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German Pages 126 [152] Year 1892
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Entscheidungen des
Gber-Seeamts und der Seeämter des
:
Deutschen Reichs. Herausgegeben
im
Reichsamt des Innern.
Zehnter Band.
Best i.
Hamburg.
Druck und Verlag von £. Friederichsen & Lo. 1892.
;
Inhalt. Seite
1. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 19. October 1891, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Roma" von Hamburg............................................................................
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2. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 26. October J891, betreffend den Seeunfall der Bark „Anna" von Hamburg......................................................................................................
4
2. Spruch des Seeamts zu Brake vom 28. October 1891, betreffend den Seeunfall der Bark „Amaranth" von Brake.................................................................................................... \2 4. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 29. Gctober 1891, betreffend den Zusammenstoß des Schraubendampfers „procida" von Hamburg mit dem britischen Schraubendampfer „Athabasca"................................................................................................................................... 16
5. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 15. November 1891, betreffend den Zusammenstoß des Schraubendampfers „Neko" von Hamburg mit dem britischen Schraubendampfer „Staincliffe" ................................................................................................................................... 30 6.
Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 30. November I891, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „phrnas" von Hamburg.......................................................... 37
7. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 9. December I891, betreffend die Seeunfälle des Schraubendampfers „Brutus" von Riel 8. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom n. December 1891, betreffend den Zusammenstoß des Schraubendampfers „Berthilde" von Hamburg mit dem belgischen Fischerkutter „Arthur"................................ 46
9. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 1^. December 1891, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Ferdinand" von Riel ..................................................................... 53 10. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 7. Januar 1892, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Martha" von Riel................................................................................... 56
11. Entscheidung des Raiserlichen Ober-Seeamrs vom 21. Januar 1892, betreffend den Zusammenstoß des Schraubendampfers „Flora" von Lübeck mit der dänischen Jacht „De fire Brödre"................................................................................................... 61 12. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 22. Juni 1891 und Entscheidung des Raiserlichen Ober-Seeamts vom 22. Januar 1892, betreffend den Seeunfall der Schoonerbrigg „Seelent" von Heiligenhafen...................................................................................................... 63 13. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 16. Januar I892, betreffend den Seeunfall der Schnigge „Anna Margaretha" von Rendsburg............................................................... 69
IH.
Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom 15. Februar 1892, betreffend den Seeunfall des Vollschiffes „I. L. Pflüger" von Bremen....................................................................... 73 (Fortsetzung folgt auf der dritten Seite des Umschlags.)
1. Sprucfy des Seeamts zu Hamburg vom 19* Mctober 1891, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Roma" von Hamburg. Der Spruch des Seeamts lautet: Der Unfall, durch welchen der Schraubendampfer „Roma" ant 3. August 1891 in den English Narrows (Smyth Channel, Magelhaensstraße) total verloren gegangen ist, ist dadurch herbeigeführt, daß der Dampfer von der starken Ebbeströmung erfaßt und gegen das felsige Ufer geschleudert wurde. Es ist ernstlich zu tadeln, daß der Schiffer Blaß trotz der ihm von seiner Rhederei ertheilten stricten Anweisung, die gefährliche Passage der English Narrows nur bei Stauwasser zu passiren, es versucht hat, bei Ebbeströmung hindurchzufahren. Nach dem Unglücksfall hat Schiffer Blaß alles gethan, um die Folgen des Unfalls thunlichst abzuschwächen. Thatbestand. Die „Roma", ein im Jahre 1882 in Hamburg erbauter eiserner Schraubendampfer von ^160,1 cbm= 1^68,51 britischen Register-Tons Netto - Raumgehalt, Unterscheidungs-Signal RGLE, Eigenthum der Actiengesellschaft Hamburg-Pacific-Dampfschiffs-Linie, verließ am 2%. Juli 1891 unter Führung des Schiffers H. Blaß den Hafen von Iquique mit einer Ladung von Salpeter; das Schiff hatte einen Tiefgang von 21 Fuß 6 Zoll vorn und 21 Fuß 10 Zoll hinten. Am Abend des 2. Äugust lief dasselbe in die nördliche
Einfahrt von Smith Channel ein und fuhr nunmehr mit halber Kraft oder langsam, da der Schiffer Blaß beabsichtigte, die English Narrows am nächsten Mittag bei Stauwasser, welches am 3. August dort um 12 Uhr 15 Minuten nachmittags eintrat, zu passiren. Am Morgen des 3. August trat Nebel ein, und wurde durch diesen das Schiff um etwa 1 */» Stunden aufgehalten, sodaß es erst um 1 Uhr 15 Minuten nachmittags bei Moat Island am nördlichen Eingang der English Narrows anlangte. Trotzdem es bereits eine Stunde nach Stauwasser war, beschloß Schiffer Blaß, nach Rücksprache mit dem ersten Steuermann Bech, in die Enge einzulaufen, da es windstill X. 1
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Schranbcndampfcr Roma.
