Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung in der gesetzlichen Krankenversicherung, zugleich eine Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes [1 ed.] 9783428585250, 9783428185252

Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Konstitutiv für die Selb

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Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung in der gesetzlichen Krankenversicherung, zugleich eine Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes [1 ed.]
 9783428585250, 9783428185252

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 69

Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung in der gesetzlichen Krankenversicherung, zugleich eine Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes

Von Bernhard Hadank

Duncker & Humblot · Berlin

BERNHARD HADANK

Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 69 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung in der gesetzlichen Krankenversicherung, zugleich eine Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes

Von

Bernhard Hadank

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-18525-2 (Print) ISBN 978-3-428-58525-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2021 als Dissertation vor. Am 13. Dezember 2021 fand an der Freien Universität Berlin die mündliche Doktorprüfung statt. Für die Veröffentlichung ist die Arbeit auf den Stand von Oktober 2021 gebracht worden, sodass Gesetzesänderungen und neue Druckwerke noch bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt werden konnten. Zunächst gebührt meinem Doktorvater und Lehrer, Herrn Universitätsprofessor Dr. Helge Sodan, mein herzlicher Dank für die vielfältige Unterstützung von der Themenfindung bis zur Umsetzung des Forschungsgegenstandes. Meine wissenschaftlichen Qualifikation gründet nicht zuletzt in der äußerst lehrreichen Tätigkeit an seinem Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin, die mir viele neue Perspektiven auf das Sozialrecht in Forschung und Lehre aufgezeigt hat. Zugleich hat er mir, auch dies ist hervorzuheben, stets die für die intensive Forschungsarbeit unbedingt erforderlichen Freiräume eingeräumt. Auch für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zum Gesundheitsrecht“ danke ich ihm sehr herzlich. Ferner danke ich Herrn Universitätsprofessor Dr. Thorsten Siegel für seine Bereitschaft zur Übernahme der Zweitbegutachtung sowie für die zügige Durchsicht und Bewertung der Arbeit. Dem Deutschen Institut für Gesundheitsrecht (DIGR) danke ich herzlich für die großzügige finanzielle Unterstützung. Ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, Petra und Klaus Gunder, deren stetiger und bedingungsloser Rückhalt in allen Belangen erst die privaten Freiräume in der Arbeitsphase geschaffen hat, ohne die die Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Meiner ganzen Familie und meinen Freunden danke ich für das kontinuierliche Mitverfolgen des Arbeitsstandes, die ständige Motivation und Anteilnahme, die zuweilen erforderliche Rücksichtnahme, die fortwährende Zuversicht in den Erfolg des Forschungsprojekts und vor allem die vielen gemeinsamen Momente und Erlebnisse. All dies hat zum Gelingen dieser Arbeit in besonderem Maße beigetragen. Berlin, im Februar 2022

Bernhard Hadank

Inhaltsverzeichnis Einführung 19 A. Das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht . . . . . . . . 19 I. Kontinuität der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Die funktionale Selbstverwaltung als Erfolgsmodell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Die Staatsaufsicht und ihre Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Erhoffter Ertrag der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Gegenwärtige Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Bruch mit der Kontinuität des Prinzips Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 C. Verlauf der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Erstes Kapitel

Zum Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht 31

A. Die Terminologie vom Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Relevante Dimensionen des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Eigenverantwortlichkeit contra Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Eigenverantwortlichkeit als zentrales Element der Selbstverwaltung . . . . . . . 34 a) Das politische Element der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Repräsentation der Betroffenen in den Selbstverwaltungsorganen . . . 37 bb) Eigenverantwortlichkeit durch Normsetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . 39 b) Spannungen zwischen dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Gedanken eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Absicherung der Eigenverantwortlichkeit durch die Staatsaufsicht . . . . . . . . . 46 a) Mehrdimensionalität der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Vereinigung von repressiven mit kooperativen Elementen . . . . . . . . . 48 (1) Flexibilität durch das Opportunitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) Normative Vorzeichnung einer graduellen Abstufung der Aufsichtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8

Inhaltsverzeichnis (3) Anreicherung der Rechtsaufsicht durch Compliance-Ansätze . . . 50 bb) Formulierung eines modernen Verständnisses von staatlicher Aufsicht durch Wolfgang Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 cc) Schutz der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltungsträger durch die Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Richtiger Zuschnitt der Staatsaufsicht auf die funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Begrenzung der Staatsaufsicht auf die reine Rechtsaufsicht . . . . . . . . 56 (1) Abgrenzung zur Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Verdichtung der Rechtsaufsicht zur faktischen Fachaufsicht . . . . 60 bb) Zum Unterschied zwischen staatlichen Mitwirkungsrechten und Aufsichtsmitteln der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c) Absicherung der Eigenverantwortlichkeit durch gerichtlichen Rechtsschutz 64 aa) Gerichtliche Kontrolle als Rückversicherung der Staatsaufsicht . . . . . 65 bb) Spezifischer Rechtsschutz über die Aufsichtsklage . . . . . . . . . . . . . . . 66 cc) Rechtsschutz im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger . . . . . . 67 3. Befund zu den Spannungen zwischen Eigenverantwortlichkeit und Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Dezentralisierung contra hierarchische Struktur der unmittelbaren Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Dezentralisierung als Kernelement funktionaler Selbstverwaltung . . . . . . . . . 69 a) Dezentralisierung als notwendige Voraussetzung von Selbstverwaltung . . 69 b) Das „juristische“ Verständnis von Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Bindeglieder von dezentralisierter Selbstverwaltung und hierarchisierter Staats­ aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Staatsaufsicht als verbindendes Element mit der unmittelbaren Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Notwendigkeit der Staatsaufsicht für die Vermittlung demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) Die legitimationsstiftende Wirkung der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . 79 bb) Bedeutung der Staatsaufsicht bei der Ermittlung des Legitimationsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (1) Stellenwert der personellen demokratischen Legitimation . . . . . . 81 (2) Substitutionsfähigkeit der personellen demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Bedeutung materieller Konzeptionen demokratischer Legitimation 83 cc) Stellenwert der Staatsaufsicht aus demokratietheoretischer Sicht . . . . 84 3. Befund zu den Spannungen von Dezentralisierung und hierarchischer Struktur 84

C. Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis

9

Zweites Kapitel

Konzeptidee für die wechselseitige Regulierung von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht 89

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Die These von der Gleichgewichtslage von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Funktionsbezogene Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte . . . 92 I. Tätigkeitsbezogene Risikoprognose und Folgenabwägung als Indikatoren für die Bestimmung der gebotenen Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Die Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Zu den Funktionen der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Universelle Geltung der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (2) Grundrechtsrelevanz der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen . . . . . . . . . . . 101 cc) Grundlegende Vereinbarungen des Vertragsarztrechts . . . . . . . . . . . . . 102 dd) Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Wettbewerbliche Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Wettbewerb im deutschen Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Allokation von Gesundheitsleistungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Beratung, Koordination und Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als universeller Dienstleister der gesetzlichen Krankenkassen auf Bundesebene . . . . . . . . . . 117 bb) Interessenvertretung durch die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen 119 cc) Beratung und Koordination durch den Medizinischen Dienst Bund . . 121 3. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Grenzen und Möglichkeiten für die Konstruktion der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . 123 1. Formbarkeit der funktionalen Selbstverwaltung durch das Fachrecht . . . . . . . 124 2. Formbarkeit der normativen Architektur der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Formbarkeit durch die Art der Ausführung der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . 126 D. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . 127

10

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel



Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung 130

A. Einführende Überlegungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers an eine getroffene Systementscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Indizien in der Rechtsprechung zur Befürwortung erweiterter legislativer Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Von Rechtssicherheit zu legislativer Rationalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Theorien gesetzgeberischer Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . 144 bb) Gebot der Folgerichtigkeit legislativer Entscheidungen . . . . . . . . . . . 147 cc) Konsistenz der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 dd) Theorie von der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Begrenzte Dimension der spezifischen Konzeptionen legislativer Rationa­ lität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Schlussfolgerungen aus den bisherigen Befunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Die wertungsmäßige Anwendung der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG als Alternativkonzept? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Akzeptanz der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit der Legislative . . . . . 157 4. Zwischenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Verfassungsrechtlicher Bauplan für die gesetzliche Architektur der Staatsaufsicht 158 1. Demokratische Notwendigkeit der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Konkurrenz von exekutiver und judikativer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Verhältnismäßigkeit und „maßvolle Aufsicht“ als Grenze der Aufsichtsgesetz­ gebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als materielle Schranke der Gesetzgebung 163 2. Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Konkrete Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Ausübung der Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Aufsichtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Vom Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht zum Gebot maßvoller Aufsichtsgesetzgebung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Beispiel für die normative Konzeption einer verhältnismäßigen Aufsichtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Gesamtbilanz und Stellungnahme zu den verfassungsrechtlichen Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 C. Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . 174

Inhaltsverzeichnis

11

Viertes Kapitel

Analyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes 179 Erster Abschnitt

Vorüberlegungen 179 A. Kontext des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Maßstab für die Untersuchung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes . . . . . 182 I. Unterscheidung zwischen der rechtlichen und der rechtspolitischen Perspektive 182 II. Unterscheidung von externer und interner Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Unterscheidung nach dem Verfahrensstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Zweiter Abschnitt

Analyse der umgesetzten und in Kraft getretenen Reformen 185

A. Externe Kontrollmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I. Fremdbestimmung und Fremdsteuerung durch die Aufsichtsbehörde und von ihr beauftragte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Die Bestellung eines Beauftragten oder Selbstvornahme durch die Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Zur Terminologie von Staatskommissaren und Beauftragten . . . . . . . . . . . 191 b) Erweiterung des Anwendungsbereichs durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Auswirkungen auf das Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger . . 196 cc) Entflechtung auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Die Entsendung einer Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Die Regelbeispiele im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Wirkung des Aufsichtsmittels im Innenverhältnis der Selbstverwaltungs­ träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde bei der Beschlussfassung der Selbstverwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Zusammenfassung der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Nachträgliche Korrektur von Satzungen und Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

12

Inhaltsverzeichnis 2. Erweiterungen dieses Aufsichtsinstruments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Haushaltskontrolle und Zwangsetatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Anpassungen der Haushaltskontrolle der Spitzenorganisationen . . . . . . . . . . 217 2. Unmittelbarer aufsichtsrechtlicher Zugriff auf die Arbeitsgemeinschaften . . . 218 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Festsetzung eines Zwangsgeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Spezialermächtigung für die Spitzenorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Stellungnahme zur Systematik und Höhe des Zwangsgeldes . . . . . . . . . . . . . 221 V. Gesamtbilanz der Untersuchung der externen Aufsichtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . 224

B. Interne Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Ausgleich der einrichtungsinternen Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Berichtspflicht über bestehende und künftige Beteiligungsverhältnisse der Spitzenorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Mögliche Beteiligungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Dienstleistungsgesellschaften nach § 77b SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) Arbeitsgemeinschaften nach § 94 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Umfang der Berichtspflicht des hauptamtlichen Vorstandes . . . . . . . . . . . 231 aa) Erfasste Beteiligungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Anlassbezogene und turnusmäßige Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . 233 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Parallelen zum Recht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Übertragung der Wertungen auf die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Zustimmungsvorbehalt des Selbstverwaltungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Umfassende Berichtspflicht über die Angelegenheiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. Transparenzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Transparenz von Personalentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Abschluss, Verlängerung oder Änderung von Vorstandsdienstverträgen . . 241 b) Veröffentlichung der Aufwandsentschädigungen der Selbstverwalter . . . . 242 c) Absicherung durch einen Genehmigungsvorbehalt für Dienstverträge . . . 244 2. Transparenz der Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Transparenz der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Zwischenbilanz zu den erhöhten Transparenzanforderungen . . . . . . . . . . . . . 246 III. Anpassung der Binnenstruktur und der internen Personalkontrolle . . . . . . . . . . . 247 1. Wahl und Abberufung von Organmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Inhaltsverzeichnis

13

2. Fachgruppenparität bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung . . . . . . . . . . 249 3. Binnenstruktur und interne Kontrolle im früheren MDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Verpflichtende Einrichtung einer Innenrevision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 V. Gesamtbilanz der Untersuchung der internen Kontrollmechanismen . . . . . . . . . 255 C. Rückkopplung der externen Kontrolle an das Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 D. Zusammenfassung der Befunde des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Dritter Abschnitt

Verworfene Reformvorhaben 264

A. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 B. Fremdeinwirkung auf die untergesetzliche Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Inhaltsbestimmungen zur Rechtsauslegung und Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . 265 1. Konkurrenz zwischen Selbstverwaltungsträgern und der Ministerialverwaltung um die Auslegung und Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe . . 266 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Erweiterte Mindestinhalte der Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 C. Nachträgliche Regulierung der Richtliniengebung und der sonstigen Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Nachträgliche Beanstandung von Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Exkurs: Zum Beanstandungsrecht nach § 94 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Materielle Erweiterung des bestehenden Beanstandungsrechts . . . . . . . . . . . . 273 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Selbstvornahmerecht der Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 D. Professionalisierung der Haushaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Outsourcing der externen Haushaltsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 E. Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Abschnitts des vierten Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Vierter Abschnitt

Auswertung des GKV-Selbstverwaltungsgesetzes 285

A. Essentialia des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 I. Vereinheitlichung der Aufsichtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

14

Inhaltsverzeichnis II. Fokussierung auf die Korruptionsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Fehlendes Bekenntnis für die funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 287

B. Gesamtbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Fünftes Kapitel

Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses 290

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 B. Organisatorische und institutionelle Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Erster Ansatz: Beseitigung von Legitimationsdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Bedeutung von Betroffenenpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Defizitäre Betroffenenpartizipation im Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . 296 a) Betroffenenrepräsentanz auf Seiten der „Leistungsempfänger“ . . . . . . . . . 297 aa) Unterscheidung von Versicherten- und Patienteninteressen . . . . . . . . . 297 bb) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Interessenrepräsentant der gesetzlich Versicherten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Betroffenenrepräsentanz auf Seiten der Leistungserbringer . . . . . . . . . . . . 302 aa) Heilmittelerbringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 bb) Pharmazeutische Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 3. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 II. Zweiter Ansatz: Professionalisierung der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Anpassungen durch das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Vereinbarkeit von Professionalisierung und Betroffenenpartizipation . . . . . . . 312 3. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Dritter Ansatz: Vermeidung von Machtkonzentrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Machtbündelung im Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. „Renaissance der Rechtsverordnung“ im Gesundheitswesen? . . . . . . . . . . . . 316 a) Beispiele für den Einsatz der Rechtsverordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Übertragung von Befugnissen auf den Verordnungsgeber . . . . . . . . . . . . . 319 3. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 IV. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 I. Erster Ansatz: Deregulierung des Fachrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Folgen inflationärer Normsetzung und gesundheitspolitischer Standpunkt . . 325 2. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Inhaltsverzeichnis

15

II. Zweiter Ansatz: Harmonisierung der Aufsichtsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Zersplitterte Aufsichtszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 a) Kompetenzverteilung zwischen den Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Schwäche der Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 III. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 D. Zusammenfassung der Ergebnisse des fünften Kapitels in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . 340

Sechstes Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen 345

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. am angegebenen Ort a. F. alte Fassung Abs. Absatz Abschn. Abschnitt AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Art. Artikel Aufl. Auflage AZG Bln Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz) BAnz. AT Bundesanzeiger Amtlicher Teil BayGemO Bayerische Gemeindeordnung BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) BbgGemO Brandenburgische Gemeindeordnung betr. betreffend BezVG HH Bezirksverwaltungsgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BRegE Regierungsentwurf, Kabinettsentwurf BremStGH Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BT-Drucksache Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bzw. beziehungsweise DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) e. V. eingetragener Verein et alii / et aliae / et alia (und andere) et. al. folgende f., ff. Fn. Fußnote FS Festschrift Gemeinsamer Bundesausschuss G-BA GemO BW Gemeindeordnung für Baden-Württemberg GemO NRW Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen GemO RP Gemeindeordnung (Rheinland-Pfalz) GemO SH Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein GesundheitsRecht (Zeitschrift) GesR

Abkürzungsverzeichnis

17

Gewerbearchiv (Zeitschrift) GewArch Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GG Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt GO LSA Gesundheit und Pflege (Zeitschrift) GuP Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt GVBl. GVOBl. Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein Hessische Gemeindeordnung HGO Hrsg. Herausgeber in Verbindung mit i. V. m. JuristenZeitung (Zeitschrift) JZ Kap. Kapitel Klinik Management aktuell (Zeitschrift) kma Krit. kritisch Kranken- und Pflegeversicherung (Zeitschrift) KrV Kommunalselbstverwaltungsgesetz für das Saarland KSVG Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern KV M-V Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung KZBV Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) LKV LSG Landessozialgericht LVerfG Landesverfassungsgericht Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder LVerfGE mit weiteren Nachweisen m. w. N. Medizinrecht (Zeitschrift) MedR Neue Juristische Online-Zeitschrift NJOZ Neue Juristische Wochenschrift NJW Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz NKomVG Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OVG Oberverwaltungsgericht Pharma Recht (Zeitschrift) PharmaR RefE Referentenentwurf RGBl. Reichsgesetzblatt Rn. Randnummer RVO Reichsversicherungsordnung S. Seite(n) Sächsische Verwaltungsblätter SächsVBl. SG Sozialgericht Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) SGb Viertes Buch Sozialgesetzbuch SGB IV Fünftes Buch Sozialgesetzbuch SGB V SGG Sozialgerichtsgesetz Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts ErsSlg. ter Instanz SVHV Sozialversicherungs-Haushaltswesenverordnung Thüringer Kommunalordnung ThürKO unter anderem u. a.

18

Abkürzungsverzeichnis

Var. Variante VerfGH Verfassungsgerichtshof Versicherungsrecht (Zeitschrift) VersR VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof Vgl. / vgl. Vergleiche / vergleiche Vierteljahresschrift für Sozialrecht VSSR Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Zeitschrift für Umweltrecht ZUR

Einführung A. Das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht A. Funktionale Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht

Das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung findet seit Jahrzehnten in der Rechtswissenschaft Beachtung. Gleichwohl verliert die Betrachtung dieser Relation nie an Aktualität und einem gewissen Klärungsbedürfnis, weil sich mit der Veränderung der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der hierüber ausgeübten Staatsaufsicht andererseits auch das Verhältnis zwischen beidem verschiebt. Die Relation ist stets von aktuellen rechtlichen, rechtspolitischen und tatsächlichen Gegebenheiten abhängig. Deshalb befindet sich das Verhältnis in stetiger Bewegung und bedarf einer Betrachtung aus einer ständig veränderten Perspektive. Mit der vorliegenden Untersuchung soll ein Beitrag zur Ergründung des Verhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht geleistet werden.

I. Kontinuität der Selbstverwaltung Dass sich das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht verschieben kann, mag aus der Sicht der Selbstverwaltung überraschen. Denn Kontinuität ist bei der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Schlüsselbegriff. Die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein gutes Beispiel hierfür. Sie ist so alt wie die gesetzliche Krankenversicherung selbst. Seit der Einführung eines – zumindest für die besonders schutzbedürftigen Arbeiter – verpflichtenden und einheitlichen Systems sozialer Absicherung durch Otto von Bismarck1 hat sich die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bis heute bewähren können.2

1 Siehe hierzu näher H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 6; R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (117); W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 189. 2 Vgl. M. Glombik, LKV 1991, 228 (228); P. Axer, NZS 2017, 601 (602); F. Welti, VSSR 2006, 133 (136); U. Orlowski, KrV 2017, 237.

20

Einführung

1. Historischer Abriss Als die Selbstverwaltung als Organisationsform für die gesetzliche Krankenversicherung in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts mit dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter3 eingeführt wurde, hatte sie die Funktion inne, einen Ausgleich für die mit der gesetzlichen Krankenversicherung verbundene Zwangsmitgliedschaft zu schaffen.4 Die Einführung der Sozialversicherung war insoweit für Deutschland ein Meilenstein, als eine flächendeckende soziale Absicherung der typischen Lebensrisiken ein Fundament bildete, auf dem sich der Staat sozial und gesellschaftlich entwickeln konnte.5 Einerseits hatte die Entscheidung für eine umfassende Absicherung besonders schutzbedürftiger Personenkreise für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands deshalb eine überragende Bedeutung, weil Lebensrisiken dieser Personenkreise abgefedert und sozialer Frieden sichergestellt werden konnte. Andererseits ermöglichte die Selbstverwaltung als Organisationsform Teilhabe und Mitsprache, sodass bürgerliches Wissen in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen werden konnte.6 Mit Recht lässt sich behaupten, dass der heutige Wohlstand Deutschlands in nicht unerheblichem Maße auf der Einführung einer Sozialversicherung gründet. Die Entscheidung für ein System, das die Teilhabe seiner Betroffenen möglich macht, wird dabei zur gesellschaftlichen Anerkennung der Sozialversicherung beigetragen haben. Es überrascht daher nicht, dass die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Weimarer Republik beibehalten wurde. Unter der Reichsversicherungsordnung ist sie in einen rechtlichen Rahmen eingefasst worden, der bis heute weite Teile der Sozialgesetzbücher determiniert. An der grundlegenden Ordnungsidee der Selbstverwaltung wurde weiterhin festgehalten.7 Mehr 3

Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. 6. 1883, RGBl., S. 73. H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 6 m. w. N. R. Waltermann, Sozialrecht, 14. Aufl. 2020, Rn. 60. Dabei hatte die Selbstverwaltung seit jeher eine ambivalente Stellung inne. Zwar fungierte sie als Entschädigung für Grundrechtseingriffe, gleichzeitig führt ihre Etablierung zu Grundrechtseingriffen an anderer Stelle. Zur Grundrechtserheblichkeit des Gründungsaktes verschiedener Selbstverwaltungsträger im Überblick W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 275 ff. 5 Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung führte in seinem Jahresgutachten von 1992/1993 aus: „Die Einführung einer Sozialversicherung war die Antwort auf spezifische Probleme des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seither ist ein umfassender ökonomischer, sozialer und politischer Wandel eingetreten. So hat sich das Armutsproblem grundlegend geändert, der Wohlstand und das durchschnittliche Bildungsniveau sind gestiegen, das politische System beruht heute auf den Prinzipien der individuellen Freiheit und der Selbstverantwortung.“ Siehe dazu BT-Drucksache 12/3774, S. 226. 6 Vgl. speziell zur gesetzlichen Krankenversicherung H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 49; ders., in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 5 ff.; F. Welti, VSSR 2006, 133 (140, 155 f.). 7 H. von Eynern, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82 (1929), 1 (2). Insbesondere der Konflikt mit der ärztlichen Selbstverwaltung spiegelte sich in der Reichsversicherungsordnung wider. Dazu P. Collin, KrV 2017, 133 (137). 4

A. Funktionale Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht

21

noch: Mit der Verrechtlichung ist die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in klare Formen gegossen worden. Ein Bruch in der Kontinuität der Selbstverwaltung ist während der Zeit des Nationalsozialismus festzustellen, wenngleich die organisatorischen Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung nach wie vor beibehalten wurden.8 Trotz ihrer disziplinierenden Kraft9 passte die funktionale Selbstverwaltung nämlich nicht in die nationalsozialistische Ideologie, weil sich eine Aufgabenbewältigung durch die Betroffenen nicht mit dem in dieser Zeit bedingungslos geltenden „Führerprinzip“10 vereinbaren ließ. Die Nationalsozialisten haben es sich leicht gemacht, die funktionale Selbstverwaltung mit dem „Gesetz zum Aufbau der Sozialversicherung“ vom 5. 7. 193411 weitgehend beseitigt und durch das zentralisierte Führerprinzip überformt, indem bei den Sozialversicherungsträgern von der Ministerialbürokratie bestimmte Leiter eingesetzt wurden.12 Hierzu steht aber in Widerspruch, dass in jener Zeit auch korporatistische Körperschaften, wie etwa die Kassen(zahn) ärztlichen Vereinigungen und Teile des Verbandswesens geschaffen worden sind.13 Im frühen Nachkriegsdeutschland war die Rückkehr zur Selbstverwaltung zunächst noch nicht möglich. Zumindest das Zonenrecht der Westmächte schloss aber an das „alte“ System der Sozialversicherung an, weil sie aufgrund der geringen Änderungen durch die Nationalsozialisten verhältnismäßig schwach in die nationalsozialistische Ideologie eingebunden war. Eine meist kommunale Organisation bildete sich vor allem in den von den Westalliierten besetzten Zonen aus, wobei eine echte Selbstverwaltung noch nicht wieder installiert wurde.14 Im Westen jedenfalls – und das ist beachtlich – stand trotz aller Möglichkeiten, die Sozialversicherung völlig neu aufzustellen, ein radikaler Systemwechsel nicht ernsthaft zur Debatte.15 Lediglich in der sowjetischen Besatzungszone ist das bewährte Selbstverwaltungsmodell zugunsten einer Sozialversicherungsanstalt als Einheitsversicherung im sozialistischen Stil vollständig preisgegeben worden, weil die autarken 8

Vgl. dazu M. Zimmermann, Sozialversicherung und Privatversicherung im Kompetenzengefüge des Grundgesetzes, 2009, S. 51; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 191; ders., Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 42; W. Wangler, Bürgschaft des inneren Friedens, 1998, S. 119. 9 G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (133). 10 Hierzu W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 191; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 230 f.; W. Schmähl, Wirtschaftsdienst 2010, 474 (474); H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 9. 11 RGBl. I, S. 577. 12 W. Wangler, Bürgschaft des inneren Friedens, 1998, S. 119; G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (135); vgl. auch H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 9; A. Hänlein, in: Ruland / Becker / Axer (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch (SRH), 6. Aufl. 2018, § 2 Rn. 37. 13 P. Collin, KrV 2017, 133 (137). 14 H. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 2. Aufl. 1973, 128 ff. 15 W. Wangler, Bürgschaft des inneren Friedens, 1998, S. 133. H. Wißmann, Die Verwaltung 2009, 377 (381) weist zudem darauf hin, dass auf ein bereits ausgeprägtes Sozialwesen der Weimarer Republik zurückgegriffen werden konnte.

22

Einführung

und dezentralisierten Selbstverwaltungsträger erneut mit der politischen Ideologie nicht in Einklang standen.16 Die vollständige Rehabilitation der Selbstverwaltung nach Vorbild des Entwicklungsstandes bis 1933 konnte erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 anvisiert werden.17 Erst mit dem „Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung“ vom 22. 2. 195118 war dieser Schritt geleistet und die – durch Verbandsstrukturen modifizierte – Bismarck’sche Selbstverwaltung in der Sozialversicherung reinstalliert.19 2. Die funktionale Selbstverwaltung als Erfolgsmodell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Es kann kaum überraschen, dass das „Erfolgsmodell“ Selbstverwaltung20 angesichts dieser beeindruckenden Kontinuität Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten ist.21 Meist thematisieren generelle Abhandlungen anstelle der spezielleren funktionalen Selbstverwaltung die kommunale Selbstverwaltung, die sich sozusagen als Grundtypus dieser Organisationsform begreifen lässt und deren Bestehen noch deutlich weiter zurückreicht als die funktionale Selbstverwaltung22. Zum Verständnis der Selbstverwaltung im Allgemeinen hat insbesondere die Schrift „Selbstverwaltung als Ordnungsidee“ von Reinhard Hendler aus dem Jahr 1984 einen wichtigen Beitrag geleistet.23 Andere Untersuchungen legen jedoch 16

M. Zimmermann, Sozialversicherung und Privatversicherung im Kompetenzengefüge des Grundgesetzes, 2009, S. 52. Vgl. auch H. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 2. Aufl. 1973, S. 136. 17 A. Hänlein, in: Ruland / Becker / Axer (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch (SRH), 6. Aufl. 2018, § 2 Rn. 51. 18 BGBl. I, S. 214. Siehe zur Folgegesetzgebung des Selbstverwaltungsgesetzes ausführlich H. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 2. Aufl. 1973, 149 f. 19 Ähnlich auch A. Hänlein, in: Ruland / Becker / Axer (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch (SRH), 6. Aufl. 2018, § 2 Rn. 50 f.; M. Zimmermann, Sozialversicherung und Privatversicherung im Kompetenzengefüge des Grundgesetzes, 2009, S. 53. 20 Vgl. hierzu F. Welti, VSSR 2006, 133 (136); P. Axer, NZS 2017, 601 (602); W. Schmähl, Wirtschaftsdienst 2010, 474. 21 Vgl. auch W. Wangler, Bürgschaft des inneren Friedens, 1998, S. 312. Zum Teil wird von einem „ausufernden Schrifttum“ gesprochen. Vgl. hierzu F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191. Vgl. ferner O. Seewald, KrV 2017, 221 (222). 22 Die Stein’sche Städteordnung von 1808, die als Keimzelle der Selbstverwaltung insgesamt vermutet wird, ist zugleich die erstmalige Kodifikation der kommunalen Selbstverwaltung. Siehe dazu nur M.-E. Geis, Kommunalrecht, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 18; R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 272; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 471; J.  Schatzmann, Der Staatskommissar im Gefolge der kommunalen Neuordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1972, S. 54. Beachtlich ist, dass sich die Selbstverwaltung bereits in Konzeptionen des kommunalen Gesundheitswesens Ende des 19. Jahrhunderts wiederfindet. Dazu nur L. von Stein, Die Verwaltungslehre. Teil 3: Das Gesundheitswesen, 2. Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1882, Aalen 1975, S. 156 f. 23 R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, passim.

A. Funktionale Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht

23

den Fokus auf die spezifischen Ausprägungen jenseits der kommunalen Selbstverwaltung. Von herausragender Bedeutung ist die umfassende Untersuchung der funktionalen Selbstverwaltung, die Winfried Kluth mit seiner Arbeit „Funktionale Selbstverwaltung. Verfassungsrechtlicher Status – verfassungsrechtlicher Schutz“ aus dem Jahr 1997 vorgenommen hat.24 Ihre Befunde bilden einen maßgeblichen Grundpfeiler für die hier angestellten Überlegungen. Häufig taucht die Selbstverwaltung in all ihren Ausprägungen als Untersuchungsgegenstand dort auf, wo es um Verwaltungsstrukturen oder allgemein um Demokratietheorie geht. Auch für die Betrachtung an dieser Stelle ist der strukturelle und demokratische Wert der funktionalen Selbstverwaltung von Interesse. Aus dem neueren Schrifttum bieten hierbei die Werke „Sozialrecht als Öffentliches Wirtschaftsrecht“ von Stephan Rixen aus dem Jahr 200525 und „Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie“ von Thomas Holzner aus dem Jahr 201626 wichtige Orientierungspunkte. Auf die kaum mehr überschaubare Fülle „kleinerer“ Abhandlungen kann im Einzelnen nicht eingegangen werden; jedenfalls bleibt aber festzuhalten, dass die funktionale Selbstverwaltung ein Phänomen darstellt, das über einen weitreichenden Forschungsstand verfügt.

II. Die Staatsaufsicht und ihre Funktionen Die Kontrolle der Selbstverwaltungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie ihre Disziplinierung in (verfassungs-)rechtlicher Sicht wird im Wesentlichen durch die staatliche Aufsicht gewährleistet. In erster Linie dient die Staatsaufsicht der Kontrolle der ihr unterworfenen Stellen. Schon Heinrich Triepel formulierte in seiner grundlegenden Arbeit mit dem Titel „Die Reichsaufsicht“ aus dem Jahr 1917, die Staatsaufsicht sei zusammenfassend als „die Gesamtheit staatlicher Handlungen, die zum Zwecke haben, das Verhalten der dem Staate Unterstellten in Übereinstimmung mit einem feststehenden Richtmaß zu setzen oder zu erhalten“, zu beschreiben.27 Damit fügt sich die Staatsaufsicht nahtlos in die Funktionsweise des Rechtsstaates ein. In dessen Gefüge ist nämlich die wechselseitige Kontrolle schlechthin unverzichtbar. Sie gehört zwingend zu jedem planvoll ausgeführten staatlichen Handeln28 und sichert die Autorität des Staates in den Bereichen der Exeku­ 24

W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, passim. S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, passim. 26 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, passim. 27 H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 121. Krit. aber zur Zweckbestimmung staatlicher Aufsicht E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 2. 28 P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99, Rn. 224. 25

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Einführung

tive.29 Im Kaiserreich war diese Kontrolle noch recht übersichtlich30, nicht zuletzt hatte die Aufsichtsführung eine politische Bedeutung31. Erst mit der Fortentwicklung der Selbstverwaltung wurde auch die staatliche Aufsicht vielschichtiger. Heute ist sie ein komplexes Phänomen, das sich mit den Veränderungen der Staatsarchitektur stetig entwickelt hat.32 Es kann daher kaum verwundern, dass auch die Staatsaufsicht in ihren unterschiedlichen Spektren im Interesse der Wissenschaft steht. Für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung schafft seit Jahren das in der Ministerialverwaltung und den Aufsichtsbehörden konzipierte Praxishandbuch „Aufsicht in der Sozialversicherung“33 Klarheit. Ebenfalls bedeutsam für das Verständnis der Aufsichtskonzeption und Aufsichtsführung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Ausführungen von Hans-Peter Bull.34 Als Gesamtphänomen ist die Staatsaufsicht in der jüngeren Literatur eingehend in der von Wolfgang Kahl verfassten Schrift „Die Staatsaufsicht“35 analysiert worden, deren Befunde ganz maßgebliche Grundlagen für die hier erfolgende Untersuchung sind. Diese grundlegende Arbeit von Kahl hat deshalb eine so hohe Bedeutung, weil sie auch die neueren Strukturen der Staatsaufsicht berücksichtigt. Der Ursprung ihrer heutigen Ausprägung wird in der Stein’schen Städteordnung von 1818 verortet.36 Frühere Facetten obrigkeitlicher Kontrollvorgänge nennt Kahl jedoch ein Aliud zu dem, was als Staatsaufsicht nach heutigen Maßstäben beschrieben wird.37 Das kann kaum überraschen, zielte die Preußische Städteordnung doch auf die Organisation der Kommunen in dezentralen Verwaltungseinheiten unter Ausprägung korporativer Selbstständigkeit, für die die Staatsaufsicht eine Komplementärfunktion einnahm.38 29

F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 10 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017). Es kann vor diesem Hintergrund kaum verwundern, dass für das Verständnis von Staatsaufsicht die sich überlappende Entwicklung des Rechtsstaats zum einen und dem Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften im staatlichen Gefüge zum anderen eine besondere Bedeutung hatten. Dazu W.  Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 99. 30 Es sei bedacht, dass sich das Sozialversicherungssystem zu jener Zeit in einem frühen Entwicklungsstadium befand. Zu der Zeit des Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. 6. 1883 bestand die Sozialversicherung aus den gesetzlichen Krankenkassen; das korporatistische Verbändewesen entstand erst später. Vgl. dazu P. Collin, KrV 2017, 133 f.; im Überblick auch T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (353). 31 Sie diente insbesondere zur Einflussnahme gegen die Sozialdemokratie. Ausführlicher dazu P. Collin, KrV 2017, 133 (134 f.). 32 Vgl. G. F. Schuppert, DÖV 1998, 831 (831). 33 F.  Schneider / U.  Markus / R .  Müller / F.  Otto / A .  Pfohl / W.  Popoff / S .  Riedel, Schirmer /  Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt (Stand des Gesamtwerkes: 35. Ergänzungslieferung). 34 H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (passim). 35 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, passim. 36 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 69 f. 37 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 64. 38 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 76 f.

A. Funktionale Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht

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Der Arbeit der Aufsicht wird allerdings Unrecht getan, wenn sie lediglich als repressives Einschreiten und Sanktionieren39 gesehen wird. In erster Linie bedeutet Beaufsichtigen ein präventives Vorgehen, nämlich durch das kontinuierliche Beobachten der beaufsichtigten Stelle.40 Und selbst wenn es Anlass zu einem Einschreiten gibt, führt dies noch nicht zwingend zu einer brachialen Korrektur der Situation. Ein vergleichender Blick auf die Maximen der Kommunalaufsicht zeigt, dass in deren Grundveranlagung eine schonende Aufsichtsführung festgeschrieben ist. Denn regelmäßig formulieren die Gemeindeordnungen, die Kommunalaufsicht sei so auszuüben, dass „die Entschlusskraft und die Verantwortungsfreude nicht beeinträchtigt werden“41, was sich als Indiz dafür auffassen lässt, dass jedenfalls der Kommunalaufsicht nicht nur eine Kontroll-, sondern auch eine Wächter- und Schutzfunktion zukommt42. Dieser Aspekt ist für die vorliegende Untersuchung von entscheidender Bedeutung, weil damit klar wird, dass nicht bloß die repressive, externe Kontrolle, sondern auch interne Kontrollinstrumente und insbesondere Compliance-Strukturen für ein insgesamt funktionsfähiges Kontrollkonzept erforderlich sind.43 Abgesehen von den aufgezeigten Untersuchungen ist es um die Staatsaufsicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur recht still geworden. Sie ist in den letzten Jahren allenfalls im Zusammenhang mit der Frage in den Fokus gerückt, inwieweit die Wandlung der Staatsstrukturen hin zu einem Gewährleistungsstaat Auswirkungen auf die Aufsichtsführung hat.44 Im Übrigen hat das GKV-Selbst 39

Zur Sanktionsfunktion staatlicher Aufsicht M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680). BVerfGE 137, 108 (150 f.); vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Vorlagebeschluss vom 3. 9. 2008 – L 10 VG 20/03 –, juris Rn. 155. Siehe auch W. Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 47; F. Schneider et al., Schirmer /  Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 200 S. 3 (Stand der Bearbeitung: Juli 2012). Vgl. auch H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 70. 41 Wörtlich § 170 Abs. 1 Satz 3 NKomVG; Art. 117 GemO RP; wörtlich abweichend, aber sinngemäß identisch Art. 108 BayGemO; § 118 Abs. 3 GemO BW; § 111 Abs. 3 SächsGemO; § 9 Abs. 3 Satz 2 AZG Bln; § 119 BbgGemO; § 116 ThürKO; § 135 Satz 2 HGO; § 78 Abs. 1 Satz 2 KV M-V; § 127 Abs. 1 Satz 2 KSVG; § 133 Abs. 1 Satz 2 GO LSA. Interessant ist ferner, dass diese Formulierung von der Förderung der „Entschlusskraft und Verantwortungsfreude“ bereits in der nationalsozialistischen Gesetzgebung eine Rolle spielte. So war § 59 S. 2 des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes bereits ähnlich formuliert wie die hier genannten Vorschriften der Gemeindeordnungen. Dazu auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 236. 42 Ausführlich zur Schutzfunktion der staatlichen Aufsicht für die kommunale Selbstverwaltung W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 528; siehe auch M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (265); F. L. Knemeyer, in: Mann / P üttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 12 Rn. 12 ff. Speziell zur Schutzfunktion der staatlichen Gewährleistungsaufsicht B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (221). 43 Moderne Ansätze, die „eine Art von Compliance-System“ innerhalb des Aufsichtsgefüges darstellen, sieht M. Gaßner, MedR 2017, 677 (686 f.) vorwiegend in internen Berichtspflichten oder der Möglichkeit, Fehlverhalten intern anzuzeigen. 44 Zu dieser Überlegung bereits G. F. Schuppert, DÖV 1998, 831 (836); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 393; R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (130). Siehe vor allem B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 ff. Vgl. auch S. Rixen, KrV 2017, 138 (140). 40

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verwaltungsstärkungsgesetz zu einer Auseinandersetzung mit der Staatsaufsicht veranlasst; nicht nur im Rahmen dieser Untersuchung, sondern auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur45. Kurzum besteht auch zur staatlichen Aufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ein bereits gut gewachsener Forschungsstand, der Anknüpfungen für die vorliegende Untersuchung ermöglicht.

B. Erhoffter Ertrag der vorliegenden Untersuchung Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung ist eine kritische Bestandsaufnahme des Verhältnisses von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht, allerdings begrenzt auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Angesichts der weit gediehenen Forschungsstandes zu beiden Seiten bleibt die Frage offen, wie diese Untersuchung einen Beitrag für das Verständnis der Relation von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht, speziell im Recht der gesetz­ lichen Krankenversicherung, überhaupt noch leisten kann.

I. Gegenwärtige Situation Eine Antwort auf diese gewichtige Frage gibt der Blick auf die gegenwärtige Situation der funktionalen Selbstverwaltung sowie der Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, der offenbart, dass die rechtlichen, rechtspolitischen sowie tatsächlichen Rahmenbedingungen des Verhältnisses beider Seiten  – gerade in der gesetzlichen Krankenversicherung  – in spürbarem Umbruch sind. Ein deutliches Indiz hierfür ist die soeben hervorgehobene Kontinuität der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung, die gegenwärtig so stark wie nie durch den permanenten Argwohn der Gesundheitspolitik getrübt wird.46 Seit Jahrzehnten ist das Sozialversicherungsrecht eine dynamische Materie, was sich ausweislich der Änderungshistorie des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch in den vergangenen Jahren noch weiter zugespitzt hat.47 Signifikante Änderungen 45

N. Hammes, MedR 2017, 611 ff.; K. Loer, KrV 2017, 227 ff.; R. Paquet, kma 4/2017, 26 ff.; R. Pitschas, KrV 2017, 149 ff.; S. Rixen, KrV 2017, 138 ff.; K. Scholz, KrV 2017, 232 ff. 46 Zu ähnlichen Einschätzungen kommt auch P. Axer, NZS 2017, 601 (602), der eine ähnliche Beobachtung bereits fast zwei Jahrzehnte früher gemacht hat, ders., Die Verwaltung 2002, 377 (379); vgl. auch K. Loer, KrV 2017, 227. Das Misstrauen der Gesundheitspolitik in die Selbstverwaltungsträger und ihre Aufgabenerfüllung ist allerdings kein vollkommen neues Phänomen. Bereits W. Schmähl, Wirtschaftsdienst 2010, 474 (475) thematisiert eine geringe Wertschätzung der Selbstverwaltung durch die Gesundheitspolitik. 47 Die Dynamik des Krankenversicherungsrechts lässt sich an der Änderungshistorie des SGB V ablesen. Allein die Gesetzesänderungen der letzten 5 Jahre sind erheblich. Siehe für 2017 (13 Änderungen), 2016 (11 Änderungen), 2015 (10 Änderungen), 2014 (6 Änderungen), 2013 (10 Änderungen). Die enorme Komplexität der Sozialversicherung insgesamt betont auch

B. Erhoffter Ertrag der vorliegenden Untersuchung

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der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, die nicht allzu weit zurückliegen, hat es unter anderem mit dem Gesundheits-Strukturgesetz48 sowie dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz49 gegeben. Allerdings waren mit diesen Reformen lediglich strukturelle Anpassungen verbunden, während die funktionale Selbstverwaltung als organisatorisches Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung50 nicht grundlegend in Frage gestellt wurde.51

II. Bruch mit der Kontinuität des Prinzips Selbstverwaltung Ein anderes Bild zeigt sich, wenn jüngere Reformvorhaben in den Blick genommen werden. Verschiedene Ansätze verfolgen offenbar das Ziel, den Selbstverwaltungsgedanken durch die Stärkung staatlicher Kontrollmöglichkeiten zu begrenzen. Das Verhältnis von Selbstverwaltung und Aufsicht dient also als Stellschraube für weitreichende strukturelle Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, die der Ministerialverwaltung mehr Zugriff dorthinein ermöglichen sollen. Ein Exempel hierfür bildet das Gesetz zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) vom 21. Februar 201752, mit dem trotz des irreführenden Kurztitels der Ausbau der internen und externen Kontrollbefugnisse verfolgt wurde53. Von den betroffenen Einrichtungen ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz als besonders prekär empfunden worden, weil einzelne KontrollF. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 4. Aufl. 2005, S. 392, der die Sozialversicherung als den am wenigsten verstandenen Hauptfaktor für die Wandlung der Wirtschaft bezeichnet. Hinzuweisen ist ferner auf die umfassende Gesetzgebung zur Kostendämpfung seit Ende der 1970er-Jahre. Siehe hierzu H. Sodan, NJW 2003, 1761 (1761); ders., in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 5. Aufl. 2019, Kapitel 1, Rn. 2. 48 Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. 12. 1992, BGBl. I, S. 2266. 49 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVWettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. 3. 2007, BGBl. I, S. 378. 50 Vgl. zu dieser Formulierung auch BSGE 58, 247 (251); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. 6. 2010 – L 11 KR 199/10 KL, juris Rn. 36. 51 Vereinzelt geführte Debatten, ob die weitgehend verrechtlichte funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung noch dem Grundgedanken dessen entspricht, was mit diesem Prinzip erreicht werden sollte, bedeuten keine grundsätzliche Kritik an der Organisationsform selbst, sondern an deren rechtlicher Ausgestaltung. So ist etwa angezweifelt worden, ob die derzeitige Struktur der Selbstverwaltung noch mit deren Kernvoraussetzungen in Einklang zu bringen sei. Siehe dazu etwa W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 ff., der die These aufstellt, in der gesetzlichen Krankenversicherung gebe es keine „echte“ Selbstverwaltung mehr. Vgl. hierzu auch F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 ff. sowie F. Welti, VSSR 2006, 133 ff. 52 BGBl. I, S. 265. 53 Zu diesem primären Ziel vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs: BT-Drucksache 18/10605, S. 2.

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instrumente eine Intervention in die Angelegenheiten der Selbstverwaltungsträger gestatten sollten, die über das Maß der bloßen Rechtskontrolle hinausgehen. Wenngleich das „Echo“ der betroffenen Organisationen auf diesen gravierenden Einschnitt durchaus verhalten war54, machten einige Einrichtungen den Vorwurf geltend, mit diesem Gesetz habe die Rechtsaufsicht quasi in eine „echte“ Fachaufsicht55 umgewandelt werden sollen.56 Obwohl das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz letztlich in deutlich abgemilderter Fassung in Kraft getreten ist, als dies der Referenten- und Kabinettsentwurf vorsahen57, handelt es sich bei dieser Reform um eine Zäsur in der Geschichte der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, weil damit ein Kernprinzip, nämlich die ausdrückliche Begrenzung auf die bloße Rechtsaufsicht58, angegriffen wurde. Dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz soll deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auch die nachfolgende Gesetzgebung beinhaltet Reformideen, die ebenfalls auf die Zurückdrängung des Selbstverwaltungsprinzips abzielen.59 Diese keinesfalls zufällige Verdichtung solcher Reformen, die allesamt das Ziel verfolgen, die mi 54

Besonders auffällig ist dabei die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum Regierungsentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes. Trotz erheblicher Betroffenheit der Einrichtung setzt sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf nur knapp 10 Seiten mit den wichtigsten Regelungen auseinander. Siehe Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(7), passim. 55 Der Vorwurf einer Wandlung der Aufsichtsstrukturen hin zu einer „echten“ Fachaufsicht leidet allerdings schon insoweit an einer Unsauberkeit, als sich Rechts- und Fachaufsicht nicht schematisch voneinander trennen lassen, sondern sogar ineinander übergehen können. Siehe dazu ausführlicher unten S. 59 ff. 56 Zu einer drohenden Fachaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss in medizinisch-wissenschaftlichen Fragen vgl. die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/downloads/17-984257/2016-10-14-PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSG-Selbstverwaltungs staerkungsgesetz.pdf, S. 11, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021 sowie des AOK-Bundesverbandes zum Regierungsentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(4), S. 9. Zustimmend auch R. Pitschas, KrV 2017, 149. 57 Vgl. hierzu nur die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Entwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes; Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(6), S. 2. 58 Mit der Wiedererrichtung der funktionalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Kranken­ versicherung seit den frühen 1950er-Jahren ging auch die grundlegende Beschränkung der staatlichen Aufsicht auf eine bloße Rechtsaufsicht einher, die spätestens mit der Schaffung des Bundesversicherungsamts durch das Gesetz über die Errichtung des Bundesversicherungsamts, die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger und die Regelung von Verwaltungszuständigkeiten in der Sozialversicherung und der betrieblichen Altersfürsorge (Bundesversicherungsamtsgesetz) vom 9. 5. 1956 (BGBl. I, S. 415) realisiert wurde. Das Bundesversicherungsamt erhielt somit von Grunde auf weniger Befugnisse sowie eine geringere exekutive Kontrolldichte als dies bei seinem Vorgänger, dem Reichsversicherungsamt, der Fall war. Siehe dazu im Überblick H. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 2. Aufl. 1973, S. 149 f.; D. Schewe, 100 Jahre: Vom Reichs- zum Bundesversicherungsamt, Sozialer Fortschritt 1984, 142 (143 f.). 59 Siehe hierzu noch ausführlich unten S. 290 ff.

C. Verlauf der Untersuchung

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nisterielle Kontrolle durch externen Zugriff zu stärken, gleichzeitig aber die Handlungsbefugnisse der Selbstverwaltung zu schwächen, ist ein Phänomen der jüngeren Gesetzgebung, die zeigt, wie es um die funktionale Selbstverwaltung aus der rechtspolitischen Perspektive steht. Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat in dieser Betrachtung eine besondere Stellung, weil es am Anfang einer Reihe gesundheitspolitischer Reformen steht, die allesamt den Einfluss der Selbstverwaltungsträger mindern sollen. Bezeichnend ist auch, dass der Gesetzgeber zunächst den Weg über das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht sucht; erst in den Folgereformen kommt der Einsatz der Rechtsverordnung stärker zum Vorschein. Möglicherweise, weil dieses Verhältnis für flexible Anpassungen besonders ergiebig ist. Nicht zuletzt deshalb ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, seine umgesetzten und verworfenen Reformen sowie deren Auswirkungen für diese Untersuchung von besonderem Interesse.

C. Verlauf der Untersuchung Die Überlegungen zum Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht sollen in fünf groben gedanklichen Abschnitten nebst einer globalen Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse erfolgen, sodass sich die Untersuchung in insgesamt sechs Kapitel gliedert. Gegenstand des ersten Kapitels ist eine notwendige Vorleistung, um Verschiebungen in der Relation von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht begreifen zu können. Zunächst ist nämlich eine Bestandsaufnahme dieser häufig als Spannungsverhältnis60 bezeichneten Beziehung beider Seiten vorzunehmen. Die Herausbildung bestimmter Eigenschaften sowohl der funktionalen Selbstverwaltung im Allgemeinen als auch der Staatsaufsicht soll Aufgabe und Herausforderung des ersten Kapitels sein. Sogleich sollen im zweiten Kapitel konzeptionelle Vorschläge für die Regulierung der Spannungslage von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht formuliert werden. Geleitet werden die Ausführungen von der grundlegenden These, dass Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Optimalfall in einer Gleichgewichtslage stehen, die Aufsichtskonstruktion und Aufsichtsführung also passgenau an die jeweilige Verwaltungstätigkeit auszurichten ist. Dies erfordert eine Analyse des Tätigkeitsprofils der unterschiedlichen Selbstverwaltungsträger, was jedenfalls nicht für sämtliche Akteure der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden kann. Die Ausführungen sollen sich deshalb exemplarisch auf die sogenannten Spitzenorganisationen61 beschränken, die durch das GKV-Selbstverwaltungsstär 60

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. 6. 2010 – L 11 KR 199/10 KL –, juris Rn. 36; H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (114); M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 21. 61 Vgl. zu diesem Begriff nur BT-Drucksache 18/10605, S. 21.

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kungsgesetz, und damit durch den ersten durchschlagenden Reformansatz für eine stärkere staatliche Eingriffsbefugnis, ausdrücklich adressiert werden. Im dritten Kapitel werden die Lösungsansätze und insbesondere die These von der Gleichgewichtslage zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht auf eine (verfassungs-)rechtliche Grundlage gestellt. Ziel der Prüfung ist es, zu ermitteln, welche Regularien im Verhältnis von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht rechtlich geboten und damit umzusetzen sind. Das vierte Kapitel bildet gewissermaßen das Herzstück der Untersuchung, nämlich den analytischen Teil mit einer umfassenden Untersuchung des GKVSelbstverwaltungsstärkungsgesetzes. Zur besseren Übersicht bietet sich folgende Dreiteilung der Gesetzesanalyse an. In einem ersten Abschnitt sollen Prüfungsmaßstab und Herangehensweise der Analyse klargestellt werden. Der zweite und auch umfassendste Teil soll der Untersuchung der eingeführten externen sowie internen Kontrollinstrumente gewidmet sein. Und schließlich soll ein dritter Abschnitt eine Auseinandersetzung mit den verworfenen Reformideen enthalten, die zuweilen einen klar überschießenden Gehalt haben und deshalb gute Rückschlüsse über den Stand der Selbstverwaltung in der aktuellen Gesundheitspolitik und die Reformideen auf ministerieller Ebene zulassen. Im Anschluss an die Untersuchung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz sollen im fünften Kapitel alternative Ansätze diskutiert werden, mit deren Hilfe eine Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung unter weitgehendem Verzicht auf eine strengere Aufsichtsführung bzw. außerhalb des Spannungsverhältnisses mit der staatlichen Aufsicht erreicht werden kann. Auch hier kann kein Anspruch auf ein vollständiges Bild erhoben werden; vielmehr sollen einige ausgewählte und besonders naheliegende Reformideen einen Anstoß für eine weitergehende wissenschaftliche Diskussion bieten. Abschließend werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung gesammelt und in einem sechsten Kapitel in kurzen Leitsätzen zusammengefasst.

Erstes Kapitel

Zum Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht A. Die Terminologie vom Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen nach einer in der Literatur häufig verwandten Terminologie in einem „Spannungsverhältnis“ zueinander.1 Was hiermit konkret gemeint ist, ist alles andere als selbsterklärend. Allein aus dem Wortlautverständnis des Begriffs „Spannungsverhältnis“ entsteht noch kein erkenntnisreicher Befund. Der Duden weist den Begriff des „Spannungsverhältnisses“ als ein „[neue Impulse erzeugendes] Verhältnis von Position und Gegenposition“ aus. Nach allgemeinem Sprachgebrauch liegt ein „Spannungsverhältnis“ also in etwas grundsätzlich Gegensätzlichem, das sich jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang bringen lässt, wobei im Einzelfall zu konkretisieren bleibt, worin die Gegensätze liegen. Ohne eine nähere Ausformung, was genau in einem Gegensatz zueinandersteht und wie mit diesem Gegensatz umzugehen ist, welche Folgen also aus diesem Gegensatz resultieren, bleibt die Klassifikation als Spannungsverhältnis eine inhaltsleere Metapher.2 Die Kenntnis, wie das Spannungsverhältnis im Einzelnen ausgestaltet ist, ist deshalb zwingende Voraussetzung für den Umgang mit den hieraus resultierenden Herausforderungen. Mit einer rein semantischen Interpretation des Begriffs „Spannungsverhältnis“ kann eine Ergründung des Zusammenhangs von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht nicht gelingen. Es bedarf hierfür stärkerer Konturen. 1 Siehe hierzu exemplarisch nur BSG, SGb 2006, 630 (632); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 14. 6. 2010 – L 11 KR 199/10 KL, juris Rn. 36; H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (114); F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 9 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017); M.  Schüffner / P.  Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36, Rn. 21. Von einem „natürlichen Spannungsfeld zwischen den Befugnissen der Aufsichtsbehörde und der dem Selbstverwaltungsrecht der Versicherungsträger immanenten Personal- und Finanzhoheit“ spricht BSGE 31, 247 (257). 2 So auch F. E.  Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52 Rn. 5, der treffend formuliert, dass „weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur der Nachweis geführt werden [konnte], daß aus dieser Qualifizierung [als Spannungsverhältnis] irgendwelche rechtliche Folgen resultieren. Von daher handelt es sich bei diesem Terminus um eine Metapher, der man eine gewisse Leerformelhaftigkeit nicht absprechen kann.“

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Bereits in der frühen Literatur ist das Verhältnis von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht dergestalt verstanden worden, dass sich diese beiden Institutionen in einem Komplementärverhältnis zueinander befinden, die Staatsaufsicht also das Korrelat zur Selbstverwaltung bildet.3 Das Bild gegenseitiger Korrelate ist in der Literatur immer wieder aufgegriffen worden.4 Dieses Verständnis beider Seiten als korrelierende Gegenstände wirft auf das Verständnis des Spannungsverhältnisses ein grundlegend anderes Licht. Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht sind also nichts derart Gegensätzliches, dass sie sich nicht miteinander in Zusammenhang bringen ließen. Vielmehr korreliert beides miteinander, sodass funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zueinander in einer wechselseitigen Beziehung5 stehen. Und zwar als unverzichtbare Wechselbeziehung. Die Staatsaufsicht muss stets als Teil der jeweiligen Selbstverwaltungskonzeptionen mitgedacht werden.6 Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis beider Seiten zuweilen als „natürlich“7; die korrelierende Beziehung als „geboten“8 bezeichnet wird. Beide Formulierungen unterstreichen nochmals den wechselseitigen Charakter beider Seiten. Auch wenn funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Regelfall ähnliche Ziele, nämlich die bestmögliche Umsetzung der sozialen Sicherung, im Blick haben9, bilden sie zwangsläufig Gegenpole, die nicht ohne Weiteres aufgelöst werden können. Vielmehr bildet diese Gegensätzlichkeit den Garanten für die Sinnhaftigkeit und Funktionsfähigkeit beider Seiten. Denn wenn auf der einen Seite die Stärke zunimmt, steigt auf der anderen Seite der Druck, was automatisch zu Gegen 3 Siehe hierzu nur W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 138 zu den von Lorenz von Stein vertretenen Thesen. 4 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 20; G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (137); VerfG Brandenburg, LVerfGE 27, 99 (154); J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (211); H. Plagemann, VSSR 2007, 121 (121); M. Nierhaus / A . Engels, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 28 77a; T. Mann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl., 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 39; H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 4; M. Gaßner, MedR 2017, 677 (679). Vgl. zur kommunalen Selbstverwaltung BVerfGE 6, 104 (118). Krit. allerdings F. E.  Schnapp, in: von Mutius (Hrsg.), FS für Georg Christoph von Unruh, 1983, S. 894. 5 Vgl. hierzu F.  Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 9 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017) – Hervorhebung durch den Verfasser –, die darauf hinweisen, dass das Spannungsverhältnis von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht jedenfalls nicht zum institutionellen Kennzeichen der wechselseitigen Beziehung herausgehoben werden darf. 6 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 350 f. 7 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 21. 8 F. L. Knemeyer, in: Mann / P üttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 12, Rn. 10; M. Nierhaus / A . Engels, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 28 77a. 9 Dies jedoch mit unterschiedlichen Verfahrensabläufen und Methoden. Dazu F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 9 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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reaktionen führt.10 Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen auf der einen Seite im Gegensatz zueinander, auf der anderen Seite bedingen sie sich.

B. Relevante Dimensionen des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht  Wie sich die Wechselbeziehung beider Seiten im Einzelnen darstellt, muss notwendige Vorüberlegung für die eingehende Untersuchung des Verhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht sein. An welchen konkreten Eckpfeilern Gegensätze und Gemeinsamkeiten festgelegt werden sollen, hängt maßgeblich von der Perspektive der Untersuchung ab, weil sowohl die funktionale Selbstverwaltung, als auch die Strukturen staatlicher Aufsicht ein „buntes Bild“ abgeben.11 Spannungen aber auch Gemeinsamkeiten bestehen in vielerlei Hinsicht. Bei der Selbstverwaltung handelt es sich nämlich um ein heterogenes Konzept, das nicht einmalig aufgesetzt, sondern historisch gewachsen ist und sich in verschiedenen Bereichen unterschiedlich entwickelt hat.12 Ebenso vielfältig ist die Staatsaufsicht.13 Von vornherein müssen daher Erwartungen an eine vollständige Spiegelung beider Seiten enttäuscht werden; im Rahmen dieser Untersuchung soll der Fokus stattdessen auf ausgewählten Wesensmerkmalen verbleiben. Im Übrigen wäre hierdurch nichts gewonnen, weil die Verquickungen beider Seiten in grundlegenden Arbeiten bereits hinreichend untersucht worden sind und sich deshalb der zusätzliche Erkenntnisgewinn in Grenzen halten dürfte. Es bietet sich vielmehr an, die Darstellung des Spannungsverhältnisses auf diejenigen Felder zu begrenzen, die im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung typischerweise relevant werden. Für die vorliegende Untersuchung eignen sich dabei zwei besonders offensichtliche Kontraste. Ein erster Ansatz liegt in der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung, die als Strukturelement und damit als konstitutiv für den Selbstverwaltungsgedanken verstanden wird14. Kontrolle und Fremdbestimmung, die 10

H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (114). Von einem „bunten Bild“ der Definitionen spricht E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 471. Siehe auch R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 271 ff.; M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (258); F. Hase, MedR 2018, 1 (9). Vgl. hierzu auch M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 21. Für die kommunale Selbstverwaltung siehe auch H. P. Aust, Das Recht der globalen Stadt, 2017, S. 98. 12 Siehe hierzu bezogen auf die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung statt vieler W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 189 ff. 13 R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909) formuliert in Bezug auf die Staatsaufsicht über die Exekutive, es gebe keine universelle Verwaltungskontrolle, sondern eine „pluralistische Vielfalt von Kontrollen“. Vgl. auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 405; K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1150). 14 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 17. 11

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

regelmäßig mit der Staatsaufsicht einhergeht15, steht augenscheinlich mit diesem konstitutiven Element der Selbstverwaltung in Konflikt. Ein zweiter Ansatz liegt in der Erkenntnis, dass Selbstverwaltung von der Ministerialverwaltung entkoppelt in dezentralisierten Strukturen stattfindet16 und damit in Kontrast zu der ansonsten hierarchisch gegliederten Ministerialverwaltung17 steht.

I. Eigenverantwortlichkeit contra Fremdbestimmung Den sicherlich größten Kontrast bietet die Betrachtung der eigenverantwort­ lichen Aufgabenerfüllung und der Fremdbestimmung, die zwangsläufig mit der Ausübung der Staatsaufsicht einhergeht. In dieser ersten Perspektive der Spannungslage spiegeln sich viele Fragen, die die Freiheiten der Akteure auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung und ferner die Frage betreffen, inwieweit die Aufsichtsinstanzen einschreiten dürfen. 1. Eigenverantwortlichkeit als zentrales Element der Selbstverwaltung Schon begrifflich ist der Gedanke der Eigenverantwortlichkeit in der Selbstverwaltung impliziert.18 Von einer Verwaltung durch die von den zu erfüllenden Aufgaben Betroffenen selbst kann nämlich nur dann die Rede sein, wenn sie die Möglichkeit haben, an der Entscheidungsfindung teilzuhaben. Der starke Fokus auf das Element der Eigenverantwortlichkeit lässt sich in unterschiedlichen Typologien der Selbstverwaltung nachweisen. Reinhard Hendler definiert Selbstverwaltung etwa als Organisationen, „die gegenüber dem staatsunmittelbaren Behördensystem 15

D. Ehlers, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 1 Rn. 106. 16 R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 345; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1 – Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl. 1984, § 12, S. 397 f.; G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (129 f.); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 375; D. Kugelmann, Der Staat Sonderausgabe Supplement 19 (2010), 239 (296); J.  Beschorner, in: Mülheims / Hummel /  Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 778; H. P. Aust, Das Recht der globalen Stadt, 2017, S. 98. 17 Zum Erfordernis von Hierarchie in der Verwaltungsstruktur ganz grundlegend J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 68; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, 127 f.; D. Ehlers, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 1 Rn. 106. 18 Vgl. auch W.  Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 452. In diesem Zusammenhang weist bereits G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 370 darauf hin, dass sich Selbstverwaltung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auch als vergesellschaftete Steuerung bezeichnen lässt.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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institutionell verselbständigt, aber gleichwohl in den Staatsverband eingegliedert sind und sich dadurch auszeichnen, daß bestimmte öffentliche Angelegenheiten von den davon besonders berührten Personen, den Betroffenen, eigenverantwortlich (das heißt höchstens unter staatlicher Rechtsaufsicht) verwaltet werden“.19 Für die funktionale Selbstverwaltung20 ergibt sich dem Grunde nach kein anderes Bild: In seiner umfassenden Untersuchung vermeidet auch Winfried Kluth eine konkrete Definition von (funktionaler) Selbstverwaltung und versteht das „Vorliegen eigener Entscheidungsbefugnisse bezüglich eigener Angelegenheiten rechtfähiger Verwaltungsträger“ stattdessen als „teils normativ teils dogmatisch begründete Mindest­ anforderung“, die an den Rechtsbegriff der (funktionalen) Selbstverwaltung zu stellen ist.21 In der Kommentarliteratur wird die funktionale Selbstverwaltung schlicht als aufgabenbezogene, weisungsfreie Verwaltung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch bestimmte Berufsstände beschrieben.22 In sachlicher Dimension meint die Eigenverantwortlichkeit – in einfachen Worten ausgedrückt – die freie Bestimmung über das „Wie“ und „Wann“, ggf. auch über das „Ob“ der Aufgabenerfüllung.23 Gleichwohl lässt sich nicht absolut bestimmen, wann ein Selbstverwaltungsträger hinreichend eigenverantwortlich handeln kann, zumal unterschiedliche Ausprägungen von Selbstverwaltung auch verschiedene Formen eigenverantwortlichen Schaffens verlangen. Es ist deshalb zielführend, nicht in absoluten Kategorien zu denken, sondern zu überlegen, welche Mindestanforderungen für eine eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung vorauszusetzen sind. Sicherlich kann von einer eigenverantwortlichen Verwaltung nur dann gesprochen werden, wenn die, „die die Fragen angehen“, an deren Beantwortung mitwirken können [a)]; ferner setzt das Vorliegen eigener Entscheidungsspielräume einen zumindest begrenzten Rückzug der Parlamente und der Ministerialverwaltung aus der Regelungsverantwortung voraus [b)].

19 R.  Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 284; ders., in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 19. 20 Von der kommunalen soll sich die funktionale Selbstverwaltung deshalb lediglich dahingehend unterscheiden, dass sich ihre Daseinsberechtigung statt aus einer verfassungsrechtlichen Verbürgung aus der normativen Zuweisung von Aufgaben speist, die funktions- bzw. aufgabenbezogen auszuführen sind. Als „aufgabenbezogene“ Verwaltung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts beschreibt sie etwa H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 128. 21 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 25 – ohne die Hervorhebungen. Diese Definition von Mindestanforderungen für einen Rechtsbegriff der funktionalen Selbstverwaltung ist ferner in anderen Abhandlungen übernommen worden, so etwa bei S. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 26. 22 H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 128; B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 173 (Stand der Kommentierung: Januar 2010). Vgl. auch O. Seewald, KrV 2017, 221. 23 H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 105.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

a) Das politische Element der Selbstverwaltung Eigenverantwortlichkeit verlangt zunächst die personelle Einbindung in die Entscheidungsfindung, die mit der Einbeziehung der von den Entscheidungen Betroffenen vollzogen wird. Dieser Grundgedanke war bereits seit jeher wichtiger Bestandteil von Selbstverwaltungskonzeptionen.24 Otto von Gierke etwa knüpfte sein Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung an den von ihm geprägten Genossenschaftsbegriff, indem er formulierte, der Genossenschaftsbegriff sei zwar ein „Artbegriff“ im Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Körperschaft. Im Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft sei aber „der Genossenschaftsbegriff als das Geringere enthalten“, „weil das Gemeinwesen nur eine potenzierte Genoßenschaft“ sei; insbesondere sei „mit dem städtischen Gemeinwesen bereits der korporative Genoßenschaftsbegriff gegeben“25 Formaler war die Einschätzung von Rudolf von Gneist, nach dessen Vorstellung zur Selbstverwaltung regelmäßig Ehrenamtliche heranzuziehen waren, während die Vermögensverwaltung nur ein Mittel zum Zweck der Erfüllung staatlicher Pflichten darstellt.26 Dabei stand aber stets die Aufgabenbewältigung der Gemeinde im Vordergrund, denn kommunale Selbstverwaltung wurde gerade nicht als Vertretung eigener oder gesellschaftlicher Interessen, sondern als Erfüllung einer „Function der inneren Landesverwaltung“ verstanden.27 In der kommunalen Selbstverwaltung werden die „Mitglieder“ aus dem Kreis der Staatsbürger rekrutiert, sodass ehrenamtliche Laien in die Erfüllung öffent­ licher Aufgaben einbezogen sind, um im Rahmen der Selbstverwaltung ihren politischen Interessen Geltung zu verleihen.28 Damit bildet die Selbstverwaltung nach dieser Lehre das Medium, das Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft.29 Diese Teilhabe der Staatsbürger – oder in der funktionalen Selbstverwaltung: der von ihr Betroffenen – wird im Allgemeinen als „politische Selbstverwaltung“ bezeichnet.30 24

Siehe zusammenfassend zu den frühen Selbstverwaltungskonzeptionen R.  Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 272. Vgl. auch K. Müller, WzS 1952, 109 (111). 25 Zum korporativen Verständnis der Gemeinde O. von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II, Nachdruck von 1954, S. 866, zum „Stadtbegriff“ bereits S. 862 ff. 26 R. von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, 1870, S. 9. 27 R. von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, 1870, S. 9. Zusammenfassend dazu auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 143. 28 Vgl. dazu nur E. Becker, in: Peters (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 1. Aufl. 1956, S. 116; E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 120; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 143; R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 12. 29 Ausführlich zu der von Lorenz von Stein vertretenen Lehre siehe W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 139. 30 Vgl. hierzu M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (259); M. Ibler, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 87 Rn. 189 (Stand der Kommentierung: Januar 2012);

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Gewissermaßen ist es prozedurale Vorgabe für die Verwirklichung von Selbstverwaltung31, dass die von ihr im Falle der kommunalen Selbstverwaltung territorial und sachlich Betroffenen an der Aufgabenerfüllung mitwirken können. Die Terminologie der „politischen Selbstverwaltung“ findet auch auf die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung32, obwohl die Betroffenheit einen sachlichen und keinen territorialen Bezug hat. Im politischen Element der Selbstverwaltung spiegelt sich also vor allem die Betroffenenakquise und Betroffenenpartizipation, wobei sich der Zweck der Einbindung bürgerlicher Kräfte in der Kaiserzeit von den heutigen Motiven unterscheidet. Ging es damals um grundsätzliche Mitbestimmung, verwirklicht das politische Selbstverwaltungselement in der heutigen Rechtsordnung die Grundvorstellungen von demokratischer Partizipation in einem vom Zentralstaat gesonderten Bereich.33 Mitwirkung und Mitentscheidung der Betroffenen sind heute zentrale Kern­bereiche des Selbstverwaltungsgedankens.34 Nach diesem Gedanken ist die Betroffenenpartizipation im Allgemeinen ein wichtiges Regulativ, um nichtstaatliche Kräfte an administrativen Aufgaben im Sinne einer pluralisierten Verwaltung zu be­teiligen.35 aa) Repräsentation der Betroffenen in den Selbstverwaltungsorganen Abgebildet wird die Beteiligung der Betroffenen durch Repräsentation in den Selbstverwaltungsorganen. Das Gneist’sche Modell meinte damit in erster Linie die Repräsentation durch ehrenamtlich tätige natürliche Personen, die regelmäßig in berufsständischen Vereinigungen an der Aufgabenerfüllung partizipieren konnten. Eine ähnliche Betonung hat die Selbstverwaltung durch Otto von Gierke erP.-G. Stäbler, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung. Kommentar, Loseblatt, § 29 SGB IV Rn. 10 (Stand der Kommentierung: März 2021); P. Köster, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, 2. Aufl. 2014, § 29 Rn. 10. 31 Insoweit zutreffend W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (263). 32 Vgl. zur Übertragung der politischen Selbstverwaltung durch § 29 Abs. 2 SGB IV auf Versicherte und Arbeitgeber P.-G.  Stäbler, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 29 SGB IV Rn. 10 (Stand der Kommentierung: März 2021). 33 Dazu F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 5 f. (Stand der Bearbeitung: Juli 2018). Vgl. auch W.  Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 258, der ausführt, es verwirkliche sich in der Selbstverwaltung das im Grundgesetz angelegte Demokratieverständnis „von unten nach oben“. 34 Zur Betroffenenpartizipation als tragendes Prinzip der Selbstverwaltung G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (135 f.); G. Macht, NZS 1995, 405 (405); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (195). 35 Zur Einstufung von Partizipation als Steuerungsinstrument G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 368. Siehe auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 74. Dies führt, wie H. Wißmann, Die Verwaltung 2009, 377 (396) – allerdings vorrangig zur Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII – erkennt, zu einer Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf private Akteure.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

fahren, der sie als Idee eines modernen Genossenschaftswesens verstand.36 Diese Grundidee lebt auch heute fort, wenn die Selbstverwaltungsträger im Bereich der Sozialversicherung als Solidargemeinschaften verstanden werden.37 Das politische Element der Selbstverwaltung wird deshalb auch als genossenschaftlich-partizipatorisches Element dieses Organisationsprinzips bezeichnet.38 Im Laufe der Zeit sind die Organisationsstrukturen der Selbstverwaltung vielschichtiger geworden, die Aufgabenspektren ebenso. Im Übrigen decken viele Selbstverwaltungsträger deutlich größere Personenkreise ab, als dies etwa in den frühen Formen (kommunaler) Selbstverwaltung der Fall war. Eine ausschließliche Repräsentation durch Ehrenamtliche ist schon deshalb in der modernen Selbstverwaltung schlicht nicht mehr realisierbar. Einzelne Anforderungen an die Repräsentation der Betroffenen in den Selbstverwaltungsorganen bemessen sich nach den strukturellen Eigenarten der Selbstverwaltungsträger.39 Winfried Kluth differenziert die Selbstverwaltungsträger nach ihrer Binnenstruktur in monistische Einrichtungen, deren Mitglieder im Hinblick auf den Verbandszweck eine homogene Interessengemeinschaft bilden, gruppenplurale Einrichtungen, die sich aus mehreren homogenen Interessengruppen zusammensetzen und gruppenantagonistschen Einrichtungen, deren Zweck erst in der Bündelung heterogener Interessen liegt.40 Es ist umso schwieriger, eine effiziente Betroffenenbeteiligung zu realisieren, je heterogener die zu berücksichtigenden Interessen sind. Auch spielt die Größe des Selbstverwaltungsträgers eine beachtliche Rolle. In kleineren Einrichtungen wird die Partizipation der Betroffenen höheres Gewicht erlangen können, während in großen Einrichtungen der Einzelne nur mittelbar oder im Verbund mit anderen Einfluss nehmen kann.41 Darüber hinaus keimt immer wieder Kritik an der Einbindung von Laien nach dem traditionellen Selbstverwaltungsmodell auf. Die meisten Fachgebiete, in denen die funktionale Selbstverwaltung genutzt wird, sind derart komplex, dass ein solch absolutes Verständnis von Betroffenenpartizipation schlechthin nicht sinnvoll umgesetzt werden kann. Es bedarf hier professionell organisierter verbandlicher Strukturen, um die anfallenden Aufgaben bewältigen zu können.42 36

Vgl. dazu auch W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 239 m. w. N.; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 163 f. 37 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 239 m. w. N. In der kommunalen Selbstverwaltung spielt dagegen die Genossenschaft als Organisationform mit zunehmender Tendenz eine bedeutende Rolle zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben. Dazu F.  Markmann, Lokale Leistungserbringung im kommunalen Interesse, 2018, S. 37. 38 Dazu W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (261). E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, 477 f. hat den genossenschaftlichen Charakter bereits als aus den neueren Umschreibungen von Selbstverwaltung „verloren“ angesehen. 39 Zu ähnlichen Fragen auch K. Loer, KrV 2017, 227 (229). 40 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 235 f. 41 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 237. 42 Aus diesem Grund weist die gesetzliche Krankenversicherung eine immer mehr zunehmende korporatistische Struktur auf. Zu dieser Entwicklung T. Klenk / F.  Nullmeier / 

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Zweifeln, ob eine „verrechtliche“ bzw. „professionalisierte“ Selbstverwaltung noch dem originären Leitbild der Selbstverwaltung als Aufgabenerfüllung durch „freie Träger“ mit ehrenamtlichen Vertretern entspricht43, kann aus heutiger Perspektive entgegengehalten werden, dass sich komplexe öffentliche Aufgaben kaum mehr ohne einen gewissen Grad an Organisation und Professionalität bewältigen lassen.44 Demgegenüber werden in der Literatur Vorschläge unterbreitet, die Einbindung der Betroffenen ausschließlich durch ein Monopol der korporatistischen Interessenverbände zu realisieren.45 Wie im parlamentarischen System findet Betroffenenpartizipation vorwiegend über Repräsentanten statt, die über Wahlakte oder Delegationen bestimmt werden.46 Mittelbar reicht der Einfluss bis zu jedem einzelnen Betroffenen. Auf diese Weise können die Betroffenen selbst darauf hinwirken, dass ihre Interessen von ihren Repräsentanten hinreichend berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund trägt Betroffenenpartizipation zum Betroffenenschutz bei.47 bb) Eigenverantwortlichkeit durch Normsetzungsbefugnis Eigenverantwortlichkeit verlangt aber im Grunde nicht nur das Recht zur Mitsprache, sondern auch eigene Entscheidungsspielräume. Denn wer sich selbst verwalten soll, muss auch Entscheidungen in der eigenen Sphäre selbst treffen können. P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (86); T. Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 20. Vgl. zu der Forderung zentrierter Verwaltungsstrukturen bei zunehmender Komplexität auch W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 228. 43 Allen voran W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (263), wobei derart stringente Vorstellungen von Selbstverwaltung in der heutigen Zeit quasi nicht mehr vertreten werden. 44 Vgl. für die gesetzliche Krankenversicherung F. Hase, MedR 2018, 1 (4). Dies gilt selbst dann, wenn bestimmte Problembereiche noch nicht konsensfähig gelöst sind. Auch und gerade hier braucht die Selbstverwaltung Anleitungen, um funktionsfähig zu bleiben. A. A. aber E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 82. 45 K. Loer, KrV 2017, 227 (228). 46 BSG, Urteil vom 9. 12. 2004 – B 6 KA 84/03 R, juris Rn. 43; E. Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 262. Krit., ob die relativ kleinen Vertretungen in den Verwaltungsräten überhaupt die Pluralität der Betroffenenkreise richtig abbilden kann F. Welti, in: Rixen / Welskop-Deffaa (Hrsg.), Zukunft der Selbstverwaltung, 2015, S. 94. 47 Grundlegend zur These des Betroffenenschutzes durch Betroffenenpartizipation R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 14; vgl. dazu G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (135 f.); krit. hierzu K.-J. Bieback, in: Rixen / Welskop-Deffaa (Hrsg.), Zukunft der Selbstverwaltung, 2015, S. 12 f., der zwar anerkennt, dass sich funktionale Selbstverwaltung als Mittel eignet, Grundrechte effektiver zu schützen, aber zugleich auf die Grundrechtsbeeinträchtigung durch Selbstverwaltung hinweist. Allgemein zum Schutz individueller Rechte durch Partizipation unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts D.  Steiger, in: Botha / Schaks / ders. (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates?, 2016, S. 358.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Häufig werden die einzelnen Bereiche, in denen die kommunale Selbstverwaltung ihre Gemeindehoheit autark ausüben darf, in verschiedene Bereiche aufgeschlüsselt.48 Diese Bereiche können weithin auch für die funktionale Selbstverwaltung übernommen werden. Autarkes Entscheiden ist regelmäßig mit der Befugnis zu untergesetzlicher Normsetzung verbunden.49 Als Schlüsselbegriff der untergesetzlichen Normsetzung in der kommunalen Selbstverwaltung wird dabei die Bezeichnung der Rechtsetzungsgewalt als Satzungsautonomie genutzt.50 Bei diesem Begriff der Satzungsautonomie ist insoweit Vorsicht geboten, als es sich dabei um echte Autonomie handelt; mithin die Fähigkeit zur Normsetzung innerhalb des gesetzlichen Rahmens51, aber ohne gesonderte gesetzliche Ermächtigung.52 Echte Autonomie ist also in der Lage, dem Vorbehalt des Gesetzes weitgehend zu widerstehen.53 Sie ist ein wichtiges Element der kommunalen Selbstverwaltung54 und übergreifend das Hauptkriterium des im Schrifttum vertretenen materiellen Ansatzes von Selbstverwaltung, der auf „‚freien‘ gesellschaftlichen Trägern“ fußt, in denen die Betroffenen an der Aufgabenerfüllung mitwirken können, wobei aber das „eigenmotivierte Handlungsvermögen in [gesetzlich zugewiesenen] Freiräumen deutlich im Vordergrund steht.55 Dem steht indes nicht entgegen, dass die Befugnis zur 48 Krit. zu dieser Differenzierung einzelner Gemeindehoheiten J. Hellermann, in: Epping /  Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 28 Rn. 40 ff. (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 49 Zum Stellenwert der Rechtsetzungshoheit der Gebietskörperschaften M.-E. Geis, Kommunalrecht, 5. Aufl. 2020, § 8 Rn. 1 ff. Vgl. auch R. Hendler, in: Mann / P üttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 1 Rn. 17; F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 25. 50 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 37. Dazu bereits E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 479. 51 H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 107 m. w. N. 52 BVerfGE 21, 54 (62 f.); 32, 346 (361); V. Mehde, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 28 Abs. 2 Rn. 63 (Stand der Kommentierung: November 2012). 53 Differenzierend für grundrechtssensibles Eingriffshandeln in der kommunalen Selbstverwaltung H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 134 m. w. N. Vgl. auch R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 37. 54 Von einem „vorzüglichen Ausweis des Selbstverwaltungscharakters“, zugleich eine Zuordnung zum „Kernbereich“ der Selbstverwaltung vermeidend, spricht H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 133. Vgl. auch F.-J. Peine /  T. Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, Rn. 71. 55 W. Wertenbruch, SGb 1975. 261 (263). Vgl. auch E. Becker, in: Peters (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 1. Aufl. 1956, S. 116; O. Seewald, KrV 2017, 221 (222 f.). Siehe auch M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (258). Abgesehen davon, dass entgegen der Gneist’schen Selbstverwaltungskonzeption das staatsbürgerliche Element und damit das „Politische“ nicht mehr ausdrücklich zur Sprache kommt, wird die Betroffenenrekrutierung und -partizipation ebenso zur Voraussetzung von Selbstverwaltung erhoben. Häufig vermittelt der Begriff der „materialen Selbstverwaltung“ deshalb keine zusätzlichen Erkenntnisse. Im Übrigen bedingt ein zusätzlich materialer Selbstverwaltungsansatz eine

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Satzungsautonomie nach einhelliger Auffassung erst gesetzlich verliehen werden muss. Sie ist deshalb keine originäre Rechtsetzungsbefugnis56, sondern bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung57 sowie eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Rahmens.58 Zu den wenigen rechtlich bedeutsamen qualitativen Unterschieden von kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung gehört die weitreichende Rechtsetzungsbefugnis der kommunalen Selbstverwaltungsträger im eigenen Aufgabengebiet, deren Übertragung auf die funktionale Selbstverwaltung nicht ohne weiteres stattfinden kann. Interessant ist, dass die Rechtsprechung in einzelnen Entscheidungen dennoch in Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung von einer Satzungsautonomie spricht.59 Schon in seinem Facharzt-Beschluss vom 9. 5. 1972 führt das Bundesverfassungsgericht hierzu aus, die „Satzungsautonomie“ finde „ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern. Zugleich wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und örtliche Verschiedenheiten berücksichtigen zu müssen, die für ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veränderungen er nicht rasch genug reagieren könnte.“60 „Dreiteilung“ des Selbstverwaltungsverständnisses in ein rechtlich(-formelles), materiales und politisch staatsbürgerliches Modell. Für die grundsätzliche Verzichtbarkeit eines materialen Selbstverwaltungskonzepts plädiert deshalb R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 276. 56 Die „Originaritätstheorie“, nach der die Satzungsautonomie als anerkannte Rechtsetzungsgewalt neben der staatlichen Normsetzung besteht, wird dagegen kaum noch vertreten. Vgl. hierzu F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 19. 57 Dabei spielt es keine Rolle, ob die „Dereliktionstheorie“ herangezogen wird, nach der die Satzungsautonomie auf einer Privilegierung des Selbstverwaltungsträgers durch den Staat, der diesem derelinquierte öffentliche Angelegenheiten zur eigenen Ausgestaltung überlässt, beruht oder ob sie nach der „Delegationstheorie“ aus der Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis durch den Staat an die Selbstverwaltungsträger herrührt. Siehe im Überblick F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 20. 58 Im Facharzt-Beschluss misst das Bundesverfassungsgericht die Intensität der Beeinträchtigung des Art. 12 Abs. 1 GG mithilfe der Drei-Stufen-Theorie. So differenziert das Gericht im Rahmen von Eingriffen in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG nach solchen in die Berufswahl und die bloße Berufsausübung. Eingriffe in die Berufswahl seien durch den Gesetzgeber selbst vorzunehmen; „allenfalls Einzelfragen fachlich-technischen Charakters könnten in dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen auch durch Satzungsrecht eines Berufsverbandes geregelt werden“. Im Falle bloßer Eingriffe in die Berufsausübung sollte eine Ermächtigung zur Satzungsgebung dagegen möglich sein; allerdings sei auch hier zu differenzieren, wie empfindlich ein Eingriff in die Berufsausübung erfolge. Siehe dazu BVerfGE 33, 125 (160). 59 Siehe hierzu BVerfGE 33, 125 (156 f.) – Ärztekammern; BVerfGE 111, 191 (216) – Landesnotarkassen; BVerfGE 146, 164 (212) – Industrie- und Handelskammern; BVerfG (Kammerbeschluss), NVwZ 2002, 851 (851) – Landeszahnärztekammern. 60 BVerfGE 33, 125 (156 f.); vgl. hierzu sinngemäß auch BVerfGE 33, 303 (342); 107, 59 (93); 111, 191 (216); BVerfG, NJW 2017, 2744 (2751).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Gleichwohl ist die  – missverständliche  – Formulierung der Rechtsprechung dergestalt zu verstehen, dass mit einer „Satzungsautonomie“ die grundsätzliche Befugnis zur Normsetzung gemeint ist, nicht jedoch die Möglichkeit autonomer Rechtsetzung. Indessen dürfte sich die Frage eines anderweitigen Verständnisses bereits deshalb nicht stellen können, weil ohnehin in nahezu allen Bereichen sämtliche Befugnisse durch ausdrückliche Ermächtigungen vorgezeichnet sind.61 „Echte“ Autonomie bei den Spitzenorganisationen kann es allenfalls noch bei der Satzungsgebung geben, weil sich das formelle Gesetz hier auf die Statuierung des äußeren Rahmens beschränkt, vgl. etwa § 34 SGB IV, §§ 194, 217e SGB V. Gleichwohl vermag die Einschätzung als autonome Rechtsetzung nichts an der Bindungswirkung und dem Inhalt der gesetzten materiellen Rechtsnormen zu ändern. Wichtig ist aber eine klare terminologische Unterscheidung „echter“ autonomer Bereiche und solcher Formen untergesetzlicher Rechtsetzung, die auf der Grundlage ausdrücklicher (Einzel-)Ermächtigungen erfolgt. Noch keine Einigkeit besteht bei der Frage, ob und nach welchem Maßstab der parlamentarische Gesetzgeber in der Pflicht steht, die (Einzel-)Ermächtigungen zu konturieren. Bislang wehrt sich die Rechtsprechung etwa im Vertragsarztrecht dagegen, die in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG äquivalenten Bestimmtheitsanforderungen auf andere Rechtsetzungsformen als die Rechtsverordnung anzuwenden.62 Peter Axer vertritt die Auffassung, autonome und derivate Rechtsetzung ließen sich durch Betrachtung der verfassungsrechtlichen Grundlagen treffsicher unterscheiden. Mit anderen Worten bedarf es grundsätzlich einer hinreichend bestimmten normativen Ermächtigung, es sei denn, die Verfassung macht hiervon ausdrücklich eine Ausnahme.63 Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Kahl, wenn er sagt, die verfassungsrechtliche Anerkennung der Selbstverwaltung folge gerade nicht deduktiv aus dem demokratischen Prinzip, sondern induktiv aus der Zusammenschau mehrerer einzelner Normen (des Grundgesetzes).64 Weil es der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung an einer verfassungsrechtlichen Verbürgung fehlt und ihr einziger verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt deduktiv aus dem demokratischen Prinzip rührt65, kann eine Begründung autonomer Spielräume im Grundgesetz nicht in Betracht kommen. Für die Ermächtigungen zur Normgebung sind deshalb Ansprüche an die Bestimmtheit zu stellen. 61 Dies betrifft insbesondere die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, deren Generalermächtigung in § 92 Abs. 2 SGB V stets in Zusammenhang mit den zahlreichen bereichsspezifischen Ermächtigungen im SGB V gesehen werden muss. Vgl. dazu etwa K. Engelmann, NZS 2000, 76 (80); E. Hauck, NZS 2010, 600 (608). Offener aber M. Möstl, in: Ehlers /  Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 20 Rn. 11. 62 BSG, Urteil vom 2. 4. 2014 – B 6 KA 20/13 R, juris Rn. 15 – Bundesmantelverträge. 63 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 198 f. 64 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 256. 65 Statt vieler sei hier nur auf das Bundesverfassungsgericht verwiesen, das davon spricht, die funktionale Selbstverwaltung sei Ausprägung des demokratischen Prinzips, welche es „ergänzt und verstärkt“. Dazu BVerfGE 107, 59 (92).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Letztlich dürfte es allerdings keine Rolle spielen, ob die Bestimmtheit der Normsetzungsermächtigungen an einer sinngemäßen Übertragung der Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG66 oder unmittelbar an den allgemeinen rechtsstaatlichen Voraussetzungen zur Bestimmtheit von Gesetzen gemessen wird. Zum einen orientieren sich die Bestimmtheitsvoraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG an den allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsvoraussetzungen.67 Zum anderen sollten die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht überschätzt werden. Es reicht nämlich schon zur Bestimmtheit der Ermächtigungsnormen aus, wenn sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtsetzungsermächtigung durch Auslegung bestimmen lassen. Konkretere Vorgaben werden sich nicht fassen lassen, weil Bestimmtheit skalierbar bleibt und keinen absoluten objektiven Maßstäben unterliegt, sondern immer von den jeweiligen Bestimmtheitserwartungen getragen wird.68 Von der Missachtung der in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG aufgestellten Vorgaben kann höchstens ausgegangen werden, wenn die Vorhersehbarkeit der Rechtsetzungsermächtigung im Hinblick auf die inhaltliche Weite der Normgebungskompetenz und den etwaigen Inhalt zu erlassender untergesetzlicher Normsetzung fehlt.69 b) Spannungen zwischen dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Gedanken eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung Bedeutsamer ist daher die Frage, inwieweit sich der parlamentarische Gesetzgeber zurücknehmen, inwieweit er also auf seine eigene Normsetzungskompetenz verzichten muss70, um dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit von Selbstverwaltungsträgern Rechnung zu tragen. Selbstverwaltung steht deshalb generell in Spannung zum rechtsstaatlichen71 Vorbehalt des Gesetzes. Einen vollständigen 66 In diese Richtung P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 380. Gegen eine direkte oder analoge Anwendung auch F.-J. Peine / T. Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, Rn. 851. 67 A. Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 14 etwa spricht bei den nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG geltenden Anforderungen von einem Ausschnitt dessen, was das Rechtsstaatsprinzip als allgemeine Bestimmtheitsanforderungen abverlangt. 68 Für den allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 301. 69 BVerfGE 1, 14 (60); 19, 354 (361 f.); siehe auch BVerfGE 41, 246 (266); H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 80 Rn. 34 m. w. N. 70 Indem der Staat dezentralisierten Einrichtungen Normsetzungskompetenzen überlässt, realisiert sich hierin ein Regelungsverzicht des Staates. Zu dieser als „Dereliktionstheorie“ bezeichneten Überlegung in Bezug auf die Satzungsautonomie der kommunalen Selbstverwaltung F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105, Rn. 20. Vgl. dazu auch J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 781. 71 Zur qualitativen Abgrenzung des „allgemeinen“ rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes zu den Gesetzesvorbehalten der Freiheitsgrundrechte M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grund-

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Regelungsverzicht des parlamentarischen Gesetzgebers kann es selbstverständlich nicht geben.72 Selbstverwaltung braucht einen ausgeformten rechtlichen Rahmen.73 Diese formellgesetzlichen Rahmenbedingungen sind für die Selbstverwaltung kein Hindernis, sondern wesensnotwendige Voraussetzung, weil sie in zweierlei Hinsicht deren Funktionsfähigkeit sichern. Zunächst bindet der Vorbehalt des Gesetzes die Selbstverwaltung in das Gefüge des demokratischen und rechtsstaatlichen Staates ein. Aus rechtsstaatlicher Perspektive74 ist er Ausfluss der Bindung der Verwaltung an „Recht und Gesetz“ nach Art. 20 Abs. 3 Halbs. 2 GG.75 Über ihn wird staatliches Handeln transparent76; zugleich leistet er einen Beitrag zur Gewaltenteilung, indem die vorrangige Rechtsetzungsgewalt der Legislative untermauert und zugleich Legitimität der Exekutive hergestellt wird77. Aus demokratischer Perspektive sichert der Vorbehalt des Gesetzes durch die Zuweisung der vorrangigen Normsetzungsbefugnis an das Parlament dessen grundlegende Verantwortlichkeit. Indem das einzige unmittelbar demokratisch legitimierte Staatsorgan dazu berufen ist, die wesentlichen Entscheidungen für das Gemeinwesen selbst zu treffen, verfügt das Parlament über einen „Legitimationsvorsprung“ gegenüber anderen staatlichen Stellen.78 Damit gesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 113. Das Bundesverfassungsgericht nimmt allerdings häufig keine trennscharfe begriffliche Abgrenzung vor, sondern verwendet die Begrifflichkeiten weitgehend synonym. Vgl. dazu BVerfGE 105, 279 (303 ff.); 130, 263 (299); 135, 48 (78); 139, 19 (47); 141, 143 (164). 72 Vgl. BVerfGE 111, 191 (216 f.). 73 R. von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, 1870, S. 8; H. Rosin, Das Recht der Öffentlichen Genossenschaft, 1886, 102 f. Für die nachkonstitutionellen Selbstverwaltungskonzeptionen BVerfGE 33, 125 (160 f.); F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 28. 74 Von einer „rechtsstaatlichen Komponente“ des Vorbehalts des Gesetzes spricht F. Ossen­ bühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 43. 75 Vgl. dazu BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126); 78, 179 (197). Dagegen aber mit der Auffassung, der Vorbehalt des Gesetzes könne nicht aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet werden S.  Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 173.1 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 76 S. Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 173 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 77 F.  Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 11 f.; B.  Grzeszick, in: Maunz /  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 86 (Stand der Kommentierung: Januar 2010). In den Worten von Josef Isensee „entspricht“ der Legitimationsbedarf der Verwaltung dem Loyalitätsanspruch der Regierung, wobei das Gesetz gerade das Mittel sei, um diesen korrelierenden Bedarf zu decken. Dazu J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 68. 78 H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 116.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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korrespondiert, dass das Parlamentsgesetz über den sachlich-inhaltlichen Strang die demokratische Legitimation anderer Hoheitsträger zu vermitteln vermag.79 Ferner hat der Vorbehalt des Gesetzes eine schützende Funktion für die Selbstverwaltung inne, die das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem FacharztBeschluss vom 9. Mai 1975 in den folgenden Ausführungen erkannt und angesprochen hat: „[Der Gesetzgeber] muß […] berücksichtigen, daß die Rechtsetzung durch Berufsverbände spezifische Gefahren für die Betroffenen und für die Allgemeinheit mit sich bringen kann. Zum Nachteil der Berufsanfänger und Außenseiter kann sie ein Übergewicht von Verbands­ organen oder ein verengtes Standesdenken begünstigen, das notwendigen Veränderungen und Auflockerungen festgefügter Berufsbilder hinderlich ist. Solchen Gefahren, die der Freiheit des Einzelnen durch die Macht gesellschaftlicher Gruppen drohen, vorzubeugen und die Interessen von Minderheiten und zugleich der Allgemeinheit zu wahren, gehört mit zu den Funktionen des Gesetzesvorbehalts.“80

Es gehört also zu den Aufgaben des parlamentarischen Gesetzgebers, in der berufsständischen, interessen- und gruppenplural zusammengesetzten Selbstverwaltung dafür zu sorgen, dass sich in der Selbstverwaltung nicht ungehindert bestimmte Interessen dominanter Gruppen durchsetzen, die die Freiheit des Einzelnen bedrohen können.81 Gleichwohl lässt sich dieser Gedanke universell auf alle Ausprägungen der Selbstverwaltung fruchtbar machen. Regelmäßig besteht die Gefahr, dass sich einzelne Interessen einseitig durchsetzen82, was durch – verhältnismäßige83  – prozedurale Vorgaben des objektiven Rechts vermieden oder zumindest erschwert werden kann. Der Vorbehalt des Gesetzes wird also zum Schutzschild der Grundrechte in der Selbstverwaltungskonzeption. Gerade in der grundrechtssensiblen Gesundheitsversorgung84 kann sich der Vorbehalt des Gesetzes nach Maßgabe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten „Wesentlichkeitstheorie“85 zu einem Parlamentsvor 79

H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 116. 80 BVerfGE 33, 125 (159). 81 Vgl. BVerfGE 33, 125 (159). H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 420; F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 30 mahnt dies vorwiegend für den Bereich berufsständischer Selbstverwaltung an. 82 Grundlegend BVerfGE 37, 1 (26 f.). Vgl. auch H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 420 m. w. N. 83 Vgl. J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (178), der die Rechtfertigungslast des Gesetzes vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betont. Allgemein zur Bindung aller drei Teilgewalten des Staates an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 187 m. w. N.; H.  Sodan /  J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 7 Rn. 32. 84 Siehe nur zu den in der gesetzlichen Krankenversicherung relevanten Grundrechten H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 51 ff. 85 Siehe nur H.  Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 24 Rn. 27 ff.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

behalt verdichten.86 Verfehlt wäre es allerdings, unter Berufung auf die Wesentlichkeitstheorie den Selbstverwaltungsträgern im Gesundheitswesen sämtliche Entscheidungsspielräume abzusprechen. Vor dem Hintergrund des sämtliche Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Bürger und Sozialleistungsträger87 sowie im Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander88 betreffenden „sozialversicherungsrechtlichen Totalvorbehalts“89 in § 31 SGB I sind solche Entscheidungsspielräume zumindest im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt. Im Verhältnis der Versicherungsträger zu den Leistungserbringern sind die Entscheidungsspielräume größer. Diese, wenngleich auch überschaubaren Spielräume, müssen in jedem Fall erhalten bleiben. Andernfalls besteht die Eigenverantwortlichkeit lediglich bei der Gesetzesanwendung; nicht jedoch bei der Erfüllung der eigenen Aufgaben. Mit dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit steht es deshalb nicht in Einklang, einen „umfassenden Parlamentsvorbehalt“ für das Gesundheitswesen zu fordern.90 Verfassungsrechtlich ist eine Gewaltenzentrierung ebenfalls nicht geboten. Sofern der parlamentarische Gesetzgeber nicht zum selektiven Regelungsverzicht bereit ist, kann es keine Selbstverwaltung in solchen Bereichen geben.

2. Absicherung der Eigenverantwortlichkeit durch die Staatsaufsicht Staatliche Aufsicht steht in einem Gegensatz zu der Eigenverantwortlichkeit, die Wesensmerkmal des Selbstverwaltungsgedankens ist. Dieser Umstand liegt quasi in der Natur der Aufsicht. Denn ihre zentrale Funktion ist die Kontrolle der „dem Staate Unterstellten“.91 Im Zuge eines dynamischen „Soll-Ist-Vergleichs“92 zielt staatliche Aufsicht in erster Linie darauf, das Handeln (sowie unter Umstän-

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BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249 f.); 49, 89 (126 f.); 77, 170 (230 f.); 98, 218 (251 f.); 101, 1 (34); 108, 282 (312). 87 W.  Spellbrink, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblatt, § 31 SGB I Rn. 14 (Stand der Kommentierung: September 2018); vgl. auch F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (196); ders. / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (390). 88 S. Gutzler, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher OnlineKommentar Sozialrecht, § 31 SGB I Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Juni 2021). 89 Zu dieser Bezeichnung W. Spellbrink, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblatt, § 31 SGB I Rn. 2 m. w. N. (Stand der Kommentierung: September 2018). Vgl. auch F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (196). 90 In diese Richtung plädiert aber T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (176), der fordert, der parlamentarische Gesetzgeber müsse die wesentlichen „Präferenz- und Verteilungsentscheidungen“ selbst treffen, was auf die Forderung einer stärkeren parlamentsgesetzlichen Vorzeichnung hinausläuft. 91 H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 121. 92 Siehe hierzu W. Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 4; R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (908); D. Ehlers, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2016, § 1 Rn. 106. Krit. dazu aber W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 405.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

47

den das Unterlassen93) mit einem Vergleichsparameter, einem „Richtmaß“94, abzugleichen, um eine Übereinstimmung zwischen beiden Parametern herzustellen.95 Dieser Soll-Ist-Vergleich erfolgt durch kontinuierliche Beobachtung in einem in der Regel hierarchischen Verhältnis.96 Die Übereinstimmung von „Soll“ und „Ist“ wird nach dem tradierten Aufsichtsverständnis durch eine „Korrektur“ hergestellt, was meist nichts anderes als ein repressives Einschreiten der Aufsichtsbehörde bedeutet.97 Aufsichtsführung im klassischen Sinne bedeutet mithin Fremdsteuerung im Sinne eines bewussten Einschreitens in die Angelegenheiten des Beaufsichtigten.98

a) Mehrdimensionalität der Staatsaufsicht Gewiss erschöpfen sich Sinn und Spektrum staatlicher Aufsicht nicht nur in dem stumpfen Abgleich tatsächlicher Gegebenheiten mit einer rechtlichen „Schablone“. Vielmehr verfügt die moderne Staatsaufsicht über eine Bandbreite verschiedener Instrumente, die von der bloßen Beobachtung99 über das kooperative Zusammenarbeiten bis zum repressiven Einschreiten reichen können.100 In der modernen Staatsarchitektur kann die durch Staatsaufsicht bezweckte Kontrolle durch eine, wie Rainer Pitschas formuliert, „pluralistische Vielfalt von Kontrollen“101 mit einer entsprechenden Vielfalt unterschiedlicher Kontrollmethoden realisiert werden.

93

Siehe BSGE 61, 254 (257 f.); 64, 124 (129); 67, 85 (87 f.); BSG, Beschluss vom 19. 3. 2015 – B 1 A 2/14 B, juris Rn. 10; Bayerisches LSG, Urteil vom 4. 4. 2017 – L 5 KR 244/15 KL, juris Rn. 30; BSGE 125, 233 (242 Rn. 37). Anders aber noch H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 111. 94 H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 121. 95 So bereits H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 121; vgl. auch D. Ehlers, in: Ehlers /  Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 1 Rn. 106. 96 BVerfGE 137, 108 (150 f.); vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Vorlagebeschluss vom 3. 9. 2008 – L 10 VG 20/03, juris Rn. 155. Siehe auch S. U. Pieper, Aufsicht, 2006, S: 146 ff.; W. Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 47. Vgl. auch H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 70. 97 Vgl. J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (213), der statt „Korrektur“ von einer „Berichtigung der Funktionen des Selbstverwaltungsträgers“ spricht. Siehe auch S. U.  Pieper, Aufsicht, 2006, 146 ff.; D. Ehlers, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2016, § 1 Rn. 106. 98 Zum Verständnis des Begriffs Steuerung vgl. W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 355. 99 BVerfGE 137, 108 (150 f.); vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Vorlagebeschluss vom 3. 9. 2008 – L 10 VG 20/03, juris Rn. 155. Siehe auch W. Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 47. Vgl. auch H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 70. 100 R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909); S. U. Pieper, Aufsicht, 2006, S. 146 ff. 101 R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

aa) Vereinigung von repressiven mit kooperativen Elementen Der Grundsatz bleibt allerdings bestehen: Die Staatsaufsicht dient in aller erster Linie der Kontrolle nachrangiger Verwaltungsinstanzen. Mit ihr wird die Rechtstreue der einzelnen Stellen, denen öffentliche Aufgaben überantwortet sind, sichergestellt. Insoweit impliziert der moderne Staat auch ein modernes Verständnis von Staatsaufsicht, das über den eindimensionalen, repressiven Abgleich eines Ist-Zustandes mit einem Soll-Zustand hinausgeht. Staatliche Aufsicht besteht in der heutigen Staatsarchitektur nicht ausschließlich aus punktuellen, repressiv eingreifenden Aufsichtsmaßnahmen, die dann Anwendung finden, wenn rechtswidrige Zustände nachträglich zu beseitigen sind.102 Im modernen Staat gewinnen vielmehr solche Aufsichtsinstrumente zunehmend an Bedeutung, die kontinuierlich auf die beaufsichtigte Einrichtung einwirken, um Rechtsverletzung aus der ex-ante-Perspektive zu vermeiden.103 Das bedeutet gleichwohl nicht, dass die repressive Aufsichtsführung zugunsten rein präventiv-kooperativer Ansätze geopfert werden müsste. Es kann immer wieder zu Situationen kommen, in denen die rein präventiv-kooperativ geführte Staatsaufsicht an ihre Grenzen gelangt und repressiv-eingreifende Maßnahmen erforderlich werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn Rechtsverstöße nicht bloß drohen, sondern bereits eingetreten sind. In diesem Zeitpunkt ist es für kooperative Maßnahmen bereits zu spät. Zwang, Fremdsteuerung und – im Falle des Selbsteintritts der Aufsichtsbehörden – Fremdbestimmung gehören deshalb nach wie vor zu den Kerneigenschaften staatlicher Aufsicht. Eine effiziente Kontrolle verlangt im Besonderen die Durchsetzbarkeit von Aufsichtsanordnungen. Ohne die Möglichkeit, Anordnungen notfalls mit Zwang durchsetzen zu können, verliert der Kontrollcharakter der Aufsicht seine faktische Wirkung. Auszugehen ist deshalb von einem Nebeneinander von kooperativer und repressiver Aufsichtsführung, sodass sich die Aufsichtsgesetzgebung an einem breiten Spektrum unterschiedlicher Aufsichtsmaßnahmen je nach der konkreten Situation bedienen kann. (1) Flexibilität durch das Opportunitätsprinzip Die für eine situationsadäquate Aufsichtsführung notwendige Flexibilität wird – zumindest im Rahmen der Rechtsaufsicht – regelmäßig durch das Opportunitätsprinzip gewährleistet, indem eine Rechtsverletzung einer beaufsichtigten Instanz zu keiner von vornherein festgelegten Rechtsfolge führt, sondern den Aufsichtsbehörden Varianzen für eine situationsabhängige Aufsichtsführung zugestanden 102

Siehe zu der Zielsetzung repressiv geführter Aufsicht H. Maurer / C . Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 25; K. Baier-Treu, in: Leisner (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Handwerksordnung, § 75 Rn. 8 (Stand der Kommentierung: Januar 2021). 103 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. Siehe auch R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (910).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

49

werden.104 In den Grenzen der graduellen Abstufungen der Ermächtigungen und dem allgemein „Maßvollen“ steht den Aufsichtsbehörden bei der Entschließung für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten und der Wahl des Aufsichtsmittels nach pflichtgemäßem Ermessen ein Spielraum zu.105 (2) Normative Vorzeichnung einer graduellen Abstufung der Aufsichtsführung Normativ lässt sich das grundlegende Prinzip einer abgestuften, an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientierten Intervention nachweisen. Zutreffend ist der in der Literatur vorgetragene Aspekt, dass einige Ermächtigungen der Aufsichtsinstanzen eine graduelle Abstufung von relativ milden Maßnahmen, etwa Beratungen, hin zu repressiven Eingriffen beinhalten.106 Begrifflich wird diese graduelle Abstufung der Staatsaufsicht als Grundsatz abgestufter Intervention zu fassen gesucht.107 § 89 SGB IV ist hierfür ein anschauliches Beispiel: Zunächst soll die Aufsichtsbehörde, mit anderen Worten muss sie im Regelfall beratend auf die Behebung einer eingetretenen Rechtsverletzung hinwirken, bevor eine Verpflichtung zur Behebung der Rechtsverletzung und anschließend die zwangsweise Durchsetzung dieser Verpflichtung in Betracht kommt.108 Mehr als diese, an Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit orientierten graduellen Abstufungen beinhalten die Aufsichtsermächtigungen aber regelmäßig nicht. Darüber hinaus bemüht das Bundessozialgericht in vereinzelten Entscheidungen den Gedanken der „partnerschaftlichen Kooperation“: Die nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV obligatorische vorherige Beratung der beaufsichtigten Instanz ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts „Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht, als Teil einer geistigen Auseinandersetzung zwischen ernsthaft um optimale Lösungen im Interesse der versicherten Bevölkerung bemühten Partnern und als Ausgangspunkt eines möglichen Dialogs zwischen Versicherungsträger und Aufsichtsbehörde zwecks Vermeidung aufsichtsbehördlicher Anordnungen und sich daran eventuell anschließender gerichtlicher Aus 104

E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 183; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 550 f.; F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 360 S. 12 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017); M.  Schüffner / P.  Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 69. 105 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 69; H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 190. Zur Abgrenzung des Opportunitätsprinzips von dem das Strafrecht leitenden Legalitätsprinzip M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680). Zum Opportunitätsprinzip in der Kommunalaufsicht T. Duve, Verwaltung und Management 14 (2008), 283 (285). 106 Siehe dazu J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (249 ff.); vgl. auch R. Stober / W. Kluth /  M.  Müller / A .  Peilert, Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht II, 7.  Aufl. 2010, § 85 IV Rn. 83. 107 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 552. 108 Siehe nur G. Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 6 (Stand der Kommentierung: November 2011).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

einandersetzungen“109. Dieser grundlegende Gedanke kommt bereits bei Jürgen Salzwedel zur Geltung, der die Aufgabe der Staatsaufsicht in der „behutsame[n] Nachzeichnung der Grenzen, innerhalb deren die organisierten gesellschaftlichen oder fachlichen Kräfte von ihrer verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Freiheit schöpferischer Gestaltung eigener Angelegenheiten Gebrauch machen“, sieht.110 Ob sich aus diesen vagen Direktiven konkrete Pflichten der Aufsichtsbehörden ableiten lassen, dürfte zweifelhaft sein, zumal die kooperative Aufsichtspraxis in anderen Grundsätzen, etwa dem genannten Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht, sowie in der normativen Grundlagen der Staatsaufsicht angelegt ist.111 Klare Grenzen weist die Rechtsprechung allerdings im Umgang mit Gestaltungsspielräumen der Selbstverwaltungsträger auf, deren Anerkennung sie über den Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht einfordert.112 (3) Anreicherung der Rechtsaufsicht durch Compliance-Ansätze Die moderne Staatsaufsicht bezieht neben der externen Fremdaufsicht auch immer stärker Möglichkeiten der Selbstkontrolle im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger in die Gesamtbetrachtung der Kontrollverhältnisse ein.113 Im Schrifttum wird gar gefordert, bestehende Möglichkeiten zur Eigenkontrolle der externen Fremdkontrolle vorzuziehen, sodass letzterer nur noch eine Reservefunktion verbliebe.114 Im Zusammenhang mit staatlicher Aufsicht ist in heutiger Zeit der Begriff „Compliance“ kaum noch wegzudenken.115 Wer den Anspruch verfolgt, diesen 109

BSGE 61, 254 (257 f.); 64, 124 (129); 67, 85 (87). Siehe auch BSG, Urteil vom 19. 12. 1995 – 4 RLw 2/95, juris Rn. 37; Urteil vom 11. 12. 2003 – B 10 A 1/02 R, juris Rn. 25. Damit ist die Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besser aufgestellt als etwa die Wirtschaftsaufsicht, in der die Beratung von Beaufsichtigten, wie Ekkehart Stein ausführt, nur „stiefmütterlich“ im Recht kodifiziert ist. Dazu E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 195. 110 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (257). 111 Zu den Folgen des Gedankens partnerschaftlicher Kooperation näher M.  Schüffner /  P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 66 ff. 112 Dieser Grundsatz ist in zahlreichen Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit aufzufinden. So etwa in BSGE 71, 108 (110); 94, 221 (229 Rn. 19); 102, 281 (283 f.); 103, 106 (124); 121, 179 (182 Rn. 17); BSG, SGb 2007, 103 (105); BSG, Urt. v. 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 21. 3. 2018 – B 6 KA 59/17 R, juris Rn. 37; vgl. auch BSGE 61, 235 (242). Ebenfalls Hessisches LSG, Urteil vom 23. 4. 2015 – L 1 KR 17/14 KL, juris Rn. 25; SG Kassel, Urteil vom 22. 3. 2007 – S 11 LW 1/06, juris Rn. 28; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. 5. 2012 – L 11 KR 77/12 KL, juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Urteil vom 4. 4. 2017 – L 5 KR 244/15 KL, juris Rn. 30. 113 Die kommunale Selbstverwaltung kennt bereits Möglichkeiten der Eigenkontrolle. Dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 553. 114 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 554. 115 G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (148) warnt aber davor, den Begriff der Compliance lediglich als „Slogan“ zu nutzen.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

51

englischsprachigen Begriff möglichst wortsinngetreu in die deutsche Sprache überzuleiten, findet die Begriffe „Übereinstimmung“, „Konformität“, „Einhaltung“ oder „Befolgung“. Tatsächlich handelt es sich bei dem Begriff der Compliance um eine Formulierung aus dem anglo-amerikanischen Wirtschaftsrecht, genauer gesagt dem Bankenwesen. Mit Compliance gemeint ist in diesem Kontext ein systematisches Konzept zur Vermeidung bankentypischer Risiken.116 In allgemeiner Anwendung orientiert sich der Begriff der Compliance weniger an seiner unmittelbaren Transkription aus dem Englischen, sondern wird als Gesamtheit sämtlicher Maßnahmen verstanden, die die Regeltreue in Bezug auf gesetzliche, aber auch selbst gesetzte Vorgaben, etwa interne Richtlinien oder Kodizes117, gewährleisten sollen.118 Die Bezeichnung Compliance ist deshalb ein Sammelbegriff für die Überprüfung eines Gegenstandes mit einem Richtmaß, der für die Aufsichtsführung oder aufsichtsähnliche Kontrolle gern herangezogen wird, aber auch auf sämtliche andere Prüfverfahren passt. Die Weite des Compliance-Verständnisses lässt sich etwa daran verdeutlichen, dass er auch für die Überprüfung des ärztlich vorgeschriebenen Gebrauchs von Arzneimitteln durch die Patienten genutzt wird119, einem Bereich also, der mit der internen und externen Kontrolle nach dem Verständnis dieser Untersuchung nichts zu tun hat. Allzu viele prozedurale Elemente sind dem Compliance-Begriff also nicht abzuringen. In der Wirtschaft, wo ihre Ursprünge liegen, hat Compliance noch heute einen hohen Stellenwert inne.120 Organisationsintern werden langfristige Kontrollverfahren installiert, die eine kooperative Umsetzung erfordern.121 Sicherlich steht hinter der Schaffung von Compliance-Systemen die Erkenntnis, dass sich über strukturierte Programme ausschließlich im Innenverhältnis die Regeltreue von Organen 116

P. Dieners / U. Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 1; E. Mand, PharmR 2014, 275; R. Preusche / K. Würz, Compliance, 2. Aufl. 2016, S. 8. 117 P.  Dieners / U.  Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 1; J. Kreitner, in: Küttner, Personalbuch 2020, 25. Aufl. 2018, Compliance Rn. 1; E. Kreßel, NZG 2018, 841 (841). 118 M. Krasney, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 217b Rn. 46 (Stand der Kommentierung: März 2018); E. Kreßel, NZG 2018, 841 (841). 119 Der Begriff der „Arzneimittel-Compliance“ dient vor allem für die Überlegung, inwieweit der Einsatz von Arzneimitteln am Versicherten effektiviert werden kann, vgl. dazu F. Rieß, NZS 2014, 12 (passim). Allerdings wird auch erwogen, ob der „richtige“ Arzneimittelgebrauch leistungsrechtliche Konsequenzen haben und so die Versicherten die (Mit-)Verantwortung für die effiziente Bekämpfung einer Krankheit angelastet bekommen können, vgl. dazu I. Kemmler, NZS 2014, 521 (527). 120 Vgl. zur Herkunft des Begriffs der Compliance aus dem Wirtschaftsrecht J. Kreitner, in: Küttner, Personalbuch 2020, 25. Aufl. 2018, Compliance Rn. 1; M. Krasney, in: Körner /  Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 217b Rn. 46 (Stand der Kommentierung: März 2018). 121 Insoweit unterscheidet sich Compliance von der Innenrevision, die im Regelfalle nicht präventiv, sondern erst im Nachhinein prüfend ansetzt. Dazu M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

und Einzelpersonen einfacher disziplinieren lässt als durch externe Kontrolle.122 Die disziplinierende Kraft der Compliance dürfte in einer weiteren Ursache gründen. Denn Compliance setzt ferner über die bloße Sanktionsandrohung hinaus auch an einer moralischen Ebene an. Sie ist mehr als ein repressives Kontrollinstrument, sondern trägt die Züge eines selbstgeschaffenen internen „Werte-Managements“.123 Dennoch handelt es sich bei der Compliance um keine vierte Kategorie staatlicher Kontrolle, sondern vielmehr um ein internes, von staatlichem Zutun autonomes Instrument zur Gewährleistung der Regeltreue. Auch im deutschen Gesundheitswesen spielt Compliance eine immer stärkere Rolle.124 Welche Hintergründe hierfür die maßgeblichen Triebfedern sind, ist nicht eindeutig festzustellen. Sicherlich beflügelt werden Compliance-Ansätze durch die Anreicherung der gesetzlichen Krankenversicherung mit marktwirtschaft­ lichen Elementen, dies zwar weniger durch klassische Verwaltungsprivatisierung oder durch Outsourcing wie in anderen Bereichen staatlicher Daseinsvorsorge125, sondern durch Erweiterung126 des Solidaritätsprinzips mit wirtschaftlichem Wettbewerb127 Möglicherweise ist auch schlicht eine insgesamte Modernisierung von Kontrollvorgängen ausschlaggebend. Hierauf kommt es im Einzelnen nicht an. Von Bedeutung ist allein die Erkenntnis, dass in der öffentlichen Verwaltung auch Kontrollsysteme losgelöst von der Staatsaufsicht zum Einsatz kommen. Auch im Rahmen dieser Untersuchung kann die Compliance deshalb nicht ohne Beachtung verbleiben. Schwerfallen wird dies indes nicht. Denn die formellgesetzlichen internen Kontrollinstrumente spiegeln die Compliance bereits hinreichend wider. Beispiels 122

M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680). Zum grundsätzlichen Erfordernis einer effizienten Durchsetzung von Compliance P. Dieners / U. Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 10. 123 Ähnlich auch E.  Kreßel, NZG 2018, 841 (842). P.  Dieners / U.  Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 9. 124 Dies lässt sich etwa daran belegen, dass bedeutsame Organisationen der gesetzlichen Krankenversicherung den Begriff der Compliance auch offiziell für die Beschreibung ihrer internen Aufsichtsmechanismen verwenden. So etwa der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(2), S. 11. 125 Zu den Veränderungen der Staatsarchitektur durch Verwaltungsprivatisierung und Outsourcing im Allgemeinen G. F. Schuppert, DÖV 1998, 831 ff. Zu der Beobachtung zunehmender Privatisierung vor allem in der stationären Versorgung auch K. Deufel, in: Blaurock / Bornkamm / K irchberg (Hrsg.), FS für Achim Krämer, 1. Aufl. 2009, S. 24. 126 Zu der kaum greifbaren Idee, dass sich in der gesetzlichen Krankenversicherung die prinzipiell entgegenstehenden Begriffe „Solidarität“ und „Wettbewerb“ zu einem „solidarischem Wettbewerb“ konvergieren G. Hörnemann, Sozialer Fortschritt 51 (2002), 66 (67). 127 Vgl. zu der Implementierung wettbewerblicher Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung F. Welti, VSSR 2006, 133 (148 ff.); T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (90). Zum Nebeneinander von Wettbewerb und korporatistischen Elementen in der gesetzlichen Krankenversicherung T. Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 22; S. Lunk / J. Kassow, NZS 2016, 168 (168).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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weise formulieren Anzeige- und Unterrichtungspflichten keine repressiven Aufsichtsmittel der Rechtsaufsicht, sondern stärken durch prozedurale Vorgaben die internen Abläufe bei den Selbstverwaltungsträgern. Derartige Regelungen haben also das Ziel, die interne Wissensbasis zu verbessern oder sogar erst herzustellen. Eine fundierte Wissensbasis ist notwendige Voraussetzung für die interne Kontrolle der Regeltreue. Insoweit lässt sich mit den Anzeige- und Berichtspflichten ein Beispiel formulieren, inwieweit formellgesetzliche Regelungen zur Optimierung der internen Compliance beitragen können. Mit einer strukturierten Binnenkontrolle lässt sich in sicherlich nicht wenigen Situationen ein externes Einschreiten der Aufsichtsbehörden vermeiden. Bei den wettbewerblich miteinander konkurrierenden Sozialversicherungsträgern kommt überdies die positive Außenwirkung einer funktionierenden internen Kontrolle hinzu. Interne Compliance-Ansätze können auf diese Weise die externen, repressiven Aufsichtsmittel ergänzen, indessen ist ihre Wirkung zu gering, um externe Kontrolle vollkommen verzichtbar zu machen. Repressive Maßnahmen der Staatsaufsicht und interne Compliance-Ansätze bilden vielmehr eine Symbiose.128 bb) Formulierung eines modernen Verständnisses von staatlicher Aufsicht durch Wolfgang Kahl Das spiegelt sich auch im heutigen Verständnis von Staatsaufsicht in der Wissenschaft wider. Allen voran sei hier Wolfgang Kahl genannt, dessen Modell einer modernen Staatsaufsicht durch „prinzipielle Koordination, Kooperation, Kommunikation, Permanenz und Reziprozität“ geprägt ist.129 Staatliche Aufsicht wird dann zu einem dauerhaften, dynamischen Prozess, in dessen Rahmen die aufsichtführende Einheit die meiste Zeit eine beratende Funktion wahrnimmt130, was gleichwohl nicht bedeutet, dass der repressive Charakter der Staatsaufsicht vollkommen verloren geht131. Vielmehr wird das Aufsichtsgefüge durch kooperative Elemente angereichert, es wird flexibler und erhält eine deutlich größere Bandbreite. Staatsaufsicht kann dann nämlich von einer unverbindlichen einmaligen oder kontinuierlichen Beratung132 über Mahnungen, Anregungen und Korrekturvorschläge133 bis zu repressiven Maßnahmen unterschiedlicher Schwere mit Sanktionscharakter134 reichen. 128

P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 244. 129 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. 130 R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (908); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. 131 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 459. 132 Vgl. etwa K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1150). 133 Zu diesen „informellen“ Aufsichtsmitteln S. U. Pieper, Aufsicht, 2006, S. 435 ff. Siehe auch E. Schmidt-Aßmann / H. C. Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rn. 42. 134 Zur Sanktionsfunktion staatlicher Aufsicht M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Diese von Wolfgang Kahl vorgeschlagene Verschiebung der Aufsichtsführung hin zu einer kooperativen Staatsaufsicht verfängt schon deshalb, weil sie den heutigen Gegebenheiten der Selbstverwaltung Rechnung trägt, nicht zuletzt der stärkeren wirtschaftlichen Ausrichtung der Selbstverwaltungsträger. Der Ansatz einer modernen und kooperativen Staatsaufsicht stellt ebenso zutreffend in Rechnung, dass die gegenseitige Kooperation langfristig erfolgreicher ist als die zurückgezogene repressive Staatsaufsicht.135 Das kontinuierliche Beobachten und Beraten im Vorfeld möglicher Rechtsverletzungen führt zu einem vertrauensvollen Miteinander von Aufsichtsinstanz und Beaufsichtigten und im gleichen Zuge zu mehr Akzeptanz staatlicher Kontrollmaßnahmen. Kooperative Aufsicht setzt somit grundlegend auf gegenseitiges Vertrauen. Diese grundlegende These lässt sich sowohl auf die Rechts- als auch auf die Fachaufsicht beziehen.136 Zugleich ist der Einwand von Kay Waechter, Vertrauen könne nur „mit personal­ intensiver Kooperation und Loyalität errungen werden“137, nicht von der Hand zu weisen. Mithin ist das Verständnis von staatlicher Aufsicht nicht bloß auf eine repressive Kontrolle begrenzt, sondern umfasst auch präventive, kontinuierliche und mit den Beaufsichtigten kooperativ ausgeführte Maßnahmen. Repressives Einschreiten bedeutet demgegenüber stets Einschnitte, seien sie auch nur psychologischer Natur.138 Vertrauen ist hiermit allerdings nicht zu erlangen. Damit verfügt der Staat aber zunehmend über eigene Möglichkeiten, gestaltend und steuernd in Bereiche gesellschaftlicher Selbststeuerung einzudringen. Einerseits wird immer deutlicher, dass sich der Staat häufiger von rein imperativem Handeln zurückzieht und stattdessen gesellschaftlicher Selbstregulierung mehr Raum belässt.139 Andererseits zeigt das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht, wie die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in kooperativem Zusammenwirken mehr und mehr erodiert140; der Staat gar in die Rolle des Mitgestalters, des Mediators und des Interessenwalters eindringt141.

135

So etwa H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (120). Ein Interesse der Fachaufsichtsbehörde an einem einvernehmlichen Ergebnis vermutet J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 787 f. 137 K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1150). 138 E.  Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 181. Krit. hierzu aber J.  Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 790, der zwar eine konsequente Abschichtung der Kompetenzen von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht dergestalt in Betracht zieht, präventive Interventionen der Aufsichtsbehörden nicht zuzulassen, zugleich aber Zugeständnisse macht, weil die konsequente Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden bei der Ergreifung präventiver Maßnahmen „wirklichkeitsfremd“ wäre. 139 Von einer Prinzipienwende, bezogen auf die allgemeine Verwaltungswissenschaft, spricht gar M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (169 f.). 140 Dass eine strikte Trennung von Staat und Gesellschaft von vornherein nicht möglich ist, weist E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 192 ff. nach. 141 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 18. 136

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

55

cc) Schutz der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltungsträger durch die Staatsaufsicht Die in den einleitenden Ausführungen beschriebene Schutzfunktion der Aufsicht ist demgegenüber ein notwendiges Resultat des Kontrollcharakters. Indem die Regeltreue der Verwaltungseinheiten durch Kontrollmechanismen sichergestellt wird, wird zugleich auch die Funktionsfähigkeit eben dieser Verwaltungseinheiten abgesichert.142 Diese Schutzfunktion kann indessen in unterschiedlichen Stärken erfolgen. Sie kann einerseits auf das kontrollierende Einhalten jener Strukturen ohne jegliche Lenkungswirkung gerichtet sein, die sich nicht im Wege der Selbstregulierung erhalten lassen143; sie kann aber auch im Sinne einer umfassenden Verantwortung für das Funktionieren der Selbstverwaltung weitere Obliegenheiten aus der ex-ante-Perspektive im Sinne einer Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion umfassen144. Gerade diese in den vorgelagerten Bereich hineinragende Kontrolle eröffnet den Aufsichtsinstanzen indessen die Möglichkeit, Maßstäbe für das Verwaltungshandeln zu definieren und auf diese Weise lenkend auf die Selbstverwaltung einzuwirken.145 b) Richtiger Zuschnitt der Staatsaufsicht auf die funktionale Selbstverwaltung Im rechtsstaatlichen Gefüge muss die Staatsaufsicht so beschaffen sein, dass sie ihren Zweck erfüllt und gleichzeitig der Selbstverwaltung Rechnung trägt.146 Hier den genau passenden Weg zu finden, ist wegen des Facettenreichtums der Aufsichtstypologie nicht einfach. Auf alle einzelnen Ausdifferenzierungen des Aufsichtsverständnisses kann im Rahmen dieser Untersuchung deshalb nicht im Detail eingegangen werden; hierzu sei auf das einschlägige Schrifttum verwiesen.147 Ob all jene Verästelungen wissenschaftlich gewinnbringend sind, mag angesichts der unüberschaubaren Terminologien ohnehin zu bezweifeln sein. Wichtig in diesem Zusammenhang ist deshalb die Überlegung von Wolfgang Kahl, das Dickicht der Aufsichtstypologien aufzulösen. Kahl plädiert für die Reformulierung der verschachtelten Ausdifferenzierungen der Staatsaufsicht, wobei er 142 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 528; vgl. auch B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (211). 143 Für die Bereiche der Wirtschaftsaufsicht E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 13. 144 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 17. 145 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 358 ff.; vgl. auch F. Schoch, NVwZ 2008, 241 (245). 146 Im Gegensatz hierzu versagt die traditionelle Staatsaufsicht im totalitären System, weil staatliche Kontrolle dort von Willkürentscheidungen, nicht aber von rechtsstaatlichen Prinzipien abhängt. Dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 232 f. 147 Einen kompakten Überblick über die verschiedenen Typen von staatlicher Aufsicht bietet T. Groß, DVBl. 2002, 793 ff. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklungen von Staatsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland bietet W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 284 ff.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

im Wesentlichen zwischen der „Einwirkungsaufsicht“ im Bereich der lenkenden und leitgebenden repressiven Staatsaufsicht einerseits und der proaktiv ausgeübten „Gewährleistungsaufsicht“148 vor allem im Bereich der Wirtschaftsaufsicht andererseits als zentrale Subtypen des Aufsichtsverständnisses unterscheidet.149 Gerade die Gewährleistungsaufsicht spielt in der Staatsrechtswissenschaft eine zunehmend bedeutsamere Rolle, weil sich der Staat in immer mehr Bereichen aus der unmittelbaren Erfüllungsverantwortung zurückzieht und stattdessen Private in die Aufgabenerfüllung einbindet und letztverantwortlich nur die Gewährleistung der Grundvoraussetzungen und der notwendigen Infrastruktur sicherstellt150, was gleichwohl – wie Udo Di Fabio zurecht klarstellt – nicht bedeutet, dass diese Form „kooperativer“ und „konsensualer“ Verwaltung nicht ebenso grundrechtssensibel ist151. Aus dieser Erkenntnis und aus der Letztverantwortlichkeit für das Gemeinwohl ergibt sich auch bei diesem Rückzug aus der Verwaltungstätigkeit ein Bedürfnis für staatliche Aufsicht152, die weitgehend im Kooperations- statt im Subordinationsverhältnis153 die Gewährleistungsverwaltung durch Steuerung, Überwachung und Regulierung absichert.154 Zwar spielt die Gewährleistungsaufsicht im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine nur marginale Rolle, weil gegenüber den hier aktiven Körperschaften die Einwirkungsaufsicht stärker zur Geltung kommt. Gleichwohl wird noch an späterer Stelle der Untersuchung deutlich, dass kooperative und proaktive Formen der Aufsichtstätigkeit auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eine besondere Bedeutung haben. aa) Begrenzung der Staatsaufsicht auf die reine Rechtsaufsicht Ungeachtet der Aufsichtstypologie ist für die grobe Erfassung des Aufsichtswesens in der gesetzlichen Krankenversicherung der Aufsichtsmaßstab von Relevanz, der danach fragt, wie weit die Aufsichtsführung grundsätzlich reichen darf. 148

So jedenfalls die Forderung für das Sozialrecht von R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (130). 149 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 393. 150 Dazu im Allgemeinen F. Schoch, NVwZ 2008, 241 (241 f.); T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (343); B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (215). Allgemein zum Begriff von „Governance“ als „Problemlösungsfähigkeit von Gemeinwesen“ unter Einsatz von „Formen der Koordination zwischen individuellen und kollektiven Akteuren“ T. Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2012, S. 21 f. 151 U.  Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (258) arbeitet heraus, dass diese „angenehm“ klingenden Vokabeln durchaus in der Lage sind, „Eingriffslagen“ zu „verdecken“. 152 G. F. Schuppert, DÖV 1998, 831 (836); B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (215). Ähnlich, aber in allgemeinerem Kontext bereits W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 458. 153 B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (223). 154 G. F.  Schuppert, DÖV 1998, 831 (835); R.  Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (130); B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (224).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Etabliert haben sich hier die beiden Kategorien Rechts- und Fachaufsicht.155 Der entscheidende Unterschied zwischen Rechts- und Fachaufsicht liegt in Folgendem: Im Gegensatz zur Rechtsaufsicht, mit der die Integrität des Beaufsichtigten gewahrt bleibt, greift die Fachaufsicht gerade hierin ein und übernimmt die (Mit-) Verantwortlichkeit für die jeweilige Entscheidung, da mit dem Mittel der verbindlichen Weisung zugleich die Zweckmäßigkeit der Entscheidung kontrolliert und verändert wird.156 Darüber hinaus beanstanden die Aufsichtsbehörden der Fachaufsicht nicht bloß bereits eingetretene Fehlverhalten, sondern veranlassen den Beaufsichtigten zu einem Handeln oder Unterlassen und greifen somit lenkend in das Entscheidungsverhalten des Beaufsichtigten ein. Dies verschafft der Aufsichtsbehörde den Raum, nicht nur durch repressives Verhalten korrigierend einzuschreiten, sondern auch präventiv lenkend tätig zu werden.157 In der Fachaufsicht laufen daher die Funktionen der präventiven Steuerung wie auch der repressiven Kontrolle zusammen.158 Soweit die Selbstverwaltung zur eigenverantwortlichen Erfüllung von Aufgaben berufen ist, muss zugleich sichergestellt sein, dass die hierzu erforderlichen Freiheiten nicht durch die administrative Kontrolle ausgehöhlt werden. Dies wäre faktisch der Fall, wenn die Behörden der Staatsaufsicht die Möglichkeit hätten, Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen.159 Damit sich Selbstverwaltung auch tatsächlich in einer Weise entfalten kann, in der die Einbeziehung bürgerlicher Kräfte in die Aufgabenerfüllung in Entscheidungen mit verbindlicher Geltungskraft münden, muss die administrative Kontrolle grundsätzlich auf die Rechtsaufsicht beschränkt sein.160 Eine grundsätzliche Beschränkung auf die Rechtsaufsicht führt dabei zu keinen untragbaren Kontrollverlusten. Zwar umfasst die Rechtsaufsicht nur die Kontrolle, die auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns beschränkt bleibt. Dies bedeutet, dass die Rechtsaufsicht auf die Kontrolle dahingehend gerichtet ist, ob diejenigen Rechtsnormen, die den Rahmen der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung bilden, von der beaufsichtigten Selbstverwaltungseinheit eingehalten 155

Ausführlich dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 401. P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99, S. 229; E. Schmidt-Aßmann / H. C. Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rn. 44. 157 P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 229; B. Harich, in: Eicher / Luik (Hrsg.), SGB II, Kommentar, 4. Aufl. 2017, § 47 Rn. 4. 158 E. Schmidt-Aßmann / H. C. Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rn. 44. 159 P. Axer, NZS 2017, 601 (606); F. Welti, VSSR 2006, 133 (140). 160 BVerfGE 22, 180 (210); vgl. auch BVerfGE 57, 295 (333 f.); 78, 331 (341); BSGE 94, 221 (229); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. 6. 2010 – L 11 KR 199/10 KL, juris Rn. 37. Vgl. auch R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 35; E. Hauck, NZS 2010, 600 (611). Vgl. auch F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 55. 156

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

wurden.161 Die Rechtsaufsicht stellt vor dem Hintergrund der Gesetzesbindung der Verwaltung das Mindestmaß an Kontrolle dar, die über die verselbstständigten Verwaltungseinheiten gewährleistet sein muss. Zur Herstellung und etwaigen Durchsetzung der Gesetzesbindung der Verwaltung ist der Gesetzgeber gehalten, für alle Bereiche der Verwaltung zumindest eine Rechtsaufsicht einzurichten.162 Umgekehrt gewährleistet die Rechtsaufsicht aber, dass sachliche Entscheidungen, die sich innerhalb des rechtlich Vertretbaren bewegen, der Selbstverwaltung nicht genommen werden. (1) Abgrenzung zur Fachaufsicht Von der Rechtsaufsicht ist die Fachaufsicht als zweite übergeordnete Kategorie der Aufsichtsführung abzugrenzen. Weil auch die Fachaufsicht verschiedene Ausprägungen kennt, ist die Formulierung allgemeingültiger Merkmale schwierig.163 Verwendung findet die Fachaufsicht in der kommunalen Selbstverwaltung, wo auch ihr mutmaßlicher Ursprung liegt164. Eingesetzt wird sie dort für die Aufgabenbereiche im „übertragenen Wirkungskreis“ der Gemeinde165; was die in einigen Bundesländern vorgesehenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung anbelangt, hängt die Reichweite der in diesem Bereich geführten „Sonderaufsicht“ von den jeweiligen spezialgesetzlichen Vorgaben ab166. Im originären Aufgabenbereich der Gemeinden verbietet sich indessen die Fachaufsicht.167 Einen „übertragenen Wirkungskreis“ kennt auch das Sozialrecht. Normiert ist er in § 30 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, der deshalb nach Auffassung einiger Autoren eine Fachaufsicht zulässt.168 Darüber hinaus findet eine echte Fachaufsicht in der Behördenaufsicht statt, bei der eine übergeordnete Behörde eine nachgeordnete Behörde kontrolliert. Die übergeordnete Behörde hat dabei ein umfassendes Prüfungs- und Weisungsrecht, 161 Siehe etwa R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909); F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 55; H. Plagemann, VSSR 2007, 121 (126); W.  Erbguth / A .  Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2019, § 6 Rn. 25. 162 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 205. 163 Im Ergebnis auch T. Groß, DVBl. 2002, 793 (793 f.). 164 Vgl. auch T. Groß, DVBl. 2002, 793 (794). 165 W. Erbguth / T. Mann / M. Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2020, Rn. 360. 166 W. Erbguth / T. Mann / M. Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2020, Rn. 208 ff., 361; T. Dünchheim, in: Dietlein / Ogorek (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Kommunalrecht Hessen, 14. Edition 2021, § 10 HKO Rn. 11 (Stand der Kommentierung: 1. 8. 2021). Vgl. auch P. Axer, NZS 2017, 601 (606). 167 E. Schmidt-Aßmann / H. C. Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rn. 44. Vgl. auch R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909). 168 So etwa J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 787.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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sodass der Behördenaufsicht die Qualität einer Fachaufsicht zukommt.169 Ähnlich steht es mit der sogenannten Ministerialaufsicht als Fall der Behördenaufsicht170, deren Kontrollzweck ist, die Einhaltung der (hierarchischen) Ordnung innerhalb der Ministerialverwaltung durch den Bundesminister an der Spitze der Weisungspyramide zu steuern und auf diese Weise die Verantwortlichkeit des Bundesministers für sein Ressort zu gewährleisten.171 Bei der Ministerialaufsicht geht es also um die umfassende172 Durchsetzungsfähigkeit der Ministeriumsabsichten, die politisch wie auch rechtlich sein können173; mithin die Durchsetzung der Ressort­kompetenz.174 Realisiert wird diese Durchsetzungskraft durch Weisungsketten von der Spitze bis hin zu nachgeordneten Behörden der Ministerialverwaltung und zur Dienstaufsicht175. Dem Bundesminister an der Spitze der Weisungspyramide kommt somit ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu.176 Die Behördenaufsicht kommt übrigens auch im Bereich der Sozialversicherung vor, nämlich dann, wenn die Verwaltungsorganisation der Bundesländer Untergliederungen bei der Aufsicht der Sozialversicherungsträger aufweist. Meist ist dies in größeren Flächenländern der Fall. So etwa in Bayern, wo nach § 6 Abs. 4 Satz 1 des Ausführungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch (AGSG) die Oberversicherungsämter die Fachaufsicht bzw. fachliche Behördenaufsicht über die Versicherungsämter i. S. d. § 92 Satz 1 SGB IV führen. Die in Art. 84 Abs. 3 Satz 1 GG geregelte Bundesaufsicht über die Verwaltung der Bundesgesetze durch die Länder in eigener Angelegenheit ist dagegen keine Fach-, sondern eine bloße Rechtsaufsicht, weil allein das „geltende Recht“ sowie die für den Vollzug verbindlichen Verwal 169

T. Groß, DVBl. 2002, 793 (796). BVerfGE 134, 141 (196). 171 BVerfGE 134, 141 (196). 172 So unterfallen der Ressortkompetenz auch Fragen zur Personal- und Mittelbewirtschaftung. Siehe dazu W. G. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 65 Rn. 7; V. Epping, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 65 Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Mai 2021); A.  Uhle / S .  Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 65 Rn. 27; M.  Schröder, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 65 Rn. 30. 173 R. Herzog, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 65 Rn. 61 (Stand der Kommentierung: Oktober 2008); vgl. auch M. Schröder, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 65 Rn. 30, der von einer Funktionsadäquanz zwischen der eigenverantwortlichen Ressortleitung und der hierarchischen Ministerialverwaltung spricht. 174 J. Bogumil / W. Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, 2009, S. 163. 175 H. P. Bull / V. Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 9. Aufl. 2015, Rn. 392. Siehe bereits H. Klinghoffer, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 86 (1929), 282 (294) – ohne die Hervorhebungen – zu der Differenzierung, dass die Dienstaufsicht „ein pures, durch keine, sohin auch nicht rechtliche Bindungen beschränktes Gewaltverhältnis, die Staatsaufsicht jedoch ein mittels normativer – gesetzlicher oder sonstiger rechtlicher – Vorschriften determiniertes […] Rechtsverhältnis“ ist. 176 A. Uhle / S . Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 65 Rn. 25; V. Epping, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 65 Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 170

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

tungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2 GG und die Einzelweisungen nach Art. 84 Abs. 5 GG den Maßstab bilden.177 (2) Verdichtung der Rechtsaufsicht zur faktischen Fachaufsicht Die Aufteilung der Staatsaufsicht in die Kategorien der Rechts- und Fachaufsicht assoziiert zunächst eine trennscharfe Abgrenzung, die sich aber faktisch nicht halten lässt. Bei näherer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass die Rechtsaufsicht schnell in eine Fachaufsicht umschlagen kann. Der Grund hierfür liegt in einer bedeutsamen Schwäche der Rechtsaufsicht: Ihre Kontrolldichte hängt ganz wesentlich von der Regelungsdichte der als Kontrollmaßstab dienenden Normen ab.178 Denn die geltende Rechtsordnung ist der Prüfungsmaßstab, in den Worten von Heinrich Triepel das „Richtmaß“179, an dem der Soll-Ist-Vergleich zu orientieren ist. Je dichter eine Materie rechtlich ausgeformt ist, umso engmaschiger ist logischerweise die Kontrolldichte der Rechtsaufsicht. Dabei liegt die Dichte des Fachrechts stets in der Hand des parlamentarischen Gesetzgebers. Sein weiter Gestaltungsspielraum bei der Normsetzung ermöglicht es ihm, eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen und in die Rechtsetzung einfließen zu lassen.180 Die vermeintlich trennscharfe Abgrenzung von Rechts- und Fachaufsicht ist deshalb eine Farce. Sie kann durch die Gestaltungsvorstellungen des parlamentarischen Gesetzgebers jederzeit unterlaufen werden. Denn engere Vorgaben des Fachrechts führen dazu, dass die Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers zum Prüfungsmaßstab der Rechtsaufsicht gemacht werden. Ekkehart Stein geht sogar so weit, diese Maßstabsbildung durch Norm- und Verordnungsgebung als „typische Aufsichtstätigkeit“ zu bezeichnen.181 Abwegig ist diese These nicht, wenn bedacht wird, dass die Aufsicht ohne klare Konturen des Fachrechts weitgehend hilflos bliebe.182 Aufsichtsführung und bloße Maßstabsbildung sollten indessen formal getrennt bleiben. Deutlich wird aber, dass der Staat auch über die Rubrik der Rechtsaufsicht eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Entscheidungen sei 177

J. Oebbecke, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 3. Aufl., 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 46; P. Badura, Staatsrecht, 7. Aufl. 2018, Kap. G Rn. 39. 178 R.  Stober / W.  Kluth / M.  Müller / A .  Peilert, Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 85 Rn. 84; R. Pitschas, KrV 2017, 149 (152). 179 H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 111. 180 Die Verwirklichung von Zweckmäßigkeitserwägungen ist gerade genuiner Sinn der Gesetzgebung. Das Parlamentsgesetz als Mehrheitsentscheidung ist nämlich das Medium, mit dem „politische Parteien ihre Vorstellungen in einem geordneten Verfahren in allgemeinverbindliches Recht umsetzen“. Dazu F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 22. 181 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 112. 182 Anschaulich zeigt dies P. Collin, KrV 2017, 133 (135) mit einem Beispiel aus dem frühen Entwicklungsstadium der Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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ner nachgeordneten Behörden und anderen Stellen durchführen kann.183 Je mehr fachliche Vorgaben im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit den formellgesetzlichen Grundlagen der Selbstverwaltung entnehmbar sind, desto weniger besteht Bedarf für eine über die Rechtmäßigkeitskontrolle hinausgehende Überprüfung der Zweckmäßigkeit.184 Damit geht aber keine Steigerung der Kontrollqualität einher, sondern es verändert in den Worten von Jürgen Salzwedel der „Aufsichtsdirigismus obrigkeitsstaatlicher Prägung“ lediglich seine Methode, indem „politische Intervention in juristischem Gewand“ vorgenommen wird.185 Mit anderen Worten kann sich die reine Rechtsaufsicht durch Erhöhung der Regelungsdichte zu einer faktischen Fachaufsicht verdichten.186 In der Kommunalaufsicht betont die Rechtsprechung, dass die Rechtsaufsicht durch Erhöhung der Regelungsdichte des Fachrechts eine derart hohe Intensität erreichen kann, dass sie sich der Fachaufsicht annähert, zur „Einmischungsaufsicht“ wird und auf diese Weise der Selbstverwaltung nicht hinreichend Rechnung trägt.187 Die Schwelle zur „Einmischungsaufsicht“ soll dann erreicht sein, wenn „Entschlusskraft und Verantwortungsfreude“188 des Selbstverwaltungsträgers nicht ausreichend gewürdigt werden.189 Nach Auffassung der Rechtsprechung – erneut zur Kommunalaufsicht – soll aber ein solcher Zustand vermeidbar sein, wenn die Aufsichtsführung verhältnismäßig erfolgt190 sowie verhältnismäßige Aufsichtsinstrumentarien durch den Gesetzgeber bereitgestellt werden191. Nichts anderes muss für die funktionale Selbstverwaltung gelten. Auch hier besteht genauso die Gefahr, dass die als Rechtsaufsicht konstruierte Kontrolle materiell in eine Fachaufsicht umschlägt; auf schleichendem Wege also eine Aushöhlung der Rechtsaufsicht stattfindet. Der hieraus folgende Etikettenschwindel ist, wie auch in der Kommunalaufsicht, durch umsichtige Fachgesetzgebung einerseits und durch verhältnismäßige Aufsichtsführung andererseits zu vermeiden.

