte Hotel thematisiert. Herstellung und Wahrnehmung von Räumen setzen ein Subjekt voraus, das über entsprechende Wahrnehmungsfähigkeiten verfügt, um im Rahmen eines kognitiven Prozesses Räume als solche zu konstruieren und aufzufassen. Die von sozialen Gütern und Menschen ausgehenden Außenwirkungen, die sich schließlich in Form der wahrgenommenen Atmosphäre 13 | Meine Äußerungen in Bezug auf wahrnehmende Subjekte und insbesondere raumkonstruierende Akteure beziehen sich generell auf das Verständnis einer als phänomenologisch-interpretativ zu bezeichnenden Auffassung sozialer Praktiken und Wirklichkeiten. Diese von Schütz in Anlehnung an die Terminologie der phänomenologischen Philosophie Husserls und Webers Ansätze einer verstehenden Soziologie beschriebene Theorie einer phänomenologischen Soziologie fokussiert dabei die wahrnehmende Bewusstseinsaktivität von Subjekten in ihren (alltäglichen) Sinndeutungs- und Sinnzuweisungsprozessen (vgl. Luckmann/Schütz 2003, Berger/Luckmann 2009 [1966], sowie die Beiträge im Band von Staudigl 2010). Die jeweiligen Wahrnehmungsleistungen sind dabei nicht als abgeschlossene und isolierte Ereignisse zu betrachten, sondern Elemente eines kontinuierlichen Bewusstseinsstroms, der im Rahmen eines interpretativen Prozesses fortwährend gegenwärtige mit früheren Wahrnehmungen verbindet (vgl. Schütz 2004, Bühl 2002).
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verdichten, sind demnach zuerst als Informationen zu bezeichnen, die über das Sehen, Riechen, Schmecken, Hören und Fühlen aufgenommen werden und die dann anhand komplexer kognitiver Verarbeitungsprozesse verschiedene Wirkungsweisen entfalten und generieren. Räumliche Atmosphären als Bestandteil der raumkonstruierenden Herstellung sind ebenfalls als gebündelte Eindrücke, quasi als Informationsarrangements aufzufassen, deren Wirkungspotentiale sich im Bewusstsein der aktiv raumkonstruierenden Akteure vollziehen, entfalten und sich gegebenenfalls auf Handlungen und die Ausgestaltung sozialer Praktiken auswirken. Der Außenwirkung der sich in räumlichen Dimensionen befindenden sozialen Güter und Menschen geht zunächst der Prozess des Spacings voraus. Das bedeutet, dass die individuellen, im Rahmen von raumkonstruktiven Prozessen erfahrenen sinnlichen Eindrücke darauf zurückzuführen sind, dass Gegenstände und Menschen bewusst an Orten platziert werden. Insbesondere für den Forschungsort Hotel ist diese bewusste Anordnung zu konstatieren. Das hier platzierte Arrangement folgt bestimmten Regeln und Strukturen und unterscheidet sich in dieser Hinsicht von Räumen, in denen das Spacing eine eher zufällige Anordnung produziert bzw. die Anordnung von Menschen und Gütern keinen vorgegebenen Zwecken und Nutzungskonzepten folgt. Dies kann beispielsweise in öffentlichen Räumen der Fall sein, wo das den Raumkonstruktionen vorhergehende Spacing durch permanente Verlagerung und personale Bewegungen immer wieder neue, den jeweiligen Zwecken angepasste Raumformationen produziert.14 Auch für die betrachteten Räume innerhalb des Hotels sind diese komplexen Bewegungen von Personen und Gegenständen zu verzeichnen (das Umstellen von Tischen, der Transport von Nahrungsmitteln und zubereiteten Speisen, die Bewegungen der Mitarbeitenden zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen, der Transport von Gepäckstücken, die Bewegungen der Gäste in den verschiedenen Räumen etc.). Diese erfolgen zumeist zweck- und zielorientiert und bewegen sich somit in vorgezeichneten, den 14 | Als Beispiele wären hier öffentliche Parks und Plätze zu nennen, die zwar zum Teil über unbewegliche bzw. fest installierte Gegenstände verfügen, dennoch von Individuen oftmals nach individuellen Wünschen und Zielen genutzt und umstrukturiert werden (Bänke, Sitzgelegenheiten etc.) und die durch die Fluktuation von Personen, die die Plätze aufsuchen, passieren oder verlassen, unentwegt zufälligen Spacingprozessen unterliegen.
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jeweiligen Raumdimensionen angepassten Strukturen und Rahmungen. Die hierbei von den Akteuren wahrgenommenen Objekte des Spacings sind somit Teil einer geplanten Platzierung mit einem entsprechenden Platzierungsziel, im Fall des Hotels die Intention, dass die Gäste sich möglichst wohl fühlen. Für die Entstehung von räumlichen Atmosphären ist insbesondere die von Gütern und Menschen ausgehende visuelle Information verantwortlich. Der vielzitierte erste Eindruck hat für die Raumwahrnehmung eine entscheidende Bedeutung. So ist die visuelle Wahrnehmung vielfach der Ausgangspunkt für raumkonstruierende Prozesse.15 Akteure betreten konkrete Orte oder finden sich in einer räumlichen Dimension wieder und erfassen zunächst deren visuelle Repräsentation. Dies gilt allerdings nur, wenn sich Individuen im Rahmen ihrer alltäglichen Handlungen und sozialen Praktiken sehend bewegen können. So ist beispielsweise für blinde oder stark sehbehinderte Menschen anzunehmen, dass die Raumwahrnehmung bzw. die ersten Schritte raumkonstruierender Handlungen anhand anderer Sinneseindrücke vollzogen werden.16 15 | Dass die visuelle Wahrnehmung der erste Schritt raumkonstruktiver Prozesse ist, stellt lediglich eine Vermutung zur zeitlichen Abfolge räumlicher Wahrnehmungsprozesse dar; so ist für bestimmte Arrangements bzw. räumlich repräsentierte Formen des Spacings auch die gleichzeitige Wahrnehmung von visuellen, auditiven und olfaktorischen Außenwirkungen denkbar. Ein Beispiel wäre hier das Betreten eines vollen Raums (z.B. Straßenbahn, Kneipe), in dem Menschen und Objekte gleichzeitig visuell, auditiv, taktil und olfaktorisch wahrzunehmen sind. Die raumkonstruierende Wahrnehmung im Kontext sinnlicher Erfahrung ist meines Erachtens immer besonders intensiv, wenn sie aus Sicht der raumwahrnehmenden Subjekte in besonders kontrastreichen Situationen erfolgt. Dies zeigt sich z.B., wenn Menschen aus eher dünn besiedelten Gegenden von Reizüberflutung und einer Überforderung der Sinne in der Großstadt berichten oder umgekehrt, wenn Menschen, die tagtäglich mit einer Fülle von Objekten und anderen Personen umgeben sind, sich plötzlich allein in räumlichen Dimensionen wiederfinden und irritiert sind, da sich hier ihre raumkonstruktiven Prozesse ganz anders und ohne die gewohnten Spacing-Inhalte vollziehen. 16 | Inwiefern Akteure mit einer visuellen Beeinträchtigung oder Akteure, die nie sehend waren, räumliche Dimensionen innerhalb ihrer Vorstellungskraft als visuelle Repräsentationen annehmen und konstruieren, ist eine interessante Frage, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann.
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Auch für den Forschungsort Hotel ist die visuelle Wahrnehmung für die Raumkonstruktion und besonders für die Erfahrung räumlicher Atmosphären hervorzuheben. Insbesondere die räumliche Atmosphäre ist jedoch als ein Produkt oder auch Teilelement räumlicher Wahrnehmung zu betrachten, dessen Wirkungsvermögen und Informationsdichte sich meines Erachtens erst in der Zusammenwirkung der sinnlichen Wahrnehmung innerhalb der Raumsynthese durch Sehen, Riechen, Hören, Fühlen und – z.B. im Restaurant – auch durch Schmecken entfaltet. Dabei ist es kaum möglich, genaue Trennungslinien zwischen den genannten Sinneseindrücken zu ziehen, da diese Wahrnehmungen im Rahmen komplexer Verflechtungen und Überlagerungen stattfinden. So wird es Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht immer gelingen, genaue Auskünfte darüber zu geben, welche Sinneseindrücke innerhalb der Raumwahrnehmung zuerst erfolgten, es sei denn, es handelte sich um besonders auffällige, so z.B. besonders laute Sinneseindrücke. Dass jedoch im Rahmen der räumlichen Wahrnehmung bestimmte Sinneseindrücke dominieren können oder aber andere dem Anschein nach gar nicht vorhanden sind, ist ein bekanntes Phänomen. Nicht jede Raumwahrnehmung erfolgt auch olfaktorisch oder haptisch und Menschen berichten ganz unterschiedlich darüber welche Sinneseindrücke sie jeweils als prägnant empfinden.17 Eine besondere Rolle im Rahmen der Raumwahrnehmung und der damit einhergehenden verspürten Atmosphären kommt dem Licht zu: Licht ist zunächst notwendig, um überhaupt den Umgebungsraum visuell wahrzunehmen. Die Wahrnehmung von verschiedenen Lichtverhältnissen steuert und strukturiert das Alltagsleben insofern, als dass Menschen unterscheiden, ob das wahrgenommene Licht natürlich oder künstlich ist. In diesem Zusammenhang wird auch ein Wissen um den Aufenthaltsort 17 | Ein alltägliches Beispiel wäre hier, wenn ein Gegenüber auf den Hinweis auf wahrgenommene Gerüche entgegnet »nichts zu riechen«, oder aber die Kommunikation über einen als (zu) warm oder (zu) kalt empfundenen Raum. Insbesondere die individuelle und von Person zu Person stark variierende Temperaturempfindung von Räumen ist immer wieder Bestandteil von Alltagskommunikationen, in denen Akteure – bewusst oder unbewusst – ihre jeweiligen Raumwahrnehmungen kommunizieren, aushandeln oder aber auch adaptieren, z.B. wenn sie dem als kalt empfundenen Raum zustimmen, obwohl diese Wahrnehmung bis zu ihrer Erwähnung eine untergeordnete Rolle innerhalb des eigenen Empfindens eingenommen hat, man sich aber dem Eindruck einer Mehrheit anschließt.
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generiert, das heißt Menschen gehen davon aus, an verschiedenen Orten, z.B. in Innen- und Außenbereichen, auf unterschiedliche Lichtverhältnisse zu treffen.18 Licht wirkt zudem auf die individuelle Befindlichkeit. Dies wird neben biologisch-medizinisch konstatierten Bedeutungen des Lichts auch anhand von Alltagskommunikation deutlich, wenn Individuen sich darüber verständigen, wie sie bestimmte Lichtverhältnisse empfinden und welche Auswirkungen diese auf die jeweilige Befindlichkeit ausüben. Für die individuell verspürte Raumatmosphäre sind Lichtverhältnisse von enormer Bedeutung. Räume werden anhand ihrer Lichtverhältnisse als gemütlich, warm oder festlich empfunden oder aber auch als grell, kalt, ungemütlich oder unangenehm. Der bewusste, innerhalb des Spacings platzierte Einsatz von Lichtquellen vermag bestimmte Stimmungen zu erzeugen, die sich letztlich in der wahrgenommenen Atmosphäre niederschlagen. Den Lichtverhältnissen kommt aus meiner Sicht dabei eine Vormachtstellung innerhalb des sinnlich erfahrenen Raums zu: Wird ein Raum aufgrund der Lichtverhältnisse als unangenehm oder irritierend empfunden, vermag die raumkonstruierende Wahrnehmung anhand der übrigen sinnlichen Erfahrungen diesen Eindruck nur schwerlich zu kompensieren. Diese Annahme kann natürlich variieren, je nachdem, inwiefern Personen bestimmte Eindrücke als besonders wichtig oder eher unbedeutend erachten Die im untersuchten Hotel vorgefundenen Lichtverhältnisse lassen den Rückschluss zu, dass sich dort intensiv mit der Wirkung von Lichtquellen auseinandergesetzt wurde.19 Nahezu überall trifft man dort auf Lichtverhältnisse, die den Bereichen funktional angepasst sind und dabei größtmögliches Wohlbefinden erzeugen sollen. Während im Restaurant- und Barbereich in den Abendstunden eher gedämpftes Licht, insbesondere Kerzenlicht, vorherrscht, bleiben der Hoteleingangsbereich und die Treppe hell erleuchtet, ebenso die Wege zu den sanitären 18 | Manche Räume und Orte sind an bestimmte Erwartungshaltungen an die Lichtverhältnisse gebunden, so beispielsweise das Kino oder das Theater, wo nach Beginn der Aufführung annähernd Dunkelheit herrscht, oder aber Klassenzimmer oder Büroräume, in denen eher helle Lichtverhältnisse üblich sind. 19 | Für die Ausstattung von Räumen mit Licht etablieren sich zunehmend professionalisierte Dienstleistungsanbieter, was zum einen auf die hohe Bedeutung von Licht innerhalb des Alltagslebens verweist, zum anderen aber auch verdeutlicht, dass Licht als ein bewusst geplantes Element in räumlichen Arrangements eingesetzt werden kann, um spezielle Eindrücke und Wahrnehmungseffekte zu erzeugen.
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Anlagen. Tagsüber wird mithilfe großer Glasscheiben, die mit automatischen Verdunklungsrollos versehen sind, versucht, so viel natürliches Tageslicht wie möglich in die Aufenthalts- und Speiseräume zu lenken. Die künstlichen Lichtquellen und Lampen auf den Gästezimmern sind zudem mit Vorrichtungen zum Dimmen der Lichtintensität versehen, so dass eine individuell angenehme Einstellung vorgenommen werden kann. Die tagsüber in den Hotelräumen vorherrschenden Lichtverhältnisse sind durch die bewusste Nutzung des natürlichen Tageslichts allesamt als hell, einladend und freundlich zu bezeichnen, während sich in den Nachmittags- und Abendstunden die Räume in abgedunkeltem, gedämpftem (Kerzen-)Licht präsentieren und lediglich die Bereiche voll erleuchtet sind, deren Nutzung dies erforderlich macht. Dabei erzeugen die vorgefundenen Lichtverhältnisse insbesondere in den Abendstunden deutliche Orientierungsrahmen: Verlässt man den Restaurantbereich mit seinen gedämpften Lichtverhältnissen, findet man sich unmittelbar im wesentlich helleren Eingangsbereich wieder, während es auf den Fluren und Wegen zu den Gästezimmern etwas dunkler ist. Die platzierten und gezielt arrangierten Lichtverhältnisse erzeugen nicht nur eine atmosphärische Raumwahrnehmung, sondern trennen die unterschiedlichen Funktionsbereiche voneinander ab. Das Licht bewirkt neben den intendierten angenehmen Empfindungen auch eine Strukturierung und Grenzziehung von ineinander übergehenden Räumen, durch welche der Gast auf Bereichswechsel aufmerksam gemacht wird.20 Im Folgenden wird noch den übrigen vier sinnlichen Wahrnehmungen im Rahmen der Raumproduktion Aufmerksamkeit geschenkt, so dem Hören, der taktilen Wahrnehmung, dem Schmecken und Riechen21. Für 20 | Welche Rolle Licht für die Orientierung in Räumen spielt, können Sehende in so genannten Dunkelrestaurants erfahren. Dort müssen sie sich innerhalb völliger Dunkelheit mittels der übrigen Sinne zurechtfinden und bekommen so einen Einblick in die tägliche Erfahrung und Raumwahrnehmung blinder und/oder stark sehbehinderter Menschen. 21 | An dieser Stelle möchte ich auf einen interessanten Nebenaspekt besonders im Rahmen der visuellen Wahrnehmung von Gütern und Gegenständen verweisen, der in der kultursoziologischen Studie von Bosch diskutiert wird. Bosch entwickelt anhand von Fallbeispielen eine soziologische Betrachtung materieller Gegenstände und räumlicher Ausstattung und untersucht dabei sowohl deren konkrete Stofflichkeit und Manifestation als auch den jeweils ideellen und symbolhaften Charak-
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die taktile Wahrnehmung innerhalb der forschungsrelevanten räumlichen Dimensionen können nur wenig Aussagen getroffen werden. So berührt und spürt man zwar zwangsläufig Faktoren wie Wärme oder Kälte im Raum oder ob es zieht; man berührt die Gegenstände, beispielsweise das Besteck, die Türklinken, den Stoff bezug von Möbeln. Meines Erachtens ist zwar auch die taktile Wahrnehmung als Teilaspekt des Informationsgehaltes räumlicher Atmosphären anzusehen, dennoch haben diese Außenwirkungen eher geringfügigen Einfluss auf die Raumkonstruktion und die raumatmosphärische Wahrnehmung. Trotzdem kann es sicherlich Auswirkungen auf die individuelle Raumkonstruktion haben, ob man auf einem unbequemen Stuhl sitzt, über einen Teppich läuft oder einen Steinfußboden. Größtenteils ist implizit bewusst, wie sich bestimmte Dinge anfühlen und man weiß über die stoffliche Beschaffenheit, die man in den Händen verspürt, bereits Bescheid, da dies selbstverständlicher Teil einer Alltagspraxis ist, die eher selten erstaunt oder verwundert.22 Anders mag es sich mit der Wahrnehmung von Raumtemperatur verhalten, die maßgeblich dazu beiträgt, ob man sich innerhalb eines Raums wohl fühlt oder (körperliches) Unbehagen verspürt. Für das untersuchte Hotel kann den ter von Gütern. Ausgehend von den vielschichtigen Bedeutungen von Waren bzw. Gegenständen erörtert sie Ungleichheits- und Armutsstrukturen im Sinne von Zugehörigkeits- und Ausschlusskriterien, die durch Gegenstände und ihren Konsum symbolisiert werden und insbesondere mit der ästhetischen Wahrnehmung von Gegenständen korrelieren. Materielle Gegenstände und Objekte können demnach Außenwirkungen entfalten, die für Akteure als symbolische Vermittlung von Zugehörigkeit oder Ausschluss fungieren sowie (Nicht-)Besitz und (Nicht-)Status- und Schichtzugehörigkeiten repräsentieren und reproduzieren (vgl. Bosch 2010, insb. 40ff). 22 | Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist jedoch das Phänomen, dass manche Menschen einen Gegenstand, den sie als besonders, selten oder in anderer Art und Weise für auffällig erachten, auch gerne berühren möchten, um dessen Beschaffenheit zu spüren. Hierin mag der Wunsch begründet sein, den visuellen Eindruck eines Objekts durch dessen Fühlbarkeit zu verstärken, oder aber, sofern es sich um einen bisher nicht bekannten Gegenstand handelt, diesen durch die taktile Wahrnehmung besser kennen zu lernen. Als Forscherin im Feld berührte ich aus einer forschungsbegründeten Neugierde heraus ebenfalls Dinge und versuchte sie taktil zu erfassen, wie beispielsweise eine besondere Art des Wandputzes oder aber aus auffälligem Holz gefertigte Möbelstücke.
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taktilen Raumwahrnehmungen eine marginale Bedeutung zugewiesen werden, da diesbezüglich keinerlei repräsentative Ergebnisse im Material rekonstruiert werden konnten. Anders jedoch verhält es sich mit den Raumwahrnehmungen anhand gustatorischer Empfindungen. In der Regel ist davon auszugehen, dass man Räume, unabhängig ob metaphorischer oder konkreter Raum, nicht schmecken kann, da Räume und deren materielle Bestandteile üblicherweise nicht für den Verzehr gedacht sind.23 Sie sind jedoch Rahmen und Ort für den darin stattfindenden Verzehr, insbesondere innerhalb eines Restaurants. Der Geschmack von Speisen ist demnach ebenfalls als eine Außenwirkung von platzierten Gütern, in diesem Fall von Lebensmitteln, zu betrachten. In vielen Fällen ist die Einnahme von Speisen in einem Restaurant mit dem Wunsch verbunden, besonders schmackhafte und unter Umständen auch außergewöhnliche Zubereitungen zu sich zu nehmen. So kann in Bezug auf das Essen im Hotelrestaurant im Rahmen der Forschungssituation neben der Tatsache, dass man seinen Hunger und damit ein elementares menschliches Grundbedürfnis stillen möchte, von einer hohen gustatorischen Erwartungshaltung ausgegangen werden. Die dargebotenen Speisen als Elemente des Spacings werden visuell, olfaktorisch und vor allem gustatorisch wahrgenommen und tragen dazu bei, dass Akteure sich aufgrund des Verzehrs und des damit verbundenen Geschmackserlebnisses wohl fühlen. Gustatorische Wahrnehmungen sind somit auch in den Außenwirkungen des Spacings verortet, die im Rahmen raumkonstruktiver Prozesse als Informationsträger fungieren und im Zusammenspiel mit den weiteren sinnlichen Wahrnehmungen räumliche Atmosphäre als Element der Raumwahrnehmung generieren. Bezüglich der Wahrnehmung von Speisen existiert auch eine in der Alltagspraxis 23 | Eine prominente Ausnahme, wenngleich sie auch literarischer Art ist, mag das Lebkuchenhaus aus den Hausmärchen der Gebrüder Grimm darstellen. An dieser Stelle noch der Hinweis auf ein Gartenprojekt, das den Anbau von Kräutern als »essbares Element einer Landschaft« bezeichnet und somit tatsächlich konkrete, dingliche Manifestationen von räumlichen Dimensionen als essbare, konstitutive Bestandteile auffasst und öffentlich kommuniziert (vgl. www.essbarelandschaften.de, letzter Zugriff am 18.08.2014). Ein weiteres Phänomen ist die Wahrnehmung, dass die – wiederum in bestimmten Räumen vorhandene – eingeatmete Luft salzig schmeckt, beispielsweise am Meer. Genau betrachtet handelt es sich dabei um das bewusste Schmecken eines raumkonstitutiven Elements.