war und er keine starke Ebbeströmung bemerkte. Schiffer Blaß befand sich mit dem ersten Steuermann und dem Rudersmann Duchow auf der Eommandobrücke; der zweite Steuermann Krause stand mit dem Zimmermann Hansen auf der Back bei dem Ankergeschirr; der dritte Steuermann Lassen stand auf dem Hinterdeck, um erforderlichenfalls das Reservesteuer (Handsteuer) einzusetzen; der Matrose Petersen stand auf der Back, um wenn erforderlich den Klüver heißen zu können; die beiden Maschinisten Bauer und Schumacher, sowie das ganze Maschinenpersonal waren im Maschinenraunr anwesend. Bis zur Caution-Shoal=23oje (eine Entfernung von etwa 4'/t Seemeilen von Moat Island) fuhr man abwechselnd mit voller und halber Kraft. Ausweislich des Maschinenjournals ist von (( Uhr 55 Minuten bis 1 Uhr 45 Minuten volle Kraft, von ( Uhr 45 Minuten bis 2 Uhr halbe Kraft gefahren. Bei Caution-ShoaL=23oje wurde die Maschine auf volle Kraft gesetzt (nach dem Maschinenjournal um 2 Uhr) und das Ruder Steuerbord gelegt, um die Enge zwischen Mid Channel Island und der westlichen Küste zu passiren. Das Schiff gehorchte dem Ruder vollkomnren. Das Ruder wurde dann gestutzt, weil Schiffer Blaß fürchtete, der Insel zu nahe zu kommen. Als man aber von der Insel eben frei war, setzte eine starke Ebbeströnrung gegen den Backbordsbug und, obwohl das Ruder sofort hart Steuer bord gelegt wurde, schlug das Schiff nach Steuerbord aus. Schiffer Blaß ließ sofort den Backbordsanker fallen; derselbe faßte sofort Grund und der Bug des Schiffes drehte in Folge dessen ab. Indessen schlug das Schiff mittschiffs und mit dem Hinterende an Steuerbordseite gegen die steile Felswand, sodaß das Schiff sofort leck sprang. Der Anker wurde aufgehievt und rückwärts gegangen, wobei die Schraubenflügel an dem Felsen abbrachen. Dann wurde die RIaschine auf vorwärts gestellt und versucht, den Leck durch Unterziehen von Segeln zu dichten. Das Wasser drang aber so stark in den Maschincnraum ein, daß sehr bald die Feuer auslöschten. Das Schiff wurde durch Leinen an das östliche Ufer herangezogen, damit es nicht mitten im Fahrwasser wegsinke, und sank es dann sehr bald darauf hart am östlichen Ufer; die Mannschaft rettete sich in die Boote und wurde nach zwei Tagen von dem Dampfer „Kambyses" ausgenommen. Dem Schiffer Blaß war durch die ihm von seiner Rhederei er theilte Anweisung vorgeschrieben, die English Narrows nur bei Stauwasser d. h. nur bei hoch oder niedrig Wasser zu passiren, und waren ihm außerdem eine Reihe anderer Vorsichtsmaßregeln vor geschrieben. Schiffer Blaß hat erklärt, daß er die letztgedachten
Schraubendampfer Roma.
