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German Pages 323 [329] Year 2008
Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Band 25/1
Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung Teil 1
Herausgegeben von Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht
Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Herausgeber im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn: Dieter Blumenwitz †, Karl Doehring, Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn, Bernhard Kempen, Eckart Klein, Hans v. Mangoldt, Dietrich Murswiek, Dietrich Rauschning
Band 25/1
Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung Teil 1
Herausgegeben von Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Bände 1 – 19 der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht“ erschienen im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1434-8705 ISBN 978-3-428-12842-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Das Völkerrecht hat seit jeher die Heimat, aber auch das Eigentum von Privatpersonen geschützt. Sezessionen, Annexionen, Inkorporationen, Dismembrationen, Fusionen, die jeweils zur Folge hatten, dass sich die Gebietszugehörigkeit änderte oder ein Staat unterging und ein Neustaat entstand, ließen das Privateigentum unberührt. Auf völkerrechtlicher Ebene wurden Enteignungen zudem als völkerrechtswidrig gebrandmarkt, wenn sie den Fremden betrafen, also einen Nichtstaatsangehörigen oder Staatenlosen. Eine Enteignung war nur zulässig, wenn sie dem Allgemeininteresse entsprach, nicht diskriminierend wirkte und eine Entschädigung gezahlt wurde. Dem Allgemeininteresse konnte eine Enteignung nicht entsprechen, wenn sie gegen zwingendes Völkerrecht verstieß. Das war beispielsweise der Fall, wenn die Enteignung vorgenommen wurde, um eine Bevölkerung zu vertreiben, so wie es etwa am Ende des Zweiten Weltkriegs geschehen ist. Eine Diskriminierung lag vor, wenn nur eine bestimmte Volksgruppe oder Minderheit enteignet wurde, wie etwa die Deutschen und Magyaren durch die Beneš-Dekrete. Die Entschädigung schließlich hat adäquat, effektiv und prompt zu erfolgen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs ist dieser Schutz des Eigentums von Fremden häufig von den Staaten mit Füßen getreten worden. Es gibt aber eine Reihe von Beispielen, in denen deutlich wird, dass die Rückgabe enteigneten Vermögens und damit die Wiederherstellung völkerrechtsgemäßer Verhältnisse ohne große Verwerfungen möglich ist. So gibt es in Ungarn ein Gesetz, das die Alteigentümer wieder in ihr Eigentum zurückversetzte, und neuerdings auch Bestrebungen in anderen Ländern, enteignetes Privatvermögen zurückzugeben. In der Tschechoslowakei gelten allerdings noch die Beneš-Dekrete. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte man es sich in der Staatengemeinschaft zur Aufgabe, einen Menschenrechtskatalog aufzustellen. In diesen universellen Menschenrechtskatalogen, wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Menschenrechtspakt der UNO über bürgerliche und politische Rechte, fand allerdings der Schutz des Eigentums keine Aufnahme. Dies lag aber nicht an der fehlenden Einsicht in die Bedeutung des Eigentums für die Entfaltung einer Persönlichkeit, sondern an dem Widerstand sozialistischer und kommunistischer Staaten, die das Eigentum nicht für schutzwürdig hielten. Dies änderte sich jedoch auf europäischer Ebene durch die Aufnahme des Eigentumsschutzes in das Erste Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention.
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Vorwort
Das Symposium der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht im Herbst des Jahres 2006 warf Fragen des Eigentumsschutzes, der Enteignung, aber auch das brisante Thema der Wiedergutmachung auf. Diese Fragen wurden nicht nur abstrakt erörtert, vielmehr wurden auch konkrete Probleme angesprochen, die insbesondere die Enteignung deutscher Minderheiten in den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts betreffen. Es kamen dabei nicht nur deutsche Wissenschaftler, sondern auch Wissenschaftler aus den enteignenden Ländern zu Wort, die darlegen, wie in ihren Ländern die Frage offiziell rechtlich und politisch beurteilt wird, welche Ansichten zu diesen Enteignungsfragen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vorherrschen und ob sowie welche Schritte unternommen werden, um das Unrecht an Privatpersonen und juristischen Personen wieder gut zu machen. Zunächst widmet sich Gilbert Gornig grundsätzlich den Fragen des Eigentumsschutzes und der Enteignung im Völkerrecht. Hans-Detlef Horn geht dem Problem der Reichweite der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie im Kontext der Wiedergutmachung vor-rechtsstaatlichen Unrechts nach. Ob das Eigentum völkerrechtlich ein Menschenrecht ist, untersucht Kirsten Koopmann-Aleksin. Michael Silagi analysiert die Eigentumsproblematik staatlicher und nichtstaatlicher Archive. Mit Fragen der Rechtmäßigkeit der Enteignung aus diskriminierenden oder ideologischen Gründen und insbesondere ihrer Wiedergutmachung in Polen, Russland, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Rumänien beschäftigen sich Aldona Szczeponek, Alexander Salenko, Karel Klíma, Mladen Kraljiü, Judit Zeller und Dan C. Oancea. Die Herausgeber danken den Mitarbeiterinnen am Institut für öffentliches Recht der Philipps-Universität Marburg, Frau Aldona Szczeponek, LLM., und Frau Ioana Rusu, für die Betreuung des Manuskripts und die Übersetzungsarbeiten. Marburg/Freiburg, im Oktober 2007 Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek
Foreword The right to homeland, as well as the property of individuals have always been protected by public international law and secession, annexations, incorporation, dismembration and fusion which led to a change in the rule over a territory or to the disappearance of a state and the emerging of a new state, left in each case the private property unaffected. Furthermore, the expropriation of foreigners or stateless was condemned by international public law. Expropriations were only allowed if they were motivated by a public interest, were not applied in a discriminatory manner and if due compensation had been paid. An expropriation infringing against the compelling norms of international law could not be considered as motivated by a public interest. That was for example the case, in those situations in which expropriations were made in order to expel a population, like at the end of the Second World War. Discrimination was given in those situations in which only a certain group or minority was envisaged, such as the expropriations of the Germans and the Hungarians by the Beneš-decrees. The compensation paid has to be adequate, effective and prompt. The states often disregarded these principles governing the protection of the property of foreigners. However, there is a series of examples proving that the return of expropriated goods, the restoration of property and thus the re-establishment of law is possible without immense efforts. There is, for instance, a Hungarian law giving back the property to the actual owners and in other countries there are lots of efforts to restore unlawfully confiscated property. However, the Beneš-decrees still apply on the territory of the former Czechoslovakia. After the end of the Second World War, the setting up of a human rights catalogue was regarded as an obligation of the state community. However, the universal human rights catalogues, such as the general Declaration of Human Rights and the Human Rights Pact on political and civil rights of the UN did not refer to the protection of property. This was not caused by the lack of acceptance of the meaning of property for the development of the personality, but by the resistance of the socialist and communist states, which considered the property was not worth protecting. On European level this fact changed with the adoption of the first additional protocol to the European Convention of human rights. The symposium of the Study group for politics and international law dealt with questions regarding the protection of property, expropriation, but the
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Foreword
important topic of restitution as well. The subjects were dealt with not only from a theoretical point of view, but concrete aspects regarding the expropriation of the German minority in the former states of the Warsaw Pact were discussed. The discussion took place not only between German specialists, but with specialists from the concerned countries as well. The latter presented the official legal and political motivations of their home countries, the opinions on expropriation stated in the legal literature and whether and what legal steps have been taken in order to restore the property to legal and natural persons. First Gilbert Gornig held a lecture on the questions of the protection of property and the expropriation in international law. Hans Detlef Horn examined the problem of the range of the constitutional property guarantees in the context of the compensation of pre-state of law injustice. The question whether the property is a human right according to international law was examined by Kirsten Koopmann Aleksin. Michael Silagi analyzed the problem of property of national and non-governmental archives. Aldona Szczeponek, Alexander Salenko, Karel Klíma, Mladen Kraljiü, Judit Zeller and Dan C. Oancea dealt with questions of the legal standard of the expropriation for discriminating or ideological reasons and in particular the compensation in Poland, Russia, the Czech Republic, Slovenia, Hungary and Romania. The editors would like to thank the staff of the Institute for public law of the Philipps University of Marburg, Mrs. Aldona Szczeponek, LLM. and Mrs. Ioana Rusu, for revising the manuscript and for the translations.
Marburg/Freiburg, October 2007 Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek
Inhaltsverzeichnis Gilbert H. Gornig Eigentum und Enteignung im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Vertriebenen ...................................................................................................... 19 Abstract .................................................................................................................... 77
Hans-Detlef Horn Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes im völker- und europarechtlichen Kontext der Wiedergutmachung vor-rechtsstaatlichen Unrechts.............................. 79 Abstract .................................................................................................................. 105
Kirsten Koopmann-Aleksin Der Schutz des Eigentums als Menschenrecht ....................................................... 107 Abstract .................................................................................................................. 125
Michael Silagi Zur Eigentumsproblematik staatlicher und nicht-staatlicher Archive insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ............................................................ 127 Abstract .................................................................................................................. 185
Aldona Szczeponek Enteignung der Deutschen durch Polen nach dem Zweiten Weltkrieg aus polnischer und völkerrechtlicher Sicht............................................................. 187 Abstract .................................................................................................................. 216
Alexander Salenko Zu den Enteignungen durch die Sowjetunion im Kaliningrader Gebiet am Ende des Zweiten Weltkriegs ........................................................................... 217 Abstract .................................................................................................................. 221
Inhaltsverzeichnis
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Karel Klíma Die verfassungsrechtliche Natur der Dekrete des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik ............................................................................................ 223 Abstract .................................................................................................................. 228
Mladen Kraljiü Die Entschädigung der deutschen Vertriebenen durch den slowenischen Staat ..... 229 Abstract .................................................................................................................. 252
Judit Zeller Das Entschädigungsgesetz Ungarns unter besonderer Berücksichtigung der Donauschwaben................................................................................................ 255 Abstract .................................................................................................................. 269
Dan C. Oancea Gesetzliche Vorschriften in Rumänien nach 1989 über die Entschädigung Enteigneter unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Minderheiten ....... 271 Abstract .................................................................................................................. 306
Die Autoren ................................................................................................................. 309 Personenregister .......................................................................................................... 317 Sachregister ................................................................................................................. 319
Table of Contents Gilbert H. Gornig Property and Expropriation in International Law with special Consideration of the Refugees......................................................................................................... 19 Abstract .................................................................................................................... 77
Hans-Detlef Horn The Constitutional Protection of Property in the Context of the Compensation of Former Unlawful Expropriations. Aspects of International Public and European Law........................................................................................................... 79 Abstract .................................................................................................................. 105
Kirsten Koopmann-Aleksin The Protection of Property as a Human Right........................................................ 107 Abstract .................................................................................................................. 125
Michael Silagi The Property of National and Non-Governmental Archives after the Second World War.............................................................................................................. 127 Abstract .................................................................................................................. 185
Aldona Szczeponek The Expropriation of the Germans by Poland after the Second World War from a Polish and International-Law Point of View ............................................... 187 Abstract .................................................................................................................. 216
Table of Contents
12 Alexander Salenko
On the Expropriations by the Soviet Union in the Kaliningrad Area at the End of the Second World War ....................................................................................... 217 Abstract .................................................................................................................. 221
Karel Klíma The Constitutional Nature of the Decrees of the President of the Czechoslovakian Republic ........................................................................................................ 223 Abstract .................................................................................................................. 228
Mladen Kraljiü The Compensation of the German Refugees by the Slovenian State...................... 229 Abstract .................................................................................................................. 252
Judit Zeller The Compensation Law of Hungary with Special Consideration of the Danube Svabs ......................................................................................................... 255 Abstract .................................................................................................................. 269
Dan C. Oancea Romanian Laws after 1989 on the Compensation of Expropriations, with Special Consideration of the National Minorities................................................... 271 Abstract .................................................................................................................. 306
The Authors................................................................................................................. 309 List of Names .............................................................................................................. 317 Index............................................................................................................................ 319
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
A
Dokument der UN-Generalversammlung
a. A.
anderer Ansicht
ABl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
Abt.
Abteilung
AdG
Archiv der Gegenwart
AJIL
American Journal of International Law
AMRE
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
ArchVR
Archiv für Völkerrecht
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv für Völkerrecht
AWR
Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem
Az.
Aktenzeichen
BarchG
Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) vom 06.01.1988
BB
Betriebsberater
BBl.
Bundesblatt
Bd.
Band
BDGVR
Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGE
Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, amtliche Sammlung
14
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des BGH in Zivilsachen
BT
Bundestag
BT-Drs.
Bundestags-Drucksache
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen Sammlung
BVerfGG
Bundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, amtliche Sammlung
BYIL
British Yearbook of International Law
bzw.
beziehungsweise
CSFR
Tschechoslowakische Republik
d. h.
das heißt
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DM
Deutsche Mark
Doc.
Document
DVBl.
Deutsche Verwaltungsblätter
EALG
Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage vom 27.09.1994
ebda.
Ebenda
ed.
editor/edition
EG
Europäische Gemeinschaft
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EPIL
Encyclopedia of Public International Law
ETS
European Treaty Series
EU
Europäische Union
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
des
Bundesverfassungsgerichts,
amtliche
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
15
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EV
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31.08.1990
f. (ff.)
folgende
FDJ
Freie Deutsche Jugend
Fn.
Fußnote
FP
Fakultativprotokoll
FS
Festschrift
GG
Grundgesetz
GUS
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
HLKO
Haager Landkriegsordnung
HRLJ
Human Rights Law Journal
Hrsg.
Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
HStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
i.V.m.
in Verbindung mit
ICA
International Council on Archives (Internationaler Archivrat)
ICJ
International Court of Justice
IDI
Institut de Droit International
IFLA
Informationsdienst für Lastenausgleich, BVFG und anderes Kriegsfolgenrecht, Vermögensrückgabe und Entschädigung nach dem Einigungsvertrag
IGH
Internationaler Gerichtshof
IKRK
Internationales Komitee vom Roten Kreuz
ILA
International Law Association
ILC
International Law Commission
ILM
International Legal Materials
ILR
International Law Reports
IPBPR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
IRRC
International Review of the Red Cross
16
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
IStGH
Internationaler Strafgerichtshof
JöR
Jahrbuch für öffentliches Recht der Gegenwart
JOR
Jahrbuch für Ostrecht
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KSZE
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
LG
Landgericht
lit.
litera
LNTS
League of Nations Treaty Series
NATO
North Atlantic Treaty Organization
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
No.
Number/numéro
Nr.
Nummer
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OLG
Oberlandesgericht
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
OVG
Oberverwaltungsgericht
ÖZöR
Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
PCIJ
Publications of the Permanent Court of International Justice
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
RdC
Recueil des Cours
Rdnr.
Randnummer
Res.
Resolution
RESC
Revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RGW
Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe
RIAA
Reports of International Arbitral Awards
ROW
Recht in Ost und West
Rs.
Rechtssache
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
17
S.
Seite
s.
siehe
SBZ
Sowjetisch Besetzte Zone
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Sér.
Séries
Slg.
Sammlung
SPÖ
Sozialdemokratische Partei Österreichs
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
UdSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UN
United Nations
UNESCO
United Nations Education, Scientific and Cultural Organization
UNIDROIT
International Institute for the Unification of Private Law
UNO
United Nations Organization
UNTS
United Nations Treaty Series
US
United States
usw.
und so weiter
v.
versus
VBS
Satzung des Völkerbunds
VermG
Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) vom 02.12.1994
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
vol.
volume
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
WVK (WVRK)
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
z. B.
zum Beispiel
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
18
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
ZGB
Zivilgesetzbuch
Ziff.
Ziffer
ZöffR
Zeitschrift für öffentliches Recht
ZP
Zusatzprotokoll
ZPO
Zivilprozessordnung
ZVölkR
Zeitschrift für Völkerrecht
Eigentum und Enteignung im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Vertriebenen Von Gilbert H. Gornig
A. Einführung Rund 12 Millionen Deutsche, also etwa ein Fünftel der damaligen deutschen Bevölkerung, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat im Osten vertrieben, die meisten von ihnen im Jahre 1946, also genau vor 60 Jahren. Sie verloren Heimat und Eigentum, etwa 2 Millionen Menschen sogar ihr Leben. Sie starben an Hunger und Krankheit, erfroren oder wurden ermordet. Das Ausmaß der Vertreibung hatte unvorstellbare Dimensionen. Was vor 60 Jahren geschah war einer der tiefsten Einschnitte in der deutschen Geschichte. Wir wollen dabei aber nicht vergessen, dass es der Nationalsozialismus war, der einen barbarischen Krieg begann und durch Mord und Vertreibungen die Landkarte Mittel- und Osteuropas neu ordnen wollte. Hier liegt auch die Ursache für das Schicksal der heimatvertriebenen Deutschen. Nur wer daran erinnert, wer Ursache und Wirkung klar benennt, der ist imstande, die Hand zur Versöhnung zu reichen und einen wichtigen Beitrag zur Einheit Europas zu leisten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg zwangen kriegerische Konflikte 1 , aber auch Armut und ökologische Zerstörung Millionen von Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Das vergangene Jahrhundert ging daher als Jahrhundert der Vertreibung in die Geschichte ein. Nun haben wir ein neues Jahrhundert, ja sogar ein neues Jahrtausend, und müssen darauf achten, dass derartige Verbrechen, die auch als Völkermord qualifiziert werden können, nicht mehr vorkommen. Vertreibungen verursachen unsägliches Leid, wer Menschen ihre Heimat nimmt, der will sie ihrer Identität und Kultur berauben. Mittlerweile gehören die meisten Herkunftsgebiete der deutschen Heimatvertriebenen mit Ausnahme von Königsberg (Kaliningrad) zur Europäischen ___________ 1 Die Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der 90er Jahre, die auch als „ethnische Säuberungen“ bekannt wurden, haben das Thema immer wieder in den Mittelpunkt der Debatten gerückt. Vgl. Gornig, Gilbert, „Ethnische Säuberungen“. Recht auf die Heimat und die Verantwortlichkeit der Vertreiber, in: AWR-Bulletin 2000, Heft 1, S. 19 ff.
20
Gilbert H. Gornig
Union. Die Partnerschaft in Europa erlaubt uns trotz mancher Widerstände offen über Fragen zu sprechen, die unsere gemeinsame und oft auch leidvolle Geschichte betreffen. Nicht die Völkerrechtswidrigkeit der Vertreibung steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sie ist längst unumstritten 2 , sondern der Entzug des Eigentums und seine Wiedergutmachung, der eine in der Regel auch gewünschte Folge der Vertreibung ist. Hierbei ist zwischen möglichen Ansprüchen des Staates (B.I) und ihrer Durchsetzung (B.II) sowie möglichen Ansprüchen von Privatpersonen (C.I) und ihrer Durchsetzung (C.II) zu unterscheiden. Der Staat als Völkerrechtssubjekt kann auf völkerrechtlicher Ebene Ansprüche seiner Staatsangehörigen geltend machen, der enteignete Fremde als Rechtsubjekt des Privatrechts kann zivilrechtliche Ansprüche gegen den Besitzer auf Herausgabe des Eigentums im enteignenden Staat und seinen Heimatstaat und unter Umständen öffentlichrechtliche Ansprüche gegen seinen Heimatstaat geltend machen. Er kann sich aber auch auf internationaler Ebene auf den Schutz seines Eigentums berufen.
B. Völkerrechtliche Ansprüche I. Materielles Recht 1. Völkerrechtliches Fremdenrecht Da von den Enteignungen am Ende des Zweiten Weltkriegs in erster Linie Fremde betroffen sind, ist das völkerrechtliche Fremdenrecht als Maßstab heranzuziehen. Dieses ist in multilateralen Verträgen mit weltweiter oder regionaler Verbreitung, in bilateralen Verträgen wie Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen, Kapital- und Investitionsschutzabkommen sowie im Völkergewohnheitsrecht und in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen verankert.
___________ 2 Vgl. z. B. m.w.N.: Gornig, Gilbert, Rechtliche Würdigung von Vertreibung und Enteignung – dargestellt am Schicksal der Donauschwaben Jugoslawiens, in: AWRBulletin 1991, Heft 2, S. 72 ff.; ders., Völkerrechtswidrigkeit von Vertreibung und entschädigungsloser Enteignung unter besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen. Aspekte der Wiedergutmachung, in: Literaturspiegel 1996, S. 1 ff.; ders., Völkerrechtswidrigkeit von Vertreibung und entschädigungsloser Enteignung der Sudetendeutschen, in: Deutschland und seine Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Heft 16, Mai 1996, S. 1 ff.; ders., Das Recht auf die Heimat. Auch ein Beitrag zu Vertreibung und Enteignung im Völkerrecht, in: IFLA. Informationsdienst für Lastenausgleich, BVFG und anderes Kriegsfolgenrecht, Vermögensrückgabe und Entschädigung nach dem Einigungsvertrag 1997, Nr. 11, S. 121 ff.
Eigentum und Enteignung im Völkerrecht
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a) Begriff des Fremden Grundsätzlich besitzen die Staaten volle Herrschaftsgewalt nur über ihre eigenen Staatsangehörigen, und zwar dann, wenn sie sich in ihrem Staatsgebiet befinden. Personen, die nicht ihre Staatsangehörigkeit besitzen, sind in der Regel nicht ihrer Herrschaftsgewalt unterworfen. In einer Reihe von Fällen gewährt aber das Völkerrecht den Staaten in gewissem Umfang Rechte und Pflichten auch gegenüber Fremden, insbesondere gegenüber Fremden, die sich auf ihrem Staatsgebiet befinden, Fremden, die ihre sog. Protegés oder de facto-Untertanen sind, Fremden, die gegenüber ihrem Wohnsitzstaat einen völkerrechtlichen Schutz durch Minderheitenrechte oder durch Menschenrechte genießen, soweit ein anderer Staat dadurch ein völkerrechtliches Einwirkungsrecht zu ihren Gunsten gegenüber dem Wohnsitzstaat erworben hat, Fremden im Kriegsfall, sei es gegenüber Angehörigen eines feindlichen oder neutralen Staates auf Hoher See (Blockaderecht, Prisenrecht), sei es gegenüber Angehörigen eines feindlichen Staates auf dessen Staatsgebiet (kriegerische Besetzung) oder im eigenen Gewahrsam (Kriegsgefangene). Zu unterscheiden sind Fremde, die die Angehörigen eines anderen Staates sind (Ausländer), und Fremde, die keinem anderen Staat angehören (Staatenlose). Zu unterscheiden sind ferner Fremde, die sich auf einem Staatsgebiet dauernd niedergelassen haben, und Fremde, die das Land nur vorübergehend als Reisende besuchen. Die Rechtsstellung der dauernd niedergelassenen Fremden ist schwieriger zu erlangen als die eines bloßen Besuchers, Einwanderervisen sind schwieriger zu beschaffen als Besuchervisen. Der dauernd niedergelassene Fremde genießt in der Regel mehr Rechte als der bloße Besucher. Er ist häufig in vielen Beziehungen dem Inländer gleich gestellt, hat dafür aber auch mehr Pflichten als der sonstige Fremde zu erfüllen. Schließlich sind einfache Fremde und privilegierte Fremde zu unterscheiden. Zu den bevorrechtigten Fremden gehören beispielsweise Angehörige von EG-Staaten, Diplomaten, Flüchtlinge und Asylberechtigte. Schließlich sind feindliche und befreundete Fremde voneinander zu unterscheiden. Diese Differenzierung ist im Kriegsfall von besonderer Bedeutung, allerdings nur im Verhältnis zwischen kriegführenden Staaten unter sich, nie im Verhältnis von kriegführenden zu neutralen Staaten.
Gilbert H. Gornig
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b) Rechtliche Stellung der Fremden im Aufenthaltsstaat aa) Allgemein Der Staat kann Fremde nach Belieben von seinem Gebiet fernhalten, sie also abweisen, er kann Fremde von seinem Staatsgebiet bei Vorliegen sachgerechter Gründe, entfernen, sie also ausweisen. 3 Im Falle des Aufenthalts gilt die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates auch für Fremde, wobei bestimmten Personen wie Diplomaten und Angehörigen der Streitkräfte, aber auch Staatsgästen die Vorteile einer persönlichen Immunität zugute kommen. Fremde genießen zudem einen völkerrechtlichen Status. Das innerstaatliche Fremdenrecht kann faktisch diesem Status gerecht werden, über ihn hinausgehen oder hinter ihm zurückbleiben. Ob die Behandlung des Fremden rechtmäßig im Sinne des Völkerrechts ist, wird ausschließlich vom Völkerrecht bestimmt, da es das interne Recht auf seine Rechtmäßigkeit hin kontrolliert. Das interne Recht spielt dem Völkerrecht gegenüber die Rolle einer rechtlich zu beurteilenden Tatsache. Der Staat hat somit das völkerrechtliche Fremdenrecht zu respektieren.
bb) Theorie vom internationalen Mindeststandard und von der Inländerbehandlung (1) Internationaler Mindeststandard Die in Wissenschaft und Praxis heute überwiegend akzeptierten Regeln sind der Theorie vom internationalen Mindeststandard entlehnt. 4 Sie entsprach der Position, die die westlichen Industriestaaten den lateinamerikanischen Staaten und später den Staaten der Dritten Welt entgegenhielten, um den Risiken der Inländergleichbehandlung entgegenzuwirken. Nach dieser Theorie ist die Inländerbehandlung nicht grundsätzlich verboten, sondern nur dann, wenn die für die Inländer geltende Rechtsordnung nicht einem internationalen Mindeststandard entspricht. Der völkerrechtliche Mindeststandard bedarf der Präzisierung. Er umfasst das Recht auf Rechtsfähigkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Gewissensfreiheit, das Recht, den innerstaatlichen Rechtsweg zu beschreiten, das Recht, vor willkürlichen Verhaftungen geschützt zu sein, ___________ 3 4
Vgl. Gornig, Gilbert, Das Refoulement-Verbot im Völkerrecht, 1987, S. 2 ff. Vgl. Harry Roberts (U.S.A.) v. United Mexican States, in: RIAA, vol. IV, S. 80.