183

Ähnlich auch P. Axer, NZS 2017, 601 (606). So auch M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (250 f.); vgl. auch Y.-J. Lee, Die Selbstverwaltung als Organisationsprinzip in der deutschen Sozialversicherung, 1997, S. 110 ff. 185 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (222). 186 Siehe nur BVerfGE 78, 331 (341). 187 Grundlegend BVerfGE 78, 331 (341). Siehe auch VerfGH Nordrhein-Westfalen, NVwZRR 1997, 249 f.; VerfGH Saarland, Urteil vom 29. 6. 2004 – Lv 5/03, juris Rn. 116; Sächsisches OVG, SächsVBl. 2016, 170 (173 Rn. 30); VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2016, 878 (879). 188 Hier orientiert sich die Rechtsprechung an einer Formulierung aus dem Kommunalrecht, auf die bereits an voriger Stelle dieser Untersuchung auf S. 23 hingewiesen wurde. Siehe im Einzelnen § 170 Abs. 1 Satz 3 NKomVG; Art. 117 GemO RP; Art. 108 BayGemO; § 118 Abs. 3 GemO BW; § 111 Abs. 3 SächsGemO; § 9 Abs. 3 Satz 2 AZG Bln; § 119 BbgGemO; § 116 ThürKO; § 135 Satz 2 HGO; § 78 Abs. 1 Satz 2 KV M-V; § 127 Abs. 1 Satz 2 KSVG; § 133 Abs. 1 Satz 2 GO LSA. 189 BVerfGE 78, 331 (342). 190 VerfGH Saarland, Urteil vom 29. 6. 2004 – Lv 5/03, juris Rn. 123. 191 VerfG Brandenburg, LVerfGE 27, 99 (154). 184

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

bb) Zum Unterschied zwischen staatlichen Mitwirkungsrechten und Aufsichtsmitteln der Staatsaufsicht Neben der klassischen Zweiteilung in die Rechts- und Fachaufsicht kennt die Systematik der Aufsichtsinstrumente eine dritte Kategorie192, nämlich die staat­ lichen Mitwirkungsrechte.193 Auf der Grundlage formellgesetzlicher Ermächtigungen194 können Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger von einer Mitwirkungshandlung der Aufsichtsbehörde abhängig gemacht werden. Meist liegt eine solche Mitwirkungshandlung der Aufsichtsbehörde in einem Erlaubnis-, Zustimmungsoder Genehmigungsvorbehalt195, wie er etwa auf den Gebieten der Haushaltsführung, der Satzungsgebung196, der Dienstordnungen197 und der Vermögensverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Anwendung kommt.198 Zu unterscheiden sind die staatlichen Mitwirkungsrechte allerdings von den vielfältigen anderen Formen staatlicher Beteiligung, insbesondere von Anzeige- und Mitteilungspflichten der beaufsichtigten Einrichtungen ohne die Bindung an eine aufsichtsbehördliche Mitwirkungshandlung.199 Gleichwohl kommt es häufig zu Abgrenzungsproblemen, vor allem zu den klassischen Formen der Rechts- und Fachaufsicht. Hauptsächlich wird dies dem Um 192

H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 185 spricht deshalb von einem „Dualismus zwischen den Maßnahmen allgemeiner Staatsaufsicht und den staatlichen Mitwirkungsrechten“. 193 Vgl. hierzu R.  Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 2. Aufl. 1978, S. 113 ff.; M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 11; R.  Steinbach, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, § 29 Rn. 22 (Stand der Kommentierung: April 2004). M.  Kaltenborn, SGb 1999, 444. F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 500 S. 1 (Stand der Bearbeitung: Februar 2016). 194 Zum Vorbehalt des Gesetzes bei staatlichen Mitwirkungsrechten siehe etwa BSGE 58, 247 (251 f.) m. w. N. 195 Eine strikte Differenzierung dieser drei Begriffe scheint an dieser Stelle entbehrlich, weil das Sozialrecht – anders als das Zivilrecht – keine Unterscheidung vornimmt und die Begriffe synonym gebraucht werden. Dazu M. Gaßner / C . J. Scherer, NZS 2015, 166 (169). 196 Explizit dazu M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 13. 197 Zu relevanten Leitentscheidungen hierzu im Überblick F. Schneider et al., Schirmer / Kater /  Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 580 S. 22 ff. (Stand der Bearbeitung: Juni 2014). 198 Eine gute Übersicht wichtiger staatlicher Mitwirkungsrechte bietet im Übrigen F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, 8. Aufl. 2017, Abschn. 500 S. 2 ff. (Stand der Bearbeitung: Februar 2016). Schon in der früheren Kommunalaufsicht kam der Genehmigungsvorbehalt dort zum Einsatz, wo es um finanziell relevante Entscheidungen ging. Dazu H. von Eynern, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82 (1929), 1 (27). 199 F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Lose­blatt, Abschn. 500 S. 3 f. (Stand der Bearbeitung: August 2021). Anders aber K. Baier-Treu, in: Leisner (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Handwerksordnung, § 75 Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Januar 2021), die etwa Genehmigungsvorbehalte den Aufsichtsmitteln zuordnet.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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stand geschuldet sein, dass die Bezeichnung als „staatliche Mitwirkungsrechte“ keinen Rechtsbegriff darstellt200, sodass eine terminologische Unterscheidung zwischen den Instrumenten der Rechts- und Fachaufsicht und den Mitwirkungs­ befugnissen der Aufsichtsbehörden nicht immer konsequent vollzogen wird.201 Eine terminologische Unterscheidung hat jedoch nur dann Sinn, wenn sich die staatlichen Mitwirkungsrechte von den Instrumenten der Rechts- oder Fachaufsicht unterscheiden. In der Tat bilden die staatlichen Mitwirkungsrechte einen Hybrid, der zwischen der Rechts- und Fachaufsicht zu verorten ist.202 Der entscheidende Unterschied liegt in Folgendem: Staatliche Mitwirkungsrechte ermöglichen über die nachträgliche, repressive Kontrolle hinaus gerade auch das präventive steuernde Einschreiten der Aufsichtsbehörden durch ihre Mitwirkungshandlung oder alternativ durch ihr Veto. Sie sind zwar externe Kontrollin­ strumente, verlagern aber die ansonsten rein repressiv ausgeführte Staatsaufsicht zeitlich auf eine präventive Ebene. Mangels echter Weisungsbefugnisse stellen die staatlichen Mitwirkungsrechte allerdings keine „echte“ Fachaufsicht dar.203 Geteilt sind allerdings die Meinungen, ob die Kontrolle auch sachlich erweitert ist. So nimmt etwa eine beachtliche Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum an, dass die Aufsichtsbehörde im Rahmen der Mitwirkungsentscheidung auch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen zum Maßstab machen kann.204 In der Literatur ist vereinzelt eine noch weitreichendere Differenzierung vorgeschlagen worden. So will Jürgen Salzwedel die Genehmigungsvorbehalte nochmals nach ihrem Typus gruppieren. Während das bloße „Unbedenklichkeitszeugnis“ die Spielräume der Selbstverwaltungsträger nicht berührt205, gebe es Mitwirkungsvorbehalte, die auch Zweckmäßigkeitserwägungen ermöglichten206 und solche, die dem Staat ermöglichen sollen, bestimmte Interessen durchzusetzen207. Auch wenn 200

So auch P. Axer, NZS 2017, 601 (607). So bezeichnet beispielsweise das Bundessozialgericht in BSGE 103, 106 (115 f.) das Beanstandungsrecht bzgl. der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 94 SGB V als „Aufsichtsrecht“ des Bundesministeriums für Gesundheit, obwohl hiermit ein Mitwirkungsakt der Aufsichtsbehörde statuiert wird, der für das Inkrafttreten der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses konstitutiv ist. 202 Diese Überlegung flankiert den Befund von Harald Bogs, nach dem es praktisch kaum Unterschiede zwischen einer schonend ausgeübten Zweckmäßigkeitskontrolle und einer weit gefassten Rechtmäßigkeitskontrolle gibt. Dazu H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 217. 203 Siehe dazu Bayerisches LSG, Urteil vom 21. 3. 2017 – L 5 KR 334/15 KL, juris Rn. 26, welches die Bezeichnung als Zweckmäßigkeitskontrolle sogar für „missverständlich“ hält. Vgl. auch M. Kaltenborn, SGb 1999, 444 (449). 204 BSG, Urteil vom 7. 11. 2000 – B 1 A 4/99 R, juris Rn. 12. Zustimmend auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 7. 12. 2016 – L 5 KR 151/16 KL ER, juris Rn. 12. M. Schüffner /  P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 12. Krit. aber M. Gaßner, MedR 2017, 677 (684). Vgl. auch S. Lunk / J. Kassow, NZS 2016, 168 (170). 205 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (245). 206 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (247). 207 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (248). 201

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

diese Typologie zunächst sinnvoll scheint, vermittelt die feinere Unterscheidung einzelner staatlicher Mitwirkungsrechte keinen praktischen Gewinn.208 Ein praktischer Gewinn ergibt sich allerdings aus der Unterscheidung von klassischen Aufsichtsmitteln und staatlichen Mitwirkungsrechten, die in der Aufsichtspraxis miteinander verschwimmen. So lässt sich behaupten, dass die staatlichen Mitwirkungsrechte die repressive Aufsichtsführung „in Form und Tiefe“ anreichern.209 Gleichwohl handelt es sich um im Grunde aber voneinander verschiedene Kontrollsysteme. Eine terminologische Unterscheidung beider Systeme ist deshalb geboten. c) Absicherung der Eigenverantwortlichkeit durch gerichtlichen Rechtsschutz Abgesichert ist die Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsträger überdies über den gerichtlichen Rechtsschutz.210 Voranzustellen ist aber, dass Staatsaufsicht und gerichtliche Kontrolle verschiedene Kontrollsysteme211 sind und deshalb strikt zu trennen sind. Wolfgang Kahl macht den Unterschied zum einen an dem verfassungsrechtlichen unabhängigen und überparteilichen Status des Richters sowie der Spruchkörper212, zum anderen an der Interessenausrichtung der Staatsaufsicht im Gegensatz zum individuellen, subjektiven gerichtlichen Rechtsschutz fest213. Nicht übersehen werden darf, dass auch der Staatsaufsicht ein individuell rechtsschützender Charakter innewohnt, soweit jedenfalls über die Aufsichtsbeschwerde als Ausdruck des in Art. 17 GG geschützten Petitionsrechts unbürokratisch und nicht zwingend unter Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzungen Prüfverfahren in Gang gesetzt werden.214 Der Staatsaufsicht kommt aber kein Kontrollmonopol zu. Vielmehr findet eine effektive Kontrolle der Selbstverwaltungsträger 208

So auch die Kritik von H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 205. LSG Niedersachsen-Bremen, NZS 2015, 226 (227). In eine ähnliche Richtung tendiert auch das Hessische Landessozialgericht, das die Genehmigungsvorbehalte der reinen Rechtsaufsicht zuordnet und hierin gerade keine Zweckmäßigkeitskontrolle erkennt, siehe Hessisches LSG, NZS 2014, 585 (586). Ähnlich auch Bayerisches LSG, Urteil vom 21. 3. 2017 – L 5 KR 334/15 KL, juris Rn. 26. Im Überblick zu den einzelnen staatlichen Mitwirkungsrechten G.-F. Borrmann, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, § 70 Rn. 10a (Stand der Kommentierung: Juni 2019). 210 Vgl. auch H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 191. 211 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 416. 212 Ausführlich zur sachlichen Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Richters H. Sodan, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 113 Rn. 19 ff. 213 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 416 f. 214 H. Plagemann, VSSR 2007, 121 (123); F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 345 passim. (Stand der Bearbeitung: Februar 2016); M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 133 ff. 209

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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auch durch gerichtlichen Rechtsschutz statt. Zwischen gerichtlicher Kontrolle und Staatsaufsicht kann es mithin zu einem Konkurrenzverhältnis kommen, weil beide Kontrollmechanismen unabhängig voneinander funktionieren.215 aa) Gerichtliche Kontrolle als Rückversicherung der Staatsaufsicht Von Bedeutung ist ferner, dass die gerichtliche Kontrolle eine weitere Instanz zur Kontrolle aufsichtsbehördlicher Entscheidungen darstellt. Sie ist also die Kontrolle der Kontrollinstanz. Im deutschen216 Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt diese Aufgabe die Sozialgerichtsbarkeit wahr. Als prozessualen Sonderfall kennt das Sozialrecht mit der Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG ein geradezu auf die Verteidigung der Selbstverwaltung maßgeschneidertes Instrument.217 Ursprünglich sollte die Aufsichtsklage nämlich dann zum Tragen kommen, wenn der Kläger behaupten kann, „daß die Anordnung [der Aufsichtsbehörde] das Aufsichtsrecht überschreitet“.218 Allerdings hat das Bundessozialgericht die Aufsichtsklage schon in früher Rechtsprechung unter historisch-genetischer Berufung auf die Vorgängerregelung in § 377 Abs. 2 RVO a. F. insoweit offen verstanden, als sie sich „gegen aufsichtsbehördliche Anordnungen jeder Art“ richten könne und gerade nicht „den Erlaß eines Verwaltungsaktes“ voraussetze.219 Bloße Beratungen als Vorfeldmaßnahmen der partnerschaftlichen Kooperation220 sind aber keine aufsichtsbehördlichen Anordnungen im Sinne des § 54 Abs. 3 SGG und damit nicht mit der Aufsichtsklage angreifbar.221 Mit Blick auf Vornahme- oder Mitwirkungshandlungen der Aufsichtsbehörden akzeptiert das Bundessozialgericht den Einsatz der Aufsichtsklage zur Begehr begünstigender Aufsichtsanordnungen, soweit geltend gemacht werden kann, hierauf einen Anspruch zu haben.222 Noch weiter geht 215

Ein vermeintliches Vor- und Nachrangverhältnis von Staatsaufsicht und gerichtlicher Kontrolle wird immer wieder unter dem Terminus behauptet, der Staatsaufsicht komme eine Reservefunktion gegenüber der gerichtlichen Kontrolle zu. Siehe zu dieser These allen voran F. E. Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52 Rn. 101. Ausführlicher zur Diskussion dieser These unten S. 159 ff. 216 Einen kompakten internationalen Vergleich der Rechtsschutzmöglichkeiten im Bereich der sozialen Absicherung bieten R. Busse / R . B. Saltman / H. F. W. Dubois, in: Saltman / Busse /  Figueras (Hrsg.), Social health insurance systems in western Europe, 2010, S. 43 ff. 217 So formuliert auch das Bundessozialgericht selbst, BSG, Urteil vom 17. 11. 1999 – B 6 KA 10/99 R, juris Rn. 16. 218 BSGE 29, 21 (24); siehe auch BSGE 52, 32; 86, 203 (205) – Hinzufügung durch den Verfasser. 219 BSGE 29, 21 (24); vgl. auch BSGE 55, 268 (269), 61, 254 (257); 76, 93 (93 f.). 220 Siehe zu diesem Begriff nur BSGE 67, 78 (83 f.). 221 BSGE 61, 254 (257 f.). Dagegen aber P. Hinz, ZfS 2001, 323 (328), der unter Verweis auf Art. 19 Abs. 4 GG auch in solchen Fällen § 54 Abs. 3 SGG analog anwenden will. 222 BSGE 55, 268 (269); 56, 191 (192); 61, 235 (236); 69, 72 (73); 76, 93 (93 f.). Krit. hierzu F. E. Schnapp, in: ders. / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, Rn. 57, der in diesen Fällen die Verpflichtungsklage für die einschlägige Klageart hält. Siehe auch F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 750 S. 13 (Stand der Bearbeitung: Juli 2012), die hier allerdings von einer Verpflichtungsklage sprechen.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

das Bundessozialgericht, wenn es formuliert, dass die Aufsichtsklage auch dann herangezogen werden soll, soweit sich ein Selbstverwaltungsträger gegen Maßnahmen einer Stelle wendet, die nicht ihre Aufsichtsbehörde ist, deren Maßnahmen aber Wirkungen vergleichbar einer Aufsichtsmaßnahme entfalten.223 bb) Spezifischer Rechtsschutz über die Aufsichtsklage Die Aufsichtsklage ist nach dem offenen Verständnis des Bundessozialgerichts nicht bloß ein Sonderfall der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage224, sondern ein Hybrid, der auch Rechtsschutz in Bezug auf solche Maßnahmen bereitstellt, deren Qualität nicht die eines Verwaltungsakts aufweisen. Soweit bei Anwendung der Aufsichtsklage auf § 54 Abs. 3 SGG Bezug genommen wird, ist durchaus fraglich, ob dieser Vorschrift eine derart konstitutive Bedeutung zukommt, einen neuen Klagetypus zu schaffen. Friedrich E.  Schnapp lehnt dies mit der Begründung ab, die Aufsichtsklage könne auch über andere Klagearten abgebildet werden.225 § 54 Abs. 3 SGG sei stattdessen nur ein Einfallstor für die Selbstverwaltungsträger in der Sozialversicherung zur Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, weil nach früherer Rechtslage unklar war, ob Träger mittelbarer Staatsverwaltung befugt sind, gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ministerialverwaltung in Anspruch zu nehmen. Diese Unsicherheit wollte der Gesetzgeber des Sozialgerichtsgesetzes beseitigen. Schnapp klassifiziert § 54 Abs. 3 SGG deshalb, im Übrigen wegen der semantischen Nähe der Formulierung in § 54 Abs. 3 SGG zu § 42 Abs. 2 VwGO, als Kodifikation der Klagebefugnis.226 Gegen diese Auffassung spricht allerdings, dass die Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen ein die Klagebefugnis begründendes subjektives Recht aus der einfachgesetzlich verliehenen Selbstverwaltung in Verbindung mit der Verleihung von Rechtsfähigkeit gefolgert hat. Aufsichtsrechtliche Verfügungen können deshalb unter Berufung auf eine mögliche Verletzung des Selbstverwaltungsrechts gerichtlich angegriffen werden.227 Würde § 54 Abs. 3 SGG selbst nur die Klagebefugnis der Selbstverwaltungsträger statuieren, käme der Vorschrift nicht mehr als bloß deklaratorische Wirkung zu.

223 BSGE 109, 34 (36 Rn. 16). Siehe auch BSG, Urteil vom 17. 11. 1999 – B 6 KA 10/99 R, juris Rn. 16; W.  Keller, in: Meyer-Ladewig / ders. / Leitherer / Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 19. 224 So etwa S. Mink, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 54 SGG Rn. 8 (Stand der Kommentierung: Juni 2021). 225 F. E. Schnapp, in: ders. / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, Rn. 56 f. 226 F. E. Schnapp, in: ders. / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, Rn. 58. 227 BSGE 58, 247 (249). Vgl. dazu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. 6. 2010 – L 11 KR 199/10 KL, juris Rn. 38. Aufsichtsmaßnahmen entfalten aber nach Auffassung der

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Die Auffassung von Schnapp ist überzeugend. Auch der Wortlaut des § 54 Abs. 3 SGG stützt sie. Wenn es heißt, eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts könne mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wird durch den bewusst so gesetzten Artikel der Bezug auf die Klage nach § 54 Abs. 1 SGG erkennbar. Anderenfalls hätte analog zu § 54 Abs. 1 SGG formuliert werden können, dass durch Klage eine Aufsichtsanordnung von den betroffenen Körperschaften angegriffen werden kann. Ob die Aufsichtsklage in § 54 Abs. 3 SGG ausdrücklich kodifiziert ist oder nicht, hat allerdings kaum praktische Auswirkungen. Ist die hier vertretene Auffassung zutreffend und handelt es sich bei der Aufsichtsklage um eine Unterkategorie der Anfechtungsklage, dann wird in § 54 Abs. 3 SGG lediglich deklaratorisch festgehalten, dass die Körperschaften zur Erhebung dieser Klage befugt sind. Ob eine solche Klarstellung überhaupt nötig wäre, darf mit Recht bezweifelt werden. Wichtiger noch als die juristisch exakte Fundierung der Aufsichtsklage ist indes die grundsätzliche Erkenntnis, dass mit der Aufsichtsklage ein Rechtsmittel zur Sicherstellung der Richtigkeit aufsichtsbehördlicher Anordnungen regelmäßig zur Verfügung steht. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der gerichtliche Rechtsschutz mit der Aufsichtsklage nicht zwingend enden muss. Vielmehr kommt, unter Berufung auf eine etwaige Wiederholungsgefahr, der Übergang zu einer Feststellungsklage nach § 55 SGG in Betracht, wenn sich Aufsichtsverfügungen erledigen. Praktisch bedeutsam ist dieser Fall bei Zwangsetatisierungen durch die Aufsichtsbehörde.228 cc) Rechtsschutz im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger Auch im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger kann gerichtlicher Rechtsschutz in Frage kommen. So hat das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass auch die einzelnen Mitglieder, dogmatisch gestützt auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit229, von ihren Selbstverwaltungskörperschaften die Einhaltung des Verbandszwecks verlangen, sich also gegen unnötigen Verbandszwang im Zweifel gerichtlich wehren können.230 In einem Urteil vom 17. Dezember 1981 hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, Art. 2 Abs. 1 GG gewähre Rechtsprechung keinen Drittschutz, sodass etwaige Dritte nicht nach Maßgabe der Schutznormlehre zur Klage befugt sein können. Dazu BSGE 98, 129 (130 f. Rn. 13) m. w. N. Vgl. dazu auch die Fälle der Klagebefugnis von gesetzlichen Krankenkassen und Landesverbänden in der Verwaltungsgerichtsbarkeit H. Sodan, in: ders. / Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 450. 228 Ausführlicher dazu F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 750 S. 12 (Stand der Bearbeitung: Januar 2011). 229 Ausführlicher hierzu W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 297 f. 230 BVerwGE 59, 231 (237); 64, 298 (301 Rn. 16); vgl. bereits BVerwGE 59, 242 (247), wonach der Gesetzgeber institutionelle Vorkehrungen für einen wirksamen Individualrechtsschutz gegen unzulässige Tätigkeiten des Selbstverwaltungsträgers schaffen muss.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht „nicht nur das Recht […], von der Mitgliedschaft in einem ‚unnötigen‘ Verband verschont zu bleiben, sondern [räume] dem einzelnen Mitglied auch ein Abwehrrecht gegen solche Eingriffe des Verbandes in seine Handlungsfreiheit [ein], die sich nicht im Wirkungskreis legitimer öffentlicher Aufgaben halten oder bei deren Wahrnehmung nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird […]. Ein Verband mit Pflichtmitgliedschaft darf sich nur insoweit betätigen, als ihm auch der Gesetzgeber ein Betätigungsfeld eröffnen darf. Wo es dem Gesetzgeber versagt ist, Verbandsaufgaben zu bestimmen, die den Anspruch des einzelnen auf Freiheit vor unzulässiger Pflichtmitgliedschaft verletzen, fehlt auch dem Verband die Befugnis, sich ein entsprechendes Betätigungsfeld zu schaffen.“231

Eine vollwertige „Konkurrenz“ zu den internen Kontrollmöglichkeiten auf administrativer Ebene bietet diese Rechtsschutzmöglichkeit zwar nicht; gleichwohl kann von innen heraus Grenzüberschreitungen der Körperschaften entgegen­ getreten werden. 3. Befund zu den Spannungen zwischen Eigenverantwortlichkeit und Fremdbestimmung Als Zwischenbefund für das Spannungsverhältnis von eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung und Fremdbestimmung durch staatliche Aufsicht kann folgende Bilanz gezogen werden: Es entspricht geradezu einhelliger Auffassung, dass beide Seiten dieser Spannungslage Komplementäre sind, die sich gegenseitig bedingen. Auf keine der beiden Seiten kann bei Beibehaltung der Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung verzichtet werden, sodass zwingend nach einem Ausgleich zu suchen ist. Auch ist kaum überraschend, dass dieser Ausgleich grundsätzlich nur gelingen kann, wenn die Staatsaufsicht auf eine reine Rechtsaufsicht begrenzt bleibt, weil die Weisungsbefugnis der Fachaufsicht die Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsträger faktisch beseitigt. Von Bedeutung ist aber, dass die Gefahr besteht, dass sich die Rechtsaufsicht leicht zu einer Fachaufsicht verdichten kann, weil die Qualität der Rechtsaufsicht maßgeblich von den Vorgaben des Fachrechts abhängt. Die Beschränkung der Staatsaufsicht auf die reine Rechtsaufsicht ist deshalb nicht lediglich von der gesetzlichen Konstruktion der Staatsaufsicht abhängig, sondern in zumindest gleichem Maße auch von der Ausgestaltung des Fachrechts. Auch das Fachrecht muss deshalb „selbstverwaltungsfreundlich“ konzipiert sein, was voraussetzt, dass Wertungsfragen auf der Detailebene nicht restlos durch den parlamentarischen Gesetzgeber oder die Ministerialverwaltung kraft Verordnungsermächtigung selbst ausgefüllt werden. Insoweit trägt der parlamentarische Gesetzgeber die maßgebliche Verantwortung dafür, dass die Rechtsaufsicht weder durch exzessive Fachgesetzgebung noch durch eine zu strenge Konstruktion der Staatsaufsicht zu einer faktischen Fachaufsicht mutiert. Bei den Überlegungen zum Ausgleich der Spannungslage ist dieser Umstand zwingend zu berücksichtigen. 231

BVerwGE 64, 298 (301 Rn. 16) unter Bezugnahme auf BVerwGE 59, 231 (237 f.).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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II. Dezentralisierung contra hierarchische Struktur der unmittelbaren Staatsverwaltung Für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist darüber hinaus eine zweite Perspektive des Spannungsverhältnisses von Bedeutung. Ausgehend von der verselbstständigten Organisation der Selbstverwaltungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Tragweite der dort wahrgenommenen Aufgaben wird schnell klar, dass über sensible Bereiche des Gesundheitswesens außerhalb des hierarchisch organisierten Staatsapparates entschieden wird. Die Entkopplung aus der Hierarchie der unmittelbaren Staatsverwaltung gehört zu den Charakteristika der Selbstverwaltung; die Kontrolle der Staatsaufsicht reintegriert die Selbstverwaltungsträger in diese Strukturen. Hierdurch entstehen Spannungen zwischen der Dezentralisierung als organisatorischem Konzept und der Einbindung in die Kontrollmecha­nismen der Staatsaufsicht, die der unmittelbaren Staatsverwaltung zugehörig ist.232 1. Dezentralisierung als Kernelement funktionaler Selbstverwaltung Ausgangspunkt der Überlegungen ist erneut der Gedanke des „Selbst“-Verwaltens, das eine Eigenverantwortlichkeit im Sinne bestimmter Entscheidungsspielräume der Betroffenen in einem grundsätzlich weisungsfreien Rahmen erfordert.233 Dazu bedarf es aber einer geeigneten organisatorischen Infrastruktur, die die hierarchisch strukturierte und weisungsgebundene Ministerialverwaltung234 jedenfalls nicht in hinreichendem Ausmaß bieten kann. a) Dezentralisierung als notwendige Voraussetzung von Selbstverwaltung Die hierarchisch gegliederte Ministerialverwaltung und die Selbstverwaltung stellen nämlich zwei von Grund auf verschiedene Konzeptionen von Administration dar, die sich beide, wenngleich unterschiedlich, in die Logik des (modernen) demokratischen Rechtsstaates einfügen.235 Beachtlich ist zunächst, dass das Modell eines hierarchisch organisierten, zentralisierten Staates, dessen Wurzeln im fürstlichen Absolutismus verortet werden236, auch heute unerlässliche Grundlage des 232

Vgl. dazu bereits die Ausführungen bei BSGE 58, 247 (251). Statt vieler nur W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 236, 262. 234 Zur Relevanz hierarchischer Strukturen in der unmittelbaren Staatsverwaltung H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 127 f.; J.  Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 68; M. Döhler, in: Voigt / Walkenhaus (Hrsg.), Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, 1. Aufl. 2006, S. 15. 235 Vgl. S. Muckel, NZS 2002, 118 (120). 236 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 36. 233

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

demokratischen Rechtsstaates ist. Demokratie verlangt in den Worten von Horst Dreier „nach strikter Determination des Verwaltungshandelns, nach Durchsetzung des legalen Willens mit Hilfe eines loyal-gehorsamen Verwaltungsstabes“237, damit der Wille des Volkes, ausgedrückt durch den Willen des unmittelbar demokratisch gewählten Gesetzgebers, bis in die letzten Verästelungen des Verwaltungsapparates durchgesetzt werden kann.238 Zugleich sichert der gehorsame Beamtenapparat die Verwirklichung politischer Gestaltungsideen ab. Deshalb ist der Verwaltungsapparat von einer institutionellen Kontinuität geprägt, die sogar gegen erhebliche Umbauten der Staatsarchitektur resistent zu sein scheint.239 Nach einem anderen Sinnbild ist die unmittelbare Staatsverwaltung mit der zentralisierten, hierarchischen Organisation als „Maschine“ konzipiert240, mit der organisatorisch und institutionell die Voraussetzungen für die Umsetzung des Volkswillens geschaffen werden. Insoweit ermöglichen Zentralisierung und Hierarchie die Umsetzung dessen, was der demokratische Willensbildungsprozess hervorbringt.241 Am Beispiel der Ministerialverwaltung lässt sich verdeutlichen, welche Konsequenz die zentralisierte und hierarchische Struktur für die administrative Kontrolle hat. Der Minister an der Spitze eines Fachressorts kann seine Verantwortung gegenüber dem Parlament nur dann effektiv wahrnehmen, wenn er innerhalb seines Ressorts über umfassende Durchgriffsrechte in seinem Geschäftsbereich verfügt.242 Entsprechendes gilt für die nachrangigen Einheiten, sodass sich in der administrativen Kontrolle der Ministerialverwaltung eine Weisungspyramide ergibt.243 237

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 127 f. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 128. 239 Die Kontinuität des Verwaltungsapparates zeigt sich etwa darin, dass dieser nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II und der Ausrufung der Republik der „Beamtencorps“ quasi nahtlos weiterarbeitete. Und mehr noch: Friedrich Ebert sah sich offenbar gezwungen, den Verwaltungsapparat zur Weiterarbeit zu bitten, damit ein Aufrechterhalten des Staatsbetriebes überhaupt möglich war. Dazu mit einschlägigen Zitaten und Nachweisen J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1985, S. 70 f. 240 Zu diesem Sinnbild auch H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 36 ff. 241 Von einer Komplementärfunktion spricht M.  Döhler, in: Voigt / Walkenhaus (Hrsg.), Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, 2006, S. 15, was im Ergebnis aber auf einen ähnlichen Standpunkt hinausläuft. Vgl. auch J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 68, der darauf hinweist, dass die „Verwaltung der Demokratie“ einer Hierarchie bedarf, während sie sich gerade nicht demokratisieren und politisieren lasse. 242 Vgl. BVerfGE 134, 141 (196); M.  Döhler, in: Voigt / Walkenhaus (Hrsg.), Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, 2006, S. 15. Siehe auch M. Schröder, in: von Mangoldt / K lein /  Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2: Artikel 20 bis 82, 6. Aufl. 2010, Art. 65 Rn. 30. 243 R. Herzog, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 65 Rn. 59 (Stand der Kommentierung: Oktober 2008). 238

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Weil die Ministerialaufsicht deshalb nicht auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt bleiben kann, ist sie ihrem Wesen nach eine Fachaufsicht.244 Nochmals sei daran erinnert, dass es in der Selbstverwaltung dagegen ganz wesentlich darauf ankommt, dass gesellschaftliche Gruppen in eigener Verantwortung die Ordnung der sie berührenden Angelegenheiten mitgestalten können.245 Das verlangt – in gleichwohl gesetzlich umgrenzten Rahmen – eigene Gestaltungsspielräume und eine grundsätzliche Weisungsfreiheit.246 Gerade Letzteres ist der hierarchisch organisierten Ministerialverwaltung fremd; genauso wenig verträgt sich eine umfassende Fachaufsicht mit den Grundgedanken der Selbstverwaltung, weil sie den Sinn, gesellschaftlichen Kräften administrative Gestaltungsspielräume zu vermitteln, zunichte macht.247 Eberhard Schmidt-Aßmann formuliert dazu den Befund, dass „Selbstverwaltung in Stil und Selbstverständnis den Darstellungsweisen der hierarchisch organisierten staatlichen Entscheidungszüge nicht vollständig assimiliert werden“ dürfe, weil es gerade ihr Spezifikum sei, „den Prozeß fortlaufender Durchdringung“ von Staat und Gesellschaft „organisiert zu fördern“.248 Selbstverwaltung muss deshalb organisatorisch von der Ministerialverwaltung getrennt sein. Sie braucht ein gewisses Maß an Distanz vom Staat.249 Die damit besiegelte Existenz verschiedener Optionen öffentlicher Verwaltung statuiert zugleich eine administrative Gewaltenteilung; zu der zentralisierten und hierarchischen unmittelbaren Staatsverwaltung schafft die Selbstverwaltung ein „institutionelles Gegengewicht“.250 Mit der Überantwortung von Verwaltungstätigkeit an gesellschaftliche Kräfte geht somit zwangsläufig eine Auslagerung aus dem Verwaltungsapparat, aus der „Maschine“, einher. Es findet mit anderen Worten eine Dezentralisierung statt, die im Kontrast zu der zentralisierten und hierarchischen Organisation der unmittelbaren Staatsverwaltung steht.251 244

Siehe hierzu bereits oben S. 59. R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 285; ders., in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 14; W. Schmähl, Wirtschaftsdienst 2010, 474 (476); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (195). 246 R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 285; ders., in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 35; H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 129 ff. Entsprechendes gilt auch im Verhältnis von kommunaler Selbstverwaltung und unmittelbarer Staatsverwaltung. Dazu statt vieler H. P. Aust, Das Recht der globalen Stadt, 2017, S. 94. 247 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 35; P. Axer, NZS 2017, 601 (606). 248 E.  Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 259. 249 F. Hase, MedR 2018, 1 (9). 250 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 79. 251 Zur Dezentralisation als wichtige Eigenschaft der Selbstverwaltung siehe R.  Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 345. Vgl. auch W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (264); J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 778. 245

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Selbstverständlich bedeutet Dezentralisierung nur eine organisatorische Entkopplung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung, keineswegs aber eine Gesetzesoder gar Kontrollfreiheit.252 Das Parlamentsgesetz formt nach wie vor die Leitplanken, auch für die Selbstverwaltung. Rudolf von Gneist stellte bereits früh fest, dass es Selbstverwaltung nur im Rahmen eines „vollständig durchgebildeten Verwaltungsrechts“ geben könne.253 Dieser Auffassung war auch Heinrich Rosin, der formulierte, dem „staatlichen Gesetzgebungsrechte steht das staatliche Aufsichtsund Genehmigungsrecht dadurch gegenüber, daß es als Äußerung der staatlichen Verwaltung nur auf Grund und im Rahmen des Rechts gegeben ist“.254 Gleichwohl muss aber in Rechnung gestellt werden, dass das demokratische Prinzip gerade offen für die Dezentralisierung von Macht ist. Das hat das Bundesverfassungs­ gericht in seinem berühmten NATO-Doppelbeschluss vom 18. 12. 1984 klargestellt. Es führt aus, die in Art. 20 Abs. 2 GG „als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient […] der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken“.255 Das Grundgesetz normiert nämlich ein „Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle“, das nicht durch einen „Gewaltenmonismus“ in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden darf. „Die Demokratie, die das Grundgesetz verfaßt hat, ist eine rechtsstaatliche Demokratie, und das bedeutet im Verhältnis der Staatsorgane zueinander vor allem eine gewaltenteilende Demokratie“.256 In der Tat ist zu betonen, dass die Selbstverwaltung nur befugt ist, diejenigen Aufgaben eigenverantwortlich zu erfüllen, die ihr gesetzlich zugewiesen sind. Der Selbstverwaltung kommt – mit den Worten von Friedrich E. Schnapp – kein Aufgabenerfindungsrecht zu.257 Anders als dies zu vorkonstitutioneller Zeit für die Träger kommunaler Selbstverwaltung galt258, wird die gesamte Selbstverwaltung in ihrem Umfang generell durch den Vorbehalt des Gesetzes begrenzt, der eine Kompetenz-Kompetenz der Selbstverwaltungsträger regelmäßig ausschließt.259 252

Allgemein dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 375. Vgl. hierzu R. von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, 1870, S. 8. 254 H. Rosin, Das Recht der Öffentlichen Genossenschaft, 1886, S. 102 f. 255 BVerfGE 68, 1 (86). 256 BVerfGE 68, 1 (87). 257 F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (194). Dazu auch F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (390). 258 H. von Eynern, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82 (1929), 1 (17). 259 Grundlegend dazu BVerfGE 33, 125 (159). Damit steht die heute gesetzesgebunden ausgestaltete Selbstverwaltung in Kontrast zu dem offenen Selbstverwaltungsverständnis in Preußen, wo die Selbstverwaltungskörperschaften den Zweck hatten, alle Beziehungen des 253

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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Auf diese Weise sichert der Vorbehalt des Gesetzes den materiellen Umfang der Selbstverwaltung ab; zugleich schafft er ein Steuerungsinstrument, mit dem die gesetzgebende Gewalt auf die Selbstverwaltung Einfluss nehmen und deren Befugnisse regulieren kann. Dezentralisierung befreit die Selbstverwaltungsträger also nicht vor Neu- oder Umgestaltungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Sie schützt aber vor der kontinuierlichen politischen Steuerung. Während in den einzelnen Fachressorts der Ministerialverwaltung auch und gerade politisch gestaltet wird, bleibt die dezentralisierte Selbstverwaltung von den politischen Einflüssen stärker abgeschirmt. Josef Isensee weist darauf hin, dass sich durch die dezentralisierte Struktur eine „faktische Autonomie der Verwaltung“ einstelle, die sich verstärkt, „wenn die jeweilige Organisation mit Rechtsfähigkeit und Selbstverwaltungsrecht ausgestattet und damit gegen politische Einwirkung der Regierung auch rechtlich abgeschottet ist“.260 Mit dieser Abschirmung von staatlichem Einfluss steigen zugleich die Freiräume für gesellschaftliche Selbstbestimmung; Dezentralisierung leistet so in weiterem Sinne einen Beitrag zur Demokratisierung von Lebensbereichen.261 b) Das „juristische“ Verständnis von Selbstverwaltung Die dezentralisierte Struktur ist spätestens seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland in den dogmatischen Grundlagen der Selbstverwaltung enthalten. In der heutigen Ordnung ist mithin anerkannt, dass Selbstverwaltung regelmäßig nicht durch „freie Träger“, sondern durch rechtsfähige Organisationseinheiten ausgeübt wird, die in den Staatsverband (mittelbar) eingegliedert sind und der eigenverantwortlichen Erledigung öffentlicher Angelegenheiten der Betroffenen nachkommen.262 Diese Ausprägung von Selbstverwaltung wird gemeinhin als „juristische Selbstverwaltung“, teilweise auch als „rechtliche Selbstverwaltung“ bezeichnet.263 öffentlichen Lebens innerhalb ihres Aufgabenbereiches auszugestalten. Die Autonomie der Gemeinden wurde ausschließlich durch die staatliche Aufsicht begrenzt. Dazu H. von Eynern, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82 (1929), 1 (17). 260 J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 71 f., der im Übrigen die Krankenversicherung ausdrücklich als solchen Bereich benennt. 261 E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 108. 262 Vgl. J.  Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (216); R.  Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 19. 263 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 13; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, § 12, S. 399; M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (258); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (193). Zur Kritik an der sogenannten juristischen Selbstverwaltung W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (264). Vgl. auch E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 473, der die zunehmende Mobilität der Bevölkerung oder den Bevölkerungszuwachs als Ursachen für den Zuwachs der Selbstverwaltungsaufgaben und folglich für das Erfordernis einer Spezialisierung der Selbstverwaltung erkennt.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Damit wird auch in der Theorie dem praktischen Umstand Rechnung getragen, dass die Lebenssachverhalte immer komplexer werden und für den Einzelnen kaum mehr durchschaubar sind, sodass weitreichende sozialpolitische Entscheidungen nicht ohne Weiteres von ehrenamtlich tätigen Bürgern getroffen werden können.264 Die „Verrechtlichung“ des Selbstverwaltungsgedankens entspricht somit dem Bedürfnis einer spezifischeren, professionelleren Selbstverwaltung. Damit ist ein wichtiger Grundstein gelegt worden, um Selbstverwaltung für Bereiche außerhalb der Kommunen kompatibel zu machen.265 Selbstverwaltung lässt sich seither zur organisatorischen Disziplinierung für verschiedenste Bereiche, auch im privatrechtlichen Bereich, fruchtbar machen.266 Bereits in der Weimarer Republik setzte in der Staatsrechtslehre ein Denken ein, das dem organisatorisch-institutionellen Verständnis von Selbstverwaltung einen deutlichen Vorzug vor der Betroffenenpartizipation gab.267 Nicht von der Hand zu weisen ist aber folgendes: Die Kopplung der Selbstverwaltungsidee an rechtsfähige Einrichtungen führt dazu, dass sich die gesamte Selbstverwaltungskonzeption immer mehr von ihren eigentlichen Ursprüngen entfernt. Die Aufgabenerfüllung durch Ehrenamtliche nach der Gneist’schen Konzeption ist etwas Grundverschiedenes zu der Erfüllung der Aufgaben durch rechtsfähige Verbände.268 Hinzu kommt, dass bei einer „Verrechtlichung“ die Selbstverwaltung von der mittelbaren Staatsverwaltung kaum mehr unterscheidbar ist.269 Als wichtiger Vertreter des nachkonstitutionellen Schrifttums spitzt Ernst Forsthoff diese Überlegung zu, indem er letztlich Selbstverwaltung und mittelbare Staatsverwaltung inhaltlich gleichsetzt und die Konzeptionen lediglich terminologisch anhand verschiedener Blickwinkel unterscheidet. Während die Bezeichnung als Selbstver 264

Vgl. hierzu auch R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 346. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, § 12 I 4 S. 400. 266 R.  Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 281 f.; ders., in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 26; G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (134); E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 476. Krit. zu der Formulierung der „Disziplinierung“ aber ausdrücklich W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 221, weil hiermit die historischen Rahmenbedingungen der Selbstverwaltungsidee nicht hinreichend gewürdigt seien. 267 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 189. 268 E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 474. Einen guten Überblick über das Verbandswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung bietet S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 345. 269 Vgl. etwa E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 478; vgl. auch S. 471, nach dessen Auffassung die Selbstverwaltung des 19. Jahrhunderts „zunächst auf begrenzterem Gebiet, eine Vorform der mittelbaren Staatsverwaltung“ ist. Ablehnend W.  Wertenbruch, SGb 1975, 261 (262). Dagegen offen gelassen K.  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, § 12 I 6 S. 402. Vgl. auch G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (130) sowie a. a. O. S. 138, wenn Schuppert in Bezug auf die ambivalente Stellung der berufsständischen Selbstverwaltung von einer „Doppelnatur“ spricht. 265

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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waltung das „Eigenleben“ des Verwaltungsträgers in den Vordergrund stelle, sei der Begriff „mittelbare Staatsverwaltung“ auf die Betonung der Abhängigkeit vom Staat gerichtet.270 Die korporativ-genossenschaftliche Ausprägung findet keine Berücksichtigung mehr; diese sieht Forsthoff durch eine stark ausgeprägte staatliche Aufsicht als nahezu getilgt an.271 An diesem erstmals in dieser Deutlichkeit von Forsthoff formulierten Befund ist zutreffend, dass sich Selbstverwaltung und mittelbare Staatsverwaltung nicht kategorisch ausschließen.272 Ernsthaft streitbehaftet ist dies heutzutage nicht mehr; insbesondere dann, wenn Selbstverwaltungsträger als Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts organisiert sind, liegt nämlich die Qualifizierung als Einrichtungen mittelbarer Staatsverwaltung auf der Hand. Die körperschaftlich organisierten gesetzlichen Krankenkassen273 sind wie die ebenso körperschaftlich organisierten Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen274 Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und zugleich mit Selbstverwaltung aus­ gestattet. Gleichwohl bedeuten mittelbare Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nicht dasselbe. Kein sicheres Abgrenzungskriterium ist für sich genommen der Mitgliedsschaftsstatus, der – angelehnt an Winfried Kluth formuliert – seinen Mitgliedern einen status activus zur Teilhabe an den im Rahmen der Selbstverwaltung anstehenden Aufgaben verleiht275 und von besonderem Wert ist, weil ihm keine einschneidenden Pflichten gegenüberstehen276. Zu diesem Ergebnis gelangt man nur, wenn trotz der Anreicherung der Selbstverwaltungsidee durch eine juristische Komponente das Prinzip der Betroffenenmitwirkung weiterhin besteht oder, in den Worten von Reinhard Hendler, „lebendig bleibt“.277 Im Ergebnis muss es mithin auf die Möglichkeit der Betroffenenbeteiligung für alle Mitglieder des Selbstverwaltungsträgers ankommen. Fehlt diese Option – Reinhard Hendler führt hier beispielhaft die Deutsche Bundesbank an – handelt es sich zwar um mittelbare 270

E.  Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 478. Forsthoff geht soweit, der Selbstverwaltung eine „Mittlerstellung“ zwischen dem Vereinswesen und der unmittelbaren Staatsverwaltung zuzuschreiben, hierzu ebd., S. 472. 271 E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 477 f. 272 Dagegen steht aber eine im Schrifttum noch häufig vertretene Auffassung, mittelbare Staatsverwaltung lasse sich keinesfalls mit den Elementen der Selbstverwaltung in Einklang bringen. So etwa J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (232) m. w. N.; W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (262); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 452 ordnet sie sogar als „dritte Kategorie“ neben der unmittelbaren und der mittelbaren Staatsverwaltung ein. 273 So etwa P.-G. Stäbler, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 29 SGB IV Rn. 11 (Stand der Kommentierung: März 2021). 274 Vgl. für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen auch K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 20 Rn. 15. 275 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 303. 276 W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 305. 277 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 14.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Staatsverwaltung, aber nicht um Selbstverwaltung.278 Dieser Befund deckt sich mit an anderer Stelle angestellten Überlegungen, nach denen die Selbstverwaltung über die rechtliche-organisatorische Verselbständigung hinaus ein „Mindestmaß“ an Selbstbestimmung behalten muss.279 Das Element der Betroffenenpartizipation verschafft der Selbstverwaltung gerade ein „Mehr“ an Demokratie und Selbstbestimmung, das die Selbstverwaltung von der mittelbaren Staatsverwaltung unterscheidbar macht.280 Nach alledem ist eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Durch den juristischen Ansatz der Selbstverwaltungsdefinition ergeben sich Schnittmengen dieser Organisationsform mit der mittelbaren Staatsverwaltung. Gleichwohl überlagert die juristische Selbstverwaltungskomponente die politische nicht, sondern ergänzt sie lediglich. Über das Element der Betroffenenbeteiligung lässt sich Selbstverwaltung von mittelbarer Staatsverwaltung abgrenzen. 2. Bindeglieder von dezentralisierter Selbstverwaltung und hierarchisierter Staatsaufsicht Dezentralisierung gehört nach alledem zu den grundlegenden Prinzipien der Selbstverwaltung, während die unmittelbare Staatsverwaltung durch eine zentrale Struktur und durch Hierarchie geprägt ist. Beide Seiten können allerdings in Spannung geraten. Im Gefüge eines Rechtsstaates ist nämlich die wechselseitige Kontrolle aller Teilgewalten des Staates – in welcher Form auch immer – schlechthin unverzichtbar. Sie gehört zwingend zu jedem planvoll ausgeführten staatlichen Handeln. Hierbei hat die Organisationsform keinen Belang; wechselseitige Kontrolle findet in allen Bereichen des Staates statt.281 So auch in der Selbstverwaltung. Die Kontrolle der Selbstverwaltungsträger findet im Rahmen der Staatsaufsicht statt. Sie ist sozusagen das Bindeglied von dezentralisierter Selbstverwaltung und zentralisierter hierarchischer Ministerialverwaltung. In zweierlei Hinsicht ist diese Verbindung von Bedeutung.

278

R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 285; ders., in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 28. 279 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1 – Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl. 1984, § 12 S. 397 f. Darüber hinaus verweist E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 116 auf Verwaltungsaufgaben, die ohne ein Mindestmaß an Betroffenenmitwirkung nicht sinnvoll erfüllt werden können. 280 E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 108; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 229 f. 281 P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 224.

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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a) Staatsaufsicht als verbindendes Element mit der unmittelbaren Staatsverwaltung Zunächst ist die Staatsaufsicht ein verbindendes Element aus rechtsstaatlicher Perspektive. Sie stellt sicher, dass die dezentralisierten Einrichtungen der Verwaltung der Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament unterliegen. Denn während durch das Parlamentsgesetz der rechtliche Rahmen der Selbstverwaltung definiert wird, kann die Staatsaufsicht über die allgemeine Rechtsaufsicht sowie die besonderen Aufsichtsmittel282 die Einhaltung dieses gesetzlichen Rahmens prüfen und durchsetzen. Allein über den rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes wäre eine Bindung an den Volkswillen nicht erreichbar. Die Idee, das Handeln der Verwaltung unter den Vorbehalt des Gesetzes zu stellen, hat zwar eine rechtsstaatliche bedeutsame Funktion dahingehend, Normsetzungskompetenzen von Legislative und Exekutive voneinander abzugrenzen und so einen wichtigen Beitrag zur Gewaltenteilung zu leisten.283 Die lückenlose Umsetzung des Volkswillens, der sich in den normativen Entscheidungen des Parlaments widerspiegelt, verlangt aber nicht nur nach gesetzlicher Anleitung und Transparenz284, sondern zugleich nach Kontrolle und Durchsetzbarkeit, notfalls unter Zuhilfenahme von Korrektur und Zwang. Zunächst unterliegt die Regierung der parlamentarischen Kontrolle; bei sämtlichen nachgeordneten Einrichtungen der Exekutive kann die Kontrolle nur durch die Staatsaufsicht gewährleistet werden.285 Sie ist deshalb, zumindest auf dem Niveau einer Rechtsaufsicht, für sämtliche Bereiche öffentlicher Verwaltung unerlässlich.286 Das gilt insbesondere auch für das Handeln der Selbstverwaltungsträger. Für sie hat die Staatsaufsicht eine besondere Leitungsfunktion, weil sie den Willen des Volkes auch in den dezentralisierten Einheiten zur Geltung bringen kann und so die „primäre Sachverantwortung“ übernimmt.287 Die Staatsaufsicht bildet also nicht nur den notwendigen Gegenpol zu dem Privileg der Selbstver-

282 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 366 spricht hiermit vor allem die sogenannten staatlichen Mitwirkungsrechte an und nimmt insbesondere auf solche Vorbehalte Bezug, die die Selbstverwaltungsträger in finanzieller Hinsicht berühren. 283 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 105. Ausführlich dazu auch F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 11 f. Vgl. auch B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Lose­blatt, Art. 20 Abs. 3 Rn. 86 (Stand der Kommentierung: Dezember 2007). 284 Zu den Transparenzanforderungen an die Gesetzgebung führt W. Kluth, in: ders. / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 14 Rn. 56 aus, der „mündige Bürger“ wolle „überzeugt“ werden. Legitimation von Entscheidungen und deren Akzeptanz als subjektive Kehrseite stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Der Begründung von Entscheidungen komme deshalb ein hoher Stellenwert zu. 285 E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (358). 286 E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (358). 287 J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (206 f.); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 357; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 271; R. Stober / ders. / M. Müller / A . Peilert, Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 85 Rn. 82.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

waltungsträger, die eigenen Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen288, sondern auch zu der organisatorischen Dezentralisierung289. Wolfgang Kahl beschreibt diese Rückkopplung der Selbstverwaltungsträger als eine Wechselwirkung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht: Durch die Aufsicht wird einerseits gewährleistet, dass sich die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der funktionalen Teileinheiten in die gesamtstaatlichen Gegebenheiten einfügen. Andererseits soll das staatliche Gesamtgefüge die Gegebenheiten und Erfordernisse der Teileinheiten berücksichtigen.290 Anders formuliert: Staatliche Kontrolle nimmt die Exekutive in die Verantwortung291, den Volkswillen zu respektieren und umzusetzen. Sie schreitet nicht erst dann ein, wenn ein objektives Verschulden des Beaufsichtigten ersichtlich ist, sondern nimmt diese bei Vorliegen von Funktionsstörungen in die Pflicht.292 Sie vermittelt der Selbstverwaltung auf diese Weise Legitimität und ist deshalb unverzichtbar.293 b) Notwendigkeit der Staatsaufsicht für die Vermittlung demokratischer Legitimation Darüber hinaus ist die Staatsaufsicht auch aus demokratischer Perspektive ein verbindendes Element, weil sie einen Beitrag zur demokratischen Legitimation verselbstständigter Einrichtungen leistet. Sie ist Teil der sogenannten sachlich-­ inhaltlichen demokratischen Legitimation. Unter diesem Begriff wird die Bindung der Exekutive an inhaltliche Vorgaben der vom Volk direkt oder durch seine Repräsentanten getroffenen Willensentscheidungen verstanden.294 Eine inhaltliche Steuerung der Exekutivorgane kann sowohl präventiv als auch nachträglich, ebenso direkt oder indirekt erfolgen.295 Deshalb kann auch die Staatsaufsicht ein Instrument sein, um durch Kontrolle die inhaltliche Bindung der Selbstverwaltung an den Volkswillen herzustellen. 288 So auch J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (211); H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 4. Ähnlich auch ­E . Schmidt-­ Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 256; P. Kirchhof, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 242, der die Aufsicht als staatliche Pflichtaufgabe mit dem Ziel, die mittelbare Staatsverwaltung „in den Grenzen des den Staat bindenden öffentlichen Rechts zu halten“, einordnet. 289 D. Ehlers, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 6 Rn. 7. 290 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. 291 Von Verantwortung in diesem Zusammenhang spricht auch B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) Rn. 122 (Stand der Kommentierung: Januar 2010). So bereits J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (242 f.). 292 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 18. 293 E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 112. 294 B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) Rn. 122 (Stand der Kommentierung: Januar 2010); S. Muckel, NZS 2002, 118 (119); E. J. Lohse, NVwZ 2016, 102 (103 f.). 295 Grundlegend dazu E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (357).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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aa) Die legitimationsstiftende Wirkung der Staatsaufsicht Die Staatsaufsicht darf hierbei nicht isoliert betrachtet, sondern muss in Zusammenhang mit der Gesetzesbindung der Verwaltung, insbesondere dem Vorbehalt des Gesetzes, gesehen werden. Beide Mechanismen stellen die Bindung der Exekutive an die inhaltlichen Vorgaben des Volkswillens her, jeweils aber aus unterschiedlicher Perspektive. Aus der ex-ante-Sicht gelingt die inhaltliche Steuerung durch das Parlament wegen der Bindung der Exekutive an „Recht und Gesetz“ nach Art. 20 Abs. 3 Halbs. 2 GG. Konkretisiert wird diese Gesetzesbindung der Exekutive durch seine dogmatischen Ausprägungen, den Vorrang296 und den Vorbehalt des Gesetzes297. Zunächst stellt der Vorrang des Gesetzes die parlamentarische Steuerung von vornherein sicher, indem das normhierarchische Rangverhältnis des Parlamentsgesetzes vor allen anderen Normsetzungsformen klargestellt wird.298 Indem staatliche Stellen darüber hinaus dem Vorbehalt eines formellen oder materiellen Gesetzes als Handlungsgrundlage unterliegen, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Parlament das einzige unmittelbar demokratisch legitimierte Staatsorgan ist, dem die besondere Aufgabe und Verantwortung zukommt, die grundlegenden Entscheidungen für das Gemeinwesen selbst zu treffen299 oder hinreichend bestimmte Ermächtigungen zur untergesetzlichen Normsetzung zu schaffen300. Über die sachliche Ausformung des Parlamentsgesetzes oder derivater Normsetzung werden die Handlungsspielräume der Verwaltung also ausgeformt und auf diese Weise der Volkswille zur Grundlage der Verwaltungstätigkeit erhoben.301 Diese Festschreibung begründet aus dem Blickwinkel ex ante einen ersten Aspekt sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation. Einen zweiten Aspekt sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation bietet, aus der ex-post-Sicht, die Staatsaufsicht.302 Die mit der Staatsaufsicht anvisierte Durchsetzung der Regeltreue ist nicht bloß rechtsstaatlich geboten, sondern hat 296 Dazu nur M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 112. 297 Häufig wird der Vorbehalt des Gesetzes als in der Gesetzesbindung der Verwaltung impliziert“ angesehen. Dazu BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126); 78, 179 (197); vgl. auch M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 114. 298 Statt vieler M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 112. 299 F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 49 ff. 300 Zur Vereinbarkeit von Normsetzungsdelegation mit dem Vorbehalt des Gesetzes nur BVerfGE 111, 191 (217); BremStGH, NVwZ 2003, 81 (82); Bayerischer VerfGH, BayVBl. 2018, 234 (237). 301 Vgl. auch K. Engelmann, NZS 2000, 76 (77). 302 E.-W. Böckenförde, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 34; W.  Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 483; B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) Rn. 122 (Stand der Kommentierung: Januar 2010).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

zugleich legitimierende Kraft. Eberhard Schmidt-Aßmann formuliert hierzu treffend, die Staatsaufsicht sei ein „Kernpunkt“, in dem rechtstaatliche und demokratische Aspekte zusammenlaufen. Wenn nämlich diejenigen Stellen, die Exekutivaufgaben wahrnehmen, der Gesetzesbindung unterworfen sind, so muss diese Bindung auf der Kehrseite über die Staatsaufsicht eingefordert und durchgesetzt werden können.303 Mithin ist die Staatsaufsicht, die zumindest als Rechtsaufsicht ausgestaltet ist, eine demokratische Mindestvoraussetzung für sämtliche Verwaltungsträger.304 bb) Bedeutung der Staatsaufsicht bei der Ermittlung des Legitimationsniveaus Aus dem Umstand, dass Staatsaufsicht ein Faktor zur Herstellung sachlich-­ inhaltlicher demokratischer Legitimation ist, lässt sich allerdings nicht ableiten, welchen Stellenwert die Aufsicht neben anderen Legitimationskomponenten einnimmt und welche Anforderungen an die Aufsicht konkret zu stellen sind. Bekanntlich speist sich demokratische Legitimation nicht aus einem statischen Wert, sondern vielmehr aus dem Grad der demokratischen Effektivität305, mithin einem hinreichenden Legitimationsniveau, das unter wechselseitigem Ausgleich in einer Zusammenschau verschiedener Legitimationskomponenten zu ermitteln ist.306 Die neuere Dogmatik bleibt hierbei nicht auf die Komponenten beschränkt, die einst von Ernst-Wolfgang Böckenförde307 auf die Ministerialverwaltung zugeschnitten waren, sondern lässt für die funktionale Selbstverwaltung auch alternative, autonome Legitimationsansätze zu.308 In der gesetzlichen Krankenversicherung als Hybrid eines sozialen Sicherungssystems mit korporatistischen, aber auch marktwirtschaftlichen Elementen309, erleichtern zusätzliche Komponenten die Konstruktion einer demokratischen Legitimation. Die Staatsaufsicht ist jedenfalls 303 E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (358). S. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 155 spricht in Anlehnung an Schmidt-Aßmann von der Staatsaufsicht als Pendant zu der Gesetzesbindung der Verwaltung. 304 Dazu M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 161, der ferner herausarbeitet, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip keine dezidierten prozeduralen Vorgaben für die Verwaltungsorganisation fruchtbar machen lassen. Siehe auch E. SchmidtAßmann, AöR 116 (1991), 329 (358). 305 Zusammenfassend zu dieser Nomenklatur B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie)  Rn. 126 m. w. N. (Stand der Kommentierung: Januar 2010). 306 H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113; vgl. auch B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) 119 ff. (Stand der Kommentierung: Januar 2010). 307 Siehe dazu etwa E.-W. Böckenförde, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 14 ff. 308 S. Muckel, NZS 2002, 118 (124 f.). 309 T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (177). Vgl. auch A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (348).

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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nur eine Komponente von vielen. Welcher Stellenwert ihr zukommt, ist deshalb erklärungsbedürftig. (1) Stellenwert der personellen demokratischen Legitimation Dem wörtlichen Verständnis der Formulierung in Art. 20 Abs. 2 GG, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehe, kommt die personelle Legitimationskomponente, also die Bestimmung der Repräsentanten durch Wahlhandlungen des Volkes im Sinne einer unmittelbaren organisatorisch-personellen Legitimation310 am nächsten, da sie regelmäßig ununterbrochene Legitimationsketten vom Volk zu den einzelnen Hoheitsträgern erfordert. Dies spricht dafür, dem personellen Strang eine besondere Priorität anzuerkennen.311 In der funktionalen Selbstverwaltung aber muss der personelle Strang regelmäßig scheitern, weil die Wahlhandlungen der Selbstverwaltungsträger lediglich auf die von ihr Betroffenen Bezug nehmen, nicht jedoch auf das (Gesamt-)Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG. Der Volksbegriff im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist aber nach einhelliger Auffassung nicht im Sinne eines „Teil- oder Verbandsvolks“ interpretierbar.312 Zugleich ist spätestens seit der wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Wasserverbänden anerkannt, dass die funktionale Selbstverwaltung dem Demokratieprinzip nicht entgegensteht, sondern es gerade „ergänzt und verstärkt“, weil „sowohl das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette für alle Amtsträger als auch die funktionale Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen […] die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung“ verwirklichen.313 (2) Substitutionsfähigkeit der personellen demokratischen Legitimation Zwar kommt der personellen demokratischen Legitimation ein Vorrang vor den übrigen denkbaren Legitimationssträngen zu. Überzeugend ist insoweit die Auffas 310

H. Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 6 Rn. 23 m. w. N. K. Engelmann, NZS 2000, 76 (76 f.); H. Lang, MedR 2005, 269 (272). Krit. zu schematischem Denken in Legitimationsketten aber S. Muckel, NZS 2002, 118 (120). 312 So auch C.  Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, 120 f.; vgl. auch A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (351). Zurückhaltender aber T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (363). 313 BVerfGE 107, 59 (92). Die Teilhabe an der Entscheidungsfindung und der genossenschaftliche Charakter der Selbstverwaltung sind mithin die Schnittstelle mit dem demokratischen Prinzip. Zu dieser Perspektive auch W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 348. In diesen Ausführungen offenbart sich gleichwohl die Ambivalenz des demokratischen Prinzips, das einerseits die funktionale Selbstverwaltung anerkennt, sie aber zugleich über die Anforderungen an die demokratische Legitimation begrenzt. Dazu E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 119. 311

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

sung von Winfried Kluth, der eine gestufte Wertigkeit vor allem deshalb annimmt, weil die personelle Komponente der einzige Legitimationsstrang ist, der dem Volk unmittelbar zur Verfügung steht.314 Gleichwohl ist die wichtige personelle Legitimationskomponente, die in der funktionalen Selbstverwaltung regelmäßig ausfällt315, anerkanntermaßen kompensierbar.316 Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt eine Lockerung der personellen Legitimationskomponente, indem es formuliert, der Verzicht auf die lückenlose personelle demokratische Legitimation hänge davon ab, ob „die institutionellen Vorkehrungen eine nicht Einzelinteressen gleichheitswidrig begünstigende, sondern gemeinwohlorientierte und von Gleichachtung der Betroffenen geprägte Aufgabenwahrnehmung ermöglichen und gewährleisten“ sowie „auch ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden“.317 Dort wo der Gesetzgeber Lockerungen vom personellen Strang vorsehe, müssen „die Möglichkeiten parlamentarischer Beobachtung und Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung unbeeinträchtigt bleiben“.318 Schwieriger zu beantworten ist allerdings die Frage, ob die organisatorisch-­ personelle Legitimationskomponente vollständig ersetzt werden kann. Offenbar geht Wolfgang Kahl hiervon aus, wenn er ausdrückt, es bestehe ein „korrelativer Zusammenhang zwischen einem Defizit bei der personellen Legitimation einerseits und dem Erfordernis einer Kompensation durch Elemente sachlich-inhaltlicher Legitimation andererseits, welcher gerade im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung mangels auf das Staats- oder Gemeindevolk rückführbarer Legitimationskette relevant wird“.319 Über diese Korrelation wird der „richtige“ Weg deutlich: Das Substitutionsverbot bezieht sich auf den organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrang gemeinsam; untereinander sind beide Stränge miteinander – auch vollständig – kompensierbar. Ein hinreichendes Legitimationsniveau fordert zumindest entweder eine organisatorisch-personelle oder eine sachlich-inhaltliche Legitimation; beide Stränge sind Grundvoraussetzungen der demokratischen Legitimation und nicht austauschbar.320 Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung speist sich, wie bereits Ernst-Wolfgang Böckenförde klargestellt hat, ausschließlich aus einer 314

W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 359. W. Kahl, AöR 130 (2005), 225 (238) weist zutreffend darauf hin, dass zwischen der durch Staats- und Gemeindevolk vermittelte und partizipatorisch-mitgliedschaftlicher und autonomer Legitimation klar zu trennen ist. 316 So auch B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) Rn. 130 (Stand der Kommentierung: Januar 2010); H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113. F. E. Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 27. 317 BVerfGE 146, 164 (210 f.). 318 BVerfGE 146, 164 (210 f.). 319 W. Kahl, AöR 130 (2005), 225 (242 f.). 320 So etwa E.  Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 99 Rn. 98. 315

B.  Dimensionen des Spannungsverhältnisses

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auf ihre Besonderheiten modifizierten sachlich-inhaltlichen Legitimationsquelle.321 Wenn das Gesamtvolk jedenfalls keinen personellen Einfluss auf die funktionale Selbstverwaltung hat, weil die verfügbaren Wahlhandlungen den Betroffenen vorbehalten bleiben, so kann es gleichwohl über das Parlamentsgesetz einen verbindlichen Rahmen schaffen, dessen Einhaltung durch eine effektive Staatsaufsicht abgesichert wird. (3) Bedeutung materieller Konzeptionen demokratischer Legitimation Hier kommt die Staatsaufsicht ins Spiel. Für die funktionale Selbstverwaltung trifft, weil der personelle Legitimationsstrang regelmäßig ausfällt, die Besonderheit zu, dass der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang der Wichtigste ist; es somit auf die gesetzliche Bindung zum einen und die Kontrolle zum anderen im Wesentlichen ankommt. Nachweisen lässt sich diese Priorisierung der Legitimationsstränge unter anderem anhand des wegweisenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 11. 2015, in dem sich das Gericht erstmals nach längerer Zeit mit der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Relation der einzelnen Legitimationskomponenten zueinander auseinandergesetzt hat. Das Gericht setzt die einzelnen Legitimationskomponenten in ein Verhältnis zueinander322, wobei das Element der gesetzlichen Anleitung besonders hervorgehoben wird. So formuliert das Gericht: „Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Richtlinie hinreichende Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität trifft, während sie für eine andere seiner Normen fehlen kann, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist.“323

Nicht nur die Feindifferenzierungen dahingehend, dass selbst innerhalb einer Einrichtung die demokratische Legitimation je nach konkreter Handlungsweise unterschiedlich zu beurteilen ist324, lassen sich aus den vorstehenden Ausführungen gewinnen. Mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist zudem die 321 E.-W. Böckenförde, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 34. 322 T. Kingreen, MedR 2017, 8 (10), deutet die Ausführungen des BVerfG als „Bewertungsmatrix“, was im Grunde auf eine ähnliche Einschätzung hindeutet. Krit. aber F. Hase, MedR 2018, 1 (11), der zu bedenken gibt, dass die „Funktionsvoraussetzungen einer von Selbstverwaltungseinrichtungen getragenen untergesetzlichen Normsetzung“ gefährdet sein könnten, weil die Formulierung „gesetzliche Anleitung“ unklar bliebe und deshalb grundsätzlich jegliche untergesetzlichen Normen mit dem Argument mangelnder gesetzlicher Anleitung in Frage gestellt werden können. 323 BVerfGE 140, 229 (239). 324 Zu einer „bereichsspezifischen Legitimation“ der Selbstverwaltungsträger bereits G. F. Schup­ pert, AöR 114 (1989), 127 (129).

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

wertvolle Erkenntnis gewonnen, dass insbesondere die „gesetzliche Anleitung“ der Selbstverwaltungsträger für das Legitimationsniveau im Gesamten maßgeblich ist. cc) Stellenwert der Staatsaufsicht aus demokratietheoretischer Sicht Soweit die Staatsaufsicht systematisch Teil der gesetzlichen Anleitung ist, indem sie sie funktionell absichert, kommt ergo auch der Staatsaufsicht eine wichtige Bedeutung bei der Herstellung demokratischer Legitimation zu. Welche Qualitätsansprüche die Staatsaufsicht hierzu im Einzelnen erfüllen und wie sie organisatorisch und institutionell ausgestaltet sein muss, wird weitgehend offengelassen. Legitimatorische Wirkung kann der Staatsaufsicht bei rationaler Betrachtung nur dann zukommen, wenn sie effektiv ist oder mit anderen Worten ihren Kontrollzweck auch erfüllen kann. Im Einzelfall ist zu bestimmen, ob diese Effizienzvorgabe erreicht ist. Abhängen wird das zum einen von der Regelungsdichte des Fachrechts, mit der maßgeblich die Reichweite und Intensität der Aufsichtsführung korreliert.325 Zum anderen von der prozeduralen Ausgestaltung der Staatsaufsicht. 3. Befund zu den Spannungen von Dezentralisierung und hierarchischer Struktur Die Staatsaufsicht ist nach alledem ein wichtiges demokratisches Bindeglied zwischen den dezentralisierten Selbstverwaltungsträgern und dem zentralisierten Staatsgefüge. Sie stellt die Kontrolle her, die erforderlich ist, um die Selbstverwaltungsträger in das Staatsgefüge einzuordnen und demokratischen Maximen zu unterwerfen. Auch in dieser Perspektive besteht eine unverzichtbare Korrelation zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des ersten Kapitels in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: 1. Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen nach einer in der Literatur häufig verwandten Terminologie in einem „Spannungsverhältnis“ zueinander. Nach vielfach vertretener Auffassung bildet die Staatsaufsicht das Korrelat zur Selbstverwaltung. Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht sind also nichts derart Gegensätzliches, dass sie sich nicht miteinander in Zusammenhang 325 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 288; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 483.

C. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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bringen ließen. Vielmehr korreliert beides miteinander, sodass funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zueinander in einer wechselseitigen Beziehung stehen. Und zwar als unverzichtbare Wechselbeziehung. Die Staatsaufsicht muss stets als Teil der jeweiligen Selbstverwaltungskonzeptionen mitgedacht werden. Diese Gegensätzlichkeit ist Garant für die Sinnhaftigkeit und Funktionsfähigkeit beider Seiten. Denn wenn auf der einen Seite die Stärke zunimmt, steigt auf der anderen Seite der Druck, was automatisch zu Gegenreaktionen führt. 2. An welchen konkreten Eckpfeilern Gegensätze aber auch Gemeinsamkeiten festgelegt werden sollen, hängt maßgeblich von der Perspektive der Untersuchung ab. Den sicherlich größten Kontrast bietet die Betrachtung der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung und der Fremdbestimmung, die zwangsläufig mit der Ausübung der Staatsaufsicht einhergeht. In sachlicher Dimension meint die Eigenverantwortlichkeit – in einfachen Worten ausgedrückt – die freie Bestimmung über das „Wie“ und „Wann“, ggf. auch über das „Ob“ der Aufgabenerfüllung. a) Die Teilhabe an der Entscheidungsfindung wird in der Selbstverwaltung durch Einbindung der von ihr Betroffenen gewährleistet. Im politischen Element der Selbstverwaltung spiegelt sich die Betroffenenakquise und Betroffenenpartizipation. Abgebildet wird die Beteiligung der Betroffenen durch Repräsentation in den Selbstverwaltungsorganen. Gemeint war hiermit in erster Linie die Repräsentation durch ehrenamtlich tätige natürliche Personen, die regelmäßig in berufsständischen Vereinigungen an der Aufgabenerfüllung partizipieren konnten. Im Laufe der Zeit sind die Organisationsstrukturen der Selbstverwaltung vielschichtiger geworden, die Aufgabenspektren ebenso. Im Übrigen decken viele Selbstverwaltungsträger deutlich größere Personenkreise ab, als dies etwa in den frühen Formen (kommunaler) Selbstverwaltung der Fall war. Eine ausschließliche Repräsentation durch Ehrenamtliche ist schon deshalb in der modernen Selbstverwaltung schlicht nicht mehr realisierbar. b) Es ist umso schwieriger, eine effiziente Betroffenenbeteiligung zu realisieren, je heterogener die zu berücksichtigenden Interessen sind. Auch spielt die Größe des Selbstverwaltungsträgers eine beachtliche Rolle. Darüber hinaus keimt immer wieder Kritik an der Einbindung von Laien nach dem traditionellen Selbstverwaltungsmodell auf. Die meisten Fachgebiete, in denen die funktionale Selbstverwaltung genutzt wird, sind derart komplex, dass ein solch absolutes Verständnis von Betroffenenpartizipation schlechthin nicht sinnvoll umgesetzt werden kann. 3. Eigenverantwortlichkeit verlangt aber im Grunde nicht nur das Recht zur Mitsprache, sondern auch eigene Entscheidungsspielräume. Denn wer sich selbst verwalten soll, muss auch Entscheidungen in der eigenen Sphäre selbst treffen können. Autarkes Entscheiden ist regelmäßig mit der Befugnis zu untergesetzlicher Normsetzung verbunden. a) Als Schlüsselbegriff der untergesetzlichen Normsetzung in der kommunalen Selbstverwaltung wird dabei die Bezeichnung der Rechtsetzungsgewalt als Satzungsautonomie genutzt. Bei diesem Begriff der Satzungsautonomie ist inso-

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

weit Vorsicht geboten, als es sich dabei um echte Autonomie handelt; mithin die Fähigkeit zur Normsetzung ohne gesonderte gesetzliche Ermächtigung. Soweit die Rechtsprechung in Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung von einer Satzungsautonomie spricht, ist diese  – missverständliche  – Formulierung der Rechtsprechung dergestalt zu verstehen, dass mit einer „Satzungsautonomie“ die grundsätzliche Befugnis zur Normsetzung gemeint ist, nicht jedoch die Möglichkeit autonomer Rechtsetzung. b) Zu fragen ist, inwieweit sich der parlamentarische Gesetzgeber zurücknehmen, inwieweit er also auf seine eigene Normsetzungskompetenz verzichten muss, um dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit von Selbstverwaltungsträgern Rechnung zu tragen. Es gehört mithin zu den Aufgaben des parlamentarischen Gesetzesgebers, in der berufsständischen, interessen- und gruppenplural zusammengesetzten Selbstverwaltung dafür zu sorgen, dass sich in der Selbstverwaltung nicht ungehindert bestimmte Interessen dominanter Gruppen durchsetzen, die die Freiheit des Einzelnen bedrohen können. 4. Staatliche Aufsicht steht in einem Gegensatz zu der Eigenverantwortlichkeit, die Wesensmerkmal des Selbstverwaltungsgedankens ist. Dieser Umstand liegt quasi in der Natur der Aufsicht. Denn ihre zentrale Funktion ist die Kontrolle der „dem Staate Unterstellten“. Gewiss erschöpfen sich Sinn und Spektrum staatlicher Aufsicht nicht nur in dem stumpfen Abgleich tatsächlicher Gegebenheiten mit einer rechtlichen „Schablone“. Vielmehr verfügt die moderne Staatsaufsicht über eine Bandbreite verschiedener Instrumente, die von kooperativem Zusammenarbeiten bis zum repressiven Einschreiten reichen können. 5. Im modernen Staat gewinnen vielmehr solche Aufsichtsinstrumente zunehmend an Bedeutung, die kontinuierlich auf die beaufsichtigte Einrichtung einwirken, um Rechtsverletzungen aus der ex-ante-Perspektive zu vermeiden. Normativ lässt sich an einigen Stellen das grundlegende Prinzip einer abgestuften, an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientierten Intervention nachweisen. Darüber hinaus bemüht das Bundessozialgericht in vereinzelten Entscheidungen den Gedanken der „partnerschaftlichen Kooperation“. a) Die moderne Staatsaufsicht bezieht neben der externen Fremdaufsicht auch immer stärker Möglichkeiten der Selbstkontrolle im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger in die Gesamtbetrachtung der Kontrollverhältnisse ein. Im Zusammenhang mit staatlicher Aufsicht ist in heutiger Zeit der Begriff „Compliance“ kaum noch wegzudenken. Interne Compliance-Ansätze können die klassischen externen, repressiven Aufsichtsmittel ergänzen, indessen ist ihre Wirkung zu gering, um externe Kontrolle vollkommen verzichtbar zu machen. Repressive Maßnahmen der Staatsaufsicht und interne Compliance-Ansätze bilden gewissermaßen eine Symbiose. b) Das spiegelt sich auch im heutigen Verständnis von Staatsaufsicht in der Wissenschaft wider. Allen voran sei hier Wolfgang Kahl genannt, dessen Modell einer

C. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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modernen Staatsaufsicht durch „prinzipielle Koordination, Kooperation, Kommunikation, Permanenz und Reziprozität“ geprägt ist. Staatliche Aufsicht wird dann zu einem dauerhaften, dynamischen Prozess, in dessen Rahmen die aufsichtführende Einheit die meiste Zeit eine beratende Funktion wahrnimmt, was gleichwohl nicht bedeutet, dass der repressive Charakter der Staatsaufsicht vollkommen verloren geht. Der Ansatz einer modernen und kooperativen Staatsaufsicht stellt zutreffend in Rechnung, dass die gegenseitige Kooperation langfristig erfolgreicher ist als die zurückgezogene repressive Staatsaufsicht. 6. Im rechtsstaatlichen Gefüge muss die Staatsaufsicht so beschaffen sein, dass sie ihren Zweck erfüllt und gleichzeitig der Selbstverwaltung Rechnung trägt. Soweit die Selbstverwaltung zur eigenverantwortlichen Erfüllung von Aufgaben berufen ist, muss zugleich sichergestellt sein, dass die hierzu erforderlichen Freiheiten nicht durch die administrative Kontrolle ausgehöhlt werden. Daher muss die administrative Kontrolle grundsätzlich auf die Rechtsaufsicht beschränkt sein. Die Aufteilung der Staatsaufsicht in die Kategorien der Rechts- und Fachaufsicht assoziiert zunächst eine trennscharfe Abgrenzung, die sich aber faktisch nicht halten lässt. Denn die geltende Rechtsordnung ist der Prüfungsmaßstab der Rechtsaufsicht. Dabei liegt die Dichte des Fachrechts stets in der Hand des parlamentarischen Gesetzgebers. Die reine Rechtsaufsicht kann sich durch Erhöhung der Regelungsdichte zu einer faktischen Fachaufsicht verdichten. 7. Darüber hinaus ist eine zweite Perspektive des Spannungsverhältnisses von Bedeutung. Die Entkopplung aus der Hierarchie der unmittelbaren Staatsverwaltung gehört zu den Charakteristika der Selbstverwaltung; die Kontrolle der Staatsaufsicht reintegriert die Selbstverwaltungsträger in diese Strukturen. Hierdurch entstehen Spannungen. a) Selbstverwaltung verlangt eigene Gestaltungsspielräume und eine grundsätzliche Weisungsfreiheit. Gerade Letzteres ist der hierarchisch organisierten Ministerialverwaltung fremd; genauso wenig verträgt sich eine umfassende Fachaufsicht mit den Grundgedanken der Selbstverwaltung. Selbstverwaltung braucht ein gewisses Maß an Distanz vom Staat. b) Im Gefüge eines Rechtsstaates ist die wechselseitige Kontrolle aller Teilgewalten des Staates – in welcher Form auch immer – schlechthin unverzichtbar. Hierbei hat die Organisationsform keinen Belang; wechselseitige Kontrolle findet in allen Bereichen des Staates statt. Die Kontrolle der Selbstverwaltungsträger findet im Rahmen der Staatsaufsicht statt. Sie ist das Bindeglied von dezentralisierter Selbstverwaltung und zentralisierter hierarchischer Ministerialverwaltung. 8. Die Staatsaufsicht ist Teil der sogenannten sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation. Die Staatsaufsicht darf hierbei nicht isoliert betrachtet, sondern muss in Zusammenhang mit der Gesetzesbindung der Verwaltung, insbesondere dem Vorbehalt des Gesetzes, gesehen werden. Deshalb ist die Staatsaufsicht, die zumindest als Rechtsaufsicht ausgestaltet ist, eine demokratische Mindestvoraussetzung für sämtliche Verwaltungsträger.

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1. Kap.: Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

9. Bekanntlich speist sich demokratische Legitimation nicht aus einem statischen Wert, sondern vielmehr aus dem Grad der demokratischen Effektivität, mithin einem hinreichenden Legitimationsniveau, das unter wechselseitigem Ausgleich in einer Zusammenschau verschiedener Legitimationskomponenten zu ermitteln ist. Die wichtige personelle Legitimationskomponente, die in der funktionalen Selbstverwaltung grundsätzlich defizitär ist, ist anerkanntermaßen kompensierbar. Weil der personelle Legitimationsstrang regelmäßig ausfällt, trifft für die funktionale Selbstverwaltung die Besonderheit zu, dass der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang der Wichtigste ist; es somit auf die gesetzliche Bindung zum einen und die Kontrolle zum anderen im Wesentlichen ankommt.

Zweites Kapitel

Konzeptidee für die wechselseitige Regulierung von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht A. Einführung Nach alledem tritt zu Tage, dass ein Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht aus mehreren Perspektiven angenommen werden kann. Spannungen entstehen durch das grundsätzlich Gegensätzliche, was Selbstverwaltung und Staatsaufsicht bewirken. Zugleich zeigen die Befunde ausgewählter Gegensätze aber, dass sich Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht gegenseitig bedingen1, eine notwendige Symbiose bilden: Trotz aller Eigenverantwortung braucht die Selbstverwaltung staatliche Kontrolle2; zur Erfüllung bestimmter komplexer Aufgaben wiederum kann die Selbstverwaltung dem Staat nützlich sein. Eigene Verantwortung geht mit dezentralisierter Organisation einher, die der Staat zwar akzeptieren und somit in seiner Aufsichtsführung berücksichtigen3, aber gleichwohl eine Rückkopplung der Verantwortung an den Volkswillen herstellen muss4. Rechtlich braucht die funktionale Selbstverwaltung demokratische Legitimation, die über Kontrolle vermittelt werden kann. Und technisch braucht das Verwaltungshandeln Hierarchie; vollständig „demokratisieren“ lässt es sich nicht.5 Der von Friedrich E. Schnapp erhobene Einwand, Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht seien ein sinnvolles, aber nicht zwingend notwendiges Korrelat6, trifft nur insoweit zu, als das Bestehen von Selbstverwaltung keinen bestimmten Typus 1

So formuliert auch W. Wertenbruch, SGb 1975, 261 (262). D. Ehlers, DÖV 2001, 412. 3 F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 6 (Stand der Bearbeitung: Juli 2018). 4 Im Übrigen ist es geradezu charakteristisch für den Staat, dass er den Bürger als sein Gegenüber nicht absorbiert, sondern ihn als Träger eigener, ggf. widerstreitender Belange walten lässt. Dazu J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (174). 5 Grundlegend zu der These, dass die Verwaltung für ihr Funktionieren eine hierarchische Struktur braucht J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1. Aufl. 1985, S. 68. Zum Zusammenhang der Begriffe Hierarchie und Demokratie H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, 127 f. Vgl. auch O. Seewald, KrV 2017, 221. 6 F. E.  Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52, Rn. 2. Vgl. auch ders., in: von Mutius (Hrsg.), FS für Georg Christoph von Unruh, 1983, S. 894. 2

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

staatlicher Aufsicht im Gegenzug verlangt. Der These, Selbstverwaltung und staatliche Aufsicht bilden keine von vornherein zwingende „Schicksalsgemeinschaft“7, kann demgegenüber nicht gefolgt werden. Vielmehr bedarf es Kontrolle, deren Form und Intensität variabel sein kann, sofern öffent­liche Aufgaben durch dezentralisierte Selbstverwaltungsträger erfüllt werden. Denn der Staat hat schließlich die Letztverantwortung für das Gemeinwohl.8 Selbstverwaltung und Kontrolle in Form staatlicher Aufsicht stehen deshalb in einem unauflöslichen Verhältnis zueinander. Auf Kontrolle, in welcher Form auch immer, kann in keiner Konzeption von Selbstverwaltung verzichtet werden.9

B. Die These von der Gleichgewichtslage von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht  Unweigerlich führt dieser Befund zu der Frage, wie das Recht mit dieser faktischen Ausgangslage umgehen soll. Vereinzelte Anhaltspunkte hierzu bietet etwa die jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das in einzelnen Entscheidungen ausführt, die Ausübung der Staatsaufsicht erschöpfe sich allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft.10 Von der Idee eines Gleichgewichts von Freiheit und Kontrolle sowie von Dezentralisierung und Hierarchie ist das Verhältnis von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht seit jeher bestimmt. Wolfgang Kahl beschreibt den Vorbehalt staatlicher Aufsicht der damaligen Preußischen Städteordnung von 1808 als ein Ausbalancieren dieser Komplementäre.11 In Ansätzen erkennbar ist der Leitgedanke des Ausbalancierens auch in der Lehre von Heinrich Rosin, der zum dezentralisierten Genossenschaftswesen formulierte, die Staatsaufsicht werde „im Princip […] einerseits durch die im Rechtsstaate anerkannte selbständige Persönlichkeit der Genossenschaft, auf der anderen Seite aber durch die gleichzeitig dem Staate gegenüber begründete Pflicht der letzteren zur Erfüllung des eigenen Lebenszweckes“ bestimmt.12 Ähnlich äu 7

F. E.  Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52 Rn. 2. 8 In Bezug auf die Aufsicht über privatisierte Verwaltungsträger B. Schmidt am Busch, Die Verwaltung 49 (2016), 205 (215). Bereits E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 193 hat darauf hingewiesen, dass der Staat auf die Gesellschaft funktional bezogen ist und eine „notwendige, ihren Bestand bedingende Erhaltungs-, Sicherungs- und auch Veränderungsfunktion [wahrnimmt], indem er Verfahren und Instanzen zur friedlichen Konfliktregelung bereitstellt (Rechtsschutz und Rechtsdurchsetzung), indem er durch Gesetze die Rahmenordnung festlegt und garantiert, innerhalb derer die freie, staatlich nicht gelenkte Tätigkeit und Entfaltung der Gesellschaft sich abspielen kann, indem er Gefahren für den Bestand und die Sicherheit der Gesellschaft durch eingreifende oder vorbeugende (planend-­ koordinierende) Maßnahmen abwehrt.“ 9 Vgl. auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 350 f. 10 BSGE 98, 129 (130 Rn. 13); 113, 114 (118 f. Rn. 20) – ohne die Hervorhebung. 11 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 78 f. 12 H. Rosin, Das Recht der Öffentlichen Genossenschaft, 1886, S. 103.

B. Die These von der Gleichgewichtslage  

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ßert sich auch Harald Bogs, nach dessen Auffassung es „bei der Ausdeutung des von den Sozialversicherungsgesetzen oft nur rahmenhaft geordneten Verhältnisses zwischen Aufsichtsbehörde und Selbstverwaltungsträger“ darum geht, „durch ein verantwortbares ‚Krisenreglement‘ ein Gleichgewicht zwischen zwei politisch verschieden gesteuerten Gewalten innerhalb der öffentlichen Gesamtverwaltung zu schaffen, das eine gute Erledigung der Sozialversicherungsgeschäfte gewährleistet“.13 Allerdings findet das Sinnbild der Gleichgewichtslage nicht lediglich Unterstützer. Jürgen Beschorner kritisiert diese Metapher mit dem Argument, sie impliziere eine Stellung von Aufsicht als neutrale Instanz zwischen Staat und Selbstverwaltung, die tatsächlich nicht bestehe. Während die Selbstverwaltung eine besondere Stellung im staatlichen Gefüge innehabe, weil mit ihrer Verleihung ihren Trägern Eigenverantwortlichkeit und eine gewisse Eigenständigkeit anvertraut wird, gehören die Aufsichtsbehörden schlicht der Ministerialverwaltung an.14 Organisatorisch mag das zutreffen, doch kann es hierauf nicht ankommen. Eine Betrachtung, die ausschließlich auf die organisatorische Stellung der Selbstverwaltungsträger beschränkt bleibt, unterschätzt den Stellenwert der funktionalen Selbstverwaltung, die keineswegs obligatorisch für sämtliche Spezialbereiche der Verwaltung ist, sondern bestimmten Verwaltungsträgern als Privileg zuerkannt wird. Dieses Privileg wird aber vollständig entwertet, wenn nicht die Besonderheiten dieser Organisationsform bei der Aufsichtsführung Berücksichtigung finden müssen. Mehr als vage Leitlinien lassen sich aus diesen Aussagen nicht gewinnen. Immerhin ist aber mit der Terminologie von einem Spannungsverhältnis als „Gleichgewichtslage“ verbunden, dass ein Ausgleich schonend in einer Weise herbeizuführen ist, in der beide Seiten noch hinreichend zur Entfaltung gelangen können. Wenn dieses begriffliche Verständnis zutrifft, stehen funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht in einer Art Konkordanzverhältnis zueinander. Konkretere Anforderungen an die Ausgestaltung des Spannungsverhältnisses stellt Horst Dreier, der dafür plädiert, das Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht durch ein „bereichsspezifisches Ausbalancieren“ zu regulieren.15 Er knüpft damit an eine von Rüdiger Breuer in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Anstalt vertretene Auffassung an, wonach der Einfluss der unmittelbaren Staatsverwaltung als „Muttergemeinwesen“ umso stärker zurückgedrängt werden könne, je „stärker das Verselbständigungsinteresse [der dezentralisierten Verwaltungseinheiten] legitimiert ist“.16 Dreier überträgt diesen Gedanken sinngemäß auf die Selbstverwaltung17 und formuliert, die staatliche Kontrolle über die Selbstverwaltungsträger könne reduziert werden, wenn die Gründe 13 H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 186 – ohne die Hervorhebung. 14 J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 781. 15 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 290. 16 R. Breuer, VVDStRL 44 (1986), 112 (230) – Hinzufügung durch den Verfasser. 17 Vgl. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 290.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

für die Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten von der unmittelbaren Staatsverwaltung als „Muttergemeinwesen“ „stichhaltig oder gar verfassungsrechtlich fundiert“ sind.18 Zugleich weist Dreier aber darauf hin, dass die grundsätzliche Kontrollverantwortlichkeit des Staates gegenüber seinen (teil-)verselbstständigten Einrichtungen spätestens dann durchgreift, wenn Grundrechte betroffen sind.19 Die Überlegungen von Dreier überzeugen, weil sie in der Lage sind, die Regulierung des Spannungsverhältnisses von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht an objektiven Kriterien festzumachen. Maßgebliches Kriterium für den Zusammenhang von Staatsaufsicht und funktionaler Selbstverwaltung ist deren rechtliche Fundierung. Darüber hinaus formuliert Dreier eine „je-desto-­ Beziehung“, die ein differenziertes Bild der Spannungslage zulässt, indem das Verhältnis von verselbstständigten Verwaltungseinheiten und staatlicher Kontrolle nicht pauschal, sondern jeweils bereichsspezifisch im Einzelfall je nach rechtlicher Fundierung der Eigenständigkeit ermittelt wird und folglich für verschiedene Einrichtungen unterschiedlich ausfallen kann.

C. Funktionsbezogene Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte Allerdings erfasst die Konzeption von Dreier lediglich die Frage, wie solide die dezentralisierten Verwaltungseinheiten rechtlich verselbstständigt sind. Das Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Kontrolle findet damit zwar einen objektiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt. Allein aus der objektiv-rechtlichen Perspektive werden sich jedoch die Unterschiede der zahlreichen Selbstverwaltungsträger kaum begreifen lassen. Denn sämtliche Selbstverwaltungsträger der gesetzlichen Krankenversicherung verfügen über einen ähnlichen rechtlichen Grad der Verselbstständigung. Der Grund hierfür ist, dass sich die rechtlichen Grundlagen für die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung im Detail allein aus dem einfachen Recht, nicht jedoch – auch nicht aus Art. 87 Abs. 2 GG20 – aus der Verfassung ergeben. Auch zeigt ein Blick in die §§ 79, 91, 143 ff., 217a ff., 278 ff., 281 f. SGB V, dass sich die einschlägigen Organisationsvorschriften in ihrer Struktur ähneln. Ihr Gegenstand 18

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 289 – ohne die Hervorhebungen. 19 Vgl. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 289 f.; vgl. auch E.  Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 256. 20 Dagegen aber P. Axer, NZS 2017, 601 (605 f.), der Art. 87 Abs. 2 GG als Organisationsvorgabe dahingehend, die Sozialversicherungsträger nach dem Organisationsmuster der verselbstständigten Verwaltungseinheiten zu strukturieren, idealtypisch – nach dieser Auffassung folglich nicht zwingend – in Form der Körperschaft, versteht.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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ist stets die Regelung, wie die Einrichtungen zusammengesetzt sind und welche (meist nur grob umschriebenen) (Kern-)Aufgaben sie zu erfüllen haben. Aus der rein objektiv-rechtlichen Perspektive ließe sich im Grunde nur die Auffassung gewinnen, dass für sämtliche Selbstverwaltungsträger dasselbe Maß staatlicher Kontrolle geboten ist. Dieser Befund verkennt indes die erheblichen Unterschiede der einzelnen Einrichtungen hinsichtlich Bedeutung und Tragweite ihrer Tätigkeit, den Risiken von Funktionsstörungen sowie den Folgen hieraus. Es muss für die Dichte staatlicher Kontrolle durch Aufsicht einen Unterschied machen, ob ein Selbstverwaltungsträger mit beträchtlichen Auswirkungen für alle Beteiligten des Gesundheitswesens normsetzend tätig wird oder ob lediglich unverbindliche Beratungen vorgenommen werden. Gerade eine differenzierte Betrachtung für die Kontrolldichte der Staatsaufsicht ist aber Wesensmerkmal einer „passgenauen“ Aufsichtskonstruktion. Es bietet sich deshalb an, den von Dreier formulierten Ansatz auf eine funktionsbezogene Perspektive zu erweitern. Neben der Anknüpfung an den objektivrechtlich vorgesehenen Grad der organisatorischen Verselbstständigung bildet dann die Funktion des jeweiligen Selbstverwaltungsträger die maßgebliche Größe, um die gebotene Aufsichtsdichte zu ermitteln. Klärungsbedürftig bleibt aber, wie die Funktionen der Selbstverwaltungsträger für die Bestimmung der Aufsichtsdichte herangezogen werden sollen.

I. Tätigkeitsbezogene Risikoprognose und Folgenabwägung als Indikatoren für die Bestimmung der gebotenen Kontrolldichte Die vorstehenden Überlegungen müssen jedoch näher konturiert werden, weil eine funktionsbezogene Betrachtung der Selbstverwaltungsträger noch einen weiten Interpretationsspielraum hergibt. Es braucht deswegen feste Kriterien, an denen die Bestimmung der Aufsichtsdichte festgemacht werden kann. Erst durch die Herausbildung bestimmter Indikatoren entsteht ein abstraktionsfähiger Regelsatz und damit ein Modell, das als Orientierung für den Ausgleich der Spannungslage herangezogen werden kann. Zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsgesetzgebung bietet es sich zunächst an, die Kontrolldichte staatlicher Aufsicht von den Auswirkungen abhängig zu machen, die bei Funktionsstörungen der Selbstverwaltungsträger für sie selbst aber auch für Dritte eintreten können. Wie hoch diese Auswirkungen im Falle von Funktionsstörungen einzuschätzen sind, hängt wiederum von der Tragweite der jeweiligen Funktion ab, die den Selbstverwaltungsträgern zugewiesen ist.21 Er 21 Vgl. dazu auch E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 81, der allerdings nicht allgemein formuliert, sondern seine Ausführungen ausschließlich auf die Wirtschaftsaufsicht bezieht.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

füllt etwa ein Selbstverwaltungsträger seine Beratungsfunktion nicht oder nicht ordnungsgemäß, sind die Auswirkungen dieser Funktionsstörung verhältnismäßig gering, weshalb die Aufsichtsdichte gelockert und stattdessen die Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltung hervorgehoben werden kann. Betrifft aber das Risiko einer Funktionsstörung etwa die Setzung von Rechtsnormen, von denen auch Dritte betroffen werden, so ist schon allein zum Schutz dieser Drittbetroffenen eine höhere Kontrolldichte der Staatsaufsicht geboten. Wesentlich wird dann die Frage nach der notwendigen Durchschlagskraft der Staatsaufsicht von einer aufgaben- und tätigkeitsbezogenen Risikoprognose und Folgenabschätzung getragen. 1. Die Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger Führt man die These weiter, so bedeutet dies in der Folge, dass sich die Dichte staatlicher Aufsicht in erster Linie danach auszurichten hat, welche Funktionen den Selbstverwaltungsträgern zugewiesen sind und welche Bedeutung und Tragweite diese Funktionen für die Betroffenen und für Dritte haben. Hierbei handelt es sich um keine messbare Größe, sondern vielmehr um einen variablen Wert, der sich insbesondere anhand der Prüfung bestimmt, welche schutzwürdigen Interessen betroffenen werden und welche Grundrechtsrelevanz die Tätigkeit der Selbstverwaltungsträger für die Betroffenen und für Dritte aufweist.22 Je stärker schutzwürdige Interessen betroffen werden und je intensiver etwaige Grundrechtseingriffe sind, umso höher ist die Bedeutung und Tragweite der jeweiligen Tätigkeit einzustufen. Die konsequente Umsetzung der eingangs aufgestellten These führt ferner zu einer rein funktionsbezogenen Betrachtung. Weil die Selbstverwaltungsträger unter Umständen mehrere, getrennt voneinander zu betrachtende Funktionen aufweisen, kann die gebotene Aufsichtsdichte für denselben Selbstverwaltungsträger je nach Funktion und Aufgaben variieren.23 Dazu spiegelbildlich steht das neue Konzept zur demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, welches das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 10. 11. 2015 in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss entwickelt hat. Es soll nämlich nicht ausgeschlossen sein, dass für eine bestimmte Richtliniengebung das Legitimationsniveau ausreichend ist, während es für andere Bereiche der Richtliniengebung nicht genügt.24

22

Vgl. dazu BVerfGE 133, 277 (366 f.). Siehe auch die Ausführungen zu den Grenzen der Verleihung von Satzungsgewalt in BVerfGE 33, 303 (342). 23 Einen ähnlichen Gedanken äußert auch R. Hess, in: Merten (Hrsg.), Die Selbstverwaltung im Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 57 mit der Forderung, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit – und damit einen wichtigen Kontrollmaßstab der Rechtsaufsicht – auf die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen anders anzuwenden als auf die gesetzlichen Krankenkassen, weil sich die Selbstverwaltungsträger organisatorisch („besondere Struktur“) und funktionell („besondere Aufgabenstellung“) unterscheiden. 24 Dazu BVerfGE 140, 229 (239).

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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Innerhalb eines Selbstverwaltungsträgers ist das Legitimationsniveau mithin funktionsbezogen und nicht einrichtungsbezogen zu bestimmen. Die Funktionen der Selbstverwaltungsträger und ihre Grundrechtsrelevanz für die Betroffenen entscheiden somit über die legitimatorischen Anforderungen. Je bedeutsamer, je grundrechtsintensiver die Selbstverwaltung ist, umso mehr braucht es gesetzliche Anleitung sowie eine effektive Kontrolle durch die Staatsaufsicht. Gesetzliche Anleitung und staatliche Aufsicht werden mithin im Einzelfall auf die Selbstverwaltung passgenau abgestimmt. Für die von der Staatsaufsicht  – auch terminologisch  – zu unterscheidende25 Wirtschaftsaufsicht führt Ekkehart Stein überzeugend an, dass aber nicht bloß die Betrachtung der jeweiligen Funktionen für sich genommen ausreicht. Vielmehr bedarf es einer „doppelten Messung“, indem die Funktionen ferner danach untersucht werden, inwieweit sie der Verwirklichung der Ziele des Beaufsichtigten dienlich sind.26 Bei der Konstruktion einer passgenauen Staatsaufsicht ist im Grunde genauso zu verfahren. Die Gedanken zur demokratischen Legitimation lassen sich deshalb auch für die Bestimmung der Aufsichtsdichte und für die Leitlinien der Aufsichtsgesetzgebung fruchtbar machen. Unter der Prämisse, dass die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung ein gewisses Kontrollniveau der Staatsaufsicht verlangt27, kann bei der Ermittlung des Legitimationsniveaus das erforderliche Mindestmaß der Staatsaufsicht ermittelt werden. Gewährleistet wäre damit eine Passgenauigkeit der Aufsicht durch eine Orientierung an bestimmten Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger im Einzelfall. Dies können die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben der Selbstverwaltungsträger, ihre Freiräume und der Radius ihrer Wirkungsmöglichkeiten sowie die Anzahl der von ihr Betroffenen sein. Abstrakt formuliert ergibt sich dann eine „je-desto“-Beziehung, die sich wie folgt ausdrückt: Je mehr Befugnisse, Aufgaben, Freiräume oder Wirkungsmöglichkeiten dem Selbstverwaltungsträger zugerechnet werden können, umso intensiver muss die staatliche Aufsicht über diesen Selbstverwaltungsträger gesetzlich ausgestaltet sein. Vorteilhaft an einer solchen „je-desto“-Formel ist die Abstraktionsfähigkeit des Zusammenhangs von bestimmten Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger und der gebotenen Dichte gesetzlicher Aufsichtsermächtigungen. Nachteilig ist, dass in der vielfältigen Landschaft der Selbstverwaltungsträger, die selbst innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ein recht buntes Bild abgibt28, in aufwändiger Weise die gebotene Dichte der aufsichtsrechtlichen Ermächtigungen für jede Einrichtung gesondert festzustellen ist. 25

W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 365. E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 81. 27 Zu den Anforderungen an die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation statt vieler E.-W. Böckenförde, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 34; vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (357); B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Demokratie) Rn. 122 (Stand der Kommentierung: Januar 2010). 28 Vgl. etwa F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 4. Aufl. 2005, S. 392. 26

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Sicherlich ist zu berücksichtigen, dass eine solche Bewertungssystematik nichts Anderes ist als eine Verhältnisaufstellung, die niemals absolute Ergebnisse hervorbringt, sondern für Varianzen offen bzw. anfällig bleibt. Anhand der verschiedenen Befugnisse, Aufgaben, Freiräume oder Wirkungsmöglichkeiten der einzelnen Spitzenorganisationen kann nur nachvollzogen werden, ob eine tendenziell höhere oder niedrigere Dichte gesetzlicher Aufsichtsermächtigungen erforderlich ist. Gleichwohl ist es sinnvoll, eine abstrakte Chiffre zur Bestimmung der gebotenen gesetzlichen Aufsichtsdichte zu schaffen, um eine Orientierung der Aufsichtsgesetzgebung und, angesichts der Vielfalt der Erscheinungsformen von Selbstverwaltung, eine gewisse Vergleichbarkeit zu gewährleisten. 2. Zu den Funktionen der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung Exemplarisch lassen sich die Modellindikatoren an den sogenannten „Spitzenorganisationen“ der gesetzlichen Krankenversicherung messen, die im Übrigen Adressaten des später zu untersuchenden GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sind.29 Mit der Bezeichnung „Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung“ sind im hiesigen Zusammenhang der Gemeinsame Bundesausschuss, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie der ehemalige Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen gemeint. Es überrascht allerdings, dass die stationäre Versorgung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Interessenvertretung auf Bundesebene nicht ausdrücklich berücksichtigt wird, was möglicherweise auf die vollkommen privatrechtliche Organisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft30 zurückzuführen ist.31 Die Zusammenfassung verschiedener Dachorganisationen als „Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung“ 29 Siehe hierzu nur die Ausführungen im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung zum GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, BT-Drucksache 18/10605, S. 21 ff. 30 Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist ein privatrechtlicher Verein, ebenso wie die Landeskrankenhausgesellschaften im Sinne des § 108a Satz 1 SGB V. Dazu nur U. Becker, in: ders. / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 108a Rn. 5. 31 Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedenfalls eine mittelbare Betroffenheit der Verbände der Krankenhäuser – zumindest über den Gemeinsamen Bundesausschuss – besteht. P. Axer, KrV 2017, 89 f. geht mit dieser Einschätzung sogar noch weiter. Ausgehend von einem Änderungsantrag der Fraktionen CDU / CSU und SPD kurz vor Abschluss der parlamentarischen Beratungen über den Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, der eine Änderung des § 274 SGB V dergestalt vorsah, die Rechnungsprüfung unter anderem über die Deutsche Krankenhausgesellschaft dem Bundesrechnungshof zu übertragen, weil auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft mittelbar – wie auch immer dies zu verstehen ist – Bundesmittel erhalte. Axer vertritt die Auffassung, dass sich der Inhalt dieses Antrages, also die stärkere haushaltsrechtliche Einbindung auch der Vereinigungen in der stationären Versorgung, nicht mit dem verworfenen Änderungsantrag erledigt hat, zumal dieser auf einer Aufforderung des Haushaltsausschusses beruhte. Dazu Axer, a. a. O. Fn. 8; Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(12), S. 4.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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befremdet zunächst, weil diese Sammelbezeichnung im Gesetz regelmäßig für die höchsten Interessenvertretungen einer Leistungserbringergruppe verwandt wird.32 Demgegenüber kommen den hier als Spitzenorganisationen klassifizierten Einrichtungen grundlegend unterschiedliche Funktionen und Eigenschaften zu, die sich in Folge der soeben angestellten Überlegungen in unterschiedlichen Aufsichtskonzepten niederschlagen müssen. a) Normsetzung Begonnen werden soll mit der Normsetzung, die im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eine tragende Rolle spielt. Sie findet sowohl in der Sozialen wie auch in der Gemeinsamen Selbstverwaltung zur Konkretisierung der formellgesetzlichen Grundlagen des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in unterschiedlicher Qualität statt, deren Perspektiven im Rahmen dieser Untersuchung nicht im Einzelnen betrachtet werden können.33 Ein vollständiges Bild ist auch nicht erforderlich. Relevant ist vielmehr die qualitative Abschichtung der verschiedenen Formen untergesetzlicher Normsetzung durch die Spitzenorganisationen. aa) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses Mit besonderer Intensität für das gesamte Gesundheitswesen betreibt der Gemeinsame Bundesausschuss untergesetzliche Normsetzung. Durch seine Richtlinien und sonstigen Beschlüsse konkretisiert der Gemeinsame Bundesausschuss die Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts.34 Ermächtigt ist der Gemeinsame Bundesausschuss hierzu durch die Ankernorm § 92 Abs. 2 SGB V, in der die Kompetenzen zur Richtliniensetzung gebündelt sind – allerdings nicht abschließend, wie das Wort „insbesondere“ verdeutlicht.35 § 92 Abs. 2 SGB V ist 32

Das Gesetz kennt etwa Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, §§ 92 Abs. 3a, 130a Abs. 3a, 6 SGB V; der Apotheken, § 130a Abs. 6 SGB V; der Heilmittelerbringer, §§ 124 Abs. 4, 125 Abs. 1, 127 Abs. 1a, 6 SGB V; der Hilfsmittelerbringer, §§ 36 Abs. 1, 92 Abs. 7a SGB V; der Hospize, § 39a Abs. 1 SGB; der Rehabilitationseinrichtungen, §§ 40 Abs. 3, 112 Abs. 6 SGB V; der Zahntechniker, § 92 Abs. 1a SGB V; der Hospizarbeit und Palliativ­ versorgung, § 92 Abs. 7 SGB V; der Medizinproduktehersteller, § 92 Abs. 7d SGB V sowie der Selbsthilfe, § 20h Abs. 1 SGB V. 33 Eine umfassende Darstellung der Erscheinungsformen untergesetzlicher Normsetzung in der gesamten Sozialversicherung bietet P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, passim. 34 Zur Richtliniengebung W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 48. Zum Phänomen des weitgehend „durchnormierten“ Sozialversicherungsrechts P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 379; F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (196). 35 So auch D. Roters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 92 SGB V Rn. 18 (Stand der Kommentierung: März 2017).

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

stets in Verbindung mit den zahlreichen Spezialvorschriften des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts zu sehen, durch die die Befugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses im Einzelnen näher ausgeformt werden36 und an deren hinreichender Bestimmtheit im Grunde keine durchgreifenden Zweifel bestehen.37 Hinzu kommt, dass dieses Geflecht von Ermächtungsnormen keinen, wie Ernst Hauck formuliert, weißen Fleck auf der Landkarte des Krankenversicherungsrechts füllen soll, sondern vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gesehen werden muss.38 Wenn Peter Axer aber  – durchaus mit gewisser Polemik  – formuliert, nicht der parlamentarische Gesetzgeber entscheide, „ob die Leistungspflicht der Krankenkassen die Akupunktur bei Neurodermitis, die Laser-Ginkgo-Therapie bei chronischen Ohrgeräuschen oder die Bioresonanztherapie bei grippeähnlichen Zuständen erfaßt“, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss39, wird die Machtfülle dieser Einrichtung erst vorstellbar. Zu betonen ist also: Die Machtfülle des Gemeinsamen Bundesausschusses resultiert nicht aus der Konturenlosigkeit der formellgesetzlichen Ermächtigungen40, sondern schlicht aus der Quantität des zu Regelnden. In sämtlichen Kernbereichen des Leistungsrechts sind die normativen Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses konstitutiv, so etwa in der Arzneimittelversorgung nach den §§ 34 ff. SGB V oder bei der Implementierung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V. Abzulesen ist die Machtfülle des Gemeinsamen Bundesausschusses ferner an der Vielzahl bestehender Richtlinien und sonstiger Beschlüsse. Bislang weist die Bilanz des Gemeinsamen Bundesausschusses immerhin 85 Regelungswerke auf.41 In Ansehung dieser umfassenden Normsetzungskompetenz auf untergesetzlicher Ebene – und im Übrigen der parlamentsähnlichen Struktur – findet die von manchen Autoren pointierte Bezeichnung des Gemeinsamen Bundesausschusses als „kleiner Gesetzgeber“42 ihre Berechtigung. Unwichtig ist die Ausgestaltung der 36 K.  Engelmann, NZS 2000, 76 (80); E.  Hauck, NZS 2010, 600 (608). Anders aber A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (355), die nur unter Verweis auf § 92 SGB V die gesetz­ liche Anleitung des Gemeinsamen Bundesausschusses als gering einstufen. 37 BSG, Urteil vom 13. 12. 2016 – B 1 KR 2/16 R, juris Rn. 17 ff.; zu der Dichte der prozeduralen Vorgaben auch W. Kluth, GesR 2015, 513 (516 f.). Zur hohen Regelungsdichte des für den Gemeinsamen Bundesausschuss maßgeblichen Fachrechts siehe auch F. Hase, MedR 2018, 1 (4). 38 E. Hauck, NZS 2010, 600 (610). 39 P.  Axer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 95 Rn. 20. 40 Im Gegenteil besteht, insoweit ist die zuletzt von Friedhelm Hase bekräftigte Auffassung zutreffend, sowohl im Leistungsrecht als auch im Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ein engmaschiges System normativer Vorgaben, durch die der Leistungsinhalt im Leistungsrecht sowie das Prozedurale durch das Leistungserbringungsrecht in „hinreichender“ Bestimmtheit eingefasst wird. Dazu F. Hase, MedR 2018, 1 (11). 41 Diese Anzahl an Richtlinien und sonstigen Beschlüssen i. S. d. § 92 SGB V lag mit Stand vom 26. 4. 2018 vor. Die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse sind veröffentlicht in: https:// www.g-ba.de/informationen/richtlinien/, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 42 Ursprünglich geprägt ist diese Bezeichnung durch Franz Josef Oldiges, in: Sozialer Fortschritt 1998, 69 (70); siehe auch B. Schrinner, MedR 2005, 397 (398); S. Rixen, Sozialrecht als

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gesetzlichen Ermächtigungen aber keineswegs, denn durch das Parlamentsgesetz kann reguliert werden, wie viele Spielräume zum normsetzenden Gestalten der funktionalen Selbstverwaltung überantwortet werden sollen.43 Für die Bestimmung der gebotenen Staatsaufsicht kommt es aber in erster Linie auf Bedeutung und Tragweite dieser Normsetzung, insbesondere auf ihre Grundrechtsrelevanz an. (1) Universelle Geltung der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses Die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse entfalten gemäß § 92 Abs. 8 SGB V, wonach die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses Bestandteile der Bundesmantelverträge sind, verbindliche Außenwirkung für die Vertragspartner der Bundesmantelverträge – die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen – sowie deren Mitglieder.44 Leistungsträger und Leistungserbringer sind somit gleichermaßen von den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen gebunden. Zugleich wirken die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse auf der Seite der Leistungserbringer auch für solche „externen“ Akteure, häufig als „sonstige Leistungserbringer“ bezeichnet, die zwar nicht an den Bundesmantelverträgen teilhaben, aber gleichwohl zu der Erbringung von Leistungen beitragen, etwa Heil- und Hilfsmitterbringer oder pharmazeutische Unternehmer.45 (2) Grundrechtsrelevanz der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses Für all diese Parteien weisen die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses teils erhebliche Grundrechtsrelevanz auf. Für die Versicherten haben die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses Grundrechtsrelevanz, soweit von ihnen abhängt, in welchem Umfang oder ob überhaupt ein Leistungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung besteht. Bei der Implementierung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die in der ambulanten Versorgung nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 346; ders., in: Aner / Karl (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Alter, 2. Aufl. 2020, S. 317; F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (196); C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655). 43 Speziell auf den Gemeinsamen Bundesausschuss bezogen P. Axer, GesR 2013, 211 (215). 44 Zur verbindlichen Außenwirkung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss vgl. nur die Methadon-Entscheidung des Bundessozialgerichts BSGE 78, 70 (75). 45 Zur Offenheit des Begriffs der „sonstigen Leistungserbringer“ S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 284. Allgemein zu diesen „sonstigen Leistungserbringern“ D. Prütting / J. Prütting, Medizin- und Gesundheitsrecht, 2018, Vorbem. 4. Kap. Rn. 1 ff. Siehe auch die kompakte Übersicht sonstiger Leistungserbringer bei T. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 468.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

regelmäßig unter dem Vorbehalt einer ausdrücklichen Empfehlung steht, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmt gewordenen „Nikolaus-Beschluss“ vom 6. Dezember 2005 die Richtlinien an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip gemessen: Zwar sei die gesetzliche Krankenversicherung nicht „von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist“.46 Es bedarf aber einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung an Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip, „wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden“47; im Übrigen erfolge die Ausgestaltung des Leistungsrechts orientiert an der objektiv-recht­ lichen Pflicht des Staates, sich „schützend und fördernd“ vor die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten Rechtsgüter zu stellen48. Ausformungen des Leistungsrechts durch den Gemeinsamen Bundesausschuss betreffen deshalb gewichtige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter der Versicherten. Dies streitet dafür, die Staatsaufsicht über die Normsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit durchgreifenden externen Kontrollrechten auszustatten. Auch auf Seiten der Leistungserbringer entfalten die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse eine erhebliche Grundrechtsrelevanz, weil der Zugang zur Gesundheitsversorgung von ihnen abhängt. Ein Beispiel hierfür sind die Richtlinien zur Bedarfsplanung: Nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, 101 SGB V erlässt der Gemeinsame Bundesausschuss Bedarfsplanungs-Richtlinien für Ärzte und  – mit Einschränkungen (vgl. § 101 Abs. 6 SGB V)  – für Zahnärzte, die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB V und § 12 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV bzw. § 12 Abs. 3 Satz 1 Zahnärzte-­ZV für die Aufstellung des Bedarfsplans durch die jeweilige Kassen(zahn) ärztliche Vereinigung maßgeblich sind. Hierdurch wird die Zahl der verfügbaren Vertrags(zahn)arztsitze beeinflusst und begrenzt, weshalb die Bedarfsplanung im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit grundlegend rechtfertigungsbedürftig ist.49 Empfindliche Eingriffe in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer erfolgen ferner bei der Implementierung neuer Arzneimittel auf dem Markt, für die seit Einführung durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)50 eine frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch den Gemeinsamen Bundesausschuss

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BVerfGE 115, 25 (46). BVerfGE 115, 25 (44). 48 BVerfGE 115, 25 (44 f.). 49 Zur Grundrechtsrelevanz von Entscheidungen zur Bedarfsplanung siehe etwa R. Hess, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 101 Rn. 2 (Stand der Kommentierung: März 2021). Siehe auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 279. 50 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG), BGBl. I, S. 2262. 47

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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nach § 35a SGB V vorgesehen ist. Für die pharmazeutischen Unternehmer hat die frühe Nutzenbewertung deshalb eine entscheidende Bedeutung, weil von ihr abhängt, ob ein erstattungsfähiges Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen insgesamt einen (Zusatz-)Nutzen gegenüber bereits bekannten Präparaten aufweist. Daher ist das Verfahren im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit sensibel.51 Auch die übrigen Bereiche der Leistungserbringung, etwa die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, sind mit entsprechenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses näher ausgeformt, wenngleich es an einer leistungsrechtlichen Konkretisierung der Richtlinienkompetenz fehlt52. Auf der Seite der Leistungserbringer kann der Befund daher nicht anders ausfallen als bei den Versicherten. Soweit also der Gemeinsame Bundesausschuss normsetzend tätig wird, hat sein Handeln auch für die Leistungserbringer besondere verfassungsrechtliche Relevanz und muss deshalb durch eine entsprechend ausgestattete Staatsaufsicht abgesichert sein. bb) Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen Geringere Anforderungen an die normative Architektur der Staatsaufsicht werden an die Normsetzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen zu stellen sein. Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sind nach § 75 Abs. 7 Satz 1 SGB V zur Setzung eigener Richtlinien befugt, die über das Satzungsrecht der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen verbindliche Außenwirkung entfalten (vgl. § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V) und deshalb normativ wirken. So können die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen etwa Vorgaben zur Durchführung der in ihrem Zuständigkeitsbereich geschlossenen Verträge aufstellen (sogenannte Vertragsrichtlinien, vgl. § 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB V), wobei ihnen bei der Beurteilung der von § 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB V vorausgesetzten Erforderlichkeit ein Einschätzungsspielraum zukommt.53 Neben den Vertragsrichtlinien sind die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen befugt, Richtlinien zur überbezirklichen Durchführung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 SGB V), zur Betriebs-, Wirtschafts- und Rechnungsführung der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (§ 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 SGB V) sowie zur Umsetzung einer bundeseinheitlichen Notdienstnummer (§ 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 SGB V) aufzustellen. 51 H. Sodan, NZS 2014, 441 (446); zum Verfahren der frühen Nutzenbewertung vgl. auch ders. / J. Ferlemann, PharmR 2018, 239 (242). 52 Dazu T. Kingreen, VSSAR 2019, 155 (158) mit deutlicher Kritik an der Systematik der Richtlinienermächtigungen. 53 Häufig wird die Setzung von Vertragsrichtlinien bereits in den von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen geschlossenen Verträgen vereinbart worden sein. Dazu O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 75 SGB V Rn. 80 (Stand der Kommentierung: März 2017); H.-D.  Sproll, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 75 SGB V Rn. 40 (Stand der Kommentierung: November 2012).

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Die Betrachtung dieser Richtlinienkompetenz zeigt insbesondere im Vergleich mit den Befugnissen des Gemeinsamen Bundesausschusses ein weitgehend klares Bild: Während der Gemeinsame Bundesausschuss durch seine Normsetzung inhaltlich-materielle Vorgaben für die ambulante und stationäre Versorgung treffen kann, obliegen den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nur die Aufstellung organisatorisch-prozeduraler Vorgaben der ambulanten Versorgung, vorrangig der Durchführung der Verträge.54 Ihre Richtlinien sind nämlich in erster Linie Instrumente zur Koordinierung55 und Harmonisierung56 der Bestimmungen für die ambulante vertrags(zahn)ärztliche Versorgung. Es geht also bei den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nicht um das „ob“ von Methoden oder Verfahren, sondern ausschließlich um die Frage des „wie“. Bei der Ausgestaltung der Aufsicht über die normsetzende Tätigkeit der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ist diesem Umstand Rechnung zu tragen; zur Absicherung der Normsetzung durch die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen bedarf es keines Kontrollniveaus, das der Aufsichtsführung über die Rechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses gleichkommt. cc) Grundlegende Vereinbarungen des Vertragsarztrechts Zu den historisch ersten Konflikten, die die Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewältigen hatte, gehörten die Interessenkonflikte von Versicherungsträgern und den Ärzten.57 Mit der Schaffung der Kas 54 Fraglich ist aber, ob und unter welchen Voraussetzungen Kompetenzüberschneidungen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss möglich sind. Dies suggeriert zumindest § 75 Abs. 7 Satz 3 SGB V, der regelt, dass die Richtlinien nach § 75 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 SGB V weitere Regelungen zur Abrechnungs-, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung sowie über Verfahren bei Disziplinarangelegenheiten bei überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften enthalten dürfen. Das Bundessozialgericht sieht hierbei allerdings keine Überschneidung mit der Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Richtliniengebung für die Qualitätssicherung aus §§ 135b Abs. 2 Satz 2 n. F., 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 SGB V. Die Verteilung der Befugnisse spreche dafür, dass die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen lediglich organisatorische Vorgaben machen dürfen, während die materielle Ausgestaltung der Qualitätssicherung dem Gemeinsamen Bundesausschuss obliegt. Thematisiert wurde diese Frage anhand der Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Entwicklung von Kriterien zur Qualitätsbeurteilung und Schaffung von Vorgaben für die Qualitätsprüfungen durch die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nach § 135b Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. (entspricht § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB V a. F.). Siehe hierzu BSG, MedR 2015, 306 (311); zu dieser Auffassung bereits Bayerisches LSG, Urteil vom 27. 9. 2006 – L 12 KA 112/03 –, juris Rn. 22. Ob es sich allerdings zugunsten der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen auswirkt, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss seine Befugnisse nicht vollends ausgeschöpft hat, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht geklärt, kann für diese Untersuchung aber dahinstehen. 55 M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 75 SGB V Rn. 43. 56 Von der Zielsetzung einer bundeseinheitlichen Organisation der vertragsärztlichen Versorgung geht auch H.-D. Sproll, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversiche­ rung, Pflegeversicherung, § 75 SGB V Rn. 39 (Stand der Kommentierung: November 2012) aus. 57 P. Collin, KrV 2017, 133 (135).

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sen(zahn)ärztlichen Vereinigungen im Jahr 1931, die im Wesentlichen die ärztliche und zahnärztliche Versorgung zu verantworten haben, ist das Vertrags(zahn)arztrecht in die bis heute beibehaltenen Bahnen gelenkt worden.58 Derzeit sind die grundlegenden Vereinbarungen des Vertrags(zahn)arztrechts unerlässliche Grundlage der Versorgungsstruktur und kaum mehr wegzudenken. Neben dem formellen Gesetz, der Rechtsverordnung sowie den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses bilden Normsetzungsverträge eine wichtige Rechtsquelle des Sozialversicherungsrechts.59 Von herausragender Bedeutung für die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung sind die Bundesmantelverträge, die gemäß §§ 82 Abs. 1 Satz 1, 87 SGB V von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbart werden.60 Einheitliche Rahmenbedingungen der Leistungserbringung, eine einheitliche Vergütung erbrachter Leistungen61 sowie eine harmonisierte Abrechnungspraxis62 gewährleisten wertvolle Planungssicherheit63. Indem die Bundesmantelverträge nach § 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V verpflichtend in die Satzungen der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen aufzunehmen sind, entfalten sie verbindliche Außenwirkung für deren Mitglieder. Für die Vertrags(zahn)ärzte als Leistungserbringer sind die Bundesmantelverträge nach § 95 Abs. 3 Satz 3 SGB V verbindlich; auf Seiten der Versicherungsträger bezieht § 210 Abs. 2 SGB V die Bundesmantelverträge als zwingenden Bestandteil in die Satzungen der Landesverbände der Krankenkassen ein, sodass sie für die Mitglieder der Landesverbände ebenfalls verbindlich werden. Ferner sind die Bundesmantelverträge nach § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB V Bestandteil der, ebenfalls normativ wirkenden, Gesamtverträge64 und binden auf diese Weise deren Vertragspartner.65 58

Zur Historie P. Collin, KrV 2017, 133 (137). Einen Überblick über die typischen Erscheinungsformen von Normsetzungsverträgen im Sozialversicherungsrecht bietet H. Sodan, NZS 1998, 305 (306 ff.). 60 Vgl. dazu S. Greiner, in: Fuchs / Preis / Brose (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht und SGB II, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 21. 61 Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V beinhalten die Bundesmantelverträge einen durch Bewertungsausschüsse beschlossenen einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche (EBM) und zahnärztliche (BEMA) Leistungen. Den einheitlichen Bewertungsmaßstäben als wesentliche Bestandteile der Bundesmantelverträge spricht das Bundessozialgericht in seiner Recht­ sprechung sogar eigenständig eine Rechtsnormqualität zu. Siehe hierzu BSGE 71, 42 (46); 81, 86 (89). 62 Diese einheitlichen Bewertungsmaßstäbe wiederum beinhalten nach § 87 Abs. 2 Satz 1 SGB V einen nach Gebührenordnungspositionen (GOPs) sortierten Katalog, der den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistung näher umschreibt und ihren in Punkten ausgedrückten Wert formuliert. Dazu T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (352). 63 T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (354). Zugleich schränken aber kollektivvertraglich vereinbarte einheitliche Vergütungen die Preisbestimmungsmacht der Leistungserbringer ein. Zur Preisbestimmungsmacht als Teilelement der Berufsfreiheit S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 255 f. 64 BSGE 122, 112 (125 f. Rn. 58); K. Engelmann, NZS 2000, 1 (4), jeweils m. w. N. 65 M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 82 SGB V Rn. 2. 59

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Sicherlich bilden die Bundesmantelverträge nur den groben kollektivvertragsrechtlichen Rahmen, der durch die Gesamtverträge und die einzelnen Honorarverträge näher ausgestaltet wird. Insbesondere müssen die Bundesmantelverträge den Vertragspartnern der Gesamtverträge und der „Basis“ genügend Gestaltungsspielräume überlassen.66 Ihre Funktion ist gleichwohl nicht zu unterschätzen, weil sich leitende Direktiven für das Vertrags(zahn)arztrecht bereits auf der Ebene der Bundesmantelverträge formulieren lassen. Dem ist aber entgegenzustellen, dass die Normsetzung im Vertragsarztrecht schon über das Schiedswesen der vertragsärztlichen Versorgung abgesichert ist und damit bereits eine Kontrolle außerhalb der Gerichtsbarkeit besteht. Kommen Kollektivverträge nicht zustande, kann deren Inhalt durch das Schiedswesen, im Falle der Bundesmantelverträge sind die Bundesschiedsämter nach § 89 Abs. 4 SGB V zuständig67, festgesetzt werden.68 Diese Form außergerichtlicher Kontrolle ist seit jeher fester Bestandteil des korporatistischen Verbandswesens in der gesetzlichen Krankenversicherung. Vertragslose Zustände werden weitgehend vermieden, indem die Parteien im Konfliktfall die Institutionen des Schiedswesens anrufen können.69 Es steht also ein formales Verfahren zur unabhängigen fachkundigen Überprüfung und Konfliktbewältigung bereit, sodass das Schiedswesen durch seine prioritäre Zuständigkeit insoweit der Staatsaufsicht regelmäßig für den Bereich der Verträge die Aufgabe der inhaltlichen Prüfung der Vertragswerke abnimmt. Die Staatsaufsicht findet gleichwohl zur Kontrolle des Schiedswesens Verwendung.70 Im Ergebnis bleibt aber festzuhalten: Bei der Normsetzung im Vertrags(zahn)arztrecht besteht ein Kontrollvorsprung gegenüber der Richtliniengebung des Gemeinsamen Bundesausschusses, der auf das Erfordernis administrativer Kontrolle gewissermaßen „angerechnet“ werden kann. Allzu hohe Anforderungen an die Staatsaufsicht sind deshalb für die Funktion der Vereinbarung der grundlegenden Regularien nicht zu stellen.