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zu beobachtende Erinnerungskultur, wenn nämlich der Geruch, das Aussehen oder der Geschmack von Speisen Akteure an bereits vergangene Ereignisse, Erlebnisse und/oder auch Orte und Räume erinnern. Die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Daten weisen dabei eine signifikante Koppelung des Lobes der Speisen im Zusammenhang mit der verspürten Atmosphäre auf. Die gustatorische Erwartungshaltung und ihre Befriedigung sind insbesondere für den Restaurantbereich des Hotels als eine nicht zu unterschätzende Außenwirkung bzw. einverleibte Außenwirkung zu konstatieren, deren verspürte Information sich in der räumlich wahrnehmbaren Atmosphäre niederschlägt.24 Eine weitere Außenwirkung von platzierten Gegenständen und Menschen manifestiert sich in ihren akustischen Informationen. Geräusche, Töne, Musik und menschliche Stimmen und/oder Laute sind charakteristische Merkmale von Räumen. Dabei besteht im Zusammenhang mit der Raumwahrnehmung eine gewisse auditive Erwartungshaltung. Akteure wissen aufgrund ihrer Erfahrungen um die raumkennzeichnenden auditiven Informationen, die an bestimmten Plätzen, Orten und Räumen zu erwarten sind. Für den Forschungsort Hotel lässt sich eine typische Geräuschkulisse beschreiben, die je nach Tageszeitpunkt variiert. Zunächst sind hier Geräusche zu nennen, die aus dem Gebrauch von Gegenständen resultieren: So hört man in der Nähe des Küchenbereichs das Klappern von Geschirr, auf den Fluren Staubsauger, im Empfangsbereich das Klingeln des Telefons und die Stimmen der Gäste und Mitarbeitenden. Innerhalb des Restaurant- und Barbereichs ist insbesondere in den Abendstunden Musik zu vernehmen, die jedoch dezent im Hintergrund bleibt und die Anwesenden nicht dazu nötigt, lauter zu sprechen. Diese hoteltypische Geräuschkulisse wird teilweise von der Hotelleitung gesteuert, beispielsweise was die musikalische Untermalung der Räumlichkeiten und die Art und Weise der Kommunikation der Angestellten mit den Gästen betrifft, z.B. die Angemessenheit der stimmlichen Lautstärke in der konkreten Sprechsituation.25 Andere Geräusche, die mitunter störend 24 | Vgl. dazu auch die ökotrophologische Studie von Seemüller (2008), der der geschmacklichen Bewertung von Mahlzeiten und der räumlichen Umgebung, in der diese eingenommen werden, eine sich wechselseitig bedingende und beeinflussende Abhängigkeit konstatiert. 25 | Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass während des gesamten Forschungsaufenthaltes keinerlei verbal geäußerte und laut ver-
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wirken könnten (das laute Klappern von Geschirr oder das Surren von Reinigungsmaschinen) sind zeitlich und räumlich ausgelagert, so dass in den vorrangig für die Gäste bestimmten Räumlichkeiten ein gleich bleibend ruhiger, angenehm wirkender Geräuschpegel wahrzunehmen ist. Die auf die jeweiligen Situationen und Räume abgestimmte, gezielt eingesetzte Geräuschkulisse ist nicht nur Teil des vorgegebenen und inszenierten Spacings, das eine für alle Beteiligten möglichst angenehme Atmosphäre erzeugen will, sondern bildet auch einen auditiven Rahmen, dem sich die Gäste und andere Anwesende in ihrer individuellen Geräuschproduktion anschließen. Vermieden werden hierbei insbesondere laute Geräusche und lautes Sprechen, um sich von der (intendierten) Geräuschkulisse nicht abzuheben.26 Abschließend möchte ich auf eine meiner Ansicht nach besonders bemerkenswerte Außenwirkung von Spacing-Objekten zu sprechen kommen, nämlich der des Geruchs. Mit Speisen wird nicht nur ein bestimmter nehmbare Konfliktsituationen beobachtet werden konnten. Dies war insbesondere für die Kommunikationssituation der Angestellten untereinander unerwartet, da in gemeinsamer Teamarbeit, insbesondere in Stresssituationen, wenn der Hotel- und Restaurantbetrieb zu bestimmten Uhrzeiten auf Hochtouren läuft, sich auch Missverständnisse und Konfliktsituationen herausbilden können. Dass solche Konflikte nicht wahrzunehmen waren, bedeutet jedoch nicht, dass diese nicht existieren. Vielmehr ist hier davon auszugehen, dass entstehende Konflikte entweder so angesprochen und thematisiert werden, dass dies für Außenstehende bzw. die Gäste nicht zu bemerken ist, oder aber dass Konfliktsituationen in Räumen stattfinden, die sich der Wahrnehmungsmöglichkeit durch die Gäste und andere Personen entzieht. Dies ist meines Erachtens als eine Spacing-Leistung zu verstehen, die eine bestimmte Raumatmosphäre zum Ziel hat, bzw. die vorhandene Raumatmosphäre vor Störungen zu schützen versucht. 26 | Eine Ausnahme bildete ein etwas lauteres Lachen von Gästen und Mitarbeitenden in bestimmten Situationen, das sich deutlich von dem üblichen Geräuschpegel abhob. Dass lauteres Lachen jedoch nicht als Störfaktor innerhalb der vorherrschenden, eher ruhigen auditiv wahrnehmbaren Atmosphäre beobachtet werden konnte, ist aus meiner Sicht auf den zumeist positiven Stellenwert von Lachen innerhalb der Alltagskommunikation als eine Äußerung der Freude, Erheiterung und des Glücksempfindens zurückzuführen. Dies bestätigt im Falle der Hotelsituation wiederum die mittels des Spacings intendierte Atmosphäre, die diese Art der Gefühle ermöglichen soll.
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Geschmack, sondern auch ein bestimmter Geruch assoziiert, oder aber, im umgekehrten Fall, anhand eines spezifischen Geruchs wird auf das Vorhandensein der jeweiligen Speise in unmittelbarer Nähe geschlossen. Auch die Kommunikation über wahrnehmbare oder nicht wahrnehmbare Gerüche ist ähnlich der Wahrnehmung von Wärme oder Kälte eine alltägliche Praxis und gleichsam die Verständigung und Aushandlung über sinnhaft erfahrene räumliche Wirkungen. So gibt es zwar häufig in Bezug auf spezifische Gerüche ähnliche Meinungen, ob man diese als angenehm oder unangenehm erachtet, diesbezüglich ausgelöste assoziative Verknüpfungen oder auch emotionale Befindlichkeiten sind jedoch individuell und mitunter völlig unterschiedlich. Für die Hotelsituation können für die unterschiedlichen Räume aus der jeweiligen Nutzungsbestimmung resultierende Gerüche identifiziert werden, die als eine Form der Außenwirkung platzierter Güter erscheinen. So riecht es im Restaurantbereich oder in der Küche nach zubereiteten Speisen, während in den Räumen der Wäscherei und den für den RoomService vorbehaltenen Bereichen Gerüche von Wasch- und Putzmitteln überwiegen. Wahrgenommene Gerüche als nicht sichtbare, chemische Verbindungen werden häufig, so eine Annahme meinerseits, assoziativ mit gedanklichen Bildern an bestimmte Gegenstände, Ereignisse und/ oder Orte verbunden bzw. erinnert. Gerade im Zusammenhang mit der olfaktorischen Wahrnehmung wird deutlich, wie sehr sinnliche Wahrnehmung stets als ein sich wechselseitig bedingendes Gefüge aufzufassen ist, dass in seinen komplexen parallelen und vor allem gleichzeitigen Wirkungen als ein multiples Zusammenwirken der verschiedenen Sinneseindrücke funktioniert, innerhalb welchem die einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen oft schwerlich zu trennen sind. Hier ist anzunehmen, dass die einzelne sinnliche Wahrnehmung die jeweils anderen oder auch in der Situation nicht vorhandenen Eindrücke kompensatorisch mit einbezieht bzw. dass die Erfahrung eines sinnlichen Eindrucks immer auch die verbliebenen Sinne in Bezug auf die Wahrnehmung von Phänomenen sensibilisiert, so dass diese möglichst umfangreich erfasst und wahrgenommen werden können. Auch die Studie von Bischoff (2007) über die nicht-visuellen Dimensionen des Städtischen erörtert die Frage, inwiefern Gerüche als ein konstitutiver Bestandteil der funktionalen, sozialen und kommunikativen Beschaffenheit von Städten betrachtet werden können und im Rahmen von Raumwahrnehmungsprozessen bestimmte Funktionen ausüben. Die Stu-
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die erforscht die Wirkungsweise von städtischen Atmosphären27 in einer visuell, akustisch, taktil, gustatorisch und vor allem olfaktorisch erlebbaren Stadt und ist eine der wenigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum, die die Geruchswahrnehmung im Kontext von Raumwahrnehmungsprozessen untersucht.28 Die Atmosphäre einer Stadt »kann nur im Spüren erfasst werden« (Bischoff 2007, 16). Dieses Spüren über die Sinneseindrücke führt zu erlebten bzw. gefühlten Atmosphären und stellt eine Dimension sinnlich erlebbarer Raumqualitäten dar (vgl. ebd., 18). Der Geruch von Räumen und Orten kann als ein Faktor in raumkonstruierenden Prozessen aufgefasst werden, der über die wahrnehmbare atmosphärische Wirkung bzw. Ausstrahlung und Außenwirkung von Spacing-Objekten zutage tritt und in seiner jeweiligen Wirkung, d.h. in der letztlich beurteilenden Empfindung, dazu beiträgt, in welcher Weise ein Raum angenommen und angeeignet wird. Auch Bischoff betont im Zusammenhang mit Raumwahrnehmungsprozessen das Vorherrschen eines Visualitätsparadigmas (vgl. ebd., 33), welches zumeist die visuelle Wahrnehmung räumlicher Dimensionen fokussiert und die übrigen Sinneseindrücke eher vernachlässigt. Doch gerade der Geruch bzw. die olfaktorische Wahrnehmung fungiert als ein Element der Raumkonstruktion, der Akteure zwangsläufig ausgesetzt sind: So kann man die Augen schließen, um visuellen Eindrücken zu entgehen, auch das Hören lässt sich mit Hilfsmitteln umgehen, die taktile bzw. haptische Wahrnehmung kann relativ leicht beeinflusst werden – doch das Riechen, das über die Nase erfolgt, die gleichzeitig als Atmungsorgan fungiert, kann nur temporär eingeschränkt werden. Auch der aktiven Einflussnahme auf die in Räumen wahrgenommenen Gerüche sind Grenzen gesetzt, da die geruchsgebenden Außenwirkungen der Spacing-Objekte nicht immer entfernt oder umstrukturiert werden können. Letztlich ist so die olfaktorische Wahrnehmung von und in Räumen 27 | Bischoff bezieht sich bei der Verwendung des Begriffs der Atmosphäre auf die Überlegungen von Böhme (1995). 28 | Bischoffs Ausführungen sind insofern von Bedeutung, als dass sie neben der empirischen Untersuchung zu olfaktorischen Dimensionen in Frankfurter Stadtteilen auch einen Überblick über die bisherige kulturwissenschaftliche und geographische Forschung zum Themenfeld des Geruchs nachzeichnen, insbesondere der französischen »geographie des odeurs« sowie der in Nordamerika begründeten »Sensous geographies« (vgl. 2007, 47ff).
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eine Information der raumatmosphärischen Wirkung, der man sich weit weniger zu entziehen vermag, als es bei den übrigen Sinneseindrücken der Fall ist. Ausgehend von den philosophischen Überlegungen von Hermann Schmitz, Wahrnehmungsprozesse als leibliche Kommunikation aufzufassen, die über synästhetische Wirkungen eine Verbindung zwischen der persönlichen Wahrnehmung und dem umgebenden Raum generiert, betrachtet Bischoff die räumliche Atmosphäre als eine sinnlich wahrnehmbare Dimension konkreter Räume und Orte, die eine »gefühlte Beziehung zum Umgebungsraum« verkörpert, innerhalb derer der Mensch mit seiner Umgebung in korrespondierende Austauschprozesse tritt (vgl. ebd., 26f). Dementsprechend verweist Bischoff auf den Geographen Hasse, der das Spüren von Atmosphären als leibliches Befinden auffasst, welches im Rahmen von deutenden Denkmustern auf die Konstruktionsvorgänge und Erschließungsmechanismen der sozialen Welt zurückwirkt (vgl. ebd., 27). Hieran schließen auch meine Überlegungen an, den wahrgenommenen atmosphärischen Raum als konstitutiv sowohl für die leiblich-sinnliche (physische) als auch für die emotionale (psychische) Befindlichkeit von raumwahrnehmenden Akteuren zu erachten, der als beeinflussender Faktor auf die deutenden Konstruktionsprozesse der erlebten Umgebung einwirkt. Auch die sich in der jeweiligen Umgebung befindenden bzw. im räumlichen Spacing platzierten Menschen unterliegen somit einer durch raumatmosphärische Wirkungsweisen beeinflussten Wahrnehmung der Mit-Anwesenden. Zurückkommend auf die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Studie kann festgestellt werden, dass auch die Wahrnehmung von verkörperter Differenz und die damit einhergehende soziale Konstruktion von Menschen als von einer Norm abweichend und beeinträchtigt von der durch raumatmosphärische Wahrnehmungen beeinflussten Befindlichkeit geprägt ist. Die erlebte Raumqualität und die damit einhergehende persönliche Befindlichkeit sind also als mitverantwortlich für die Betrachtung und unter Umständen auch Wertschätzung behinderter Menschen aufzufassen. Ebenso kann die raumatmosphärisch erzeugte Befindlichkeit dazu beitragen, Sympathie, Antipathie, Interesse, Ekel oder Unsicherheitsgefühle im Hinblick auf die innerhalb eines Raums stattfindenden Begegnungen mit Akteuren und ihren Körpern zu entwickeln. Für die bisher betrachteten sinnlichen Wahrnehmungen von Raum bzw. räumlichen Dimensionen kann unter Rückbezug auf die Beobachtungen am Forschungsort Hotel demnach Folgendes angenommen werden:
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Der atmosphärische Raum und das Wahrnehmen desselben kann als ein Element der konstruktiven Raumherstellung aufgefasst werden. Akteure erhalten innerhalb dieser individuell konstruierten räumlichen Atmosphäre über die sinnliche Wahrnehmung Informationen, die aus den Außenwirkungen der platzierten Güter und Menschen resultieren. Diese werden spürend wahrgenommen und sind zugleich Teil des konstruktiven Raumwahrnehmungsprozesses wie auch Faktoren, die auf die Befindlichkeit der im Raum anwesenden Akteure Einfluss nehmen. Raumkonstruktionen und die Wahrnehmung von in diesen enthaltenen atmosphärischen Informationen stehen in einem engen Verhältnis, wobei sich Konstruktionsprozess und verspürte atmosphärische Informationen wie ein Perpetuum Mobile gegenseitig bedingen und beeinflussen. Wenn also die räumliche Atmosphäre als ein wichtiges Element von Raumherstellungs- und Raumaneignungsprozessen zu konstatieren ist, verwundert es, warum ihr innerhalb von raumsoziologischen Überlegungen bisher eher eine marginale Bedeutung zukommt.
3. D ie D ynamik z wischen R aumatmosphäre und W ahrnehmung von verkörperter D ifferenz Im Folgenden werden die bisherigen Befunde und Überlegungen zu den am Forschungsort Hotel stattfindenden Raumwahrnehmungsprozessen sowie der damit verbundenen raumzeitlichen Erfahrung von anwesenden Personen mit einer verkörperten Differenz unter Berücksichtigung des Phänomens der räumlichen Atmosphäre zusammengefasst: 1. Räumliche Atmosphären sind das Resultat sinnlich wahrnehmbarer (Außen-)Wirkungen29 von an konkreten Orten befindlichen Gegenständen, Gegebenheiten der Umwelt30, Menschen und anderen Lebewesen. Diese Wirkungen, die visuell, taktil, olfaktorisch, auditiv und gustatorisch aufgenommen werden, übermitteln Informationen über die sie ausstrahlenden Gegenstände, umweltlichen Gegebenheiten, 29 | Die Konzeption Löws, Atmosphären als Außenwirkungen sozialer Güter und Menschen aufzufassen (2001, 205) wird hier als theoretische Basis verwendet. 30 | Mit umweltlichen Gegebenheiten sind hier insbesondere verschiedene Wetterlagen gemeint.
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Menschen und andere Lebewesen. Diese sinnlich erfahrenen Informationen werden dabei von den wahrnehmenden Akteuren in den meisten Fällen nicht differenziert, sondern in der Form eines atmosphärischen Gesamteindrucks wahrgenommen. 2. Akteure nehmen an konkreten Orten unterschiedliche Räume wahr bzw. stellen diese in konstruktiven Prozessen her. Diese Raumwahrnehmung erfolgt in Anlehnung an Löws raumtheoretische Überlegungen (2001) mittels der Syntheseleistung, d.h. über Wahrnehmungsprozesse werden vorhandene Gegenstände, umweltliche Gegebenheiten, Menschen und andere Lebewesen als Raum bzw. Räume empfunden und wahrgenommen. Dieser Prozess der Raumherstellung ist untrennbar mit der Wahrnehmung von Atmosphären verbunden, d.h. die sinnlich wahrnehmbaren Außenwirkungen von Lebewesen und Gütern an Orten sind konstitutives Element der Raumwahrnehmung. Raumherstellung und die Wahrnehmung von raumspezifischen Atmosphären sind als ein gleichzeitig ablaufender und sich dabei wechselseitig beeinflussender Prozess aufzufassen. 3. Die innerhalb der Raumherstellung wahrgenommenen Atmosphären sind in der Lage, Emotionen hervorzurufen bzw. zu verändern. Die atmosphärischen Außenwirkungen der anwesenden Lebewesen und Güter besitzen dabei eine Art Informationscharakter, der im Rahmen der raumkonstruierenden Prozesse ausschlaggebend dafür ist, wie sich Akteure innerhalb der wahrgenommenen Räume fühlen. Die dabei verspürten Emotionen sind sowohl ein Resultat des eigenen, sinnlich erfahrenen Sich-Befindens an konkreten Orten als auch ein mögliches Beurteilungskriterium im Hinblick auf die Beschaffenheit der wahrgenommenen Räume. D.h. die emotionalen Empfindungen in wahrgenommenen Räumen stehen in einem engen Zusammenhang mit den emotionalen Empfindungen und Beurteilungen in Bezug auf diese Räume. 4. Die Begegnung von Menschen an konkreten Orten ist ein Bestandteil von raumherstellenden Prozessen. Akteure sind dabei sowohl raumherstellendes Subjekt als auch qua ihrer körperlichen Anwesenheit Teil des räumlichen Arrangements, das wiederum von anderen Akteuren als Raum synthetisiert wird. Akteure und ihre Körper besitzen eben-
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falls atmosphärisch wirksame Außenwirkungen in Form von sinnlich wahrnehmbaren Informationen, die in den Prozess der Raumherstellung einfließen. 5. Raumherstellende Konstruktionsprozesse und deren inhärente atmosphärische Wahrnehmungen können dazu beitragen, wie die an einem Ort stattfindende Begegnung mit anderen Akteuren empfunden und beurteilt wird. Eine als positiv empfundene Wahrnehmung von räumlichen Gegebenheiten und Dimensionen kann dazu führen, dass auch die innerhalb der räumlichen Situationen anwesenden Menschen als angenehm empfunden und positiv betrachtet werden, ebenso kann die Anwesenheit von als angenehm empfundenen Personen dazu beitragen, dass wahrgenommene Räume positive Empfindungen hervorrufen. Raumherstellungs- und Raumaneignungsprozesse und die Wahrnehmung anderer Akteure innerhalb dieser Räume stehen somit in einer engen wechselseitigen Beziehung. 6. Die Wahrnehmung anderer Akteure ist zugleich auch die Wahrnehmung von deren Körpern in einem räumlichen Kontext. Sowohl die räumliche Wahrnehmung als auch die Wahrnehmung der verkörperten Anwesenheit anderer Akteure sind als konstruktive Prozesse aufzufassen. Durch atmosphärisch wirksame Außenwirkungen der räumlichen Gegebenheiten bzw. materiellen Sachverhalte an konkreten Orten werden Räume als Räume von unterschiedlichen Qualitäten und Bedeutungen erkannt und empfunden. Dies gilt zugleich für die in Räumen wahrgenommenen Körper bzw. die materiell-stofflich erfahrbare Anwesenheit anderer Akteure. Atmosphären als Element der Raumherstellung und Raumwahrnehmung tragen somit in konstitutiver Hinsicht dazu bei, ob und in welchem Maße der Körper oder die mit dem Körper vollzogenen Interaktionspraktiken einer anderen Person als abweichend, behindert oder beeinträchtigt wahrgenommen werden. 7. Der atmosphärische Raum und die ihm inhärenten Informationen können innerhalb der aktuellen Raumwahrnehmungssituation (zuvor) bestehende Erfahrungen, Annahmen und Erinnerungen verändern oder bestärken. Der atmosphärische Raum besitzt das Potential, gesellschaftliche Codes, Zeichen und Symbole und ihre jeweilige Be-
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deutung in den Fokus der Aufmerksamkeit zu ziehen oder sie als unbedeutend oder weniger wichtig erscheinen zu lassen. Die im Rahmen von Raumherstellungsprozessen wahrgenommenen Atmosphären entwickeln dabei performative Funktionen und Qualitäten, die mit Zuschreibungs- und Benennungspraktiken einhergehen: Die als angenehm, ästhetisch, perfekt etc. empfundene Raumwahrnehmung erstreckt sich auch auf die in diesem Raum angetroffenen Akteure bzw. die Wahrnehmung von deren Körpern. 8. Körper von Personen, die im Hinblick auf geltende Normalvorstellungen als abweichend bzw. beeinträchtigt bezeichnet werden, können im Rahmen der raumatmosphärischen Wahrnehmung anders wahrgenommen werden. Die als Behinderung empfundene bzw. mit differenter und defizitärer Körperlichkeit verbundenen Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Wissenskriterien können dabei modifiziert, aufgelöst oder erneuert werden. Der atmosphärische Raum besitzt funktionale Wirkungen hinsichtlich der sozialen Praktiken, anhand derer Akteure andere Personen als beeinträchtigt bzw. körperlich different wahrnehmen. Zugleich ist der atmosphärische Raum auch ein herstellbares und zweckgerichtet einsetzbares Inszenierungsinstrument, innerhalb dessen Wirkungsweisen räumlich platzierter Gegenstände und/oder Personen hervorgehoben oder kaschiert werden können. Der atmosphärische Raum ist dann Teil einer Platzierungspraxis, deren Ziel die Veränderung, Auflösung und Neugestaltung herkömmlicher Wahrnehmungs- und Rezeptionspraktiken ist.