Eigentum und Enteignung im Völkerrecht
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die Gleichheit vor dem Gesetz sowie das Recht auf Eigentum und den Schutz von Eigentum, insgesamt also die Respektierung des Schutzes der Menschenwürde. Mangels besonderer vertraglicher Regelung 5 ist der Aufenthaltstaat aber nicht verpflichtet, Fremden die freie berufliche oder gewerbliche Betätigung zu gestatten. Er ist daher berechtigt, im Falle der Erlaubnis, diese von Bedingungen abhängig zu machen. Der Aufenthaltsstaat ist nicht verpflichtet, Fremden spezifisch politische Rechte zu gewährleisten, insbesondere das aktive und passive Wahlrecht, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern. Ferner kann der Aufenthaltsstaat den Fremden auch jede politische Betätigung untersagen. Er ist also nicht verpflichtet, ihnen uneingeschränkt das Recht der freien Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht, das Vereinsrecht und ähnliche Rechte zu gewährleisten. 6 Nach Art. 16 EMRK darf keine der Bestimmungen der Meinungsäußerungsfreiheit und der Informationsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Vereinsfreiheit sowie des Verbots der Diskriminierung so ausgelegt werden, dass sie den Vertragsparteien es verbieten würde, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen. Soweit sich Staaten auf internationaler Ebene zur Respektierung internationaler, universeller oder regionaler Menschenrechtspakte verpflichtet haben, haben sie sich auch zur Respektierung des internationalen Menschenrechtsstandards gegenüber Fremden verpflichtet. Allerdings ist die internationale Eigentumsgarantie noch nicht im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthalten. So kann etwa dem Fremden der Erwerb von Grundstücken verboten werden. Da es sich bei dem internationalen Standard um einen Minimumstandard handelt, ist eine ihn übertreffende Inländerbehandlung völkerrechtlich immer zulässig, wenngleich außerhalb einschlägiger vertraglicher Vereinbarungen kein völkerrechtlicher Anspruch auf sie besteht, während die hinter ihm zurückbleibende Inländerbehandlung der Fremden völkerrechtlich unzulässig ist. Somit kann sich kein Staat mit dem Argument exkulpieren, er behandele seine Inländer nicht anders. In den Fällen, in denen der internationale Mindeststandard niedriger ist als die landesrechtlichen Verbürgungen gegenüber eigenen Staatsangehörigen, kann eine Gleichstellung der Fremden mit den Inländern in völkerrechtlichen Verträgen auf der Basis der Gegenseitigkeit verwirklicht werden. Ist der internationale Mindeststandard höher als die landesrechtlichen Verbürgungen, besteht eine Inländerdiskriminierung. In einem Land kann auf einem Sachgebiet eine den internationalen Standard übertreffende, auf einem anderen Sachgebiet eine hinter dem internationalen ___________ 5 6
Vgl. hier etwa die Bestimmungen des EG-Vertrages. Vgl. hierzu die in Art. 19, 21 und 22 IPbürgR vorgesehenen Einschränkungen.
Gilbert H. Gornig
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Standard zurückbleibende Inländerregelung bestehen. Dies hat zur Folge, dass man sich vor Generalisierungen zu hüten und jeden einzelnen Fall nach allen Aspekten zu überprüfen hat. Ein Staat darf im Allgemeinen auch bei der Gewährung einer über den Minimumstandard hinausgehenden Inländerbehandlung nicht zwischen den Angehörigen verschiedener Staaten differenzieren, da er damit das Prinzip der Gleichbehandlung der Staaten verletzen würde, es sei denn, dass er in Folge konkreter Verträge mit bestimmten Staaten zu einer Besserbehandlung verpflichtet oder kraft Repressalienrechts zur Diskriminierung berechtigt wäre. Ausländer im Inland sind nämlich, im Gegensatz etwa zu Kriegsgefangenen, denen gegenüber Repressalien 7 verboten sind 8 , legitimer Adressat von Repressalien, wegen ihrer leichten Erreichbarkeit sogar ein besonders beliebter Adressat von Repressalien. Im Rahmen einer Repressalie kann der Staat dann in den den Minimumstandard übertreffenden Status der Fremden eingreifen, aber auch in einzelne Rechte des Minimumstandards, rechtfertigt doch die Repressalie ein ansonsten rechtswidriges Handeln.
(2) Inländerbehandlung Die Theorie der Inländerbehandlung ist im lateinamerikanischen Bereich entwickelt worden. Ihr entspricht die Calvo-Doktrin 9 . Die Theorie der Inländerbehandlung hat zur Folge, dass der Staat dem Fremden die gleiche Behandlung wie seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt. Diese Theorie kann dem international vorgeschriebenen Mindeststandard gleichkommen, sie kann ihn übertreffen, aber sie kann auch hinter ihm zurück bleiben. Die Theorie von der Inländerbehandlung hat sich jedoch im Völkergewohnheitsrecht nicht durchsetzen können.
cc) Insbesondere: Verbot der entschädigungslosen Enteignung Fremder (1) Allgemein Auch in Bezug auf das Vermögen von Fremden gelten die Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, nach denen die gegenüber Fremden bestehende ___________ 7
Dazu vgl. ausführlicher unten B.I.2.a.cc.(2)(d). Vgl. Art. 13 des Dritten Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1949, Text: BGBl. 1954 II, S. 838 ff. 9 Aufgrund der „Calvo-Doktrin“ wurden ein völkerrechtlicher Mindeststandard bei der Behandlung von ausländischen Investoren sowie völkerrechtliche Methoden der Streitbeilegung zwischen Investoren und Gaststaaten und das diplomatische Schutzrecht der Heimatstaaten abgelehnt. Dadurch entstand ein wesentliches Rechtsschutzdefizit für ausländische Investoren. 8
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völkerrechtliche Verpflichtung nicht allein durch eine Gleichbehandlung mit Inländern erfüllt werden kann, sondern darüber hinaus die Beachtung eines internationalen Mindeststandards 10 erforderlich ist. 11 Ein prinzipielles Verbot der Enteignung von Ausländern besteht nicht. 12
(2) Begriff des Eigentums Vor der Diskussion der Voraussetzungen der Enteignung hat man sich über den Eigentumsbegriff Klarheit zu verschaffen. Das völkerrechtliche Schrifttum geht vom Fehlen eines eigenständigen völkerrechtlichen Eigentumsbegriffs aus 13 . Erst wenn feststeht, ob das in Frage stehende Recht unter diesen Begriff subsumiert werden kann, stellt sich als weitere Frage, ob der vom Staat vorgenommene Eingriff in dieses Recht auch als Enteignung zu werten ist. Zunächst ist zu klären, ob der Begriff „Eigentum“ im Völkerrecht überhaupt eine Rolle spielt. Bedenken bestehen, weil das Völkerrecht – sieht man einmal vom Fremdenrecht und von den Menschenrechten ab – keinen umfassenden Bezug zum innerstaatlichen Eigentumsrecht aufweist; Fragen nach der Zulässigkeit des Erwerbs bestimmter Arten des Eigentums sowie Vorschriften über den Erwerb von Eigentum liegen außerhalb des Regelungsbereichs dieser Rechtsordnung. Gleichwohl gibt es Normen, die auf das Eigentum Bezug neh___________ 10 Vgl. hierzu Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 1213, S. 802. 11 Berber, Friedrich, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1975, S. 425; Verdross/Simma (Anm. 10), § 1213 ff., S. 801 f. 12 Gloria, Christian, in: Ipsen, Knut, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 43, Rdnr. 14 ff. 13 Vgl. Lillich, Richard B./Weston, Burns H., International Claims: Their Settlement by Lump Sum Agreements, Bd. 1 (1975), S. 180; Lord McNair, Arnold D., The General Principles of Law Recognized by Civilized Nations, in: BYIL, vol. 33 (1975), S. 1; Wilson, Robert, United States Commercial Treaties and International Law, 1960, S. 98; Benton, S. Anthony, The Protection of Property Rights in Commercial Treaties of the United States, in: ZaöRV, Bd. 25 (1965), S. 50; Foighel, Isi, Nationalization and Compensation, 1964, S. 48; Böckstiegel, Karl-H., Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Eigentumsentziehung, 1963, S. 22; Veith, Werner/Böckstiegel, KarlH., Der Schutz von ausländischem Vermögen im Völkerrecht, 1962, S. 202 ff.; White, Gillian, Nationalisation of Foreign Property, 1961, S. 48; Verdross, Alfred, Economic Development Agreements, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 9 (1959), S. 449; Cheng, Bin, The Rationale of Compensation for Expropriation, in: Transactions of the Grotius Society, Bd. 44 (1958/59), S. 267 ff. (280); Dahm, Georg, Völkerrecht, Bd. 1, 1958, S. 518 ff.; Bindschedler, Rudolf L., Verstaatlichungsmaßnahmen und Entschädigungspflicht nach Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Praxis über den Schutz schweizerischer Vermögenswerte im Ausland, 1950, S. 27; Guggenheim, Paul, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1 (1948), S. 300; Herz, John H., Expropriation of Foreign Property, in: AJIL, vol. 35 (1941), S. 243; vgl. auch Lindemeyer, Bernd, Schiffsembargo und Handelsembargo. Völkerrechtliche Praxis und Zulässigkeit, 1975, S. 434.
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men. Art. 46 der Haager Konvention über das Landkriegsrecht etwa lautet 14 : “Family honors and rights, individual lives and private property, as well as religious conventions and liberty, must be respected. Private property cannot be confiscated”. Ferner wurde die Formel “property, rights and interests” in vielen Verträgen verwendet, die zur Regelung von Vermögensansprüchen geschlossen wurden. 15 Investitionsschutzverträge verwenden zur allgemeinen Beschreibung des vertraglichen Schutzobjektes nicht den Begriff des Eigentums, sondern den der Investitionen 16 . Art. 31 Abs. 4 S. 1 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen lautet: “The consular premises, their furnishings, the property of the consular post and its means of transport shall be immune from any form of requisition for purposes of national defence or public utility”. 17 Der Eigentumsbegriff ist also durchaus im Völkervertragsrecht verbreitet, er wird allerdings nicht näher umschrieben. Da auch das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht den Begriff nicht definiert, liegt es nahe, den völkerrechtlichen Eigentumsbegriff mit Hilfe der von den ___________ 14
Vgl. dazu Dolzer, Rudolf, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, S. 160. 15 In den modernen Friedensverträgen findet sich der Eigentumsbegriff im Versailler Vertrag. Abschnitt IV (Art. 297-298) des Vertrags trägt die Überschrift “Property, Rights and Interests”; Art. 297 wird eingeleitet mit der Formulierung: “The question of private property, rights and interests in an enemy country shall be settled according to the principles laid down in this Section and in the provisions of the Annex hereto ... ”. Vgl. etwa Art. 1 des US-amerikanisch-tschechoslowakischen Abkommens vom 29.01.1982, “Agreement between the Government of the United States of America and the Government of the Czechoslovak Socialist Republic on the Settlement of Certain Outstanding Claims and Financial Issues”, abgedruckt in: ILM, Bd. 21 (1982), S. 371: “(1) All claims of the Government of the United States or nationals of the United States against the Czechoslovak Government based upon measures of nationalization, expropriation, dispossession, or other restrictive measures involving takings of their properties, rights, and interests, or any other property, which arose prior to the date of entry into force of this Agreement …”. Im Parallelabkommen des Vereinigten Königreichs mit der Tschechoslowakei vom 29.04.1982 (Cmnd. 8557) heißt es in Art. 2: “The claims settled by the Czechoslovak Government under Article 1 are: (1) all claims, arising prior to the date of entry into force of this Agreement, of the Government of the United Kingdom, United Kingdom nationals, and also individuals, have been subjected to special measures in consequence of the Enemy Occupation of Czechoslovakia, where: either a) the claim is based upon Czechoslovak measures of nationalization, expropriation or dispossession or other restrictive measures affecting their properties, rights or interests;…”. Vgl. auch Lillich/Weston (Anm. 13), S. 179. 16 Vgl. zum Verhältnis vom Eigentumsbegriff zum Investitionsbegriff Frick, Helmut, Bilateraler Investitionsschutz in Entwicklungsländern. Ein Vergleich der Vertragssysteme der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 111; Beyer, Sigurd, Der diplomatische Schutz der Aktionäre im Völkerrecht, 1977, S. 164 ff. 17 Da die konsularischen Gebäude dem Hoheitsrecht des Empfangsstaates unterliegen, dürfte der Begriff wohl auf das nationale Recht des Empfangsstaates Bezug nehmen; vgl. Dolzer (Anm. 14), S. 161.
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Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu erarbeiten, die nach Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut gleichfalls – wenn auch subsidiär – Quellen des Völkerrechts sind. Ein Rechtsvergleich erweist, dass der Eigentumsbegriff in den hoch entwickelten Rechtsordnungen in gleicher Weise verstanden wird: Er umfasst alle vermögenswerten Rechte Privater. Ob Ansprüche gegen den Staat ebenfalls unter den Begriff fallen, bedarf jeweils einer besonderen Prüfung. 18 Wer auf der Grundlage des Art. 1 Erstes Zusatzprotokoll einen Eingriff in sein Eigentum rügt, muss darlegen, dass ein solches Recht noch besteht. Die Europäische Kommission für Menschenrechte entschied in ständiger Rechtsprechung 19 , es müsse eine “existing possession” gegeben sein, um das Vorhandensein von Eigentum bejahen zu können, also die berechtigte Hoffnung, dieses wieder zu erlangen. 20 Die bloße Hoffnung darauf, dass das Weiterbestehen eines früheren Eigentumsrechts, das über einen langen Zeitraum nicht wirksam habe ausgeübt werden können, anerkannt werde, sei nicht als Eigentum i. S. d. Ersten Zusatzprotokolls anzusehen. 21 So könne das von den Vertriebenen geltend gemachte Eigentum infolge der Enteignung durch die Vertreiberstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg nach 30 Jahren nicht mehr effektiv ausgeübt werden. Eine adäquate Kausalität zwischen dem mit der Beschwerde angegriffenen Akt – damals die Ratifikation der Ostverträge durch die Bundesrepublik Deutschland – und dem Verlust des beanspruchten Rechts sei deshalb nicht nachweisbar. Forderungen seien nur dann „Eigentum“ i. S. d. Art. 1 Erstes Zusatzprotokoll, wenn der Beschwerdeführer vorbringen könne, er habe zumindest eine „berechtigte Hoffnung“, dass sie sich realisieren ließen. Maßgeblich ist damit letztlich die Rechtsauffassung des das Eigentum beeinträchtigenden Staates über die Frage des Fortbestands des Eigentums 22 . In den nordzypriotischen Vertreibungsfällen hingegen ging der Europäische Gerichtshof von unberührt fortbestehendem Eigentum der Betroffenen aus und ___________ 18
Dolzer (Anm. 14), S. 170. Vgl. Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission vom 10.07.1975, E 6742/74, DR 3, S. 98; vom 04.10.1977, E 7655/76, 7656/76, 7657/76 DR 12, 111 und vom 04.03.1996, E 19048/91, 19049/91, 19342/92, 19549/92, in: EuGRZ 1996, S. 386. 20 Wer einen Eingriff in sein Eigentum rüge, müsse dartun, dass ein solches Recht existiere, Entscheidung vom 14.10.1976 D 7694/76 DR 12, S. 131. 21 Entscheidungen vom 04.10.1977, E 7655/76; 7657/76, DR 12, S. 111. 22 So aber die Kommission (Fn. 20), S. 12: “It appears that in the German legal order these expropriations were being considered as legally valid even before the conclusion of the conclusion of the Unification Treaty”. Die Kommission übernahm hier ungeprüft die Behauptung der Bundesregierung, “under German international expropriation law, the taking of property carried out by another State is always to be considered effective if the State concerned has remained within its powers, i. e. within its territorial sovereignty.” 19
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bestätigte seine Gerichtsbarkeit sowohl ratione temporis als auch ratione personae. Obwohl die Beschwerdeführerin im Loizidou-Fall 23 ihr im Nordteil der Insel belegenes Grundvermögen seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr nutzen oder veräußern und faktisch ihre Stellung als Eigentümerin bereits eingebüsst hatte, als die Türkei dem Ersten Zusatzprotokoll beitrat und sich in Bezug auf Individualbeschwerden der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterwarf 24 , bekam sie ihr Eigentum zurück. Der Gerichtshof konzentrierte sich dabei auf die Frage des Eigentumsentzugs gemäß Art. 159 der Verfassung der Türkischen Republik Nordzypern und ließ dessen Rechtswirksamkeit an der gegenüber der Republik international verfolgten Nichtanerkennungspolitik scheitern. Damit fehlte es nach der Überzeugung des Gerichtshofs an einer wirksamen Enteignung. Die Vorenthaltung des Vertriebeneneigentums durch die türkisch/nordzypriotische Seite erscheint demgemäß als eine fortlaufende Eigentumsverletzung, die seit dem türkischen Beitritt zum Ersten Zusatzprotokoll und zum Individualbeschwerdeverfahren der Jurisdiktion des Gerichtshofs unterliegt. Knüpft man bei der Frage des Vorliegens von Eigentum an die Rechtsauffassung des wegen Eigentumsverletzung in Anspruch genommenen Staates an, dann kann sich der mutmaßliche Rechtsbrecher sehr leicht seiner Verantwortung aus Art. 1 Abs. 1 Erstes Zusatzprotokoll dadurch entziehen, dass er dem Beschwerdeführer das verletzte oder nicht ausreichend geschützte Recht gänzlich abspricht. Letztlich muss aber der endgültige Rechtsverlust von den Entscheidungen richterlicher Instanzen abhängen und nicht von der Intensität der durch den Rechtsverletzer gesetzten Fakten, deren rechtliche Beurteilung doch gerade Aufgabe des Gerichts sein sollte. Nur der Richterspruch entscheidet, ob Eigentum vorliegt oder nicht. Nur er kann eine berechtigte Hoffnung nähren. Nimmt das Gericht ohne Berücksichtigung der Normen Fakten einfach hin, weil sie vom enteignenden Staat als endgültig bezeichnet werden, kommt es seiner Aufgabe, Recht zu sprechen, in rechtswidriger Weise nicht mehr nach.
___________ 23 Case of Loizidou v. Turkey (merits), No. 40/1993/435/514 Judgment. Vgl. dazu Blumenwitz, Dieter, Der Schutz des Eigentums vertriebener Volksgruppen. Zur Loizidou-Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, in: Hofmann, Mahulena/Küper, Herbert (Hrsg.), Kontinuität und Neubeginn. Staat und Recht in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Festschrift für Brunner, 2001, S. 572 ff. 24 18.05.1954 (Datum des türkischen Beitritts); 22.01.1990 (Datum der Unterwerfungserklärung).
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(3) Völkerrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Enteignung (a) Allgemein Der internationale Mindeststandard verlangt, dass Enteignungen überwiegend im öffentlichen Interesse (b) liegen 25 ; er verbietet ferner diskriminierende (c), willkürliche Enteignungen sowie entschädigungslose Enteignungen (d), sog. Konfiskationen 26 . Die Entschädigung hat eine angemessene, prompt bezahlte und effektive zu sein. Eine Entziehung fremder Eigentumsrechte ohne eine solche Entschädigung ist damit grundsätzlich verboten. 27
(b) Allgemeinwohl Zunächst hat die Enteignung dem „öffentlichen Nutzen“ 28 zu dienen. Es ist offensichtlich, dass eine einigermaßen präzise Antwort auf die Frage, wann eine enteignende Maßnahme dem öffentlichen Nutzen dient, nur schwer gegeben werden kann. Die Beantwortung hängt von den innerstaatlichen Zielen, die mit der Maßnahme verfolgt werden, ab. 29 Es kommt also entscheidend auf das Ziel der Enteigner an. 30 Enteignungen sind häufig erfolgt, um Veränderungen der Wirtschaftsordnung eines Staats vorzunehmen, also etwa beim Übergang zur sozialistischen Gesellschaftsordnung. Solche Maßnahmen wurden als im Allgemeininteresse liegend akzeptiert, auch wenn die historischen Erfahrungen das Gegenteil belegen. Völkerrechtswidrige Ziele wie Vertreibungen 31 dürfen aber mit den Enteignungsmaßnahmen nicht angestrebt werden. 32 Ein öffentliches Interesse der ___________ 25
Vgl. Gloria (Anm. 12), in: Ipsen, § 40, Rdnr. 13 ff.; Wenk, Silke, Das konfiszierte deutsche Privatvermögen in Polen und der Tschechoslowakei. Die Rechtslage nach Abschluss des deutsch-polnischen und deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages, 1993, S. 86. 26 Oppenheim, Lassa/Lauterpacht, Hersh, International Law, Bd. 1, 6th ed. 1947, S. 318; Dolzer (Anm. 14), S. 20 f.; Kimminich, Otto, Der Warschauer Vertrag. – Grundlage oder Vernichtung privater Entschädigungsforderungen?, in: JZ 1971, S. 485 ff.; Mann, F.A., Völkerrechtliche Enteignungen vor nationalen Gerichten, in: NJW 1961, S. 705 ff.; Gornig (Anm. 2), in: AWR-Bulletin, 1991, Nr. 2, S. 72 ff. (80). 27 Vgl. auch Gornig, Gilbert, Die völkerrechtliche Zulässigkeit eines Handelsembargos, in: JZ 1990, S. 113 ff. (119 ff.). 28 Vgl. Gloria (Anm. 12), in: Ipsen, § 43, Rdnr. 17. 29 So Hartmann, Gode, Nationalisierung und Enteignung im Völkerrecht, 1977, S. 100. Vgl. auch Dahm, Georg, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 513 f.; Gornig (Anm. 2), AWR-Bulletin 1991, S. 80. 30 Gornig (Anm. 2), AWR-Bulletin 1991, S. 80. 31 Vgl. dazu Kimminich, Otto, Das Vertreibungsverbot in der völkerrechtlichen Entwicklung, in: Blumenwitz, Dieter (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 95 ff.;
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Enteignerstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg kann also nicht darin gesehen werden, durch die Enteignung die angestammten Einwohner zu vertreiben, um in der Region eigene Staatsangehörige ansiedeln zu können. 33
(c) Diskriminierungsverbot Mit dem Diskriminierungsverbot wird klargestellt, dass bei einer Enteignung alle Ausländer untereinander, aber auch Ausländer und Inländer, gleich behandelt werden müssen. 34 ___________ Zayas, Alfred de, Die Vertreibung in völkerrechtlicher Sicht, in: Blumenwitz, Dieter (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 239 ff.; Gornig, Gilbert, Völkerrecht und Völkermord. Definition – Nachweis – Konsequenzen am Beispiel der Sudetendeutschen, 2002 (Nachdruck 2003), S. 11 ff. 32 Die Danziger und Deutschen östlich von Oder und Neiße wurden planmäßig auf dem Wege interner Verwaltungsanweisungen (vgl. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte [Hrsg.], Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3: Polnische Gesetze und Verordnungen, 1960, Vorbem. S. X f.) aus ihrer Heimat vertrieben. Diese Vertreibung verstieß gegen die Haager Landkriegsordnung, die zwar ein ausdrückliches Vertreibungsverbot der Besatzer gegenüber der im besetzten Land ansässigen Bevölkerung nicht kennt, deren Art. 43, 46 und 50 aber zu entnehmen ist, dass ein Recht auf Verbleib in der Heimat besteht. Die Haager Landkriegsordnung (Text: RGBl. 1910, S. 107 ff.) galt auch für Polen. Sie wurde durch das Gesetz vom 10.03.1927 (Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej, Nr. 21, Pos. 158, 159) in das innerstaatliche Recht Polens transformiert. Die Voraussetzungen der occupatio bellica, nämlich die Erringung der tatsächlichen Gewalt und der Fortbestand des Kriegszustandes waren erfüllt. Mit der militärischen Kapitulation und der Einstellung der Feindseligkeiten war der Kriegszustand noch nicht beendet. Vgl. etwa auch Gornig, Gilbert, Das Memelland gestern und heute. Eine rechtliche Betrachtung, 1991, S. 126 ff.; Blumenwitz, Dieter, Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Beziehungen, 1992, S. 55. Die polnischen Enteignungsmaßnahmen können also nicht mit dem öffentlichen Nutzen gerechtfertigt werden, da sie völkerrechtswidrige Ziele anstreben. Sie sind daher schon aus diesem Grund rechtswidrig. 33 So Blumenwitz (Anm. 32), S. 50. 34 Bejaht man das Diskriminierungsverbot, liegt eine sachlich nicht gebotene Ungleichbehandlung der Danziger und Deutschen gegenüber sonstigen Ausländern und polnischen Staatsangehörigen durch die polnischen Enteignungsakte vor. Das Dekret vom 08.03.1946 (Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 13, Pos. 87, deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene [Anm. 32], Nr. 38, S. 126 ff.) ordnete die Enteignung aller Danziger und deutschen natürlichen und juristischen Personen an, nicht aber der Polen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b des Dekrets über die Durchführung der Bodenreform vom 06.09.1944 (Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 3, Pos. 13, deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene [Anm. 32], Nr. 10, S. 26 ff.) wurde den Deutschen unabhängig von der Größe jeglicher landwirtschaftlicher Grundbesitz entzogen, während polnische Eigentümer erst ab einer bestimmten Mindestgröße von der Enteignung betroffen waren. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. e des Dekrets vom 06.09.1944. Außerdem hatten nach Art. 17 dieses Dekrets die enteigneten polnischen Landwirte wahlweise Anspruch auf Ersatzland oder eine Monatsrente.
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Das Diskriminierungsverbot von Ausländern untereinander wurde allerdings in der völkerrechtlichen Praxis nie konsequent angewendet. So gab es im Völkerrecht seit jeher die Vereinbarung einer Besserstellung von Angehörigen bestimmter Nationen 35 und in der Praxis eine anerkannte Schlechterstellung der Angehörigen bestimmter Nationen. 36 Erst recht hat sich das Gebot der Gleichbehandlung der Ausländer mit Inländern nicht durchgesetzt. 37 Dies hätte zur Folge, dass die komplette, also Ausländer und Inländer betreffende, Verstaatlichung ganzer Industrien gestattet wäre, nicht aber lediglich die Enteignung von Ausländern.