o
Vorsichtsmaßregeln sämmtlich befolgt habe, und er hat sein Nichtbefolgen der Anweisung zum Abwarten von Stauwasser damit entschuldigt, daß er dann hätte nahezu Stunden warten müssen; auch sei er früher schon mehrfach als Steuermann ohne Gefährdung eine Stunde nach Stauwasser durch diese Enge gefahren; endlich besage die englische Segelanweisung in den South America Pilot II pag. 197 ff. nur, daß man die Narrows nicht bei starkem Wind und bei nut laufender Tide passiren solle; zur fraglichen Zeit sei aber gar kein Wind und entgegenströmende Tide gewesen. Gründe. Der letztgedachte Entschuldigungsgrund des Schiffers Blaß ist durchaus unbeachtlich. Zwar ist es völlig richtig, daß die englische Segelanweisung das besagt, was Schiffer Blaß erklärt, aber für ihn kam es nicht auf die Befolgung der englischen Segelanweisung, sondern auf die Innehaltung der ihm von seiner Rhederei sehr be stimmt ertheilten Instruction an. Diese gebot ihm ausdrücklich, nur bei Stauwasser die English Narrows zu passiren, und sie machte ihn auf die große Gefährlichkeit der Durchfahrt, wobei die Stelle bei Mid Channel Island ausdrücklich als die „gefährlichste" bezeichnet wird, noch ausdrücklich dadurch aufmerksam, daß sie ganz ungewöhnliche Vorsichtsmaßregeln (z. B. Schließen aller Schotten, Anwesenheit des ganzen Maschinenpersonals im Maschinenraum rc.) vorschreibt, welche „stricte innezuhalten" seien. Durch den ihm ertheilten Befehl, bis zum nächsten Stauwasser zu warten, war der Schiffer Blaß auch gegen jeden Vorwurf der Rhederei geschützt, wenn er 2$ Stunden gewartet hätte, da das nächste für die Durchfahrt brauchbare Stau wasser erst nach etwa 2^ Stunden eintrat, indem die zwischenliegenden Gezeitenwechsel während der Nacht stattfanden. Wenn Schiffer Blaß erklärt, daß er auch früher schon als Steuermann bis zu einer Stunde nach Stauwaffer durch die Narrows gefahren sei und wenn dieses durch die Aussagen der Steuerleute bestätigt wird, so entschuldigt das den Schiffer durchaus nicht; vielmehr ist es besonders zu tadeln, daß eine sehr sorgfältig und sehr sachgemäß ausgearbeitete Instruction, die auf langjährigen Erfahrungen beruht, häufiger so ungenau oder gar nicht befolgt wird. Uebrigens irrt Schiffer Blaß auch darin, daß er meint, im vor liegenden Falle die gefahrvolle Stelle bei Mid Channel Island nur eine Stunde nach Hochwasser haben passiren zu wollen. Hochwasser war um \2 Uhr 15 Minuten. Das Schiff kam um 1 Uhr 15 Minuten bei Moat Island an und hatte von dort bis Mid Channel Island etwa V/4 Seemeilen zu machen. Da das Schiff in voller Kraft 9,
mit halber Kraft 6 Seemeilen in der Stunde zurücklegte und diese Strecke theils mit voller, theils mit halber Kraft fuhr und die Ebbe gegen sich hatte, so muß es bereits nach 2 Uhr gewesen sein, als das Schiff versuchte, dis Enge gegen den Ebbstrom zu passtrcn (hiermit stimmt auch das Maschinenjournal überein, welches das Eommando »stop« auf 2 Uhr 5 Minuten angiebt); es war also nahezu zwei Stunden nach Hochwasser und mußte der Ebbstrom schon stark laufen. Daß Schiffer Blaß unter solchen Umständen nicht mit halber Kraft, sondern mit voller Kraft die Enge passirte, war allerdings richtig,'weil dadurch die Steuerfähigkeit des Schiffes erhöht wurde. Dagegen war es durchaus unrichtig und hat nach Meinung des Seeamts wesentlich mit zu dem Unglücksfall beigetragen, daß Schiffer Blaß, nachdem er die Biegung um die Nordspitze von Mid Channel Island mit Steuerbordruder ausgeführt hatte, das Ruder stützen ließ, wodurch das Schiff nach der Aussage des Rudersmanns Duchow „etwas in der Drehung nachließ". Der nun um die Südspitze der kleinen Insel setzende starke Ebbstrom traf dadurch breit auf den Backbordsbug des Schiffes und schlug das Schiff trotz Hartsteuerbordruder nach Steuerbord herum, während er anderenfalls das Schiff mehr von vorn getroffen hätte, da jedenfalls das ununterbrochen Steuerbord liegen gebliebene Ruder größere Wirkung gehabt hätte. Ist dieses Stützen des Ruders somit als Fehler entschieden zu mißbilligen, so liegt der Hauptfehler des Schiffers Blaß doch immer darin, daß er direct gegen die ihm ertheilte Instruction gehandelt und dadurch den Untergang von Schiff und Ladung herbeigeführt hat. Das Seeamt muß dieses eigenmächtige instructionswidrige handeln des Schiffers Blaß ernstlich tadeln.