66 Es gehört nämlich zu den Wesensmerkmalen des Vertragsarztrechts, dass die beteiligten Institutionen der Versicherungsträger und der Leistungserbringer als „gemeinsame Selbstverwaltung“ die näheren Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen selbst regeln. Dazu BSGE 122, 112 (125 Rn. 56). Zu diesem Leitgedanken bereits BSGE 36, 151 (154). Das System kollektivvertraglicher Normsetzung wird vom Bundessozialgericht daher als „Regelungsinstrumentarium eigener Art“ klassifiziert. Dazu BSGE 81, 73 (82); 122, 112 (125 Rn. 56). Bei der Untersuchung der Bundesmantelverträge ist deshalb zu berücksichtigen, dass genügend Spielräume zur Normsetzung auf der Ebene der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen verbleiben müssen, um diesem „Leitbild“ des Vertragsarztrechts Rechnung zu tragen. 67 BSG, MedR 2015, 459 (461). 68 K.  Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 22 Rn. 4. 69 Siehe zu der Funktion der Schiedsämter in der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung im Überblick R. Düring, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 2. 70 Dazu R. Düring, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 55 ff.

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dd) Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Eine besondere Stellung unter den Spitzenorganisationen nimmt der Medizinische Dienst Bund ein, der nach § 281 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Dachorganisation der Medizinischen Dienste auf der Ebene des Bundes ist. Dem Medizinischen Dienst Bund kommt aus einem weiteren Grund eine Sonderstellung zu. Ausweislich des Koalitionsvertrages der 19. Legislaturperiode war es ein Anliegen der Regierungsparteien, den Medizinischen Dienst zu einer vollkommen unabhängigen Einrichtung für die Begutachtung medizinischer Angelegenheiten auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung zu machen.71 Gleichwohl dürfte die Neustrukturierung des Medizinischen Dienstes mit dem Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14. Dezember 201972, mithin nur knapp zwei Jahre nach Inkrafttreten des GKV-Selbstverwaltungsstärkungs­ gesetzes, geradezu ein Paradebeispiel für eine politische Zielsetzung sein, die getreu dem Koalitionsvertrag in die Tat umgesetzt worden ist. Organisatorisch sind die Medizinischen Dienste auf der Länderebene durch das MDK-Reformgesetz von den gesetzlichen Krankenkassen entkoppelt und als Körperschaften des öffentlichen Rechts in die rechtlich-institutionelle Eigenständigkeit verbracht worden. Analog hierzu ist auch der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (nachfolgend abgekürzt: MDS), der nach alter Rechtslage gemäß § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB V a. F. dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen organisatorisch angegliedert war73, als selbstständiges Gremium unter dem Namen Medizinischer Dienst Bund eingeführt worden. Mit einer gewissen Vorsicht ist der Medizinische Dienst Bund in seiner heutigen Gestalt als Dachorganisation der Medizinischen Dienste auf Länderebene zu begreifen, weil er auf der einen Seite – analog zu der Funktion des früheren MDS74 – lediglich als deren „Koordinator“ (vgl. § 283 Abs. 1 Satz 1 SGB V) bezeichnet wird, auf der anderen Seite aber nach § 283 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Lage ist, die Medizinischen Dienste durch Richtlinien zu binden. Diese Richt­ 71 Auf Seite 98 des Koalitionsvertrages der Regierungsparteien CDU / CSU und SPD heißt es: „Wir werden die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung stärken, deren Unabhängigkeit gewährleisten und für bundesweit einheitliche und verbindliche Regelungen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung Sorge tragen.“ Der Vertrag ist veröffentlicht unter: https:// www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672 b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 72 BGBl. I, S. 2789. 73 In § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB V a. F. hieß es, der „Spitzenverband Bund der Krankenkassen bildet […] einen Medizinischen Dienst auf Bundesebene“. 74 Die abhängige Stellung des früheren MDS bedeutete ferner, dass sich diese Spitzenorganisation nicht an der Spitze einer hierarchischen Verbandsstruktur befand, weil es eine hierarchische Verbandsstruktur für den Medizinischen Dienst nicht gegeben hat. Zu dieser früheren Rechtslage I. Heberlein, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 282 SGB V Rn. 6 (Stand der Kommentierung: Juni 2021).

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linienkompetenz stand nach alter Rechtslage gem. § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V a. F. dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu. Einerseits ist die Verlagerung dieser Kompetenz die logische Konsequenz aus der organisatorischen Entkopplung des Medizinischen Dienstes von den Versicherungsträgern und ihrem Dachverband; andererseits bewirkt diese Neustrukturierung einen erheblich gesteigerten Einfluss des Medizinischen Dienstes Bund. Im Unterschied zu der alten Regelung ist die Richtlinienkompetenz in § 283 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch einen Katalog enumerativ aufgezählter Aufgabenbereiche abschließend eingegrenzt. Dieser Kompetenzkatalog geht zwar im Grunde nicht über eine Koordination der einzelnen Medizinischen Dienste hinaus, erlaubt dem Medizinischen Dienst Bund aber weitreichende Vorgaben für deren Tätigkeit. So kann nach § 283 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V der Personalbedarf sachbezogen vorgegeben werden75; auch kann der Medizinische Dienst Bund nach § 283 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 SGB V umfassende Vorgaben zur Berichterstattung der Medizinischen Dienste über ihre Tätigkeit und Personalausstattung machen. Dennoch kommt den Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund bei isolierter Betrachtung ein erheblich geringerer Stellenwert als den übrigen Normsetzungsformen zu. Denn sie binden lediglich die Medizinischen Dienste und betreffen ausschließlich deren Prüfverfahren. Auswirkungen auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Modalitäten der Leistungserbringung ergeben sich hierdurch nicht. Welchen Stellenwert der gesamte Medizinische Dienst hat, wird erst in einer umfassenden Betrachtung seiner Funktion deutlich, die in der Wissensakquise zum einen sowie der systeminternen Kontrolle der fachlichen Richtigkeit von Entscheidungen zum anderen liegt. Beides ist für die Funktionsfähigkeit des Krankenversicherungssystems von Bedeutung. Das gilt umso mehr, seit die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung allein beim Medizinischen Dienst selbst liegt. Bei der Konstruktion der Staataufsicht sind die Funktionen des Medizinischen Dienstes Bund zu berücksichtigen, wenngleich eine geringere Aufsichtsdichte als über die übrigen Spitzenorganisationen ausreichen wird. Darüber hinaus ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen seit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vom 4. April 201776 nach § 217f Abs. 4b SGB V zum Erlass von Richtlinien zum Sozialdatenschutz befugt, die die Krankenkassen bei Kontakt mit den Versicherten zu beachten haben und die Versicherten vor unbefugter Kenntnisnahme ihrer Sozialdaten schützen sollen77.

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Auf eine weitreichende Kompetenz bei der Vorgabe der Personalausstattung deuten auch die Ausführungen der Gesetzesbegründung hin, die betont, die Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund zur Personalermittlung seien ein wichtiger Beitrag für die organisatorische Selbstständigkeit des Medizinischen Dienstes im Gesamten. Dazu BT-Drucksache 19/13397, S. 77 f. 76 Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) vom 4. 4. 2017, BGBl. I, S. 778. 77 Zum Hintergrund der Regelung siehe BT-Drucksache 18/10186, S. 40 ff.

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b) Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen kommt ausweislich § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ambulanten vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung eine Schlüsselfunktion zu, indem sie die Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V enumerativ festgelegten Umfang sicherzustellen haben. Dieser Sicherstellungsauftrag beinhaltet die Pflicht, für eine ausreichende ambulante medizinische Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen.78 Flankiert wird dieser Sicherstellungsauftrag durch die in § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgeschriebene Verpflichtung, bei der Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung in dem nach § 73 Abs. 2 SGB V beschriebenen Umfang die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Ob dieser Gewährleistungsauftrag von der Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung praktisch trennbar ist, ist fraglich.79 Logischerweise muss der Sicherstellungsauftrag eine ordnungsgemäße Bereitstellung der ambulanten vertrags(zahn) ärztlichen Versorgung und eine Garantie hierfür umfassen. Mithin müssen die Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten überwachen und die Vertrags(zahn)ärzte zur Einhaltung ihrer Pflichten anhalten, was insbesondere kleinere Krankenkassen kaum in vertretbarer Weise leisten könnten.80 Hierzu gehört auch die Verantwortung für die ordnungsgemäße Abrechnung der vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen.81 Das kollektivvertragliche System des Vertrags(zahn)arztrechts schafft hierdurch Sicherheit sowohl für die Vertrags(zahn)ärzte als auch für die gesetzlichen Krankenkassen.82 Ob darüber hinaus gegenüber den Krankenkassen eine verschuldensunabhängige Haftung für Pflichtverletzungen der Vertrags(zahn)ärzte in Betracht kommt, ist umstritten83 und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher beleuchtet werden. Der Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen 78

BSGE 122, 112 (122 f. Rn. 48).BSG, Beschluss vom 24. 1. 2018 – B 6 KA 80/17 B –, juris Rn. 14; T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 19 Rn. 21; M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 75 SGB V Rn. 2. 79 In der Literatur erfolgt eine jedenfalls theoretische Trennung der beiden Gewährleistungsbereiche. Von einer „Ergänzung“ des Sicherstellungsauftrages spricht S. Huster, in: Becker /  Kingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 SGB V Rn. 16. Von einem „Gegenstück“ spricht K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 47. 80 BSG, Urteil vom 15. 11. 1995 – 6 RKa 17/95, juris Rn. 19; T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (354); T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 19 Rn. 48. 81 Bayerisches LSG, Urteil vom 19. 1. 2003 – L 12 KA 189/01 –, juris Rn. 22; T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 19 Rn. 48. 82 T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (354). 83 Siehe hierzu S. Huster, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 16.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

bedeutet eine umfassende Grundverantwortung für die ambulante vertrags(zahn-) ärztliche Versorgung.84 Funktionsstörungen haben zugleich unmittelbare Aus­ wirkungen auf die Versicherten: Bricht die ambulante vertrags(zahn)ärztliche Versorgung zusammen, können die Kernleistungen zur Krankenversorgung nicht mehr wie vorgesehen erbracht werden. Denkbar sind solche Situationen etwa dann, wenn Vertrags(zahn)ärzte kollektiv auf ihre Zulassung verzichten und auf diese Weise das System sabotieren.85 Soweit der Funktionsausfall der Selbstverwaltung die Sicherstellung und Gewährleistung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung betrifft, rechtfertigt dies wegen der weitreichenden Konsequenzen eine erhöhte Kontrolldichte der Staatsaufsicht. Daran ändert auch nichts, dass es in Ergänzung zu den Aufsichtsmaßnahmen für den äußersten Notfall mit § 72a SGB V ein Sicherungsinstrument gibt, um den Zusammenbruch der ambulanten vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung abzuwenden. Nach § 72a Abs. 1 SGB V geht der Sicherstellungsauftrag für die vertags­ (zahn)ärztliche Versorgung auf die Krankenkassen über, soweit mindestens 50 % der zugelassenen Vertags(zahn)ärzte auf ihre Zulassung verzichten oder die Versorgung der Versicherten verweigern und die Aufsichtsbehörde feststellt, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist. Sofern auch die Krankenkassen die Versorgung nicht sicherstellen können und ein Fall des System­ versagens vorliegt, der auf einem organisierten kollektiven Zulassungsverzicht beruht, gesteht die Rechtsprechung den Versicherten die Möglichkeit zu, sich die Leistungen selbst zu beschaffen und im Wege der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V mit den Krankenkassen abzurechnen.86 Die überschaubare Praxisrelevanz und das strikte Quorum von 50 % der ausfallenden Vertrags(zahn)ärzte87 zeigen, dass es sich um einen Sicherungsmechanismus für absolute Notfälle handelt, der 84

Fraglich ist allenfalls, ob der Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag diese Grundverantwortung auch auf Versorgungsstrukturen außerhalb der kollektivvertraglichen Systems erstreckt. Zu denken ist insbesondere an die hausarztzentrierte (§ 73b Abs. 4 Satz 6 SGB V) und die besondere Versorgung (§ 140a Abs. 1 Satz 4 SGB V), bei der die Versorgungsvereinbarung vertraglich zwischen den Krankenkassen und dem einzelnen Leistungserbringer abgeschlossen wird. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts ist hierbei allerdings „allein von einer ‚Einschränkung‘, nicht hingegen von einer ‚Aufhebung‘ des Sicherstellungsauftrags“ auszugehen; „zudem gilt die gesetzliche Einschränkung nur, ‚soweit‘ die Versorgung durch Selektivverträge durchgeführt wird.“ Dazu BSGE 122, 112 (122 Rn. 49). Vgl. hierzu auch M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 75 SGB V Rn. 2. 85 Den kollektiven Verzicht auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt hat es, durch die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen organisiert, bereits gegeben. Zu diesem sogenannten „Korbmodell“ siehe W. C. Bartha, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 95b Rn. 8 (Stand der Kommentierung: März 2021). 86 BSGE 98, 294 (301 Rn. 27); LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. 8. 2012 – L 9 KR 244/11, juris Rn. 19. 87 Siehe auch A. Marschner, WzS 1993, 203 (205). Die Konsequenzen des § 72a Abs. 1 SGB V treten bei einem – durchaus denkbaren – kollektiven Zulassungsverzicht von weniger als 50 % der zugelassenen Vertrags(zahn)ärzte dagegen nicht ein. So auch H. Sodan, Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem, 2010, S. 23 f.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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keine Abstriche bei der Kontrolldichte der Staatsaufsicht begründen kann. Auch das Schiedswesen nach § 89 SGB V, das im Falle von Funktionsstörungen zusätzlich zur staatlichen Aufsicht angerufen werden kann88, streitet nicht für eine gelockerte Aufsichtsführung. Die Schiedsämter werden nämlich nur tätig, um einen vertragslosen Zustand zu vermeiden, sichern jedoch nicht gegen andere Fehlfunktionen der Selbstverwaltungsträger ab.89 c) Wettbewerbliche Regulierung Eine weitere Funktion der Selbstverwaltungsträger liegt in der wettbewerblichen Regulierung. Allen voran Winfried Kluth spricht dem Gemeinsamen Bundesausschuss über seine Funktion zur Konkretisierung des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts hinaus eine Regulierungsfunktion zu.90 Indem unwirtschaftliche Leistungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss aus der Versorgung ausgesondert und durch die evidenzbasierte Medizin als zentrale Entscheidungsgrundlage des Gemeinsamen Bundesausschusses verbindliche Qualitätsstandards durchgesetzt werden, ersetzt die Rechtskonkretisierung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss seiner Auffassung nach zwei zentrale Funktionen des Marktes, nämlich die Allokation und die Sicherung der (Produkt-)Qualität.91 Kluth bringt diesen bislang kaum diskutierten Ansatz aus einer Perspektive des öffentlichen Wirtschaftsrechts ins Spiel, um die funktionelle Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zusätzlich argumentativ zu untermauern.92 Er nutzt den Begriff der Regulierungsbehörde allerdings insoweit mit Vorsicht, als er den Gemeinsamen Bundesausschuss an keiner Stelle als Regulierungsbehörde bezeichnet, sondern lediglich die wesenstypischen Merkmale mit den Regulierungsbehörden abgleicht.93 Der Grund für die vorsichtige Formulierung wird in dem äußerst heterogenen Begriff der „Regulierung“ liegen. Aus rein ökonomischer Perspektive betrachtet umfasst Regulierung die gesetzgeberischen Maßnahmen zur Beeinflussung von Wirtschaftssubjekten, um unerwünschte Marktergebnisse zu vermeiden, Marktinteressenten einen effektiven und diskriminierungsfreien Zu 88 Zur (ergänzenden) Absicherung des Sicherstellungsauftrages durch das Schiedswesen BSGE 122, 112 (126 f. Rn. 61). 89 Vgl. dazu K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 22 Rn. 4; speziell zu den Landesschiedsämtern T. Kingreen, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 89 Rn. 1. 90 W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 54 ff. 91 W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 56. 92 W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 57. 93 W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 54 ff.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

gang zum Markt zu verschaffen und ein flächendeckendes Angebot sicherzustellen.94 Ihr Ziel es ist, einen unverfälschten Wettbewerb, die Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie die Sicherstellung rechtlicher Voraussetzungen der wirtschaftlichen Tätigkeit zu gewährleisten sowie Interessierten den Zugang zum Markt zu ermöglichen und ausreichende und angemessene Dienstleistungen bereitzustellen.95 Im Wirtschaftsverwaltungsrecht werden diese Ziele durch die Verhaltenssteuerung von Wirtschaftssubjekten durch hoheitliche Ge- oder Verbote erreicht.96 Der Staat greift mithin dort, wo Aufgaben der Daseinsvorsoge an Private übertragen sind97, in das Marktgeschehen ein, um die Funktionalität der Aufgabenerfüllung sicherzustellen.98 Regulierung ist aber nicht nur ein Kontroll-, sondern auch ein Steuerungsinstrument.99 In der (teil-)privatisierten Verwaltung erfüllt der Staat anstelle einer Erfüllungs- lediglich eine Gewährleistungs­verantwortung, indem öffentliche Aufgaben nicht notwendig selbst, sondern durch Hinzuziehung Privater erfüllt werden.100 In diesem Zusammenhang steht über die Regulierung ein wichtiges Steuerungsinstrument zur Verfügung, um trotz Auslagerung der Aufgabenerfüllung dennoch die Letztverantwortlichkeit für den entsprechenden Sachbereich zu behalten. aa) Wettbewerb im deutschen Gesundheitswesen Im Kontext des öffentlichen Wirtschaftsrechts spielt Regulierung vor allem im Telekommunikations- oder im Eisenbahnrecht eine bedeutende Rolle.101 Eine Konzeption gestufter Verantwortung ist allerdings auch in der gesetzlichen Krankenversicherung erkennbar. Während die Einrichtungen funktionaler Selbstver 94

P. M. Huber, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 3. Kap V 2 b aa Rn. 177. 95 R. Stober / S . Korte, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2019, § 29 Rn. 881; P. M.  Huber, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 3. Kap V 2 b aa Rn. 177; T. von Danwitz, DÖV 2004, 977 (984); J. Ruthig /  S. Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 23; J. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 13 Rn. 3. 96 J. Ruthig / S . Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 23; T. von Danwitz, DÖV 2004, 977 (984). 97 Zur Verwaltungsprivatisierung ausführlich M. Burgi, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 10 Rn. 7 ff. 98 H. Maurer / C . Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 1 Rn. 18; vgl. dazu auch P. M. Huber, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 3. Kap V 2 b aa Rn. 177. 99 Vgl. dazu J.  Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2020, § 13 Rn. 8, der den Begriff der Regulierung eng verbunden mit der Konzeption des Gewährleistungsstaates sieht. 100 M. Burgi, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 10 Rn. 8. 101 M. Burgi, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 10 Rn. 38.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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waltung die ambulante und stationäre Versorgung gewährleisten102, wird sie durch die verschiedenen Leistungserbringer ausgeführt. Als Leistungserbringer kommen natürliche Personen sowie juristische Personen des Privatrechts in Betracht, die meist über die kollektivvertraglichen Bestimmungen in die gesetzliche Krankenversicherung eingebunden sind.103 Zwar stehen die Leistungserbringer zueinander grundsätzlich in marktwirtschaftlicher Konkurrenz, die sich allerdings nur bedingt entfalten kann: Bei den Vertrags(zahn)ärzten steht dem die hohe Nachfrage an Gesundheitsleistungen entgegen104; bei den Versicherten fehlt es an Fachkenntnis, um von einer „echten“ Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl der Gesundheitsleistungen auszugehen105; ferner sind die Abgabepreise verschreibungs- und apothekenpflichtiger Arzneimittel nach § 78 AMG i. V. m. der Arzneimittelpreisverordnung an feste Preise und Preisspannen gebunden. Wettbewerbliche Impulse zur Nutzung wirtschaftlicher Innovationspotentiale106 bestehen indessen auf der Seite der Versicherungsträger, wenn auch in sehr begrenztem Umfang: So etwa bei der Öffnung der ursprünglich territorial oder berufsständisch gebundenen Krankenkassen, der Anreicherung der Vergütungsformen für Leistungserbringer durch Pauschalen oder Budgets sowie die Implementierung von Selektivverträgen nach den §§ 73b, 140a SGB V.107 Von einem echten Wettbewerb nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen kann dennoch kaum die Rede sein; insoweit irritiert doch die Zeichnung der gesetzlichen Krankenkassen als „Unternehmen“, wie sie manchmal im Schrifttum erfolgt108. Zwar sind die ge 102 Hingewiesen sei hier insbesondere auf den Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen. Ausführlich dazu bereits oben S. 107 ff. 103 Zur Konzeption des Vertragsarztrechts als Kollektivvertragssystem BSGE 122, 112 (124 f. Rn. 55); T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (352). 104 Zu den Defiziten auf der „Angebotsseite“ siehe G.  Bäcker / G.  Naegele / R .  Bispinck /  K. Hofemann / J. Neubauer, Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Band 2, 5. Aufl. 2010, S. 119. 105 G. Bäcker / G. Naegele / R . Bispinck / K. Hofemann / J. Neubauer, Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Band 2, 5. Aufl. 2020, S. 118. 106 Allgemein zur rechtspolitischen Perspektive diesbezüglich R. G. Heinze, in: Evers / Heinze (Hrsg.), Sozialpolitik, 1. Aufl. 2008, S. 215. Siehe auch W.  Köbele, in: Sodan (Hrsg.), Die sozial-marktwirtschaftliche Zukunft der Krankenversicherung, 2011, S. 53, der marktwirtschaftliche Anreizsysteme nicht nur für geeignet ansieht, um Handlungsfreiheit und Eigenverantwortung der am Gesundheitswesen Beteiligten zu stärken, sondern auch um Anreize zur Verschwendung knapper Ressourcen zu vermindern. 107 Im Überblick dazu T. Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 22. T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (90), die in der Öffnung der Krankenkassen sogar einen Bruch mit dem historischen korporatistisch geprägten Modell der Versicherungsträger erkennen. 108 V. Emmerich, in: Damm / Heermann / Veil (Hrsg.), FS für Thomas Raiser, 2005, S. 648 spricht den gesetzlichen Krankenkassen eine „Zwitterstellung“ zwischen Privatrecht und Sozialversicherungsrecht zu, weil sie „je nach Blickwinkel“ als „Versicherungsunternehmen“ erscheinen. Dagegen betont M. Gabriel, NZS 2007, 345 (346), dass die im Allgemeininteresse von den gesetzlichen Krankenkassen erfüllten Aufgaben nicht gewerblicher Art sind.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

setzlichen Krankenkassen seit dem Gesundheits-Strukturgesetz vom 21. 12. 1992109 nicht mehr einem bestimmten Mitgliederstamm vorenthalten, müssen deshalb um Mitglieder aktiv werben und stehen grundsätzlich in Konkurrenz zueinander.110 Ein Leistungswettbewerb findet aber nicht auf dem Feld der wichtigen Kernleistungen statt, sondern ist nur dort eröffnet, wo die gesetzlichen Krankenkassen das Leistungsspektrum selbst bestimmen können. Dies trifft etwa bei der Festlegung zusätzlicher Leistungen in Randgebieten der Gesundheitsversorgung (vgl. § 11 Abs. 6 SGB V)111 oder bei dem nach § 53 SGB V vorgesehenen „Tauschgeschäft“ von Selbstbehalten gegen Prämienzahlungen durch Nutzung von Wahltarifen112 zu. Ein Preiswettbewerb kann etwa über den kassenartindividuellen Zusatzbeitrag nach § 242 SGB V in Betracht kommen.113 Weitere Wettbewerbsfaktoren spielen in der gesetzlichen Krankenversicherung praktisch keine Rolle.114 Gleichwohl genügen diese verhältnismäßig kleinen Handlungsspielräume, um einen wirtschaftlichen Konkurrenzdruck der Krankenkassen zu schaffen, obwohl die grundsätzlichen Bedingungen der Versorgung detailliert ausgeformt sind und Unterschiede in der Versorgungsqualität bereits weitgehend nivelliert wurden und durch das Fortführen dieser Grundhaltung immer weiter nivelliert werden115. Wettbewerbsverzerrungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen werden sogleich über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich abgefedert.116 109

BGBl. I, S. 2266. Siehe dazu F. Welti, VSSR 2006, 133 (148), der pointiert formuliert, „die meisten Versicherten sind frei, welche Kasse sie wählen wollen, aber nicht frei, ob sie einer Kasse angehören wollen“. Siehe auch S. Kluckert, Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts, 2009, S. 284 f.; T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (90); F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 530 S. 15 f. (Stand der Bearbeitung: August 2021). 111 K. S. Peick, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 10 Rn. 13; M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 11 SGB V Rn. 17. 112 Zu betonen ist ferner, dass Wahltarife nicht nur den Wettbewerb gesetzlicher Krankenkassen untereinander, sondern auch mit der privaten Krankenversicherung fördern sollen. Dazu M. Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 53 SGB V Rn. 1 f.; R. Schlegel, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 11 Rn. 12. Vgl. auch O. Seewald, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 21 SGB I Rn. 27 (Stand der Kommentierung: Juni 2013). 113 R. Schlegel, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 11 Rn. 11. 114 S. Kluckert, Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts, 2009, S. 289 geht ferner auf die Faktoren Service, Beratung und (eine noch näher zu bestimmende Form von) Qualität ein, formuliert aber zugleich, dass sich eine empirische Messbarkeit und Vergleichbarkeit nur schwer herstellen lasse. 115 P. Axer, Die Verwaltung 2002, 377 (380) wähnt die Kassenlandschaft deshalb auf dem Weg zu einer „Einheitsversicherung“. Noch ca. 25 Jahre zuvor spricht K. Gunder, BB 1987, 56 von „gravierenden regionalen Unterschieden“ der bundesweit tätigen Kassen zwischen Beitragsaufkommen und Leistungsaufwendungen. 116 Besonders weitreichend ist hierzu die Kritik von F. Kirchhof, in: Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005, S. 20, der bemängelt, dass der Risikostrukturausgleich 110

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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Im Falle der Selektivverträge werden zwar vereinzelte wettbewerbliche Impulse gesetzt; der Großteil der Versorgung wird nach wie vor über Kollektivverträge bestimmt, die nicht nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, sondern unter Steuerung der beteiligten Verbände117 ausgehandelt werden. Die Selektivverträge bleiben für die Krankenkassen ein günstiges Instrument, weil sie gegenüber einzelnen Leistungserbringern ihre starke Position in den Verhandlungen nutzen können.118 bb) Allokation von Gesundheitsleistungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss Das regulierende Element des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt allerdings – mangels ausgeprägter Marktwirtschaft im Gesundheitswesen – weniger in der wettbewerblichen Steuerung, sondern vielmehr in der Zuweisung (im wirtschaftspolitischen Fachjargon „Allokation“119) knapper und deshalb zu rationalisierender Gesundheitsleistungen, die in einem von Knappheit und Priorisierung geprägten Gesundheitswesen eine tragende Rolle spielt.120 Allerdings fällt die Aufgabe der Ressourcenverteilung, also der Allokation, nicht allein der Gemeinsamen Selbstverwaltung zu. Vielmehr bestehen verschiedene Allokationsebenen, deren (mit dem zum damaligen Zeitpunkt geltenden Verfahren) nicht konsequent als Finanzausgleich umgesetzt, sondern durch andere gesundheitspolitische Ziele angereichert sei; seine Kritik gipfelt auf S. 24 in der Formulierung, der Sozialversicherungsbeitrag werde, wenn ein großer Teil der Einnahmen einer Krankenkasse im Risikostrukturausgleich „verschwinde“, zu einer Sozialversicherungssteuer, wodurch die Versicherungsfunktion der Krankenkassen und die Legitimation der Pflichtmitgliedschaft „denaturiere“. Überzeugend ist ferner die streng am Versicherungsprinzip orientierte Auffassung von K. Gunder, BB 1987, 56 (57, 59), der Friktionen von Beitragsaufkommen und Leistungsausgaben durch Beitragsrückgewähr zugunsten der Versicherten lösen will und dies für mit dem Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung vereinbar hält. Vgl. zu den Wirkungen des Risikostrukturausgleichs auch F. Welti, VSSR 2006, 133 (149); M. Gabriel, NZS 2007, 345 (346); S. Kluckert, Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts, 2009, S. 287; T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (359); T. Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 22; P. Axer, NZS 2017, 601 (602). Krit. zum Gegensatz von Gewährshaftung für andere Krankenkassen und wirtschaftlichem Konkurrenzdruck H.-D. Steinmeyer, NZS 2008, 393 (399 f.). 117 BSGE 94, 50 (98 f. Rn. 130); BSGE 122, 112 (124 f. Rn. 55). 118 Vgl. dazu etwa T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (357). Dagegen betonen BSGE 88, 193 (202 f.); F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 100 S. 3 (Stand der Bearbeitung: August 2012) aber, dass die Sozialversicherung keine Angelegenheit bloß ausgewählter Gruppen ist. Anders aber G. Hörnemann, Sozialer Fortschritt 51 (2002), 66 (67), der gerade für das Leistungserbringungsrecht Spielräume der einzelnen Krankenkassen für „eigenständige Wege“ verlangt. 119 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, 2017, S. 13. 120 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 61 f.; T. Kingreen, VVD­ StRL 70 (2011), 153 (177); W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 56; A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (344).

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Unterscheidung maßgeblich auf den Sozialwissenschaftler Wolf Rainer Wendt zurückzuführen ist121 und der sich Stephan Rixen in seiner eingehenden Untersuchung des Sozialrechts anschließt. Eine erste Ressourcenverteilung auf der Makroebene übernimmt das Parlament selbst, indem grundlegende Entscheidungen zur Verteilungssystematik getroffen werden. Rixen nennt hier insbesondere den Grundsatz der Beitragssatzstabilität nach § 71 SGB V oder die Regelung zur pauschalen Vergütung ambulanter ärztlicher Leistungen nach § 85 SGB V. Die Makroebene beschreibt also die grobe gesundheitspolitische Verteilung.122 Erst in der sektoralen Verteilung auf der Ebene der Mesoallokation kommt die Gemeinsame Selbstverwaltung zum Zuge, die die zur Verfügung stehenden Mittel auf die Versorgungsbereiche aufzuteilen hat.123 Schließlich findet – bei den Krankenkassen – ein Prozess der Mikroallokation, also eine Verteilung der sektoral verfügbaren Mittel auf den einzelnen Patienten durch fachkundiges Gesundheitspersonal je nach seinen subjektiven Beschwerden und objektivierbaren Befunden statt.124 Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Risiko von Fehlallokationen, unabhängig auf welchen Ebenen, nicht von den Versicherten, sondern von den Leistungserbringern getragen wird. Stehen insgesamt weniger Mittel zur Verfügung oder nehmen die Leistungen bei gleichbleibenden Mitteln zu, führt dies zu einem geringeren Gegenwert zulasten der Leistungserbringer.125 Gerade für die Leistungserbringer sind die Allokationsentscheidungen deshalb von nicht unerheblicher Grundrechtsrelevanz, weshalb der Gemeinsame Bundesausschuss nicht anhand einer eigenen Bewertungssystematik entscheiden kann, sondern formellgesetzlich an objektive Anforderungen gebunden ist. Eine dieser Anforderungen stellt etwa das in § 12 SGB V verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot dar. Wenn ferner die Bewertung neuer Behandlungsmethoden gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V „dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ erfolgen soll, wird die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses durch das Kriterium der „evidenzbasierten Medizin“ determiniert.126 Ähnlich weitreichende Entscheidungen trifft der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Einführung neuer Arzneimittel, die zunächst das Verfahren der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchlaufen müssen, in deren Rahmen ebenso wie bei der Kosten-­NutzenBewertung von Arzneimitteln der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 35b Abs. 1 121

Siehe statt vieler Nachweise nur W. R. Wendt, in: ders. (Hrsg.), Soziale Bewirtschaftung und Gesundheit, 2017, S. 84 f. Siehe dazu auch V. Brinkmann, Sozialwirtschaft, 2010, S. 23 f. 122 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 62 f.; W. R. Wendt, in: ders. (Hrsg.), Soziale Bewirtschaftung und Gesundheit, 2017, S. 84. 123 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 63 ff. 124 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 65 f.; W. R. Wendt, in: ders. (Hrsg.), Soziale Bewirtschaftung und Gesundheit, 2017, S. 85. 125 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 70 f. weist diese These anhand bestimmter gesundheitsökonomischer Phänomene, etwa den floatenden Punktwerten oder Mengenbegrenzungen nach. 126 D. Roters, NZS 2007, 176 (177); W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 56.

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Satz 5 SGB V die international anerkannten Standards der „evidenzbasierten Medizin“ zu berücksichtigen hat. Mithilfe dieser objektiven Maßstäbe127 kann der Gemeinsame Bundesausschuss untaugliche und unwirtschaftliche Methoden aus der Versorgung ausschließen. Allerdings darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses weitgehend auf dessen Interpretation und Wertung dieser objektiven Kriterien beruht.128 Neben der weitreichenden Entscheidung über den Zugang zum Gesundheitsmarkt wird die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung wesentlich durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses determiniert.129 Insoweit ist der Befund von Winfried Kluth zutreffend, dass die Normsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses zugleich Wirtschaftslenkung der Leistungserbringer bedeutet. Wirtschaftliche Beeinflussung weist unterschiedliche Grundrechtsintensität auf. Während Lenkung und Wettbewerbsbeeinflussung meist nur zu – wenngleich nicht unerheblichen – mittelbar-faktischen Eingriffen in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit führen130, stellen Hindernisse für den Zugang zum Gesundheitsmarkt finale und unmittelbare Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit der Leistungserbringer mit tendenziell hoher Grundrechtssensibilität dar131. Insoweit ist die Intensität der Regulierungstätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht zu unterschätzen. Dementsprechend bedarf es hier einer stärkeren aufsichtlichen Kontrolle. d) Beratung, Koordination und Interessenvertretung In der gelebten Praxis der gesetzlichen Krankenversicherung ist vor allem die Funktion der (gesundheitspolitischen132) Interessenvertretung von Bedeutung. Das liegt im Charakter der korporativen Selbstverwaltungsstrukturen. Stephan Rixen ordnet die Selbstverwaltungsstrukturen im Recht der gesetzlichen Krankenversi 127

Zur evidenzbasierten Medizin als objektiver Bewertungsmaßstab D. Roters, NZS 2007, 176 (177). Zu weiteren objektiven Bewertungsmaßstäben der Gesundheitsökonomie T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (172 ff.). 128 T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (170 f.). 129 Das betrifft nicht nur die Festlegung der detaillierten Qualitätsmaßstäbe, sondern vor allem die Durchsetzung der Qualitätssicherungsmaßnahmen: Hier ist der Gemeinsame Bundesausschuss nach §§ 137 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V berufen, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, wenn Qualitätsstandards nicht eingehalten werden. 130 Generell dazu U. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (259). Vgl. auch M. Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 12 Rn. 62 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). Zu denken ist ferner an die ärztliche Therapiefreiheit, die durch wettbewerbliche Steuerung ebenfalls beeinflusst sein kann. Zu deren Verankerung in Art. 12 Abs. 1 GG siehe R.  Zuck, in: Quaas / Zuck / Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, § 2 Rn. 52. 131 Vgl. dazu nur H. Sodan, NZS 2000, 581 (586). 132 Zur Zulässigkeit politischer Interessenvertretung im Gesetzgebungsverfahren siehe bereits O. Gotzen, Sozialer Fortschritt 1954, 224 (224).

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

cherung als ein System der „Interessenmediatisierung“ ein, dem es darum gehe, die gegenläufigen Interessen in „vereinfachenden“ korporatistischen Strukturen abzubilden; mithin in einem ausgeprägten Verbandswesen.133 Erhard Denninger betont ferner, die interessengebundene, politische Verwaltung sei als ein dringendes Erfordernis von Selbstverwaltungsstrukturen zu charakterisieren.134 Winfried Kluth spricht von einem in der Selbstverwaltung impliziertem „Recht der Interessen­ vertretung“ in eigener Sache.135 Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung war die Interessen­ vertretung durch korporatistische Organisationen auch auf der Seite der Leistungs­ erbringer sogar unumgänglich. Ohne sie wäre das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aufrechtzuerhalten gewesen. Der regelmäßig freiberuflich tätige Arzt musste nämlich mangels kodifizierter Regeln über die Leistungserbringung selbstständig mit den Krankenkassen privatrechtliche Verträge abschließen.136 Dank ihrer verbandlich-korporatistischen Struktur einerseits und dem damaligen Überangebot an Ärzten andererseits befanden sich die gesetz­lichen Krankenkassen in einer überlegenen Position.137 Nicht zuletzt deren ungünstige Position gab den Ärzten den Ansporn, sich zu organisieren.138 Ein landesweiter Ausstand der Ärzte konnte durch das sogenannte Berliner Abkommen vom 23. 12. 1913139 vermieden werden, das erstmals überhaupt kollektivvertraglich die Entscheidung über die vertrags(zahn)ärztliche Zulassung dem Reichsausschuss der Ärzte und Krankenkassen als einem paritätisch besetzten Gremium beider Seiten, der ersten „gemeinsamen“ Selbstverwaltung140, zugewiesen hat.141 Der historische Rückblick zeigt also, dass eine organisierte Interessenvertretung beider Seiten für das Machtgleichgewicht und damit für das Funktionieren der gesetzlichen Krankenversicherung unverzichtbar war. Mit der Aufgabe der Interessenvertretung sind dennoch im Falle einer Fehlfunktion evident geringere Auswirkungen verbunden, als dies bei den zuvor untersuch 133

S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 334. Die korporatistische Struktur als nicht zwingend sieht indessen O. Seewald, KrV 2017, 221 (223) an. 134 E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 120. 135 W. Kluth, GewArch 2006, 446 (447). 136 K. Engelmann, NZS 2000, 1 (4); T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (353); E. Hauck, NZS 2010, 600 (606). 137 T. Clemens, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 26 Rn. 12. 138 Ausführlicher dazu K. Scholz, KrV 2017, 232. 139 Abgedruckt im Ministerial-Blatt der Handels- und Gewerbeverwaltung 1914, S. 85 ff. 140 Zum Begriff der „Gemeinsamen Selbstverwaltung“ P. Axer, Die Verwaltung 2002, 377 (391). 141 BSGE 81, 73 (83); C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 12 f.; T. Clemens, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 26 Rn. 13. H. Rebscher, MedR 2003, 145 (146) verdeutlicht, dass die Idee der gemeinsamen Selbstverwaltung bislang nur im ambulanten Sektor rechtlich und institutionell perpetuiert ist. P. Collin, KrV 2017, 133 (137) bezeichnet den Reichsausschuss der Ärzte und Krankenkassen als bedeutendste Institution des neuen Selbstverwaltungskonzepts nach dem Ersten Weltkrieg.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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ten Tätigkeitsbereichen der Fall ist. Dieser qualitative Unterschied der Funktionen muss sich auch in der Aufsichtsführung qualitativ spiegeln, was nicht bedeuten soll, dass bei ausschließlich beratungskompetenten Einrichtungen keine Rechtsaufsicht geboten sei. Auch hier muss die Einhaltung der in Art. 20 Abs. 3 2. Halbs. GG angeordneten Gesetzesbindung der Verwaltung kontrolliert und notfalls unter Einsatz von Ingerenzrechten umgesetzt werden können.142 Es schadet daher nicht, bei weniger intensiven Funktionen die Aufsichtsführung entsprechend zu lockern, um dem Selbstverwaltungsgedanken genügend Raum zu belassen. Doch auch bei der Beratung und Interessenvertretung kann es Abstufungen bei den Auswirkungen geben, die ebenfalls bei der Bestimmung der exekutiven Kontrolldichte Berücksichtigung finden sollten. aa) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als universeller Dienstleister der gesetzlichen Krankenkassen auf Bundesebene Um diese Risiken beurteilen zu können, sollen die Tätigkeitsbereiche der Interessenvertretungen untersucht werden. Zu den Hauptfunktionen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen gehört die Interessenvertretung der Kranken(§ 217f Abs. 2 Satz 2 SGB V) und Pflegekassen, die unterstützende Tätigkeit bei der Abstimmung verschiedener Prozesse, etwa im Bereich des Datenaustauschs (§ 217f Abs. 2 Satz 1 SGB V) sowie bei der Entscheidungsfindung in Fach- und Rechtsfragen aus dem Bereich der Beiträge (§ 217f Abs. 3 SGB V). Seit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes143 zum 1. April 2007 besteht der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als globale Einrichtung zur Interessenvertretung144 der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Die Aufgaben, die der Spitzenverband ab dem 1. Juli 2008 zu erfüllen hat, entsprechen denen, die zuvor von den früheren Bundesverbänden der Krankenkassen gemäß § 217 SGB V a. F. zu erfüllen waren.145 Als globale Interessenvertretung der gesetzlichen Krankenkassen hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die vormaligen „Spitzenverbände“, in § 213 SGB V a. F. als Bundesverbände der Krankenkassen bezeichnet, abgelöst. Gleichwohl ist er kein Rechtsnachfolger der Bundesverbände.146 142

Dazu auch H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 400 f. BGBl. I 2007, S. 378. 144 Darüber hinaus vereinigen sich im Spitzenverband Bund der Krankenkassen auch die Interessen der Versicherten, Patienten sowie Arbeitgeber bzw. Unternehmen. Dazu K. Loer, KrV 2017, 227 (229 f.). 145 W. Engelhard, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB V, § 217f Rn. 4 (Stand der Kommentierung: März 2021). 146 K. Peters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 217a SGB V Rn. 5 (Stand der Kommentierung: April 2012); N. Brall, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 32 Rn. 79; vgl. hierzu auch W. Engelhard, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB V, § 217f Rn. 4 (Stand der Kommentierung: März 2021). 143

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Denn diese bestehen, jedenfalls zu Teilen147, nach wie vor. Allerdings sind sie nach § 212 SGB V n. F. nunmehr als Gesellschaften bürgerlichen Rechts (vgl. § 212 Abs. 1 SGB V n. F.) oder als eingetragener Verein (vgl. § 212 Abs. 5 SGB V n. F.) organisiert. Wie die Formulierung in § 217a Abs. 1 SGB V nahelegt, ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Zwangskörperschaft für alle Kranken- und Pflegeversicherungsträger eingerichtet. Die Errichtung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hat vor allem eine kassenartübergreifende Konzentration der Interessenvertretung zur Folge, führte aber nicht, wie der Fortbestand der alten Bundesverbände der Krankenkassen zeigt, zu einer Exklusivkompetenz zur Interessenvertretung.148 Die Einrichtung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ist vor allem dem Drängen der SPD im Zuge der Gesundheitsreform 2007 geschuldet, die sich in dieser Frage gegen die Union als Koalitionspartner durchsetzen konnte.149 Ausweislich der Gesetzesbegründung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes erfolgte die Schaffung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, um „Handlungs­blockaden“ zu beseitigen und Entscheidungswege zu „straffen“.150 Die Begründung des Gesetzgebers überrascht; haben die Beratungen durch die vorherigen Spitzenverbände doch gut funktioniert und zu effektiven und sachdienlichen Ergebnissen geführt.151 Während die früheren Bundesverbände, sofern sie noch existieren, an Bedeutung verloren haben, führt die Konzentration der Interessenvertretung auf Bundesebene zu einem gesteigerten Einfluss des Spitzenverbandes Bund der Kranken­ kassen und damit mittelbar auch des Bundesministeriums für Gesundheit auf die Versicherungsträger.152 Gerade diese nicht unbedenkliche Schnittstelle zur Ministerialverwaltung macht den Spitzenverband Bund der Krankenkassen indessen zur wichtigsten Interessenvertretung der Krankenversicherungsträger. Der hohe Einfluss des Spitzen­ 147 Von den damaligen Bundesverbänden bestehen heute der als GbR organisierte AOKBundesverband sowie als eingetragener Verein der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek). BKK-Bundesverband sowie IKK-Bundesverband sind aufgelöst worden. Nach Angaben von K.-H. Mühlhausen, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 212 Rn. 3 befindet sich der IKK-Bundesverband noch immer in Liquidation. An deren Stelle sind neue Interessenvertretungen getreten; für die Betriebskrankenkassen der BKK Dachverband, für die Innungskrankenkassen der IKK e. V. An diesen neuen Zusammenschlüssen wirken allerdings nicht alle Betriebs- bzw. Innungskrankenkassen mit. 148 Dass eine gebündelte Interessenvertretung durch Selbstverwaltungsträger auch andere Einrichtungen zur Interessenvertretung zulässt, bekräftigt auch W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 326. 149 W. Schroeder, in: ders. / Paquet (Hrsg.), Gesundheitsreform 2007, 2009, S. 87. 150 BT-Drucksache 16/3100, S. 90, 161. 151 So auch K.-H. Mühlhausen, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 217a Rn. 1. Dagegen hält R. Pitschas, in: Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005, S. 53 die Schaffung einer bundesweiten Dachorganisation im Sinne einer „Konzernstruktur“ aus Effizienzgesichtspunkten für sachgerecht. 152 A. Hänlein, in: Schroeder / Paquet (Hrsg.), Gesundheitsreform 2007, 1. Aufl. 2009, S. 113; W. Schroeder, in: ders. / Paquet (Hrsg.), Gesundheitsreform 2007, 1. Aufl. 2009, S. 191.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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verbandes Bund der Krankenkassen macht sich dabei nicht nur in seiner Position als Verhandlungspartner mit den Leistungserbringern, sondern auch über seine Rolle im Gemeinsamen Bundesausschuss bemerkbar. Dort nimmt der Spitzen­ verband Bund der Krankenkassen eine ambivalente Stellung ein. Indem er die Bank der Versicherungsträger allein vertritt, repräsentiert er gleichermaßen die Interessen der Versicherten wie auch der gesetzlichen Krankenkassen; er muss deshalb mit durchaus divergierenden Interessen jonglieren153. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist deshalb in zweierlei Hinsicht als Interessenvertretung relevant. Für die Versicherungsträger ist er die zentrale Dachorganisation und hat deshalb erheblichen Einfluss auf die Krankenkassen und ihre Verbände. Die Interessenvertretung durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist deshalb in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen und muss entsprechend durch administrative Kontrolle abgesichert sein. bb) Interessenvertretung durch die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen Auch die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen betreiben Interessenvertretung. Sie sind die höchsten Dachorganisationen ihrer jeweils 17 Mitglieder154 auf Bundesebene. Mangels Weisungsbefugnis lassen sie sich nicht als (Fach-)Aufsichtsinstanzen ihrer Mitglieder verstehen155; vielmehr fungieren sie als Dienstleister sowie bundesweite Interessenvertretungen. Formal wird dieser Auftrag zur Interessenvertretung der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigungen als Rechtswahrnehmungsauftrag bezeichnet.156 Der Rechtswahrnehmungsauftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen) steht aber in einer gewissen Spannungslage zum Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag. Auf der einen Seite müssen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die individuellen Interessen ihrer Mitglieder (und damit an der Basis die Interessen der als Pflichtmitglieder in die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen eingebundenen Vertrags(zahn)ärzte157) 153

Vgl. auch A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (357). Auch bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen zeigt sich, dass die ambivalente Stellung nicht einfach zu handhaben ist, aber durchaus gelingen kann. Ausführlicher unten S. 120 ff. 154 Siehe O.  Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB V Rn. 26 (Stand der Kommentierung: September 2017). Die Zahl von 17 Mitgliedern ergibt sich aus der Zusammenlegung der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen in den Bundesländern, von der lediglich die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe aufgrund ihrer Mitgliederstärke verschont blieben. 155 F. E. Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 49 Rn. 207; O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB V Rn. 26 (Stand der Kommentierung: September 2017). 156 M. Stellpflug / M. Kronenberger, MedR 2015, 711 (714); S. Huster, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 17; K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 60. 157 T. Rompf, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 3 Rn. 9.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

vertreten, auf der anderen Seite das kollektive Interesse an einer stabilen ambulanten Versorgung berücksichtigen.158 Ihnen kommt gewissermaßen eine Doppelfunktion zu.159 Meist ist diese ambivalente Stellung unproblematisch, weil sich die Interessen der Leistungserbringer, die ihre Dienstleistungen zur Verfügung stellen160, mit den Interessen der Versicherungsträger an einer möglichst hochwertigen und zugleich wirtschaftlichen Versorgung161 häufig überschneiden. Möglicherweise auch und gerade mit den Interessen der Versicherten selbst, zu deren Wohl und in deren Interesse die Leistungserbringer kraft ihres beruflichen Ethos tätig werden und tätig werden wollen.162 Zur Sicherstellung und Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung der Versicherten163 kann es aber zuweilen erforderlich sein, auch für die Vertrags(zahn)ärzte nachteilige Entscheidungen zu treffen. Denn zu den Inhalten des Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrages gehört auch die Einstandspflicht164 für die Erfüllung der den Vertags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten165, was sich insbesondere bei der Abrechnung erbrachter Leistungen166 sowie der Wirtschaftlichkeitsprüfung167 deutlich macht. Bei der Interessenvertretung müssen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ihrer ambivalenten Funktion gerecht werden; zugleich hat es eine hervorgehobene Tragweite, wenn die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die Belange der Ver 158

Ausführlich zum Umfang des Rechtswahrnehmungsauftrages K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 63. 159 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 10. 2010  – L 5 KA 5241/09  –, juris Rn. 42; S. Huster, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 17; P. Axer, Die Verwaltung 2002, 377 (389); K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 60. 160 Zum Berufsethos der Ärzte- und Zahnärzteschaft im Allgemeinen J. Taupitz, MedR 1998, 1 (3). 161 I. Ebsen, MedR 2006, 528 (529) unterscheidet zwischen den Versicherten- und den Beitragszahlerinteressen. 162 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 253. 163 Zu dieser Leitidee des Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrages BSGE 122, 112 (122 f. Rn. 48); BSG, Beschluss vom 24. 1. 2018 – B 6 KA 80/17 B –, juris Rn. 14; T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 19 Rn. 21. 164 Ob mit dieser Einstandspflicht eine verschuldensunabhängige Haftung der Kassenärzt­ lichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen einhergeht, ist umstritten und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher berücksichtigt werden. Siehe hierzu nur S. Huster, in: Becker /  Kingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 16. 165 BSG, Urteil vom 15. 11. 1995 – 6 RKa 17/95 –, juris Rn. 19; T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 19 Rn. 48. 166 Bayerisches LSG, Urteil vom 19. 1. 2003 – L 12 KA 189/01 –, juris Rn. 22; T. Bristle, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 19 Rn. 48. 167 Die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen überwachen gemeinsam mit den Krankenkassen gem. § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Wirtschaftlichkeit der von den Vertrags(zahn)ärzten erbrachten Leistungen und schaffen durch Bildung von Prüfungsstellen und Beschwerdeausschüssen (vgl. § 106c Abs. 1 Satz 1 SGB V) die administrativen Voraussetzungen zu deren Durchsetzung.

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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trags(zahn)ärzte verteidigen. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen besteht die einzige Möglichkeit für die Ärzte und Zahnärzte im Rahmen ihrer Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung, sich gegenüber der Gesundheitspolitik zu behaupten und ihre Interessen geltend zu machen. Mit Blick auch darauf, dass den Vertrags(zahn)ärzten kraft ihrer Einbindung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung Mittel des kollektiven Arbeitsrechts, etwa das Streikrecht, verwehrt bleiben168, erfüllt der Rechtswahrnehmungsauftrag durch die Interessenvertretung eine wichtige Funktion zur Wahrung wichtiger Grundrechtspositionen der Vertrags(zahn)ärzte.169 Über das Sprachrohr der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen auf der Länderebene und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen auf der Bundesebene machen die Vertrags(zahn)ärzte ihre Interessen sowohl in Verfahren zum Abschluss der Kollektivverträge170, als auch in der parlamentarischen Gesetzgebung171 geltend. Tendenziell sollten Bedeutung und Tragweite der Rechtswahrnehmung durch die Kassenärzt­ lichen Bundesvereinigungen höher zu gewichten sein als die Wahrnehmung der Interessen der gesetzlichen Krankenkassen durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Gewiss hat diese Einschätzung Auswirkungen auf die Staatsaufsicht, die dann strenger als für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen ausfallen muss. cc) Beratung und Koordination durch den Medizinischen Dienst Bund Gut zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des die vorliegende Untersuchung betreffenden GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes ist das MDK-Reformgesetz in Kraft getreten, mit dem der Medizinische Dienst organisatorisch verselbstständigt und vollkommen neu strukturiert worden ist. Für die Bewertung einiger Novellierungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes hat die spätere Emanzipation des Medizinischen Dienstes eine tragende Bedeutung, weil sie einen vollkommen neuen Blickwinkel auf diese Institution eröffnet. Ein ganz zentraler Befund steht dabei im Vordergrund: Die Kernaufgaben des MDS sind im Wesentlichen auf den Medizinischen Dienst Bund übergegangen. 168

„Kampfmaßnahmen“ des kollektiven Arbeitsrechts seien insbesondere mit dem Vertragsarztrecht nicht in Einklang zu bringen. Dazu BSGE 122, 112 (118 Rn. 34). Dieser Auffassung ablehnend gegenüber stehen H. Sodan / N. Schaks, VSSR 2014, 89 (109 ff.). 169 Vgl. K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 60. 170 Besonders deutlich wird die Interessenvertretung bei der Aushandlung der Honorarverträge. Zur Bedeutung des Rechtswahrnehmungsauftrages im Vertragsrecht siehe S. Huster, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 18. Vgl. auch zu den Mitteln der Interessenwahrnehmung G. Steinhilper / H. Schiller, MedR 2003, 661 (662). 171 Das Gesetz hält in § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB V sogar eine Grundlage bereit, um Abordnungen von Mitarbeitern der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen in Bundes- oder Landesbehörden, insbesondere bei der Erarbeitung von Gesetzesvorlagen, zu ermöglichen. Siehe hierzu O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB V Rn. 27 (Stand der Kommentierung: September 2017).

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Das betrifft vordergründig die beratende Tätigkeit des Medizinischen Dienstes Bund. Nach dem Gesetzentwurf des MDK-Reformgesetzes sind die in § 283 Abs. 1 SGB V genannten Aufgaben schlicht aus der Altregelung § 282 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB V a. F. übertragen worden.172 Zwei Kernkompetenzen auf dem Gebiet der Beratung sind damit erhalten geblieben. Die erste Kernkompetenz des früheren MDS lag nach § 282 Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F. in der Beratung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.173 Diese Aufgabe nimmt auch weiterhin der Medizinische Dienst Bund wahr. In Ansehung dessen, dass die „Kernaufgaben“ schlicht übertragen worden sind, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Beratung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach wie vor um eine Pflichtaufgabe174 des Medizinischen Dienstes Bund handelt. Ausweislich § 283 Abs. 1 Satz 2 SGB V erstreckt sich die Beratung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen auf alle medizinischen Fragen in dessen Aufgabenbereichen. Mithin generiert der Medizinische Dienst Bund auch weiterhin das medizinische Fachwissen, das für die Tätigkeit des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen erforderlich ist. Auch die zweite Kernkompetenz des früheren MDS hat der Medizinische Dienst Bund übernommen. Nach § 283 Abs. 1 Satz 1 SGB V175 hat der Medizinische Dienst Bund die Aufgabendurchführung sowie die Zusammenarbeit der einzelnen Medizinischen Dienste in sämtlichen medizinischen und organisatorischen Fragen zu koordinieren. Der Medizinische Dienst Bund ist also der Koordinator auf Bundesebene176; die Medizinischen Dienste sind nach § 283 Abs. 5 SGB V177 gehalten, den Medizinischen Dienst Bund bei seiner Arbeit zu unterstützen. Neben der zuvor schon dargestellten Richtliniengebung übernimmt der Medizinische Dienst Bund auch weiter hauptsächlich beratende und koordinierende Aufgaben. Das lässt ihn schnell als nachrangigen Akteur mit nur wenig Einflussmöglichkeiten erscheinen. Nicht zu übersehen ist aber, dass der Medizinische Dienst Bund durch seine Unterstützung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen mittelbar Einfluss auf dessen Tätigkeit im Gemeinsamen Bundesausschuss hat.178 Die beratende Tätigkeit gibt dem Medizinischen Dienst Bund also erheblichen fachlichen Einfluss auf andere Organisationen. In vielen komplexen Detailbereichen ist dieser fachliche Einfluss Entscheidungsgrundlage für die Tätigkeit ande 172

BT-Drucksache 19/13397, S. 77. So auch R. Hess, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 282 SGB V Rn. 4 (Stand der Kommentierung: September 2017). 174 So musste der frühere MDS auf Anruf des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen tätig werden; er konnte sein Tätigwerden also nicht verweigern. Siehe hierzu R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 282 SGB V Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Juni 2016). 175 Vormals § 282 Abs. 2 Satz 2 SGB V a. F. 176 Vgl. auch zum früheren MDS R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 282 SGB V Rn. 8 (Stand der Kommentierung: Juni 2016). 177 Vormals § 282 Abs. 2 Satz 5 SGB V a. F. 178 R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 282 SGB V Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Juni 2016) – noch zum früheren MDS. 173

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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rer Selbstverwaltungsträger. Die Funktionsfähigkeit des Medizinischen Dienstes im Gesamten ist deshalb für die fachliche Ebene der Vorbereitung und Erarbeitung von Entscheidungen unerlässlich. Sicherlich bleiben die Einflussmöglichkeiten weit hinter denjenigen Organisationen zurück, die über die untergesetzliche Normsetzung mit weitreichender Verbindlichkeit wichtige Entscheidungen treffen. Doch auch die Beratung und Koordination – und damit die fachliche Vorbereitung der Entscheidungsfindung – sind Aufgaben, deren Bedeutungsgehalt keinesfalls unterschätzt werden sollte. Angesichts dessen muss den Aufsichtsbehörden ein hinreichender Kontrollumfang auch über diese Organisation eingeräumt werden, wobei die Kontrolldichte sicherlich geringer als bei den übrigen Spitzenorganisationen ausfallen darf. 3. Zwischenbilanz Die Betrachtung der verschiedenen Spitzenorganisationen zeigt ein gemischtes Bild verschiedener Aufgabenbereiche mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten, die von der Beratung und Koordination und damit typischen Vorfeldaufgaben bis hin zu der Richtliniengebung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit beträchtlicher Bedeutung reichen können. Mit diesem bunten Bild wird aber auch deutlich, dass Aufsichtsstrukturen über die Spitzenorganisationen keinesfalls standardisiert sein dürfen, wollen sie dem Anspruch gerecht werden, passgenau auf die Bedürfnisse der Selbstverwaltung zugeschnitten zu sein. Das Gleichgewicht von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht verlangt nicht zuletzt, den Besonderheiten der Selbstverwaltungsträger Rechnung zu tragen.

II. Grenzen und Möglichkeiten für die Konstruktion der Staatsaufsicht Gleichwohl muss der parlamentarische Gesetzgeber der Selbstverwaltung genügend Raum belassen, damit sie sich überhaupt entfalten kann. Insoweit stößt die Konzeption des wechselseitigen Ausgleichs von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht auf eine äußere Grenze. Diesen Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht bereits in den ersten Zügen seiner Rechtsprechung – bezogen allerdings auf die deutlich stärker fundierte kommunale Selbstverwaltung – geäußert. So führt der Erste Senat dieses Gerichts in seinem Urteil vom 20. März 1952 aus, es sei „gewiß […] ein bestimmter Kern der Selbstverwaltung gegen jede gesetzliche Schmälerung gesichert“, wobei es Erscheinungsformen der Selbstverwaltung gebe, „die sich in besonderen Notlagen gewisse Einschränkungen gefallen lassen müssen“.179

179

BVerfGE 1, 167 (178).

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Der Grundgedanke muss jedenfalls auch für die funktionale Selbstverwaltung Geltung beanspruchen, weil ansonsten ein Unterlaufen des einschränkungsfesten „Kerns“ der Selbstverwaltung ohne Weiteres möglich wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass die funktionale Selbstverwaltung regelmäßig auf brüchigerem Fundament gebaut ist als die kommunale Selbstverwaltung. Denn auch die funktionale Selbstverwaltung wäre ihrem Sinn beraubt, könnte sie durch die Staatsaufsicht unbegrenzt zurückgedrängt werden. Wie viele Freiräume den Selbstverwaltungsträgern konkret verbleiben müssen, lässt sich pauschal kaum beantworten. Hierauf muss es im Einzelnen aber nicht ankommen, wenn bereits bei der Ausformung der Aufsichtskonzeption Wege gesucht werden, mit denen dem Selbstverwaltungsgedanken noch genügend Raum belassen wird. Die gesetzliche Konstruktion der Staatsaufsicht bietet hierzu aus drei Gründen genügend Spielraum. 1. Formbarkeit der funktionalen Selbstverwaltung durch das Fachrecht Als erstes ist das Spannungsverhältnis weitgehend über das Fachrecht formbar. Jürgen Salzwedel macht deshalb die Existenz „echter“ Selbstverwaltung vom Verständnis des positiven Rechts abhängig.180 Er grenzt auf Grundlage dieser Überlegung die gelenkte Gesetzesausführung von der eigenständigen Erfüllung bestimmter Aufgaben im Rahmen des geltenden Rechts durch Auslegung des positiven Fachrechts ab.181 In der Tat werden sich Freiräume, mögen sie sich auch auf Detailfragen konzentrieren und sich dementsprechend in materiellen Grenzen halten, über das positive Recht ermitteln lassen. Die Eigenverantwortlichkeit als Strukturelement der Selbstverwaltung lässt sich also aus dem positiven Recht ablesen oder zumindest durch Auslegung ermitteln. Die Qualität der funktionalen Selbstverwaltung ist abhängig von der positiv-rechtlichen Zuweisung von Kompetenzen. Je umfassender die Kompetenzen der Selbstverwaltungsträger sind, umso umfassender muss auch die exekutive Kontrolldichte nach der hier vertretenen Faustregel sein. Umgekehrt folgt aus dieser Überlegung, dass sich der Kontrollaufwand eingrenzen lässt, wenn den Selbstverwaltungsträgern positiv-rechtlich zugestandene Kompetenzen eingeschränkt oder genommen werden, sei es durch die Verdichtung des Fachrechts182, oder durch schlichten Kompetenzentzug durch Umstrukturierung des Fachrechts, idealerweise verbunden mit Ansätzen zur Optimierung und Deregulierung183 des Rechts. Die Rechtsverdichtung ist sicherlich das Mittel, welches sich technisch am besten umsetzen lässt, gleichwohl aber in Widerspruch 180

J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (222) J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (225). 182 Zu der Möglichkeit, dass sich die reine Rechtsaufsicht zu einer „Einmischungsaufsicht“ bzw. einer Fachaufsicht verdichten kann BVerfGE 78, 331 (341); VerfGH Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 1997, 249 f.; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 2007, 702 (702). Ausführlich dazu bereits oben S. 60 f. 183 Siehe hierzu ausführlich unten S. 326 f. 181

C.  Konzeption zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsdichte

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zu dem Anspruch steht, funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht auszubalancieren, weil es die Gefahr birgt, dass die Selbstverwaltung zum „bloßen Gesetzesvollzug“184 verkommt. 2. Formbarkeit der normativen Architektur der Staatsaufsicht Eine zweite Möglichkeit liegt in der Vielfalt möglicher Ausgestaltungen von Staatsaufsicht. Denn es ist für den parlamentarischen Gesetzgeber noch einfacher, das breite Spektrum möglicher Kontrollinstrumente zu nutzen, ohne zwingend die fachrechtlichen Grundlagen zu verdichten. Die moderne Staatsaufsicht bietet nämlich ein breites Spektrum verschiedener Aufsichtsmechanismen, die sich gerade nicht ausschließlich in repressiver Kontrolle erschöpfen.185 Diese Bandbreite gilt es zu nutzen; und zwar bereits bei der gesetzlichen Konstruktion der Staatsaufsicht. Je nach Art und Reichweite der Befugnisse, die der Selbstverwaltung zukommen, steht dem parlamentarischen Gesetzgeber ein breites Spektrum verschiedener Aufsichtsmaßnahmen zur Verfügung, die auf einer Vorauswahl und Vorsteuerung durch das Gesetz gründen. Bei der normativen Konstruktion der Staatsaufsicht hat der parlamentarische Gesetzgeber also offensichtlich gehörige Freiräume für Varianzen. Es macht nämlich einen Unterschied, ob die Aufsichtsführung schon gesetzlich auf eine rein repressive Ausführung ausgelegt ist, was sich in weitreichenden Eingriffsermächtigungen der Aufsichtsbehörden äußert oder ob etwa die Selbstverwaltungsträger zur Einrichtung eines Compliance-Systems verpflichtet werden, womit sie die Ausführung dieser internen Kontrolle in besonderem Maße selbst steuern können. Es sei nämlich daran erinnert, dass sich Compliance im eigentlichen Sinne an Verhaltenskodizes und Normen misst, die sich eine Organisation selbst gesetzt hat.186 Selbst wenn dieses Verständnis von Compliance nicht ohne Modifikationen auf die Bereiche des öffentlichen Rechts übertragbar wäre, so zeigt sich doch, dass Compliance bewusst auf Selbstkontrolle, Kooperation und kontinuierliche Beratung abzielt. In der Konstruktion der Staatsaufsicht über die Träger funktionaler Selbstverwaltung liegt mithin erhebliches Steuerungspotential für die administrative Kontrolle. Ein Konzept des wechselseitigen Ausgleichs und mit der Zielsetzung, die administrative Kontrolle möglichst passgenau auf die Selbstverwaltungsträger 184 Zu dieser Überlegung P. Axer, NZS 2017, 601 (602). Konkreter zum Gemeinsamen Bundesausschuss K.  Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 23 Rn. 36. 185 Vgl. dazu insbesondere W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. Siehe auch R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (910). 186 M. Krasney, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 217b Rn. 46 (Stand der Kommentierung: März 2018); E. Kreßel, NZG 2018, 841 (841). Siehe auch ausführlich zur Compliance im Gesundheitswesen.

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

zuzuschneiden, wird deshalb auch verlangen, diese Steuerungsmöglichkeiten in Ansehung der unterschiedlichen Funktionen, Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten der Selbstverwaltungsträger bewusst einzusetzen. Es bedarf also auch der zielgerichteten Einführung kooperativer und präventiver Kontrollmechanismen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die kooperative Staatsaufsicht die repressive Aufsichtsführung nicht vollkommen zu verdrängen vermag. Dort, wo Rechtsverletzungen durch den beaufsichtigten Verwaltungsträger erfolgen, müssen Instrumente zur Verfügung stehen, um die nachträgliche Beseitigung der Rechtsverletzung anordnen zu können. Es braucht deshalb ein Nebeneinander von kooperativer und repressiver Aufsichtsführung.187 Im Einzelfall wird anhand einer Risikoprognose und Folgenabschätzung zu bestimmen sein, welches Kontrollkonzept das „passgenaue“ für die jeweilige Einrichtung funktionaler Selbstverwaltung ist. Als Anknüpfungspunkt sollen hierzu nicht vorrangig die organisatorische Struktur der Einrichtung, sondern ihr Tätigkeitsprofil und die Auswirkungen ihres Handelns dienen. 3. Formbarkeit durch die Art der Ausführung der Staatsaufsicht Die Stärke der Staatsaufsicht bemisst sich drittens nicht nur anhand der Dichte der Aufsichtsgesetzgebung; vielmehr können sowohl die Aufsichtsermächtigungen als auch die Art und Weise der Aufsichtsführung entscheidend sein. Für die Effizienz und Durchschlagskraft staatlicher Aufsicht trägt die Aufsichtsgesetzgebung nur einen Teil bei, zum Großteil bestimmt die Art ihrer Ausübung die Qualität der Aufsicht. Stark ausgeprägte gesetzliche Kontrollbefugnisse müssen nicht zwingend zu einer übermäßigen administrativen Kontrolle führen. Sie bringen die Zielsetzung eines Gleichgewichts zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht nicht in Gefahr, wenn sie schonend ausgeübt werden. Eine inflationäre Verdichtung der Aufsichtsgesetzgebung ist deshalb genauso wenig zielführend, wie ein vollständiger Rückzug aus der repressiv geführten Staatsaufsicht, wie sie anklingt, soweit Stephan Rixen unter dem Motto „Aufsicht ist gut, Compliance ist besser“ – sicherlich vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Kooperation häufig eher fruchtet als repressives Einschreiten – die Beschränkung auf eine „Strukturgewährleistungsaufsicht“ vorschlägt.188 Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass der Staat in essentiellen Bereichen zumindest über repressive Ingerenzrechte verfügen muss, unabhängig von der Direktive, hiervon nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Außerdem verlangt ein Zurückfahren repressiver Kontrolle die Bereitschaft der Selbstverwaltungsträger zu ebenso maßvollem Agieren.189 187

Zweifelnd, ob eine ausschließliche Verschärfung der repressiven Kontrolle Erfolge zeitigt, auch G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (147). 188 S. Rixen, KrV 2017, 138 (140); R. Pitschas, KrV 2017, 149 (150). Ähnlich auch G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (148). 189 Bezogen auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen S. Rixen, KrV 2017, 138 (140); für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (148).

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

127

D. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des zweiten Kapitels in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: 1. Trotz aller Eigenverantwortung braucht die Selbstverwaltung staatliche Kontrolle; zur Erfüllung bestimmter komplexer Aufgaben wiederum kann die Selbstverwaltung dem Staat nützlich sein. Selbstverwaltung und Kontrolle in Form staatlicher Aufsicht stehen in einem unauflöslichen Verhältnis zueinander. Auf Kontrolle, in welcher Form auch immer, kann in keiner Konzeption von Selbstverwaltung verzichtet werden. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht bedarf regelmäßig keiner absoluten Auflösung, sondern einer (wechselseitigen) Regulierung. 2. Von der Idee eines Gleichgewichts zwischen Freiheit und Kontrolle sowie zwischen Dezentralisierung und Hierarchie ist das Verhältnis von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht seit jeher bestimmt. Mehr als vage Leitlinien lassen sich aus diesen Aussagen nicht gewinnen. Immerhin ist aber mit der Terminologie von einem Spannungsverhältnis als „Gleichgewichtslage“ verbunden, dass ein Ausgleich schonend in einer Weise herbeizuführen ist, in der beide Seiten noch hinreichend zur Entfaltung gelangen können. Wenn dieses begriffliche Verständnis zutrifft, stehen funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht in einer Art Konkordanzverhältnis zueinander. 3. Konkretere Anforderungen an die Ausgestaltung des Spannungsverhältnisses stellt Horst Dreier, der dafür plädiert, das Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht durch ein „bereichsspezifisches Ausbalancieren“ zu regulieren. Er knüpft damit an eine von Rüdiger Breuer in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Anstalt vertretene Auffassung an, wonach der Einfluss der unmittelbaren Staatsverwaltung als „Muttergemeinwesen“ umso stärker zurückgedrängt werden könne, je „stärker das Verselbständigungsinteresse [der dezen­ tralisierten Verwaltungseinheiten] legitimiert ist“. Dreier überträgt diesen Gedanken sinngemäß auf die Selbstverwaltung und formuliert, die staatliche Kontrolle über die Selbstverwaltungsträger könne reduziert werden, wenn die Gründe für die Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten von der unmittelbaren Staatsverwaltung als „Muttergemeinwesen“ „stichhaltig oder gar verfassungsrechtlich fundiert“ sind. Die Überlegungen von Horst Dreier überzeugen, weil es mit ihnen gelingt, die Regulierung des Spannungsverhältnisses von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht an objektiven Kriterien festzumachen. Maßgebliches Kriterium für den Zusammenhang von Staatsaufsicht und funktionaler Selbstverwaltung ist deren rechtliche Fundierung. a) Allerdings erfasst die Konzeption von Dreier lediglich die Frage, wie solide die dezentralisierten Verwaltungseinheiten rechtlich verselbstständigt sind. Das

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2. Kap.: Konzept für die Regulierung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht

Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Kontrolle findet damit zwar einen objektiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt. Allein aus der objektiv-rechtlichen Perspektive werden sich jedoch die Unterschiede der zahlreichen Selbstverwaltungsträger kaum begreifen lassen. Aus der rein objektiv-rechtlichen Perspektive ließe sich im Grunde nur die Auffassung gewinnen, dass für sämtliche Selbstverwaltungsträger dasselbe Maß staatlicher Kontrolle geboten ist. Dieser Befund verkennt indes die erheblichen Unterschiede der einzelnen Einrichtungen hinsichtlich Bedeutung und Tragweite ihrer Tätigkeit, den Risiken von Funktionsstörungen sowie den Folgen hieraus. b) Gerade eine differenzierte Betrachtung für die Kontrolldichte der Staatsaufsicht ist aber Wesensmerkmal einer „passgenauen“ Aufsichtskonstruktion. Es bietet sich deshalb an, den von Dreier formulierten Ansatz auf eine funktionsbezogene Perspektive zu erweitern. Neben der Anknüpfung an den objektivrechtlich vorgesehenen Grad der organisatorischen Verselbstständigung bildet dann die Funktion des jeweiligen Selbstverwaltungsträger die maßgebliche Größe, um die gebotene Aufsichtsdichte zu ermitteln. c) Es braucht feste Kriterien, an denen die Bestimmung der Aufsichtsdichte festgemacht werden kann. Zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsgesetzgebung bietet es sich zunächst an, die Kontrolldichte staatlicher Aufsicht von den Auswirkungen abhängig zu machen, die bei Funktionsstörungen der Selbstverwaltungsträger für sie selbst aber auch für Dritte eintreten können. Wie hoch diese Auswirkungen im Falle von Funktionsstörungen einzuschätzen sind, hängt wiederum von der Tragweite der jeweiligen Funktion ab, die den Selbstverwaltungsträgern zugewiesen ist. Wesentlich wird dann die Frage nach der notwendigen Durchschlagskraft der Staatsaufsicht von einer aufgaben- und tätigkeitsbezogenen Risikoprognose und Folgenabschätzung getragen. d) Die konsequente Umsetzung der eingangs aufgestellten These im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung führt dort im Ergebnis zu einer weitgehend funktionsbezogenen Betrachtung. Dazu spiegelbildlich steht das neue Konzept zur demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, welches das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 10. 11. 2015 in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss entwickelt hat. Es soll nämlich nicht ausgeschlossen sein, dass für eine bestimmte Richtliniengebung das Legitimationsniveau ausreichend ist, während es für andere Bereiche der Richtliniengebung nicht genügt. Innerhalb eines Selbstverwaltungsträgers ist das Legitimationsniveau mithin funktionsbezogen und nicht einrichtungsbezogen zu bestimmen. Je bedeutsamer, je grundrechtsintensiver die Selbstverwaltung ist, umso mehr braucht es gesetzliche Anleitung sowie eine effektive Kontrolle durch die Staatsaufsicht. 4. Die Betrachtung der verschiedenen Spitzenorganisationen zeigt ein gemischtes Bild verschiedener Aufgabenbereiche mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten, die von der Beratung und Koordination und damit typischen Vorfeldaufgaben bis hin zu der Richtliniengebung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

129

beträchtlicher Bedeutung reichen können. Mit diesem bunten Bild wird aber auch deutlich, dass Aufsichtsstrukturen über die Spitzenorganisationen keinesfalls standardisiert sein dürfen, wollen sie dem Anspruch gerecht werden, passgenau auf die Bedürfnisse der Selbstverwaltung zugeschnitten zu sein. 5. Gleichwohl muss der parlamentarische Gesetzgeber der Selbstverwaltung genügend Raum belassen, damit sie sich überhaupt entfalten kann. Wie viele Freiräume den Selbstverwaltungsträgern konkret verbleiben müssen, lässt sich pauschal kaum beantworten. Hierauf muss es im Einzelnen aber nicht ankommen, wenn bereits bei der Ausformung der Aufsichtskonzeption Wege gesucht werden, mit denen dem Selbstverwaltungsgedanken noch genügend Raum belassen wird. a) Als erstes ist das Spannungsverhältnis weitgehend über das Fachrecht formbar. Die Qualität der funktionalen Selbstverwaltung ist abhängig von der positivrechtlichen Zuweisung von Kompetenzen. Je umfassender die Kompetenzen der Selbstverwaltungsträger sind, umso umfassender muss auch die exekutive Kontrolldichte nach der hier vertretenen Faustregel sein. Umgekehrt folgt aus dieser Überlegung, dass sich der Kontrollaufwand eingrenzen lässt, wenn den Selbstverwaltungsträgern positiv-rechtlich zugestandene Kompetenzen eingeschränkt oder genommen werden, sei es durch die Verdichtung des Fachrechts, oder durch schlichten Kompetenzentzug durch Umstrukturierung des Fachrechts, idealerweise verbunden mit Ansätzen zur Optimierung und Deregulierung. b) Eine zweite Möglichkeit liegt in der Vielfalt möglicher Ausgestaltungen von Staatsaufsicht. Denn es ist für den parlamentarischen Gesetzgeber noch einfacher, das breite Spektrum möglicher Kontrollinstrumente zu nutzen, ohne zwingend die fachrechtlichen Grundlagen zu verdichten. In der Konstruktion der Staatsaufsicht über die Träger funktionaler Selbstverwaltung liegt erhebliches Steuerungspotential für die administrative Kontrolle. c) Für die Effizienz und Durchschlagskraft staatlicher Aufsicht trägt die Aufsichtsgesetzgebung nur einen Teil bei, zum Großteil bestimmt die Art ihrer Ausübung die Qualität der Aufsicht. Stark ausgeprägte gesetzliche Kontrollbefugnisse müssen nicht zwingend zu einer übermäßigen administrativen Kontrolle führen. Sie bringen die Zielsetzung eines Gleichgewichts zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht nicht in Gefahr, wenn sie schonend ausgeübt werden. Eine inflationäre Verdichtung der Aufsichtsgesetzgebung ist deshalb genauso wenig zielführend wie ein vollständiger Rückzug aus der repressiv geführten Staatsaufsicht.

Drittes Kapitel

Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung A. Einführende Überlegungen  Bislang hat die Untersuchung die Erkenntnis hervorgebracht, dass ein optimaler Umgang mit dem Spannungsverhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht darin liegt, ein Gleichgewicht beider Seiten durch bereichs­ spezifisches Ausbalancieren herzustellen. Darüber hinaus ist ein Konzept vorgestellt worden, das zur Orientierung für dieses Ausbalancieren dienlich sein kann. An diesen Befund knüpft die Frage an, ob sich die im zweiten Kapitel vorgestellten Konzeptideen für einen wechselseitigen Ausgleich beider Pole auch verfassungsrechtlich begründen lassen. Erster Ansatzpunkt für die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ist die grundlegende Erkenntnis, dass ausschließlich der parlamentarische Gesetzgeber dazu berufen sein kann, für das bereichsspezifische Ausbalancieren der Spannungslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht zu sorgen. Nur er kann auf beide Seiten gleichermaßen einwirken.1 Auf der einen Seite bestimmt er, welche Funktionen und Kompetenzen die Selbstverwaltungsträger innehaben2; auf der anderen Seite, so hat es der Befund des ersten Kapitels gezeigt, bestimmt die Dichte des Fachrechts die Kontrolldichte der Rechtsaufsicht3. Zweiter Ansatzpunkt ist der Umstand, dass dem parlamentarischen Gesetzgeber von Verfassungs wegen weite Gestaltungsspielräume bei der Ausformung des Fachrechts zukommen.4 Die Legislative unterliegt im Gesamtgebilde des demokratischen Rechtsstaates nach Maßgabe des Art. 20 Abs. 3 Halbs. 1 GG den vergleichsweise geringsten Bindungen. Ihre Tätigkeit ist lediglich an die „verfassungsmäßige Ordnung“ gebunden, was in diesem Kontext eine Verpflichtung

1

So bereits H. Schmatz, WzS 1955, 273 (275). Dazu etwa P.  Axer, NZS 2017, 601 (602); F. E.  Schnapp, VSSR 2006, 191 (196); ders. / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (390). 3 Grundlegend dazu BVerfGE 78, 331 (341). Vgl. auch F. Fattler, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, § 87 Rn. 1a (Stand der Kommentierung: April 2021); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (200). Vgl. zum Zusammenhang von gesetzlicher Regelungsdichte und Aufsichtsqualität BVerfGE 78, 331 (341); 111, 191 (218). 4 Zur legislativen Gestaltungsfreiheit im Allgemeinen M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 99. 2

A. Einführende Überlegungen  

131

zur Beachtung des positiven5 sowie überpositiven Verfassungsrechts und Verfassungsgewohnheitsrechts6 bedeutet. Ferner stellt Art. 20 Abs. 3 Halbs. 1 GG einen Vorrang der Verfassung7 auf, der zugleich die Beziehung des einfachen Gesetzes zur Verfassung klarstellt: In den Worten von Rainer Wahl bedeutet der Vorrang der Verfassung den Nachrang des einfachen Rechts.8 Die Festschreibung der hierarchischen Abschichtung der Verfassung vom einfachen Recht ist für den demokratischen Rechtsstaat essenziell9, weil sie verschiedene Auswirkungen entfaltet. Sie sichert zunächst, dass sich die Direktiven der Verfassung im einfachen Recht niederschlagen.10 Zugleich ermöglicht die Überordnung der Verfassung die prozessuale Durchsetzung dieser Direktiven, indem sie das Grundgesetz an die Spitze der Normenhierarchie stellt und zugleich zum Kontrollmaßstab der Normsetzung macht.11 Bindungen der Legislative hält also nur das Verfassungsrecht bereit, etwa durch institutionelle Garantien insbesondere durch den Gehalt der Grundrechte, deren Verbindlichkeit auch für die Legislative in Art. 1 Abs. 3 GG nochmals unterstrichen wird.12 Nur die Verfassung selbst ist mithin im Stande, Leitlinien für die Gesetzgebung aufzustellen. In Kontrast zu diesen weitreichenden Freiheiten des parlamentarischen Gesetzgebers steht indessen die äußerst schwache rechtliche Fundierung der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Weder ist die Sozialversicherung verfassungsrechtlich vorausgesetzt, noch ist sie von Verfassungs wegen, anders als Universitäten oder Rundfunkanstalten, institutionell abgesichert.13 Es lässt sich nämlich keine verfassungsrechtliche Garantie der funktionalen Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, auch nicht aus der Erwähnung in Art. 87 5

B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 Abs. 3 Rn. 30 (Stand der Kommentierung: Dezember 2007); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 101; S. Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 166 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 6 Siehe dazu BVerfGE 34, 269 (286 f.). H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 83 vertritt eine Bindung über die „Schleusenbegriffe“ des formellen Verfassungsrechts. Ablehnend aber B. Grzeszick, in: Maunz /  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 Abs. 3 Rn. 31 (Stand der Kommentierung: Dezember 2007); offen gelassen S. Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grund­gesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 166 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 7 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 81. 8 R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (487). 9 R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (499) bezeichnet aber den Vorrang der Verfassung nicht als „Krönung des Verfassungsstaats“ schlechthin, sondern als „Krönung des Rechtsstaates als […] politische Ordnung“. 10 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 81 spricht von einer „gewisse[n] verfassungsrechtliche[n] Richtigkeit. 11 R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (486). 12 W. Erbguth, JZ 2008, 1038 (1041); S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 131. 13 Dazu E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 118.

132

3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Abs. 2 GG14, begründen.15 Einige Autoren vertreten die vermittelnde Auffassung, dass die funktionale Selbstverwaltung in der Sozialversicherung durch Art. 87 Abs. 2 GG immerhin als verfassungsgemäß akzeptiert werde16, was allerdings nicht mit einer verfassungsrechtlichen Absicherung gleichzusetzen ist. Mithin gründet die Fundierung der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich auf einfachem Recht; für die Versicherungsträger ausdrücklich in § 29 SGB IV17 sowie für die Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung implizit in den für sie maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Es bleibt daher folgendes festzuhalten: Die fehlende verfassungsrechtliche Fundierung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung führt dazu, dass ihr Bestand keinesfalls obligatorisch, sondern von den gesundheitspolitischen Mehrheitsverhältnissen18 abhängig ist19. Mehrfach hat die Rechtsprechung diesen Umstand schon unterstrichen: In einem Beschluss vom 9. April 1975 hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf eine Umorganisation der Allgemeinen Ortskrankenkassen klargestellt, dass es mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei, sämtliche Krankenkassen in einem Bundesamt für Krankenversicherung zusammenzufassen 14 Nach stark mehrheitlicher Auffassung wird Art. 87 Abs. 2 GG aber als bloße Kompetenznorm und gerade nicht als Indiz für eine etwaige verfassungsrechtliche Fundierung verstanden. Dazu BVerfGE 39, 302 (315); vgl. auch M. Ibler, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 159 (Stand der Kommentierung: Januar 2012); R.  Steinbach, in: Hauck / Noftz, Sozial­gesetzbuch SGB IV, § 29 Rn. 23 (Stand der Kommentierung: April 2004); P. Axer, NZS 2017, 601 (605); A. Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 87 Rn. 12; S. Broß / K.-G.  Mayer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 7. Aufl. 2021, Art. 87 Rn. 24; F. Welti, VSSR 2006, 133 (137); vgl. auch ders., in: Rixen / Welskop-Deffaa (Hrsg.), Zukunft der Selbstverwaltung, 2015, S. 91 mit vergleichendem Blick zu Art. 162 WRV. 15 BVerfGE 107, 59 (89 f.); BSGE 111, 280 (288); E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, 118; M. Ibler, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 87 Rn. 190 (Stand der Kommentierung: Januar 2012); A.  Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 87 Rn. 12; M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 36 Rn. 6; P. Köster, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, 2. Aufl. 2014, § 29 Rn. 4; S. Broß / K.-G. Mayer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 7. Aufl. 2021, Art. 87 Rn. 24; H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 191; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 24; K.-J. Bieback, in: Rixen / Welskop-Deffaa (Hrsg.), Zukunft der Selbstverwaltung, 2015, S. 13. 16 Vgl. dazu W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 251. 17 Siehe zur Entstehung der inhaltsgleichen Vorgängerregelung § 30 SGB IV a. F. BTDrucksache 7/4122, S. 34 f. Vgl. auch F. Bünnemann, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling /  Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 29 SGB IV Rn. 2 (Stand der Kommentierung: Juni 2021). 18 Zur allgemeinen Relevanz rechtspolitischer Entscheidungen im demokratischen System J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (193), der den nicht unerheblichen politischen Einfluss auf die demokratische Willensbildung als „List demokratischer Vernunft“ bezeichnet, weil durch den offenen Diskurs Stabilität gewonnen wird, die autokratischen Systemen fehlt. Letztere lassen den offenen Diskurs gerade nicht zu; riskieren aber, dass politische Gegenkräfte das staatliche System sprengen. Vor diesem Hintergrund attestiert Isensee der politisch geprägten Gesetzgebung eine „demokratische Vernunft“. Zu einem ähnlichen Standpunkt gelangt auch P. Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (645 f.). 19 So auch O. Seewald, KrV 2017, 221 (222).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

133

und die Krankenversicherungsträger auf diese Weise in die Ministerialverwaltung einzubinden.20 Rainer Pitschas interpretiert diese Rechtsprechung zu einem „Prinzip der gesetzlichen Organisationsfreiheit“.21 Noch weiter geht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die annimmt, dass der parlamentarische Gesetzgeber die funktionale Selbstverwaltung der Studentenwerke als ein von ihm geschaffenes Prinzip a maiore ad minus22 sogar mit einer umfassenden Fachaufsicht versehen darf.23 Im Grundsatz erlaubt das Bundesverwaltungs­gericht, durchaus fragwürdig, die Verknüpfung der funktionalen Selbstverwaltung mit einer umfassenden echten Fachaufsicht, einer Aufsichtsform, die sich mit der funktionalen Selbstverwaltung denklogisch nicht vereinbaren lässt24. Eine vollständige Aushöhlung des Selbstverwaltungsprinzips, wie sie nach dieser Rechtsprechung stattfindet25, kann mit der Idee einer schonenden Regulierung durch die Staatsaufsicht nicht vereinbar sein. Gleichwohl scheint es kaum verfassungsrechtliche Direktiven zu geben, die den parlamentarischen Gesetzgeber in seinem Schaffen begrenzen könnten.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung Dennoch soll im Rahmen dieses dritten Kapitels untersucht werden, ob sich die Überlegungen zu einem passgenauen, bereichsspezifischen Ausbalancieren von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht verfassungsrechtlich stützen lassen. Zur Erinnerung: Parameter für das Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht sind nach den vorherigen Überlegungen zum Ersten die Funktion der Selbstverwaltungsträger und die konkreten Risiken, die hieraus erwachsen, zum Zweiten die Dichte des Fachrechts und der Aufsichtsgesetzgebung und zum Dritten die Art und Weise der Aufsichtsführung. Schließlich hängt die passgenaue Konzeption der Staatsaufsicht von einer auf die Funktionen der Selbstverwaltungsträger koordinierten Aufsichtsgesetzgebung ab. Zumindest diese vorgestellte konzeptionelle rechtstechnische Grundidee zum wechselseitigen Ausgleich der Spannungslage muss aber verfassungsrechtlich halt 20

Siehe hierzu BVerfGE 39, 302 (315). Bestätigt durch BVerfGE 113, 167 (201). R. Pitschas, in: Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005, S. 55. 22 Zu dieser Formulierung W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 528. 23 BVerwG, BayVBl. 1979, 313. Vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. 4. 1999 – 8 A 619/98, juris Rn. 93 ff. 24 Dass die „Erklärung einer Aufgabe zur Selbstverwaltungsangelegenheit“ die Fachaufsicht ausschließt und die Aufsichtsführung grundsätzlich auf die Rechtsaufsicht beschränkt bleibt, ist bereits früh in BVerfGE 22, 180 (210) klargestellt worden. 25 Vgl. für die Hochschulstrukturen und die dortige Selbstverwaltung W. Kahl, AöR 130 (2005), 225 (247). 21

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

bar sein. Wenn jedoch dem Grunde nach alles variabel und von der Legislative disponibel ist, droht die im zweiten Kapitel beschriebene Konzeption eines schonenden und bereichsspezifischen Gleichgewichts ein rechtspolitischer Wunsch zu bleiben, für dessen Umsetzung aus verfassungsrechtlicher Perspektive keine Veranlassung besteht. Nun ist aber zu berücksichtigen, dass die Entscheidung für die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Kleinigkeit, sondern eine grundlegende Systementscheidung ist, an die für eine Vielzahl von Betroffenen ganz entscheidende Konsequenzen anknüpfen. Wie die ausdrückliche Nennung in den Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und Art. 87 Abs. 2 GG verrät, spiegelt sich diese Grundlagenentscheidung auch verfassungsrechtlich, indem das Grundgesetz die Selbstverwaltung als gesetzgeberisch gewähltes Organisationsprinzip für die gesetzliche Krankenversicherung anerkennt.26 Wenn sich eine verfassungsrechtliche Direktive dahingehend halten lässt, dass an eine einmal getroffene Systementscheidung bestimmte Folgen knüpfen, hätte dies zwingende Folgen für die institutionelle Ausgestaltung und Fortentwicklung der Selbstverwaltung, die der parlamentarische Gesetzgeber zu berücksichtigen hat.27

I. Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers an eine getroffene Systementscheidung Fraglich ist aber, in welchem Umfang das Argument der Systementscheidung nachfolgende Gesetzgebung binden kann. Die Antwort hierauf hat gleichwohl eine außerordentliche Relevanz, weil es möglich ist, durch gegenläufige Folgeentscheidungen die grundlegende Systementscheidung zu konterkarieren. Oder konkret auf die Situation der vorliegenden Untersuchung: Über die normative Konzeption von Fachrecht und Aufsichtsbefugnissen lässt sich die Selbstverwaltung durch eine quasi Umwandlung der Rechts- in eine – verkappte – Fachaufsicht stillschweigend umwandeln und das Selbstverwaltungsprinzip aushöhlen. Der grundlegenden Systementscheidung wäre dann jeglicher Sinn genommen, von ihr bliebe nichts mehr als eine leere Worthülse.

26

Siehe dazu etwa P. Axer, NZS 2017, 601 (606). Vgl. dazu auch E. Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 253, der zumindest die Garantie einer organisatorischen Verselbstständigung der Sozialversicherungsträger annimmt, wobei hiermit nicht zwingend die Selbstverwaltung als Organisationsform gemeint sein muss. Einschränkend geht aber G. Schneider, in: Sodan (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Versorgung, 2005, S. 111 in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einem typologischen Verständnis des Sozialversicherungsbegriffs als „klassische Arbeitnehmerversicherung“ aus. Nach W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 251 hat diese Auffassung insoweit Bedeutung, als hiermit impliziert ist, dass die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung mit der Verfassung in Einklang steht. 27 BVerfGE 107, 59 (93).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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Hier offenbart sich ein Phänomen, das nicht einmalig sein dürfte: Sinn und Fortbestand einer gesetzgeberischen Grundentscheidung hängen oftmals wesentlich von den getroffenen Folgeentscheidungen ab. Deshalb ist zu fragen, ob eine grundlegende Systementscheidung innerhalb eines Ordnungskreises den Gesetzgeber zu einer rationalen Fortführung, alternativ zu einem offenen Verwerfen seiner Konzeptidee zwingen muss28, es jedenfalls nicht opportun sein soll, den Schein rationaler Folgeentscheidungen zu erwecken, obwohl die Grundentscheidung hiermit unterlaufen wird29. Hinter dem Gedanken einer vernünftigen bzw. „richtigen“ (Folge-) Gesetzgebung steht nicht weniger als der Anspruch an ein nachvollziehbares und transparentes staatliches Handeln zum einen sowie Rechtssicherheit für sämtliche Betroffene zum anderen durch gesetzgeberische Rationalität bei der Fortsetzung getroffener Entscheidungen. Rationalität bildet eine Grundfeste der Rechtssicherheit. Rechtssicherheit wiederum gehört als Teilbereich des Rechtsstaatsprinzips zu dessen konstitutiven Elementen und hat somit verfassungsrechtliche Bedeutung.30 Bei der Untersuchung von Rationalität im juristischen Sinne31 bereitet die kaum mehr überschaubare Terminologie zu möglichen Ansätzen für die Bindung der gesetzgebenden Gewalt Probleme. Vermehrt ist der Rationalitätsgedanke in der Literatur unter der Fragestellung diskutiert worden ist, ob der Gesetzgeber mehr als nur die Setzung von Normen als solche „schuldet“, sondern darüber hinaus eine rationale und themenübergreifend schlüssige Normgebung leisten muss; ob also in den Worten der rechtswissenschaftlichen Untersuchungen dieses Gebietes eine „konsistente“32, „kohärente“33 und „widerspruchsfreie“34, Gesetzgebung geschuldet wird. Gerade die zwei erstgenannten Begriffe bergen eine gewisse Unschärfe und untereinander eine hohe Verwechslungsgefahr. Während der Begriff Kohärenz im allgemeinen Sprachgebrauch schlicht als ein strenger gedanklicher Zusammenhang beschrieben wird, wird in der akademischen Fachsprache mit kohärenten Beziehungen das Vorhandensein bestimmter Zusammenhänge durch Ableitungs- und Erklärungsbeziehungen übersetzt. Ein Argument darf nicht bloß für einen individuellen Fall gelten, sondern muss eine gewisse Verallgemeinerungs 28

Zur Anerkennung einer konsistenten Gesetzgebung als verfassungsrechtliches Gebot C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (passim). 29 Vgl. dazu C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 19. 30 BVerfGE 30, 392 (403); 60, 253 (267); 133, 143 (158); W. G. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 58; A. Steinbach, Rationale Gesetz­gebung, 2017, S. 56; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 131. 31 Darüber hinaus kann Rationalität auch aus sozialwissenschaftlicher, ökonomischer und politikwissenschaftlicher Perspektive gesehen werden, was im Rahmen dieser Untersuchung allerdings nicht geleistet werden kann. Einen guten Überblick zu jenen Ansätzen bietet aber A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 24 ff. 32 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 ff. 33 Vgl. den Befund von D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 397. Zur Bedeutung von Konsistenz siehe H.-J. Cremer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl. 2016, Art. 21 EUV Rn. 13. 34 C. Brüning, NVwZ 2002, 33 ff.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

und Abstraktionsfähigkeit aufweisen. Kohärenz zielt damit auf eine systematische, strukturelle Logik aus dem Blickwinkel des Kontexts einer Entscheidung.35 Thorsten Siegel weist nach, dass der Begriff der Kohärenz in der rechtswissenschaftlichen Literatur meist an die normative Effektivität geknüpft ist; Kohärenz mithin danach fragt, ob und in welchem Umfang die mit der Gesetzgebung verfolgten Ziele schlüssig umgesetzt worden sind.36 Konsistenz meint dagegen in der allgemein gebrauchten Sprache einen strengen gedanklichen, logischen Sachzusammenhang. Weil meist verschiedene logische Zusammenhänge zweier Sachverhalte ermittelt werden können, je nachdem aus welcher Perspektive sie betrachtet werden, bleibt die Vorstellung von Konsistenz noch denkbar vage. Immerhin bietet der Begriff der Konsistenz eine offenere Beschreibung denklogischer Verknüpfungen mehrerer Sachverhalte ohne eine strenge Anknüpfung an die normativen Zielsetzungen. Eine Weiterentwicklung von der Forderung eines einfachen Sinnzusammenhangs hin zu erweiterten Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung bedarf dann aber zusätzlicher Kriterien, wie sie etwa Christian Bumke formuliert, um zu einer tragfähigen Konzeption zu werden.37 Darüber hinaus ist diskutiert worden, ob eine rationale Gesetzgebungspraxis eine „gute“38 oder gar „optimale“ Gesetzgebung verlangt. Den Begriff der „optimalen Gesetzgebung“ fasst Ulrich Smeddinck als einen Oberbegriff auf und differenziert das „Optimum“ unter Heranziehung verschiedener im Schrifttum untersuchten Perspektiven. Optimal kann die Gesetzgebung hinsichtlich der Maßstabsbildung, ihrer rechtlichen Fundierung, ihrer Verantwortung und ihrer Progressivität zur Beobachtung und Nachbesserung sein.39 Einige Autoren knüpfen an diese Vorstellung einer „guten“ und „optimalen“ Gesetzgebung sogar die Forderung von Nachhaltigkeit als Gesetzgebungsziel.40 Schon die erste Betrachtung der komplizierten Terminologie zeigt, dass Rationalität somit auch in gewissen graduellen Abstufungen deutbar ist, was die Formulierung konkreter Anforderungen an die Gesetzgebung nicht leichter macht. 35

Ähnlich auch A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 22, 73. T. Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2012, S. 61, 63 m. w. N. 37 So will C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (96) den Begriff der Konsistenz mit einem gestuften Rationalitätskonzept anreichern. 38 Zu berücksichtigen ist aber, dass sich die in der Literatur formulierten Anforderungen an eine „gute“ Gesetzgebung kaum vereinheitlichen lassen. Eine Pflicht des Gesetzgebers zur Selbstkontrolle fordert etwa C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2086). P. Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (645 f.) weist auf die eigene Rationalität des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund seiner pluralistischen und dialektisch-kontradiktorischen Struktur hin. Dagegen betonen D.  Merten, DÖV 2015, 349 (350) sowie W.  Kluth, in: ders. / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 14 Rn. 21, dass der Gesetzgeber ausschließlich an die Verfassung gebunden ist. 39 Dazu sehr ausführlich U. Smeddinck, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 3 Rn. 31 ff. m. w. N. Ablehnend zum Ansatz optimaler Gesetzgebung D. Merten, DÖV 2015, 349 (352). 40 W. Kahl / M. Mödinger, DÖV 2021, 93 (97 f.) m. w. N. 36

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Konsequenz des Rationalitätsgedankens wäre aber allemal eine Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers an eine vorab getroffene Entscheidung: Die Grundentscheidung für die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung hätte dann eine Bindungskraft dahingehend, dass sie nicht in widersprüchlicher Weise angereichert, verändert oder vollkommen unterlaufen werden kann. Es wäre dann mit anderen Worten nicht möglich, zwar an der Selbstverwaltung ausdrücklich im Grundsatz festzuhalten, zugleich aber Normen zu setzen, die von diesem Prinzip faktisch nichts mehr übrig lassen. 1. Indizien in der Rechtsprechung zur Befürwortung erweiterter legislativer Rationalität Bei Analyse der Rechtsprechung zeigt sich, dass dieser Konsistenzgedanke in einzelnen Entscheidungen tatsächlich zum Tragen kommt. So führt das Bundesverfassungsgericht in seinem grundlegenden Beschluss vom 5. Dezember 2002 betreffend die Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft wie folgt aus: „Wählt der parlamentarische Gesetzgeber für bestimmte öffentliche Aufgaben die Organisationsform der Selbstverwaltung, so darf er keine Ausgestaltung [dieser Organisationsform] vorschreiben, die mit dem Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung einerseits und effektiver öffentlicher Aufgabenwahrnehmung andererseits unvereinbar wäre. Deshalb müssen die Regelungen über die Organisationsstruktur der Selbstverwaltungseinheiten auch ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden.“41

Mithin soll eine Organisation der Selbstverwaltung, die mit dem Grundprinzip der autonomen interessengerechten Selbstverwaltung nicht in Einklang steht, unvereinbar sein. Ausdrücklich ist dieser Rechtsprechung zu entnehmen, dass der parlamentarische Gesetzgeber jedenfalls die Grundgedanken einer „autonomen interessengerechten Selbstverwaltung“ sowie einer „effektiven Aufgabenwahrnehmung“ grundsätzlich zu respektieren hat, während „mutierte“ Formen, die mit den beiden Grundprinzipien unvereinbar sind, nicht konstruiert werden dürfen. Gleichwohl bleiben die konkreten Pflichten, die den parlamentarischen Gesetzgeber in der Konsequenz treffen, mehr oder weniger harmlos. Denn zur Sicherstellung, dass die aufgeführten Grundprinzipien eingehalten werden, muss der parlamentarische Gesetzgeber verfahrenstechnische sowie organisatorische Vorgaben schaffen. Das betrifft etwa die interne Struktur der Selbstverwaltungsträger. In einem Beschluss vom 13. 7. 2004 hat das Bundesverfassungsgericht formuliert, die strukturelle Ausgestaltung der Selbstverwaltung liege in staatlichem Gestaltungsermessen42; im Einzelnen müsse „die Bildung der Organe, ihre Aufgaben und Handlungsbefugnisse […] 41 BVerfGE 107, 59 (93) mit Verweis auf BVerfGE 37, 1 (26 ff.) – Hinzufügung und Hervorhebung durch den Verfasser. 42 BVerfGE 111, 191 (215 f.) – Hervorhebung durch den Verfasser.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

in Grundstrukturen in einem parlamentarischen Gesetz ausreichend bestimmt sein. Das Gesetz muss außerdem mittels Vorgaben für das Verfahren der autonomen Entscheidungsfindung eine angemessene Partizipation der Berufsangehörigen an der Willensbildung gewährleisten“.43 Zu den organisatorisch-institutionellen Vorgaben zählen ferner Regelungen zur Betroffenenpartizipation und zur Interessenwahrnehmung im Innenverhältnis vor dem Hintergrund der Gefahr, dass sich gerade in der gruppenpluralen Selbstverwaltung Partikularinteressen einseitig durchsetzen können44. Im Grunde führt das Bundesverfassungsgericht also nur zur verfahrenstechnischen und institutionellen Absicherung der Selbstverwaltung aus. Zu den Anforderungen an die Ausgestaltung des die Selbstverwaltung tragenden Fachrechts sowie der Aufsichtsermächtigungen hält sich das Gericht indessen zurück. Dennoch trägt die Schlussfolgerung, die Aufsichtsgesetzgebung kann nicht derart ausgestaltet sein, dass sie die Verwirklichung der Kernelemente von Selbstverwaltung unmöglich macht; sie darf die Selbstverwaltung nicht erdrosseln. Konkreter formuliert das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 6. Mai 2009: „Insgesamt steht es […] nicht im Belieben des Gesetzgebers, der an dem Konzept untergesetzlicher Normsetzung und -konkretisierung in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den GBA festhalten will, die Staatsaufsicht über den Richtlinienerlass um fachaufsichtliche Elemente anzureichern, denn er würde sich damit der Gefahr aussetzen, die Grundlage dieses Konzepts in Frage zu stellen.“45

Bindungen des parlamentarischen Gesetzgebers im Hinblick auf die Aufsichtsgesetzgebung treten aus diesen Ausführungen deutlicher zum Vorschein. Wenn formuliert wird, es stehe nicht „im Belieben“ des parlamentarischen Gesetzgebers, das selbst geschaffene Konzept der untergesetzlichen Normsetzung und -konkretisierung durch fachaufsichtliche Elemente zu usurpieren, offenbart sich in dieser Wortwahl doch eine spürbare Tendenz von der Vermeidung zumindest widersprüchlicher Gesetzgebung hin zu der konkreten Verpflichtung zur systemkohärenten Gesetzgebung. Nähere Vorgaben für Grund und Grenzen der Fach- und Aufsichtsgesetzgebung sind auch diesen Ausführungen nicht zu entnehmen, doch verdeutlicht der Hinweis, es bestehe die Gefahr, „die Grundlage“ eines selbst gewählten Konzepts dürfe nicht nachträglich in Frage gestellt werden. Keinesfalls relativiert werden diese Ausführungen, wenn das Bundessozialgericht in derselben Entscheidung an späterer Stelle darauf hinweist, es sei dem parlamentarischen Gesetzgeber, sofern er abweichende Gestaltungsvorstellungen habe, „allerdings unbenommen, diese selbst in einem förmlichen Gesetz auch dem GBA zur Beachtung vorzugeben oder die Exekutive gemäß Art. 80 GG zu einer von ihr zu verantwortenden Normsetzung zu ermächtigen; die Ministerialverwaltung kann hierauf hinwirken“.46 43

BVerfGE 111, 191 (217). Grundlegend dazu BVerfGE 37, 1 (26 f.). Siehe hierzu H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 420; vgl. auch U. Orlowski, KrV 2017, 237 (237). 45 BSGE 103, 106 (124) – ohne die Hervorhebung. 46 BSGE 103, 106 (124) – Hinzufügungen durch den Verfasser. 44

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Die Verordnungsermächtigung kommt als alternative Konzeption zur Verleihung von Selbstverwaltung in Betracht. Eine etwaige Systembindung soll das Selbstverwaltungsprinzip vor einer faktischen Aushöhlung bewahren, nicht jedoch ein einmal angewandtes Konzept für die Ewigkeit zementieren. Wenn sich also der Gesetzgeber für eine andere Konzeption entscheiden will, steht ihm diese Option jederzeit offen. Ein Widerspruch oder einen logischen Bruch bei der Ausgestaltung der Selbstverwaltung ist dadurch nicht bewirkt. Die ausgewählten Sequenzen der Rechtsprechung lassen zusammenfassend also auf folgenden Gedanken schließen: Der parlamentarische Gesetzgeber soll sich entscheiden müssen, wie er eine Materie konzipieren will. Für die Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung muss der Gesetzgeber also entscheiden, ob sie weiterhin mit der Selbstverwaltung versehen bleibt oder ob sie in die Ministerialverwaltung integriert werden soll. Aus rechtlicher Perspektive wäre zwar beides möglich. Es bedarf aber unbedingt Klarheit darüber, welche Entscheidung der Gesetzgeber getroffen hat. An dieser Grundentscheidung sind etwaige Folgeentscheidungen auszurichten. Entscheidet sich der Gesetzgeber also für die Beibehaltung der funktionalen Selbstverwaltung, wäre die Aufsicht so zu konzipieren, dass dem Prinzip Selbstverwaltung noch genügend Raum verbleibt und es nicht durch eine vollwertige Fachaufsicht faktisch ausgehöhlt wird.47 Zugleich trifft der Gesetzgeber eine Grundentscheidung nicht ohne Änderungsmöglichkeit. Er kann von ihr abweichen, muss sich hierzu allerdings offen bekennen. 2. Von Rechtssicherheit zu legislativer Rationalität? Diese bislang nur an Indizien festgemachten Überlegungen gilt es in die Dogmatik des Verfassungsrechts zu übersetzen. Denn alle Überlegungen zu Konsistenz, Kohärenz, aber auch zu Transparenz und Rechtssicherheit verlaufen im Sande, wenn sie sich nicht als verfassungsrechtliche Gebote nachweisen lassen. Zur dogmatischen Anknüpfung taugen die allgemeinen Prinzipien und Teilausschnitte von Rechtsstaat und Demokratie nur bedingt, weil sie lediglich verfassungsrechtliche „Leitplanken“ bilden48; die Gesetzgebung also insgesamt nur geringen verfahrenstechnischen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt. So ist sie etwa nach Art. 20 Abs. 3 GG lediglich an die „verfassungsmäßige Ordnung“ gebunden, nach Art. 1 Abs. 3 GG insbesondere an die Grundrechte sowie nach Art. 30, 70 ff. GG an die Kompetenzverteilung. In verfahrenstechnischer Sicht gelten die Vorgaben der Art. 76 ff. GG für den Entstehungsprozess von Gesetzen; diese Vorgaben werden zuweilen als „äußeres Gesetzgebungsverfahren“ bezeichnet49.

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Zu einem ähnlichen Interpretationsergebnis kommt auch M. Schömann, juris Praxisreport Sozialrecht 2010, Anm. 1 (Lit. D). 48 Dazu W. Erbguth, JZ 2008, 1038 (1041). 49 Zu diesem Begriff D. Merten, DÖV 2015, 349 (353).

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Aspekte der Systemlogik, Konsistenz, Kohärenz und materiellen Richtigkeit gehören nicht zu den verfahrenstechnischen, sondern zu den inhaltlichen Fragen normgeberischer Entscheidungsfindung, mithin zum sogenannten „inneren“ Gesetzgebungsverfahren50. Inhaltlich ergeben sich für den parlamentarischen Gesetzgeber Schranken ausschließlich aus dem materiellen Verfassungsrecht. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt etwa ein bestimmtes Maß an Beständigkeit und Verlässlichkeit der Rechtsordnung.51 Normsetzung mit Rückwirkung führt deshalb grundsätzlich zu einer (verfassungsrechtlichen) Rechtfertigungslast.52 Unter dem übergeordneten Begriff der Rechtssicherheit können sich Schranken der Gesetzgebung aus der Überlegung ergeben, dass gewährte Rechte nicht rückwirkend entwertet oder verworfen werden dürfen.53 Die hierzu jahrzehntelang ausgereifte Dogmatik zum Rückwirkungsverbot hat mit der echten und unechten Rückwirkung zwei Kategorien hervorgebracht54, die sich als Prüfschablonen für die Bestimmung gesetzgeberischer Grenzen heranziehen lassen. Normative Rationalität ist, zumindest als grober Leitgedanke, verfassungsrechtlich über den Schlüsselbegriff der Rechtssicherheit im Rechtsstaatsprinzip als dessen Teilelement55 enthalten. Rechtsetzung trifft im demokratischen Rechtsstaat auf die absolute Mindestvoraussetzung, so stattfinden zu müssen, dass die Normadressaten ihr eigenes Verhalten hieran ausrichten können.56 Wie Helmuth Schulze-Fielitz treffend feststellt, setzt dies objektiv ein Mindestmaß rechtlicher Kontinuität voraus; subjektiv bedarf es hinreichender Rechtssicherheit für die Bürger, deren Vertrauen in die gesetzten Rechtsnormen zu schützen ist.57 Im Rechtsstaat ist mithin für ein gewisses Mindestmaß gesetzgeberischer Konsistenz gesorgt. Zwischen Rationalität58 und Rechtssicherheit, Gemeinwohl und im weitesten Sinne Gerechtigkeit59 besteht ein Zusammenhang. 50

Zum Begriff D. Merten, DÖV 2015, 349 (353). P. Kirchhof, DStZ 2015, 717 (723). 52 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 151. 53 P. Kirchhof, DStZ 2015, 717 (718) weist darauf hin, dass die „gewährten Rechte“ Anknüp­ fungspunkt des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbotes sind, nicht jedoch die Dispo­ sitionen des Bürgers. „Die Disposition ist nicht Folge, sondern Voraussetzung eines Rechts­ vertrauens“. 54 Siehe zu dieser Dogmatik ausführlich H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 151 ff.; H. Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 7 Rn. 50 ff. Krit. zu der Kategoriebildung und Differenzierung von echter und unechter Rückwirkung P. Kirchhof, DStZ 2015, 717 (718). 55 Zur Anerkennung der Rechtssicherheit als „wesentliches Element“ des Rechtsstaatsprinzips siehe st. Rspr. BVerfGE 2, 380 (403 ff.); 7, 89 (92); 13, 261 (271); 22, 322 (329); 30, 392 (403); 35, 41 (47); 43, 242 (286); 45, 142 (167); 60, 253 (267); 133, 143 (157 f.). 56 BVerfGE 21, 73 (79); 52, 1 (41); 65, 1 (44); 110, 33 (53 f.); siehe auch H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 128. 57 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 146 f. 58 Allgemein zur Bedeutung von Rationalität für den Staat J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (170). 59 So etwa J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (172 f.). 51

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Verfassungsrechtlich wird rationale Gesetzgebung in erster Linie über den rechtsstaatlichen Teilaspekt der Normenklarheit60 sichergestellt, der, konkreter noch als das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot61, für die „Klarheit“ des Rechts weniger sprachliche Verständlichkeit oder systematische Logik, sondern vielmehr die Vorhersehbarkeit des normativ Gewollten verlangt. Und zwar zum einen den Rechtsanwendern wegen, die sich auf die Anordnungen einrichten können sollen62 und zum anderen zur Praktikabilität der gerichtlichen Kontrolle63. Impliziert ist hiermit zugleich die Anforderung, dass Normen einerseits material richtig sind64 und andererseits nicht Widersprüchliches von den Normadressaten verlangen65. Zu klar vorhersehbaren Normeninhalten zählt der Anspruch, dass dieser für bare Münze genommen werden darf. Wie das Bundesverfassungsgericht formuliert, gehört „zur Normenklarheit […] auch Normenwahrheit“.66 Nur unter den genannten Voraussetzungen wird eine Ausrichtung am und eine Umsetzung des Normeninhaltes überhaupt möglich sein. Normenklarheit steht aber auch unweigerlich in engem Zusammenhang mit der Bestimmtheit des Rechts, ferner auch mit der offenen Begründung normativer Entscheidungen67. Denn die Vorhersehbarkeit des Normeninhalts und dessen 60

Zur Anerkennung der Normenklarheit als Teilmaterie des Rechtsstaatsprinzips BVerfGE 21, 73 (79); 45, 400 (450); 52, 1 (41); 63, 312 (324); 65, 1 (44); 78, 214 (226); 108, 1 (20); 110, 33 (53). Auf die ursprüngliche Verwendung des Grundsatzes der Normenklarheit als materielle Schranke von Grundrechtseingriffen hinweisend H. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu /  Klein / Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, § 91 BVerfGG Rn. 66a (Stand der Kommentierung: April 2020). 61 Anders aber S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 302. 62 BVerfGE 21, 73 (79); 52, 1 (41); 65, 1 (44); 110, 33 (53 f.). 63 BVerfGE 110, 33 (54 f.); 113, 348 (375 Rn. 118). Dazu auch H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 141. 64 Anderenfalls lassen sich Sachverhalte nicht unter die jeweilige Rechtsnorm subsumieren; siehe zu diesem Argument H. Sodan, JZ 1999, 864 (871). Hiermit verbunden ist auch, dass keine intransparenten weiteren Ziele verwirklicht werden; siehe zu diesem Erfordernis der Normenwahrheit BVerfGE 108, 1 (20). Dazu auch A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 22. 65 B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 56 (Stand der Kommentierung: November 2006). Es kommt dabei nicht darauf an, ob die unklare Rechtslage auf unbestimmten Tatbestandsmerkmalen oder auf zwei eindeutig formulierte Normen mit einem sich widersprechenden Regelungsgehalt beruht. Dazu D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, 241 f. 66 Siehe nur BVerfGE 108, 1 (20). Siehe auch J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (177), der betont, dass das Recht seinerseits auf Rationalität angewiesen ist. 67 Zu verschiedenen Begründungspflichten im Überblick P. Axer, GesR 2013, 211 (211). Siehe auch aus der jüngeren Literatur C.  Waldhoff, MedR 2016, 654 (658 f.). Dazu auch S. Drechsler, NVwZ 2020, 210 (211), der dem Zitiergebot des Verordnungsgebers aus Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG eine „Selbstvergewisserungsfunktion“ zuschreibt. Nicht zuletzt trägt auch dieses Mittel, dessen Zweck die Förderung des Bewusstseins normativer Entscheidungen ist, zur Klarheit des Rechts bei, weil es zu Auseinandersetzungen mit der inhaltlichen Reichweite der Rechtsetzungsmöglichkeit anhält. Krit. allerdings W. Kluth, in: ders. / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 14 Rn. 21.

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Anwendung verlangen von den Rechtsnormen ausreichend konkrete Anweisungen.68 An den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz sollten aber keine allzu hohen Erwartungen gelegt werden. Wie hoch die erforderliche Regelungsdichte sein muss, um den Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, ist je nach Einzelfall mit graduellen Abstufungen69 zu bestimmen. Weil abstrakt-generelle Regelungen sprachliche Flexibilität und damit Freiräume zur Subsumtion brauchen, gelingt die Bestimmung des Normeninhalts häufig nicht allein aus der Betrachtung des Wortlautes heraus. Selbst wenn erst etwa unter Zuhilfenahme der Gesetzesbegründungen oder einer teleologischen und systematischen Auslegung der Normeninhalt klar wird, reicht dies zur „Vorhersehbarkeit“ aus.70 Soweit Grundrechte betroffen sind, richten sich die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit nach Art und Schwere des Grundrechtseingriffs.71 Unbestimmte Rechtsbegriffe sowie Ermessensermächtigungen stehen der Bestimmtheit im Grunde nicht entgegen72; es wird aber zu fordern sein, dass Normen nicht vollends „offen“ formuliert werden.73 Ob man aber soweit gehen kann, von dem rechtsstaatlichen Grundanspruch einer rechtssicheren Normsetzung auf eine konsistente und kohärente Gesetzgebung zu folgern, mag doch bezweifelt werden.74 Normenklarheit und rechtsstaatliche Bestimmtheit verlangen Normen, die anwendungstauglich75 sind, was für sich genommen noch keine strenge Rationalitätsanforderung darstellt. Für konkretere Handlungsdirektiven an die Gesetzgebung fehlt es beiden Konzepten an Konturen.76 Ihren Zweck, unbrauchbare Normen auszusondern und zumindest grobe Widersprüche zu beseitigen, erfüllen beide Konzepte aber hinreichend. Immer wieder diskutiert worden ist aber, ob dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar ein Grundsatz abzuringen ist, der mehr als bloß Verständlichkeit und Anwendungstauglichkeit von Normen verlangt, sondern darüber hinaus die gesetzgeberische Ratio zur Voraussetzung normativen Schaffens macht. Ob also gesetzgeberische Rationalität im Sinne einer, mehr oder minder umfassenden, Systemkonformi 68 Vgl. zu diesem Gedanken die Rechtsprechung zu den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, BVerfGE 7, 282 (301); 8, 274 (325); 9, 137 (147); 23, 62 (72 f.); 41, 246 (266); 56, 1 (12); 58, 257 (277). 69 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 130. 70 Ähnlich argumentiert auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 302. 71 BVerfGE 110, 33 (55). 72 Grundsätzlich dazu BVerfGE 78, 214 (226). Auch die Verwendung mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe ist generell mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar; vgl. BVerfGE 110, 33 (57). 73 So auch C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2083), der die These aufstellt, dass offene Gesetze eine heimliche Delegation der Rechtsetzungskompetenz an andere Stellen bedeuten. 74 Dagegen aber C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (91). 75 Zur „Gesetzgebung als Dienstleistung“ siehe C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2081). 76 Siehe dazu beispielhaft Bestimmtheit und Normenklarheit in Zusammenhang mit Art. 10 GG W. Durner, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 10 Rn. 178 (Stand der Kommentierung: April 2020).

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tät rechtsstaatliche Voraussetzung ist. Zu Recht wird diese Überlegung mit der Begründung abgelehnt, angesichts immer komplexerer Materien sei dies kaum leistbar.77 Im Übrigen hat eine strikte Bindung der Gesetzgebung an Rationalitätsanforderungen nicht nur Vorteile. Sie nimmt dem Gesetzgeber einerseits die zuweilen notwendige Innovationskraft78, indem eine einmal getroffene Grundsatzentscheidung eine weitreichende Pflicht zur „Anpassungs­gesetzgebung“79 bedingt. Andererseits stünde die Gesetzgebung bei überzogenen Rationalitätserwartungen materiell deutlich stärker auf dem Prüfstand der Rechtsprechung, sodass sich ihr Kompetenzbereich im Rahmen der funktionalen Gewaltenteilung80 schmälert. a) Theorien gesetzgeberischer Rationalität Erweiterte Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung lassen sich aber womöglich aus spezifischen theoretischen Ansätzen gewinnen. Hiervon gibt es reichlich; in der rechtswissenschaftlichen Literatur ist mittlerweile ein kaum mehr überschaubares Dickicht verschiedener Rationalitäts- und Konsistenzansätze zu finden, die sich teils in ihrem Sinngehalt erheblich, teils nur in Nuancen unterscheiden und unter verschiedenen Termini mit geradezu prädestinierter Verwechslungsgefahr entwickelt worden sind. Unter den Bezeichnungen „Gebot der Folgerichtigkeit“81, „Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“82, „verfassungsrechtliches Konsistenzgebot“83 sowie als „Einheit der Rechtsordnung“ bzw. „Einheit der Verfassung“84 werden zahlreiche Überlegungen geboten, aus denen sich die 77 Vgl. dazu auch C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (91). Ebenfalls kritisch zu einer umfassenden Systemkonformität H. Sendler, NJW 1998, 2875 (2876); K.-P. Sommermann, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 299; B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 56 (Stand der Kommentierung: November 2006). Anders aber H. Sodan / S . Kluckert, NVwZ 2013, 241 (245 f.). 78 W.  Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 37. Zu diesem Vorwurf im Zusammenhang mit der Sozialgesetzgebung auch W. Wangler, Bürgschaft des inneren Friedens, 1998, S. 314. 79 Zu diesem Begriff W. Höfling / A . Engels, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 34 Rn. 38. 80 Funktionale Gewaltenteilung führt zugleich zu der Pflicht sämtlicher Staatsorgane, sich strikt an die Verteilung der Kompetenzen im Sinne einer „funktionellen Richtigkeit“ zu halten. Dazu H. Sodan, JZ 1999, 864 (871). 81 M. Martini, NVwZ 2012, 149 (150); W. Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 37; C. Seiler, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 31, Rn. 38; J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (178); J.-A. Makswit, ZfWG 2015, 430 (431). 82 P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 202; J.-A. Makswit, ZfWG 2015, 430 (431); F. E.  Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 46; H. Sodan, JZ 1999, 864 (865); ders. / S . Kluckert, NVwZ 2013, 241 (246); A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 87. 83 So etwa C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (91). 84 B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 57 (Stand der Kommentierung: November 2006).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Leitideen gesetzgeberischer Rationalität und Systemgerechtigkeit fruchtbar machen lassen sollen.85 Bei diesen kaum mehr überschaubaren Ansätzen ist aber Vorsicht insoweit geboten, als diese nicht identisch sind, sondern entweder grundlegend Verschiedenes meinen oder nur in bestimmten Teilbereichen des Rechts überhaupt Anwendung finden. Dies wirft die Frage auf, ob der Konsistenzgedanke überhaupt verallgemeinerungsfähig ist oder ob er mit unterschiedlichen Ausprägungen in verschiedenen Situationen in Erscheinung tritt. Es ist deshalb unbedingt notwendig, einen groben systematischen Überblick im Dickicht der einzelnen Konsistenzideen zu gewinnen. Vorsorglich sei darauf verwiesen, dass angesichts der zahlreichen Überlegungen in der Wissenschaft an dieser Stelle kein absolut vollständiges Bild gesetzgeberischer Rationalität gezeichnet werden kann. Auf entsprechende Arbeiten, die sich dieser Aufgabe gewidmet haben, sei deshalb verwiesen.86 Für die vorliegende Untersuchung ist lediglich von Relevanz, ob sich erweiterte Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung überhaupt aufstellen lassen. aa) Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Ein erster, aus mehreren Verfassungsprinzipien abgeleiteter87, Ansatz des Rationalitätsarguments liegt im Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Schon begrifflich handelt es sich um ein weitreichendes Konzept, denn Widersprüche innerhalb einer Rechtsordnung können in mehrfacher Hinsicht auftreten. Werden etwa Normen desselben Normgebers unter dem Aspekt der Widerspruchsfreiheit miteinander verglichen, kann dies zunächst unter drei Aspekten erfolgen: Sofern zwei Regelungen für denselben Sachverhalt miteinander unvereinbare Rechtsfolgen anordnen, liegt ein logischer Widerspruch vor.88 Auch hinsichtlich des Sinngehalts zweier Normen können Widersprüche festgestellt werden.89 Axiologische Widersprüche wiederum entstehen dann, wenn der Gesetzgeber einen selbst gewählten Maßstab nicht konsequent anwendet, obwohl dies in einer vergleichbaren Situation geboten wäre.90 Weiterhin kann die Widersprüchlichkeit anhand von Kollisionen unterschiedlicher Normgeber festgestellt werden91, wenn etwa im 85 J.  Isensee, AöR 140 (2015), 169 (179); A.  Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 20 ff., 87. 86 C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, passim; P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, passim; D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, passim; A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (passim); C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (passim); P. Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (passim). 87 H.  Sodan / M.  Zimmermann, Das Spannungsfeld zwischen Patienteninformierung und dem Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel, 2008, S. 65. 88 C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (36); in diese Richtung bereits H. Sodan, JZ 1999, 864 (871). 89 C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (36). 90 C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (36). 91 Vgl. dazu C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (34).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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föderal gegliederten Staat Konflikte zwischen der Normsetzung von ­Bundes- und Landesgesetzgeber entstehen. Ursprünglich ist der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit auf letzteren Fall konzipiert worden. Von dem Erfordernis einer „widerspruchsfreien Gesetzgebung“ wird nämlich stets unter der Prämisse gesprochen, dass die Widerspruchsfreiheit dazu diene, die Landesgesetzgeber vor einem „Eindringen“ des Bundesgesetz­ gebers in den ihnen vorbehaltenen Kompetenzbereich zu „schützen“; sie hat mithin kompetenzbegrenzende Funktion.92 Auch und gerade bei möglichen Friktionen, die durch die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder entstehen, sei durch den jeweiligen Normgeber zu gewährleisten, dass „den Norm­ anwender nicht gegenläufige Vorschriften erreichen, die Rechtsordnung also nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen widersprüchlich wird“.93 Diese vertikale Widerspruchsfreiheit94 ist also in allererster Linie Kollisionsregel für die Normsetzung unterschiedlicher Gesetzgeber. Welche der miteinander kollidierenden Regelungen im Einzelfall zu weichen hat, bestimmt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen“.95 Vorrangig ist mithin stets die ranghöhere96, die früher gesetzte und die speziellere Norm, was im konkreten Einzelfall zu bestimmen ist. Zur besseren Vorstellung dieser vertikalen Kollisionsauflösung kann das prominente Beispiel der Steuergesetzgebung mit Anreizwirkung herangezogen werden. In Bezug auf solche Lenkungssteuern knüpft das Bundesverfassungsgericht zur Auflösung einer Widersprüchlichkeit auf vertikaler Ebene an die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern an. Während der Sachgesetzgeber grundsätzlich zur Aufstellung von Verhaltenspflichten befähigt ist, liegt es in der Kompetenz des Steuergesetzgebers, vorrangig Zahlungspflichten aufstellen.97 Doch auch wenn lediglich Zahlungspflichten normiert werden, kann eine Lenkungssteuer gleichwohl Anreize für ein bestimmtes Verhalten setzen und somit die durch den zuständigen Sachgesetzgeber angeordneten Verhaltenspflichten unterlaufen. Die steuerrechtliche Norm vermag dann eine Wertung des Sachgesetzgebers, und damit dessen Gesetzgebungskompetenz, auszuhöhlen. Im Kollisionsfalle hat das Bundesverfassungsgericht deshalb unter Berufung auf die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung dem Sachgesetzgeber Vorrang eingeräumt.98 92

So wortlautgetreu BVerfGE 108, 169 (181 f.) – Telekommunikation; ähnlich auch BVerfGE 98, 83 (97) – Landesabfallabgabe; BVerfGE 98, 106 (118 f.) – Verpackungssteuer. Siehe dazu auch H. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K lein / Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungs­ gerichtsgesetz, Kommentar, § 91 BVerfGG Rn. 67 (Stand der Kommentierung: April 2020) – Hervorhebung durch den Verfasser. 93 BVerfGE 98, 83 (97). 94 Zu diesem Begriff H. Sodan, JZ 1999, 864 (868). 95 Siehe nur BVerfGE 98, 106 (118 f.). 96 Speziell hierzu F. Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (550) m. w. N. 97 BVerfGE 98, 106 (118 f.). 98 BVerfGE 98, 106 (119); siehe hierzu auch K.-P. Sommermann, in: von Mangoldt / K lein /  Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 298; F. E. Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 46.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Das Beispiel der Lenkungssteuern zeigt, wie mit dem Konzept der vertikalen Widerspruchsfreiheit die Kompetenzgrenzen der Gesetzgebung abgesichert werden99 und wie das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung auf diese Weise einen Beitrag zu der Wahrung der bundesstaatlichen Ordnung leistet.100 In der Literatur erheben aber vermehrt Stimmen die Forderung, den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch auf die horizontale Ebene101, also Widersprüche desselben Normgebers, zu erweitern. Wenn, abgeleitet aus dem Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip, ein Gebot bestehe, Ungereimtheiten zu beseitigen, die aus der föderalen Kompetenzverteilung resultieren, müsse dieses Gebot erst recht für Inkonsistenzen desselben Normsetzers gelten.102 Denn schließlich ist gerade die sachliche Stimmigkeit der Gesetzgebung desselben Normsetzers wesentliche Voraussetzung für Rationalität, Konsistenz, Einheitlichkeit und damit für die praktische Umsetzbarkeit der positivrechtlichen Handlungsanweisungen durch den Normanwender. Richtig ist sicherlich auch, dass der Anspruch an ein in sich widerspruchsfrei gehaltenes Regelungsgefüge die Klarheit des Rechts und damit die Rechtssicherheit spürbar voranbringen kann. Wenn aber auch auf horizontaler Ebene ein Konzept widerspruchsfreier Normsetzung gilt, ist der Weg zu einer mehr oder minder weitreichenden Selbstbindung des Gesetzgebers nicht mehr weit. Jedenfalls determiniert doch der Gesetzgeber die Anforderungen an eine horizontale Widerspruchsfreiheit in entscheidendem Maße selbst.103 Je stärker ein Regelungsbereich ausgeformt ist, umso eher droht eine widersprüchliche Folgegesetzgebung; die Anforderungen an die zeitlich nachgehende Gesetzgebung sind ungleich höher, je detaillierter das bisherige Fachrecht ausnormiert ist.104 Ob dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung solch eine fundamentale Bedeutung zukommt, mag zu Recht bezweifelt werden. Gerade die 99 Siehe zu der Direktive, im vertikalen Verhältnis von Bundes- und Landesrecht Anordnungen zu vermeiden, die von den Normadressaten Gegenläufiges verlangen. Dazu BVerf­GE 98, 83 (97); 98, 106 (118 f.); vgl. hierzu auch H. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K lein /  Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, § 91 BVerfGG Rn. 67 (Stand der Kommentierung: April 2020). Vgl. auch H. Sodan / S . Kluckert, NVwZ 2013, 241 (241); J.-A. Makswit, ZfWG 2015, 430 (431). C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (35). 100 Ähnlich auch H. Sodan, JZ 1999, 864 (870), der betont, dass dem formalen Prinzip der widerspruchsfreien Einheit der Rechtsordnung das Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgt. Dazu auch ders. / S . Kluckert, NVwZ 2013, 241 (241). Zur prekären Lage des Bundesstaates trotz länderfreundlicher Grundveranlagung des Grundgesetzes aber P. M. Huber, NVwZ 2019, 665 (671). 101 Zu diesem Begriff H. Sodan, JZ 1999, 864 (871) – Hervorhebung durch den Verfasser. 102 So H. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K lein / Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, § 91 BVerfGG Rn. 67 (Stand der Kommentierung: April 2020) – Hervorhebung durch den Verfasser. 103 So auch J.-A. Makswit, ZfWG 2015, 430 (431). 104 J.-A. Makswit, ZfWG 2015, 430 (431).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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axiologischen Bindungen, die mit der Erweiterung dieses Grundsatzes auf die horizontale Ebene einhergehen, stehen in Kontrast zu der ansonsten weit gefassten Gestaltungsfreiheit des Parlaments.105 Ungeachtet dieser Spannungen stellt sich ferner die Frage der Praktikabilität: Wie eng kann der Anspruch, widerspruchsfrei Normen zu setzen, in Bezug auf denselben Normgeber verstanden werden?106 Die Maßstäbe im Einzelnen bedürfen einer Konkretisierung. Fraglich ist auch, ob sich Widersprüche in einer immer komplexeren und vielschichtigeren Rechtsordnung selbst innerhalb einer Fachdisziplin überhaupt vermeiden lassen.107 Angesichts der gesetzgeberischen Realität wird man solch hohe Anforderungen an lückenlos widerspruchslose Normgebung auf horizontaler Ebene kaum stellen können. Ob dann der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung über die Beseitigung von Normwidersprüchen auf vertikaler Ebene um umfassende Konsistenzanforderungen auf horizontaler Ebene angereichert werden kann, darf deshalb mit Recht bezweifelt werden. Die normative Realität spricht dagegen. bb) Gebot der Folgerichtigkeit legislativer Entscheidungen Eine weitere Konzeption gesetzgeberischer Rationalität findet im sogenannten Gebot der Folgerichtigkeit Ausdruck. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, der vorwiegend in steuerrechtlichen Fallgestaltungen Anwendung findet. Bei der Steuergesetzgebung habe der Gesetzgeber im Rahmen seiner weiten Einschätzungsprärogative eine einmal getroffene Belastungsentscheidung im Sinne der Belastungsgleichheit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgerichtig umzusetzen, um den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG zu genügen.108 Paul Kirchhof formuliert hierzu, die gesetzgebende Gewalt sei aufgrund der Bindung an den aus Art. 3 Abs. 1 GG erwachsenden allgemeinen Gleichheitssatz im Rahmen ihres Gestaltungsauftrages gehalten, einer auf „Erneuerung und Veränderung angelegten dynamischen Gleichheit“ im Sinne einer Gestaltungsgleichheit Rechnung zu tragen109; allerdings verlangt die Kopplung an den allgemeinen Gleichheitssatz einen flexibleren Prüfungsmaßstab über die bloße Evidenzkontrolle hinaus, der auch Erwägungen der Verhältnismäßigkeit einschließt. Über die Willkürformel lassen sich nämlich, wie Christoph Degenhart treffend feststellt, nur Extremfälle110 und somit nur grobe sachfremde Ungleich­ behandlungen, nicht jedoch feine Abwägungen über Rationalität und Folgerichtigkeit erfassen. Das Gebot der Folgerichtigkeit ist jedenfalls Ausprägung des über 105

Krit. auch C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (37). Insoweit zweifelnd auch C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (37). 107 Vgl. auch C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (37). 108 BVerfGE 23, 242 (256); 84, 239 (271); 93, 121 (136); 120, 125 (155). 109 P. Kirchhof, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 3 Abs. 1 Rn. 181 (Stand der Kommentierung: September 2015). 110 C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 17. 106

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechtsschutzes und findet dort auch seine dogmatische Verankerung.111 Folgerichtigkeit ist als Instrument zur Herstellung gesetzgeberischer Gleichheit bestimmter Personen oder Personengruppen in bestimmten rechtlichen Materien zu verstehen.112 Nach Auffassung von Philipp Dann ist sie als besondere Formulierung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu begreifen und stellt in dieser Funktion eine spezifische Schranken-Schranke dar.113 Helge Sodan und Sebastian Kluckert ordnen sie dagegen als Ableitung aus dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit ein.114 Damit bietet das Gebot der Folgerichtigkeit eine Anleitung, um Ungleichbehandlungen oder gar Willkürentscheidungen durch eine inkonsistente (Folge-)Gesetzgebung zu vermeiden.115 Problematisch ist aber, dass die Rechtsprechung dieses Gebot der Folgerichtigkeit bislang nicht über das Steuerrecht hinaus ausgedehnt hat, sondern es lediglich als abstrakten Maßstab für Steuergerechtigkeit und Belastungsgleichheit in der Form einer Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz genutzt hat. Vor diesem Hintergrund kann dieses Gebot nicht ohne Weiteres in anderen Rechts­gebieten eingesetzt werden; es ist nicht universell.116 Vielmehr ist es an die bereichsspezifische Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes gekoppelt und gelangt nur in diesem Zusammenhang zur Anwendung. Aus dem Gebot der Folgerichtigkeit lassen sich deshalb nicht ohne weiteres allgemeine Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung ableiten. Erst recht muss dies für die Aufsichtsgesetzgebung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gelten, weil in diesem Bereich verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte nicht ausschließlich über Art. 3 Abs. 1 GG, sondern vorrangig über andere Grundrechte bestehen. cc) Konsistenz der Gesetzgebung Für einen universellen Konsistenzgrundsatz als Teilelement des Rechtstaatsprinzips sind einige Autoren eingetreten. Eine klare Position für ein universelles Konsistenzgebot vertritt Christian Bumke, nach dessen Auffassung gesetzgeberische Konsistenz eine verfassungsrechtlich gebotene Pflicht der Gesetzgebung ist, 111 Ausdrücklich dazu BVerfGE 120, 125 (155). Vgl. bereits BVerfGE 23, 242 (256); 84, 239 (271); 93, 121 (136); vgl. auch C. Seiler, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 31 Rn. 38. 112 BVerfGE 23, 242 (256); 84, 239 (271); 93, 121 (136); 120, 125 (155). Siehe auch P. Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (632); D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 282; W. Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 37; P. Kirchhof, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rn. 181 (Stand der Kommentierung: September 2015); C. Seiler, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 31 Rn. 38. 113 P. Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (632); C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (87). 114 H. Sodan / S . Kluckert, NVwZ 2013, 241 (246). 115 D. Merten, DÖV 2015, 349 (351). 116 So auch D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 282.