(d) Entschädigung Im innerstaatlichen Recht hatte sich im 19. Jahrhundert der Grundsatz durchgesetzt, dass der enteignende Staat bei einer Enteignung zur Entschädigung verpflichtet sei. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz gilt seitdem im Völkerrecht 38 und wird auch in der Praxis respektiert. So kamen insbesondere die Ostblockstaaten nach dem Übergang zum sozialistischen System häufig der Verpflichtung, die betroffenen ausländischen Eigentümer zu entschädigen, in Globalentschädigungsabkommen 39 nach. 40 Für eine völkerrechtsgemäße Enteignung gilt also der Grundsatz der Entschädigungspflicht. ___________ 35 So etwa in Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen; zu denken ist insbesondere an die Meistbegünstigungsklausel. 36 So hat das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen lediglich gegen die Niederländer gerichtete Enteignungsmaßnahmen Indonesiens als rechtmäßig erachtet. Das Gericht berief sich dabei auf den Grundsatz, dass das Gleichbehandlungsprinzip nicht nur die Gleichbehandlung von Gleichem, sondern auch die Ungleichbehandlung von Ungleichem verlange. Es führte aus, dass die Einstellung des ehemaligen Kolonialvolkes zu seinen ehemaligen Kolonialherren naturgemäß eine andere sei, als zu anderen Ausländern; vgl. ArchVR, Bd. 9 (1961/62), S. 318 ff. (359). 37 Vgl. Hartmann (Anm. 29), S. 109; Gornig (Anm. 2), AWR-Bulletin 1991, S. 81. 38 Vgl. Haager Schiedshof vom 13.10.1922 über die Norwegian Shipowners' claims, in: RIAA, vol. I, S. 338. Max Huber in seinem als Schiedsspruch anerkannten Gutachten vom 01.05.1925 in der Affaire des biens britanniques au Maroc espagnol, in: RIAA, vol. II, S. 617 ff. (647); StIGH, Bd. 6 (1926), S. 22 ff. (Certain German Interests in Polish Upper Silesia [Merits]). 39 Vgl. Veith/Böckstiegel (Anm. 13), S. 169 ff.; Bindschedler (Anm. 13), S. 54 ff. 40 Die Enteignungen der Danziger und Deutschen erfolgten hingegen ohne jegliche Entschädigung der Betroffenen. Bei der Bodenreform durch das Gesetz vom 06.09.1944 wurde nahezu die gesamte Landwirtschaft entschädigungslos enteignet (Text: Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 3, Pos. 13, deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte [Anm. 32], Nr. 10, S. 26 ff.). So heißt es in Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 03.01.1946 „betreffend die Übernahme der Grundzweige der nationalen Wirtschaft in das Eigentum des Staates“ (Text: Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 3, Pos. 17, deutscher Text: Bundesministerium für Ver-
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Die Art und Höhe der Entscheidung richtet sich nach der sog. HullFormel 41 . Es ist an den Enteigneten eine „prompte, adäquate und effektive Entschädigung“ zu zahlen. Diese „Hull-Formel“ geht somit davon aus, dass eine Entschädigung sofort, also unmittelbar zum Zeitpunkt der Enteignung oder nur unwesentlich später, zu zahlen ist. Adäquat ist sie nur dann, wenn sie dem vollen Wert oder dem Marktwert des enteigneten Gegenstandes entspricht. Für die Effektivität der Entschädigung ist erforderlich, dass diese frei transferierbar ist ___________ triebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte [Anm. 32], Nr. 30, S. 97 ff.), dass ohne Entschädigung in das Eigentum des Staates Industrie-, Bergbau-, Verkehrs-, Bank-, Versicherungs- und Handelsunternehmen übergehen: „des Deutschen Reiches und der ehemaligen Freien Stadt Danzig, von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches und der ehemaligen Freien Stadt Danzig, es sei denn, sie sind polnischer oder einer anderen von den Deutschen verfolgten Nationalität, deutscher und Danziger juristischer Personen mit Ausnahme juristischer Personen des öffentlichen Rechts, von Gesellschaften, die durch deutsche oder Danziger Staatsangehörige, durch die deutsche oder Danziger Verwaltung kontrolliert werden, von Personen, die zum Feinde übergelaufen sind.“ Polen trägt zur Rechtfertigung der Konfiskationen vor, dass es sich bei dem Eigentum der Flüchtlinge um Kriegsbeute gehandelt habe, die entschädigungslos habe kassiert werden können. Dieser Rechtfertigungsgrund greift nicht. Es handelt sich beim Kriegsbeuterecht um ein Institut des Kriegsvölkerrechts vergangener Jahrhunderte. Nach der bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geltenden Haager Landkriegsordnung hat privates Eigentum im Landkrieg grundsätzlich unberührt zu bleiben. Es besteht daran kein Beuterecht. Diese Bestimmung hat auch völkergewohnheitsrechtliche Geltung. Das Verbot galt auch noch nach der bedingungslosen Kapitulation vom 07. und 08.05.1945 (Text der Kapitulationsurkunde vom 08.05.1945: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 6), da mit der Einstellung der Feindseligkeiten nicht der Kriegszustand im rechtstechnischen Sinne beendet war. Der Zweite Weltkrieg wurde durch faktische Wiederaufnahme friedlicher Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Gegner beendet, ohne dass der genaue Zeitpunkt feststeht. Er wird spätestens 1955 als beendet angesehen werden können. Vgl. Berber, Friedrich, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1969, S. 101, 102; Stödter, Rolf, Die völkerrechtliche Stellung Deutschlands, in: Die Friedenswarte, 1948, S. 111 ff. (116); insbesondere aber Mosler, Hermann/Doehring, Karl, Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, 1963, S. 409 f. Anderer Ansicht waren wohl die Alliierten: vgl. Zayas, Alfred de, Die Vertreibung in völkerrechtlicher Sicht, in: Blumenwitz, Dieter (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 239 ff. (245). Nach polnischer Ansicht galt allerdings in den Oder-Neiße-Gebieten nicht mehr die HLKO, da diese Gebiete bereits der polnischen Souveränität unterstünden und nicht mehr Besatzungsgebiet seien; vgl. Skubiszewski, Krzysztof, Administration of Territory and Sovereignty: A Comment on the Potsdam Agreement, in: AVR, Bd. 23 (1985), S. 31 ff. Vgl. dazu auch Szczeponek, Aldona in diesem Band. 41 Die „Hull-Formel“ wurde vom US-amerikanischen Außenminister Cordell Hull in einem Notenwechsel in Folge der Enteignungen US-amerikanischer Ländereien und Ölrechte durch Mexico im Jahre 1938 geprägt. Diese Formel hat heute noch Gültigkeit. Die Hull-Formel vom 22.08.1938 lautet: “The Government of the United States merely adverts to a self-evident fact when it notes that the applicable precedents and recognized authorities on international law support its declaration that, under every rule of law and equity, no government is entitled to expropriate private property, for whatever purpose, without provision for prompt, adequate, and effective payment therefor.” Zitiert nach Hackworth, Green Haywood, Digest of International Law, vol. III, 1942, S. 658 f.
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und in konvertierbarer Währung ausgezahlt wird. 42 In der völkerrechtlichen Literatur wird allerdings regelmäßig verdeutlicht, dass der enteignete Eigentümer keine Entschädigung erhält für Chancen, die ihm durch die Enteignung entgangen sind 43 .
(4) Abgrenzung der Enteignung von der Sozialbindung Bei der Anwendung des Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention 44 , der sich dem Schutz des Eigentums widmet 45 , ist die Enteignung von der Sozialbindung abzugrenzen. Der Begriff „Enteignung“ kommt allerdings im Ersten Zusatzprotokoll nicht vor: Der Wortlaut unterscheidet vielmehr zwischen dem Entzug des Eigentums (Abs. 1) und der Regelung der Benutzung des Eigentums (Abs. 2). Deutlich ist, dass die Enteignung den wichtigsten Fall des „Entzugs“ des Eigentums darstellt; daneben werden nach dem Wortlaut des Art. 1 möglicherweise aber auch noch andere Fälle des Entzugs des Eigentums erfasst, die keine Enteignung darstellen. Der Wortlaut des Abs. 1 legt nahe, dass er in allen Fällen anzuwenden ist, in denen der Eigentumstitel rechtlich entzogen oder in starkem Umfang betroffen ist. Entzug erfasst somit alle Formen des formellen Verlusts des Eigentums. ___________ 42 So heißt es in einem Statement des US-Präsidenten vom 19.01.1972, AJIL, vol. 66 (1972), S. 620 f.: “Under international law, the United States has a right to expect: - That any taking of American private property will be nondiscriminatory; - That it will be for a public purpose, and - That its citizens will receive prompt, adequate, and effective compensation from the expropriating country.” Ebenso das US-State Department am 09.04.1976: “We recognize the right of any country to expropriate property ... as long as the taking is nondiscriminatory, for a public purpose and accompanied by prompt adequate and effective compensation. In our view, these are the minimum standards under international law”, in: US-Digest 1976, S. 443. 43 Alenfeld, Justus, Die Investitionsförderungsverträge der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 113; Bindschedler (Anm. 13), S. 30 f.; Birke, Wolfgang, Die Konfiskation ausländischen Privatvermögens im Hoheitsbereich des konfiszierenden Staates nach Friedensvölkerrecht (1960), S. 6; Böckstiegel (Anm. 13), S. 28; García-Amador, F. V./Sohn, Louis B./Baxter, R. R., Recent Codification of Law of State Responsibility for Injuries to Aliens, 1974, S. 45; Herz (Anm. 13), in: AJIL, vol. 35 (1941), S. 243 (245 f.); Lindenmeyer (Anm. 13), S. 437 f.; White (Anm. 13), S. 49. Amerasinghe, Chittharanjan F., State Responsibility for Injuries to Aliens, 1967, S. 158 f., führt allgemein aus, dass der Verlust des künftigen Profits nicht zu entschädigen sei; bezüglich Chancen verweist er auf die Umstände des Einzelfalles. – Foighel (Anm. 13), S. 217 f., vertritt die Auffassung, dass goodwill dann entschädigt werden müsse, wenn er auf der Arbeit des Enteigneten beruhe und nach der Enteignung vom Staat wieder genutzt werde; so auch Lillich/Weston (Anm. 13), S. 185 f. 44 Text: BGBl. 1956 II, S. 1880. 45 Vgl. Loizidou vs. Turkey; dazu Blumenwitz (Anm. 23), in: Hofmann/Küper, S. 572 ff.
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Demgegenüber sind unter dem Begriff der „Regelung der Benutzung“ nach dem üblichen Sprachgebrauch solche Maßnahmen zu verstehen, die den formellen Eigentumstitel nicht berühren, sondern nur die materiellrechtlichen Eigentumsbefugnisse einengen. 46 Darunter könnte man die Sozialbindung verstehen, die entschädigungslos hinzunehmen ist.
(5) Völkerrechtliche Verankerung eines Enteignungsverbots Das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, die sog. Haager Landkriegsordnung (HLKO), vom 18. Oktober 1907 47 enthält in Art. 46 Abs. 1 die Bestimmung, dass das Privateigentum geachtet werden soll. Nach Absatz 2 des Art. 46 darf das Privateigentum nicht eingezogen werden. 48 Damit kommt zum Ausdruck, dass im Falle der Besetzung feindlichen Gebiets der Besatzer bei der Behandlung des besetzten Gebietes völkerrechtlichen Schranken unterworfen ist. 49 Mit der Haager Landkriegsordnung wurde im Übrigen Völkergewohnheitsrecht kodifiziert. 50 Auch der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg sah die Haager Landkriegsordnung als Völkergewohnheitsrecht an. 51 In der Präambel der Haager Landkriegsordnung heißt es, dass sich die Haager Landkriegsordnung nicht auf alle in der Praxis vorkommenden ___________ 46 Hierzu vgl. Dolzer (Anm. 14), S. 202. Vgl. auch Wegener, Bernhard W., Wirtschaftsgrundrechte, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, S. 114 Rdnr. 21-23. 47 Text: RGBl. 1910, S. 107 ff.; Sartorius II, Nr. 46. 48 Vgl. hierzu Fiedler, Wilfried, Vom territorialen zum humanitären Kulturgüterschutz. Zur Entwicklung des Kulturgüterschutzes nach kriegerischen Konflikten, in: Fechner, Frank/Oppermann, Thomas/Prott, Lyndel V. (Hrsg.), Prinzipien des Kulturgüterschutzes. Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S.°159 ff. 49 Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 (Text: BGBl. 1967 II, S. 1235 ff., 1300), ihre Ausführungsbestimmungen und das Protokoll legen eine Rückgabepflicht des Staates fest, in dessen Territorium Kulturgüter verbracht worden sind und zwar nach Einstellung der Feindseligkeiten. Dieser völkerrechtliche Vertrag gilt nicht für die Vergangenheit und natürlich nur zwischen den Vertragspartnern. Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sind damit von der Konvention nicht erfasst. 50 Vgl. Fiedler, Wilfried, Die Kulturgüter der Sudetendeutschen als Rechtsproblem, in: Jahrbuch für sudetendeutsche Museen und Archive 1993-1994, 1995, S. 11 ff. (17). 51 So sagt das Urteil des Nürnberger Militärgerichtshofs vom 01.10.1946 aus, dass die in der Haager Landkriegsordnung niedergelegten Regeln ohne Rücksicht auf ihre vertragliche Geltung zum Mindesten beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs „were recognized by all civilized nations and were regarded as being declaratory of the laws and customs of war“, zitiert nach Berber, Friedrich, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1969, S. 73. Vgl. auch Rosenblad, Edbjörn, Area Bombing and International Law, in: Revue de Droit Pénal Militaire et de Droit de la Guerre, Bd. 15, 1-2 (1976), S. 53 ff.; Verdross/Simma (Anm. 10), § 581, S. 366.
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Fälle erstrecken könne. Die Haager Landkriegsordnung sieht aber vor, dass auch künftige Fälle unter den Geltungsbereich der Haager Landkriegsordnung fallen, jedoch unter den Voraussetzungen der Martens'schen Klausel: In den Fällen, die von der Haager Landkriegsordnung noch nicht ausdrücklich erfasst sind, sollen die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, „wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens“. Daraus folgt, dass jedenfalls Maßnahmen im und nach dem Zweiten Weltkrieg einer entsprechenden Regelung unterworfen waren. So wurden die Regeln der Haager Landkriegsordnung zum Nachteil der vor dem Nürnberger Militärgerichtshof stehenden Deutschen angewendet. 52 Es heißt in Bezug auf Art. 56 HLKO, dass die von Deutschland besetzten Gebiete für den deutschen Kriegseinsatz in der unbarmherzigsten Weise ausgebeutet wurden, ohne Rücksichtnahme auf die örtliche Wirtschaft und in Verfolg vorbedachter Planung und Politik. Tatsächlich seien systematische Plünderungen öffentlichen oder privaten Eigentums vorgelegen. 53 An anderer Stelle wird den Deutschen vorgeworfen, dass sie kulturell und historisch wertvolle Gegenstände, die Eigentum der Sowjetunion waren, sowie seltene Bücher und Kunstgegenstände nach Deutschland brachten. 54 Die Haager Landkriegsordnung ist also anwendbar und kann damit auch zum Nachteil der Sieger herangezogen werden. Eine Fortschreibung der Haager Landkriegsordnung im Sinne einer erweiterten Beschlagnahmemöglichkeit von Privateigentum des unterlegenen Staates lässt sich nicht nachweisen. 55
(6) Verletzung von Menschenrechten Während gewöhnliche Enteignungen nur auf die Eigentumsbeschaffung zielen und regelmäßig nicht in die Menschenwürde eingreifen, ist die Menschenwürde in der Regel dann verletzt, wenn es zu Verfolgungen und zu Ächtungen kommt. 56 So bezwecken Enteignungsmaßnahmen gegenüber Minderheiten und Volksgruppen häufig nicht nur die Eigentumsverschaffung. Vielmehr will der enteignende Staat die Bevölkerungsgruppe zugleich diskriminieren und ver___________ 52 Internationaler Militärgerichtshof (Hrsg.), Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 1, 1947, S. 241 ff., 267 ff. 53 Internationaler Militärgerichtshof (Anm. 52), Bd. 1, 1947, S. 268. 54 Internationaler Militärgerichtshof (Anm. 52), Bd. 1, 1947, S. 271. 55 Vgl. Fiedler, Wilfried, Kulturgüter als Kriegsbeute? Rechtliche Probleme der Rückführung deutscher Kulturgüter aus Rußland, 1995, S. 19 f. 56 Vgl. BVerfGE 1, S. 97 ff. (104).
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treiben, um ein national homogenes Staatswesen zu schaffen. 57 Die Konfiskation des Vermögens der betroffenen Bevölkerung ist somit ein wichtiges Element der erzwungenen Bevölkerungsüberführung. Diese verletzt als „ethnische Säuberung“ das Diskriminierungsverbot aus rassischen oder ethnischen Gründen 58 . Werden also Menschen gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder Volksgruppe von den Enteignungen betroffen und mit dem Mittel der Vertreibung verfolgt sind die Konfiskationen also nicht in erster Linie sachbezogen, sondern gruppenbezogen , so stellen sie eine erhebliche menschenrechtswidrige Diskriminierung der Bevölkerung wegen ihrer nationalen Herkunft dar. 59 Ein solches Verbot, fundamentale Menschenrechte zu missachten, kann bereits für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nachgewiesen werden. 60 Heute ist für die Vertragsstaaten des Art. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK 61 die Eigentumsgarantie auch als Menschenrecht zu respektieren 62 . Die erzwungene Bevölkerungsüberführung kann schließlich auch unter die Völkermord-Konvention fallen 63 . Als Überführung im großen Rahmen erfüllt sie den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit 64 . ___________ 57 Dies war auch der Zweck der Vertreibung der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei, vgl. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.), Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 1, 1954, S. 136 E ff. 58 Vgl. Art. 1, 2 und 7 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 2 und 26 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte. 59 Vgl. auch Gornig (Anm. 31), Völkerrecht und Völkermord, 2002. 60 Vgl. auch Donnedieu de Vabres, M., Le procès de Nuremberg devant les principes modernes du droit pénal international, in: Recueil des Cours, vol. 70 (1947 I), S. 477 ff. (519); Gornig, Gilbert, Die Verantwortlichkeit politischer Funktionsträger nach völkerrechtlichem Strafrecht, in: Neue Justiz 1992, S. 4 ff. (8). 61 Text: BGBl. 1956 II, S.1880. 62 Vgl. Koopmann-Aleksin, Kirsten, Der Schutz des Eigentums als Menschenrecht, in diesem Band; Malzahn, Bettina M., Bedeutung und Reichweite des Eigentumsschutzes in der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2007, S. 169. ff. 63 Vgl. Prosecutor vs. Karadzic and Mladic, IT -95-18-A, S. 4; Prosecutor vs. Nicolic, IT 2-R 61, Abschnitt 34. Entscheidend ist der subjektive Tatbestand. Der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 30.04.1999 – J StR 215/98) hat den Tatbestand des Völkermordes in Fällen bejaht, in denen der Angeklagte in der Absicht die durch Religion und Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ handelte. Schutzobjekt des Art. II Genozid-Konvention ist die soziale Existenz der verfolgten nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen. Vgl. auch Gornig (Anm. 31), Völkerrecht und Völkermord, 2002 (Nachdruck 2003); Hübner, Jan, Das Verbrechen des Völkermords im internationalen und nationalen Recht, 2004. 64 Vgl. Londoner Vertrag von 1945 zur Schaffung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals und die Statuten der internationalen Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien (Art. 5) und für Ruanda (Art. 9), ferner Art. 18 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, wonach „willkürliche Deportationen oder zwangsweise Überführung von Bevölkerungsgruppen“ Verbrechen gegen die
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2. Völkerrechtliche Haftung a) Völkerrechtliche Haftung im Allgemeinen aa) Einführung Wenn wir uns mit der Frage der Wiedergutmachung von Verletzungen des Völkerrechts beschäftigen, bewegen wir uns auf dem Rechtsgebiet der völkerrechtlichen Haftung. Völkerrechtliche Haftung ist jene Institution, die die Sanktionen für die Verletzung einer völkerrechtlichen Regelung festsetzt. Es werden die Haftungssätze auch als „sekundäre“ Normen bezeichnet, die die „primären“ Pflichtenregelungen garantieren. 65 Weicht ein Völkerrechtssubjekt also ohne Rechtfertigungsgrund von den Rechtsnormen des Völkerrechts ab, so entstehen neue Rechtsbeziehungen, die sich aus der Verletzung des Völkerrechts ergeben. Wie jede Rechtsordnung enthält auch das Völkerrecht den Grundsatz, dass seine Subjekte für die ihnen zuzurechnenden rechtswidrigen Handlungen, die völkerrechtlichen Delikte, einzustehen haben. Sie sind dabei dem oder den unmittelbar verletzten Völkerrechtssubjekten gegenüber verantwortlich. 66 Die Rechtsverletzung ist wiedergutzumachen, das Recht ist wiederherzustellen. 67 ___________ Menschlichkeit sind, „wenn sie systematisch oder in großem Rahmen durchgeführt werden und von einer Regierung veranlasst oder geleitet werden“. 65 So Berber, Friedrich, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, 2. Aufl. 1977, S. 2. 66 Vgl. Max Huber in seinem Schiedsspruch vom 01.05.1925 in der Affaire des biens britanniques au Maroc espagnol, in: RIAA, vol. II, S. 615 ff. (641): « La responsabilité est le corollaire nécessaire du droit. Tous droits d'ordre international ont pour conséquence une responsabilité internationale ». Der IGH hat im Falle Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations, in: ICJ Reports 1949, S. 84 ff., ausgesprochen, dass im Falle der völkerrechtswidrigen Verletzung eines Organes der Vereinten Nationen diese neben dem Heimatstaat des Opfers reklamationsberechtigt sind. 67 Die International Law Commission unterschied in Art. 19 ihres Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit (Text: Yearbook der International Law Commission 1980, vol. II, part 2, S. 30 ff.) zwischen “International Delicts” und “International Crimes”. Sie verstand dabei unter internationalen Delikten die durch staatliche Organe gesetzten normalen Verletzungen des Völkerrechts und unter internationalen Verbrechen die Verletzung von Verpflichtungen erga omnes, die zum Schutz der wesentlichen Interessen der gesamten Staatengemeinschaft bestehen und daher von der ganzen Staatengemeinschaft als besonders schwerwiegend angesehen werden und die eine Verantwortlichkeit gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft auslösen. Vgl. auch Art. 14 des späteren Entwurfs zum “international crime”, Text: Yearbook der International Law Commission 1984, vol. II, part 2, S. 101; 1985, vol. II, part 1, S. 13. Vgl. schließlich Yearbook der International Law Commission 1986, vol. II, part 1, S. 2 ff. Diese den Staaten zugerechneten Unrechtstatbestände müssen von jenen Verbrechen unterschieden werden, für die einzelne Menschen völkerrechtlich verantwortlich sind. Vgl. Gornig (Anm. 60), Neue Justiz 1992, S. 4 ff. m. w. N.
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bb) Subjekt und Objekt völkerrechtlichen Unrechts (1) Subjekt (a) Allgemein Infolge der weitgehenden Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht wird ein völkerrechtliches Unrecht in der Regel von Staaten begangen. Nur im Falle des Bestehens eines Kriegsverbrechens wird das Unrecht dem Menschen zugerechnet, der die verbotene Tat gesetzt hat und der dann auch persönlich zur Verantwortung gezogen werden muss. Subjekt völkerrechtlichen Unrechts ist also das Völkerrechtssubjekt, der Staat bzw. heute auch die internationale Organisation, soweit sie von den Staaten anerkannt worden ist. 68
(b) Haftung des Staates für das Handeln seiner Organe Da die Völkerrechtssubjekte stets durch ihre Organe handeln, die sie handlungsfähig machen, kann die völkerrechtliche Haftung auch als Haftung der Völkerrechtssubjekte für das Handeln ihrer Organe aufgefasst werden. Für die wichtigsten Völkerrechtssubjekte, die souveränen Staaten, handeln die Organe der Legislative, der Exekutive und der Judikative 69 . Die Staaten haften, wenn die Legislative völkerrechtswidrige Gesetze 70 erlässt, die Exekutive völkerrechtswidrige Maßnahmen trifft 71 oder die Judikative völkerrechtswidrige Entscheidungen fällt 72 . Der Staat kann sich bei der Haftung für seine Rechtsprechung nicht auf die Unabhängigkeit seiner Gerichte berufen.
(c) Haftung des Staates für die Handlungen Privater Eine völkerrechtliche Haftung für die Handlungen Privater tritt grundsätzlich nicht ein. 73 Wenn aber der Staat bei der Regelung und Kontrolle privaten ___________ 68
Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 1262, S. 845 f. Vgl. hierzu Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 10 ff. 70 Etwa beim Erlass völkerrechtswidriger Gesetze, soweit das Gesetz selbst eine Völkerrechtsverletzung vornimmt oder nur ein völkerrechtswidriges Handeln der Exekutive und Judikative zulässt. 71 Etwa bei Grenzverletzungen, willkürlicher Verhaftung oder Ausweisung von Fremden, entschädigungslosen Enteignungen usw. 72 Etwa bei Nichtanwendung oder falscher Anwendung von, oder Verstoß gegen Normen des Völkerrechts, wie etwa die Verweigerung des Rechtsweges für Ausländer. 73 Vgl. auch Art. 11 Abs. 1 des ILC-Entwurfs von 1980, Text: Yearbook der International Law Commission 1980, vol. II, part 2, S. 30: “The conduct of a person or a 69
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Handelns gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt, haftet er für diese Pflichtverletzung. Eine solche Pflichtverletzung ist insbesondere dann zu bejahen, wenn Privatpersonen von Staatsorganen zu völkerrechtswidrigem Handeln angestiftet oder bei völkerrechtswidrigem Handeln unterstützt 74 worden sind, aber auch wenn die Staatsorgane nicht die erforderliche Sorgfalt 75 aufwenden, um die Schädigung von Ausländern zu verhindern 76 , oder die Schuldigen nicht verfolgen oder nicht bestrafen. 77
(2) Objekt Der Staat ist auf der anderen Seite auch Objekt völkerrechtlichen Unrechts. Viele völkerrechtliche Unrechtstatbestände fügen zwar dem Menschen Schäden zu, aber infolge der Mediatisierung des Menschen ist Objekt dieses Unrechts nicht der geschädigte Mensch selbst. Es wird vielmehr fingiert, dass in der Person des Geschädigten dessen Heimatstaat geschädigt wird. Es steht daher dem tatsächlich geschädigten Menschen in der Regel nicht das Recht zu, völkerrechtliche Schritte zur Ahndung oder Beseitigung der Folgen eines völkerrechtlichen Unrechts zu unternehmen.
cc) Völkerrechtswidrigkeit (1) Allgemein Eine Haftung für eine Völkerrechtsverletzung tritt grundsätzlich nur ein, wenn die Handlung rechtswidrig war. Bei Handlungsdelikten ist in der Regel ___________ group of persons not acting on behalf of the state shall not be considered as an act of the state under international law.” In Art. 7 Weltraumvertrag vom 27.01.1967 (Text: BGBl. 1969 II, S. 1969 ff.) hingegen wird bestimmt, dass die Vertragsstaaten für jeden Schaden haften, den ein von ihrem Hoheitsgebiet oder ihren Anlagen aus gestarteter Gegenstand oder dessen Bestandteile einem anderen Vertragsstaat oder dessen natürlichen oder juristischen Personen zufügt. Vgl. auch die Konvention über die internationale Verantwortlichkeit für Schäden durch Weltraumfahrzeuge vom 29.03.1972, Text: BGBl. 1975 II, S. 1209 ff. 74 Vgl. Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, ICJ-Reports 1980, S. 34 f. 75 „due diligence“; vgl. Max Huber in seinem Schiedsspruch vom 01.05.1925 in der Affaire des biens britanniques au Maroc espagnol, in: RIAA, vol. II, S. 615 ff. (642, 645). 76 Das Ausmaß der erforderlichen Sorgfalt hängt von den Umständen ab; vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), Rdnr 1281, S. 864. 77 Vgl. Max Huber in seinem Schiedsspruch vom 01.05.1925 in der Affaire des biens britanniques au Maroc espagnol, in: RIAA, vol. II, S. 615 ff. (642, 645).