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse von Raum und verkörperter Differenz
Wenn ich in wenigen Worten beschreiben soll, was ich hier in den letzten 4 Tagen erlebt habe, so sind es gelebte Fürsorge und Achtsamkeit: Sorge für das leibliche Wohl, für jeden Winkel dieses wunderschönen Hauses, für Anregungen aus der Welt durch Bücher. Achtsamkeit für die Möglichkeiten des Einzelnen, für die Ecken und Kanten, den Charme des manchmal nicht ganz Perfekten. Dies alles darf sein, wie es ist. Wenn mir so viel Achtsamkeit und Fürsorge begegnet, gelingt es mir wieder leichter, für mich und meine Aufgaben zu sorgen und meine Ecken und Kanten zu achten […]. Was habe ich gelernt? – Den Dingen die Zeit zu lassen, die sie brauchen, Staunen, Gelassenheit und Zuversicht. Ein sehr persönlicher Hotelaufenthalt! Vielen herzlichen Dank den Mitarbeitern/Innen des Hauses und weiterhin alles Gute! (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
1. R äume machen K örper – K örper machen R äume Räume sind keine a priori vorhandenen Gegebenheiten und Selbstverständlichkeiten, sondern werden in komplexen sozialen Prozessen konstruiert, angeeignet und wahrgenommen. Auch menschliche Körper, die aus organischen Stoffen bestehen, sind Teil dieser komplexen Herstellungsprozesse. Sowohl menschliche Körper als auch lokalisierbare Räume besitzen zwar offensichtliche, materiell-stofflich wahrnehmbare Komponenten bzw. charakteristische Merkmale, doch sind diese materiellen Merkmale und Ausformungen nur ein Bestandteil der Konstruktion von Räumen und Körpern. So zumindest argumentiert ein poststrukturalistisch-konstruktivistisches Verständnis von Körper und Räumen. Wie
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Räume und Körper im Rahmen sozialer Prozesse und Praktiken hergestellt und aufgefasst werden, unterliegt dabei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und situativen Verläufen. Dieser Studie liegt die Perspektive zugrunde, dass die Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Räumen und Körpern untrennbar miteinander verbunden sind: Menschen und ihre Körper werden am Forschungsort unter Einbezug von Raumherstellungsprozessen konstruiert und wahrgenommen. Die Begegnungen mit anderen Menschen bzw. deren verkörperter Präsenz ist ein grundsätzliches Element von aktiven Raumherstellungs- und Raumaneignungsprozessen. Räume und Körper sind also in einer wechselseitigen Dynamik an ihrer jeweiligen Herstellung beteiligt. Dies scheint für die wahrnehmende Herstellung von Körpern offensichtlich zu sein – trifft man Körper doch grundsätzlich in einer wie auch immer gestalteten räumlichen Umgebung an. Aber auch die Herstellung von Räumen ist untrennbar mit Körperlichkeit verbunden, denn auch wenn man allein ist und einen Ort, an dem sich keinerlei andere menschliche Körper befinden, als Raum konstruiert, so geht diese Konstruktionsleistung doch vom eigenen Körper aus, ohne den der aktive Herstellungsprozess nicht möglich wäre. Es bedarf jedoch weiterer Überlegungen und insbesondere empirischer Nachforschungen, um diese wechselseitige Bezogenheit von Körpern und Räumen innerhalb sozialer Alltagspraktiken sichtbar zu machen und ihre Relevanz für gesellschaftliche Prozesse aufzuzeigen. Strüver et al. (2000) befassen sich vor dem Hintergrund einer humangeographischen Sichtweise mit dem Wechselverhältnis von Körper und Raum. In ihrem in der soziologischen Forschung bislang wenig rezipierten Aufsatz zu verkörperten Räumen und verräumten Körpern (ebd.) beschreiben sie das Verhältnis von Körpern und Räumen und ihre Bedeutung für gesellschaftliche Prozesse. »Wie wir uns geben und wie wir uns und andere sehen, ist jedoch nicht naturgegeben, sondern durch gesellschaftliche Prozesse beeinflusst. Auch Körper sind gesellschaftlich konstruiert und stehen in einem gesellschaftlichen Kontext. Es macht daher wenig Sinn, Körper ohne Raum und Raum ohne unterschiedliche Körper zu betrachten.« (Strüver et al. 2000, 130)
Die Autorinnen stellen Räume und Körper somit in einen unmittelbaren, konstitutiven Zusammenhang. Sie gehen davon aus, dass im Rahmen von Eigen- und Fremdwahrnehmungen Körper und Räume interpretiert
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
und als Teil der Wirklichkeit konstruiert werden, wobei zu klären sei, anhand »welcher Praktiken Körper [in Räumen, Anm. d. A] konstruiert und Bedeutungen inszeniert werden« (vgl. ebd., 131). In einer späteren Arbeit Strüvers zur Bedeutungsverflechtung von Körpern und Räumen, in der sie Machtverhältnisse und Identitätskonstruktionen in die Betrachtung mit einbezieht, wird die aufeinander bezogene Abhängigkeit von Raum und Körper und den ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Bedeutungsstrukturen noch deutlicher: »Räume werden unter anderem durch verkörperte Subjekte und deren Praktiken produziert und Körper sind infolgedessen nicht nur Medium des Raumerlebens, sondern über Raumnutzungsstrukturen auch ›Raumproduzenten‹, die Räume gestalten, ihre Bedeutungen manifestieren oder auch ›umschreiben‹ können. Zugleich beeinflusst die Räumlichkeit als Medium des Sozialen und als ›Achse, entlang derer die Welt erfahren wird‹ auch die Konstitution von verkörperten Subjekten, so dass gleichermaßen Räume Körper ›machen‹ und Körper Räume machen.« (Strüver 2010, 233)1
Ausgehend von diesen Überlegungen werden im folgenden Kapitel weitere Wechselwirkungen in der Wahrnehmung von verkörperter Differenz und Raum innerhalb des beforschten Hotels beschrieben. Dabei werden vorrangig die Wahrnehmungsweisen von verkörperter Differenz und die ihr innerhalb des räumlichen Kontextes zugeschriebenen Bedeutungsformen durch die nicht beeinträchtigten Gäste in den Blick genommen.
1.1 Transformationen von Erfahrungen Menschen mit Beeinträchtigungen und ihre alltäglichen Lebenssituationen werden insbesondere im deutschsprachigen Raum vielfach aus einer Perspektive der begrenzten Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftsrele1 | Diesbezügliche Vorüberlegungen und eine systematische Unterscheidung von Fremd- und Eigenwahrnehmung menschlicher Körper in räumlichen Kontexten finden sich auch bei Wucherpfennig/Strüver/Bauriedel (2003, 55-87) zur Wahrnehmung und Repräsentationspraxis von Menschenbildern. Vgl. dazu auch die Studie von Schmincke (2009), die das Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung untersucht und u.a. darlegt, wie gefährliche Orte entsprechend als gefährlich wahrgenommene Körper produzieren.
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vanten Bereichen betrachtet. Insofern ist das Hauptziel sozialpolitischer Forderungen und Bestrebungen, diese Teilhabe stetig zu optimieren und auf möglichst alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auszudehnen. Staatliche und sozialpolitische Organisationen und Organe beschreiben und verfolgen eine Programmatik, deren Ziel die uneingeschränkte Teilhabe ist und Diskriminierungen, exkludierende Strukturen und Benachteiligungen für beeinträchtigte Menschen zu beseitigen sucht. Auch innerhalb der untersuchten Hotelsituation begegnet man diesem Prinzip, indem für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen Arbeitsplätze bereitgestellt werden, um Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. In dieser Perspektive fungiert die Arbeitsstätte Hotel als ein Ort der gesellschaftlichen Teilhabe beeinträchtigter Menschen. Die Analyse der Gästebucheinträge lässt jedoch eine interessante Umkehrung dieses Teilhabeprinzips erkennen: Es zeigt sich, dass die Gäste weniger ein anhand bestimmter Rahmenbedingungen ermöglichtes Teilhabeprinzip für die behinderten Angestellten sehen, sondern vielmehr sich selbst als Teilhabende an integrativen Prozessen darstellen. Die nachfolgenden Einträge verdeutlichen, inwiefern die Wahrnehmung des integrativen Teilhabeprinzips der beeinträchtigten Akteure vor Ort sich innerhalb der räumlichen Erfahrung zu einer emotional stark aufgeladenen und mit Dankesgefühlen besetzten Raumwahrnehmung wandelt, in welcher die Gäste sich selbst als einen Teil dieses Prinzips empfinden: Hier wurde tatsächlich ein Traum verwirklicht. Danke im Namen all derer, die daran teilhaben dürfen. (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII) »Miteinander leben – voneinander lernen – füreinander dasein« Mit diesem Motto danken wir von ganzem Herzen für eine hochinteressante Führung durch das Unternehmen u. das Museum! (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
Beide Einträge beziehen sich auf ein als gemeinschaftlich und harmonisch empfundenes Miteinander von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Menschen, verbunden mit dem Dank, dieses erleben zu können. In der ersten Eintragung wird das Miteinander zu einem Traum stilisiert; zu einem in der gesellschaftlichen Realität in dieser Form nicht vorhandenen Aufeinandertreffen von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Menschen, welches innerhalb des Hotelraums konkrete Formen annimmt. Dieser Traum, an welchem man räumlich und zeitlich
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
begrenzt partizipiert, erscheint als etwas Besonderes. Ein Traum, der Menschen außerhalb der Hotelsituation von einer Teilhabe an diesem speziellen Miteinander ausschließt und dessen Zugang nur »all denen« im besagten »hier« ermöglicht wird. Die Verwendung des Verbs »dürfen« deutet hier darauf hin, dass man diese Teilhabe nicht als selbstverständlich, sondern als Privileg empfindet. Die Rede von einem Traum lässt jedoch auch die Deutung eines möglichen Zweifels zu; so kann im Sinne einer Erfahrung, die eigentlich zu schön ist, um tatsächlich wahr zu sein, an der realen Existenz dieses Miteinanders gezweifelt werden, auch wenn der Traum hier in der Empfindung als »tatsächlich« verwirklicht beschrieben wird. Auch im zweiten Beispiel wird eine auf die Hotelsituation bezogene Dankbarkeit sichtbar, die sich auf eine konkret ausgestaltete Idee des Miteinanders bezieht, in dem die Interaktionen von gegenseitigem Geben und Nehmen geprägt sind. Die Beispiele sprechen von Dankbarkeit für eine in die Tat umgesetzte Idee. Das Erleben des für die beeinträchtigten Menschen vor Ort praktizierten Teilhabeprinzips wird zu einer mit großer Dankbarkeit empfundenen Möglichkeit an diesem Prinzip teilzuhaben; zu einem exklusiven, einem bestimmten Personenkreis vorbehaltenen Erlebnis. Auffällig ist in der nach den Interpretationstechniken der objektiven Hermeneutik durchgeführten Analyse der Gästebucheintragungen auch die Schreibweise in der Wortverbindung füreinander dasein, welche von der korrekten Schreibweise des Verbs ›da sein‹ abweicht und in diesem Zusammenhang den Blick frei gibt auf eine mögliche Differenz zwischen der intendierten Aussage und der tatsächlich realisierten Notation.2 Die Betrachtung dieser zunächst als ein kleiner Schreibfehler erscheinenden Differenz zwischen dem intentional artikulierten Sinngehalt und der möglichen latenten Sinnstruktur des Wortes dasein lässt die folgenden Überlegungen zu: Im Kontext der Eintragung kann das in Alltagssituationen praktizierte »füreinander da sein« mit einer anderen Bedeutungsdimension verknüpft werden. Das Füreinander dasein kann somit als das füreinander Dasein – im Sinne von Dasein als Existenz auf dieser Welt – gedeutet werden. Das in den Hotelräumen stattfindende Miteinander beeinträchtigter und nicht beeinträchtigter Akteure wird zu einer idealen, 2 | Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Prinzip der Wörtlichkeit und der Relevanz abweichender Schreibweisen innerhalb der Textstruktur im Rahmen hermeneutischer Deutungsverfahren bei Wernet (2009).
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von Gleichberechtigung geprägten Daseinsform, in welcher zugleich das gemeinschaftliche Für- und Miteinander als handlungsleitend angesehen wird. Auch die folgenden Beispiele zeigen, inwieweit sich das praktizierte Teilhabeprinzip für die beeinträchtigten Mitarbeitenden vor Ort in der situativen Wahrnehmung zu einem quasi generellen Prinzip eines gleichberechtigten Miteinanders wandelt und den Gast neben seiner Rolle als zahlender Hotelbesucher zum Gast und Teilhaber eines räumlich-inszenierten Prinzips werden lässt: Schön, dass es Sie gibt. Danke, für alles, was Sie machen! Tolle Sache die Ihr hier habt (beide Beispiele aus den Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
Die in den Beispielen bekundete Freude, Anerkennung und Dankbarkeit richtet sich an Sie und Ihr und bezieht sich damit auf bestimmte Personen: Wenngleich diese nicht näher bestimmt sind, lässt sich jedoch vermuten, dass die Initiatoren bzw. Betreiber des integrativen Projekts gemeint sind. Diese konkrete Adressierung des Danks und der Anerkennung zeigt, dass hier möglicherweise ein Bewusstsein dafür vorliegt, dass man es vor Ort mit einer nicht selbstverständlichen, sondern wohl geplanten und initiierten (räumlichen) Situation zu tun hat, in welcher Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam agieren. Benachteiligungen und Ausgrenzungsprozesse für Menschen mit Beeinträchtigungen erscheinen in der gemeinsamen Platzierung von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Personen im räumlichen Hier des Hotelaufenthalts nicht denkbar. Letztlich löst die auf einen konkreten Raum bezogene Inszenierung dieser inklusiv operierenden Gemeinschaftlichkeit den Blick auf eventuell durch ihre verkörperte Differenz benachteiligte Personen auf. Die Beschreibung der räumlichen Platzierung und Inszenierung des Miteinanders als tolle Sache unterstreicht zusätzlich, inwiefern das auf den konkreten Raum begrenzte Erleben von Teilhabe als ein übergeordnetabstraktes und dabei doch gegenständlich-greif bares Phänomen wirkt; so kann sich die tolle Sache gleichermaßen auf die übergeordnete Idee des Miteinanders im Hotel als auch auf die konkrete Ebene der gemeinsamen Interaktion am Ort beziehen. Welche Personengruppe dabei letztlich welche Art von Teilhabe erfährt – die beeinträchtigten Mitarbeitenden Teilhabe an allgemeingültigen Formen und Abläufen des so genannten ersten Arbeitsmarktes und die nicht beeinträchtigten Anwesenden Teilhabe
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
an integrativen, inkludierenden Strukturen für in vielerlei Bereichen benachteiligte Personen –, löst sich in der räumlich begrenzten Situation des Hotels im Kontext der Raumherstellungsprozesse und den mit diesen verbundenen Konstruktionen und Empfindungen von verkörperter Differenz auf.
1.2 Stilisierung von verkörperter Differenz An jeder Wand befinden sich sehr große Bilder in schweren Rahmen verschiedener Künstler, allesamt modern. Dazwischen immer wieder Bilder, die von den behinderten Angestellten gemalt worden sind und, wie ich den Untertiteln entnehmen kann, in verschiedenen Projekten, die hier im Hotel stattgefunden haben, entstanden sind. (Auszug Feldprotokoll) Sie hat höchsten Respekt vor der Arbeitsleistung der Leute, die sich oftmals noch enorm steigert. »Sie machen ihre Sache richtig gut und wir haben hier wirklich viel zu tun«. Sie würde auch immer wieder über die verborgenen Talente staunen, die es bei den behinderten Mitarbeitenden zu entdecken gibt und von denen wir als so genannte nicht Behinderte lernen können. (Auszug Protokoll ero-episches Gespräch III mit einer Person der Hotelleitung)
Beide Beispiele aus dem erhobenen Datenmaterial verdeutlichen, inwiefern der Hotelraum als Begegnungsort von behinderten und nicht behinderten Personen auch die Funktion eines Präsentationsorts mit der Intention des Aufzeigens und Bekanntmachens von personenbezogenen Fähigkeiten und Eigenschaften übernimmt. Der Hotelraum wird somit zum symbolischen Darstellungsraum. Das integrative und auf Teilhabe ausgerichtete Konzept des Hotels, das als räumlich-institutionalisierte Rahmung des gemeinsamen Miteinanders fungiert, wird von einer verantwortlichen Organisation, in diesem Fall die Hotelleitung, festgelegt und in Bezug auf die Umsetzung überprüft. Der Hotelraum als Ort des gemeinschaftlichen Miteinanders von behinderten und nicht behinderten Personen, als Ort, an dem alle – unabhängig von verkörperten Differenzen – mit ihren individuellen Möglichkeiten anerkannt, geschätzt und respektiert werden, beruht zunächst auf der ideellen Anstrengung, der konkret ökonomischen Realisierung und der konzeptuellen Umsetzung, die nicht behinderte Personen leisten und dadurch diesen Raum erst ermöglichen. Im Hinblick auf die nach Löw im Rahmen dieser Studie
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diskutierte Spacing-Leistung, kann das erste Beispiel der nebeneinander platzierten Gemälde von nicht behinderten Künstlern und den behinderten Angestellten des Hotels Aufschluss darüber geben, inwiefern der Hotelraum die Fähigkeiten des Einzelnen betont und bewusst inszeniert. Die in den Hotelräumen platzierten Bilder, allesamt großformatig, mit einer aufwändigen Rahmung und einer kleinen Informationsschrift zum Titel des Bildes und der Namensangabe des Künstlers oder der Künstlerin versehen, werden bis auf geringe Abweichungen in der Rahmung völlig gleichförmig präsentiert: Es erschließt sich dem Betrachtenden auf den ersten Blick nicht, welche Gemälde von renommierten Künstlern der aktuellen Kunstszene stammen und welche von den beeinträchtigten Mitarbeitenden des Hotels angefertigt wurden. Die Platzierungstechnik und Präsentationsform der Gemälde im Raum impliziert eine Würdigung und Hervorhebung der künstlerischen Fähigkeiten der beeinträchtigten Mitarbeitenden, indem die Bilder gleichrangig mit den Werken bekannter Kunstschaffender präsentiert werden. Die individuellen Fähigkeiten eines Akteurs mit einer Beeinträchtigung, in diesem Beispiel das künstlerische Talent, werden in dieser Spacing-Leistung bzw. bewussten Platzierung betont und als etwas Besonderes stilisiert. Gleichzeitig jedoch, und dies stellt ein zentrales Ergebnis der Analyse der innerhalb des Hotels zu beobachtenden Hervorhebungs- und Stilisierungspraxis der Fähigkeiten der beeinträchtigten Mitarbeitenden dar, bewirkt die bewusste Hervorhebung und Platzierung auch eine Marginalisierung und Auflösung der in alltäglichen Praktiken vorgenommenen, diskurshaft vollzogenen Bedeutungszuschreibungen an verkörperte Differenz als Mangel. Dem Betrachtenden wird Kunst losgelöst von der Tatsache, ob es sich bei dem jeweiligen Exponat um ein Werk einer behinderten oder nicht behinderten Person handelt, präsentiert, zugleich entzieht sich dem Betrachter durch die räumliche Anordnungspraxis der Gemälde die Möglichkeit, eine Kategorisierung in Werke von behinderten bzw. nicht behinderten Künstlern vorzunehmen. Gerade diese nicht vorgenommene Differenzierung kann als eine Form der Hervorhebung gedacht werden; nämlich insofern, dass die gemeinsame Platzierung betont, dass die Arbeiten der behinderten Mitarbeitenden einen direkten Vergleich mit bekannten Künstlern nicht scheuen müssen. Diese Betonung von speziellen Fähigkeiten, im hiesigen Beispiel die künstlerische Begabung trotz einer im alltäglichen Leben als Behinderung aufgefassten Differenz, führt gerade durch ihre Hervorhebung dazu, die Differenz
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
nicht als etwas Spezielles bzw. problemhaft Defizitäres zu erleben. Diese Hervorhebung von Leistungen und Fähigkeiten der dort arbeitenden Personen mit einer Behinderung ist innerhalb des Hotelraums in vielfältiger Weise innerhalb des räumlichen Spacings verankert und Teil einer bewusst gesteuerten Platzierungspraxis. Die individuellen Fähigkeiten und Talente der beeinträchtigten Mitarbeitenden werden wiederholt in den Vordergrund gehoben, wie auch der anfangs zitierte Ausschnitt aus einem ero-epischen Gespräch mit einer Person der Leitung widerspiegelt. Die Aussage, die Angestellten »machen ihre Sache richtig gut und wir haben hier wirklich viel zu tun« verdeutlicht ebenso wie das Beispiel der im Raum angeordneten Gemälde eine Praxis des bewussten, betonten Umgangs mit verkörperter Differenz. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, inwiefern den nicht beeinträchtigten Mitarbeitenden bewusst ist, dass sie gemeinsam mit Menschen arbeiten, deren verkörperte Differenz und die daraus resultierenden möglichen Einschränkungen in Bezug auf alltägliche Arbeitsabläufe möglicherweise dazu führen, dass sie bestimmte Abläufe assistierend unterstützen bzw. begleiten müssen. In der impliziten und wiederkehrenden Betonung der Tatsache, dass man mit Menschen zusammenarbeitet, deren differente Körperlichkeit zunächst darauf schließen lassen könnte, dass bestimmte Arbeitsabläufe nur mit erheblichen Schwierigkeiten vollzogen werden können, schwingt jedoch ein nicht ausgesprochenes ›trotzdem‹ oder ›obwohl‹ mit: Die körperlich beeinträchtigten Mitarbeitenden machen ihre Sache, also die zugewiesenen Aufgaben und Anforderungen nicht nur richtig, sondern auch gut. Die Betonung der verkörperten Differenz wird hier wechselseitig postuliert und aufgelöst, indem nachdrücklich der Hinweis darauf erfolgt, dass die verkörperte Differenz keinen Einfluss auf die Arbeitsleistung nehme. Gleichzeitig repräsentiert die Aussage auch eine im erhobenen Material des Öfteren rekonstruierbare Unsicherheit beim Sprechen über die Mitarbeitenden mit verkörperter Differenz. Die Feststellung, dass man in dem Hotel mit beeinträchtigten Menschen zu tun habe, geht häufig mit der Betonung einher, dass diese Tatsache für die Belange der hotelinternen Arbeitsabläufe eine untergeordnete Rolle spiele. Das Hervorheben und Betonen der Präsenz verkörperter Differenz innerhalb des Hotelraums zeigt an dieser Stelle die bereits beschriebene Verflechtung von Raum und Körper und die ihnen zugeschriebenen Bedeutungen und Funktionen innerhalb sozialer Praktiken. Die innerhalb der Hotelräume stattfindende Wahrnehmung von Körpern als differente
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Körper ist hier ebenso an den erlebten und angeeigneten Raum gebunden, wie die gewissermaßen gleichzeitig verlaufenden Bedeutungszuschreibungen und Einordnungspraktiken der wahrgenommenen Personen und ihrer Körper. Im Rahmen der Raumwahrnehmung kann es dabei zu Auflösungen, Verschiebungen und/oder Marginalisierungen von vormals bestehenden Deutungsmustern und Auffassungen kommen, die in Verbindung mit als different wahrgenommener Körperlichkeit bestehen.