Nach dem Unglücksfall dagegen hat, wie anzuerkennen ist, Schiffer Blaß alles gethan, um zu versuchen, die Folgen des Unglückfalls
thunlichst abzuschwächen.
2. Spruch des Seeamts zu Hamburg Dom 26. October 1891, betreffend den Seeunfall der Bark „Anna" von Hamburg. Der Spruch des Seeamts lautet: Die Strandung der Bark „Anna" an der argentinischen Küste auf der Punkt Medano ist durch zu langes Beibehalten
Bark Anna.
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des nach Land zu führenden Turses, ohne die Vorsicht des Lothens zu beobachten, herbeigeführt. Steuermann Gramcko hätte auf feiner Wache vor der Strandung jene Vorsicht jeden falls beobachten sollen. Der Tod des Schiffers Pieper, sowie derjenige des Matrosen Hillebrand sind durch Ertrinken erfolgt in Folge des Kenterns von Schiffsbooten. Die seitens des Steuermanns Gramcko gemachten An strengungen, den Schiffer Pieper zu retten, verdienen Anerkennung. Es ist dringend nothwendig, daß die Rhedereien ihre Schiffsführer anweisen, daß die Vorschrift über das heranziehen der zweiten und dritten Steuerleute sowohl beim Gbserviren als auch beim Absetzen des Schiffsortes in der Karte stricte eingehalten werde. Thatbestand. Am (. Juli A.891 strandete die Bark „Anna" an der Dstküste Argentiniens auf dem punta Medano und wurde dort wrack. Bei den Bemühungen, das Schiff flott zu machen, ertranken der Schiffer Pieper und ein Matrose. Die „Anna", Unterscheidungs-Signal RGTH, war eine eiserne, in Kiel im Jahre 1885 erbaute, in Hamburg heimqthsberechtigte, zu 31(3,7 cbm = (099,14 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessene Bark, welche einer Partenrhederei gehörte, deren Lorrespondentrheder Lhristian Michael Matzen zu Altona war. Llassificirt war das Schiff bei dem Bureau Veritas mit der Tlaffe 4- I % L. 1. 1. A & C P. Das Tasco desselben war zu JH. 220000 versichert. Geführt wurde das Schiff vom Schiffer Peter Pieper aus Blankenese. Die Besatzung bestand im ganzen aus (8 Personen. Die „Anna" war von Liverpool nach Rio de Janeiro mit Stück gütern gesegelt, hatte dieselben dort gelöscht und sollte nun in Ballast nach Talcahuano an der Westküste Amerikas versegeln. Am (6. Juni (891 verließ die „Anna" den Hafen von Rio de Janeiro und verlief die Reise bis zum 28. Juni ohne besondere Vorfälle. Am Mittag dieses Tages ergab die astronomische Beobachtung 3^ 0 59' Süd breite und 500 25' Westlänge. Am 29. Juni konnte nur eine Breite genommen werden und am 30. Juni erhielt man überhaupt keine Observation. Am Nachmittag dieses Tages wurde die Witterung stürmisch; das Groß-Bramsegel und das Vorobermarssegel wurden festgemacht. Es lief eine grobe See, die Luft war dick von Regen. Schiffer Pieper war der Ansicht, daß der aus dem La Plata herauskommende Strom das Schiff noch weiter nach See zu versetzen würde ;
er wollte deshalb, um ruhigeres Wasser zu bekommen, unter Land aufkreuzen. Der Wind war 55(D. Die „Anna" lag SWzW an, und erwartete Schiffer Pieper mit diesem Eurse südlich von Cap Eorrientes frei zu kommen. Um 5 Uhr nachmittags kam Schiffer Pieper an Deck und blieb bis zum Abendessen oben. Nach dem Abendessen kam der erste Steuermann herauf und erkundigte sich, wo das Loth sei. Der zweite Steuermann Beckmann holte dasselbe; doch als der erste Steuermann um 8 Uhr bei Antritt seiner Wache sich anschickte, zu lothen, erklärte der wieder an Deck