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die bloße objektive Verletzung einer Völkerrechtsnorm für die Bejahung der Völkerrechtswidrigkeit ausreichend. 78 Ausnahmsweise können bestimmte Umstände die Rechtswidrigkeit – und damit die Haftung – ausschließen.
(2) Rechtfertigungsgründe (a) Höhere Gewalt Einen Rechtfertigungsgrund für die Nichterfüllung eines Vertrages stellt höhere Gewalt dar, wenn die Erfüllung den Bestand des Staates in Gefahr bringen könnte. 79
(b) Notstand Ein Staat kann aber auch aktiv in den Bereich eines anderen Staates eingreifen, wenn ein Fall des Notstands vorliegt. 80 Der Notstand soll die Rechtswidrigkeit allerdings nur dann ausschließen, wenn die Maßnahme das einzige Mittel ist, um lebenswichtige Interessen des eingreifenden Staates vor einer schweren unmittelbaren Gefahr zu schützen, ebensolche Interessen des verletzten Staates aber nicht ernsthaft beeinträchtigt werden. Eine Berufung auf Notstand ist jedoch dann nicht möglich, wenn es sich um eine Verletzung von ius cogens – etwa fundamentalen Menschenrechten – handelt, die Berufung auf Notstand bei einer Vertragsverletzung vertraglich ausgeschlossen wurde oder der verletzende Staat zu dieser Situation beigetragen hat.
___________ 78 Zahlreiche völkerrechtliche Verträge heute legen eine Gefährdungshaftung für besonders gefahrgeneigte Aktivitäten fest. Es handelt sich um eine Haftung für rechtmäßige, aber ihrer Natur nach mit besonderen Gefährdungen verbundene Tätigkeiten. So ist eine Haftung für grenzüberschreitende schädigende Folgen risikobehafteten Handelns gegeben. Die Convention on International Liability for Damage Caused by Space Objects vom 29.03.1972 bestimmt in Artikel II: „Ein Startstaat haftet unbedingt für die Leistung von Schadensersatz wegen einer von seinem Weltraumgegenstand auf der Erdoberfläche oder an Luftfahrzeugen im Flug verursachten Schadens.“ Text: BGBl. 1975 II, S. 1209 ff.; vgl. ferner Verdross/Simma (Anm. 10), § 1269, S. 854. 79 So der Haager Schiedshof am 11.11.1912 im russisch-türkischen Streitfall Affaire de l'indemnité russe, in: RIAA, vol. XI, S. 421 ff. (443). 80 So etwa die britisch-amerikanische Gemischte Schiedskommission im Jay Treaty Fall über die Aufbringung des US-amerikanischen Schiffes Neptune, das Getreide geladen hatte, durch Großbritannien, um zur Zeit der Kontinentalsperre eine Hungersnot zu bekämpfen; vgl. Moore, John Basset, International Adjudications. Modern Series, vol. IV, 1931, S. 3 ff.
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(c) Notwehr Das naturgegebene Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung ist ebenfalls seit jeher als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Sie ist aber nur zulässig, um einen gegenwärtigen Angriff abzuwehren.
(d) Repressalie Auch eine Repressalie 81 innerhalb der dafür geltenden Grenzen lässt die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme entfallen. Unter Repressalie versteht man ein vom Völkerrecht zugelassenes Mittel der Selbsthilfe, kraft dessen eine von einem Völkerrechtssubjekt begangene Völkerrechtsverletzung mit Maßnahmen beantwortet werden darf, die an sich ebenfalls völkerrechtswidrig wären. Die Maßnahmen sind aber wegen des Repressaliencharakters gerechtfertigt. Der Repressalie muss eine erfolglose Forderung auf Wiedergutmachung des vom Gegner gesetzten Unrechts vorausgehen. Sie muss eingestellt werden, sobald die Verletzung aufhört oder Wiedergutmachung geleistet worden ist, darf nicht in Güter eingreifen, die durch ius cogens geschützt sind und muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.
(e) Einwilligung Eine eigentlich verbotene Handlung wird rechtmäßig, wenn der betroffene Staat in sie einwilligt. Die Einwilligung heilt also die Rechtswidrigkeit. 82 Durch Einwilligung wird jedoch dann nicht die Rechtswidrigkeit entfallen, wenn der handelnde Staat eine Norm des ius cogens oder eine völkerrechtliche Verpflichtung erga omnes verletzen würde. 83
(f) Resümee Die meisten der genannten Gründe kommen als Rechtfertigungsgründe für die Verletzung von Eigentumsrechten der Volksgruppen nicht in Betracht. Auch die Repressalie kann eine an sich rechtswidrige Handlung gegenüber ei___________ 81
Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), §§ 1342 ff., S. 907 ff. Vgl. Berber, Bd. III (Anm.65), S. 5. 83 Maßnahmen in Ausführung von Zwangsmaßnahmen, die der UN-Sicherheitsrat verbindlich anordnet oder eine Regionalorganisation nach Ermächtigung des Sicherheitsrates ergreift, sind heute ebenfalls nicht rechtswidrig Art. 39 ff. des Kapitels VII UN-Charta, Text: BGBl. 1973 II, S. 431 ff. 82
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ner Volksgruppe nicht auf Dauer rechtfertigen, da sie nur möglich ist, solange das rechtswidrige Verhalten des anderen Staates andauert. Das war aber nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 7./8. Mai 1945 84 nicht mehr der Fall.
dd) Schuld-, Erfolgs- und Gefährdungshaftung Streitig ist, ob zum Unrechtstatbestand gehört, dass er schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, gesetzt wurde. 85 (1) Schuldhaftung Die ältere Lehre ging davon aus, dass das Merkmal der Schuld notwendig sei. So schrieb Hugo Grotius: “Qui in culpa non est, natura ad nihil tenetur” 86 . Dieser Ansicht einer Schuldhaftung schlossen sich seitdem viele Autoren an, wie etwa Ago 87 , Strisower 88 , Dahm 89 und Seidl-Hohenveldern 90 . Auch die Judikatur verlangte den Nachweis einer Schuld. 91 Bei Rechtsverletzungen, begangen von Privatpersonen, haften die Staaten nur, wenn sie sich nicht mit gehöriger Sorgfalt bemüht haben, diese Rechtsverletzung zu verhindern. Das Fehlen dieser gehörigen Sorgfalt kann man als Verschulden bezeichnen. (2) Erfolgshaftung Andere Schriftsteller vertreten die Auffassung, dass bei Handlungsdelikten die bloße objektive Verletzung einer Norm des Völkerrechts die Verant-
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Text: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 6. Vgl. Ago, Roberto, Das Verschulden im völkerrechtlichen Unrecht, in: ZöffR, Bd. 20 (1940), S. 449 ff. 86 Grotius, Hugo, De jure belli ac pacis, liber II, cap. 17, § 21. 87 Ago (Anm. 85), ZöffR, Bd. 20 (1940), S. 449 ff. 88 Annuaire IDI 33 I (1927), S. 479 ff., 532 ff. 89 Völkerrecht, Bd. 3 (1961), S. 224 ff. 90 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Ignaz, Völkerrecht, 6. Aufl. 1987, Rdnr. 1645, 1647, 1648. 91 Vgl. etwa Deutsch-portugiesisches Schiedsgericht im Fall « Responsabilité de L'Allemagne á raison des dommages causés dans les colonies portugaises du sud de l'Afrique » (Naulilaa-Fall), in: RIAA, vol. II, S. 1011 ff. (1025); ferner: Lenihan, James J., Great Britain Panama. In the matter of the Death of James Pugh, in: AJIL, vol. 36 (1942), S. 708 ff.; L'incident de Walwal. Commission Italo-Éthiopienne de conciliation et d'arbitrage, in: RIAA, vol. III, S. 1657 ff. (1666). 85
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wortlichkeit begründet. 92 Diese Autoren verweisen darauf, dass sich viele Gerichtsentscheidungen mit einer solchen Feststellung begnügen. Allerdings warf in den meisten Fällen die beklagte Partei die Frage der Schuld des verantwortlichen Organs gar nicht auf. In der Regel konnte sie es auch gar nicht, wenn der Unrechtstatbestand von obersten Organen gesetzt oder von ihnen angeordnet wurde, da man von diesen Organen verlangen kann, dass sie stets im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit handeln. 93 Die Erfolgshaftung kann auch vertraglich festgelegt werden. 94
ee) Schaden Die Verantwortlichkeit für Unrechtstatbestände ist unabhängig von der Frage, ob ein materieller Schaden entstanden ist. Auch sieht die International Law Commission im Eintritt eines Schadens heute kein selbständiges konstitutives Element, das zu den Voraussetzungen Rechtsverletzungen und Zurechenbarkeit hinzutreten müsse, um die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zu begründen. Das schließt allerdings nicht aus, dass für bestimmte Unrechtstatbestände die Entstehung eines materiellen Schadens ein Tatbestandsmerkmal bildet. 95
ff) Wiedergutmachungspflicht (1) Allgemein Ein Staat, dem ein völkerrechtswidriger Unrechtstatbestand zugerechnet wird, ist dem verletzten Staat gegenüber zur Wiedergutmachung verpflichtet. 96
___________ 92 Vgl. Anzilotti, Dionisio, Teoria della reponsibilità dello stato nel diritto internazionale, 1902; Guggenheim, Paul, Traité de droit internationale public, tomé 2, 1954, S. 50 ff.; Sereni, Angelo Piero, Diritto internazionale, Bd. 3, 1962, S. 1517 ff. 93 Verdross/Simma (Anm. 10), § 1266, S. 851. 94 Verdross/Simma (Anm. 10), § 1268, S. 854. 95 So ist etwa ein Staat für die mangelnde Sorgfalt seiner Organe beim Schutz von Ausländern nur dann verantwortlich, wenn diese tatsächlich einen Schaden erlitten haben, nicht schon dann, wenn sie einen Schaden hätten erleiden können. Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), Rdnr. 1264, Fn. 10. 96 Vgl. StIGH vom 26.07.1927 : Case Concerning the Factory at Chorzów (Claim for indemnity) (Jurisdiction), Series A 8, S. 21: « C'est un principe de droit international que la violation d'un engagement entraíne l'obligation de réparer dans une forme adéquate».
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Die Wiedergutmachung hat soweit wie möglich alle Folgen des Unrechtstatbestandes zu beseitigen. 97
(2) Kausalzusammenhang Es ist nicht entscheidend, ob der eingetretene Schaden eine direkte oder indirekte 98 Folge des Unrechtstatbestandes ist, entscheidend ist allein der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der Völkerrechtsverletzung und dem entstandenen Schaden. 99
(3) Materielle Schäden (a) Naturalrestitution Bei materiellen Schäden ist grundsätzlich der frühere Zustand wiederherzustellen. Dieser Grundsatz der Naturalrestitution gehört zu den „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ 100 im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs. Naturalrestitution bedeutet beispielsweise die Rücknahme des Ausweisungsbefehls, die Rückgabe des konfiszierten Eigentums oder die Aufhebung des rechtswidrigen Gesetzes.
(b) Schadensersatz Ist die volle Beseitigung des Schadens nicht möglich, nicht zumutbar, unbillig, demütigend oder gar rechtsmissbräuchlich, 101 so ist Schadensersatz zu leisten. 102 Die Ersatzleistung muss insgesamt die vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens gewährleisten. 103 Sie umfasst auch den entgangenen Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten gewesen wä___________ 97 Vgl. Factory at Chorzów (Merits), Series A 17, S. 47: « La réparation doit, autant que possible, effacer toutes les conséquences de l'acte illicite ». 98 Vgl. « Responsabilité de L'Allemagne à raison des dommages causés dans les colonies portugaises du sud de l'Afrique » (Naulilaa-Fall) vom 31.07.1928, in: RIAA, vol. II, S. 1011 ff. (1032). 99 Vgl. Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 26. 100 Vgl. dazu ausführlich Weiss, Wolfgang, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, in: AVR, Bd. 39 (2001), S. 394 ff. 101 Vgl. Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 25. 102 Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 1296, S. 875. 103 Vgl. Factory at Chorzów (Merits), Series A 17, S. 47.
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re. 104 Auch die entgangene Nutzung widerrechtlich entzogenen Eigentums wird als entgangener Gewinn entschädigt. 105 Die Frage, ob eine Schadensersatzforderung zu verzinsen ist war im Völkerrecht umstritten. Der Trend der internationalen Praxis scheint jedoch heute eine Verzinsung zu akzeptieren. 106 Kann eine Gerichtsentscheidung im innerstaatlichen Rechtsweg nicht mehr aufgehoben werden, so ist denkbar, dass der verletzte Staat sich mit einer Ersatzleistung begnügen muss. 107
(4) Immaterielle Schäden Auch immaterielle Schäden sind wieder gut zu machen, sowohl diejenigen, die dem verletzten Staat selbst zugefügt worden sind, als auch diejenigen, welche die verletzten Staatsangehörigen erlitten haben. Ein solches immaterielles Gut des Staates, das durch die Rechtsverletzung beeinträchtigt werden kann, ist etwa die Ehre des Staates, seine Unabhängigkeit und seine territoriale Integrität. 108 Immaterielle Schäden, die Privatpersonen zugefügt werden können, sind beispielsweise die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder die Zufügung seelischen Leidens, ausgelöst etwa durch Vertreibung und Enteignung. Für völkerrechtswidrige ideelle Schäden ist Genugtuung zu leisten. Diese Genugtuung kann durch eine feierliche Entschuldigung erfolgen, aber auch in der angemessenen Bestrafung der schuldigen Organe sowie der anderen schuldigen Personen bestehen, soweit dies noch möglich ist. 109 Als Genugtuung ist ___________ 104 Vgl. Factory at Chorzów (Merits), Series A 17, S. 56 f. Vgl. auch Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 26. 105 Vgl. Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 27; Dahm, Georg, Völkerrecht, Bd. III, 1961, S. 236 Fn. 10. 106 Internationale Gerichte und Schiedsgerichte haben vereinzelt einen Zinssatz von 6 % ausgesprochen und im Übrigen auf den im Land des Beklagten geltenden Zinssatz abgestellt; vgl. Wolf, Joachim, Schadensersatz, in: Seidl-Hohenveldern, Ignaz, Lexikon des Rechts. Völkerrecht, 2. Aufl. 1992, S. 276 (277); Blumenwitz, Dieter, Flucht und Vertreibung, 1987, S. 59. 107 Vgl. Art. 10 des deutsch-schweizerischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrags vom 03.12.1921, Text: Berber, Friedrich, Völkerrecht, Dokumentensammlung, Bd. II. Konfliktrecht, 1967, S. 1725 ff. (1729). Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 1295, S. 875. 108 Vgl. Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 4. 109 Vgl. der Haager Schiedsgerichtshof in den Fällen “Affaire du Carthage“, in: RIAA, vol. XI, S. 449 ff., und “Affaire du Manouba“, in: RIAA, vol. XI, S. 463 ff., und der IGH im Corfu Kanalfall in: ICJ-Reports 1949, S. 35 ff. So hat etwa Belgien die Bestrafung der schuldigen kongolesischen Organe verlangt, welche die Ausschreitungen vom 08.08.und 08.10.1963 veranlasst hatten: Revue belge de droit international 1966, S. 511 f., Rdnr. 158; vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 1298, S. 877.
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auch die bloße Feststellung der begangenen Völkerrechtsverletzung durch ein Schiedsgericht oder den internationalen Gerichtshof denkbar. 110
gg) Fortdauer der Haftung für Staatsorgane Die Haftung des Staates dauert auch dann an, wenn das Regime, das das völkerrechtliche Unrecht begangen hat, beseitigt worden ist. 111 Die Haftung erlischt in der Regel erst, wenn der Staat untergeht. Sie geht nicht auf den oder die Gebietsnachfolger über. 112 Eine Haftung der Sowjetunion könnte damit erloschen sein, betrachtet man sie als untergegangen 113 , das gleiche gilt für die Tschechoslowakei 114 . Beide Staaten sind aber durch die völkerrechtswidrige Enteignung ungerechtfertigt bereichert. 115 Beide Staaten erfüllen zudem durch die Ablehnung der Eigentumsansprüche der Vertriebenen ständig erneut den Tatbestand einer Völkerrechtsverletzung.
hh) Verjährung Die Haftung kann unter Umständen kraft Verjährung enden. Allerdings kennt das Völkerrecht keine festen Verjährungsfristen. 116 Verjährung tritt aber ein, wenn es der geschädigte Staat während eines angemessenen langen Zeitraums unterlassen hat, auf eine Abstellung des betreffenden völkerrechtlichen Unrechts zu drängen. Weist jedoch der Staat auf fortbestehendes völkerrechtliches Unrecht stets hin, so verhindert er damit die Verjährung, selbst wenn die Hinweise erfolglos bleiben sollten. 117 Handelt es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so wird eine Verjährung auch des Wiedergutmachungsan___________ 110
Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 1299, S. 877. So haftete nach 1815 das Frankreich Ludwigs XVIII. für Völkerrechtsverletzungen aus der napoleonischen Zeit. 112 Anders: Blumenwitz, Dieter, Die Beneš-Dekrete. Eine Bestandsaufnahme im Lichte der tschechischen Beitrittsverhandlungen zur EU, in: Blumenwitz, Dieter/Gornig, Gilbert/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Die Europäische Union als Wertegemeinschaft, 2005, S. 169 ff. (174). 113 Vgl. Willershausen, Claudia, Zerfall der Sowjetunion, 2002; Homann, Dietrich, Völkerrechtliche Konsequenzen des Zerfalls der Sowjetunion, in: Die Friedens-Warte, Bd. 69 (1993), S. 98 ff.; Silagi, Michael, Staatsuntergang und Staatennachfolge, 1996, S. 58 ff.; Gornig, Gilbert, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil II, 1992, S. 161. 114 Silagi (Anm. 113), S. 73 ff. 115 Vgl. Blumenwitz (Anm. 112), in: Blumenwitz/Gornig/Murswiek, S. 169 ff. (174). 116 Vgl. etwa Verdross/Simma (Anm. 10), § 1293, S. 873. 117 Ambatielos, Schiedsspruch vom 06.03.1956, in: ILR 1956, S. 306 (314-317). 111
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spruchs analog der UN-Konvention über die Nichtverjährbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 118 ausgeschlossen sein.
b) Völkerrechtliche Haftung für Enteignung Bei völkerrechtswidriger Enteignung bestehen völkerrechtliche Ansprüche auf Naturalrestitution, also auf Wiedereinräumung sämtlicher faktischer Eigentumsrechte als eigentumsrechtlicher Primärschutz. Hinsichtlich der sich noch im Staatseigentum befindlichen Güter ist eine solche Wiedereinräumung des Eigentums rechtlich ohne weiteres möglich. Ist der enteignende Staat jedoch nicht mehr Eigentümer, so ist fraglich, ob Naturalrestitution in Form der Wiedereinräumung des Eigentums verlangt werden kann. Hier gilt jedoch der Grundsatz, dass die völkerrechtliche Pflicht zur Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass dritte Personen an den betroffenen Gegenständen private Rechte erworben haben. Vielmehr ist der Staat verpflichtet, sich durch Enteignung das Gut zu verschaffen und so die Naturalrestitution zu ermöglichen. 119 Die Rückgabe konfiszierten Eigentums wird gleichwohl nicht unproblematisch sein, kann sie doch die Beeinträchtigung anderer bedeuten. Kann die Sache nicht mehr zurückgegeben werden, steht den Betroffenen ein Anspruch auf Schadensersatz als vermögensrechtlicher Sekundärschutz zu. 120 Der zu leistende Schadensersatz berechnet sich nach dem gesamten vom Verletzerstaat verursachten Schaden. Es sind alle Schäden zu ersetzen, bei denen der Kausalzusammenhang zwischen der völkerrechtswidrigen Konfiskation und dem entstandenen Schaden nachgewiesen werden kann. 121 Die Ansprüche richten sich gegen den konfiszierenden Staat. Wegen der Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht können betroffene Personen diese völkerrechtlichen Ansprüche nicht im eigenen Namen geltend machen. Vielmehr muss der Heimatstaat, soweit er vorhanden ist, auf zwischenstaatlicher Ebene im Wege des diplomatischen Schutzes die Rechte einfordern. 122
___________ 118 Vgl. Res. 2391 (XXIII), Text: Djonovich, Dusan, United Nations Resolutions, Series I, vol. XII (1968 1969), 1975, S. 154 ff. 119 Verdross, Alfred, Völkerrecht, 5. Aufl. 1964, S. 401. 120 Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 25 f.; Verdross/Simma (Anm. 10), § 1295 f., S. 874 f.; Blumenwitz (Anm. 32), S. 67. 121 Berber, Bd. III (Anm. 65), S. 26; Verdross (Anm. 119), S. 401 f. 122 Seidl-Hohenveldern (Anm. 90), Rdnr. 1602. Vgl. unten III.
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3. Deutsche Besonderheiten a) Einwendungsverzicht gemäß Art. 3 Sechster Teil aa) Inhalt Nach Art. 3 Abs. 1 Sechster Teil Überleitungsvertrag 123 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten wird die Bundesrepublik Deutschland „in Zukunft keine Einwendungen gegen Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind oder werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustandes oder aufgrund von Abkommen, die die Drei Mächte mit anderen alliierten Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden.“ Gleichzeitig normiert Art. 3 Abs. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag, dass „Ansprüche und Klagen gegen Personen, die auf Grund der in Absatz (1) ... dieses Artikels bezeichneten Maßnahmen Eigentum erworben oder übertragen haben, sowie Ansprüche und Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben“, nicht zugelassen sind. Der Einwendungsverzicht aus Art. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag führte dazu, dass die Bundesregierung auf die Geltendmachung völkerrechtlicher Ersatzansprüche im Wege des diplomatischen Schutzes gegenüber den Alliierten verzichtete. 124 Die Rechtswegpräklusion aus Art. 3 Abs. 3 schließt prozessrechtlich die Geltendmachung der Ansprüche aus. Art. 3 enthält aber keine Aussage über den rechtlichen Bestand der Ansprüche und hebt diese auch nicht materiell-rechtlich auf. 125
___________ 123
Text: BGBl. 1955 II, S. 405 ff. (944). Vgl. Wolff, Bernhard, Zur Frage der Abgeltung von Reparationsschäden unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Sechsten Teils des Überleitungsvertrags, 1964, S. 104. Nach Lewald, Walter, Das Privatrecht der deutschen Reparationsleistung, NJW 1962, S. 562, hat mit dem Art. 3 des Sechsten Teils des Überleitungsvertrages „die Bundesregierung auf die Geltendmachung von völkerrechtlichen Ersatzansprüchen im Wege des diplomatischen Schutzes gegenüber den alliierten Mächten endgültig verzichtet und die 'früheren' Eigentümer damit ihrer Eigentumstitel bzw. der ihnen nach der Enteignung jedenfalls noch verbliebenen Entschädigungsrechte gegenüber den Alliierten endgültig beraubt.“ Die Bundesregierung hat in einer Erklärung zum Überleitungsvertrag festgestellt, dass der Verzicht auf Einwendungen gegen die zu den in Art. 3 des Sechsten Teils des Vertrags von den Alliierten durchgeführten Reparationen nur bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage gelte; vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 25.05.1952, Nr. 59, S. 654. 125 Blumenwitz (Anm. 32), S. 63. 124
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bb) Fortgeltung Nach Art. 7 des „Zwei-plus-vier“-Vertrages beendeten die Vier Mächte „ihre Rechte und Verantwortlichkeiten“ in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Art. 7 Abs. 1 bezieht sich aber nur auf die Vereinbarungen der vier Siegermächte über Deutschland. Da aber nach Art. 7 Abs. 2 des Zwei-plusvier-Vertrages das vereinte Deutschland „demgemäß die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“ hat, müssten auch die Regelungen der Verträge der drei Westmächte mit der Bundesrepublik Deutschland, die die deutsche Souveränität beeinträchtigen, ihre Bedeutung verloren haben. 126 Folge wäre damit die Beendigung des Deutschlandvertrages 127 und auch des Überleitungsvertrags. 128 Beide Verträge sind jedoch Gegenstand eines häufig übersehenen Notenwechsels vom 27./28. September 1990 129 , einem Verwaltungsabkommen gemäß Art. 59 II S. 2 GG, zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und den Regierungen der drei Westalliierten, in dem vereinbart wurde, dass Deutschlandvertrag und Überleitungsvertrag außer Kraft treten. Allerdings werden die für die eigentumsrechtliche Problematik relevanten Bestimmungen des Sechsten und Neunten Teils durch den Notenwechsel seltsamerweise nicht außer Kraft gesetzt. 130 Sie haben damit auch künftig Gültigkeit. 131 Innerstaatlich haben die fortgeltenden Normen nun den Charakter einer Rechtsverordnung des Bundes. 132 Verfassungsrechtlich ist zweifelhaft, ob zur Regelung einer so bedeutenden Erhaltung von Drei-Mächte-Rechten nicht das Parlament hätte eingeschaltet werden müssen. 133 ___________ 126 Vgl. Gornig, Gilbert, Der Zwei-plus-vier-Vertrag unter besonderer Berücksichtigung grenzbezogener Regelungen, in: ROW 1991, S. 97 ff. (105); Fiedler, Wilfried, Die Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands und die Einigung Europas in: JZ 1991, S.°685 ff. (690). 127 Text: BGBl. 1955 II, S. 301 ff. Vgl. auch Art. 10 Deutschlandvertrag, wonach die Vertragsparteien auf Ersuchen eines von ihnen im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands die Bestimmungen des Vertrages erneut überprüfen. 128 So auch Blumenwitz (Anm. 32), S. 61. 129 Text: BGBl. 1990 II, S. 1386 ff. 130 Vgl. Gornig (Anm. 126), ROW 1991, S. 105. 131 Es handelt sich bei dem ohne Mitwirkung des Parlaments zustande gekommenen Notenwechsel um ein Verwaltungsabkommen gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG. Vgl. auch Blumenwitz, Dieter, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil II: Völkerrechtliche Verträge, 1991, S. 34 ff. 132 Vgl. Blumenwitz (Anm. 32), S. 61. Zum Problem, ob die Umwandlung von einer zeitlich begrenzten Norm im Überleitungsvertrag in eine zeitlich unbegrenzte Norm nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfte vgl. Fiedler (Anm. 126), JZ 1991, S.°685 ff. (690). 133 Vgl. auch Fiedler (Anm. 126), JZ 1991, S. 685 ff. (690).