2. P rojek tionsort und W unschr aum Inwiefern erfassen und konstruieren Akteure das Hotel und das dort erlebbare Miteinander von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Menschen als einen Raum, der sich außerhalb von alltäglichen räumlichen Wahrnehmungspraktiken und Ordnungen ereignet und daher die Funktion eines besonderen Projektionsortes bzw. Möglichkeitsraums einnehmen kann? Die in den Gästebucheintragungen dokumentierten Raumwahrnehmungen zeugen von starken emotionalen Befindlichkeiten, an denen die Wahrnehmung von Atmosphären maßgeblich beteiligt ist, wie im vorausgegangenen Kapitel ausführlich thematisiert wurde. Das Hotel als konkreter, physischer Aufenthaltsort erzeugt dabei eine kokonstitutive Wahrnehmung von Räumen und verkörperten Differenzen. Diese Wahrnehmungsmuster zeigen teilweise eine sehr bedeutungsgeladene, überschwängliche und emotional überschüssige Raumaneignungspraxis, wie an den folgenden Beispielen erkennbar wird: Danke, für dieses herrliche Essen. Für die netten Blicke und die lieben Worte. Jetzt ist der Tag wieder lebenswert. Danke (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII) Danke! Ich war 1 Stunde im Garten Eden (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
Das Hotel und die dort erlebte Praxis eines integrativen, teilhabeorientierten Arbeitskonzepts wird in den Gästebucheintragungen wiederholt als ein exzeptioneller und besonderer Ort beschrieben. Als außergewöhnlicher und damit auch als ein außerhalb herkömmlicher und alltäglicher Raumordnungen wahrgenommener Ort erzeugt er Wahrnehmungsmus-
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ter und Empfindungen, die aufzeigen, wie sehr das räumliche Erlebnis als Form eines idealen, gleichberechtigten Miteinanders stilisiert wird. Das erste Beispiel zeigt dies in einer extremen Form, wenn der Aufenthalt als Grund herangezogen wird, den Tag und damit auch implizit das eigene Leben wieder als lebenswert zu empfinden. Dies könnte auf den Umstand hindeuten, dass außerhalb des Hotels gemachte Erfahrungen im Hinblick auf Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen mit Beeinträchtigungen als unzureichend und nicht erstrebenswert erachtet werden. Das Hotel wird zum konkreten Ort einer idealen Vorstellung eines gesellschaftlichen Miteinanders, das auf den Prinzipien von Respekt und Anerkennung beruht und die gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen für behinderte Personen fördert. Auch im zweiten Beispiel lässt sich diese Form einer sehr emotionsgeladenen Bedeutungszuschreibung an den vorgefundenen Raum erkennen: Das Hotel wird als Garten Eden bezeichnet. Dieser Vergleich des Hotels mit dem biblischen Paradies zeigt, wie sehr das Hotel als Ort Wahrnehmungsweisen generiert, die sich außerhalb einer herkömmlichen Alltagspraxis befinden. Das Hotel wird zu einem konkreten Ort, der mit Vorstellungen zum Paradies gleichgesetzt und als ein Ort des friedlichen und freundlichen Miteinanders empfunden wird. Gleichzeitig existieren an diesem Ort aber auch eigene, als exzeptionell wahrgenommene Regeln. Möglicherweise lässt dieser paradiesische Raum körperliche Unterschiede in den Hintergrund treten. Ein Charakteristikum des paradiesischen Orts wäre somit, dass die Konstruktion des Anderen als different bedeutungslos und damit überflüssig wäre. Das Hotel als Garten Eden, der für eine Stunde aufgesucht werden kann bzw. darf, wird hier als Raum konstruiert, der die Notwendigkeit, Bedeutungen zuzuschreiben, d.h. Menschen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinungsform zuzuordnen, zu klassifizieren und zu kategorisieren verändert bzw. auflöst und damit Individuen möglicherweise entlastet. Diese Interpretation des Gästebucheintrags verweist ebenfalls auf den ko-konstitutiven Zusammenhang der Herstellung und Aneignungsweisen von Raum und Körper, die sich hier als räumliche Praxis einer Gleichberechtigung und Gleichheit manifestiert, die Beurteilungspraktiken und differenzierende Kategorisierungen der anderen Anwesenden überflüssig macht. Die Erwähnung der zeitlichen Begrenzung der Aufenthaltsdauer, hier nur eine Stunde, verdeutlicht zudem, dass das Hotel als temporär erfahrbarer Raum gesehen wird, der nach Ablauf des Hotelaufenthalts wie-
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der verlassen wird. Es handelt sich wiederum um eine raumzeitlich gebundene Erfahrung.3 Gleichsam produziert dieser als exklusiv empfundene, extra-ordinäre Raum mit seiner spezifischen räumlichen Ordnungspraxis der gleichberechtigten Teilhabe eine inklusive Wahrnehmung von Personen mit einer verkörperten Differenz. Die Wahrnehmung des Raums als ein paradiesischer Ort ist in diesem Sinne möglicherweise mit dem Wunsch verknüpft, dass verkörperte Differenzen eine nur untergeordnete bzw. keine besondere Bedeutung für menschliche Kontaktsituationen einnehmen. Der Blick ins Gästebuch zeigt, inwiefern das Hotel auch als räumliche Konstruktion interpretiert werden kann, auf welche Wünsche, Vorstellungen und Hoffnungen in Bezug auf das Miteinander von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Menschen projiziert werden. Damit bewegen sich die räumlichen Wahrnehmungen und die mit diesen verknüpften Bedeutungszuschreibungen verkörperter Differenz zwischen zwei Polen: Das Hotel kann zum einen über eigene Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf das Zusammenleben beeinträchtigter und nicht beeinträchtigter Menschen als gedanklicher Möglichkeitsraum mit Idealvorstellungen konstruiert werden. Gleichzeitig ermöglicht der Aufenthalt im Hotel das reale Erleben dieser Vorstellungen und wird somit zum konkreten Erfahrungsraum der gedanklichen Wunschvorstellungen. Meiner Ansicht nach tragen der imaginär angenommene Möglichkeitsraum und die an diesen Raum gedanklich adressierten Wünsche und Hoffnungen ganz entscheidend dazu bei, dass diese Vorstellungen auch in der konkreten Situation der Raumaneignungs- und Raumwahrnehmungsprozesse wiederentdeckt werden, bzw. der Wunsch als reale Erfahrung erscheint. Für das Hotel und sein Konzept des partizipativen Miteinanders bedeutet dies, dass die auf den Raum bezogenen Erwartungshaltungen und 3 | In der Bibel finden sich Hinweise auf die verknüpfte Betrachtung von Raum und Körper bzw. die Verbindung von Raum und verkörperten Differenzen in Bezug auf den Garten Eden bzw. das Paradies. So wird dieses beispielsweise im Lukasevangelium (Lukas 20, 34-36) zum Ort, an dem nach dem Tod alle Menschen gleich sind und es auch Mann und Frau nicht mehr gibt. Ein vertiefter Blick auf Räume und Orte, die als Paradies oder Garten Eden empfunden werden, ist aber insbesondere im Hinblick auf die mit dieser Raumvorstellung verknüpften Wahrnehmungen von Körpern interessant und eröffnet an dieser Stelle die Frage, inwiefern Vorstellungen von paradiesischen Orten immer auch mit bestimmten Vorstellungen bzw. Imaginationen von dort präsenter Körperlichkeit verbunden sind.
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
Wunschvorstellungen das konkrete räumliche Erleben maßgeblich mitbestimmen und als raumbezogene Zielvorstellungen in die konkrete Raumaneignungspraxis einfließen. Es ist schön, so geliebt zu werden, all das ist es wert gewesen (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII) Schöner als vorstellbar! Wir hoffen auf eine gute Zukunft (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
Auch die aus diesen beiden Gästebucheintragungen hervortretenden überschwänglichen emotionalen Erfahrungen, die zum einen auf ein besonderes (so) Geliebtwerden rekurrieren und zum anderen ein Erleben beschreiben, das so wunderbar ist, dass man an seiner realen Existenz zweifelt, zeigen die bedeutungsvolle Spannung und die wechselseitige Bezüglichkeit von an den Raum herangetragenen Bedeutungen und der konkreten räumlichen Wahrnehmungssituation. Eine mögliche Deutung dieser emotionalen Aufladung, die eine verklärende, idealisierende Sicht transportiert, könnte sein, dass das Erleben im Hotel genau diese Spannung zwischen Raumvorstellung und konkretem Raumerleben berührt. Vorstellungen und reales Erleben in der Situation vor Ort decken sich weitestgehend und lösen damit zugleich auch eine Art Überraschungseffekt aus, indem man einen konkreten Ort erlebt und dort Räume wahrnimmt, dessen reale Möglichkeiten man bislang eher bezweifelt hatte. Das Hotel wird somit zu einem imaginären Möglichkeitsraum und realen Möglichkeitsort, an welchen Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen gerichtet und wo diese zugleich in konkreten sozialen Praktiken erfahrbar werden. Konstitutiv für diese zwischen dem imaginären Möglichkeitsraum und dem real erlebten Möglichkeitsort pendelnde Raumwahrnehmung, ist deren Besetzung mit starken und intensiven Gefühlen.4 Diese Gefühle, im real erlebten Möglichkeitsraum nicht zuletzt durch räumliche Atmosphären hervorgerufen und verstärkt, müssen auch als Gefühle in Betracht gezogen werden, die Personen als Raumelementen und als verkörperten 4 | Die Begriffe Gefühl und Emotion werden im Rahmen dieser Studie, wie alltagssprachlich praktiziert, synonym verwendet. Biologische und entwicklungspsychologische Perspektiven, die diese Begriffe genauer differenzieren, werden hier nicht verfolgt.
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Subjekten entgegengebracht werden. Dass Räume und deren Atmosphären Gefühle erzeugen und beeinflussen, wird, wie bereits angesprochen, zunehmend auch wissenschaftlich thematisiert und interdisziplinär betrachtet, wenngleich eine Präzisierung und Systematisierung des komplexen Feldes von Raum und Gefühl und deren Schnittstellen noch aussteht.5 Inwiefern sich räumlich bedingte Gefühle immer auch auf die im jeweiligen Raum anwesenden verkörperten Subjekte richten, sich Raumgefühle also auf die Gefühle auswirken, die anderen Anwesenden entgegengebracht werden und damit auch konstitutiv für jegliche Interaktionen und soziale Praktiken sind, wird in Betrachtungen und Studien zum Thema zwar oft unterschwellig angesprochen, nicht aber konkretisiert. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Bedeutsamkeit von Gefühlen und Emotionen zwar als grundlegend für soziale Praktiken und Handlungsverläufe angesehen wird, sie als Forschungsgegenstand jedoch sowohl in empirischer als auch analytischer Hinsicht eine enorme Herausforderung darstellen und sich als ein nur schwer zu präzisierender Gegenstand erweisen.6 Festzustellen bleibt, dass das Hotel seinen spezifischen Charakter als Möglichkeitsraum und Projektionsort nicht zuletzt durch die im Rahmen der räumlichen Situation erfahrenen und veränderten Gefühle der raumteilnehmenden Akteure erhält. Die raumbezogenen Gefühle, unabhängig davon, ob es sich um erst durch die räumliche Wahrnehmung hervorgebrachte, veränderte oder verstärkte emotionale Empfindungen handelt oder schon vorher vorhandene, sind somit auch als ein wesentlicher Faktor für die Bedeutungszuschreibungen und Konstruktionen der anderen Anwesenden und ihrer Körper respektive verkörperter Differenzen zu be5 | Dass das Interesse an einer interdisziplinär verknüpften Betrachtung von Raum und Gefühl und deren wechselseitiger Beeinflussung zunimmt, wird unter anderem auch durch die verstärkte Initiierung von Tagungen, Kongressen und Workshops sichtbar, die sich intensiv mit den Dynamiken von Raum und Gefühl und deren gesellschaftlicher Relevanz auseinandersetzen. So fand im Januar 2013 ein mehrtägiger Workshop des Max-Plancks-Instituts für Bildungsforschung in Berlin mit dem Thema Raumgefühle-Gefühlsräume statt, welcher sich mit den Verschränkungen von emotionalen Praktiken und Topografien der Moderne beschäftigte. Im Rahmen eines Vortrags wurden dort auch Aspekte der vorliegenden Studie diskutiert. 6 | Zu den Schwierigkeiten des Einbezugs und der komplexen Bedeutung von Gefühlen im Hinblick auf soziologische Forschungsfelder vgl. auch Flam 2002.
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trachten. Eine genaue Rekonstruktion und Analyse dieser raumbezogenen Gefühle und ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung verkörperter Differenz gerät allerdings schnell an ihre methodischen Grenzen und an die Grenzen des konkret Beschreibbaren: Daher bleiben raumbezogene Emotionen für die Bedeutungszuschreibungen und Wahrnehmungsweisen von verkörperten Subjekten in einer spezifischen räumlichen Situation zwar ein offenkundig bedeutsamer Faktor, der sich jedoch als ein schwer zu präzisierendes und systematisierendes Phänomen zeigt. Diese methodischen Grenzen in der Rekonstruktion von räumlichen Gefühlen gilt es zu akzeptieren, so dass letztlich Aussagen über raumbezogene Emotionen und ihre möglichen Wirkungsweisen auf Konstruktionen und Bedeutungszuschreibungen von verkörperten Differenzen im Spannungsfeld einer hermeneutisch-interpretatorischen Präzisierungsproblematik angesiedelt sind, deren Konturierung eine Herausforderung für die qualitativ orientierte soziologische Forschung darstellt.
2.1 Teilhabe als erlebter Raum Dass soziale Produktion und Aneignung von Räumen bestimmte Effekte insbesondere affektiv-emotionaler Art auf die am jeweiligen Raumerleben beteiligten Akteure ausüben, wurde bereits im Kontext der räumlichen Atmosphäre thematisiert. Im Hinblick auf die raumkonstruktiven Prozesse im Hotel soll im Folgenden ein raumbezogener Effekt betrachtet werden, der sowohl für die Ko-Konstitution und gegenseitige Bezogenheit der sozialen Konstruktionsprozesse von Raum und differenter Körperlichkeit von Belang ist als auch das Hotel als Gebäude und seine Funktion als raumzeitlich gebundener Aufenthaltsort betrifft. »Wir haben hier sehr oft große Gruppen behinderter Menschen zum Essen, da man sich hier nicht fürchten muss, nicht willkommen zu sein« (Auszug ero-episches Gespräch, Aussage einer Person aus der Hotelleitung) Dann zeigte sie mir, wohin die jeweiligen Sachen gehören, immer versehen mit der Erklärung »also wir machen das hier so und so«. Ich versuche mir alles zu merken, bin mir aber unsicher, ob ich sie immer richtig verstehe (Auszug Feldprotokoll, Begleitung einer Mitarbeiterin beim Room-Service)
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…miteinander aktiv sein, miteinander erleben, miteinander fühlen (Schriftzug Hotelprospekt bzw. Broschüre, die auf Veranstaltungen im Hotel hinweist) Schöner als vorstellbar! Wir hoffen auf eine gute Zukunft (Gästebucheintragungen Gruppierung VIII)
Die von mir hermeneutisch interpretierten Aussagen von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Mitarbeitenden, Gästen, Initiatoren und Personen auf der Leitungsebene des Hotels machen deutlich, wie sehr sowohl Gäste als auch dort Beschäftigte einschließlich der Leitungsebene das Hotel als Ort eines gemeinsamen Miteinanders beschreiben. Das Hotel als Gemeinschaft stiftender Ort, der in den jeweiligen Raumherstellungs- und Raumaneignungsprozessen mitunter starke Gefühle der Zugehörigkeit und uneingeschränkter Zustimmung sowie Selbstidentifikationen mit dem Konzept hervorruft, präsentiert sich in den Selbstdeutungen und Bedeutungszuweisungen der beteiligten Akteure als ein gemeinsam erzeugter und nur in Bezug auf diese Gemeinsamkeit funktionierender Raum. Gäste und Angestellte sind in ihrer physischen Präsenz als verkörperte Subjekte zugleich Erzeugende des gemeinsamen Raums wie auch dessen Konsumenten. Gleichzeitig führen die individuellen Raumherstellungsweisen und Raumaneignungspraktiken dazu, dass sich die Akteure als Teil einer Gemeinschaft empfinden, die durch ihren raumzeitlich gebundenen Aufenthalt in den Hotelräumen ähnliche Wahrnehmungsmuster der Umgebungssituationen und vor allem der in dieser Umgebung agierenden Personen entwickelt. Die individuellen Raumaneignungen vor Ort münden in eine partizipative Erfahrung, die zugleich einen Teil der räumlichen Ordnungsprinzipien repräsentiert. Besonders deutlich wird dies im konkreten wie auch im übertragenen Sinne anhand des Beispiels der Angestellten aus dem RoomService. Die von mir protokollierte Aussage wir machen das hier so und so bedarf einer Erklärung. Die Mitarbeiterin sagte nicht so und so, sondern sie zeigte stattdessen, an welche Stelle im Schrank welcher Gegenstand gehörte und begleitete dies mit Erklärungen, die sehr schnell aufeinander folgten und ähnlich eines Mantras immer mit den gleichen Worten eingeleitet wurden. Daher erfolgte die Notierung der Aussage innerhalb des Feldprotokolls wie oben angegeben. Das dabei von der Mitarbeiterin verfolgte strikt eingehaltene Ordnungsprinzip der Platzierung der Gegen-
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stände, das hinter der Aussage also wir machen das hier so steht, lässt in der hermeneutischen Interpretation die Deutung zu, dass Dinge bzw. Arbeitsabläufe einer konsequenten Regelmäßigkeit und Ordnung unterliegen, die für den reibungslosen Ablauf in einem Hotel absolut notwendig sind. Zudem entsteht für die Mitarbeiterin ein räumliches Ordnungsmuster, das für ihre Orientierung hilfreich ist und zugleich die partizipatorische Einbindung in den miteinander und gemeinsam erzeugten und erlebten Raum widerspiegelt. Das Hotel wird zu einem partizipativ wirkenden Raum, in dem sich Akteure selbst als Teil einer Raumpraxis begreifen, der man sich nur schwerlich entziehen kann. Als Teil einer räumlich gebundenen Gemeinschaft werden die Handlungen so vollzogen, wie sie im Rahmen räumlich produzierter Ordnungen angeeignet und erfahren werden. Auf diese Weise ist auch das einer Broschüre entnommene Zitat …miteinander aktiv sein, miteinander erleben, miteinander fühlen als Form einer performativ wirkenden, vorstrukturierten Raumordnung zu deuten, welche das gemeinsame Miteinander, und hier ist implizit immer auch das Miteinander von behinderten und nicht behinderten Menschen gemeint, als für diesen Raum geltende Ordnung definiert. Die Hotelräume und das dort anzutreffende integrative Konzept können als räumliches, vorstrukturiertes und in Institutionalisierungsprozessen erstelltes Ordnungsprinzip aufgefasst werden, anhand dessen sich die Konstruktionen von Raum und der in diesem Raum anwesenden Personen vollziehen. Trotz der Tatsache, dass Raumaneignungsprozesse und Wahrnehmungsleistungen stets individuell sind, stehen diese vielfältigen individuellen Raumerfahrungen unter der Prämisse eines Ordnungsprinzips, das den vorgefundenen Raum als einen miteinander geteilten, miteinander gestalteten und miteinander erlebten Raum hervorbringt, kurzum, die Akteure zu Teilnehmenden und Teilhabenden an einem Raum werden lässt, der anderweitig nur schwer zu finden sein wird. Dieser Partizipationseffekt des gemeinsam erfahrenen Raums bewegt sich dabei zwischen den durch den Raum erzeugten Gefühlen und den konkreten Raumaneignungsstrategien. Die Aussage Schöner als vorstellbar! Wir hoffen auf eine gute Zukunft verdeutlicht diesen Spannungsbogen: Zum einen wird der vorgefundene Raum als ein ganz besonderer, partizipatorisch funktionierender Raum betrachtet und erlebt, zum anderen empfinden die hier schreibenden Gäste sich selbst als Teil desselben, als besonderen Teil einer Ordnung, an welcher sie nicht nur teilhaben, sondern welche sie auch durch die eigene Anwesenheit entstehen lassen und
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vor allen Dingen auch zukünftig weiter entstehen lassen wollen. Letztlich wird durch diese Raumaneignungspraxis jeder einzelne Akteur zu etwas Bedeutungsvollem und Besonderem. Räume mit einer Form von partizipatorischer Ausstrahlungskraft, die auf eine effektvolle Weise Bedeutungszuschreibungen und Empfindungen berühren, stehen dabei in engem Zusammenhang mit Herstellungs- und Platzierungstechniken, die letztlich diese räumlichen Arrangements erzeugen. Insbesondere in Bezug auf die starke partizipative räumliche Wirkung des Hotels stellt sich hier die Frage, ob und inwiefern Räume als determinierende Konstruktionen Einfluss auf soziales Geschehen nehmen. Schroer sieht diese möglichen Wirkungsweisen räumlicher Ordnungen nicht als determinierende Funktionen, sondern als eine Art räumlicher Vorgabe, die Verhaltensweisen beeinflusst und steuert. »Es geht nicht nur darum zu sehen, wie der Raum sozial hergestellt wird, sondern auch darum zu berücksichtigen, was der Raum selbst vorgibt. Das hat nun nichts mit Raumdeterminismus zu tun, sondern damit, dass räumliche Arrangements nicht ohne Wirkung auf unser Verhalten bleiben.« (Schroer 2006, 178) Ebenso ist es für Schroer unabdingbar, die physisch-materiellen Komponenten räumlicher Arrangements in eine analytische Betrachtung raumbezogener Verhaltensweisen mit einzubeziehen, da materielle Ausstattungen und Ausformungen immer mit sozialen Wirkungen verknüpft seien (vgl. ebd., 177). Für die im Hotel beobachteten und analysierten Raumkonstruktionen können die materiellen Aspekte des Raums und die von ihnen ausgehenden atmosphärischen Informationen, wie bereits ausführlich in Kapitel V dargelegt, als anleitende bzw. hinweisende Faktoren für raumbezogene Verhaltensweisen und Wahrnehmungsformen betrachtet werden. Dabei ist es schwierig, in diesem Zusammenhang von einer determinierenden Funktion zu sprechen, da eine solche Sichtweise dem Raum eine eigenständige Handlungsweise zusprechen würde und damit die Betrachtung von Raum als einer Konstruktionsleistung der Wahrnehmung, die letztlich erst Bedeutungszuschreibungen erzeugt, in Frage gestellt wird. Dennoch lässt die hier beschriebene partizipative Wirkung der Hotelräume darauf schließen, dass räumliche Arrangements handlungsleitende Funktionen innehaben, indem sie Konstruktions- und Wahrnehmungsweisen zu steuern und zu beeinflussen vermögen.7 Das 7 | Auch der Konzeptkünstler und Medienwissenschaftler Paul Divjak hat sich intensiv mit Räumen auseinandergesetzt, die eine partizipativ-integrative Wirkung
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partizipatorisch angelegte Konzept des Hotels wirkt sich direkt auf die Wahrnehmung aus und bezieht auch die Konstruktion der sich vor Ort befindenden Menschen mit Beeinträchtigungen mit ein. Auch der folgende Gästebucheintrag zeigt diese Verknüpfung einer ko-konstitutiven Wahrnehmung von Raum und den sich darin befindenden Menschen: Vielen lieben Dank, wir haben uns sehr wohl gefühlt. Es ist ein wunderschönes und liebevolles eingerichtetes Haus. Die »Belegschaft« sehr nett und zuvorkommend. Wir wünschen weiterhin viel Freude, Erfolg und Spaß. Gerne kommen wir wieder! (Gästebucheintragungen Gruppierung I)
Die in Anführungszeichen gesetzte »Belegschaft« verweist auf die Unsicherheit des Verfassers oder der Verfasserin, direkt auf die wahrgenommene Behinderung einiger Angestellter hinzuweisen. Der als partizipatorisch erlebte Raum erzeugt hier den Einschluss der beeinträchtigten Personen, auf die zwar in Form der Schreibweise implizit hingewiesen wird, welche jedoch im Begriff der Belegschaft, die sowohl die behinderten als auch die nicht behinderten Angestellten einbezieht, nicht als anders bzw. besonders benannt werden. Eine weitere mögliche Lesart dieses Eintrags, die in die entgegengesetzte Richtung der hier vorgenommenen Auslegung geht, ist, dass die Belegschaft durch die Anführungszeichen nicht als solche ernst genommen wird, und somit nicht als Belegschaft gesehen wird, wie sie der ursprünglichen Erwartungshaltung entspricht. Die Belegschaft wird zum Teil des miteinander erlebten und gemeinsam geteilten Raums, dessen Fortgang man Erfolg wünscht – wiederum ein ausüben und Anwesende zu Teilhabenden und Mitwirkenden räumlicher Arrangements machen. Seine Betrachtungen von integrativ wirkenden räumlichen Inszenierungen beziehen sich vornehmlich auf das Theater und die Bildende Kunst und charakterisieren partizipative Räume als Möglichkeitsräume, in denen Akteure Handlungs- und Denkmodelle überprüfen können. Divjaks Überlegungen zu räumlichen Inszenierungsstrategien, die Akteure in Situationen versetzen, welche integrative und partizipatorische Erfahrungen motivieren (vgl. 2012, 17), beruhen dabei größtenteils auf Beschreibungen im Kontext der Rezeption von Kunstformen. Seine Auffassung von partizipativen Räumen als Formen integrativer Inszenierung sind meines Erachtens auch für die sozialwissenschaftliche Betrachtung bedeutsam und bieten vielfältige Anschlussmöglichkeiten im Hinblick auf einschließende und ausschließende Raumpraktiken.