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„eine in sich geschlossene Grundkonzeption zu entwickeln und diese klar, präzise und in sich folgerichtig im Verhältnis von Regel, Ausnahme und Gegenausnahme, aber auch im Vergleich der verschiedenen Regeln zu verwirklichen“.117 Nur, wenn die unterschiedliche Gestaltung von Rechtsfolgen durch die zwischen den Verhaltensalternativen bestehenden Unterschiede zu rechtfertigen seien, könne von einem konsistenten Regelungsgefüge gesprochen werden.118 Die Konzeption eines Grundsatzes konsistenter Gesetzgebung unterscheidet sich von den anderen Topoi in seiner allgemeinen Anwendbarkeit auf sämtliche Materien der Gesetzgebung. Dies ist insoweit etwas Neues, als sich die zuvor entwickelten Ansätze bekannter Dogmen bedienen: Das Gebot der Folgerichtigkeit etwa enthält kaum mehr als eine Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz, insbesondere für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Der Ansatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist zuvörderst auf Normkollisionen im vertikalen Verhältnis zugeschnitten. Ein Grundsatz konsistenter Gesetzgebung ist demgegenüber als ein allgemeiner Maßstab und damit eine allgemeinverbindliche Verpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers zu verstehen.119 Er kumuliert, wie Christian Bumke formuliert, deshalb mit der Pflicht zur „guten Gesetzgebung“ und gründet im Rechtsstaatsprinzip sowie im allgemeinen Gleichheitssatz.120 Zugleich soll diese allgemeine Verpflichtung nicht als inhaltliche Einschränkung des Gestaltungsspielraums der Gesetzgebung, sondern vielmehr als strukturelle Vorgabe zur konsistenten Folgegesetzgebung begriffen werden.121 Während gesetzgeberische Konsistenz in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorwiegend der Fortentwicklung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geschuldet war122, lassen sich der jüngeren Rechtsprechung punktuell Ausführungen entnehmen, die immer deutlicher die Forderung einer schlüssigen Fortführung gesetzgeberischer Konzeptionen enthalten. In einem Urteil vom 28. 3. 2006 führt etwa das Bundesverfassungsgericht aus, der Gesetzgeber müsse, will er an einem staatlichen Wettmonopol festhalten, ein solches konsequent am Regelungsziel, nämlich der Bekämpfung von Wettsucht, ausrichten.123 Im Falle des hier beispielhaft angeführten Glücksspielrechts ist diese Forderung alsbald mit der nüchternen Feststellung relativiert worden, die dort formulierten Konsistenzanforderungen seien nicht ohne Weiteres auf andere Rechtsgebiete übertragbar.124 117 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (91) – Hervorhebung durch den Verfasser. Krit. hierzu J.-A.  Makswit, ZfWG 2015, 430 (433), der der Konzeption eines Grundsatzes konsistenter Gesetzgebung mangelnde dogmatische Fundierung vorwirft. 118 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (96). 119 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (85). 120 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (85 f.). 121 C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (95). 122 So sieht etwa C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 f. die Prüfung der Erforderlichkeit von Gesetzen als Kriterium für Rationalität an. 123 BVerfGE 115, 276 (317 f.) – Oddset-Sportwetten. 124 BVerwGE 157, 126 (147 Rn. 51).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Ob sich vor diesem Hintergrund ein von der Verhältnismäßigkeitsdoktrin unabhängiger Grundsatz „konsistenter“ Gesetzgebung als „unausweichliche Schlussfolgerung der Entwicklungen der Rechtsprechung“125 begründen lässt, muss indessen bezweifelt werden126. So sehr die vernünftige Fortführung von Regelungssystemen rechtspolitisch wünschenswert ist127, so konturenlos bleiben die Entwicklungsansätze der jüngeren Rechtsprechung. Ein verfassungsrechtlicher Nachweis mag erst recht nicht gelingen. Insbesondere kann die inhaltliche Aufladung des ohnehin schon überfrachteten Rechtsstaatsprinzips mit weiteren abgrenzbaren Teilelementen kaum tragen, zumal, wie Philip Kunig deutlich macht, die Eröffnung weiterer Unterkategorien das Rechtsstaatsprinzip verwässern wird.128 dd) Theorie von der Einheit der Rechtsordnung Es überrascht daher nicht, dass für die noch weiterreichende Theorie der Einheit der Rechtsordnung im Gesamten ein ähnlicher Befund zu Tage tritt. Bei der Einheit der Rechtsordnung handelt es sich um eine rechtsgebietsübergreifende Vorstellung normativer Homogenität, auf deren Grundlage die einzelnen Überlegungen zu Systemgerechtigkeit und Widerspruchsfreiheit beruhen sollen.129 Diskutiert wird sie als verfassungsrechtliche Pflicht130, häufiger jedoch als juristische Argumentationsfigur im Rahmen der systematischen Auslegung mit der Zielsetzung, eine in sich harmonische und widerspruchsfreie Gesamtrechtsordnung zu 125

C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (91). Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts formuliert hier konkreter und stellt deutlich klar, dass es außerhalb des staatlichen Wettmonopols kein übergreifendes Konsistenzgebot gebe. Dazu BVerwGE 157, 126 (158 Rn. 70). 127 Vgl. die Ausführungen zur Einheit der Rechtsordnung bei A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (443). 128 Überzeugend ist auch Kunigs Begründung seiner These. Er führt aus, es liege „auf der Hand, dass die Entwicklung ungeschriebener Grundsätze aus einem ungeschriebenen Grundsatz dessen strukturelle Besonderheiten zu potenzieren geeignet ist – dies jedenfalls dann, wenn es sich inhaltlich wieder um elastische Formen handelt, und es nicht gelingt, durch feste begriffliche Inhalte und ein dogmatisch klares Verständnis der Subprinzipien zueinander ein tragfähiges Fundament zu errichten. Gerade letzteres ist aber nicht erreicht worden. Die Subprinzipien werden gewöhnlich additiv aneinandergereiht, auch einzeln genannt, sie erscheinen in beliebigem systematischem Zusammenhang, werden so zu Versatzstücken, die den aus ihm hergeleiteten Ergebnissen nur den Schein einer rechtlichen Begründung verleihen, während es sich in Wahrheit um Dezisionismus handelt.“ Wenn dies die Bilanz zu den anerkannten Teilelementen des Rechtsstaatsprinzips ist, wird sich dasselbe Problem erst recht bei einer weiteren Aufblähung dieses Prinzips mit weiteren Subkategorien einstellen. Dazu P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 257. 129 C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 5; A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429; vgl. auch E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 112. 130 A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (431 ff.). 126

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erreichen, indem durch Verknüpfung einzelner Teilrechtsordnungen die Gesamtrechtsordnung harmonisiert wird.131 Ob sich die Argumentation mit der Einheit der Rechtsordnung auch verfassungsrechtlich nachweisen und damit zum – systematischen – Maßstab der Gesetz­ gebung erheben lässt, ist von Dagmar Felix umfassend untersucht worden132; auf Einzelheiten soll an dieser Stelle deshalb nicht eingegangen werden. Zusammenfassend ist vielmehr folgender essentieller Befund zu berücksichtigen: Dagmar Felix weist nach, dass ein „über die bislang bekannten allgemeinen Verfassungsgrundsätze hinausgehender ungeschriebener Verfassungsgrundsatz, der den Gesetzgeber zur Rücksichtnahme auf die Zielsetzungen anderer Teilrechtsordnungen verpflichten würde“, in der Verfassung nicht nachzuweisen ist sowie überdies – und das dürfte ein noch wichtigerer Befund sein – nicht mehr hervorbringt, als über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits erreicht wird.133 In der Tat zielen die Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips auf die Beseitigung von „echten“ Normkollisionen, die dann anzunehmen sind, wenn die Anwendung von Rechtsnormen in mindestens einem Fall zu miteinander nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führt.134 Kommt es zu einer Kollision verschiedener Normen, sei es vertikal zwischen der Bundes- und Länderebene oder horizontal zwischen Regelungen desselben Normgebers, ist die Frage nach einer dogmatischen Konzeption meist überflüssig. Hier genügt oft die einfache Derogation: So wird im vertikalen Verhältnis durch das Bundesstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG sowie die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen eine – jedenfalls im Grundsatz – überschneidungsfreie Normgebung sichergestellt.135 In dieses Konzept fügt sich Art. 31 GG ein, der im Verhältnis von Bundes- und Ländergesetzgeber eine Derogationsregel aufstellt.136 Zur Auflösung von Normkollisionen reicht oft bereits die Harmonisierung im Wege bloßer Auslegung.137 Auf horizontaler Ebene können Normkollisionen häufig bereits mithilfe der klassischen Auslegungsmethoden, 131

D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 142 ff. Zur Offenheit der Rechts- und Sozialwissenschaft für eine Systemrationalität A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 48. 132 D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, passim. 133 D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 397. 134 H. Sendler, NJW 1998, 2875 (2876); A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (443). 135 So etwa H. Sodan, JZ 1999, 864 (870), der darauf hinweist, dass aufgrund Art. 20 Abs. 1, 23 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG und des Subsidiaritätsprinzips der föderale Bundesstaat den Ländern „ein größtmögliches Maß“ an eigenen Entscheidungsspielräumen belässt; zugleich aber die Bundestreue als Vorbehalt hierfür verankert ist. Siehe auch B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 57 (Stand der Kommentierung: November 2006). 136 C. Brüning, NVwZ 2002, 33 (34); H. Sodan, JZ 1999, 864 (870). 137 C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 4; C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2087) geht davon aus, dass hierbei zunächst „Wort und Wille“ des Gesetzgebers Vorrang haben und deshalb zuvörderst nach der Entstehungsgeschichte der betreffenden Norm zu fragen ist. A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (443).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

etwa durch systematische138 und teleologische139 Auslegung sowie die Herstellung eines schonenden Ausgleichs entgegenstehender Güter im Wege praktischer Konkordanz, abgewandt werden.140 Reicht dies nicht aus, kann horizontale Übereinstimmung im Zuge der Rechtsanwendung durch Kollisions- und Derogationsregeln hergestellt werden.141 Nur wenn ein Normkonflikt unvermeidbar, also weder durch Auslegung noch durch Derogation auszuräumen ist, wird den Regelungen die verfassungsrechtlich gebotene Rechtsklarheit fehlen, weil der Bürger dann nicht in der Lage ist, sein Verhalten an der Rechtslage auszurichten.142 Im Gesamtgefüge der Rechtsordnung kommt es aber nahezu unweigerlich zu Widersprüchen der einzelnen Teilrechtsordnungen untereinander. Zu unterscheiden ist dabei allerdings zwischen Normkollisionen und Wertungswidersprüchen. Dagmar Felix veranschaulicht dies unter anderem am Beispiel des Bauherrn, der zwar seine bauliche Anlage einerseits in Einklang mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften, andererseits aber wissentlich entgegen zivilrechtlicher Vorgaben errichtet und deshalb einem Haftungsrisiko ausgesetzt ist. An der notwendigen Rechtsklarheit wird es sowohl auf öffentlich-rechtlicher wie auch privatrechtlicher Seite nicht scheitern, weil sich der Bauherr der Folgen seines Handelns im Hinblick auf beide Teilrechtsordnungen bewusst ist.143 Gleichwohl kollidieren beide Wertungen miteinander. Über den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung ließe sich diese Kollision zwar beseitigen. Wie Alexander Hanebeck aber treffend klarstellt, ginge dann der Anspruch an Systemgerechtigkeit oder Widerspruchsfreiheit über die Vermeidung von Normenkollisionen hinaus und zielte vielmehr auf die Beseitigung von Wertungswidersprüchen.144 Die bekannten Inhalte des Rechtsstaatsprinzips reichen allerdings nicht so weit. Weder die Normenklarheit noch die Bestimmtheit implizieren eine materienübergreifende Systemkonformität, sondern stellen lediglich Mindestanforderungen für eine anwendungstaugliche Gesetzgebung auf. Anderenfalls, so die von Armin Steinbach vorgetragenen Bedenken, sei sogar die Balance im gewaltengeteilten Staat in Gefahr. Die weite Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers wäre nämlich bei einer verfassungsrechtlichen Pflicht zu rationaler Gesetzgebung in Frage gestellt, weil dieses Konzept im Wege der verfassungsgerichtlichen (Nach-)Kontrolle der Gesetzgebung eingefordert wer 138 Ausführlich K. Larenz / C .-W. Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 145 ff. 139 Ausführlich K. Larenz / C .-W. Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 153 ff. 140 H. Sodan, JZ 1999, 864 (871). Krit. zum Zusammenhang von praktischer Konkordanz und dem Terminus „Optimierung“ R. Wahl, Der Staat 20 Nr. 4 (1981), 485 (504 f.). 141 H. Sodan, JZ 1999, 864 (868). 142 D.  Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 246 f. So auch H. D.  Jarass, in: Jarass /  Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 16. Aufl. 2020, Art. 20 Rn. 89. 143 Zu diesem Beispiel ausführlich D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 244. 144 C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 4; A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (444); A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 92.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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den könnte mit der Folge, dass die Entscheidung über Wertungswidersprüche dem Bundesverfassungsgericht obliege.145 Davon abgesehen ist der Anspruch an eine Gesamtharmonisierung eine nahezu utopische Vorstellung. Gerade der Bundesstaat ist doch auf gegenläufige Gestaltungsvorstellungen im vertikalen Verhältnis angelegt. Die Forderung einer flächendeckenden normativen „Einheit“ wäre, wie Fabian Wittreck formuliert, für den Bundesstaat „per se prekär“, weil die Entscheidung für eine föderative Ordnung zugleich eine Entscheidung für eine „wie auch immer dosierte und temperierte“ Rechtsvielfalt bedeutet.146 Zugleich führt der Anspruch nach Einheitlichkeit in einem Ordnungsgefüge mit enormer Regelungsdichte zu erhöhter Fehleranfälligkeit, weil jedes (Teil-)System auf subjektiven Wertungen gründet, mit denen die Gefahr willkürlicher Entscheidungen verbunden ist.147 Daher trifft der Befund zu, dass sich eine Vollharmonisierung der Gesamtrechtsordnung im Sinne einer „Einheit“ verfassungsrechtlich nicht begründen, sondern nur rechtspolitisch formulieren lässt.148 b) Begrenzte Dimension der spezifischen Konzeptionen legislativer Rationalität Nach Betrachtung der unterschiedlichen Konsistenzkonzepte verbleibt der unbefriedigende Befund eines fragmentierten Gefüges unterschiedlicher Überlegungen, die letztlich nur der Anspruch an eine rationale Normsetzung eint, bei denen es sich im Übrigen jedoch um grundlegend verschiedene Konzepte handelt, die weitgehend auf ihre jeweiligen bereichsspezifischen Anwendungsgebiete begrenzt bleiben. Insbesondere mag dies für den Grundsatz der Folgerichtigkeit gelten, der an die Gleichheitssatzdogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG geknüpft ist. Erwägungen weiterreichender Systemgerechtigkeit gründen ohnehin meist auf dem allgemeinen Gleichheitssatz und gerade nicht auf einem verallgemeinerungsfähigen Grundsatz konsistenter Gesetzgebung.149 Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist mehr Kollisionsregel denn eigenes Rationalitätskonzept. Und übergreifende Erwägungen, wie etwa die Gebote einer konsistenten Gesetzgebung oder sogar einer Einheit der Rechtsordnung, finden in der Verfassung keinen tragfähigen Nachweis. 145

A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 93. F. Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 72 Rn. 23; vgl. auch E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 112. 147 A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (447). 148 A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (443); ähnlich auch E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 112; vgl. allgemein zu den Anforderungen an eine „gute“ Gesetzgebung W. Höfling / A . Engels, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 34 Rn. 38. 149 So auch B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 56 (Stand der Kommentierung: November 2006). Vgl. dazu auch H. Sodan, JZ 1999, 864 (865). Siehe zur frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 20 ff.; A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 87 ff. 146

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

3. Schlussfolgerungen aus den bisherigen Befunden Es muss deshalb dabei bleiben, Rationalität der Normsetzung an den anerkannten verfassungsrechtlichen Direktiven zu messen.150 Für weitergehende Dogmen kann dagegen kein Raum bleiben. Unvernunft, Inkonsistenz und Irrationalität sind im Ergebnis kein Grund, Gesetzgebung zu beanstanden.151 Die Schaffung einer umfassend konsistenten Rechtsordnung durch Zugrundelegung einer grundsätzlichen Ordnungsidee und folgerichtiger Fortsetzung dieses Ansatzes sollte gleichwohl der Maßstab des Gesetzgebers an seine eigene Arbeit sein.152 Der Mut zu verständlicher und kohärenter Gesetzgebung könnte nicht nur die Qualität der Normsetzung steigern, sondern zugleich das Dickicht im Paragraphendschungel lichten und die Normenflut begrenzen, wobei schlechterdings zu akzeptieren ist, dass sich nicht jede Unwucht aus anspruchsvollen Regelungsbereichen verbannen lässt.153 Justiziabel ist diese gesetzgeberische Selbstkontrolle und Selbstbindung des Gesetzgebers gleichwohl nicht.154 Weiterreichende Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung als über die rechtsstaatlichen Anforderungen einer klaren und hinreichend bestimmten Normsetzung lassen sich aus der Verfassung gerade nicht nachweisen.155 a) Die wertungsmäßige Anwendung der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG als Alternativkonzept? Gleichwohl ist die Forderung einer zumindest grundlegenden normativen Konsistenz keine bloß rechtspolitische Forderung, weil das Rechtsstaatsprinzip zumindest grobe Leitlinien für eine praktisch handhabbare Gesetzgebung vorgibt.156 Insbesondere der Aspekt rechtsstaatlich gebotener Bestimmtheit von Normen verlangt dem Gesetzgeber Vernunft ab; zugleich erleichtern möglichst konkret gefasste Normen die gerichtliche Kontrolle. Je konkreter gesetzliche Vorgaben gestrickt sind, umso einfacher lassen sie sich untersuchen und bewerten. Dazu gehört auch eine systematische Überschaubarkeit. In Bezug auf die im Fünften Buch Sozialgesetzbuch verteilten Ermächtigungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Richtliniengebung157 kritisiert Thorsten Kingreen, es sei oftmals kaum erkennbar, auf welchen Rechtsgrundlagen die jeweiligen Rechtsetzungsakte beruhen.158 150 So auch D. Merten, DÖV 2015, 349 (351) nach dessen Auffassung es „rechtsstaatlicher Berechenbarkeit statt umfassender Begründungspflichten“ bedürfe. 151 Zum gleichen Ergebnis kommt auch J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (178). 152 Zu Verantwortung und Selbstkontrolle des Gesetzgebers C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2085 f.). Vgl. auch C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (89). 153 J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (186) macht dies am Beispiel des Steuerrechts anschaulich. 154 Hierzu H. Sendler, NJW 1998, 2875 (2876). 155 Zu diesem Ergebnis kommt auch A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (445). 156 In diese Richtung aber W. Höfling / A . Engels, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 34 Rn. 38. 157 Dazu E. Hauck, NZS 2010, 600 (608). 158 T. Kingreen, VSSAR 2019, 155 (158).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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Ein in der Literatur und insbesondere von Peter Axer diskutierter Ansatz159 könnte deshalb auch ohne ein selbstständiges Konzept zu einer Steigerung der normativen Rationalität sowie der normativen Systematik führen: Für die Rechtsverordnung als klassische Form derivater Normsetzung bestehen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich normierte Anforderungen an die Bestimmtheit der parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nach Inhalt, Zweck und Ausmaß.160 Obwohl auch die Träger funktionaler Selbstverwaltung untergesetzliche Normsetzung betreiben, so etwa im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Setzung von Richtlinien und sonstigen Beschlüssen161, wird zuweilen keine Veranlassung gesehen, die in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG manifestierten Bestimmtheitsanforderungen auf diese Normsetzung anzuwenden. Immerhin kommen auch den Trägern funktionaler Selbstverwaltung eigene Normgebungsbefugnisse162 zu. Bei der exekutiven Rechtsetzung durch die Sozialversicherungsträger kommt dieser Thematik eine herausgehobene Bedeutung zu, weil hier die Anwendung der Bestimmtheitserfordernisse des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG von der Rechtsprechung gerade nicht verlangt wird.163 Dies mag überraschen. Wie bereits im ersten Kapitel hinlänglich dargelegt, hat die Setzung von Richtlinien und sonstigen Beschlüssen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bei rein rechtstechnischer Betrachtung nichts mit Satzungsautonomie zu tun, sondern es handelt sich um delegierte Normsetzung, die der Rechtsverordnung im Grunde nicht unähnlich ist. Deshalb ist die Festschreibung von Mindestanforderungen für die Bestimmtheit der Normsetzungsermächtigungen in der funktionalen Selbstverwaltung ebenso sinnvoll wie bei der Delegation an den Verordnungsgeber.164 Seine Richtlinienkompetenz erhält der Gemeinsame Bundesausschuss kraft ausdrücklicher Ermächtigungen; ebenso setzen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen aufgrund gesetzlicher Anordnung Satzungsrecht.165 Sowohl die exekutive Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung wie auch die Verordnungsgebung der Ministerial 159

Ausführlich dazu P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 379 ff. 160 A.  Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 80 Rn. 20 (Stand der Kommentierung: Mai 2021) misst dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG die Funktion eines Untermaßverbotes bei. 161 Zur Einordnung dieser Rechtsetzung als Normsetzungsform sui generis C.  Waldhoff, MedR 2016, 654 (655); F. E. Schnapp / A . Nolden, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 4 Rn. 30. 162 Die Rechtsprechung knüpft diese Rechtsetzungskompetenz an den Begriff der „Satzungsautonomie“. Dazu BVerfGE 33, 125 (156 f.); 111, 191 (216 f.); 146, 164 (212); BSGE 78, 70 (80). 163 Grundlegend zur Satzungsautonomie und zur Unanwendbarkeit der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfGE 12, 319 (325). Ablehnend zur Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655). Die direkte Anwendung negierend P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 380. 164 So auch BSGE 78, 70 (80); SG Köln, GesR 2007, 519 (522). 165 Siehe hierzu bereits oben S. 97 ff.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

verwaltung beruhen auf der Kompetenzdelegation durch ausdrückliche Ermächtigungsgrundlagen. Beide Formen der Rechtsetzung stehen sich in nichts nach. Eine zumindest inhaltliche Übertragung des „verordnungsspezifischen Bestimmtheitsgebots“166 in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist deshalb notwendig. Der Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitstheorie gebieten, auch der funktionalen Selbstverwaltung vergleichbare Konturen wie den Verordnungsgebern durch hinreichend bestimmte Ermächtigungen zu setzen, um ihr einen probaten gesetzlichen Rahmen zu geben, innerhalb dessen sie sich entfalten kann.167 Um diese Überlegung auch dogmatisch auf sicheren Boden zu stellen, will Peter Axer die Begriffe Selbstverwaltung und Satzungsautonomie voneinander entkoppeln. Es soll mit anderen Worten kein Automatismus sein, dass die Verleihung funktionaler Selbstverwaltung autonome Normsetzungsbereiche eröffne. Während Autonomie nämlich nur die eigenverantwortliche und nur gegenständlich umrissene Normsetzungsbefugnis meine, statuiere Selbstverwaltung nur eine bestimmte Organisationsform für die Erledigung öffentlicher Angelegenheiten.168 Ungeachtet der – überzeugenden – begrifflichen Entkopplung von Autonomie und Selbstverwaltung lassen sich Mindestanforderungen der Bestimmtheit für die Ermächtigung der Selbstverwaltungsträger auch, wie Günter Borchert argumentiert, aus dem argumentum a-maiore-ad-minus ableiten; mithin ist ein Zusammenhang ministerieller und sonstiger exekutiver Rechtsetzung169 für die hier relevanten Fragen umzudeuten: Wenn die Verfassung bei der delegierten Normsetzung darauf bedacht war, Rechtsetzungsmacht jedenfalls insoweit zu begrenzen, als der rechtliche Rahmen hierfür klar umrissen sein muss, leuchtet nicht ein, warum äquivalente Anforderungen auf dem Standard des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht bereits aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu fordern sein sollen. Wie bei der Sammlung der für die Untersuchung relevanten Wissensgrundlagen im ersten Kapitel ermittelt wurde, bedeutet die Einfassung in ein „vollständig durchgebildetes Verwaltungsrecht“170 kein Ausschlusskriterium für die Selbstverwaltung; sie ist im Gegenteil eines ihrer Wesensmerkmale.171 Qualitative Forderungen an die Bestimmtheit des Rechtsrahmens vereiteln die Ausübung der Selbstverwaltung keineswegs, sondern ermöglichen ihr die richtige Einschätzung des verfügbaren Handlungsspielraums, schaffen Klarheit und verhelfen auf der Kehrseite der Staatsaufsicht zu einer stringenteren Kontrolle und Rechtsdurchsetzung auch mit wenigen Aufsichtsmitteln. Ähnliche Effekte strahlen auch auf die gerichtliche Kontrolle aus, die dank klarer Ermächtigungen ihre Aufgabe besser erfüllen kann, mithin effektiviert wird. Mit 166

Zu dieser Terminologie A. Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 80 Rn. 17 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 167 Ähnlich auch P.  Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 380. 168 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 195. 169 G. Borchert, NZS 2004, 287 (290). 170 R. von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, 1870, S. 8. 171 Siehe hierzu ausführlich oben S. 40 ff.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vergleichbare Bestimmtheitsanforderungen gehören deshalb zum rechtsstaatlich gebotenen Mindestmaß gesetzlicher Anleitung der Selbstverwaltungsträger. b) Akzeptanz der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit der Legislative Weitere Konsistenzanforderungen an die Gesetzgebung können nach alledem nicht ermittelt werden. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies Folgendes: Der parlamentarische Gesetzgeber ist nur insoweit zu konsistentem Handeln verpflichtet, als dies das Rechtsstaatsprinzip über seine Teilaspekte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, insbesondere der Normenklarheit und Bestimmtheit gebieten. Bei der Übertragung von Normsetzungskompetenzen können – wie soeben ausgeführt – der Bestimmtheitstrias für Verordnungsermächtigungen äquivalente Anforderungen gestellt werden, wenngleich die entsprechende Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Betracht kommt. Mangels weiterer spezifischer Rationalitätsanforderungen besteht aber keine pauschale Bindung der Gesetzgebung an eine vorab getroffene Systementscheidung. So kann etwa der parlamentarische Gesetzgeber, sofern hierfür die benötigten politischen Mehrheiten vorliegen, die Selbstverwaltung als Organisationsform der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich jederzeit abschaffen und diesen Zweig der Sozialversicherung in die Ministerialverwaltung integrieren.172 Auch wird er verfassungsrechtlich nicht gehindert sein, eine Staatsaufsicht zu formen, die auch fachaufsichtliche Elemente beinhaltet und damit die Selbstverwaltung ad absurdum führt. Das Grundgesetz nimmt zugunsten einer gesetzgeberischen Freiheit also offenbar in Kauf, dass es zu Entscheidungen kommt, die zwar paradox und unlogisch sind, aber noch keine Normkollisionen oder Grundrechtsverletzungen hervorrufen. Damit ist aber zugleich der Stellenwert der Freiheit des Gesetzgebers ausgedrückt, die sich im Übrigen auch in Art. 20 Abs. 3 GG spiegelt und ohne die ihm die Handhabe zum politischen Gestalten und die Fähigkeit zum Kompromiss fehlten.173 4. Zwischenbefund Rationalität spielt also im Ergebnis für die Gesetzgebung nur im rechtsstaatlich gebotenen Maße eine Rolle. Eine strikte Bindung des Gesetzgebers an seine Entscheidung, für die gesetzliche Krankenversicherung die Selbstverwaltung als 172

Siehe schon die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Ortskrankenkassen, BVerfGE 39, 302 (315); vgl. auch BVerfGE 113, 167 (201). 173 Vgl. dazu J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (178); A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 94. Zu der Einschränkung der Kompromissfindung durch die Kontrolle der Rechtsprechung H. Risse, JZ 2018, 71 (76).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Organisation vorzusehen, lässt sich über dieses Maß hinaus allerdings nicht begründen. Letztlich bleibt die Systementscheidung für die Selbstverwaltung eine rechtspolitische Entscheidung, die ihren Trägern zwar besondere Privilegien zuspricht. Allein in ihr realisiert sich aber nicht der Verzicht auf die ebenso rechtspolitische Korrektur dieser Entscheidung. Wie Josef Isensee pointiert ausdrückt, kann Funktionsrationalität politische Führung nicht ersetzen.174

II. Verfassungsrechtlicher Bauplan für die gesetzliche Architektur der Staatsaufsicht Indessen soll untersucht werden, ob sich bereits aus dem Verfassungsrecht wenigstens institutionelle oder organisatorische Vorgaben für die Konzeption der Staatsaufsicht ergeben, die der Gesetzgeber berücksichtigen muss; ob also die Verfassung selbst einen Bauplan für die Konzeption der Staatsaufsicht beinhaltet. 1. Demokratische Notwendigkeit der Staatsaufsicht Verfassungsrechtliche Direktiven für einen solchen „Bauplan“ lassen sich in begrenztem Maße durch eine Umkehrung der Erkenntnisse zur demokratischen Legitimation gewinnen. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Staatliche Aufsicht verfügt über eine legitimierende Kraft; sie gewährleistet neben dem Vorbehalt des Gesetzes, dass dezentralisierte Einrichtungen des Staates an die Verantwortung des Parlamentes und an den Willen des Volkes rückgekoppelt werden.175 Gesetzliche Anleitung und exekutive Kontrolle spielen in der funktionalen Selbstverwaltung eine naturgemäß größere Rolle als in der Ministerialverwaltung, weil eine echte personelle Legitimation dort dogmatisch nicht gelingen kann.176 Um sachlich-inhaltlich demokratisch legitimiert zu sein, sind dezentralisierte Verwaltungsträger somit auf eine hinreichende gesetzliche Anleitung und exekutive Kontrolle angewiesen.177 Wenn indessen für die Bestimmung der demokratischen Legitimation gerade kein starrer Messwert besteht, sondern mit dem Legitimationsniveau eine Verhältnisbestimmung Maßstab für die Beurteilung der demokratischen Legitimation ist, 174

J. Isensee, in: Hrbek (Hrsg.), Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion am 27. Oktober 1984 aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, 1985, S. 72. 175 Zur Notwendigkeit der Staatsaufsicht aus demokratischer Sicht bereits ausführlich oben S. 80 ff. 176 G. Borchert, NZS 2004, 287 (290); S. Muckel, NZS 2002, 118 (119); A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (351). 177 Vgl. T. Mann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 39. Siehe hierzu ausführlich oben S. 81 f.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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liegt es nahe, auch die gebotene Dichte staatlicher Aufsicht nicht starr, sondern am für das Legitimationsniveau Notwendigen dynamisch zu bestimmen. Kurzum formuliert: Wenn sich aus dem demokratischen Prinzip Anhaltspunkte dazu fruchtbar machen lassen, welche Voraussetzungen die Selbstverwaltung erfüllen muss, um ein hinreichendes Legitimationsniveau zu erreichen, muss sich – gewissermaßen durch Umstellen der Formel – auch ableiten lassen, wie viel staatliche Aufsicht im Einzelfall nötig ist, um gegebenenfalls defizitäre Legitimationsstränge auszugleichen. Eine solch feinfühlige Differenzierung lässt sich der Dogmatik des demokratischen Prinzips allerdings nicht abgewinnen. Zur Qualität der Staatsaufsicht im Einzelfall bestehen kaum tragfähige Feststellungen. Nur vereinzelt ist die Formulierung zu finden, zur sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation bedürfe es einer „effektiven“ Staatsaufsicht.178 Mit diesem vagen Adjektiv ist im Grunde nichts gewonnen. Es bleibt insbesondere offen, ob die legitimatorische Bedeutung der Staatsaufsicht bereits eintritt, wenn sie überhaupt nur existiert oder ob konkrete organisatorische, institutionelle oder materielle Vorgaben an deren Ausgestaltung zu stellen sind, die gleichwohl durch den parlamentarischen Gesetzgeber berücksichtigt werden müssen. Mit der geforderten „Effektivität“ wird bei lebensnahem Verständnis nicht mehr anzunehmen sein, als die Konzeption einer Aufsicht, die dann, wenn sie Missstände erkennt, über Möglichkeiten zum Einschreiten, notfalls mit Zwang, verfügt.179 Gerade das ist aber kein eigenständiges Qualitätsmerkmal, sondern Grundeigenschaft jeder Form staatlicher Aufsicht, die ansonsten vollkommen wirkungslos bliebe. Aus dem demokratischen Prinzip lassen sich mithin keine konkreteren Vorgaben für die gesetzliche Konstruktion der Staatsaufsicht gewinnen. 2. Konkurrenz von exekutiver und judikativer Kontrolle Leitlinien ergeben sich auch aus der Zusammenschau mit den Funktionen und dem Umfang der gerichtlichen Kontrolle durch die Rechtsprechung. Die verfassungsrechtliche Anforderung einer „effektiven“ Staatsaufsicht kann zusätzlich durch etwaige Konkurrenzen mit der gerichtlichen Kontrolle weiter verwässert werden. Administrative Kontrolle wird womöglich dort entbehrlich, wo die gerichtliche Kontrolle bereits hinreichenden Schutz ermöglicht. Möglicherweise dient die administrative Kontrolle der Staatsaufsicht dann nur noch als Ergänzung der gerichtlichen Kontrolle. Hören lässt sich diese Argumentation allenfalls in Hinsicht auf die multilateralen Kontrollen im rechtsstaatlichen Gefüge. Kontrolle ist dort nicht bloß ein eindimensionaler Mechanismus, sondern ein komplexes System gegenseitiger Überprüfung der verschiedenen Staatsgewalten. Im gewaltengeteil 178 179

BremStGH, NVwZ 2003, 81 (84). H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 186.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

ten Staat muss es deshalb unterschiedliche, jeweils gegenseitige Kontrollen der Teilgewalten geben, die sich gegenseitig ergänzen180 und sich im gegebenen Falle auch überschneiden können. Insbesondere in der Literatur sind Überlegungen aufzufinden, mit denen der Staatsaufsicht im Falle einer Konkurrenz mit der gerichtlichen Kontrolle eine „Reservefunktion“ zugewiesen wird.181 Immer dann, wenn dem Einzelnen subjektive Rechte zustehen, die im Zweifel justiziabel zu machen sind, sei die Staatsaufsicht auf eine „Reservefunktion“ zurückgedrängt. Für eine „Übersicherung“ durch die Aufsichtsbehörden bestehe kein Anlass und im Übrigen kein allgemeines öffentliches Interesse, weil ein hinreichender Schutz der individuellen Interessen über den gerichtlichen Rechtsschutz erreicht werde.182 In eine ähnliche Richtung argumentieren auch diejenigen Autoren, die der präventiven Kontrolle eine geringere Effizienz zuerkennen als dem gerichtlichen Rechtsschutz.183 Zurückhaltung ist aber bei dem Argument der „Reservefunktion“ schon deshalb geboten, weil es sich nur zur Beschränkung der Aufsichtsführung, nicht jedoch der Aufsichtsgesetzgebung fruchtbar machen lässt. Auf diese Differenzierung muss es nicht mehr ankommen, wenn – zu Recht – eine „Reservefunktion“ der Staatsaufsicht verneint wird. Es besteht nämlich kein Grund, ein Konkurrenzverhältnis verschiedener Kontrollen in Bezug auf individuelle Rechte zur Schranke der Aufsichtsgesetzgebung zu erheben. Vielmehr kann es im staatlichen Gesamtgefüge ein Nebeneinander verschiedener Kontrollen geben, weil die unterschiedlichen Kontrollkonzepte verschiedene Leitideen verfolgen und deshalb nur bedingt miteinander vergleichbar sind.184 Wie Wolfgang Kahl pointiert ausführt, nimmt das eine dem anderen nichts.185 Nicht abträglich ist es daher, nicht nur bei der Grundkonzeption der Kontrollmechanismen, sondern auch in deren Ausübung ein Nebeneinander verschiedener Kontrollen zuzulassen. Das gilt umso mehr, wenn der Staatsaufsicht über die bloße Kontrolle hinaus eine Verantwortlichkeit für die Funktionalität zukommen soll. Die Jurisprudenz hat jedenfalls eine solch 180

P. Kirchhof, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 244. 181 F. E.  Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52 Rn. 101; T. Günther, in: Honig / K nörr / T hiel, Handwerksordnung, 5.  Aufl. 2017, § 115 Rn. 9. Krit. aber W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 549. 182 F. E. Schnapp, DVBl. 1971, 480 (483); ders., in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 52 Rn. 101; bezogen auf die Staatsaufsicht im Handwerksrecht T. Günther, in: Thiel (Hrsg.), Honig / K nörr / T hiel, Handwerksordnung, 5. Aufl. 2017, § 115 Rn. 9. Vgl. dazu auch die parallele Überlegung von J. Frowein, Die selbstständige Bundesaufsicht nach dem Grundgesetz, 1961, S. 49, der Spannungen von selbstständiger Bundesaufsicht und dem Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht thematisiert. Zur „Konkurrenz“ von gerichtlichem Rechtsschutz und dem Schutz im (umweltrechtlichen) Verwaltungsverfahren siehe T. Siegel, ZUR 2017, 451 (452). 183 So etwa, bezogen allerdings auf die Kommunalaufsicht, M.  Oerder, NJW 1990, 2104 (2105). 184 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 550 sieht die Kontrolle der Staatsaufsicht und die gerichtliche Kontrolle in einem „komplementären Verhältnis“ zueinander. 185 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 550.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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weitreichende Verantwortung nicht inne, sondern steht ausschließlich im „Dienst des Rechts“, wie Ekkehart Stein formuliert, und entscheidet im Einzelfall, was gegenwärtig oder ab einem bestimmten Zeitpunkt an rechtens sein soll.186 Zu Recht erachten einige Autoren auch parallel zu einem laufenden gerichtlichen Verfahren Maßnahmen der Staatsaufsicht in derselben Sache als zulässig, wenngleich die Aufsichtspraxis in dieser Situation meist vorsichtig agiert und nur dann zu Aufsichtsmitteln greift, wenn die Entscheidung der beaufsichtigten Einrichtung offensichtlich fehlerhaft oder rechtswidrig ist.187 Von einem Nebeneinander unterschiedlicher Kontrollkonzepte scheint auch das Bundesverfassungsgericht auszugehen, wenn es in seinem Urteil vom 24. 4. 2013 zur Errichtung einer Antiterrordatei mit Blick auf die individuelle Schutzfunktion staatlicher Aufsicht188 ausführt, die aufsichtsrechtliche Kontrolle „flankiere“ die subjektivrechtliche Kontrolle durch die Rechtsprechung objektivrechtlich, diene „der Gewährleistung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung insgesamt und schließt dabei den Schutz der subjektiven Rechte der [von den Entscheidungen der beaufsichtigten Einrichtung] Betroffenen ein“.189 Für die Aufsichtsgesetzgebung lassen sich im Ergebnis aus möglichen Konkurrenzen mit der gerichtlichen Kontrolle keine Schranken für die Aufsichtsgesetzgebung ableiten.

III. Verhältnismäßigkeit und „maßvolle Aufsicht“ als Grenze der Aufsichtsgesetzgebung Wenn die Spannungslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht eine unauflösliche ist, fordert dies einen besonderen Umgang: Beide Seiten sind dann dergestalt in einen wechselseitigen Ausgleich zu bringen, dass sie jedenfalls nicht Gefahr laufen, ihrer Kerngehalte beraubt zu werden. Im Optimalfall mündet dieser Ausgleich in eine Gleichgewichtslage beider Seiten190, die mittels Abwägung bestimmter Faktoren, etwa die Grundrechtsrelevanz der Selbstverwaltung191, die Risiken von Fehlfunktionen sowie die Effektivität der Staatsaufsicht, hergestellt wird. Solche Verfahrensweisen sind dem öffentlichen Recht nicht fremd. Konrad Hesse hat die Rechtswissenschaft mit dem Begriff der praktischen Konkordanz 186

E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 16. F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 230 S. 2 (Stand der Bearbeitung: Februar 2016). 188 Dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 528; siehe auch M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (265); F. L. Knemeyer, in: Mann / P üttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 12 Rn. 12 ff. 189 BVerfGE 133, 277 (366 f.). 190 Siehe zu diesem Befund ausführlich oben S. 90 ff. 191 BVerfGE 111, 191 (218). 187

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

als Maßstab für die schonenden Abwägung kollidierender Verfassungsgüter nachhaltig geprägt192; Abwägungsmomente beinhaltet ferner der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit193, der ursprünglich für die Abwehr von grundrechtssensiblen Eingriffen der Verwaltung auf dem Gebiet des Polizeirechts konzipiert war194 und sich mittlerweile zu einem nahezu universell einsetzbaren Prüfungsmaßstab für die Rechtfertigung staatlichen (Eingriffs-)Handelns gemausert hat195. So enthält die Erforderlichkeit einen Mittelvergleich, wobei dem relativ mildesten Mittel der Vorzug einzuräumen ist.196 Über diesen Mittelvergleich findet mithin eine über die bloße Tauglichkeit der denkbaren Optionen hinausreichende Nutzenanalyse im Sinne einer Suche nach dem größten „konkreten Gemeinwohlgewinn“ statt.197 Die Einbindung weitergehender Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgt regelmäßig im Rahmen der Angemessenheit.198 In der dort zu bestimmenden Zweck-MittelRelation können insbesondere auch Rationalitätsargumente fruchtbar gemacht werden199, die sich jedoch, wie Stefan Huster klarstellt, nicht zu einem strikten Optimierungsgebot verdichten200. Sowohl bei der Prüfung der Erforderlichkeit als auch der Angemessenheit halten nicht nur juristische, sondern auch moralischethische sowie (rechts-)politische Argumentationen Einzug.201

192

K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 317 f. 193 Besonders anschaulich dargestellt bei S. Kluckert, JuS 2015, 116 (117), der die Metapher der „Waage“ aktiviert, um zu verdeutlichen, dass sich in der Verhältnismäßigkeit eine situative Abwägung vollzieht, deren Ergebnis davon abhängt, welche Gewichte in jede Waagschale gelegt werden. 194 S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 129 f. 195 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 187; M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 145. Durch die Adaption der Verhältnismäßigkeit im europäischen Unionsrecht sowie im internationalen Recht greift diese These nicht nur innerstaatlich; die Verhältnis­ mäßigkeit ist mittlerweile auch universelles Prinzip des Unionsrechts und Völkerrechts, wobei die Maßstäbe in den einzelnen Staaten erheblich variieren können. Dazu statt vieler J. Saurer, Der Staat 51 (2012), 3 (4, 13); M. Klatt / M. Meister, Der Staat 51 (2012), 159 (160). Zur Alternativlosigkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Abwägungsmaßstab S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 308. 196 Vgl. dazu S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 147. 197 Ausführlich dazu S. Kluckert, JuS 2015, 116 (119). 198 S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 147. Die Anforderungen der Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne können durch verschiedene Faktoren abgeschwächt werden. So sind etwa im Sozial(versicherungs)recht Typisierungen und Pauschalierungen in besonders komplexen Regelungsbereichen erlaubt; siehe dazu BVerfGE 113, 167 (236) – für den (alten) Risikostrukturausgleich. 199 Zur Verhältnismäßigkeit als Rationalitätsschranke D. Merten, DÖV 2015, 349 (352). Vgl. auch C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (89). 200 Vgl. hierzu S. Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 111 f. 201 M. Klatt / M. Meister, Der Staat 51 (2012), 159 (170).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als materielle Schranke der Gesetzgebung Der zumeist im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde202 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bildet zugleich eine materielle Schranke sämtlichen staatlichen Handelns.203 Nach einhelliger Auffassung gilt dies im Übrigen auch für die Gesetzgebung204, dort allerdings in modifizierter Ausprägung, da die Gesetzgebung im Vergleich zur gesetzesgebundenen Verwaltung mehr Freiräume bei der Bestimmung des legitimen Zwecks zukommen und ferner bei abstrakt-genereller Ausgestaltung von Lebens­ bereichen größere Toleranz für Abstrahierungen und Generalisierungen besteht.205 Fraglich ist aber, ob sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz qualitative Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht ableiten lassen.206 An dieser Idee befremdet zunächst, dass die Verhältnismäßigkeit in einem eher untypischen Kontext ins Feld geführt wird. Gewöhnlich dient sie als materielle verfassungsrechtliche Schranke, wenn es um Eingriffe des Staates in die (grund-)rechtlich geschützten Positionen der Bürger geht.207 An einer solchen Staat-Bürger-Beziehung fehlt es im Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht. Die Selbstverwaltungsträger sind nämlich überwiegend körperschaftlich organisiert; mithin als Träger mittelbarer Staatsverwaltung208 selbst Teil des Staates. Eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lässt sich vor diesem Hintergrund nur noch unter Zugrundelegung seiner Funktion als universelles Verfassungsprinzip209 hal 202

M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 146. Dagegen aber A. von Arnauld, JZ 2000, 276 (277 ff.), der in der Ableitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip eine Verschleierung des eigentlichen Geltungsgrundes sieht. Ablehnend allerdings S. Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 97, der die Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in den Grundrechten selbst verortet. 203 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 187; M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 145. Zum Erfolg des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und dessen Verbreitung A. von Arnauld, JZ 2000, 276. 204 S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 135; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 148. 205 S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 139. 206 Offen auch H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 192. Zu betonen ist aber unbedingt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur als Schranke der Aufsichtsgesetzgebung zu untersuchen ist. Er eignet sich nicht, um neue Aufsichtsmittel zu entwickeln, die das Gesetz nicht vorgesehen hat. Hier greift der Vorbehalt des Gesetzes ein, sodass insoweit von einem „numerus clausus der Aufsichtsmittel“ gesprochen werden kann. Dazu J. Oebbecke, DÖV 2001, 406 (409). Siehe auch C. Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (85). 207 Vgl. W. Erbguth, JZ 2008, 1038 (1041). 208 Zu den Formen mittelbarer Staatsverwaltung H.  Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 60 Rn. 1 ff. 209 Vgl. O.  Lepsius, Chancen und Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 2; M. Klatt / M. Meister, Der Staat 51 (2012), 159 (174).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

ten: Unter dieser Prämisse wird der Grundsatz überall dort für anwendbar angesehen, wo Eingriffe in autonome, abgrenzbare Rechts- bzw. Kompetenzsphären210 sowie gesicherte Rechtspositionen211 erfolgen. Oder abstrakt formuliert: Überall dort, wo dynamische Regel-Ausnahme-Verhältnisse vorliegen; mithin dort, wo in nicht von vornherein festgelegter Weise in eine (geschützte) Position eingegriffen werden kann.212 In jedem Fall knüpft der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz also an eine bestimmte Rechtsposition an. Verwirft man die Akzessorietät des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dieser Voraussetzung213, droht ihm der Verlust jeglicher Konturen.214 Eine Rechtfertigungslast des Staates vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit verlangt somit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Für die kommunale Selbstverwaltung leitet das Bundesverfassungsgericht dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis aus der in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG215 verbürgten verfassungsrechtlichen Garantie ab, die es dem Staat nur im Ausnahmefall erlaube, bei Vortrag von vernünftigen Gemeinwohlbelangen den Gemeinden Aufgaben zu entziehen.216 Sicherlich verfügen der Staat und seine Einrichtungen über größere Flexibilität, die funktionale Selbstverwaltung anzupassen, weil es hier an einer grundlegenden verfassungsrechtlichen Absicherung einzelner Aufgaben fehlt. Gleichwohl schafft die Verleihung von funktionaler Selbstverwaltung einen Status, der die Betroffenen im Vertrauen lässt, dass sich der Staat und die Ministerialverwaltung in bestimmten, klar begrenzten Bereichen zurücknehmen und ihnen klar definierte Entscheidungsfreiräume zugesteht. Angesichts dieser besonderen Bedeutung funktionaler Selbstverwaltung für die betroffenen Einrichtungen und ihre Mitglieder erschließt sich nicht, wieso bei Modifikationen der Selbstverwaltung unter grundsätzlicher Beibehaltung dieses Prinzips keine Rechtfertigung mit bloß vernünftigen Allgemeinwohlbelangen erwartet werden könnte. Qualitativ muss die funktionale Selbstverwaltung der kommunalen Selbstverwaltung in nichts nachstehen; die verfassungsrechtliche Garantie letzterer sichert lediglich den institutionellen Bestand

210

C. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 39 m. w. N.; K.-P.  Sommermann, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2: Artikel 20 bis 82, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 318. 211 So etwa M.  Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 146. Ähnlich auch S. Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 191.1 (Stand der Kommentierung: Mai 2021), die an einen Rechtsgüterkonflikt anknüpfen, bei dem eine Rechtsnorm die Optimierung (zumindest) eines dieser Rechtsgüter verlangt. 212 Ausführlich A. von Arnauld, JZ 2000, 276 (279). 213 Zu dieser Terminologie K.-P.  Sommermann, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2: Artikel 20 bis 82, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 318. 214 S. Huster / J. Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 20 Rn. 191.1 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 215 Sowie in den parallelen Verbürgungen der Länderverfassungen. Ausführlicher dazu J. F. Lindner, DÖV 2018, 235 (237). 216 BVerfGE 138, 1 (21 Rn. 58).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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dieser Organisationsform. Ein zur Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berechtigendes Regel-Ausnahme-Verhältnis kann mithin auch bei Verleihung von funktionaler Selbstverwaltung angenommen werden. Es fehlt also nicht an einer schutzfähigen Position. Problematisch ist die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Aufsichtsgesetzgebung aus einem anderen Grund: Es ist nämlich zu fragen, ob die Verhältnismäßigkeit überhaupt im Verhältnis von Parlament und mittelbarer Staatsverwaltung und somit im staatsinternen Bereich zur Anwendung kommen kann. In der Literatur ist diese Frage nach wie vor umstritten, wobei sich bereits viele Autoren für eine dies­ bezügliche Öffnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aussprechen.217 Auch die Rechtsprechung scheint den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zumindest bei der Ausübung der Staatsaufsicht als probaten Maßstab zu qualifizieren.218 2. Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht In eben dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird die Verhältnismäßigkeit meist in einem Atemzug mit dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht genannt. Hierbei handelt es sich um einen durch das Bundessozialgericht kreierten Begriff, der bislang nur auf die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung Anwendung findet.219 Erstmals Erwähnung fand der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht in einem Urteil vom 26. 8. 1983, in dem das Bundessozialgericht den Aufsichtsbehörden die Verpflichtung auferlegte, bei der Ausübung der Rechtsaufsicht zu berücksichtigen, dass der „[Selbst-]Verwaltung im allgemeinen ein ‚gehöriger Bewertungsspielraum‘ bei der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe ‚Wirtschaftlichkeit‘ und ‚Sparsamkeit‘ verbleibt“.220 Die Prüfungsdichte der Aufsichtsbehörden, mithin der Exekutive, ist bei Vorliegen von Gestaltungsspielräumen auf eine reine Vertretbarkeitskontrolle begrenzt. Es darf lediglich kontrolliert werden, „ob sich das Handeln der zu beaufsichtigenden Selbstverwaltungskörperschaft im Bereich des rechtlich noch 217

Zur Problematik der Ausdehnung der Verhältnismäßigkeit über das Staat-Bürger-Verhältnis hinaus H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 192. Für die Anwendung im Staatsorganisationsrecht plädieren P. Axer, NZS 2017, 601 (605); M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 147; B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 109 (Stand der Kommentierung: November 2006). Dagegen plädiert etwa A. Voßkuhle, JuS 2007, 429 (430). Einschränkend für das Bund-Länder-Verhältnis J. Isensee, in: ders. / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 126. 218 BSGE 121, 179 (182 Rn. 17); LSG Hamburg, Urteil vom 29. 11. 2012 – L 1 KR 47/11 KL, juris Rn. 47; Urteil vom 29. 11. 2012 – L 1 KR 51/11 KL, juris Rn. 50. 219 BSGE 55, 277 (280); vgl. hierzu P. Axer, NZS 2017, 601 (604). 220 BSGE 55, 277 (280). Zur Bedeutung des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht für den Begriff der Wirtschaftlichkeit siehe F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (394).

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

Vertretbaren bewegt“.221 Diese Formel ist in zahlreichen weiteren Entscheidungen sowohl des Bundessozialgerichts222, als auch der Landessozialgerichte223 aufgegriffen worden, wobei nicht ausschließlich auf den „Bewertungsspielraum“ der Selbstverwaltung zur Ausfüllung der Begriffe Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Bezug genommen wird. Nimmt man diese Rechtsprechung wortgetreu, so kann mit dem Begriff „Bewertungsspielraum“ nichts anderes als ein Beurteilungsspielraum zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsebene gemeint sein. Dann aber bliebe der Anwendungsbereich des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht recht eng. Jürgen Beschorner und Peter Axer gehen deshalb davon aus, dass es der Rechtsprechung nicht grundsätzlich um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht, sondern dass Gestaltungsspielräume auf der Rechtsfolgenseite bei der planvollen Ausformung von Sachverhalten durch die Selbstverwaltungsträger gemeint sein sollen. Der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht wäre dann ein Schutzmechanismus vor dem Zugriff der administrativen Kontrolle auf Entscheidungsspielräume der Rechtsfolgenseite; ähnlich wie die Ermessensfehlerlehre einen Schutzschild derselben Spielräume vor einer vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle bietet.224 Eine Verengung des Grundsatzes auf die Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite ist indessen nicht angebracht. Der Rechtsprechung geht es offenbar darum, eine maßvolle Aufsichtsführung von der Administration grundsätzlich einzufordern und damit den Schutz unterschiedlicher Gestaltungsspielräume gewährleisten zu wollen. Aus dieser Beobachtung ist zu folgern, dass der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht überall dort Anwendung finden kann, wo der Selbstverwaltung Gestaltungsspielräume offenstehen.

221

BSGE 103, 106 (124); Bayerisches LSG, Urteil vom 4. 4. 2017 – L 5 KR 244/15 KL, juris Rn. 30. Vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, NZS 2014, 503 (504); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. 6. 2012 – L 11 KR 124/12 KL, juris Rn. 18; Hessisches LSG, Urteil vom 23. 4. 2015 – L 1 KR 17/14 KL, juris Rn. 25 f.; LSG Baden-Württemberg, UVR 2010, 695 (698); SG Stuttgart, Urteil vom 10. 11. 2015 – S 6 A 7717/04, juris Rn. 15 ff. – jeweils ohne die Hervorhebungen. 222 BSGE 71, 108 (110); 94, 221 (229 Rn. 19); 102, 281 (283 f.); 103, 106 (124); 121, 179 (182 Rn. 17); BSG, SGb 2007, 103 (105); BSG, Urt. v. 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 16; Urteil vom 21. 3. 2018 – B 6 KA 59/17 R, juris Rn. 37; vgl. auch BSGE 61, 235 (242). 223 Hessisches LSG, Urteil vom 23. 4. 2015  – L 1 KR 17/14 KL, juris Rn. 25; SG Kassel, Urteil vom 22. 3. 2007 – S 11 LW 1/06, juris Rn. 28; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. 5. 2012 – L 11 KR 77/12 KL, juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Urteil vom 4. 4. 2017 – L 5 KR 244/15 KL, juris Rn. 30. 224 J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 786 verortet hier Entscheidungsspielräume auf der Rechtsfolgenseite. Siehe auch P. Axer, NZS 2017, 601 (605). Für die kommunale Selbstverwaltung auch E. J. Lohse, NVwZ 2016, 102 (105), nach deren Auffassung die Wahrung von Gestaltungsspielräumen der Selbstverwaltung selbst der Umsetzung von europäischem Unionsrecht Grenzen gebieten kann.

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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Fraglich ist indessen die Reichweite dieses Grundsatzes. Auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe, zu deren Konkretisierung der Selbstverwaltung ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird, bestehen in überschaubarem Maße. Hierzu gehören vor allem die Begriffe „Wirtschaftlichkeit“ und „Sparsamkeit“.225 Ferner verfügt der Gemeinsame Bundesausschuss über einen Beurteilungsspielraum aus dem allgemeinen Regelungsauftrag in § 92 Abs. 1 SGB V zur Richtliniensetzung im Hinblick darauf, hierdurch eine „ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“ zu gewährleisten.226 Meist ist die Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungen aber bereits so hoch, dass kaum oder keine Gestaltungsspielräume der Selbstverwaltung in Betracht kommen. Insbesondere trifft dies auf die Kernbereiche des Krankenversicherungsrechts, etwa des Beitragsund Leistungsrechts, aber auch auf das Satzungs- und Organisationsrecht zu.227 Terminologisch ähnelt der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.228 Methodologisch stehen beide Konzepte aber nur in losem Zusammenhang.229 Denn der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht sichert lediglich die Gestaltungsspielräume der Selbstverwaltungsträger und bildet auf diese Weise sinnbildlich ein Bollwerk ihrer Eigenverantwortlichkeit, weil sich gerade in Gestaltungs- und Ermessensspielräumen Eigenverantwortung entfalten kann. Hierin liegt die einzige Funktion des Grundsatzes; die Kontrolldichte der Aufsichtsbehörden wird reduziert, indem ein aufsichtsrechtliches Einschreiten nur dann in Betracht kommt, wenn die rechtlichen Grenzen dieser Spielräume durch die beaufsichtigten Einrichtungen überschritten wurden.230 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz reicht dagegen weiter. Er reduziert die Kontrolldichte der Staatsaufsicht nicht per se, sondern verlangt im konkreten Einzelfall einen differenzierten Abwägungsvorgang nach den Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit.231 225

BSGE 67, 85 (88 f.); 71, 108 (109); 86, 203 (206 f.). Vgl. auch F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (400). 226 Siehe zur Konzeption des § 92 Abs. 1 SGB V auch D. Roters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblatt, § 92 SGB V Rn. 5 (Stand der Kommentierung: März 2017). 227 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. 4. 2009 – L 21 KR 42/09 SFB, juris Rn. 85. Die hohe Regelungsdichte vor allem im Bereich des Satzungs-, Organisations-, Beitrags- und Leistungsrechts hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 9. 6. 2004 festgestellt; BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2005, 139 (142). 228 Vgl. dazu P. Axer, NZS 2017, 601 (605), der über die Formulierung „maßvoll“ eine Verknüpfung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herstellt. 229 Dagegen aber P. Axer, NZS 2017, 601 (605), der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als dogmatische Wurzel des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht ansieht. 230 Vgl. BSGE 71, 108 (110); 94, 221 (229 Rn. 19); 98, 129 (131 Rn. 17); 103, 106 (124); BSG, SGb 2007, 103 (105). Konkret zur Aufsichtsführung in Haushaltsfragen F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (406). Vgl. auch N. Hammes, MedR 2017, 611. Anders aber J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 786. 231 Ähnlich auch P. Axer, NZS 2017, 601 (605), der aus der Verhältnismäßigkeit ein Gebot abgestufter Intervention ableitet.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

3. Konkrete Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung Auf den Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht kommt es jedenfalls nicht mehr an, wenn sich bereits aus der Verhältnismäßigkeit konkrete Bindungen für die Aufsichtsgesetzgebung herleiten lassen. Ob das der Fall ist, ist fraglich. a) Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Zunächst knüpft der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an eine konkrete, zu schützende Rechtsposition an. Hinter dieser schützenswerten Position treten meist die Grundrechte zum Vorschein, die durch staatliches Handeln beeinträchtigt zu werden drohen. Als materielle Schranken-Schranke232 wird über die Verhältnismäßigkeit die Grenze der zulässigen Intensität und Reichweite von Grundrechtseingriffen gezogen. Zugleich gerät die Gesetzgebung hierdurch in eine ambivalente Stellung: Ihr kommt bei der Normsetzung ein weiter Gestaltungsspielraum zu, zugleich muss sie aber immer darauf bedacht sein, die Grundrechte der von der Normsetzung Betroffenen zu berücksichtigen.233 Diese Verpflichtung ist weitreichender, als dies auf den ersten Blick scheint, da „grundrechtsneutrale“ Gesetzgebung kaum vorstellbar ist234; in gesellschafts- und sozialpolitisch relevanten Bereichen mag dies erst recht gelten. Im direkten Verhältnis zwischen den Aufsichtsbehörden und Selbstverwaltungsträgern, das trotz Dezentralisierung der Selbstverwaltungsträger im staatsinternen Bereich zu verorten ist235, kann die Inbezugnahme von Grundrechten mangels Grundrechtsberechtigung beider Seiten nicht gelingen. aa) Ausübung der Staatsaufsicht Gleichwohl ist damit nicht gesagt, dass Grundrechte keinerlei Einfluss auf das Spannungsverhältnis von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht hätten. So können etwa die Grundrechte derjenigen, die von der Selbstverwaltung betroffen sind, maßgebliche organisatorische und institutionelle, aber auch materielle Ausgestaltungen von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht bestimmen, weil den Staat die zumindest negatorische Pflicht trifft, die Grundrechte nicht bloß zu achten, sondern 232

W. Erbguth, JZ 2008, 1038 (1041). S.  Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 131. Direkt zur funktionalen Selbstverwaltung auch Bayerischer VerfGH, BayVBl. 2018, 234 (237). Siehe zu der verfassungsrechtlichen Relevanz funktionaler Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung im Überblick H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 2 passim. 234 Dazu S. Seedorf, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 132. Siehe auch S. Kluckert, JuS 2015, 116 (118) zu der Schwierigkeit, die richtige Gewichtung von Grundrechtsgehalten abstrakt nachzuvollziehen. 235 Siehe hierzu bereits oben S. 163 f. 233

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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auch positiv zu schützen.236 In einem Bereich wie der gesetzlichen Krankenversicherung, wo viele verschiedene, grundrechtlich geschützte Interessen der Betroffenen, nicht jedoch der Körperschaften selbst237, aufeinandertreffen, ist das eine wahre Herausforderung.238 Auch auf die Ausübung der Staatsaufsicht hat dieser Gedanke Auswirkungen. Praktisch relevant wird dies vor allem dann, wenn es um die Ausübung der Staatsaufsicht geht: Hier kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere bei Unklarheiten über die Voraussetzungen oder die Anwendung eines Aufsichtsmittels die Aufsichtsbehörden zur Zurückhaltung verpflichten; in Zweifelsfällen ist der Auffassung des beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgers in dubio der Vorzug zu geben.239 Losgelöst von der Grundrechtsdogmatik steht darüber hinaus die Annahme eines Grundsatzes abgestufter Intervention, wie er vorrangig durch Wolfgang Kahl aufgestellt worden ist. Im Rahmen ihres Auswahlermessens soll die Aufsichtsbehörde bei der Ausübung der Rechtsaufsicht insoweit strikt an den Erforderlichkeitsgrundsatz gebunden sein, als die beaufsichtigten Selbstverwaltungsträger größtmöglich zu schonen seien. Das Auswahlermessen werde in dieser Hinsicht stets reduziert.240 Eine Besonderheit der kommunalen Selbstverwaltung ist das vermeintlich weiter reichende Postulat einer „Selbstverwaltungsfreundlichkeit“241, mit dem aber letztlich nur die Ermessensausübung der Aufsichtsbehörden dahingehend gelenkt wird, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Selbstverwaltung in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Sofern man der Verleihung funktionaler Selbstverwaltung einen Stellenwert dergestalt zuschreibt, dass sie eine Rechtfertigungslast des Staates für Eingriffshandeln bewirken kann, bedeutet dies die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch losgelöst von Grundrechten Betroffener. Die Notwendigkeit, die Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Ermessensausübung der Aufsichtsbehörden analog der kommunalen Selbstverwaltung in einem eigenständigen Gebot zu verfassen oder das dort formulierte Gebot zu übertragen, mag dahingestellt bleiben. Es bleibt mit 236

E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 58 f. Siehe BVerfGE 39, 302 (314). Krit. zu der konsequenten Anwendung dieses Konfusionsarguments aber M.  Ludwigs / C .  Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27), die eine Grundrechts­ berechtigung staatlicher Träger nach einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ermöglichen wollen; mithin dann, wenn sie sich in einer mit natürlichen Personen vergleichbaren freiheitsgefährdenden Lage befinden. 238 C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (660) spricht hier plakativ von einem „Kräfteparallelogramm“. Der parlamentarische Gesetzgeber muss mithin verschiedene Interessen miteinander abwägen. Der Vorbehalt des Gesetzes weist ihm dabei die Entscheidung über die Frage zu, welche Gemeinschaftsinteressen derart hoch wiegen, dass Einzelinteressen zurücktreten müssen. Vgl. dazu Bayerischer VerfGH, BayVBl. 2018, 234 (237). 239 So etwa LSG Hamburg, Urteil vom 29. 11. 2012 – L 1 KR 51/11 KL, juris Rn. 50. 240 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 552 f. 241 Zu diesem Grundsatz W.  Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 511 f. m. w. N.  Siehe auch T. Kingreen, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 89 Rn. 26; R.  Stober /  W.  Kluth / M.  Müller / A .  Peilert, Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht II, 7.  Aufl. 2010, § 85 Rn. 83. 237

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

hin festzuhalten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Auswirkungen auf die Ausübung der Staatsaufsicht hat, indem er vor allem dann Anwendung findet, wenn es um Grundrechte der von der Selbstverwaltung Betroffenen geht. Darüber hinaus ist er aber auch als Maßstab für die Ermessenserwägungen der Aufsichtsbehörden von Bedeutung. bb) Aufsichtsgesetzgebung Schwieriger wird es aber, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bindungen des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Konstruktion der Staatsaufsicht abzuleiten. Das setzt zunächst voraus, dass den Akteuren der gesetzlichen Kranken­ versicherung die funktionale Selbstverwaltung als subjektives Recht oder als gleichwertige Position zusteht242; Andreas Heusch spricht diesbezüglich von einem „verfassungsrechtlichen Schutzbereich“243. Bei den Gebietskörperschaften lässt sich die Selbstverwaltung aufgrund der in Art. 28 Abs. 2 GG verankerten institutionellen Garantie als eine solch stabile Position einordnen mit der Folge, dass eine Absicherung über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Betracht kommt.244 Hieran fehlt es in der funktionalen Selbstverwaltung. Die über die Verhältnismäßigkeit abzusichernde Rechtsposition muss mithin in den Grundrechten der von der Selbstverwaltung Betroffenen liegen. Zu deren Wahrung hat die Aufsichtsgesetzgebung verhältnismäßig zu erfolgen. Hiermit verbunden ist ein vages Pflichtenprogramm, das nicht lediglich zur Zurückhaltung zwingen muss, sondern den Gesetzgeber geradezu die Obliegenheit antragen kann, normgebend tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat etwa hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Kontrolle über die Datenverarbeitung zum Zweck des Schutzes vor terroristischen Aktivitäten vertreten, es gehöre aufgrund der empfindlichen Eingriffe für die Betroffenen zu der Wahrung der Verhältnismäßigkeit dazu, die „Anforderungen an die aufsichtliche Kontrolle“ gesetzlich auszu­ gestalten.245 Mehr lässt sich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an dieser Stelle allerdings nicht entlocken. Für konkrete Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung, insbesondere an inhaltliche Anforderungen, bestehen nach alledem keine Anhaltspunkte. Vielmehr sichert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Ausgestaltung 242

Siehe dazu näher B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 109 (Stand der Kommentierung: November 2006). 243 Dazu A. Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, 2003, S. 86 f. Vgl. auch B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 109 (Stand der Kommentierung: November 2006). 244 Das Bundesverfassungsgericht zieht daher den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Bestimmung der staatlichen Aufsicht über die kommunale Selbstverwaltung heran. Dazu BVerfGE 26, 228 (241). 245 BVerfGE 133, 277 (366 f.); Siehe hierzu auch K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1151).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht die Rechtspositionen der von der Selbstverwaltung Betroffenen ab. Hieraus können sich auch Direktiven für die Aufsichtsgesetzgebung ergeben. Damit hat es aber sein Bewenden. b) Vom Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht zum Gebot maßvoller Aufsichtsgesetzgebung? Anders ist dies für den sogenannten Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht zu bewerten. Versuche, dieses Postulat von der Aufsichtsführung auf die Aufsichtsgesetzgebung übertragen zu wollen, müssen von vorherein nicht bloß begrifflich, sondern auch inhaltlich fehlgehen. Schon terminologisch ist der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht nur auf die Ausführung der Rechtsaufsicht durch die Aufsichtsbehörden angelegt. Auf die Aufsichtsgesetzgebung passt er nicht. Denn der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht gebietet lediglich, dass gesetzlich zugewiesene Gestaltungsspielräume bei der Aufsichtsführung zu berücksichtigen und respektieren sind.246 Damit bindet der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht im Wesentlichen bei der Ausführung der Rechtsaufsicht. Auf die Aufsichtsgesetzgebung ist er dagegen nicht angelegt und kann deshalb nicht auf sie übertragen werden. Weiterreichende, insbesondere verfahrenstechnische Anforderungen lassen sich aus dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht ebenfalls nicht ableiten.247 Über die Akzeptanz der zugewiesenen Gestaltungsspielräume bei der Ausübung der Staatsaufsicht hinaus handelt es sich um einen Begriff ohne rationelle und operationelle Funktion.248 Schon die Bezeichnung als Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht verbietet eine Übertragung auf die Aufsichtsgesetzgebung; im Übrigen hat eine solche Übertragung keinen Sinn. Denn der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht schützt lediglich Gestaltungsspielräume der Selbstverwaltungsträger vor dem Zugriff der Exekutive. Für Hinweise zu eingeschränkten Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Legislative gibt der Grundsatz dagegen nichts her. Für die vorliegende Untersuchung kann er deshalb keine Rolle spielen.

246 BSGE 55, 277 (280); 61, 235 (242); N.  Hammes, MedR 2017, 611 (611). Anders aber H. Genzel / U. Degener-Hencke, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 80 Rn. 49. 247 So auch P. Axer, NZS 2017, 601 (605), der den Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht lediglich als Auslegungsgrundsatz qualifiziert. 248 So etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. 1. 2018 – L 4 KR 4301/15 KL, juris Rn. 73.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

c) Beispiel für die normative Konzeption einer verhältnismäßigen Aufsichtsführung Zwar lassen sich mithin keine verpflichtenden inhaltlichen Direktiven für die Aufsichtsgesetzgebung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aus dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht nachweisen. Dennoch soll nicht versäumt werden, darauf aufmerksam zu machen, wie bereits positiv-rechtlich eine verhältnismäßige Ausübung der Rechtsaufsicht vorgezeichnet werden kann. Konzeptionell beinhalten die allgemeinen Vorschriften zur staatlichen Aufsicht über die Einrichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung bereits eine Abstufung, die einer verhältnismäßigen und maßvollen Aufsichtsführung Rechnung trägt. § 89 SGB IV legt ein dreistufig gestaffeltes Verfahren zur Anwendung der Aufsichtsmittel zugrunde.249 Sofern das Recht verletzt wird oder Umstände darauf hindeuten, dass eine Rechtsverletzung droht250, hat nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zunächst eine Beratung des Versicherungsträgers zu erfolgen, damit dieser die Rechtsverletzung selbst beseitigen kann. Sofern die Beratung des Versicherungsträgers nicht fruchtet, kann die Aufsichtsbehörde nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV den Versicherungsträger zur Behebung der Rechtsverletzung verpflichten. Erst wenn der Versicherungsträger der Verpflichtung nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht nachkommt, kann die aufgestellte Verpflichtung nach § 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IV schließlich mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Beachtlich ist, dass die Rechtsprechung insbesondere der Beratung einen hohen Stellenwert beimisst. Sie diene der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und sei Ausdruck einer partnerschaftlichen Kooperation zwischen Aufsichtsbehörde und Selbstverwaltung, indem sie auf die „geistige Auseinandersetzung“ der Parteien gerichtet ist, sodass die Aufsichtsbehörde ihren Standpunkt darlegen und Handlungsempfehlungen geben kann und der Beaufsichtigte seinerseits seine Auffassung darlegt, mit dem Ziel, dass sich die Aufsichtsbehörde diese „zu eigen macht“.251 Die Beratung zielt mithin auf einen kooperativen Dialog im Sinne einer „partnerschaftlichen Kooperation“252 zur frühen Konfliktbewältigung253. Das Zustandekommen eines Dialogs setzt voraus, dass die Rechtsverletzung konkret benannt wird und Hin 249

LSG Hamburg, Urteil vom. 29. 11. 2012 – L 1 KR 156/11 KL, juris Rn. 52. Zur Dreigliedrigkeit der Staatsaufsicht bereits E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 118. 250 G. Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 3 (Stand der Kommentierung: November 2011). 251 BSGE 67, 85 (87). Siehe auch BSGE 61, 254 (257 f.); 64, 124 (129); 67, 78 (83 f.); 67, 85 (87); BSG, Urteil vom 19. 12. 1995 – 4 RLw 2/95, juris Rn. 37; BSG, Urteil vom 11. 12. 2003 – B 10 A 1/02 R, juris Rn. 25. 252 BSGE 61, 254 (257 f.); 64, 124 (129); 67, 78 (83), 85 (87); siehe auch BSG, Urteil vom 11. 12. 2003 – B 10 A 1/02 R, juris Rn. 25. Von einer Fürsorgepflicht spricht in diesem Zusammenhang W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 513. 253 Insbesondere sollen gerichtliche Streitigkeiten durch eine effiziente Beratung vermieden werden können. Dazu BSGE 61, 254 (257 f.); 67, 85 (87).

B. Verfassungsrechtliche Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung  

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weise zur Abhilfe individuell auf die spezifischen Verhältnisse des Beaufsichtigten zugeschnitten sind. Ein Dialog gelingt nur, wenn die Beteiligten gegenseitig sub­ stantiierte Einwände vortragen.254 Zunächst ist hierbei die Aufsichtsbehörde in der Pflicht, die ihre Beratung mit einem begründeten Hinweis auf die Rechtsverletzung zu versehen und derart individualisiert und auf die speziellen Verhältnisse des beratenen Versicherungsträgers auszurichten hat, dass sich dieser auf die Behebung der Rechtsverletzung einstellen kann.255 Die Begründung der Aufsichtsmaßnahme selbst kann allerdings nicht die Beratung sein, da sonst der Zweck eines vorangehenden Dialogs verfehlt würde.256 Auf eine vorherige Beratung wird deshalb, wenn überhaupt, nur in Dringlichkeitsfällen verzichtet werden können.257 Diese dreistufige Abschichtung entspricht den Vorgaben, die über die Verhältnismäßigkeitsdoktrin an die Aufsichtsführung zu stellen wären. Über den Aspekt der Erforderlichkeit und den hierbei durchzuführenden Mittelvergleich lässt sich der Vorrang kooperativer Maßnahmen vor repressivem Einschreiten begründen, soweit die kooperativen Maßnahmen Erfolg versprechen. Zur Wahrung der Angemessenheit ist es geboten, die Aufsichtsführung derart zu gestalten, dass die Selbstverwaltung dennoch ausgeübt werden kann. Es bestehen daher de jure verfahrenstechnische Anforderungen an die Aufsichtsführung über die Versicherungsträger, die die Verhältnismäßigkeit bereits vorzeichnen. Ähnliche Abstufungen sind in der Kommunalaufsicht erkennbar258; das Verwaltungsvollstreckungsrecht kennt im gestreckten Verwaltungsverfahren ebenfalls eine Abstufung259, Korrekturen im Einzelfall sind über die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens denkbar260. Derartige positiv-rechtliche Vorzeichnungen der Verhältnismäßigkeit sind zu begrüßen. Im Verhältnis von Aufsichtsbehörden und beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgern werden hierdurch gerade die inhaltlichen Anforderungen an eine abgestufte und damit verhältnismäßige Aufsichtsführung vorgezeichnet. Hierzu kann bereits über das positive Recht eine Direktive geleistet werden; damit korrespondierend wird die gerichtliche Kontrolle dieser graduellen Abstufung leichter. 254

Vgl. etwa BSG, Urteil vom 11. 12. 2003 – B 10 A 1/02 R, juris, Rn. 25. BSGE 67, 85 (87 f.). 256 BSGE 61, 254 (257 f.). 257 So jedenfalls G. Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 6 (Stand der Kommentierung: November 2011). 258 Auch in der Kommunalaufsicht sollen repressive Aufsichtsmittel in drei Phasen eingeteilt werden („Drei-Phasen-Modell“). Zunächst soll es eine Vorklärungsphase geben, bei der der Sachverhalt – der Grund für das aufsichtsrechtliche Einschreiten – ermittelt wird. In einer Korrekturphase wird das Aufsichtsmittel festgesetzt und bei Nichtbeachtung in einer Zwangsphase durchgesetzt. Siehe dazu näher J. Oebbecke, DÖV 2001, 406 (409). 259 Siehe H.-D. Lemke, in: Fehling / Kastner / Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Handkommentar, 5. Aufl. 2020, Vor §§ 6–18 VwVG Rn. 10. 260 Wobei das Ermessen bei bestandskräftig gewordener Androhung und Festsetzung auf die Anwendung des Zwangsmittels intendiert sein kann; unter Umständen sieht Landesrecht auch einen Vollstreckungszwang vor. Dazu H.-D. Lemke, in: Fehling / Kastner / Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Handkommentar, 5. Aufl. 2020, Vor §§ 6–18 VwVG Rn. 19 f. 255

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

IV. Gesamtbilanz und Stellungnahme zu den verfassungsrechtlichen Bindungen der Aufsichtsgesetzgebung Zusammenfassend bleibt es aber bei folgender Erkenntnis: Das Verfassungsrecht stellt zwar die „Leitplanken“ für die Aufsichtsgesetzgebung auf, belässt es aber im Wesentlichen dabei. Versuche, über die Anforderungen des demokratischen Prinzips oder über erweiterte Konsistenzanforderungen weitere Anforderungen zu formulieren, scheitern ebenso wie die Idee, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz klare Vorgaben für die Aufsichtsgesetzgebung abzuringen. Dieser Befund mag unbefriedigend sein, doch führt er zu keinem nachteiligen Ergebnis für die Aufsichtsgesetzgebung. Als unmittelbar demokratisch legitimiertes Staatsorgan kommt dem Parlament eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung wesentlicher Bereiche unseres Zusammenlebens zu. Ein weiter Gestaltungsspielraum ist hierzu erforderlich, um durch das Recht politische Gestaltungsvorstellung umsetzen und der gesamtpolitischen Verantwortung, die den Staat zur Entscheidungs­ findung und Problemlösung zwingt261, gerecht werden zu können. Dabei sind erhöhte Konsistenzanforderungen ebenso hinderlich wie zu strenge Erwartungen an die organisatorisch-institutionelle Ausgestaltung der Staatsaufsicht. Das bedeutet allerdings, dass sich Überlegungen zum Ausgleich des Spannungsverhältnisses jedenfalls nicht über zwingende Konsistenzvorgaben für die Aufsichtsgesetz­ gebung verbindlich vorschreiben lassen, sondern lediglich als rechtspolitische Gestaltungsvorstellung formuliert werden können.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des dritten Kapitels in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: 1. Ausschließlich der parlamentarische Gesetzgeber kann dazu berufen sein, für das bereichsspezifische Ausbalancieren der Spannungslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht zu sorgen. In Kontrast zu den weitreichenden Freiheiten des parlamentarischen Gesetzgebers steht die äußerst schwache rechtliche Fundierung der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung, die dazu führt, dass ihr Bestand keinesfalls obligatorisch ist. Es bestehen aber möglicherweise Bindungen aus der grundlegenden gesetzgeberischen Systementscheidung für die Selbstverwaltung als Organisationsform in der gesetzlichen Krankenversicherung, die, wie die ausdrückliche Nennung in den Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und Art. 87 Abs. 2 GG verrät, auch bzw. sogar in der Verfassung zum Ausdruck kommt. 261

Vgl. dazu J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (172).

C. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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2. Sinn und Fortbestand einer gesetzgeberischen Grundentscheidung hängen oftmals wesentlich von den getroffenen Folgeentscheidungen ab. Hinter dem Gedanken einer vernünftigen bzw. „richtigen“ (Folge-)Gesetzgebung steht nicht weniger als der Anspruch an ein nachvollziehbares und transparentes staatliches Handeln zum einen sowie Rechtssicherheit für sämtliche Betroffene zum anderen durch gesetzgeberische Rationalität bei der Fortsetzung getroffener Entscheidungen. Vermehrt ist der Rationalitätsgedanke in der Literatur unter der Fragestellung diskutiert worden, ob der Gesetzgeber mehr als nur die Setzung von Normen als solche „schuldet“, sondern darüber hinaus eine rationale und themenübergreifend schlüssige Normgebung leisten muss. Bei Analyse der Rechtsprechung zeigt sich, dass dieser Konsistenzgedanke in einzelnen Entscheidungen tatsächlich zum Tragen kommt. 3. Hieraus ist auf folgenden Gedanken zu schließen: Der parlamentarische Gesetzgeber soll sich entscheiden müssen, wie er eine Materie konzipieren will. Er muss also entscheiden, ob etwa die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin mit der Selbstverwaltung versehen bleibt oder ob sie in die Ministerialverwaltung integriert werden soll. Aus rechtlicher Perspektive wäre beides möglich. Es bedarf aber unbedingt Klarheit darüber, welche Entscheidung der Gesetzgeber getroffen hat. Im Ergebnis ist festzustellen, dass mangels spezifischer Rationalitätsanforderungen keine pauschale Bindung der Gesetzgebung an eine vorab getroffene Systementscheidung besteht. 4. Aspekte der Systemlogik, Konsistenz, Kohärenz und materiellen Richtigkeit gehören nicht zu den verfahrenstechnischen, sondern zu den inhaltlichen Fragen normgeberischer Entscheidungsfindung. Normative Rationalität ist, zumindest als grober Leitgedanke, verfassungsrechtlich über den Schlüsselbegriff der Rechtssicherheit im Rechtsstaatsprinzip als dessen Teilelement enthalten. Verfassungsrechtlich wird rationale Gesetzgebung in erster Linie über den rechtsstaatlichen Teilaspekt der Normenklarheit sichergestellt, der, konkreter noch als das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, für die „Klarheit“ des Rechts weniger sprachliche Verständlichkeit oder systematische Logik, sondern vielmehr die Vorhersehbarkeit des normativ Gewollten verlangt. Zwischen Rationalität und Rechtssicherheit, Gemeinwohl und im weitesten Sinne Gerechtigkeit besteht ein Zusammenhang. 5. Normenklarheit und rechtsstaatliche Bestimmtheit verlangen Normen, die anwendungstauglich sind, was für sich genommen noch keine strenge Rationalitätsanforderung darstellt. Für konkretere Handlungsdirektiven an die Gesetz­gebung fehlt es beiden Konzepten an Konturen. Ihren Zweck, unbrauchbare Normen auszusondern und zumindest grobe Widersprüche zu beseitigen, erfüllen beide Konzepte aber hinreichend. 6. Erweiterte Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung gibt es reichlich. Bei den kaum mehr überschaubaren Ansätzen ist aber Vorsicht insoweit geboten, als diese nicht identisch sind, sondern entweder grundlegend Verschiedenes meinen oder nur in bestimmten Teilbereichen des Rechts überhaupt Anwendung finden.

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

a) Ein erster Ansatz des Konsistenzarguments liegt im Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Von dem Erfordernis einer „widerspruchsfreien Gesetzgebung“ wird stets unter der Prämisse gesprochen, dass die Widerspruchsfreiheit dazu diene, die Landesgesetzgeber vor einem „Eindringen“ des Bundesgesetzgebers in den ihnen vorbehaltenen Kompetenzbereich zu „schützen“; sie hat mithin kompetenzbegrenzende Funktion. Diese vertikale Widerspruchsfreiheit ist also in allererster Linie Kollisionsregel für die Normsetzung unterschiedlicher Gesetzgeber. In der Literatur erheben aber vermehrt Stimmen die Forderung, den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch auf die horizontale Ebene, also Widersprüche desselben Normgebers, zu erweitern. Ob dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung solch eine fundamentale Bedeutung zukommt, mag zu Recht bezweifelt werden. Gerade die axiologischen Bindungen, die mit der Erweiterung dieses Grundsatzes auf die horizontale Ebene einhergehen, stehen in Kontrast zu der ansonsten weit gefassten Gestaltungsfreiheit des Parlaments. b) Eine weitere Konzeption gesetzgeberischer Rationalität findet im sogenannten Gebot der Folgerichtigkeit Ausdruck. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, der vorwiegend in steuerrechtlichen Fallgestaltungen Anwendung findet. Das Gebot der Folgerichtigkeit ist jedenfalls Ausprägung des über Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechtsschutzes und findet dort auch seine dogmatische Verankerung. Problematisch ist aber, dass die Rechtsprechung dieses Gebot der Folgerichtigkeit bislang nicht über das Steuerrecht hinaus ausgedehnt hat, sondern es lediglich als abstrakten Maßstab für Steuergerechtigkeit und Belastungsgleichheit in der Form einer Auslegungshilfe für den allgemeinen Gleichheitssatz genutzt hat. Aus dem Gebot der Folgerichtigkeit lassen sich deshalb nicht ohne weiteres allgemeine Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung ableiten. c) Für einen universellen Konsistenzgrundsatz als Teilelement des Rechtstaatsprinzips sind einige Autoren eingetreten. Eine klare Position für ein universelles Konsistenzgebot vertritt Christian Bumke, nach dessen Auffassung gesetzgeberische Konsistenz eine verfassungsrechtlich gebotene Pflicht der Gesetzgebung ist, „eine in sich geschlossene Grundkonzeption zu entwickeln und diese klar, präzise und in sich folgerichtig im Verhältnis von Regel, Ausnahme und Gegenausnahme, aber auch im Vergleich der verschiedenen Regeln zu verwirklichen“. So sehr die vernünftige Fortführung von Regelungssystemen rechtspolitisch wünschenswert ist, so konturenlos bleiben die Entwicklungsansätze der jüngeren Rechtsprechung. Ein verfassungsrechtlicher Nachweis mag erst recht nicht gelingen. Insbesondere kann die inhaltliche Aufladung des ohnehin schon überfrachteten Rechtsstaatsprinzips mit weiteren abgrenzbaren Teilelementen kaum tragen, zumal die Generierung weiterer Unterkategorien das Rechtsstaatsprinzip verwässern wird. d) Es überrascht daher nicht, dass für die noch weiterreichende Theorie der Einheit der Rechtsordnung im Gesamten ein ähnlicher Befund zu Tage tritt. Bei der Einheit der Rechtsordnung handelt es sich um eine rechtsgebietsübergreifende

C. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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Vorstellung normativer Homogenität, auf deren Grundlage die einzelnen Überlegungen zu Systemgerechtigkeit und Widerspruchsfreiheit beruhen sollen. Diskutiert wird sie als verfassungsrechtliche Pflicht, häufiger jedoch als juristische Argumentationsfigur im Rahmen der systematischen Auslegung. Dagmar Felix weist nach, dass ein „über die bislang bekannten allgemeinen Verfassungsgrundsätze hinausgehender ungeschriebener Verfassungsgrundsatz, der den Gesetz­ geber zur Rücksichtnahme auf die Zielsetzungen anderer Teilrechtsordnungen verpflichten würde“, in der Verfassung nicht nachzuweisen ist sowie überdies nicht mehr hervorbringt, als über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits erreicht wird. 7. Verfassungsrechtliche geforderte institutionelle und organisatorische Vorgaben lassen sich in begrenztem Maße durch eine Umkehrung der Erkenntnisse zur demokratischen Legitimation gewinnen. Um sachlich-inhaltlich demokratisch legitimiert zu sein, sind dezentralisierte Verwaltungsträger auf eine hinreichende gesetzliche Anleitung und exekutive Kontrolle angewiesen. Wenn sich aus dem demokratischen Prinzip Anhaltspunkte dazu fruchtbar machen lassen, welche Voraussetzungen die Selbstverwaltung erfüllen muss, um ein hinreichendes Legitimationsniveau zu erreichen, muss sich – gewissermaßen durch Umstellen der Formel – auch ableiten lassen, wie viel staatliche Aufsicht im Einzelfall nötig ist, um gegebenenfalls defizitäre Legitimationsstränge auszugleichen. 8. Administrative Kontrolle wird womöglich dort entbehrlich, wo die gerichtliche Kontrolle bereits hinreichenden Schutz ermöglicht. Zurückhaltung ist bei dem Argument der „Reservefunktion“ schon deshalb geboten, weil es sich nur zur Beschränkung der Aufsichtsführung, nicht jedoch der Aufsichtsgesetzgebung fruchtbar machen lässt. Es besteht kein Grund, ein Konkurrenzverhältnis verschiedener Kontrollen in Bezug auf individuelle Rechte zur Schranke der Aufsichtsgesetzgebung zu erheben. Vielmehr kann es im staatlichen Gesamtgefüge ein Nebeneinander verschiedener Kontrollen geben, weil die unterschiedlichen Kontrollkonzepte verschiedene Leitideen verfolgen und deshalb nur bedingt miteinander vergleichbar sind. 9. Im Optimalfall mündet dieser Ausgleich in eine Gleichgewichtslage beider Seiten, die mittels Abwägung bestimmter Faktoren, etwa die Grundrechtsrelevanz der Selbstverwaltung, die Risiken von Fehlfunktionen sowie die Effektivität der Staatsaufsicht, hergestellt wird. Solche Verfahrensweisen sind dem öffentlichen Recht nicht fremd. Konrad Hesse hat die Rechtswissenschaft mit dem Begriff der praktischen Konkordanz als Maßstab für die schonende Abwägung kollidierender Verfassungsgüter nachhaltig geprägt; Abwägungsmomente beinhaltet ferner der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. a) An der Idee, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz qualitative Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht abzuleiten, befremdet zunächst, dass die Verhältnismäßigkeit in einem eher untypischen Kontext ins Feld geführt wird. Ge-

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3. Kap.: Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung

wöhnlich dient er als materielle verfassungsrechtliche Schranke, wenn es um Eingriffe des Staates in die (grund-)rechtlich geschützten Positionen der Bürger geht. b) Als materielle Schranken-Schranke wird über die Verhältnismäßigkeit die Grenze der zulässigen Intensität und Reichweite von Grundrechtseingriffen gezogen. Auch auf die Ausübung der Staatsaufsicht hat dieser Gedanke Auswirkungen. Praktisch relevant wird dies vor allem dann, wenn es um die Ausübung der Staatsaufsicht geht: Hier kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere bei Unklarheiten über die Voraussetzungen oder die Anwendung eines Aufsichtsmittels die Aufsichtsbehörden zur Zurückhaltung verpflichten; in Zweifelsfällen ist der Auffassung des beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgers in dubio der Vorzug zu geben. Schwieriger wird es aber, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bindungen des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Konstruktion der Staatsaufsicht zu extrahieren. Die über die Verhältnismäßigkeit abzusichernde Rechtsposition muss mithin in den Grundrechten der von der Selbstverwaltung Betroffenen liegen. Zu deren Wahrung hat die Aufsichtsgesetzgebung verhältnismäßig zu erfolgen. Hiermit verbunden ist ein vages Pflichtenprogramm, das nicht lediglich zur Zurückhaltung zwingen muss, sondern dem Gesetzgeber die Obliegenheit antragen kann, normgebend tätig zu werden. 10. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird die Verhältnismäßigkeit meist in einem Atemzug mit dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht genannt. Terminologisch ähnelt der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Methodologisch stehen beide Konzepte aber nur in losem Zusammenhang. Es handelt sich um einen durch das Bundessozialgericht kreierten Begriff, der erstmals Erwähnung in einem Urteil vom 26. 8. 1983 fand. Der Rechtsprechung geht es offenbar darum, eine maßvolle Aufsichtsführung von der Administration grundsätzlich einzufordern und damit den Schutz unterschiedlicher Gestaltungsspielräume gewährleisten zu wollen. Aus dieser Beobachtung ist zu folgern, dass der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht überall dort Anwendung finden kann, wo der Selbstverwaltung Gestaltungsspielräume offenstehen. Versuche, dieses Postulat von der Aufsichtsführung auf die Aufsichtsgesetzgebung übertragen zu wollen, müssen von vorherein nicht bloß begrifflich, sondern auch inhaltlich fehlgehen.

Viertes Kapitel

Analyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes Erster Abschnitt

Vorüberlegungen A. Kontext des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  Nach der einleitenden Analyse des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht und der daran anschließenden Überlegung, wie diese Spannungslage rechtstechnisch reguliert werden kann, folgt nun das Hauptanliegen dieser Untersuchung. Denn die Spannungslage von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ist gerade angesichts jüngerer Gesetzgebung von Grund auf neu betrachtenswert. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf dem Gesetz zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) vom 21. 2. 20171 liegen, mit dem sich der Gesetzgeber auf die Fahne geschrieben hat, das Aufsichtsgefüge über die Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung  – namentlich den Gemeinsamen Bundesausschuss, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, den Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie den früheren MDS2 – grundlegend zu „stärken“, weil die bisherigen Strukturen „vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen nicht mehr ausreichend“3 gewesen seien. Allerdings führt der Kurztitel des Gesetzes in die Irre, denn es soll gerade, auch ausweislich der Langform des Gesetzestitels, eine „Stärkung“ der Aufsichtsstrukturen stattfinden. Gleichwohl wäre es verfehlt, vorschnell davon auszugehen, dass ein „Staatsaufsichtsstärkungsgesetz“ im Umkehrschluss ein „Selbstverwaltungsschwächungsgesetz“ darstellt.4 In einem korrelierenden Verhältnis beruht der Aus 1

BGBl. I, S. 265. Die Zusammenfassung dieser grundlegend verschiedenen Organisationen als „Spitzenorganisationen“ befremdet, stellt sie gerade keinen Rechtsbegriff des Sozial(versicherungs) rechts dar. Vgl. hierzu die Ausführungen oben S. 96 f. 3 BT-Drucksache 18/10605, S. 21 – ohne die Hervorhebungen. 4 Im Ergebnis differenzierend S. Rixen, KrV 2017, 138 (140); ähnlich auch K. Loer, KrV 2017, 227; im Grunde ablehnend K. Scholz, KrV 2017, 232 (233). Man beachte aber, dass in der Sozialgesetzgebung der heutigen Zeit der Terminus „Stärkung“ in inflationärem Gebrauch 2

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 1. Vorüberlegungen

gleich von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht gerade auf der Wechselseitigkeit, die es gebietet, an der Seite, auf der Defizite erkenntlich werden, anzusetzen. In bestimmten Bereichen kann es also geboten sein, bereichsspezifisch die Staatsaufsicht anzupassen, soweit sie ineffizient oder nicht ausreichend ist, um eine effektive Kontrolle der Selbstverwaltungsträger gewährleisten zu können. In anderen Bereichen wiederum bedeutet ein Ausbau der Staatsaufsicht ohne entsprechende Freiräume der Selbstverwaltung als Gegengewicht eine unnötige Beschneidung dieser Organisationsform. Die Beantwortung der Frage, ob durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz die Selbstverwaltungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt nun „gestärkt“ oder „geschwächt“ werden, hat indes für sich keinen Mehrwert. Die ausdifferenzierte Überlegung jedoch, welche konkreten Novellierungen das Spannungsverhältnis in welcher Weise zu Gunsten oder zu Lasten einer Seite verschieben können, gibt Aufschluss über den Umgang mit der Sozialen und Gemeinsamen Selbstverwaltung. Das Optimum liegt, hieran sei erinnert, in der Herstellung einer Gleichgewichtslage, wenngleich sich keine dezidierte Verpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers zu deren Umsetzung nachweisen lässt. Allerdings bedeutet das auch, dass sich bei Verfehlung dieses Optimums die getroffene Rechtsetzung noch nicht per se (verfassungs-)rechtlich zu beanstanden ist. Ohne Konsequenzen ist ein derart ausfallender Befund dennoch nicht: Er verdeutlicht dann umso mehr den Reformbedarf der gesetzlichen Krankenversicherung. Geht es dem Parlament nämlich offenkundig nicht um die Regulierung der Spannungen beider Seiten, sondern schlicht um die Implementierung einer stärkeren und effizienteren Kontrolle, drängt sich die Folgeüberlegung auf, ob die Selbstverwaltung überhaupt die passende Organisationsform für die gesetzliche Krankenversicherung ist. Das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Garantie der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet, dass die Verfassung diese Organisationsidee gerade nicht anordnet, sie also nicht obligatorisch ist.5 Mit diesen Überlegungen sind weitere Erwägungen verbunden, die an späterer Stelle noch Bedeutung erlangen sollen. Um diese Überlegungen auf ein in dieser Untersuchung handhabbares Maß zu beschränken, soll die Detailbetrachtung dieses Kapitels auf das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz begrenzt bleiben, auch wenn bereits jüngere Novellierungen in Kraft getreten sind, die das Spannungsverhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht ebenfalls berühren.6 Zur Betrachtung des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht eignet sich das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz besonders, weil es für verschiedene Organisationen auf mehreren Ebenen die Aufsichtsstrukturen verändert ist. Der Gesetzesbezeichnung sollte deshalb keine allzu überragende Bedeutung beigemessen werden. Dazu G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (143). 5 Dies hat die Rechtsprechung bereits deutlich klargestellt. Siehe nur BVerfGE 39, 302 (315). Vgl. auch W. Kahl, AöR 130 (2005), 225 (247). 6 Dazu ausführlicher unten S. 290 f.

A. Kontext des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  

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hat, jedoch keine grundlegenden Anpassungen der organisatorischen Selbstverwaltungsstrukturen – auch nicht in der Entwurfsphase – in Betracht gezogen wurden.7 Die Spannungslage wird also ausschließlich auf der Seite der Aufsicht reguliert. Zugleich bleiben die Auswirkungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes auf die sogenannten Spitzenorganisationen begrenzt, eine generelle Ausweitung der internen und externen Aufsichtsbefugnisse über sämtliche Selbstverwaltungsträger findet gerade nicht statt. Auch wenn die Gesetzesbegründung keine näheren Ausführungen zu den Hintergründen dieser Entscheidung bietet8, sind die Gründe hierfür allzu offensichtlich. Gesetzgeberische Reformvorhaben resultieren häufig aus konkreten Ereignissen, die das Parlament zum Handeln veranlasst haben.9 Dass auch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz eine gesetzgeberische Reaktion auf einen politisch nicht tragbaren Missstand ist, offenbart die Formulierung, die Anpassung der Staatsaufsicht sei „aufgrund neuerer Entwicklungen“10 geboten, wobei offenkundig auf den Sachverhalt Bezug genommen wird, wie er in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 4. 2. 201611 dargestellt ist. Zusammengefasst ereignete sich Folgendes: Weil ihr die Genehmigung zum eigenhändigen Erwerb eines Grundstückes in Berlin von der Aufsichtsbehörde versagt worden war12, gründete die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit der Deutschen Apotheker- und Ärztebank die APO Vermietungsgesellschaft mbH & Co., Objekt Berlin KG (kurz: APO Vermietungsgesellschaft) mit dem Zweck, dass diese ein Bürogebäude in Berlin errichten und es an die Kassenärztliche Bundesvereinigung vermieten solle. Hierbei blieb es allerdings nicht; die APO Vermietungsgesellschaft erwarb weitere Grundstücke, errichtete hierauf Bürogebäude, die an weitere Organisationen des Gesundheitswesens sowie an eine MVZ-Kette jeweils veräußert oder vermietet wurden. Obwohl diese Immobiliengeschäfte die APO Vermietungsgesellschaft in eine erhebliche finanzielle Schieflage brachten, wurden sie später von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung übernommen, die fortan für die Schulden der APO Vermietungsgesellschaft haften musste.13 Ein Millionenschaden zulasten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung war nach Angaben der Berichterstattung nur zu vermeiden, weil die seinerzeit hohen Berliner Immobilienpreise entsprechende Verkaufserlöse ermöglichten.14 7

Vgl. dazu nur die Reformvorhaben des Gesetzesentwurfes, BT-Drucksache 18/10605, S. 7 ff. Zur Gesetzesbegründung siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 21 ff. 9 BT-Drucksache 18/10605, S. 21. 10 BT-Drucksache 18/10605, S. 21. 11 BT-Drucksache 18/7464. 12 Hintergrund dieser Ablehnung waren offenbar Interessen aus dem Bonn-Berlin-­Ausgleich, in dessen Zuge die damalige Bundesministerin für Gesundheit Ulla Schmidt die Interessen Nordrhein-Westfalens verteidigen und einen Umzug der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nach Berlin verhindern wollte. Dazu R. Paquet, kma 4/2017, 26 (27). 13 Siehe hierzu die Kurzdarstellung des Sachverhaltes in BT-Drucksache 18/7464, S. 1. 14 Dazu R. Paquet, kma 4/2017, 26 (28); R. Beerheide / H. Korzilius, Deutsches Ärzteblatt vom 24. 2. 2017, S. 347. 8

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 1. Vorüberlegungen

Mit diesem Sachverhalt lassen sich allerdings nicht alle Novellierungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes erklären. Im Rahmen politischer Rationalität15 wäre erklärbar, dass auf diese und weitere16 Missstände in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit normativem Aktionismus reagiert wird.17 Die Spannungslage von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht ist aber durch einen spürbaren Ausbau der Aufsichtsbefugnisse sowie der internen Kontrolle reguliert worden. Das Parlament hat offenbar im Zuge des Handlungsbedarfs die Gelegenheit zur normativen Ausweitung der Staatsaufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung genutzt. Anhand des in Kraft getretenen GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes lässt sich dieser Ausbau rechtstechnisch nachvollziehen und einer rechtlichen Würdigung unterziehen.

B. Maßstab für die Untersuchung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes Hierzu bedarf es aber zunächst einer Klärung, an welchem Maßstab das Gesetz gemessen wird. Zu den Maßstäben der Aufsichtsgesetzgebung ist bereits im vorigen Kapitel Stellung bezogen worden. Es sei nochmals der Befund in Erinnerung gerufen, dass dem parlamentarischen Gesetzgeber von der Verfassung nur grobe Konturen bei der Normsetzung, jedoch keine dezidierten Qualitäts- oder Konsistenzvorgaben im Sinne einer „guten“ oder „optimalen“ Ausübung der Gesetzgebungskompetenz auferlegt werden. Dieser deutliche Vorbefund scheint der nachfolgenden Untersuchung gewissermaßen den Reiz zu nehmen: Denn ob sich Verstöße gegen das Grundgesetz aus dem Ausbau von Aufsichtsermächtigungen und internen Kontrollinstrumenten geltend machen lassen, mag zunächst auf Bedenken stoßen. Dann aber ist die rein verfassungsrechtliche Perspektive nur wenig ergiebig.

I. Unterscheidung zwischen der rechtlichen und der rechtspolitischen Perspektive Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich eine Untersuchung dennoch lohnt. Allerdings muss diese auf zwei Ebenen, zum Ersten auf der rechtlichen und zum Zweiten auf einer rechtspolitischen Ebene stattfinden. Die 15 So formuliert A.  Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 37 treffend, politisches Überleben hänge davon ab, sichtbare Erfolge zu kreieren oder zumindest Zustimmung für sich oder die eigene politische Gruppierung zu erhalten. 16 G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141. 17 Vgl. auch G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 f., der aber darauf aufmerksam macht, dass das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz dennoch kein „lex KBV“ ist. Vgl. auch K. Loer, KrV 2017, 227 (229).

B. Maßstab für die Untersuchung  

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Entscheidung für die Selbstverwaltung als Organisationsform ist nämlich eine originär rechtspolitische und gerade nicht (verfassungs-)rechtlich obligatorisch. Versteht man aber die Grundentscheidung für die funktionale Selbstverwaltung als zumindest rechtspolitische Grundlage zur Regulierung des Spannungsverhältnisses, so kann das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auch an der Anforderung gemessen werden, dem Regulierungsziel, nämlich der Gleichgewichtslage von Selbstverwaltung und Aufsicht, gerecht zu werden. Von den Organisationen, die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz Stellung bezogen haben, ist der Einwand erhoben worden, dass die bislang geltende reine Rechtsaufsicht in eine verkappte Fachaufsicht umgewandelt werde.18 Ob unter diesen Umständen der Selbstverwaltungsgedanke noch hinreichend zum Tragen kommen kann, mag zweifelhaft sein. Reformen, die die Selbstverwaltung faktisch aushöhlen, können von vornherein keinen wechselseitigen Ausgleich erreichen. Mit ihnen bezweckt der Gesetzgeber andere Vorstellungen, jedoch nicht die Beibehaltung des bestehenden Ordnungssystems. Soll es aber bei der Sozialen und Gemeinsamen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben, muss gerade dieser Ausgleich ein rechtspolitisches Ziel der Gesetzgebung sein. Auch wenn klare und transparente Entscheidungen über die Direktiven und Bestimmtheit und Normenklarheit hinaus nicht aktiv von der Gesetzgebung eingefordert werden können, muss es dennoch zu dem Anspruch offener Gesundheitspolitik gehören, auch normativ getroffene Entscheidungen so abzubilden, dass sie klar nachvollzogen werden können. Im konkreten Fall bedeutet dies: Überspannt der Gesetzgeber bewusst das Spannungsverhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zulasten ersterer, ist dies ein sicheres Indiz für eine gesundheitspolitische Intention dahingehend, künftig die gesetzliche Krankenversicherung stärker ministeriell zu organisieren. In diesem Fall würde der Reformbedarf offenkundig, der im Sinne einer transparenten und nachvollziehbaren Umsetzung der politischen Gestaltungsideen besteht.

II. Unterscheidung von externer und interner Kontrolle Darüber hinaus ist noch eine zweite Differenzierung erforderlich. Es ist bereits festgestellt worden, dass staatliche Kontrolle nicht eindimensional, sondern im demokratischen Rechtsstaat in vielfältiger Weise in Erscheinung treten kann.19 Das betrifft natürlich die Staatsaufsicht in ihrer modernen Ausgestaltung, in der sie nicht bloß als ein schablonenorientiertes Kontrollprogramm fungiert, sondern zunehmend von den Vorstellungen von Kooperation und Reziprozität geleitet 18

Ausdrücklich formuliert dies der AOK-Bundesverband in seiner schriftlichen Stellungnahme zu der Entwurfsfassung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes. Dazu Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(4), S. 9. 19 R. Pitschas, DÖV 1998, 907 (909).

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 1. Vorüberlegungen

wird.20 Neben der eigentlichen Staatsaufsicht ist bereits an voriger Stelle die sogenannte Compliance zur Ansprache gekommen, eine rein interne Kontrolle, die sich meist an selbst gesetzten Kodizes orientiert und dem Wirtschaftsrecht quasi „entliehen“ ist.21 Zu unterscheiden ist strikt zwischen den als extern und intern bezeichneten Kontrollmechanismen. Als externe Kontrollmechanismen werden die klassischen Mittel der Staatsaufsicht beschrieben, die im Verhältnis von Aufsichtsbehörde und Beaufsichtigtem zum Einsatz gelangen. Hierzu zählen auch die staatlichen Mitwirkungsrechte in Form der Erlaubnis- und Genehmigungsvorbehalte, obwohl diesen häufig die Qualität einer eigenständigen Kategorie neben den Instrumenten der Rechtsaufsicht zuerkannt wird.22 Interne Kontrollmechanismen wirken dagegen nur im Innenverhältnis der jeweiligen Selbstverwaltungseinrichtung und stehen den externen Aufsichtsbehörden gerade nicht zur Verfügung. Diese inneren Kontrollinstrumente sind ebenfalls Gegenstand des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes.23 Auch sie dienen der Kontrolle, zählen aber im Grunde nicht zu den (externen) Mitteln der Staatsaufsicht. Gleichwohl können sie die Kontrollqualität aus dem Innenverhältnis heraus erhöhen, was Auswirkungen auf den Bedarf an externen Kontrollinstrumenten hat.

III. Unterscheidung nach dem Verfahrensstand Formelle Gesetze durchlaufen ein parlamentarisches Verfahren, das sich auf der Ebene des Bundes nach den Art. 76 ff. GG und §§ 76 ff. der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT), auf der Länderebene nach den äquivalenten Bestimmungen der Länderverfassungen bestimmt. Eine Vorabausarbeitung der Gesetzesvorlagen findet allerdings bereits auf ministerieller Ebene statt.24 Und dies regelmäßig in beträchtlichem Umfang. Treffend wird im Schrifttum darauf verwiesen, dass im Parlament „die Gesetze nicht gemacht, sondern nur verbindlich gemacht“ werden.25 Auf dem langen Weg bis zur Verabschiedung unterliegen formelle Gesetze den 20

Siehe statt vieler nur W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. Vgl. dazu nur P. Dieners / U. Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, Rn. 9; M. Krasney, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 217b Rn. 46 (Stand der Kommentierung: März 2018); E. Kreßel, NZG 2018, 841 (842). Vgl. auch oben S. 50 ff. 22 M.  Kaltenborn, SGb 1999, 444; F.  Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Absch. 500 S. 1 (Stand der Bearbeitung: Februar 2016); M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 11. Vgl. auch M. Gaßner, MedR 2017, 677 (684), der von „besonderen Aufsichtsbefugnissen“ spricht. 23 Dazu nur BT-Drucksache 18/10605, S. 21. 24 H.-G. Maaßen, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 8 Rn. 3 und 8 ff.; U. Battis /  C. Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 271. 25 U. Battis / C . Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 271 – ohne die Hervorhebung. 21

A. Externe Kontrollmechanismen  

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noch häufigen Änderungen, weshalb die im politischen Jargon genutzte Wendung, dass kein Gesetz so aus dem Bundestag herauskomme, wie es hineingekommen ist, durchaus Berechtigung findet. Deshalb lohnt es sich, die Fassungen des GKVSelbstverwaltungsstärkungsgesetzes je nach ihrem Stand zu betrachten. Aus den Reaktionen der betroffenen Organisationen ist etwa abzulesen, dass die Fassung des Referentenentwurfs noch deutlich strengere Regelungen vorsah, als sie in den Gesetzesentwurf übernommen worden sind.26 Ein vollständiges Bild der angestrebten Novellierungen verlangt deshalb die Einbeziehung auch früherer Entwurfsfassungen. Im Übrigen ergibt sich so ein Gesamtbild auch dessen, was wegen seiner rechtlichen oder politischen Untragbarkeit vor dem Regierungsentwurf herausselektiert werden musste. Zweiter Abschnitt

Analyse der umgesetzten und in Kraft getretenen Reformen A. Externe Kontrollmechanismen  Beginnen soll die Untersuchung aber mit denjenigen Novellierungen, die das formelle Gesetzgebungsverfahren überstanden haben und in Kraft getreten sind. Dies betrifft im Einzelnen etliche externe Aufsichtsmittel; aber auch die internen Kontrollmechanismen sind deutlich ausgebaut worden. In erster Linie hat sich der parlamentarische Gesetzgeber für einen nicht unerheblichen Ausbau der Staatsaufsicht über die gesetzliche Krankenversicherung entschieden, indem Befugnisse der Aufsichtsbehörden zur Anwendung bestehender externer Kontrollinstrumente ausgebaut und sogar neue externe Kontrollinstrumente geschaffen worden sind.

I. Fremdbestimmung und Fremdsteuerung durch die Aufsichtsbehörde und von ihr beauftragte Personen Damit sich die Wirkungen aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen nicht verflüchtigen, bedarf es Mechanismen zur Durchsetzung. § 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IV nimmt hierzu ausdrücklich die Zwangsmittel des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes in Bezug und adressiert sie an die meist körperschaftlich organisierten Selbstverwaltungsträger, was nur aufgrund der ausdrücklichen Regelungen in den allgemeinen und besonderen Aufsichtsvorschriften möglich ist. Eine Vollstreckung unmittelbar auf Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts wird wegen des Anwendungs 26 Siehe dazu nur die Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(4), S. 9.

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

verbots von Zwangsmitteln gegen Behörden nach § 17 VwVG ausscheiden.27 Weil im Rahmen der Staatsaufsicht die Ausübung unmittelbaren Zwangs logischerweise nicht in Betracht kommen kann, hat die Aufsichtsbehörde die Wahl zwischen dem Zwangsgeld und der Ersatzvornahme.28 Weitreichende Möglichkeiten zur Fremdbestimmung erhält die Aufsichtsbehörde durch die Ersatzvornahme, indem vertretbare Handlungen29 ersatzweise selbst (Selbstvornahme) oder durch Dritte (Fremdvornahme) vorgenommen werden können.30 Gemessen an der Intensität stehen sich der Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde sowie die Fremdvornahme durch einen oktroyierten Organwalter in nichts nach.31 Die Ersatzvornahme bedeutet die kommissarische Verwaltung, impliziert deshalb ein Maximum an Fremdbestimmung und ist deshalb das intensivste überhaupt verfügbare Zwangsmittel.32 Bereits nach alter Rechtslage vor dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungs­gesetz hat das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch einige Spezialregelungen der Ersatzvornahme bereitgehalten. So konnte das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 94 Abs. 1 Satz 5 SGB V im Wege der Ersatzvornahme33 die Richtlinien erlassen, soweit der Gemeinsame Bundesausschuss einer Beanstandung nicht nachgekommen ist. Ferner konnte bereits nach alter Fassung des § 79a SGB V ein Beauftragter in die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen bestellt werden.34 27

Ausführlicher dazu J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 792. 28 G. Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 16 (Stand der Kommentierung: November 2008). 29 H.-D. Lemke, in: Fehling / Kastner / Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Handkommentar, 5. Aufl. 2020, § 10 VwVG Rn. 1. 30 Diese kommissarische Selbstvornahme oder Fremdvornahme kann in vielen verschiedenen Handlungen Ausdruck finden; etwa in der Geschäftsübernahme, der Anberaumung von Sitzungen und Gremien sowie der Berufung von Personen als Funktionsträger in der Selbstverwaltung. Dazu im Überblick R. Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 2. Aufl. 1978, S. 99 ff. 31 Allgemein zum Verhältnis von Selbst- und Fremdvornahme H.-D. Lemke, in: Fehling /  Kastner / Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Handkommentar, 5. Aufl. 2020, § 10 VwVG Rn. 6 m. w. N. Anders aber J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (251), der die oktroyierte Organersetzung als Besetzung des Selbstverwaltungsorgans ansieht, während die Selbstvornahme durch die Aufsichtsbehörde nur das stellvertretende Handeln für das Selbstverwaltungsorgan sei. Aus der Perspektive des Selbstverwaltungsorgans wird es dagegen auf diese Differenzierung nicht ankommen, weshalb sie letztlich verzichtbar ist. 32 Vgl. VerfG Brandenburg, LVerfGE 27, 99 (154 f.); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 1966, S. 534; J. Löcher, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 37 SGB IV Rn. 4. 33 BSGE 78, 70 (84); 81, 73 (84); 100, 103 (115); 103, 106 (116); H. Sodan, NZS 2000, 581 (586) – jeweils noch zu § 94 Abs. 1 SGB V nach alter Rechtslage vor Inkrafttreten des GKVWettbewerbsstärkungsgesetzes. 34 Vgl. nur O. Rademacker, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 1 (Stand der Kommentierung: September 2017).

A. Externe Kontrollmechanismen  

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Vor diesem Hintergrund mag es doch überraschen, dass der Gesetzgeber im Bereich der externen Durchsetzung von Aufsichtsverfügungen noch Anpassungs­ bedarf gesehen hat. Obwohl hierfür auch nach alter Rechtslage Kontrollinstrumente zur Verfügung standen, eröffnet das GKV-Selbstverwaltungsstärkungs­gesetz bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, im Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie im Medizinischen Dienst neue, noch weiterreichende Möglichkeiten einer Ersatzvornahme. Ebenfalls neu sind Sonderregelungen zur Festsetzung eines Zwangsgeldes; an das alternativ zur Verfügung stehende Zwangsmittel ist mithin auch gedacht worden. Wie weitreichend die Novellierungen tatsächlich sind, wird erst die Analyse der einzelnen Regelungen zeigen.

1. Die Bestellung eines Beauftragten oder Selbstvornahme durch die Aufsichtsbehörde Zunächst soll mit der Bestellung eines Beauftragten begonnen werden; ein Zwangsmittel, das bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen bereits vor Inkrafttreten des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes festgeschrieben war und dessen Ursprünge deutlich weiter reichen. Die Bestellung eines Beauftragten ist nämlich ein Aufsichtsinstrument im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, das bereits die Reichsversicherungsordnung in ihrer Ursprungsfassung vom 19. Juli 191135 kannte. § 379 Abs. 2 RVO enthielt in seiner ursprünglichen Fassung eine positiv-rechtliche Ermächtigungsgrundlage36 zugunsten des Versicherungsamtes37 zum Selbsteintritt und zur Bestellung eines Beauftragten bei den Krankenkassen, „solange der Vorstand oder sein Vorsitzender oder der Ausschuß38 sich weigern, die ihnen obliegenden Ge-

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RGBl., S. 509. Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, einer positiv-rechtlichen Ermächtigung für den Einsatz eines Beauftragten bzw. Staatskommissars bedürfe es nicht unbedingt. So etwa W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 1966, S. 534 f. 37 Zur Erläuterung des Begriffsverständnisses formuliert P.  Peiker, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 4, 2. Aufl. 1983, § 73 S. 94 wie folgt: „Versicherungsämter wurden bei jeder unteren Verwaltungsbehörde (als Abteilung für Reichsversicherung) gebildet. Ihnen oblag die Auskunftserteilung (§ 37 RVO) und die Bildung von Spruchausschüssen (§§ 56–58 RVO). Außerdem war eine ihrer wichtigsten Aufgaben die Aufsicht über die Versicherungsträger (§§ 30–34 RVO, 377–379 RVO), die bis zur Führung der Kassengeschäfte – sozusagen als Ersatzvornahme – gehen konnte.“ Zur Angliederung von Versicherungsämtern bei den Landratsämtern in der preußischen Staatsorganisation bereits Graf H. de Grais, in: Graf de Grais / Peters (Hrsg.), Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und dem Deutschen Reiche, 1930, S. 115. 38 Siehe hierzu Graf H. de Grais, in: Graf de Grais / Peters (Hrsg.), Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und dem Deutschen Reiche, 1930, S. 115, der formuliert: „Bei dem Versicherungsamt werden Spruch- und Beschlussausschüsse gebildet für die dem Verfahren vor diesen Kollegialbehörden zugewiesenen Entscheidungen. Sie bestehen aus dem Vorsitzenden und je einem Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“ 36

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

schäfte auszuführen“39. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Selbstverwaltung in der gesamten Sozialversicherung zu jener Zeit „zweigleisig“ organisiert war, sodass nach §§ 5 bis 21 RVO a. F. auch der Vorstand der Krankenkassen ein Selbstverwaltungsorgan war. Als Mittel zur Durchsetzung stand bei aktiver Weigerung des Vorstandes, seines Vorsitzenden oder des Ausschusses die Bestellung eines Beauftragten zur Verfügung.40 Inhaltlich ausgeweitet wurde die Beauftragtenbestellung erst Anfang der 1970erJahre, als die Ermächtigung mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Selbstverwaltungsrechts und zur Vereinfachung des Wahlverfahrens (Achtes Gesetz zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes) vom 7. 8. 197341 in den neu gefassten § 7a des Selbstverwaltungsgesetzes (SVwG) überführt worden ist. Seither ermöglicht die Regelung die Bestellung eines Beauftragten nicht nur in die gesetzlichen Krankenkassen, sondern einrichtungsübergreifend, soweit die Wahl von Organen eines Versicherungsträgers nicht zustande kommt oder Organe sich weigern, ihre Geschäfte zu führen.42 Mit der späteren Schaffung des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch43 und der erneuten Transferierung der Regelung an den endgültigen Standort in § 37 SGB IV hat sich an der Weite dieses Zwangsmittels nichts geändert; vielmehr erfolgte die Verschiebung „ohne Überlegungen über Reformen auf dem Gebiet der Selbstverwaltung zu präjudizieren“.44 Allerdings bleibt die Ermächtigung an dieser systematischen Stellung auf die Sozialversicherungsträger beschränkt. Die Praxis hat aber gezeigt, dass auch bei den übrigen Akteuren in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Interesse an einem effektiven Durchgriffsrecht bei Fehltritten oder Versagen der Selbstverwaltungsorgane besteht. So kam es Anfang der 1990er-Jahre in wenigen Einzelfällen zu bewusstem Boykott des öffentlichen Gesundheitssystems durch vereinzelte Leistungserbringer, die durch Kassen(zahn) ärztliche Vereinigungen in ihrer Funktion als Interessenvertretungen hierzu aufgerufen wurden. Mit dem Aufruf zum Boykott der ambulanten Versorgung wollten die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen Druck ausüben, um die mit dem Gesundheits-Strukturgesetz 1993 schließlich eingeführten Regelungen zur Budgetierung der Gesamtvergütung sowie zur Degression abzuwenden.45 39

Siehe zum Wortlaut des § 379 RVO in seiner ursprünglichen Fassung F.  Hoffmann, Reichsversicherungsordnung, Kommentar, 1. Aufl. 1912, S. 489. 40 So jedenfalls nach Auslegung früher Kommentierungen. Siehe etwa F. Hoffmann, Reichsversicherungsordnung, 1. Aufl. 1912, S. 490. 41 BGBl. I, S. 957. 42 Siehe hierzu Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Selbstverwaltungsrechts und zur Vereinfachung des Wahlverfahrens (Achtes Gesetz zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes), BGBl. I, S. 957. 43 Sozialgesetzbuch (SGB) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – vom 23. 12. 1976, BGBl. I, S. 3845. 44 BT-Drucksache 7/4122, S. 36. 45 Siehe hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13. 9. 2006 – L 3 KA 90/05 –, juris Rn. 41. In der Kommentarliteratur wird die Schaffung des § 79a SGB V a. F. als „gesetzge-

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Der Boykott funktionierte mithilfe des sogenannten „Korbmodells“: Kassen­ (zahn)ärztliche Vereinigungen riefen die Vertrags(zahn)ärzte dazu auf, kollektiv auf ihre Zulassungen zu verzichten. Sämtliche Verzichtserklärungen wurden von einem Treuhänder (z. B. einem Notar) gesammelt. Anschließend wurde der Inhalt des „Korbes“ je nach Vereinbarung entweder sofort den Zulassungsausschüssen übergeben oder es wurde nochmals im Rahmen einer Versammlung der Ausstiegswilligen über das weitere Vorgehen entschieden.46 Sind genug Vertrags(zahn)ärzte aus dem kollektivvertraglichen System der ambulanten Versorgung ausgestiegen, kann die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, zu der die Kassen(zahn) ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V beauftragt sind, nicht mehr gewährleistet werden. Es tritt ein Zustand ein, in dem erforderliche Leistungen – quasi wegen Personalmangels im Vertragsarztwesen – nicht erbracht werden können. In einem solchen Fall kommt es zum Systemversagen47, in dessen Folge das grundsätzlich geltende Sachleistungsprinzip durchbrochen wird und den Versicherten nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V einen Anspruch auf Kostenerstattung für unaufschiebbare Leistungen zukommt.48 Solche Korbmodelle sind kein Einzelfall geblieben; es hat sie 1992 bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns gegeben49; kurz darauf wandten die Kieferorthopäden in Niedersachsen das Modell an, um höhere Punktwerte zu erzwingen50. Aus diesen Ereignissen resultiert die Ausweitung der Möglichkeit, einen Beauftragten zu bestellen, auf die Seite der Leistungserbringer. Mit Inkrafttreten berische Reaktion auf das Verhalten der Vertragszahnärzte“ gesehen; vgl. hierzu K. Scholz, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 79a Rn. 1; auch M. T. Gaßner / E . Mente, SGb 2005, 421 (422). 46 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13. 9. 2006  – L 3 KA 90/05, juris Rn. 41; W. C. Bartha, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher OnlineKommentar Sozialrecht, § 95b Rn. 8 (Stand der Kommentierung: März 2021). 47 BSGE 98, 294 (301 Rn. 27); LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. 8. 2012  – L 9 KR 244/11  –, juris Rn. 19; vgl. hierzu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. 10. 2005  – L 3 KA 128/05 ER, juris Rn. 45, das in dem Vergütungsanspruch von Vertrags(zahn)ärzten, die nach erklärtem Zulassungsverzicht von Versicherten in Anspruch genommen werden, einen „Fall unwiderleglich vermuteten Systemversagens“ erkennt. 48 Die Rechtsfolge des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V soll aber nach Auffassung des Bundes­ sozialgerichts mit der Maßgabe gelten, dass die Kostenerstattung nur dann in Betracht kommt, wenn die Versicherten keine andere Möglichkeit als das Aufsuchen des aus der Versorgung ausgeschiedenen Leistungserbringer zur Verfügung stand, um „in angemessener Zeit und mit zumutbarem Aufwand versorgt“ zu werden und die Krankenkasse den Versicherten keine Behandlungsalternativen hat aufzeigen können. Dazu BSGE 98, 294 (301 f. Rn. 28). 49 Vgl. M. Zipperer, NZS 1993, 95 (99); H. Platzer / H. Matschiner, NZS 2008, 244 (246) mit entsprechenden Nachweisen. Vgl. auch die Ausführungen bei LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 9. 4. 2008 – L 3 KA 149/06, juris Rn. 45. 50 Dem Boykott der Kieferorthopäden in Niedersachsen lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen rief die Kieferorthopäden infolge der gescheiterten Verhandlungen zum Rücktritt (bzw. zum Zulassungsverzicht) auf. Eine Entscheidung des zur Konfliktlösung eigentlich zuständigen Landesschiedsamtes wurde indessen durch den Rücktritt der zahnärztlichen Mitglieder vereitelt. Siehe hierzu BSGE 88, 193 ff.

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des Gesundheits-Strukturgesetzes zum 1. Januar 199351 ist § 79a SGB V a. F. geschaffen und der Beauftragte bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen eingeführt worden. In der Gesetzesbegründung heißt es, „die Handlungsunfähigkeit oder Handlungsunwilligkeit der Selbstverwaltungsorgane der Kassenärztlichen Vereinigungen darf die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen, nicht gefährden. Gibt es Anzeichen, daß die verantwortlichen Selbstverwaltungsorgane von Kassenärztlichen Vereinigungen oder einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Mitwirkung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung verweigern oder die Erfüllen des ihnen obliegenden Sicherstellungsauftrages zu hintertreiben suchen, muß die Funktionsfähigkeit der Körperschaft durch beauftragte Organe gewahrt werden.“52

Der Gesetzgeber hat die Bestellung eines Beauftragten offenbar als geeignetes Aufsichtsmittel auch für die vertrags(zahn)ärztliche Selbstverwaltung angesehen. In der Literatur ist dies zunächst bezweifelt worden. Günther Schneider stellte im Jahr 1993 – also zu einer Zeit, in der der Staatskommissar bei Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen noch recht neu war – die Prognose auf, es sei fraglich, ob „§ 79a SGB V [a. F.] [jemals] eine praktische Anwendung erfährt“.53 In Anbetracht der ebenfalls mit dem Gesundheits-Strukturgesetz54 eingeführten Regelungen in den §§ 72a und 95b SGB V, die empfindliche Sanktionen an den kollektiven Zulassungsverzicht der Vertrags(zahn)ärzte knüpfen55, habe § 79a SGB V [a. F.] allenfalls eine Warnfunktion, wenn die Verhandlungstaktik der Vertrags(zahn)ärzte weitestgehend ohne Konsequenzen bliebe56. Die Aufsichtspraxis bestätigt diese These: Seit Bestehen der Fremdvornahme bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen hat es einen Einsatz des „Staatskommissars“ bislang in zwei Fällen gegeben: 1995 wurde ein Beauftragter in die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen57, 2004 in die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns58 entsandt. Für die Vertrags(zahn)ärzte entfalten der Übergang des Sicherstellungsauftrages nach § 72a SGB V und die Wiederzulassungssperre nach § 95b SGB V spürbare Wirkungen, weil sie von den Versicherten regelmäßig nicht 51

BGBl. I 1992, S. 2266. BT-Drucksache 12/3608, S. 84 – ohne die Hervorhebungen. 53 G. Schneider, MedR 1993, 83 (87) – Hinzufügung durch den Verfasser. 54 BGBl. I 1992, S. 2266. 55 Erhebliche verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf die „Wiederzulassungssperre“ in § 95b SGB V sowie die vergütungsrelevante Vorschrift § 72a SGB V macht ­H. Sodan, Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem, 2010, passim. geltend, zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes siehe a. a. O. S. 33 ff. Allerdings sollen sich aus der Wiederzulassungssperre keine weiterreichenden Verbote, etwa zu Arbeitskampfmaßnahmen ableiten lassen. Siehe hierzu ders. / N. Schaks, VSSR 2014, 89 (105). 56 So noch die Kritik von G. Schneider, MedR 1993, 83 (87). 57 LSG Niedersachsen, Urteil vom 1. 12. 1999  – L 5 KA 64/98 ZVW, juris, Rn. 2 ff.; T. Clemens, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 26 Rn. 113; vgl. auch J. Maus, Ärzteblatt vom 28. 7. 1995, S. A-2045. 58 Siehe hierzu T. Clemens, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 26 Rn. 113 Fn. 255. 52

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mehr konsultiert werden können59, sodass zu vermuten wäre, der Beauftragte als Mittel zur Durchsetzung einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung habe sich im Bereich der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung erledigt. Auf die Vermeidung eines Systemeinsturzes durch kollektiven Zulassungsverzicht der Vertrags(zahn) ärzte kommt es augenscheinlich nicht mehr an. Dass sich der Einsatz von Beauftragten in der Praxis noch nicht erledigt hat, zeigen Presseberichte, nach denen im Jahr 2016 wegen des Immobilienskandals beinahe ein Beauftragter in die Kassenärztliche Bundesvereinigung entsandt worden wäre, wozu es allerdings nicht gekommen ist, nachdem unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt werden konnte.60 Seither steht das Instrument der Beauftragtenbestellung wieder stärker im Fokus der Gesundheitspolitik. a) Zur Terminologie von Staatskommissaren und Beauftragten Vorsicht ist aber bei der richtigen Bezeichnung des im hiesigen Kontext genutzten Aufsichtsmittels geboten. Die Möglichkeit, Beauftragte zu bestellen, ist dem Öffentlichen Recht nicht fremd61; erst recht ist sie kein Spezifikum des Sozialrechts. Vielmehr ist die Bestellung eines Beauftragten ein Instrument, das in der öffentlichen Verwaltung seit Jahrhunderten genutzt wird. Entsprechend viele Bezeichnungen gibt es für dieses Kontrollinstrument. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, lohnt sich ein kurzer, chronologischer Blick auf die fachübergreifenden Bezeichnungen. Das fällt deshalb nicht leicht, weil sich heute nicht mehr absolut bestimmen lässt, ab wann genau Beauftragte und Staatskommissare zum ersten Mal in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt wurden.62 Meist wird der Ursprung dieses Zwangsmittels in der Zeit des Absolutismus gesehen, weil in dieser Zeit das Berufsbeamtentum entstanden ist, zu dessen Kontrolle sich der sogenannte „Staatskommissar“ besonders eignete.63 Als rechtlich kodifiziertes Aufsichtsinstrument etablierte sich die Bestellung beauftragter Personen ab Beginn des 19. Jahrhunderts seit Inkrafttreten der Preußischen Städteordnung vor allem als Mittel der Kommunalaufsicht.64 Nach dem Zweiten Weltkrieg wur 59

Vgl. dazu nur BSGE 98, 294 (306 Rn. 37 f.). H. Feldwisch-Drentrup, DAZ.online vom 16. 6. 2016, abrufbar unter: https://www.deutsche-­ apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/06/16/kbv-entkommt-dem-staatskommissar, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 61 Vgl. G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 38. 62 G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 44. 63 J. Schatzmann, Der Staatskommissar im Gefolge der kommunalen Neuordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1972, S. 54. 64 Siehe hierzu die ausführlichen Darstellungen von G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 44 ff. und J. Schatzmann, Der Staatskommissar im Gefolge der kommunalen Neuordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1972, S. 54 ff. 60

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den Staatskommissare vereinzelt von den Alliierten zur Aufklärung politischer Verfolgung eingesetzt.65 Auch heute noch gehört die Bestellung von Beauftragten bzw. „Staatskommissaren“ zumindest in den Flächenstaaten66 zu den zentralen repressiven Aufsichtsmitteln des Kommunalrechts, das unter den kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen zum Einsatz kommt, wenn eine Funktionsstörung der Selbstverwaltung besteht und zugleich die bestehenden Aufsichtsmittel nicht ausreichen, um die Funktionsstörung zu beseitigen.67 Peter Tettinger bezeichnet den Staatskommissar aus heutiger konstitutioneller Sicht sogar als „tradierte Rechts­ figur des deutschen Staatsrechts“, die zur Einheitlichkeit im föderalen Staatswesen, Informationsgewinnung und Aufsichtsführung eingesetzt wird.68 Leider führt der Fokus auf die Entstehung des Kontrollinstruments zu keinen tragfähigen Ergebnissen, weil die Literatur keine einheitliche Terminologie verwendet. Teils wird schlicht von der Bestellung eines „Beauftragten“, teils von „Staatskommissaren“ gesprochen. Beide Begriffe sind zwar nicht synonym zu verstehen69, doch bereitet die sichere Abgrenzung wegen der Ähnlichkeit beider Fachbegriffe praktische Schwierigkeiten. Als eine Art Überbegriff fungiert der Terminus des „Beauftragten“: Gerald Buck etwa definiert Beauftragte im öffentlichen Recht als Personen, die eingesetzt werden, um die Erfüllung bestimmter Rechtsnormen oder zumindest die Wahrung fremder oder allgemeinheitsbezogener Interessen im Bereich des öffentlichen Rechts sicherzustellen. Art und Umfang ihrer Einsetzung hängen von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage ab, wobei die Eingliederung der beauftragten Personen in die staatliche Hierarchie nicht zwingend erforderlich ist.70 Eine valide Abgrenzung des Staatskommissars von „sonstigen“ Beauftragten kann jedenfalls kaum gelingen, wenn der Staatskommissar, wie etwa von Michael Fuchs, als Person verstanden wird, deren Rechtsstellung eingehend geregelt ist und dessen vornehmlicher Zweck darin liegt, die Rechtsund Gesetzmäßigkeit bei gleichzeitiger Wahrung des Selbstverwaltungsprinzips wiederherzustellen.71 Die Unterschiede des Staatskommissars zum Beauftragten bleiben auch dann undeutlich, wenn man ihn wie Gerald Buck als eine Person versteht, „der aufgrund eines konkreten, persönlich an ihn gerichteten Auftrages zeitlich begrenzt und ohne in die reguläre Verwaltungsorganisation eingegliedert zu sein aufgrund übertragener Rechte hoheitlich tätig wird, um in einer außer­ 65

Siehe nur H. Ludyga, Kritische Justiz 2007, 410 (414). Abweichende Mittel der Rechts- und Fachaufsicht bestehen in der Freien und Hansestadt Hamburg nach § 45 BezVG HH. 67 Siehe etwa Art. 114 BayGemO; § 124 GemO BW; § 141 HGO; § 122 ThürKO; § 128 BbgGemO; § 117 SächsGemO; § 149 KVG LSA; § 175 NKomVG; § 124 GemO NRW; § 127 GemO SH; § 83 KV M-V; § 124 GemO RP; § 134 KVSG. 68 P. J. Tettinger, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 111 Rn. 44. 69 Vgl. G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 42 – ohne die Hervorhebung. 70 G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 38. 71 M. Fuchs, „Beauftragte“ in der öffentlichen Verwaltung, 1985, S. 42 f. 66

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gewöhnlichen, für den Staat ansonsten schwer handhabbaren Situation eine Lösung herbeizuführen“.72 Denn auch bei dem Einsatz von Beauftragten bleiben Art und Umfang der Tätigkeit und Handlungsspielräume stets begrenzt. Eine genaue Klassifikation des Beauftragten nach §§ 79a, 217i SGB V n. F. führt daher zu Schwierigkeiten, sie kann aber im Grunde dahinstehen. Denn beide Definitionen passen auf die nach §§ 79a, 217i SGB V n. F. von der Aufsichtsbehörde in die Selbstverwaltungseinrichtungen bestellten Personen. Denn diese werden aufgrund eines klar begrenzten Auftrages und auf Geheiß der Aufsichtsbehörden tätig. Ferner arbeiten sie zeitlich begrenzt und funktionsgebunden. Dabei verfolgen sie das Ziel, die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte und Wahlhandlungen der Selbstverwaltungsträger durchzusetzen. Möglich ist deshalb eine Klassifikation als Beauftragter und zugleich als Staatskommissar. Um nachfolgend eine einheitliche Terminologie zu gewährleisten, soll für die nach §§ 79a, 217i SGB V n. F. bestellte Person die allgemeinere Bezeichnung als Beauftragter genutzt werden. Ferner, um der Vielfalt dieses Aufsichtsmittels Rechnung zu tragen. b) Erweiterung des Anwendungsbereichs durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz Die Bestellung eines Beauftragten im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auf weitere Bereiche ausgedehnt worden. Hier hat sich der Gesetzgeber eines bekannten Instruments bedient und es in seinem Anwendungsbereich erweitert; die §§ 79a, 217i SGB V n. F. sind keine „Neukonstruktionen“, sondern bauen auf den bereits bestehenden § 79a SGB V a. F. und § 37 SGB IV auf. Nun erreicht der Beauftragte weitere Organisationen der gesetzlichen Krankenversicherung: Durch Art. 1 Nr. 12 des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes ist die Bestellung eines Beauftragten und das Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen in § 217i SGB V n. F. und über § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.73 i. V. m. § 217i SGB V n. F. auch für den Medizinischen Dienst neu eingeführt worden. Im Bereich der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung ist das bestehende Aufsichtsinstrument nach § 79a SGB V a. F. durch Art. 1 Nr. 6 des GKV-Selbstver­ waltungsstärkungsgesetzes umstrukturiert worden.74 Dabei sind die Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (§ 79a Abs. 1 SGB V n. F.) und Bundesvereinigungen (§ 79a Abs. 1a SGB V n. F.) durch Aufteilung in zwei Absätze voneinander entflochten worden.