gekommene Schiffer Pieper, das sei nicht nöthig, denn das Schiff befinde sich noch auf tiefem Wasser. Das Wasser zeige noch keinerlei Färbung. Von \2 Uhr bis H Uhr morgens am 1. Juli hatte der zweite Steuermann Beckmann die Wache. Schiffer Pieper war während dieser Wache nicht an Deck. Es ereignete sich auf derselben auch nichts bemerkenswerthes; gegen Ende der Wache flaute der Wind indeß ab. Ilm H Uhr übergab Steuermann Beckmann die Wache dem ersten Steuermann, welcher das Schiff noch auf demselben Lurse fand. Nachdem Steuermann Gramcko sich von dem Brennen der Seitenlaternen überzeugt hatte, hielt er mit dem Nacht glas am Horizont Rundschau und erblickte nun deutlich Land in der Kimme voraus. Sofort ließ er das Ruder aufdrehen, um zu halsen, da er bei dem abflauenden Winde mit den wenigen Segeln, welche das Schiff führte, nicht über Stag gehen zu können glaubte. Das Schiff fiel auch etwas ab, der Wind kam aber plötzlich von vorn und wollte das Schiff nicht weiter fallen. Gleich danach stieß die „Anna" bereits mehrere Male auf. Inzwischen war Schiffer Pieper und die gestimmte Mannschaft an Deck gekommen; man setzte das Vorobermarssegel, holte die Großraaen lebendig, ließ die Vorraaen back stehen, setzte alle Klüver bei und holte die Klüverschoten nach Steuerbord über. Die „Anna" drehte sich auch noch von SWzW'/^W durch Süd bis SV, stand dann aber fest, da das Wasser fiel. Vormittags kamen Leute am Lande in die Nähe der Strandungs stelle, zu welchen Schiffer Pieper in einem Boote hinfuhr und sandte er nun einen Boten nach San Antonio mit einer nach Buenos Ayres bestimmten Depesche, um Schleppdampferhülfe herbeizuholen. Zwei der am Lande angetroffenen Leute kamen dann an Bord und leisteten der Mannschaft Hülfe. Man brachte zunächst einen Warpanker aus, doch brach nach vergeblichen Versuchen die Leine. Auch mit einem ausgebrachten größeren Anker hatte man keinen Erfolg. Als am 2. Juli nachmittags der Bote mit einer Depesche an der Strandungs-
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Bark Anna.
stelle wieder erschien, wurde zunächst die Gig mit
Leuten -er Besatzung
an Land gesandt; als diese jedoch der Brandung wegen nicht wieder
zurückkommen konnte, wurde derselben der erste Steuermann mit einem
zweiten Boote zu Hülfe gesandt, und stellte man mittelst einer Leine eine feste Verbindung mit dem Ufer her.
H Mann besetzte Gig an Bord holen.
An dieser sollte die mit
Durch eine schwere Brechsee
kenterte das Boot und fielen die Insassen ins Wasser. Vom Lande aus eilte der erste Steuermann denselben mit seinen Leuten sogleich zur Hülfe; drei der im Wasser treibenden Personen
wurden gerettet, der vierte, ein erst in Rio de Janeiro angemusterter
Matrose A. Hillebrand aus Middelburg in Holland, trieb nach See zu und ertrank. beerdigt.
Später wurde dessen Leiche gefunden und in Ajo
Erst nach zwei Tagen konnten die an Land befindlichen
Leute an Bord zurückkehren.
Am 5. Juli wurde der zweite Steuer
mann Beckmann über Land nach Buenos Ayres gesandt. Nachmitttags kam ein kleiner Dampfer in die Nähe, der hohen See wegen jedoch nur in Sprechweite.
Grst am 6. Juli morgens
gelang es dem Schiffer Pieper, an Bord jenes Dampfers zu fahren, welcher der „Leon" aus Buenos Ayres war.
Jener Dampfer war
indeß nicht mit den nöthigen Vorrichtungen und Ankern versehen,
um ein Abhieven der „Anna" zu bewerkstelligen.