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Hinweis auf die partizipatorische Wirkung, die sich darin manifestiert, dass man sich wohlgefühlt hat, das spezielle Raumerleben wiederholen möchte und darauf hofft, dass dieses auch in der Zukunft weiterwirkt. Die Wahrnehmung des Hotels als partizipatorischer Raum eröffnet aber auch die Frage, inwiefern diese räumliche Ordnung als eine besondere und außergewöhnliche räumliche Praxis zu betrachten ist. Das nächste Kapitel wird sich daher der Frage widmen, inwiefern die Besonderheit des Hotels mögliche Anteile daran hat, wie verkörperte Differenz wahrgenommen und mit Bedeutungen versehen wird.
2.2 Integration als räumliche Praxis. Raumerfahrung als Katalysator für Wahrnehmungsprozesse Integration und Konzepte zur Gestaltung integrativer Rahmenbedingungen sind von erheblicher Bedeutung für sozialpolitische Überlegungen und institutionalisierte Formen der Behindertenhilfe. Die bisher erörterten Prozesse der Herstellung von Räumen und der damit einhergehenden Bedeutungszuschreibungen von verkörperten Differenzen lenken den Blick auch auf die Frage, in welchem Zusammenhang der Begriff der Integration innerhalb dieser ko-konstitutiven Herstellungsweisen von Raum und Behinderung gedacht werden kann. Zweifelsohne kann das im Hotel initiierte Projekt der gemeinsamen Beschäftigung von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Personen gemessen an sozialpolitischen und pädagogischen Maßstäben als integratives Instrument verstanden werden, dessen Ziel die Überwindung sozialer Ungleichheiten und eine damit verbundene verbesserte Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben darstellt. Es wäre also zu klären, inwiefern Integration stets auch als Integrationsraum bzw. integrativer Raum zu betrachten ist. In der vorliegenden Studie kann das Hotel eindeutig als ein konkreter Ort, als physisch-materieller Raum charakterisiert werden, in dem integrative Zielsetzungen praktisch umgesetzt und erfahrbar werden. Durch die dortigen Rahmenbedingungen wird es beeinträchtigten Menschen ermöglicht, ihren individuellen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Tätigkeiten in einem Arbeitnehmerverhältnis auszuführen. Das Hotel ist in diesem Zusammenhang ein konkret begrenzbarer Ort, an dem integrative Arbeitsprozesse stattfinden können. Hieran anschließen lässt sich die Frage, inwiefern Integration immer auch die Vorstellung von sozialen Räumen, in welchen sich diese integrativen Prozesse vollziehen können,
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produziert. Integration wäre dann zunächst als gedankliche Vorstellung eines sozialen Möglichkeitsraums zu verstehen. Integration als abstrakte räumliche Vorstellung von erstrebenswerten Handlungsweisen und Zuständen für alle beteiligten Akteure findet ihre alltagsweltliche Realisierung dann in lokal benennbaren und begrenzbaren Raumarrangements wieder. In diesem Zusammenhang lässt sich Integration auch als Form einer performativen Raumpraxis denken bzw. deuten. Performative Herstellungsweisen von Bedeutungen und/oder Sinnzusammenhängen sind insbesondere im Rahmen der Geschlechterforschung und der Frage, wie Geschlecht in (sprachlichen) Benennungs- und Zuschreibungspraktiken hergestellt wird, in den Fokus des kulturwissenschaftlichen Interesses gerückt. Theoretische Überlegungen im Zusammenhang mit Performanz gehen u.a. davon aus, dass Phänomene, Lebewesen oder Abstrakta durch (wiederholte) Benennungen, Bezeichnungen und Betrachtungen als ein Phänomen, Lebewesen, Abstrakta mit dieser oder jener Bedeutung bzw. Eigenschaft erst erzeugt werden bzw. dass sie durch diese Praktiken eine Form der Wirksamkeit und des tatsächlichen Vorhandenseins erhalten.8 In diesem Sinne wäre das Hotel als integrativer Ort Ziel und Resultat einer performativen räumlichen Praxis. Die Hotelräume als physische, materielle Gegebenheiten werden zum konkreten, sich an einem Ort befindenden Integrationsraum und zur integrativen Raumvorstellung und Raumwahrnehmung im Sinne eines Miteinander-Raums. Konkreter und gedanklicher Integrationsraum funktionieren dabei gewissermaßen parallel. Vorstellungen und Annahmen, wie ein integrativer Raum aussehen sollte, welche Rahmenbedingungen er bereitstellen sollte, um integrativ wirken zu können, beeinflussen dabei die Ausgestaltung, das Platzieren und Anordnen von Dingen und Lebewesen, also die konkrete Raumgestaltung, in welcher sich die räumlichen Praktiken der Integration dann vollziehen. Mit Blick auf Löws relationale Vorstellung von Raum realisiert sich der integrative Raum durch die räumlichen Herstellungsweisen von Spacing und Synthese, die sich gegenseitig bedingen und gegenseitig benötigen und erst in ihrem Zusammenspiel eine Wirkungsweise entwickeln, die in Bezug auf die Situation im Hotel als integrativ erlebt bzw. als integrativ bezeichnet wird. Integration ist dabei gleichzeitig auch als eine räumliche 8 | Für das hier zugrunde gelegte Verständnis von Performanz oder Performativität im Hinblick auf soziale Phänomene vgl. die Beiträge im Band von Stephan/von Braun, Teil I, Gender-Studien (2006) sowie Strüver/Wucherpfennig (2009).
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Praxis zu verstehen, deren performative Hervorbringung in Spacing und Synthese erfolgt: So zieht das Spacing als Akt der konkreten räumlichen Herstellung unter der Prämisse der Integration eine bestimmte räumliche Ausstattungspraxis nach sich, z.B. barrierefreie Zugänge, Raumbezeichnungen und Bilder für kognitiv beeinträchtigte Menschen, diverse Informationen, welche die Anwesenden darauf aufmerksam machen, dass die Räume für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten, Kenntnissen usw. ausgestaltet sind, Schilder und Hinweistafeln, die auf das Hotel als besonderen Ort aufmerksam machen. Daher könnte man das Spacing, obschon es selbst performative Züge aufweist, auch als Basis bzw. Fundament für die in der Synthese weitergeführte performative Herstellung von Integration bezeichnen. In der individuellen Raumherstellung wird der Raum als integrativ aufgefasst und als solcher angeeignet, in konkreten Handlungssituationen der alltäglichen Praxis wird er (wiederholt) mit dem sprachlichen Ausdruck integrativ bezeichnet, anderen als integrativ beschrieben und erzählt, in Schriftform als integrativ dokumentiert. In dieser alltäglichen Praxis der Bezeichnung und Benennung von Raum als integrativem Raum, indem also Raum sowohl in materieller als auch in metaphysischer Hinsicht eine Qualität zugesprochen wird, ist Integration auch als Form einer performativ wirkenden räumlichen Praxis zu verstehen. Die Räume des Hotels, in welchen beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte Menschen arbeiten und in ihrem kooperierenden, gleichberechtigten Miteinander ein Teil der wahrgenommenen integrativen räumlichen Praxis werden, sind somit immer auch als bewusst platziert, angeordnet und installiert zu verstehen. Ihr integrativer Charakter wird durch stetige performative Zuordnungstechniken und Benennungsvorgänge aufrechterhalten. Das Hotel wird im Zuge von Raumaneignungsstrategien und Raumwahrnehmungsprozessen als ein integrativer Ort aufgefasst, da diese Qualität im Spacing verankert und innerhalb der Synthese wiederholt und durch performative Techniken verfestigt wird. Der Raum erhält mithilfe des Spacings eine Aussage, die durch die Prozesse der Synthese für Akteure wirksam werden und Gültigkeit erlangen. In diesem Zusammenhang ist es jedoch notwendig, Raum und seine Bedeutung für die Wahrnehmung von Körperlichkeit zu berücksichtigen: Die Art und Weise, wie Personen Räume konstruieren, sie aneignen und sie mit bestimmten Bedeutungen versehen, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konstruktion und Wahrnehmung von in diesen Räumen befindlichen
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verkörperten Subjekten. Die Herstellung von (sozialen) Räumen und die Generierung von Körper-Wissen bzw. Körper-Bedeutungen sind als kokonstitutive, dynamische Praktiken zu begreifen, in denen die wahrgenommenen Körper Raumvorstellungen beeinflussen und gleichzeitig die hergestellten Räume dazu beitragen, Körpern eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben. Raum und seine Bedeutung für die Wahrnehmung anderer Akteure, für die Wahrnehmung verkörperter Differenzen bzw. für als abweichend empfundene Körper, kann meines Erachtens gut mit dem Begriff des Katalysators erklärt bzw. verdeutlicht werden. Ein Katalysator als technischer bzw. chemischer Apparat kann zunächst im weitesten Sinne als etwas verstanden werden, das in der Lage ist, eine (chemische) Reaktion hervorzurufen bzw. eine Reaktion zu beeinflussen und/oder diese überhaupt erst in Gang zu setzen. Auch der Raum bzw. dessen konstruktive Herstellung vermag in Bezug auf die Bedeutungszuschreibungen von Körpern etwas in Gang zu setzen, vermag mitunter zu verändern, zu beschleunigen oder etwas Neues hervorzurufen. Der wahrgenommene Raum wäre in dieser gedanklichen Konstruktion also als Ausgangspunkt und mitwirkender Faktor gleichermaßen zu betrachten, welcher maßgeblich daran beteiligt ist, wie man Andere (und ihre Körper) wahrnimmt, sie mit Bedeutungen versieht und ihnen Gefühle entgegenbringt. Die Denkfigur von Räumen in der Funktionsweise eines Katalysators vermag dabei ausgezeichnet die ko-konstitutive Verschränkung der Herstellungsweisen von Raum und (verkörperter) Differenz zu verdeutlichen. Auch ein Katalysator ist, gleich einer räumlichen Anordnung und Praxis, in gewisser Weise steuer- und reproduzierbar; so können Reaktionen stärker oder schwächer hervorgerufen werden, bestimmte Reaktionen vermieden oder abgeschwächt werden. Integration als eine performative räumliche Praxis zu denken, innerhalb derer der Raum in Bezug auf die wahrgenommenen Körper und ihre Bedeutungszuschreibungen wie ein Katalysator funktioniert, ist für die komplexen Überlegungen zu Raum, Körper und Integration als Gedankenmodell zunächst hilfreich. Gleichzeitig produziert diese Denkfigur aber auch Fragen und gibt den Blick frei auf markante Leerstellen in der bisherigen Forschung zu Behinderung, Integration und Inklusion. Es finden sich zwar hin und wieder Hinweise darauf, dass der soziale Raum als ein beeinflussender Faktor für die komplexen Konstruktionsweisen von Behinderung zu denken ist, seine tatsächliche und äußerst einflussreiche Bedeutung, insbesondere als Faktor in einer als ko-konstitutiv aufzu-
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fassenden Dynamik gesellschaftlicher Herstellung und Betrachtung von Räumen und Körpern, wird in den bisherigen Debatten zu Inklusion und Integration jedoch weitestgehend ausgeblendet.
3. V erkörperte D ifferenz im K onte x t von r äumlichen P l atzierungspr ak tiken Im Folgenden werden die beschriebenen Aspekte und Merkmale der kokonstitutiven Prozesse von Raum und verkörperter Differenz in einer Zusammenschau miteinander verbunden und weitergedacht. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass die Art und Weise, wie Räume konstruiert, angeeignet und mit bestimmten Bedeutungen versehen werden, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konstruktion und Wahrnehmung von in diesen Räumen anwesenden verkörperten Subjekten steht. Die Herstellungsweisen von (sozialen) Räumen und die Generierung von Körper-Wissen bzw. Körper-Bedeutungen sind als nebeneinander ablaufende und sich dabei bedingende dynamische Praktiken zu verstehen. Die wahrgenommenen Körper beeinflussen die Raumvorstellungen, während gleichzeitig die hergestellten Räume dazu beitragen, Körpern eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben. Das folgende Beispiel aus einem Feldprotokoll unterstreicht zusätzlich, wie Veränderungen in diesen Bedeutungszuweisungen in die sich gegenseitig bedingende konstitutive Dynamik von verkörperter Differenz und Raum eingebunden sind: Gegen 21 Uhr gehe ich runter in die Bar, es ist nicht besonders voll. Ich treffe Herrn F. von vorhin wieder, er scheint ganz alleine zu sein mit der Bedienung der Gäste. Ich setze mich neben den Kamin, wo ich einen guten Überblick über den Raum habe. Das Licht ist ziemlich dunkel und es spielt leise (Jazz-)Musik. Herr F. kommt gleich zu mir, in seiner mir schon bekannten sehr schnellen Art und Weise zu gehen, als würde er rennen und es unglaublich eilig haben. Ich bestelle ein Glas Wein. Seitlich neben mir sitzen drei Frauen, eine von ihnen spricht Englisch, die anderen wechseln zwischen Englisch und Deutsch, daneben ist ein Tisch mit zwei Herren und zwei Damen besetzt, mit dem Rücken zu mir am anderen Ende des Raums sitzt außerdem noch eine Dame, die ein Buch liest. Ich hatte gehofft, Herrn A. zu treffen, weil ich ihn noch einige Dinge fragen wollte, er ist aber nirgends zu sehen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich mich frage, ob Herr F. die Arbeit hier so ganz alleine bewältigen kann. Dann
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kommt Herr F. mit meinem Wein, er hat mir auch ein paar Erdnüsse in einer Schale mitgebracht. Er ist so schnell beim Hinstellen, dass ein ganz klein wenig Wein verschwappt und auf die Papierrosette am Glas und den Tisch läuft. Herr F. macht oh, ich sage kein Problem. Er rast los und holt eine Serviette, obschon nicht mehr viel zu wischen ist, weil diese Papierrosette alles aufgesaugt hat. Ich bedanke mich und er rennt wieder hinter die Bar. Außer mir scheint keiner auf diese schnelle Bewegungsweise von Herrn F. zu achten, bzw. sie zu bemerken, obwohl sie einfach auffällt. Eine Frau aus der Küche oben, die ich bisher noch nicht getroffen habe, bringt den drei Frauen Essen an den Tisch und geht dann wieder, vorher redet sie leise mit Herrn F., lächelt ihn an und winkt ihm dann beim Gehen. Herr F. macht irgendwas hinter der Theke, ich kann das nicht genau sehen, er rennt, ja man muss sagen rennt, ziemlich oft zu den besetzten Tischen und fragt, ob jemand noch etwas möchte. Dann fängt einer der Herren am Tisch rechts vor mir an zu niesen, er niest total laut und oft hintereinander. Er macht überhaupt gar keine Anstalten, dieses sehr laute Niesen etwas zu dämpfen oder zu unterdrücken. Es hallt durch den ganzen Raum, seine Tischnachbarin macht Geräusche der Verwunderung, die andere sagt Gesundheit und die drei Damen, die gerade am Essen sind, schauen ziemlich pikiert zu ihm, ihre Gesichtsausdrücke zeigen deutliches Missfallen. Ich habe auch zu dem Niesenden hingeschaut, schaue dann aber wieder schnell weg […] (Auszug Feldprotokoll 06.08.2008)
Diese komplexe Szene verdeutlicht, wie Bedeutungskonstruktionen und Zuschreibungen im Kontext einer räumlichen Wahrnehmung entstehen und auch wieder vergehen. Zudem kann sie die Flüchtigkeit und Schnelllebigkeit dieser teilweise kaum merklichen, fluiden und blitzschnellen Bedeutungsverschiebungen im wahrgenommenen Raum aufzeigen. Die räumliche Wahrnehmung in der Funktionsweise eines Katalysators, wie bereits erörtert, setzt auch im konkreten Beispiel Prozesse in Gang, die sich auf die differente Körperlichkeit und das mit ihr in Verbindung gebrachte Wissen bezieht. Es geht im Beispiel um einen jungen Mann, der in der Hotelbar bedient, und über den zunächst keine spezifische Aussage zu einer eventuellen Behinderung getroffen wird. Es wird jedoch eine Wahrnehmung geschildert, die sich auf ein Verhalten bezieht, das von Personal in einer Bar nicht erwartet wird. Die Beschreibung von Herrn F., der sich zwischen den Tischen sehr schnell hin und her bewegt, ja fast rennt und sogar noch ein wenig Wein verschüttet, ist in Verbindung mit dem vorsichtig formu-
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lierten Zweifel meinerseits, ob Herr F. den Anforderungen im Service gewachsen sei, ein typisches Beispiel für die Bedeutungszuschreibung an eine Person, der aufgrund einer angenommenen körperlich-kognitiven Einschränkung bestimmte Handlungen nicht zugetraut werden. Da die Bewegungsweise von Herrn F. in dem Feldprotokoll erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass sie nicht den Erwartungen der Beobachterin entspricht. Gleichzeitig wird das Gefühl geschildert, die einzige im Raum zu sein, die diese als Abweichung empfundene Fortbewegungsweise bemerkt. Während also für die anderen Gäste die schnelle Fortbewegungsart von Herrn F. in der Beobachtungssituation keine Rolle zu spielen scheint, ruft sie bei der Forscherin eine Irritation hervor. Ihre räumliche Wahrnehmung in der beschriebenen Situation in der Hotelbar steht in engem Zusammenhang mit einer Erwartungshaltung, wie sich die dort Anwesenden verhalten, d.h. auch wie sie sich innerhalb dieses Raums bewegen sollten. Zu einer zusätzlichen Verunsicherung führt die festgehaltene Beobachtung, dass keine Entsprechung der eigenen Irritation bei den anderen Anwesenden sichtbar ist, dass die eigene Wahrnehmung also von der Wahrnehmung der anderen Akteure abzuweichen scheint. Diese Sequenz eröffnet zudem den Blick darauf, inwiefern sich die Raum-KörperWahrnehmung, insbesondere bei empfundenen Diskrepanzen oder Unstimmigkeiten, an anderen Akteuren in derselben räumlichen Situation orientiert. Die offensichtlich kongruente Raum-Körper-Wahrnehmung der anderen Anwesenden, in der die Bewegungsweise von Herrn F. innerhalb des Raums nicht als besonders oder abweichend erscheint, führt dazu, dass die eigene Wahrnehmung in Orientierung am Verhalten der anderen Akteure in Frage gestellt wird. Die Forscherin ertappt sich selbst, so bezeichnenderweise formuliert im Protokoll, bei dieser Empfindung einer Diskrepanz in Bezug auf ihre mit der räumlichen Wahrnehmung verbundene Bedeutungszuschreibung an Akteure und ihre Körper, die für sie in dieser Situation nicht stimmig ist. Mit der Aussage obwohl sie einfach auffällt wird zum einen die Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die beobachtete Fortbewegungsweise den anderen Anwesenden nicht auffällt, als auch die empfundene Irritation und an späterer Stelle auch noch einmal durch das selbstvergewissernde ja man muss sagen er rennt gerechtfertigt. Der eigene ko-konstitutive Wahrnehmungsprozess von Raum und Körper orientiert sich dabei am Verhalten der anderen Akteure; die Diskrepanz wird reflektiert, aber nicht nach außen gezeigt. Die Reflexion und
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Kongruenz-Überprüfung in Bezug auf räumliche Wahrnehmung und die Bedeutungszuschreibung an die Körper im beobachteten Raum vollzieht sich auf einer rein gedanklichen Ebene und ist zunächst nicht an Handlungsvollzügen oder Interaktionspraktiken sichtbar, es erfolgt ein innerer Aushandlungsprozess in Bezug auf die Wahrnehmung von Kongruenz bzw. Abweichung der räumlich bedingten Wahrnehmung des Anderen. Ob das Verhalten der anderen Anwesenden, das offenkundige Nicht-Bemerken der Bewegungsweise, selbst wiederum auf empfundenen, aber nicht gezeigten und für andere somit nicht wahrnehmbaren Diskrepanzen und Irritationen beruht, sollte als Möglichkeit berücksichtigt werden. Das hieße, dass die mit der Raumwahrnehmung gekoppelte Bedeutungszuschreibung an Akteure und ihre Körper sich stark an der Reaktion anderer Anwesender orientiert bzw. sich dieser, möglicherweise unbewusst, anpasst. So kann das Wissen um die Anwesenheit beeinträchtigter Personen dazu führen, dass abweichende Körperlichkeit und zugehörige Ausdrucksformen nicht als abweichend oder auffällig konstruiert werden, wie in der Sequenz mit dem verschütteten Rotwein deutlich wird. Die im Protokoll notierte Antwort kein Problem steht damit in Verbindung, dass der Mitarbeiter als beeinträchtigt wahrgenommen und dadurch die Erwartungshaltung hervorgerufen wird, dass es in seinen Handlungsabläufen vielleicht zu Fehlern oder Abweichungen kommen kann. Andererseits handelt es sich bei dem Verschütten um einen Vorgang, der auch Menschen ohne Beeinträchtigung jederzeit passieren kann. Je nach individuellen Ordnungs- oder Höflichkeitsvorstellungen könnte die Reaktion darauf ebenfalls die Antwort kein Problem sein, handelt es sich dabei doch um eine sehr gängige Floskel. Im weiteren Verlauf der Protokollsequenz kommt es zu dem bemerkenswerten Ereignis, dass einer der anwesenden Akteure, ein als nicht beeinträchtigt wahrgenommener Gast, mehrfach und laut niest, was bei den anderen Anwesenden bestimmte Reaktionsweisen auslöst. Das Niesen selbst kann zunächst als eine Störung innerhalb der räumlichen Situation aufgefasst werden, welches aufgrund seiner Intensität und Lautstärke offensichtlich nicht in die räumliche Situation der Hotelbar gehört. Diese gestaltet sich als eine atmosphärisch sehr dicht inszenierte und arrangierte räumliche Situation, in der anhand konkreter Platzierungstechniken von Gegenständen Stimmungen erzeugt bzw. Informationen generiert werden. Im konkreten Fall geschieht dies durch eine besondere Beleuchtung, unter anderem durch Kerzenschein, sowie den Einsatz von Musik.