72

G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 41. Vormals § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. 74 BGBl. I, S. 265. 73

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aa) Tatbestandliche Voraussetzungen Tatbestandlich ist das Kontrollinstrument in all seinen Einsatzbereichen synchron gestaltet. §§ 79a Abs. 1 Satz 1 und 1a Satz 1, 217i Abs. 1 Satz 1 SGB V n. F. sowie § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, der auf der ursprünglichen Regelung nach § 379 Abs. 2 RVO basiert, setzen nämlich gleichlautende Tatbestandsvoraussetzungen fest. Die Selbstvornahme durch die Aufsichtsbehörde oder die Bestellung eines Beauftragten kommt stets nur dann in Betracht, solange und soweit die Wahl der Vertreterversammlung / des Verwaltungsrates und des Vorstandes nicht zustande kommt oder die Vertreterversammlung / der Verwaltungsrat oder der Vorstand sich weigern, ihre Geschäfte zu führen. Vom Scheitern der Wahlhandlung abgesehen ist von Interesse, wann die Schwelle zur Annahme einer Weigerung der Selbstverwaltungsorgane überschritten ist. In einer der ersten Kommentierungen zur Reichsversicherungsordnung aus dem Jahr 1912 führte Franz Hoffmann zu der frühen Kodifikation des heutigen § 37 Abs. 1 SGB IV aus, eine Weigerung im Sinne dieser Vorschrift liege vor, wenn das Organ die Erfüllung seiner Obliegenheiten verweigert, was anzunehmen sei, wenn nach dem fortgesetzten Verhalten des Kassenorgans davon auszugehen ist, dass eine „Aufforderung“ der Aufsichtsbehörde keinen Erfolg haben wird.75 An dieser Auslegung hat sich auch im heutigen Verständnis im Grunde nichts geändert. Von einer Weigerung der Selbstverwaltungsorgane ist mithin auszugehen, wenn über zeitweise Meinungsverschiedenheiten hinaus die Grenze zu einer beharr­lichen Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten überschritten wird.76 Wann diese Grenze überschritten ist, ist letztlich einzelfallbezogen zu bestimmen. In zeitlicher Dimension („solange“) und im Hinblick auf den Umfang („soweit“) begrenzen § 37 Abs. 1 SGB IV, §§ 79a Abs. 1 Satz 1, Abs. 1a Satz 1, 217i Abs. 1 Satz 1 SGB V n. F. die Anwendung des Aufsichtsmittels.77 Die bereichsspezifischen Ausprägungen der Beauftragtenbestellung in § 79a Abs 1 Satz 2, Abs. 1a Satz 2 SGB V n. F. sowie § 217i Abs. 1 Satz 2 SGB V n. F. formulieren die Voraussetzungen insofern weiter als in der allgemeinen Regelung nach § 37 Abs. 1 SGB IV, als sie ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde auch dann erlauben, wenn die Funktionsfähigkeit des Selbstverwaltungsträgers gefährdet ist. 75

F. Hoffmann, Reichsversicherungsordnung, 1. Aufl. 1912, S. 490. P. Krause, in: Gleitze / K rause / von Maydell / Merten (Hrsg.), GK-SGB IV, 2. Aufl. 1992, § 37 Rn. 7. 77 Mit dem Wort „soweit“ können jedoch keine Rückschlüsse auf eine Beschränkung der Befugnisse des Beauftragten im Innenverhältnis gezogen werden. Vgl. dazu auch BSGE 88, 193 (203); so auch O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 5 (Stand der Kommentierung: September 2017). In der Ausgangsfassung der Regelung in § 379 Abs. 2 RVO stellte sich diese Frage nicht, da die Anwendung des Beauftragten nur durch das Wort „solange“ in zeitlicher Hinsicht reglementiert war. Vgl. zum Wortlaut der ursprünglichen Fassung des § 379 Abs. 2 RVO F. Hoffmann, Reichsversicherungsordnung, 1. Aufl. 1912, S. 489. 76

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Ein Selbsteintritt oder die Bestellung eines Beauftragten kommt etwa dann in Betracht, wenn gesetzes- oder satzungswidrig gehandelt wird, die Selbstauflösung angestrebt oder das Vermögen gefährdende Entscheidungen beabsichtigt oder getroffen werden. Wie das Wort „insbesondere“ verdeutlicht, handelt es sich um keinen abschließenden Katalog, wobei eine Fremdvornahme nur dann in Betracht kommen wird, wenn die Funktionsstörungen der Selbstverwaltungsträger ähnlich schwer wiegen wie in der Norm angeführt. Die weitere Fassung des Tatbestandes im Vergleich zu § 37 SGB IV wird zumindest durch den Umstand relativiert, dass gemäß §§ 79a Abs. 2 Satz 1, 217i Abs. 3 Satz 1 SGB V n. F. der Bestellung des Beauftragten zwingend eine Anordnung der Aufsichtsbehörde vorauszugehen hat. Normativ wird also eine verhältnismäßige Ausübung der Rechtsaufsicht durch diese Formulierung vorgezeichnet. Abstand ist allerdings von der Idee genommen worden, die Bestellung eines Beauftragten als quasi fachaufsichtliches Instrument zur Kontrolle des Vorstandes einzuführen. Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah in § 79a Abs. 1b SGB V (RefE) und § 217i Abs. 2 SGB V (RefE) vor, die Bestellung eines Beauftragten auch dann zu ermöglichen, „solange und soweit durch das Handeln des Vorstands die ordnungsgemäße Verwaltung nicht mehr gewährleistet ist und andere Aufsichtsmittel nicht ausreichen“.78 Anstelle eines Durchsetzungsinstruments ultima ratio hätte die Bestellung eines Beauftragten als „Auffangmittel“79 zur fachlichen Kontrolle des Vorstands herangezogen werden können. Weil sich im Wege der Auslegung kaum sinnvoll begrenzen lässt, wann andere Aufsichtsmittel „nicht mehr ausreichen“, insbesondere welche Maßnahmen der Staatsaufsicht bereits ergriffen werden mussten80, verleitet die mangelnde Bestimmtheit dieser Entwurfsfassung zu einer weitgehenden Überprüfung der Vorstandsentscheidungen durch die Aufsichtsbehörden. Einer informellen Fachaufsicht hätte dieser Tatbestand deshalb Tür und Tor geöffnet. Zu Recht ist von dieser Fassung bereits vor Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren Abstand genommen worden. 78

Zum Wortlaut des § 79a Abs. 1b SGB V (RefE) siehe die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht unter: https://www.kbv.de/media/sp/2016-1013_GKV-SVSG_RefE_KBV-Stellungnahme.pdf, S. 13, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 79 Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung spricht in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, veröffentlicht unter https://www. bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/ Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/KZBV.pdf, S. 39, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021, von einer „Scheinsubsidiarität“. 80 Siehe dazu die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht unter: https://www.kbv.de/media/sp/2016-10-13_GKV-SVSG_RefE_KBV-Stellungnahme. pdf, S. 13, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. Zu der massiven Kritik der Kassenzahnärzt­ lichen Bundesvereinigung https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/ 3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/KZBV.pdf, S. 39, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021, die formuliert, durch die vage Bestimmtheit der Regelung gehe „nicht allein ein weiteres Stück Selbstverwaltungsautonomie verloren, sondern [es werde] auch ein Stück Rechtsstaatlichkeit aufgegeben“.

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In zwei weiteren Punkten unterscheiden sich die spezifischen Ermächtigungen von § 37 SGB IV: Zum einen wird gesondert festgestellt, dass die Bestellung und Entsendung des Beauftragten nach §§ 79a Abs. 1b Satz 1, 217i Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. durch einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X erfolgt, wobei diese Feststellung rein deklaratorischen Charakter hat.81 Zum anderen setzen §§ 79a Abs. 2 Satz 2, 217i Abs. 3 Satz 2 SGB V n. F. den Entfall der aufschiebenden Wirkung von Klagen gegen die vorangehende Aufsichtsanordnung, die Bestellung selbst sowie die Tätigkeit des Beauftragten fest. Dem gerichtlichen Rechtsschutz wird zwar die Wirkungskraft nicht genommen. Ob es gleichwohl plausibel ist, den Selbstverwaltungsträgern die aufschiebende Wirkung als zeitweilige Sicherung des status quo82 zuzugestehen, soll noch an späterer Stelle untersucht werden. bb) Auswirkungen auf das Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger Auch bei den Befugnissen des Beauftragten im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger gehen die gesetzlichen Novellierungen keine neuen Wege, sondern knüpfen an Altbekanntes an. Im Innenverhältnis erhält die Aufsichtsbehörde oder der Beauftragte ausweislich der §§ 79a Abs. 2 Satz 3, 217i Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. die Stellung des Organs, dessen Geschäfte durch den Beauftragten geführt werden.83 Der Wortlaut lässt zunächst den Schluss zu, dass der Beauftragte für nur jeweils ein Organ tätig werden kann. Indes erlaubt das Bundessozialgericht in extensiver Auslegung dieser Regelung die Geschäftsführung mehrerer Selbstverwaltungsorgane durch denselben Beauftragten.84 Von Interesse ist vielmehr, dass die Organstellung des Beauftragten ebenso im Außenverhältnis wirkt, sodass der Beauftragte für den Selbstverwaltungsträger außenverbindliche Entscheidungen treffen kann. Ferner lässt sich aus der Formulierung „solange und soweit“ nur eine Beschränkung der Voraussetzungen und den zeitlichen Horizont der Aufgabenübernahme, nicht aber im Hinblick auf die inhaltlichen Befugnisse des Beauftragten ableiten.85 Im Innenverhältnis stehen dem Beauftragten somit weite Spielräume offen; er tritt gar kommissarisch an die Stelle des verhinderten Organs. cc) Entflechtung auf der Rechtsfolgenseite Während sich die gesetzlichen Anpassungen überwiegend an bestehenden Regelungskonzepten orientieren, befremdet die geradezu erzwungene und kaum ge 81 So auch O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 9 (Stand der Kommentierung: September 2017). 82 Zum Sinn der aufschiebenden Wirkung statt vieler A. Puttler, in: Sodan / Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 29. 83 Vgl. auch O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 11 (Stand der Kommentierung: September 2017). 84 BSGE 88, 193 (200). 85 BSGE 88, 193 (203).

A. Externe Kontrollmechanismen  

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winnbringende Differenzierung innerhalb des § 79a SGB V n. F., dessen Absätze 1 und 1a unterschiedliche Rechtsfolgenanordnungen an die Beauftragtenbestellung bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundes­ vereinigungen knüpfen. Für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen bleibt es nach § 79a Abs. 1 Satz 1 SGB V n. F. bei der ursprünglichen Fassung des Wortlauts (vgl. auch § 37 Abs. 1 SGB IV). Hiernach „nimmt“ die Aufsichtsbehörde bei Vorliegen der tatbestand­ lichen Voraussetzungen „selbst oder ein von ihr bestellter Beauftragter die Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen wahr“. Die Formulierung impliziert eine gebundene Entscheidung, womit die Aufsichtsbehörde verpflichtet wäre, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Beauftragten in die Einrichtung zu entsenden. In der gebundenen Rechtsfolge spiegelt sich das Legalitätsprinzip, das für die Rechtsaufsicht untypisch ist.86 Die Bestellung eines Beauftragten wird deshalb als „Aufsichtsmittel besonderer Art“ eingeordnet, das der Aufsichts­ behörde unabhängig von ihren Befugnissen der allgemeinen Rechtsaufsicht zusteht.87 Demgegenüber „kann“ die Aufsichtsbehörde nach § 79a Abs. 1a Satz 1 SGB V n. F. „die Geschäfte selbst führen oder einen Beauftragten bestellen und ihm ganz oder teilweise die Befugnisse eines oder mehrerer Organe der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen übertragen“, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen hierzu vorliegen. Bei einem Einschreiten gegen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen steht der Aufsichtsbehörde offensichtlich ein Ermessens­ spielraum offen. Auch die neu geschaffene Möglichkeit, einen Beauftragten in den Spitzenverband Bund der Krankenkassen oder den Medizinischen Dienst Bund zu bestellen, belässt der Aufsichtsbehörde nach §§ 217i Abs. 1 Satz 1 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.88 einen Ermessensspielraum. In einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. 6. 2001 sind in Bezug auf die Altregelung nach § 79a Abs. 1 SGB V a. F. Bedenken angeklungen, ob die Norm obgleich ihres Wortlauts, der für eine gebundene Rechtsfolge streitet, einen Ermessensspielraum eröffnet. Diese Frage hat das Gericht offengelassen.89 Nachdem die Absätze 1 und 1a in § 79a SGB V n. F. eine ausdrückliche Differenzierung des Wortlauts vornehmen, dürfte diese Auffassung kaum mehr haltbar sein.90 Der

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F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 360 S. 12 (Stand der Bearbeitung: April 2017). 87 F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 360 S. 12 (Stand der Bearbeitung: April 2017). 88 Vormals 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. 89 BSGE 88, 193 (201 f.). Vgl. auch F. E. Schnapp, in: ders. / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 35. Demgegenüber hatte das Landessozialgericht Niedersachsen in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 vertreten, die Bestellung eines Beauftragten nach § 79a Abs. 1 SGB V a. F. eröffne kein Ermessen der Aufsichtsbehörde, LSG Niedersachsen, Urteil vom 1. 12. 1999 – L 5 KA 64/98 ZVW –, juris Rn. 56. 90 Dagegen aber K. Scholz, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, Kommentar, 7. Aufl. 2020, § 79a Rn. 3.

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Wortlaut verdeutlicht in unstreitiger Weise, dass die Regelung in § 79a Abs. 1a SGB V n. F. mit dem Wort „kann“91 eine Ermessensermächtigung ausspricht, während dies in § 79a Abs. 1 SGB V n. F. – bewusst – nicht vorgesehen ist. Den Grund hierfür bleibt die Gesetzesbegründung schuldig. Denn die Darlegung, die Neufassung in Bezug auf die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen entspreche der Rechtslage des status quo ante92, ist jedenfalls nicht bloß irreführend93, sondern im Hinblick auf die abweichende Rechtsfolge auch sachlich unzutreffend. Mutmaßlich trifft Olaf Rademacker in seiner Kommentierung zu § 79a SGB V den richtigen Punkt, wenn er ausführt, die Anordnung des Opportunitätsprinzips finde ihren Sinn darin, im Rahmen des Auswahlermessens zu berücksichtigen, dass für die Fremdsteuerung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit der Entsendung einer Person nach § 78b SGB V – ein sogleich noch zu untersuchendes, neu implementiertes Instrument – nunmehr ein milderes Mittel zur Verfügung steht.94 Diese Überlegung würde jedenfalls erklären, warum die Bestellung eines Beauftragten bei sämtlichen Spitzenorganisationen (vgl. §§ 79a Abs. 1a, 217i Abs. 1 SGB V n. F.) unter Anwendung des Opportunitätsprinzips erfolgt. Gewiss verschafft das in der allgemeinen Rechtsaufsicht übliche Opportunitätsprinzip95 weitaus größere Freiräume bei der Aufsichtsführung. Im Rahmen ihres Entschließungsermessens entscheiden die Aufsichtsbehörden darüber, ob überhaupt aufsichtsrechtlich eingegriffen wird oder nicht. In die Ermessenserwägungen der Aufsichtsbehörde sind mithin auch etwaige verfügbare mildere Maßnahmen einzustellen.96 Einer maßvollen Aufsichtsführung ist das Opportunitätsprinzip deshalb grundsätzlich förderlich.97

91 Zur Indizwirkung der Formulierung „kann“ für eine Ermessensermächtigung im Allgemeinen M. Aschke, in: Bader / Ronellenfitsch (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, § 40 Rn. 6; M. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 21; H. Maurer / C . Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 7 Rn. 9. 92 BT-Drucksache 18/10605, S. 32. 93 So auch O.  Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 8 (Stand der Kommentierung: September 2017). 94 O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 8 (Stand der Kommentierung: September 2017). 95 F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 360 S. 12 (Stand der Bearbeitung: Mai 2017). 96 O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 79a SGB V Rn. 8 (Stand der Kommentierung: September 2017) sieht bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ein milderes Mittel in der Entsendung einer Person nach § 78b SGB V. Allgemein auch M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 69. 97 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 183.

A. Externe Kontrollmechanismen  

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c) Stellungnahme Das insgesamt wenig durchdachte Differenzierungskonzept in § 79a SGB V n. F. ist nicht der einzige Aspekt, der befremdet. Ohne einen konkreten Anlass98 ist die Möglichkeit, einen Beauftragten zu bestellen, auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Medizinischen Dienst Bund übertragen worden. Rechtlich ist dies gleichwohl nicht zu beanstanden, soweit bei der Ausübung der Rechtsaufsicht berücksichtigt bleibt, dass die Bestellung eines Beauftragten als „schärfstes Schwert“99, das die Staatsaufsicht zu bieten hat, ultima ratio100 bleibt. Ungeachtet dessen, dass die gesetzlichen Ermächtigungen für die Bestellung eines Beauftragten ausgebaut worden sind, kann dies bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht sowie der Verhältnismäßigkeit gelingen. Tatbestandlich hat es aber immerhin keine inflationären Öffnungen gegeben, wie sie der Referentenentwurf noch vorsah. Von Grund auf bleiben deshalb die Anwendungsmöglichkeiten dieses Aufsichtsinstruments überschaubar. Auch im Falle des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sowie des Medizinischen Dienstes Bund kann davon ausgegangen werden, dass die Bestellung eines Beauftragten überhaupt nur in wenigen Fällen in Betracht kommt. Insoweit wird der Staatsaufsicht ein zusätzliches Mittel für äußerste Funktionsstörungen vorgehalten, dessen Dimension berechenbar bleibt. Im Ergebnis stellt die Reform mithin eine Verbesserung der Effizienz staatlicher Aufsicht dar, ohne das Prinzip Selbstverwaltung grundsätzlich in Frage zu stellen. Auf der Seite der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen hat es quasi keine wesentlichen Änderungen gegeben. § 79a Abs. 1a SGB V n. F. stellt lediglich klar, was vor dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ohnehin galt. Lediglich die Differenzierung der Rechtsfolge in den Absätzen 1 und 1a entbehrt einer nachvollziehbaren Grundlage. 2. Die Entsendung einer Person Eine völlig neu geschaffene Art der Fremdsteuerung liegt in der Entsendung einer Person in die Selbstverwaltungsorgane der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nach § 78b SGB V, des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sowie

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Siehe hierzu auch O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 78b SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: September 2017). 99 J. Löcher, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 37 SGB IV Rn. 4. 100 LSG Niedersachsen, Urteil vom 1. 12. 1999 – L 5 KA 64/98 ZVW, juris, Rn. 56; vgl. auch zur Bestellung von Beauftragten und Staatskommissaren im Kommunalrecht H. W. Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, 1933, S. 73. T. Duve, Verwaltung und Management 14 (2008), 283 (285).

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des Medizinischen Dienstes Bund nach § 217 h SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.101. Beachtlich ist, dass offenbar bewusst davon abgesehen worden ist, eine Ermächtigung zur Entsendung einer Person in den Gemeinsamen Bundesausschuss zu schaffen.102 Die vereinzelt gewählte Umschreibung als „Staatskommissar light“103 entbehrt nicht einer gewissen Polemik, verdeckt aber ganz erheblich die Tragweite dieses neuen Aufsichtsmittels, das zu dem Zweck eingeführt wurde, ein durchschlagsfähiges repressives Aufsichtsmittel vorzuhalten, mit dem die „Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands“ durchgesetzt werden kann; allerdings unterhalb der relativ hohen Voraussetzungen zur Bestellung eines Beauftragten.104 Mit der Entsendung einer Person verfügt das Bundesministerium für Gesundheit als zuständige Aufsichtsbehörde der Spitzenorganisationen nunmehr über eine zweite Eingriffsermächtigung zur Fremdvornahme, die sich technisch kaum von der Bestellung eines Beauftragten unterscheidet; auch hier geht es im Kern um die Durchsetzung bestimmter Handlungen durch die Aufsichtsbehörde. Es handelt sich auch bei der Entsendung einer Person um eine Ersatzvornahme, deren geringere Reichweite mit einer niedrigeren tatbestandlichen Schwelle kompensiert wird. Damit liegen im Grunde alle Voraussetzungen vor, um die entsandte Person als „Beauftragten“ zu qualifizieren.105 Ob das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zwei spezifische Ermächtigungen zur Durchführung einer Ersatzvornahme braucht, muss mit kritischem Blick untersucht werden. a) Tatbestandliche Voraussetzungen Tatbestandlich greifen die Voraussetzungen für die Entsendung einer Person deutlich weiter als für die Bestellung eines Beauftragten. Zunächst setzen die §§ 78b Abs. 1, 217h Abs. 1 SGB V noch keine eingetretene Funktionsstörung der Selbstverwaltungsorgane voraus, sondern verlangen lediglich eine abstrakte106 Ge 101

Vormals 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. Wie R. Pitschas, KrV 2017, 149 zurecht feststellt, wird sich die Gemeinsame Selbstverwaltung auf der politischen Ebene erfolgreich hiergegen gewehrt haben. 103 R. Paquet, kma 4/2017, 26 (27); S. Rixen, KrV 2017, 138 (140); P. Axer, KrV 2017, 89; ders., in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 78b SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: März 2018). 104 BT-Drucksache 18/10605, S. 29. Vgl. auch P. Axer, KrV 2017, 89; ders., in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 78b SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: März 2018). 105 Jedenfalls, wenn an die bereits an voriger Stelle (oben S. 191 ff.) in Bezug genommene Definition angeknüpft wird, nach der Beauftragte im öffentlichen Recht Personen sind, die eingesetzt werden, um die Erfüllung bestimmter Rechtsnormen oder zumindest die Wahrung fremder oder allgemeinheitsbezogener Interessen im Bereich des öffentlichen Rechts sicherzustellen, wobei Art und Umfang ihrer Einsetzung von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage abhängen. Dazu G. Buck, Der Beauftragte als Mittel der Kommunalaufsicht, 2009, S. 38. 106 Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kritisiert in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf diese Anknüpfung an ein Gefährdungsmoment als grundloses Misstrauen, weil 102

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fährdung der „ordnungsgemäßen Verwaltung“. Wann von einer solchen Gefährdung auszugehen ist, wird in §§ 78b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4, 217h Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 SGB V beschrieben. Das Wort „insbesondere“ verdeutlicht aber, dass es sich hierbei um nicht abschließende Regelbeispiele handelt; es kann also auch ohne Gefährdungsmoment eine Entsendung denkbar sein.107 Im Übrigen untermauert die Begründung des Regierungsentwurfs, dass der Katalog nach §§ 78b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4, 217h Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 SGB V als nicht abschließende Regelbeispiele formuliert sein soll. Dort heißt es, das Gesetz zähle „beispielhaft Fälle auf, in denen eine […] Gefährdung angenommen werden kann“.108 Allerdings krankt das Aufsichtsmittel an der Unschärfe dieser Regelbeispiele. Besonders prekär war in dieser Hinsicht die Fassung des Referentenentwurfs, die an die Entsendung einer Person und damit an die Fremdvornahme der vertretbaren Handlungen durch die Aufsichtsbehörde keinerlei qualifizierte Voraussetzungen aufgestellt hat. So hätte etwa das in §§ 78b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 217h Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V (RefE) aufgestellte Regelbeispiel bereits die Entsendung einer Person zur Durchsetzung von Aufsichtsverfügungen zugelassen, ohne das Merkmal einer konkreten Funktionsstörung oder wenigstens einer abstrakten Funktionsgefährdung der Selbstverwaltung vorauszusetzen. Ohne das konkrete oder abstrakte Gefahrmoment fehlt es aber an jeglichen Konturen für die Fremdvornahme vertretbarer Handlungen, die jedoch erforderlich sind, um eine maßvolle und verhältnismäßige Aufsichtsführung bereits normativ vorzuzeichnen. Zwar kann eine Fremdvornahme durch die Aufsichtsbehörde unter Wahrung des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht und der Verhältnismäßigkeit so wie auch die Bestellung eines Beauftragten nur ultima ratio109 sein. Doch führt die Offenheit des Tatbestandes unweigerlich dazu, dass nicht befolgte Aufsichtsverfügungen jederzeit mit der Entsendung einer Person und damit mit dem Mittel der Fremdvornahme durch Entsandte der Aufsichtsbehörde durchgesetzt werden können, selbst wenn keine konkrete Gefahr oder abstrakte Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung besteht. Die schließlich in Kraft getretene Fassung der §§ 78b Abs. 1, 217h Abs. 1 SGB V sieht nunmehr zumindest ein Element abstrakter Gefährdung der Funktions­ fähigkeit bei den beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgern vor. Wie die Analyse der Regelbeispiele der §§ 78b Abs. 1 Satz 2, 217h Abs. 1 Satz 2 SGB V im Einzelnen herausstellt, bleiben auch diese Vorgaben nicht nur vage, sondern werden durch es noch keine Situation gegeben habe, in der eine Person zu entsenden wäre. Dazu Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(2), S. 19. 107 Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung geht sogar so weit, von einer Fiktion einer Gefährdungslage zu sprechen, auf die es in Wahrheit nicht ankäme. Dazu Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 21 – ohne die Hervorhebung. Vgl. auch N. Hammes, MedR 2017, 611 (614). 108 Siehe hierzu BT-Drucksache 18/10605, S. 29. 109 Siehe zur Anwendung des § 79a SGB V als Aufsichtsmittel ultima ratio auch LSG Niedersachsen, Urteil vom 1. 12. 1999 – L 5 KA 64/98 ZVW, juris, Rn. 56.

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die Formulierung „insbesondere“ ad absurdum geführt, sodass sich der Mehrwert der im Vergleich zu der Fassung des Referentenentwurfs erfolgten semantischen Verdichtung in Grenzen hält.110 b) Die Regelbeispiele im Einzelnen In der in Kraft getretenen Fassung der §§ 78b Abs. 1, 217h Abs. 1 SGB V enthält jeweils Satz 2 vier Regelbeispiele. Auffallend ist dabei, dass diese Regelbeispiele vor allem Verfehlungen des Vorstandes betreffen. Die Entsendung einer Person ist vor allem auf Fälle konzipiert, in denen eine Verfehlung vom hauptamtlichen Vorstand ausgeht, das Selbstverwaltungsorgan aber nicht in der Lage ist, im Innenverhältnis das Fehlverhalten des Vorstandes abzustellen. §§ 78b Abs. 1 Satz 2, 217h Abs. 2 SGB V erlaubt die Entsendung, wenn der Vorstand gesetzes- oder satzungswidrige interne oder externe Maßnahmen (Nr. 1) oder solche Handlungen vornimmt, die die interne Organisation oder die Zusammenarbeit der Organe erheblich beeinträchtigen. Zwei weitere Regelbeispiele sind dagegen offener formuliert. So soll eine Gefährdung der ordnungsgemäßen Verwaltung auch vorliegen, wenn die Umsetzung von Aufsichtsmaßnahmen nicht gewährleistet ist (Nr. 3) oder wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass die Pflichtverletzung eines einzelnen Organmitglieds zu einem Schaden geführt hat (Nr. 4). Auch wenn §§ 78b Abs. 1 Satz 1, 217h Abs. 1 Satz 1 SGB V in ihrer in Kraft getretenen Fassung die Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Selbstverwaltungsträgers fordern, sind die in Satz 2 formulierten Regelbeispiele kaum konkreter gefasst, als dies die Fassung des Referentenentwurfs vorsah. Eine Entsendung einer Person sollte nach §§ 78b Abs. 1 Satz 2, 217h Abs. 1 Satz 2 SGB V (RefE) insbesondere zur Umsetzung und Überwachung von Aufsichtsmaßnahmen (Nr. 1), aber gerade auch zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen einzelnen Organmitglieder (Nr. 2) sowie zur Unterstützung und Überwachung des Vorstandes bei Anhaltspunkten einer gefährdeten ordnungsgemäßen Verwaltung (Nr. 3) möglich sein. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Entsendung einer Person vorwiegend dem Fehlverhalten einzelner Organmitglieder, vor allem des hauptamtlichen Vorstandes entgegenwirken soll. Sowohl die Fassungen in der Entwurfsphase wie auch die in Kraft getretene Fassung fokussieren vor allem die Gefahren, die durch das Fehlverhalten einzelner Organmitglieder entstehen können. Auch hier spiegeln sich die Erfahrungen, die im Zusammenhang mit dem Immobilienskandal bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemacht worden sind.111 110 Ähnlich sieht dies offenbar die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, wenn sie in ihrer Stellungnahme die Fassung des Gesetzesentwurfs betreffend ausführt, die Verengung des Tatbestands wirke sich „eher rein semantisch als materiell“ aus. Dazu Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 21. 111 Andeutungsweise P. Axer, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 78b SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: März 2018).

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c) Wirkung des Aufsichtsmittels im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger Ein entscheidender Unterschied zu der Bestellung eines Beauftragten nach den §§ 79a Abs. 1, 1a, 217i SGB V n. F. liegt aber in der Reichweite der Entsendung, die gemäß §§ 78b Abs. 1 Satz 5, 217h Abs. 1 Satz 5 SGB V lediglich im Innenverhältnis des Selbstverwaltungsträgers Wirkungen zeitigt. Dabei kann die Aufsichtsbehörde nach §§ 78b Abs. 1 Satz 4, 217h Abs. 1 Satz 4 SGB V bestimmen, in welchem Umfang die entsandte Person im Innenverhältnis anstelle des ersetzten Organs tätig werden darf. Die Gesetzesbegründung ordnet die entsandte Person als eine Art externen „Berater“ ein.112 Wenn aber die Aufsichtsbehörde über den Umfang der Befugnisse verfügen kann, bedeutet dies, dass die entsandte Person auch eine vergleichbare Stellung wie der Beauftragte – zumindest im Innenverhältnis – einnehmen kann. Die Begrenzung des Aufsichtsinstruments auf das Innenverhältnis hat aber gerade keine eingeschränkte Durchschlagskraft der Entsendung einer Person gegenüber der Bestellung eines Beauftragten zur Folge. Soweit die Aufsichtsbehörde unter den einfachen Voraussetzungen der §§ 78b, 217h SGB V eine Person in die Selbstverwaltungseinrichtung entsenden kann, so kann sie im Innenverhältnis Anordnungen treffen, die das Außenverhältnis des Selbstverwaltungsträgers steuern; wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung zu Recht moniert, kann die im Außenverhältnis getroffene Entscheidung im Innenverhältnis oktroyiert sein.113 Insoweit steht die Entsendung einer Person der Bestellung eines Beauftragten in ihrer Intensität in nichts nach; die Bezeichnung als „Staatskommissar light“, besser „Beauftragter light“, ist deshalb irreführend. Sie assoziiert ein Aufsichtsmittel, das milder als die – ultima ratio – Bestellung eines Beauftragten ist. Gerade das ist nicht der Fall: §§ 78b, 217h SGB V stellen niedrigere Voraussetzungen an ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden, vermitteln diesen aber nahezu dieselben Kontrollmöglichkeiten im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger. Die Bezeichnung passt höchstens, um die geringere Schwelle für die Bestellung auszudrücken.

d) Stellungnahme Gerade diese niedrigere Schwelle zur Entsendung in die Selbstverwaltungseinrichtungen wird bei der rechtlichen Würdigung zu thematisieren sein. Mit der Entsendung einer Person verfügt die Staatsaufsicht nunmehr über einen befremd-

112 So spricht die Gesetzesbegründung davon, die Entsendung einer Person sei in solchen Fällen passend, in denen die „externe Unterstützung“ der Selbstverwaltungsträger ausreicht. Siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 29. 113 Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 23 f.

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lichen Hybrid114 einer spezifischen Ermächtigung zur Durchführung einer Ersatzvornahme mit der Tendenz zu einem Kontrollinstrument für die fachliche Überprüfung einzelner Organmitglieder. Nicht zuletzt steigt deshalb das Risiko, dass durch die Entsendung einer Person die Rechtsaufsicht der Fachaufsicht zumindest angenähert wird.115 Dies soll zwar nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grundlage für die Entsendung einer Person auch bei offener Tatbestandsformulierung ein Rechtsverstoß der Einrichtung oder eines Organmitglieds bleibt. Von einer echten Fachaufsicht kann deshalb nicht die Rede sein. Gleichwohl senken die im Vergleich zu §§ 79a, 217i SGB V n. F. gelockerten Anforderungen die Schwelle zur Veranlassung einer Ersatzvornahme spürbar ab. Maßgeblich verantwortlich hierfür sind die bereits skizzierten tatbestandlichen Vorgaben. Vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Bestimmtheitsanforderungen sind allerdings keine Bedenken vorzubringen. Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit des Rechts soll das staatliche Handeln verlässlich machen, indem Rechtsnormen klare Anweisungen an die Normadressaten beinhalten.116 Abstrakt-generelle Regelungen bedürfen stets einer gewissen Unbestimmtheit, damit im Einzelfall genügend Freiräume verbleiben, angemessene Entscheidungen zu treffen.117 Aus diesem Grund stehen offener gefasste Tatbestände dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht per se entgegen. Wenn auslegungsfähige Generalklauseln den Bestimmtheitsanforderungen genügen118, muss dies ebenso für die Aufstellung nicht abschließender Regelbeispiele gelten. Dennoch bereitet die Formulierung „insbesondere“ in §§ 78b Abs. 1 Satz 2, 217h Abs. 1 Satz 2 SGB V für die Anwendung des Kontrollmittels Schwierigkeiten. Sie bekundet, dass auch in anderen Fällen als in den Regelbeispielen aufgeführt, eine Person in die Einrichtungen entsandt werden kann. Die Fremdvornahme von Handlungen stellt einen durchaus empfindlichen Eingriff in das Selbstverwaltungsprinzip dar119, das in erster Linie auf dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit 114

Dass die Entsendung einer Person in das übrige Aufsichtsgefüge nicht recht passen mag, scheint der Gesetzgeber zu erkennen. Er bezeichnet die Entsendung einer Person als Aufsichtsmittel eigener Art. Siehe dazu BT-Drucksache 18/10605, S. 29. 115 Vgl. dazu auch R. Pitschas, KrV 2017, 149. 116 BVerfGE 133, 143 (158); B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 59 (Stand der Kommentierung: November 2006). 117 B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Allgemeine Rechtsstaatlichkeit) Rn. 59 (Stand der Kommentierung: November 2006). 118 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 133. Das Bundesverfassungsgericht erkennt sogar im durch Art. 103 Abs. 2 GG schärferen Bestimmtheitsanforderungen unterliegenden Strafrecht sogar Blankettstrafnormen mit auslegungsfähigen Elementen an. Dazu nur BVerfGE 14, 245 (252); 75, 329 (342). 119 Vgl. dazu auch die Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zum Gesetzesentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 20.

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aufbaut.120 Von Eigenverantwortlichkeit kann allerdings nur gesprochen werden, wenn die Selbstverwaltungsträger nicht in die Weisungshierarchie der unmittelbaren Staatsverwaltung eingebunden sind.121 Mit der Entsendung einer Person in die Einrichtungen funktionaler Selbstverwaltung steht diese Weisungsunabhängigkeit aber zur Disposition. Die Aufsichtsbehörden haben selbst bei den geringsten Rechtsverstößen oder vagen Anhaltspunkten für Funktionsstörungen die Möglichkeit, eine Person in die Selbstverwaltungsträger zu entsenden, wobei sie die Reichweite ihrer Befugnisse im Innenverhältnis frei festlegen dürfen. Allerdings dürfte es dem Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde gleichwohl verwehrt sein, ohne vorherige Prüfung milderer Mittel sofort eine Person in die beaufsichtigte Einrichtung zu entsenden. Sowohl der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht als auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebieten eine möglichst schonende Aufsichtsführung, sodass der beaufsichtigten Einrichtung die Möglichkeit zur Selbstkorrektur verbleiben muss. Im gegebenen Falle verbietet sich die Fremdsteuerung, wenn auch mildere Maßnahmen einen vergleichbaren Effekt erzielen. Insoweit ist der weite Tatbestand durch zwei allgemeine Prinzipien der Aufsichtsführung abgesichert. Sinnvoll wäre es, wenn dies auch positiv-rechtlich berücksichtigt und eine verhältnismäßige Aufsichtsführung122 normativ abgebildet wäre. Dies setzt allerdings zwingend eine Begrenzung und weitere Schärfung der §§ 78b, 217h SGB V voraus. Unbedingt wäre dazu das Wort „insbesondere“ zu streichen. Erreicht wäre damit eine geschlossene Tatbestandsfassung, die verhindert, dass die Anwendung des Aufsichtsmittels überdehnt wird. In keinem Fall dürfen die Voraussetzungen für die Entsendung einer Person derart offen gestaltet sein, dass eine Fremdvornahme bereits in Bagatellfällen möglich ist. In eine ähnliche Richtung verläuft auch die Kritik der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, die die Vorschrift § 78b SGB V aufgrund ihrer missglückten Semantik als „Blankettermächtigung“ charakterisiert.123 In Anbetracht der Intensität für die Selbstverwaltung bleibt aber immer noch die Frage offen, ob es einer Dopplung desselben Aufsichtsinstruments überhaupt bedurft hätte. Sicherlich liegt der entscheidende Vorteil an der Entsendung einer Person darin, unkomplizierter und schnell sowie ohne Entmachtung der Selbstverwaltungsträger im Außenverhältnis die Vornahme von Handlungen zu veranlassen.124 120

Siehe nur BVerfGE 33, 125 (156 f.); 111, 191 (215 f.). B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie)  Rn. 173 (Stand der Kommentierung: Januar 2010); H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 2013, Art. 20 (Demokratie) Rn. 128. 122 Dieser Grundgedanke einer gestuften Aufsichtsführung spiegelt sich u. a. in den Vorgaben des § 89 SGB IV wider, kann aber auch in den spezifischen Ermächtigungen der Staatsaufsicht erkannt werden. Zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Aufsichtsführung BSGE 121, 179 (182 Rn. 17). 123 Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 21. 124 Vgl. auch P. Axer, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 78b SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: März 2018). 121

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

Allerdings stehen für die Gefahrenprävention sowie der repressiven Korrektur von Funktionsstörungen bereits genügend Aufsichtsmittel zur Verfügung, die von einer einfachen Beratung über die Aufsichtsverfügung bis zur Zwangsetatisierung und schlimmstenfalls Ersatzvornahme unterlassener Anordnungen reichen können und mit deren Hilfe Funktionsstörungen ebenso effektiv beseitigt werden können. Bei der gesonderten Möglichkeit, eine Person in die Einrichtungen zu entsenden, handelt es sich deshalb um eine im Ergebnis überflüssige Ermächtigung zur Fremdsteuerung durch die Aufsichtsbehörde. Das Instrument bewirkt keine Effektivierung des Aufsichtssystems, sondern führt zu erweiterten Kontrollmöglichkeiten, die die Eigenverantwortlichkeit der dezentralisierten Selbstverwaltungsträger zu unterlaufen drohen. Auf das Instrument der Entsendung einer Person hätte deshalb verzichtet werden sollen. 3. Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde bei der Beschlussfassung der Selbstverwaltungsorgane Ein ähnliches Ergebnis mag für eine andere Regelung gelten, die weniger prominent und an systematisch anderer Stelle verortet ist. Im Komplex der aufsichtsbehördlichen Mitwirkung bei der Beschlussfassung der Selbstverwaltungsträger und dem Recht zu deren Beanstandung findet die Novellierung in §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.125 Platz, nach der das Selbstverwaltungsorgan von der Aufsichtsbehörde angehalten werden kann, einen für die Umsetzung einer aufsichtsrechtlichen Verfügung erforderlichen Beschluss vorzunehmen. Kommt das Selbstverwaltungsorgan dieser Anordnung nicht nach, kann dieser Beschluss von der Aufsichtsbehörde selbst ersetzt werden. Wird die Beschlussfassung anstelle des Selbstverwaltungsorgans durch die Aufsichtsbehörde oktroyiert, handelt es sich auch hier um eine Ersatzvornahme. Vor dem Selbsteintritt verlangen die §§ 78a Abs. 2 Satz 1, 217g Abs. 2 Satz 1 SGB V eine Anordnung, einen Beschluss in bestimmter Weise zu fassen, die regelmäßig als Verwaltungsakt nach § 31 SGB X an die Selbstverwaltungsträger ergeht. Kommt das Selbstverwaltungsorgan dieser Anordnung nach Ablauf der zu setzenden Frist nicht nach, kann die Anordnung im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzt werden. Mit diesem Instrument erhält die Aufsichtsbehörde ein Mittel zur Fremdsteuerung für den Fall, dass die Vertreterversammlung oder der Verwaltungsrat „gesetzliche Vorschriften“ oder Aufsichtsverfügungen vorsätzlich nicht umsetzen. Mit dieser Regelung werden die ohnehin schon weitreichenden Möglichkeiten einer ersatzweisen Vornahme von Handlungen durch die Aufsichtsbehörde noch weiter ausgebaut. Es handelt sich deshalb auch hier um eine im Grunde vollständig verzichtbare Spezialregelung, weil der Aufsichtsbehörde andere Aufsichtsmittel zur Verfügung stehen, um Versäumnisse bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben 125

Vormals 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V.

A. Externe Kontrollmechanismen  

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zu vermeiden und Aufsichtsverfügungen zwangsweise durchzusetzen. Das vorsätzliche Unterlassen einer Beschlussfassung zur Umsetzung geltenden Rechts oder einer Aufsichtsverfügung stellt nämlich eine Weigerung dar, die gesetzlich vorgesehenen Geschäfte zu führen. Ein derartiges Verhalten der Selbstverwaltungsorgane berechtigt indessen zur Bestellung eines Beauftragten nach §§ 79a Abs. 1, 1a, 217h Abs. 1 SGB V n. F. oder zur Selbstvornahme der Aufsichtsbehörde, um die Geschäfte im Innen- und Außenverhältnis zu übernehmen. Darüber hinaus sei in Erinnerung gerufen, dass die Ausübung der Rechtsaufsicht unter den Grundsätzen der maßvollen Ausübung der Staatsaufsicht und der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen hat. Eine Lesart der §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V, nach der bereits eine verzögerte Beschlussfassung zu einem Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde berechtigt126, muss bei konsequenter Umsetzung dieser Grundsätze von Vornherein ausscheiden. Immerhin verlangen die §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V eine vorherige Fristsetzung zur Beschlussfassung, bevor ein Einschreiten der Staatsaufsicht ermöglicht wird. Das Primat der Selbstkorrektur muss mithin der beaufsichtigten Einrichtung vorbehalten bleiben. Von dem Selbsteintrittsrecht und dem Recht zur Bestellung eines Beauftragten unterscheidet sich die Selbstvornahme der Beschlussfassung nur durch niedrigschwelligere Voraussetzungen, die der offenen Fassung der Tatbestände geschuldet sind. Es handelt sich bei den §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V deshalb um eine vollständig verzichtbare Novellierung. Derartige Spezialermächtigungen zeigen vielmehr den überschießenden Gehalt des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes. Während den allgemeinen und – bislang auch – den besonderen Aufsichtsmitteln eine Abstufung inhärent ist, die bereits normativ zu einer maßvollen und verhältnismäßigen Ausübung der Rechtsaufsicht anleitet, missachten die §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V diese an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientierte graduell abgestufte Aufsichtskonzeption. Vielmehr entsteht ein „Einfallstor“ für Fremdvornahmehandlungen unter erleichterten Voraussetzungen. Indessen wird die Kontrollqualität keinesfalls gesteigert. Es werden lediglich die Kontrollmöglichkeiten des Bundesministeriums für Gesundheit als zuständige Aufsichtsbehörde quantitativ erweitert. 4. Zusammenfassung der Befunde Fremdbestimmung, Fremdsteuerung und Mittel zur Durchsetzung aufsichtsbehördlicher Entscheidungen haben mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz spürbar zugenommen. Die Änderungen, die an der Bestellung eines Beauftragten in der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung vorgenommen wurden, mögen eher redaktionellen Charakter haben. Mit der Übertragung auf den Spit 126 Siehe hierzu den Einwand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 16.

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zenverband Bund der Krankenkassen und den Medizinischen Dienst Bund ist die Verfügbarkeit dieses Aufsichtsinstruments aber in der Breite gewachsen. Dazu kommen die beiden im Grunde überflüssigen Novellierungen, die einerseits zu der Entsendung einer Person als „Staatskommissar light“ und andererseits den Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde in die Beschlussfassung der Selbstverwaltungsorgane ermächtigen. Beachtlich ist indessen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss, der sicherlich das einflussreichste127, aber zugleich auch das umstrittenste Gremium des Gesundheitswesens ist, von diesem Reglement repressiver Kontrollmittel verschont geblieben ist. Sicherlich betreffen auch und gerade diese Institution jene Risiken, denen der parlamentarische Gesetzgeber mit der Anordnung noch mehr externer Kontrolle entgegensteuern will.

II. Nachträgliche Korrektur von Satzungen und Beschlüssen Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat zur Etablierung verschiedener Möglichkeiten rückwirkender Korrekturen durch die Aufsichtsbehörden geführt. In erster Linie betrifft dies die Satzungsgebung der Spitzenorganisationen, für deren nachträgliche Beanstandung nach den §§ 78a Abs. 1, 217g Abs. 1 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.128 neue Eingriffsrechte zur Verfügung stehen. Für den Gemeinsamen Bundesausschuss war eine vergleichbare Eingriffsermächtigung in einem neu zu schaffenden § 91b SGB V vorgesehen, wovon aber – abweichend zu den anderen Spitzenorganisationen – schon vor dem Kabinettsentwurf Abstand genommen wurde.129 Weitaus problematischer als die nachträgliche Korrektur fehlerhafter Satzungen ist aber, dass zugleich dieses Aufsichtsinstrument mit den §§ 78a Abs. 3, 217g Abs. 3 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.130 auch auf alle weiteren Beschlüsse der betroffenen Spitzenorganisationen ausgeweitet worden ist. Scheinbar unwesentliche prozedurale Ergänzungen in den §§ 78a, 217g SGB V entpuppen sich mithin als weitere gehaltvolle Erweiterung der repressiven Staatsaufsicht über die Spitzenorganisationen. Ob diese erweiterten Eingriffsmöglichkeiten in die Legislativtätigkeit der Spitzenorganisationen der Intensität der „prominenten“ Selbstvornahmerechte, etwa der Bestellung eines Beauftragten oder der Entsendung einer Person, nahe- oder sogar gleichkommen, soll im Zuge der folgenden Analyse ermittelt werden. 127

C.  Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 2 macht den Einfluss des Gemeinsamen Bundesausschusses an der Finanzrelevanz seiner Entscheidungen fest. Als „wichtigstes Steuerungsgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung“ bezeichnen ihn A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (347). 128 Vormals § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. 129 Für den Gemeinsamen Bundesausschuss sah der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes noch eine Spezialregelung in § 91b SGB V vor, die allerdings nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen wurde. Siehe ausführlich dazu unten S. 273 ff. 130 Vormals § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V.

A. Externe Kontrollmechanismen  

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1. Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen Zunächst soll der Blick auf die Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen gerichtet werden, wie sie §§ 78a Abs. 1 und 3, 217g Abs. 1 und 3 SGB V zulassen. Der Wortlaut dieser Vorschriften lehnt sich offensichtlich an die bestehende Regelung in § 195 Abs. 2 und 3 SGB V an. Diese Norm ermächtigt die Aufsichtsbehörde zur nachträglichen Beanstandung der Satzungen der Krankenkassen und geht auf den gleichlautenden § 326 Abs. 2 und 3 RVO zurück, die mit dem Gesundheits-Reformgesetz131 inhaltsgleich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch überführt worden sind.132 a) Tatbestandliche Voraussetzungen Tatbestandlich ergeben sich zu § 195 Abs. 2 und 3 SGB V keinerlei Abweichungen: So erlauben die §§ 78a Abs. 1 Satz 1, 217g Abs. 1 Satz 1 SGB V auch dann, wenn eine Satzung bereits von der Aufsichtsbehörde genehmigt wurde, eine Beanstandung, sofern sich nachträglich ergibt, dass die Satzung nicht hätte erlassen werden dürfen. Auch wenn sich nachträglich Umstände ändern, die eine Änderung der Satzung gebieten, darf die Aufsichtsbehörde etwaige erforderliche Änderungen anordnen, die innerhalb einer bestimmten, von der Aufsichtsbehörde festgelegten Frist umzusetzen sind. Kommen die Spitzenorganisationen diesen Anordnungen der Aufsichtsbehörde nicht nach, können die Änderungen nach den §§ 78a Abs. 1 Satz 2, 217g Abs. 1 Satz 2 SGB V im Wege der Ersatzvornahme von der Aufsichtsbehörde durchgesetzt werden. Gründe für eine nachträgliche Beanstandung können etwa darin liegen, dass die Aufsichtsbehörde Fehler übersehen hat, eine bislang vertretene Rechtsauffassung durch neu eingetretene Umstände – etwa ein Kurswechsel der Rechtsprechung  – nicht mehr vertretbar ist oder die Satzung wegen sonstiger nachträglich eingetretener Umstände einer Änderung bedarf.133 Klagen gegen diese Aufsichtsanordnungen haben nach den §§ 78a Abs. 4 Satz 2, 217g Abs. 4 Satz 2 SGB V keine aufschiebende Wirkung. b) Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint die nachträgliche Beanstandung von Satzungen, verbunden mit dem Recht der Aufsichtsbehörde zur Ersatzvornahme von Änderungsanordnungen, als besonders intensives repressives Aufsichtsmittel. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass sich dieses Kontrollmittel in die Struktur der kooperativen Staatsaufsicht einbinden lässt. 131

Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz  – GRG) vom 20. 12. 1988, BGBl. I, S. 2477. 132 BT-Drucksache 11/2237, S. 218. Vgl. auch BSGE 113, 114 (118 Rn 19). 133 M. Gaßner, MedR 2017, 677 (685).

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

Dazu muss die nachträgliche Satzungsbeanstandung in Zusammenhang mit dem im Krankenversicherungsrecht flächendeckenden Genehmigungsvorbehalt bei der Satzungsgebung der Selbstverwaltungsträger gesehen werden. Bei den Spitzenorganisationen steht die Satzungsgebung nach den §§ 81 Abs. 1 Satz 2, 217e Abs. 1 Satz 2 SGB V134, bei den Krankenkassen nach § 195 Abs. 1 SGB V unter dem Vorbehalt der aufsichtsbehördlichen Genehmigung. Die untergesetz­ liche Normsetzung dieser Organisationen ist mithin der grundlegenden Kontrolle der Aufsichtsbehörde unterworfen. Rechtstechnisch handelt es sich bei der Satzungsgenehmigung durch die Aufsichtsbehörden um staatliche Mitwirkung par excellence.135 Konsequenz dieser Auffassung ist aber, dass sich der Prüfungsmaßstab der Satzungsgenehmigung nicht vollends in einer Rechtmäßigkeitskontrolle erschöpft, sondern über den Akt der aktiven Mitwirkung eine eigene Beurteilung der Mitwirkungsbehörde verlangt, die über eine strenge Gesetzessubsumtion hinausreichen darf.136 Solche Freiräume ergeben sich vor allem dann, wenn die gesetzlichen Vorgaben, die den Prüfungsmaßstab der Satzungsgenehmigung bilden, unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, zu deren Konkretisierung der Aufsichtsbehörde ein Beurteilungsspielraum zukommt.137 In gewissem Widerspruch hierzu steht allerdings, dass der Prüfungsumfang der Satzungsgenehmigung unter Berufung auf die normative Genese als eine ausschließliche Rechtmäßigkeitskontrolle verstanden wird.138 Dennoch trifft diese Auffassung zu, weil die Kontrollfreiheit der Aufsichtsbehörden faktisch auf Rechtmäßigkeitserwägungen begrenzt ist: Die Genehmigung der Satzung ist zwar Voraussetzung für ihre Wirksamkeit.139 Auch die Aufsichtsbehörde bleibt an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, sodass eine materiell rechtswidrige Satzung nicht durch eine auf Zweckmäßigkeitsoptionen gestützte Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde geheilt werden 134

Der Genehmigungsvorbehalt für die Satzungsgebung der Dachorganisation des Medizinischen Dienstes, der vormals in § 282 Abs. 2e Satz 2 SGB V geregelt war, ist mit dem MDK-Reformgesetz (BGBl. I 2019, S. 2789) entfallen. Eine Genehmigungspflicht für die Satzungsgebung durch den Medizinischen Dienst Bund besteht daher, abweichend zu den übrigen Spitzenorganisationen, nicht mehr. 135 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36, Rn. 13. 136 BSG, Urteil vom 9. 12. 1997 – 1 RR 3/94, juris Rn. 14 f., wonach staatliche Mitwirkungshandlungen nur dann auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt bleiben, wo das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. Vgl. auch BSG, Urteil vom 7. 11. 2000 – B 1 A 4/99 R, juris Rn. 12. Allgemein zum Genehmgungsverfahren F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 520 S. 11 ff. (Stand der Bearbeitung: August 2019). Zum Unterschied von staatlichen Mitwirkungsrechten und „echten“ Aufsichtsmitteln siehe ausführlich oben S. 62 ff. 137 Insoweit fließen Rechts- und Zweckmäßigkeitskontrolle ineinander. Dazu F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 56; vgl. auch F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (395). 138 J. Kaempfe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 195 Rn. 3; K. Peters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 195 SGB V Rn. 4 (Stand der Kommentierung: März 2017). 139 Vgl. BSGE 70, 149 (150); 106, 199 (200 f. Rn. 11); 109, 230 (231 Rn. 10).

A. Externe Kontrollmechanismen  

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kann.140 Umgekehrt darf die Aufsichtsbehörde, aber ihre Genehmigung für rechtlich einwandfreie Satzungen unter Berufung auf deren Unzweckmäßigkeit nicht versagen141; sofern in Zweifelsfällen die Rechtsauffassung des Selbstverwaltungsträgers vorgeht, besteht ebenfalls kein Anlass für die Aufsichtsbehörde, einzuschreiten142. Tut sie dies doch, steht den betroffenen Selbstverwaltungsträgern mit der Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG ein Rechtsmittel zur Verfügung, um die Aufsichts­behörden zur Erteilung der Satzungsgenehmigung gerichtlich verpflichten zu lassen.143 Nicht nur im Hinblick auf den Prüfungsumfang stößt der Genehmigungsvorbehalt für Satzungen schnell an Grenzen. Ohne gesetzlich verankerte weitere Kontrollbefugnisse haben die Aufsichtsbehörden keine Handhabe, nachträglich rechtswidrige Satzungen der Selbstverwaltungsträger anzugreifen. Denn die Satzungsgenehmigung umfasst als „letzter Akt“ des Normsetzungsprozesses in zeitlicher Hinsicht nur den Zeitpunkt der Genehmigung. Sie erreicht zwar im Verhältnis zu den Selbstverwaltungsträgern die Qualität eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 SGB X144, ihr Regelungsgehalt erschöpft sich aber in der deklaratorischen Feststellung der rechtlichen Unbedenklichkeit der Satzung zum Zeitpunkt der Prüfung.145 Daher bleiben einige Mittel des (Sozial-)Verwaltungsverfahrensrechts fruchtlos. Etwa können die Aufsichtsbehörden nicht durch Rücknahme oder Widerruf nach den §§ 44 ff. SGB X die Wirksamkeit der Satzung durch einseitigen Akt nachträglich beseitigen.146 Umgekehrt lässt sich kein Vertrauensschutz auf Grundlage einer einmal erteilten Satzungsgenehmigung begründen.147 Es bedarf deshalb eines ausdrücklichen Regelungsrahmens auf gesetzlicher Ebene, sollen die Satzungen der Selbstverwaltungsträger im Nachgang der Genehmigung beanstandet werden können. §§ 78a Abs. 1, 217g Abs. 1 SGB V erfüllen deshalb eine wichtige Funktion aufsichtsrechtlicher Kontrolle über die exekutive Normsetzung der Spitzenorganisationen. Auch in der kooperativ geführten Staatsaufsicht muss die aufsichtsbehördliche Befugnis zur Satzungskontrolle regelmäßig stattfinden können, denn sie ist der Ausgleich, das Korrelat, für die Freiheit der Selbstverwaltungsträger zur eigenverantwortlichen untergesetzlichen Normset-

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BSGE 89, 227 (230 f.); M. Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, § 7 Rn. 30. 141 Vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 9. 12. 1997 – 1 RR 3/94, juris Rn. 14. 142 U. Knispel, juris Praxisreport Sozialrecht 2017, Anm. 2. 143 BSGE 29, 21 (24); 55, 268 (269); 61, 235 (236); 68, 47 (48); 69, 72 (73); 76, 93 (93 f.); 117, 236 (237 Rn. 8). 144 BSGE 109, 230 (231 Rn. 10). 145 Zur Einordnung als deklaratorischer Verwaltungsakt F. E.  Schnapp, DVBl. 1989, 549 (551 f.). 146 Siehe dazu BSG, NZS 1997, 140 (141). 147 BSGE 89, 227 (230 f.). Vgl. dazu auch BSG, NZS 1997, 140 (141) in Bezug auf die nachträgliche Beanstandung einer Vorschrift der Dienstordnung eines landwirtschaftlichen Unfallversicherungsträger, die qualitativ dem Satzungsrecht gleichstehen soll.

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zung148. In der Verantwortung eines Gesetzgebers, der dieses Korrelat erkennt und bewahren will, liegt es, entsprechende Ermächtigungen zur Satzungsbeanstandung bereitzuhalten.149 Abgesichert ist diese weitreichende nachträgliche Prüfungs- und Beanstandungsbefugnis durch den Prüfungsumfang: Wenn der Genehmigungsvorbehalt nur zur Prüfung nach Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit berechtigt, kann die nachträgliche Kontrolle des Satzungsrechts nicht weiter reichen, sondern bleibt auf die Prüfung und Beanstandung von Rechtsverletzungen beschränkt.150 Die Sicherung der Rechtmäßigkeit des untergesetzlichen Normengefüges über die kontinuierliche Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden151 steht daher dem Gedanken der Selbstverwaltung nicht entgegen. 2. Erweiterungen dieses Aufsichtsinstruments Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die neu gefassten Bestimmungen über die alte Kodifizierung des nachträglichen Beanstandungsrechts erheblich hinausgehen. So ist das nachträgliche Beanstandungsrecht für Satzungen durch die §§ 78a Abs. 3, 217g Abs. 3 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.152 auch auf nicht näher bestimmte Beschlüsse ausgeweitet worden. Entsprechend der nachträglichen Satzungsbeanstandung sehen die §§ 78a Abs. 3 Satz 1, 217g Abs. 3 Satz 1 SGB V vor, die Aufsichtsbehörde zu ermächtigen, die Aufhebung rechtswidriger Beschlüsse anzuordnen und hierzu eine bestimmte Frist zu setzen. Kommt der Selbstverwaltungsträger dieser Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde im Wege der Ersatzvornahme nach den §§ 78a Abs. 3 Satz 4, 217g Abs. 3 Satz 4 SGB V die Anordnung selbst vornehmen. Ab dem Zugang der Anordnung dürfen gemäß den §§ 78a Abs. 3 Satz 2, 217g Abs. 3 Satz 2 SGB V gerügte Beschlüsse nicht vollzogen werden; etwaige auf Grundlage der Beschlüsse getroffene Maßnahmen müssen auf Verlangen der Aufsichtsbehörde gemäß den §§ 78a Abs. 3 Satz 2, 217g 148 Begrenzt auf den Genehmigungsvorbehalt für Satzungen M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 13. Sinngemäß müssen die Ausführungen auch für die ex-post-Kontrolle des Satzungsrechts gelten. 149 Gleichwohl sollte man nicht soweit gehen, dem Gesetzgeber eine (ethische) Verantwortung dafür aufzubürden, eigenständig überprüfen zu müssen, ob die (Selbst-)Verwaltung, soweit sie normsetzend tätig wird, die rechtlichen Grenzen der an sie gerichteten Ermächtigung eingehalten hat. Gerade dies ist Aufgabe der Staatsaufsicht sowie der Gerichtsbarkeit. Anders aber C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2082 f.). 150 BSGE 89, 227 (230 f.); 121, 179 (182 Rn. 16). BSG, Urteil vom 7. 11. 2000 – B 1 A 4/99 R, juris Rn. 13 weist darauf hin, dass sich die Begrenzung der Satzungsbeanstandung auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung zwar nicht de iure aus dem Wortlaut ergibt. Es werde aber aus der Begründung des Gesundheits-Reformgesetzes deutlich, dass die Satzungsbeanstandung wie nach altem Recht der RVO fortgeführt werden sollte; vgl. den Verweis auf BT-Drucksache 11/2237, S. 218. Vgl. auch Hessisches LSG, NZS 2014, 585 (586). Offen gelassen dagegen SchleswigHolsteinisches LSG, Beschluss vom 7. 12. 2016 – L 5 KR 151/16 KL ER, juris Rn. 12. 151 Vgl. zu der Zielrichtung des Genehmigungsvorbehalts und zur nachträglichen Beanstandung von Satzungen auch die Ausführungen bei BSGE 89, 227 (230 f.). 152 Vormals § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V.

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Abs. 3 Satz 2 SGB V rückgängig gemacht werden. Klagen gegen diese Aufsichtsanordnungen haben nach den §§ 78a Abs. 4 Satz 2, 217g Abs. 4 Satz 2 SGB V keine aufschiebende Wirkung. 3. Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint diese Novellierung unproblematisch, zumal Rechtsverstöße der Selbstverwaltung bereits über die allgemeinen Aufsichtsmittel nach den § 89 SGB IV i. V. m. §§ 78 Abs. 3 Satz 2, 217d Abs. 2 Satz 2 SGB V und § 281 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F.153 kontrolliert und im Zweifel geahndet werden können. Der entscheidende Unterschied liegt in der zeitlichen Abfolge des aufsichtsbehördlichen Einschreitens. Während die Aufsichtsmittel nach § 89 SGB IV eine normativ angelegte Abstufung in Orientierung an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erkennen lassen, eröffnen die §§ 78a Abs. 3, 217g Abs. 3 SGB V den Aufsichtsbehörden sofort die Möglichkeit, einschreitend tätig zu werden. Mit der Vorstellung einer kontinuierlichen und kooperativ ausgeführten Staatsaufsicht sind derartige Ermächtigungen kaum in Einklang zu bringen. Das gilt umso mehr als die §§ 78a Abs. 3, 217g Abs. 3 SGB V sämtliche Beschlüsse der Selbstverwaltungsträger einschließen und somit auch den unmittelbaren Zugriff auf Rechtsverstöße erlauben, die sich bereits durch aufsichtsbehördliche Beratungen beseitigen ließen. Keinesfalls sollte in Abrede gestellt sein, dass auch in der modernen Staatsaufsicht effiziente Durchgriffsrechte erforderlich sind, weil kooperative Maßnahmen an Grenzen stoßen können.154 Die Gleichgewichtslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und (kooperativ ausgeführter) Staatsaufsicht gerät allerdings schnell ins Wanken, wenn den Aufsichtsbehörden jeglicher Anreiz zu maßvoller Aufsichtsführung genommen wird. Mit dem Leitgedanken einer kooperativen, maßvollen Aufsicht sollte, will man an der gegenwärtigen Organisation festhalten, nicht leichtfertig gebrochen werden. Gerade das geschieht aber bei solch offenen und weitreichenden Ermächtigungen. Allerdings bleibt die nachträgliche Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen auf jene Regelwerke beschränkt, die rechtswidrig sind. Es sollte nicht übersehen werden, dass für die materielle Richtigkeit auch der untergesetzlichen Regularien die Interessen aller von der Selbstverwaltung Betroffenen streiten; weil im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in vielfältiger Weise Grundrechte betroffen sind155, hat die materielle Richtigkeit der rechtlichen Grundlagen auch verfassungsrechtliche Relevanz. Die betroffenen Rechtsgüter sind den Kernelementen der Selbstverwaltung entgegenzuhalten und beim Ausbalancieren der 153

Vormals § 282 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Umgekehrt heißt das aber noch nicht, dass die kooperativ geführte Staatsaufsicht keinerlei Durchgriffskraft hätte. Dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 459. 155 Im Überblick dazu statt vieler H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 51 ff. 154

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Aufsicht zu berücksichtigen. Trotz des recht intensiven Durchgriffs der Aufsichts­ behörden auf die Selbstverwaltung wiegt die nachträgliche Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen deutlich weniger schwer als die intensive Erweiterung der Fremdvornahme durch die Bestellung eines Beauftragten und die Entsendung einer Person. Im Grunde ist die nachträgliche Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen sogar als mildere Maßnahme gegenüber der Fremdvornahme zu werten, die dann in Betracht kommt, wenn die Selbstverwaltung der Korrekturanordnung nicht Folge leistet. Insgesamt wird das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht trotz der intensiven Eingriffsbefugnisse durch die Novellierung nicht aus der Balance gehoben.

III. Haushaltskontrolle und Zwangsetatisierung Das Haushaltswesen der Selbstverwaltungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung hat insoweit eine besondere Bedeutung, als in diesem Bereich noch eine weitgehende Gestaltungsfreiheit der Selbstverwaltungsträger herrscht. In der von Sparsamkeit und kostenoptimaler Versorgung geleiteten Gesundheitspolitik156 stehen viele Entscheidungen unter dem Vorbehalt ihrer Wirtschaftlichkeit.157 Deutlich wird dies etwa an dem grundlegenden Wirtschaftlichkeitsgebot für die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 12 Abs. 1 SGB V, wonach ausdrücklich anordnet ist, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben. Der Leitgedanke wirtschaftlicher Gesundheitsversorgung spiegelt sich auch in den allgemeinen haushaltsrechtlichen Vorgaben für die Versicherungsträger in den §§ 67 ff. SGB IV wider. Insbesondere haben die Versicherungsträger bei der Aufstellung und Ausführung ihrer Haushaltspläne nach § 69 Abs. 2 SGB IV sicherzustellen, dass sie ihre Aufgaben nach den Grundsätzen

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Die zunehmende Bedeutung ökonomischer Aspekte in der gesetzlichen Krankenversicherung lässt sich anhand der gesundheitspolitischen Entwicklungen nachweisen. In zahlreichen Gesetzgebungsakten wird deutlich, dass Ziel der deutschen Gesundheitspolitik der letzten dreißig bis vierzig Jahre eine Kostenminimierung zum einen und eine stärkere Selektion und Allokation von Leistungen zum anderen zum Ziel hat. Zum Drang der Kostendämpfung auf der Beitragsseite siehe H. Sodan, NJW 2003, 1761 (1761); ders., in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 5. Aufl. 2019, Kapitel 1 Rn. 2; vgl. auch M. Gaßner, NZS 2011, 521 (523); zur Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen und der Rationalisierung von Gesundheitsleistungen als Folge hieraus referiert T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (156), zur konjunkturunabhängigen Knappheit als Auslöser von Umsetzungsproblemen des Sozialstaatsprinzips bereits ders., Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 196. 157 Vgl. bereits F. J. Oldiges, Sozialer Fortschritt 1994, 153 (154 f.). Die zunehmende Bedeutung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz zeigen ferner verschiedene Optimierungsprozesse innerhalb der Strukturen der Sozialversicherung. Zum sogenannten Benchmarking als neue, faktengestützte Vergleichsmethode mit dem Ziel der Prozessoptimierung T. Brandt, in: ­K reikebohm (Hrsg.), SGB IV, 3. Aufl. 2018, § 69 Rn. 28. Krit. auch, bezogen auf die Entscheidungsfähigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses K. Loer, KrV 2017, 227 (229).

A. Externe Kontrollmechanismen  

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der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllen können. Die Versicherungsträger haben also in ihrer Haushaltsführung den Aspekt der Wirtschaftlichkeit zwingend zu berücksichtigen. Für die wirtschaftliche Verwendung der Haushaltsmittel kann es keine schematische Anleitung geben. Denn wirtschaftlich sinnvoll ist nicht von vornherein immer die preisgünstigste Option; vielmehr ist die ökonomische Sinnhaftigkeit anhand verschiedener Faktoren zu ermitteln, die im gegebenen Kontext miteinander abgewogen werden müssen. In manchen Fällen lässt sich der wirtschaftliche Sinn einer Maßnahme im Vorhinein schlicht nicht beurteilen.158 Friedrich E. Schnapp und Marcus Kreuz formulieren dazu treffend, dass Sparsamkeit nicht nach „Kosten­optimierung ohne Rücksicht auf die Erreichung eines Ziels, sondern nach Kostenmini­mierung auf dem Weg zur Zielerreichung“ verlangt.159 Die Rechtsprechung spricht den Selbstverwaltungsträgern deshalb in der für das Selbstverwaltungsprinzip elementar wichtigen Haushaltsführung relativ weite Freiheiten zu. Sie erkennt etwa einen Beurteilungsspielraum160 der Selbstverwaltungsträger dahingehend an, zu entscheiden, welche Aufwendungen nach § 69 Abs. 2 SGB IV den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit genügen.161 Diesen Begriffen wohne ein prognostisches Element inne, was die Annahme einer „Einschätzungsprärogative“ rechtfertige.162 Hinzu kommt, dass im Bereich der Haushalts- und Personalführung ein Kernbereich der Selbstverwaltungsautonomie betroffen ist163, was nach Auffassung des Bundessozialgerichts die Annahme eines Beurteilungsspielraums164 zur Ausfüllung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe noch unterstreicht.165 Die Beantwortung der Tatbestandsfrage, was im Rahmen 158

Beispielhaft zur Fusion von Krankenkassen H.-D. Steinmeyer, NZS 2013, 361 (363). F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (388). 160 Die Rechtsprechung scheint nicht immer die Begriffe „Beurteilungsspielraum“ und „Einschätzungsprärogative“ klar zu unterscheiden. Vgl. BSGE 55, 277 (280); 71, 108 (109); BSG, Urteil vom 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 16. Siehe auch F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (395). Von einer „Einschätzungsprärogative“ in Bezug auf die Finanzhoheit der Selbstverwaltungsträger spricht auch M. Heintzen, VSSR 2000, 149 (152). 161 BSGE 67, 85 (88 f.); 71, 108 (109). BSG, Urteil vom 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 16. 162 BSG, Urteil vom 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 21. 3. 2018 – B 6 KA 59/17 R, juris Rn. 37; vgl. auch BSGE 55, 277 (280). 163 F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (395). 164 Vorsicht ist allerdings bei der Benennung dieses Spielraums geboten. Soweit es um administratives Handeln geht, sollte in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Dogmatik von einem Beurteilungsspielraum zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe gesprochen werden. Geht es dagegen um Freiräume bei der untergesetzlichen Normsetzung, passt die Bezeichnung Einschätzungsprärogative. Zu dieser Kritik auch P. Axer, GesR 2013, 211 (215 f.). Soweit Friedrich E. Schnapp und Marcus Kreutz ausführen, der Beurteilungsspielraum der Selbstverwaltungsträger könne von Fall zu Fall in eine Einschätzungsprärogative umschlagen, meinen sie offensichtlich, dass die Konkretisierung von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit weitreichende sozialpolitische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die der administrativen und gerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich sind. Dazu F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (395). 165 BSGE 55, 277 (280); 71, 108 (109 f.). 159

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der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans wirtschaftlich ist, ist mithin die Angelegenheit der Selbstverwaltungsträger, während die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung von „Grenzüberschreitungen“166 – oder in der Terminologie des allgemeinen Verwaltungsrechts: von Beurteilungsfehlern167 – reduziert ist. Ferner trifft die Versicherungsträger in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nach § 70 Abs. 5 Satz 1 SGB IV die Pflicht, der Aufsichtsbehörde den Haushaltsplan auf Verlangen vorzulegen, die ihn nach Maßgabe von § 70 Abs. 5 Satz 4 SGB IV beanstanden kann, sofern er rechtswidrig ist, insbesondere aber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers zur Erfüllung seiner Aufgaben gefährdet wird. Der Beurteilungsspielraum der Selbstverwaltungsträger steht auch durch das Beanstandungsrecht nicht zur Disposition der Aufsichtsbehörden, weil die Gefährdung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit regelmäßig nicht zur Beanstandung ausreicht, wenn der Haushaltsplan nicht rechtswidrig ist.168 Im Rahmen des Grundsatzes der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht169 hat die Exekutive die von der Rechtsprechung zugewiesenen Beurteilungsspielräume zu berücksichtigen170, sodass an dieser Stelle die exekutive Kontrolle ebenfalls auf die Überprüfung beschränkt bleiben muss, ob die Grenzen des rechtlich Möglichen überschritten sind.171 Eine auf Dauer instabile wirtschaftliche Situation kann die Aufsichtsbehörden aber unter den Voraussetzungen der §§ 146a a. F., 153, 163, 170 SGB V ermächtigen, Krankenkassen zu schließen.172 Für die Regionalträger der gesetzlichen Rentenversicherung besteht sogar das Recht, die Beanstandung durch eigene Feststellung des Haushaltsplans im Wege der Ersatzvornahme, im hiesigen Kontext als Zwangsetatisierung nach § 70 Abs. 3 Satz 4 SGB IV173 vorzunehmen.

166

Vgl. nur BSGE 71, 108 (110); 86, 203 (206 f.). Allgemein zur gerichtlichen Kontrolle von Beurteilungsspielräumen der Verwaltung H. Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 68 Rn. 4 ff. 168 So auch G.  Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Kommentar, Loseblatt, § 70 SGB IV Rn. 12 (Stand der Kommentierung: Dezember 2015). 169 Zu dessen inhaltlicher Reichweite ausführlich oben S. 165 ff. 170 Siehe nur BSGE 55, 277 (280). 171 Zum strengeren Maßstab der „Grenzüberschreitung“ im Sozialrecht siehe F. E. Schnapp /  M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (406). 172 Die Ermächtigungen zur Schließung von Krankenkassen in den Vorschriften des Organisationsrechts erfassen die Orts- (§ 170 SGB V), Betriebs- (§ 163 SGB V), Innungs- (§ 153 SGB V) und Ersatzkassen (§ 146a SGB V). Eine Ausnahme bildet die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), deren Verfassung sich gem. § 166 SGB V nach dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) richtet, das eine ausdrückliche Regelung zur Schließung der SVLFG nicht enthält. 173 Diese Zwangsetatisierung erfolgt in der Rechtsnatur eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 SGB X. Sie ist somit mit den üblichen Rechtsmitteln und insbesondere mit der Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG anzugreifen. Dazu BSGE 67, 78 (80). Vgl. hierzu auch BSGE 56, 45 (48). 167

A. Externe Kontrollmechanismen  

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1. Anpassungen der Haushaltskontrolle der Spitzenorganisationen Angesichts der relativ weiten Freiräume der Selbstverwaltungsträger bei der Haushaltsführung überrascht es doch, dass die Anpassungen in diesem Bereich, anders als bei der Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane, nicht auf ein Anziehen der Stellschrauben174 gerichtet sind, sondern im Gegenteil kaum überschießenden Gehalt aufweisen. Sie orientieren sich weitgehend an Bestehendem; teils finden nur redaktionelle Änderungen, teils aber auch Erweiterungen statt. Bei Betrachtung der erheblichen Änderungen der haushaltsrechtlichen Grundlagen fällt insgesamt auf, dass offenbar das Bestreben bestand, die finanzielle Flexibilität der Spitzenorganisationen im Gesamten einzuengen und an das Niveau der Versicherungsträger anzupassen. Bislang erschöpften sich die haushaltsrechtlichen Grundzüge auf formellgesetzlicher Ebene nämlich in punktuellen Verweisen auf die allgemeinen Vorschriften zur Haushaltsführung. Neue Transfernormen zu den allgemeinen Vorgaben zur Haushalts- und Vermögensverwaltung enthalten die §§ 78 Abs. 5 Satz 2, 91a Abs. 1 Sätze 1 und 3, 217d Abs. 2 Satz 3 SGB V und § 281 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F.175. Verweise sind – von § 217d Abs. 2 Satz 3 SGB V n. F. abgesehen176 – zunächst zu den §§ 67 bis 70 SGB IV enthalten, die die Aufstellung eines Haushaltsplans anordnen und dessen Wirkungen im Innenverhältnis der Organisationen festlegen; für die Vermögensverwaltung werden die §§ 80 bis 83 und 85 SGB IV in Bezug genommen. Sofort fällt in den Blick, dass die Haushaltskontrolle beim Gemeinsamen Bundesausschuss von den übrigen Spitzenorganisationen abweicht. Dort fehlt nämlich der, im Referentenentwurf noch vorgesehene177, ausdrückliche Verweis zu § 70 Abs. 5 SGB IV. Was auf den ersten Blick kaum relevant erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als signifikanter Unterschied. Denn § 70 Abs. 5 Satz 4 SGB IV ermächtigt die Aufsichtsbehörde zur Beanstandung rechtswidriger Haushaltspläne. Die Argumentation des Gesetzgebers, aufgrund „der unterschiedlichen Organisationsstruktur und des bewährten Verfahrens“ bedürfe es keiner „förmlichen“ Vorlagepflicht des Haushaltsplans (und implizit, aber nicht ausdrücklich genannt, eines Beanstandungsrechts der Aufsichtsbehörde)178, kann nicht überzeugen. Weshalb – systematisch inkonsequent – die abweichende Organisationsstruktur eine

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Entsprechend etwa der Forderung von H.-D. Steinmeyer, NZS 2008, 393 (399). Vormals § 282 Abs. 3 Satz 1 SGB V. 176 Für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist die Verweisung zu den Vorschriften der Haushaltsführung mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) vom 22. 3. 2020 (BGBl. I, S. 604) aufgegeben worden, um in § 217d Abs. 4 SGB V n. F. eine speziellere Regelung zu schaffen (siehe hierzu BT-Drucksache 19/15662, S. 85. 177 Zum ursprünglichen Wortlaut des § 91a SGB V (RefE) siehe die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba. de/downloads/17-98-4257/2016-10-14-PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKVSVSG-Selbstverwaltungsstaerkungsgesetz.pdf, S. 8, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 178 BT-Drucksache 18/10605, S. 34. 175

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andere Behandlung der, hiervon unabhängigen, Haushaltsführung rechtfertigt und auf einen Verweis zu § 70 Abs. 5 SGB IV zu verzichten war, erschließt sich aus den Ausführungen des Gesetzgebers nicht. Aufmerksamkeit erweckt auch der zunächst unscheinbare Verweis auf § 220 Abs. 1 Satz 2 SGB V in den §§ 78 Abs. 5 Satz 2, 217d Abs. 2 Satz 3 SGB V und § 281 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F.179, der bewirkt, dass die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Medizinische Dienst zur Erfüllung ihrer Aufgaben keine Darlehen aufnehmen können. Hier offenbart sich plakativ die Lehre, die aus den Finanzgeschäften der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gezogen wurde. Im Übrigen ergeben sich für alle Spitzenorganisationen Einschränkungen bei der Bildung von Rücklagen. Die §§ 78 Abs. 5 Sätze 4 und 5, 217d Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB V und § 281 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F.180 bestimmen, dass Rücklagen nur in angemessenem Umfang zulässig sind und darüber hinaus reichende finanzielle Überschüsse durch Beitrags- oder, im Falle des Gemeinsamen Bundesausschusses, Zuschlagssenkungen an diejenigen zurückzuleiten sind, die mit ihrem Beitragsaufkommen die Finanzierung der jeweiligen Institution sicherstellen. Für den Gemeinsamen Bundesausschuss ist zudem seit dem MDK-Reformgesetz181 das Budget für Betriebsmittel nach § 91a Abs. 1 Satz 8 SGB V n. F. fest gedeckelt.

2. Unmittelbarer aufsichtsrechtlicher Zugriff auf die Arbeitsgemeinschaften Finanzielle Auswirkungen auf die Spitzenorganisationen haben ferner die Beteiligungsgesellschaften, die im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle spielen. Besonders die sogenannten Arbeitsgemeinschaften im Sinne des § 94 SGB X gewinnen in der Praxis zunehmend an Bedeutung; ein Indiz hierfür ist die stark gestiegene Zahl errichteter Arbeitsgemeinschaften.182 Wachsende Bedeutung der Beteiligungsgesellschaften lässt zugleich Stimmen nach mehr aufsichtsrechtlicher Kontrolle erstarken.183 Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ist ein bereits in der Literatur gerügter Missstand184 behoben worden. § 77b Abs. 3 SGB V und § 219 Abs. 4 SGB V in der Fassung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes erklärten erstmals § 89 SGB IV ausdrücklich auch auf die Arbeitsgemeinschaften im Sinne des § 94 SGB X

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Vormals § 282 Abs. 3 SGB V. Vormals § 282 Abs. 3 SGB V. 181 Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14. 12. 2019, BGBl. I, S. 2789. 182 Siehe hierzu ausführlich M. Sichert, NZS 2013, 129 (130). 183 M. Sichert, NZS 2013, 129 (137). 184 M. Sichert, NZS 2013, 129 (137). 180

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anwendbar185, an denen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beteiligt sind. Eine entsprechende Verweisung hatte die allgemeine Normierung der Arbeitsgemeinschaften in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB X bislang nicht vorgesehen.186 Die fehlende Verweisung in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB X auf die Aufsichtsmittel nach § 89 SGB IV führte dazu, dass im Rahmen der Rechtsaufsicht lediglich Prüfungen durch die Aufsichtsbehörde durchgeführt werden können; nicht möglich waren dagegen die direkte Beratung, Verpflichtung und schließlich Durchsetzung aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen. So konnten die Aufsichtsbehörden die in § 89 SGB IV genannten Befugnisse nur gegenüber den die Arbeitsgemeinschaft tragenden Organisationen zur Anwendung bringen.187 Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Arbeitsgemeinschaften war dieser Zustand kaum mehr tragbar, weil er für die kooperativ geführte Aufsicht auch über die heute wichtigen Arbeitsgemeinschaften einen Hemmschuh bedeutet hat. Arbeitsgemeinschaften sind organisatorisch selbstständige Einheiten, bei denen es um eine tatsächliche, rechtlich und finanziell verbindliche Zusammenarbeit geht.188 Ungeachtet ihrer organisatorischen Verselbstständigung gegenüber den Selbstverwaltungsträgern bleiben sie zwar meist nur Zweckgemeinschaften und werden nicht zur Erfüllung bestimmter Aufgaben im Sinne des § 88 Abs. 1 SGB X beauftragt, sondern erst und nur zur gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben gebildet189. Die Bildung von Arbeitsgemeinschaften bedeutet also meist kein „Outsourcing“ von Aufgaben.190 Gleichwohl kann es auch Bereiche geben, in denen den Arbeitsgemeinschaften sogar besonders bedeutsame Aufgaben zukommen. Markus Sichert zeigt diese Entwicklung plastisch an der ITSG191 auf: 185 Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah dagegen eine weiterreichende Formulierung vor, nach der für sämtliche Beteiligungsgesellschaften die §§ 88, 89 SGB IV für anwendbar erklärt werden sollten. Siehe dazu die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum Referentenentwurf, abrufbar unter: https://www. kbv.de/media/sp/2016-10-13_GKV-SVSG_RefE_KBV-Stellungnahme.pdf, S. 5, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021 sowie die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Referentenentwurf, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKVSVSG/GKV-SV_GKV-SVSG.pdf, S. 31, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 186 Siehe aber die Geltungsanordnung in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB X seit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. 6. 2020 (BGBl. I, S. 1248). 187 Vgl. hierzu auch K. Engelmann, in: Schütze (Hrsg.), SGB X, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 94 Rn. 20. 188 Siehe die Definition in der Begründung des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes, BRDrucksache 676/04, S. 65. 189 K. Engelmann, in: Schütze (Hrsg.), SGB X, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 94 Rn. 6. 190 M. Sichert, NZS 2013, 129 (133 f.). Hierzu steht in gewissem Widerspruch, dass § 197b Satz 1 SGB V explizit die Beauftragung von Arbeitsgemeinschaften zulässt. Ausführlich dazu ebd. S. 134. 191 Die Informationstechnische Servicestelle der gesetzlichen Krankenversicherung GmbH (kurz: ITSG) entwickelt vor allem die Datenaustauschverfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung und stellt den Krankenkassen hierzu IT-technische Lösungen zur Verfügung.

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Als Arbeitsgemeinschaft konstituiert, wird man sie heute nicht mehr als bloße Zweckgemeinschaft, sondern als wichtigen Dienstleister für die Bereitstellung informationstechnischer Produkte verstehen müssen.192 Verantwortungsvollere Aufgaben und Tendenzen zu mehr Verselbstständigung verlangen ausgleichsweise nach stärkeren Kontrollmöglichkeiten. Dazu reichen Eingriffsrechte im Verhältnis der beteiligten Organisationen zu den Arbeitsgemeinschaften allein nicht aus.193 Die Geltungsanordnung des § 89 SGB IV stößt deshalb auf keine Bedenken. Im Gegenteil: Konsequent wäre es gewesen, die Geltungsanordnung von § 89 SGB IV nicht nur bereichsspezifisch, sondern sogleich – wie von Sichert bereits gefordert194 – universell durch Ergänzung des § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu regeln. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. Juni 2020195 hat der Gesetzgeber die Einzelverweisungen des Fachrechts aufgehoben und mit der generellen Geltungsanordnung des § 89 SGB IV in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB X den Vorschlag von Sichert umgesetzt. Hiermit ist ein direkter aufsichtsrechtlicher Zugriff auf die Arbeitsgemeinschaften gewonnen, der die Staatsaufsicht über die dort beteiligten Organisationen aber nicht übersteigt. 3. Stellungnahme Ganz offensichtlich stand die Ausweitung der Haushaltskontrolle nicht an oberster Stelle der Agenda. Denn die soeben dargestellten Novellierungen greifen nur punktuell in die Haushaltsführung der betroffenen Organisationen ein. Sie nehmen ihnen finanzielle Flexibilität, verschieben das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht aber nicht zulasten letzterer. Im Gegenteil: Das nunmehr auch auf die Arbeitsgemeinschaften anwendbare abgestufte Aufsichtsverfahren nach § 89 SGB IV verhilft zu einer effektiven, aber maßvollen und verhältnismäßigen Aufsichtsführung.

IV. Festsetzung eines Zwangsgeldes Anordnungen der Aufsichtsbehörden ergehen regelmäßig als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X.196 Ihre Durchsetzung erfolgt gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV mit „Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts“. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich ein dynamischer Verweis auf die jeweils anwendbaren Normen des Verwaltungsvollstreckungsrechts in der aktuell geltenden Fassung; für die bundes 192

M. Sichert, NZS 2013, 129 (131). Anders aber T. Breitkreuz, in: Diering / Timme / Stähler (Hrsg.), Sozialgesetzbuch X, 5. Aufl. 2019, § 94 Rn. 11. 194 M. Sichert, NZS 2013, 129 (137). 195 BGBl. I, S. 1248. 196 BSGE 61, 254 (257 f.); BSG Urteil vom 8. 10. 2019 – B 1 A 1/19 R, Rn. 15; LSG BerlinBrandenburg, Urteil vom 27. 9. 2018 – L 1 KR 318/17 KL, juris Rn. 55. 193

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unmittelbaren Versicherungsträger auf das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes, für die landesunmittelbaren Versicherungsträger auf die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder.197 1. Spezialermächtigung für die Spitzenorganisationen Über die allgemeinen Mittel der Verwaltungsvollstreckung hinaus sind mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz eigene Vorgaben für die Erhebung eines Zwangsgeldes in § 78 Abs. 4 SGB V für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, in § 91a Abs. 2 SGB V für den Gemeinsamen Bundesausschuss, in § 217d Abs. 3 SGB V für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und in § 217d Abs. 3 SGB V i. V. m. § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.198 für den Medizinischen Dienst Bund eingeführt worden. Übereinstimmend legen die Regelungen fest, dass zur Vollstreckung von Aufsichtsmaßnahmen ein Zwangsgeld von bis zu zehn Millionen Euro zugunsten des Gesundheitsfonds nach § 271 SGB V festgesetzt werden kann. 2. Stellungnahme zur Systematik und Höhe des Zwangsgeldes Im Ergebnis ist damit ein bekanntes repressives Instrument in spezifischer Weise für die Spitzenorganisationen modifiziert worden. In der Gesamtbetrachtung einer Reform, deren oberstes Ziel die Verschärfung der Aufsichtsstrukturen ist, ist dieses Vorgehen nur konsequent. Denn gerade dann, wenn die ersatzweise Durchführung untunlich ist, weil es etwa an einer unterlassenen vertretbaren Handlung fehlt, gewinnt das Zwangsgeld als Kontrollmittel an Bedeutung.199 Sowohl Notwendigkeit wie auch rechtliche Konformität des Zwangsgeldes als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung sind deshalb nicht ernsthaft streitig. Einzig der Höchstbetrag des festgesetzten Rahmens ist diskussionswürdig. Zur Verdeutlichung der Dimension der sozialrechtlichen Regelung bietet sich ein Blick auf die Ausgestaltung des Zwangsgeldes als verwaltungsrechtliches Zwangsmittel an. Die sozialrechtliche Regelung in § 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IV enthält einen Verweis in das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes. Im Sozialrecht greift also die Ausgestaltung des Zwangsgeldes, wie sie für Bundesbehörden in den Materien des besonderen Verwaltungsrechts gilt. Nach § 11 Abs. 3 VwVG beträgt das Zwangsgeld maximal 25.000 Euro. Ein Mindestbetrag ist indessen nicht festgesetzt. In den Bundesländern und damit bei den praktisch besonders bedeutsamen Regelungen des Zwangsgeldes bestehen jedoch erhebliche Unterschiede, wobei 197

G. Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 16 (Stand der Kommentierung: November 2008). 198 Vormals § 282 Abs. 4 SGB V. 199 Dazu auch F. Plate / L . Herbst, NZS 2016, 488 (491).

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allen Ländern gemein ist, dass der Rahmen des Zwangsgeldes stets von Kleinbeträgen bis zu einem mindestens fünfstelligen Betrag reichen kann. Das höchste Zwangsgeld zur Durchsetzung von Verwaltungshandeln wird in Sachsen-Anhalt erhoben, wo es nach § 56 Abs. 1 SOG LSA maximal 500.000 Euro beträgt. Das höchste verhängbare Zwangsgeld in einem Bundesland liegt mithin um das Zwanzigfache über dem Höchstbetrag des für Bundesbehörden geltenden Regelung. Die Verdeutlichung dieser Dimension führt zu der Überlegung, ob eine Erhöhung des Maximalrahmens um das Vierhundertfache über dem in § 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IV, § 11 Abs. 3 VwVG formulierten Höchstmaß von bis zu 25.000 Euro ein zur Effizienzsteigerung der Rechtsaufsicht angemessenes und damit im engeren Sinne verhältnismäßiges Mittel ist. Diese Frage lässt sich ohne näheren Einblick in die Haushaltslage der Selbstverwaltungsträger kaum beantworten. Bei bloßer Auswertung der Reaktionen stehen sich die Behauptungen des Gesetzgebers und einiger Autoren, die die bisherige maximale Höhe als ineffizient und praktisch wirkungslos erkennen200, auf der einen Seite sowie der Spitzenorganisationen selbst und weiterer Stimmen der Literatur, welche die Aufweitung des Rahmens als gesetzgeberische Drohgebärde201 bzw. als „existenzvernichtend“202 empfinden, auf der anderen Seite gegenüber. Eine Orientierung, in welchen finanziellen Dimensionen bei den Spitzenorganisationen operiert wird, geben aktuelle Zahlen: Der Gemeinsame Bundesausschuss verfügte im Jahr 2018 über Einnahmen in Höhe von 40. 705. 135,31 Euro, denen Ausgaben in Höhe von 34. 897. 979,36 Euro gegenüber standen.203 Um den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu unterhalten, leisteten dessen Mitgliedskassen im Jahr 2019 einen Gesamtverbandsbeitrag von 192. 298. 590,33  Euro.204 Absolute Zahlen tragen aber nur bedingt zum Verständnis bei, welche Durchschlagskraft dem Zwangsgeld als Aufsichtsmittel tatsächlich zukommt. Denn die Aufsichtsbehörden entscheiden gemäß den §§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 281 Abs. 3 Satz 3, 217d Abs. 3 SGB V nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie im konkreten Einzelfall ein Zwangsgeld verhängen und in welcher Höhe es angesetzt wird. Gerade weil das Opportunitätsprinzip greift und den Aufsichtsbehörden einen Spielraum bei der Rechtsfolgenbestimmung belässt, wird es im Falle rechtlicher Differenzen im Wesentlichen auf den konkreten Einzelfall ankommen. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung ist festzustellen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens 200 Vgl. BT-Drucksache 18/10605, S. 26. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch M. Gaßner, MedR 2017, 677 (683 f.). 201 In dieser Hinsicht äußern sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 8 sowie der Gemeinsame Bundesausschuss Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(6), S. 9. Zustimmend auch S. Rixen, KrV 2017, 138 (140). 202 Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 8. 203 Veröffentlichung der Ergebnisse der Jahresrechnung 2018 im elektronischen Bundesanzeiger, BAnz AT 29. 11. 2019 B6. 204 Veröffentlichung der Jahresrechnung 2019 des GKV-Spitzenverbandes nach § 305b SGB V, BAnz vom 27. 7. 2020.

A. Externe Kontrollmechanismen  

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eingehalten worden sind.205 Dabei taugt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch und gerade im konkreten Einzelfall als zuverlässiger Maßstab, ob die Verhängung des Zwangsgeldes in der jeweiligen Höhe geeignet, erforderlich und angemessen war. Will die Aufsichtsbehörde die maximale Höhe ausschöpfen, unterliegt sie zumindest einer an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten geknüpften Rechtfertigungslast.206 Schon vor diesem Hintergrund dürfte ein vollständiges Ausreizen des Maximalbetrages nur in gewichtigen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Im Übrigen hängt die jeweils angemessene Höhe des Zwangsgeldes von den Umständen des Einzelfalls ab, die in die Bewertung der Aufsichtsführung einzustellen sind. Aus den beträchtlichen Spielräumen bei der Normanwendung folgt schließlich auch die Verhältnismäßigkeit der Ermächtigungen in den §§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 217d Abs. 3 SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V207. Die sehr hoch gegriffenen Obergrenzen orientieren sich an kartellrechtlichen Vorschriften: Ausweislich der Begründung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes hat sich der Gesetzgeber an die Sanktion nach § 71 Abs. 6 Satz 5 SGB V bei Vertragsverletzung in der hausarztzentrierten (§ 73b SGB V) und besonderen Versorgung (§ 140a SGB V) angelehnt208, wobei die dort formulierte Obergrenze wiederum dem Zwangsgeld nach § 86a GWB adaptiert ist.209 Ob und inwieweit sich Wertungen des Wettbewerbs- und Kartellrechts in das Sozialwesen adaptieren lassen, mag für den Moment dahingestellt bleiben. Richtig ist jedenfalls, dass die Selbstverwaltungsträger regelmäßig hohe Mittelbestände verwalten und für die Versorgung einsetzen, sodass ein gewisser Entscheidungsspielraum zugunsten der Aufsichtsbehörden hilfreich sein kann, um die vorgesehene Sanktionswirkung zu erreichen, die – je nach Einzelfall – auch erst bei Zwangsgeldern jenseits der vorherigen Höchstgrenze von 25.000 Euro Wirkungen zeitigt. Der Einwand einer möglichen finanziellen Erdrosselung oder Existenzvernichtung der Selbstverwaltungsträger210 lässt sich durch das (politische) Interesse des Staates an einer funktionsfähigen Gesundheitsversorgung abwehren. Ob die Sanktionswirkung im Falle des Gemeinsamen Bundesausschusses überhaupt erreicht werden kann, ist allerdings fraglich, da diese Organisation nach § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB V im Wesentlichen aus Systemzuschlägen aus dem Gesundheitsfonds finanziert wird, zu dessen Gunsten die Zwangsgelder gerade erhoben werden.211 205

So auch F. Plate / L . Herbst, NZS 2016, 488 (491). Vgl. F. Plate / L . Herbst, NZS 2016, 488 (491); S. Rixen, KrV 2017, 138 (140). 207 Vormals § 282 Abs. 4 SGB V. 208 BT-Drucksache 18/10605, S. 26. 209 Ausführungen hierzu im Entwurf zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, BT-Drucksache 18/4095, S. 83. 210 Von einem „existenzvernichtenden“ Charakter spricht etwa die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung in ihrer Stellungnahme zum Regierungsentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 8. 211 Vgl. dazu auch die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Kabinettsentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(6), S. 9. 206

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

Im Ergebnis ist es also im Grunde nicht zu beanstanden, wenn Ermächtigungen zur Erhebung eines Zwangsgeldes in organisationsspezifische Ermächtigungsgrundlagen für die Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung transformiert werden, um den Handlungsspielraum der Aufsichtsbehörden vergrößern zu können. Den Aufsichtsbehörden wird so ein Korrektiv an die Hand gegeben, den Druck auf die besonders machtvollen Selbstverwaltungsträger im konkreten Einzelfall erhöhen zu können, wenn zu befürchten steht, dass ansonsten die Sanktionswirkung der Vollstreckungsmaßnahme verfehlt wird. Zugunsten der betroffenen Selbstverwaltungsträger wird die Festsetzung des Zwangsgeldes im Einzelfall über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Ermessensausübung der Aufsichtsbehörde abgesichert.

V. Gesamtbilanz der Untersuchung der externen Aufsichtsmittel In der Gesamtschau wird deutlich, dass die externen repressiven Aufsichtsmittel vor allem im Bereich der Fremdvornahme erheblich ausgebaut worden sind. Auf Bedenken stößt insbesondere das „Tandem“ aus der Bestellung eines Beauftragten und der Entsendung einer Person als niedrigschwelligere Alternative. Mit letzterem Instrument steht den Aufsichtsbehörden nunmehr die Möglichkeit offen, über die Beseitigung von Rechtsverletzungen hinaus Korrekturen der Entscheidungsfindung im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger vorzunehmen. Mit Akzeptanz der Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltung und einer maßvollen Aufsichtsführung hat eine solche Ermächtigung nichts gemein. Die Ermächtigungen zur Bestellung eines Beauftragten sind indessen nur systematisch und redaktionell verändert worden. Von Interesse ist ferner, dass der Gemeinsame Bundesauschuss von diesen weitreichenden Eingriffen vollständig verschont bleibt. Ergänzt wird die Verstärkung externer Eingriffsrechte der Aufsichtsbehörden durch die nachträgliche Korrektur von Satzungen, die zwar ebenfalls viel externe Steuerung möglich macht, allerdings in Ansehung des Interesses an materiell richtiger untergesetzlicher Normgebung und der geringeren Intensität im Vergleich zur Fremdvornahme die Balance zwischen Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht nicht nachteilig zu Lasten der Selbstverwaltung verschiebt. Interessant ist nur, dass auch hier der Gemeinsame Bundesausschuss von einer Inpflichtnahme verschont geblieben ist. Die Novellierungen der Haushaltskontrolle und des Zwangsgeldes als zu der Fremdvornahme alternative Durchsetzungsform verändern das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht indessen nur punktuell.

B. Interne Kontrollinstrumente  

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B. Interne Kontrollinstrumente Neben den tradierten Instrumenten der Staatsaufsicht ist im Besonderen auch die interne Kontrolle Gegenstand des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes. Auch hier hat es Anpassungen gegeben, die insbesondere den Informationsaustausch und die organisatorische Binnenstruktur der Spitzenorganisationen betreffen. Letztlich spiegelt dieser Ausbau der internen Kontrolle offenkundige Versäumnisse wider, die im Zuge des Immobilienskandals bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu Tage getreten sind. Versagt hat nämlich nicht nur die externe Kontrolle der Staatsaufsicht; auch die interne Kontrolle hat nicht dazu geführt, dass die Verwendung von Beitragsmitteln der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Gründung und finanziellen Deckung der APO KG gestoppt wurde.212 Die interne Kontrolle ist jedoch im Rahmen dieser Untersuchung zum Spannungsverhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gewissermaßen „fachfremd“; sie ist kein Mittel der Staatsaufsicht. Echte Aufsichtsmittel sind nämlich nur solche Maßnahmen, die von externen, zur Aufsichtsführung berufenen Behörden zur Beseitigung einer Rechtsverletzung veranlasst und durchgeführt werden. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sind dies etwa die in § 89 SGB IV normierten allgemeinen oder die besonderen Aufsichtsmittel aus dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch.213 Daneben bestehen heute anerkannte präventive Kontrollinstrumente, mit denen durch eine vorweggenommene externe Kontrolle der Aufsichtsbehörden Rechtsverstöße vermieden werden sollen. Hierunter fallen insbesondere Genehmigungs- und Anzeigepflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde als staatliche Mitwirkungsrechte.214 Interne Kontrolle berührt die Aufsichtsbehörden nicht, sie findet ausschließlich im Innenverhältnis der Einrichtungen statt. Sie ist deshalb kein Teil der Staatsaufsicht, sondern gehört zur Compliance im weiteren Sinne.215 Compliance mausert sich ohnehin immer mehr zu einer Art „vorbeugendem Risikomanagement“216, das Grundlage für eine interne Organisation zur Sicherstellung regelkonformen Verhaltens ist. Ihre Zielsetzung bleibt stets die Einhaltung der Regeltreue im Innenverhältnis, wenn auch Maßstab nicht bloß selbst gesetzte Konventionen sind.217 Interne Mechanismen, wie etwa Berichts- oder Informationspflichten im Innenverhältnis der Einrichtungen, aber auch Transparenzbestim 212

Ausführlicher zum Sachverhalt des „Immobilienskandals“ BT-Drucksache 18/7464, S. 1. F. Schneider et al., Schirmer / Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 530 S. 1 (Stand der Bearbeitung: Januar 2011). 214 E. Schmidt-Aßmann / H. C. Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap., Rn. 41, 46 ff.; T. I. Schmidt, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 697 ff.; F. Ruland, NZS 2011, 761 (762); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 23 Rn. 20a; K. Baier-Treu, in: Leisner (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Handwerksordnung, § 75 Rn. 7 (Stand der Kommentierung: Januar 2021). 215 Offenbar nimmt eine ähnliche Zuordnung auch M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680) vor. 216 Zu dieser Bezeichnung P. Dieners / U. Lembeck, in: Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3. Aufl. 2010, Rn. 9. 217 E. Kreßel, NZG 2018, 841 (841). 213

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

mungen fügen sich in diese Zielrichtung ein und verhelfen ihr zur Geltung. Denn die Regelkonformität darf insbesondere in größeren Organisationseinheiten nicht vorausgesetzt werden; es bedarf vielmehr steuernder Instrumente, um die Regeltreue im Innenverhältnis zu organisieren und sicherzustellen.218 Die interne Kontrolle gehört deshalb unweigerlich zu dieser Untersuchung dazu, auch wenn es sich im Grunde nicht um Staatsaufsicht handelt. Sie erfolgt regelmäßig präventiv, bietet Kontinuität und bei praxisnaher Betrachtung auch einen kooperativen Umgang. Kontinuität und Kooperation sind Schlüsselbegriffe einer modernen Staatsaufsicht219, die den Anspruch eines effektiven Kontroll- und Sicherungssystems verfolgt. Hierzu leistet die interne Kontrolle einen entscheidenden Beitrag.220 Es liegt deshalb nahe, die interne Kontrolle als effektives Mittel zur Gewährleistung der Regeltreue einzuordnen, das sicherlich in etlichen Fällen ein aufsichtsbehördliches Einschreiten entbehrlich macht. Die mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz neu implementierten internen Kontrollmechanismen sollen deshalb bei der Gesetzesanalyse in ebenso hohem Maße Beachtung finden.

I. Ausgleich der einrichtungsinternen Wissensbasis Effiziente, kontinuierliche und passgenaue Kontrolle setzt notwendig die umfassende Kenntnis über wesentliche Entscheidungen und sonstige Vorgänge im Innenverhältnis der beaufsichtigten Einrichtungen voraus. Die Selbstverwaltungsorgane, denen gesetzlich die Aufgabe zugewiesen ist, im Innenverhältnis den mit Administrativ- und Exekutivaufgaben betrauten hauptamtlichen Vorstand221 zu überwachen, benötigen hierfür eine tragfähige Wissens- und Informationsbasis222, die in der Praxis nicht selten fehlt. An diesem Punkt hat der Gesetzgeber interveniert und das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz mit etlichen Maßnahmen versehen, die Informationsdefizite beseitigen wollen. In vielen Fällen, soviel sei vorweggenommen, enthalten diese Mechanismen aber überschießende Tendenzen. Zur Stärkung der Selbstverwaltungsstrukturen ist es nur schlüssig, an der Sicherstellung einer ausreichenden Wissensbasis zur Überwachung des hauptamtlichen Vorstandes anzusetzen. Die Redewendung „Wissen ist Macht“ gilt nicht nur in der allgemeinen Lebenswirklichkeit, sondern auch und gerade dann, wenn verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden müssen. Überlegenes Wissen in zeitli 218

E. Kreßel, NZG 2018, 841 (841). Siehe nur W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 547. 220 Ähnlich jedenfalls K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1150), der formuliert, eine effektive Aufsichtsführung setze das Vertrauen der Beaufsichtigten voraus, das nur mit Kooperation und Loyalität zu erringen sei. Wie K. Scholz, KrV 2017, 232 (233) ausführt, scheint dies auch der Gesetzgeber erkannt zu haben. 221 G. Macht, NZS 1995, 405 (405). 222 Siehe hierzu J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (171). Selbstverständlich muss dieser Satz auch für die Aufsichtsführung gelten. Vgl. auch N. Hammes, MedR 2017, 611 (613). 219

B. Interne Kontrollinstrumente  

227

cher und sachlicher Hinsicht kann hierfür entscheidend sein. Wissen ist deshalb im staatlichen Gefüge die Basis rationaler Entscheidungen, die Steuerung, Lenkung und Gestaltung erst ermöglicht, weil rationales staatliches Handeln die Kenntnis sämtlicher relevanter Daten voraussetzt. Es ist ferner Grundlage passgenauer und präziser Gesetzgebung, die den Rahmen für Lenkungs- und Steuerungsentscheidungen setzt.223 Wie Josef Isensee für die gesamtstaatlichen Leitungs- und Lenkungsaufgaben feststellt, ist die Staatsgewalt ohne Wissen blind.224 Und die Staatsaufsicht kaum handlungsfähig. Was für den Staat und seine Verwaltungseinheiten gilt, trifft ebenso auf die Selbstverwaltung zu, denn strukturell ist die Selbstverwaltung insoweit der Staatsstruktur angeglichen, als es auch dort eine funktionsbezogene Kompetenzverteilung gibt.225 Im Selbstverwaltungsorgan werden Legislativaufgaben durch untergesetzliche Normsetzung wahrgenommen. Hier wird gestaltet, indem grundlegende Entscheidungen für den gesamten Selbstverwaltungsträger getroffen werden.226 Innerhalb der Binnenstruktur wirkt das Selbstverwaltungsorgan also wie eine Art „Parlament“.227 Der hauptamtliche Vorstand nimmt dagegen die Exekutivaufgaben wahr; er fungiert ähnlich wie eine parlamentarisch verantwortliche Regierung.228 Selbstverständlich sind die Selbstverwaltungsorgane zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf eine fundierte Wissensbasis angewiesen.229 Im Rahmen der internen Kontrolle kann die Generierung des notwendigen Wissens durch Transparenzbestimmungen überwacht werden. Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz sind Mechanismen geschaffen worden, die etwaige Wissenskluften überbrücken230 und dem Selbstverwaltungsorgan die notwendige Grundlage zur Steuerung und Gestaltung sichern sollen. 1. Berichtspflicht über bestehende und künftige Beteiligungsverhältnisse der Spitzenorganisationen Eine solide Wissensbasis ist umso bedeutsamer, je gewichtiger – zugespitzt formuliert: finanzrelevanter – die Tätigkeit des hauptamtlichen Vorstandes ist. Angesichts der Ereignisse bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung liegt der Ausbau 223

Dazu A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 77 f. Vgl. dazu die Ausführungen von J.  Isensee, AöR 140 (2015), 169 (171). Siehe auch P.  Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 137. 225 Vgl. E. Radek, NZS 1994, 6 (12). 226 Siehe etwa D. Krauskopf, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Kommentar, Loseblatt, § 79 SGB V Rn. 9 (Stand der Kommentierung: Januar 2005); G. Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Kommentar, Loseblatt, § 197 SGB V Rn. 3 (Stand der Kommentierung: Januar 2005). 227 G. Macht, NZS 1995, 405 (405). 228 G. Macht, NZS 1995, 405 (405). 229 Zugleich aber auch auf eine sachgerechte Wissensverarbeitung und -aufbereitung. Dazu N. B. Heyen / T. Reiß, Sozialer Fortschritt 2014, 267 (268). 230 Diese Zielsetzung verfolgt auch der Gesetzgeber. Siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 25. 224

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

der Berichts- und Informationspflichten in Bezug auf die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung von Einrichtungen, möglicherweise sogar sämtliche Angelegenheiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen als rechtspolitische Reaktion des Parlaments nahe. Eine Verfestigung der Kontrolle über jene Einrichtungen ist auch normativ angezeigt, gehört doch die Kontrolle der Unternehmen und sonstigen Organisationen, die von den Selbstverwaltungsträgern errichtet werden, nicht zum originären Bereich der Staatsaufsicht.231 Der Gesetzgeber hat zunächst eine Pflicht des Vorstandes zur Unterrichtung der Vertreterversammlung bzw. des Verwaltungsrates geschaffen, soweit „Einrichtungen“ errichtet, übernommen oder wesentlich erweitert werden. Die Einführung einer solchen Pflicht des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nach § 77b SGB V ist offenkundig eine Reaktion auf den Immobilienskandal bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Es habe sich anhand der „Aufsichtsführung auf Bundesebene gezeigt, dass es klarerer Vorgaben insbesondere im Hinblick auf die Transparenz und Kontrolle über die Beteiligungsgesellschaften bedarf“.232 Mit der schlichten Begründung, eine Errichtung oder Übernahme von Einrichtungen sei dort ebenso möglich wie bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen233, ist in § 219 SGB V eine synchrone Regelung auch für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen eingeführt worden. Über eine Transfernorm erfasst die Regelung auch den Medizinischen Dienst Bund (vgl. § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V n. F.234); für den Gemeinsamen Bundesausschuss gilt die Berichtspflicht nach § 219 Abs. 2 und 3 SGB V235 nach Maßgabe des § 91a Abs. 4 SGB V236 entsprechend. Der Gesetzgeber hat damit auf den internen Kontrollverlust der Selbstverwaltung reagiert, der durch eine Auslagerung von Aufgaben an rechtlich verselbstständigte Einheiten zwangsläufig einhergeht. a) Mögliche Beteiligungsverhältnisse Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung kennt verschiedene Formen, wie Versicherungsträger aber auch Trägerorganisationen der Leistungserbringer rechtlich verselbstständigte Einheiten errichten und sich an ihnen beteiligen können237, wovon die Versicherungsträger und ihre Verbände zunehmend Gebrauch machen. Praxisrelevant ist etwa die Beteiligung an privatrechtlichen Gesellschaften oder 231

J. Salzwedel, VVDStRL 22 (1963), 206 (211). BT-Drucksache 18/10605, S. 25 – ohne die Hervorhebung. 233 BT-Drucksache 18/10605, S. 37. 234 Vormals 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. 235 Ursprünglich erstreckte sich der Verweis auf § 219 Abs. 2 bis 4 SGB V. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 20. 6. 2020 (BGBl. I, S. 1248) ist § 219 Abs. 4 SGB V jedoch infolge der generellen Verweisung auf § 89 SGB IV in § 94a Abs. 2 Satz 1 SGB X überflüssig geworden und deshalb ersatzlos entfallen. 236 § 91a Abs. 5 SGB V (BRegE). 237 Vgl. dazu LSG Hamburg, Urteil vom 29. 11. 2012 – L 1 KR 156/11 KL, juris Rn. 59. 232

B. Interne Kontrollinstrumente  

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Vereinen.238 Die Hürden für gesetzliche Krankenkassen und ihre Verbände liegen dabei erheblich höher als für die Organisationen der Leistungserbringer, weil ihre Vermögens- und Mittelverwaltung strengen Restriktionen unterliegt. Bei der Anlage von Vermögensrücklagen sind die Sozialversicherungsträger nämlich an die Vorgaben des § 83 SGB IV gebunden, es sei denn, die Aufsichtsbehörde genehmigt nach § 86 SGB IV auch eine andere Anlageform. Trotzdem hat die Aufgabenauslagerung an privatrechtlich organisierte Dritte die klassischen Eigeneinrichtungen239 verdrängt. Oft ist es durch Rechtsformwechsel früherer Eigenbetriebe, Outsourcing und die Neugründung von Tochtergesellschaften bei den Versicherungsträgern zu Beteiligungen an Einrichtungen gekommen.240 Das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz) vom 21. März 2005241 hat hierzu sogar Anreize geschaffen: Seither unterliegt die Beteiligung der Versicherungsträger an Einrichtungen nicht mehr der Genehmigungspflicht nach § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, sondern nur noch der Anzeigepflicht nach § 85 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 SGB IV n. F.242.243 aa) Dienstleistungsgesellschaften nach § 77b SGB V Auch in der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung ist die Errichtung externer Einrichtungen zur Erbringung von Dienstleistungen etabliert.244 Seit dem 238

T. Brandt, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 3. Aufl. 2018, § 85 Rn. 16. Hierbei handelt es sich um Einrichtungen in Trägerschaft der Krankenkassen, die zur unmittelbaren Versorgung der Versicherten tätig werden. Ihrem Betrieb setzt § 140 Abs. 2 Satz 1 SGB V Grenzen, indem neue Eigeneinrichtungen nur errichtet werden können, „soweit [die Krankenkassen] die Durchführung ihrer Aufgaben bei der Gesundheitsvorsorge und der Rehabilitation auf andere Weise nicht sicherstellen können“. Die Vorschrift trägt der grundsätzlichen Aufgabenverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung, nach der für die unmittelbare Gesundheitsversorgung die externen Leistungserbringer zuständig sind. Dazu P. S. Fischinger / C . Werthmüller, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 140 SGB V Rn. 1 f. Eine Situation, die die Gründung einer Eigeneinrichtung zur Leistungserbringung erfordert, ist dank dieser engen Voraussetzung ein real kaum existierendes Szenario. So auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 193. 240 Dazu G.-F. Borrmann, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, § 85 Rn. 17 (Stand der Kommentierung: April 2021). 241 BGBl. I, S. 818. 242 Entspricht im Wesentlichen § 85 Abs. 1 Satz 2 SGB IV a. F., nachdem mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. 6. 2020 (BGBl. I, S. 1248) die Genehmigungs- und Anzeigepflicht redaktionell („im Interesse der besseren Lesbarkeit“) entflochten wurden. Die Anzeigepflicht ist zudem angereichert worden. Hierzu ausführlich BT-Drucksache 19/17586, S. 75. 243 Eine übersichtliche Zusammenfassung der Reformen von Genehmigungs- und Anzeigepflichten durch das Verwaltungsvereinfachungsgesetz bieten F. Schneider et al., Schirmer /  Kater / Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 620 S. 2 f. (Stand der Bearbeitung: August 2021). 244 Dies war bereits der Fall, bevor die Errichtung externer Einrichtungen durch die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen gesetzlich durch § 77a SGB V ausgeformt war. Dazu G. Steinhilper, in: Laufs / Kern / Rehborn (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 32 239

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007245 haben die Kassen(zahn-) ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen die Möglichkeit, sogenannte Dienstleistungsgesellschaften nach Maßgabe des § 77a SGB V zu errichten. Die Dienstleistungsgesellschaften, die regelmäßig in privatrechtlicher Rechtsform unterhalten werden246, erfüllen vorwiegend beratende und unterstützende Tätigkeiten für die Vertrags(zahn)ärzte.247 Allerdings beschränkt das Gesetz die Möglichkeit, Dienstleistungsgesellschaften zu errichten, präventiv auf die in § 77a Abs. 2 SGB V abschließend aufgezählten Aufgabenbereiche. § 77a Abs. 3 Satz 1 SGB V schreibt überdies vor, dass die Dienstleistungsgesellschaften nur gegen Kostenersatz tätig werden können; eine Finanzierung aus Mitteln der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen oder Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ist nach § 77a Abs. 3 Satz 2 SGB V ausgeschlossen. Praktisch bedeutet dies, dass die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nicht für die Deckung der laufenden Kosten ihrer Dienstleistungsgesellschaften aufkommen können; wohl aber für deren Gründung.248 bb) Arbeitsgemeinschaften nach § 94 SGB X Sowohl für die Versicherungsträger und ihre Verbände als auch für die Trägerorganisationen der Leistungserbringer liegt eine besonders praxisrelevante249 Form, privatrechtlich organisierte Gesellschaften250 zu bilden, in der Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften. Hierbei handelt es sich um organisatorisch selbständige Einheiten, bei denen es um eine tatsächliche, rechtlich und finanziell verbindliche Zusammenarbeit geht.251 Zunächst war die Errichtung von ArbeitsRn. 50; H.-D. Steinmeyer, in: Bergmann / Pauge / Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2018, § 77a SGB V Rn. 1. Über die Dienstleistungsgesellschaften hinaus bestehen heute zahlreiche Beteiligungen der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen an externen privatrechtlichen Einrichtungen. Im Überblick dazu K. Scholz, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 77 Rn. 9. 245 BGBl. I, S. 378. 246 Oft in Form der Gesellschaft mit begrenzter Haftung (GmbH), allerdings ist diese Rechtsform nicht zwingend. Die Rechtsformwahl wird allerdings durch § 77a Abs. 3 und die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit insoweit determiniert, dass die Haftung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen auf einen bestimmten Betrag begrenzt sein muss. Dazu K. Scholz, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 77a Rn. 4. 247 So jedenfalls die Ausführungen in der Begründung des GKV-Wettbewerbsstärkungs­ gesetzes, BT-Drucksache 16/3100, S. 117. 248 H.-D.  Steinmeyer, in: Bergmann / Pauge / Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2018, § 77a SGB V Rn. 6. 249 K. Engelmann, in: Schütze (Hrsg.), SGB X, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 94 Rn. 8. 250 Bei der Wahl einer privatrechtlichen Rechtsform sind die Beteiligten weitgehend frei; ob auch öffentlich-rechtliche Rechtsformen in Betracht kommen, ist allerdings fraglich. Dazu M. Sichert, NZS 2013, 129 (132). 251 Siehe die Definition in der Begründung des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes, BRDrucksache 676/04, S. 65.

B. Interne Kontrollinstrumente  

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gemeinschaften nach § 94 Abs. 1 SGB X a. F. und § 219 Abs. 1 SGB V a. F. den gesetzlichen Krankenkassen und deren Verbänden vorbehalten. Mit dem Verwaltungsvereinfachungsgesetz252 und der damit einhergehenden Schaffung des § 94 Abs. 1a SGB X sollte nach gesetzgeberischer Intention eine „bewährte Regelung“ auf sämtliche Bereiche der Sozialversicherung erstreckt werden, um einem „Bedürfnis der Praxis“ zu entsprechen.253 Die Folge ist eine Generalermächtigung254 zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften mit enormer Flexibilität, die nicht nur sämtliche Sozialversicherungsträger samt dem Verbandswesen einschließt, sondern etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung auch kassenart-übergreifende Arbeitsgemeinschaften möglich macht255. In der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung kommt die Arbeitsgemeinschaft dank der Verweisung in § 77 Abs. 6 Satz 1 SGB V zum Einsatz. Insgesamt sind also die Möglichkeiten, externe Einrichtungen zu errichten, sowohl auf Seiten der Versicherungsträger als auch der Leistungserbringer vielfältig. Der mit der Auslagerung bestimmter Aufgaben an Dienstleistungsgesellschaften, Arbeitsgemeinschaften und sonstige Einrichtungen einhergehende Kontrollverlust muss allerdings kompensiert werden. Mit relativ geringen Einbußen für die Exekutivorgane gelingt eine präventive Kontrolle über Berichts- und Informationspflichten. Die Selbstverwaltung hat dann die Chance, Entscheidungen der Exekutivorgane zu prüfen, bevor vollendete Tatsachen geschaffen werden, die sich kaum oder nur unter hohen (finanziellen) Anstrengungen revidieren lassen.256 b) Umfang der Berichtspflicht des hauptamtlichen Vorstandes Um eine Situation irreversibler Tatsachen von vornherein zu vermeiden, statuieren die §§ 77b Abs. 1 und 2, 219 Abs. 2 und 3 SGB V verschiedene Pflichten des hauptamtlichen Vorstandes zur Unterrichtung der Vertreterversammlung bzw. des Verwaltungsrates. So hat der hauptamtliche Vorstand das Selbstverwaltungsorgan nach den §§ 77b Abs. 1 Satz 1, 219 Abs. 2 Satz 1 SGB V über die künftige Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung von Einrichtungen im Sinne des § 85 Abs. 1 und 3b SGB IV n. F. sowie nach den §§ 77b Abs. 2, 219 Abs. 3 SGB V über bestehende Beteiligungsverhältnisse an solchen Einrichtungen zu unterrichten.

252

Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21. 3. 2005 (Verwaltungsvereinfachungsgesetz), BGBl. I, S. 818. 253 BT-Drucksache 15/4228, S. 32; BR-Drucksache 676/04, S. 65. 254 K.  Engelmann, in: Schütze (Hrsg.), SGB X, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 94 Rn. 7; S. Herbst, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB X Rn. 30 (Stand der Kommentierung: Dezember 2020). 255 BT-Drucksache 15/4228, S. 32. 256 Zu diesem Argument auch M. Kaltenborn, SGb 1999, 444 (447).

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aa) Erfasste Beteiligungsgesellschaften Trotz des Verweises auf § 85 Abs. 1 SGB IV leidet die gesetzliche Anordnung der Berichtspflicht an einer chronischen Unschärfe, weil § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB  IV a. F. selbst nicht abschließend festlegt, für welche Beteiligungsformen eine Anzeigepflicht besteht. Nach alter Rechtslage war zumindest von „gemeinnützigen Einrichtungen“ die Rede, sodass von diesem Merkmal ausgehend eine Bestimmung erfolgen konnte. In Orientierung am steuerrechtlichen Verständnis von Gemeinnützigkeit nach § 52 der Abgabenordnung (AO)257 war anzunehmen, dass die Einrichtung gemeinnützige Zwecke verfolgt, „wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichen Gebiet selbstlos zu fördern“.258 Heute wird man in Ermangelung einer tatbestandlichen Einschränkung den Begriff der Einrichtung weiter verstehen müssen, und zwar als eine Art Sammelbegriff für sämtliche Optionen, privatrechtlich organisiert tätig zu werden. Bei systematischer und teleologischer Betrachtung der Anzeige- und Berichtspflichten, die mit der Errichtung und der fortlaufenden Beteiligung an einer Einrichtung einhergehen, vermag dieses weite Begriffsverständnis zu überzeugen. Wie ­Markus Kaltenborn zutreffend verdeutlicht, führt die Beteiligung an Einrichtungen zu nicht unerheblichen finanziellen Dispositionen bei den Selbstverwaltungsträgern, mit denen im Regelfall Mittel längerfristig gebunden werden.259 Zwar ergeben sich bei den Sozialversicherungsträgern für die Mittelverwendung bereits aus den §§ 83, 86 SGB IV sowie aus § 25 der Sozialversicherungs-Haushaltswesenverordnung (SVHV)260 rechtliche Vorgaben. Es schadet deshalb nicht, eine gefestigte Informationsbasis der Selbstverwaltungsorgane sicherzustellen, um finanziell relevante Entscheidungen auf eine auch im Innenverhältnis tragfähige Legitimationsbasis zu stellen. Weil bei den Versicherungsträgern Beitragsmittel der Versicherten einfließen, lässt sich diese Forderung einer tragfähigen internen Legitimationsgrundlage auf einer breiten Basis aufrechterhalten. In der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung sollten diese Maßstäbe nicht niedriger angelegt werden, weil auch hier mit Mitteln gehaushaltet wird, die durch zwangsweise Inkorporation – im Falle der Vertrags(zahn)ärzte durch die Zulassung zur vertrags(zahn)ärzt­lichen

257

Der Norminhalt des § 52 AO wiederum geht auf die mittlerweile aufgehobene Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24. 12. 1953 (BGBl. I, S. 1592) zurück. Ausführlicher zur Normgenese H.-D. Steinmeyer, NZS 2017, 401 (404). 258 Dazu M. Kaltenborn, SGb 1999, 444 (447). 259 M. Kaltenborn, SGb 1999, 444 (447). Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass eingesetzte Mittel tatsächlich längerfristig nicht verfügbar sind, selbst wenn der Versicherungsträger Alleingesellschafter der privatrechtlich organisierten Einrichtung ist. Siehe ausführlich dazu H. B. Sehy, Die Dienstleistungsgesellschaft der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 77a SGB V), 2013, S. 126. 260 Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung vom 21. 12. 1977 (BGBl. I, S. 3147), zuletzt geändert durch Art. 13 Abs. 18 des Gesetzes vom 12. 4. 2012 (BGBl. I, S. 579).

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Versorgung  – gewonnen werden. Insoweit ist es konsequent, dass auch für die Dienstleistungsgesellschaften der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie die Arbeitsgemeinschaften, an denen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie der Medizinische Dienst Bund beteiligt sind, die Berichtspflicht nach den §§ 77b Abs. 3 SGB V n. F.261 und § 219 Abs. 5 SGB V gilt. Soweit die Dienstleistungsgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften dem Sammelbegriff der „Einrichtung“ unterfallen, hat diese Anordnung allerdings nur deklaratorischen Charakter. bb) Anlassbezogene und turnusmäßige Berichterstattung Für sämtliche Beteiligungsformen greift somit eine Berichtspflicht des hauptamtlichen Vorstandes, wobei das Pflichtenprogramm zwischen neu errichteten und bereits bestehenden Einrichtungen differenziert. Sollen Einrichtungen neu errichtet, übernommen oder wesentlich erweitert werden, ist die Vertreterversammlung bzw. der Verwaltungsrat anlassbezogen nach den §§ 77b Abs. 1 Satz 1, 219 Abs. 2 Satz 1 SGB V umfassend über die damit verbundenen Chancen und Risiken zu informieren. Dagegen statuieren die §§ 77b Abs. 2, 219 Abs. 3 SGB V eine turnusmäßige jährliche Unterrichtungspflicht des hauptamtlichen Vorstandes für bestehende Beteiligungen an Einrichtungen. Ein jährlicher Bericht über die bestehenden Beteiligungsverhältnisse eines Kalenderjahres ist nach den §§ 77b Abs. 2 Satz 3, 219 Abs. 3 Satz 3 SGB V bis zum 1. Oktober262 des jeweiligen Folgejahres zu erstatten. Der Bericht über die Beteiligungsverhältnisse muss mindestens die nach den §§ 77b Abs. 2 Nrn. 1 bis 4, 219 Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 SGB V geforderten Angaben enthalten. Die Nummern 1 und 2 gehen dabei kaum über die Darlegung der Plausibilität hinaus, indem gefordert wird, dass die genauen Beteiligungsverhältnisse, die Binnenstruktur der Einrichtung und der Zusammenhang der Einrichtung mit den gesetzlichen Aufgaben des Selbstverwaltungsträgers offengelegt werden müssen. Mit den Nummern 3 und 4 verlangt das Gesetz die Unterrichtung der Selbstverwaltungsorgane über die finanziellen Eckdaten der Beteiligungsgesellschaften, etwa die Ertragslage und den Geschäftsverlauf der Einrichtung, die Kapitalzu- und Kapitalabführungen, die gewährten Sicherheiten sowie die Bezüge der Personen in leitenden Positionen.

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Vormals § 77b Abs. 4 SGB V. Der Referentenentwurf sah dagegen eine Vorlagepflicht zum 1. Juli des jeweiligen Folgejahres vor. Vgl. dazu die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKVSVSG/GKV-SV_GKV-SVSG.pdf, S. 30 f., zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 262

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c) Stellungnahme Die Berichtspflicht ist ein internes Kontrollinstrument, das auf der einen Seite kaum Belastungen für den in die Pflicht genommen hauptamtlichen Vorstand hervorruft263, auf der anderen Seite aber Wissensdefizite beheben kann. Sie beschränkt sich auf die Unterrichtung des Selbstverwaltungsorgans und führt de iure zu keinen darüber hinaus reichenden Handlungspflichten des Vorstandes. Eine bloße Berichtspflicht zieht daher relativ geringe Belastungen des hauptamtlichen Vorstandes nach sich.264 Hinzu tritt, dass die gesetzliche Regelung in einer für die Selbstverwaltungsträger indisponibler Weise nur das festschreibt, was im Satzungsrecht der Spitzenorganisationen ohnehin schon weitgehend verankert ist.265 aa) Parallelen zum Recht der Kapitalgesellschaften Dennoch hat sich der Gesetzgeber für eine ausdrückliche Implementierung einer Berichtspflicht in den §§ 77b, 219 SGB V entschieden, die strukturell an eine Regelung erinnert, wie sie das Aktiengesetz (AktG) vorschreibt. Nach § 90 AktG hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft dem Aufsichtsrat unter den näher bezeichneten Voraussetzungen Bericht über die Geschäftspolitik und Unternehmensplanung sowie über die finanziellen Eckdaten zu erstatten (Abs. 1 Satz 1). Die Berichterstattung erfolgt im Regelfall turnusmäßig (Abs. 2), wobei die Kontrollkompetenz des Aufsichtsrates insoweit prozedural abgesichert ist, als der Bericht des Vorstandes jederzeit abverlangt werden kann (Abs. 3 Satz 1).266 Der zunächst befremdliche Vergleich von öffentlich-rechtlich organisierten Selbstverwaltungsträgern zu privatrechtlich organisierten Kapitalgesellschaften ist keinesfalls fernliegend. Im „eingleisigen“ Organisationsmodell der Selbstverwaltung267 besteht eine Vergleichbarkeit der Binnenstruktur insoweit, als Selbstver 263 Die für die Selbstverwaltungsträger hierdurch entstehenden Kosten spielen für die Haushaltsführung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen jedenfalls keine nennenswerte Rolle und können deshalb der Festsetzung verbindlicher Leitlinien der internen Kontrolle entgegengehalten werden. Siehe hierzu aber die Einwände der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 6. 264 Für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen vgl. dazu BSGE 114, 274 (288 Rn. 54). Das Bundessozialgericht hebt zudem hervor, dass sich aus der Kontrollfunktion der Vertreterversammlung kein „allgemeines umfassendes Weisungsrecht“ ergeben könne. 265 Siehe dazu die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Kabinettsentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(2), S. 23. 266 Zur rechtlichen Absicherung der Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat P.  Sina, NJW 1990, 1016 (1017). 267 Dazu im Überblick N. Brall, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 8. In Bezug auf die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung sieht Markus Kaltenborn diese „eingleisige“ Organisation als Effizienzsteigerung gegenüber der

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waltungsträger und Kapitalgesellschaften gleichermaßen über einen Vorstand als ausführendes Organ und einem weiteren Organ verfügen, dem die Kontrolle des Vorstandes obliegt. Der Vertreterversammlung oder dem Verwaltungsrat kommt zumindest im Hinblick auf die Kontrollaufgaben eine vergleichbare Funktion zu wie einem Aufsichtsrat in einer Kapitalgesellschaft.268 Die Zielsetzung der nach § 90 AktG verfassten Berichtspflicht liegt in der Sicherstellung einer fundierten Wissensbasis für den Aufsichtsrat, damit dieser imstande ist, seine Kontrollaufgaben überhaupt wahrzunehmen. Zugleich soll verhindert werden, dass sich der Vorstand seiner Verantwortung entzieht, indem er sich hinter seinem „Wissensvorsprung“ verschanzt.269 Um die Sicherstellung einer ausreichenden Wissensbasis für die Kontrolle im Innenverhältnis geht es auch bei der nach den §§ 77b, 219 SGB V neu implementierten Berichtspflicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine effektive Kontrolle der Mittel, die etwa für Beteiligungen an privatrechtlichen Einrichtungen aufgewandt werden, zeitlich nur im Vorhinein und sachlich nur im Innenverhältnis der Einrichtung gelingen kann. Ein nachträgliches Einschreiten der Aufsichtsbehörden kann bei kritischen Beteiligungsverhältnissen nur soweit Abhilfe schaffen, durch aufsichtsrechtliche Anordnung nach § 89 SGB IV die Beendigung der Beteiligung zu veranlassen und bei Nichtbefolgen im Wege des Selbsteintritts oder der Bestellung eines Beauftragten diese Anordnung durchzusetzen. Bereits getätigte Vermögensdispositionen lassen sich auf repressivem Wege möglicherweise nicht mehr zurückgewinnen. Bei regelmäßig hohen Investitionsvolumina kann eine etwaige Haftung einzelner Organmitglieder ebenfalls ins Leere laufen. bb) Übertragung der Wertungen auf die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Gleichwohl unterscheiden sich Selbstverwaltungsträger und Kapitalgesellschaften institutionell. Selbstverwaltung ist inhaltlich-materiell betrachtet nichts anderes als die Rekrutierung gesellschaftlicher Kräfte zur eigenständigen Erfüllung bestimmter Aufgaben, verbunden mit der Erwartung, dass diese gesellschaftlichen Kräfte die Aufgabenerfüllung qualitativ besser bewerkstelligen können als der

früheren Binnenstruktur mit zwei Selbstverwaltungsorganen an, weil auf diese Weise die Leitungs- und Steuerungsfunktion der Vertreterversammlung als einzigem Selbstverwaltungsorgan betont werde. Dazu M. Kaltenborn, GesR 2008, 337 (339). 268 M. Kaltenborn, GesR 2008, 337 (341). Krit. dazu allerdings M. Gaßner / C . J. Scherer, NZS 2015, 166 (172), weil gesetzliche Krankenkassen gerade nicht auf Gewinn ausgerichtet sind und Wettbewerb im Gesundheitswesen jedenfalls nur in eingeschränktem Maße besteht. 269 G. Spindler, in: Goette / Habersack / Kalss (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 90 AktG Rn. 1; B. Dauner-Lieb, in: Henssler / Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, Beck’scher Kurz-Kommentar, 5. Aufl. 2021, § 90 AktG Rn. 1. Vgl. auch P. Sina, NJW 1990, 1016.