Schiffer Pieper
kehrte daher mit dem Boot wieder nach seinen: Schiffe zurück.
das Boot nur noch
Als
ungefähr eine Schiffslänge von der „Anna"
entfernt war, kenterte dasselbe plötzlich in der Brandung. Die Insassen schwammen unter Lebensgefahr an Land, Schiffer Pieper aber erschlaffte auf halbem Wege und ließ den Kopf hängen; als Steuermann Gramcko dies von Bord aus sah, sprang er über
Bord mit einer Leine, ergriff den Schiffer, schleppte ihn in die Nähe des Schiffes, befestigte die Leine um dessen Körper und ließ ihn an
Bord holen.
An Bord wurde sogleich mit den Wiederbelebungs
versuchen begonnen und 3 Stunden lang fortgesetzt.
Dieselben hatten
indeß keinen Erfolg; Schiffer Pieper war verstorben. An: nächsten Tage wurde die Leiche in einem vom Zimmermann angefertigten Sarge in Ajo beerdigt. Bis zum 9* Juli wartete der Dampfer „Leon" in der Nähe
der Strandungsstelle; doch gelang es, einestheils des hohen Seeganges wegen, anderentheils des fehlenden Materials wegen, nicht, mit dem
selben in Verbindung zu treten.
der Dampfer wieder fort.
Nachmittags an jenem Tage fuhr
Mit Tagesanbruch am
ein orkanartiger Wind aus SSW.
U. Juli wehte
Steuermann Gramcko hoffte, mit
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Bark Anna.
dessen ^iilfe das Schiff abzubringen und ließ verschiedene Segel setzen, unter denen die „Anna" sich auch noch bis Gst herum drehte; die hohe See aus SG warf das Schiff indeß immer wieder zurück. Schließlich flogen die Segel aus den Lieken, das Rack der Vorober marsraa brach und ein Theil der Takelage kam von oben. Mit der Brandung gerieth das Schiff dann immer höher auf den Strand. An 'diesem Tage wurde das Schiff auch zuerst lech. An: s3. Juli traf der Expert einer Versicherungsgesellschaft aus Buenos Ayres ein, welcher nach näherer Besichtigung erklärte, daß das Schiff nicht abzubringen sei. Am Juli traf abermals ein Dampfer mit einem Leichter fahrzeug an der Strandungsstelle ein, mit diesem auch der Steuermann Beckmann. Nachdem der Dampfer den Zustand des Schiffes erfahren, dasselbe hatte jetzt 5 Fuß Wasser im Raunr, dampfte derselbe eben falls wieder fort. Das Schiff wurde nun von Tag zu Tag mehr leck. Bis zum 23; Juli hielt die Mannschaft noch an Bord aus und barg manches von. der Takelage; dann reiste auch sie. nach Buenos Ayres ab. Die „Anna" war vollständig wrack. Steuernrann Gramcko erblickt die Ursache der Strandmrg in der unklaren Luft am Morgen des Festgerathens, wodurch die Leitung -es Schiffes erschwert wurde; auch müsse eine starke Sirönrung von Süden her auf das Schiff eingewirkt haben, welche bei denr SüdsüdostWinde denr Schiffe um so verderblicher wurde. Marr habe sich, da
nran mehrere Tage keine astronomischen Beobachtungen habe machen können, in her Position des Schiffes geirrt mrd sich vonr Lande noch fern geglaubt, daher denn auch nicht gelothet. Steuermann Beckmann erklärte, daß er als zweiter Steuermann nie zur Vbservation und Besteckrechnung herangezogen sei; als er dies einmal von Schiffer Pieper als sein Recht gefordert habe, habe dieser ihn ausgelacht. Der Reichscommissar erklärte bei Prüfung des Beweisergebnisses, Anträge nicht stellen zu wollen; er möchte es indeß ausgesprochen sehen, daß der erste Steuermann Gramcko bei der Navigirung des Schiffes unvorsichtig und nachlässig gehandelt habe; denn da dieser selbst -as Besteck ausgerechnet und in die Karte eingetragen habe, hätte er wissen müssen, daß das Schiff sich am Abend, vor der Strandung nicht auf WO Faden Wassertiefe mehr befand, und wäre er verpflichtet gewesen, den Schiffer, als dieser ihm deshalb untersagte das Loth zu werfen, darauf aufmerksam zu machen, daß entweder
Bark Anna.