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Das laute Niesen jedoch ist offenkundig eine mit dem Körper vollzogene Handlung, die nicht mit dem wahrgenommenen Raum übereinstimmt bzw. nicht mit einer bestimmten Erwartungshaltung, was Körper in diesem Raum tun sollten und was nicht. Im Gegensatz zu der beschriebenen schnellen Fortbewegungsweise des Service-Mitarbeiters wird das Niesen des Gastes in der räumlichen Situation mit deutlicher Missbilligung von den anderen Anwesenden zur Kenntnis genommen. Das Beispiel des niesenden Gastes verdeutlicht den ko-konstitutiven Prozess der Wahrnehmung von Raum und Körper und die mit diesem Prozess einhergehenden Bedeutungszuschreibungen: Der niesende Gast wird als Irritation und Störung innerhalb des spezifischen räumlichen Arrangements empfunden; sein Niesen markiert eine Differenz, ein Anders-Sein und ein SichAnders-Verhalten, das offensichtlich im Widerspruch zu dem von einem Gast in einer Hotelbar erwarteten Verhalten steht. Dass das Niesen des Gastes offensichtlich zu Irritationen führt, die schnelle Fortbewegungsart des Mitarbeiters jedoch scheinbar unbemerkt bleibt, unterstreicht meine Annahme, dass die Konstitutionsprozesse von Räumen und Körpern und die dabei an sie herangetragenen Bedeutungszuschreibungen und Bedeutungserwartungen im Fall des untersuchten Hotels als wesentliche Bestandteile von räumlichen Platzierungspraktiken und Inszenierungstechniken zu betrachten sind. Eine These meinerseits wäre, dass die gleichen Verhaltensweisen in einem anderen räumlichen Kontext andere Reaktionen hervorrufen würden. Das heißt, dass die räumliche Anordnung und hier insbesondere das konkrete Spacing maßgeblich zu den beobachteten Reaktionen beitragen. Zugespitzt formuliert kann die geschilderte Sequenz darlegen, wie die räumliche Wahrnehmung daran beteiligt ist, ob und inwiefern ein Körper und seine Ausdrucksweisen als abweichend oder passend zum jeweils vorgefundenen räumlichen Arrangement gesehen und empfunden werden. Das Beispiel verdeutlicht abermals, wie Personen bzw. Menschen als verkörperte Subjekte Teil des wahrgenommenen Raums sind. Dieser Raum wiederum trägt maßgeblich dazu bei, welche Bedeutungen den wahrgenommenen Körpern zugeschrieben werden. Diese ko-konstitutiven Herstellungsweisen von Raum und Körper, in der Form einer ineinander verzahnten und überlagerten Wahrnehmung derselben, sind als entscheidend für Bedeutungszuweisungen an den wahrgenommenen Raum und die sich in ihm befindenden Körper zu sehen. Das Beispiel zeigt aber auch die Möglichkeit einer sich verschiebenden bzw. verändernden Bedeutungszuschreibung, wenn nicht
VI. Wechselseitige Dynamiken und Konstitutionsprozesse
gar einer Umdeutungsfunktion: Während der niesende Gast von den anderen Gästen als abweichend empfunden wird, scheint der rennende Mitarbeiter diese Bedeutungszuschreibung nicht hervorzurufen. Spezifische räumliche Situationen sind in der Lage, bestehende Bedeutungen und Annahmen in Bezug auf Körper umzudeuten und zu verschieben. Eine unter Umständen vormals als verkörperte Differenz empfundene Abweichung wird als Teil einer spezifischen räumlichen Wahrnehmung nicht mehr als different konstruiert, ebenso kann der als nicht different empfundene Körper innerhalb eines Raums plötzlich als abweichend empfunden werden. Im Zusammenhang mit dieser ko-konstitutiven Herstellungsweise von Raum und Körper, die sowohl Bedeutungszuschreibungen an Räume und Körper generiert, verändert als auch transformiert, gilt es den Körper immer wieder als Teil einer raumproduzierenden Praxis zu begreifen. Menschen sind zugleich raumwahrnehmende wie auch raumherstellende verkörperte Subjekte. Sie finden sich dabei aus unterschiedlichen Beweggründen in unterschiedlichen Räumen an konkreten Orten wieder. Dies kann selbstgewählt erfolgen oder weil es Situationen in bestimmten normativen Kontexten erfordern. Der zweite Fall geht mit der Frage einher, inwiefern Menschen als verkörperte Subjekte immer auch als Teil von (räumlichen) Inszenierungspraktiken zu sehen sind. Körper und die an sie herangetragenen Bedeutungen können immer auch als Resultate räumlicher Platzierungspraktiken verstanden werden. In Bezug auf den Forschungsort können die festgestellten ko-konstitutiven, sich einander bedingenden und durch Wahrnehmungsprozesse vollzogenen Herstellungsweisen von Räumen und Körpern und von Körpern in Räumen Hinweise darauf geben, inwiefern Behinderung stets auch als Folge von einer als different wahrgenommenen Körperlichkeit in Abhängigkeit zu räumlichen Kontextfaktoren gedacht werden muss.
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VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
Abschließende Betrachtungen
»Das Kernproblem jeder Sozialforschung, welche räumliche Kontexte als eine wichtige Komponente sozialer Praxis betrachtet, besteht darin, die Bedeutung des Physisch-Materiellen mit seiner räumlichen Ordnung in die Analyse einzubeziehen, ohne dass Kulturelles und Soziales auf erdräumlich lokalisierbare Materie reduziert wird.« (Werlen 2010, 257)
1. Z usammenfassung Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf einer ethnographischen Feldstudie. Ausgangspunkt dieser an den Schnittstellen von raum- und kultursoziologischen Forschungsinteressen verorteten Studie war ein Hotel der gehobenen Kategorie, in dem behinderte und nicht behinderte Angestellte im Rahmen einer integrativen Maßnahme in allen relevanten Dienstleistungsbereichen gemeinsam tätig sind. Bei den behinderten Beschäftigten handelte es sich überwiegend um Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die Datenerhebung während der zwei durchgeführten mehrtägigen Feldforschungsphasen erfolgte vor allem durch teilnehmende Beobachtung und die von Girtler konzipierte ero-epische Gesprächsführung mit den Mitarbeitenden und den Leitungskräften des Hotels. Das gesamte für diese Untersuchung erhobene Material besteht aus Protokollen der ero-epischen Gespräche, Feldprotokollen und Notizen der teilnehmenden Beobachtungen, meinem persönlichen Forschungstagebuch sowie hoteleigenen Prospekten. Als zusätzlich relevante Datenquelle fungierten zudem die Gästebücher des Hotels, die Einträge über einen Zeitraum von vier Jahren beinhalteten und mir für Analysezwe-
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Raum und Behinderung
cke zur Verfügung standen. Die Auswertung des Materials erfolgte nach den Prinzipien der Grounded Theory und mit Hilfe hermeneutischer Analyseverfahren. Einzelne Analysen wurden im Rahmen einer sozialwissenschaftlich arbeitenden Interpretationsgruppe durchgeführt, deren Arbeitsweise sich an den Kriterien der objektiven Hermeneutik orientierte. Die Darstellungsweise dieser Studie folgt der in der ethnographischen Forschungslogik verankerten Form der dichten Beschreibung, die den Schreibprozess als wesentlichen Teil des Erkenntnisgewinns betrachtet. Anhand des fortwährenden Verknüpfens von Theorie und Empirie wurden die vorliegenden Befunde und Ergebnisse schrittweise verdichtet und konkretisiert. So wurde zunächst für das Forschungsfeld Hotel und die dort tätigen Akteure mit einer Behinderung ein theoretisch-konzeptueller Rahmen erörtert, der die Betrachtung von Raum und Behinderung als forschungsrelevante Kategorien am Forschungsort ermöglichte. Im weiteren Verlauf wurde sodann die wechselseitige Bezogenheit von Raum und Behinderung fokussiert und die am Forschungsort Hotel anhand des Materials rekonstruierten Wahrnehmungsweisen und Zuschreibungsmuster an Räume und Personen herausgearbeitet. Der räumliche Kontext des Hotels konnte als maßgeblicher Faktor für Wahrnehmungsprozesse und mit diesen einhergehenden Bedeutungszuschreibungen an Personen und ihre Körper, insbesondere in Bezug auf eine als behindert wahrgenommene Körperlichkeit identifiziert werden. Im Fokus der Analyse stand die Wahrnehmung von Behinderung durch die nicht behinderten Gäste und Beschäftigten des Hotels, wenngleich auch die erhobenen, den Forschungsort betreffenden Wahrnehmungen und Beschreibungen von Raum der behinderten Angestellten für die im Folgenden zusammengefassten zentralen Befunde bedeutsam sind.
1.1 Wahrnehmung und Herstellung von Raum und Behinderung als ko-konstitutiver Prozess Die vorliegenden Analysen zeigen, dass das untersuchte Hotel als ein gezielt vorbereiteter und arrangierter Ort aufgefasst werden kann, an welchem sowohl räumlich als auch zeitlich begrenzte Begegnungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen stattfinden. Die Wahrnehmung von Personen, deren Körper im Hinblick auf eine gesellschaftliche Norm- und Normalitätsvorstellung eine Differenz aufweisen,
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der räumlichen Wahrnehmung, die in der Studie als raumkonstruierender Prozess beschrieben wird. Die Wahrnehmung der verkörperten Differenz und die mit dieser verknüpften Herstellungs- und Bedeutungszuschreibungen an Personen und ihre Körper als behindert bzw. nicht behindert sind unmittelbar mit räumlichen Wahrnehmungs- und Aneignungsprozessen verknüpft, so dass die untersuchten Wahrnehmungsformen von Raum und Behinderung als ko-konstitutive und sich wechselseitig beeinflussende Prozesse identifiziert werden konnten. In Bezug auf Behinderung wurde keine spezifische Begriffsdefinition als theoretischer Bezugsrahmen verwendet, vielmehr wurde die Auseinandersetzung mit Behinderung als einer forschungsrelevanten Kategorie entlang von kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven vorgenommen. Diese betrachten Behinderung in erster Linie als eine im Rahmen von Wahrnehmungs- und Zuschreibungsprozessen interaktiv hergestellte soziale Kategorie. Die Herstellungsweisen von Behinderung sind eng verknüpft mit körperbezogenen Merkmalen, die im Rahmen von gängigen Normalitätsvorstellungen als abweichend aufgefasst werden. Behinderung stellt somit ein komplexes Phänomen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Körpern und kontextuellen Faktoren dar. Dieser Auffassung von Behinderung folgt das interdisziplinäre Forschungsprogramm der Disability Studies weitestgehend, ebenso wird im Rahmen des ICFModells (International Classification of Functioning) Behinderung als ein aus multiplen Faktoren entstehendes Phänomen erörtert. Beide genannten Perspektiven erwiesen sich für den Forschungsprozess als konstruktive Referenzsysteme. Die Studie untersucht, inwiefern räumliche Kontexte bedeutsam dafür sind, dass eine wahrgenommene verkörperte Differenz als behindert oder nicht behindert konstruiert wird. Als zunächst richtungsweisend für die im Forschungsfeld und im empirischen Prozess generierten Fragen und die damit verbundene Herangehensweise an die komplexe Kategorie Raum stellten sich Überlegungen von Ruhne (2003) und Sturm (2000) heraus. Hieran anknüpfend konnten erste Gedanken zur Bedeutung von Raum für soziale Praktiken im Hinblick auf das Forschungsfeld Hotel präzisiert und formuliert werden. Für die weiterführenden Analysen und die Beschreibung der ko-konstitutiven Dynamiken in den Wahrnehmungsformen von Raum und Behinderung wurde das in soziologischen Denktraditionen verortete relationale Raummodell Löws (2001) eingesetzt. Ihr theo-
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Raum und Behinderung
retisches Konzept, Raum und insbesondere die von Akteuren vollzogenen Konstruktionen von Raum als mehrteilig, prozessual und ineinandergreifend aufzufassen, wurde als Basis für den gesamten Forschungsprozess genutzt. In Anlehnung an Blumers Überlegungen zur Bedeutung eines sensitizing concept (vgl. 1954, 3ff) wurden die raumsoziologisch verorteten Begriffe Spacing und Synthese zu einem den Forschungsblick lenkenden Bezugsrahmen. Löws Konzept erwies sich insbesondere im Hinblick auf die ethnographische Vorgehensweise als ein effektives Instrument, das die eingesetzten Erhebungs- und Analysemethoden unterstützte und einen differenzierten Blick auf die vielschichtigen und komplexen Raumwahrnehmungen am Forschungsort ermöglichte. Diese als heuristisches Instrument angewendete Spacing-und-Synthese-Optik begleitete letztlich den gesamten Forschungsprozess und die kontinuierliche reflexive Verknüpfung von theoretischer Rahmung und empirischem Material. Das steigende Interesse an raumbezogener Forschung und ihrer Relevanz für soziale Praktiken, insbesondere im Hinblick auf die hier angesprochenen Differenzkonstruktionen lässt die Frage, welche methodologisch-methodischen Instrumente angemessen und gewinnbringend eingesetzt werden können, vermehrt in den Vordergrund treten. Ein solches sowohl methodisch als auch im weiteren Forschungsprozess analytisch anwendbares Instrumentarium sollte idealerweise in der Lage sein, sowohl der theoriegeladenen Komplexität der Kategorie Raum gerecht zu werden als auch die Empirie und deren Spezifika angemessen zu berücksichtigen. Wie die vorliegende Studie zeigt, kann Löws Konzept eines relationalen Raums für diese Herausforderung konstruktiv genutzt werden, da es eine theoretische Verortung für den Umgang mit Raum ermöglicht, gleichzeitig aber auch als konkretes Analyseinstrument für die Betrachtung des empirischen Materials eingesetzt werden kann.
1.2 Räume in der Funktion von Katalysatoren Einen Schwerpunkt der Studie bildet die analytische Betrachtung der wechselseitigen Dynamiken und Konstitutionsprozesse in den Wahrnehmungsweisen von Raum und verkörperter Differenz. Es wurde festgestellt, dass der wahrgenommene Raum in Bezug auf die Begegnung mit verkörperter Differenz und die in diesem Zusammenhang rekonstruierten diversen Zuschreibungs- und Herstellungsweisen von Behinderung die Funktion eines Katalysators hat.
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
Räumliche Wahrnehmungsweisen und die mit diesen in Zusammenhang stehenden vielfältigen sinnlichen Informationen vermögen in Bezug auf die Bedeutungszuschreibungen an in Räumen anwesende Personen und ihre Körper etwas in Gang zu setzen, zu verändern, möglicherweise zu beschleunigen oder auch neu entstehen zu lassen. Der wahrgenommene Raum in der Funktion eines Katalysators ist dementsprechend maßgeblich daran beteiligt, wie Personen und ihre Körper wahrgenommen und im Zuge dieses Wahrnehmungsprozesses mit Bedeutungen versehen und als behindert oder nicht behindert konstruiert werden. Dies bedeutet, dass die räumliche Wahrnehmung als ein der Differenzkonstruktion vorgängiger Prozess aufzufassen ist, der diese Konstruktion entsprechend einleitet. Auch die von Löw als Spacing bezeichnete zielgerichtete räumliche Anordnungs- und Platzierungspraxis von materiellen Gegenständen und Personen ist für die Wahrnehmungsweisen von Raum und Behinderung als Katalysator zu verstehen, der räumliche Wahrnehmungsprozesse steuert, bewusst hervorruft und reproduziert. Infolgedessen können raumkonstruierende Prozesse bestimmte Reaktionen in Bezug auf die in Räumen stattfindenden Interaktionen initiieren, unterdrücken oder abschwächen. Dies trifft insbesondere für die durch die räumlichen Wahrnehmungsprozesse generierten und beeinflussten Konstruktionsweisen und Bedeutungszuschreibungen an Personen und ihre Körper zu, die sich ihrerseits auf die situative Kommunikations- und Interaktionssituation zwischen den im Raum befindlichen Akteuren auswirken. Behinderung als soziale Kategorie wird somit nicht nur über körperbezogene Merkmale, sondern auch durch räumliche Wahrnehmung hergestellt. Die Differenzkonstruktion in Bezug auf Personen und deren Körperlichkeit ist sowohl konstitutives Element der räumlichen Wahrnehmung als auch von und durch den wahrgenommenen Raum beeinflusst. Die Analysen zeigen, dass die Wahrnehmung von verkörperter Differenz und eine daran anknüpfende Auffassung, ob eine Person als behindert oder nicht behindert angesehen wird, als eine angeleitete, vorbereitete und institutionalisierte Raumerfahrung gedeutet werden kann. In dieser sind sowohl behinderte als auch nicht behinderte Akteure und ihre Körper grundsätzlich Elemente und Resultate von zielgerichteten Platzierungspraktiken und räumlichen Anordnungen. Die Materialauswertung lässt des Weiteren Rückschlüsse darauf zu, inwiefern die räumlich und zeitlich begrenzte Wahrnehmung von verkörperter Differenz auch diskursiv bedingte und weithin verbreitete Auffassungen und Vorstellungen von Behinderung zu durchbrechen und
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Raum und Behinderung
zu verändern vermag, bzw. wie Räume als Katalysatoren Bedeutungszuweisungen generieren, die in etablierte und verbreitete Wissens- und Meinungsbilder verändernd eingreifen. Weiterhin wurde betrachtet, inwiefern die konkrete räumliche Position, und damit die räumliche Platzierung von Personen mit verkörperter Differenz, Einfluss darauf ausübt, wie diese wahrgenommen werden. Mögliche Abweichungen, beispielsweise im Kommunikationsverhalten oder im Bewegungsablauf, riefen in den beobachteten Interaktionen mit den Gästen keine sichtbaren Reaktionen hervor, auch wenn durch eine räumlich exponierte Position, beispielsweise an der Bar oder am Empfangstisch, die Abweichung relativ deutlich wahrnehmbar war. Die im Zusammenhang mit den Beobachtungssituationen entstandenen Befunde geben Hinweise darauf, dass gerade die räumliche Hervorhebung von Differenzmerkmalen dazu führt, dass diese nicht, wie vielleicht zu erwarten, verstärkt wahrgenommen werden, sondern an Auffälligkeit und Bedeutsamkeit verlieren. Gerade die Hervorhebung im Rahmen einer gezielt vorbereiteten räumlichen Platzierungspraxis lässt Bedeutungsverschiebungen und Bedeutungsveränderungen in Bezug auf verkörperte Differenz sichtbar werden, die sich wiederum auf die Konstruktion und Wahrnehmung von Personen als behindert oder nicht behindert auswirken.
1.3 Atmosphäre als bedeutsames Element der Raumwahrnehmung Die Ergebnisse der Analyse von Bedeutungs- und Funktionsweisen räumlicher Atmosphäre zeigen, dass deren Bedeutung in der raumbezogenen Forschung zu Unrecht vernachlässigt wird, gerade im Hinblick auf die wechselseitigen Wahrnehmungsmuster und Bedeutungszuschreibungen von Akteuren untereinander in spezifischen räumlichen Zusammenhängen. Demzufolge ist es sinnvoll, die Funktionsweisen räumlicher Atmosphäre als stärker handlungsdeterminierend und wirksam in Hinblick auf soziale Praktiken zu betrachten als es in der bisherigen Diskussion der Fall ist. Entsprechend wird in dieser Arbeit Atmosphäre als räumliche Information konzipiert, die sich grundlegend auf die Wahrnehmung von Räumen auswirkt. Dies bedeutet, dass der aktive Prozess der Raumherstellung untrennbar mit der Wahrnehmung von Atmosphären verbunden ist. Die taktil, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch und visuell wahrnehm-
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
baren Außenwirkungen bzw. Informationen von Lebewesen und Gütern sind grundlegende, konstitutive Elemente der Raumwahrnehmung. Die Raumherstellung und die Wahrnehmung von raumspezifischen Atmosphären sind dabei als gleichzeitig ablaufende und sich wechselseitig beeinflussende Prozesse aufzufassen. Das untersuchte empirische Material zeigt, dass die atmosphärische Information ausschlaggebend dafür ist, wie sich Akteure innerhalb der wahrgenommenen Räume fühlen. Die dabei verspürten Emotionen sind ein Resultat des eigenen, sinnlich erfahrenen Sich-Befindens an konkreten Orten, die sich auf die Beurteilung der wahrgenommenen Räume auswirken. In diesem Zusammenhang werden Räume als Räume von unterschiedlichen Qualitäten und Bedeutungen erkannt und empfunden. Dies gilt zugleich für die in Räumen wahrgenommenen Körper bzw. die materiell-stofflich erfahrbare Anwesenheit anderer Akteure. Das bedeutet, dass die wahrgenommene Atmosphäre als Element des raumherstellenden Prozesses maßgeblich daran beteiligt ist, inwiefern und in welchem Maße der Körper oder die mit dem Körper vollzogenen (kommunikativen) Handlungen einer anderen Person als abweichend oder different bzw. als behindert oder beeinträchtigt wahrgenommen werden (vgl. Modes 2014a, 344-350). Löws Überlegungen in Bezug auf die Bedeutungsweisen räumlicher Atmosphäre können durch die vorliegenden Analysen ergänzt und ausdifferenziert werden. So erläutert Löw, dass im Rahmen von Syntheseprozessen Atmosphäre für die raumkonstitutive Herstellung von Belang ist, sie beschreibt deren spezifische Funktionsweise jedoch nicht detailliert, so dass diese für die Betrachtung der Raumkonstruktion letztlich vage bleiben. Demgegenüber wird in dieser Studie im Zusammenhang mit der Atmosphäre detailliert aufgezeigt, wie der konkrete Vorgang der raumkonstruierenden Synthese und die mit ihm verbundenen Wahrnehmungsprozesse am Beispiel des ausgewählten Hotels erfolgt, so dass der Synthesebegriff im Hinblick auf seine Funktionsweisen und Mechanismen an Schärfe gewinnt.
1.4 Disziplinäre Verortung der Ergebnisse Im Folgenden werden die Ergebnisse disziplinär verortet und die innovativen Potentiale für die jeweiligen Bereiche kurz benannt, die in den diese Studie abschließenden Ausblicken nochmals weiterführend erörtert werden.