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Staat selbst.270 Sie impliziert deshalb auch das Vertrauen des Staates darauf, dass gesellschaftliche Selbststeuerung in abgegrenzten Bereichen gelingen kann.271 Umgekehrt muss sich die Selbstverwaltung dieses Vertrauen verdienen; für die funktionale Selbstverwaltung gilt dies umso mehr. Denn weil sie nicht obligatorisch ist, steht sie fortwährend in der Bringschuld, den Gesetzgeber von ihrer Funktionsfähigkeit zu überzeugen.272 Das den Selbstverwaltungsträgern entgegengebrachte Vertrauen wird aber in gewisser Weise revidiert, wenn sich das Parlament dazu erhebt, auch prozedurale Vorgänge im Innenverhältnis der Einrichtungen selbst regeln zu wollen. Interne Berichtspflichten wären nämlich geradezu prädestiniert, um in den Satzungen und Geschäftsordnungen der Selbstverwaltungsträger Berücksichtigung zu finden.273 Andererseits passt das Vertrauen in dezentralisierte Verwaltungseinheiten nicht zu den Leitlinien des Obrigkeitsstaates274, weshalb die Zentralebene stets bemüht sein wird, möglichst viel Steuerung und Kontrolle selbst zu behalten. Eine Verankerung interner prozeduraler Vorgaben auf gesetzlicher Ebene begründet aber lediglich den Vorteil, ein für die Selbstverwaltungsträger indisponibles Reglement zu schaffen. Eine höhere Kontrolldichte im Innen- und Außenverhältnis stellt sich allerdings nicht ein, weil bereits Verstöße gegen Satzungsrecht eine Rechtsverletzung im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV darstellen und deshalb die Aufsichtsbehörden zum Tätigwerden berechtigen.275 Eine Verankerung interner prozeduraler Anforderungen auf gesetzlicher Ebene akkreditiert letztlich das Misstrauen des Parlaments und damit der Gesundheitspolitik in die Selbstverwaltung, eigenständig für eine fundierte Wissensbasis im Innenverhältnis zu sorgen. Zudem stellt sich eine Überfrachtung der formellgesetzlichen Vorgaben ein, die Sensibilitäten schürt, aber der für die Verleihung der Selbstverwaltungsbefugnis konstitutiven Vertrauensbasis abträglich ist.276 Im Grunde wäre die Normierung der Berichtspflicht deshalb verzichtbar gewesen. Gut nachvollziehbar ist demgegenüber der Verzicht auf eine Novellierung speziell für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen bereits auf ministerieller 270

So auch F. Welti, VSSR 2006, 133 (155 f.). Zugleich weist aber H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 68 ff. darauf hin, dass durch die Verlagerung von Entscheidungen auf die dezentralisierte Ebene nicht zwingend mehr Dynamik in der Entscheidungsfindung entstehen muss. 271 Zur Forderung mehr gesetzgeberischen Vertrauens in die gesellschaftliche Selbststeuerung C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2086 f.). 272 Ähnlich jedenfalls J. Taupitz, MedR 1998, 1 (4). 273 Vgl. hierzu auch den Einwand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu den Berichtspflichten über die Gründung oder Beteiligung an Einrichtungen bzw. Arbeitsgemeinschaften nach § 77b SGB V, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 6 – ohne die Hervorhebung. 274 E. Radek, NZS 1994, 6 (7). 275 G. Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 89 SGB IV Rn. 3 (Stand der Kommentierung: November 2011). 276 Zur These, dass eine Überregulierung im Grundsatz nicht vertrauensfördernd ist auch J. Isensee, ZRP 1985, 139 (141).

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Ebene. Der Referentenentwurf sah vor, die umfassende Berichtspflicht des hauptamtlichen Vorstandes durch die Klarstellung in § 217b Abs. 1f SGB V (RefE) institutionell abzusichern. Statuiert werden sollte, dass die Gründung, Beteiligung an oder wesentliche Erweiterung von Arbeitsgemeinschaften im GKV-Spitzenverband in die Entscheidungskompetenz des Verwaltungsrates fällt. Im Grunde war diese Absicherung kein Novum, sondern eine Kompetenz­zuweisung, die bereits in der Satzung des GKV-Spitzenverbandes verankert war.277 Auf eine gesonderte Regelung auf gesetzlicher Ebene konnte deshalb verzichtet werden. 2. Zustimmungsvorbehalt des Selbstverwaltungsorgans Zusätzlich institutionell abgesichert wird der Abschluss zukünftiger Beteiligungen an Einrichtungen durch einen Zustimmungsvorbehalt des Selbstverwaltungsorgans. Nach §§ 77b Abs. 1 Satz 2, 219 Abs. 2 Satz 2 SGB V bedarf die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung von Einrichtungen der Zustimmung von Vertreterversammlung oder Verwaltungsrat.278 Ein Zustimmungsvorbehalt hat eine von Grunde auf höhere Intensität als eine einfache Berichtspflicht, weil damit automatisch eine Mitwirkungshandlung des Selbstverwaltungsorgans vorausgesetzt ist. Er stellt sicher, dass die finanziell relevante Entscheidung über künftige Beteiligungsverhältnisse nicht nur unter Kenntnisnahme des Selbstverwaltungsorgans, sondern mit dessen positiver Zustimmung erfolgt. Offenbar veranlasst den Gesetzgeber die finanzielle Tragweite, erneut eine Parallele zur Wirtschaftsaufsicht zu ziehen279 und eine Vorbehaltsregelung zu schaffen, die sogar über die Kontrolloptionen im Außenverhältnis hinausgeht. Denn im Verhältnis zu den Aufsichtsbehörden sind nach § 85 Abs. 1 und 3b SGB IV i. V. m. § 78 Abs. 6 SGB V nur die Aufnahme von Darlehen und die dort aufgeführten Immobiliengeschäfte genehmigungspflichtig (§ 85 Abs. 1 SGB IV n. F.), wäh 277

Siehe dazu die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/GK V-SV_GKV-SVSG.pdf, S: 15, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 278 Es handelt sich dabei im Übrigen um einen der seltenen Fälle, in denen eine Regelung im Vergleich zu der Fassung des Referentenentwurfs verschärft wurde. §§ 77b Abs. 1, 219 Abs. 2 SGB V (RefE) sahen nämlich lediglich die vorab schon dargestellten Berichtspflichten, nicht jedoch die zusätzliche Absicherung über einen Zustimmungsvorbehalt vor. Siehe dazu die Stellungnahmen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_ und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/KZBV.pdf, S. 4, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021 sowie des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_ und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/GKV-SV_GKV-SVSG.pdf, S. 2, jeweils zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021, beide jeweils den Referentenentwurf betreffend. 279 Zum Einsatz von Genehmigungsvorbehalten in der Wirtschaftsaufsicht E.  Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 165 ff.

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rend die Absicht, Beteiligungsverhältnisse einzugehen (§ 85 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 SGB IV n. F.) sowie Beteiligungen ganz oder teilweise zu veräußern oder zu übertragen oder Einrichtungen zu veräußern oder aufzulösen (§ 85 Abs. 3b Satz 2 Nr. 3 SGB IV n. F.)280, nur anzeigepflichtig ist.281 Auch hier gilt das zu den Berichtspflichten Angemerkte: Prozedurale Vorgaben für die Arbeit in den Spitzenorganisationen sollten dem Satzungsrecht vorbehalten bleiben. Dem Parlament bleibt es natürlich unbenommen, das Schaffen der Organisationen durch interne und externe Maßnahmen rechtlich abzusichern. Doch kann es den Selbstverwaltungsorganen in gleicher Weise auch eigenständig gelingen, über die Information hinaus eine effiziente interne Kontrolle der Vorstandsentscheidungen zu gewährleisten. 3. Umfassende Berichtspflicht über die Angelegenheiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen Über die Pflicht des hauptamtlichen Vorstandes hinaus, das Selbstverwaltungsorgan über künftige oder bereits bestehende Beteiligungsverhältnisse zu unterrichten, ist die Vermeidung einer Wissenskluft zwischen Exekutiv- und Selbstverwaltungsorgan doppelt abgesichert. Die §§ 79 Abs. 3 Sätze 2 und 3, 217b Abs. 1a Sätze 2 und 3 SGB V unterwerfen den hauptamtlichen Vorstand einer inhaltlich nicht näher begrenzten und zeitlich nicht gebundenen Berichtspflicht gegenüber dem Selbstverwaltungsorgan. Exklusiv für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ist überdies in § 79 Abs. 3 Satz 6 SGB V die Pflicht des hauptamtlichen Vorstandes geschaffen worden, die Vertreterversammlung über etwaige Nebentätigkeiten der Vorstandsmitglieder in ärztlichen Organisationen282 zu informieren. Für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen fehlt eine entsprechende Regelung. Was die umfassende Berichtspflicht anbelangt, kann im Grunde auf das bereits zu der Berichtspflicht über die Beteiligungsverhältnisse Gesagte verwiesen wer-

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Zu diesem ergänzenden Tatbestand, der mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. 6. 2020 (BGBl. I, S. 1248) hinzugefügt wurde BT-Drucksache 19/17586, S. 75. 281 In früherer Fassung sah § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB IV eine Genehmigungspflicht, allerdings nur für die Beteiligung an sogenannten gemeinnützigen Einrichtungen vor. Diese unbestimmte Kennzeichnung erschwerte die Eingrenzung der Genehmigungspflicht ganz erheblich, vgl. dazu auch M.  Kaltenborn, SGb 1999, 444 (447). Seit dem Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz) vom 21. 3. 2005 (BGBl. I, S. 818) ist die Genehmigungspflicht für die Beteiligung an gemeinnützigen Einrichtungen zugunsten einer Anzeigepflicht für sämtliche Einrichtungen entfallen. Diesen Schritt der Vereinfachung einerseits und der Verschärfung der Kontrolle über die Beteiligungsverhältnisse andererseits begründet der Gesetzgeber schlicht mit der Feststellung, dass Sozialversicherungsträger und ihre Verbände zunehmend Beteiligungsverhältnisse eingingen. Dazu BR-Drucksache 676/04, S. 45. 282 Ausführlicher zu den Voraussetzungen solcher Nebentätigkeiten P. Hantel, NZS 2005, 580 (582).

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den.283 Von Interesse ist allerdings die nach den §§ 79 Abs. 3 Satz 5, 217b Abs. 1a Satz 4 SGB V ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit eines Quorums von einem Viertel der Mitglieder der Vertreterversammlung, einen Bericht vom hauptamtlichen Vorstand zu verlangen. Ursprünglich sahen die §§ 79 Abs. 3 Satz 4, 217b Abs. 1a Satz 3 SGB V in der Fassung des Referentenentwurfs vor, dass sogar einzelne Mitglieder der Vertreterversammlung einen vollumfänglichen Bericht über sämtliche Angelegenheiten der Körperschaft verlangen konnten.284 Die interne Kontrolle durch Teile eines Organs sowie durch einzelne Organmitglieder erinnert erneut an Mechanismen, wie sie im Innenverhältnis von Kapitalgesellschaften zur Anwendung gelangen. Zur Kontrolle des Vorstandes eröffnet nämlich § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG sogar einzelnen Mitgliedern285 des Aufsichtsrates die Möglichkeit, einen Bericht des Vorstandes an den Aufsichtsrat zu verlangen. Diese weitreichende Kompetenz einzelner Aufsichtsratsmitglieder gründet allerdings in den Eigenarten der Kapitalgesellschaften. Im internen Kontrollsystem der Kapitalgesellschaft kommt dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied nämlich eine besondere Kontrollverantwortung zu, die zum einen durch das eigene Recht, einen Bericht vom Vorstand an den Aufsichtsrat zu verlangen286, zum anderen durch die haftungsrechtliche Absicherung dieser Verantwortung287 zum Ausdruck kommt. Erwartungsgemäß ist die Erweiterung von Kontrollkompetenzen auf einzelne Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans auf erhebliche Bedenken der betroffenen Spitzenorganisationen gestoßen, die vor allem die Gefahr missbräuchlicher Verwendung der Kontrollbefugnis befürchten.288 Mit im Grunde demselben 283

Siehe hierzu bereits oben S. 231 ff. Vgl. dazu nur die Ausführungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung den Referentenentwurf betreffend, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKVSVSG/KZBV.pdf, S. 25 f., zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 285 Bis zum Jahr 2002 brauchte das Einzelmitglied des Aufsichtsrates jedenfalls die Unterstützung eines weiteren Mitglieds, um die Berichterstattung vom Vorstand verlangen zu können. Durch Art. 1 Nr. 5 lit. b) des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19. 7. 2002 (BGBl. I, S. 2681) ist § 90 Abs. 3 Satz 2 in seine heutige Fassung gebracht worden. Zu den in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Bedenken einer gesteigerten Missbrauchsgefahr siehe ­H. Fleischer, in: Spindler / Stilz (Hrsg.), beck-online.Großkommentar AktG, § 90 Rn. 47 (Stand der Kommentierung: Juni 2021); G. Spindler, in: Goette / Habersack / Kalss (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 90 AktG Rn. 41. 286 G. Spindler, in: Goette / Habersack / Kalss (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 90 AktG Rn. 40. 287 Das einzelne Mitglied des Aufsichtsrates hat die Pflicht, den Bericht zu verlangen, sofern dies zur ordnungsgemäßen Überwachung erforderlich ist. Unterlässt das Einzelmitglied die Anforderung des Berichts schuldhaft, kommt eine persönliche Haftung nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG in Betracht. Dazu G. Spindler, in: Goette / Habersack / Kalss (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 90 AktG Rn. 37. 288 So weist etwa die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf darauf hin, dass auch bei einem Quorum von 25 Prozent mit verhältnismäßig geringem Stimmanteil vollumfassende Berichte des Vorstandes verlangt werden können. Siehe Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 26 f. 284

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Problem muss allerdings auch das Recht der Kapitalgesellschaften umgehen.289 Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, wird dem Vorstand der Kapital­gesellschaft das Recht zugestanden, bei „konkreter Missbrauchsgefahr“, etwa offenkundig eigener Interessenverfolgung des Aufsichtsratsmitglieds oder schikanösem Verhalten, die Berichterstattung nach pflichtgemäßem Ermessen zu verweigern.290 Sicherlich ist die Missbrauchsgefahr ungleich höher, wenn einzelne Mitglieder des Aufsichtsrates einen Bericht anfordern können, während die §§ 79 Abs. 3 Satz 5, 217b Abs. 1a Satz 4 SGB V immerhin ein Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans verlangen. Eine dennoch nicht auszuschließende Missbrauchsgefahr könnte aber im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ähnlich wie im Recht der Kapitalgesellschaften gebannt werden. Während das Recht des Vorstandes, die Berichterstattung in Missbrauchsfällen nach pflichtgemäßem Ermessen zu verweigern, im Recht der Kapitalgesellschaften auf einer allgemeinen Anerkennung gründet, sollte im Recht der gesetz­ lichen Krankenversicherung durch ausdrückliche Normierung Klarheit geschaffen werden. Alternativ kann aber auch auf eine umfassende Berichtspflicht auf gesetzlicher Ebene, einschließlich Quorenregelung, vollends verzichtet werden. Die kontinuierliche Kontrolle des hauptamtlichen Vorstandes durch das Selbstverwaltungsorgan ist, wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung richtig erkennt, eine Selbstverständlichkeit.291 Nähere Vorgaben für die internen Kontrollverfahren können und sollten normhierarchisch dem Satzungsrecht vorbehalten bleiben.

II. Transparenzvorgaben Die „Transparenz im Verwaltungshandeln“ ist ausweislich der einleitenden Ausführungen der Gesetzesbegründung ein Kernthema des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes.292 Hieran gemessen halten sich die Anpassungen zur Optimierung transparenten Verwaltungshandelns in überschaubaren Grenzen, indem Reformen für den Abschluss von Dienstverträgen der Funktionsträger im Selbstverwaltungsorgan sowie des Vorstandes und für das Verfahren zu Abstimmungen und Wahlen in den Gremien gefasst worden sind.

289

Dazu nur H. Fleischer, in: Spindler / Stilz (Hrsg.), beck-online.Großkommentar AktG, § 90 Rn. 47 (Stand der Kommentierung: Juni 2021); G. Spindler, in: Goette / Habersack / Kalss (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2, 5. Aufl. 2019, § 90 AktG Rn. 41. 290 H. Fleischer, in: Spindler / Stilz (Hrsg.), beck-online.Großkommentar AktG, § 90 Rn. 49 (Stand der Kommentierung: Juni 2021). 291 So auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 25. 292 BT-Drucksache 18/10605, S. 2 – ohne die Hervorhebung. K. Scholz, KrV 2017, 232 (234) sieht hier den Gesetzgeber einem „allgemeinen Trend“ folgen.

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1. Transparenz von Personalentscheidungen Transparenz will das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz vor allem bei Entscheidungen schaffen, die regelmäßig der Haushalts- und Personalhoheit der Selbstverwaltung unterliegen, also in einem für die Selbstverwaltung sehr sensiblen Bereich. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Offenlegung bestimmter Entscheidungen eine effektive Kontrolle im Innen- und Außenverhältnis erst ermöglicht. Insoweit sind auch die Reformen zur Transparenzsteigerung für die Untersuchung von Bedeutung. a) Abschluss, Verlängerung oder Änderung von Vorstandsdienstverträgen Abschluss, Verlängerung oder Änderung293 eines Vorstandsdienstvertrages bedürfen bei den Spitzenorganisationen nach den § 79 Abs. 6 Satz 4 SGB V294 und § 217b Abs. 2 Satz 7 SGB V sowie § 282 Abs. 4 Satz 4 SGB V295 einer vorherigen unabhängigen rechtlichen und wirtschaftlichen Bewertung. Für den Gemeinsamen Bundesausschuss enthielt § 91 Abs. 2 Satz 12 SGB V a. F. einen Verweis auf § 35 Abs. 6a SGB IV und somit eine entsprechende Regelung.296 Diese – im Referentenentwurf noch nicht enthaltenen297 – Vorschriften führen ein Mittel zur Transparenzerhöhung und Korruptionsprävention ein, indem durch unabhängige Prüfung 293 Bei der Änderung von Dienstverträgen sind die Neuerungen zu berücksichtigen, die seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz vom 6. 5. 2019 (BGBl. I, S. 646) gelten. So sind nach den §§ 79 Abs. 6 Sätze 5 bis 6, 91 Abs. 2 Sätze 15 und 16, 217b Abs. 2 Sätze 8 und 9, 282 Abs. 4 Sätze 5 und 6 SGB V Vergütungserhöhungen während einer Amtszeit untersagt. Begründet wird dies damit, dass vertraglich gestaffelte oder gesonderte ausgehandelte Vergütungsvereinbarungen zu stetigen Erhöhungen der Vorstandsmitglieder führten, die aufsichtsrechtlich wegen der vagen Formulierung in § 36 Abs. 6a SGB IV (angemessenes Verhältnis zwischen Bedeutung bzw. Mitgliederstärke der Körperschaft und Honorar) nicht beanstandet werden konnten. Dazu BT-Drucksache 19/6337, S. 102. Gemäß §§ 79 Abs. 6 Satz 8, 91 Abs. 2 Satz 18, 217b Abs. 2 Satz 11, 282 Abs. 4 Satz 8 SGB V sind finanzielle Zuwendungen anzurechnen oder an den Selbstverwaltungsträger abzuführen; ferner sind nach den §§ 79 Abs. 6 Satz 9, 91 Abs. 2 Satz 19, 217b Abs. 2 Satz 12, 282 Abs. 4 Satz 9 SGB V Vereinbarungen zur Zukunftssicherung nur unter bestimmten Restriktionen möglich. Ersteres soll der ganzheitlichen finanziellen Betrachtung von Vorstandstätigkeit und Nebentätigkeit dienen; letzteres soll finanzielle Risiken der Selbstverwaltungskörperschaften abmildern, weil die tatsächlichen Kosten von Direktzusagen nicht hinreichend quantifizierbar seien. Dazu BT-Drucksache 19/6337, S. 103. 294 Vormals § 79 Abs. 6 Satz 3 SGB V. 295 Vormals § 282 Abs. 2d Satz 4 SGB V. 296 Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 9. 5. 2019 (BGBl. I, 646) sind die Regelungen zu den Dienstvereinbarungen mit den Unparteiischen an die übrigen Spitzen­ organisationen angepasst worden. Siehe hierzu insbesondere § 91 Abs. 2 Sätze 15 bis 19 SGB V. 297 Vgl. dazu die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen den Referentenentwurf betreffend, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKVSVSG/GKV-SV_GKV-SVSG.pdf, S. 15, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

sichergestellt sein soll, dass der Abschluss der Vorstandsdienstverträge in Einklang mit den gesetzlichen Anforderungen, das bedeutet im Wesentlichen in Einklang mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, erfolgt.298 Eine vorweggenommene externe Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit vor zumindest ökonomischen Gesichtspunkten flankiert und ergänzt die Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden, die nach § 35a Abs. 6a Satz 1 SGB IV und den §§ 79 Abs. 6 Satz 1, 217b Abs. 2 Satz 6, 282 Abs. 4 Satz 4 SGB V den Abschluss von Vorstandsdienstverträgen zu genehmigen haben. Die Genehmigung von Vorstandsdienstverträgen durch die Aufsichtsbehörde als effizientes Mittel der Korruptionsprävention ist zwar durchaus sinnvoll, weil sie der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit vermittelt, die rechtliche Konformität sowie die finanziellen Auswirkungen vor Abschluss eines Vorstandsdienstvertrages zu überprüfen. Auf diese Weise können Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Vergütungshöhe der Vorstände sowie der Angemessenheit einiger vertraglicher Bestimmungen299 erkannt werden, bevor Entscheidungen mit erheblicher finanzieller Tragweite für die Selbstverwaltungsträger300 getroffen werden. Wieso es aber einer doppelten Prüfung durch eine externe Einrichtung zum einen und die Aufsichtsbehörde zum anderen bedarf, leuchtet nicht ein. Offenkundig traut der Gesetzgeber auch den Aufsichtsbehörden nicht zu, eine unabhängige Prüfung der finanzträchtigen Vorstandsdienstverträge durchzuführen, obwohl ihnen hierzu bereits geeignete Mittel zur Verfügung stehen. Über die Genehmigungspflicht für Vorstandsdienstverträge steht der Aufsichtsbehörde ein Kontrollinstrument zur Verfügung, um die Recht- und (wirtschaftliche) Zweckmäßigkeit des Vorstandsdienstvertrages sicherzustellen. Einer weiteren Absicherung bedarf es deshalb nicht. b) Veröffentlichung der Aufwandsentschädigungen der Selbstverwalter Transparenzregelungen hat der Gesetzgeber zudem für die (Einzel-)Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans als gleichermaßen notwendig angesehen: Semantisch wie inhaltlich lehnen sich der neu eingeführte §§ 79 Abs. 3d, 217b Abs. 1d SGB V an die für die Versicherungsträger bestehende Regelung in § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV, nach der die Höhe der Vorstandshonorare jährlich zum 1. März im Bundesanzeiger sowie in den Mitteilungen bzw. Internetauftritten der Krankenkassen301 298

Siehe dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 18/10605, S. 31. Allgemein zu den tatsächlichen Hintergründen der Genehmigungspflicht für Vorstandsdienstverträge M. Gaßner, MedR 2017, 677 (686). 300 Vgl. dazu nur die Ausführungen bei BSG, Urt. vom 20. 3. 2018 – B 1 A 1/17 R, juris Rn. 18. 301 Mit dem Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) vom 6. 5. 2019 (BGBl. I, S. 646) ist § 35a Abs. 6a SGB IV dahingehend angereichert worden, dass jedenfalls die Krankenkassen die Vorstandsvergütung zum einen betragsmäßig und zum anderen auf der Internetseite der jeweiligen Krankenkasse zu veröffentlichen haben, weil einige Krankenkassen über keine Mitgliederzeitschrift und damit über kein Printmedium mehr verfügen. Siehe hierzu die Begründung des TSVG, BT-Drucksache 19/6337, S. 150 f. 299

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bekanntzugeben ist. § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV sowie die gleichlautende, für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen geltende Vorschrift in § 79 Abs. 4 SGB V sind mit dem GKV-Modernisierungsgesetz geschaffen worden. Hintergrund der Regelungen war es, den Inhalt der Vorstandsdienstverträge für die breite Öffentlichkeit transparent zu machen, weil den Beitragszahlern, die mittelbar die Vorstandshonorare finanzieren, ein Informationsinteresse an der Vergütungshöhe zukommt.302 Von der Befriedigung dieses Informationsinteresses verspricht sich der Gesetzgeber zumindest eine höhere Hemmschwelle für den Abschluss unlauterer Vergütungsvereinbarungen.303 Dem Auskunftsinteresse der in ein System sozialer Absicherung zwangsweise inkorporierten Versicherten wird man aufgrund der im Einzelfall hohen Vorstandsvergütungen304 ein stärkeres Gewicht einräumen müssen als der Haushalts- und Personalhoheit der Selbstverwaltungsträger.305 Im Drang zur Vereinheitlichung sind nun auch die Unparteiischen im Gemeinsamen Bundesausschuss betroffen, deren Vergütungen nach § 91 Abs. 2 Satz 14 SGB V unter Anwendung von § 35 Abs. 6 Satz 2 SGB IV betragsmäßig im Bundesanzeiger sowie – in Ermangelung einer Mitgliederzeitschrift – auf der Internetseite des Gemeinsamen Bundesausschusses zu veröffentlichen sind.306 Ob ein vergleichbares Informationsinteresse der Beitragszahler auch in Bezug auf die Entschädigungen einzelner Funktionsträger im Selbstverwaltungsorgan besteht, darf bezweifelt werden.307 Auch ist zweifelhaft, ob sich ein echter Transparenzgewinn durch die Offenlegung der Aufwandsentschädigungen der ehrenamtlich tätigen Selbstverwalter alljährlich zum 1. März im Bundesanzeiger sowie in den Mitteilungen der Krankenversicherungsträger einstellt. In den Worten von

302

Vgl. BT-Drucksache 15/1525, S. 154 – betr. § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV; S. 98 – betr. § 79 Abs. 4 SGB V. 303 S.  Rixen, KrV 2017, 138 (139) formuliert dazu, die Transparenzvorgaben sollen der „Selbstbedienungsmentalität“ Einhalt gebieten. 304 Dazu nur M. Gaßner / C . J. Scherer, NZS 2015, 166 (167). Zu den einzelnen Bestandteilen des Honorars aus dem Festgehalt und Prämien siehe F. Schneider et al., Schirmer / Kater /  Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 930 S. 7 ff. (Stand der Bearbeitung: September 2019). 305 Siehe hierzu die Ausführungen bei M. Gaßner / C . J. Scherer, NZS 2015, 166 (166), die von Problemen bei der Prüfung von Vorstandsvergütungen auf Grundlage des § 88 Abs. 2 SGB IV berichten. Die betroffenen Versicherungsträger haben sich unter Berufung auf ihr Selbstverwaltungsrecht – wohl in Form der Personal- und Haushaltshoheit – gegen das Auskunftsverlangen der Aufsichtsbehörden zur Wehr gesetzt. 306 Zur Vereinheitlichung von Aufsichtsmechanismen durch Erweiterung des § 91 Abs. 2 Satz 14 SGB V siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 33. 307 In der Begründung zu § 79 Abs. 3d SGB V (BRegE) führt der Gesetzgeber indessen aus, mit der Bekanntgabe der Höhe der Entschädigungen, die den Mitgliedern der Vertreterversammlung gezahlt werden, werde dem Informationsinteresse sowohl der Selbstverwaltungsorgane der einzelnen Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, der Vertrags(zahn)ärzte als Zwangsmitglieder der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie der Öffentlichkeit Rechnung getragen. Dazu BT-Drucksache 18/10605, S. 31.

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Hermann Plagemann gesprochen lässt sich hier ein gutes Beispiel „reiner Symbolpolitik“ aufzeigen.308 c) Absicherung durch einen Genehmigungsvorbehalt für Dienstverträge Überdies ist für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit § 79 Abs. 3c SGB V eine Regelung neu geschaffen worden, die bereits nach alter Rechtslage für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestand: Verpflichtet sich ein Mitglied des Selbstverwaltungsorgans durch einen Dienstvertrag, der kein Arbeitsverhältnis begründet oder durch einen Werkvertrag gegenüber dem Selbstverwaltungsträger zu einer Tätigkeit höherer Art, hängt die Wirksamkeit dieser Abrede von der nachträglichen Genehmigung durch das Selbstverwaltungsorgan ab. Hier geht es vor allem um Beraterverträge.309 Nur wenn die nachträgliche Genehmigung durch die Vertreterversammlung bzw. den Verwaltungsrat unterbleibt, hat das Einzelmitglied des Selbstverwaltungsorgans die erhaltene Vergütung zurückzugewähren (§§ 79 Abs. 3c Satz 2, 217b Abs. 1c Satz 2 SGB V).310 Im Vergleich zu der Fassung des Referentenentwurfs sind sowohl § 217b Abs. 1c SGB V als auch § 79 Abs. 3c SGB V in der Fassung des Kabinettsentwurfs dahingehend angereichert worden, dass der bereicherungsrechtliche Rückgewähranspruch für erlangte Leistungen oder sonstige Vorteile von der Entscheidung des Selbstverwaltungsorgans unberührt bleibt, wobei eine Aufrechnung mit dem Rückgewähranspruch der Selbstverwaltungskörperschaft nach den §§ 79 Abs. 3c Satz 3, 217b Abs. 1c Satz 3 SGB V nicht in Betracht kommt. Anders als die übrigen Genehmigungsvorbehalte zielt dieses Instrument weniger darauf ab, die finanzielle Liquidität des Selbstverwaltungsträgers zu erhalten. Vielmehr soll etwaigen Fällen von Korruption vorgebeugt werden.311 Damit zielt dieser Mechanismus weniger auf die Beschneidung der Haushalts- und Personalhoheit der Selbstverwaltung, sondern will gerade vor unlauterem Verhalten einzelner Funktionsträger schützen. Es ist daher nicht zu beanstanden. 308

H. Plagemann, VSSR 2007, 121 (122). Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung verweist überdies darauf, dass lediglich ein erhöhter Verwaltungsaufwand, aber kein wesentlicher Transparenzgewinn eintrete, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 34. 309 Siehe dazu die Ausführungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Druck­sache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 34 – ohne die Hervorhebung. Dazu auch S. Rixen, KrV 2017, 138 (139). 310 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Vergütung bereits vor Genehmigung durch die Selbstverwaltung gewährt werden kann. Vgl. dazu auch Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 34. 311 Vgl. dazu die Ausführungen von M. Gaßner / C . J. Scherer, NZS 2015, 166 (169) zum aufsichtsbehördlichen Mitwirkungsvorbehalt bei Abschluss von Vorstandsdienstverträgen nach § 35a Abs. 6a SGB IV, der dazu dient, „Fehlentwicklungen“ bei der Vorstandsvergütung, die von der Selbstverwaltung nicht hinreichend bekämpft wurden, effektiv zu verhindern.

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2. Transparenz der Arbeitsweise Weitere Vorgaben zur Transparenz von Entscheidungen ergeben sich aus den neu gefassten §§ 79 Abs. 3b, 217b Abs. 1b SGB V. Die Sätze 1 bis 3 dieser Vorschriften regeln jeweils universelle Vorgaben für die Arbeitsweise der Selbstverwaltungsorgane, wobei Fragen der Digitalisierung erst in der Folgegesetzgebung relevant geworden sind312. So sind etwa Beschlüsse der Selbstverwaltungsorgane nach Satz 1 nachvollziehbar zu begründen, was mindestens die Nennung der tragenden Gründe erfordert.313 Satz 2 verlangt eine Protokollierung der Sitzungen, die nach Satz 3 auf Verlangen des Selbstverwaltungsorgans bis zu einem Wortprotokoll reichen kann. Im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger sind gleichlautende oder ähnliche Vorgaben bereits in den Satzungen geregelt.314 Lediglich die Satzung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung enthält keine entsprechenden Vorgaben315; von ihr selbst wird auf die „gelebte Praxis“ im Innenverhältnis verwiesen316. Die Vorgaben zur Arbeitsweise der Spitzenorganisationen vermitteln deshalb keinen nennenswerten Gewinn an Transparenz und Compliance, leisten aber der Überregulierung des Krankenversicherungsrechts auf gesetzlicher Ebene weiter Vorschub. 312

Siehe hierzu beispielsweise die mit dem Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) vom 9. 12. 2019 (BGBl. I, S. 2562) eingeführte Berichtspflicht des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen über den Digitalisierungsstand von Verwaltungsleistungen der Krankenkassen nach § 217f Abs. 2a SGB V. Inhaltlich betrifft diese Berichtspflicht die Einführung gemeinsamer Portalverbünde für Verwaltungsleistungen der Krankenkassen. Aufgabe des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ist es nämlich, „die Digitalisierung der Verwaltung der Krankenkassen zu unterstützen und die Anbindung an gemeinsame Portalverbünde für digitale Verwaltungsleistungen zu ermöglichen“; hierzu erhält er die „Befugnis zur Festlegung der in Portalverbünden veröffentlichten einheitlichen Informationen, Dokumente und Anwendungen zu den Verwaltungsleistungen der Krankenkassen für ihre Versicherten und zur Regelung der dafür erforderlichen einheitlichen technischen Standards für den Datenaustausch innerhalb der Portalverbünde“. Dazu BT-Drucksache 19/13438, S. 62 ff. Allgemein zum europäischen Portalverbund („Single Digital Gateway“) T. Siegel, NVwZ 2019, 905 (passim.). 313 S. Rixen, KrV 2017, 138 (139). 314 Eine Pflicht zur Begründung von Beschlüssen und Protokollierung von Sitzungen enthält etwa § 33 Abs. 6 der Satzung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen. Siehe hierzu die Satzung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in der Fassung vom 18. 6. 2007, zuletzt geändert am 12. 3. 2021, veröffentlicht unter: https://www.gkvspitzenverband.de/media/dokumente/gkv_spitzenverband/wir_ueber_uns/organisation/Satzung_ GKV-SV_20210312.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. Die Geschäftsordnung der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung enthält in § 11 dezidierte Vorgaben zur Protokollierung. Die Geschäftsordnung der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in der Fassung vom 17. 2. 2021 ist veröffentlicht unter: https://www.kbv. de/media/sp/GO-VV.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 315 Vgl. § 7 Abs. 16 der Satzung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung vom 9. 5. 2020, veröffentlicht unter: https://www.kzbv.de/kzbv2018-satzung-2018-11-09.download.7ae5a9eda1 d55cf0d5c8638990ecc06c.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 316 Vgl. auch die Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zum Gesetzesentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 28.

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3. Transparenz der Entscheidungsfindung Darüber hinaus enthalten die §§ 79 Abs. 3b Sätze 4 bis 8, 217b Abs. 1b Sätze 4 bis 6 SGB V Vorgaben für die Entscheidungsfindung der Selbstverwaltungsorgane. So finden Abstimmungen nunmehr im Regelfalle, abgesehen von besonderen Angelegenheiten, nicht geheim statt. Für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen gilt, dass die Sitzungen im Regelfalle öffentlich sind, wobei die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, eröffnet bleibt. Diese Option sah der Referentenentwurf ursprünglich auch für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen vor; hiervon wurde noch vor dem Kabinettsentwurf Abstand genommen; in der Fassung des Gesetzesentwurfs war sie nicht mehr enthalten.317 Darüber hinaus haben nach §§ 79 Abs. 3b Satz 6, 217b Abs. 1b Satz 6 SGB V Abstimmungen in den Selbstverwaltungsorganen dann namentlich zu erfolgen, wenn es um haftungsrelevante Gegenstände geht. Gemeint kann hiermit jede Art der Haftung sein, unabhängig ob sie zivil-, straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Natur ist.318 Der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages hat die Formulierung zwar in beiden Regelungen präzisiert; die Zielsetzung, vor allem privatrechtliche Verträge und die Geltendmachung von Forderungen zu erfassen, wird aber auch unter Einbeziehung der Konkretisierungen des Gesundheitsausschusses nicht hinreichend deutlich.319 Hier wären deutlichere Vorgaben wünschenswert. In Anbetracht dessen, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung vielfältige Interessen aufeinandertreffen, die meist grundrechtlich abgesichert sind, beeinflusst auch die namentliche Abstimmung den Selbstverwaltungsgedanken nicht derart nachteilig, dass eine Balance zu der internen Kontrolle nicht zu erreichen wäre. Allerdings lässt sich diese These nur halten, wenn die namentliche Abstimmung auf die besonders finanzrelevanten und damit risikoträchtigen Entscheidungen beschränkt bleibt. 4. Zwischenbilanz zu den erhöhten Transparenzanforderungen Insgesamt vermögen die Reformen zur Optimierung interner Transparenz nicht zu überzeugen, denn sie schaffen keine nennenswerten Verbesserungen zum status quo ante, sondern verlagern lediglich Regelungsbereiche des Satzungsrechts auf die Ebene des formellen Gesetzes. Im Gesetz wird also nur verankert, was die gelebte Praxis der Satzungsgebung ohnehin schon umsetzt, sodass das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht durch die Transparenzvorgaben kaum berührt wird. Im Grunde ist mit den Novellierungen also nichts gewonnen, sondern es wird lediglich das Misstrauen gegenüber den Selbstverwaltungsorganen zum Ausdruck gebracht. Streitbar ist vor allem die in den 317

BT-Drucksache 18/10605, S. 14. S. Rixen, KrV 2017, 138 (139). 319 Vgl. die Begründung der Beschlussempfehlung, BT-Drucksache 18/11009, S. 42 – zu § 79 Abs. 3b Satz 6 SGB V, S. 43 – zu § 217b Abs. 1b Satz 6 SGB V. 318

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§§ 79 Abs. 3b Satz 6, 217b Abs. 1b Satz 6 SGB V verfestigte Anforderung einer namentlichen Abstimmung in haftungsrelevanten Bereichen, die sicherlich der Korruptionsprävention förderlich, im Gegenzug der freien Entscheidungsfindung innerhalb der Selbstverwaltung abträglich ist. Insgesamt führen die Transparenzvorgaben nicht zu einem Erstarken der internen Kontrolle dergestalt, dass die Ausübung der Selbstverwaltung nicht mehr realisierbar wäre.

III. Anpassung der Binnenstruktur und der internen Personalkontrolle Wenn der Titel des hier analysierten Gesetzes plakativ von der „Stärkung der Selbstverwaltung“ spricht, suggeriert dies unweigerlich auch Reformen der Binnenstruktur sowie der internen Kontrollverfahren zu deren Absicherung. Neben dem Ausgleich der einrichtungsinternen Wissensbasis sind mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auch solche Reformen einhergegangen, allerdings wider Erwarten in eher homöopathischen Dosen. 1. Wahl und Abberufung von Organmitgliedern Eine dieser Reformen betrifft das interne Verfahren zur Wahl und Abberufung von Organmitgliedern bei den Spitzenorganisationen. Bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat das Selbstverwaltungsorgan mit den neu geschaffenen §§ 80 Abs. 4, 217b Abs. 1e SGB V eine Handhabe erhalten, ihren Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter unter bestimmten Voraussetzungen durch Beschluss320 abzuberufen. Tatbestandliche Voraussetzung hierfür ist, dass gemäß den §§ 80 Abs. 4 Satz 1, 217b Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmte, mit anderen Worten konkrete Tatsachen das Vertrauen in die Amtsführung des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters nicht nur zweifelhaft erscheinen lassen, sondern ausschließen. Welche Tatsachen ausreichen, um das Vertrauen in den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter vollständig auszuschließen, wird sich nur im Einzelfall beantworten lassen und im Wesentlichen von den subjektiven Vorstellungen der Mitglieder der Vertreterversammlung abhängen.321 Um dem Tatbestand dennoch Konturen zu verleihen, benennt der Normtext zwei Beispiele, die allerdings, wie das Wort „insbesondere“ verdeutlicht, nicht abschließend zu verstehen sind. Das Vertrauen in den Vorsitzenden oder seinen Stellver 320 Zum rechtstechnischen Vergleich mit dem Kommunalrecht S. Rixen, KrV 2017, 138 (139 f.). 321 So auch O. Rademacker, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 80 SGB V Rn. 22 (Stand der Kommentierung: März 2018), der den Mitgliedern der Vertreterversammlung einen der gerichtlichen Kontrolle entzogenen weiten Spielraum bei der Bestimmung des Vertrauensausschlusses einräumen will.

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treter soll zum einen auszuschließen sein, wenn Amtspflichten verletzt werden; zum anderen, wenn Informationspflichten nicht nachgekommen wird, §§ 80 Abs. 4 Satz 1 2. Halbs., 217b Abs. 1e Satz 1 2. Halbs. SGB V. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur schnellen Abberufung des Vorsitzenden der Vertreterversammlung und des Stellvertreters vor allem dann ermöglichen wollte, wenn Störungen eintreten, die mit den Kernfunktionen dieses Amtes in unmittelbarem Zusammenhang stehen322, leuchtet es nicht ein, warum der ohnehin recht offen formulierte Tatbestand323 nicht auf die beiden Beispiele expressis verbis begrenzt bleibt. Bedenklich ist ferner das niedrige Quorum einer einfachen Stimmenmehrheit324 zur Abberufung des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden des Selbstverwaltungsorgans nach den §§ 80 Abs. 4 Satz 2, 217b Abs. 1e Satz 2 SGB V. Im Gegensatz zu den Berichtspflichten, betrifft die Abberufung von Funktionsträgern binnendemokratische Entscheidungen und nicht zuletzt die Stabilität des Selbstverwaltungsorgans. Sicherer wäre deshalb ein höheres Quorum, beispielsweise von zwei Dritteln der Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans.325 Im Falle von Pflichtverletzungen dürfte es nicht unrealistisch sein, dieses erhöhte Quorum erreichen zu können. Positiv ins Augenmerk fällt aber die Ausgestaltung der Abberufung als „kons­ truktives Misstrauensvotum“326, sodass nach den §§ 80 Abs. 4 Satz 3, 217b Abs. 1e Satz 3 SGB V mit dem Abberufungsbeschluss zugleich die Wahl eines Nachfolgers stattfindet. Ein Prinzip, das auf höchster staatsorganisationsrechtlicher Ebene bei der „Abberufung“ des Bundeskanzlers nach Art. 67 GG durch Misstrauensausspruch und gleichzeitiger Wahl eines neuen Kanzlers zur Anwendung kommt. So ist zumindest sichergestellt, dass die Möglichkeit der Abberufung nicht lediglich schikanös, sondern jedenfalls unter der erschwerenden Bedingung stattfindet, sich bereits zum Zeitpunkt der Abberufung auf einen Nachfolger einigen zu müssen.327 Im Vergleich zu der Fassung des Referentenentwurfs ist indessen darauf verzichtet worden, die Amtszeit bei Ausscheiden des Vorsitzenden des Selbstverwaltungsorgans oder dessen Stellvertreter auf deren eigenen Wunsch künstlich zu verlän 322

BT-Drucksache 18/10605, S. 33. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung moniert ebenfalls die vage Bestimmtheit der Norm. Dazu Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 42. 324 Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nach § 79 Abs. 3a SGB V auch bei dieser „gemeinsamen“ Abstimmung eine Stimmenparität zwischen Haus- und Fachärzten hergestellt sein muss. Dazu BT-Drucksache 18/10605, S. 33. Krit., aber im Ergebnis der Entwurfsbegründung folgend O. Rademacker, in: Körner / Leitherer /  Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 80 SGB V Rn. 23 (Stand der Kommentierung: März 2018). 325 Vgl. dazu auch die Forderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(7), S. 9. 326 Vgl. dazu die Entwurfsbegründung, BT-Drucksache 18/10605, S. 33. Dazu auch S. Rixen, KrV 2017, 138 (139). 327 Ähnlich auch die Ausführungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(1), S. 41. 323

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gern. Die §§ 80 Abs. 4 Satz 2, 217d Abs. 1e Satz 2 SGB V (RefE) sahen vor, dass in diesem Falle die Amtszeit bis zur Neuwahl des Nachfolgers aufrechterhalten wird. Die Spitzenorganisationen haben hierzu erhebliche Bedenken geltend gemacht, insbesondere im Hinblick auf drohende Rechtsverletzungen der ausscheidenden Amtsträger.328 Ein etwaiger Interimszeitraum ist gerade vor dem Hintergrund der ohnehin nur begrenzten Sitzungen der Selbstverwaltungsorgane verkraftbar, sodass die Amtszeit der auf eigenen Wunsch ausscheidenden Funktionsträger nach den §§ 80 Abs. 4 Satz 4, 217b Abs. 1e Satz 4 SGB V mit der Abberufung endet. In Kontrast hierzu ist das Quorum für die Wahl des Vorstandsvorsitzenden bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen in § 80 Abs. 2 Satz 5 SGB V auf zwei Dritteln der Stimmen der Mitglieder der Vertreterversammlung erhöht worden. Eine einfache Mitgliedermehrheit genügt allerdings nach § 80 Abs. 2 Satz 6 SGB V im dritten Wahlgang. Ein gleichlautendes Quorum war noch im Referentenentwurf nach § 217b Abs. 2 Satz 4 SGB V (RefE) auch für die Wahl des Vorstandsvorsitzenden im Spitzenverband Bund der Krankenkassen vorgesehen, im Kabinettsentwurf aber nicht mehr enthalten.329 Unmittelbare praktische Auswirkungen wird diese Anpassung nicht haben. Sie verstärkt höchstens die Legitimationskraft der Wahl des Vorstandsvorsitzenden bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, indem die jeweiligen Kandidaten bei der Wahl immerhin zwei Drittel der Mitglieder der Vertreterversammlung von ihrer Kompetenz überzeugen müssen. 2. Fachgruppenparität bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Zu den eher spezifischen Strukturanforderungen in der Selbstverwaltung gehört die nun eingeführte paritätische Besetzung der Organe durch Haus- und Fachärzte. Eine paritätische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane ist im deutschen Gesundheitswesen keinesfalls untypisch. In der Sozialen Selbstverwaltung ist die traditionelle Parität von Arbeitgebern und Versicherten in den Selbstverwaltungsorganen allgemein in den §§ 29 Abs. 2, 44 SGB IV verankert. Innerhalb der vertragsärztlichen Selbstverwaltung hat es eine paritätische Aufteilung zwischen einzelnen Fachgruppen zunächst nicht gegeben, was sich aber mit dem GKV-­ Versorgungsstärkungsgesetz vom 16. Juli 2015330 grundlegend geändert hat, das 328

Hierauf geht insbesondere die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf ein. Abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium. de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/ GKV-SVSG/KZBV.pdf, S. 43, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 329 Siehe hierzu die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Referentenentwurf, die allerdings die Regelung fälschlich in § 217b Abs. 1e SGB V (RefE) verortet. Abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_ Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/GKV-SV_GKVSVSG.pdf, S. 15, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 330 Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-­ Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG), BGBl. I, S. 1211.

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mit dem seinerzeit neu geschaffenen § 79 Abs. 3a SGB V erstmals eine interne Fachgruppenparität von Haus- und Fachärzten in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung331 vorschrieb. Beachtlich ist aber, dass es sich hierbei nicht um eine paritätische Besetzung der Vertreterversammlung, sondern um eine Parität im Abstimmungsverhalten der Selbstverwaltung handelt: Bei Abstimmungen, die beide Fachgruppen betreffen, ist nach § 79 Abs. 3a Satz 2 SGB V in Verbindung mit § 10 der Satzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung332 eine paritätische Stimmengewichtung zwischen den Fachgruppen herzustellen. Bei Abstimmungen, die jeweils nur eine Fachgruppe betreffen, stimmen nach § 79 Abs. 3a Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 9 der Satzung nur diejenigen Mitglieder Vertreterversammlung ab, die dieser Fachgruppe angehören. Zweck dieser Binnenstrukturreform war es, Situationen, in denen eine Fachgruppe durch die andere auch dann überstimmt werden kann, wenn die andere Fachgruppe von der Entscheidung selbst nicht betroffen ist, zu vermeiden.333 Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ist also das Prinzip der paritätischen Verteilung von Stimmengewichten in Entscheidungssituationen von den Selbstverwaltungsorganen heraus auf den hauptamtlichen Vorstand ausgedehnt worden. Nach § 79 Abs. 4 Satz 2 SGB V n. F. hat der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht mehr aus bis zu drei Mitgliedern, sondern aus genau drei Mitgliedern zu bestehen, wovon ein Mitglied nach § 80 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F. weder an der hausärztlichen noch an der fachärztlichen Versorgung aktiv teilnehmen darf. Das schließt allerdings nicht aus, dass es sich bei der „innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung neutrale[n] Person“ um einen Arzt handelt; gleichwohl kommen auch anderweitig qualifizierte Personen in Betracht.334 Die mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz eingeführte Regelung zur Besetzung des hauptamtlichen Vorstandes erinnert an die Besetzung der Unparteiischen im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses. Im Gegensatz zu der hier getroffenen Regelung setzt § 91 Abs. 2 Satz 3 SGB V von sämtlichen Unparteiischen voraus, dass sie innerhalb des ihrer Dienstzeit vorangegangenen Jahres nicht bei den im Gemeinsamen Bundesausschuss vertretenen Organisationen oder deren Mitgliedern oder in sonst bezeichneter Weise „im System“ tätig waren. Allerdings ist die Gruppe der Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V 331 Der Referentenentwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes sah eine noch weitreichendere Regelung der Fachgruppenparität in der vertragsärztlichen Selbstverwaltung vor, indem die für die Kassenärztliche Bundesvereinigung getroffenen Regelungen auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen vorgesehen waren. Zusammenfassend dazu M. Stellpflug /  M. Kronenberger, MedR 2015, 711 (711). 332 Satzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in der Fassung vom 17. 2. 2021, veröffentlicht unter: https://www.kbv.de/media/sp/Satzung_der_KBV.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 333 Siehe dazu die Begründung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes, BT-Drucksache 18/4095, S. 92. 334 Beispielhaft nennt der Gesetzgeber Juristen oder Ökonomen als geeignete Stelleninhaber; BT-Drucksache 18/10605, S. 32.

B. Interne Kontrollinstrumente  

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ebenfalls mit drei Personen besetzt, um im Falle einer Pattsituation dem Unparteiischen Vorsitzenden die Entscheidung anzuvertrauen. Auch bei der hier gewählten Regelung geht es nicht zuletzt darum, Pattsituationen durch eine neutrale Person aufzulösen, so den Ausgleich zwischen den Interessen sachgerecht durchzuführen und die Akzeptanz von Vorstandsentscheidungen zu erhöhen.335 Allerdings haben die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses eine – zumindest außenverbindlich – noch höhere Tragweite als die Vorstandsentscheidungen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Positiv-rechtliche Maßnahmen zur Vermeidung einseitiger Interessendurchsetzung unterstellen, dass es in der vertragsärztlichen Selbstverwaltung regelmäßig zu Interessenkonflikten zwischen den Fachgruppen kommt. Schon bei der Binnenstrukturreform 2015 ist dies von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung jedoch bestritten worden.336 Zweifel zu der Annahme prädestinierter Interessenkollisionen sind auch im Schrifttum angeklungen. Dabei verfängt insbesondere das Argument, die vertragsärztliche Selbstverwaltung werde bewusst nicht getrennt nach Fachgruppen konstituiert. Zwar läge es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, dies zu ändern, doch sei bewusst in Kauf genommen, dass es zu einer gewissen Heterogenität der Verwaltungstätigkeit innerhalb der vertragsärztlichen Selbstverwaltung kommt.337 Heterogene Interessenlagen sind bei den Selbstverwaltungsträgern im Krankenversicherungsrecht üblich. In der Gemeinsamen Selbstverwaltung offenbaren sich diese Gegensätze in besonders deutlicher Weise. In der vertragsärztlichen Selbstverwaltung werden sich die an sich ähnlichen Interessenlagen einfacher harmonisieren lassen; Anlass zu dieser Annahme bietet der Umstand, dass Hausärzte und Fachärzte gleichermaßen die vertragsärztliche Versorgung durchführen und damit im Verhältnis zu den Versicherungsträgern für beide Fachgruppen dieselben Rechte und Pflichten gelten.338 Gleichwohl ist eine Regelung, die sicherstellt, dass Vorstandsentscheidungen nicht einseitig zu Gunsten einer Fachgruppe fallen339, weder verfassungsrechtlich 335

Dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 18/10605, S. 31. Siehe nur die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum Regierungsentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(7), 7 f. 337 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 28; M. Stellpflug / M. Kronenberger, MedR 2015, 711 (715). 338 M. Stellpflug / M. Kronenberger, MedR 2015, 711 (716) interpretieren die ausführlichen Vorgaben in § 73 SGB V als Leitlinien für die „kooperative Zusammenarbeit“ beider Fachgruppen. Dagegen aber bereits P. Axer, Die Verwaltung 2002, 377 (390), der durchaus von einer Interessenheterogenität innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen ausgeht. 339 Insoweit verfolgt die Fachgruppenparität eine in der Sache andere Zielsetzung als geschlechtsbezogene Paritätsregelungen, wie etwa seit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz vom 22. 3. 2020 (BGBl. I., S. 604) nach § 217c Abs. 2 Satz 3 für die Besetzung des Verwaltungsrates im Spitzenverband Bund der Krankenkassen (jeweils 40 % männliche und weibliche Besetzung). 336

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noch vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zu beanstanden. Auswirkungen auf die Tätigkeit des Selbstverwaltungsorgans ergeben sich hierdurch nicht; bei Vorstandsentscheidungen ist für ein paritätisches Stimmengewicht gesorgt. Kritik verdient allerdings die mit der Binnenstrukturreform vorgeschriebene Abstimmungsparität in der Vertreterversammlung nach § 79 Abs. 3a SGB V, insbesondere im Hinblick auf die Einbindung der Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Zu dieser Thematik sei auf das einschlägige Schrifttum verwiesen.340 3. Binnenstruktur und interne Kontrolle im früheren MDS Die umfassendsten Reformierungen der Binnenstruktur haben in der Dachorganisation des Medizinischen Dienstes stattgefunden, wenngleich ausgerechnet diese Anpassungen nur kurz währten, weil der Medizinische Dienst im Gesamten mit dem MDK-Reformgesetz vom 14. Dezember 2019341 weitreichend umgebaut worden ist. Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ist die Binnenstruktur des früheren Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen erstmals gesetzlich kodifiziert worden. Die Vorgaben zu den Mitgliedern des (früheren) MDS in § 282 Abs. 2a SGB V a. F. entsprechen dem bereits bestehenden Satzungsrecht342; die Zusammensetzung des Verwaltungsrates nach § 282 Abs. 2b SGB V a. F. greift das „bereits geübte Vorgehen“ auf343, wobei über den Verweis in § 282 Abs. 2b Satz 4 SGB V a. F. interne Kontroll- und Transparenzvorgaben für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 217b Abs. 1 Satz 3, Abs. 1a bis 1e SGB V auch auf den MDS übertragen wurden. An dieser Verweisung hat der Gesetzgeber des MDK-Reformgesetzes für den Medizinischen Dienst Bund in § 282 Abs. 2 Satz 7 SGB V n. F. festgehalten. Dagegen entspricht § 282 Abs. 2d SGB V, der in Übernahme bestehenden Satzungsrechts344 die Exekutivaufgaben des früheren MDS einer „Geschäftsführung“ überantwortet hat, die als Vorstand tätig war. Nach aktuell geltendem Recht besteht der Medizinische Dienst Bund aus einem Verwaltungsrat und einem Vorstand, § 282 Abs. 1 SGB V n. F. Im Grunde ist auch die Beschlussfassung über die Satzung durch den Verwaltung­ rat eine direkte Übernahme des Satzungsrechts, die allerdings in der Satzung durch einen Genehmigungsvorbehalt der zuständigen Aufsichtsbehörde angereichert 340

Stellpflug und Kronenberger gehen sogar soweit, die demokratische Legitimation der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Zweifel zu ziehen, weil die Betroffenengruppen durch getrennte Abstimmungen auch institutionell getrennt werden. Es fehle deshalb an einer geschlossenen Betroffenenpartizipation, die für die Vermittlung demokratischer Legitimation aber gerade erforderlich sei. Siehe dazu M. Stellpflug / M. Kronenberger, MedR 2015, 711 (715). 341 Gesetz für bessere und unabhängige Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14. 12. 2019, BGBl. I, S. 2789. 342 BT-Drucksache 18/10605, S. 38. 343 BT-Drucksache 18/10605, S. 38. 344 BT-Drucksache 18/10605, S. 39.

B. Interne Kontrollinstrumente  

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worden ist. Über den Verweis zu § 217e Abs. 1 Satz 5 SGB V galten für den MDS die dort normierten Mindestinhalte für Satzungen.345 Eine entsprechende Vorgabe sieht die derzeit geltende Rechtslage in den §§ 281, 282 SGB V n. F. nicht mehr vor. Schließlich sind in § 282 Abs. 3 SGB V a. F. die Rahmenbedingungen für die Haushaltsführung im MDS manifestiert worden, wobei die für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geltenden Vorgaben auf den MDS mit der Maßgabe übertragen werden sollten, dass die für die Wahrnehmung der Aufgaben des MDS nach dem SGB V und SGB XI Mittel durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen aufzubringen sind. Mit der organisatorischen Trennung beider Organisationen ist diese Maßgabe aufgegeben worden346; die Vorschriften zur Haushaltsführung und -kontrolle gelten nunmehr nach § 281 Abs. 2 Satz 4 SGB V n. F. uneingeschränkt für den Medizinischen Dienst Bund. Für den Medizinischen Dienst ergibt sich also der Befund, dass bislang nur untergesetzlich verankerte Strukturvorgaben auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und punktuell an die interne Kontrolle im Spitzenverband Bund der Kranken­ kassen angepasst worden sind. Die Reformen bewirken daher praktisch keine Veränderungen; sie entziehen die Binnenstruktur lediglich der Verfügung des Medizinischen Dienstes, dem es nunmehr verwehrt ist, über das Mittel der Satzungsänderung in der Binnenorganisation Änderungen herbeizuführen. 4. Stellungnahme Zusammenfassend ist festzustellen, dass die strukturellen Anpassungen der Selbstverwaltungsträger marginal bleiben bzw. den fachspezifischen Gegebenheiten Rechnung tragen, allerdings keine fundamentalen Veränderungen der Binnenstruktur herbeiführen. Insoweit spielen diese Reformen für den Ertrag dieser Untersuchung keine tragende Rolle.

IV. Verpflichtende Einrichtung einer Innenrevision Zu den neu geschaffenen internen Kontrollmechanismen gehört ferner die Etablierung einer verpflichtenden internen Revision für die Spitzenorganisationen. So ordnen die §§ 79 Abs. 7 Satz 2, 217b Abs. 2a Satz 2 SGB V und § 282 Abs. 4 Satz 4 SGB V347 an, „in der Verwaltungsorganisation“ ein „angemessenes internes Kontrollverfahren mit einem internen Kontrollsystem und mit einer unabhängigen internen Revision“ zu schaffen. Abweichend dazu fordert § 91a Abs. 3 Satz 2 345

BT-Drucksache 18/10605, S. 39. Die Finanzierung des Medizinischen Dienstes Bund erfolgt nach § 282 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. durch die Medizinischen Dienste auf Länderebene und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Die Kosten für die Aufgaben des Medizinischen Dienstes wiederum werden nach § 280 Abs. 1 Satz 1 SGB V n. F. durch die Krankenkassen aufgebracht. 347 Vormals § 282 Abs. 2d Satz 5 SGB V. 346

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SGB V348 für den Gemeinsamen Bundesausschuss nur ein angemessenes internes Kontrollsystem, ohne die nähere Ausgestaltung zu spezifizieren. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auf eine unabhängige interne Revision verzichtet worden, weil der Gemeinsame Bundesausschuss selbst über geringere Vermögenswerte als die übrigen Spitzenorganisationen verfüge.349 Dies mag zutreffen, doch kann allein auf dieser Argumentation gestützt die Ablehnung einer Innenrevision kaum überzeugen. Mit der Einrichtung einer internen Revision geht der Zweck einher, wichtige Informationen für die interne und externe Kontrolle zu beschaffen und eine kontinuierliche Beobachtung der Regeltreue der Organe und Funktionsträger zu gewährleisten, um Rechtsverstöße von vornherein zu vermeiden.350 Eine interne Revision ist somit Bestandteil eines internen Compliance-Systems351, das von den Organisationen schon aus Eigeninteresse selbst eingerichtet wird352. Auf einen internen Wissensaustausch sind auch die Vorgaben der internen Revision zugeschnitten. So ordnen die §§ 79 Abs. 7 Satz 3, 217b Abs. 2a Satz 3 SGB V an, dass die interne Revision in regelmäßigen Abständen dem Vorstand Bericht zu erstatten hat. Bei Rechtsverstößen ist ferner nach den §§ 79 Abs. 7 Satz 4, 217b Abs. 2 Satz 4 SGB V der Aufsichtsbehörde hierüber zu berichten. Für den Gemeinsamen Bundesausschuss ergibt sich eine organisatorische Abweichung, sodass nach § 91a Abs. 3 Satz 3 SGB V353 dem Beschlussgremium sowie dem Innovationsausschuss, in Fällen eines Rechtsverstoßes der Aufsichtsbehörde zu berichten ist. Nähere rechtliche Vorgaben, auch zu den Funktionsweisen der internen Revision, macht das Gesetz selbst nicht. Die Formulierung, das einzuführende Kontrollverfahren habe „angemessen“ zu sein, ist insoweit nichtssagend. Wenn 348

§ 91a Abs. 4 Satz 2 SGB V (BRegE). BT-Drucksache 18/10605, S. 35. Auch wenn dies zutreffend sein mag, soll nicht darüber hinweggesehen werden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss weitaus finanzträchtigere Entscheidungen als die übrigen Spitzenorganisationen trifft. Durch Allokation und in der Folge Priorisierung und Ausschluss von Leistungen liegt die Steuerung der Leistungsspektren, mit denen die Kernausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung generiert werden, in der Hand des Gemeinsamen Bundesausschusses. Das sind vor allem die stationäre und ambulante Versorgung sowie die Versorgung mit Arzneimitteln. Siehe dazu Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), Basisdaten des Gesundheitswesens 2021, 25. Aufl. 2021, S. 29. Zur Allokation durch den Gemeinsamen Bundesausschuss W.  Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 56; A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (344), vgl. auch P.  Axer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 95 Rn. 20. 350 N. Hammes, MedR 2017, 611 (613); vgl. auch im Allgemeinen E. Kreßel, NZG 2018, 841 (848); C. Piontke / H.-P. Schlaudt, Das Krankenhaus 2016, 1107. 351 Zum Begriff des „Compliance-Managements“ als Gesamtheit der internen und externen Maßnahmen zur Sicherstellung der Regeltreue C.  Piontke / H.-P.  Schlaudt, Das Krankenhaus 2016, 1107. Vgl. auch M. Gaßner, MedR 2017, 677 (680); S. Rixen, KrV 2017, 138 (140); K. Scholz, KrV 2017, 232 (235). 352 Es liegt bereits deshalb im Eigeninteresse der Organisationen, ein möglichst umfassendes Compliance-Management zu installieren, weil hierdurch rechtlichen Verfehlungen bereits im Innenverhältnis wirksam begegnet werden kann. Vgl. dazu BT-Drucksache 18/10605, S. 31. 353 § 91a Abs. 4 Satz 3 SGB V (BRegE). 349

B. Interne Kontrollinstrumente  

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zudem berücksichtigt wird, dass eine interne Revision seit langem Bestandteil der Binnenstruktur der meisten Selbstverwaltungsträger ist, dürfte die gesetzliche Anordnung einer internen Revision ohnehin eine Selbstverständlichkeit354 sein. Mit der Festschreibung einer internen Revision ist also Gesetz geworden, was in der gelebten Praxis ohnehin schon galt. Auch dieser Kontrollmechanismus hätte auf der Ebene des Satzungsrechts normhierarchisch besser platziert werden können.

V. Gesamtbilanz der Untersuchung der internen Kontrollmechanismen Die Gesamtbilanz der neu geschaffenen internen Kontrollmechanismen zeigt ein Bild verschiedener Vorgaben zum Ausgleich von Informationsdefiziten und zur Schaffung von Transparenz. Strukturell ist an der Selbstverwaltung allerdings wenig verändert worden. Im Hinblick auf das gesetzlich ausgewiesene Ziel, die Selbstverwaltung zu stärken, bleiben die internen Maßnahmen deshalb deutlich hinter den Erwartungen zurück; viel regelungstechnisches Potential zur internen Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ungenutzt geblieben. Bei genauer Betrachtung leidet das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausschließlich an der Korruptionsgefahr durch Einzelpersonen oder der vermeintlich unzureichenden Rechtsgrundlagen für die Aufsichtsführung. Vielmehr krankt das Gesamtsystem an strukturellen Defiziten sowie an praktischen Hemmnissen. Diese Defizite liegen vor allem in der strukturellen und organisatorischen Inkonsistenz der gesetzlichen Krankenversicherung. Zum einen ist ihr aus der Bismarck’schen Tradition der korporatistische Aufbau geblieben, indem die vertrags(zahn) ärztliche Versorgung vor allem von den betroffenen Interessenverbänden gesteuert wird355, die über Vertragsschlüsse wichtige Vorgaben für die Inkorporierung in das System und für die Leistungserbringung setzen.356 Auch wenn die Handlungsspielräume dank des bis in die Detailebene ausnormierten Sozialversicherungsrechts immer kleiner werden357; begrenzte Gestaltungsspielräume verbleiben noch bei 354 Auf Situationen wie die hier gelagerte wird auch Robert Paquet rekurrieren, der die Novellierung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes als „krude Mischung aus Nicklichkeiten und Selbstverständlichkeiten“ bezeichnet. Dazu R. Paquet, kma 4/2017, 26 (27). 355 T.  Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 20. Besonders zugespitzt bei T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (179). 356 Siehe grundlegend zum kollektivvertraglichen System exemplarisch nur BSGE 122, 112 (124 f. Rn. 55); S. Huster, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 75 Rn. 18. 357 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 379; ders., NZS 2017, 601 (602); M.  Schüffner / L .  Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, 2009, S. 14; vgl. auch S. Rixen, in: Aner / Karl (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Alter, 2010, S. 317 zur Prägung des ärztlichen Entscheidungsverhaltens durch die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses.

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diesen Interessengruppen358. Zum anderen entfernt sich die gesetzliche Krankenversicherung immer mehr vom klassischen Gewährleistungssystem. Mit der korporatistischen Steuerung wird gar gebrochen, soweit bewusst wettbewerbliche Elemente nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen359 in das System eingestreut werden.360 Thorsten Kingreen formuliert zutreffend, wenn er das Gesundheitsrecht auf einem „Dritten Weg“ zwischen staatlich-administrativer Steuerung und wettbewerblicher Allokation verortet.361 Konsequenz dieser Mischung aus Elementen staatlich-hierarchischer Steuerung und korporatistischem Verbandswesen ist eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen in den einzelnen Selbstverwaltungsträgern. Ferner kann sich das „Mischungsverhältnis“ beider Elemente in den einzelnen Einrichtungen unterscheiden.362 Während es etwa bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen vordergründig um den Abschluss von Verträgen geht, übernimmt der Gemeinsame Bundesausschuss Lenkungs- und Steuerungsaufgaben. Diese funktionelle Heterogenität ist für sich genommen noch keine Schwachstelle, sondern notwendige Folge der Systemkonzeption. Sie wird allerdings zu einem strukturellen Defizit, wenn Aufgaben, Funktionen und Kompetenzen in erheblichem Maße ungleich verteilt sind. Angesprochen sei damit vordergründig der Gemeinsame Bundesausschuss, dessen Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten stets zugenommen hat, auch wenn sein Aufgabenspektrum nach wie vor vielschichtig, aber gleichwohl „überschaubar“363 ist. Hinzu kommt, dass in diesem bedeutsamen Lenkungs- und Steuerungsgremium nicht alle von der Entscheidungsfindung Betroffenen hinreichend repräsentiert sind.364 An diesen, nur exemplarisch aufgeführten strukturellen Defiziten hat auch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nichts geändert. Die umgesetzten Reformen greifen meist nur auf, was ohnehin im Satzungsrecht der Selbstverwaltungsträger geregelt war und auch im Grunde dort hingehört, verlagern es auf die Ebene des formellen Gesetzes und entziehen es somit der Disposition der Selbstverwaltungsträger. Wenn etwa Robert Paquet formuliert, die Novellierungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes seien eine „krude Mischung aus Nick­ 358

S. Muckel, NZS 2002, 118 (123); vgl. auch T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85. 359 Siehe zu den Wettbewerbsfaktoren in der gesetzlichen Krankenversicherung S. Kluckert, Gesetzliche Krankenkassen als Normadressaten des Europäischen Wettbewerbsrechts, 2009, S. 284 ff. 360 So auch T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (345). 361 T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (344). 362 Dazu auch T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (347 f.). 363 So auch W. Kluth, GesR 2015, 513 (516), der vertritt, das Aufgabenspektrum des Gemeinsamen Bundesausschusses sei trotz „umfang- und facettenreicher“ Themenfelder unter Betrachtung der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung noch „überschaubar“. 364 Vgl. zu Defiziten auf der Seite der Versicherten C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655); zu Defiziten auf der Seite der Leistungserbringer H. Sodan, NZS 2000, 581 (586); I. Ebsen, MedR 2006, 528 (530).

C. Rückkopplung der externen Kontrolle an das Parlament  

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lichkeiten und Selbstverständlichkeiten“365, so mag dies auf die internen Kontrollmechanismen durchaus zutreffen.

C. Rückkopplung der externen Kontrolle an das Parlament Insbesondere am Ausbau der externen Kontrollmechanismen lässt sich das Misstrauen des parlamentarischen Gesetzgebers in die funktionale Selbstverwaltung ablesen. Keimzelle dieses Misstrauens ist vermutlich das Bundesministerium für Gesundheit als ressortverantwortliches Ministerium, wo die hier untersuchten Reformen ausgearbeitet worden sind. So überrascht es nicht, dass das Bundesministerium für Gesundheit als nach den §§ 78 Abs. 1, 91a Abs. 1 Satz 1, 217d Abs. 1 Satz 1, 281 Abs. 3 Satz 1 SGB V zuständige Aufsichtsbehörde über die Spitzenorganisationen von einem spürbar umfassenderen Katalog aufsichtsrechtlicher Ermächtigungen profitiert. Gleichwohl lohnt es sich aber, den Blick auf eine weitere Reform zu lenken, die erst im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens durch den Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag hinzugefügt worden sind. Nach den §§ 78c, 217j SGB V und § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V366 hat das Bundesministerium für Gesundheit jährlich zum 1. März einen Bericht über die Aufsichtsführung an den Ausschuss für Gesundheit zu übermitteln. Die Berichtspflicht umfasst die intensivsten repressiven Aufsichtsmittel, nämlich die Bestellung von Beauftragten, die Entsendung einer Person sowie die nachträgliche Beanstandung von Satzungen. Darüber hinaus umfasst die Berichtspflicht nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV i. V. m. §§ 78 Abs. 3 Satz 2, 217d Abs. 2 Satz 2 SGB V erlassene Verpflichtungsbescheide. Der Ausschuss für Gesundheit begründet die ergänzende Berichtspflicht mit Transparenzerwägungen.367 Indessen soll die Berichtspflicht offensichtlich der aufsichtsrechtlichen Rückkopplung des Bundesministeriums für Gesundheit an das Parlament dienen. Dies ist auch konsequent. Über die Ausweitung der externen Aufsichtsbefugnisse erhält das Bundesministerium für Gesundheit erheblich mehr Raum für ein aufsichtsbehördliches Einschreiten. Als oberste Bundesbehörde steht das Bundesministerium an der Spitze der Weisungspyramide seines Ressorts; eine Kontrolle seiner Entscheidungen kann deshalb nur durch das Parlament oder durch die Gerichte erfolgen. Im Gegensatz dazu schuldet das Bundesamt für Soziale Sicherung als selbstständige Bundesoberbehörde368 im Rahmen der Behördenaufsicht369 den jeweils zuständigen Bundesministerien Rechenschaft; namentlich 365

R. Paquet, kma 4/2017, 26 (27). Vormals § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V. 367 BT-Drucksache 18/11009, S. 42 zu § 78c SGB V, S. 43 f. zu § 217j SGB V. 368 Krit. zu der Bezeichnung des Bundesamtes für Soziale Sicherung als Bundesoberbehörde A. Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 94 SGB IV Rn. 3. 369 Zur Weisungsbefugnis in der Behördenaufsicht T. Groß, DVBl. 2002, 793 (796). 366

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dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (§ 94 Abs. 2 Satz 2 SGB IV) und für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung dem Bundesministerium für Gesundheit (§ 94 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Die „allgemeinen Weisungen“ im Sinne des § 94 Abs. 2 Satz 3 SGB IV, denen das Bundesamt für Soziale Sicherung unterliegt, umfassen vor allem die Bindung an die untergesetzliche Rechtsetzung des jeweiligen Bundesministeriums; mithin die Bindung an Richtlinien, Erlasse oder Rundschreiben.370 Eine Absicherung der Aufsichtsführung des Bundesministeriums für Gesundheit erscheint vor diesem Hintergrund nur schlüssig. Auch Kontrollinstanzen bedürfen ihrerseits Kontrolle. Denn im rechtsstaatlichen Gefüge finden verschiedene Formen gegenseitiger Kontrolle statt, die sich einander ergänzen.371 Gleichwohl verfestigt sich auch in dieser Rückkopplung der Kontrollverantwortung an das Parlament der Eindruck eines allwährenden Misstrauens.

D. Zusammenfassung der Befunde des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels in Leitsätzen zusammenfassen. Zu der Novellierung der externen Aufsichtsmittel durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ergeben sich nach der Analyse folgende Befunde: 1. Zu den Kerninhalten des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes gehört die Ausweitung von Fremdbestimmung und Fremdsteuerung der Selbstverwaltungsträger durch die Aufsichtsbehörden. Weitreichende Möglichkeiten zur Fremd­ bestimmung erhält die Aufsichtsbehörde durch Ersatz- und Selbstvornahme. Bereits nach alter Rechtslage vor dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch einige Spezialregelungen der Ersatzvornahme bereitgehalten. Vor diesem Hintergrund mag es doch überraschen, dass der Gesetzgeber im Bereich der externen Durchsetzung von Aufsichtsverfügungen noch Anpassungsbedarf gesehen hat. 2. Die Bestellung eines Beauftragten ist ein Aufsichtsinstrument im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, das bereits die Reichsversicherungsordnung in ihrer Ursprungsfassung vom 19. Juli 1911 kannte. Ohne einen konkreten Anlass ist die Möglichkeit, einen Beauftragten zu bestellen, auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Medizinischen Dienst Bund übertragen worden. Rechtlich ist dies gleichwohl nicht zu beanstanden, soweit bei der Ausübung 370

A. Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 94 SGB IV Rn. 11 f. 371 Vgl. dazu nur P. Kirchhof, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 S. 246.

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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der Rechtsaufsicht berücksichtigt bleibt, dass die Bestellung eines Beauftragten als „schärfstes Schwert“, das die Staatsaufsicht zu bieten hat, ultima ratio bleibt. Tatbestandlich hat es aber immerhin keine inflationären Öffnungen gegeben, wie sie der Referentenentwurf noch vorsah. a) Abstand ist von der Idee genommen worden, die Bestellung eines Beauftragten als quasi fachaufsichtliches Instrument zur Kontrolle des Vorstandes einzuführen. Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah vor, die Bestellung eines Beauftragten auch dann zu ermöglichen, „solange und soweit durch das Handeln des Vorstands die ordnungsgemäße Verwaltung nicht mehr gewährleistet ist und andere Aufsichtsmittel nicht ausreichen“. Anstelle eines Durchsetzungsinstruments ultima ratio hätte die Bestellung eines Beauftragten als „Auffangmittel“ zur fachlichen Kontrolle des Vorstands herangezogen werden können. b) Bei den Befugnissen des Beauftragten im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger gehen die gesetzlichen Novellierungen keine neuen Wege, sondern knüpfen an Altbekanntes an. Aus der Formulierung „solange und soweit“ lässt sich nur eine Beschränkung der Voraussetzungen und des zeitlichen Horizonts der Aufgabenübernahme, nicht aber im Hinblick auf die inhaltlichen Befugnisse des Beauftragten ableiten. c) Die geradezu erzwungene und kaum gewinnbringende Differenzierung innerhalb des § 79a SGB V n. F., dessen Absätze 1 und 1a unterschiedliche Rechtsfolgenanordnungen an die Beauftragtenbestellung bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen knüpfen, befremdet. Für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen bleibt es nach § 79a Abs. 1 Satz 1 SGB V n. F. bei der ursprünglichen gebundenen Fassung des Wortlauts (vgl. auch § 37 Abs. 1 SGB IV). Bei einem Einschreiten gegen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen steht der Aufsichtsbehörde offensichtlich ein Ermessensspielraum offen. 3. Eine völlig neu geschaffene Art der Fremdsteuerung liegt in der Entsendung einer Person in die Selbstverwaltungsorgane der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sowie des Medizinischen Dienstes Bund. Beachtlich ist, dass offenbar bewusst davon abgesehen worden ist, eine Ermächtigung zur Entsendung einer Person in den Gemeinsamen Bundesausschuss zu schaffen. Die vereinzelt gewählte Umschreibung als „Staatskommissar light“ entbehrt nicht einer gewissen Polemik, verdeckt aber ganz erheblich die Tragweite dieses neuen Aufsichtsmittels. Mit der Entsendung einer Person verfügt die Staatsaufsicht nunmehr über einen befremdlichen Hybrid einer spezifischen Ermächtigung zur Durchführung einer Ersatzvornahme mit der Tendenz zu einem Kontrollinstrument für die fachliche Überprüfung einzelner Organmitglieder. Nicht zuletzt steigt deshalb das Risiko, dass durch die Entsendung einer Person die Rechtsaufsicht der Fachaufsicht zumindest angenähert wird. a) Tatbestandlich greifen die Voraussetzungen für die Entsendung einer Person deutlich weiter als für die Bestellung eines Beauftragten. Verlangt ist noch keine

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

eingetretene Funktionsstörung der Selbstverwaltungsorgane, sondern lediglich eine abstrakte Gefährdung der „ordnungsgemäßen Verwaltung“. Das Wort „insbesondere“ verdeutlicht aber, dass es sich um nicht abschließende Regelbeispiele handelt; es kann also auch ohne Gefährdungsmoment eine Entsendung denkbar sein. b) Das Aufsichtsmittel krankt ferner an der Unschärfe dieser Regelbeispiele. Besonders prekär war in dieser Hinsicht die Fassung des Referentenentwurfs, die an die Entsendung einer Person und damit an die Fremdvornahme der vertretbaren Handlungen durch die Aufsichtsbehörde keinerlei qualifizierte Voraussetzungen gestellt hat. c) Die Begrenzung des Aufsichtsinstruments auf das Innenverhältnis hat aber gerade keine eingeschränkte Durchschlagskraft der Entsendung einer Person gegenüber der Bestellung eines Beauftragten zur Folge. Soweit die Aufsichts­ behörde unter den einfachen Voraussetzungen der §§ 78b, 217h SGB V eine Person in die Selbstverwaltungseinrichtung entsenden kann, so vermag sie im Innenverhältnis Anordnungen zu treffen, die das Außenverhältnis des Selbstverwaltungsträgers steuern; wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung zu Recht moniert, kann die im Außenverhältnis getroffene Entscheidung im Innenverhältnis oktroyiert sein. 4. Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat zu der Etablierung verschiedener Möglichkeiten rückwirkender Korrekturen durch die Aufsichtsbehörden geführt. Insgesamt wird das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht trotz der intensiven Eingriffsbefugnisse durch die Novellierung nicht aus der Balance gehoben. a) Auf den ersten Blick erscheint die nachträgliche Beanstandung von Satzungen, verbunden mit dem Recht der Aufsichtsbehörde zur Ersatzvornahme von Änderungsanordnungen, als besonders intensives repressives Aufsichtsmittel. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass sich dieses Kontrollmittel in die Struktur der kooperativen Staatsaufsicht einbinden lässt. Abgesichert ist die weitreichende nachträgliche Prüfungs- und Beanstandungsbefugnis durch den Prüfungsumfang: Wenn der Genehmigungsvorbehalt nur zur Prüfung nach Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit berechtigt, kann die nachträgliche Kontrolle des Satzungsrechts nicht weiter reichen, sondern bleibt auf die Prüfung und Beanstandung von Rechtsverletzungen beschränkt. b) Es darf nicht übersehen werden, dass die neu gefassten Bestimmungen über die alte Kodifizierung des nachträglichen Beanstandungsrechts erheblich hinausgehen. So ist das nachträgliche Beanstandungsrecht für Satzungen auch auf nicht näher bestimmte Beschlüsse ausgeweitet worden. Allerdings bleibt die nachträgliche Korrektur von Satzungen und sonstigen Beschlüssen auf jene Regelwerke beschränkt, die rechtswidrig sind. Die Gleichgewichtslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und (kooperativ ausgeführter) Staatsaufsicht gerät schnell ins Wanken, wenn den Aufsichtsbehörden jeglicher Anreiz zu maßvoller Aufsichts-

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

261

führung genommen wird. Für die materielle Richtigkeit auch der untergesetzlichen Regularien streiten aber die Interessen aller von der Selbstverwaltung Betroffenen, weil im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in vielfältiger Weise Grundrechte betroffen sind. 5. Angesichts der relativ weiten Freiräume der Selbstverwaltungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung überrascht es doch, dass die Anpassungen im Bereich des Haushaltswesens, anders als bei der Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane, kaum überschießenden Gehalt aufweisen. a) Sofort fällt in den Blick, dass die Haushaltskontrolle beim Gemeinsamen Bundesausschuss von den übrigen Spitzenorganisationen abweicht. Dort fehlt nämlich der, im Referentenentwurf noch vorgesehene, ausdrückliche Verweis zu § 70 Abs. 5 SGB IV, dessen Satz 4 die Aufsichtsbehörde zur Beanstandung rechtswidriger Haushaltspläne ermächtigt. Weshalb – systematisch inkonsequent – die abweichende Organisationsstruktur eine andere Behandlung der, hiervon unabhängigen, Haushaltsführung rechtfertigt und auf einen Verweis zu § 70 Abs. 5 SGB IV zu verzichten war, erschließt sich nicht. b) Aufmerksamkeit erweckt auch ein zunächst unscheinbarer Verweis, der bewirkt, dass die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Medizinische Dienst zur Erfüllung ihrer Aufgaben keine Darlehen aufnehmen können. Hier offenbart sich plakativ die Lehre, die aus den Finanzgeschäften der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gezogen wurde. 6. Über die allgemeinen Mittel der Verwaltungsvollstreckung hinaus sind mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz eigene Vorgaben für die Erhebung eines Zwangsgeldes für sämtliche Spitzenorganisationen eingeführt worden. Zu fragen ist aber, ob eine Erhöhung des Maximalrahmens um das Vierhundertfache über dem in § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 11 Abs. 3 VwVG formulierten Höchstmaß von bis zu 25.000 Euro ein zur Effizienzsteigerung der Rechtsaufsicht angemessenes und damit im engeren Sinne verhältnismäßiges Mittel ist. Zu der Novellierung der internen Kontrollmechanismen durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ergeben sich nach der Analyse folgende Befunde: 1. Insgesamt können die Reformen zur Optimierung interner Transparenz nicht überzeugen, denn sie schaffen keine nennenswerten Verbesserungen zum status quo ante, sondern verlagern lediglich Regelungsbereiche des Satzungsrechts auf die Ebene des formellen Gesetzes. 2. Der Gesetzgeber hat zunächst eine Pflicht des Vorstandes zur Unterrichtung der Vertreterversammlung bzw. des Verwaltungsrates geschaffen, soweit „Einrichtungen“ errichtet, übernommen oder wesentlich erweitert werden. Eine Verankerung interner prozeduraler Anforderungen auf gesetzlicher Ebene akkreditiert letztlich das Misstrauen des Parlaments und damit der Gesundheitspolitik in die Selbstverwaltung, eigenständig für eine fundierte Wissensbasis im Innenver-

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 2. Umgesetzte Reformen

hältnis zu sorgen. Im Grunde wäre die Normierung der Berichtspflicht deshalb verzichtbar gewesen. Praxisrelevant ist etwa die Beteiligung an privatrechtlichen Gesellschaften oder Vereinen. Oft ist es durch Rechtsformwechsel früherer Eigenbetriebe, Outsourcing und die Neugründung von Tochtergesellschaften bei den Versicherungsträgern zu Beteiligungen an Einrichtungen gekommen. Der Gesetzgeber hat sich für eine ausdrückliche Implementierung einer Berichtspflicht in den §§ 77b, 219 SGB V entschieden, die strukturell an eine Regelung erinnert, wie sie das Aktiengesetz vorschreibt. 3. Zusätzlich institutionell abgesichert wird der Abschluss zukünftiger Beteiligungen an Einrichtungen durch einen Zustimmungsvorbehalt des Selbstverwaltungsorgans. Exklusiv für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ist überdies in § 79 Abs. 3 Satz 6 SGB V die Pflicht des hauptamtlichen Vorstandes geschaffen worden, die Vertreterversammlung über etwaige Nebentätigkeiten der Vorstandsmitglieder in ärztlichen Organisationen zu informieren. Für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen fehlt eine entsprechende Regelung. Offenbar veranlasst den Gesetzgeber die finanzielle Tragweite, erneut eine Parallele zur Wirtschaftsaufsicht zu ziehen und eine Vorbehaltsregelung zu schaffen, die sogar über die Kontrolloptionen im Außenverhältnis hinausgeht. Auch hier gilt aber: Prozedurale Vorgaben für die Arbeit in den Spitzenorganisationen sollten dem Satzungsrecht vorbehalten bleiben. 4. Transparenz will das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz vor allem bei Entscheidungen schaffen, die regelmäßig der Haushalts- und Personalhoheit der Selbstverwaltung unterliegen, also in einem für die Selbstverwaltung sehr sensiblen Bereich. a) Abschluss, Verlängerung oder Änderung eines Vorstandsdienstvertrages bedürfen bei den Spitzenorganisationen, aber ausdrücklich nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss, einer vorherigen unabhängigen rechtlichen und wirtschaftlichen Bewertung. Wieso es aber einer doppelten Prüfung durch eine externe Einrichtung zum einen und durch die Aufsichtsbehörde zum anderen bedarf, leuchtet nicht ein. Offenkundig traut der Gesetzgeber auch den Aufsichtsbehörden nicht zu, eine unabhängige Prüfung der finanzträchtigen Vorstandsdienstverträge durchzuführen, obwohl ihnen hierzu bereits geeignete Mittel zur Verfügung stehen. b) Ferner müssen nunmehr die Aufwandsentschädigungen der (ehrenamtlichen) Selbstverwalter offengelegt werden. Ob ein Informationsinteresse der Beitragszahler in Bezug auf die Entschädigungen einzelner Funktionsträger im Selbstverwaltungsorgan besteht, darf bezweifelt werden. Auch ist zweifelhaft, ob sich ein echter Transparenzgewinn durch die Offenlegung der Aufwandsentschädigungen der ehrenamtlich tätigen Selbstverwalter alljährlich zum 1. März im Bundesanzeiger sowie in den Mitteilungen der Krankenversicherungsträger einstellt. c) Verpflichtet sich ein Mitglied des Selbstverwaltungsorgans durch einen Dienstvertrag, der kein Arbeitsverhältnis begründet, oder durch einen Werkver-

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

263

trag gegenüber dem Selbstverwaltungsträger zu einer Tätigkeit höherer Art, hängt die Wirksamkeit dieser Abrede von der nachträglichen Genehmigung durch das Selbstverwaltungsorgan ab. Anders als die übrigen Genehmigungsvorbehalte zielt dieses Instrument weniger darauf ab, die finanzielle Liquidität des Selbstverwaltungsträgers zu erhalten. Vielmehr soll etwaigen Fällen von Korruption vorgebeugt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden. 5. Weitere Vorgaben zur Transparenz von Entscheidungen ergeben sich aus den neu gefassten §§ 79 Abs. 3b, 217 Abs. 1b SGB V. Die Sätze 1 bis 3 dieser Vorschriften regeln jeweils universelle Vorgaben für die Arbeitsweise der Selbstverwaltungsorgane. Sie vermitteln indessen keinen nennenswerten Gewinn an Transparenz und Compliance, leisten aber der Überregulierung des Krankenversicherungsrechts auf gesetzlicher Ebene weiter Vorschub. Darüber hinaus finden Abstimmungen nunmehr im Regelfalle, abgesehen von besonderen Angelegenheiten, nicht geheim statt. Für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen gilt, dass die Sitzungen im Regelfalle öffentlich sind, wobei die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, eröffnet bleibt. 6. Bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat das Selbstverwaltungsorgan eine Handhabe erhalten, ihren Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter unter bestimmten Voraussetzungen durch Beschluss abzuberufen. a) Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur schnellen Abberufung des Vorsitzenden der Vertreterversammlung und des Stellvertreters vor allem dann ermöglichen wollte, wenn Störungen eintreten, die mit den Kernfunktionen dieses Amtes in unmittelbarem Zusammenhang stehen, leuchtet es nicht ein, warum der ohnehin recht offen formulierte Tatbestand nicht hierauf expressis verbis begrenzt bleibt. Bedenklich ist ferner das niedrige Quorum einer einfachen Stimmenmehrheit zur Abberufung des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden des Selbstverwaltungsorgans. Positiv ins Augenmerk fällt aber die Ausgestaltung der Abberufung als „konstruktives Misstrauensvotum“. b) In Kontrast hierzu ist das Quorum für die Wahl des Vorstandsvorsitzenden bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen in § 80 Abs. 2 Satz 4 SGB V auf zwei Drittel der Stimmen der Mitglieder der Vertreterversammlung erhöht worden. Unmittelbare praktische Auswirkungen wird diese Anpassung nicht haben. Sie verstärkt höchstens die Legitimationskraft der Wahl des Vorstandsvorsitzenden bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen. 7. Zu den eher spezifischen Strukturanforderungen in der Selbstverwaltung gehört die nun eingeführte paritätische Besetzung der Organe durch Haus- und Fachärzte. Eine Regelung, die sicherstellt, dass Vorstandsentscheidungen nicht einseitig zu Gunsten einer Fachgruppe fallen, ist weder verfassungsrechtlich noch vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zu beanstanden.

264 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben 8. Die umfassendsten Reformierungen der Binnenstruktur haben in der Dachorganisation des Medizinischen Dienstes stattgefunden. Dort ergibt sich der Befund, dass bislang nur untergesetzlich verankerte Strukturvorgaben auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und punktuell an die interne Kontrolle im Spitzenverband Bund der Krankenkassen angepasst worden sind. Die Reformen bewirken daher praktisch keine Veränderungen; sie entziehen die Binnenstruktur lediglich der Verfügung des Medizinischen Dienstes, dem es nunmehr verwehrt ist, über das Mittel der Satzungsänderung im Innenverhältnis Änderungen herbeizuführen. 9. Zu den neu geschaffenen internen Kontrollmechanismen gehört ferner die Etablierung einer verpflichtenden internen Revision für die Spitzenorganisationen. Mit der Festschreibung einer internen Revision ist Gesetz geworden, was in der gelebten Praxis ohnehin schon galt. Auch dieser Kontrollmechanismus hätte auf der Ebene des Satzungsrechts normhierarchisch besser platziert werden können. Dritter Abschnitt

Verworfene Reformvorhaben A. Einführung  Nicht nur die umgesetzten Reformen sind für die vorliegende Untersuchung bedeutsam. Zu einer vollständigen Analyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes gehören auch die verworfenen Reformvorhaben, aus denen erst die ursprüngliche Tragweite des Gesetzgebungsvorgangs zu ermitteln ist. Ein umfassender Überblick über die angestrebten Reformen ist zum Verständnis der Spannungslage von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht wichtig, zumal die Neuordnung der Kontrolle im Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht ursprünglich noch erheblich weiter reichen sollte als sie umgesetzt worden ist. Verglichen mit den Entwurfsfassungen ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nämlich in deutlich abgeschwächter Form in Kraft getreten.372 Im Fokus stand im Wesentlichen ein spürbarer Ausbau der externen Kontrolle; vorgesehen waren Ermächtigungen für die Anwendung externer Aufsichtsmittel, mit denen nicht nur der Zweckmäßigkeitskontrolle Tür und Tor geöffnet, sondern auch die Verleihung funktionaler Selbstverwaltung grundlegend in Frage gestellt worden wäre. Doch nicht nur im Vergleich von Referenten- und Kabinettsentwurf, sondern auch in der Betrachtung des gesamten Gesetzgebungsverfahrens lässt sich diese 372

Insbesondere die Fassung des Referentenentwurfs beinhaltete deutlich weitergehende Reformvorhaben. Siehe dazu die Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes zum Gesetzesentwurf, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(14)0230(4), S. 9.

B. Fremdeinwirkung auf die untergesetzliche Normsetzung  

265

Beobachtung feststellen: Auffallend ist zunächst, dass es sich bei den verworfenen Reformideen ausschließlich um externe, repressive Aufsichtsinstrumente handelt, während die Anpassungen interner Kontrollstrukturen allesamt verabschiedet worden sind. Im formellen Gesetzgebungsverfahren oder bereits davor gescheitert sind lediglich solche Kontrollinstrumente, die schwerste Einschnitte für die Selbstverwaltungsträger bedeutet hätten und deshalb gesundheitspolitisch kaum konsensfähig gewesen wären. Für die nachstehende Analyse der gescheiterten Reformvorhaben verbleiben also besonders intensive Eingriffsrechte, die in verschiedenen Bereichen der Selbstverwaltung zu einem stärkeren Durchgriff des Bundesministeriums für Gesundheit ansetzen sollten. Sie sollen deshalb im dritten Abschnitt des analytischen Teils dieser Untersuchung gewürdigt werden.

B. Fremdeinwirkung auf die untergesetzliche Normsetzung Besonders prekär sind solche intensiven Eingriffsrechte, wenn es um die untergesetzliche Normsetzung der Selbstverwaltungsträger geht, der für die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch die Betroffenen eine Schlüsselrolle zukommt.373 Vorgesehen waren zwei Reformen, die zum einen eine aktive Einwirkung und insbesondere die inhaltliche Vorzeichnung der untergesetzlichen Normsetzung bei den Spitzenorganisationen und zum anderen die nachträgliche Regulierung bereits genehmigter untergesetzlicher Normen ermöglicht hätten.

I. Inhaltsbestimmungen zur Rechtsauslegung und Rechtsanwendung Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah vor, nach den §§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 217d Abs. 3 SGB V (RefE) und §§ 282 Abs. 3, 217d Abs. 3 SGB V (RefE) das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde zu ermächtigen, allen Spitzenorganisationen „Inhaltsbestimmungen zur Rechtsanwendung und Rechtsauslegung“ bei unbestimmten Rechtsbegriffen vorzugeben. Die synchron aufgebauten Regelungen in den §§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 217d Abs. 3 SGB V (RefE) sollten jeweils in Satz 1 dem Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde die Befugnis verleihen, zur „Gewährleistung einer mit den Gesetzeszwecken […] in Einklang stehenden Mittelverwendung […] bei unbestimmten Rechtsbegriffen Inhaltsbestimmungen zur 373

Siehe dazu die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Berufskammern BVerfGE 146, 164 (212); BVerfGE 33, 303 (342); BVerfGE 111, 191 (216). Vgl. allgemeiner H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 45 f. m. w. N. Vgl. auch M. Schüffner /  P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 16.

266 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben Rechtsanwendung und Rechtsauslegung“ zu erlassen374, während jeweils in Satz 2 vorgesehen war, dass die Rechtsaufsicht (abweichend in § 78 Abs. 4 Satz 2 SGB V (RefE): die Fachaufsicht375) „in diesen Fällen“ nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt bleiben sollte. In Satz 3 sollte die rechtliche Verbindlichkeit der Inhaltsbestimmungen nochmals unterstrichen und in Satz 4 festgeschrieben werden, dass eine „gesonderte Klage gegen die Inhaltsbestimmung“ unzulässig sei.376 1. Konkurrenz zwischen Selbstverwaltungsträgern und der Ministerialverwaltung um die Auslegung und Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe Mit der Kompetenz der Aufsichtsbehörde, Inhaltsbestimmungen zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe vorzugeben, die für die betroffenen Spitzenorganisationen verbindlich sind, hätte sich eine Art „Auslegungs- und Konkretisierungskonkurrenz“ zwischen den Selbstverwaltungsträgern und der Ministerialverwaltung ergeben. Und dies auf einem weiten Feld: Die offene Formulierung „zur Gewährleistung einer mit den Gesetzeszwecken in Einklang stehenden Mittelverwendung“ assoziiert zunächst, die Inhaltsbestimmungen sollten im Bereich der Personal- und Finanzhoheit der Selbstverwaltungsträger ansetzen.377 Die geschickte Formulierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde sämtliche Aufgaben der Selbstverwaltungsträger unter Verwendung ihrer Mittel erfolgen. Entsprechend weit muss deshalb auch die Kompetenz zur Setzung von Inhaltsbestimmungen verstanden werden. Schon dieses Konkurrenzverhältnis hätte die Zuweisung von Aufgaben an die funktionale Selbstverwaltung ad absurdum geführt; zusätzlich bergen geteilte oder konkurrierende Zuständigkeiten immer das Risiko einer (ungewollten) Rechtsunsicherheit. Zu einer praktisch problematischen Konkurrenzsituation wäre es insbesondere dann gekommen, wenn der Selbstverwaltung bei der Konkretisierung eines un 374

Vgl. hierzu in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss die Stellungnahme des Einzelsachverständigen H. Sodan, Drucksache des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag 18(4)0230(14), S. 1 f. 375 Siehe dazu die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht unter https://www.kbv.de/media/sp/2016-10-13_GKV-SVSG_RefE_KBV-Stellungnahme.pdf, S. 6, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 376 Ausführlich zu § 78 Abs. 4 SGB V (RefE) siehe die Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht in: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKVSVSG/KZBV.pdf, S. 5 f., zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 377 Hätte die Möglichkeit, Inhaltsbestimmungen aufzustellen, tatsächlich auf das Haushaltswesen begrenzt bleiben sollen, wäre eine stärker konturierte Formulierung wünschenswert gewesen. Ähnlich auch die Kritik des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Referentenentwurf, veröffentlicht in: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/ 3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/GKVSV_GKV-SVSG.pdf, S. 18, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

B. Fremdeinwirkung auf die untergesetzliche Normsetzung  

267

bestimmten Rechtsbegriffs ein Beurteilungsspielraum zukommt. Unbestimmte Rechtsbegriffe gibt es, auch im Sozialrecht, zahlreich, doch sind sie – schon aufgrund der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG – regelmäßig gerichtlich vollständig überprüfbar.378 In restriktiven Ausnahmefällen erkennt die Rechtsprechung allerdings einen Beurteilungsspielraum zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe an379 mit der Konsequenz, dass die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Selbstverwaltungsträger nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Formt die Verwaltung einen unbestimmten Rechtsbegriff aus, ist das Subsumtionsergebnis in diesem Konkretisierungsvorgang nur eingeschränkt, nämlich auf sogenannte Beurteilungsfehler gerichtlich überprüfbar. Eine Prärogative der Verwaltung zur letztverbindlichen Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die auch die Gerichtsbarkeit respektieren muss, kann im Kontext der Wertungen des Art. 19 Abs. 4 GG nur dort begründbar sein, wo die Eigenarten der Verwaltung es erfordern oder schlechthin die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung erreicht sind.380 Die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle führt jedenfalls dann zu erheblichen Problemen, wenn sich zwei Verwaltungsträger, nämlich zum einen der Selbstverwaltungsträger und zum anderen die Aufsichtsbehörde als Träger unmittelbarer Staatsverwaltung, auf die Befugnis zur Ausschöpfung eines Beurteilungsspielraums berufen. Praktisch relevant werden kann dies etwa bei Haushaltsentscheidungen. Die Aufstellung des Haushaltsplans erfordert nach § 69 Abs. 2 SGB IV die Einhaltung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wobei für die Konkretisierung dieser Begriffe ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird.381 Über die Festsetzung von Inhaltsbestimmungen nach den §§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 217d Abs. 3 SGB V (RefE) hätte der Beurteilungsspielraum der Spitzenorganisationen jederzeit durch das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Zuständigkeit als Aufsichtsbehörde ausgehöhlt werden können. Die Spitzenorganisationen könnten von ihrem Beurteilungsspielraum effektiv nur dann Gebrauch machen, wenn die Aufsichtsbehörde von der Aufstellung von Inhaltsbestimmungen abgesehen hat. Die Lehre zum Beurteilungsspielraum vermittelt allerdings keine Vorgaben, ob ein solches Konkurrenzverhältnis zweier Verwaltungsträger zueinander denkbar ist. Mithin, ob es möglich ist, dass die eine Behörde einen unbestimmten Rechtsbegriff 378 Ganz grundlegend dazu BVerfGE 15, 275 (282); 73, 339 (373); vgl. auch BVerfGE 84, 34 (49). 379 So etwa BSGE 67, 85 (88 f.); 71, 108 (109). Zur restriktiven Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die Rechtsprechung siehe zusammenfassend H. Sodan / J.  Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 68 Rn. 10 ff.; W. Spellbrink, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 39 SGB I Rn. 23 (Stand der Kommentierung: Dezember 2018). 380 H. A.  Wolff, in: Sodan / Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 310 f.; H. Maurer / C .  Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 7 Rn. 34. 381 BSGE 31, 247 (257); 55, 277 (280); 67, 85 (88 f.); 71, 108 (109). Vgl. auch F. E. Schnapp /  M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (400).

268 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben konkretisiert, die andere Behörde an diese Beurteilung gebunden ist und sie nicht durch eine eigene, erneute Beurteilung ersetzen kann. Mit der positiv-rechtlichen Ermächtigung zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen wird diese Konkurrenzsituation rechtstechnisch zumindest ermöglicht. Problematisch bleibt sie allemal. Abgesehen von der Dogmatik des Beurteilungsspielraums überzeugt die angedacht gewesene Ermächtigung zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen auch innerhalb des Aufsichtsverhältnisses nicht. Denn die Selbstverwaltungsträger sollten die Inhaltsbestimmungen kraft den §§ 78 Abs. 4 Satz 4, 91a Abs. 2 Satz 4 und 217d Abs. 3 Satz 4 SGB V (RefE) nicht gerichtlich angreifen können. Ohne Not wird der gerichtliche Rechtsschutz verknappt. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten grundsätzlich gegen solche Inhaltsbestimmungen bestehen, hängt selbstredend von deren Rechtsnatur ab. Qualitativ erfüllen die Inhaltsbestimmungen die Anforderungen an einen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X. Ihnen kommt (außen-)verbindliche Wirkung zu; sie werden ferner für den Einzelfall aufgestellt.382 Zur Abwehr belastender Verwaltungsakte steht die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG; innerhalb des Aufsichtsverhältnisses regelmäßig auch die Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG zur Verfügung. 2. Stellungnahme Schon aus rechtsstaatlicher Perspektive ist deshalb die Ermächtigung zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen bedenklich. Sie hätte dazu geführt, die grundsätzliche Beschränkung auf die reine Rechtsaufsicht im Sozialversicherungsrecht383 partiell bei den Spitzenorganisationen durch Tendenzen der Fachaufsicht zu erodieren.384 Gerade dort nämlich, wo Gestaltungsspielräume, in welcher Form auch immer, bestehen, kann sich Selbstverwaltung besonders entfalten, weil es Raum für eigenverantwortliches Handeln gibt. Spielräume eigenverantwortlicher Gestaltung werden in einem hypertrophen Sozialversicherungsrecht immer wichtiger, damit das „selbst Verwalten“ nicht zur bloßen Gesetzessubsumtion verkommt.385 Abgesichert werden Gestaltungsspielräume innerhalb des Aufsichtsverhältnisses durch den Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht. Die exekutive Kontrolldichte der Aufsichtsbehörden kann stets nur soweit reichen, dass dem Selbstverwaltungsträger ein gehöriger Gestaltungsspielraum verbleibt.386 382

Vgl. die Stellungnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/ Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/GKV-SV_GKV-SVSG.pdf, S. 18, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 383 Wenngleich nur ausdrücklich für die Versicherungsträger in § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IV angeordnet. 384 Noch drastischer S. Rixen, KrV 2017, 138 (140), der die Inhaltsbestimmungen als eine Form der Fachaufsicht bezeichnet. 385 Zu dieser Kritik auch P. Axer, NZS 2017, 601 (602). 386 BSGE 71, 108 (110); BSG, Urteil vom 18. 7. 2006 – B 1 A 2/05 R, SGb 2007, 103 (105).

B. Fremdeinwirkung auf die untergesetzliche Normsetzung  

269

Wie der Erlass von Inhaltsbestimmungen mit diesem Postulat im Rahmen der Aufsichtsführung in Einklang stehen könnte, erschließt sich nicht. Denn soweit Inhaltsbestimmungen erlassen werden, sollte dieser „gehörige Gestaltungsspielraum“ so weit zurückgedrängt werden, dass „in diesen Bereichen“ die Aufsichtsführung387 „nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt“ bleibt.388 Gerade das hier explizit abbedungene Beschränktbleiben auf eine Vertretbarkeitskontrolle kennzeichnet aber die Rechtsaufsicht.389 Eine umfassende Kontrolle, die ausdrücklich nicht auf die Überprüfung der rechtlichen Vertretbarkeit getroffener Entscheidungen begrenzt bleibt und eine Untersuchung der Zweckmäßigkeit dieser Entscheidungen erlaubt, ist nichts anderes als eine Fachaufsicht. Die Fachaufsicht, die eine inhaltliche Kontrolle auch der Zweckmäßigkeit einschließt, ist indessen im Stande, den Charakter der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung auszuhöhlen.390 Soll das Selbstverwaltungsprinzip erhalten bleiben, ist eine derart weitreichende Kontrolle untunlich. Auf Bedenken stößt aber vor allem die unnötige Blockade gerichtlicher Kontrolle. Denn Kontrolle erfolgt im gewaltengeteilten Staat in wechselseitigen Beziehungen. Für die Tätigkeit der Einrichtungen funktionaler Selbstverwaltung stellen die Aufsichtsbehörden die erforderliche Kontrolle her; die Kontrolle der Aufsichtsbehörden wiederum wird durch deren Aufsichtsbehörden zum einen und durch die Rechtsprechung zum anderen gewährleistet. Eine Verkürzung der gerichtlichen Kontrolle führt deshalb gerade nicht zu einer Stärkung der Aufsichtsführung, sondern vereitelt die Überprüfung und notfalls Durchsetzung der materiellen Richtigkeit von Aufsichtsentscheidungen durch die Fachgerichte. Zu Recht ist sie in den Gesetzesentwurf nicht übernommen, sondern noch auf ministerieller Ebene verworfen worden.391 387

In diesem Zusammenhang ist es sicherlich bezeichnend, dass § 78 Abs. 4 Satz 3 SGB V (RefE) sogar ausdrücklich von einer „Fachaufsicht“ gesprochen hat. Ob es sich um einen schlichten Redaktionsfehler handelte, kann nicht näher erforscht werden. Aufschlussreich ist die Formulierung allemal. Womöglich lässt sie die eigentliche Intention des Bundesministeriums für Gesundheit erahnen, die hinter der Ermächtigung zur Setzung von Inhaltsbestimmungen steht. Erahnen lässt sich dies aus den Ausführungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu § 78 Abs. 4 SGB V (RefE), veröffentlicht unter: https:// www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_ Verordnungen/Stellungnahmen_WP18/GKV-SVSG/KZBV.pdf, S. 7 f., zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 388 Vgl. dazu den Wortlaut der §§ 78 Abs. 4 Satz 2, 217d Abs. 3 Satz 2, 91a Abs. 2 Satz 2 SGB V (RefE). 389 F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 55. 390 Hierauf ist bereits im Rahmen des ersten Kapitels Bezug genommen worden. Auf die Ausführungen oben S. 58 ff. wird verwiesen. 391 Vgl. hierzu den Gesetzesentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, der Bestimmungen entsprechend den im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen [§§ 78 Abs. 4, 91a Abs. 2, 217d Abs. 3 SGB V (RefE)] nicht mehr enthält. Siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 8, 13, 15.

270 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben

II. Erweiterte Mindestinhalte der Satzungen Eine stärkere gesetzliche Vorzeichnung der untergesetzlichen Normsetzung war ferner durch Erweiterung der Kataloge für die Mindestinhalte von Satzungen vorgesehen. Diese erweiterten Mindestinhalte hätten die Satzungsgebung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen nach § 81 Abs. 1a SGB V (BRegE), des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen gemäß § 217e Abs. 1 SGB V (BRegE) sowie des früheren MDS nach §§ 217e Abs. 1, 282 Abs. 2e Satz 2 SGB V (BRegE) betroffen. Der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag hat sich allerdings entschieden, die erweiterten Mindestinhalte für Satzungen fallen zu lassen, weil sie nicht mehr festgeschrieben hätten, als nach gelebter Praxis einer ordnungsgemäßen Verwaltung ohnehin schon berücksichtigt und angewandt wird. Die Formulierung weiterer Mindestinhalte von Satzungen war deshalb schlicht entbehrlich.392 Dass dies zutrifft, zeigt die nähere Betrachtung dieser erweiterten Mindestinhalte, bei denen es vor allem um die Sicherstellung prozeduraler Verfahren im Innenverhältnis geht: So sollten die Satzungen der Spitzenorganisationen Bestimmungen über die Vorbereitung der Beschlussfassung [§§ 81 Abs. 1a Nr. 1, 217e Abs. 1 Nr. 10 SGB V (BRegE)] sowie dezidierte Anforderungen für die Beschlussfassung als solche, so etwa für die schriftliche Beschlussfassung (Nr. 7/Nr. 16) oder die schriftliche Dokumentation der Legislativorgane (Nr. 2/Nr. 11) sowie deren Ausschüsse (Nr. 3/Nr. 12) enthalten. Ferner sollten Bestimmungen zur ausreichenden Information der Legislativorgane durch die Ausschüsse (Nr. 4/Nr. 13) und zu den Voraussetzungen einer geheimen Abstimmung durch die Legislativorgane (Nr. 6/Nr. 15) bestehen. Schließlich sollten die Satzungen nähere Regelungen zu der Berichtspflicht nach §§ 79 Abs. 3, 217b Abs. 1b SGB V enthalten (Nr. 5/Nr. 14). Die Intention, den Vorbehalt des Gesetzes selbst für marginale prozedurale Vorgaben zu nutzen, zeigt den Argwohn bei der Überlassung von Entscheidungsfreiräumen. Zu enge Vorgaben bei der untergesetzlichen Normsetzung machen die Übertragung von Satzungsgewalt nahezu obsolet, insbesondere dann, wenn selbst feinmaschige interne Prozesse auf formell-gesetzlicher Ebene geregelt werden sollen. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass für allzu enge Vorgaben zur Satzungsgebung auch deshalb kein Bedarf besteht, weil überschießende Satzungen von der Aufsichtsbehörde „kassiert“ werden und – abgesehen von den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses  – seit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auch nachträglich beanstandet werden können393. Die Satzungsgebung der Spitzenorganisationen ist mithin durch andere Aufsichtsmittel hinreichend abgesichert. Eine doppelte Absicherung über den Vorbehalt des Gesetzes stellt die Verleihung von Satzungsgewalt als solche zwar nicht grundsätzlich in Frage, führt aber zu einer letztlich überflüssigen Bevormundung der Selbstverwaltungsträger, 392

BT-Drucksache 18/11009, S. 42 – betr. § 81 Abs. 1a SGB V (BRegE), S. 43 – betr. § 217e Abs. 1 SGB V (BRegE). 393 Siehe hierzu ausführlich oben S. 212 ff.

C. Nachträgliche Regulierung der Richtliniengebung  

271

obwohl Risiken über bestehende Aufsichtsinstrumente hinreichend abgefangen werden können.

C. Nachträgliche Regulierung der Richtliniengebung und der sonstigen Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschusses Erhebliche Veränderungen waren ursprünglich auch für die Aufsichtsführung über den Gemeinsamen Bundesausschuss angedacht. Die Fassung des Referentenentwurfs sah in § 91b SGB V (RefE) ein ganzes Bündel verschiedener Maßnahmen vor, die dem Bundesministerium für Gesundheit weitreichende Befugnisse zur nachträglichen und fortlaufenden Einflussnahme auf die untergesetzliche Normsetzung und die sonstige Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschusses verschafft hätten.

I. Nachträgliche Beanstandung von Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses So war in § 91b Abs. 1 SGB V (RefE) eine Ermächtigung vorgesehen, die es dem Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde ermöglicht hätte, die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses ungeachtet der Fristbindung in § 94 Abs. 1 SGB V nachträglich zu beanstanden. Zunächst überrascht die vorgesehene systematische Verortung. Anstelle einer Angliederung an § 91a SGB V, der neuen Ankernorm für die Staatsaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss, war für das nachträgliche Beanstandungsrecht eine Platzierung in § 91b SGB V (RefE) vorgesehen, womit assoziiert wird, dass diesem Aufsichtsmittel ein herausgehobener Stellenwert zukomme. Schlüssig wäre darüber hinaus eine Anknüpfung an § 94 Abs. 1 SGB V gewesen, der bereits das Recht zur Beanstandung von Richtlinien vor Erlass regelt. Stattdessen orientierte sich die nachträgliche Beanstandung von Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses an den §§ 78a, 217g SGB V, die eine nachträgliche Beanstandung von Satzungsrecht der Selbstverwaltungsträger und die Anordnung etwaiger Änderungen ermöglichen. Im Wortlaut stimmt § 91b SGB V (RefE) mit diesen Vorschriften weitgehend überein; § 91b SGB V (RefE) ist zu ihnen gewissermaßen synchron konzipiert. 1. Exkurs: Zum Beanstandungsrecht nach § 94 SGB V Das Recht der Aufsichtsbehörde, Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu beanstanden und bei Nichtbefolgung der Beanstandung im Wege der Selbstvornahme durchzusetzen, war bereits früh in den Strukturen der Aufsichts-

272 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben führung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verankert. Weil das gescheiterte Vorhaben einer nachträglichen Beanstandung der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse an dieses altbewährte Kontrollinstrument angeknüpft hätte, sind einige Überlegungen zu diesem Instrument unerlässlich. Einige Eckpunkte sollen in aller Kürze skizziert werden. Das heute bestehende Beanstandungsrecht in § 94 SGB V wurde  – damals noch in Bezug auf die Bundesausschüsse der Ärzte bzw. Zahnärzte und Kranken­ kassen – durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988394 eingeführt. Ursprünglich gründet das Beanstandungs- und Selbstvornahmerechts in dem durch das Gesetz über Kassenarztrecht vom 17. August 1955395 eingeführten § 368p Abs. 2 RVO396, dessen Wortlaut quasi unverändert in § 94 Abs. 1 SGB V übertragen wurde.397 Seinen Sinn findet das Beanstandungsrecht in der Möglichkeit, vor dem Wirksamwerden der Richtlinien deren Rechtmäßigkeit prüfen und im gegebenen Falle Maßnahmen treffen zu können. So ermöglicht das Beanstandungsrecht nach Auffassung des Bundessozialgerichts „eine präventive aufsichtsrechtliche Kontrolle, bevor die Richtlinien des G-BA im Bundesanzeiger publiziert und damit grundsätzlich wirksam werden“.398 Weil § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtend anordnet, dass sämtliche beschlossenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nebst allen Anlagen399 zunächst dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen sind, hat das Beanstandungsrecht für die Wirksamkeit der Richtlinien konstitutive Bedeutung. Nur unter der Voraussetzung der Nichtbeanstandung kann eine Richtlinie wirksam werden.400 Prozedural sieht § 94 Abs. 1 SGB V ein gestuftes Verfahren vor. Zunächst hat der Gemeinsame Bundesausschuss die beschlossenen Richtlinien nach § 94 Abs. 1 394

BGBl. I, S. 2477. BGBl. I, S. 513. 396 Ursprünglich sah der Gesetzesentwurf des Gesetzes über Kassenarztrecht die Regelung in § 368o Abs. 2 RVO vor. Dazu BT-Drucksache 02/528, S. 9. Nach § 368p RVO a. F. waren die Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen dem Bundesminister für Arbeit vorzulegen. Binnen zwei Monaten konnten die Richtlinien beanstandet werden, § 368p Abs. 2 Satz 2 RVO a. F. Ferner war bestimmt, dass die Richtlinien durch den Bundesminister für Arbeit „selbst“ erlassen werden, sofern die Beschlüsse nicht zustande kommen oder die Beanstandungen des Bundesministers nicht behoben wurden, § 368p Abs. 2 Satz 3 RVO a. F. 397 Auf diese inhaltliche Entsprechung weist auch der Gesetzgeber des Gesundheits-Reformgesetzes hin. Siehe dazu BT-Drucksache 11/2237, S. 195. In dem durch die CDU / CSU-Fraktion erarbeiteten Entwurf war das Beanstandungs- und Selbstvornahmerecht des Bundesministeriums für Gesundheit in § 102 SGB V vorgesehen. 398 BSGE 103, 106 (114 f.). 399 D. Roters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: Dezember 2014). 400 Vgl. etwa SG Köln, GesR 2007, 519 (524); M.  Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (254 f.); H. Sodan, PharmR 2007, 485 (486); A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (346). 395

C. Nachträgliche Regulierung der Richtliniengebung  

273

Satz 1 SGB V dem Bundesministerium für Gesundheit zuzuleiten. Eine Beanstandung kommt etwa dann in Betracht, wenn die Richtlinien des G-BA gegen höherrangiges Recht verstoßen; etwa indem sie die Grenzen des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts überschreiten. Damit bleibt das Beanstandungsrecht auf eine reine Rechtsaufsicht begrenzt.401 Das Bundesministerium für Gesundheit kann nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V in einem Zeitfenster von zwei Monaten eine Richtlinie nach pflichtgemäßem Ermessen402 beanstanden, wobei die Frist zur Beanstandung ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Richtlinie beim Ministerium zu laufen beginnt403. Die in § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V festgelegte Frist hat dabei weniger präklusive Funktion; vielmehr wird die Nichtbeanstandung innerhalb der in § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V festgelegten Zeitspanne als konstitutive Wirksamkeitsvoraussetzung der Richtlinien verstanden.404 Sofern eine Richtlinie beanstandet worden ist, kommt es darauf an, ob der Gemeinsame Bundesausschuss der Beanstandung Folge leistet oder nicht. Erst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Beanstandung nicht umsetzt oder eine Auflage nach § 94 Abs. 1 Satz 4 SGB V nicht befolgt, kommt die Ersatzvornahme nach § 94 Abs. 1 Satz 5 2. Halbs. SGB V in Betracht. 2. Materielle Erweiterung des bestehenden Beanstandungsrechts Die im Referentenentwurf noch vorgesehenen Regelungen in § 91b SGB V (RefE) knüpfen in der Sache an das in § 94 Abs. 1 SGB V festgeschriebene Beanstandungsrecht an. Allerdings war ihr inhaltlicher Gehalt umfassender konstruiert. Im Vergleich zu dem bestehenden Beanstandungsrecht sollten Beanstandungen 401

BSGE 103, 106 (115) führt etwa aus, das Bundesministerium für Gesundheit könne das Beanstandungsrecht keinesfalls nutzen, um die Richtlinien einer bloßen Zweckmäßigkeitskontrolle zu unterziehen; siehe auch SG Köln, GesR 2007, 519 (522); vgl. auch J. Joussen, in: Rolfs /  Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 94 SGB V Rn. 4 (Stand der Kommentierung: September 2019); P. Axer, NZS 2017, 601 (606). Dagegen aber G. Schwerdtfeger, NZS 1998, 49 (52); H. Sodan, NZS 2000, 581 (586). LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. 11. 2009 – L 11 KA 101/06, juris Rn. 43 erkennt jedenfalls an, dass die Beanstandung der Richtlinien auch fachaufsichtliche Elemente beinhaltet, wobei im Einzelfall zu untersuchen sei, ob die Rechts- oder Fachaufsicht in der Beanstandung dominiert. 402 A. Harney, in: Berchtold / Huster / Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 94 SGB V Rn. 3. 403 So auch D. Roters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB V Rn. 3 (Stand der Kommentierung: Dezember 2014). Im Blick zu behalten ist auch § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V, nach dem die Entscheidungsfrist gehemmt ist, wenn für die Prüfung der Richtlinie „zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen“ erforderlich sind, die zunächst vom Gemeinsamen Bundesausschuss eingeholt werden müssen. Diese notwendige Informationsgewinnung kann nicht zu Lasten des Bundesministeriums für Gesundheit gehen; die Prüfung soll mithin nicht am Fristablauf scheitern. Dazu R. Schmidt-De Caluwe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 94 Rn. 3. 404 R. Schmidt-De Caluwe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 94 Rn. 4.

274 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V (RefE) rückwirkend möglich405 und auch sonstige Beschlüsse des Beschlussgremiums im Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 91b Abs. 3 SGB V (RefE) ebenso dem Beanstandungsrecht unterworfen sein. § 94 SGB V erfasst demgegenüber ausdrücklich nur die Richtlinien, nicht aber sonstige Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses, nach in der Literatur vertretenen Auffassungen auch nicht in entsprechender Anwendung.406 Für sonstige Beschlüsse war im Übrigen vorgesehen, die Gestaltungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde weiter auszudehnen, indem der Vollzug beanstandeter Beschlüsse nach § 91b Abs. 3 Satz 2 SGB V (RefE) gehemmt werden sollte; bereits vollzogene Beschlüsse nach § 91b Abs. 3 Satz 3 SGB V (RefE) sollten rückgängig gemacht werden können. Im Falle der Nichtbefolgung der aufsichtsrechtlichen Anordnung nach § 91b Abs. 3 Satz 1 SGB V (RefE) war ein Selbstvornahmerecht der Aufsichtsbehörde in § 91b Abs. 3 Satz 4 SGB V (RefE) vorgesehen.407 Hier offenbart sich die systematische Parallele zu den §§ 78a, 217g SGB V, die jeweils in Absatz 3 eine vergleichbare Anordnung enthalten. Nach welchen konkreten Maßstäben die nachträgliche Beanstandung zu ermöglichen war, bleibt auch bei Betrachtung des Wortlautes unbeantwortet. Denn eine Beanstandung sollte gemäß § 91b Abs. 1 Satz 1 SGB V (RefE) nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgen können, soweit die Richtlinie gegen gesetzliche Vorgaben oder sonstiges „für den Gemeinsamen Bundesausschuss maßgebendes Recht“ verstößt. Eine Beanstandung wäre sogar dann in Betracht gekommen, wenn die Richtlinie wegen – gleichwohl nicht näher definierter – nachträglicher Umstände einer Änderung bedurft hätte.408 Es bestand aber offenbar die Direktive, an der graduellen Abstufung festzuhalten, wie sie in § 94 Abs. 1 SGB V manifestiert ist. Zunächst sollte die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Richt­ linie [§ 91b Abs. 1 Satz 1 SGB V (RefE)] oder den sonstigen Beschluss [§ 91b Abs. 3 Satz 1 SGB V (RefE)] beanstanden und hierzu eine Aufsichtsanordnung treffen können. Erst im Anschluss war die zwangsweise Durchsetzung mittels Ersatzvornahme durch die Aufsichtsbehörde vorgesehen [vgl. § 91b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 SGB V (RefE)]. Demgegenüber sollte aber unter den besonderen Voraus 405

Vgl. die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4257/2016-10-14-PA-BMG-SNUPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSG-Selbstverwaltungsstaerkungsgesetz.pdf, S. 15, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 406 D. Roters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB V Rn. 2 (Stand der Kommentierung: Dezember 2014). 407 Allerdings geht dies nur vage aus der Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf hervor. Sie ist veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/ downloads/17-98-4257/2016-10-14-PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSGSelbstverwaltungsstaerkungsgesetz.pdf, S. 18, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 408 Vgl. dazu ebenfalls die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4257/2016-10-14PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSG-Selbstverwaltungsstaerkungsgesetz. pdf, S. 18, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

C. Nachträgliche Regulierung der Richtliniengebung  

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setzungen des § 91b Abs. 4 Satz 1 SGB V (RefE) das Erfordernis einer Fristsetzung zur Umsetzung der Beanstandungen entbehrlich sein und Klagen gegen die Anordnung und Selbstvornahme der Aufsichtsbehörden sollten nach § 91b Abs. 4 Satz 2 SGB V (RefE) keine aufschiebende Wirkung haben.409 3. Stellungnahme Die in § 91b SGB V (RefE) vorgesehenen Regelungen hätten also das Beanstandungsrecht nach alter Rechtslage gemäß § 94 Abs. 1 SGB V in vielfältiger Weise erweitert. Es ist zu begrüßen, dass von den vorgesehenen Reformen rechtzeitig Abstand genommen worden ist; schon der eingebrachte Gesetzesentwurf enthält die Regelung in § 91b SGB V nicht mehr.410 Mit dem erweiterten Beanstandungsrecht hätte die Kontrolle über die untergesetzliche Normsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses auszuufern gedroht, ohne dass sich hieraus ein wesentlicher Gewinn für die Kontrollqualität ergeben hätte. Nach geltender Rechtslage ist die Vorlage der Richtlinien mit anschließender Möglichkeit zur Beanstandung nach § 94 Abs. 1 SGB V ein obligatorischer Prüfvorgang, der dem Normsetzungsprozess im Gemeinsamen Bundesausschuss nachgeschaltet ist. Beachtlich ist, dass dieses Prüfverfahren, sei es auch ein zwingender Bestandteil der Richtliniengebung, seit jeher nicht als staatliches Mitwirkungsrecht eingeordnet worden ist, obwohl sich durchaus Ähnlichkeiten zu den staatlichen Genehmigungsvorbehalten erkennen lassen.411 Die Beanstandungsmöglichkeit ist nämlich nichts anderes als ein Vetorecht. Es ließe sich somit von einem umgekehrten Genehmigungsvorbehalt ausgehen. Gleichwohl hat die Einordnung als Aufsichtsmittel eine bedeutsame Konsequenz: Die Kontrolle im Rahmen der Richtlinienbeanstandung ist auf die reine Rechtsaufsicht begrenzt.412 Zeitlich ist diese, auf die Rechtsaufsicht beschränkte, Kontrolle allerdings bewusst auf zwei Monate nach Vorlage der Richtlinie gedeckelt. Dem Bundesministerium für Gesundheit bleibt es zwar unbenommen, ohne Ausschöpfung dieser Zeit dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Nichtbeanstandung mitzuteilen, um das Verfahren zu be 409 Vgl. dazu ebenfalls die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4257/2016-10-14PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSG-Selbstverwaltungsstaerkungsgesetz. pdf, S. 19, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 410 Vgl. dazu auch BT-Drucksache 18/10605, S. 14. Mittlerweile ist § 91b SGB V mit dem Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters Deutschland und zu weiteren Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregister-Errichtungsgesetz  – EIRD) vom 12. 12. 2019 (BGBl. I, S. 2494) neu belegt worden. Er enthält nun eine Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministeriums für Gesundheit zur Festlegung der Verfahrensgrundsätze bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulanten und stationären Sektor. 411 M. Kaltenborn, VSSR 2000, 249 (254 f.). 412 BSGE 103, 106 (115 f.).

276 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben schleunigen.413 Argumentum e contrario kann aber eine Beanstandung nach Ablauf der Beanstandungsfrist nicht mehr in Betracht kommen; auch dann nicht, wenn Rechtsverstöße nicht erkannt worden sind. Im Interesse der Rechtssicherheit ist dieser Befund zu akzeptieren. Den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt nämlich eine überragende Bedeutung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu. Sie konkretisieren Leistungsinhalte, geben zugleich aber auch Anleitungen für die Leistungserbringung.414 Als materielle Rechtsnormen sui generis415 entfalten die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Geltungsanordnung in den Bundesmantelverträgen (vgl. § 92 Abs. 8 SGB V) für Versicherte und Leistungserbringer verbindliche Außenwirkung.416 Die materielle Richtigkeit der Richtlinien ist für das Funktionieren der gesetzlichen Krankenversicherung von entscheidender Bedeutung.417 Es kann deshalb nur ein probates Mittel sein, das Wirksamwerden der Richtlinien von einer vorherigen dezidierten Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit abhängig zu machen. Umgekehrt besteht aber aufgrund der hohen Bedeutung der Richtlinien ein Interesse daran, dass ihr Gehalt beständig bleibt und sie nicht ohne Weiteres aufgehoben und durch neue Anordnungen ersetzt werden können. Gleichwohl kann dieses Interesse nicht dazu führen, dass Rechtsverstöße durch Richtlinien hinzunehmen wären. Eine ex-post-Kontrolle der Richtlinien ist daher zwar denkbar, doch muss sie nicht zwingend im Rahmen der Staatsaufsicht erfolgen. Derzeit wird die expost-Kontrolle von Richtlinien über den gerichtlichen Rechtsschutz, namentlich über die Feststellungsklage nach § 55 SGG gewährleistet, die statthaft ist, um nicht nur die fehlerhafte Auslegung und Anwendung einer Rechtsnorm, sondern auch deren Unwirksamkeit feststellen zu lassen.418 Eine ex-post-Kontrolle der Richtlinien ist also im Grunde entbehrlich, es sei denn, es wird auf zeit- und prozessökonomische Erwägungen abgestellt. 413

D. Barth, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 94 SGB V Rn. 3. F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (196); S. Greiner, in: Fuchs / P reis / Brose (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht und SGB II, 3. Aufl. 2021, § 17 Rn. 10; T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (350); ders., VVDStRL 70 (2011), 153 (161). 415 C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655); F. E. Schnapp / A . Nolden, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 4 Rn. 30. Nur wenig überzeugend ist der Bezug zu Art. 288 AEUV, den C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 91 vornimmt. Denn im Grunde ist doch die Kategorisierung der jeweiligen Rechtsquelle weitgehend unproblematisch, solange die Anforderungen des demokratischen Prinzips gewahrt bleiben. Folgerichtig wird immer häufiger angenommen, das Grundgesetz kenne keinen Typenzwang der Rechtsquellen, mithin keinen „numerus clausus der Rechtsetzungsformen“. Dazu ausführlich F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 44 f. Noch offener formuliert BSGE 81, 73 (82). 416 R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (568); zum rechtshistorischen Ursprung dieser Konstruktion C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 51. 417 Vgl. allgemein zur Bedeutung materieller Richtigkeit für die Rationalität normativer Entscheidungen A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 22. 418 BSGE 110, 20 (26 Rn. 21); 121, 206 (207 Rn. 15). Zur Feststellungsklage als „heimliche Normenkontrolle“ K. Engelmann, NZS 2000, 76 (83). 414

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Wäre es aber bei dem erweiterten Beanstandungsrecht in der Fassung des Referentenentwurfs um eine Ausnahmevorschrift für solche Rechtsverstöße gegangen, die aufgrund eines Prüfungsfehlers erst nachträglich erkannt werden, hätte der Wortlaut des § 91b Abs. 1 SGB V (RefE) enger gefasst werden müssen. Wenn jedoch bereits „nachträglich eingetretene Umstände“ eine ex-post-Beanstandung rechtfertigen, lässt dies den Schluss zu, dass auch auf Zweckmäßigkeitserwägungen basierende Motive solche Umstände begründen, die die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse zu Fall bringen. Die mühevoll begründete Begrenzung des Beanstandungsrechts auf die reine Rechtsaufsicht wäre faktisch aufgegeben. Mit dem Leitgedanken, die Konkretisierung bestimmter Leistungen und die Erfüllung sonstiger Rechtsetzungsaufgaben der Gemeinsamen Selbstverwaltung zu überantworten, wäre dieser Ansatz nicht vereinbar. Das erweiterte Beanstandungsrecht in der Fassung des Referentenentwurfs ist misslungen, doch die Überlegung, die sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses auf einen ähnlichen Prüfstand stellen zu wollen wie die Richtlinien, ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Schlüssig hätte er aber nur dann weiterverfolgt werden können, wenn die Verfahrensvorgaben an der Beanstandung der Richtlinien nach § 94 Abs. 1 SGB V orientiert worden wären. Einer expost-Kontrolle auf aufsichtsrechtlicher Ebene bedarf es auch hier nicht, weil sich über den gerichtlichen Rechtsschutz dasselbe Ziel erreichen lässt. Systematisch sollte die Kontrolle der sonstigen Beschlüsse aber ausweislich der starken Wortlautanlehnung an die §§ 78a, 217g SGB V wie die Satzungskontrolle erfolgen. Die Satzungen der Versicherungsträger und ihrer Verbände unterscheiden sich aber in ihrer Entstehung und in ihrem Regelungsgehalt von den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses erheblich. Für letztere bietet sich deshalb ein eigenständiges Kontrollsystem an, das nicht an der Beanstandung der Satzungen orientiert sein sollte.

II. Selbstvornahmerecht der Aufsichtsbehörde Einen weiteren systematischen Bruch im Komplex des erweiterten Beanstandungsrechts bedingt § 91b Abs. 2 SGB V (RefE), wonach das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt werden sollte, das Beschlussgremium nach § 91 Abs. 2 SGB V, mithin das Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses anzuweisen, die für die Durchführung von  – beliebigen  – aufsichtsrechtlichen Verfügungen erforderlichen Beschlüsse zu fassen und bei Nichtdurchführung innerhalb einer bestimmten Frist im Wege der Selbstvornahme zu ersetzen.419

419

Zu erahnen ist dieser Regelungsinhalt bereits aus der Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Referentenentwurf, veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/ downloads/17-98-4257/2016-10-14-PA-BMG-SN-UPM-G-BA-Referentenentwurf-GKV-SVSGSelbstverwaltungsstaerkungsgesetz.pdf, S. 17, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

278 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben Materiell spiegelt diese Regelung die §§ 78a Abs. 2, 217g Abs. 2 SGB V wider, die für den Gemeinsamen Bundesausschuss genauso verzichtbar ist wie für die übrigen Spitzenorganisationen. Wenn das Bundesministerium für Gesundheit eine Aufsichtsanordnung durchsetzen will, muss dies nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht erfolgen. Ermächtigungen stehen hierzu bereits nach geltender Rechtslage bereit. So kann etwa der Gemeinsame Bundesausschuss in die Pflicht genommen werden, eine aufsichtsrechtliche Verfügung umzusetzen, indem diese nach § 91a Abs. 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit § 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IV mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt wird. Auf ein weiteres „Einfallstor“ für Fremdvornahmehandlungen unter erleichterten Voraussetzungen, die die Kontrollqualität im Vergleich zum status quo ante keinesfalls verbessern420, kann in jedem Falle verzichtet werden. § 91b Abs. 2 SGB V (RefE) taugt allenfalls als überschießende Regelung mit politischem Symbolgehalt.