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cc) Anwendung auf das konfiszierte Privatvermögen der Deutschen in den Vertreibungsgebieten (1) Allgemein Die Bundesregierung erklärte in den Jahren 1974 und 1975, dass es der Bundesrepublik wegen des Einwendungsverzichts aus Art. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag verwehrt ist, Maßnahmen gegen polnische Konfiskationen zu ergreifen. Auch Klagen vor deutschen Gerichten seien gegen derartige Konfiskationen verfahrensrechtlich unzulässig. 134 Der Einwendungsverzicht des Überleitungsvertrages wurde als wichtige Schranke der rechtlichen Möglichkeiten der Bundesregierung beim Schutz der Rechte der Vertriebenen 135 qualifiziert. Diese Rechtsauffassung der Bundesregierung ist nicht überzeugend. Der Einwendungsverzicht des Art. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag betrifft nämlich allein das deutsche Auslandsvermögen oder sonstiges deutsches Vermögen, das für Zwecke der Reparation oder Restitution, auf Grund des Kriegszustandes oder auf Grund von Abkommen, die die drei Westmächte mit anderen Staaten geschlossen haben, beschlagnahmt wurde. 136
(2) Auslandsvermögen Das Privateigentum in den Vertreibungsgebieten Ostdeutschlands, das vom Enteignerstaat konfisziert wurde, ist kein Auslandsvermögen, sondern deutsches Vermögen, soweit es im Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 137 belegen war. 138 Es handelte sich also um deutsches Inlandsvermögen. 139 Betrachtete man die Eingliederung des Sudetenlandes 140 in das Deutsche Reich und die damit verbundene Übertragung der deutschen Staatsangehörigkeit auf die Sudetendeutschen als rechtmäßig, greift der Einwendungsverzicht auch nicht für das sudetendeutsche Vermögen, da es sich dann nicht um deut___________ 134
Bundestags-Protokoll 7/9534-9536; 7/10949-10954. Vgl. BT-Protokoll 7/9534 ff. 136 Vgl. Blumenwitz (Anm. 32), S. 64. 137 Vgl. BVerfGE 36, S. 1 ff.; vgl. hierzu Blumenwitz, Dieter, Was ist Deutschland?, 3. Aufl. 1989, S. 33 ff. 138 So auch Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, S. 487. 139 So zutreffend: Blumenwitz (Anm. 32), S. 64. 140 Vgl. dazu Gornig (Anm. 2), in: Deutschland und seine Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Bd. 16 (1996), S. 3 ff. (30 ff.) 135
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sches Auslandsvermögen handelte, sondern um deutsches Inlandsvermögen. Betrachtete man den Anschluss an das Deutsche Reich und die damit verbundene Übertragung der deutschen Staatsangehörigkeit auf die Sudetendeutschen als völkerrechtswidrig, beträfe der Einwendungsverzicht des Art. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag auch nicht das Vermögen der Sudetendeutschen, da das Vermögen der Sudetendeutschen dann nicht deutsches Auslandsvermögen oder sonstiges deutsches Vermögen war, sondern Vermögen tschechoslowakischer Bürger. 141 Dieser Ansicht folgten die Alliierten. Sie ließen alle deutschen Gebietserwerbungen nach dem 31. Dezember 1937 außer Acht. Das im Jahre 1938 eingegliederte Sudetengebiet lag damit außerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937. Damit waren ihrer Ansicht nach die Sudetendeutschen keine deutschen Staatsangehörigen und das sudetendeutsche Vermögen kein deutsches Vermögen. 142 Die Tatsache, dass gemäß dem bundesdeutschen Ersten Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 143 die durch Sammeleinbürgerungen erfolgten Verleihungen deutscher Staatsangehörigkeit an deutsche Volkszugehörige rechtswirksam blieben, kann daran nichts ändern. Ausschlaggebend ist hier die Rechtsansicht der Alliierten zur Zeit der Konfiskationsmaßnahmen, und diese haben alle nach dem 31. Dezember 1937 erfolgten Einverleibungen als völkerrechtswidrig und unwirksam betrachtet.
(3) Sonstiges Vermögen Das deutsche Vermögen in Polen, der Sowjetunion und im Sudetenland ist aber auch kein „sonstiges Vermögen“ im Sinne des Überleitungsvertrages, da es nicht zu den in Art. 3 genannten Zwecken beschlagnahmt wurde. Es wurde weder zu Reparations- noch zu Restitutionszwecken, noch aufgrund des Kriegszustands noch auf Grund besonderer Verträge beschlagnahmt. 144 Ziel der Konfiskationen war nicht die Einbeziehung in eine spätere Reparationsregelung 145 , sondern die Konfiskationen erfolgten zur Bereicherung und zur De___________ 141
Vgl. Blumenwitz (Anm. 32), S. 64. Das Pariser Reparationsabkommen vom 14.01.1946 (Text: UNTS, vol. 555, S. 69 ff.), das die Reparationsleistungen Deutschlands an die Westalliierten regelt, nimmt ebenfalls die Volksdeutschen von Reparationsmaßnahmen aus; vgl. SeidlHohenveldern, Ignaz/Ipsen, Knut, Entschädigungspflicht der Bundesrepublik für reparationsentzogenes Auslandsvermögen, 1962, S. 129. 143 Text: BGBl. 1955 I, S. 65 ff. 144 Vgl. auch Gornig (Anm. 2), AWR-Bulletin 1991, Nr. 2, S. 79. 145 Die Vermögenswerte sollten nicht dem Reparationskonto und alliierter Verfügungsmacht zugeführt werden; vgl. auch Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, S. 487; Blumenwitz (Anm. 32), S. 65; Kuhn, Georg, Die Rechtsprechung des BGH zum Pariser Überleitungsvertrag, in: Wertpapiermitteilungen 1958, S. 131 ff. 142
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mütigung der deutschen Bevölkerung. Die Enteignung erfolgte auch nicht zum Zwecke der Restitution von zuvor rechtswidrig entzogenem Eigentum. Vielmehr gehörten die Vermögensgegenstände den Menschen bereits vor dem Krieg. Es handelt sich bei den Maßnahmen auch nicht um solche des Kriegszustandes 146 , da dieser mit dem Andauern der Kampfhandlungen gleichgesetzt wurde, wie sich aus Art. 1 des Neunten Teils des Überleitungsvertrags ergibt. Das Privatvermögen in den Ostgebieten und im Sudetengebiet wurde auch nicht aufgrund von Abkommen zwischen den Westalliierten und den Enteignerstaaten enteignet. Zwar nimmt der Überleitungsvertrag auf das Pariser Reparationsabkommen 147 Bezug, die Enteignerstaaten waren auch an diesem beteiligt, es war aber von keinem der Signatarstaaten des Überleitungsvertrages beabsichtigt worden, die Konfiskationen der Enteignerstaaten mit diesem Art. 3 in Verbindung zu bringen. 148 Der Art. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag sollte allein die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten sowie deren Vertragspartnern regeln 149 und die drei Westmächte begünstigen, nicht aber die Konfiskationen in den Vertreibungsgebieten sichern, 150 mit denen sie nichts zu tun hatten.
dd) Ergebnis Die Enteignungsmaßnahmen sind also rechtswidrig. Völkerrechtliche Ansprüche wegen der Konfiskationsmaßnahmen bestehen noch und können auch geltend gemacht werden. Sie richten sich gegen die Enteignerstaaten, soweit sie mit dem konfiszierenden Staaten der vierziger Jahre identisch sind.
___________ 146 Der endete mit der Tschechoslowakei erst am 03.02.1955, wie eine Note des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik zum Ausdruck bringt; vgl. Mosler, Hermann/Doehring, Karl, Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland, 1963, S.°415. 147 Text: UNTS, vol. 555, S. 69 ff.; Jahrbuch für internationales und ausländisches Recht 1948/49, S. 435. Zur Aufzählung der Signatarstaaten vgl. Rumpf, Helmut, Die Regelungen der deutschen Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: ArchVR, Bd. 23 (1985), S. 74 ff. (79). 148 Vgl. Roos, Gerd Joachim, Zur Konfiskation privater deutscher Auslandsvermögen, 1956, S. 175 ff.; Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, S. 487; Fuchs, Reinhard, Enteignung durch völkerrechtliche Verträge und deutsches Verfassungsrecht Ein Beitrag zur vermögensrechtlichen Lage nach dem Überleitungsvertrag und dem Warschauer Vertrag, Diss. München 1972, S. 109. 149 Vgl. Mosheim, B., Reparationen im Bonner Vertragswerk, in: BB 1952, S. 697 f.; Blumenwitz (Anm. 32), S. 66. 150 Vgl. auch Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, 487.
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b) Erklärung des deutschen Bundeskanzlers Hinsichtlich des Warschauer Vertrags von 1970 stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. Juli 1975 fest, dass die durch die polnischen Konfiskationen aufgeworfene Entschädigungsfrage nicht geregelt worden sei. 151 Bei der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages hat ein Briefwechsel unter dem Datum vom 17. Juni 1991 zwischen den Außenministern beider Staaten 152 stattgefunden, in dem es in der Ziffer 5 heißt, dass beide Staaten übereinstimmend erklären: „Dieser Vertrag befaßt sich nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit und nicht mit Vermögensfragen“. Diese Offenheit der Vermögensfrage wird in vielen offiziellen Verlautbarungen der deutschen Bundesregierung bestätigt. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder äußerte sich hingegen am 1. August 2004 zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes: „Wir Deutschen wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat und wer seine ersten Opfer waren, deshalb darf es heute keinen Raum mehr für Restitutionsansprüche aus Deutschland geben, die die Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide Regierungen kein Thema mehr in den deutsch-polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernst zu nehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie denn noch geltend gemacht werden. Diese Position wird die Bundesregierung auch vor allen internationalen Gerichten vertreten“. Bei dem Besuch des polnischen Premierministers in Berlin am 27. September 2004 hielten die beiden Regierungschefs gemeinsam eine Pressekonferenz ab. Dabei sprach der Bundeskanzler mehrfach von der „Rechtsgrundlosigkeit“ aller Ansprüche deutscher Staatsbürger gegenüber Polen auf der Grundlage der Vertreibung und der Enteignungen. Er legte dar, es dürfe keinen Raum mehr für Restitutionsansprüche aus Deutschland geben, die die Geschichte auf den Kopf stelle. Aus dieser Formulierung des Bundeskanzlers kann abgeleitet werden, dass die Bundesregierung derartige individuelle Forderungen nicht unterstützen wird, was natürlich im Anbetracht des diplomatischen Schutzes, auf den die Bundesbürger einen Anspruch haben, verfassungsrechtlich fragwürdig ist. Es kann aber aus der Formulierung abgeleitet werden, dass die – ehemalige – Bundesregierung die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht hindern wer___________ 151 BVerfGE 40, S. 141, 167 ff. So heißt es in der Entscheidung: „Die Verträge von Moskau und Warschau erwähnen Fragen des deutschen Privateigentums nicht. Der deutsche Vertragspartner hat keine auf die von der Sowjetunion und Polen vorgenommenen Eigentumsentziehungen bezügliche Willenserklärung abgegeben, insbesondere keine Billigung oder Anerkennung dieser Maßnahmen ausgesprochen.“ 152 Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nr. 68, 18.06.1991.
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de. 153 Die Tatsache, dass der Bundeskanzler die Ansprüche der Vertriebenen als rechtsgrundlos bezeichnet hat, heißt nicht, dass sie wirklich rechtsgrundlos sind oder etwa damit rechtsgrundlos würden. Der Bundeskanzler hat lediglich – wenn auch in offizieller Funktion – eine Meinung wiedergegeben, er ist kein rechtsprechendes Organ und kein absoluter Herrscher, der entscheiden könnte, was Recht ist und was nicht; ferner kann er über Individualansprüche und das Eigentum der Vertriebenen nicht verfügen. Seine Aussage ist eine politische Aussage ohne jede rechtliche Verbindlichkeit.
II. Prozessuale Lage Der völkerrechtliche Grundsatz der Gleichheit der Staaten hat zur Folge, dass kein Staat befugt ist, die Tätigkeit eines anderen Staates als Hoheitsträger seiner Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung 154 zu unterwerfen. Es gilt die Maxime, die schon Bartolus lehrte: „Par in parem non habet imperium“ 155 bzw. der Grundsatz „par in parem non habet iudicium“. 156 Staaten genießen damit vor der Hoheitsgewalt anderer Staaten Immunität. Bestünde diese Immunität nicht, wäre die gegenseitig anerkannte souveräne Gleichheit der Staaten aufgehoben. Das allgemeine Völkerrecht gebietet, dass Staaten als gleich geordnete Rechtsinhaber und nicht als einander übergeordnet betrachtet werden. ___________ 153
Vgl. dazu auch unten, II, III. Als das Landgericht Levadia einer Klage griechischer Bürger auf Kompensation für im Jahre 1944 durch deutsche Truppen erlittene Schäden stattgab – das Urteil wurde dann vom höchsten griechischen Gericht, dem Areopag, im Mai 2000 bestätigt – , wurde gegen das Völkerrecht verstoßen. Die Klage von Opfern und ihren Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1997 vor einem griechischen Gericht hätte aus Gründen des Völkerrechts abgewiesen werden müssen. Diese Rechtsregeln hätten die griechischen Gerichte beachten müssen. Zumindest der Areopag hätte, als die deutsche Regierung Rechtsmittel einlegte, den Grundsatz der Immunität des deutschen Staates vor fremden Gerichten anerkennen und anwenden müssen. Doch das Gericht entschied in seinem endgültigen Urteil anders, wobei einige Richter einschließlich der Präsident überstimmt wurden. Die Minderheit folgte der grundsätzlich hier dargelegten Auffassung. Der Areopag in seiner Mehrheit meinte hingegen, das Völkerrecht habe sich insofern geändert, als gegen die Verurteilung wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit der Einwand der Immunität nicht mehr erhoben werden könne. Das Urteil des Areopags ist rechtskräftig, auch wenn es das Völkerrecht wegen Missachtung der Immunität des deutschen Staates verletzt und die Voraussetzung für die Vollstreckung in Eigentum Deutschlands bildet. 155 Tractatus represaliarum (1354), Qu. I/3, § 10. 156 Das Reichsgericht hat die Unzulässigkeit von Klagen gegen ausländische Staaten mit der „gegenseitigen Unabhängigkeit und Gleichheit souveräner Staaten“ begründet, vgl. RGZ 62, S. 165 (167); 103, S. 274 (280). 154
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Nationale Gerichte können also grundsätzlich nicht fremde und ihnen nicht untergeordnete Staaten verurteilen. Das bedeutet allerdings nicht, dass völkerrechtliches Unrecht nicht wieder gutgemacht werden müsste. Das kann aber nur auf der Grundlage von Verhandlungen zwischen Regierungen geschehen oder im Wege der Streitschlichtung durch ein internationales Gericht, dessen Jurisdiktion von den beiden Parteien akzeptiert wird.
III. Diplomatischer Schutz 1. Bedeutung und Inhalt Da der innerstaatliche Rechtsweg nicht zum Erfolg führen wird, stellt sich die Frage, ob sich betroffene Bürger wegen der Völkerrechtswidrigkeit der Enteignungsmaßnahmen an die Enteignerstaaten wenden können. Dies ist aber zu verneinen. Wegen der Mediatisierung des Einzelnen im Völkerrecht können diese völkerrechtlichen Ansprüche nicht von den betroffenen Bürgern im eigenen Namen eingeklagt werden. Vielmehr muss der betroffene Staat im Wege des diplomatischen Schutzes die völkerrechtlichen Ansprüche gegen den Enteignerstaat geltend machen. Der Staat, dem die Enteigneten angehören, ist nämlich durch die Missachtung des Völkerrechts zum Nachteil seiner Bürger selbst durch den Enteignerstaat verletzt.
2. Voraussetzung Voraussetzung für die Gewährung diplomatischen Schutzes ist völkerrechtswidriges Handeln des Drittstaates sowie Rechtswegerschöpfung im Drittstaat. Die Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskationsmaßnahmen wurde eben dargestellt. Es müssten nun aber die innerstaatlichen Rechtsbehelfe im Enteignerstaat erschöpft werden. Diese völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung der Rechtswegerschöpfung 157 bezieht sich allerdings nur auf effektive Rechtsmittel. 158 Ein Staat wird sich nur dann in Ausübung diplomatischen Schutzes der Angelegenheit annehmen und einen Anspruch auf Wiedergutmachung geltend machen, wenn die vertriebenen Personen seine Staatsangehörigkeit haben. 159 ___________ 157 Vgl. Geck, Wilhelm Karl, Diplomatic Protection, in: Bernhard (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. I, 1992, S. 1045 ff. (1056). 158 Vgl. Seidl-Hohenveldern (Anm. 90), Rdnr. 1693. 159 Es spielt hierbei keine Rolle, ob die Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich identisch ist oder nicht. Ausreichend ist allein der Umstand, dass die betroffene Bevölkerung dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland untersteht. Das Recht
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Die Hilfestellung durch einen Staat entfällt, wenn die vertriebene Bevölkerung die Staatsangehörigkeit des Vertreiberlandes hat. In diesem Falle bestehen grundsätzlich nur die Ansprüche der vertriebenen Personen gegen ihren Staat. Die Bundesrepublik Deutschland ist damit grundsätzlich berechtigt, für die deutschen Staatsangehörigen, egal ob sie in Deutschland oder im Enteignerstaat leben, in der Vermögensfrage diplomatischen Schutz auszuüben, wenn der Rechtsweg im Enteignerstaat ausgeschlossen ist. 160
___________ der Bundesregierung, die vertriebene Bevölkerung wegen des erlittenen Vertreibungsschadens gegenüber den Vertreiberstaaten diplomatisch zu schützen, beinhaltet allerdings keine entsprechende Pflicht. Die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den vertriebenen Bevölkerungsteilen lässt sich jedoch aus dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland ableiten. Die Bürger haben heute den Anspruch auf diplomatischen Schutz, der sich allerdings nicht expressis verbis aus der Verfassung ergibt, sondern der allein aus den Freiheitsrechten herauszulesen ist. So hat in Bezug auf den diplomatischen Schutz für Deutsche im Ausland das OVG Münster (DVBl. 1962, S. 139 [140]) festgestellt, dass die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG angeordnete Verpflichtung aller staatlicher Gewalt zum Schutz der Menschenwürde einen Anspruch des Einzelnen auf ein positives Tätigwerden des Staates in allen Fällen der Verletzung der Menschenwürde begründe, nicht nur im Bereiche der innerstaatlichen Ordnung, sondern auch bei Verletzung durch eine ausländische Staatsgewalt. Soweit dieser Schutz jedoch die Beziehungen zu ausländischen Staaten berühre, unterliege er Besonderheiten. Aus diesen Besonderheiten des Auslandsschutzes entnimmt das OVG Münster, dass kein subjektiv öffentliches Recht des Staatsbürgers auf Gewährung staatlichen Schutzes im Ausland bestehe, wohl aber ein subjektives öffentliches Recht auf pflichtgemäße Ausübung des behördlichen Ermessens bei der Entscheidung über den Schutzantrag. Dabei sind die Interessen des Schutzsuchenden und die der Allgemeinheit, insbesondere die Beziehungen der Bundesrepublik zu den anderen Staaten, abzuwägen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1981, S. 1499 f.) ist bei der Bundesregierung „ein breiter Raum politischen Ermessens“ eingeräumt. Im Rahmen der Ostvertragspolitik hatte die Bundesrepublik Deutschland unter ihrer SPD/FDP-Regierung immer wieder die Gelegenheit, auch Vertreibungsschäden zur Sprache zu bringen, sie tat es nicht. 160 Da gemäß Art. 172 § 2 des polnischen ZGB (Kodeks Cywilny – KC) auch Bösgläubige nach 20 Jahren das Eigentum erwerben, hätte eine Klage vor polnischen Gerichten von vornherein keinen Erfolg. Zudem geht Polen von der Rechtmäßigkeit der Konfiskationen aus und lehnt alle Ansprüche auf Entschädigung ab. Vgl. Czaplinski, Wladyslaw, Die friedliche Regelung mit Deutschland, in: ROW 1991, S. 129 ff. (134). Es kann daher auf eine Erschöpfung innerstaatlicher polnischer Rechtsmittel verzichtet werden.
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3. Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährung diplomatischen Schutzes a) Rechtsgrundlage Das Völkerrecht berechtigt die Staaten zum Auslandsschutz, verpflichtet sie aber nicht. Ob ein Staat seinen Staatsangehörigen gegenüber zur Schutzausübung verpflichtet ist, ergibt sich allein aus dem innerstaatlichen Recht. Art. 3 Abs. 6 der Verfassung des Deutschen Reiches 161 und Art. 112 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung 162 sahen einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf diplomatischen Schutz vor. Im Grundgesetz wurde hingegen der Anspruch auf diplomatischen Schutz nicht geregelt, er ist aber gleichwohl gegeben. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verpflichtung zum Auslandsschutz über den objektiven Wertgehalt der betroffenen Grundrechtsnormen und aus der grundgesetzlichen Schutzpflicht des Staates zu konstruieren. Der Schutz der Grundrechte als objektivrechtliche Wertentscheidung obliegt dem Staat als objektive Rechtspflicht. Der Staat hat zum einen die Verpflichtung, sich aller Verletzungen der Grundrechte zu enthalten und zum anderen dafür Sorge zu tragen, dass die in den Grundrechten enthaltenen Werte vor Eingriffen von anderen Staaten geschützt sind. 163 Damit ist den Grundrechten nicht nur ein Abwehranspruch gegenüber staatlicher Gewalt zu entnehmen, sondern sie enthalten auch einen Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem Staat. Die Verpflichtung des Staates, diplomatischen Schutz zu gewähren, ergibt sich somit aus dem Grundrecht, 164 in dem der Einzelne durch eine Maßnahme des Drittstaates betroffen ist. 165 Dieser Verpflichtung des Staates steht ein entsprechender Anspruch des Bürgers auf Schutzgewährung gegenüber. 166 Bei den Konfiskationsmaßnahmen der Enteignerstaaten sind die Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie 3 Abs. 3 GG berührt, da entschädigungslose Enteignungen 167 und Diskriminierungen wegen der Abstammung unserem ___________ 161
Text: RGBl. 1871, S. 63 ff. Text: RGBl. 1919, S. 1383 ff. 163 Vgl. Klein, Eckart, Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, in: DÖV 1977, S. 704 ff. 164 Klein (Anm. 163), DÖV 1977, S. 705 f. 165 Vgl. auch BVerfGE 55, 349 (346); 40, 141 (177). 166 Vgl. BVerwGE 62, 11 (14). 167 Es kann nicht entgegengehalten werden, dass die Enteignungsmaßnahmen bereits vor der Entstehung des Grundgesetzes erfolgten, da die Forderungen gegen den polnischen Staat auf Wiedergutmachung vermögenswerte Positionen darstellen, die dem 162
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Grundgesetz widersprechen. Nun galten die Grundrechte allerdings zur Zeit der Konfiskationsmaßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht. Dies ist aber unerheblich, da der rechtswidrige Zustand auch nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland fortbesteht.
b) Ermessensspielraum bei Schutzgewährung Die Wahrnehmung des Auslandsschutzes steht aber im Ermessen des Staates. Diplomatischer Schutz wird nur gewährt, wenn die Schutzausübung dem Völkerrecht entspricht und überwiegende Interessen des Staats- und Gemeinwohls nicht entgegenstehen. 168 Aufgrund der erforderlichen außenpolitischen Handlungsfreiheit steht dem Staat sowohl bezüglich der Frage, ob Auslandsschutz gewährt wird, als auch hinsichtlich der Bestimmung der Art und Weise sowie des Zeitpunkts der Schutzgewährung ein weites Ermessen zu. 169 Einen Ermessensfehler würde es darstellen, wenn die Bundesregierung eine Abwägung über das „ob“ der Ausübung diplomatischen Schutzes nicht anstellen würde.
c) Diplomatischer Schutz wegen Konfiskationsmaßnahmen Schon in der Entscheidung vom 7. Juli 1975 zum Warschauer Vertrag führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass den Organen der Bundesrepublik Deutschland von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten obliegt. 170 In der Entscheidung vom 8. September 1993 171 stellte das Bundesverfassungsgericht fest: „Ebenso wenig stellt es sich als Grundrechtsverletzung dar, daß die Bundesregierung keine anderweitigen konkreten Schritte unternommen hat, um den Beschwerdeführern zur Durchsetzung der Rechte zu verhelfen, die ___________ Schutz des Art. 14 GG unterfallen, vgl. BVerfGE 40, 141 (168); vgl. ferner Blumenwitz (Anm. 32), S. 83 f. 168 Vgl. auch Geck (Anm. 157), Encyclopedia of Public International Law, Bd. I, S. 1046 ff. 169 Vgl. BVerfGE 55, 349 (365); das Bundesverfassungsgericht begründet dieses weite Ermessen damit, „daß die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden, sondern vielfach von Umständen abhängen, die sich ihren Bestimmungen entziehen.“ Hinsichtlich der Frage, ob die Bundesregierung Auslandsschutz gewähren will, ist der Ermessensspielraum wesentlich kleiner als hinsichtlich der Entscheidung der Art und Weise der Schutzausübung; vgl. BVerwGE 62, 11 (15). 170 BVerfGE 40, S. 141, 177 ff. 171 2. Senat, 3. Kammer, 2 BvR 2121/92 u.a.