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Raum und Behinderung
Für die raumsoziologische Theoriebildung konnte Atmosphäre, wie im vorangegangenen Abschnitt ausführlich dargelegt, als raumkonstituierendes Element mit spezifischen Effekten konzipiert werden, was gleichzeitig auch eine Ausdifferenzierung von Löws relationalem Raummodell im Hinblick auf den Synthese-Begriff bedeutet. Zudem wird das Potential des Löwschen Modells als methodologisch-methodisches Instrument für qualitative und raumorientierte Forschungen sichtbar. Mithilfe der in dieser Studie erfolgten Konzeption von Atmosphäre als räumliche Information können sowohl erste forschungsbezogene Zugänge als auch weiteführende Analysen von Räumen vorgenommen werden. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, Atmosphäre als handlungsbeeinflussende Qualität für soziale Phänomene und Praktiken zu begreifen und diese im Forschungsprozess entsprechend mitzudenken. In Bezug auf die konstruktivistisch geprägten kulturwissenschaftlichen Zugänge zu Behinderung kann Raum ebenfalls als bedeutsame Kategorie benannt werden, die zuvor vielfach unter dem Sammelbegriff der Kontextfaktoren kaum Aufmerksamkeit erfahren hat. Es gilt somit, Behinderung stärker als bisher geschehen als ein grundsätzlich immer auch raumbezogenes und raumabhängiges Phänomen zu betrachten. Dies ist von besonderer Bedeutung für das neben weiteren Disziplinen betont kulturwissenschaftlich verortete Forschungsprogramm der Disability Studies: Für diese stellt die Kategorie Raum einen Faktor für die Betrachtung von Differenzwahrnehmung dar, die bislang nicht hinreichend untersucht wurde. Die Ergebnisse der Studie laden dazu ein, den bislang eher marginal vorhandenen Einbezug von Raum als stärker handlungsdeterminierend für die Konstruktion von Behinderung zu begreifen. Behinderung als Form und Folge insbesondere von raumbezogenen sozialen Praktiken zu denken ist meines Erachtens ein Zugang, der dem Anspruch der Disability Studies gerecht wird, abseits von etablierten Perspektiven Behinderung als gesellschaftliches Phänomen zu erörtern, interdisziplinäre Verbindungslinien zu anderen Fachdisziplinen zu ziehen, und die Kategorie Behinderung speziell im Hinblick auf ihre Entstehungsbedingungen weiter auszuleuchten. Im Kontext der Disability Studies ist die Analyse der Kategorie Raum insbesondere förderlich, um Machtverhältnisse im Rahmen der Wahrnehmung und Herstellung von Behinderung sichtbar zu machen und diese an bestimmte Räume zurückbinden zu können, was letztlich auch für den aktuellen Diskurs zum Thema der Inklusion von Menschen mit Behinderungen bedeutsam ist.
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
Für den behindertenpädagogischen Diskurs und für die unterschiedlichen Felder der Sozialen Arbeit, in denen verschiedenen Berufsgruppen auf professioneller Ebene damit beschäftigt sind, Menschen mit Behinderungen bestmöglich zu unterstützen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, dienen die Ergebnisse als weiterführende Impulse für die Reflexion und Gestaltung der aktuellen Praxis. Hier scheint es wichtig, die Verwobenheit von Raum und Behinderung stärker als in der bisherigen Weise für das professionelle Handeln im Rahmen der institutionalisierten Behindertenhilfe einzubeziehen. Dies bedeutet auch, die Konstruktionsprozesse von Raum durch die Klienten besagter Institutionen intensiv zu fokussieren. Hier können die Ergebnisse dazu beitragen, die in diesen Institutionen vielfach rein auf das Spacing und den konkreten Umgebungsraum reduzierte Sozialraum-Konzepte auszudifferenzieren. So kann anhand der Verbindung von Spacing und Synthese gezielt danach gefragt werden, wie und mittels welcher Kriterien Akteure Räume herstellen, sich aneignen und mit Bedeutungen versehen, die ihnen möglicherweise von anderen Personen als Räume mit bestimmten Bedeutungen zugewiesen werden, was letztlich auch an das bereits erwähnte Thema der raumbezogenen Machtverhältnisse anschließt. Zudem bedeutet dieser erweiterte Fokus auf Raum auch, die gerade in Bezug auf Behinderung prominenten Begrifflichkeiten Inklusion und Exklusion im Hinblick auf die ihnen zugeschriebenen Raumvorstellungen analytisch zu hinterfragen und weitere forschungsrelevante Fragen diesbezüglich anzuschließen.
2. D iskussion Die Studie geht aus verschiedenen Perspektiven der Frage nach, wie in spezifischen räumlichen Kontexten, die an konkreten Orten erfahren werden, Körper als normale oder von dieser Normalitätsvorstellung abweichende Körper wahrgenommen und mit entsprechenden Bedeutungszuschreibungen versehen werden. Es wird gezeigt, dass die Körper von Akteuren in den untersuchten Situationen sowohl als Elemente der wahrgenommenen Räume fungieren als auch gleichzeitig Ausgangspunkt für kognitive räumliche Wahrnehmungsprozesse sind. Im Untersuchungsbeispiel spielen für Zuschreibungen und Konstruktionen die Wahrnehmung des Körpers und die Wahrnehmung von Differenzmerkmalen, die an den Körper gebunden sind bzw. durch diesen repräsentiert werden, eine
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Raum und Behinderung
besondere Rolle. Die Analysen und Befunde dieser Studie legen nahe, dass die in Räumen wahrgenommenen Körper und ihre Merkmale auch als Form einer materialisierten Repräsentanz von Subjekten aufgefasst werden können, deren spezifische Merkmale diverse Zuordnungs- und Einordnungspraktiken nach sich ziehen. Die Studie macht deutlich, dass die Wahrnehmung von Körpern in Räumen im Hinblick auf die Wahrnehmung von verkörperter Materialität und einer daraus resultierenden Zuschreibung und Auffassung von dieser als (verkörperte) Differenz konsequent als Teil räumlicher Herstellungsund Wahrnehmungsweisen berücksichtigt werden muss. Im Rahmen der genannten ko-konstitutiven Dynamik sind Akteure und ihre Körper daran beteiligt, wie Räume als spezifische, wirksame und bedeutungsvolle Räume wahrgenommen werden. Gleichermaßen bedingt die räumliche Wahrnehmung – um hier noch einmal auf die Denkfigur des Katalysators zurückzukommen – wie die in räumlichen Kontexten erfahrenen Körper mit Bedeutungen versehen werden. Nicht nur für raumbezogene Forschungskontexte ist es lohnenswert, die in bisherigen Diskursen zum Teil marginalisierte Bedeutung und Wirksamkeit von Materialität stärker in den Blick zu nehmen, um so das Verhältnis und die wechselseitige Dynamik von spezifischen Raumwahrnehmungen und mit diesen einhergehenden sozialen Praktiken detaillierter auszuloten. Die zunehmende Auseinandersetzung mit dem interdisziplinär verorteten Forschungsfeld einer material culture bietet vor diesem Hintergrund vielversprechende Anknüpfungspunkte für raumsoziologische Perspektiven und Herangehensweisen.
Doing difference while doing space oder doing difference while being spatialized? Differenzkategorien und Differenzierungsprozesse, anhand derer Menschen Zugehörigkeiten und Unterschiede konstatieren, sind ein prominentes Forschungsfeld der Soziologie. Mithilfe von Differenzierungsprozessen werden Bedeutungen und Annahmen konstruiert und diese anderen Personen zugeschrieben. Differenzkategorien werden dabei als prozessuale, dynamische und veränderbare Annahmen aufgefasst, die innerhalb des alltäglichen Handelns (re-)produziert, ausgehandelt und vollzogen werden und somit als interaktionale Prozesse verstanden werden können. West und Fenstermaker (1995), die den konstruktiven und dynamischen Charakter von Differenzierungsprozessen insbesondere im
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
Hinblick auf Geschlecht thematisieren, brachten mit ihren Ausführungen unter dem Titel Doing Difference eine den weiteren Diskurs maßgeblich beeinflussende Begrifflichkeit ein, die auch für die Betrachtung der ko-konstitutiven Herstellungsweisen von Raum und Behinderung von Bedeutung ist. Im Blickfeld der vorliegenden Arbeit stehen in räumlichen Kontexten erfolgte Wahrnehmungsmuster von körperbezogenen Differenzmerkmalen, die Zuschreibungen hervorbringen und letztlich bewirken, dass Personen als beeinträchtigt oder behindert bzw. als nicht behindert wahrgenommen werden. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Wahrnehmung von Behinderung als aktiver Prozess, d.h. als doing difference, zu sehen ist. Entsprechend kann ein undoing difference in Gang gesetzt werden, worauf die beschriebenen Bedeutungsverschiebungen in der Wahrnehmung von Behinderung hinweisen. Wie lassen sich nun die vorgestellten Befunde, die von den ko-konstitutiven Herstellungsweisen von Raum und verkörperter Differenz zeugen, gedanklich in dieses (un-)doing difference einfügen? Zum einen wird der konstruktive Prozess der Differenzwahrnehmung und -zuschreibung in einer wechselseitigen Bezogenheit zum räumlichen Konstruktionsprozess vollzogen – doing difference while doing space. Zum anderen kann diese Aussage für die in der Studie dargelegten Befunde präzisiert und zugespitzt werden, so dass man mit Blick auf die spezifische Konstellation von Akteuren in dem ausgewählten Hotel von doing difference while being spatialized sprechen kann. Dies bedeutet, den Vorgang räumlicher Wahrnehmung als übergeordnet für Prozesse der Differenzkonstruktionen zu betrachten. Differenzkonstruktionen und in diesem Zusammenhang getätigte Zuschreibungen an Akteure werden somit nicht nur innerhalb, sondern insbesondere aufgrund der vorausgehenden räumlichen Wahrnehmung vollzogen. Die räumliche Wahrnehmung ist in diesem Fall als vorgängig für die Differenzkonstruktion zu betrachten; die Raumwahrnehmung, hier als doing space bezeichnet, löst gewissermaßen die anschließende Differenzkonstruktion aus. Ausgehend von der räumlichen Wahrnehmung wird ein doing oder undoing difference insbesondere in Bezug auf die wahrgenommene Körperlichkeit vollzogen, das durch den räumlichen Kontext wie durch einen Katalysator vorbereitet und beeinflusst wird. Dies spricht dafür, raumkonstruierenden Prozessen, in denen Akteure sowohl raumwahrnehmende Subjekte als auch mittels ihrer Körperlichkeit Elemente des wahrgenommenen Raums sind, eine handlungsdeterminie-
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Raum und Behinderung
rende Funktion einzuräumen. Prozesse der räumlichen Wahrnehmung, Herstellung und Aneignung sind somit einflussreiche Faktoren für Differenzierungsprozesse und Zuschreibungen. Raumkonstruierenden Prozessen und der analytischen Betrachtung derselben kann demnach für den Blick auf Differenzkonstruktionen und Differenzierungsprozesse der Status eines missing link zugesprochen werden. Dies beruht auch darauf, dass raumherstellende Prozesse und ihre Funktionen nach wie vor marginalisiert oder aber im Sinne einer universellen Containerbedeutung von Raum als nicht weiter bedeutungsvolle, grundsätzlich gegebene Voraussetzung von Sachverhalten betrachtet werden. Die auf der Basis von empirischem Material untersuchten Herstellungs- und Wahrnehmungsweisen von Räumen und (verkörperten) Akteuren werden als ko-konstitutive, sich gegenseitig bedingende und beeinflussende Prozesse beschrieben. In diesem Zusammenhang werden räumliche Wahrnehmungsprozesse als ein Rahmenkonzept genutzt, um Differenzierungsprozesse innerhalb eines spezifischen räumlichen Kontexts im Hinblick auf Akteure und ihre Körper zu untersuchen. Anhand des dieser Studie zugrundeliegenden Materials, dass sich speziell um die Wahrnehmung von Behinderung als einer Zuschreibungsfolge an als different konstatierte Körper konzentriert, kann diese sich wechselseitig beeinflussende Herstellungspraxis in einer einfachen Formulierung auch als das Prinzip einer gemeinsamen Verknüpfung beschrieben werden, in welcher Körper die Wahrnehmung von Räumen beeinflussen und Räume die Wahrnehmung von Körpern. In dieser wechselseitigen Bezogenheit enthalten ist die Funktion, dass Räume bzw. deren Wahrnehmung Körper (zu-) ordnen und Körper bzw. deren Wahrnehmung wiederum Räume (zu-) ordnen. In Bezug auf die Konstruktion von Differenz ist diese Funktion als ein Resultat der Wahrnehmung von sowohl Körpern als auch Räumen aufzufassen, die im Rahmen des Wahrnehmungsprozesses bzw. bereits während der Wahrnehmung Sortierungs- und Zuordnungsmechanismen auslöst und damit dafür sorgt, dass etwas zunächst als Differenz aufgefasst und in einem weiteren Schritt einer Kategorie oder einem Muster zugeordnet wird, wie beispielsweise einer Behinderung. Wahrnehmungsbezogene Zuordnungsfunktionen können unterschiedliche Bedeutungen für soziale Prozesse und Interaktionen einnehmen. In Bezug auf die in dieser Studie aufgezeigten Transformationen und Bedeutungsverschiebungen in der Wahrnehmung von Behinderung am Forschungsort kann die Zuordnungsfunktion auch als Entlastung aufge-
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fasst werden: Das räumliche Arrangement und die damit einhergehenden räumlichen Platzierungstechniken führen dazu, dass die Einordnung von Personen als behindert oder nicht behindert nicht als zwangsläufig notwendige Folge der Wahrnehmung erscheint, das heißt, dass die räumliche Wahrnehmung die Gewohnheit und den Impuls, zwischen behindert und nicht behindert zu unterscheiden, in den Hintergrund drängt. Ebenso ordnet die Wahrnehmung von Akteuren mit einer verkörperten Differenz die Wahrnehmung des jeweiligen Raums, der so, wie am Material gezeigt, die Bedeutung eines Orts des Miteinanders erhält. Die ko-konstitutiven Herstellungs- und Wahrnehmungsweisen von Räumen und verkörperten Differenzen beinhalten somit auch ko-konstitutive Ordnungsfunktionen, die verändernd in die binären Zuschreibungspraktiken und Deutungsmuster von Behinderung und Nichtbehinderung eingreifen können.
3. A usblicke Eine künstlerische Inszenierung mit einem engen Bezug zu der hier erörterten Thematik ließ sich auf der 13. Documenta 2012 in Kassel beobachten: Der Choreograph Jérome Bel präsentierte im ehemaligen Kaskade-Kino eine Tanz-Performance mit dem Titel »Disabled Theatre«, die er gemeinsam mit den kognitiv beeinträchtigten Schauspielerinnen und Schauspielern des Zürcher Theater Hora entwickelt hatte. Ein zentrales Anliegen seiner Performance, in der ausschließlich behinderte Akteure auftraten, war es, spezifische Mechanismen und Effekte hinsichtlich der Wahrnehmung anhand von Repräsentationstechniken und Inszenierungsmethoden zu hinterfragen. In seiner Darbietung, die als Live-Performance mit den Künstlerinnen und Künstlern und als Video-Inszenierung gezeigt wurde, ging es darum, inwiefern sich die Wahrnehmung von Behinderung durch eine räumliche Hervorhebung, Inszenierung und Platzierungspraxis verändert. Wenngleich der Schauplatz der Inszenierung, die Bühne eines ehemaligen Kinos, nicht mit dem untersuchten Hotel gleichgesetzt werden kann, lassen sich in Bezug auf die planvolle Platzierung von Behinderung an beiden Orten Ähnlichkeiten feststellen. So wird auch der Kinosaal zu einem inszenierten Raum, der Einfluss auf die Wahrnehmung von Behinderung ausübt bzw. anstrebt. Ebenso sind in beiden intentional geplanten und arrangierten Räumen, im Kinosaal und im Hotel, die behinderten Akteure Teil der räumlichen Insze-
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nierungspraxis, wenngleich der gezielte Einbezug behinderter Personen in beiden Fällen unterschiedlichen Ausgangssituationen unterliegt. Das hier nur kurz beschriebene künstlerische Projekt bestätigt meines Erachtens, dass eine raumwissenschaftlich ausgerichtete Herangehensweise an das komplexe Phänomen Behinderung eine gewinnbringende Ergänzung für die Betrachtung von Behinderung als eine in gesellschaftlichen Praktiken hergestellte und (re-)produzierte Kategorie darstellt.1 Die theoretisch-methodische Annäherung mittels der von Löw konzeptualisierten Auffassung von Raum als einem relationalen Gebilde ermöglicht es auch, Wahrnehmungsweisen von Behinderung in ihrem räumlichen Bezug näher zu bestimmen und zugleich Aussagen über die Art und Weise der Herstellungspraktiken von Behinderung zu formulieren. Eine diesbezügliche Herangehensweise an Raum und an räumlich bedingte soziale Praktiken ermöglicht weitere Zugänge und neue Perspektiven auf bisherige Forschungsansätze und Modelle, die Behinderung in ihrem (sozial-) räumlichen Bezug untersuchen und darstellen. Die in behindertenpädagogischen Diskursen vertretenen Überlegungen und Modelle zur Sozialraumanalyse (vgl. für einen Überblick beispielsweise Theunissen 2012) lassen die Frage, wie Raum als ein von Akteuren konstruiertes und dynamisches Phänomen gedacht werden kann, häufig unbeachtet. Auch die Studie von Bingel (2011), welche verschiedene sozialräumliche Diskurse und ihre (historische) Entwicklung im Hinblick auf sozialpolitische und wohlfahrtsstaatliche Interessen der Integration benachteiligter Personen sehr differenziert darlegt, lässt die Auseinandersetzung mit der oben genannten Frage lediglich andeutungsweise erkennen. Wenngleich die hier genannten Studien als nicht repräsentativ für die Vernachlässigung des Nachdenkens über Raum als ein konstruiertes und dynamisches Gebilde sind, lassen sie meiner Einschätzung nach doch die Ausrichtungen und Schwerpunkte erkennen, die im Rahmen sozialräumlicher Diskurse präsent sind. Die teilweise stark standardisierten Verfahren der Sozialraumanalyse sind in ihrer Darstellungsmöglichkeit in Bezug auf die Bedeutung von Raum sehr begrenzt und entbehren insbesondere im Kontext der institutionalisierten Behindertenhilfe häufig der eingehenden Reflexion, wie Räume innerhalb der jeweiligen lebensweltlichen Praxis von behinderten Akteuren wahrgenommen und empfunden werden. 1 | Die zentralen Gedanken des folgenden Abschnitts wurden in leicht veränderter Form bereits im Rahmen eines Aufsatzes publiziert (Modes 2014b, 168ff).
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
Anhand von Listen und Fragebögen wird beispielsweise häufig ein meist nicht näher erläutertes Konzept dessen, was als jeweiliger Sozialraum für die behinderte Person aufgefasst und angenommen wird, auf dem Papier bestimmt und im Hinblick auf seine Qualität bewertet. Nicht immer werden Klienten bzw. betroffene Personen in diese Verfahren der Sozialraumorientierung mit einbezogen, stattdessen erfolgt für sie eine stellvertretende Bewertung des Umgebungsraums anhand bestimmter Kriterien. Die Sozialraumanalyse erörtert in der Regel den jeweiligen (konkreten örtlichen) Umgebungsraum und fragt gezielt, welche Möglichkeiten, Angebote und Gegebenheiten dieser für bestimmte Akteure offeriert oder auch vorenthält, insbesondere im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Der Umgebungsraum wird, wiederum im Sinne von Raum als einer containerhaften Voraussetzung, als vorhandene und nicht als dynamisch-prozesshafte Gegebenheit betrachtet. Diese vielfach in den Hilfestrukturen für behinderte Menschen institutionell verankerte Form der Sozialraumanalyse nimmt zwar eingehend den konkret-materiellen Umgebungsraum in den Blick, erschöpft sich jedoch in einer reinen Deskription des Spacing, anhand dessen Möglichkeiten für spezifische Lebenssituationen formuliert werden. Demgegenüber möchte die vorliegende Studie einen Anstoß dazu geben, raumherstellende Prozesse und damit die individuelle räumliche Erfahrung von Personen mit einer Behinderung stärker für sozialräumliche Erhebungsverfahren zu berücksichtigen. Die in diesem Zusammenhang angewendete Perspektive auf Raum anhand der Spacing-und-Synthese-Optik ermöglicht einen lebenswelt- und erfahrungsbezogenen Blick, der präziser Auskunft darüber geben kann, wie und aufgrund welcher Faktoren Räume als Räume mit bestimmten Qualitäten und Eigenschaften wahrgenommen und hergestellt werden und welche Effekte sie auf die raumwahrnehmenden Personen ausüben. Die einzige mir bekannte Studie, welche raumtheoretische Theorien explizit in die Betrachtung von Behinderung und die lebensweltliche Wahrnehmung von behinderten Personen einbezieht, ist die qualitative Einzelfallstudie von Meyer (2010), die unter dem programmatischen Titel »Der Weg entsteht im Gehen« Raumwahrnehmungsprozesse und ihren Einfluss auf die Mobilität von Jugendlichen mit Down-Syndrom untersucht. Ihre Untersuchungen zeigen, wie kognitiv beeinträchtigte Menschen Räume wahrnehmen und mit bestimmten Bedeutungen versehen. Sie beschreibt, wie der von ihr untersuchte Personenkreis dabei eine selbstbestimmte Raumaneignung analog zu indi-
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viduellen Wahrnehmungsprozessen vornimmt Insbesondere in Bezug auf so genannte geistig behinderte Personen, für die eine Bestimmung räumlicher Gegebenheiten, also welche Bedeutung ein Raum hat und für welchen Zweck er genutzt werden soll, vielfach stellvertretend vorgenommen wird, können Meyers Ergebnisse als wertvoll und richtungsweisend für die zukünftige Gestaltung sozialraumorientierter Konzepte gesehen werden. Sie betont, dass die Raumwahrnehmung, Raumorientierung und die individuellen Raumbilder des von ihr betrachteten Personenkreises bisher nicht berücksichtigt werden bzw. allein auf Fremdeinschätzungen basieren (vgl. ebd., 209).