D. Professionalisierung der Haushaltskontrolle Weitreichende Einschnitte waren auch für die Kontrolle des Haushalts-, Personal- und Rechnungswesens angedacht. Elementarer Bestandteil des Selbstverwaltungsgedankens ist die Haushalts- und Personalhoheit. Grundsätzlich steht es den Selbstverwaltungsträgern frei, zu entscheiden, für welche Sach- und Personalausstattung sie ihre Mittel einsetzen wollen.421 Gleichwohl hat Misswirtschaft in der Selbstverwaltung andere Folgen als bei privatwirtschaftlichen Unternehmen. Wirtschaftsteilnehmer am Markt müssen sich durch geschicktes Haushalten behaupten, wenn sie bestehen wollen. Der wirtschaftliche Wettbewerb zwingt also zu einer auch finanziellen und bilanziellen Konditionierung der Marktteilnehmer. Schlechtes Haushalten führt im schlimmsten Falle zum Ausscheiden aus dem Markt. In der Selbstverwaltung steht im Zuge des Haushaltens der Zweck im Vordergrund, die zugewiesenen Aufgaben trotz knapper Ressourcen422 erfüllen zu kön 420

Siehe zu dieser Kritik bei §§ 78a Abs. 2, 217h Abs. 2 SGB V oben S. 207 f. S. Lunk / J. Kassow, NZS 2016, 168 (168). Vgl. auch die Aufzählung bestimmter Hoheiten der Selbstverwaltungsträger, bei der die Personal- und Finanzhoheit stets genannt wird. Dazu J. Hellermann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Online-Kommentar, Art. 28 Rn. 40 (Stand der Kommentierung: Mai 2021); W. G. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2018, Art. 28 Rn. 19. 422 Thorsten Kingreen, der sich mit der Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen intensiv befasst, setzt in einer bedeutsamen Veröffentlichung zu dieser Fragestellung eine permanente Knappheit von Gesundheitsressourcen gewissermaßen voraus. Nur undeutlich kommt die Prognose zum Vorschein, dass eine permanente Knappheit trotz Reformvorschlägen wegen einer seit Jahren sinkenden Grundlohnsumme zum Ersten, der demografischen Entwicklung zum Zweiten sowie der steigenden Ausgaben aufgrund des medizinischen Fortschritts zum Dritten anhalten wird. Dazu T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (156 f.). 421

D. Professionalisierung der Haushaltskontrolle  

279

nen. Zugleich werden finanzielle Anreize geschaffen423, um Leistungserbringer und Versicherungsträger gleichermaßen zu wirtschaftlich optimalen Leistungen anzuspornen. Aus den Beiträgen und Bundeszuschüssen für die gesetzliche Krankenversicherung stehen regelmäßig enorme Summen424 zur Verfügung, die für die Aufgabenerfüllung eingesetzt werden können. Hohe Finanzvolumina bergen allerdings ein besonderes Korruptionspotential.425 Auch die Risiken der Misswirtschaft sind beträchtlich. Sobald die finanzielle Schieflage ein Ausmaß erreicht hat, in dem eine Haushaltskonsolidierung nicht mehr wirksam ist426, kann die Aufgabenerfüllung nicht mehr gelingen. Auf der Kehrseite bestehen aber im Bereich des Haushalts- und Personalwesens vergleichsweise weite Spielräume der Selbstverwaltungsträger, die mit externen und internen Kontrollinstrumenten abgesichert werden.427 Für die Praxis hat die Kontrolle des Haushaltswesens deshalb eine außerordentliche Bedeutung.428

I. Outsourcing der externen Haushaltsprüfung Der Gesetzesentwurf beinhaltet, in leicht abgewandelter Fassung zum Referentenentwurf429, die Verschiebung der turnusmäßigen externen Haushaltsprüfung auf externe Einrichtungen oder spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien. Dazu sollte synchron für sämtliche Spitzenorganisationen in den §§ 78 Abs. 6 Satz 1, 91a Abs. 3 Satz 1, 217d Abs. 4 Satz 1 SGB V (BRegE) und § 282 Abs. 4 Satz 2 SGB V (BRegE) festgelegt werden, dass „mindestens alle fünf Jahre“ eine externe Prüfung der „Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung“ durch eine „unabhängige externe Prüfeinrichtung“ oder eine spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei durchgeführt 423

T.  Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 22. Ähnlich auch F. Welti, VSSR 2006, 133 (148 f.). 424 Vgl. auch die Ausführungen bei M. Niebler, NZS 2017, 933 (936). 425 M. Gaßner, NZS 2011, 521 (524 f.). 426 Siehe dazu mit beispielhaftem Blick auf die externe Kontrolle des Haushalts der Stadt Bad Münster am Stein T. Duve, Verwaltung und Management 14 (2008), 283 (290). Die Schieflage im Haushalt muss indessen beträchtlich sein, wenn bedacht wird, dass einige Bundesländer sogar Schutzmaßnahmen für besonders konsolidierungsbedürftige Gemeinden treffen. Vgl. zum Schutzschirm in Hessen D. Rauber, DÖV 2019, 352 (354 f.). Allgemein zur Nichtwiederholbarkeit von Entscheidungen den Haushalt betreffend F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (388). 427 Im Bereich der externen Haushaltskontrolle hat der Gesetzgeber des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes aufgrund der „gestiegenen Anforderungen insbesondere auch im Compliance Bereich“ den Bedarf zu einer Professionalisierung der Prüfmechanismen gesehen. BT-Drucksache 18/10605, S. 37. 428 J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 792 f. 429 Zu den Kerninhalten von § 78 Abs. 6 SGB V (RefE), allerdings ohne wörtliche Abfassung der Vorschrift siehe nur die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, veröffentlicht unter: https://www.kbv.de/media/sp/2016-10-13_GKV-SVSG_RefE_KBV-Stellung nahme.pdf, S. 8, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

280 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben wird, die im „Einvernehmen mit der Aufsichtsbehörde“430 beauftragt wird.431 Das Initiativrecht für die Prüfungen außerhalb des Fünf-Jahres-Turnus verbleibt gleichwohl bei der zuständigen Aufsichtsbehörde. Das Outsourcing der turnusmäßigen Haushaltskontrolle zieht zudem Folgeänderungen nach sich, die der Gesetzgeber auch berücksichtigt hat. Denn die regelmäßige Haushaltsprüfung ist nach alter und wieder aktueller Rechtslage nach § 274 Abs. 1 Satz 1 SGB V an das Bundesversicherungsamt, heute Bundesamt für Soziale Sicherung, delegiert. Selbstredend waren die betroffenen Spitzenorganisationen aus dieser Delegation zu entfernen; ferner waren Normierungen der Kostengrundlagen in § 274 Abs. 2 SGB V ebenfalls entbehrlich.432 Der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag, der das Outsourcing verworfen hat, war deshalb auch gehalten, die Folgeänderungen in § 274 Abs. 1 und 2 SGB V wieder rückgängig zu machen.433

II. Stellungnahme Die Festschreibung einer externen Revision erinnert stark an die Wirtschaftsaufsicht, in der eine kaufmännische Kontrolle meist an externe Stellen ausgelagert wird, etwa Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder besondere Prüfungsstellen.434 Im Kommunalrecht ist die Hinzuziehung externer Berater zur Haushaltskonsolidierung als milderes Mittel im Verhältnis zur förmlichen Bestellung eines Beauftragten eine gern genutzte Option.435 Gleichwohl hat der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag die Reformideen mit der nüchternen Feststellung, es bleibe somit bei der turnusmäßigen Prüfung durch das Bundesversicherungsamt, gestrichen.436 Offenbar hat sich der Ausschuss von der Überlegung leiten lassen, dass eine Auslagerung der externen Haushaltskontrolle keine Effizienz- und Transparenzverbesserung nach sich zieht.

430

Vgl. hierzu §§ 78 Abs. 6 Satz 3, 91a Abs. 3 Satz 3, 271d Abs. 4 Satz 3 SGB V (BRegE). Siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 27 f.; 36. 432 So enthält Art. 1 Nr. 16 lit. a) des Gesetzesentwurfs Folgeänderungen des § 274 SGB V, siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 18 f. Es darf davon ausgegangen werden, dass bereits der Referentenentwurf eine entsprechende Anpassung vorsah. 433 BT-Drucksache 18/11009, S. 44. 434 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 152. 435 K. Schönenbroicher, in: Dietlein / Heusch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, 14. Edition 2020, § 124 GO NRW Rn. 10 (Stand der Kommentierung: 1. 6. 2021). 436 BT-Drucksache 18/11009, S. 41  – betr. die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 78 Abs. 6 SGB V-BRegE); S. 43  – betr. den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (§ 217d Abs. 4 SGB V-BRegE); S. 44 – betr. den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund (§ 282 Abs. 4 SGB V-BRegE); eine Begründung zum Entfall dieser Vorschrift beim Gemeinsamen Bundesausschuss bleibt der besondere Teil der Beschlussempfehlung allerdings schuldig. 431

D. Professionalisierung der Haushaltskontrolle  

281

Im Falle der Versicherungsträger hat eine Verlagerung der externen Haushaltsprüfung vom Bundesamt für Soziale Sicherung auf eine externe Prüfungseinrichtung oder hierauf spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei tatsächlich nur dann Sinn, wenn die fachliche Unabhängigkeit des Bundesamtes für Soziale Sicherung ernsthaft in Frage zu stellen wäre. In der Literatur werden Vorwürfe in diese Richtung erhoben. Michael Niebler etwa stellt die Unabhängigkeit der damals noch als Bundesversicherungsamt firmierenden Behörde mit dem Argument in Frage, ihr werde, anders als dem Bundesrechnungshof, keine gesetzlich garantierte Unabhängigkeit zugestanden.437 Zumindest aber müsse die Unabhängigkeit des Leiters der Prüfungseinrichtung gewährleistet sein.438 Ist der Leiter demgegenüber weisungsgebunden, könne nach der Auffassung von Niebler „nicht ausgeschlossen werden, dass externe Interessen in die Leitung und Führung der Prüfungsbehörde einfließen“.439 In der Tat können auf den ersten Blick Zweifel an der institutionellen Unabhängigkeit des Bundesamtes für Soziale Sicherung aufkommen, wenn in § 94 Abs. 2 Satz 3 SGB IV angeordnet wird, dass es an „allgemeine Weisungen“ des zuständigen Bundesministeriums440 gebunden441 und somit in die Hierarchie der Ministerialverwaltung eingegliedert ist. Etwaige politische Abhängigkeiten, die durch die Weisungsgebundenheit in der Verwaltungshierarchie eintreten, werden sich indessen weniger riskant darstellen, als die Verlagerung auf externe Prüfungseinrichtungen, die offenkundig neben dem Antrieb zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben auch von eigenen wirtschaftlichen Interessen geleitet werden. Ob man aber soweit gehen kann, die Bedenken von Gero-Falk Borrmann zu teilen, der formuliert, die Auslagerung immer mehr Aufgaben an externe Dritte verschärfe die Dezentralisierung der Aufgabenerfüllung im Sinne einer „Konzernbildung“ mit weitreichenden Folgen, mag im hiesigen Kontext mit Vorsicht zu genießen sein.442 Richtig ist zwar, dass „spezialisierte“ Prüfungseinrichtungen oder für diesen Aufgabenbereich kompetente Rechtsanwaltskanzleien meist große Unternehmen sind. Gegen eine Verlagerung der Haushaltsprüfungen auf diese externen Strukturen spricht einerseits, dass diese externen Einrichtungen selbstverständlich auch in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln und deshalb möglicherweise sogar weniger neutral handeln als die internen Prüfstrukturen.

437

M. Niebler, NZS 2017, 933 (934). M. Niebler, NZS 2017, 933 (935). 439 M. Niebler, NZS 2017, 933 (937 f.). 440 Im Falle der gesetzlichen Krankenversicherung das Bundesministerium für Gesundheit, vgl. § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. 441 Es handelt sich hierbei um eine Fachaufsicht des federführenden Ministeriums, die sich allerdings auf „allgemeine Weisungen“ beschränkt, nicht jedoch konkrete, ermessensbeschränkende Direktiven für den Einzelfall umfasst. Dazu BVerwG, Beschluss vom 12. 9. 2011 – 8 B 39/11, juris Rn. 7; C. Schütte-Geffers, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, 2. Aufl. 2014, § 94 Rn. 6; A. Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 94 SGB IV Rn. 11 f. 442 G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (143). 438

282 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben Darüber hinaus streitet der langjährige Erfahrungsschatz für eine Beibehaltung der Haushaltsprüfung beim Bundesamt für Soziale Sicherung.443 Verglichen mit externen Prüfungseinrichtungen ist es die kompetentere Stelle. Seit seiner Gründung als Bundesversicherungsamt ist es als selbstständige Bundesoberbehörde444 mit vielfältigen Prüfaufgaben betraut; auch wenn sein Aufgabenspektrum in der Tendenz kontinuierlich zunimmt445, gehört doch die Haushaltskontrolle zu den Kernkompetenzen der Behörde. In der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung stellt sich die Frage zwar nicht; gleichwohl hat es hier Überlegungen gegeben, ab einer – näher zu bestimmenden – Schwere von Haushaltsverstößen auch die Staatsanwaltschaft in die Kontrollvorgänge einzubinden.446 Die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft bei einem Verdacht auf strafbare Handlungen ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. Nach der derzeitigen Konzeption der gesetzlichen Krankenversicherung ist es die originäre Aufgabe der Aufsichtsbehörden, die Selbstverwaltungsträger zu kontrollieren und ihre Regeltreue im Zweifel einzufordern447, während eine ausgelagerte Kontrolle bislang systemfremd ist. Verfassungsrechtlich spricht allerdings nichts dagegen, dieses Konzept insoweit umzuwandeln, für die Haushaltskontrolle externe Einrichtungen hinzuzuziehen. Effizienter werden die Prüfverfahren aber hierdurch nicht zwingend. Zur Förderung einer effizienten Aufsichtsführung wäre es vielmehr naheliegend, grundlegende Aufsichtskompetenzen der Fachebene im Bundesamt für Soziale Sicherung zu bündeln und die Personalstrukturen entsprechend auszustatten448 sowie Betriebsprüfungen nicht bloß turnusmäßig, sondern zusätzlich auch bei Vorliegen konkreter Anlässe einer beträchtlichen Misswirtschaft zu ermöglichen449.

E. Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Abschnitts des vierten Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des dritten Abschnitts des vierten Kapitels in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: 443 C.  Schütte-Geffers, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, 2. Aufl. 2014, § 94 Rn. 6; G.-F. Borrmann, KrV 2017, 141 (146). 444 Krit. zu diesem Begriff A. Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 94 SGB IV Rn. 3. 445 D. Schewe, Sozialer Fortschritt 1984, 142 (144). 446 Dazu G. Steinhilper, MedR 2005, 131 (132). 447 M. Niebler, NZS 2017, 933 (936) hält dies allerdings nicht für ausreichend. 448 Zu diesem Ansatz ausführlicher unten S. 338 ff. 449 Aufgegriffen sei hiermit die Kritik von H.-D. Steinmeyer, NZS 2008, 393 (396), der mehr Reaktionsfähigkeit fordert, weil Vorgänge, die den Haushalt der Selbstverwaltungsträger gefährden, so kurzfristig erfolgen können, dass die auf einen Fünf-Jahres-Turnus angelegte Betriebskontrolle nicht greift.

E. Zusammenfassung  in Leitsätzen

283

1. Verglichen mit den Entwurfsfassungen ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz in deutlich abgeschwächter Form in Kraft getreten. Im Fokus stand im Wesentlichen ein spürbarer Ausbau der externen Kontrolle. Auffallend ist zunächst, dass es sich bei den verworfenen Reformideen ausschließlich um externe, repressive Aufsichtsinstrumente handelt, während die Anpassungen interner Kontrollstrukturen allesamt verabschiedet worden sind. Im formellen Gesetzgebungsverfahren oder bereits davor gescheitert sind lediglich solche Kontrollinstrumente, die schwerste Einschnitte für die Selbstverwaltungsträger bedeutet hätten und deshalb gesundheitspolitisch kaum konsensfähig gewesen wären. 2. Besonders prekär sind solche intensiven Eingriffsrechte, wenn es um die untergesetzliche Normsetzung der Selbstverwaltungsträger geht, der für die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch die Betroffenen eine Schlüsselrolle zukommt. In diesem Zusammenhang waren zwei bedeutsame Reformen vorgesehen. a) Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah vor, das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde zu ermächtigen, allen Spitzenorganisationen „Inhaltsbestimmungen zur Rechtsauslegung und Rechtsanwendung“ bei unbestimmten Rechtsbegriffen vorzugeben. Schon aus rechtsstaatlicher Perspektive ist die Ermächtigung zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen bedenklich. Sie hätte dazu geführt, die grundsätzliche Beschränkung auf die reine Rechtsaufsicht im Sozialversicherungsrecht partiell bei den Spitzenorganisationen durch Tendenzen der Fachaufsicht zu erodieren. Soweit Inhaltsbestimmungen erlassen werden, sollte der „gehörige Gestaltungsspielraum“ der Selbstverwaltungsträger so weit zurückgedrängt werden, dass „in diesen Bereichen“ die Aufsichtsführung „nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt“ bleibt. b) Mit der Kompetenz der Aufsichtsbehörde, Inhaltsbestimmungen zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe vorzugeben, die für die betroffenen Spitzenorganisationen verbindlich sind, hätte sich eine Art „Auslegungs- und Konkretisierungskonkurrenz“ zwischen den Selbstverwaltungsträgern und der Ministerialverwaltung ergeben. Und dies auf einem weiten Feld: Die offene Formulierung „zur Gewährleistung einer mit den Gesetzeszwecken in Einklang stehenden Mittelverwendung“ assoziiert zunächst, die Inhaltsbestimmungen sollten im Bereich der Personal- und Finanzhoheit der Selbstverwaltungsträger ansetzen. Die geschickte Formulierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde sämtliche Aufgaben der Selbstverwaltungsträger unter Verwendung ihrer Mittel erfolgen. c) Unbestimmte Rechtsbegriffe gibt es, auch im Sozialrecht, zahlreich. Doch nur in restriktiven Ausnahmefällen erkennt die Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe an. Die hieraus folgende eingeschränkte gerichtliche Kontrolle führt jedenfalls dann zu erheblichen Problemen, wenn sich zwei Verwaltungsträger, nämlich zum einen der Selbstverwaltungsträger und zum anderen die Aufsichtsbehörde als Träger unmittelbarer Staatsverwaltung, auf die Befugnis zur Ausschöpfung eines Beurteilungsspielraums berufen.

284 4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 3. Verworfene Reformvorhaben d) Abgesehen von der Dogmatik des Beurteilungsspielraums überzeugt die angedacht gewesene Ermächtigung zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen auch innerhalb des Aufsichtsverhältnisses nicht. Denn die Selbstverwaltungsträger sollten die Inhaltsbestimmungen nicht gerichtlich angreifen können. Ohne Not wird der gerichtliche Rechtsschutz verknappt. 3. Eine stärkere gesetzliche Vorzeichnung der untergesetzlichen Normsetzung war ferner durch Erweiterung der Kataloge für die Mindestinhalte von Satzungen vorgesehen. Der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag hat sich allerdings entschieden, dem Plenum des Deutschen Bundestages vorzuschlagen, die erweiterten Mindestinhalte für Satzungen fallen zu lassen, weil sie nicht mehr festgeschrieben hätten, als nach gelebter Praxis einer ordnungsgemäßen Verwaltung ohnehin schon berücksichtigt und angewandt wird. Eine doppelte Absicherung über den Vorbehalt des Gesetzes stellt die Verleihung von Satzungsgewalt als solche zwar nicht grundsätzlich in Frage, führt aber zu einer letztlich überflüssigen Bevormundung der Selbstverwaltungsträger, obwohl Risiken über bestehende Aufsichtsinstrumente hinreichend abgefangen werden können. 4. Erhebliche Veränderungen waren ursprünglich auch für die Aufsichtsführung über den Gemeinsamen Bundesausschuss angedacht. In § 91b Abs. 1 SGB V (RefE) war eine Ermächtigung vorgesehen, die es dem Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde ermöglicht hätte, die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses ungeachtet der Fristbindung in § 94 Abs. 1 SGB V nachträglich zu beanstanden. Die Überlegung, die sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses auf einen ähnlichen Prüfstand stellen zu wollen wie die Richtlinien, ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Schlüssig hätte er aber nur dann weiterverfolgt werden können, wenn die Verfahrensvorgaben an der Beanstandung der Richtlinien nach § 94 Abs. 1 SGB V orientiert worden wären. Einer ex-post-Kontrolle auf aufsichtsrechtlicher Ebene bedarf es auch hier nicht, weil sich über den gerichtlichen Rechtsschutz dasselbe Ziel erreichen lässt. 5. Einen weiteren systematischen Bruch im Komplex des erweiterten Beanstandungsrechts bedingt § 91b Abs. 2 SGB V (RefE), wonach das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt werden sollte, das Beschlussgremium nach § 91 Abs. 2 SGB V, mithin das Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses anzuweisen, die für die Durchführung von  – beliebigen  – aufsichtsrechtlichen Verfügungen erforderlichen Beschlüsse zu fassen und bei Nichtdurchführung innerhalb einer bestimmten Frist im Wege der Selbstvornahme zu ersetzen. Materiell spiegelt diese Regelung die §§ 78a Abs. 2, 217h Abs. 2 SGB V wider: Diese sind für den Gemeinsamen Bundesausschuss genauso verzichtbar, wie für die übrigen Spitzenorganisationen. Ermächtigungen stehen bereits nach geltender Rechtslage bereit. 6. Weitreichende Einschnitte waren auch für die Kontrolle des Haushalts-, Personal- und Rechnungswesens angedacht. Der Gesetzesentwurf beinhaltet, in leicht abgewandelter Fassung zum Referentenentwurf, die Verschiebung der turnus­

A. Essentialia des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  

285

mäßigen externen Haushaltsprüfung auf externe Einrichtungen oder spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien. Die Festschreibung einer externen Revision erinnert stark an die Wirtschaftsaufsicht, in der eine kaufmännische Kontrolle meist an externe Stellen ausgelagert wird. Eine Verlagerung der externen Haushaltsprüfung auf eine externe Prüfungseinrichtung oder hierauf spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei hat tatsächlich nur dann Sinn, wenn die fachliche Unabhängigkeit des Bundesamtes für Soziale Sicherung ernsthaft in Frage zu stellen wäre. Hierzu besteht kein Anlass. Zur Förderung einer effizienten Aufsichtsführung wäre es vielmehr naheliegend, grundlegende Aufsichtskompetenzen der Fachebene im Bundesamt für Soziale Sicherung zu bündeln und die Personalstrukturen entsprechend auszustatten sowie Betriebsprüfungen nicht bloß turnusmäßig, sondern zusätzlich auch bei Vorliegen konkreter Anlässe einer beträchtlichen Misswirtschaft zu ermöglichen. Vierter Abschnitt

Auswertung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes A. Essentialia des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  Sollen die Auswirkungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes nach der eingehenden Analyse der vorherigen Abschnitte auf das Wesentliche reduziert werden, verbleiben drei zentrale Erkenntnisse.

I. Vereinheitlichung der Aufsichtsführung Zunächst fällt auf, dass das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz von der grundsätzlichen Vorstellung geprägt ist, über die als Spitzenorganisationen bezeichneten Einrichtungen ein einheitliches Aufsichtsregiment zu schaffen. In den Worten des Gesetzgebers gesprochen soll mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz ein „passgenaues“ und „gestrafftes“ Aufsichtsverfahren eingeführt werden, indem die Staatsaufsicht über die mit unterschiedlichen Funktionen und Kompetenzen ausgestatteten Spitzenorganisationen vereinheitlicht werden.450 Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass auch bei den anderen Organisationen ähnliche Funktionsstörungen eintreten können, wie es bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung der Fall war. Dies jedenfalls erklärt den Wunsch, das Aufsichtswesen über die Spitzenorganisationen harmonisieren zu wollen. Hierin 450 Siehe dazu nur H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 290 – ohne die Hervorhebung. Krit. hierzu R. Paquet, kma 4/2017, 26 (28), der kritisiert, alle Spitzenorganisationen werden in „Sippenhaft“ genommen, während die anlassgebenden Verfehlungen ausschließlich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung anzulasten seien. Vgl. auch P. Axer, KrV 2017, 89.

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 4. Auswertung

liegt im Grunde schon ein Widerspruch in sich: Eine Vereinheitlichung steht in einem diametralen Gegensatz zu der Idee, die Kontrolldichte der Staatsaufsicht „bereichsspezifisch auszubalancieren“451. Sie übersieht, dass die Spitzenorganisationen unterschiedliche Funktionen ausüben452, die bei „passgenauem“ Zuschnitt der Staatsaufsicht zu berücksichtigen sind. Pauschale Übernahmen stehen diesem Gedanken einer individualisierten Aufsichtsdichte entgegen und brechen mit dem Prinzip eines wechselseitigen Ausgleichs. Eine rechtliche Systemkongruenz der Staatsaufsicht über grundsätzlich verschiedene Einrichtungen ist deshalb generell ein verfehlter Ansatz für die Aufsichtsgesetzgebung. Stattdessen sind die Aufsichtsstrukturen auf die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen. Hierzu hat das Parlament die notwendigen Freiheiten. Normative Redundanzen werden so vermieden, die Aufsichtsführung gestrafft, einer weiteren Übersteuerung des Rechts entgegengewirkt und insgesamt Klarheit im Aufsichtsgefüge des Krankenversicherungsrechts geschaffen.

II. Fokussierung auf die Korruptionsprävention Im Übrigen wird der deutliche Fokus des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes auf die Korruptionsprävention offenkundig453, der durch den Ausbau der externen und internen Kontrollinstrumente normativen Niederschlag findet. Der Gesetzgeber hat offenbar erkannt, dass auch über die reine Rechtsaufsicht in nicht zu unterschätzendem Maße Steuerung und Lenkung möglich sind, sofern die qualitativen und maßstabsbildenden Vorgaben des Fachrechts dicht genug sind.454 Die jedenfalls formelle Beschränkung auf die Rechtsaufsicht bedeutet deshalb nicht zwangsläufig, dass eine politische Kontrolle von vornherein ausgeschlossen wäre.455 Auf der einen Seite strebt die Ministerialverwaltung nach mehr Kontrolle; auf der anderen Seite wird zumindest nicht offengelegt, altbekannte Strukturen verwerfen zu wollen. Über das Schicksal des Selbstverwaltungsgedankens schweigt die Gesetzesbegründung vielmehr.456 Dieser Befund muss unweigerlich zu der Schlussfolgerung führen, dass die Stärkung der externen Einflussnahme vorrangig vor der Stärkung der Selbstverwaltung verfolgt wurde; zugleich relativieren einige sinnvolle Maßnahmen interner Kontrolle den Eindruck von einem „Selbstverwaltungsschwächungsgesetz“. 451

Siehe hierzu nur H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 290. 452 R. Paquet, kma 4/2017, 26 (28). 453 Vgl. dazu BT-Drucksache 18/10605, S. 21. 454 Zur Abhängigkeit der Rechtsaufsicht von der Dichte des Fachrechts siehe auch F. Fattler, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, § 87 Rn. 1a (Stand der Kommentierung: April 2021); M. Gaßner, MedR 2017, 677 (682). 455 So aber BSGE 125, 233 (241 Rn. 37). 456 BT-Drucksache 18/10605, S. 2.

A. Essentialia des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes  

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Die Grundsatzentscheidung für die funktionale Selbstverwaltung als Organisationsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung457 tritt dabei in den Hintergrund, wird aber nicht vollkommen aufgegeben.458 Der Drang nach immer mehr und immer weitreichender Kontrolle drängt die eigentliche Intention der ­Bismarck’schen Konzeptionen sozialer Selbstverwaltung, den korporatistisch strukturierten Selbstverwaltungsträgern bestimmte Aufgabenspektren zu überantworten, immer mehr zurück. Ein grundsätzlicher Systembruch ist damit allerdings noch nicht bewirkt; immerhin sind die tradierten Grundsätze nicht aufgegeben worden. Sicherlich verfängt auch der in der Literatur erhobene Einwand von Karsten Scholz, der das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz als „eindrücklichen Beleg“ dafür begreift, dass diejenigen Organisationen die Befugnis zur dezentralisierten Entscheidungsfindung „verspielen“, die die „geschenkte“ Selbstverwaltung „nicht politisch klug“ ausüben.459 Offensichtliches Fehlverhalten kann nicht ohne Konsequenzen bleiben und auch die Ausstattung der Aufsichtsbehörden mit effektiven Ingerenzbefugnissen ist der funktionalen Selbstverwaltung nicht grundsätzlich schädlich, sondern im Gegenteil förderlich, weil ihre Funktionsfähigkeit hierdurch abgesichert wird. Einige überschießende Gehalte, insbesondere bei den externen repressiven Aufsichtsmitteln, lassen doch auf ein erhebliches Misstrauen der Gesundheitspolitik gegenüber der funktionalen Selbstverwaltung schließen. Gleichwohl scheut sich die Politik, die funktionale Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung zu verwerfen.460 Ob aus Überzeugung für die Selbstverwaltung oder mangels besserer Alternativen, kann nur gemutmaßt werden.

III. Fehlendes Bekenntnis für die funktionale Selbstverwaltung Ein funktionsfähiges Gesundheitswesen kann aber keine Verlegenheitslösungen gebrauchen. Vielmehr ist unerlässliche Voraussetzung der Grundkonsens der Gesundheitspolitik, die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt beizubehalten. Auf der Ebene des einfachen Rechts461 ist dieser Grundkonsens festzuhalten. Mit anderen Worten muss sich der Gesetzgeber zu der Selbstverwaltung als Organisationsform für die gesetzliche Krankenversicherung bekennen. Ob ein klares Bekenntnis angesichts der jüngeren Reformgesetzgebung noch besteht, mag zweifelhaft sein. Die Dynamik des Sozialversicherungsrechts und der darin zum Ausdruck kommende Drang zu häufigen Änderungen muss vielmehr als ein Indiz für die Unzufriedenheit mit den derzeitigen Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung und für das Misstrauen in deren Funktio 457

Vgl. dazu P. Axer, NZS 2017, 601 (605). Zu dieser Einschätzung auch O. Seewald, KrV 2017, 221 (226). 459 K. Scholz, KrV 2017, 232 (233). 460 O. Seewald, KrV 2017, 221 (226). 461 Allgemein zur Differenzierung von Normsetzungsebenen siehe R. Wahl, Der Staat 20 Nr. 4 (1981), 485 (502) – ohne die Hervorhebung. 458

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4. Kap.: GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, 4. Auswertung

nalität462 gedeutet werden. Im Übrigen machen immer dichtere Regelungswerke das Recht nicht klarer und erst recht nicht qualitativ besser.463 Es tritt im Gegenteil genau der Effekt ein, der sich aus der allgemeinen Reformgesetzgebung abzeichnet: Je komplizierter die Rechtsverhältnisse werden, umso höher ist der Bedarf an Rechtsschutz, Kontrolle und Transparenz.464 Besonders problematisch an dieser Einschätzung ist, dass es an gesundheitspolitischen Konzepten für den Erhalt der Selbstverwaltung fehlt. Vielmehr handelt der Gesetzgeber offensichtlich irrational. Es fehlt an bewusstem Handeln nach plausiblen Gründen.465 Die Forderung nach einem Bekenntnis zu einer Organisationsform bedeutet aber auch: Nicht zwangsläufig muss die Wahl des Gesetzgebers auf die funktionale Selbstverwaltung fallen. Wie Josef Isensee pointiert verdeutlicht, meint Rationalität nicht Tradition um der Tradition willen, aber auch nicht Neuerung um der Neuerung willen.466 Leitgebendes Motiv der Normsetzung darf nicht sein, tradierte Organisationsformen zu erhalten, sondern vielmehr, die gesetzliche Krankenversicherung institutionell rational auszustatten. Hierzu bedarf es aber einer klaren gesundheitspolitischen Entscheidung für die funktionale Selbstverwaltung als Organisationsform in der gesetzlichen Krankenversicherung, die zur aktiven Gestaltung befähigt467 wird und deren Kompetenzen positiv-rechtlich klar von denen der Ministerialverwaltung abgegrenzt sind468. Zugleich setzt eine gefestigte institutionelle Ausstattung der funktionalen Selbstverwaltung voraus, dass der Pluralität unterschiedlicher Selbstverwaltungsträger Rechnung getragen wird. Letzterem Ziel läuft die Intention des Gesetzgebers zuwider, die Selbstverwaltungsstrukturen vereinheitlichen zu wollen.469

B. Gesamtbilanz Kurzum bleibt festzuhalten: Es wäre zu wünschen, dass sich der Gesetzgeber für eine strukturelle Ausrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung verbind 462

Vgl. dazu auch R. Paquet, kma 4/2017, 26 (28). Siehe nur C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2081). 464 R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1999, 530 (534). 465 Vgl. J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (171), der Rationalität nach diesen Kriterien als „Art und Weise des Vorgehens“ beschreibt. 466 J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (171). Das Haften an Traditionen kann das Recht nach rechtssoziologischer Sicht allerdings auch irrational machen. Zu dieser Lehre Max Webers auch T. Raiser, JZ 2008, 853 (854). 467 W. Schmähl, Wirtschaftsdienst 2010, 474 (477) fordert, die Selbstverwaltung solle sich nicht nur auf „die Gestaltung der internen Organisation und […] Beihilfe zur praktikablen Umsetzung politisch vorgegebener Regelungen erschöpfen, sondern Selbstverwaltung sollte auch anstreben, im Interesse der von ihr vertretenen Menschen selbst Einfluss zu nehmen“. 468 Siehe dazu die im Grunde alte Forderung schon bei F. Sitzler, Sozialer Fortschritt 1952, 73 (79). 469 So aber ausdrücklich die Intention des Gesetzgebers, siehe BT-Drucksache 18/10605, S. 21. 463

B. Gesamtbilanz  

289

lich entscheidet.470 Soll die gesetzliche Krankenversicherung weiter unter Einsatz der Selbstverwaltung aufrechterhalten werden, sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine materielle Stärkung dieser Organisationsform geschaffen werden. Wird demgegenüber die Kontrolle, die mit der Rechtsaufsicht erreicht werden kann, zu schwach eingeschätzt, bietet sich die rechtliche Neustrukturierung der gesetzlichen Krankenversicherung oder einzelner Mechanismen an. Ein unbedingtes Festhalten an der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, ohne dieses Organisationsprinzip tatsächlich stützen zu wollen, ist dagegen nicht sinnvoll.

470 Wobei auch retrospektiv kritisiert wird, dass sich aus der jüngeren Gesetzgebung keine „klare Linie“ zur Fortführung der grundsätzlichen Systementscheidung in Bezug auf die Gestaltungsfreiheiten der Selbstverwaltung erkennen lasse. Dazu K. Scholz, KrV 2017, 232 (233).

Fünftes Kapitel

Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses A. Einführung Nach der Analyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes verbleibt ein ernüchternder Eindruck: Der parlamentarische Gesetzgeber hat sich gegen die Herausforderung entschieden, konsequent einen schonenden Ausgleich von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zu betreiben. Stattdessen sind insbesondere die externen Aufsichtsmittel über das Maß des Notwendigen erweitert worden. Das Parlament und damit der gesundheitspolitische Mehrheitskonsens hat sich für eine Regulierung des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht dahingehend entschieden, Aufsichtsmechanismen und Eingriffsermächtigungen, zugleich aber auch interne Kontrollinstrumente auszubauen. Demgegenüber enthält das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz keinerlei Maßnahmen, die an den organisatorischen und strukturellen Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger ansetzen. Es ist also berechtigt, wenn Peter Axer von einem „Aufsichtsstärkungsgesetz“ spricht.1 Letztlich ist das symptomatisch für eine Gesundheitspolitik, die sich hauptsächlich in Reaktion auf Krisen zum Handeln veranlasst sieht2 und insoweit kaum überraschend. Auch die dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nachfolgende Gesetzgebung setzt diesen Trend fort: Zahlreiche Gesetzgebungsvorhaben enthalten oder enthielten Regelungen, die die Selbstverwaltung einseitig belasten, indem ihre organisatorische Struktur – nicht immer zum Vorteil – angepasst oder ihre Handlungsspielräume verringert werden. Überprüfbar ist diese These anhand der zeitlich dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nachfolgenden Reformideen, die allerdings sämtlich verworfen worden und nicht Gesetz geworden sind. Beispielsweise war in einem schließlich verworfenen 28. Änderungsantrag zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ein neu zu schaffender § 94a SGB V vorgesehen, der in Absatz 1 das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt hätte, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung „zur Gewährleistung einer ausreichenden und angemessenen Versorgung“ festzulegen, sofern es sie „nach Abwägung insbesondere der Behandlungschancen 1

P. Axer, NZS 2017, 601 (604). Dabei sind Krisen gerade nicht geeignet, großzügige Systemveränderungen in Gang zu setzen. Dazu R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (125). 2

A. Einführung  

291

und -risiken für die Versicherten und unter Berücksichtigung etwaiger Behandlungsalternativen in der jeweiligen Versorgungssituation für erforderlich hält“; und zwar ausdrücklich ohne Berücksichtigung der Qualitätsanforderungen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.3 Bei der Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulanten Versorgungssektor wäre der Gemeinsame Bundesausschuss vollständig entmachtet worden, weil das Bundesministerium für Gesundheit die Kompetenz verliehen bekommen hätte, die Allokationsentscheidung selbst zu treffen. Ferner enthielt der Referentenentwurf des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz, GKV-FKG) vom 25. 3. 2019 die Idee, den Verwaltungsrat im Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit Vorständen der Mitgliedskassen zu besetzen; ähnliches war auch für die Dachorganisation des Medizinischen Dienstes angedacht.4 Schließlich ist durch das Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters Deutschland und zu weiteren Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregister-Errichtungsgesetz – EIRD) die Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses durch eine Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministeriums für Gesundheit weiter zurückgedrängt worden. In § 91b SGB V n. F. ist die Ermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit enthalten, nicht nur prozedurale, sondern gerade auch inhaltliche Anforderungen an die Richtliniensetzung, die die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulanten und stationären Sektor betrifft, verbindlich für den Gemeinsamen Bundesausschuss vorzugeben.5 Die Folgegesetzgebung führt also die grundlegende Strategie weiter, die Kontrolle über und den Zugriff auf die Selbstverwaltungsträger weiter auszubauen. Wenig überraschend ist, dass hauptsächlich der Gemeinsame Bundesausschuss im Fokus der Gesetzgebung steht, ist doch gerade diese Institution von den Novellierungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes weitgehend verschont geblieben.6 Sicherlich bedarf ein solch dynamisches Fachgebiet wie die öffentliche Gesundheitsversorgung ständiger Anpassungen.7 Der Innovationsdrang der Wissenschaft, 3

Veröffentlicht ist der noch auf ministerieller Ebene verworfene Änderungsantrag unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_ Verordnungen/GuV/T/AEnderungsantrag_TSVG_mit_Verordnungsentwurf.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 4 Siehe hierzu die vorgesehene Neufassung von § 217c Abs. 2 SGB V auf S. 23 des Referentenentwurfs, veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/G/RefE_Gesetz_fuer_eine_faire_ Kassenwahl_in_der_GKV.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 5 Siehe dazu nur die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 19/10523, S. 114. 6 Eine etwaige „Götterdämmerung“, wie sie Ulrich Gassner in NZS 2016, 121 (passim.) prognostiziert hat, dürfte damit allerdings nicht einhergehen, weil an den Kompetenzen dieses Gremiums kaum Änderungen vorgenommen wurden. 7 Naturgemäß wird der Gesundheitspolitik die Problembewältigung umso schwieriger fallen, je tiefer sich die Probleme auf der Detailebene befinden. Dazu A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 38. Dem Recht kommt dabei die Schlüsselrolle zu, die Ziele der Modernisierung sozialer Sicherungssysteme zu präzisieren und der Entwicklung von Konzeptionen einen verbindlichen Rahmen zu setzen. Dazu R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (133 f.).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

der medizinisch-technische Fortschritt, die finanziellen Rahmenbedingungen sowie die ethischen, gesellschaftlichen und – nicht selten überzogenen – politischen8 Vorstellungen sind zentrale Rahmenbedingungen für die Konzeption des Gesundheitswesens. Das Spannungsverhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht gerät durch den klar erkennbaren Trend in der Gesetzgebung jedoch immer mehr in ein Ungleichgewicht. Im Rahmen dieses letzten Kapitels werden, sozusagen kontradiktorisch, ausgewählte Überlegungen angestellt, wie durch verhältnismäßig übersichtliche Anpassungen des Rechts ein ausgewogenes Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht hergestellt werden kann. Von vornherein sei klargestellt: Es können im Rahmen dieser Untersuchung nur punktuelle Vorschläge gemacht und ausgewählte, praktikable Lösungsansätze angeboten werden, mit denen keinesfalls der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Möglicherweise aber bieten die folgenden Überlegungen Anlass zu einer tiefgründigeren Debatte über die Zukunft der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwei Aspekte sollen im Fokus der Ausführungen stehen: Zum einen die Überlegung, wie die funktionale Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung organisatorisch und institutionell gestärkt werden kann (B.), zum anderen, ob und wie sich Effizienzsteigerungen der Staatsaufsicht unabhängig von einem extensiven Ausbau der Eingriffsbefugnisse (C.) erreichen lassen.

B. Organisatorische und institutionelle Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Einen echten Gewinn würde die funktionale Selbstverwaltung aus einer organisatorischen und institutionellen Stärkung ziehen. Gerade hierin liegt eine wesentliche Herausforderung der Gesetzgebung.9 Die Hürden für einige hilfreiche Maßnahmen sind aus der derzeitigen Perspektive sogar denkbar gering, denn sie können mit wenigen, dafür aber effizienten Reformen umgesetzt werden.

8 Siehe etwa die wünschenswerte, aber kaum greifbare Forderung einer „ressortübergreifenden Gesundheitspolitik“, die von einigen Autoren ins Feld geführt wird, um effizientes Handeln zu ermöglichen und vorhandene Synergien zu nutzen. Welche konkreten Vorstellungen hieran knüpfen, bleibt allerdings weitgehend vage. Siehe dazu N. B. Heyen / T. Reiß, Sozialer Fortschritt 2014, 267 (270); ähnlich hohe Anforderungen stellen auch G.  Bäcker /  G. Naegele / R . Bispinck / K. Hofemann / J. Neubauer, Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Band 2, 5. Aufl. 2010, S. 108. Zu den interdisziplinären „Logiken und Ausrichtungen“ bei der politischen Auseinandersetzung mit dem Gesundheitswesen C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (659). 9 Ähnlich auch R. Pitschas, VVDStRL 64 (2006), 109 (122), der den Modernisierungs­ bedarf vor allem in den Bereichen Entbürokratisierung, Deregulierung und Privatisierung verortet.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

293

I. Erster Ansatz: Beseitigung von Legitimationsdefiziten Ein wesentlicher Ansatz, der einer jahrzehntelang geführten Debatte den Nährboden entziehen kann, ist die Beseitigung von Legitimationsdefiziten, die mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nicht einmal im Ansatz angegangen wurde.10 Dringender Handlungsbedarf besteht in der Gemeinsamen Selbstverwaltung, namentlich in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss, dessen demokratische Legitimation (und die seiner Rechtsvorgänger11) seit Jahrzehnten strittig und bis heute nicht abschließend geklärt ist. Denn das erhoffte Licht ins Dunkel hat der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 2015, der diese Thematik erstmals seit Langem wieder angesprochen hat, nicht bringen können. Nur recht vorsichtig spricht das Gericht von „gewichtigen Zweifeln“ an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses und entwickelt ein Modell, das sich auch universell für die Bestimmung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung eignet: Es sei nämlich „nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Richtlinie hinreichende Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität trifft, während sie für eine andere seiner Normen fehlen kann, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist.“12 Die Intensität der untergesetzlichen Normsetzung wird in ein Verhältnis zu den Mitwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen gesetzt, wobei je nach Art der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse das Abwägungsergebnis unterschiedlich ausfallen kann.13 1. Bedeutung von Betroffenenpartizipation Über die Frage, ob das Legitimationsniveau ausreicht, entscheidet also ganz maßgeblich, inwieweit die von der Selbstverwaltung Betroffenen eine Möglichkeit haben, an der Entscheidungsfindung mitzuwirken. Es versteht sich von selbst, dass die Teilhabemöglichkeit grundsätzlich sämtlichen Betroffenen eröffnet sein muss.14 Allerdings muss den strukturellen Gegebenheiten der Selbstverwaltungsträger15 hinreichend Rechnung getragen werden. Die Einbindung der Betroffenen in die 10

Etwas diplomatischer formuliert K. Loer, KrV 2017, 227 (230). Siehe statt vieler zu den damaligen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen und dem Bundessozialgericht R. Schimmelpfeng-­ Schütte, in: Sodan (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Versorgung, 2005, S. 93 f. 12 BVerfGE 140, 229 (239). 13 Soweit Thorsten Kingreen in MedR 2017, 8 (10) von einer Bewertungsmatrix spricht, dürfte dies im Ergebnis nichts anderes bedeuten. Vgl. auch U. Gassner, NZS 2016, 121 (125). 14 Speziell für die gesetzliche Krankenversicherung F. Welti, VSSR 2006, 133 (143). 15 Zur organisatorischen Differenzierung der Selbstverwaltungsträger W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 235 f. 11

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Entscheidungsfindung ist in homogenen Interessenstrukturen naturgemäß einfacher als in solchen Einrichtungen, die sich gruppenplural oder gruppenantagonistisch zusammensetzen; bei denen also aus den heterogenen Interessen der Konsens erst mühevoll herausgebildet werden muss. Je stärker die Interessen, die sich unter einem Dach vereinen sollen, auseinanderklaffen, umso schwieriger umsetzbar ist es, jeden Verband der sonstigen Leistungserbringer in den Gemeinsamen Bundesausschuss einzubeziehen. Die Betroffenenbeteiligung in solchen gruppenplural zusammengesetzten Einrichtungen wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss verlangt dem Gesetzgeber aber ab, im Rahmen seines politischen Gestaltungsspielraums sicherzustellen, dass zumindest die Betroffenengruppen als solche vertreten sind und dabei eine zahlenmäßige Mitgliederstärke festgelegt wird, durch welche der Gefahr der Durchsetzung gruppenegoistischer Ziele in einem pluralistisch zusammengesetzten Gemeinsamen Bundesausschuss entgegengewirkt wird.16 In der jüngeren Literatur wird dieser Ansatz von Thomas Holzner als eine organisatorisch-konsensuale Legitimationsquelle verstanden. Das Element der Betroffenenpartizipation wird dabei in Überlegungen zur demokratietheoretischen Relevanz von Konsensbildung eingeflochten. Ausgangspunkt dieser Konzeption bildet die These, die Einwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen bei der sachlich-inhaltlichen und sogar organisatorisch-personellen Legitimationskomponente seien gering. Die partizipativen Möglichkeiten in einem Konzept, in dem demokratische Legitimation durch normative Steuerung, Weisungsgebundenheit, den Parlamentsvorbehalt und Legitimationsketten vermittelt wird, blieben marginal, weil es dabei weniger um effektive Betroffenenpartizipation, als vielmehr um Rückkopplung der Entscheidungen an das Volk als Legitimationssubjekt, mithin um demokratische Verantwortlichkeit geht.17 Ausgehend von dieser These stellt Holzner die Rückkopplung der Entscheidungen an das Legitimationssubjekt in den Vordergrund und erhebt dieses Element zum Maßstab moderner Legitimationsansätze. Resultat dieser dogmatischen Zentrierung der Verantwortlichkeit sei die Möglichkeit der inhaltlichen Steuerung sowie die Machtkontrolle und in der Folge eine stärkere Orientierung am Gemeinwohl und eine höhere (gesellschaftliche) Akzeptanz der gefundenen Entscheidung.18 In Gefahr gerate diese Konzeption aber bei einseitiger 16

Vgl. dazu H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 420 f.; ders., NZS 2000, 581 (586). G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 373 verlangt gar gruppenparitätische Verbandsstrukturen und „gewisse Mitbestimmungsrechte“. 17 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 140; vgl. auch D. Steiger, in: Botha / Schaks / ders. (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates?, 2016, S. 361 ff. Dagegen betont aber E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 108, 110 die Bedeutung der Mitwirkung Betroffener als „Demokratisierung im strengen Sinne“, die für sämtliche Bereiche der funktionalen Selbstverwaltung relevant ist. Allerdings schließt sich auch Denninger, ebd., S. 111 m. w. N. der Auffassung vieler Autoren an, die Mitwirkungshandlung vermittle für sich genommen noch keine demokratische Legitimation. 18 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 140.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

295

Machtakkumulation, die ungehinderte Entscheidungen ermöglicht; das Konzept kann also nur gelingen, wenn Machtakkumulation vermieden wird.19 Ausgehend von diesen Thesen ergibt sich folgender wichtiger Befund: Die Art und Weise, wie Macht verteilt ist, kann entscheidend für die Frage sein, ob eine demokratische Rückkopplung an das Legitimationssubjekt und damit die Einstellung eines hinreichenden Legitimationsniveaus gelingen kann. Umgekehrt wird die Selbstverwaltungsstruktur umso „demokratiefester“, je stärker Macht verteilt und je häufiger wechselseitige Kontrolle20 stattfindet. Holzner will die Gefahr von Machtakkumulation durch interessengerechte Betroffenenpartizipation zum einen21 und durch die Rechtsaufsicht als organisatorisch-institutionelle Absicherung zum anderen22 bannen. Im Falle gruppenplural zusammengesetzter Einrichtungen, wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss23, ist die lückenlose Berücksichtigung der verschiedenen Interessengruppen wichtig, um erstens eine institutionelle demokratische Legitimation sicherzustellen und zweitens die fachliche Richtigkeit ihrer Entscheidungen zu fördern.24 Mit der Einbindung der verschiedenen Interessengruppen unter einem Dach wird aber auch folgendes deutlich: Der Gemeinsame Bundesausschuss ist eine Einrichtung völlig eigener Art25, weil er ein Spiegel der Idee ist, gegensätzliche Interessen in einer Organisation zu vereinigen.26 Die Gefahr einer einseitigen Machtakkumulation will Erhard Denninger vermeiden, indem ein „prekäres Gleichgewicht und zugleich eine praktisch unauflösliche Verbindung von Sachverstand und Interesse“ bei der Einbindung Betroffener

19 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 140 f. 20 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 141. 21 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 145 f. 22 T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 149. 23 A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (356). 24 Zur Begründung des Aspekts der Richtigkeitsgewähr kann auf eine frühe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1974 Bezug genommen werden, in der das Gericht einen Stabilisierungsfonds für Wein unter anderem deshalb als verfassungsrechtlich unbedenklich deklarierte, weil die sachverständige Beteiligung sämtlicher Interessengruppen der Weinwirtschaft gelungen und er deshalb effektiver als eine Körperschaft sei. Dazu BVerfGE 37, 1 (25). Zur Bedeutung der fachlich-technischen Richtigkeit für das Legitimationsverständnis auch E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 115. 25 E. Hauck, NZS 2010, 600 (602); R. Schmidt-De Caluwe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 91 Rn. 11; offen gelassen bei D.  Roters, in: Körner / L eitherer /  Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 91 SGB V Rn. 3a (Stand der Kommentierung: Dezember 2020); vgl. auch zum Organerfindungsrecht des Gesetzgebers S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 346 f. 26 So bezeichnet S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 346 die gemeinsame Selbstverwaltung als „Problemlösung unterhalb der Normierungsebene“, die von der Kooperation ihrer Mitglieder geprägt ist.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

in die Selbstverwaltung herzustellen sei.27 Bei der Bürgermitverwaltung wie auch bei der Bürgerselbstverwaltung sind nach Denninger Einflusschancen und Verantwortlichkeiten so zu strukturieren, dass „der interessierte Sachverstand und das sachverständige Interesse beider Seiten“, also der Gesamteinrichtung wie auch der einzelnen Betroffenen, zur Geltung kommen können. Den Grad des Mischungsverhältnisses will Denninger dabei im Einzelfall anhand der Indikatoren der Sachmaterie, dem Grad der Interdependenz mit anderen Bereichen und der Art der zu treffenden Entscheidungen bestimmen.28 Unabhängig davon, ob dieser noch immer vage bleibende Ansatz einen merklichen Gewinn bei der Konstruktion der Betroffenenbeteiligung vermittelt, ist doch der Ansporn, die Betroffenenbeteiligung kategorisieren zu wollen, anzuerkennen. Er zeigt jedenfalls, dass auch die Einbindung des Sachverstandes Betroffener nicht wahl- und bedingungslos, sondern in Ansehung der jeweiligen Funktion der Selbstverwaltung, ihres fachlichen Kontextes sowie der Auswirkungen ihrer Entscheidungen ermittelt werden muss.29 Mit anderen Worten: Dass es der Reflexion darüber bedarf, wie und in welchem Maße Betroffene sinnvoll eingebunden werden können. 2. Defizitäre Betroffenenpartizipation im Gemeinsamen Bundesausschuss In der praktischen Ausführung und rechtlichen Vorzeichnung kann die Umsetzung dieser Anforderungen Gesetzgebung und Verwaltung vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die Gemeinsame Selbstverwaltung ist ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig es sein kann, die Grundidee politischer Selbstverwaltung mit Leben zu erfüllen. Angefangen bei der Frage, wer in der interessenpluralen Selbstverwaltung30 konkret zu beteiligen ist31 bis hin zu der Überlegung, wie dies geschehen kann32, führt in der praktischen Ausführung zu Schwierigkeiten. Die Kritik an der Betroffenenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss gipfelt in der Literatur in einer Formulierung von Thorsten Kingreen, dieses Gremium segele nur begrifflich unter der Flagge der Selbstverwaltung, weil „keine kollektive Wahrnehmung von im Grundsatz homogenenen Interessen durch einen abgrenzbaren Kreis von Betroffenen“ stattfinde, „sondern […] gesundheitspolitische 27

E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 119. E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 123. 29 Ähnlich auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 489 m. w. N. 30 Zu den heterogenen Binnenstrukturen der Selbstverwaltungsträger und dem Anspruch, Interessen verschiedener Betroffenengruppen zu vereinen W. Kluth, GesR 2015, 513 (515). Allgemein zur Interessenpluralität als Folge gefächerter Verwaltungsstrukturen T. Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2012, S. 7. 31 Explizit dazu I. Ebsen, MedR 2006, 528 (531). Vgl. auch W. Kluth, GesR 2015, 513 (515); H. Sodan / B. Hadank, NZS 2018, 804 (805 ff.). 32 Siehe nur zur Schwierigkeit, die Interessen der Versicherten im Gemeinsamen Bundesausschuss angemessen einzubinden. Siehe dazu sogleich unten S. 297 ff. 28

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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Kontrahenten ihre Verteilungskonflikte mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Versicherten“ abarbeiten.33 Ein derart zugespitztes, neokorporatistisches Verständnis greift in Ansehung der partizipativen Strukturen im Gemeinsamen Bundesausschuss, die eine Betroffenenteilhabe tatsächlich ermöglichen, zu kurz. Möglichkeiten zur Teilhabe bestehen grundsätzlich für die maßgeblich Betroffenen, insbesondere auch für die Versicherten, was nicht negieren soll, dass die Betroffenenbeteiligung für bestimmte Betroffenen- und Interessengruppen defizitär bleibt. Über das Ergebnis besteht sogar ein nahezu verblüffender Konsens in der Wissenschaft34; paradox ist aber, dass noch immer umstritten ist, welche Betroffenengruppen nicht hinreichend in die Entscheidungsfindung eingebunden sind. a) Betroffenenrepräsentanz auf Seiten der „Leistungsempfänger“ Eine beachtliche Auffassung verortet die mangelnde Betroffenenteilhabe bei der Gruppe der „Leistungsempfänger“, wobei hier teils auf die Versicherten35, häufiger aber auf den vagen Begriff der „Patienten“ Bezug genommen wird36. Insoweit werden punktuell immer wieder Forderungen zu einem Ausbau der Patientenrepräsentanz in der Gemeinsamen Selbstverwaltung erhoben, die bis zu solchen Ideen münden, den Patientenvertretern ein vollwertiges Stimmrecht im Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses37 oder die Möglichkeit, zwei von drei Unparteiischen zu be- bzw. ernennen38, zuzugestehen. aa) Unterscheidung von Versicherten- und Patienteninteressen Dass die gesundheitspolitischen Forderungen meist an den sogenannten Patientenvertretern anknüpfen, hängt sicherlich mit der ohnehin schon herausgehobenen Stellung der Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss zusammen. Seit 33

T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (178). S. Muckel, NZS 2002, 118 (119); I. Ebsen, MedR 2006, 528 (530); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (199); H. Sodan, PharmR 2007, 485 (486); C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655). 35 In diese Richtung etwa R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (569). 36 Insbesondere deshalb, weil der Ausbau der „Patientenrechte“ in der Gesundheitspolitik phasenweise besonders hoch im Kurs steht. Zu dieser Überlegung C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 29. Vgl. auch den Antrag der Fraktion DIE LINKE. zum GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, BT-Drucksache 18/10630, S. 2. 37 Ein Stimmrecht für „möglich, wenn auch keineswegs geboten“ hält F. Welti, in: Mehde /  Ramsauer / Seckelmann (Hrsg.), FS für Hans Peter Bull, 2011, S. 913 f. I. Ebsen, MedR 2006, 528 (530) plädiert für „Mitspracherechte in den Gremien“, was auf ein Stimmrecht im Plenum hinauslaufen dürfte. Für ein vollwertiges Stimmrecht auch N. B. Heyen / T. Reiß, Sozialer Fortschritt 2014, 267 (271). 38 Siehe hierzu den Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken“, BT-Drucksache 18/10630, S. 2. 34

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

dem GKV-Modernisierungsgesetz39 steht der Interessenvertretung der „Patienten“ nach § 140f Abs. 2 SGB V ein subjektives Recht40 zur Mitberatung im Gemeinsamen Bundesausschuss zu.41 Es umfasst neben dem Recht der Organisationen der Patientenvertretung zur Antragstellung immerhin ein Rederecht in den Sitzungen des Plenums sowie das Recht zur Anwesenheit bei der Beschlussfassung.42 Damit ist das Mitberatungsrecht mehr als ein bloßes Verfahrensrecht (etwa im Sinne eines Anhörungsrechts), aber weniger als ein echtes Stimmrecht. Gleichwohl verfügen die Organisationen der Patientenvertretung über eine starke Position im Gemeinsamen Bundesausschuss, was aus drei Gründen verwundert. Erstens setzen sich die Vertreter der „Patienten“ aus unterschiedlichen Organisationen insbesondere aus dem Bereich der Behindertenvertretung zusammen43, bei denen schon fraglich ist, ob sich die dort vertretenen Interessen sinnvoll bündeln lassen oder ob vielmehr der Durchsetzung von Partikularinteressen Vorschub geleistet wird.44 Zweitens ist zu berücksichtigen, dass sich der politische Ansatz des Selbstverwaltungsgedankens nur dann verwirklichen lässt, wenn diejenigen ein Sprachrohr in der Selbstverwaltung erhalten, die von den Entscheidungen auch tatsächlich betroffen sind. Auf deren Belange muss es für das partizipative Element der Selbstverwaltung ankommen. Betroffen von den Entscheidungen im Gesundheitswesen sind die Versicherten als diejenigen, die Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung beziehen und das umlagefinanzierte Gesundheitssystem mit ihren Beiträgen speisen. Versicherten- und Patienteninteressen sind jedoch nicht per se identisch. Im schlimmsten Falle kann die Betroffenenbeteiligung durch die Patientenvertretung sogar vollständig fehlgehen, weil behinderte oder chronisch kranke Patienten nicht zwingend Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung sein müssen.45 Drittens ist die Legitimation der Patienten 39 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14. 11. 2003, BGBl. I, S. 2190. 40 Das Mitberatungsrecht der Patientenvertreter nach § 140f Abs. 2 SGB V ist damit ein justiziables Recht, dessen Gewährung die Patientenvertreter gerichtlich durchsetzen können. Dazu BSGE 116, 15 (17 Rn. 13); siehe auch N. Carstensen, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 140f SGB V Rn. 3 (Stand der Kommentierung: Mai 2021) – jeweils ohne die Hervorhebung. 41 Siehe dazu auch C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 29 f. Zu weit geht aber, aus der bloßen Existenz dieser Rechtsnorm zu folgern, der parlamentarische Gesetzgeber habe die Einbeziehung der Patienten als – vermeintlich – homogene Interessengruppe als unzureichend angesehen. So aber A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (361). 42 Ausführlicher zum Umfang des Mitberatungsrechts nach § 140f Abs. 2 SGB V J­ . Kaempfe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 140f Rn. 6. 43 Als Organisationen im Sinne des § 140f Abs. 2 SGB V anerkannt sind etwa der Deutsche Behindertenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Deutschen PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. und der Verbraucherzentralen Bundesverband e. V. Näher zu den rechtlichen Grundlagen C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2005, S. 30. 44 Vgl. BSGE 116, 15 (23 f. Rn. 28). Siehe auch A. Klafki / K. Loer, GewArch 2017, 343 (349). 45 R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (569).

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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vertreter als echte, aus dem Betroffenenkreis berufene Repräsentanten fraglich. Im Grunde ist sie kaum begründbar, weil es keinen Wahlakt zur Besetzung dieser Organisationen gibt und die in den Gemeinsamen Bundesausschuss Delegierten nach § 140f Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB V ebenfalls nicht gewählt, sondern von den Organisationen benannt werden.46 Will man also die Betroffenenbeteiligung der „Leistungsempfänger“ im Gemeinsamen Bundesausschuss abbilden, sind die Patientenvertreter von vornherein die falsche Bezugsgruppe. bb) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Interessenrepräsentant der gesetzlich Versicherten? Dieses Ergebnis soll jedoch nicht zu der Annahme verleiten, die Interessen der gesetzlich Versicherten seien im Gemeinsamen Bundesausschuss nicht repräsentiert. Ihre Interessen werden hinreichend im Plenum über die Bank des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen abgebildet. Richtig ist zwar, dass die gesetzlichen Krankenkassen durch den Zuwachs ökonomischer Elemente im Gesundheitswesen zuweilen wie Wirtschaftssubjekte agieren.47 Sie unterscheiden sich aber elementar von Wirtschaftsunternehmen, weil ihr Ziel nicht primär und ausschließlich in der Erwirtschaftung von möglichst hohen Gewinnen liegt, sondern der Grund ihres Bestehens und ihres Tätigseins funktionsorientiert48 verstanden werden muss. Körperschaftlich verfasste Versicherungsträger gibt es, weil die Organisation der sozialen Absicherung für die Versicherten erfolgen muss. Dies ist primäres Ziel der gesetzlichen Krankenkassen; ihr Sinn liegt in der Erfüllung ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben. Sicherlich sind die Krankenkassen an möglichst geringen Leistungsausgaben bei zugleich hohen Beitragseinnahmen interessiert. Einem zumindest für wettbewerbliche Elemente offenem System sozialer Sicherung ist dieses Interesse für die Versicherungsträger konstitutiv, um auf dem „Gesundheitsmarkt“ bestehen zu können.49 Eventuell erwirtschaftete Gewinne können aber nicht in Form unbegrenzter Rücklagen50, auch nicht in Form von Dividenden oder sonstigen Ausschüttungen fruchtbar gemacht werden. Sie können allenfalls dazu genutzt werden, freiwillige Leistungen (Satzungsleistungen) zu optimieren, um sich in der freien Kassenwahl gegen Konkurrenten behaupten zu 46

R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (569). T.  Gerlinger, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, 2009, S. 22. 48 Insoweit kann sich an die Argumentation bei S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 253 angelehnt werden, der das Patienteninteresse im Berufsethos der Leistungserbringer inbegriffen sieht und eine Interessenzuordnung deshalb aufgrund der patientenorientierten Grundhaltung ermittelt. Zum Berufsethos speziell der Ärzte J. Taupitz, MedR 1998, 1 (3). 49 Krit. hierzu im Allgemeinen F. J. Oldiges, Sozialer Fortschritt 1996, 112 (114); F. Welti, VSSR 2006, 133 (149). Vgl. auch K. Loer, KrV 2017, 227 (229). 50 Zu den haushaltsrechtlichen Grenzen der Rücklagenbildung siehe bereits oben S. 218. 47

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

können oder um die eigenen wirtschaftlichen Instabilitäten zu beheben. Richtig ist auch, dass in der gelebten Praxis die Organisationen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht lediglich dem Interesse der Versicherten nach möglichst umfassenden Leistungen entgegenkommen wollen und können.51 Dennoch korrespondiert eine sachgerechte Leistungsbegrenzung in der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Interessen der Versicherten, denen neben einer möglichst umfassenden Versorgung auch daran gelegen ist, von Beitragserhöhungen verschont zu bleiben.52 Ein Wermutstropfen der Überlegungen liegt in der mehrstufigen „Legitimationskette“ zu den Versicherten. Die durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V entsandten Mitglieder im Plenum werden nach § 31 Abs. 1 Nr. 17 der Satzung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen53 durch dessen Verwaltungsrat bestimmt. Der Verwaltungsrat im Spitzenverband Bund der Krankenkassen wiederum wird gemäß § 217b Abs. 3 Satz 2 SGB V durch die Mitgliederversammlung gewählt, wobei nach § 15 der Satzung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen54 nur Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane der Mitgliedskassen in den Verwaltungsrat des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen gewählt werden können. Die Verwaltungsräte der Mitgliedskassen wiederum werden durch die Sozialversicherungswahlen nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB IV rekrutiert. Insoweit lässt sich, wenn auch in mehreren Etappen, ein Bezug der Versicherten zu den Repräsentanten im Gemeinsamen Bundesausschuss herstellen.55 Die legitimierende Wirkung der Sozialversicherungswahlen wird von einigen Autoren56 kritisch gesehen. Bezug genommen wird dabei immer wieder auf die sogenannten Friedenswahlen, wie sie nach § 46 Abs. 2 SGB IV i. V. m. § 28 Abs. 1 der Sozialversicherungswahlordnung57 stattfinden. Unter Friedenswahlen werden Wahlakte verstanden, bei denen die aufgestellten Kandidaten bereits als gewählt 51 Vgl. zu dem Interesse der Krankenkassen an „möglichst gesunden Versicherten und hohem Beitragsaufkommen“ R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (569). 52 Siehe dazu die Ausführungen bei BSGE 78, 70 (81). 53 Die Satzung des GKV-Spitzenverbandes in der Fassung vom 18. 6. 2007, zuletzt geändert am 22. 5. 2019, ist veröffentlicht unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/ gkv_spitzenverband/wir_ueber_uns/organisation/Satzung_GKV-SV_20190522_genehmigt. pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 54 Die Satzung des GKV-Spitzenverbandes in der Fassung vom 18. 6. 2007, zuletzt geändert am 22. 5. 2019, ist veröffentlicht unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/ gkv_spitzenverband/wir_ueber_uns/organisation/Satzung_GKV-SV_20190522_genehmigt. pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 55 BSGE 78, 70 (81). Ablehnend T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (179). 56 Siehe auch die allgemeine Kritik zu den Sozialversicherungswahlen bei G. Borchert, NZS 2004, 287 (291); F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (199); T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (178 f.). 57 Wahlordnung für die Sozialversicherung vom 28. 7. 1997 (BGBl. I, S. 1946), zuletzt geändert durch Artikel 14b des Gesetzes vom 14. 12. 2019 (BGBl. I S. 2789).

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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gelten, soweit nicht mehr Kandidaten vorhanden als Sitze zu besetzen sind. Auf eine Wahlhandlung wird verzichtet, weil kraft gesetzlicher Anordnung die Gewählten in diesem Falle ohnehin feststehen. Gegen ein prozedurales Verfahren, das auf eine Wahlhandlung dort verzichtet, wo ihr nicht mehr als eine ideelle Bedeutung zukommt58, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch der Einwand, die Friedenswahlen zeigten, dass die Versicherten keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane hätten59, greift nicht durch. Tatsächlich haben sie keinen Einfluss darauf, wie viele Kandidaten sich um die Partizipation in den Selbstverwaltungsorganen bewerben. Mangels Kandidaten, die sich für ein Engagement in der Selbstverwaltung zur Verfügung stellen, eine Wahlhandlung durchzuführen, deren Ausgang im Vorhinein klar ist, wäre bloße Förmelei. Zum zweiten besteht das faktische Problem, dass trotz intensiver Wahlwerbekampagnen die Wahl­ beteiligung der Versicherten regelmäßig derart niedrig ist60, dass in der Literatur bereits über Online-Verfahren61 oder die Errichtung von Wahlkreisen analog den Bundestags- und Landtagswahlen62 unter etwaiger Abkehr von der historisch tradierten korporatistischen Beteiligung der Wählergruppen63 diskutiert wird. Ungeachtet dessen ist zu den Sozialversicherungswahlen Folgendes festzustellen: Selbst wenn die Wahlbeteiligung als Indiz für die praktische Untauglichkeit der Sozialversicherungswahlen streiten mag, genügt sie doch formell den Erfordernissen einer sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation, weil über sie jeder einzelne Versicherte auf die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane Einfluss nehmen kann. Im Ergebnis kann deshalb angenommen werden, dass die Interessen der Versicherten über die Bank der Versicherungsträger bereits Berücksichtigung finden.64

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R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 30 (Fn. 55); K. Engelmann, NZS 2000, 76 (78); A. Kahlert, NZS 2014, 56 (59). Dagegen aber F. Welti, VSSR 2006, 133 (142). 59 T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (179). 60 Die Sozialversicherungswahlen erreichten in den vergangenen Durchläufen konstant eine Wahlbeteiligung von etwa 30 % der wahlberechtigten Versicherten. Valide Zahlen hierzu bieten etwa die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Fragen zur sozialen Selbstverwaltung, 2018, S. 11. Vgl. auch M. Glombik, NZS 2017, 296 (297). Zu der schwachen Wahlbeteiligung P.  Axer, Die Verwaltung 2002, 377 (385) und den hieraus resultierenden Reformüberlegungen T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (90). 61 Auf einen erheblich geringeren Kostenaufwand im Falle eines Online-Wahlverfahrens macht Anna Kahlert in: NZS 2014, 56 (59) aufmerksam. 62 F. Welti, in: Mehde / Ramsauer / Seckelmann (Hrsg.), FS für Hans Peter Bull, 2011, S. 920; H. Sodan / B. Hadank, NZS 2018, 804 (807). 63 T. Klenk / F. Nullmeier / P. Weyrauch / A . Haarmann, Sozialer Fortschritt 2009, 85 (90). 64 A. A. R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (569).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

b) Betroffenenrepräsentanz auf Seiten der Leistungserbringer Das eigentliche Teilhabedefizit liegt vielmehr auf der Seite der Leistungserbringer.65 Mit der Erbringung der Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nämlich nicht bloß Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser betraut. Vielmehr besteht ein breites Spektrum unterschiedlicher Berufsstände, die die Leistungen für die gesetzlichen Krankenkassen ausführen.66 Neben den „Hauptakteuren“ des Gesundheitswesens wird insbesondere die ambulante Versorgung zusätzlich durch Heil- und Hilfsmittelerbringer und sonstige Vertragspartner der gesetzlichen Krankenkassen getragen; für sowohl den ambulanten als auch den stationären Sektor spielen die pharmazeutischen Unternehmer bei der Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten eine tragende Rolle. Wenngleich diese Akteure nicht durch besondere öffentlich-rechtliche Mechanismen in das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden sind, sind auch sie von den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses insoweit betroffen, als für sie genauso wie für Vertrags(zahn)ärzte und Krankenhausträger Rechte und Pflichten entstehen.67 Zur Vereinfachung sollen nachfolgend all jene Leistungserbringer unter der Sammelbezeichnung „sonstige Leistungserbringer“, die bewusst weiter gefasst ist als der im Fünften Buch Sozialgesetzbuch verwendete Begriff68, gebündelt werden. Denn hierdurch wird Folgendes deutlich: Diesen Leistungerbringern ist gemein, dass sie ungeachtet ihrer eigenen Betroffenheit im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht repräsentiert sind. Beteiligt sind dort nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V nur die Vertragsärzte und -zahnärzte sowie die Krankenhäuser über die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Sonstige Leistungserbringer haben dagegen keine Möglichkeit, 65 So auch H. Sodan, NZS 2000, 581 (586); ders. / B. Hadank, NZS, 804 (806); I. Ebsen, MedR 2006, 528 (530). 66 Zu den daraus resultierenden Rationalitätsanforderungen des Rechts für verschiedene gesundheitsberufsbezogene Bereiche S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 44. 67 Es kann deshalb nicht überzeugen, wenn einige Autoren, so etwa Friedhelm Hase, der Zulassung zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung eine Rolle dergestalt zuzuschreiben, dass nur rechtlich in das Versorgungssystem integrierte Akteure von der Selbstverwaltung betroffen sein könnten. Dazu F. Hase, MedR 2018, 1 (10). Die vermeintlich „tiefgreifenden“ Unterschiede zwischen den Leistungserbringergruppen beziehen sich im Falle der Vertrags(zahn) ärzte vor allem auf Modalitäten des Systemzugangs (siehe Bedarfsplanung) und der Berufsausübung sowie der ärztlichen Therapiefreiheit, während die „externen“ Akteure zwar keinen arbeitsrechtlichen oder ökonomischen Repressalien unterliegen; gleichwohl auch dort durch die untergesetzliche Normsetzung der Gemeinsamen Selbstverwaltung Einschränkungen erfahren können. Hase räumt dies selbst ein; siehe dazu a. a. O., S. 10. 68 Unter „sonstigen Leistungserbringern“ versteht das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch ausschließlich die im Achten Abschnitt des Vierten Kapitels in den §§ 132 ff. SGB V genannten Leistungserbringer. Hierunter fallen beispielsweise Erbringer von Leistungen wie häuslicher Krankenpflege oder Haushaltshilfe, nicht jedoch Heil- und Hilfsmittelerbringer oder pharmazeutische Unternehmer.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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an der Entscheidungsfindung im Gemeinsamen Bundesausschuss aktiv mitzuwirken, obwohl die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse auch für sie erhebliche Auswirkungen haben.69 Mit den Vorstellungen politischer Selbstverwaltung, die sich in der Gemeinsamen Selbstverwaltung naturgemäß schwieriger umsetzen lässt, ist dies ebenso wenig vereinbar wie mit dem Erfordernis einer institutionell-funktionellen demokratischen Legitimation. aa) Heilmittelerbringer Plastisch darlegen lässt sich die defizitäre Betroffenenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss besonders an den Erbringern von Heilmitteln. Zwar richtet sich die Heilmittel-Richtlinie70 primär an die Vertragsärzte, die ihren gesetzlich versicherten Patienten Heilmittel verordnen. Gleichwohl sollen die Heilmittelerbringer ihnen zustehende Vergütungen für bereits erbrachte Heilmittel nach Auffassung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht verlangen können, wenn sich der verordnende Vertragsarzt nicht an die Vorgaben der HeilmittelRichtlinie gehalten hat.71 Damit haften die Heilmittelerbringer für ein Fehlverhalten des Vertragsarztes, auf das sie selbst keinen Einfluss haben. Ungeachtet etwaiger Rechtsschutzmöglichkeiten über die Feststellungsklage nach § 55 SGG72 wird das Risiko regelwidrigen Verhaltens der Vertragsärzte auf die Heilmittelerbringer abgewälzt, die hierfür mit ihrem eigenen Honoraranspruch haften. Ob diese Risikoverteilung angemessen ist, soll im Rahmen dieser Untersuchung nicht entschieden werden. Vielmehr will das angeführte Beispiel verdeutlichen, 69 Zur Bindungswirkung der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse auch für sonstige Leistungserbringer R. Schmidt-De Caluwe, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 91 Rn. 62 ff. 70 Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinie / HeilM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 19. 5. 2011, zuletzt geändert am 18. 3. 2021 (BAnz AT 10. 06. 2021 B4), veröffentlicht unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2506/aea573d3890297929646ae551a803b77/Heil M-RL_2021-03-18_iK-2021-07-01.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 71 Siehe zu den Pflichten der Heilmittelerbringer zur Kontrolle ärztlicher Verordnungen BSGE 105, 1 (8); 109, 116 (119), die kumulativ aus formellem Gesetz und aus der Heilmittelrichtlinie folgen. Vgl. hierzu auch H.  Sodan / B.  Hadank, NZS 2018, 804 (807). Krit. aber I. Heberlein, GuP 2019, 49 (51 Fn. 34). 72 Siehe dazu BSGE 110, 20 (25 Rn. 19 f.); 112, 20 (25); 112, 257 (259); 112, 15 (22); BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 – B 6 KA 28/13 R, juris Rn. 22 ff. Die Feststellungsklage ersetzt zwar keine Normenkontrolle; auch sieht das Sozialgerichtsgesetz kein Normenkontroll­verfahren (vergleichbar dem § 47 VwGO) vor. Gleichwohl taugt die Feststellungsklage nach § 55 SGG – ähnlich der gelebten Praxis des Verwaltungsprozessrechts – als „inzidente Normenkontrolle“. Sie ist nämlich in Ansehung des Art. 19 Abs. 4 GG statthaft, wenn die Änderung einer Richtlinie oder der Erlass einer Empfehlung für eine Behandlungsmethode begehrt wird, vgl. BSGE 110, 245 (250). Den von den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen Betroffenen sei es nicht zuzumuten, erst Vollzugsakte auf der Grundlage rechtswidriger untergesetzlicher Normsetzung abzuwarten. Dazu BSGE 110, 245 (249); 112, 257 (259).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

dass die sonstigen Leistungserbringer als Betroffene ein berechtigtes Interesse am Inhalt der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse haben, auch wenn, wie hier, primär die Vertragsärzte Adressaten der untergesetzlichen Normsetzung sind. Zwar besteht in diesem Fall die Besonderheit, dass die Heilmittel-Richtlinie eine Verpflichtung abbildet, die sich bereits aus den §§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V und § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V und damit aus formellem Gesetz ergibt.73 Das lässt jedoch nicht die grundsätzliche Betroffenheit von der Heilmittel-Richtlinie entfallen.74 Die Betroffenheit der Heilmittelerbringer mit der Folge, dass ihnen zur Herstellung sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation grundsätzlich Partizipation ermöglicht werden muss, besteht schon dann, wenn sie von den Inhalten der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses berührt werden. Nicht erforderlich ist jedoch, dass den Richtlinien – in den Worten von Ingo He­ berlein  – erst ein „Belastungsmehrwert hinsichtlich der Interessen der Drittbetroffenen“75 eintritt. bb) Pharmazeutische Unternehmer Ob in Bezug auf „externe“ Dritte, die zwar nicht unmittelbar in die Leistungserbringung eingebunden sind, gleichwohl aber eine bedeutende Rolle in der gesetzlichen Krankenversicherung spielen, eine stärkere Partizipation geboten ist, ist dagegen streitbar. Beispielhaft für diese Interessengruppe lassen sich die pharmazeutischen Unternehmer anführen. Immerhin ist deren Position in prozeduraler Sicht76 seit Inkrafttreten der EU-Transparenzrichtlinie77 vor willkürlichen Verzögerungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss abgesichert. Denn nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes ist Art. 6 Nr. 2 der Transparenzrichtlinie so auszulegen, dass „er den Arzneimittelherstellern, die von einer Entscheidung betroffen sind, aufgrund deren bestimmte Arzneimittel, die von der Entscheidung erfasste Wirkstoffe enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen sind, ein Recht auf eine mit einer Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Entscheidung gewährt, auch wenn die mitgliedstaatliche Regelung weder ein entsprechendes Verfahren noch Rechtsbehelfe vorsieht“.78 Das betrifft etwa die Anerkennung sogenannter OTC-Präparate nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V79; ebenso 73

Vgl. dazu BSGE 105, 1 (8); 109, 116 (119). Anders aber offenbar I. Heberlein, GuP 2019, 49 (51). 75 I. Heberlein, GuP 2019, 49 (51). 76 Zu der Auffassung, dass die EU-Transparenzrichtlinie zuvörderst die Verfahrensrechte der pharmazeutischen Unternehmer absichert auch H. Kortland, PharmR 2006, 496 (497 f.). 77 Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. 12. 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. L 40, S. 8). 78 EuGH, Urteil vom 26. 10. 2006 (Pohl-Boskamp), ECLI:EU:C:2006:684, Slg. 2006, I-10611 (10631 Rn. 44). 79 In einem vom Sozialgericht Köln vorgelegten Fall hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Aufnahme eines Präparates auf die 74

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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die Bescheidung von Anträgen zur Aufnahme in die OTC-Ausnahmeliste nach § 34 Abs. 6 SGB V, die innerhalb von 90 Tagen zu erfolgen hat80. Auch über die Vorgaben der EU-Transparenzrichtlinie hinaus ist die Position der pharmazeutischen Unternehmer durch Bearbeitungsfristen und Transparenzvorgaben an den Gemeinsamen Bundesausschuss zumindest bekräftigt. Zu denken sei hier an die frühe Nutzenbewertung, bei der die Beschlussfassung gemäß § 35a Abs. 3 Satz 1 SGB V innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung erfolgen muss. Ferner ist an die Begründungsanforderungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss etwa aus § 35 Abs. 1b Satz 6 SGB V (und im Allgemeinen § 94 Abs. 2 SGB V) zu denken, wonach die untergesetzliche Normsetzung unter Nennung der hierfür tragenden Gründe zu erfolgen hat.81 Gleichwohl stehen auf Seiten der pharmazeutischen Unternehmer Verfahrens-82 und weniger echte Beteiligungsrechte. Besonders greifbar wird diese Einordnung, wenn in der Literatur Überlegungen angestellt werden, dezidierte Begründungsanforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses für die untergesetzliche Normsetzung auf dem Feld der Arzneimittelversorgung und darüber hinaus aus einer entsprechenden Anwendung des § 35 SGB X abzuleiten.83 Im Verlauf des Prüfverfahrens steht den pharmazeutischen Unternehmern nach § 92 Abs. 3a Satz 1 SGB V vor Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Richtlinien zur Verordnung von Arzneimitteln ein Recht zur Stellungnahme zu. Diese Stellungnahmen hat der Gemeinsame Bundesausschuss zu berücksichtigen; eine echte Teilhabe am Stimmgewicht im Plenum wird dadurch aber nicht aufgewogen. Den Verfahrensrechten der pharmazeutischen Unternehmer stehen umfassende Pflichten im Rahmen der (frühen) Nutzenbewertung von Arzneimitteln gegenüber, siehe beispielsweise § 35a Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V. Aufgrund der Relevanz der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Abgabefähigkeit der Präparate spricht einiges für eine Beteiligung an der Entscheidungsfindung der Gemeinsamen Selbstverwaltung. Alternativ kann ein weiterer Ausbau der verfahrensrechtlichen Absicherungen erwogen werden.

OTC-Liste nicht durch bloße Nichtbescheidung des Antrags hemmen kann. In Ansehung der Transparenzrichtlinie bedürfe es vielmehr einer Auseinandersetzung mit dem Antrag des pharmazeutischen Unternehmers. Vgl. dazu SG Köln, NZS 2006, 147 ff. 80 Bei § 34 Abs. 6 SGB V handelt es sich um umgesetztes Sekundärrecht der Europäischen Union. Siehe hierzu die Begründung in Art. 1 Nr. 17a Buchst. b des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. 3. 2007 (BGBl. I, 378). Nach Art. 6 Nr. 1 Satz 1 der EU-Transparenzrichtlinie sind Anträge pharmazeutischer Unternehmer innerhalb von 90 Tagen zu bescheiden. Art. 6 Nr. 2 der EU-Transparenzrichtlinie ordnet ferner an, dass eine negative Entscheidung eine auf objektiven und nachprüfbaren Kriterien beruhende Begründung sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten muss. 81 Zur Begründungstiefe der „tragenden Gründe“ P. Axer, GesR 2013, 211 (214). 82 Vgl. hierzu BSGE 119, 57 (63 f.); R. Hess, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblatt, § 34 SGB V Rn. 10 (Stand der Kommentierung: Juli 2017). 83 P. Axer, GesR 2013, 211 (212).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

3. Lösungsvorschlag Eine Beseitigung dieser Legitimationsdefizite lässt sich mit geringen organisatorischen Veränderungen erreichen.84 Anpassungen sind primär auf der Seite der Leistungserbringer erforderlich. Geschehen kann dies etwa durch Aufbruch der starren „Bänke“ im Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses.85 Auf der Bank der Leistungserbringer könnte hierzu eine Art Rotationsverfahren etabliert werden, sodass diejenigen Leistungserbringer an der Entscheidungsfindung teilnehmen, die von den Entscheidungsergebnissen betroffen werden. So könnten zu den jeweiligen Sachfragen diejenigen Leistungserbringer(-gruppen) an der Sachentscheidung beteiligt werden, die von der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses unmittelbar betroffen werden. Im Grunde besteht ein solches Verfahren für Richtlinien und sonstige Beschlüsse bereits nach § 91 Abs. 2a SGB V.  Nach dieser durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. Dezember 201186 eingeführten Regelung werden alle fünf Stimmen der „Leistungserbringerbank“ auf diejenigen Organisationen übertragen, deren Sektor allein betroffen ist. Es entscheiden dann diejenigen Organisationen allein, die die Beschlussfassung fachlich „angehen“.87 Zwar bestätigt dieses im Grunde sinnvolle Verfahren den Ansatz, die Seite der Leistungserbringer aufzubrechen und für eine sachgerechte Entscheidungsfindung je nach fachlicher Materie zu flexibilisieren. Gleichwohl bleibt das Konzept unausgegoren, da gerade die „sonstigen Leistungserbringer“, deren Betroffenenbeteiligung defizitär ist, nicht in dieses Rotationsverfahren einbezogen sind, welches auf die in § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Organisationen beschränkt bleibt.88 Die sonstigen Leistungserbringer sind zumindest an den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen durch ein vollwertiges Stimmrecht zu beteiligen, von denen sie direkt und nicht bloß mittelbar betroffen sind und zu deren Setzung ihre spezifische Fachkunde von Bedeutung ist. Welche Bereiche dies im Einzelnen sind, kann der parlamentarische Gesetzgeber mangels eigener medizinischer Fachkunde möglicherweise nicht beurteilen; er muss dies aber auch nicht zwangsläufig. Die Entscheidung, welche Betroffenengruppen aus dem Kreise der „Sonstigen“ in die Normsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses eingebunden werden, könnte 84

A. A. dagegen K. Loer, KrV 2017, 227 (230), die einen „vollständigen Umbau“ des Gremiums für erforderlich hält. 85 So bereits H. Sodan / B. Hadank, NZS 2018, 804 (809). 86 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG), BGBl. I, S. 2983. 87 Zu diesem Grundgedanken effektiver Betroffenenbeteiligung H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl., 2018, § 2 Rn. 17; vgl. auch bereits ders., NZS 2000, 581 (586 f.). 88 Siehe zu dem im Jahr 2011 in den § 91 SGB V eingefügten Abs. 2a näher P. Axer, GesR 2012, 714 (716); K. Ziermann, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 23 Rn. 14a.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

307

durch den Gemeinsamen Bundesausschuss selbst getroffen und die im jeweiligen Fall notwendige Stimmverteilung zugleich festgesetzt werden. Als Anknüpfungspunkt eignet sich die Anlage I der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses89, wo bereits die nach § 91 Abs. 2a SGB V angeordnete Stimmverteilung der „Leistungserbringerbank“ für jede Richtlinie im Besonderen geregelt ist. Das rechtliche Grundwerk einer effizienteren Betroffenenbeteiligung besteht also bereits. Problematisch ist lediglich die rechtstechnische Umsetzung dieser Idee. Klar ist jedenfalls, dass die besondere Funktionalität des Gemeinsamen Bundesausschusses in dem Umstand liegt, dass sich die zwei gegensätzlichen Interessenlagen, nämlich die der Versicherungsträger und der Leistungserbringer, auf den „Bänken“ in einem gleichen Anteil gegenüberstehen und über die drei „Unparteiischen“ in Pattsituationen einen Ausgleich herzustellen versucht wird.90 Insoweit ist das Prinzip klar: Interessengegensätze werden durch zumindest (annähernd) gleiche Stimmgewichte auf den Bänken ausgeglichen. Mit der Einbindung der – formellgesetzlich oder in der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu konkretisierenden teilhabefähigen – Vertreter(gruppen) der sonstigen Leistungserbringer in das Rotationsverfahren nach § 91 Abs. 2a SGB V ließe sich mit dem wohl geringsten rechtlichen und technischen Aufwand eine effiziente Beteiligung erreichen. Gleichwohl ist dieser Vorschlag mit dem Nachteil verbunden, dass sich die Betroffenenbeteiligung der „Sonstigen“ bei einschlägigen Richtlinien – etwa der Heilmittel-Richtlinie – nachteilig für die bereits einbezogenen Leistungserbringerorganisationen auswirkt, weil die Stimmenparität mit den Versicherungsträgern beizubehalten ist. Mit der Partizipation der „Sonstigen“ verringert sich also partiell das Stimmgewicht der Ärzte und Zahnärzte im Plenum. In Anbetracht dessen, dass die Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung stark auf die Versorgung durch Ärzte und Zahnärzte zentriert ist und die Inanspruchnahme von Leistungen der „Sonstigen“ meist eine ärztliche Verordnung voraussetzt, ist dieses Manko durchaus unbefriedigend. Dieser Nachteil lässt sich jedoch schon denklogisch nicht vermeiden, wenn die Einbeziehung sonstiger Leistungserbringergruppen ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Er lässt sich aber abmildern, wenn den Ärzten und Zahnärzten hinreichend Stimmen verbleiben, um das Entscheidungsverhalten der „Bank“ wesentlich mitzugestalten. Es sollte deshalb in Betracht gezogenen werden, trotz der sonst 89

Die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 17. 7. 2008, zuletzt geändert mit Beschluss vom 17. 6. 2021 (BAnz AT 26. 08. 2021 B1) ist aufrufbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2596/8649834db7ab3bfe0e0a468b8a9eff07/ GO_2021-06-17_iK-2021-08-27.pdf, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 90 D. Bronner, in: Schroeder / Paquet (Hrsg.), Gesundheitsreform 2007, 1. Aufl. 2009, S. 218. Vgl. dazu den Vorschlag von U. Orlowski, KrV 2017, 237 (241) für das Stimmverteilungskonzept im erweiterten Bewertungsausschuss.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

wünschenswerten Verschlankung von Verwaltungsstrukturen91, die Bank der Leistungserbringer dauerhaft um Sitze für die „Sonstigen“ zu erweitern, damit diese Leistungserbringergruppe eine Gelegenheit erhält, auch an für sie relevanten Grundsatzentscheidungen der gesetzlichen Krankenversicherung mitwirken zu können. Auch in diesem Falle wäre zu gewährleisten, dass die Stimmgewichte zwischen Leistungserbringern und Versicherungsträgern unverändert bleiben. Die bestehende Stimmenzuteilung an die Ärzte und Zahnärzte kann vollends bestehen bleiben, wenn § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V dergestalt erweitert wird, auf den zwei Bänken jeweils zwei zusätzliche Sitze zu schaffen, die auf der Seite der Leistungserbringer zur Einbindung der „Sonstigen“ und auf der Seite der Versicherungsträger zum Erhalt der Parität genutzt werden können. Beide Bänke hätten dann insgesamt sieben Sitze. Mit dem Vorschlag, die „sonstigen Leistungserbringer“ auf die Bank im Plenum des Gemeinsamen Bundesausschuss aufzunehmen, ist zwangsläufig verbunden, dass sich das Stimmengewicht der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser an der Entscheidungsfindung verringert. Unproblematisch ist das nicht, aber unter der Annahme, dass bei der untergesetzlichen Normsetzung stets Ärzte oder Zahnärzte zu beteiligen sind, bleibt deren Stimme noch immer die maßgebliche Kraft auf der Bank der Leistungserbringer. Um dies zusätzlich abzusichern, kann das Rotationsverfahren nach § 91 Abs. 2a SGB V insoweit eingeschränkt werden, als die sonstigen Leistungserbringer maximal zwei Stimmen zugewiesen bekommen können. Sofern eine Einbindung der „Sonstigen“ nicht opportun ist, können die beiden Stimmen nach dem Verfahren gem. § 91 Abs. 2a SGB V i. V. m. der Anlage I der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschuss anteilig an die anderen Leistungserbringergruppen verteilt werden, wie es bereits heute mit den einbezogenen Leistungserbringern stattfindet. Um die soeben aufgeworfenen Reformideen zu konkretisieren, soll aufgezeigt werden, wie § 91 SGB V auszugsweise lauten könnte: „(1) 1Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und Spitzenorganisationen der Leistungserbringer nach den §§ 124 bis 134a bilden einen Gemeinsamen Bundesausschuss. […] (2) 1Das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Spitzenorganisationen der Leistungserbringer nach den §§ 124 bis 134a und sieben von dem Spitzenverband Bund der 91 Bedacht werden muss nämlich auch, dass die Bänke im G-BA nach der Gesundheits­ reform 2007 bereits „entschlackt“ wurden; die Zahl der Mitglieder im Plenum ist von 21 auf 13 geschrumpft, ferner werden keine Entscheidungen mehr in Beschlusskammern für die jeweiligen Versorgungssektoren, sondern nur noch im Plenum getroffen. Zusammenfassend dazu D. Bronner, in: Schroeder / Paquet (Hrsg.), Gesundheitsreform 2007, 1. Aufl. 2009, S. 217.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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Krankenkassen benannten Mitgliedern. 2Für die Berufung des unparteiischen Vorsitzenden und der weiteren unparteiischen Mitglieder sowie jeweils zweier Stellvertreter einigen sich die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 jeweils auf einen Vorschlag und legen diese Vorschläge dem Bundesministerium für Gesundheit spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Amtszeit vor. […] (2a) 1Bei Beschlüssen, die allein einen der Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden alle sieben Stimmen der Leistungserbringerseite anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von der betroffenen Leistungserbringerorganisation nach Absatz 1 Satz 1 benannt worden sind. […] 2Sind neben den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen Leistungserbringer nach den §§ 124 bis 134a einzubeziehen, stehen diesen höchstens zwei der sieben Stimmen zu. 3Bei Beschlüssen, die allein zwei der drei Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden […] die Stimmen der von der nicht betroffenen Leistungserbringerorganisation benannten Mitglieder anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von den betroffenen Leistungserbringerorganisationen benannt worden sind; Satz 2 gilt entsprechend. 4Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in seiner Geschäftsordnung erstmals bis zum […] fest, welche Richtlinien und Entscheidungen allein einen oder allein zwei der Leistungssektoren wesentlich betreffen und welche Leistungserbringer nach den §§ 124 bis 134a einzubeziehen sind. […]“ [Redaktionelle Anmerkung: Satz 2 wird neu eingefügt. Die bisherigen Sätze 3 und 4 werden zu den Sätzen 4 und 5.]

An die Idee einer institutionellen Erweiterung des Plenums im Gemeinsamen Bundesausschuss knüpfen also eine Reihe von Folgefragen, zu deren Beantwortung die Ausführungen an dieser Stelle einen Anstoß leisten wollen. Es erscheint unbefriedigend, eine große Organisation wie den Gemeinsamen Bundesausschuss – zumindest im Plenum – weiter aufblähen zu wollen. Sicherlich führt die Idee einer Vergrößerung solcher Institutionen, die zur Entscheidungsfindung berufen sind, regelmäßig nicht zur Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit. Je mehr Interessen gebündelt werden, je höher Mehrheitsquoren liegen, umso schwieriger ist es nämlich, in angemessener Zeit zu vertretbaren Entscheidungen zu kommen. Die hier vorgeschlagene Erweiterung des Beschlussgremiums dürfte aber kaum ins Gewicht fallen. Erwartungsgemäße Interessenkonflikte sind bereits heute Diskussionsgrundlage nicht nur im Plenum, sondern auch in den Unterausschüssen und Arbeitsgruppen sowie auf den vorbereitenden Ebenen.

II. Zweiter Ansatz: Professionalisierung der Selbstverwaltung Ein erklärtes Ziel, wieso Selbstverwaltung überhaupt verliehen92 wird, ist der Gedanke, Wissen zu akquirieren, das der Staat nicht in gleicher Weise oder mit vergleichbarem Zeitaufwand generieren kann. Selbstverwaltung ist mithin dazu geschaffen worden, das Wissen der betroffenen Personenkreise für die Erfüllung 92

Von „geschenkter“ Selbstverwaltung spricht K. Scholz, KrV 2017, 232 (233).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

an sich öffentlicher Angelegenheiten fruchtbar zu machen.93 Diese Zielsetzung besteht auch weiterhin; in Anbetracht der zunehmenden Regelungsdichte des Fachrechts94 sowie des Zusammenspiels unterschiedlicher Rechtsquellen und Rationalitätsanforderungen ist die Wissensakquise unverzichtbare Voraussetzung, um das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt handhabbar zu machen.95 Gerade die Wissensakquise durch die korporatistischen Einrichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung stellt institutionelle Anforderungen. Sicher wird nicht von jedem Repräsentanten in den Gremien ein umfassendes Fachwissen in allen für die gesetzliche Krankenversicherung relevanten Bereichen zu verlangen sein. Gleichwohl muss es gerade im Rahmen dezentralisierter Verwaltungstätigkeit durch funktionale Selbstverwaltung der Anspruch sein, qualitativ überzeugend zu arbeiten und konkrete Erfolge zu erzielen.96 In der Selbstverwaltung der Vertrags(zahn)ärzte ist dies gewährleistet, weil sämtliche Betroffene über grundsätzliche medizinische Fachkenntnisse verfügen und daher für entsprechende fachliche Entscheidungen kompetent sind. Demgegenüber steht die Selbstverwaltung der Versicherungsträger vor dem Problem, dass ihre Mitglieder ausweislich der Anordnung in § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV gerade keine spezifischen Fachkenntnisse medizinischer, rechtlicher oder versicherungsbezogener Art aufweisen müssen oder, besser gesagt, aufweisen sollen. Kaum vorstellbar ist aber, dass eine hinreichende Wissensbasis ohne eine bereichsspezifische Ausbildung oder sonstige Qualifikation, alternativ Arbeitserfahrung auf dem Gebiet der Krankenversicherung, vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund ist die Frage berechtigt, ob die zunehmende Komplexität der Sachmaterien eine stärkere „Professionalisierung“ der Selbstverwaltung bei den Versicherungsträgern gebietet. Nach aktuell geltender Rechtslage ist gerade diese Professionalisierung nicht gewollt. Stattdessen wird gewährleistet, dass die Vertreter beider Gruppen nicht aus dem Kreis der ohnehin in die Geschäfte der Krankenkassen involvierten Personen rekrutiert werden. § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV sieht dazu vor, dass im Rahmen der Sozialversicherungswahlen nicht wählbar ist, wer bei dem Versicherungsträger in jedweder Stellung [lit. a)], bei der zugehörigen Aufsichtsbehörde in „leitender Position“ [lit. b)] oder als Beamter oder Angestellter bei einer Behörde im Fachgebiet Sozialversicherung tätig ist. Eine entsprechende Regelung ist für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen entbehrlich. Denn der dortige Verwaltungsrat wird 93 BVerfGE 33, 125 (156 f.); 111, 191 (215 f.); R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (568); P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 99 Rn. 155. Siehe auch W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 57 ff., der die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses als „qualifizierte Wissensgenerierung“ einstuft. 94 Vgl. dazu M. Schüffner / L . Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, 1. Aufl. 2009, S. 14. 95 Vgl. dazu S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 44. 96 E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 114.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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nach § 217b Abs. 3 Satz 2 SGB V durch die Mitgliederversammlung gewählt, die nach § 217b Abs. 3 Satz 3 SGB V aus jeweils einem Versicherten- und Arbeitgebervertreter aus den Verwaltungsräten der Krankenkassen gebildet wird. Obwohl die Selbstverwalter somit nicht aus dem „aktiven“ professionellen Kreis rekrutiert werden, kann bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen sein, dass eine Tätigkeit als Selbstverwalter vor allem für ehemalige Beschäftigte attraktiv ist und sich im System der Sozialversicherung aktive Personen sachkundig und qualifiziert in die Aufgabenerfüllung einbringen können. Grundlegender Gedanke der organisatorischen Vorschriften ist jedoch die Rekrutierung der Selbstverwalter aus dem „Laienkreis“ der Versicherten und Arbeitgeber. 1. Anpassungen durch das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz Das Bundesministerium für Gesundheit hat bereits einen Vorstoß gewagt, um diese Rechtslage zugunsten einer Professionalisierung der Selbstverwaltung aufzubrechen. Er spiegelt sich in einem Referentenentwurf vom 25. 3. 2019 für ein Gesetz für eine fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG) wider, mit dem die korporatistisch-selbstverwaltete Struktur des Verwaltungsrates im Spitzenverband Bund der Krankenkassen zugunsten einer professionalisierten Besetzung dieses Organs preisgegeben werden sollte: In Artikel 1 Nrn. 13, 14 und 15 sah der Referentenentwurf gravierende Änderungen der Binnenorganisation des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen vor97; mit Artikel 1 Nr. 13 lit. a) sollte § 217b Abs. 1 SGB V dahingehend geändert werden, die Mitglieder des Verwaltungsrates zwingend aus den Vorständen der Mitgliedskassen zu rekrutieren. In diesem Zusammenhang ist die in Artikel 1 Nr. 14 des Referentenentwurfs vorgesehene Änderung des § 217c SGB V interessant, nach der die Mitgliederzahl im Verwaltungsrat auf 40 gesenkt und die Vergabe der Sitze zur einen Hälfte durch Delegation der Vorstände der Mitgliedskassen und zur anderen Hälfte durch Wahl der Mitgliederversammlung erfolgen sollte. § 217c Abs. 2 SGB V in der Fassung dieses Referentenentwurfs sollte dezidiert anordnen, dass die zwanzig größten Mitgliedskassen je ein Vorstandsmitglied in den Verwaltungsrat des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen entsenden können.98 97

Siehe hierzu den Referentenentwurf des GKV-FKG, abrufbar unter https://www.bundes gesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/ G/RefE_Gesetz_fuer_eine_faire_Kassenwahl_in_der_GKV.pdf, S. 22 f., zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 98 Siehe hierzu den Referentenentwurf des GKV-FKG, abrufbar unter https://www.bundes gesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/ G/RefE_Gesetz_fuer_eine_faire_Kassenwahl_in_der_GKV.pdf, S. 23, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021 – ohne die Hervorhebung. Auf die Vorschlagslisten und die hiermit verbundene zwingende Geschlechterparität nach § 217c Abs. 3 Satz 2 SGB V n. F. soll allerdings in dieser Untersuchung nicht näher eingegangen werden.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Im Kabinettsentwurf waren die skizzierten Reformvorhaben bereits nicht mehr enthalten99; auch die in Kraft getretene Fassung verzichtet auf die vorgesehene umfangreiche Professionalisierung der Selbstverwaltung100. Zurecht ist von diesem Reformvorhaben rechtzeitig Abstand genommen worden. Eine Professionalisierung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen wäre zwar erreicht worden, allerdings unter sachgrundloser Aufopferung des Selbstverwaltungsprinzips. Denn eine effektive Rückkopplung an die Versicherten und Arbeitgeber als „Verbandsvolk“ der Versicherungsträger wäre für die Hälfte des Verwaltungsrates im Spitzenverband Bund der Krankenkassen nicht mehr gegeben. Nach geltender Rechtslage erfolgt die Rückbindung an die Entscheidungen des Verbandsvolks über „Legitimationsketten“: Gewählt werden die Versicherten- und Arbeitgebervertreter (§ 217c Abs. 1 Satz 2 SGB V) im Verwaltungsrat des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 217b Abs. 2 Satz 3 SGB V durch die Mitgliederversammlung, die nach § 217b Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB V aus Versicherten- und Arbeitgebervertretern der Verwaltungsräte der Mitgliedskassen besteht. Bei einer direkten Entsendung von Vorständen in den Verwaltungsrat des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen wird die Legitimationskette zu den Versicherten und Arbeitgebern unterbrochen. Im Übrigen ist die Besetzung von Selbstverwaltungsorganen mit hauptamtlichen Vorständen ein Widerspruch mit den Grundprinzipien der Selbstverwaltung, wo dem Ehrenamt traditionell eine besondere Bedeutung zukommt.101 2. Vereinbarkeit von Professionalisierung und Betroffenenpartizipation Trotz allem ist die Professionalisierung der Selbstverwaltung im Grundsatz begrüßenswert, zumal das Problem mangelnder Professionalität ohnehin nur bei den Versicherungsträgern und ihren Verbänden eine Rolle spielt. Die vertrags(zahn)ärztliche Selbstverwaltung rekrutiert sich aus dem Kreis ihrer Mitglieder, mithin den zur Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten und Zahnärzten, die regelmäßig über den erforderlichen Sachverstand zu ihrer eigenen Interessenvertretung verfügen.102 Demgegenüber werden die Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans bei den Versicherungsträgern

99

Siehe dazu Artikel 5 Nr. 15 der Entwurfsfassung, BT-Drucksache 19/15662, S. 26. BGBl. I, S. 604. 101 Hierzu nur E. Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 250; F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (193); R. Hendler, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 12. 102 Beachtlich ist gleichwohl, dass die Einführung des eingleisigen Organisationsmodells in der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung nach Auffassung von Markus Kaltenborn „in hohem Maße“ zu einer Professionalisierung der Arbeit in der Kassenärztlichen Vereinigung beitrage. Dazu M. Kaltenborn, GesR 2008, 337 (338). Allgemein zur Interessenbindung der Selbstverwaltung E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 120. 100

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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aus den Kreisen der Versicherten- und Arbeitgebervertreter akquiriert, wobei die für die effektive Mitgestaltung im Gesundheitswesen hilfreiche Sachkunde gerade nicht vorausgesetzt ist. Ganz im Gegenteil belegt § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV mit den nur schwer unterscheidbaren Varianten der Buchstaben a) und b)103, dass eine Besetzung mit „professionellen“ Selbstverwaltern dort gerade nicht gewünscht ist, sondern die Vorstellung einer weitgehend laienhaften Partizipation der Betroffenengruppen im korporatistischen Gefüge vorherrscht. Seit dem Gesetz zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitungen und zur Änderung anderer Vorschriften vom 18. Juli 2017104 gilt diese Wahlsperre für de facto sämtliche aktiv Beschäftigte der Krankenkassen. Sie ist nämlich auch auf das Verbandswesen der Versicherungsträger erstreckt worden, weil auch dort „in mehrfacher Hinsicht“ Interessenkonflikte entstehen können, was insbesondere auf die gesetzliche Krankenversicherung zutreffe, „wenn Verbände über ihre hauptamtlichen Beschäftigten Einfluss auf die Kontrollgremien der einzelnen Krankenkassen erhalten“ oder wenn „dieselbe Person wettbewerbsrelevante Informationen sowohl in ihrer Eigenschaft als ehrenamtliches Verwaltungsratsmitglied von der Krankenkasse erlangt als auch in ihrer Eigenschaft als hauptamtlicher Verbandsbeschäftigter von den übrigen Mitgliedskassen des Verbandes“.105 Nicht selten konstituieren sich Versicherten- und Arbeitgebervertreter neben den „Laienvertretern“ auch aus ehemaligen Beschäftigten der Krankenversicherungsbranche oder sonstigen „systemnahen“ Personen wie etwa ehemaligen Gewerkschaftern, für die die Einschränkungen der Wählbarkeit nicht mehr gelten. Aus dieser praktischen Erkenntnis lässt sich folgende These formulieren: Die Illusion einer ausschließlichen Laienpartizipation in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie nach dem pathetischen Leitbild mancher Selbstverwaltungskonzeptionen geradezu unerlässlich wäre106, spiegelt sich nicht lückenlos in der Realität. Vor diesem Hintergrund verfängt die Überlegung, die Professionalisierung der Selbstverwaltung zu nutzen, um so eine ihrer zentralen Schwächen zu kompensieren. Tragender Grund für die Errichtung von Selbstverwaltung ist die Erwartung, dass sich durch gesellschaftliche Partizipation Sachkunde gewinnen lässt, die die Ministerialverwaltung nur mit höherem Aufwand erlangen kann.107 Ein Selbstverwaltungsorgan aber, das – jedenfalls theoretisch – ausschließlich mit Personen ohne Kenntnissen in den grundlegenden Fachbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung besetzt ist, wird nicht in der Lage sein, besondere Sachkunde zu

103

Dazu G.  Baier, in: Wagner / K nittel (Hrsg.), Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 51 SGB IV 24a (Stand der Kommentierung: November 2017). 104 BGBl. I, S. 2757. 105 Vgl. hierzu die Ausführungen bei BT-Drucksache 18/12587, S. 51 f. 106 R. Hendler, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2009, § 143 Rn. 12; ähnlich auch J. Taupitz, MedR 1998, 1 (3). 107 H. Sodan, NZS 2000, 581 (586); F. Hase, MedR 2018, 1 (11).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

generieren, die nicht auch in der zentralisierten Ministerialverwaltung zu erreichen wäre.108 Dann wird der eigentliche Sinn der Verleihung von Selbstverwaltung verfehlt.109 Im schwierigen Feld der gesetzlichen Krankenversicherung wäre dies prekär, zumal absehbar ist, dass das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung seine Dynamik behält, die Herausforderungen deshalb tendenziell anspruchsvoller werden und somit eine fachkompetente Selbstverwaltung gebraucht wird. Professionalisierung und das Element der Betroffenenbeteiligung stehen aber nicht in Widerspruch zueinander. Im Gegenteil bedarf es im Rahmen der Selbstverwaltung lediglich effektiven Partizipations- und Einflussmöglichkeiten der Betroffenen, die über Wahlhandlungen sichergestellt werden können110, damit gewährleistet bleibt, dass professionelle Akteure nicht die alleinige Entscheidungsgewalt innehalten111, wobei nicht zwingend die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen des Wahlrechts berücksichtigt werden müssen, weil die Partizipation der Betroffenen ein Element sachlich-inhaltlicher, nicht aber der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation ist. Im Ergebnis bleibt also bloß das Element politischer Teilhabe unverzichtbar.112 3. Lösungsvorschlag Es ist deshalb in Betracht zu ziehen, das Element der Betroffenenbeteiligung mit dem Gedanken der Professionalisierung zu verknüpfen. Rechtlich würde dies bedeuten, die Einschränkungen zur Wählbarkeit in die Selbstverwaltung nach § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV auf den Prüfstand zu stellen oder sogar gänzlich fallen zu lassen. Auf der einen Seite wäre dann professioneller Sachverstand unmittelbar im Selbstverwaltungsorgan nutzbar, auf der anderen Seite erhöht sich die Gefahr von Interessenkonflikten, deren Eindämmung gerade Zielsetzung der eingeschränkten Wählbarkeit von Berufsangehörigen der Sozialversicherungsträger ist113.

108

Ähnlich, aber im Kontext allgemeiner formuliert auch H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 66. In Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss auf das Erfordernis erheblichen Sachverstandes hinweisend K. Loer, KrV 2017, 227 (228). 109 Funktionale Selbstverwaltung soll ausdrücklich der Generierung spezifischen Sachverstandes und nicht nur der Regeldurchsetzung und Gesetzessubsumtion dienen. Dazu nur E. Denninger, Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 114. 110 Dagegen birgt der Verzicht auf Wahlhandlungen die Gefahr von Entscheidungen im Sinne eines „Neokorporatismus“ oder „Neokameralismus“ über die Betroffenen hinweg. Dazu T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 143. Noch drastischer T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (179). 111 Vgl. zu dem Problem eines „Übergewichts“ der hauptamtlichen Verwaltungsspitze in der kommunalen Selbstverwaltung G. Püttner, in: Mann / P üttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 19 Rn. 4. 112 So auch E.  Schmidt-Aßmann, in: Selmer / von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für ­Wolfgang Martens, 1987, S. 257. 113 BT-Drucksache 18/12587, 51 f.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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Will man diesen Weg gehen, wäre die Gefahr möglicher Korruption institutionell abzusichern. Im Innenverhältnis des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen kann dies durch interne Kontrollverfahren geschehen, etwa durch Anzeigepflichten oder sonstige Rechenschaftspflichten. Sollte es dennoch zu einem Ausfall des Selbstverwaltungsorgans kommen, greifen die bestehenden Aufsichtsinstrumente der externen Staatsaufsicht nach den §§ 217h, 217i SGB V ein. Im äußersten Falle kann eine Absicherung über das – ebenfalls schon bestehende – Zivil- und Strafrecht zur Ahndung des Fehlverhaltens einzelner Personen in Betracht kommen. Mit den bestehenden Mitteln kann bereits eine Absicherung gewährleistet werden, um Risiken hinreichend abzufangen. Die Öffnung der funktionalen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung für eine professionellere Mitgliederstruktur sollte deshalb in Betracht gezogen werden.

III. Dritter Ansatz: Vermeidung von Machtkonzentrationen Eine heute immer mehr hervorstechende Schwäche der Selbstverwaltungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung liegt in der Machtkonzentration einzelner Einrichtungen sowie einzelner Funktionsträger. Zur Vermeidung zu großer Machfülle einzelner Personen schafft die Inkompatibilitätsregelung nach § 43 Abs. 3 SGB IV Abhilfe, mit der eine Ämterhäufung unterbunden wird.114 Problematisch ist daher lediglich die Machtfülle einzelner Organisationen. Besonders betrifft das den Gemeinsamen Bundesausschuss, dessen demokratische Legitimation gerade deshalb seit Jahrzehnten streitbehaftet ist, weil diesem Gremium eine enorme Machfülle gegenüber allen Akteuren des Gesundheitswesens zukommt.115 Unbestreitbar liegt die machtvolle Position des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Kompetenz, normhierarchisch unterhalb des parlamentarischen Gesetzgebers die Detailfragen des Krankenversicherungsrechts durch Richtlinien normativ auszugestalten, die über die Inkorporierung in die Bundesmantelverträge nach § 92 Abs. 8 SGB V nach heute allgemein anerkannter Auffassung verbindliche Außenwirkung für deren Vertragspartner und sogar für Dritte entfalten.116 Es handelt sich hierbei keineswegs um usurpierte, sondern um gesetzlich verliehene Kompetenzen. Zur Richtliniensetzung stehen dem Gemeinsamen Bundesausschuss in Zusammenschau mit der Generalermächtigung in § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine

114

Ausführlich dazu T. Schüller, NZS 2007, 358 (359) sowie zu der Überlegung, § 43 Abs. 3 SGB IV im Wege des Erst-Recht-Schlusses auf den hauptamtlichen Vorstand zu übertragen a. a. O., S. 360. 115 Bereits Ende der 1990er-Jahre hat Ruth Schimmelpfeng-Schütte eine bedrohliche Machtakkumulation im Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ausgemacht: Es sei ein Zustand erreicht, in dem sich das Parlament vor der gesundheitspolitischen Herausforderung scheut und die Gerichtsbarkeit mit dem Einwand der Überforderung kapituliere. Dazu R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1999, 530 (534). 116 BSGE 78, 70 (75).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Fülle verschiedener Einzelermächtigungen auf dem Gebiet des Leistungsrechts und des Leistungserbringungsrechts zur Verfügung.117 1. Machtbündelung im Gemeinsamen Bundesausschuss Mittlerweile hat sich ein beachtliches Richtlinienwerk zusammengetan, dessen Umfang keinen Zweifel mehr an der These aufkommen lässt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die wichtigste und machtvollste Institution des deutschen Gesundheitswesens ist. Wie die Ermächtigung zum Beschluss der zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien in § 92 Abs. 1 SGB V verdeutlicht, ist die versorgungsbedeutsame untergesetzliche Normsetzung klar auf der interessenpluralen Selbstverwaltung zentriert, während sich die „Richtlinien“und Satzungsgebung der übrigen Spitzenorganisationen auf spezialisierte, meist prozedurale Fragen oder auf die Binnenorganisation beschränkt. Die Machtkonzentration im Gemeinsamen Bundesausschuss findet mehrere Ursachen. Überschätzt wird aber gemeinhin der Gedanke, die Machtfülle des Gemeinsamen Bundesausschusses resultiere aus der kontinuierlichen Erweiterung seiner Befugnisse118. Bei genauer Betrachtung, in welchen Normen die Richtliniengebung ihre rechtliche Verankerung findet, ist diese Überlegung nämlich zu relativieren. Zwar ist die zentrale Ankernorm der Richtliniengebung in § 92 Abs. 1 und 2 SGB V um die Ermächtigung zur Detailausformung einzelner Nebenleistungen sowie der Qualitätssicherung angereichert worden. Die Kompetenz zur Richtliniensetzung in den grundlegenden Versorgungsbereichen stand demgegenüber schon den früheren Bundesausschüssen der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen zur Verfügung. Die Machtfülle des Gemeinsamen Bundesausschusses resultiert also im Wesentlichen daraus, dass ihm von vornherein viel Einfluss auf das Gesundheitswesen zugestanden wurde.119 Die Zunahme an Komplexität der Fachmaterie120 baut diesen Einfluss zu einer Art Machtmonopol aus. Eine zu große Machtfülle ist nicht nur fehler- und ggf. missbrauchsanfällig, sondern kann sogar organisatorisch gut aufgestellte Institutionen überfordern. 2. „Renaissance der Rechtsverordnung“ im Gesundheitswesen? Zur Machtbegrenzung des Gemeinsamen Bundesausschusses reicht es nicht aus, ihm schlicht keine weiteren Befugnisse mehr einzuräumen. Vielmehr sind auch Anpassungen der bestehenden Kompetenzen erforderlich; im Zweifel sogar

117

K. Engelmann, NZS 2000, 76 (80); E. Hauck, NZS 2010, 600 (608). Dazu auch K. Loer, KrV 2017, 227. 119 Zu einer anderen Einschätzung kommt F. J. Oldiges, Sozialer Fortschritt 1998, 69 (71). 120 Dazu auch K. Loer, KrV 2017, 227 f. 118

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

317

der Entzug bestimmter Aufgabenbereiche. Daran knüpft sogleich die Frage an, in welchem Umfang und in welchen Bereichen Kompetenzentziehungen denkbar und sinnvoll wären. Im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums steht es dem parlamentarischen Gesetzgeber offen, dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesene Kompetenzen wieder zu entziehen und der Ministerialverwaltung zuzuführen. Das Bundessozialgericht hat diese Lösung bereits in einem Urteil vom 6. Mai 2009 vorgezeichnet, in dem es ausführt, es sei dem parlamentarischen Gesetzgeber im Falle abweichender Gestaltungsvorstellungen „unbenommen, diese selbst in einem förmlichen Gesetz auch dem [Gemeinsamen Bundesausschuss] zur Beachtung vorzugeben oder die Exekutive gemäß Art. 80 GG zu einer von ihr zu verantwortenden Normsetzung zu ermächtigen“.121 Auch im Schrifttum findet diese Idee Anklang: Insbesondere in der Hochphase der Diskussion um die demokratische Legitimation der Gemeinsamen Selbstverwaltung sind dort Forderungen nach einer stärkeren Nutzung der Rechtsverordnung als Steuerungsinstrument laut geworden. Dafür geworben, diese Rechtsetzungsform in der gesetzlichen Krankenversicherung häufiger zum Einsatz zu bringen, haben allen voran Ruth Schimmelpfeng-Schütte122 und Thorsten Kingreen123, letzterer mit der Forderung nach einer „Renaissance der Rechtsverordnung“. a) Beispiele für den Einsatz der Rechtsverordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung Ein Einsatz der Rechtsverordnung bietet sich an, um die Normsetzungskompetenzen vorzuzeichnen und so den Maßstab für die Ausübung der Rechtsaufsicht124 weiter zu konkretisieren. So wird es bereits nach bestehender Rechtslage gemacht. Punktuell sind Rechtsverordnungen der Richtliniengebung des Gemeinsamen Bundesausschusses schon vorgeschaltet.125 Ein Beispiel bildet die auf Grundlage des § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V erlassene Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung126, deren in § 35a Abs. 1 Satz 8 SGB V vorbestimmten Inhalte vor allem Verfahrensfragen der frühen Nutzenbewertung sowie die Nachweispflichten der pharmazeutischen Unternehmer betreffen.127 Diese Fragen sind dem Gemeinsamen 121

BSGE 103, 106 (124). R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1999, 530 (536); dies., ZRP 2006, 180 (182 f.). 123 T. Kingreen, VVDStRL 70 (2011), 153 (189). 124 Zur Tauglichkeit untergesetzlicher Normen als Maßstab der Rechtsaufsicht F. Fattler, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, Kommentar, Loseblatt, § 87 Rn. 3 (Stand der Kommentierung: April 2021). 125 P. Axer, NZS 2017, 601 (602). 126 Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung – AM-NutzenV) vom 28. 12. 2010 (BGBl. I, S. 2324), zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung vom 9. 8. 2019 (BGBl. I, S. 1202). 127 So auch T. Kingreen, NZS 2011, 441 (444). 122

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Bundesausschuss entzogen, weil er bei Erlass seiner häufig als Rechtsetzungsform sui generis verstandenen Richtlinien128 sowie der sonstigen Beschlüsse der Gesetzesbindung unterliegt, die auch materielle Gesetze und damit auch Rechtsverordnungen und Satzungen umfasst.129 Vergleicht man aber die Ausführlichkeit der Verfahrensbestimmungen zur frühen Nutzenbewertung in der ArzneimittelNutzenbewertungsverordnung mit den Bestimmungen des fünften Kapitels der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses, so bekräftigt sich die Hoffnung auf eine „Renaissance“ der Rechtsverordnung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung130 jedenfalls nur insoweit, als diese Rechtsquelle überhaupt wieder zum Einsatz gelangt.131 Einen ähnlichen Vorstoß hat das Parlament erst kürzlich mit dem Implantateregister-Errichtungsgesetz vom 12. Dezember 2019132 gewagt. Seither besteht in einem neu geschaffenen § 91b SGB V eine Verordnungsermächtigung, die das Bundesministerium für Gesundheit dazu ermächtigt, ohne Zustimmung des Bundesrates die in der Ermächtigungsnorm näher bezeichneten Verfahrensvorgaben für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach den §§ 137 Abs. 1, 137c SGB V aufzustellen, welche für den Gemeinsamen Bundesausschuss beachtlich sind. Die Beispiele der Arzneimittelversorgung in der Zeit nach dem AMNOG133 sowie die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zeigen, dass die Rechtsverordnung durchaus taugt, um die Machtkonzentration des Gemeinsamen Bundesausschusses einzudämmen. Resultat ist eine Kompetenzverteilung134, die Machtverdichtungen der Ministerialverwaltung zum einen und der Gemeinsamen Selbstverwaltung zum anderen vermeidet. Diese Kompetenzaufteilung ist in verschiedener Hinsicht denkbar. Sie kann etwa, wie das Beispiel der Arzneimittelversorgung zeigt, durch sich überschneidende Kompetenzen erfolgen, wobei dann das Vor- und Nachrangverhältnis klärungsbedürftig bleibt. Ein normhierarchisches Nachrangverhältnis der Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen

128 C. Waldhoff, MedR 2016, 654 (655); F. E. Schnapp / A . Nolden, in: Schnapp / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 4 Rn. 30. 129 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 537; J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / PetersLange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 788. 130 T. Kingreen, NZS 2011, 441 (444). 131 Vgl. bereits dazu H.  Sodan / B. Hadank, Zur demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses. Eine verfassungs- und sozialrechtliche Studie, S. 36, veröffentlicht unter: http://digr.de/files/digr_-_studie_g-ba_-_2017.pdf, zuletzt aufgerufen am 10. 9. 2021. 132 Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters Deutschland und zu weiteren Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregister-Errichtungsgesetz  – EIRD) vom 12. 12. 2019, BGBl. I, S. 2494. 133 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG), BGBl. I, S. 2262. 134 Siehe dazu auch T. Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, 2016, S. 141.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

319

Bundesausschusses hinter der Rechtsverordnung ist jedenfalls nicht evident. Beide Rechtsquellen bewegen sich auf der Ebene unterhalb des formellen Gesetzes, beide entfalten aber außenverbindliche Wirkung, sodass sie oberhalb des bloßen Binnenrechts stehen. Der Rechtsverordnung kommt allenfalls eine rechtsstaatlich und demokratisch gefestigtere Position als den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu, weil sie von der durch Legitimationsketten personell demokratisch legitimierten Ministerialverwaltung gesetzt wird. b) Übertragung von Befugnissen auf den Verordnungsgeber Eine Komptenzaufteilung könnte genauso durch vollständige Übertragung von Befugnissen auf den Verordnungsgeber stattfinden. Es verbleibt dann allerdings die Frage, nach welchen Maßstäben eine Kompetenzverteilung in Betracht kommt. Die im Schrifttum herangezogene Wesentlichkeitstheorie kann hier zu kaum befriedigenden Ergebnissen verhelfen. Kerngehalt dieser durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Doktrin ist die Verdichtung des Vorbehalts des Gesetzes zu einem Parlamentsvorbehalt jedenfalls dann, wenn es um besonders bedeutsame, mithin „wesentliche“ Entscheidungen geht.135 „Wesentlich“ soll dabei alles sein, was „für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlich“ ist136, wobei die Annahme des Vorbehalts des Gesetzes „mit großer Behutsamkeit“ vorzunehmen sei, um einer „weitgehende[n] Vergesetzlichung“ entgegen zu wirken137. Trotz dieser einschränkenden Formulierung bleibt die „Wesentlichkeitstheorie“ stets auf bereichsspezifische Konkretisierungen138 angewiesen, weil immer auslegungsfähig und -bedürftig bleibt, welche Entscheidungen „wesentlich“ sein sollen.139 Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung führt ein zu weites Verständnis der Wesentlichkeitstheorie de facto zur Unrealisierbarkeit der funktionalen Selbstverwaltung. Relevant für die Verwirklichung der Grundrechte sind dort die meisten Entscheidungen, weil sowohl auf der Seite der Leistungsempfänger aber auch der Leistungserbringer empfindliche Grundrechtspositionen betroffen werden. Das trifft insbesondere auf die grundlegenden Versorgungsentscheidungen zu; mithin auf die Kernleistungen sowie die Grundzüge des Leistungserbrin-

135

BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249 f.); 49, 89 (126 f.); 77, 170 (230 f.); 98, 218 (251 f.); 101, 1 (34); 108, 282 (312). 136 BVerfGE 47, 46 (79); 83, 130 (142); siehe auch H.  Sodan / J. Ziekow, Grundkurs Öffent­ liches Recht, 9. Aufl. 2020, § 24 Rn. 28. 137 BVerfGE 47, 46 (79). 138 Dazu H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113; B. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Abs. 3 Rn. 104 (Stand der Kommentierung: Dezember 2007). 139 Von Konkretisierungen, die „nicht abschließend“ und „nicht eindeutig“ sind, spricht H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

gungsrechts.140 Eine zu strikte Anwendung der Wesentlichkeitstheorie müsste konsequent dazu führen, gerade dort die bedeutsamen Detailentscheidungen dem Parlament vorzubehalten. Dann aber wäre die Selbstverwaltung im Grunde überflüssig und das Parlament unter Umständen schnell überfordert und auf Sachverständige angewiesen141. Gleichwohl ist die Überlegung nicht fernliegend, die Ministerialverwaltung stärker in die Entscheidungsfindung auf der Feinebene einzubeziehen. Die Überantwortung der gesamten Verantwortung und Entscheidungsmacht an den Gemeinsamen Bundesausschuss birgt nämlich das Risiko willkürlicher Entscheidungen.142 Losgelöst von der Wesentlichkeitstheorie könnte danach gefragt werden, welche Entscheidungen auf der Detailebene mit vertretbaren Ressourcen auch durch die Ministerialverwaltung erledigt werden können. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung über eine besondere Sachnähe verfügt, die die Ministerialverwaltung nur mit erheblichem Kosten- und Personalaufwand aufwiegen kann. Auch wird der Aufbau erforderlicher Personal- und Sachmittel nicht ohne eine gewisse Vorlaufzeit möglich sein.143 Die Übertragung von Kompetenzen sollte deshalb sehr selektiv erfolgen. Sie bietet sich in Bereichen an, die vermehrt juristische oder ökonomische Kenntnisse, aber weniger medizinisches Fachwissen erfordern, etwa die Bedarfsplanung sowie Fragen des Zulassungswesens. 3. Lösungsvorschlag Der Einsatz der Rechtsverordnung muss aber mit Bedacht erfolgen, denn nicht zwangsläufig führt sie zu einem Gewinn. Entzieht man nämlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss auf der einen Seite Kompetenzen, muss stets bedacht sein, wer an seiner statt die anfallenden Aufgaben erfüllen soll.144 Ob im Falle der Ver 140

Grundrechtsverhältnisse bestehen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in vielfältiger Weise, beispielsweise schon durch Einbeziehung der Versicherten: H. Sodan, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn 51 ff.; bei Personalentscheidungen: F. E. Schnapp / M. Kreutz, GewArch 2017, 383 (404). Grundrechtseingriffe sind auch durch Maßnahmen der Wirtschaftslenkung denkbar. Allgemein dazu U. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (258). Wettbewerbliche Regulierung findet gerade auch im Gemeinsamen Bundesausschuss statt. Dazu W. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts, 2015, S. 56. 141 Vgl. P. Axer, NZS 2017, 601 (602). Vgl. dazu auch H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 47. 142 Ähnlich R. Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1999, 530 (534). 143 Siehe bereits H. Sodan / B. Hadank, NZS 2018, 804 (808), soweit dort ausgeführt wird, dass die Verlagerung von Normsetzungsermächtigungen auf den Verordnungsgeber zu keinem nennenswerten Effizienzgewinn führen. 144 Dies mahnt auch F. Welti, in: Mehde / Ramsauer / Seckelmann (Hrsg.), FS für Hans Peter Bull, 2011, S. 912 an.

B.  Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung

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ordnungsermächtigung das Bundesministerium für Gesundheit zu der Ausformung von Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht besser geeignet ist, mag zweifelhaft sein. Detailfragen der ärztlichen Versorgung oder der Versorgung mit Arzneimitteln können nämlich auch das zuständige Fachministerium überfordern. Auch das Ministerium als Verordnungsgeber, dies stellt Peter Axer zutreffend heraus, braucht spezifisches Sachwissen, das im Zweifel durch Heranziehung von Sachverständigen beschafft werden muss.145 Das Ergebnis der untergesetzlichen Normsetzung muss deshalb bei der Rechtsverordnung nicht zwingend qualitativ besser sein als bei den Richtlinien.146 Auch muss die Akzeptanz der Entscheidungen nicht von vornherein höher liegen.147 Insoweit ist der Wert eines routinierten, fachkundigen148 und sachnahen Gremiums nicht zu unterschätzen.149

IV. Zwischenbilanz Als Zwischenbilanz bleibt aber eine wichtige Erkenntnis festzuhalten. Zu einer echten Stärkung des Selbstverwaltungsgedankens bedarf es keiner umfassenden Neustrukturierung des Systems. Es genügen punktuelle, aber wirkungsvolle Anpassungen an ausgewählter Stelle, um diese Organisationsform in der gesetzlichen Krankenversicherung zukunftssicher zu machen. Ein erster Ansatz liegt in der organisatorischen Stärkung der Selbstverwaltung durch die Beseitigung bestehender Legitimationsdefizite sowie eine Professionalisierung der Selbstverwaltungsträger. Ein zweiter Ansatz besteht in der Vermeidung von Machtkonzentrationen auf einige wenige Organisationen. Beide Strategien erweisen sich bei näherer Betrachtung als probate Mittel, um eine echte Verbesserung der funktionalen Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewirken.

145

P. Axer, NZS 2017, 601 (602). K. Engelmann, NZS 2000, 76 (79) verankert diese These etwa anhand der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). 147 Hierzu sei jedenfalls an eine bei H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 64 f. m. w. N. vertretene These angeknüpft, nach der die Errichtung dezentralisierter kollektiver Funktionsträger dazu diene, das Vertrauen der Betroffenen in die Verwaltungstätigkeit zu stärken, indem von solchen Gremien „wohlwollendere“ Entscheidungen zu erwarten sind, an denen die Betroffenen durch ihre Interessenvertreter mitwirken. Im Übrigen sollen sich die Fachkunde der Gremienmitglieder und die interne Kontrolle vertrauensstärkend auswirken. Diese These lässt sich genauso für die sogenannte Gemeinsame Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung halten. Gleichwohl setzt das die Grundannahme voraus, dass die interne Kontrolle „im Interesse der Gesellschaft und nicht lediglich im Eigeninteresse des Standes funktioniert“. Dazu J. Taupitz, MedR 1998, 1 (4). 148 So jedenfalls auch H. Sodan, NZS 2000, 581 (585). 149 M. Gaßner / A . Klars, PharmR 2002, 309 (322). Eine ähnliche Kritik äußert auch R. Pitschas, KrV 2017, 149 (152). 146

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  Eine Stärkung des Verhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht darf nicht nur über die Optimierung der materiell-rechtlichen Grundlagen funktionaler Selbstverwaltung in Betracht gezogen werden, sondern erfordert auch die Bereitschaft zu Anpassungen der Strukturen staatlicher Aufsicht. Im Fokus muss dabei die Beseitigung von Ineffizienzen liegen. Dass die Staatsaufsicht manchmal ihre Stringenz und Effizienz verliert und zur „lame duck“150 verkommt, liegt allerdings nicht immer an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Nicht selten liegen praktische Gründe einer ineffizienten Staatsaufsicht in tatsächlichen Gegebenheiten.151 Die moderne, kooperativ und kontinuierlich ausgeübte Staatsaufsicht verlangt etwa einen Personalaufwand, der nicht immer abgedeckt wird.152 Auf solche und vergleichbare rein tatsächliche Umstände kann das Recht allein nicht immer sinnvoll reagieren. Es kann lediglich die erforderlichen Rahmen­ bedingungen einer funktionsfähigen und effizienten Staatsaufsicht schaffen. Für eine effiziente Kontrolle durch staatliche Aufsicht kann an zwei Stellschrauben gedreht werden. In erster Linie kann die Erkenntnis fruchtbar gemacht werden, dass die Aufsichtsführung vor allem durch den Kontrollmaßstab und damit durch das Fachrecht bestimmt wird. Eine effiziente Staatsaufsicht ist auf ein qualitativ gutes Fachrecht angewiesen, das verständlich, übersichtlich und dessen Einhaltung daher gut kontrollierbar ist. Gerade das Sozialversicherungsrecht ist an vielen Stellen weit ausführlicher, als es erforderlich wäre; verbunden mit dem negativen Effekt, dass nunmehr ein kompliziertes Regelungsgefüge besteht. Getreu dem Motto, dass weniger zuweilen mehr sein kann, sollte an eine Entflechtung und Konzentrierung des Fachrechts, soweit möglich, gedacht werden [I.]. Darüber hinaus liegt es nahe, die Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Anpassung der Aufsichtsverfahren zu optimieren [II.]. Die Rechtsordnung kann dafür sorgen, dass die Staatsaufsicht in erster Linie kooperativ und kontinuierlich arbeitet und dass sie, soweit erforderlich, zu bestimmten Anlässen in der gebotenen Intensität auch repressiv einschreiten kann. Das einfache Recht kann also für eine nachhaltige Aufsichtsführung sorgen, indem sie nicht bloß anlassbezogen im Sinne einer ad-hoc-Kontrolle stattfindet, sondern, wie es Wolfgang Kahl bereits ausdrücklich gefordert hat, mehr in Richtung einer dynamischen Staatsaufsicht verschoben wird.153

150

M. Gaßner, MedR 2017, 677 (684) trifft diese Aussage im Zusammenhang mit der These, die Aufsicht bilde die Wettbewerbsorientierung der Organisationen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht hinreichend ab. 151 Siehe zu den vielfältigen Ursachen ineffizienter Staatsaufsicht K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 ff. – ohne die Hervorhebung. 152 K. Waechter, DVBl. 2014, 1149 (1149 f.). Zu Kapazitätsengpässen auch K. Scholz, KrV 2017, 232 (236). 153 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 563.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

323

I. Erster Ansatz: Deregulierung des Fachrechts Zunächst liegt eine gesetzgeberische Steuerung in der Form nahe, die sehr ausführliche gesetzliche Basis der gesetzlichen Krankenversicherung zur Vereinfachung der Aufsichtsführung auszudünnen. Ein nicht ausschließlich deutsches, aber in Deutschland immer relevanteres Phänomen ist der Drang zur normativen Perfektion, vereinfacht formuliert der Drang zur inflationären Überregulierung von Lebenssachverhalten154 im Sinne eines Normsetzungsperfektionismus. Dieses Phänomen scheint bei der sozialen Absicherung der Bürger besonders relevant zu sein. Josef Isensee formuliert hierzu, der soziale Gleichheitsstaat neige dazu, seine Bürger „immer perfektionistischer zu betreuen, zu beplanen, zu belehren und zu begängeln“.155 Zuweilen wird dem Sozialstaat eine besondere Affinität zur Normenflut zugesprochen, weil dieser intervenieren müsse, damit die rechtsstaatlichen Gewährleistungen von individueller Freiheit und rechtlicher Gleichheit nicht ins Leere liefen.156 In der Tat wird man das gesamte Sozialrecht durch seine üppigen Ausweitungen nicht mehr als bloßes System sozialer Sicherung, sondern als umfassendes (sozialpolitisches) Steuerungsinstrument begreifen müssen.157 Immer dichter werdende Regelungen tragen aber nicht per se zu einer qualitativen Verbesserung des Rechts bei158, sondern machen es im Gegenteil unübersichtlich, provozieren Widersprüche159 und mindern so das Rechtsvertrauen der Bürger160. Unübersichtliche Normengefüge beeinflussen ferner die Qualität ad 154 Vgl. P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 379. Vgl. auch M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995, S. 45. Krit. zu dem Trend inflationärer Normsetzung auch C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2081); zu Ursachen und Tendenzen von Überregulierung J. Isensee, ZRP 1985, 139 f. 155 J. Isensee, ZRP 1985, 139 (142). Weiter formuliert A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 2, die Begriffe „Normenflut“ und „Inkonsistenz“ stehen unweigerlich mit der (vermeintlich defizitären) Lenkungs- und Steuerungswirkung des Rechtsstaates zusammen. 156 E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 77. Siehe auch F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 47. 157 Ähnlich M. Schüffner / L . Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, 2009, S. 14. Allerdings weist T. Kingreen, Die Verwaltung 2009, 339 (344) zurecht darauf hin, dass das Sozialrecht als Steuerungssystem selbst innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung durchaus unterschiedliche Ausprägungen aufweist, was in der historischen Entwicklung dieses Fachrechts gründet. 158 Vgl. auch C. Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2081). Aus gesundheitspolitischer Perspektive macht L. Meyer, in: Sodan (Hrsg.), Die sozial-marktwirtschaftliche Zukunft der Krankenversicherung, 2011, S. 26 auf die nicht unerheblichen Bürokratiekosten aufmerksam, die mit einer ungebremsten Regelungsflut einhergehen bzw. bereits Folge der inflationären Sozialgesetzgebung gewesen sind. 159 H.  Sodan, JZ 1999, 864 (873); siehe auch ders. / S .  Kluckert, NVwZ 2013, 241 (241); K.-P. Sommermann, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2: Artikel 20 bis 82, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 299. 160 J. Isensee, ZRP 1985, 139 (141).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

ministrativer Kontrolle, die hierdurch komplizierter, langwieriger, personalintensiver und damit auch teurer und fehleranfälliger wird. Einmal begonnen, fordert die Übernormierung ihren Tribut in immer detaillierteren Regelungen, sodass eine Art „Domino-Effekt“ eintritt.161 Das Recht verfällt in ein Übersteigertsein, in ein übermäßiges Anwachsen in Umfang und Dichte, oder fachsprachlich in eine Hypertrophie. Ab einem bestimmten Punkt kann der – gleichwohl gut gemeinte  – Gesetzgebungsperfektionismus in Überforderung der Normadressaten umschlagen. Wenn die Verwaltung aufgrund des zunehmenden Übersteigertsein des Rechts gesetzliche Vorgaben nicht mehr umsetzen kann, wird sie dazu gezwungen, unmögliche Vorgaben nicht anzuwenden oder „auf das praktisch Mögliche zu reduzieren“162. Resultat ist dann aber das genaue Gegenteil dessen, was mit inflationärer Normsetzung erreicht werden soll: Statt einer stärkeren Bindung der Verwaltung entstehen ungewollt Freiräume.163 Besonders prekär wird die Regelungswut dann, wenn sie als Reaktion auf aktuelle Missstände erfolgt; wenn es also im Kern um „Brandbekämpfung“ statt um zielorientiertes Handeln geht. In nicht wenigen Fällen wird dies die treibende Intention sein; das hier untersuchte GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz gehört im Grunde auch in diese Kategorie.164 Reformgesetzgebung führt nicht zwangsläufig zu zielorientierten und überlegten Lösungen165, wenngleich die Gesetzesbegründungen vollmundige Versprechen in die Richtung abgeben. Sicherlich muss die gesetzliche Konstruktion der Staatsaufsicht berücksichtigen, wie sich das beaufsichtigte Gesamtsystem entwickelt166, weshalb sich auch die Aufsicht ständig weiterentwickeln muss. Fundierte Lösungen bedürfen längerer Ausreifung167; Schnellschüsse führen indessen zu Verunsicherung, bessern das Gefüge der Rechtsordnung mithin nicht, sondern sind der Regelungsqualität gar abträglich. Der bewusste Verzicht auf inflationäre Normgebung erfordert deshalb rechtspolitischen Mut, zahlt sich aber in einer übersichtlicheren, unbürokratischeren und besser handhabbaren Rechtsordnung aus.