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sie dem polnischen Staat gegenüber geltend machen. Angesichts der rechtlichen Umstrittenheit dieser Ansprüche und der politischen Lage im deutsch polnischen Verhältnis wären deutsche Vorstöße in dieser Richtung nach der aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstandenden Einschätzung der Bundesregierung erfolglos und zudem politisch schädlich.“ Damit kommt zum Ausdruck, dass kein Anspruch des Einzelnen auf ein konkretes Vorgehen durch die Bundesrepublik Deutschland besteht. Bislang hat die Bundesregierung keine Schutzmaßnahmen wegen der beispielsweise polnischen Enteignungsakte vorgenommen, obwohl sie immer die Völkerrechtswidrigkeit der polnischen Maßnahmen betont hat. 172 Die Stellungnahme der Bundesregierung zum konfiszieren Vertriebenenvermögen sind zudem nicht frei von Widersprüchen. Während die Bundesregierung den beschwerdeführenden Heimatvertriebenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowohl jede “existing possession” als auch die Inhaberschaft von “valuable assets, including claims” absprach 173 , betonte sie im innenpolitischen Streit um den Ausgleich mit den östlichen Nachbarn die „Offenheit der Vermögensfragen“ 174 . Das „Offenhalten“ ist ein taugliches Konzept, wenn für die Problembewältigung lediglich eine gute Gelegenheit abgewartet werden soll. 175 Vor der Wiedervereinigung konnte die Bundesregierung sich somit ermessensfehlerfrei darauf berufen, dass die Angelegenheit Gegenstand einer friedensvertraglichen Regelung sein muss. 176 Auch in offiziellen Erklärungen ging die Bundesregierung von der „Rückgabe oder Entschädigung enteigneter Vermögenswerte“ der Heimatvertriebenen aus – allein die Zeit für „konkrete Verhandlungen“ sei noch nicht gekommen 177 . Dieses Junktim zwischen dem Abschluss einer friedensvertraglichen Regelung und der endgültigen Regelung der Enteignungs- und Entschädigungsfrage ist aber 1990 mit dem Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrages, 178 der eine abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland beinhaltet, und des deutsch___________ 172
Vgl. BT-DrS. 11/7033; 8/4463, S. 3, 7/2465, S. 4; 7/18512. Vgl. oben B.I.1.b.cc.(2). 174 Blumenwitz, Dieter, Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Gornig, Gilbert/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Das Recht auf die Heimat, 2005, S. 131 ff. (140). 175 So Blumenwitz (Anm. 32), S. 89. 176 So Genscher auf eine Anfrage des Abgeordneten Frhr. v. Fircks, BT-DrS. 7/2465, S. 4; vgl. auch BT-DrS 8/4463, S. 3. 177 Vgl. z. B. Bundesminister des Auswärtigen, Karlsruher Rede vom 4. September 1993, Pressemitteilung Nr. 1105/03, S. 10. Vgl. auch Dieter Blumenwitz, Die deutschtschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 36 (1998), S. 19 ff. (32 ff.). 178 Text: BGBl. 1990 II, S. 1318 ff. 173
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polnischen Nachbarschaftsvertrags 179 weggefallen. Beim deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag war eine günstige Gelegenheit, diese Probleme zur Sprache zu bringen. Man ließ sie verstreichen. Aber seitdem die Grundlagen für eine gute Nachbarschaft mit Polen vertraglich neu geordnet werden, ist die Zeit gekommen, die offene Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Beziehungen zu thematisieren, zumal im Rahmen der „Stiftung deutsch-polnische Aussöhnung“ 180 die Bundesrepublik einseitig finanzielle Ansprüche der polnischen Seite befriedigt. Zudem erhielt der polnische Staat von der sozialliberalen Bundesregierung in den siebziger Jahren bereits 100 Millionen DM zur Verteilung an seine in nationalsozialistischen Konzentrationslagern durch pseudomedizinische Versuche geschädigte Staatsbürger, einen zinsgünstigen Finanzkredit von 1 Milliarde DM sowie eine Abgeltung für pauschal geschätzte Ansprüche polnischer Staatsbürger aus der deutschen Rentenversicherung von 1,3 Milliarden DM. 181 Es wurden also durchaus schon finanzielle Probleme erörtert. Die Nichtgewährung diplomatischen Schutzes ist somit ermessensfehlerhaft. 182 Wird die grundrechtlich fundierte Schutzpflicht ermessensfehlerhaft nicht erfüllt, ist somit auch das Grundrecht, das den Anspruch auf rechtmäßige Ermessensausübung mit trägt, verletzt. 183
C. Rechtslage nach Privatrecht I. Materielle Rechtslage 1. Lex rei sitae Da ein Sachverhalt mit faktischer Auslandsberührung vorliegt, bestimmt das Internationale Privatrecht die Rechtslage. Nach dem internationalen Privatrecht gilt für bewegliche und unbewegliche Sachen die lex rei sitae, also das Recht des Ortes, an dem die Sache belegen ist. 184 Da in den Oder-Neiße-Gebieten die ___________ 179 Text: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18.06.1991, Nr. 68, S. 541-546. 180 Vgl. Notenwechsel vom 16.10.1991 zur „Stiftung deutsch-polnischer Aussöhnung“, Text: Blumenwitz (Anm. 32), S. 125 ff. 181 Vgl. Rumpf, Helmut, Die Regelungen der deutschen Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: AVR, Bd. 23 (1985), S. 74 ff. (99). 182 Zu diesem Ergebnis kommt auch Blumenwitz (Anm. 32), S. 91. 183 Vgl. auch BVerfGE 40, 141 ff. (177). Vgl. Blumenwitz (Anm. 32), S. 91. 184 Vgl. Sturm, Fritz/Sturm, Gudrun, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 2003, Einleitung zum IPR, Rdnr. 705; Kegel, Erhard, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 765 ff.;
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polnische bzw. sowjetische Rechtsordnung angewendet wurde, war seit 1945 auch deutscherseits polnisches bzw. sowjetisches Zivilrecht anzuwenden. 185 In den Sudetengebieten galt tschechoslowakisches Recht. Seit dem Untergang der Sowjetunion und der Tschechoslowakei ist russisches bzw. tschechisches Recht anwendbar.
2. Im enteignenden Staat Um eine endgültige Außerstreitstellung der Eigentumslage herbeizuführen, gestattet beispielsweise Art. 172 § 2 des polnischen Zivilgesetzbuches 186 nach Ablauf von 20 Jahren auch die Ersitzung von Grundstücken bei bösgläubigem Besitz. Nach polnischem Recht haben damit auch die bösgläubigen Besitzer spätestens nach 20 Jahren Eigentum erworben, die früheren deutschen Eigentümer ihr Eigentum an den zurückgelassenen Liegenschaften verloren. In den von Polen verwalteten Gebieten setzte sich also die polnische Eigentumsordnung durch, auch soweit es um das deutsche Eigentum ging. Die durch Gesetze und Verordnungen erfolgten Konfiskationen der Enteignerstaaten beanspruchen also nach dem Territorialitätsprinzip 187 Gültigkeit. Dabei wird aber verkannt, dass auch in den Enteignerstaaten dem Völkerrecht Vorrang einzuräumen ist, das innerstaatlich Anwendung findet. Dieses müsste der jeweilige Richter, der mit der Materie befasst ist, berücksichtigen. Da die Klagen aber in der Regel nicht zulässig sind, hat der Richter keine Möglichkeit, dem Völkerrecht zu genügen.
3. Im Heimatstaat a) Vertriebene als Eigentümer Die Stellungnahmen der Bundesregierung zum konfiszieren Vertriebenenvermögen sind nicht frei von Widersprüchen. In Straßburg sprach die Bundesregierung den beschwerdeführenden Heimatvertriebenen sowohl jede “existing possession” als auch die Inhaberschaft von “valuable assets, including claims” ___________ Kropholler, Jan, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2004, S. 541 ff.; Heldrich, Andreas, in: Palandt, 65. Aufl. 2006, Anhang II zu Art. 43 EGBGB, Rdnr. 2. 185 Vgl. Arndt, Claus, Die Verträge von Moskau und Warschau, 1982, S. 207; Blumenwitz (Anm. 32), S. 74. 186 Art. 172 § 2 polnisches ZGB lautet: „Nach Ablauf von 20 Jahren erwirbt der Besitzer eines Grundstücks das Eigentum auch dann, wenn er den Besitz nicht gutgläubig erworben hat.“ 187 Vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), §§ 1178, S. 774 f.
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ab und bestätigte daher die dortigen Entscheidungen. Im innenpolitischen Streit betonte sie jedoch stets die „Offenheit der Vermögensfragen“. Auch in offiziellen Erklärungen ging die Bundesregierung von der „Rückgabe oder Entschädigung enteigneter Vermögenswerte“ der Heimatvertriebenen aus – allein die Zeit für „konkrete Verhandlungen“ sei noch nicht gekommen 188 . Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland berief sich in ihren Äußerungen gegenüber der Kommission regelmäßig auf das deutsche internationale Enteignungsrecht, wonach die Enteignung eines anderen Staates immer als wirksam anzuerkennen sei, wenn die Grenzen seiner territorialen Souveränität eingehalten werden. Dass jedoch in Deutschland jeder ausländische Hoheitsakt am nationalen und internationalen ordre public 189 zu messen ist, wird geflissentlich verschwiegen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bringt in der Entscheidung vom 7. Juli 1975 zum Warschauer Vertrag 190 im Rahmen der Erörterung des Eigentumsschutzes von Art. 14 GG zum Ausdruck, dass den Beschwerdeführern ihr Vermögen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße „durch Maßnahmen der Sowjetunion und Polens, also ausschließlich durch Akte ausländischer öffentlicher Gewalt, entzogen“ wurde. 191 Das Bundesverfassungsgericht stellte dann fest, es könne offen bleiben, ob die Beschwerdeführer sich hinsichtlich ihres in den Gebieten östlich von Oder und Neiße verbliebenen Privatvermögens noch auf ihre ursprüngliche Eigentumsposition berufen können oder ob unter Einfluss der tatsächlichen Verhältnisse an deren Stelle Ansprüche auf Entschädigung oder auf Wiedereinräumung des Eigentums getreten sind. Wenn man davon ausgehe, dass das Eigentum der Beschwerdeführer mit seiner Entziehung untergegangen sei, könnten Rückgewähr- und Entschädigungsansprüche in Betracht kommen, die sich aus der Völkerrechtswidrigkeit dieser Maßnahmen ergeben, welche übereinstimmend von der Bundesregierung und von den Beschwerdeführern angenommen werde. Auch solche Ansprüche könnten vermögenswerte Rechtspositionen darstellen, die unter den Schutzbereich des Art. 14 GG fallen. In der Entscheidung vom 5. Juni 1992 zu den Verfassungsbeschwerden gegen den deutsch-polnischen Grenzvertrag 192 stellte das Gericht fest, dass ein Verzicht auf etwa bestehende Eigentumsrechte oder Ansprüche deutscher Privatpersonen in dem Grenzvertrag nicht zu sehen ist. Es wird dann dargelegt, dass Auswirkungen auf eigentumsrechtliche Positionen nicht erkennbar sind. Es heißt dann jedenfalls, dass sich die eigentumsrechtli___________ 188 Vgl. z. B. Bundesminister des Auswärtigen, Karlsruher Rede vom 04.09.1993, Pressemitteilung Nr. 1105/03, S. 10. Vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Die deutschtschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, in: AVR, Bd. 36 (1998), S. 19 ff. (32 ff.). 189 Vgl. dazu unten B.I.3.b.bb.(2). 190 BVerfGE 40, 141 ff. 191 BVerfGE 40, 141 (166). 192 EuGRZ 1992, S. 306 ff.
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che Position der Beschwerdeführer durch den Grenzvertrag nicht verschlechtert habe: „Ihnen ist all das geblieben, was sie zuvor hatten: ihrer Ansicht nach bestehende, von polnischer Seite aber nicht anerkannte und daher praktisch nicht durchsetzbare Rechtspositionen und die Hoffnung auf Rückgängigmachung oder zumindest Entschädigung für vor langer Zeit erlittene und ihrer Auffassung nach zu Unrecht zugefügte Verluste“. 193 Damit entschied das Bundesverfassungsgericht nicht, dass derartige Rechtspositionen nach deutschem Recht existieren oder völkerrechtlich begründet sind, brachte aber auch nicht das Gegenteil von dem zum Ausdruck. Dass nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Eigentumspositionen bestehen, legt aber die Entscheidung zum deutschpolnischen Nachbarschaftsvertrag vom 8. September 1993 nahe 194 , in der es heißt, dass der Vertrag keinerlei Regelung in Bezug auf das Eigentum der Betroffenen treffe. Es wird dann auf Ziffer 5 der Briefe der Außenminister zur Vermögensfrage hingewiesen. Dort heißt es: „Angesichts der oft genug bestätigten Rechtsauffassung der Bundesregierung zu dieser Eigentumsfrage, die der polnischen Seite seit langem bekannt und während der Vertragsverhandlungen aufrecht erhalten worden ist, besteht auch keine Verwirkungsgefahr“. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass die Bundesregierung der polnischen Regierung gegenüber seit langem dargelegt habe, dass das Eigentum der Vertriebenen an den betroffenen Grundstücken fortbestehe. Dass in einem weiteren Satz das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck bringt, dass die Ansprüche umstritten sind, was im Hinblick auf Polen ohne weiteres zu bejahen ist, und die Durchsetzung solcher Ansprüche politisch schädlich, bedeutet nicht, dass diese Ansprüche nicht existierten. Maßgeblich für die Offenheit der Vermögensfrage in Beziehung zur Tschechischen Republik bleibt der für die Tschechische Republik fort geltende deutsch-tschechoslowakische Nachbarschaftsvertrag vom 27. Februar 1992 195 mit dem dazugehörigen Briefwechsel. In Ziffer 2 des Briefwechsels heißt es: „Dieser Vertrag befaßt sich nicht mit Vermögensfragen“. Auf die Offenheit der Vermögensfrage im Verhältnis zur Tschechischen Republik wies Bundeskanzler Helmut Kohl anlässlich der Unterzeichnung des deutsch-tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 196 in Prag hin. Er führte aus, dass die Erklärung „kein Vertrag“ sei und dass es „eine Reihe von Fragen gibt, die wir durch diese Erklärung nicht aus der Welt schaffen“, dazu gehöre „die Vermögensfrage, die bleibt natürlich offen“. In diesem Sinne äußerte sich auch Bundeskanzler Kohl schon in einem Schreiben vom 14. Januar 1997 an das Liechtensteinische ___________ 193
EuGRZ 1992, S. 306. 2. Senat, 3. Kammer, 2 BvR 2121/92 u. a. 195 BGBl. 1992 II, S. 463 ff. 196 Text: Bulletin der Bundesregierung Nr. 7 vom 24.01.1997, S. 61. Es handelt sich um einen „Nichtrechtsvertrag“. Vgl. dazu Blumenwitz (Anm. 188), AVR, Bd. 36 (1998), S. 19 ff. (20 ff). 194
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Staatsoberhaupt, in dem darauf hingewiesen wird, dass die deutschtschechische Erklärung „die Rechtsfragen im Zusammenhang mit Enteignungen in der damaligen Tschechoslowakei offenhält“. 197
b) Bedeutung der Völkerrechtswidrigkeit des Handelns von Drittstaaten in der nationalen Rechtsordnung aa) Keine völkerrechtlichen Vorgaben Die Nichtrespektierung des Völkerrechts in der Rechtsordnung der Enteignerstaaten führt grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit der fremden Hoheitsakte. 198 Es spielt also keine Rolle, dass die Anwendung des Rechts der Enteignerstaaten völkerrechtswidrig war. Ausschlaggebend ist nach überwiegender Ansicht allein, welches Recht faktisch an dem betreffenden Ort gilt. 199 Eine andere Frage ist, wie das Ausland die Anwendung völkerrechtswidrigen Rechts beurteilt. Das Völkerrecht überlässt es dem nationalen Recht, wie es Verstöße gegen das Völkerrecht würdigen will. 200 Für Drittstaaten besteht also weder eine unmittelbar aus dem Völkerrecht herzuleitende Verpflichtung zur Anerkennung noch zur Nichtanerkennung ausländischer völkerrechtswidriger Hoheitsakte. 201 Es obliegt ganz einfach dem nationalen Recht, ob und in welcher Weise Völkerrechtsverstöße ausländischer Staaten durch innerstaatliche Nichtbeachtung geächtet werden. 202 Liegt hingegen ein Verstoß gegen ius cogens vor, ist der Drittstaat verpflichtet, dem Völkerrecht in seiner innerstaat___________ 197 Vgl. IGH, Case Concerning Certain Properties (Liechtenstein v. Germany), Annexes 38, 39 und 40 to the Memorial of the Principality of Liechtenstein, 28.03.2002. 198 Nur dann, wenn man den strengen Monismus mit Primat des Völkerrechts vertritt, ergäbe sich die Nichtigkeit der Anwendung der Norm; vgl. Verdross/Simma (Anm. 10), § 72. 199 Vgl. Kegel (Anm. 184), S. 10 f.; Arndt (Anm. 185), S. 207; Blumenwitz (Anm. 32), S. 74 200 Vgl. Kegel (Anm. 184), S. 11. 201 Rojahn, Ondolf, Art. 25, in: Münch, Ingo von/Kunig, Philip (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 25; Blumenwitz (Anm. 32), S. 74. 202 Vgl. Seidl-Hohenveldern (Anm. 90), Rdnr. 1491. Nach der Act of State-Doctrine ist jeder souveräne Staat verpflichtet, die Unabhängigkeit eines jeden anderen souveränen Staates anzuerkennen. Die Gerichte eines Landes seien damit nicht berechtigt, über Hoheitsakte andere Staaten zu Gericht zu sitzen; vgl. Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, in: AJIL, vol. 58 (1964), S. 779. Bei der Act of State-Doctrine handelt es sich allerdings nicht um einen völkerrechtlichen Grundsatz, sondern um ein Prinzip des USamerikanischen Rechts. Der Supreme Court hat im Übrigen seine damalige Auffassung in der Entscheidung First National City Bank v. Banco Nacional de Cuba (Text: AJIL, vol. 66 [1972], S. 381 ff.) aufgegeben.
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lichen Rechtsordnung bei der Beurteilung ausländischer Hoheitsakte Rechnung zu tragen.
bb) Regelung in der Bundesrepublik Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland könnte die Nichtbeachtung ausländischer völkerrechtswidriger Hoheitsakte dem Art. 25 GG und damit direkt dem Völkerrecht sowie Art. 6 EGBGB und damit dem ordre public-Vorbehalt zu entnehmen sein. (1) Art. 25 GG Durch Art. 25 GG erlangen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts eine unmittelbare innerstaatliche Wirkung. Art. 25 GG verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, sich selbst nicht völkerrechtswidrig zu verhalten, trifft aber keine Aussage darüber, wie sich die Bundesrepublik gegenüber völkerrechtswidrigem Handeln anderer Staaten verhalten soll. 203 Es gibt nämlich keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die darüber Auskunft gibt, ob völkerrechtswidriges Handeln von Drittstaaten geächtet werden muss. 204 Etwas anderes gilt nur bei ius cogens. 205 Die Beachtung eines dem ius cogens widersprechenden ausländischen Rechtssatzes ist untersagt, der Staat, der gegen ius cogens verstoßende Rechtsakte anderer Staaten respektierte, würde selbst gegen ius cogens verstoßen. 206 Nun verstoßen allerdings entschädigungslose Enteignungen für sich gesehen nicht gegen ius cogens. Anders verhält es sich bei den Vertreibungsmaßnahmen 207 , mit denen die Konfiskationen Hand in Hand gingen. Soweit ein Verstoß gegen ius cogens zu bejahen ist, dürfen deutsche Behörden und Gerichte ___________ 203 Die Act of State-Doctrine ist keine allgemeine Regel des Völkerrechts; vgl. Rojahn (Anm. 201), in: von Münch/Kunig, Art. 25, Rdnr. 25. 204 Nach Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, S. 486, hingegen bewirkt die Völkerrechtswidrigkeit des Enteignungsaktes dessen innerstaatliche Nichtigkeit in Drittstaaten. Vgl. auch Mann, F. A., Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, NJW 1961, S. 705 ff. (707). 205 So Blumenwitz (Anm. 32), S. 75. 206 Vgl. Dahm, Georg, Zum Problem der Anerkennung im Inland durchgeführter völkerrechtswidriger Enteignungen im Ausland, in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.), Recht im Dienste der Menschenwürde. Festschrift für Herbert Kraus, 1964, S. 67 ff. (79 f.); Schütz, Dieter, Der internationale ordre public, 1983, S. 23; Blumenwitz (Anm. 32), S. 75. 207 So handelt es sich nach Ermacora, Felix, Rechtsgutachten über die Sudetendeutschen Fragen, 1991, Ziff. 109; 185 ff., bei Vertreibungsmaßnahmen um Völkermord und damit um einen Verstoß gegen völkerrechtliches ius cogens.
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gemäß Art. 25 GG die entsprechenden Hoheitsakte der Enteignerstaaten nicht anerkennen. (2) Art. 6 EGBGB Die Völkerrechtswidrigkeit ausländischer Hoheitsakte ist auch im Rahmen des Art. 6 EGBGB zu berücksichtigen. Zu den „wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts“ im Sinne von Art. 6 EGBGB gehören gemäß Art. 25 GG auch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts. Diese allgemeinen Grundsätze sind somit als internationaler ordre public 208 auch bei der Interpretation der ordre public-Klausel zu berücksichtigen. 209 Da diskriminierende, entschädigungslose Enteignungen mit dem allgemeinen Völkerrecht nicht vereinbar sind, verstoßen sie auch gegen den ordre public. 210 Entschädigungslose Enteignungen sind aber auch mit dem nationalen ordre public nicht vereinbar, da sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sind, 211 so dass ihnen auch deswegen die Anerkennung zu versagen ist. Ein Rückgriff auf den nationalen ordre public ist allerdings bei Verstößen gegen das Völkerrecht nicht mehr erforderlich. 212 ___________ 208
Der internationale ordre public als Bestandteil der IPR ist vom völkerrechtlichen ordre public als Bestandteil des Völkerrechts zu unterscheiden. Der völkerrechtliche ordre public dient dem Schutz der zwischenstaatlichen Ordnung und wendet sich an die dem Völkerrecht unterliegenden Subjekte. Ihm kommt die Aufgabe zu, im Interesse der Staatengemeinschaft als solcher auf zwischenstaatlicher Ebene die Einhaltung elementarer Rechtssätze zu sichern. Einen völkerrechtlichen ordre public als Bestandteil des Völkerrechts – also eine Völkerrechtsnorm mit dem Inhalt, dass alle Völker bei Anwendung ihres IPR die Völkerrechtsregeln beachten müssen – gibt es mit Ausnahme des sog. „ius cogens“ nicht. Blumenwitz, Dieter, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 2003, Art. 6 EGBGB Rdnr. 64. 209 Blumenwitz (Anm. 208), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 2003, Art. 6 EGBGB Rdnr. 61 ff. 210 In seinem Völkerrechtslehrbuch schreibt Dahm (Dahm, Georg, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 271): „Die deutschen Gerichte und Gerichte anderer Staaten sind nicht gehalten, die Enteignungen deutscher Vermögen in Polen, der Tschechoslowakei und anderen europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg im Bereiche ihrer Zuständigkeit als rechtswirksam zu behandeln. Die dort vorgenommenen Massenvertreibungen und -enteignungen enthalten einen so großen Verstoß gegen den internationale ordre public, dass sie nicht anerkannt werden müssen, ja, nicht einmal anerkannt werden dürfen.“ Vgl. auch Seidl-Hohenveldern, Ignaz, Völkerrechtswidrige Akte fremder Staaten vor innerstaatlichen Gerichten, in: Ule, Carl H./Schwab, Karl H./Nipperdey, Hans C./Ulmer, Eugen/Seidl-Hohenveldern, Ignaz (Hrsg.), Recht im Wandel. Festschrift 150 Jahre Carl Heymanns Verlag KG, 1965, S. 591 ff. (610); Blumenwitz (Anm. 32), S. 77. 211 Vgl. BGHZ 31, 168 ff.; 8, 378 ff.; OLG Bremen, IPRspr. 1958/59, Nr. 7 a; LG Hamburg, RabelsZ 37 (1973), S. 579 ff.; LG Braunschweig, IPRspr. 1971, Nr. 144. 212 Vgl. Kimminich (Anm. 26), JZ 1971, S. 486; Mann, F. A., Völkerrechtswidrige Enteignungen von nationalen Gerichten, NJW 1961, S. 705 ff.; Blumenwitz (Anm. 32), S. 77; BGH, NJW 1987, 3027 ff.; kritisch: Kornblum, John, Das „Gebot überparteilicher
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(3) Deutsche Besonderheiten Art. 1 Neunter Teil Überleitungsvertrag regelt, dass „deutsche Staatsangehörige, die der Herrschaftsgewalt der Bundesrepublik unterliegen, gegen Staaten, welche die Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 unterzeichnet haben oder ihr beigetreten sind oder mit Deutschland im Kriegszustand waren oder in Art. 5 des Fünften Teils dieses Vertrages genannt sind, sowie gegen deren Staatsangehörige keine Ansprüche irgendwelcher Art erheben wegen Maßnahmen, welche von den Regierungen dieser Staaten oder mit ihrer Ermächtigung in der Zeit zwischen dem 1. September 1939 und dem 5. Juni 1945 wegen des in Europa bestehenden Kriegszustandes getroffen worden sind; auch darf niemand derartige Ansprüche vor einem Gericht in der Bundesrepublik geltend machen“. Art. 1 des Neunten Teils des Überleitungsvertrags eröffnet aber schon deswegen keinen Einwendungsverzicht, da die Konfiskationsmaßnahmen nicht, wie es Art. 1 voraussetzt, wegen des Kriegszustandes erfolgten. Aus dieser Bestimmung ist ferner abzuleiten, dass der Tag der Berliner Erklärung 213 , der 5. Juni 1945, als maßgeblicher Zeitpunkt ins Auge gefasst wurde. Hinsichtlich der später getroffenen Maßnahmen ist damit eine Anspruchserhebung der deutschen Staatsangehörigen nicht ausgeschlossen. Danach waren wegen der Konsolidierung der Lage Maßnahmen gegenüber den deutschen Staatsangehörigen nicht mehr erforderlich. Im Übrigen lässt der Kriegszustand nur Maßnahmen gegen das Staatsvermögen zu. 214 (4) Resümee Für den deutschen Rechtskreis ist damit die Nichtanerkennung der völkerrechtswidrigen Maßnahmen der Enteignerstaaten gemäß Art. 25 GG und Art. 6 EGBGB geboten. Soweit Deutsche Opfer diskriminierender, entschädigungsloser Enteignungen in Folge von Vertreibungsmaßnahmen sind, haben deutsche Gerichte die Völkerrechtswidrigkeit zu würdigen. 215 ___________ Rechtspflege“ und der deutsche schiedsrechtliche ordre public, NJW 1987, 1105 ff., zustimmend: Winterfeld, Achim von, Noch einmal: Der deutsche ordre public in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, in: NJW 1987, 3059 ff. 213 Text: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland. Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7 ff. Mit ihr übernahmen die vier Siegermächte „die oberste Regierungsgewalt in Deutschland“ (Präambel, Absatz 5). 214 Vgl. Art. 46, 47, 52, 53, aber auch 56 HLKO. 215 Vgl. Krülle, Siegrid, Eigentumsfragen im Zusammenhang mit dem umfassenden deutsch-polnischen Vertrag, in: Neubestätigung und Weiterentwicklung von Menschenrechten und Volksgruppenrechten in Mitteleuropa, 1991, S. 77 ff. (85); Blumenwitz (Anm. 32), S. 77.