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das Besteck ganz falsch sein, oder das Schiff sich dort nicht befinden müsse, wo der Schiffer zu sein glaube.. Ferner erklärte der Reichscommissar es für dringend nothwendig, daß die Rheder ihre Schiffer anwiesen, die zweiten und dritten Steuer leute zur Navigirung heranzuziehen. Die Steuerleute seien bei Ab legung ihres Schiffer-Gxamens verpflichtet, die gemachten Beobachtungen vorzulegen; würden sie nun zur Navigirung nicht hinzugezogen, so seien ihre etwaigen selbständig gemachten Beobachtungen und Berechnungen nicht zuverlässig. Gründe. Bei der Durchsicht des Journals der Bark „Anna" ergiebt sich zunächst das Fehlen jeglicher Deviationsbestimmungen. Nach den Angaben des Steuermanns Gramcko hat Schiffer Pieper zwar derartige Bestimmungen gemacht, jedoch seine Steuerleute nie zu solchen Beobachtungen hinzugezogen. In der Regel schrieb Schiffer Pieper dieselben auf Zettel auf. Beinr verlassen des Schiffes hat Steuermann Granicko keine derartigen Aufzeichnungen vorgefunden.; Die an Bord der „Anna" vorgefundenen und dem Seeanrt vorgelegten Deviationsjournale waren nur bis zum 28. April f886 geführt worden. Außerdem ergab die Durchsicht des Journals einzelne Fehler in der Rechnung, die jedoch an und für sich die Strandung nicht herbei geführt haben, die indeß die nöthige Sorgfalt in der Navigirung vermissen lassen. Nimmt man nämlich die am 28. Juni um Mittag durch Observation bestimmte Breite und Länge als richtig an und berechnet nach den gesteuerten Tursen und Distancen für die folgenden Tage, an welchen die Observationen zum Theil ausblieben, den Ort des Schiffes, so ergiebt sich für den 29. Juni die Position des Schiffes 35" 28'Südbreite und 55° 28' IDeftlänge (die Mittagsobservation ergab 55 0 58 ' Südbreite), für den 30., an welchem Tage alle Ob servationen fehlten, 56 0 5 l ' Südbreite und 5^ 0 H5' Westlänge, während das Journal hier die Breite mit 360 \2‘ Süd aufführt. Offenbar hat man bei der Rechnung nicht die am Tage vorher durch Observation erhaltene Breite zu Grunde gelegt, sondern die durch die Besteckrechnung gefundene, welche von dieser um 50 Minuten abweicht und zwar nördlicher ist. Diese zu nördlich angenommene Breite brachte das Schiff natur gemäß dem Lande noch näher und hätte bei sorgfältiger Navigirung um so eher dazu führen sollen, Lothungen anzustellen und durch diese sich davon zu überzeugen, ob man sich der "Küste mehr nähere als rathsam erscheine. Man hätte überdies in Betracht ziehen sollen, daß das Schiff,
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Bark Anna.
welches mit Backbordshalsen der Küste zu lag, durch den stürmisch
auftretenden SSOWind leicht dem Lande mehr zugetrieben sein konnte, als man in Rechnung zog.
Da überdies die Luft trübe und regnerisch
war, somit keinen weiteren Ausblick während der Dunkelheit gestattete, so wäre die größte Vorsicht am platze gewesen^ So viel das Journal beurtheilen läßt, scheint der längs der Küste
laufende Fluth- und Ebbstrom gar nicht berücksichtigt zu sein, obwohl doch speciell in den Karten angegeben ist, daß derselbe zeitweise eine
Stärke bis zu 2,5 Seemeilen in der Stunde erreicht.
Unter einer solchen Strömung scheint auch in diesen: Falle der rechte Lurs des Schiffes gelitten zu haben, und zwar ist die „Anna",
wenn nämlich die im Journal verzeichneten (Surfe richtig gesteuert sind, um 30 Seemeilen in N J8° westlicher Richtung vertrieben worden.
Dies ergiebt sich besonders daraus, wenn man die (Surfe in die Karte
einträgt und zwar den einen, basirt auf die Observation vom 2% den anderen, gestützt auf die Besteckrechnung nach den gesteuerten (Surfen und Distancen ohne Rücksicht auf die Observation am 29. Juni. Thut man dies, dann bieten nämlich diese beiden (Surfe in ihrer
parallelen Richtung die eigenthümliche Erscheinung, daß der eine