161 Vgl. auch M.  Schüffner / L .  Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, 2009, S. 13 f. 162 J. Isensee, ZRP 1985, 139 (141); H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 173. 163 M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995, S. 46; dagegen nimmt F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 77 gerade dann übermäßige Freiräume an, wenn durch Deregulierung quantitativ mehr Entscheidungen der Exekutive zufallen. 164 Die Gesetzesbegründung nimmt ausdrücklich auf aktuelle Missstände Bezug. Vgl. BTDrucksache 18/10605, S. 21. 165 F. J. Oldiges, Sozialer Fortschritt 1999, 80 (81). 166 Dass gerade auch hierin eine nicht zu unterschätzende Herausforderung liegt, betont E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 80. 167 F. J. Oldiges, Sozialer Fortschritt 1999, 80 (82).

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

325

1. Folgen inflationärer Normsetzung und gesundheitspolitischer Standpunkt Eine probate Lösung zur Eindämmung übermäßiger Ausformung des Rechts drängt sich in Folgendem auf: Gesetzgeberische Zurückhaltung und der Verzicht auf ein weiteres Vorantreiben der Übernormierung für die Zukunft. Und für das gegenwärtige Gefüge des Sozialversicherungsrechts eine Deregulierung.168 Dabei soll der Begriff der „Deregulierung“ in diesem Kontext nicht mit Dekonstruktion oder einem Sich-Selbst-Überlassen der Selbstverwaltung missverstanden werden.169 Es mag richtig sein, dass der Ehrgeiz eines besser strukturierten und organisierten Gesundheitswesens zu immer mehr Regelungen auf verschiedenen Ebenen zwingen kann.170 Hinter diesem verfehlten Perfektionismus steckt im Grunde nichts anderes als der Drang nach immer mehr und immer weitreichenderer Kon­ trolle, nach mehr externem Einfluss und Steuerungsgewalt. Mit dem Selbstverwaltungsgedanken wird aber gerade eine Gegensteuerung hierzu bezweckt. Es geht gerade nicht um externe Kontrolle, sondern um die Steuerung eines – meist recht eng – eingefassten Aufgabenbereichs durch die Betroffenen.171 Mit dem Mut zu einer maßvollen Deregulierung des Sozialversicherungsrecht kann mehr Raum für die Autonomie der Betroffenen geschaffen werden172; zugleich bewirkt sie keinen nennenswerten Kontrollverlust der Staatsaufsicht. Im Gegenteil: Die Aufsicht wird sogar einfacher und damit effizienter. Denn die Deregulierung kann und muss sich nur auf die letztlich verzichtbare detaillierte Ausnormierung von Sachfragen beziehen. Der grobe Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt nach rechtsstaatlichem und demokratischem Gebot der Gesetzgebung vorbehalten. Ein vereinfachter Kontrollmaßstab vereinfacht in logischer Konsequenz die Ausübung der Rechtsaufsicht. Wenn nicht alle Detailfragen auf abstrakt-genereller Ebene geregelt werden, bedeutet dies keinen Kontrollverlust, sondern unter Umständen einen Kontrollgewinn der Rechtsaufsicht.

168

Vgl. M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995, S. 45. 169 Zu entsprechender Kritik an der berufsständischen Selbstverwaltung siehe J.  Taupitz, MedR 1998, 1 (3). 170 F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 47. Zu den verschiedenen Rechtsquellen im Sozialrecht auch S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 44. 171 R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 345; G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (129 f.); D. Kugelmann, Der Staat Sonderausgabe Supplement 19 (2010), 239 (293). Um die eigenverantwortliche Erfüllung der Aufgaben durch die Betroffenen ist es aber nicht gut bestellt, wenn die Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften in einem „Subsumtionsautomatismus“ mündet. Zu diesem Begriff F. E. Schnapp, VSSR 2006, 191 (197). Vgl. aber auch den Analysebefund von K. Scholz, KrV 2017, 232 (233) zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Selbstverwaltung betreffend. 172 Ähnliche Überlegungen auch bei M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995, S. 46.

326

5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Ein gesetzgeberischer Wille, sich bei der Normsetzung zurückzuhalten, ist im Gesundheitswesen in keiner Weise erkennbar. Im Gegenteil: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt eine dynamische Materie. Meist wurzelt der Drang zu inflationärer Übernormierung in politischen Grundentscheidungen. Beispielhaft lässt sich das am Gedanken der Wirtschaftlichkeit festmachen. Die Rationierung der knappen (Beitrags-)Ressourcen als gesundheitspolitische Herausforderung führte zu einer „Kostendämpfungsgesetzgebung“, die in den späten 1970er-Jahren einsetzte und erhebliche Umgestaltungen des Krankenversicherungsrechts zur Folge hatte.173 Dieses Phänomen gilt im Grunde für verschiedene Rechtskreise und kann deshalb wie folgt verklausuliert werden: Dass es zur Übersteuerung normativer Systeme kommt, ist zumeist Ausfluss bestimmter rechtspolitischer Entscheidungen, die rationale Überlegungen zu sinnvollen und zugleich effektiven Lösungen überlagern174. Für die vorliegende Untersuchung ist die Überregelung des Sozialrechts deshalb von Relevanz, weil sich hierin grundlegende Auffassungen der Gesundheitspolitik spiegeln. Erhebliche normative Ausbauten etwa der Aufsichtsstrukturen, ohne dass hiermit nennenswerte Effizienzgewinne erzielt worden wären, zeugen von der gesundheitspolitischen Haltung gegenüber der Selbstverwaltung in den Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung. Statt Überzeugung und einem Gesamtkonsens175 für das durch den Gesetzgeber selbst gewählte Organisationsprinzip verdeutlichen die normativen Reformen schlicht das Misstrauen in die Selbstverwaltung. 2. Lösungsvorschlag Vor diesem Hintergrund kann auf eine zentrale These nochmals Bezug genommen werden: Dem Gesetzgeber steht es mangels verfassungsrechtlicher Verbürgung der funktionalen Selbstverwaltung im Rahmen seines Gestaltungsspielraums frei, das System der gesetzlichen Krankenversicherung umzugestalten. Eine derartige Neuausrichtung kann etwa durch Wahl einer anderen Organisationsform, aber auch durch Anpassungen der Selbstverwaltungsstrukturen geschehen. Die weitgehende Beibehaltung der bisherigen Strukturen eines Ordnungsprinzips, in dessen Funktionalität nur halbherzig vertraut wird, lässt dagegen die gesetzgebe 173

H. Sodan, NJW 2003, 1761 (1761). Zu einer Auflistung der einzelnen Kostendämpfungsgesetze siehe ders., in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 5. Aufl. 2019, Kapitel 1, Rn. 2; siehe auch krit. hierzu ders., NJW 2003, 1761 (1761). Damit war Deutschland verglichen mit anderen europäischen Ländern Vorreiter, was die Priorisierung und Kontingentierung von Gesundheitsleistungen anbelangt. Dazu P. Hassenteufel / B. Palier, in: Palier /  Martin (Hrsg.), Reforming the Bismarckian Welfare Systems, 2008, § 3 S. 48 f. 174 Zu dieser Gefahr A. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 41 f. 175 Vgl. dazu auch F. Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 78, der genau an diesem Punkt den Grund für die hypertrophen Auswüchse des Sozialrechts verortet.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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rische Vernunft vermissen. Rechtspolitische Vernunft verlangt nämlich eine gewisse Progressivität176: In den Worten von Josef Isensee huldigt der zweckrational orientierte Staat „nicht der Heiligkeit des Herkommens“ und „findet sich nicht ab mit der Unvollkommenheit des Bestehenden, sondern strebt nach Alternativen, geleitet von dem Ideal einer Vollkommenheit, das, zwar niemals erreichbar, so doch zu immer neuen Bemühungen um Annäherung antreibt und das politische Leben in Bewegung hält“.177 Dazu bedarf es aber offener politischer Bekenntnisse und eine diesen Bekenntnissen entsprechende Normsetzung. Mit diesem normativen Bekenntnis ist konkret die Forderung gemeint, auf eine überschießende repressive Kontrolle zu verzichten. Rechtspolitisch ist dieser Regelungsverzicht deshalb tragbar, weil die Korruptionsgefahr, mit der die Erweiterung repressiver Aufsichtsinstrumente im Wesentlichen begründet worden ist, durch Haftungstatbestände zulasten einzelner Selbstverwalter und Vorstände im Innen- und Außenverhältnis sowie durch strafrechtliche Sanktionen mehrfach abgesichert ist. Der Blick ist deshalb maßgeblich auf die Verantwortlichkeit einzelner Funktionsträger zu lenken, weil die Gefahr durch Korruption einzelner Personen ungemein größer sein dürfte als durch das eher unwahrscheinliche, vorsätzliche Fehlverhalten ganzer Organe; eine etwaige Organhaftung im Außenverhältnis178 soll deshalb an dieser Stelle ausgeklammert sein. Auf alle Tatbestände kann im Einzelnen nicht eingegangen werden. Zum Nachweis der soeben aufgestellten These genügt indessen ein knapper Überblick: Für die Haftung einzelner Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane ist § 42 SGB IV eine relevante Rechtsnorm, die seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz179 nach § 79 Abs. 6 Satz 1 SGB V auch auf die Vertreterversammlungen der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen als einzige Selbstverwaltungsorgane der Leistungserbringerseite180 Anwendung findet. Für die Haftung im Außenverhältnis sollte der Tatbestand allerdings nicht überschätzt werden, weil er im Grunde nur die Amtshaftung im Außenverhältnis für anwendbar erklärt, was aber ohnehin in Betracht käme.181 So haften nach § 42 Abs. 1 SGB IV die Einzelmitglieder gegenüber Dritten nach den allgemeinen Vorgaben der Amtshaftung gemäß § 839 BGB und Art. 34 GG, was allerdings – 176 Und setzt dabei „kritische Energie“ und manchmal auch „spekulative Phantasie“ frei, ohne sich aber von emotionalen Affekten leiten zu lassen. Dazu J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (176). 177 J. Isensee, AöR 140 (2015), 169 (176). 178 Vgl. etwa zur kartell- und wettbewerbsrechtlichen Haftung der damaligen Spitzenverbände der Krankenkassen aus europäischem Unionsrecht C. Koenig, NZS 2001, 617 (619 ff.). 179 Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) vom 6. 5. 2019, BGBl. I, S. 646. 180 Vgl. hierzu den Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 19/6337, S. 102. 181 P. Hantel, NZS 2005, 580 (582). Allgemein zur Binnenhaftung von Arbeitnehmern E. Kreßel, NZG 2018, 841 (845). Zur Erstreckung der Amtshaftung der deutschen Sozialversicherungsträger auf die europäische Ebene durch Art. 340 AEUV siehe M. Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, Kommentar, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 340 (ex-Art. 288 EGV) Rn. 44.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

und hierin liegt tatsächlich ein Schwachpunkt – die Drittbezogenheit der Amtspflichtverletzung voraussetzt182, deren Bestehen der Geschädigte im Zweifelsfall darlegen und beweisen muss183. Im Innenverhältnis bemisst sich die Haftung der einzelnen Selbstverwaltungsträger nicht nach Maßgabe der Amtshaftung, sondern nach den (arbeits-)vertraglichen Vorgaben.184 Ferner stellt § 42 Abs. 2 SGB IV dort eine wichtige Privilegierung auf, indem die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt bleibt.185 Weil die Haftung nach § 42 Abs. 1 bis 3 SGB IV nur auf die (ehrenamtlichen) Selbstverwalter Anwendung findet, haften die hauptamtlichen Vorstände im Innenverhältnis nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen; mithin nicht unter der Haftungsprivilegierung nach § 42 Abs. 2 SGB IV, sondern nach dem Haftungsmaßstab des § 276 BGB186; gleiches gilt für sämtliche (tarifvertraglich) angestellten Mitarbeiter der Kassenlandschaft sowie der Verbände187. Die Gesetzgebung nimmt hier also eine bewusste Differenzierung zwischen Selbstverwaltern und hauptamtlichen Vorständen vor, wobei letztere einem strengeren Haftungsmaßstab unterfallen.188 Im Falle (arbeits-)vertraglicher Pflichtverletzungen189 trägt der geschädigte Selbstverwaltungsträger die Darlegungs- und Beweislast für die schädigende Handlung190, allerdings greift zulasten der Vorstände die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB.191 Dem Risiko von Funktionsstörungen des Krankenversicherungssystems wird darüber hinaus auch durch die strafrechtliche Sanktionierung von Fehlverhalten vorgebeugt.192 Von den einschlägigen Straftatbeständen des StGB193 dürften die 182 Siehe zu den Parallelen im Kommunalrecht auch F. Schneider et al., Schirmer / Kater /  Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Loseblatt, Abschn. 200 S. 4 (Stand der Bearbeitung: Juli 2012). 183 A. Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 18. Aufl. 2021, § 839 Rn. 28. 184 Siehe hierzu nur BSG, NJOZ 2009, 4656 (4659 ff.). 185 J. Kruse / I. Zamponi, NZS 2001, 184 (187). 186 D. Schmidt / P. Schantz, NZS 2014, 5 (6). 187 Zu den nach EKT und TKT angestellten Beschäftigten T. Schüller, NZS 2006, 192 (194). 188 Vgl. dazu bereits BSG, NJOZ 2009, 4656 (4659); D. Schmidt / P. Schantz, NZS 2014, 5 (6). Auch der Gesetzgeber des Terminservice- und Versorgungsgesetzes betont, die Haftung nach § 42 Abs. 1 bis 3 SGB IV ausdrücklich nur auf die mit Ehrenamtlichen besetzten Selbstverwaltungsorgane anzuwenden und das Differenzierungskonzept beizubehalten. Vgl. dazu BT-Drucksache 19/6337, S. 102. 189 Im Einzelfall kann die Bestimmung der Pflichtverletzung kompliziert sein. D. Schmidt /  P. Schantz, NZS 2014, 5 (8) thematisieren etwa die Frage, ob eine Pflichtverletzung schon dann ausscheidet, wenn der Vorstand auf die Expertise der Rechtsabteilung zurückgegriffen hat. Weitere praktisch relevante Fragen können im Rahmen dieser Untersuchung nicht abgedeckt werden. 190 D. Schmidt / P. Schantz, NZS 2014, 5 (7). 191 D. Schmidt / P. Schantz, NZS 2014, 5 (7). 192 Offener dagegen M. Kaltenborn / J. Ströttchen, GesR 2018, 552 f. 193 Besondere praktische Relevanz werden dabei die Vermögensdelikte, bspw. etwa der Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB, haben. Vgl. dazu E. Mand, PharmR 2014, 393 (401). Dazu auch M. Gaßner, MedR 2017, 677 (679).

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

329

neu geschaffenen, auf das Gesundheitswesen zugeschnittenen §§ 299a, 299b StGB besondere Relevanz haben, weil sie zwecks Korruptionsbekämpfung194 insbesondere kollusives Verhalten von Leistungserbringern durch unlautere Kooperationsverhältnisse bei der Leistungserbringung sanktionieren195, gleichwohl aber für sämtliche Bereiche der Leistungserbringung Folgen haben196. Den größten Effekt hat die strafrechtliche Absicherung auf die vertragsärztliche Versorgung, in der Kooperationen mit anderen Leistungserbringern nicht unüblich, ja sogar zu einer angemessenen Versorgung unbedingt erforderlich und im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und im ärztlichen Berufsrecht jedenfalls fester verankert sind als im zahnärztlichen Bereich. Häufig werden zahnärztliche Behandlungen allein von den Vertrags(zahn)ärzten geplant und durchgeführt, weshalb das zahnärztliche Berufsrecht stärker auf eine einheitliche Leistungserbringung ausgelegt ist197, aber auch hier kann es zur Einbeziehung weiterer Leistungserbringer kommen, wie etwa die Regelung zu Preisvereinbarungen der Versicherungsträger mit Zahntechnikern in § 57 SGB V verdeutlicht. Gerade im Hinblick auf kollusives Verhalten haben die neu gefassten Tatbestände Strafbarkeitslücken geschlossen, die die allgemeineren Vermögensdelikte allein nicht zu schließen vermochten.198 So ist eine Absicherung gegen vorsätzliches, kollusives Handeln gewährleistet, wie es das Satzungsrecht ohne spürbare Konsequenzen für die einzelnen Verantwortlichen selbst nicht leisten kann.199 Doch auch der strafrechtliche „Lückenschluss“ hat eine Schwäche: Berechtigt ist nämlich die Kritik von Elmar Mand, der davor warnt, die zahlreichen zulässigen Kooperationen nicht unnötig vorzuverurteilen.200 Neben der strafrechtlichen Absicherung bestehen spezifische Vorschriften des Sozialversicherungsrechts (vgl. etwa § 128 SGB V) und des Gesundheitsrechts (so z. B. § 7 Abs. 1 HWG), welche die Sicherung vor „compliancerelevanten Risiken“201 bezwecken. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die nach § 81a SGB V 194 Allgemein zur Zielrichtung der §§ 299a, 299b StGB M. Gaßner, MedR 2017, 677 (687); M. Kaltenborn / J. Ströttchen, GesR 2018, 552 f. 195 Aktuelle Beispiele aus der Rechtsprechung bietet E. Kraatz, NStZ-RR 2020, 133 (134). Krit. aber zum Umgang mit durchaus zulässigen Kooperationen P.  Wigge, NZS 2015, 447 (452), der deshalb vorschlägt, solche ausdrücklich aus der Strafbarkeit auszuklammern. Ausführlicher zu den konkreten Tathandlungen N. Rauer / F. Pfuhl, PharmR 2016, 357 (359 ff.). 196 Zu den Auswirkungen auf das Krankenhausentlassmanagement D. Tietjen, PharmR 2019, 573 ff. 197 T. Muschallik, in: Sodan (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Ver­ sorgung, 2005, S. 49. Ein kompakt dargestelltes Beispiel für eine sektorenübergreifende ärzt­ liche Versorgung von Demenzerkrankungen gibt K. Gunder, Evangelische Impulse 1998, 24. 198 N. Rauer / F. Pfuhl, PharmR 2016, 357 (357). 199 Dagegen aber H. Ferger / J. Hentschel, GewArch 59 (2013), 111 (114), die Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung – konkret bezogen auf die Industrie- und Handelskammern – auf der Ebene des Satzungsrechts verorten wollen. 200 E. Mand, PharmR 2014, 275 (276). 201 Zu dieser Bezeichnung C. Piontke / H.-P. Schlaudt, Das Krankenhaus 2016, 1107 (1108).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

auf der Seite der Vertrags(zahn)ärzte202 und nach § 197a SGB V auf der Seite der Versicherungsträger einzurichtenden Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, an die im Zweifel Korruption und kollusives Zusammenarbeiten gemeldet werden können. Unter Berücksichtigung der mehrfachen Absicherung von Funktionsstörungen und vorsätzlichem Delikt bleibt Folgendes festzuhalten: Besonders die persönliche Verantwortlichkeit des einzelnen Funktionsträgers kann, verglichen mit der Staatsaufsicht, sogar das „schärfere Schwert“ sein, weil sie für die jeweilige Person in erster Linie finanzielle, aber auch arbeitsrechtliche sowie strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht und deshalb genau dort ansetzt, wo der Einzelne die Sanktion besonders intensiv wahrnimmt. Hier kann die Staatsaufsicht also Sy­ nergien mit den soeben aufgezeigten Systemen nutzen und muss nicht alle Risiken selbst absichern. Kontraproduktiv ist deshalb die derzeit gewählte Strategie, an der funktionalen Selbstverwaltung festhalten und sie stärken zu wollen, aber im selben Zug den Durchgriff auf ihre Entscheidungen zu erleichtern. Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz bietet hierfür ein Paradebeispiel.203

II. Zweiter Ansatz: Harmonisierung der Aufsichtsstrukturen Neben der Vereinfachung des Fachrechts als Maßstab der Aufsichtsführung wird eine Optimierung der Aufsichtsstrukturen durch punktuelle organisatorische Veränderungen erreicht. Auch hier soll die Devise auf Vereinfachung und Effektivierung liegen; insoweit lassen sich die soeben angestellten Überlegungen auch für die Aufsichtsstrukturen fruchtbar machen. Welche institutionellen und verfahrenstechnischen Veränderungen konkret erfolgen sollen, kann im Wesentlichen in zwei Punkten zusammengefasst werden. 1. Zersplitterte Aufsichtszuständigkeiten Vereinfachungen der Staatsaufsicht sind aber noch nicht durch einen einfachen Verzicht des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Aufsichtsbefugnisse getan. Es braucht zusätzliche aktive Maßnahmen, um die Strukturen der Staatsaufsicht zu optimieren. Gleich bei erster Betrachtung wird eine strukturelle Schwäche der Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sichtbar: Will man die Staatsaufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung im Einzelnen beschreiben, so ist man von einem komplexen System unterschiedlicher Aufsichtsbeziehungen konfrontiert. 202

Vgl. zu dessen Auslegung die kompakte Darstellung von G.  Steinhilper, MedR 2005, 131 ff. 203 Es drängt sich nämlich der Widerspruch von Gesetzestitel und allgemeiner Gesetzesbegründung geradezu auf. Vgl. BT-Drucksache 18/10605, S. 2.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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Hierzu tragen insbesondere die vielen unterschiedlichen Einrichtungen bei, die mit Aufsichtsaufgaben betraut sind. In der Horizontalen ist die Aufsichtsführung häufig je nach Sachbereich auf mehrere Einrichtungen aufgeteilt; in der Vertikalen ist die Aufsichtszuständigkeit auf Bund und Länder zu verteilen, mit der Folge, dass auch hier unterschiedliche Einrichtungen sogar für denselben Sachbereich tätig sind204. Diese verzweigten Aufsichtsstrukturen müssen nahezu zwangsläufig zu Reibungsverlusten und Ineffizienz205 führen. Denn es sollte nicht verkannt werden, dass die Aufsichtsführung ganz wesentlich durch den individuellen Aufsichtsstil der jeweiligen Aufsichtsbehörde geprägt wird.206 Sind mehrere Aufsichtsbehörden tätig, besteht die Gefahr, dass sich der Aufsichtsstil mehr als nur unerheblich unterscheidet. Dies wiederum führt zu einer stets uneinheitlichen Kontrollqualität. a) Kompetenzverteilung zwischen den Aufsichtsbehörden Anlass zu dieser Besorgnis führt die Verteilung der Aufsichtszuständigkeit auf Behörden von Bund und Ländern. Für die Versicherungsträger hilft als fixer Orientierungspunkt zunächst § 90 SGB IV weiter, der zwischen bundesunmittelbaren Versicherungsträgern (Absatz 1) und landesunmittelbaren Versicherungsträgern (Absatz 2) unterscheidet und so die föderale Kompetenzverteilung plastisch widerspiegelt. Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV unterliegen die bundesunmittelbaren Versicherungsträger der Aufsicht des Bundesamts für Soziale Sicherung. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG und § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV bestimmen, dass bundesunmittelbare Versicherungsträger solche sind, deren Zuständigkeitsbereich207 sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Dies betrifft die meisten Krankenkassen,208 insbesondere die Ersatzkassen und etliche Betriebskrankenkassen209, 204 S. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 366; J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 794; F. E. Schnapp, in: ders. / Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 8. 205 Es überrascht insoweit nicht, wenn der Selbstverwaltung zuweilen der Vorwurf gemacht wird, ineffizient zu arbeiten. Dazu W.  Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 227 m. w. N. 206 So auch H. P. Bull, VSSR 1977, 113 (120). 207 Bestätigend, dass die Anknüpfungen in § 90 SGB IV rein territorial zu verstehen sind T. Breitkreuz, in: Winkler (Hrsg.), Sozialgesetzbuch IV, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 3 m. w. N. Zur unterschiedlichen Bestimmung der Zuständigkeit bei den jeweiligen Kassenarten ist § 90a SGB IV zu berücksichtigen. Krit. zu der rein deklaratorischen Funktion dieser Norm G. Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 90a SGB IV Rn. 2 (Stand der Kommentierung: Juni 2001). 208 Eine gute und aktuelle Übersicht über die bundesunmittelbaren Versicherungsträger bietet das Bundesamt für Soziale Sicherung unter https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/ bundesamt-fuer-soziale-sicherung/aufgaben-des-bas/liste-der-traeger-unter-der-aufsicht-desbas/, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 209 Siehe ebd., woraus hervorgeht, dass es sich bei allen sechs Ersatzkassen sowie den meisten Betriebskrankenkassen um bundesunmittelbare Versicherungsträger handelt.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

die knappschaftliche Krankenversicherung210 sowie die landwirtschaftliche Krankenversicherung211. Landesunmittelbare Versicherungsträger sind demgegenüber diejenigen Krankenkassen, deren Zuständigkeit sich nicht über ein Bundesland hinaus erstreckt. Ihre Kontrolle obliegt den zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder. Dies sind im Regelfall – je nach Ressortaufteilung212 – die zuständigen Landesministerien. Weil bei den gesetzlichen Krankenkassen eine starke Konzentration und Deregionalisierung zu beobachten ist213, spielen landesunmittelbare Versicherungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung  – trotz der Drei-Länder-Regelung des § 90 Abs. 3 SGB IV214 – nur noch eine untergeordnete Rolle. Nachdem die alten Landesversicherungsanstalten keine Krankenversicherungsträger mehr sind215, verbleiben die Ortskrankenkassen, etliche Betriebskrankenkassen sowie zwei Innungskrankenkassen216, obwohl sich auch hier eine gewisse Konzentration einge 210

Auf dem Gebiet der knappschaftlichen Krankenversicherung wird nach § 167 SGB V die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als bundesunmittelbarer Versicherungsträger tätig, die als Krankenversicherungsträger unter der Bezeichnung „Knappschaft“ operiert; vgl. dazu N. Brall, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 32 Rn. 42 mit Verweis auf § 43 der Satzung der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. 211 Mittlerweile wird die landwirtschaftliche Krankenversicherung bundesweit durch die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) nach Maßgabe der § 166 SGB V und § 17 S. 2 KVLG 1989 unter der Bezeichnung „Landwirtschaftliche Krankenkasse“ durchgeführt, nachdem bei dieser Kassenart ein jahrelanger Konzentrationsprozess vorangegangen war. Siehe dazu K. Peters, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 166 SGB V Rn. 3 (Stand der Kommentierung: März 2013). P. Wiercimok / U. Rau, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 166 SGB V Rn. 1 (Stand der Kommentierung: März 2020). 212 Ausführlicher dazu K.-H.  Mühlhausen, in: Becker / K ingreen (Hrsg.), SGB V, 7. Aufl. 2020, § 208 Rn. 2; A.  Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 90 SGB IV Rn. 8; vgl. auch C. Schütte-Geffers, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB IV, 3. Aufl. 2018, § 90 Rn. 16. 213 Diese Konzentration und Deregionalisierung tritt ein, weil die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen stark gesunken ist. Zur Statistik: Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), Basis­ daten des Gesundheitswesens 2021, 25. Aufl. 2021, S. 14. 214 Ausführlicher zu dieser Ausnahmevorschrift unten S. 335 f. 215 Dies ist seit dem Gesundheits-Reformgesetz (BGBl. I 1988, S. 2477) der Fall. In der sogenannten „Abteilung K“ der damaligen Landesversicherungsanstalten wurden nach § 342 Abs. 2 RVO a. F. und § 413 Abs. 2 Satz 3 RVO a. F. Gemeinschaftsaufgaben wahrgenommen, etwa der Betrieb von Heilanstalten und Erholungsheimen, die Durchführung der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge, Beteiligung an Gesundheits- und Bevölkerungspolitik, die Regelung des vertrauensärztlichen Dienstes und die Prüfung der Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung der Krankenkassen und Kassenverbände, weshalb sie als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung fungierten und der Aufsicht der zuständigen Landesbehörden unterlagen. Dazu K. P. Adelt, in: Otto (Hrsg.), SGB SB – Schnellberatung, Soziale Gesetzgebung und Praxis, Stand der 92. EL 1993, S. 19. 216 Siehe hierzu die amtliche Statistik KM1 der gesetzlichen Krankenversicherung, veröffentlicht unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/ Statistiken/GKV/Mitglieder_Versicherte/KM1_Januar_bis_September_2020.pdf, S. 1, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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stellt hat, um größere Risikogemeinschaften zu bilden und durch ausgewogenere Risikostrukturen die Beitragsstabilität zu gewährleisten.217 Für die Landesverbände der Krankenkassen, sofern solche bestehen218, ist die Aufsichtsführung nach § 208 Abs. 1 SGB V den obersten Landesbehörden desjenigen Bundeslandes übertragen, in dem sie ihren Sitz haben.219 Spiegelbildlich dazu ist die Verteilung der Aufsichtszuständigkeit bei der Selbstverwaltung der Leistungserbringer.220 Darüber hinaus sind die Aufsichtsbehörden der Länder nach § 78 Abs. 1 SGB V für die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie nach § 280 Abs. 4 Satz 1 SGB V für den Medizinischen Dienst der Krankenver­sicherung zuständig; ferner für die aufsichtsrechtliche Kontrolle der Krankenhäuser221. Dementsprechend unterfallen der Aufsichtsbefugnis der Verwaltungsbehörden der Länder auch Gemeinschaftseinrichtungen, die bei den jeweiligen Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen angesiedelt sind. Dies betrifft etwa die Prüfungsstellen und Beschwerdeausschüsse nach § 106c Abs. 5 SGB V (entspricht § 106 Abs. 7 SGB V a. F.).222 Ähnlich liegt es bei den Zulassungs- und Berufungsausschüssen, die ebenfalls bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen angesiedelt sind und für die „Beschlußfassung und Entscheidung in Zulassungssachen“ (vgl. den Wortlaut des § 96 Abs. 1 SGB V) zuständig sind und mithin die Fachentscheidungen über die vertrags(zahn)ärztlichen Zulassungen treffen. Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 SGB V unterliegen sie der Aufsicht der zuständigen Verwaltungsbehörden der Länder. Die Aufsichtsführung über die Spitzenorganisationen liegt dagegen einheitlich beim Bundesministerium für Gesundheit. Ausdrücklich angeordnet ist dies in § 91a Abs. 1 SGB V n. F. (§ 91 Abs. 1 SGB V a. F.) für den Gemeinsamen Bundesausschuss, in § 78 Abs. 1 Halbs. 1 SGB V für die Kassenärztli 217

F. E.  Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, 1994, § 49 Rn. 86. 218 Die Bildung von Landesverbänden nach § 207 Abs. 1 SGB V kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn in einem Bundesland mehrere Krankenkassen gleicher Art bestehen. Das Bundessozialgericht stellt in BSGE 111, 280 (286) allerdings klar, dass das Gesetz „keinen Anspruch auf Entstehung oder Fortbestand von AOK-, BKK- oder IKK-Landesverbänden“ begründe. „Vielmehr ordnet der Gesetzgeber ihre Bildung an, wenn in einem Land mehrere kassenartgleiche Krankenkassen existieren“. Darüber hinaus kann es zu der Besonderheit kommen, dass in einem Land zwei Landesverbände bestehen. Im Bereich der Ortskrankenkassen war dies in Nordrhein-Westfalen der Fall. 219 Insoweit weicht § 208 Abs. 1 SGB V nicht von seiner Vorgängerregelung § 414 Abs. 4 Satz 2 RVO a. F. ab. Komplizierter ist jedoch die Zuordnung sogenannter länderübergreifender Landesverbände im Sinne von § 207 Abs. 3 SGB V an die „richtige“ Aufsichtsbehörde. Solche länderübergreifenden Landesverbände gibt es beispielsweise im Bereich der Betriebskrankenkassen. So deckt der BKK-Landesverband Mitte die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab. Zur Einordnung des BKK-Landesverbandes Mitte siehe auch BSG, NZS 2007, 224 (225). 220 Vgl. auch zur Spiegelung der Zuständigkeiten P. Hinz, ZfS 2001, 323 (324). 221 Vgl. dazu G. Möller / R . Beckmann-Fuchs, in: Huster / Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2. Aufl. 2017, § 21 Rn. 28. 222 Siehe dazu BT-Drucksache 15/1525, S. 117; vgl. auch R. Hess, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 106c SGB V Rn. 21 (Stand der Kommentierung: Dezember 2016).

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

chen Bundesvereinigungen, in § 217d Abs. 1 Satz 1 SGB V für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie in § 281 Abs. 3 Satz 1 SGB V für den Medizinischen Dienst Bund. Auch im Schiedswesen wird die geteilte Aufsichtszuständigkeit sichtbar: Für die Rechtsaufsicht über die Schiedsstellen und Schiedsämter, die zur Konfliktlösung auf Bundesebene tätig werden, ist das Bundesministerium für Gesundheit zuständig. Das betrifft etwa nach § 89 Abs. 5 Satz 2 SGB V die Rechtsaufsicht223 über die Bundesschiedsämter für die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung. Allerdings gilt nach § 129 Abs. 10 Satz 1 SGB V eine gewissermaßen eingeschränkte Aufsichtsführung224 über die Schiedsstelle nach § 129 Abs. 8 SGB V; nach § 130b Abs. 6 Satz 4 SGB V gilt entsprechendes auch für die Schiedsstelle des GKV-Spitzenverbandes und der Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer nach § 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Schiedsämter und Schiedsstellen auf Länderebene unterliegen indes der Aufsicht der zuständigen Landesbehörden. So unterstehen die Landesschiedsämter im Sinne von § 89 Abs. 2 SGB V gem. § 89 Abs. 5 Satz 1 SGB V sowie die Schiedspersonen in der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b Abs. 4a SGB V225 der Rechtsaufsicht durch die obersten Verwaltungsbehörden der Länder. 223

Zur Begrenzung der Aufsichtsführung auf die Rechtsaufsicht auch R. Düring, in: Schnapp /  Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 56. 224 Der Wortlaut der Regelung bestimmt, dass sich die Aufsicht über die genannten Schiedsstellen auf die „Geschäftsführung“ beschränkt. Hiermit kann nur gemeint sein, dass die Aufsicht jedenfalls nicht die inhaltlichen Entscheidungen der Schiedsstellen umfasst. So auch R. Hess, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 129 SGB V Rn. 24 (Stand der Kommentierung: Mai 2021); E.-W.  Luthe, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB V, § 129 Rn. 88 (Stand der Kommentierung: April 2021); gegen diese Auffassung mit Verweis auf verfassungsrechtliche Bedenken C. von Dewitz, in: Rolfs / Giesen / K reikebohm / Meßling / Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 129 SGB V Rn. 37 (Stand der Kommentierung: Dezember 2020). Dafür kann das Bundesministerium für Gesundheit in einer zustimmungspflichtigen Rechtsverordnung nach § 129 Abs. 10 Satz 2 SGB V das Nähere über die zahlenmäßige Zusammensetzung der Schiedsstellen und über die finanzielle Entschädigung der Mitglieder regeln. Im Schrifttum wird teilweise davon ausgegangen, dass diese Kompetenz den Schiedsstellen selbst verbleibt, solange das Bundesministerium für Gesundheit die Rechtsverordnungen noch nicht erlassen hat. Dazu R. Hess, in: Körner / Leitherer / Mutschler (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 129 SGB V Rn. 24 (Stand der Kommentierung: Mai 2021). 225 Spezifisch für die Schiedspersonen in der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b Abs. 4a SGB V führt das Bundessozialgericht in BSGE 118, 164 (117 f. Rn. 52) aus, eine „Festsetzung des Vertragsinhalts durch die für das Schiedsamt zuständige Aufsichtsbehörde sieht der mit dem GMG vom 14. 11. 2003 (BGBl I 2190, 2210) eingeführte § 89 Abs 1 Satz 5 SGB V nur ausnahmsweise für den Fall vor, dass das Schiedsamt auch nach Fristsetzung durch die Aufsichtsbehörde untätig bleibt. Die daraus erkennbar werdende Konzeption des Gesetzgebers, zumindest im Bereich des SGB V Schiedssprüche im Regelfall nicht durch Entscheidungen der Aufsichtsbehörden und erst recht nicht durch gerichtliche Entscheidungen zu ersetzen, sondern die Kontrolle auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit zu beschränken, ist auf die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Schiedsperson nach § 73b Abs 4a SGB V zu übertragen.“ – Hervorhebung durch den Verfasser.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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Ungeachtet dieser vertikalen Kompetenzaufteilung zwischen Bundes- und Landesbehörden bestehen nach § 38 BDSG sowie nach § 80 III SGB X besondere Aufsichtsbehörden insbesondere im Bereich der Datenverarbeitungsprozesse, die allerdings nicht in diese Untersuchung einbezogen sind. b) Schwäche der Kompetenzverteilung Der vorstehende kurze Umriss der föderal aufgeteilten Aufsichtskompetenzen lässt die Komplexität des Aufsichtsgefüges in der gesetzlichen Krankenversicherung zumindest erahnen. Klar geregelte Kompetenzverteilungen stehen einer effektiv geführten Staatsaufsicht dem Grunde nach nicht entgegen. Bei realitätsnaher Betrachtung folgt aber aus der bundesstaatlichen Ordnung, dass Staatsaufsicht je nachdem, welche Behörde hierfür die Kompetenz innehat, unterschiedlich ausgeführt wird. Ein bundesstaatlich organisierter Gesamtstaat nimmt Unterschiede zwischen Bundes- und Länderebene gerade bewusst in Kauf.226 Problematisch wird die vertikale Verteilung der Kompetenzen lediglich dann, wenn sie berechenbar und – für die Beaufsichtigten – steuerbar wird. Welche Problemlage hiermit angesprochen wird, kann plastisch am Beispiel der Allgemeinen Ortskrankenkassen deutlich gemacht werden. Deren zunehmende Konzentration hat zugleich eine gewisse Indizwirkung für die Berechenbarkeit der unterschiedlichen Aufsichtsführung auf Bundes- und Länderebene. Mittlerweile sind die Ortskrankenkassen keineswegs nur noch „örtlich“ bzw. kommunal, sondern längst auch bundeslandübergreifend organisiert. Hierbei ergeben sich teils obskure Zusammenschlüsse, etwa die AOK Rheinland / Hamburg. Gleichwohl ist zu beobachten, dass sich diese Zusammenschlüsse höchstens über drei Bundesländer erstrecken, bislang aber nicht darüber hinausgehen.227 Wenn, um am Beispiel der AOK Rheinland / Hamburg zu verbleiben, auch Zusammenschlüsse nicht benachbarter Regionen organisatorisch offensichtlich kein Problem darstellen, dürfte die stets eingehaltene Begrenzung der Zusammenschlüsse auf höchstens drei Bundesländer in anderen Faktoren begründet liegen. Einer davon wird sicherlich die sogenannte „Rückholklausel“228 in § 90 Abs. 3 SGB IV sein, nach der auch solche 226

P. M. Huber, NVwZ 2019, 665 (671) mahnt allerdings Tendenzen vom „ungeliebten Bundesstaat“ hin zur zentralisierten Staatlichkeit an. Vgl. auch D. Kugelmann, Der Staat Sonderausgabe Supplement 19 (2010), 239 (293); M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 99. 227 Siehe hierzu die Übersicht des Bundesamts für Soziale Sicherung unter https://www. bundesamtsozialesicherung.de/de/bundesamt-fuer-soziale-sicherung/aufgaben-des-bas/listeder-traeger-unter-der-aufsicht-des-bas/, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 228 Die teilweise in der Literatur verwandte Bezeichnung „Rückholklausel“ rührt daher, dass eine Kompetenz, die nach strengem föderalistischem Verständnis dem Bund zufallen würde, an die Länder zurücküberführt wird. Dazu S.  Broß / K.-G. Mayer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 7. Aufl. 2021, Art. 87 Rn. 26; vgl. auch A. Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 87 Rn. 14.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Versicherungsträger noch als landesunmittelbar gelten, deren Tätigkeitsbereich sich nicht über das Gebiet von mehr als drei Ländern erstreckt.229 Die Kontrollkompetenz verbleibt dann bei den zuständigen Behörden der Länder. Insbesondere in Flächenländern wird die Aufsichtsführung nach § 90 Abs. 2 1. Halbsatz SGB IV auch an nachrangige Behörden – etwa an Versicherungsämter – durch Rechtsverordnung weiterdelegiert.230 Auch wenn sich hierfür kein nachhaltiger Beleg anführen lässt, scheint es doch so, als wollten sich die Ortskrankenkassen bewusst der Aufsicht auf föderaler Ebene unterordnen; eine Kontrolle durch das Bundesamt für soziale Sicherung aber vermeiden. Theoretisch ist jedenfalls Folgendes denkbar: Insbesondere die noch weitgehend regional organisierten Ortskrankenkassen können durch organisatorische Entscheidungen (Fusionen) beeinflussen, welcher Aufsichtsbehörde (Bundesamt für Soziale Sicherung oder Aufsicht einer Landesbehörde) sie unterstehen. Dasselbe gilt entsprechend für landesunmittelbare Betriebs- und Innungskrankenkassen. Fatal wäre es allerdings, wenn absehbar ist, dass sich die Aufsichtsführung je nach „Stil“ und Vorgehensweise unterscheidet und die Binnenorganisation an diesem Umstand ausgerichtet wird. Sollte es merkliche Unterschiede in der Aufsichtspraxis geben und ist dies den Versicherungsträgern bekannt, so ließe sich die Behauptung aufstellen, das Kontrollniveau der Aufsichtsführung sei für die Versicherungsträger in gewissem Maße disponibel. Belastbare Belege für diese Überlegung gibt es zwar nicht, doch scheint es nicht ausgeschlossen, dass derartige Umstände tragende Grundlage für organisatorische Entscheidungen im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger sein können. 2. Lösungsvorschlag Was die Harmonisierung der Staatsaufsicht anbelangt, gestaltet sich eine probate Lösung schwierig. Realistisch sind einheitliche Standards bei der Aufsichtsführung nur bei enger Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden. Mehr noch bei einer 229

Die Schaffung der Ausnahmeregelung in § 90 Abs. 3 SGB IV wurde als Anpassung an den geänderten Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG erforderlich. Mit der Verfassungsänderung sind wiederum die Verwaltungskompetenzen der Länder im Bereich der Staatsaufsicht über die Sozialversicherungsträger gestärkt worden. Ausführlicher zu dieser Verfassungsänderung F. Fattler, in: Hauck / Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IV, K § 90 Rn. 3b (Stand: April 2021). 230 A. Marschner, in: Eichenhofer / Wenner (Hrsg.), SGB IV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 90 SGB IV Rn. 8. In Bayern werden Aufsichtsaufgaben gem. § 9 der bayerischen Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) auch den Oberversicherungsämtern zugewiesen. Oberversicherungsämter sind nach Art. 6 Abs. 3 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (BayAGSG) die Regierung von Oberbayern und die Regierung von Mittelfranken. Die Oberversicherungsämter führen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayAGSG genannten Bezeichnungen. In Nordrhein-Westfalen wird den Kreisen und kreisfreien Städten nach § 2 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch (ZuVO SGB NW) der Status von Versicherungsämtern nach § 92 Abs. 1 SGB IV eingeräumt.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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organisatorischen Zusammenfassung der Aufsichtsinstanzen. Die Lösung könnte, wie bereits Ekkehart Stein aufgezeigt hat, so einfach sein. Sein „Rezept“ für eine effizientere Wirtschaftsaufsicht beschreibt er folgendermaßen: „Man fasse alle Sachbearbeiter der jetzigen Wirtschaftsaufsichtsbehörden zu einheitlichen Behörden zusammen, und zwar zunächst, ohne die Abgrenzung ihrer Sachgebiete zu verändern. Wenn sie erst einmal in einem Gebäude beisammensitzen, darf man wohl erwarten, daß sie endlich voneinander Notiz nehmen und sich über die zweckmäßigsten Formen einer Zusammenarbeit verständigen.“231 Stein beruft sich hierzu auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG, der es dem Bund grundsätzlich erlaubt, neue selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz zu errichten.232 Auf den ersten Blick scheint der „Aufsichtsföderalismus“ allein eine Problematik der fehlenden Verwaltungskompetenz des Bundes zu sein, was sich aber bei näherer Betrachtung als unzutreffend herausstellt. Gegenstand bundeseigener Verwaltung sind nach Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG zwar lediglich die Sozialversicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschafen, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Bundeslandes erstreckt, abweichend nach Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG nicht solche Körperschaften, deren Zuständigkeitsgebiet nicht mehr als drei Bundesländer umfasst und für die das aufsichtsführende Land benannt ist. Wenn die organisatorische und institutionelle Ausgestaltung der Versicherungsträger aber in der Hand des parlamentarischen Gesetzgebers liegt233, er also entscheiden kann, ob es die historisch gewachsenen Versicherungsträger trotz Wahlfreiheit der Versicherten weiterhin geben soll oder ob ein oder mehrere zentral organisierte Versicherungsträger gebildet werden, dann folgt hieraus, dass sich der Gesetzgeber durch einfaches Umstrukturieren der Versicherungsträger aus dem Problem etwaig fehlender Verwaltungskompetenz selbst befreien kann. Bei der Organisation der Versicherungsträger handelt es sich also um eine Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers.234 Wie Marc Schüffner und Philipp Franck zutreffend herausarbeiten, trägt die bipolare Verteilung der Verwaltungskompetenz „dem sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Rechnung, der nicht zur Bildung einer monolithischen Gesundheitsverwaltung verpflichtet ist, sondern vielmehr in gewissem Rahmen Unterschiede zulassen darf“.235 231 E.  Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 240. Ähnlich ist auch die Forderung von J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 796. 232 E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 241. 233 Nochmals erinnert sei an dieser Stelle an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. 4. 1975, in der die institutionelle und organisatorische Ausgestaltung der Allgemeinen Ortskrankenkassen durch den Gesetzgeber für verfassungsrechtlich unbedenklich anerkannt wurde. BVerfGE 39, 302 (315); vgl. auch BVerfGE 113, 167 (201). 234 So auch zutreffend M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 99; vgl. auch bereits a. a. O. Rn. 27. 235 M. Schüffner / P. Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 101.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

Aus diesem Befund folgt, dass sich eine Abkehr vom „Aufsichtsföderalismus“ durch Umstrukturierung der Versicherungsträger erreichen lässt. Anpassungen wären insbesondere bei den Ortskrankenkassen (§§ 143 ff. SGB V) erforderlich, weil sie die größte Kassenart bilden, deren Zuständigkeitsbereich, wie § 143 SGB V offenbart, noch heute territorial bestimmt wird. Ähnliche Fragen stellen sich auch bei den betroffenen Betriebs- und Innungskrankenkassen, jedenfalls sofern auch sie regional organisiert sind. Gleichwohl würde dies bedeuten, mit dem Prinzip regional operierender Krankenkassen vollständig zu brechen. Auf der einen Seite haben die Krankenkassen durch Zusammenschlüsse über mehrere  – teils nicht benachbarte – Bundesländer diesen Schritt ohnehin selbst eingeläutet. Auf der anderen Seite hätte die Umstrukturierung der Ortskrankenkassen, nur mit dem Ziel, sie der Aufsicht des Bundesamtes für Soziale Sicherung zu unterwerfen, nicht unerhebliche Veränderungen für eine Vielzahl von Versicherten zur Folge. Immerhin verfügen die Ortskrankenkassen über den nach den Ersatzkassen zweitgrößten Anteil der gesetzlich Versicherten.236 Mit dem Umbau der Versicherungsträger ließe sich zugleich die Frage umschiffen, ob es mit Blick auf die Kompetenzenverteilung des Grundgesetzes denkbar wäre, die Aufsichtsführung zentral dem Bundesamt für Soziale Sicherung anzuvertrauen, und zwar unabhängig von der territorialen Reichweite des jeweiligen Versicherungsträgers. Mit dieser Idee wird übrigens in kein neues Fahrwasser eingedrungen; vielmehr hat es diese Überlegung bereits bei Schaffung des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch gegeben237. Sollte eine organisatorische Umgestaltung sowohl der Versicherungsträger und ihrer Verbände als auch der Aufsichtsbehörden ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wäre hierzu kraft des Kompetenztitels für die konkurrierende Gesetz­ gebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG in erster Linie der Bund berufen. Der Kompetenztitel erstreckt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „auf sämtliche mit der Sozialversicherung zusammenhängenden organisationsrechtlichen Fragen; selbst landesunmittelbare Sozialversicherungsträger kann der Bund gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG aus eigenem Recht bilden […]. Der Bund hat es damit auf Grund seiner Sachgesetzgebungskompetenz weitgehend in seiner Hand, ob er landesunmittelbare Sozialversicherungsträger und damit deren Beitragsaufkommen in die Bundesverwaltung überführt oder nicht […]. Vom körperschaftlichen Status der Sozialversicherungsträger abgesehen […] macht das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber keine inhaltlichen Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung der Sozialversicherung. Der Verfassung ist eine Garantie des bestehenden Systems der Sozialversicherung oder seiner tragenden Orga 236

Siehe hierzu die amtliche Statistik KM1 der gesetzlichen Krankenversicherung, veröffentlicht unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/ Statistiken/GKV/Mitglieder_Versicherte/KM1_Januar_bis_September_2020.pdf, S. 4, zuletzt aufgerufen am 18. 10. 2021. 237 K. Friede, in: Müller (Hrsg.), Sozialrecht in Wissenschaft und Praxis, FS für Horst Schieckel, 1978, S. 96 berichtet in diesem Zusammenhang von einer „Aufsichtsdelegationsmöglichkeit“.

C. Effizienzsteigerung der Staatsaufsicht  

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nisationsprinzipien nicht zu entnehmen. Es besteht weder ein Änderungsverbot noch ein Gestaltungsgebot. Danach wäre es mit dem Grundgesetz grundsätzlich zu vereinbaren, wenn der Bundesgesetzgeber sämtliche Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zusammenfasste und den nunmehr einzigen Träger […] als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte.“.238

Markus Zimmermann weist indessen nach, dass die Kompetenz – anders als dies die soeben zitierten Ausführungen erahnen lassen – jedenfalls nicht durch die Feststellungen in Art. 87 Abs. 2 GG eingeschränkt ist; der Bund mithin alle Freiheiten hat, um die Sozialversicherung organisatorisch auszugestalten und nicht an die öffentlich-rechtliche Körperschaft als Organisation zwingend gebunden ist.239 Prägnant formuliert Günther Schneider, aus Art. 74 Abs. 1 GG und Art. 87 Abs. 2 GG ergäbe sich „weder ein Änderungsverbot noch ein bestimmtes Gestaltungsgebot“.240 Die Umsetzbarkeit durchgreifender organisatorischer Strukturänderungen sowohl auf der Seite der funktionalen Selbstverwaltung als auch der über sie geführten Staatsaufsicht stellt sich mehr in rechtspolitischer als in verfassungsrechtlicher Sicht. Ob das angestrebte Ziel einer harmonisierten Aufsichtsstruktur und der Vermeidung etwaiger Reibungsverluste durch unterschiedliche Aufsichtspraktiken diese durchgreifenden organisatorischen und institutionellen Veränderungen rechtfertigt, mag deshalb bezweifelt werden. Zweifel äußert auch Wolfgang Kahl, der die These aufstellt, dass sich das Problem uneinheitlicher Aufsichtspraxis nicht durch eine simple Zentralisierung der Aufsichtsführung beseitigen lasse, weil sich das Bild der allwissenden Aufsichtsbehörde als Illusion entpuppe. Zentralisierung und Hierarchie seien eher geeignet, die Innovationskraft und Flexibilität, die eine passgenaue Aufsichtsführung braucht, zu hemmen als zu fördern.241 Folgt man diesem Gedanken von Kahl, kann die Sicherstellung weitgehend homogener Aufsichtsstandards durch regelmäßigen Wissensaustausch der Aufsichtsbehörden ausreichen. Dem Bedürfnis einer Abstimmung der Aufsichtsführung hat der Gesetzgeber bereits durch § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB IV Rechnung getragen, wonach in regelmäßiger Taktung ein Erfahrungsaustausch der Aufsichtsbehörden stattfindet.242 Mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz vom 22. 3. 2020243 ist diese regelmäßige Taktung insoweit konkretisiert worden, als sich die Aufsichtsbehörden mindestens alle zwei Jahre

238

BVerfGE 113, 167 (201). Vgl. auch die Einordnung bei M. Zimmermann, Sozialversicherung und Privatversicherung im Kompetenzengefüge des Grundgesetzes, 2009, S. 264. 239 Zu diesem zentralen Befund siehe M. Zimmermann, Sozialversicherung und Privatversicherung im Kompetenzengefüge des Grundgesetzes, 2009, S. 264. 240 G. Schneider, in: Sodan (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Versorgung, 2005, S. 110. 241 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 439. 242 J. Beschorner, in: Mülheims / Hummel / Peters-Lange / Toepler / Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft, 2015, S. 796; M.  Schüffner / P.  Franck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 36 Rn. 104. 243 BGBl. I, S. 604.

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

zu einem Erfahrungsaustausch treffen (sogenannte Aufsichtsbehördentagung).244 Unter dieser Prämisse sind auch im Hinblick auf die Harmonisierung der Staatsaufsicht größere rechtliche Anpassungen entbehrlich.

III. Zwischenbilanz Mit diesem Befund bleibt festzuhalten, dass sich strukturelle Verbesserungen der Aufsichtsführung durch ein transparenteres und besser handhabbares Fachrecht verwirklichen lassen. Eine Optimierung der Staatsaufsicht über die Einrichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung setzt somit, und hierin dürfte eine wichtige Erkenntnis liegen, nicht an der stetigen Ausweitung von Aufsichtsbefugnissen an, sondern an der „Verbesserung“ des Fachrechts, mithin der Kontrollgrundlage der Aufsichtsbehörden.

D. Zusammenfassung der Ergebnisse des fünften Kapitels in Leitsätzen Nach alledem lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des fünften Kapitels in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: 1. Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz enthält keinerlei Maßnahmen, die an den organisatorischen und strukturellen Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger ansetzen. Die Hürden für einige hilfreiche Maßnahmen sind aus der derzeitigen Perspektive denkbar gering, denn sie können mit wenigen, dafür aber effizienten Reformen, umgesetzt werden. 2. Ein ganz wesentlicher Ansatz, der einer jahrzehntelang geführten Debatte den Nährboden entziehen kann, ist die Beseitigung von Legitimationsdefiziten. Dringender Handlungsbedarf besteht in der Gemeinsamen Selbstverwaltung, in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss, dessen demokratische Legitimation seit Jahrzehnten strittig und bis heute nicht abschließend geklärt ist. In Gefahr gerät das Konzept der Betroffenenbeteiligung bei einseitiger Machtakkumulation, die ungehinderte Entscheidungen ermöglicht. Die Art und Weise, wie Kompetenzen verteilt sind, kann entscheidend für die Frage sein, ob eine demokratische Rückkopplung an das Legitimationssubjekt und damit die Einstellung eines hinreichenden Legitimationsniveaus gelingen kann. Umgekehrt wird die Selbstverwaltungsstruktur umso „demokratiefester“, je stärker Macht verteilt wird und je häufiger wechselseitige Kontrolle stattfindet.

244

Siehe zur Begründung BT-Drucksache 19/15662, S. 62. Zugleich ist die Beschlussfassung der Aufsichtsbehördentagung in § 90 Abs. 5 SGB IV auf gesetzlicher Ebene geregelt. Dazu a. a. O., S. 62 f.

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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a) Die Interessen der Versicherten werden im Plenum über die Bank des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hinreichend abgebildet. Richtig ist zwar, dass die gesetzlichen Krankenkassen durch den Zuwachs ökonomischer Elemente im Gesundheitswesen zuweilen wie Wirtschaftssubjekte agieren. Sie unterscheiden sich aber elementar von Wirtschaftsunternehmen, weil ihr Ziel nicht primär und ausschließlich in der Erwirtschaftung von möglichst hohen Gewinnen liegt, sondern der Grund ihres Bestehens und ihres Tätigseins funktionsorientiert verstanden werden muss. So ist anzunehmen, dass die Krankenkassen an möglichst geringen Leistungsausgaben bei zugleich hohen Beitragseinnahmen interessiert sind. b) Soweit die Sozialversicherungswahlen im Hinblick auf sogenannte Friedenswahlen kritisch gesehen werden, ist einzuwenden, dass keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein prozedurales Verfahren bestehen, das auf eine Wahlhandlung dort verzichtet, wo ihr nicht mehr als eine ideelle Bedeutung zukommt. c) Das eigentliche Teilhabedefizit liegt vielmehr auf der Seite der Leistungserbringer. Mit der Erbringung der Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nämlich nicht bloß Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser betraut. Vielmehr besteht ein breites Spektrum unterschiedlicher Berufsstände, die die Leistungen für die gesetzlichen Krankenkassen ausführen. Wenngleich einige Akteure nicht durch besondere öffentlich-rechtliche Mechanismen in das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden sind, sind auch sie von den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses insoweit betroffen, als für sie genauso wie für Vertrags(zahn)ärzte und Krankenhausträger Rechte und Pflichten entstehen. Diese „sonstigen Leistungserbringer“ sind im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses allerdings gar nicht repräsentiert. d) Eine Beseitigung der Legitimationsdefizite lässt sich mit geringen organisatorischen Veränderungen erreichen. Auf der Bank der Leistungserbringer könnte hierzu eine Art Rotationsverfahren etabliert werden, sodass diejenigen Leistungserbringer an der Entscheidungsfindung teilnehmen, die von den jeweiligen Entscheidungsergebnissen betroffen werden. Im Grunde besteht ein solches Verfahren bereits nach § 91 Abs. 2a SGB V. Gleichwohl bleibt das Konzept unausgegoren, da gerade die „sonstigen Leistungserbringer“, deren Betroffenenbeteiligung defizitär ist, nicht in dieses Rotationsverfahren einbezogen sind. Die sonstigen Leistungserbringer sind aber zumindest an den Richtlinien und sonstigen Beschlüssen durch ein vollwertiges Stimmrecht zu beteiligen, von denen sie direkt und nicht bloß mittelbar betroffen sind. Pro-blematisch ist lediglich die rechtstechnische Umsetzung. 3. Ein erklärtes Ziel, wieso Selbstverwaltung überhaupt verliehen wird, ist der Gedanke, Wissen zu akquirieren, das der Staat nicht in gleicher Weise oder mit vergleichbarem Zeitaufwand generieren kann. Gerade die Wissensakquise durch die korporatistischen Einrichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung stellt institutionelle Anforderungen. Sicher wird nicht von jedem Repräsentanten in den

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Gremien ein umfassendes Fachwissen in allen für die gesetzliche Krankenversicherung relevanten Bereichen zu verlangen sein. Gleichwohl muss es gerade im Rahmen dezentralisierter Verwaltungstätigkeit durch funktionale Selbstverwaltung der Anspruch sein, qualitativ überzeugend zu arbeiten und konkrete Erfolge zu erzielen. Die Selbstverwaltung der Versicherungsträger steht vor dem Problem, dass gerade ihre Repräsentanten keine spezifischen Fachkenntnisse medizinischer, rechtlicher oder versicherungsbezogener Art aufweisen müssen oder, besser gesagt, aufweisen sollen. Kaum vorstellbar ist aber, dass eine hinreichende Wissensbasis ohne eine bereichsspezifische Ausbildung oder sonstige Qualifikation, alternativ Arbeitserfahrung auf dem Gebiet der Krankenversicherung, vorhanden ist. a) Das Bundesministerium für Gesundheit hat mit dem Referentenentwurf für das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz bereits einen Vorstoß gewagt, um diese Rechtslage zugunsten einer Professionalisierung der Selbstverwaltung aufzubrechen, indem die korporatistisch-selbstverwaltete Struktur des Verwaltungsrates im Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zugunsten einer professionalisierten Besetzung dieses Organs preisgegeben werden sollte. Im Kabinettsentwurf waren diese Reformvorhaben bereits nicht mehr enthalten. Trotz allem ist die Professionalisierung der Selbstverwaltung im Grundsatz begrüßenswert. Die Illusion einer ausschließlichen Laienpartizipation in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie nach dem pathetischen Leitbild mancher Selbstverwaltungskonzeptionen geradezu unerlässlich wäre, spiegelt sich nicht lückenlos in der Realität. b) Professionalisierung und das Element der Betroffenenbeteiligung stehen nicht in Widerspruch zueinander. Das Element der Betroffenenbeteiligung ist deshalb mit dem Gedanken der Professionalisierung zu verknüpfen. Rechtlich würde dies bedeuten, die Einschränkungen zur Wählbarkeit in die Selbstverwaltung nach § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV auf den Prüfstand zu stellen oder sogar gänzlich fallen zu lassen. Will man diesen Weg gehen, wäre die Gefahr möglicher Korruption institutionell abzusichern. Im Innenverhältnis des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen kann dies durch interne Kontrollverfahren geschehen, etwa durch Anzeigepflichten oder sonstige Rechenschaftspflichten. 4. Eine heute immer mehr hervorstechende Schwäche der Selbstverwaltungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung liegt in der Machtkonzentration einzelner Einrichtungen. Besonders betrifft das den Gemeinsamen Bundesausschuss. Zur Machtbegrenzung reicht es nicht aus, ihm schlicht keine weiteren Befugnisse mehr einzuräumen. Vielmehr sind auch Anpassungen der bestehenden Kompetenzen erforderlich; im Zweifel sogar der Entzug bestimmter Aufgabenbereiche. Hierzu bietet sich der Einsatz der Rechtsverordnung an, der aber mit Bedacht erfolgen muss. Entzieht man nämlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss auf der einen Seite Kompetenzen, muss stets bedacht sein, wer an seiner statt die anfallenden Aufgaben erfüllen soll. Detailfragen der ärztlichen Versorgung oder der Versorgung mit Arzneimitteln können auch das zuständige Fachministerium überfordern. Auch das Ministerium als Verordnungsgeber braucht spezifisches Sachwissen, das im Zweifel durch Heranziehung von Sachverständigen beschafft

D. Zusammenfassung  in Leitsätzen

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werden muss. Auch muss die Akzeptanz der Entscheidungen nicht von vornherein höher liegen. Insoweit ist der Wert eines routinierten, fachkundigen und sachnahen Gremiums nicht zu unterschätzen. 5. Eine Stärkung des Verhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht darf nicht nur über die Optimierung der materiell-rechtlichen Grundlagen funktionaler Selbstverwaltung in Betracht gezogen werden, sondern erfordert auch die Bereitschaft zu Anpassungen der Strukturen staatlicher Aufsicht. Im Fokus muss die Beseitigung von Ineffizienzen liegen. a) Immer dichter werdende Regelungen tragen aber nicht per se zu einer qualitativen Verbesserung des Rechts bei, sondern machen es im Gegenteil unübersichtlich, provozieren Widersprüche und mindern so das Rechtsvertrauen der Bürger. Wenn die Verwaltung aufgrund der zunehmenden Überregulierung gesetzliche Vorgaben nicht mehr umsetzen kann, wird sie dazu gezwungen, unmögliche Vorgaben nicht anzuwenden oder „auf das praktisch Mögliche zu reduzieren“. Statt einer stärkeren Bindung der Verwaltung entstehen dann ungewollt Freiräume. b) Eine probate Lösung zur Eindämmung übermäßiger Ausformung des Rechts drängt sich in Folgendem auf: Gesetzgeberische Zurückhaltung und für das gegenwärtige Gefüge des Sozialversicherungsrechts eine Deregulierung. Mit dem Mut zu einer maßvollen Deregulierung des Sozialversicherungsrechts kann mehr Raum für die Autonomie der Betroffenen geschaffen werden; zugleich bewirkt sie keinen nennenswerten Kontrollverlust der Staatsaufsicht. Im Gegenteil: Die Aufsicht wird sogar einfacher und damit effizienter. Dem Gesetzgeber steht es mangels verfassungsrechtlicher Verbürgung der funktionalen Selbstverwaltung im Rahmen seines Gestaltungsspielraums frei, das System der gesetzlichen Krankenversicherung umzugestalten. Dazu bedarf es aber offener politischer Bekenntnisse und einer diesen Bekenntnissen entsprechenden Normsetzung. 6. Neben der Vereinfachung des Fachrechts als Maßstab der Aufsichtsführung wird eine Optimierung der Aufsichtsstrukturen durch punktuelle organisatorische Veränderungen erreicht. Im Innen- wie im Außenverhältnis ist die Tätigkeit der Selbstverwaltungsträger durch ein umfassendes Haftungssystem abgesichert, das durchaus dort Lücken schließen kann, wo die allgemeine Staatsaufsicht nicht greift und rein kooperativ ausgeübte Maßnahmen nicht ausreichen. Über die zivilrechtliche Haftung hinaus wird dem Risiko von Funktionsstörungen des Krankenversicherungssystems auch durch strafrechtliche Sanktionierung von Fehlverhalten vorgebeugt. So wird ermöglicht, die externen Kontrollinstrumente der Staatsaufsicht auf das Notwendige zu begrenzen, und indes mehrfache Absicherungen über Eingriffsrechte der Staatsaufsicht entbehrlich zu machen. 7. In der Horizontalen ist die Aufsichtsführung häufig je nach Sachbereich auf mehrere Einrichtungen aufgeteilt; in der Vertikalen ist die Aufsichtszuständigkeit auf Bund und Länder zu verteilen. Diese verzweigten Aufsichtsstrukturen müssen nahezu zwangsläufig zu Reibungsverlusten und Ineffizienz führen. Denn es

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5. Kap.: Vorschlag für die schonende Regulierung des Spannungsverhältnisses

sollte nicht verkannt werden, dass die Aufsichtsführung ganz wesentlich durch den individuellen Aufsichtsstil der jeweiligen Aufsichtsbehörde geprägt wird. Auf den ersten Blick scheint der „Aufsichtsföderalismus“ allein eine Problematik der fehlenden Verwaltungskompetenz des Bundes zu sein, was sich aber bei näherer Betrachtung als unzutreffend herausstellt. Eine Abkehr vom „Aufsichtsföderalismus“ lässt sich durch Umstrukturierung der Versicherungsträger erreichen. Anpassungen wären insbesondere bei den Ortskrankenkassen, aber auch bei den Betriebs- und Innungskrankenkassen erforderlich. Ob aber das angestrebte Ziel diese durchgreifenden organisatorischen und institutionellen Veränderungen rechtfertigt, mag bezweifelt werden.

Sechstes Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen Die Gesamtbefunde der vorliegenden Untersuchung werden in den nachfolgenden Leitsätzen zusammengefasst: 1. Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen nach häufig verwandter Terminologie in einem „Spannungsverhältnis“ bzw. einem „Korrelat“ im Sinne einer wechselseitigen Beziehung zueinander. An welchen konkreten Eckpfeilern Gegensätze aber auch Gemeinsamkeiten festgelegt werden sollen, hängt maßgeblich von der Perspektive der Untersuchung ab. 2. Den sicherlich größten Kontrast bietet die Betrachtung der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung und der Fremdbestimmung, die zwangsläufig mit der Ausübung der Staatsaufsicht einhergeht. Schon begrifflich ist der Gedanke der Eigenverantwortlichkeit in der Selbstverwaltung impliziert. a) Die Teilhabe an der Entscheidungsfindung wird in der Selbstverwaltung durch Einbindung der von ihr Betroffenen gewährleistet. Abgebildet wird die Beteiligung der Betroffenen durch Repräsentation in den Selbstverwaltungsorganen. Eine ausschließliche Repräsentation durch Ehrenamtliche ist in der modernen Selbstverwaltung nicht mehr realisierbar. Es ist umso schwieriger, eine effiziente Betroffenenbeteiligung zu realisieren, je heterogener die zu berücksichtigenden Interessen sind. Auch spielt die Größe des Selbstverwaltungsträgers eine beachtliche Rolle. b) Eigenverantwortlichkeit verlangt aber im Grunde nicht nur das Recht zur Mitsprache, sondern auch eigene Entscheidungsspielräume. Autarkes Entscheiden ist regelmäßig mit der Befugnis zu untergesetzlicher Normsetzung verbunden. Als Schlüsselbegriff der untergesetzlichen Normsetzung in der kommunalen Selbstverwaltung wird dabei die Bezeichnung der Rechtsetzungsgewalt als Satzungsautonomie genutzt. Soweit die Rechtsprechung in Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung von einer Satzungsautonomie spricht, ist diese – missverständliche  – Formulierung dergestalt zu verstehen, dass hiermit die grundsätzliche Befugnis zur Normsetzung gemeint ist, nicht jedoch die Möglichkeit autonomer Rechtsetzung. Noch keine Einigkeit besteht bei der Frage, ob und nach welchem Maßstab der parlamentarische Gesetzgeber in der Pflicht steht, die (Einzel-)Ermächtigungen zu konturieren. 3. Staatliche Aufsicht steht in einem Gegensatz zu der Eigenverantwortlichkeit, die Wesensmerkmal des Selbstverwaltungsgedankens ist. Dieser Umstand liegt

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6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

schon in der Natur der Aufsicht. Denn ihre zentrale Funktion ist die Kontrolle der „dem Staate Unterstellten“. a) Im modernen Staat gewinnen aber solche Aufsichtsinstrumente zunehmend an Bedeutung, die kontinuierlich auf die beaufsichtigte Einrichtung einwirken, um Rechtsverletzungen aus der ex-ante-Perspektive zu vermeiden. So ist das Modell einer modernen Staatsaufsicht von Wolfgang Kahl durch „prinzipielle Koordination, Kooperation, Kommunikation, Permanenz und Reziprozität“ geprägt. Staatliche Aufsicht wird dann zu einem dauerhaften, dynamischen Prozess, in dessen Rahmen die aufsichtführende Einheit die meiste Zeit eine beratende Funktion wahrnimmt. Der Ansatz einer modernen und kooperativen Staatsaufsicht stellt zutreffend in Rechnung, dass die gegenseitige Kooperation langfristig erfolgreicher ist als die zurückgezogene repressive Staatsaufsicht. Im Zusammenhang mit staatlicher Aufsicht ist in heutiger Zeit der Begriff „Compliance“ kaum noch wegzudenken, der in allgemeiner Anwendung als Gesamtheit sämtlicher Maßnahmen verstanden wird, die die Regeltreue in Bezug auf gesetzliche, aber auch selbst gesetzte Vorgaben, etwa interne Richtlinien oder Kodizes, gewährleisten sollen. b) Das bedeutet gleichwohl nicht, dass die repressive Aufsichtsführung zugunsten rein präventiv-kooperativer Ansätze geopfert werden müsste. Es kann immer wieder zu Situationen kommen, in denen die rein präventiv-kooperativ geführte Staatsaufsicht an ihre Grenzen gelangt und repressiv-eingreifende Maßnahmen erforderlich werden. Normativ lässt sich an einigen Stellen das grundlegende Prinzip einer abgestuften, an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientierten Intervention nachweisen. Darüber hinaus bemüht das Bundessozialgericht in vereinzelten Entscheidungen den Gedanken der „partnerschaftlichen Kooperation“. c) Im rechtsstaatlichen Gefüge muss die Staatsaufsicht so beschaffen sein, dass sie ihren Zweck erfüllt und gleichzeitig der Selbstverwaltung Rechnung trägt. Daher muss die administrative Kontrolle grundsätzlich auf die Rechtsaufsicht beschränkt sein. Die Aufteilung der Staatsaufsicht in die Kategorien der Rechtsund Fachaufsicht assoziiert zunächst eine trennscharfe Abgrenzung, die sich aber faktisch nicht halten lässt. Die reine Rechtsaufsicht kann sich durch Erhöhung der Regelungsdichte zu einer faktischen Fachaufsicht verdichten. 4. Darüber hinaus ist eine zweite Perspektive von Bedeutung: Die Entkopplung aus der Hierarchie der unmittelbaren Staatsverwaltung gehört zu den Charakteristika der Selbstverwaltung; die Kontrolle der Staatsaufsicht reintegriert die Selbstverwaltungsträger in diese Strukturen. Hierdurch entstehen Spannungen. Selbstverwaltung verlangt eigene Gestaltungsspielräume und eine grundsätzliche Weisungsfreiheit. Gerade Letzteres ist der hierarchisch organisierten Ministerialverwaltung fremd; genauso wenig verträgt sich eine umfassende Fachaufsicht mit den Grundgedanken der Selbstverwaltung, weil sie den Sinn, gesellschaftlichen Kräften administrative Gestaltungsspielräume zu vermitteln, zunichte macht. Selbstverwaltung braucht ein gewisses Maß an Distanz vom Staat. Im Gefüge eines Rechtsstaates ist die wechselseitige Kontrolle aller Teilgewalten des Staates –

6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

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in welcher Form auch immer – schlechthin unverzichtbar. Die Kontrolle der Selbstverwaltungsträger findet im Rahmen der Staatsaufsicht statt. Sie ist das Bindeglied von dezentralisierter Selbstverwaltung und zentralisierter hierarchischer Ministerialverwaltung. Darüber hinaus ist die Staatsaufsicht als Teil der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation ein verbindendes Element, weil sie einen Beitrag zur demokratischen Legitimation verselbstständigter Einrichtungen leistet. 5. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht bedarf regelmäßig keiner absoluten Auflösung, sondern einer (wechselseitigen) Regulierung. Mit der Terminologie von einem Spannungsverhältnis als „Gleichgewichtslage“ ist verbunden, dass ein Ausgleich schonend in einer Weise herbeizuführen ist, in der beide Seiten noch hinreichend zur Entfaltung gelangen können. Horst Dreier plädiert – in Anknüpfung an eine von Rüdiger Breuer in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Anstalt vertretene Auffassung – dafür, das Spannungsverhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht durch ein „bereichsspezifisches Ausbalancieren“ zu regulieren. Dreier formuliert, die staatliche Kontrolle über die Selbstverwaltungsträger könne reduziert werden, wenn die Gründe für die Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten von der unmittelbaren Staatsverwaltung als „Muttergemeinwesen“ „stichhaltig oder gar verfassungsrechtlich fundiert“ sind. Die Überlegungen von Dreier überzeugen, weil es mit ihnen gelingt, die Regulierung des Spannungsverhältnisses von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht an objektiven Kriterien festzumachen. a) Allerdings erfasst die Konzeption von Dreier lediglich die Frage, wie solide die dezentralisierten Verwaltungseinheiten rechtlich verselbstständigt sind. Das Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Kontrolle findet damit zwar einen objektiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt. Allein aus der objektiv-rechtlichen Perspektive werden sich jedoch die Unterschiede der zahlreichen Selbstverwaltungsträger kaum begreifen lassen. Gerade eine differenzierte Betrachtung für die Kontrolldichte der Staatsaufsicht ist aber Wesensmerkmal einer „passgenauen“ Aufsichtskonstruktion. Es bietet sich deshalb an, den von Dreier formulierten Ansatz auf eine funktionsbezogene Perspektive zu erweitern. Neben der Anknüpfung an den objektivrechtlich vorgesehenen Grad der organisatorischen Verselbstständigung bildet dann die Funktion des jeweiligen Selbstverwaltungsträger die maßgebliche Größe, um die gebotene Aufsichtsdichte zu ermitteln. Zur Bestimmung der gebotenen Aufsichtsgesetzgebung bietet es sich zunächst an, die Kontrolldichte staatlicher Aufsicht von den Auswirkungen abhängig zu machen, die bei Funktionsstörungen der Selbstverwaltungsträger für sie selbst aber auch für Dritte eintreten können. Wie hoch diese Auswirkungen im Falle von Funktionsstörungen einzuschätzen sind, hängt wiederum von der Tragweite der jeweiligen Funktion ab, die den Selbstverwaltungsträgern zugewiesen ist. b) Dazu spiegelbildlich steht das neue Konzept zur demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, welches das Bundesverfassungsgericht

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6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

in einem Beschluss vom 10. 11. 2015 in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss entwickelt hat. Es soll nämlich nicht ausgeschlossen sein, dass für eine bestimmte Richtliniengebung das Legitimationsniveau ausreichend ist, während es für andere Bereiche der Richtliniengebung nicht genügt. Innerhalb eines Selbstverwaltungsträgers ist das Legitimationsniveau mithin funktionsbezogen und nicht einrichtungsbezogen zu bestimmen. Je bedeutsamer, je grundrechtsintensiver die Selbstverwaltung ist, umso mehr braucht es gesetzliche Anleitung sowie eine effektive Kontrolle durch die Staatsaufsicht. c) Im Optimalfall mündet der Ausgleich in eine Gleichgewichtslage beider Seiten, die mittels Abwägung bestimmter Faktoren, etwa der Grundrechtsrelevanz der Selbstverwaltung, den Risiken von Fehlfunktionen sowie der Effektivität der Staatsaufsicht, hergestellt wird. 6. Ausschließlich der parlamentarische Gesetzgeber kann dazu berufen sein, für das bereichsspezifische Ausbalancieren der Spannungslage zwischen funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht zu sorgen, weil nur er imstande ist, auf beide Seiten der Spannungslage Zugriff zu nehmen. 7. Die Betrachtung der verschiedenen Spitzenorganisationen zeigt ein gemischtes Bild verschiedener Aufgabenbereiche mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten. Mit diesem bunten Bild wird deutlich, dass Aufsichtsstrukturen über die Spitzenorganisationen keinesfalls standardisiert sein dürfen, wollen sie dem Anspruch gerecht werden, passgenau auf die Bedürfnisse der Selbstverwaltung zugeschnitten zu sein. a) Die Qualität der funktionalen Selbstverwaltung ist abhängig von der positivrechtlichen Zuweisung von Kompetenzen. Je umfassender die Kompetenzen der Selbstverwaltungsträger sind, umso umfassender muss auch die exekutive Kontrolldichte nach der hier vertretenen Faustregel sein. Umgekehrt folgt aus dieser Überlegung, dass sich der Kontrollaufwand eingrenzen lässt, wenn den Selbstverwaltungsträgern positiv-rechtlich zugestandene Kompetenzen eingeschränkt oder genommen werden, sei es durch die Verdichtung des Fachrechts, oder durch schlichten Kompetenzentzug durch Umstrukturierung des Fachrechts, idealerweise verbunden mit Ansätzen zur Optimierung und Deregulierung. b) Noch einfacher ist es für den parlamentarischen Gesetzgeber, das breite Spektrum möglicher Kontrollinstrumente zu nutzen, ohne zwingend die fachrechtlichen Grundlagen zu verdichten. In der Konstruktion der Staatsaufsicht über die Träger funktionaler Selbstverwaltung liegt mithin erhebliches Steuerungspotential für die administrative Kontrolle. c) Für die Effizienz und Durchschlagskraft staatlicher Aufsicht trägt die Aufsichtsgesetzgebung nur einen Teil bei, zum Großteil bestimmt die Art ihrer Ausübung die Qualität der Aufsicht. Stark ausgeprägte gesetzliche Kontrollbefugnisse müssen nicht zwingend zu einer übermäßigen administrativen Kontrolle führen. Sie bringen die Zielsetzung eines Gleichgewichts zwischen funktionaler Selbst-

6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

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verwaltung und Staatsaufsicht nicht in Gefahr, wenn sie schonend ausgeübt werden. Eine inflationäre Verdichtung der Aufsichtsgesetzgebung ist deshalb genauso wenig zielführend, wie ein vollständiger Rückzug aus der repressiv geführten Staatsaufsicht. 8. Zu berücksichtigen ist, dass die Entscheidung für die funktionale Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine grundlegende Systementscheidung ist, an die für eine Vielzahl von Betroffenen ganz entscheidende Konsequenzen anknüpfen. Wie die ausdrückliche Nennung in den Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und Art. 87 Abs. 2 GG verrät, spiegelt sich diese Grundlagenentscheidung auch verfassungsrechtlich, indem das Grundgesetz die Selbstverwaltung als gesetzgeberisch gewähltes Organisationsprinzip für die gesetzliche Krankenversicherung anerkennt. Sinn und Fortbestand einer gesetzgeberischen Grundentscheidung hängen oftmals wesentlich von den getroffenen Folgeentscheidungen ab. Bei Analyse der Rechtsprechung zeigt sich, dass der Konsistenzgedanke in einzelnen Entscheidungen tatsächlich zum Tragen kommt. Der parlamentarische Gesetzgeber soll sich entscheiden müssen, wie er eine Materie konzipieren will. Für die Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung muss der Gesetzgeber also entscheiden, ob sie weiterhin mit der Selbstverwaltung versehen bleibt oder ob sie in die Ministerialverwaltung integriert werden soll. Mangels spezifischer Rationalitätsanforderungen besteht aber keine pauschale Bindung der Gesetzgebung an eine vorab getroffene Systementscheidung. 9. Verfassungsrechtliche geforderte institutionelle und organisatorische Vorgaben lassen sich in begrenztem Maße durch eine Umkehrung der Erkenntnisse zur demokratischen Legitimation gewinnen. Wenn sich aus dem demokratischen Prinzip Anhaltspunkte dazu fruchtbar machen lassen, welche Voraussetzungen die Selbstverwaltung erfüllen muss, um ein hinreichendes Legitimationsniveau zu erreichen, muss sich – gewissermaßen durch Umstellen der Formel – auch ableiten lassen, wie viel staatliche Aufsicht im Einzelfall nötig ist, um gegebenenfalls defizitäre Legitimationsstränge auszugleichen. Die verfassungsrechtliche Anforderung einer „effektiven“ Staatsaufsicht kann durch etwaige Konkurrenzen mit der gerichtlichen Kontrolle weiter verwässert werden. Es besteht kein Grund, mit dem Argument einer „Reservefunktion der Staatsaufsicht“ ein Konkurrenzverhältnis verschiedener Kontrollen in Bezug auf individuelle Rechte zur Schranke der Aufsichtsgesetzgebung zu erheben. Es kann im staatlichen Gesamtgefüge ein Nebeneinander verschiedener Kontrollen geben, weil die unterschiedlichen Kontrollkonzepte verschiedene Leitideen verfolgen und deshalb nur bedingt miteinander vergleichbar sind. 10. Wenn es um die Ausübung der Staatsaufsicht geht, kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere bei Unklarheiten über die Voraussetzungen oder die Anwendung eines Aufsichtsmittels die Aufsichtsbehörden zur Zurückhaltung verpflichten; in Zweifelsfällen ist der Auffassung des beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgers in dubio der Vorzug zu geben. Für konkrete Bindungen der

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6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

Aufsichtsgesetzgebung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestehen keine Anhaltspunkte. 11. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird die Verhältnismäßigkeit meist in einem Atemzug mit dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht genannt. Terminologisch ähneln sich die Begriffe, methodologisch stehen beide Konzepte aber nur in losem Zusammenhang. Es handelt sich um einen durch das Bundessozialgericht kreierten Begriff, der erstmals Erwähnung in einem Urteil vom 26. 8. 1983 fand. Der Rechtsprechung geht es offenbar darum, eine maßvolle Aufsichtsführung von der Administration grundsätzlich einzufordern und damit den Schutz unterschiedlicher Gestaltungsspielräume gewährleisten zu wollen. Versuche, dieses Postulat von der Aufsichtsführung auf die Aufsichtsgesetzgebung übertragen zu wollen, müssen von vorherein nicht bloß begrifflich, sondern auch inhaltlich fehlgehen. Schon terminologisch ist der Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht nur auf die Ausführung der Rechtsaufsicht durch die Aufsichtsbehörden angelegt. 12. Zu den Kerninhalten des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes gehört die Ausweitung von Fremdbestimmung und Fremdsteuerung der Selbstverwaltungsträger durch die Aufsichtsbehörden. Weitreichende Möglichkeiten zur Fremdbestimmung erhält die Aufsichtsbehörde durch Ersatz- und Selbstvornahme. a) Bereits nach alter Rechtslage vor dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch einige Spezialregelungen der Ersatzvornahme bereitgehalten. Ohne einen konkreten Anlass ist die Möglichkeit, einen Beauftragten zu bestellen, auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Medizinischen Dienst Bund übertragen worden. Rechtlich ist dies gleichwohl nicht zu beanstanden, soweit bei der Ausübung der Rechtsaufsicht berücksichtigt bleibt, dass die Bestellung eines Beauftragten als „schärfstes Schwert“, das die Staatsaufsicht zu bieten hat, ultima ratio bleibt. Abstand ist von der Idee genommen worden, die Bestellung eines Beauftragten als quasi fachaufsichtliches Instrument zur Kontrolle des Vorstandes einzuführen. b) Bei den Befugnissen des Beauftragten im Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger gehen die gesetzlichen Novellierungen keine neuen Wege, sondern knüpfen an Altbekanntes an. c) Die geradezu erzwungene und kaum gewinnbringende Differenzierung innerhalb des § 79a SGB V n. F., dessen Absätze 1 und 1a unterschiedliche Rechtsfolgenanordnungen an die Beauftragtenbestellung bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen knüpfen, befremdet. Während die Rechtsfolge bei den Kassenärztlichen Vereinigungen gebunden ist, steht der Aufsichtsbehörde bei einem Einschreiten gegen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen offensichtlich ein Ermessensspielraum zu. 13. Eine völlig neu geschaffene Art der Fremdsteuerung liegt in der Entsendung einer Person in die Selbstverwaltungsorgane der meisten Spitzenorganisationen,

6. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Leitsätzen

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jedoch nicht in den Gemeinsamen Bundesausschuss. Die vereinzelt gewählte Umschreibung als „Staatskommissar light“ entbehrt nicht einer gewissen Polemik, verdeckt aber ganz erheblich die Tragweite dieses neuen Aufsichtsmittels. Mit der Entsendung einer Person verfügt die Staatsaufsicht nunmehr über einen befremdlichen Hybrid einer spezifischen Ermächtigung zur Durchführung einer Ersatzvornahme mit der Tendenz zu einem Kontrollinstrument für die fachliche Überprüfung einzelner Organmitglieder. Nicht zuletzt steigt deshalb das Risiko, dass durch die Entsendung einer Person die Rechtsaufsicht der Fachaufsicht zumindest angenähert wird. Bei der gesonderten Möglichkeit, eine Person in die Einrichtungen zu entsenden, handelt es sich deshalb um eine im Ergebnis überflüssige Ermächtigung zur Fremdsteuerung durch die Aufsichtsbehörde, auf die hätte verzichtet werden sollen. a) Tatbestandlich greifen die Voraussetzungen für die Entsendung einer Person deutlich weiter als für die Bestellung eines Beauftragten. Verlangt ist noch keine eingetretene Funktionsstörung der Selbstverwaltungsorgane, sondern lediglich eine abstrakte Gefährdung der „ordnungsgemäßen Verwaltung“. Das Wort „insbesondere“ verdeutlicht aber, dass es sich um nicht abschließende Regelbeispiele handelt; es kann also auch ohne Gefährdungsmoment eine Entsendung denkbar sein. Das Aufsichtsmittel krankt ferner an der Unschärfe dieser Regelbeispiele. Besonders prekär war in dieser Hinsicht die Fassung des Referentenentwurfs, die an die Entsendung einer Person keinerlei qualifizierte Voraussetzungen aufgestellt hat. b) Die Begrenzung des Aufsichtsinstruments auf das Innenverhältnis hat aber gerade keine eingeschränkte Durchschlagskraft der Entsendung einer Person gegenüber der Bestellung eines Beauftragten zur Folge. Soweit die Aufsichts­behörde unter den einfachen Voraussetzungen der §§ 78b, 217h SGB V eine Person in die Selbstverwaltungseinrichtung entsenden kann, so kann sie im Innenverhältnis Anordnungen treffen, die das Außenverhältnis des Selbstverwaltungsträgers steuern; wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung zu Recht moniert, kann die im Außenverhältnis getroffene Entscheidung im Innenverhältnis oktroyiert sein. 14. Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat zu der Etablierung verschiedener Möglichkeiten rückwirkender Korrekturen durch die Aufsichtsbehörden geführt. Insgesamt wird das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht trotz der intensiven Eingriffsbefugnisse nicht aus der Balance gehoben. a) So lässt sich die nachträgliche Beanstandung von Satzungen, verbunden mit dem Recht der Aufsichtsbehörde zur Ersatzvornahme von Änderungsanordnungen, in die Struktur der kooperativen Staatsaufsicht einbinden. b) Angesichts der relativ weiten haushaltsrechtlichen Freiräume der Selbstverwaltungsträger in der gesetzlichen Krankenversicherung überrascht es doch, dass die Anpassungen im Haushaltswesen, anders als bei der Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane, kaum überschießenden Gehalt aufweisen. Sofort fällt in den Blick, dass die Haushaltskontrolle beim Gemeinsamen Bundesausschuss von den

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übrigen Spitzenorganisationen abweicht. Dort fehlt nämlich der, im Referentenentwurf noch vorgesehene, ausdrückliche Verweis zu § 70 Abs. 5 SGB IV, dessen Satz 4 die Aufsichtsbehörde zur Beanstandung rechtswidriger Haushaltspläne ermächtigt. Der Grund hierfür erschließt sich nicht. c) Über die allgemeinen Mittel der Verwaltungsvollstreckung hinaus sind mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz eigene Vorgaben für die Erhebung eines Zwangsgeldes für sämtliche Spitzenorganisationen eingeführt worden. Zweifelhaft ist aber, ob eine Erhöhung des Maximalrahmens um das Vierhundertfache über dem in § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 11 Abs. 3 VwVG formulierten Höchstmaß von bis zu 25.000 Euro ein zur Effizienzsteigerung der Rechtsaufsicht angemessenes und damit im engeren Sinne verhältnismäßiges Mittel ist. 15. Insgesamt können die neu geschaffenen internen Kontrollmechanismen nicht überzeugen, denn sie schaffen keine nennenswerten Verbesserungen zum status quo ante, sondern verlagern lediglich Regelungsbereiche des Satzungsrechts auf die Ebene des formellen Gesetzes. Sie greifen meist nur auf, was ohnehin im Satzungsrecht der Selbstverwaltungsträger geregelt war und auch im Grunde dort hingehört, verlagern es auf die Ebene des formellen Gesetzes und entziehen es somit der Disposition der Selbstverwaltungsträger. 16. Der Gesetzgeber hat zunächst eine Pflicht des Vorstandes zur Unterrichtung der Vertreterversammlung bzw. des Verwaltungsrates geschaffen, soweit „Einrichtungen“ errichtet, übernommen oder wesentlich erweitert werden. Strukturell erinnert die Berichtspflicht an eine Regelung, wie sie das Aktiengesetz vorschreibt. Der zunächst befremdliche Vergleich von öffentlich-rechtlich organisierten Selbstverwaltungsträgern zu privatrechtlich organisierten Kapitalgesellschaften ist keinesfalls fernliegend. Im „eingleisigen“ Organisationsmodell der Selbstverwaltung besteht eine Vergleichbarkeit der Binnenstruktur insoweit, als Selbstverwaltungsträger und Kapitalgesellschaften gleichermaßen über einen Vorstand als ausführendes Organ und einem weiteren Organ verfügen, dem die Kontrolle des Vorstandes obliegt. Gleichwohl unterscheiden sich Selbstverwaltungsträger und Kapitalgesellschaften institutionell. Eine Verankerung interner prozeduraler Anforderungen auf gesetzlicher Ebene akkreditiert letztlich das Misstrauen des Parlaments und damit der Gesundheitspolitik in die Selbstverwaltung, eigenständig für eine fundierte Wissensbasis im Innenverhältnis zu sorgen. Im Grunde wäre die Normierung der Berichtspflicht deshalb verzichtbar gewesen. 17. Zusätzlich institutionell abgesichert wird der Abschluss zukünftiger Beteiligungen an Einrichtungen durch einen Zustimmungsvorbehalt des Selbstverwaltungsorgans. Für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen fehlt allerdings eine entsprechende Regelung. Offenbar veranlasst den Gesetzgeber die finanzielle Tragweite, erneut eine Parallele zur Wirtschaftsaufsicht zu ziehen und eine Vorbehaltsregelung zu schaffen, die sogar über die Kontrolloptionen im Außenverhältnis hinausgeht. Auch hier gilt aber: Prozedurale Vorgaben für die Arbeit in den Spitzenorganisationen sollten dem Satzungsrecht vorbehalten bleiben.

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18. Transparenz will das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz vor allem bei Entscheidungen schaffen, die regelmäßig der Haushalts- und Personalhoheit der Selbstverwaltung unterliegen, also in einem für die Selbstverwaltung sehr sensiblen Bereich. a) Abschluss, Verlängerung oder Änderung eines Vorstandsdienstvertrages bedürfen bei den Spitzenorganisationen, aber ausdrücklich nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss, einer vorherigen unabhängigen rechtlichen und wirtschaftlichen Bewertung. Wieso es aber einer doppelten Prüfung durch eine externe Einrichtung zum einen und durch die Aufsichtsbehörde zum anderen bedarf, leuchtet nicht ein. Offenkundig traut der Gesetzgeber auch den Aufsichtsbehörden nicht zu, eine unabhängige Prüfung der finanzträchtigen Vorstandsdienstverträge durchzuführen, obwohl ihnen hierzu bereits geeignete Mittel zur Verfügung stehen. b) Ferner müssen nunmehr die Aufwandsentschädigungen der (ehrenamtlichen) Selbstverwalter offengelegt werden. Zweifelhaft ist, ob sich ein echter Transparenzgewinn durch die Offenlegung der Aufwandsentschädigungen der ehrenamtlich tätigen Selbstverwalter alljährlich zum 1. März im Bundesanzeiger sowie in den Mitteilungen der Krankenversicherungsträger einstellt. c) Verpflichtet sich ein Mitglied des Selbstverwaltungsorgans durch einen Dienstvertrag, der kein Arbeitsverhältnis begründet oder durch einen Werkvertrag gegenüber dem Selbstverwaltungsträger zu einer Tätigkeit höherer Art, hängt die Wirksamkeit dieser Abrede von der nachträglichen Genehmigung durch das Selbstverwaltungsorgan ab. Anders als die übrigen Genehmigungsvorbehalte zielt dieses Instrument weniger darauf ab, die finanzielle Liquidität des Selbstverwaltungsträgers zu erhalten. Vielmehr soll etwaigen Fällen von Korruption vorgebeugt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden. 19. Weitere Vorgaben zur Transparenz von Entscheidungen ergeben sich aus den neu gefassten §§ 79 Abs. 3b, 217 Abs. 1b SGB V. Sie vermitteln indessen keinen nennenswerten Gewinn an Transparenz und Compliance, leisten aber der Überregulierung des Krankenversicherungsrechts auf gesetzlicher Ebene weiter Vorschub. 20. Bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat das Selbstverwaltungsorgan eine Handhabe erhalten, ihren Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter unter bestimmten Voraussetzungen durch Beschluss abzuberufen. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur schnellen Abberufung des Vorsitzenden der Vertreterversammlung und des Stellvertreters vor allem dann ermöglichen wollte, wenn Störungen eintreten, die mit den Kernfunktionen dieses Amtes in unmittelbarem Zusammenhang stehen, leuchtet es nicht ein, warum der ohnehin recht offen formulierte Tatbestand nicht hierauf expressis verbis begrenzt bleibt. Bedenklich ist ferner das niedrige Quorum einer einfachen Stimmenmehrheit zur Abberufung des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden des Selbstverwaltungsorgans. Positiv

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ins Augenmerk fällt aber die Ausgestaltung der Abberufung als „konstruktives Misstrauensvotum“. In Kontrast hierzu ist das Quorum für die Wahl des Vorstandsvorsitzenden bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen in § 80 Abs. 2 Satz 4 SGB V auf zwei Dritteln der Stimmen der Mitglieder der Vertreterversammlung erhöht worden. 21. Zu den eher spezifischen Strukturanforderungen in der Selbstverwaltung gehört die nun eingeführte paritätische Besetzung der Organe durch Haus- und Fachärzte. Eine Regelung, die sicherstellt, dass Vorstandsentscheidungen nicht einseitig zu Gunsten einer Fachgruppe fallen, ist weder verfassungsrechtlich noch vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zu beanstanden. 22. Die umfassendsten Reformierungen der Binnenstruktur haben in der Dachorganisation des Medizinischen Dienstes stattgefunden. Dort ergibt sich der Befund, dass bislang nur untergesetzlich verankerte Strukturvorgaben auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und punktuell an die interne Kontrolle im Spitzenverband Bund der Krankenkassen angepasst worden sind. Die Reformen bewirken daher praktisch keine Veränderungen; sie entziehen die Binnenstruktur lediglich der Verfügung des Medizinischen Dienstes, dem es nunmehr verwehrt ist, über das Mittel der Satzungsänderung im Innenverhältnis Änderungen herbeizuführen. 23. Zu den neu geschaffenen internen Kontrollmechanismen gehört ferner die Etablierung einer verpflichtenden internen Revision für die Spitzenorganisationen. Mit der Festschreibung einer internen Revision ist Gesetz geworden, was in der gelebten Praxis ohnehin schon galt. Auch dieser Kontrollmechanismus hätte auf der Ebene des Satzungsrechts normhierarchisch besser platziert werden können. 24. Verglichen mit den Entwurfsfassungen ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nämlich in deutlich abgeschwächter Form in Kraft getreten. Im Fokus stand im Wesentlichen ein spürbarer Ausbau der externen Kontrolle. Auffallend ist zunächst, dass es sich bei den verworfenen Reformideen ausschließlich um externe, repressive Aufsichtsinstrumente handelt, während die Anpassungen interner Kontrollstrukturen allesamt verabschiedet worden sind. Im formellen Gesetz­gebungsverfahren oder bereits davor gescheitert sind lediglich solche Kontrollinstrumente, die schwerste Einschnitte für die Selbstverwaltungsträger bedeutet hätten und deshalb gesundheitspolitisch kaum konsensfähig gewesen wären. 25. Der Referentenentwurf des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes sah vor, das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde zu ermächtigen, allen Spitzenorganisationen „Inhaltsbestimmungen zur Rechtsauslegung und Rechtsanwendung“ bei unbestimmten Rechtsbegriffen vorzugeben. Soweit Inhaltsbestimmungen erlassen werden, sollte der „gehörige Gestaltungsspielraum“ der Selbstverwaltungsträger so weit zurückgedrängt werden, dass „in diesen Bereichen“ die Aufsichtsführung „nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt“ bleibt. Schon aus rechtsstaatlicher Perspektive ist die Ermächtigung

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zur Aufstellung von Inhaltsbestimmungen bedenklich. Sie hätte dazu geführt, die grundsätzliche Beschränkung auf die reine Rechtsaufsicht im Sozialversicherungsrecht partiell bei den Spitzenorganisationen durch Tendenzen der Fachaufsicht zu erodieren. Mit der Kompetenz der Aufsichtsbehörde, Inhaltsbestimmungen zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe vorzugeben, die für die betroffenen Spitzenorganisationen verbindlich sind, hätte sich eine Art „Auslegungs- und Konkretisierungskonkurrenz“ zwischen den Selbstverwaltungsträgern und der Ministerialverwaltung ergeben. Und dies auf einem weiten Feld: Die offene Formulierung „zur Gewährleistung einer mit den Gesetzeszwecken in Einklang stehenden Mittelverwendung“ assoziiert zunächst, die Inhaltsbestimmungen sollten im Bereich der Personal- und Finanzhoheit der Selbstverwaltungsträger ansetzen. Die geschickte Formulierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde sämtliche Aufgaben der Selbstverwaltungsträger unter Verwendung ihrer Mittel erfolgen. 26. Eine stärkere gesetzliche Vorzeichnung der untergesetzlichen Normsetzung war ferner durch Erweiterung der Kataloge für die Mindestinhalte von Satzungen vorgesehen. Der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag hat sich allerdings entschieden, die erweiterten Mindestinhalte für Satzungen fallen zu lassen, weil sie nicht mehr festgeschrieben hätten, als nach gelebter Praxis einer ordnungsgemäßen Verwaltung ohnehin schon berücksichtigt und angewandt wird. 27. Erhebliche Veränderungen waren ursprünglich auch für die Aufsichtsführung über den Gemeinsamen Bundesausschuss angedacht. In § 91b Abs. 1 SGB V (RefE) war eine Ermächtigung vorgesehen, die es dem Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde ermöglicht hätte, die Richtlinien und sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses ungeachtet der Fristbindung in § 94 Abs. 1 SGB V nachträglich zu beanstanden. Die Überlegung, die sonstigen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses auf einen ähnlichen Prüfstand stellen zu wollen wie die Richtlinien, ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Schlüssig hätte er aber nur dann weiterverfolgt werden können, wenn die Verfahrensvorgaben an der Beanstandung der Richtlinien nach § 94 Abs. 1 SGB V orientiert worden wären. Einer ex-post-Kontrolle auf aufsichtsrechtlicher Ebene bedarf es nicht, weil sich über den gerichtlichen Rechtsschutz dasselbe Ziel erreichen lässt. 28. Einen weiteren systematischen Bruch im Komplex des erweiterten Beanstandungsrechts bedingt § 91b Abs. 2 SGB V (RefE), wonach das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt werden sollte, das Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses anzuweisen, die für die Durchführung von – beliebigen – aufsichtsrechtlichen Verfügungen erforderlichen Beschlüsse zu fassen und bei Nichtdurchführung innerhalb einer bestimmten Frist im Wege der Selbstvornahme zu ersetzen. Ermächtigungen stehen hierzu bereits nach geltender Rechtslage bereit. 29. Weitreichende Einschnitte waren auch für die Kontrolle des Haushalts-, Personal- und Rechnungswesens angedacht. Der Gesetzesentwurf beinhaltet, in leicht abgewandelter Fassung zum Referentenentwurf, die Verschiebung der turnusmä-

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ßigen externen Haushaltsprüfung auf externe Einrichtungen oder spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien. Die Festschreibung einer externen Revision erinnert stark an die Wirtschaftsaufsicht, in der eine kaufmännische Kontrolle meist an externe Stellen ausgelagert wird. Zur Förderung einer effizienten Aufsichtsführung wäre es vielmehr naheliegend, grundlegende Aufsichtskompetenzen der Fachebene im Bundesamt für Soziale Sicherung zu bündeln und die Personalstrukturen entsprechend auszustatten sowie Betriebsprüfungen nicht bloß turnusmäßig, sondern zusätzlich auch bei Vorliegen konkreter Anlässe einer beträchtlichen Misswirtschaft zu ermöglichen. 30. Sollen die Auswirkungen des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes nach der eingehenden Analyse der vorherigen Abschnitte auf das Wesentliche reduziert werden, verbleiben drei zentrale Erkenntnisse. a) Zunächst fällt auf, dass das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz von der grundsätzlichen Vorstellung geprägt ist, über die als Spitzenorganisationen bezeichneten Einrichtungen ein einheitliches Aufsichtsregiment zu schaffen. Es wird übersehen, dass die Spitzenorganisationen unterschiedliche Funktionen ausüben, die bei „passgenauem“ Zuschnitt der Staatsaufsicht zu berücksichtigen sind. Pauschale Übernahmen stehen diesem Gedanken einer individualisierten Aufsichtsdichte entgegen und brechen mit dem Prinzip eines wechselseitigen Ausgleichs. b) Im Übrigen wird der deutliche Fokus des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes auf die Korruptionsprävention offenkundig. Einige überschießende Gehalte, insbesondere bei den externen repressiven Aufsichtsmitteln, lassen doch auf ein erhebliches Misstrauen der Gesundheitspolitik gegenüber der funktionalen Selbstverwaltung schließen. Gleichwohl scheut sich die Politik, die funktionale Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung zu verwerfen. Nicht zwangsläufig muss die Wahl des Gesetzgebers auf die funktionale Selbstverwaltung fallen. Wird die funktionale Selbstverwaltung gewählt, bedarf es aber einer klaren gesundheitspolitischen Entscheidung für die funktionale Selbstverwaltung als Organisationsform in der gesetzlichen Krankenversicherung, die zur aktiven Gestaltung befähigt wird und deren Kompetenzen positiv-rechtlich klar von denen der Ministerialverwaltung abgegrenzt sind. c) Das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz enthält keinerlei Maßnahmen, die an den organisatorischen und strukturellen Eigenschaften der Selbstverwaltungsträger ansetzen. Es ist also berechtigt, wenn Peter Axer von einem „Aufsichtsstärkungsgesetz“ spricht. Einen echten Gewinn würde die funktionale Selbstverwaltung aber von einer organisatorischen und institutionellen Stärkung hervortragen. Die Hürden für einige hilfreiche Maßnahmen sind aus der derzeitigen Perspektive sogar denkbar gering, denn sie können mit wenigen, dafür aber effizienten Reformen, umgesetzt werden. 31. Dringender Handlungsbedarf besteht in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss, dessen demokratische Legitimation seit Jahrzehnten strittig und bis heute nicht abschließend geklärt ist. Die Betroffenenbeteiligung in solchen

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gruppenplural zusammengesetzten Einrichtungen verlangt dem Gesetzgeber ab, im Rahmen seines politischen Gestaltungsspielraums sicherzustellen, dass zumindest die Betroffenengruppen als solche vertreten sind und dabei eine zahlenmäßige Mitgliederstärke festgelegt wird, durch welche der Gefahr der Durchsetzung gruppenegoistischer Ziele in einem pluralistisch zusammengesetzten Gemeinsamen Bundesausschuss entgegengewirkt wird. Ein Teilhabedefizit liegt auf der Seite der Leistungserbringer. Es besteht ein breites Spektrum unterschiedlicher Berufsstände, die die Leistungen für die gesetzlichen Krankenkassen ausführen. Die „sonstigen Leistungserbringer“ sind im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses gar nicht repräsentiert. 32. Eine Beseitigung dieser Legitimationsdefizite lässt sich mit geringen organisatorischen Veränderungen erreichen. Auf der Bank der Leistungserbringer könnte hierzu eine Art Rotationsverfahren etabliert werden, sodass diejenigen Leistungserbringer an der Entscheidungsfindung teilnehmen, die von den gefundenen Entscheidungsergebnissen betroffen werden. Im Grunde besteht ein solches Verfahren bereits nach § 91 Abs. 2a SGB V. Gleichwohl bleibt das Konzept unausgegoren, da gerade die „sonstigen Leistungserbringer“, deren Betroffenenbeteiligung gerade defizitär ist, nicht in dieses Rotationsverfahren einbezogen sind. 33. Die Art und Weise, wie Kompetenzen verteilt sind, kann entscheidend für die Frage sein, ob eine demokratische Rückkopplung an das Legitimationssubjekt und damit die Einstellung eines hinreichenden Legitimationsniveaus gelingen kann. Umgekehrt wird die Selbstverwaltungsstruktur umso „demokratiefester“, je stärker Macht verteilt und je häufiger wechselseitige Kontrolle stattfindet. 34. Ein erklärtes Ziel, wieso Selbstverwaltung überhaupt verliehen wird, ist der Gedanke, Wissen zu akquirieren, das der Staat nicht in gleicher Weise oder mit vergleichbarem Zeitaufwand generieren kann. Die Selbstverwaltung der Versicherungsträger steht vor dem Problem, dass ihre Repräsentanten gerade keine spezifischen Fachkenntnisse medizinischer, rechtlicher oder versicherungsbezogener Art aufweisen müssen oder, besser gesagt, aufweisen sollen. Kaum vorstellbar ist aber, dass eine hinreichende Wissensbasis ohne eine bereichsspezifische Ausbildung oder sonstige Qualifikation, alternativ Arbeitserfahrung auf dem Gebiet der Krankenversicherung, vorhanden ist. Nicht selten konstituieren sich Versicherten- und Arbeitgebervertreter neben den „Laienvertretern“ auch aus ehemaligen Beschäftigten der Krankenversicherungsbranche oder sonstigen „systemnahen“ Personen wie etwa ehemaligen Gewerkschaftern, für die die Einschränkungen der Wählbarkeit nicht mehr gelten. Professionalisierung und das Element der Betroffenenbeteiligung stehen nicht in Widerspruch zueinander. Es ist deshalb in Betracht zu ziehen, das Element der Betroffenenbeteiligung mit dem Gedanken der Professionalisierung zu verknüpfen. Rechtlich würde dies bedeuten, die Einschränkungen zur Wählbarkeit in die Selbstverwaltung nach § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV auf den Prüfstand zu stellen oder sogar gänzlich fallen zu lassen. Will man diesen Weg gehen, wäre die Gefahr möglicher Korruption institutionell abzusichern.

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35. Zur Machtbegrenzung des Gemeinsamen Bundesausschusses reicht es nicht aus, ihm schlicht keine weiteren Befugnisse mehr einzuräumen. Vielmehr sind auch Anpassungen der bestehenden Kompetenzen erforderlich; im Zweifel sogar der Entzug bestimmter Aufgabenbereiche. Hierzu bietet sich der Einsatz der Rechtsverordnung an, der aber mit Bedacht erfolgen muss, denn nicht zwangsläufig führt sie zu einem Gewinn. Entzieht man nämlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss auf der einen Seite Kompetenzen, muss stets bedacht sein, wer an seiner statt die anfallenden Aufgaben erfüllen soll. Detailfragen der ärztlichen Versorgung oder der Versorgung mit Arzneimitteln können auch das zuständige Fachministerium überfordern. Auch das Ministerium als Verordnungsgeber braucht spezifisches Sachwissen, das im Zweifel durch Heranziehung von Sachverständigen beschafft werden muss. Auch muss die Akzeptanz der Entscheidungen nicht von vornherein höher liegen. Insoweit ist der Wert eines routinierten, fachkundigen und sachnahen Gremiums nicht zu unterschätzen. 36. Eine Stärkung des Verhältnisses von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht erfordert auch die Bereitschaft zu Anpassungen der Strukturen staatlicher Aufsicht. Im Fokus muss die Beseitigung von Ineffizienzen liegen. a) Immer dichter werdende Regelungen tragen aber nicht per se zu einer qualitativen Verbesserung des Rechts bei, sondern machen es im Gegenteil unübersichtlich, provozieren Widersprüche und mindern so das Rechtsvertrauen der Bürger. Wenn die Verwaltung aufgrund der zunehmenden Überregelung gesetzliche Vorgaben nicht mehr umsetzen kann, wird sie zur dazu gezwungen, unmögliche Vorgaben nicht anzuwenden oder „auf das praktisch Mögliche zu reduzieren“. Statt einer stärkeren Bindung der Verwaltung entstehen dann ungewollt Freiräume. Eine probate Lösung zur Eindämmung übermäßiger Ausformung des Rechts drängt sich in Folgendem auf: Gesetzgeberische Zurückhaltung und der Verzicht auf ein weiteres Vorantreiben der Übernormierung für die Zukunft. Und für das gegenwärtige Gefüge des Sozialversicherungsrechts eine Deregulierung. b) Neben der Vereinfachung des Fachrechts als Maßstab der Aufsichtsführung wird eine Optimierung der Aufsichtsstrukturen durch punktuelle organisatorische Veränderungen erreicht. Im Innen- wie im Außenverhältnis ist die Tätigkeit der Selbstverwaltungsträger durch ein umfassendes Haftungssystem abgesichert, das durchaus dort Lücken schließen kann, wo die allgemeine Staatsaufsicht nicht greift und rein kooperativ ausgeübte Maßnahmen nicht ausreichen. Über die zivilrechtliche Haftung hinaus wird dem Risiko von Funktionsstörungen des Krankenversicherungssystems auch durch strafrechtliche Sanktionierung von Fehlverhalten vorgebeugt. Dies ermöglicht, die externen Kontrollinstrumente der Staatsaufsicht auf das Notwendige zu begrenzen. c) In der Horizontalen ist die Aufsichtsführung häufig je nach Sachbereich auf mehrere Einrichtungen aufgeteilt; in der Vertikalen ist die Aufsichtszuständigkeit auf Bund und Länder zu verteilen, mit der Folge, dass auch hier unterschiedliche Einrichtungen sogar für denselben Sachbereich tätig sind. Diese verzweigten Auf-

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sichtsstrukturen müssen nahezu zwangsläufig zu Reibungsverlusten und Ineffizienz führen. Denn es sollte nicht verkannt werden, dass die Aufsichtsführung ganz wesentlich durch den individuellen Aufsichtsstil der jeweiligen Aufsichtsbehörde geprägt wird. Auf den ersten Blick scheint der „Aufsichtsföderalismus“ allein eine Problematik der fehlenden Verwaltungskompetenz des Bundes zu sein, was sich aber bei näherer Betrachtung als unzutreffend herausstellt. Eine Abkehr vom „Aufsichtsföderalismus“ lässt sich durch Umstrukturierung der Versicherungsträger erreichen. Ob aber das angestrebte Ziel diese durchgreifenden organisatorischen und institutionellen Veränderungen rechtfertigt, mag bezweifelt werden.

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Sachwortverzeichnis Abberufung  247 ff. Abgabenordnung 232 Aktiengesellschaft 234 Aktiengesetz 234 Allgemeine Ortskrankenkassen  132, 332, 335, 338 Allgemeiner Gleichheitssatz  147–149 Alliierte 192 Allokation  109, 113, 291 – Fehlallokationen 114 – Grundrechtsrelevanz 114 – Makro-, Meso- und Mikroallokation  114 AMNOG 100 Änderungsverbot 339 Anpassungsgesetzgebung 143 Anzeigepflicht  225, 229, 232, 238, 315 APO Vermietungsgesellschaft  181 Arbeitsgemeinschaften siehe Einrichtungen Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung ​ 317 Arzneimittelpreisverordnung 111 Arzneimittelversorgung 98 Aufschiebende Wirkung  196, 213 Aufsichtsbeschwerde 64 Aufsichtsföderalismus  331, 337 f. – Zentralisierung 339 Aufsichtsführung – Effizienz 126 – Grundrechtsrelevanz 168 – Schonende 25 Aufsichtsklage  65 ff. – Klagebefugnis 66 – Klassifikation 66 Aufsichtsrat  234 f., 239 f. Aufsichtsstärkungsgesetz 290 Aufsichtsstil  331, 336 Auslegungsmethoden 151 Ausschuss für Gesundheit  246, 257, 270, 280 Äußeres Gesetzgebungsverfahren  139 Beamtenapparat 70

Beanstandungsrecht  209 ff., 271 ff. – Beschränkung 212 – Voraussetzungen 272 – Wirksamkeitsvoraussetzung 273 Beauftragter  186 f., 190 – Ausweitung des Anwendungsbereichs ​193 – Differenzierung 197 – Funktionsgefährdung 194 – Historische Entwicklung  188, 191 – Innenverhältnis 196 – Tatbestandliche Voraussetzungen  194 – Terminologie 192 – Ultima ratio  195, 199 Bedarfsplanungs-Richtlinien 100 Begründungspflicht 245 Behördenaufsicht  58 f., 257 Beiträge  117, 279, 298 Beitragsstabilität 333 Bekenntnis für die Selbstverwaltung 287– 289, 327 – Systembindung 139 Bereichsspezifisches Ausbalancieren  91, 130 Berichtspflicht  231, 233 f., 236 – Des hauptamtlichen Vorstandes  238 – Interne Revision  254 – Turnusmäßige 257 – Über Beteiligungsverhältnisse  228 Berliner Abkommen  116 Berufsfreiheit  100 f., 115 Berufungsausschuss 333 Besondere Aufsichtsbehörden  335 Bestellung eines Beauftragten  siehe Beauftragter Bestimmtheit  42 ff., 141 f., 154 ff., 183, 195, 204 Beteiligungsgesellschaften  siehe Einrichtungen Betriebskrankenkassen  331 f. Betroffenenpartizipation  37 ff., 74, 138, 312 ff., 235, 293 f., 297 – Betroffenenschutz 39

Sachwortverzeichnis – Teilhabedefizit 302 Beurteilungsspielraum  166 f., 210 f., 215, 267 f. Beweislast 328 Bindeglied  36, 76, 84, 347 Binnenstruktur der Selbstverwaltung  227 Bismarck  19, 22, 255, 287 Blankettermächtigung 205 Boykott 188 Bundesamt für Krankenversicherung  132 Bundesamt für Soziale Sicherung  257 f., 281 f., 285, 336 ff. Bundesanzeiger  242 f., 272 Bundeseigene Verwaltung  337 Bundesmantelverträge  99, 103 f. Bundesministerium für Arbeit und Soziales ​ 258 Bundesministerium für Gesundheit  186, 200, 205, 257 f., 265 ff., 271 ff., 321 Bundesrechnungshof 281 Bundesschiedsamt 334 Bundesschiedsämter 104 Bundesunmittelbare Versicherungsträger ​ 331 ff. Bundesverbände der Krankenkassen  117 Compliance  50, 125, 225, 245 – Begriff 51 – Werte-Management 52 – Wirtschaft 51 Compliancerelevante Risiken  329 Darlegungslast 328 Demokratieprinzip  81, 159 Demokratische Legitimation – Legitimationsniveau 83 – Organisatorisch-personelle 81 – Sachlich-inhaltliche  79, 159 – Substitutionsfähigkeit 82 Demokratische Verantwortlichkeit  294 Deregionalisierung 332 Deregulierung  325, 327 Derogation  151 f. Dezentralisierung  69, 71 f., 168 Dienstaufsicht 59 Dienstvertrag  240 ff. Domino-Effekt 324 Drei-Länder-Regelung  222, 332 Dynamik des Fachrechts  26, 291

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Effektive Aufgabenwahrnehmung  137 Effektiver Rechtsschutz  267 Effizienzsteigerung der Aufsicht  322 Ehrenamt  36 ff., 74, 312 Eigene Entscheidungsbefugnisse  35 Eigenverantwortlichkeit  34 ff., 124 – Entscheidungsspielräume 39 – Normsetzungsverzicht 43 – Satzungsgebung siehe Satzungsautonomie – Untergesetzliche Normsetzung  40 Eingleisiges Organisationsmodell  234 Einheit der Rechtsordnung  143, 150 ff. – Nachweis 151 – Normenkollision  151 f. – Wertungswiderspruch 152 Einheit der Verfassung  143 Einmischungsaufsicht 61 Einrichtungen  228, 237 – Arbeitsgemeinschaften  218, 230 – Beteiligungsgesellschaften 228 – Dienstleistungsgesellschaften 230 – Gemeinnützige 232 – Plausibilitätsprüfung 233 – Sammelbegriff 233 – Tochtergesellschaften 229 Einschätzungsprärogative 215 Einwirkungsaufsicht 56 Emschergenossenschaft 137 Entschlusskraft und Verantwortungsfreude ​61 Entsendung einer Person  199 ff. – Dopplung 205 – Innenverhältnis 203 – Staatskommissar light  203 – Voraussetzungen  200, 202 Erfahrungsaustausch 339 Ermessen 197 Ermessensermächtigung 198 Ersatzkassen 331 Ersatzvornahme  186, 206, 209, 212 – Vertretbare Handlung  186 EU-Transparenzrichtlinie  304 f. Evidenzbasierte Medizin  109 Facharzt-Beschluss  41, 45 Fachaufsicht  57 f. – Zweckmäßigkeit 57 Fachgruppenparität  250 f. Fachkenntnisse 310

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Sachwortverzeichnis

Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz  291, 311 Feststellungsklage  276, 303 Föderalismus 153 Folgeentscheidungen 135 Folgegesetzgebung 135 Folgerichtigkeit  143, 147 – Auslegungshilfe 149 Freie Kassenwahl  299 Fremdbestimmung  185 ff. Fremdsteuerung  47, 205 ff. Fremdvornahme  186, 201 Friedenswahlen 300 Frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln ​ 100 Funktionsstörung  78, 93, 200 Fusionen von Krankenkassen  336 Gebietskörperschaften  siehe Kommunale Selbstverwaltung Gemeinsame Selbstverwaltung  114, 293, 296 Gemeinsamer Bundesausschuss  97 – Aufbruch der Bänke  306 – Dauerhafte Erweiterung der Bänke  308 – Demokratische Legitimation  293 – Kleiner Gesetzgeber  98 – Parlamentsähnliche Struktur  98 – Rechtliche und politische Stellung  316 – Richtlinienkompetenz 102 – Rotationsverfahren 306 – Stimmgewichte 308 Genehmigungspflicht 238 Genehmigungsvorbehalt  63, 210 f., 242, 244, 252 Generalklausel 204 Genossenschaftswesen  36 ff. Gerichtliche Kontrolle – Konkurrenz mit der Staatsaufsicht  159 f. Gerichtlicher Rechtsschutz  64, 196, 276 – Innenverhältnis der Selbstverwaltungsträger ​67 – Konkurrenz mit interner Kontrolle  68 Gesamtharmonisierung des Rechts   siehe Einheit der Rechtsordnung Gesellschaftliche Kräfte  41, 235 Gesetzgebung – Grundrechtsbindung 139 Gesetzgebungskompetenz 338 Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers  147, 157

Gestaltungsgebot 339 Gesundheitsmarkt  115, 299 Gesundheitspolitische Konsensfähigkeit ​265 Gesundheitsreform 2007  118 Gesundheits-Reformgesetz  209, 272 Gesundheits-Strukturgesetz  27, 112, 188, 190 Gewährleistungsaufsicht 56 Gewährleistungsauftrag  107, 119 Gewährleistungsstaat 25 Gewährleistungsverwaltung 56 Gewaltenmonismus 72 Gewaltenteilung 77 GKV-Modernisierungsgesetz  243, 298 GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz – Abschwächung des Referentenentwurfs ​ 264 – Bruch mit Kontinuität  27 – Gesamtbilanz  256, 290 – Gesetzgebungshistorie 181 – Interne und externe Kontrolle  184 – Irreführender Gesetzestitel  179 – Korruptionsbekämpfung  siehe Korruptionsprävention – Rechtliche und tatsächliche Perspektive ​ 183 – Selbstverwaltungsschwächungsgesetz ​179 – Überblick 180 – Vereinheitlichung der Aufsicht  285 – Verfahrensstand 185 – Verworfene Reformen  265 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz  27, 117 f., 230 Graduelle Abstufung  49 Grenzüberschreitung 216 Grundlegende Systementscheidung  134 – Bindungskraft 137 – Systembindung 139 Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechts­aufsicht  50, 165, 199, 216 – Abgrenzung zur Verhältnismäßigkeit  167 – Aufsichtsgesetzgebung 171 – Ausübung der Staatsaufsicht  171 – Erstmalige Erwähnung  165 – Schutzfunktion 166 – Vertretbarkeitskontrolle 165 Grundsatz der Widerspruchsfreiheit  144 ff. Grundsatzentscheidung 287 Gute Gesetzgebung  149, 182

Sachwortverzeichnis Haftung – Außenverhältnis 327 – Innenverhältnis 328 Haftungsmaßstab 328 Haftungsprivilegierung 328 Hauptamtlicher Vorstand  202, 227, 231, 233, 238, 250 Haushalt  214 ff., 267 – Externe Prüfeinrichtung  279 – Kaufmännische Kontrolle  280 – Professionalisierung 278 – Rechtsanwaltskanzlei 279 – Reformen 217 – Turnusmäßige Prüfung  280 – Wirtschaftsprüfer 280 Heilmittel-Richtlinie  303 f., 307 Heilmitterbringer  99, 303 Hierarchie  69, 192, 256 Hilfsmitterbringer 99 Historische Entwicklung der Selbstverwaltung – Einführung 20 – Frühe Kodifikation  36, 38 – Führerprinzip 21 – Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter  20 – Gesetz zum Aufbau der Sozialversicherung 21 – Nachkriegszeit 21 – Verbandswesen 21 – Weimarer Republik  20 – Zeit des Nationalsozialismus  21 Hypertrophie  245, 255, 268, 323 f. Immobiliengeschäfte  181, 238 Implantateregister-Errichtungsgesetz 291 Inhaltsbestimmungen  265 ff. – Aufsichtsinnenverhältnis 268 – Auslegungs- und Konkretisierungskonkurrenz 266 – Erosion der Rechtsaufsicht  268 – Konkretisierungsprärogative 267 – Rechtsstaatliche Bedenken  268 – Rechtsunsicherheit 266 – Verkürzung gerichtlicher Kontrolle  269 Innenrevision  253 ff. Inneres Gesetzgebungsverfahren  140 Innovationen 111

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Innovationsausschuss 254 Innovationsdrang 291 Innovationskraft  143, 339 Innungskrankenkassen  332, 336, 338 Interessenkollisionen 251 Interessenvertretung  115 ff., 120 f., 188 Interne Kontrolle  225 ff. – Gesamtbilanz der Reformen  255 Juristische Selbstverwaltung  73 Kapitalgesellschaft  234 ff., 239 Kartellrecht 223 Kassenärztliche Bundesvereinigungen  119 ff. – Binnenstrukturreform 2015  251 – Einstandspflicht 120 – Fachgruppenparität  siehe Paritätische Stimmen­gewichtung – Immobilienskandal 181 – Quorum 108 Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen – Schaffung 103 Knappschaft 332 Kohärenz  135 f., 139 f. Kollektiver Zulassungsverzicht  189 f. Kollektivverträge 104 Kollusives Verhalten  329 f. Kommissarische Verwaltung  186 Kommunalaufsicht  25, 61, 173 Kommunale Selbstverwaltung  170 Kompetenzentzug 124 Komplexität 316 Konsens  287, 294 – Legitimationsquelle 294 Konsistenz  135, 139 f., 143, 148, 157 Konstruktives Misstrauensvotum  248 Kontinuität  19 ff. Kontrolle 46 – Durchsetzbarkeit 77 – Kontinuierliche Einwirkung  48 – Pluralistische Vielfalt  47 Konzernbildung 281 Kooperationen 329 Korbmodell 189 Korporatismus  116, 256, 310 Korrektur von Satzungen  208 ff. Korruptionsgefahr  255, 327 – Strafrechtliche Absicherung  328

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Sachwortverzeichnis

– Zivilrechtliche Absicherung  327 Korruptionsprävention  286 f. Kostendämpfungsgesetzgebung 326 Kostenerstattung  108, 189 Krankenkassen als Unternehmen  111 Laienpartizipation siehe Ehrenamt Lame Duck  322 Landesschiedsamt 334 Landesunmittelbare Versicherungsträger ​332 Landesverbände der Krankenkassen  333 Landesversicherungsanstalten 332 Landwirtschaftliche Krankenversicherung ​ 332 Laser-Ginkgo-Therapie 98 Legalitätsprinzip 197 Legitimationsketten  81, 294, 300, 312 Legitimationsniveau  80 ff., 94 f., 158, 293, 295 Legitimationsvorsprung 44 Leistungsempfänger 297 Lenkung  115, 227, 286 Lenkungssteuern 146 Lippeverband 137 Logik, systematische  136, 141 Machtakkumulation  295, 315 – Entzug von Kompetenzen  317, 319 – Ursachen 316 Machtverteilung 295 Materielle Richtigkeit  213, 276 MDK-Reformgesetz  105, 121, 252 MDS  105, 122, 252 f. Medizinischer Dienst Bund  105 – Aufgaben 122 – Beratung 122 – Richtlinien 122 – Umstrukturierung 252 – Untergesetzliche Normsetzung  106 Medizinischer Dienst der Krankenkassen ​ 105 Medizinisch-technischer Fortschritt  292 Mindestinhalte von Satzungen  253, 270 ff. Ministerialaufsicht  59, 71 Ministerialverwaltung  59, 69 f., 118, 157, 164, 313, 318, 320 Missbrauchsgefahr 240 Misstrauen der Gesundheitspolitik  26, 236, 246, 287, 326

Misswirtschaft  278 ff. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich ​112 Nachträgliche Beanstandung  271 ff. – Ermessen 274 – Richtlinien 274 Nebentätigkeiten 238 Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden  98, 291, 318 Nikolaus-Beschluss 100 Normative Rationalität  140 Normenhierarchie  131, 318 Normenklarheit  141, 157, 183 Normenwahrheit 141 Oberste Landesbehörden  333 Öffentliche Abstimmungen  246 Opportunitätsprinzip  48, 198 Organwalter 186 OTC-Ausnahmeliste 305 OTC-Präparate 304 Outsourcing  52, 219, 279 f. Paritätische Stimmengewichtung  249 Parlamentsvorbehalt  46, 72, 319 Partnerschaftliche Kooperation  49, 65, 172 Passgenaue Aufsicht  93, 126 Patienten 297 Patientenvertreter 297 Personalaufwand 322 Petitionsrecht 64 Pflichtverletzung 328 Pharmazeutische Unternehmer  99 f., 304 Politische Selbstverwaltung  36 f. Praktische Konkordanz  161 f. Preußische Städteordnung  191 Primat der Selbstkorrektur  207 Professionalisierung der Selbstverwaltung ​ 278 ff., 309 ff., 314 – Absicherung gegen Korruption  315 – Aufbruch von Wahlsperren  314 Punktwertdegression  188 f. Qualitätssicherung 115 Quorum  239, 248 f. Rationalität  135, 143 ff., 153 ff.

Sachwortverzeichnis Rechtliche Selbstverwaltung  siehe Juristische Selbstverwaltung Rechtsaufsicht  56 ff. – Demokratische Mindestvoraussetzung ​80 – Rechtmäßigkeit 57 – Verdichtung 60 Rechtssicherheit  135, 139 f. Rechtsstaatsprinzip  44, 135, 149, 154, 163 Rechtsverordnung  155, 316 f., 320 Rechtswahrnehmungsauftrag  119, 121 Regelbeispiele  201 ff. Regelungsdrang 326 Regulierung  56, 109 f. Reichsversicherungsordnung 187 Reservefunktion 160 Ressortverantwortung 257 Richtlinien 97 Richtlinienwerk 316 Richtmaß 47 Rückholklausel 335 Rücknahme 211 Rückwirkung von Gesetzen  140 Sachleistungsprinzip 189 Satzung  277, 300 Satzungsautonomie  40, 156 – Bestimmtheit 42 Satzungsrecht  234, 236 Schiedsperson 334 Schiedsstelle 334 Schiedswesen  104, 334 – Konfliktbewältigung 104 Selbsteintritt  187 ff, 207 Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde  195, 206 Selbstverwaltung – Autonome und interessengerechte  137 – Grundrechtsrelevanz 213 – Juristische 73 – Misstrauen 270 – Schwächung 29 – Verrechtlichung 74 Selbstverwaltung als Erfolgsmodell  22 Selbstverwaltungsfreundlichkeit 169 Selbstverwaltungsgesetz 188 Selbstvornahme 271 Selbstvornahmerecht  277 ff. Selektivverträge 113 Sicherstellungsauftrag  107 ff.

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Solidargemeinschaft 38 Soll-Ist-Vergleich 46 Sonderaufsicht 58 Sonstige Beschlüsse  97 Sonstige Leistungserbringer  99, 306 Sozialgerichtsbarkeit 65 Sozialstaatsprinzip 100 Sozialversicherungs-Haushaltswesenverordnung ​232 Sozialversicherungsrecht 26 Sozialversicherungsrechtlicher Totalvorbehalt ​46 Sozialversicherungswahlen  300 f., 310 – Online-Verfahren 301 – Wahlbeteiligung 301 Spitzenorganisationen der gesetzlichen Kran­ kenversicherung  96 ff. Spitzenverband Bund der Krankenkassen ​ 117 ff. Staat-Bürger-Beziehung 163 Staatliche Mitwirkungsrechte  62 ff. – Abgrenzung zur Staatsaufsicht  62 – Genehmigungsvorbehalt 62 Staatsaufsicht – Aufsichtsmaßstab 56 – Dimensionen 33 – Kooperation und Loyalität  54 – Kooperative 213 – Modernes Verständnis  53, 125 – Nebeneinander von Kontrollen  161 – Neuordnung 264 – Qualitätsanforderungen 159 – Schutzfunktion 55 – Verantwortung 55 – Vereinfachung 330 – Verfassungsrechtlicher Bauplan  158 – Wächterfunktion 25 Strafbarkeitslücken 329 Strukturgewährleistungsaufsicht 126 Studentenwerke 133 Synergien 330 Systemgerechtigkeit  150, 152 f. Systemkongruenz 286 Systemlogik 140 Systemversagen  108, 189 Terminservice- und Versorgungsgesetz  290 Transparenz  77, 139, 240 ff.

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Sachwortverzeichnis

Überregulierung siehe Hypertrophie Überschießende Tendenz  226 Übertragener Wirkungskreis  58 Umorganisation 132 – Krankenkassen 338 Unabhängige Bewertung von Vorstandsdienst­ verträgen  241 ff. Unbestimmter Rechtsbegriff  165, 167, 215, 265, 267 Unparteiische  250, 307 Untergesetzliche Normsetzung  97, 265 – Bestimmtheit 155–157 – Delegation 155 – Grundrechtsrelevanz 99 – Vertragsrichtlinien 101 Verantwortlichkeit, parlamentarische  77 f. Verbandszweck  38, 67 Verdichtung des Fachrechts  124 Verfassungsmäßige Ordnung  130 f. – Positives Verfassungsrecht  131 – Überpositives Verfassungsrecht  131 – Verfassungsgewohnheitsrecht 131 Verfassungsrechtliche Absicherung  132 Verfassungsrechtliche Fundierung  92 Verfassungsrechtliche Garantie – Funktionale Selbstverwaltung 131, 180, 326 – Kommunale Selbstverwaltung  164, 170 Verhältnis von Selbstverwaltung und Aufsicht – Aufgaben des Gesetzgebers  123 – Ausbalancieren  90, 92, 213, 286 – Bereichsspezifisches Ausbalancieren ​133 – Einschränkungsfester Kern  124 – Funktionsbezogenheit  93 f. – Gleichgewicht  90 f., 130, 161, 180 – Komplementärverhältnis 32 – Korrelat  32, 89, 211 – Lösungsansätze 292 – Notwendige Symbiose  89 – Passgenauigkeit 95 – Qualitative Anforderungen  163 – Schicksalsgemeinschaft 90 – Spannungsverhältnis  31, 89, 179 – Terminologie 31 – Wechselseitige Beziehung  32 – Wechselseitiger Ausgleich  286 – Wechselseitiges Verhältnis  180

Verhältnismäßigkeit  49, 162, 213 – Angemessenheit 162 – Aufsichtsgesetzgebung 170 – Ausübung der Staatsaufsicht  169 – Erforderlichkeit 162 – Graduelle Abstufung  172 f. – Materielle Schranken-Schranke  168 – Regel-Ausnahme-Verhältnis  164 f. – Zweck-Mittel-Relation 162 Verhinderung von Selbstverwaltungsorganen ​ 194 Verlässlichkeit der Rechtsordnung  140 Vermögensdelikte 329 Veröffentlichungspflicht – Aufwandsentschädigungen  243 f. – Vorstandshonorar  242 f. Verordnungsermächtigung 139 Verschuldensvermutung 328 Versicherte  297 f. Versicherungsamt  59, 187 Vertrauensausschluss 247 Vertrauensschutz  157, 211 Vertretbarkeitskontrolle 269 Verwaltungsakt  206, 211, 220, 268 Verwaltungsapparat 70 Verwaltungskompetenz 337 Verwaltungsprivatisierung 52 Verwaltungsrat – Besetzung 311 Verwaltungsvereinfachungsgesetz  229, 231 Verwaltungsvollstreckung  185, 220 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, Historie  188 Vorbehalt des Gesetzes 43 ff., 77, 79, 156, 158 – Schutzfunktion 45 Vorhersehbarkeit von Gesetzgebung  141 f. Vorrang des Gesetzes  79 Vorstand  187 f. Vorstandswahl 249 Wahl  247 ff. Wählbarkeit von Selbstverwaltern  310 Wahlhandlung  81, 194, 301 Wahlsperre 313 Weisungsfreiheit 35 Weisungshierarchie 205 Weisungspyramide  59, 70, 257 Wesensmerkmale der Staatsaufsicht  46 ff.

Sachwortverzeichnis Wesentlichkeitstheorie  45, 156, 319 Wettbewerb  109 ff. – Leistungswettbewerb 112 – Preiswettbewerb 112 Wettbewerbliche Impulse  111 Wettbewerbsrecht 223 Widerruf 211 Widerspruchsfreiheit  143–145, 150, 152 – Horizontale 146 – Vertikale 145 Wirtschaftlichkeit  242, 267, 326 Wirtschaftlichkeitsgebot  114, 214

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Wirtschaftlichkeitsprüfung 120 Wirtschaftsaufsicht 56 Wissensbasis 226 Wissensgenerierung  227, 235, 310 Zulassungsausschuss 333 Zusammenfassung von Aufsichtseinheiten ​ 337 Zustimmungsvorbehalt 237 Zwangsetatisierung  214 ff. Zwangsgeld  186 f., 220 f. Zwangsmitgliedschaft 20