3.1 Inklusion als wirksamer Raum Eine noch weiter zu denkende Forschungsperspektive bezieht sich auf die aktuellen Debatten und sozialpolitischen Bestrebungen im Hinblick auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, welche deren uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen anstrebt und umzusetzen sucht, und das nicht erst seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention. Es stellt sich die Frage, inwiefern Inklusion, als zunächst rein theoretisches Konzept, das bestimmte Vorstellungen im Hinblick auf Partizipation und das gemeinsame Zusammenleben von Menschen beinhaltet, aus raumtheoretischer und vor allem raumsoziologischer Perspektive bedenkenswert ist. Hierbei wäre zu präzisieren, wie der Begriff Inklusion, dessen Wortbedeutung bereits eine räumliche Anordnung impliziert, als ein für Akteure tatsächlich inkludierender Raum funktioniert und wie inklusiv konzipierte und installierte Räume tatsächlich im Rahmen lebensweltlicher Erfahrungen konstruiert und wahrgenommen werden. Was genau macht einen Raum zu einem inklusiv wirksamen Raum? Inwiefern lassen sich Inklusion und in diesem Zusammenhang erfolgte Platzierungstechniken – auch Platzierungen von Personen – mittels der konzeptionellen Begriffe Spacing und Synthese präzisieren, gerade auch im Hinblick auf die Wahrnehmung derjenigen Akteure, die von diesen inkludierenden Maßnahmen und (räumlichen) Praktiken adressiert werden? Die von sozialraumorientierten Konzepten gestützten Bestrebungen der praktischen Umsetzung von Inklusion und der Herstellung inklusiver Räume, münden aus meiner Sicht vielfach in eine intensiv geplante und gezielte räumliche Anordnungs- und Platzierungspraxis, sind aber mit-
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
unter nicht in der Lage, über diesen Akt des Spacings hinaus den Raum in der Wahrnehmung als einen inklusiven Raum wirksam werden zu lassen. Der Wunsch und die Vorstellung, Inklusion und inklusive Räume allein mittels einer räumlichen Anordnungspraxis herstellen zu können, scheint prägend für einige momentan zu beobachtende Veränderungen und Umstrukturierungsprozesse, insbesondere für Menschen, die in institutionalisierten und besonders in stationären Angeboten der Behindertenhilfe in der Bundesrepublik leben. Meiner Meinung nach sind inklusionsorientierte Bestrebungen, die sich in einer reinen Platzierungspraxis erschöpfen, wie beispielsweise ein Umzug von der Peripherie ins Stadtzentrum, kritisch zu betrachten, wenn individuelle Vorstellungen und Wünsche im Hinblick auf den Umgebungsraum durch diese rein auf Platzierung beschränkte Praxis missachtet werden. Möglicherweise, dies wäre weiter zu untersuchen, greifen diese Platzierungspraktiken stark auf räumliche Vorstellungen zurück, die im Rahmen raumtheoretischer Überlegungen als Container-Vorstellungen von Raum bezeichnet werden. Es bleibt zu überlegen, inwieweit diese Formen einer räumlich verordneten Inklusionsbestrebung gegenteilige Effekte produzieren. So könnten bestimmte, auf Inklusion zielende räumliche Anordnungs- und Platzierungspraktiken in der Wahrnehmung betroffener Personen exkludierende Strukturen hervorbringen, die insbesondere in jüngerer Zeit verstärkt in den Fokus rücken und gegenteilige Effekte der Inklusionsbestrebungen thematisieren. Becker (2015) kritisiert beispielsweise die im Rahmen der Behindertenhilfe zirkulierende dichotome Auffassung von Inklusion und Exklusion und stellt zur Diskussion, ob die angestrebte Inklusion innerhalb der in der Bundesrepublik herrschenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung überhaupt realisierbar ist. Stichweh, der sich mit der Partizipation an Bildungsprozessen im Kontext des Sonderschulwesens beschäftigt, spricht im Zusammenhang mit den oben genannten gegenteiligen Effekten von »exkludierender Inklusion« bzw. »inkludierender Exklusion« (2013, 6), ähnlich argumentiert auch Ahrbeck (2014, 27f). Ebenso stellt Wansing im Zusammenhang mit systemtheoretischen Überlegungen dar, wie die gesellschaftlichen Bestrebungen nach Inklusion Behinderung und Exklusion quasi erst produzieren (2012, 381f, vgl. auch Wansing 2007). Weiterhin untersuchungsrelevant ist in diesem Zusammenhang auch, inwiefern die komplexen Begrifflichkeiten Inklusion und Exklusion grundsätzlich als machtvoll und dabei stets auch vermachtet aufgefasst werden können, denen ein bestimmtes Raumverständ-
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nis zugrunde liegt, das aufgrund von entsprechenden Ressourcen und sozialen Positionen etabliert und durchgesetzt werden kann. Im Hinblick auf die Lebenssituation behinderter Menschen wäre zu präzisieren, inwieweit Inklusion immer auch als eine Vorstellung von Akteuren angesehen werden kann, die aufgrund von Handlungsmacht Einfluss auf die Umsetzung dieser Vorstellung von Inklusion nehmen, was sich in der Form unterschiedlicher räumlicher Praktiken niederschlägt. Inwiefern diese momentan vielfach zu beobachtende Praxis dabei möglicherweise stets auf eine räumliche Vorstellung von Inklusion im Sinne eines Behälters zurückgreift, muss noch untersucht werden. Dem gegenüber steht die Frage, wie im Rahmen lebensweltlicher und alltagsbezogener Erfahrungen Akteure anhand von individuellen Raumherstellungsprozessen Räume als tatsächlich inkludierend wahrnehmen. Diese Perspektive zielt somit darauf, Inklusion als wirksame Räume zu betrachten, die sich im Spannungsfeld von individuellen Raumwahrnehmungen und übergeordneten räumlichen Praktiken bewegen.
3.2 Raumsoziologisch gelenkte Überlegungen zum Behinderungsbegriff Es scheint mittlerweile eine Art Konsens darüber vorzuliegen, dass Behinderung als Kategorie und ausgesprochen komplexes Phänomen keiner einheitlichen Begriffsdefinition unterliegt und aufgrund der vielschichtigen Bedeutungen und Auslegungsformen keine klaren Trennlinien zwischen verschiedenen, zu Behinderung forschenden Disziplinen bestehen. Grundlegend für den Blick auf Behinderung im Rahmen dieser Studie war die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Perspektive der Disability Studies, die Behinderung als ein in kulturellen und diskursiven Praktiken erzeugtes Phänomen betrachtet. Zentral dabei sind geltende Vorstellungen und Wissenssysteme in Bezug auf Körper und damit verbundene Vorstellungen darüber, was ein normaler Körper ist. Behinderung ist entlang dieser Denkrichtung somit auch als eine wahrgenommene Differenz aufzufassen, die vorwiegend an körperlichen Merkmalen festgemacht wird. Die meisten wissenschaftlichen Perspektiven auf Behinderung betonen, trotz einer sich teilweise stark unterscheidenden Argumentationsweise, dass Behinderung grundsätzlich im Zusammenhang mit Wahrnehmungsprozessen zu denken ist. Dederich setzt sich pointiert mit den vorhandenen Unschärfen des Behinderungsbegriffs
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
und den damit zusammenhängenden Problemen einer genauen Begriffsbestimmung auseinander: »Behinderung ist in diesem Sinne und je nach Perspektive und Kontext das Ergebnis eines Wahrnehmungs- und Deutungsprozesses angesichts von erwartungswidrigen Merkmalen oder Eigenschaften eines Individuums. Sie ist eine Folge der kulturellen Hervorbringung von ästhetischen, kognitiven, moralischen, kommunikativen, sozialen und ökonomischen Ordnungsmustern, die Eigenes und Fremdes, Vertrautes und Unvertrautes, Erwünschtes und Unerwünschtes, Normales und Abnormes, ›Gutes‹ und ›Böses‹ unterscheidbar machen.« (2009, 37)
Die in dieser Studie verfolgte raumsoziologische Perspektive auf Behinderung und deren Herstellungs- und Wahrnehmungsweisen und die Ergebnisse der empirischen Analyse setzen bei dem von Dederich verwendeten, jedoch nicht näher spezifizierten Begriff des Kontexts an: So ließe sich Dederichs Feststellung dahingehend präzisieren, dass Behinderung als Wahrnehmungsprozess und Deutungsfolge in unmittelbarem Zusammenhang mit dem situativ-räumlichen Kontext, also den jeweiligen raumkonstruierenden Prozessen und damit verbundenen Effekten steht. Dies bedeutet, die Herstellung von Räumen im Hinblick auf ihr zielgerichtetes, spezifische Reaktionen und Effekte intendierendes Spacing und die damit zusammenhängenden Syntheseleistungen, anhand derer Akteure Räume zu wirksamen, mit bestimmten Bedeutungen versehenen wahrgenommenen Räumen verdichten, als ein wichtiges Element aufzufassen, dass sich auf den Wahrnehmungs- und Deutungsprozess von Behinderung auswirkt. Die raumbezogene Betrachtung von Behinderung stellt damit eine weiterführende Forschungsperspektive dar, mit der insbesondere machtanalytische Überlegungen zu Behinderung, wie sie in Anlehnung an Foucault (vgl. Waldschmidt 2007, 60) in der Programmatik der Disability Studies von zentraler Bedeutung sind, weiter fokussiert werden können. Wie bereits bei dem Blick auf Inklusion deutlich wurde, ist in diesem Zusammenhang die Frage von Bedeutung, wie Behinderung als eine Wahrnehmungsfolge von machtvollen Positionen einzelner Akteure abhängt, deren Entscheidungsgewalt die konkrete Ausgestaltung von Orten und Räumen anhand von Spacings maßgeblich beeinflusst. Personen, die über solche Positionen verfügen, können unter anderem darüber entscheiden, wo und in welchen Räumen sich Menschen aufhalten, die ihre
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Vorstellungen dazu beispielsweise aufgrund einer schwerwiegenden Beeinträchtigung nicht äußern können. Dass raumtheoretische und raumbezogene Herangehensweisen bislang im Feld der Disability Studies eher unterrepräsentiert sind, liegt möglicherweise an der erwähnten Vormachtstellung des Sozialraumbegriffs in den wissenschaftlichen Diskursen, die sich mit Behinderung auseinandersetzen. Dies überdeckt andere Überlegungen zu Raum und seinen Effekten und erschwert neue Zugänge. Hier wird zudem deutlich, dass der Einbezug von raumtheoretisch verorteten Sichtweisen und ihrer komplexen Potentiale im Hinblick auf bestimmte Forschungsfelder immer auch Spannungen erzeugt: So kann eine solche Herangehensweise einerseits in der Funktion einer wünschenswerten Erweiterung, eines forschungsbezogenen Desiderats wirksam werden, andererseits auch dazu führen, etablierte Vorstellungen, Meinungs- und Wissensdiskurse zu verunsichern.
3.3 Das Hotel als besonderer Ort. Konvivalismus als räumliche Praxis Der Schutz des Lebensrechts und der Würde der behinderten Menschen ist eine der größten Herausforderungen, vor denen eine humane Gesellschaft steht. Wir werden sie nur meistern, wenn es immer mehr Menschen gibt, die die Welt mit dem Herzen sehen. Nach unseren Begegnungen mit [einer Person der Leitung, Anm. d. A.] und den zwei Tagen im [Hotel, Anm. d. A.] ist unsere Hoffnung größer, daß es sich dabei um mehr als eine Utopie handelt. Herzlichen Dank! (Gästebucheintragungen, Gruppierung V)
Anknüpfend an die Ergebnisse dieser Studie stellt sich die Frage, inwiefern das untersuchte Hotel als ein besonderer Ort charakterisiert werden kann, der spezifische Räume hervorbringt, die auf Vorstellungen und Wünsche von Menschen eingehen, die weit über das eigentliche, mit einem Hotel in Verbindung stehende Dienstleistungsspektrum hinausgehen. Aus der raumsoziologischen Perspektive Löws heraus betrachtet handelt es sich bei dem untersuchten Hotel um einen Ort, an dem das Spacing als zielgerichtete räumliche Platzierungspraxis eine herausragende Bedeutung einnimmt. Im Vergleich zu anderen Orten befinden sich hier überproportional viele intentionale Spacings, die in der Folge zu den dar-
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
gelegten synthetisierten Raumerfahrungen führen. In Bezug auf das integrativ ausgerichtete Projekt einer Arbeitsmöglichkeit für behinderte Menschen hat das intentionale Spacing ebenfalls die Bedeutung eines speziell angelegten Rahmens, innerhalb dessen die integrativen und inkludierenden Absichten umgesetzt werden können. Das bedeutet, dass die spezifische Spacing-Leistung des Hotels eine unverzichtbare Funktion für die integrativen Ziele des Projekts darstellt, da erst diese Leistung die notwendigen Ressourcen bereitstellt, die ihrerseits die miteinander geteilten Raumerfahrungen ermöglicht. Das Gelingen der vor Ort stattfindenden inkludierenden Prozesse ist damit in hohem Maße abhängig von den durch das Spacing bereitgestellten Ressourcen und nur durch deren Vorhandensein umsetzbar. Das Hotel stellt Räume zur Verfügung, in denen anhand von vorbereiteten und arrangierten (räumlichen) Platzierungstechniken implizite, raumbezogene Regeln erzeugt werden. Diese wirken sich in hohem Maße auf die Wahrnehmung und die Herstellung und Konstruktion von Menschen als Personen mit bestimmten Eigenschaften aus. Das heißt, das Hotel ist als ein räumliches Konzept zu verstehen, das Differenzkonstruktionen und damit verbundene Wahrnehmungsmuster zielgerichtet einleitet oder aber, um diesen Gedanken aus der entgegengesetzten Richtung zu verfolgen, als ein räumliches Konzept, in dem bestimmte Differenzierungsprozesse nicht erfolgen und der Bedarf, Differenzierungen und diesbezügliche Zuschreibungen zu vollziehen, an Bedeutung verliert. Zugespitzt formuliert wäre das Hotel dann als ein Ort zu denken, der in Bezug auf seine für die Wahrnehmung bereitgestellten Räume eine Entlastung im Hinblick auf diese Differenzierungsprozesse bietet und den möglicherweise in alltäglichen Handlungssituationen verankerten und nicht näher reflektierten Impuls, zwischen behindert und nicht behindert zu unterscheiden bzw. unterscheiden zu müssen, in den Hintergrund treten lässt. Das Hotel ließe sich somit als Raum mit ordnender und im Hinblick auf Entscheidungsprozesse entlastender Funktion auffassen. Hieran schließt die Frage an, ob diese im Hinblick auf Differenzkonstruktionen sowohl ordnende als auch entlastende räumliche Funktionsweise ein spezifisches Charakteristikum für bestimmte Orte darstellt, die man auch als besondere oder exklusive, außerhalb alltäglicher Erfahrungen liegende Orte bezeichnen könnte. Menschen, die solche Orte aufsuchen, haben meist eine Erwartungshaltung in Bezug auf das dortige Geschehen. Dies können beispielsweise Klöster, Themen-Hotels oder andere
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besonders geographisch platzierte oder architektonisch ausgefallene Gebäude sein, die spezielle Angebote offerieren und diese mittels gezielter Spacing-Techniken für einen interessierten Personenkreis installieren. Eine These ist, dass diese Orte wie auch das untersuchte Hotel, Räume bereitstellen, in denen sich im Rahmen raumkonstruierender Prozesse wahrgenommene Differenzmerkmale in ihrer Bedeutung verschieben und verändern können. Ein weiterer Effekt dieser besonderen Orte ist ebenfalls, dass sie, wie bereits erwähnt, nicht bewusst gesteuerte Impulse und Gewohnheiten der Differenzierung, Unterscheidung und Einordnung abschwächen und in den Hintergrund treten lassen. Förderlich für die vertiefte Betrachtung der Funktionsweisen dieser besonderen Orte wäre es zudem, verstärkt die durch ein räumliches Konzept hervorgerufenen Gefühle und ihren Einfluss auf Wahrnehmungsmuster zu untersuchen. Um die wechselseitige Bezogenheit von Raum, Differenzkonstruktion und Gefühl noch genauer auszuloten, bieten sich Hochschilds (2006) Überlegungen zu frames und feeling rules an. Weiterhin forschungsrelevant im Zusammenhang mit der ko-konstitutiven Herstellung von Räumen und Personen als sich in diesen Räumen befindende verkörperte Subjekte ist meines Erachtens ein Bereich, der in der jüngsten Zeit unter dem Begriff des Konvivalismus an interdisziplinärem Interesse gewinnt. Es stellt sich die Frage, inwiefern räumliche Funktionsweisen und die Bedeutung raumkonstruierender Prozesse für konvivalistische Überlegungen bedenkenswert sind, wie sie beispielsweise von Adloff und einer Reihe anderer Autoren formuliert werden (Adloff/Leggewie 2014, speziell im Hinblick auf Behinderung Rösner 2014). Im Zentrum der konvivalistischen Perspektiven steht die Frage, wie Menschen miteinander in sozialen Ordnungen interagieren und gemeinschaftliches Handeln gestalten. Von besonderem Interesse ist dabei der Blick auf die Vorstellung eines ›guten‹ Miteinanders und die konkrete Gestaltung von sozialen Prozessen, die dies bewirken. Eine Eigenschaft bzw. Funktionsweise der von mir als besondere Orte bezeichneten Räume könnte möglicherweise sein, dass diese in ihrer jeweiligen räumlichen Konzeption und Installation einen Rahmen für konvivalistisch ausgerichtete Ideen und Vorstellungen darstellen, indem sie Wahrnehmungsprozesse, insbesondere in Bezug auf andere Menschen, beeinflussen und verändern. Besondere Orte könnten dann für einen zeitlich und räumlich abgrenzbaren und festgelegten Bereich Interaktionen ordnen und anhand einer vorbereiteten räumlichen Wahrnehmung zielgerichtet anleiten. Ein
VII. Wahrnehmung und Herstellungsweisen von Raum und Behinderung
wesentliches Spezifikum dieser besonderen Orte könnte darin liegen, dass dort Räume geschaffen werden, die maßgeblich daran beteiligt sind, ob und inwiefern Differenzen zwischen Personen wahrgenommen und konstruiert und infolge dessen Bedeutungen zugeschrieben und wieder zurückgenommen werden können. Insofern erscheinen die in konvivalistischen Überlegungen zentralen Ideen eines wertschätzenden und anerkennenden Miteinanders, insbesondere zwischen Menschen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften und Voraussetzungen, auch im Zusammenhang mit räumlichen Praktiken und Arrangements bedenkenswert. In Bezug auf das beforschte Hotel lassen sich konviviale Motive und daraus resultierende Praktiken als eine auf einen bestimmten räumlichen Kontext bezogene Möglichkeit deuten, Differenzkonstruktionen und damit einhergehende Zuordnungsprozesse zu überwinden. Konvivalistische Motive wären in diesem Fall als Faktoren aufzufassen, die sich steuernd auf die räumliche Wahrnehmung auswirken, in dem sie die Aufmerksamkeit auf das lokal und zeitlich begrenzte gemeinsame Raumerlebnis lenken, während sie andere Orientierungsrahmen in den Hintergrund treten lassen.
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Online-Dokumente www.embrace-hotels.de am 14.08.2014. www.essbarelandschaften.de am 18.08.2014.
Mein Dank
gilt all denen, die in vielfältiger Weise dazu beigetragen haben, dass aus einer Idee für ein Forschungsprojekt tatsächlich ein Forschungsprozess werden konnte. Mein Dank gilt all denen, die meinen Weg der nebenberuflichen, erst relativ spät begonnenen Promotion immer ernst genommen haben. Mein Dank gilt all jenen, die freundlich, ausdauernd und geduldig mit mir in zahllosen Gesprächen das Für und Wider, das Vor und Zurück, meine eingeschlagenen Umwege, Sackgassen, Stillstände und erreichten Meilensteine während des gesamten Projekts diskutiert haben. Mein Dank gilt allen Teilnehmenden des Promotionskolloquiums im Fachgebiet von Mechthild Bereswill und der in diesem Zusammenhang entstandenen hermeneutisch arbeitenden Interpretationsgruppe an der Universität Kassel. Beide Arbeitszusammenhänge waren von enormer Wichtigkeit für die Entwicklung dieser Arbeit. Ich danke insbesondere Julia Weber, Anke Neuber, Marko Perels, Dörte Negnal, Somnoma Valerie Ouedraogo, Rafaela Pax, Marlies Kroetsch und Lina Eckhardt. Ich danke den Initiatorinnen und Kolleginnen des DFG Graduiertenkollegs »Dynamiken von Raum und Geschlecht« für die gemeinsam geteilten theoretischen Räume, Überlegungen zu verkörperten Räumen und vor allem für die Räume des gemeinsamen Austauschs, von denen ich sehr profitiert habe. Ich danke Sabine Stange für ihr sorgfältiges Lektorat, das mir mit konstruktiven und feinsinnigen Hinweisen aus manchen Irrungen und Wirrungen herausgeholfen hat. Ich danke Gudrun Wansing für fachlichen Rat und hilfreiche Hinweise sowie das interdisziplinäre Interesse an meinem Projekt.
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Ich danke Mechthild Bereswill, die das Projekt und diese Arbeit von Beginn bis Ende hervorragend betreut hat und trotz meiner familienbedingten Pause und anderer beruflicher Verpflichtungen meinerseits nicht daran gezweifelt hat, dass diese realisierbar sind. Ich danke für ihr vielfältiges Engagement und die vielen wegweisenden Beratungsgespräche. Ihre konstruktiven und klugen Hinweise haben immer wieder dazu beigetragen, so manche Klippe auf dem Weg zum Ziel zu umsegeln und mutig weiter nach vorne zu blicken. Ich danke allen Personen, die ich im Rahmen der Feldforschungsphasen getroffen habe: Für ihre freundliche Aufnahme, für die Offenheit und das Interesse an meinem Projekt, ihre vielfältige Unterstützung und natürlich auch für die Zeit und die Räume, die sie mir zur Verfügung gestellt haben. Ich danke dem Physiker Thomas Heimburg von der Universität Kopenhagen für die kontroversen Diskussionen über die Frage, wie Raum tatsächlich gedacht werden kann. Die Antwort auf diese Frage steht nach wie vor aus. Ich danke meinen Eltern für ihre Zeit und die Selbstverständlichkeit, mit welcher sie diese zur Verfügung gestellt haben. Ich danke meinen wunderbaren Kindern für ihre lustigen und kreativen Ideen, mich vom Schreibtisch wegzulocken um etwas zu spielen, was letztlich dann immer ganz prima war. Ich danke meinem Lebensgefährten für die stetige Unterstützung meines Vorhabens und die Mitgestaltung aller organisatorischen Dinge, die mit diesem Projekt in Verbindung standen und ganz besonders für seine fantastischen Gemüsesuppen während der Schreibphasen.
Sozialtheorie Urs Lindner, Dimitri Mader (Hg.) Critical Realism meets kritische Sozialtheorie Erklärung und Kritik in den Sozialwissenschaften Februar 2017, ca. 300 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2725-1
Joachim Renn Selbstentfaltung – Das Formen der Person und die Ausdifferenzierung des Subjektiven Soziologische Übersetzungen II September 2016, 296 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3359-7
Kolja Möller, Jasmin Siri (Hg.) Systemtheorie und Gesellschaftskritik Perspektiven der Kritischen Systemtheorie September 2016, 256 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3323-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Henning Laux (Hg.) Bruno Latours Soziologie der »Existenzweisen« Einführung und Diskussion September 2016, 264 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3125-8
Hilmar Schäfer (Hg.) Praxistheorie Ein soziologisches Forschungsprogramm Mai 2016, 384 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2404-5
Silke Helfrich, David Bollier, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Die Welt der Commons Muster gemeinsamen Handelns 2015, 384 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3245-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de