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Allerdings ist mit der Ausgliederung der Oder-Neiße-Gebiete aus der Zugehörigkeit zu Deutschland spätestens mit dem Grenzbestätigungsvertrag 216 keine Möglichkeit gegeben, den betroffenen Personen das Eigentum wieder zukommen zu lassen, wie dies in den neuen Bundesländern möglich ist. Rechtlich kann die deutsche Rechtsordnung an einem Vermögensgegenstand außerhalb ihres durch den Geltungsbereich des Grundgesetzes abgesteckten effektiven Herrschaftsbereichs das Eigentum weder einräumen noch garantieren. 217 Mehr als das formaljuristische Ergebnis, dass für deutsche Behörden und Gerichte die Konfiskationen der Enteignerstaaten unbeachtlich sind und nicht zum Verlust der Eigentumspositionen der Vertriebenen haben führen können, vermögen die Art. 25 GG und 6 EGBGB nicht zu bewirken. 218 Damit wird das Eigentumsrecht der Betroffenen unter Beachtung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise zum „nudum ius“. Der formalen Rechtsposition mangelt es an Durchsetzbarkeit. Ein Eigentumsherausgabeanspruch nach dem Zivilrecht muss aber dann erfolgreich sein, wenn sich ein Gegenstand des ehemals enteigneten Vermögens in der Bundesrepublik befindet.
II. Prozessuale Lage 1. Im enteignenden Staat Fraglich ist, welche Möglichkeiten der Bürger hat, den Rechtsweg zu beschreiten. Da die völkerrechtswidrigen Vertreibungsmaßnahmen Privatpersonen betreffen, ist natürlich zunächst daran zu denken, dass diese selbst vor innerstaatlichen Gerichten des Enteignerstaates Rechtsschutz suchen. 219 Dieser wird aber in der Regel aussichtslos sein.
___________ 216 Text. BGBl. 1991 II, S. 1328 ff.; vgl. hierzu Kimminich, Otto, Die abschließende Regelung mit Polen, in: Zeitschrift für Politik, 1991, S. 361 ff.; Rauschning, Dietrich, Die Wiedervereinigung vor dem Hintergrund der Rechtslage Deutschland, in: JuS 1991, S. 977 ff. (984); Gornig (Anm. 126), in: ROW 1991, S. 97 ff. (101 ff.). 217 So Blumenwitz (Anm. 32), S. 77. 218 So Blumenwitz (Anm. 32), S. 77. 219 Eine solche Suche nach Rechtsschutz ist allerdings im Falle der Vertreibung der Deutschen von vornherein aussichtslos gewesen, da die Gesetze Polens und der Sowjetunion der vertriebenen deutschen Bevölkerung keine Rechte gaben. Eine andere Frage ist jedoch, ob heute noch nach 40 Jahren die Bundesrepublik Deutschland Rechte ihrer vertriebenen Bevölkerung geltend machen kann.
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2. Im Heimatland a) Klage auf Herausgabe des Eigentums In Deutschland gibt es keinen Gerichtsstand, der Prozesse wegen Rückgabe des Eigentums an Grundstücken außerhalb Deutschlands ermöglichen würde. Im Heimatstaat ist eine Klage nur sinnvoll, wenn ein Gegenstand des enteigneten Vermögens im Heimatstaat auftaucht. Es gilt dann der ausschließliche Gerichtsstand der Belegenheit der Sache nach § 24 ZPO.
b) Klage auf Gewährung diplomatischen Schutzes aa) Verwaltungsrechtliche Klage Für eine Klage auf Gewährung diplomatischen Schutzes wäre grundsätzlich gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Bundesverwaltungsgericht hat es in einer Entscheidung 220 über einen Antrag auf Gewährung diplomatischen Schutzes offen gelassen, ob der Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf schlicht hoheitliches Handeln gerichtet ist, ob also die Verpflichtungsklage oder die allgemeine Leistungsklage gegeben ist. Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben, da möglicherweise Art. 14 GG und Art. 3 Abs. 3 GG verletzt sind. Ein Vorverfahren erübrigt sich gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO, da hier die Handlung einer obersten Bundesbehörde erstrebt wird. Ein Antrag auf Schutzgewährung beim Auswärtigen Amt ist nicht erforderlich, bejaht man das Vorliegen einer eindeutigen Verweigerungshaltung der Bundesregierung. Ergäbe sich dann im Verfahren die Rechtswidrigkeit des Unterlassens, ergeht mangels Spruchreife ein Bescheidungsurteil gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO, wonach die Behörde verpflichtet ist, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Die Verwaltungsgerichte werden aber wohl – wie bereits geschehen 221 – Klagen als unbegründet zurückweisen, weil einfache Gerichte in diesem hochpolitischen Bereich richterliche Zurückhaltung üben werden. Auch wegen nicht auszuschließender Amtshaftungsansprüche muss zunächst der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden. Gemäß § 839 Abs. 3 BGB tritt Ersatzpflicht nämlich nicht ein, wenn es der Verletzte schuldhaft oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. ___________ 220 221
Vgl. BVerwGE 62, 11 (14). Vgl. VG Köln vom 19.06.1991 8 K 751/90.
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bb) Amtshaftung Wird in rechtswidriger Weise kein diplomatischer Schutz ausgeübt, könnte dies zur Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG führen. Die fehlerhafte Ermessensentscheidung des handelnden Beamten, keinen diplomatischen Schutz zu gewähren, stellt eine Amtspflichtverletzung dar. 222 Diese Amtspflicht besteht denjenigen gegenüber, deren Grundrechtsschutz betroffen ist. Problematisch wird es aber sein, dem Handelnden Verschulden nachzuweisen. Auch ist der Nachweis der Kausalität zwischen der Verweigerung des diplomatischen Schutzes und dem eingetretenen Schaden nicht einfach. Es ist nämlich nicht sicher, dass der polnische Staat an die Betroffenen Wiedergutmachungsleistungen erbracht oder das Eigentum wieder zurückgegeben hätte, wenn die Bundesregierung im Wege diplomatischer Protektion darauf hingewirkt hätte. Im Übrigen schließt § 5 Nr. 2 des Gesetzes über die Haftung des Reichs für seine Beamten (RBHG) die Staatshaftung aus, „soweit es sich um das Verhalten eines mit Angelegenheiten des auswärtigen Dienstes befaßten Beamten handelt und dieses Verhalten nach einer amtlichen Erklärung des Reichskanzlers“ – jetzt der Bundeskanzler nach Art. 129 GG – „politischen oder internationalen Rücksichten entsprochen hat.“ Nach dieser Bestimmung würde sowohl die Haftung des Staates als auch eine Eigenhaftung des Beamten versperrt sein. Uneingeschränkte Haftung der Bundesrepublik bestünde nur dann, wenn die haftungsausschließende Erklärung des Bundeskanzlers nicht abgegeben würde. 223 Ob allerdings § 5 Nr. 2 RBHG wegen Verstoßes gegen Art. 34 S. 1 GG noch geltendes Recht ist, ist zweifelhaft, 224 da eine grundsätzliche Justizfreiheit hochpolitischer Akte dem Art. 34 S. 1 GG nicht zu entnehmen ist. 225
cc) Verfassungsbeschwerde Es bleibt nach Erschöpfung des Rechtswegs die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Nr. 4 c GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG wegen ___________ 222 Vgl. Papier, Hans-Jürgen, in: Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 3, 2. HBd., 1986, § 839 BGB, Rdnr. 169. 223 Vgl. Ress, Georg, Mangelhafte diplomatische Protektion und Staatshaftung, in: ZaöRV, Bd. 32 (1972), S. 420 ff. (463). 224 Vgl. Papier (Anm. 222), in: Münchner Kommentar, § 839 BGB, Rdnr. 299; ders., in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 34 Rdnr. 261; Menzel, Eberhard, Zum Inhalt eines neuen Konsulargesetzes, in: DVBl. 1961, S. 425 ff. 225 Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre kann die in Art. 34 S. 1 GG normierte Staatshaftung durch einfachgesetzliche Regelungen beschränkt oder ausgeschlossen werden; vgl. BGHZ 99, 62 (64); 76, 375 (381); 9, 289 (290); 25 231 (237); 62, 372 (376 f.); BVerfG, DVBl. 1982, S. 1135 ff.
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rechtswidriger Unterlassung der Schutzgewährung zu erheben. Denkbar ist allerdings, von einer Rechtswegerschöpfung abzusehen, da der Rechtsstreit von allgemeiner Bedeutung ist. Der Rechtsstreit schafft nämlich über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle, zudem ist eine Gruppe von vielen Personen betroffen, 226 nämlich die Gruppe der aus den Siedlungsgebieten vertriebenen und enteigneten Deutschen. Es handelt sich um eine Gruppe von mehreren Millionen Menschen. Im Übrigen kann die Rechtswegerschöpfung auch dann entbehrlich sein, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs für den Beschwerdeführer einen schweren und unabwendbaren Nachteil bedeutete. Sollte es der Bundesregierung in einem solchen Verfassungsstreitverfahren gelingen, gewichtige Gründe für ihr Unterlassen vorzutragen, ist zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht – ähnlich wie in der Entscheidung zu den Enteignungen aus besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage 227 – auf die sozialstaatlich gebotene innerstaatliche Ausgleichsregelung verweisen wird.
3. Rechtsweg vor internationalen Instanzen a) Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aa) Allgemein Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann gemäß Art. 34 EMRK von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch einen Vertragsstaat in einem der Rechte der EMRK oder seiner Zusatzprotokolle verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden, wenn die in Art. 35 EMRK aufgeführten Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, dazu gehört die Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe. 228 ___________ 226 Vgl. BVerfGE 25, 236 ff. (246); Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Maunz, Theodor/Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Ulsamer, Gerhard, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 90 BVerfGG, Rdnr. 205. 227 BVerfG, NJW 1991, 1597 (1600 ff.); vgl. hierzu auch Gornig, Gilbert, Enteignungen in der SBZ 1945-1949 unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: IFLA-Informationsdienst 1991, S. 125 ff. 228 Vgl. Gornig, Gilbert, Menschenrechte im Völkerrecht, in: Blumenwitz, Dieter/Gornig, Gilbert/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Minderheitenschutz und Menschenrechte, 2006, S. 155 ff. (180 ff.). Zu seiner Rechtsprechung im Hinblick auf Enteignungen vgl. oben sowie Blumenwitz, Dieter, Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des
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Das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 229 schützt in Art. 1 Abs. 1 S. 1 das Recht jeder natürlichen und juristischen Person auf Achtung ihres Eigentums. Satz 2 besagt, dass niemandem sein Eigentum entzogen werden darf, es sei denn dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch allgemeine Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. bb) Beschwerde gegen den Enteignerstaat Der Gerichtshof wird wahrscheinlich feststellen, dass er ratione temporis nicht zuständig ist, da sich die Klagen auf Vorgänge beziehen, die lange vor der Geltung der Konvention liegen. Allerdings dauert der rechtswidrige Zustand und die Bereicherung durch die rechtswidrige Enteignung an. Weitere Maßnahmen, für die die Zuständigkeit des Gerichtshofs gegeben ist, sind heutige Maßnahmen, durch die die Rückgabe des Eigentums versagt wird. Die Entziehung von Eigentumsrechten wird aber grundsätzlich als eine einmalige Handlung verstanden 230 , die, wenn sie vollendet ist, keine rechtswidrige Dauerwirkung 231 hervorbringt. 232 Dass die Entziehung von Eigentumsrechten oder anderer dinglicher Rechte eine einmalige Handlung sei und nicht die Dauerwirkung einer Rechtsentziehung entfalte, war auch der den Prozess entscheidende Aspekt anlässlich der Beschwerden gegen den deutsch-deutschen Einigungsvertrag, mit dem die Bundesrepublik Deutschland die (völkerrechtswidrigen) Konfiskationen durch die sowjetische Besatzungsmacht bestätigte 233 . ___________ Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Gornig, Gilbert/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Das Recht auf die Heimat, 2005, S. 131 ff. (136 ff.). 229 Text: BGBl. 1956 II, S. 1880 ff.; ETS Nr. 9. 230 Dass die Entziehung von Eigentumsrechten oder anderer dinglicher Rechte eine einmalige Handlung ist und nicht die Dauerwirkung einer Rechtsentziehung hervorbringt, spielt auch bei den Beschwerden gegen den deutsch-deutschen Einigungsvertrag eine maßgebliche Rolle, mit dem die Bundesrepublik Deutschland die (völkerrechtswidrigen) Konfiskationen durch die sowjetische Besatzungsmacht bestätigt. Vgl. Application No. 19048/91 (Weidlich), No. 19049/91 (Hasenkamp), No. 19342/92 (Golf), No. 19549/92 (Klausser), No. 18890/91 (Mayer). Vgl. auch Individualbeschwerde Nr. 42527/98, Fürst Hans-Adam II. von Liechtenstein gegen Bundesrepublik Deutschland. Der Fürst von und zu Liechtenstein führte Menschenrechtsbeschwerde gegen die Bundesrepublik wegen der Einbeziehung seines in der damaligen Tschechoslowakei konfiszierten Privatvermögens in das Nachkriegsreparationsregime (Art. 3 VI. Teil des vom wiedervereinigten Deutschland „nachzubefolgenden“ Überleitungsvertrages) durch die deutschen Gerichte. Vgl. Blumenwitz, Dieter, Die LiechtensteinEntscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: AVR, Bd. 40 (2002), S. 215 ff.; ders. (Anm. 228), in: Gornig/Murswiek, S. 131 ff. (140 f.). 231 Anders der Gerichtshof im Loizidou-Fall, vgl. oben Fn. 23. 232 Vgl. auch Blumenwitz (Anm. 228), in: Gornig/Murswiek, S. 137. 233 Vgl. Application No. 19048/91 (Weidlich), No. 19049/91 (Hasenkamp), No. 19342/92 (Golf), No. 19549/92 (Klausser), No. 18890/91 (Mayer).
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Auch der Umstand, dass das Eigentum dem Beschwerdeführer jedenfalls faktisch entzogen wurde, kann nach Auffassung der Europäischen Menschenrechtskommission den Rechtsverlust begründen 234 . In einem Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einem polnischen Staatsbürger eine Entschädigung zugesprochen, dessen Vorfahren aus den ehemals polnischen Gebieten am Bug, die jetzt Teil der Ukraine sind, in das heutige polnische Staatsgebiet umsiedeln und Teile ihres Eigentums aufgeben mussten 235 . Der Verstoß gegen die Eigentumsgarantie nach Artikel 1 Erstes Zusatzprotokoll zur Konvention bestand darin, dass das polnische Nachkriegsrecht dem Umgesiedelten einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch gewährte und der polnische Staat die Erfüllung dieses Anspruchs verschleppte bzw. durch eine spätere Gesetzesänderung entwertete. Auf diese Weise waren nicht die entzogenen Güter in der ehemaligen Heimat geschützt, vielmehr ergab sich der gesetzliche Entschädigungsanspruch, der ein subjektives öffentliches Recht ist und mit einem Anspruch nach dem Lastenausgleichsgesetz vergleichbar, aus den polnischen Gesetzen. Einen besonderen Fall stellt die Enteignung des Fürsten von und zu Liechtenstein dar: Der Fürst von und zu Liechtenstein erhob eine Menschenrechtsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland 236 wegen der Einbeziehung seines in der damaligen Tschechoslowakei konfiszierten Privatvermögens in das Nachkriegsreparationsregime (Art. 3 VI. Teil des vom wiedervereinigten Deutschland „nachzubefolgenden“ Überleitungsvertrages) durch die deutschen Gerichte 237 . Auch hier versuchte die Bundesregierung, sich der Bindung an das Erste Zusatzprotokoll mit dem Argument zu entziehen, der Beschwerdeführer habe bereits im Jahr 1945 alle vermögenswerten Rechte an der im Streit befangenen Sache verloren, so dass die Bundesrepublik Deutschland später nicht mehr rechtswidrig Eigentum entzogen haben konnte. Demgemäß rechtfertigte die Beschwerdeerwiderung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1999 238 die Konfiskation auch neutralen liechtensteinischen Vermögens durch das BenešDekret Nr. 12 vom 21. Juni 1945. Mit Beschluss vom 6. Juni 2000 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beschwerde des Fürsten von
___________ 234
So die Kommission (Anm. 22), S. 12: “The applicants’ properties were expropriated a long time ago and the applicants have been unable for decades to exercise any owners’ rights in respect of the properties concerned.” 235 Urteil vom 22.06.2004, Az. 31443/96, NJW 2005, S. 2521. 236 Vgl. Individualbeschwerde Nr. 42527/98, Fürst Hans-Adam II. von Liechtenstein gegen Bundesrepublik Deutschland. 237 Vgl. den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpfenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.01.1998, AVR, Bd. 36 (1998), S. 198 ff. 238 IV M-9470/2-4E (1951) – 6 A 0003/99.
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Liechtenstein gegen die Bundesrepublik für zulässig 239 und überwies den Fall gemäß Art. 30 EMRK zur Entscheidung über die Begründetheit an die Große Kammer (Grand Chamber). Die Große Kammer des Gerichtshofes dispensierte allerdings Deutschland von seiner Verantwortlichkeit gemäß Art. 1 EMRK in allen Fragen der alliierten Nachkriegsordnung 240 : Obgleich nach Art. 7 ZweiPlus-Vier-Vertrag die Bundesrepublik Deutschland ein voll souveräner Staat 241 ist, darf Deutschland also weiterhin den „Vorteil, nicht ganz souverän zu sein“ für sich in Anspruch nehmen 242 . Das Fürstentum Liechtenstein verklagte Deutschland 2001 zudem vor dem Internationalen Gerichtshof. Mit Urteil vom 10. Februar 2005 erklärte sich aber der Internationale Gerichtshof wegen fehlender Gerichtsbarkeit ratione temporis für unzuständig 243 .
cc) Beschwerde gegen den Heimatstaat Gegen die Bundesrepublik Deutschland könnte nach Erschöpfung des Rechtswegs ebenfalls eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtet werden, wenn der Beschwerdeführer die Verletzung von Eigentumsrechten durch die Bundesrepublik geltend machen würde. Die Aussichten auf Erfolg dieser Beschwerde sind aber ungewiss, weil der Gerichtshof in kaum nachvollziehbarer Weise mehrfach betont hat, dass Eigentumsrechte von bloßen Hoffnungen auf die Wiederherstellung alter Eigentumspositionen unterschieden werden müssten. 244 Er übersieht dabei, dass er gerade durch diese Rechtsprechung Eigentumsrechte zu nun sogar vergeblichen Hoffnungen degradiert. Im Gegensatz zu den Alteigentümern schützte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber das Eigentum der DDR-Neusiedler 245 . Diese erhielten durch das „Modrow“-Gesetz über die Rechte der Eigentümer vom 15. März ___________ 239 European Court of Human Rights – Fourth Section – Decision as to the Admissibility of Application no. 42527/98. 240 Vgl. deutsche Übersetzung in EuGRZ 2001, S 466. 241 BGBl. 1990 II, S. 1318; das vereinte Deutschland hat demgemäß „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“. 242 Vgl. hierzu Blumenwitz (Anm. 230), AVR, Bd. 40 (2002), S. 215 ff. 243 Vgl. International Court of Justice, Case concerning Certain Property (Liechtenstein vs. Germany), Preliminary Objections. Vgl. hierzu Irmscher, Tobias H., Anmerkung zur Liechtenstein-Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, in: AVR, Bd. 43 (2005), S. 375 ff. 244 EGMR, Urteil vom 12.07.2001 (Prince Hans-Adam II von Liechtenstein v. Germany, S. 27, par. 83. 245 Vgl. Chamber Judgment in the Case of Jahn and others vs. Germany (Application nos 46720/99, 72203/01 and 72552/01) vom 22.01.2004. Die Bundesregierung hat gegen diese Entscheidung die Große Kammer angerufen.
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1990 großzügig bürgerlich-rechtliches Eigentum an dem vergesellschafteten Konfiskationsgut. 246 Das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 versagte allerdings dieser Eigentumsübertragung durch die Noch-DDR in den Fällen die Anerkennung, in denen der Erwerber sich nicht in der Landwirtschaft betätigte. Der Gerichtshof konstatierte, dass die Neusiedler im Jahr 1990 die Rechtsstellung von Grundeigentümern erlangt hatten, die entschädigungslos nicht mehr entzogen werden durfte 247 . Die in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) entschädigungslos enteigneten Deutschen hingegen unterlagen im Jahr 2005 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 248 . Diesmal ging es um die geringe nachträgliche Entschädigung, die die Betroffenen nach der Wiedervereinigung von der Bundesrepublik Deutschland, die hinsichtlich des konfiszierten Vermögens Rechtsnachfolger der untergegangenen DDR ist 249 , erhalten sollten. Vermögenswerte, die nach 1945 von der Besatzungsmacht völkerrechtswidrig enteignet wurden und sich nun wieder in deutscher Verfügungsgewalt befinden, wurden nur nach „sozialstaatlichen“ Gesichtspunkten entschädigt. Die Betroffenen erhielten daher lediglich – in Einzelfällen – weniger als 1% der Verkehrswertentschädigung. b) UN-Menschenrechtsausschuss Beschwerdeführer können versuchen, Mitteilungen nach dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte dem Ausschuss für Menschenrechte vorzulegen. Sowohl Polen als auch die Bundesrepublik Deutschland als auch die Tschechische Republik haben das Fakulta___________ 246 Vgl. Gornig (Anm. 2), IFLA Informationsdienst 1991, Nr. 11, S. 125 ff.; vgl. ferner Gornig, Gilbert, Erwerbsmöglichkeit von zwischen 1945 und 1949 enteigneten Vermögensgütern durch bevorzugte Personen und ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht, in: Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht (VIZ) 1993, S. 136 ff. 247 Vgl. auch die Brumărescu-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, Case of Brumărescu vs. Romania (Application no. 28342/95). Nach der Wende hob Rumänien die Enteignungsgesetze auf. Instanzgerichte restituierten demgemäß Opfern von Konfiskation ihr Eigentum. Generalstaatsanwalt und höchstrichterliche Rechtsprechung stellten später klar, dass die Aufhebung der Enteignungsgesetze die Gültigkeit der einzelnen Enteignungsmaßnahmen nicht berührt und nicht berühren kann. Trotzdem stellte der Gerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer kurzfristig wie ein Eigentümer verfügen konnte und deshalb ein vermögenswertes Recht erlangt hatte, das ihm nur unter Beachtung des Art. 1 1. ZProt. entzogen werden konnte. 248 Vgl. European Court of Human Rights, Grand Chamber, Decision as to the Admissibility of Applications nos. 71916/01, 71917/01 and 10260/02 (von Maltzan et al v. Germany). 249 Dazu vgl. Gornig, Gilbert, Der völkerrechtliche Status Deutschlands zwischen 1945 und 1990. Auch ein Beitrag zu Problemen der Staatensukzession, 2007, S. 25 ff.; ders., Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands. Teil II. Staatsvermögen und Staatsschulden, 1992, S. 17 ff.
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tivprotokoll ratifiziert. Damit ist eine Mitteilung formell zulässig. Voraussetzung für die Befassung des Ausschusses ist, dass der nationale Rechtsweg erschöpft wird (Art. 5 Abs. 2 Fakultativprotokoll). Allerdings ist eine Mitteilung an den Ausschuss schon dann möglich, wenn ein nationaler Rechtsweg nicht zur Verfügung steht oder eindeutig ist, dass ein nationaler Rechtsweg nicht zum Erfolg führen kann. Das Verfahren vor dem Ausschuss ist allerdings kein Gerichtsverfahren. Der Ausschuss kann lediglich Auffassungen formulieren, die er dem betroffenen Vertragsstaat mitteilen kann. Es handelt sich somit nicht um verbindliche Gerichtsurteile. Im Internationalen Pakt gibt es lediglich in Art. 26 ein allgemeines Gleichheitsrecht. Er legt fest, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben. Nach Satz 2 dieser Bestimmung hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herrschaft, des Vermögens, der Geburt oder sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten. Im Zusammenhang mit der Restitutionsgesetzgebung der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik sind zahlreiche Mitteilungen von Individualpersonen an den Ausschuss gerichtet worden. Der Ausschuss überprüfte in einer Reihe von Fällen, ob die Restitutionsgesetzgebung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Dabei hielt er vor allem eine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit für problematisch. Der Ausschuss erkannte an, dass Enteignungen durch die Beneš-Dekrete von den Enteignungen der kommunistischen Zeit zu unterscheiden seien und sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung in der Restitutionsgesetzgebung vorliegen. Er rief die Tschechische Republik wiederholt auf, ihre Restitutionsgesetzgebung den Forderungen des Art. 26 IPbpR anzupassen. Allerdings ist der tschechische Gesetzgeber bislang diesem Ersuchen nicht nachgekommen. 250
D. Schluss Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen sind weltweite Probleme. Die täglichen Nachrichten machen dies immer wieder auf erschreckende Weise bewusst. Es ist und bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der Völkergemeinschaft, die Menschenrechte zu achten und Vertreibungen als Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, schon deswegen, weil nach einigen wenigen Jah___________ 250 Vgl. UN-Menschenrechtsausschuss, Jahresbericht vom 26.10.2001, UN Doc. A/56/40, vol. I, Rn. 83, S. 83 ff.; Jahresbericht vom August 2002, UN Doc. A/57/40, vol. I, Rn. 196 ff., 211, 238.
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ren – trotz aller Rechtsansprüche – Vertreibungen und Enteignungen nur schwer oder gar nicht rückgängig zu machen sind. Lassen Sie uns gemeinsam an Brücken der Verständigung bauen. Die Brücken zwischen Völkern sind umso stärker, je intensiver der Dialog ist und je offener die Probleme zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten angesprochen werden. Nur so lässt sich eine friedliche Zukunft sichern, nur so kann den Menschenrechten überall Geltung verschafft werden. Unsere Aufgabe für die Zukunft ist es, Flucht und Vertreibung zu verhindern. Deshalb ist der europäische Einigungsprozess von allergrößter Bedeutung. Er öffnet die historische Chance, alte Grenzen und Gegensätze zu überwinden. * * *
Abstract Gilbert H. Gornig: Property and Expropriation in International Law with special Consideration of the Refugees, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 19-77. Expulsions and violations of human rights are world-wide problems. The daily news confirm this in a frightening way. The respect of human rights and the condemnation of expulsions are some of the most important tasks of the international community because very often, after some years despite all legal claims and instruments expulsions and expropriations cannot be compensated. Let us build together bridges of communication. The bridges are stronger when the dialogue between people of different nationalities is more intense and open. A peaceful future can only be secured in this way, this is the only way the human rights can be applied and respected everywhere. Our task for the future is it to prevent expulsions. Therefore the European unification process is of overwhelming importance. It opens the historical chance to overcome old borders and contrasts.
Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes im völker- und europarechtlichen Kontext der Wiedergutmachung vor-rechtsstaatlichen Unrechts Von Hans-Detlef Horn
I. Bewältigte und unbewältigte Herausforderungen der Eigentumsgesellschaft Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist „ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht“. 1 Ohne Eigentumsgarantie bleiben nur „nutzlose Freiheiten“, 2 denn Freiheit strebt nach Eigentum und bedarf seiner: „der Erwerb ist das Ziel, das Haben die Grundlage, die Nutzung der Inhalt“. 3 In dieser Interdependenz zwischen Freiheit und Eigentum steht die Eigentumsgarantie in der Tradition der Philosophie der Aufklärung und des Typus Verfassungsstaat. Die politische Funktion des Eigentums ist dabei stets mitgedacht: Ein Gemeinwesen, das seine Grundlage in erster Linie in dem Freiraum erkennt, den die Individualgrundrechte sichern, 4 erkennt die Eigentumsgarantie auch als ein Mittel der Gestaltung der Sozialordnung. Der Einzelne soll in staatlicher Unabhängigkeit, selbstbewusst, eigenverantwortlich („autonom“) und mit privatnütziger Zielsetzung am Aufbau einer der freiheitlichen Demokratie auch ökonomisch adäquaten Gesellschaftsordnung mitwirken. 5 Die staatliche Eigen___________ 1
BVerfGE 24, 367 (389); 30, 292 (334); 31, 229 (239); 50, 290 (339); 97, 350 (370 f.); 100, 226 (241). 2 W. Leisner, Eigentum, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 149 Rn. 1. 3 J. Isensee, Vorwort des Herausgebers, in: W. Leisner, Eigentum 2. Aufl. 1998, S. V; das (juristische) Schrifttum zum Zusammenhang von Freiheit und Eigentum ist unüberschaubar, vgl. daher stellvertretend m.z.N. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 14 (Stand: Juni 2002), Rn. 1; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl., Bd. 1, 2005, Art. 14 Rn. 11 ff. Im weitesten Sinne ebenso grundlegend wie wegweisend: I. Kant, Metaphysik der Sitten, 1797, I. Teil, I. Hauptstück. 4 Dazu J. Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, 3. Aufl., Bd. IV, 2006, § 71 Rn. 114 ff. 5 Vgl. H.-J. Papier (Fn. 1), Art. 14 Rn. 4 m.w.N.; O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 26 f.
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tumsordnung ist daher ein untrüglicher Indikator für die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens, 6 und die Kulturgeschichte der Freiheit ist immer auch eine Kulturgeschichte des Eigentums. Der Weg freilich, den diese Kulturgeschichte bis hin zur menschenrechtlichen Anerkennung und verfassungsstaatlichen Gewährleistung getan hat, ist ein konfliktbeladener Weg. Der Zusammenhang von Freiheit und Eigentum ist nicht frei von Konfliktfeldern und Bruchstellen. Eigentum bedeutet Macht und schafft Ungleichheit, die freiheitsgefährdend sein kann. So schieden und scheiden sich am Eigentum die philosophischen Geister und politischen Ideologien, und weil Eigentum und Existenz gefühlsmäßig dicht beieinander liegen, schürt das Thema wie kaum ein anderes politische Emotionen: „Der Kampf ums Recht ist die Theorie, der Kampf ums Eigentum die Praxis“ 7 . Im 20. Jahrhundert führte dieser Kampf ums Eigentum schließlich zur politischen Spaltung der Welt. 8 Der Niedergang des „goldenen Zeitalters der Sicherheit“, als welches Stefan Zweig das Europa seiner Jugend, die auf Privateigentum gegründete bürgerliche Gesellschaft des Liberalismus, bezeichnete, spiegelt sich auch und gerade in der Katastrophe der deutschen Eigentumsgesellschaft seit 1914. 9 Am Ende, im einen Teil Deutschlands ab 1948/49, im anderen Teil ab 1990, trug die Eigentumsfreiheit den Sieg davon. Gegründet auf das liberale Konzept primärer Privatnützigkeit und sekundärer Gemeinnützigkeit überwindet sie den totalen Staat und die totalitäre Gleichheitsideologie nationalsozialistischer und kommunistisch-sozialistischer Provenienz. Doch der Sieg bedeutet kein „Ende der Geschichte“ 10 . Die Geschichte geht weiter. Die Eigentumsfreiheit bleibt ein „schwieriges Grundrecht“ 11 . Die philosophischen und politischen Gegensätze um das Eigentum sind nicht ein für allemal aufgehoben. Sie wirken fort im kollektiven Bewusstsein und Erleben der Menschheit. So ist der sich abzeichnende „Kampf der Kulturen“ 12 auch ein Kampf um die Kultur des Eigentums.
___________ 6
O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 11. W. Leisner (Fn. 2), § 149 Rn. 1. 8 Dazu auch O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 2 ff.; ders., Zwischen Gesetz und Verfassung. Die rechtsstaatliche Struktur der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie, in: J. Isensee (Hrsg.), Freiheit und Eigentum, Festschrift für W. Leisner, 1999, S. 277 f. 9 Hans-Peter Schwarz, Katastrophe und Renaissance der deutschen Eigentumsgesellschaft (1914 - 2006), in: Schwäbisch-Hall-Stiftung (Hrsg.), Kultur des Eigentums, 2006, S. 109 ff. 10 F. Fukuyama, Das Ende der Geschichte, 1992. 11 J. Dietlein, Die Eigentumsfreiheit und das Erbrecht, in: K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 2126. 12 S. T. Huntington, Kampf der Kulturen, 1996. 7
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Aber auch innerhalb der Welt der westlichen Verfassungsstaaten hält das Ringen um die rechte Balance zwischen Eigentum und (gleicher) Freiheit an. Das Recht und die Realität der Eigentumsgarantie stehen fortwährend unter neuen wie alten Herausforderungen. Da sind zum einen die tief greifenden Assimilierungsvorgänge zwischen Staat und Gesellschaft im Entwicklungsprozess der sozialstaatlichen Demokratie, die dazu veranlassen, das Verhältnis zwischen individueller Eigentumsfreiheit und sozialer Eigentumsbindung immer wieder neu zu überdenken. Zum anderen lasten nach wie vor die aus Krieg und Nachkriegszeit nachwirkenden Aufgaben auf der freiheitlichen Eigentumsordnung des europäischen und deutschen Kulturraums. Die vor-rechtsstaatliche Vergangenheit eigentumsnegierender und eigentumsvernichtender Zeiten ist längst noch nicht zur Gänze bewältigt. Es sind diese Nachwirkungen, die hier den Anlass geben, die Schutzwirkungen der Eigentumsgarantie zu reflektieren und im völker- und europarechtlichen Kontext nach ihrem Beitrag zur Bewältigung vergangenen Unrechts zu fragen.
II. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes Art. 14 GG schützt das Eigentum in erster Linie als subjektiv-öffentliches Abwehrrecht. Dem Eigentümer wird ein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen den Staat auf Unterlassung und Rückgängigmachung von Eingriffen in diejenigen Befugnisse gegeben, die sich aus seiner Eigentümerstellung ergeben. Geschützt wird demnach nicht das Eigentum an sich, der Sachgegenstand oder das vermögenswerte Gut, sondern das „Recht am Eigentum“, auch nicht das „Recht auf Eigentum“: 13 Die Eigentumsgarantie sichert das Erworbene, nicht den Erwerb oder die Erwerbschance, enthält also eine Bestandsgarantie des Eigentumsrechts oder des „Rechts-Eigentums“ 14 . Dieses Recht umfasst das „Haben“ und das „Gebrauchmachen“, die Herrschafts- und die Nutzungsbefugnis des Eigentümers, 15 und ist insofern primär auf einen konkreten Gegenstand bezogen. Auch in der historischen Entwicklung steht dabei vor allem das Eigentumsrecht an Grund und Boden im Vordergrund. Hier manifestiert sich die politische Stoßrichtung und das liberale Pathos des „man versus the State“, das jeder grundrechtlichen Freiheitssicherung zugrunde liegt, im bürgerlichsouveränen Ausschließlichkeitsanspruch des „my home is my castle“. In der Anknüpfung an bestehende Eigentumsrechte liegt die strukturelle Eigentümlichkeit des Eigentumsgrundrechts. Der Schutzbereich des Art. 14 GG ___________ 13
W. Leisner (Fn. 2), § 149 Rn. 6 f. W. Leisner (Fn. 2), § 149 Rn. 3. 15 Dazu m.w.N. H.-J. Papier (Fn. 5), Art. 14 Rn. 8; O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 65 ff. 14
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zeichnet sich durch eine besonders intensive Normprägung aus. Das Schutzgut ist nicht „natürlich vorgegeben“, sondern folgt allein aus einer normativen Zuordnung von Gütern und Rechten zu Personen. Folgerichtig überantwortet Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Inhaltsbestimmung des Eigentums dem Gesetzgeber. Geschützt ist demnach alles, was das einfache Recht als Eigentum benennt bzw. als Eigentumsrechte normiert. Allerdings wäre es widersinnig, würden Gegenstand und Umfang des grundrechtlichen Eigentumsschutzes der freien Bestimmungsmacht des Gesetzgebers überlassen. Als unmittelbar geltendes Recht binden die Grundrechte auch und gerade den Gesetzgeber (Art. 1 Abs. 3 GG). Dem Begriff des Eigentums eignet daher ein verfassungsrechtlicher Selbststand, der der gesetzlichen Bestimmungsmacht Grenzen zieht. Das äußert sich zunächst darin, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, eine EigentumsOrdnung zu schaffen, d.h. eine Rechtsordnung, die diesen Namen verdient. Insofern wirkt Art. 14 GG als Institutsgarantie. Das Privateigentum ist ihm als Rechtsinstitut, als „grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes“ unverfügbar vorgegeben. 16 Der Gesetzgeber muss daher einen „Grundbestand von Normen“ 17 zur Verfügung stellen und bewahren, die das inhaltlich ausformen, was zum Inbegriff des Eigentums gehört: die Existenz eigentumsfähiger Rechtsgüter, deren Privatnützigkeit, d.h. ausschließliche Zuordnung zu einem Rechtsträger, sowie dessen grundsätzliche Nutzungs-, Verfügungs- und Veräußerungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand. 18 Diese Einrichtungsgarantie verstärkt die Geltungskraft des Eigentumsgrundrechts als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eigentumsbeeinträchtigungen. Zwar ist der Gesetzgeber nicht daran gehindert, die bestehende einfachrechtliche Eigentumslage zu verändern, mithin im Wege neuer Inhaltsbestimmungen die Eigentumsfreiheit zu erweitern oder zu verkürzen. Verkürzungen aber stellen für die in der Vergangenheit begründeten Eigentumspositionen Eingriffe dar. Solche Inhaltsbestimmungen sind daher zugleich Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. 19 Derartige Schranken müssen indes nicht hingenommen werden, wenn sie die aus dem Abwehrrecht und dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Anforderungen an ihre Rechtfertigung verfehlen, insbesondere nicht nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips von hinreichenden Gründen des Allgemeinwohls getragen sind und zumal den Wesensgehalt des grundrechtlich geschützten Freiheitsraums im vermögensrechtlichen Bereich missachten. ___________ 16
BVerfGE 21, 150 (155). BVerfGE 24, 367 (389); 50, 290 (339). 18 Zum Selbststand des spezifisch verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs vgl. BVerfGE 42, 263 (292 f.); 58, 300 (335); O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 50 ff. 19 Vgl. dazu nur B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 23. Aufl. 2007, Rn. 920. 17
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Die – schon erwähnte – Schwierigkeit, die das Eigentumsgrundrecht bereitet, liegt allerdings darin, hier die Grenzen genau zu bestimmen. Die gesetzliche Eigentumsordnung ist zwar an der Gewährleistung des Privateigentums auszurichten – insofern obliegt dem Gesetzgeber auch eine Schutzpflicht gegenüber nichtstaatlichen Zugriffen –, zugleich aber hat sie der Sozialbindung des Eigentums Rechnung zu tragen. Das Menschenbild des Grundgesetzes vom gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuum20 wird im Kontext des Eigentums besonders betont: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ (Art. 14 Abs. 2 GG). Das Wohl der Allgemeinheit bildet damit sowohl den zulässigen Grund als auch die beachtliche Grenze einer Eigentumsbeschränkung und gibt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besondere Struktur: So wie der Gesetzgeber das Eigentum nicht mehr als verhältnismäßig verkürzen darf, so darf er auch die Sozialbindung nicht mehr als verhältnismäßig vernachlässigen. 21 Er hat vielmehr – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – die schutzwürdigen „Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen“. 22 In diesem Spannungsfeld entscheidet sich die Direktionskraft der Verfassung an der Reichweite des dem Gesetzgeber zukommenden Einschätzungsund Gestaltungsspielraums. Hier ist der Ort in der dogmatischen Konzeption der Eigentumsgarantie, an dem die philosophischen und politischen Gegensätze, die den Jahrhunderte währenden Kampf ums Eigentum prägten, unterschwellig wieder aufscheinen. Der Widerstreit zwischen den Postulaten vorrangiger Privatnützigkeit oder vorrangiger Gemeinnützigkeit des Eigentums wirkt in den Tiefenschichten der Frage nach, wie weit der Spielraum des die Inhalte und Schranken des Eigentums bestimmenden Gesetzgebers bemessen ist. Cum grano salis: Während eine liberal-rechtsstaatliche Deutung den Gesetzgeber im Gegenüber zur Grundrechtssphäre des Eigentümers verortet und jenen daher in seiner Eingriffsreichweite eher begrenzt sieht, betont eine – nur zu hiesigen Zwecken verkürzt so zu nennende – sozialstaatlich-demokratische Auffassung die Stellung des Gesetzgebers als Repräsentant des Volkes, als der er im Interesse der Freiheitssicherung aller zumal um den sozialverträglichen Gebrauch des Individualeigentums besorgt sein kann. 23 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat in diesem Spannungsfeld vielfältige Abstufungen und Differenzierungen hervorgebracht. Sie ___________ 20
BVerfGE 4, 7 (15 f.). Vgl. B. Pieroth/B. Schlink (Fn. 19), Rn. 929. 22 BVerfGE 101, 239 (259); 112, 93 (109). 23 Vgl. dazu O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 42 ff., einerseits und J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., Bd. I, 2004, Art. 14 Rn. 26 ff., andererseits. 21
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oszillieren zwischen beiden Polen: Soweit die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen in Frage steht, hat der Gesetzgeber einen eingeschränkteren Gestaltungsspielraum; das betrifft insbesondere Eingriffe in vermögenswerte Güter und Rechte, die durch eigene Arbeit und Leistung erworben worden sind. Andererseits ist „die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers um so größer, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist“. 24 Das gilt etwa für das Eigentum an dem unvermehrbaren und unentbehrlichen Grund und Boden oder für das Eigentum an Produktionsmitteln. Hier verbleiben die Nutzung und die Verfügbarkeit des Eigentums nicht in der Sphäre des Eigentümers, sondern berühren die Belange anderer Rechtsgenossen, die auf die (Mit-)Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen sind. Sofern die gesetzliche Ausformung des Eigentums den genannten Maßgaben seiner Sozialbindung genügt, ist sie entschädigungslos hinzunehmen. Ist sie allerdings unvermeidbar mit einer besonders intensiven Beeinträchtigung verbunden, kann ein finanzieller Ausgleich geboten sein (ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung). Schon für diesen Fall schlägt die Bestandsgarantie des Eigentums in eine Wertgarantie um. Dieser Umschlag kennzeichnet aber vor allem den verfassungsrechtlichen Schutz gegen staatliche Enteignungen. Art. 14 Abs. 3 GG lässt Enteignungen nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zu, das zugleich Art und Ausmaß der zu gewährenden Entschädigung regelt („Junktim-Klausel“), andernfalls die Enteignung verfassungswidrig ist. Dabei meint der Begriff der Enteignung in Abgrenzung zu jedweder (auch ausgleichspflichtigen) Aktualisierung der Sozialbindung allein die (vollständige oder teilweise) Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützter Rechtspositionen, die zielgerichtet die Beschaffung von Gütern bezweckt, mit denen eine konkrete hoheitliche Aufgabe erfüllt werden soll. 25 Das hat zur Folge, dass der Gesetzgeber, der eine solche Enteignung anordnet oder zulässt, zugleich eine Entschädigung festlegen muss, andererseits der von einer Enteignung Betroffene ohne eine solche gesetzliche Festlegung keine Entschädigung erhalten kann (kein „Dulden aber Liquidieren“), sondern sich gegen die Maßnahme bzw. das Gesetz selbst wenden muss. Neben dem zwingenden Erfordernis einer Entschädigung ist eine Enteignung weiterhin nur zulässig, wenn sie zum Wohle der Allgemeinheit geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Sie kommt nur als letztes Mittel zur Erreichung eines legitimen Gemeinwohlzwecks in Betracht. 26 Enteignungen allein aus fiskalischen Gründen oder allein zur Begünstigung eines Privatinteresses sind hingegen unzulässig. In solchen Fällen wie auch dann, wenn der Enteignungszweck nicht verwirklicht wird, wegfällt oder illegitim ist, kann der Be___________ 24 25 26
BVerfGE 101, 54 (75 f.). BVerfGE 58, 300 (318 ff.); 104, 1 (9 f.). BVerfGE 45, 297 (321 f.).
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troffene die Rückübertragung des enteigneten Objekts verlangen. 27 Für die Höhe der zu leistenden Entschädigung stellt das Grundgesetz dagegen keine ausdrücklichen Vorgaben auf. Allerdings ist diese unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen (Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG). Das schließt eine bloß nominelle Entschädigung ebenso aus wie einen vollen Schadensersatz. Richtpunkt ist der Verkehrswert der entzogenen Eigentumsposition zum Zeitpunkt der Enteignung, wobei ins Gewicht fällt, wieweit der Wert des enteigneten Guts oder Rechts auf eigener Arbeit und Leistung beruht oder wieweit er öffentlichen Leistungen oder neutralen Faktoren zu verdanken ist. 28
III. Die grundgesetzliche Eigentumsgarantie im Kontext der deutschen Wiedervereinigung Geltung und Tragweite des Rechts am Eigentum sahen und sehen sich in den Vorgängen der jüngeren deutschen und europäischen Geschichte nachwirkenden Herausforderungen ausgesetzt. Der Weg zur Verfestigung einer gemeinsamen Rechts- und Eigentumskultur des Nachkriegs-Europa hat tiefe Gräben zu überwinden. Dabei kommt der Bewältigung der deutschen Wiedervereinigung im Lichte des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes ein besonderer Bedeutungs- und Aufmerksamkeitswert zu. Im Zusammentreffen und Zusammenwachsen zweier verschiedener Rechtsordnungen, der sozialistischkommunistischen der DDR und der liberal-rechtsstaatlichen der Bundesrepublik, begegnet die grundgesetzliche Garantie vielfältigen „Umwelteinflüssen“, die ihr dogmatisches Profil und ihre praktische Leistungsfähigkeit berühren. Im Zentrum stehen die Fragen, wie sich Art. 14 GG zu Eigentumspositionen verhält, die aus einer fremden Rechtsordnung herrühren, wie gegenüber Eigentumszugriffen, die einer fremden Hoheitsgewalt zuzurechnen sind, und wie es um sein Verhältnis zu völker- und europarechtlichen Regelungswerken bestellt ist. Wie streitbefangen diese Fragen waren und sind, zeigen zumal die intensivkontroverse Debatte und die zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. An einfache Antworten oder einheitliche Lösungen ist nicht zu denken. Zu komplex sind die zu bewältigenden Probleme. Sie verlangen einen entsprechend hohen Differenzierungsgrad. Um so attraktiver ist es, die grundsätzlichen Eckpunkte anzugehen.
___________ 27 28
BVerfGE 38, 175 (181 ff.); 97, 89 (97). Dazu eingehend O. Depenheuer (Fn. 3), Art. 14 Rn. 443 ff.
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1. Grundsatzfragen und Ausgangspunkte Unter den Problemfeldern, die das Eigentumsgrundrecht im Zuge der Wiedervereinigung herausforder(te)n, ragen zwei hervor: die Wiederaufrichtung einer am Garantiegehalt des Art. 14 GG orientierten Eigentumsordnung in den Beitrittsgebieten des wiedervereinigten Deutschlands und die Wiedergutmachung des infolge der Enteignungen und Konfiskationen in der DDR bzw. SBZ zwischen 1945 und 1949 entstandenen Unrechts. 29 Dabei kann als ein erster und soweit unstreitiger Ausgangspunkt festgehalten werden, dass mit der Bewirkung der deutschen Einheit das Grundgesetz auf dem Gebiet der ehemaligen SBZ/DDR nicht rückwirkend in Kraft getreten ist. 30 Bis zur Wiedervereinigung verfasste das Grundgesetz allein die Staatsgewalt der bzw. auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik (Art. 23 S. 1 GG a.F.). 31 Eine rückwirkende Geltung des Art. 14 GG für die vormals auf dem Territorium der DDR agierende Staatsgewalt scheidet aus. Eine andere Frage aber ist es, ob und inwieweit dem geltenden Art. 14 GG Vorgaben und Maßgaben bei der Behandlung von Sachverhalten zu entnehmen ist, die vor der Wiedervereinigung liegen. 32 Das Bundesverfassungsgericht hat daran in mehrfacher Rechtsprechung im Grundsatz keinen Zweifel gelassen. Das kann als zweiter Ausgangspunkt festgehalten werden: Der Gesetzgeber der alten Bundesrepublik war schon bei der Ratifikation des Einigungsvertrages an das Grundgesetz gebunden. 33 Und selbstverständlich unterliegen auch die Regelungen, die anschließend der gesamtdeutsche Gesetzgeber zur Bewältigung der offen gebliebenen Vermögensfragen getroffen hat, dem Regime des Art. 14 GG. Eigentumspositionen, z.B. an Grund und Boden, im Gebiet der ehemaligen DDR konnten mithin erst im Zuge des Beitritts unter den Schutz des Art. 14 GG gelangen. 34 Dies gilt ebenso für Eigentumspositionen, die unter der Rechtsordnung der DDR erworben worden waren, wie etwa das schlichte Gebäudeeigentum oder sozialversicherungsrechtliche Positionen. Art. 14 GG schützt auch das Eigentum, das aufgrund einer fremden Rechtsordnung besteht, sofern diese insoweit nicht der deutschen Rechtsordnung widerspricht (ordre public-Vorbehalt). 35
___________ 29 F. Ossenbühl, Eigentumsfragen, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. IX, 1997, § 212 Rn. 3 ff. 30 Art. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 EV; BVerfGE 97, 89 (98). 31 BVerfGE 84, 90 (122). 32 F. Ossenbühl (Fn. 29), § 212 Rn. 61, 64. 33 BVerfGE 91, 294 (309). 34 BVerfGE 91, 294 (308 f.). 35 BVerfGE 45, 142 (169); 91, 294 (308 ff.); 101, 239 (258).
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Soweit also im Grundsätzlichen die Geltung des Grundgesetzes und der Eigentumsgarantie bei der Bewältigung der Wiedervereinigungsprobleme nicht in Zweifel steht, so doch im Detail. Es bleibt die ganz andere Frage, mit welcher Tragweite, d.h. inwieweit dabei Art. 14 GG verfassungsrechtliche Direktiven vorgibt. Klar ist allein, dass aus Art. 14 GG (in Verbindung mit Art. 143 GG) der Verfassungsauftrag resultiert, durch eine „völlige Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung“ für Gesamtdeutschland eine Rechtsordnung zu schaffen, die an der objektiven Wertentscheidung zugunsten des Privateigentums ausgerichtet ist. 36 Für Weiteres muss unterschieden werden zwischen der Transformation der sozialistischen Eigentumsordnung der DDR in das Regelungssystem der Bundesrepublik und der Behandlung der in der DDR bzw. SBZ erfolgten Eigentumsentziehungen.
2. Die Transformation der sozialistischen Eigentumsordnung der DDR Ersteres betraf vor allem die eigengearteten, im Dienste der sozialistischen Gesellschaftsordnung entstandenen Bodennutzungsverhältnisse. Danach unterlagen Grund und Boden, zumeist als Volkseigentum, staatlicher Verwaltung, so dass deren Nutzung der ausdrücklichen Zuweisung oder faktischen Billigung bedurfte. An dem auf der überlassenen Bodenfläche errichteten Wochenendhaus oder sonstigen Baulichkeit erwarb der Nutzungsberechtigte, ein Bürger oder eine Genossenschaft, jedoch – losgelöst vom Eigentum am Grundstück – das Sacheigentum, das ihm nur schwer wieder abgenommen werden konnte. Dieses Auseinanderfallen von Grundeigentum und Nutzungsberechtigung oder Gebäudeeigentum galt es nicht nur, formaljuristisch in die Rechtsinstitute des BGB zu überführen. Vielmehr entfaltete sich dabei auch die Bedeutung des Art. 14 GG – und zwar, insoweit die bebauten Grundstücke Eigentümern in der alten Bundesrepublik gehörten, in zwei Schutzrichtungen. Eine „Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung“ (Art. 143 GG) musste zwischen den Interessen der Grundstückseigentümer einerseits, Dritte von Besitz und Nutzung ihres Grundstücks auszuschließen oder die Überlassung nur gegen angemessenes Entgelt zu gewähren, und den Vertrauens- und Bestandsschutzinteressen der Nutzungsberechtigten andererseits einen im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG sozialgerechten Ausgleich schaffen. Die Lösung erfolgte zunächst durch eine Reihe vorläufiger Regeln im Einigungsvertrag, sodann durch zeitlich gestaffelte Moratoriumsregelungen und schließlich – hinsichtlich der dinglichen Rechtsverhältnisse – durch das Sachenrechtsbereinigungsgesetz und – hinsichtlich der schuldrechtlichen Nut___________ 36 P. Badura, Der Verfassungsauftrag der Eigentumsgarantie im wiedervereinigten Deutschland, DVBl. 1990, 1256 ff.; F. Ossenbühl (Fn. 29), § 212 Rn. 3, 62.
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zungsrechte – durch das Schulrechtsanpassungsgesetz, jeweils von 1994. 37 Im Kern sieht das Regelungswerk sachenrechtlich eine Stärkung der Nutzungsberechtigten vor, dagegen schuldrechtlich eine (allmähliche) Verfestigung der Grundeigentümerstellung. Dieser Ausgleich hat zwar nicht ausnahmslos, aber im Wesentlichen der verfassungsgerichtlichen Überprüfung standgehalten. 38 Das Bundesverfassungsgericht hat dabei – neben den Erwägungen zur historischen Sondersituation der Wiedervereinigung, namentlich zu den Schwierigkeiten und dem Zeitbedarf, der ihre Bewältigung hervorrief und den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweiterte – vor allem ein Argument als tragend aufgewiesen: Die mit der Anpassungsgesetzgebung verbundenen Beschränkungen seien den betroffenen Grundstückseigentümern, so wird gesagt, zuzumuten, weil sie erst durch die Wiedervereinigung überhaupt in die Lage versetzt worden seien, die Ansprüche in Bezug auf die ihnen gehörenden Grundstücke durchzusetzen. 39 Dass gerade dieses Argument geeignet ist, Enttäuschung und Entrüstung auszulösen, ist leicht nachvollziehbar. Den Grundeigentümern kann es kaum übel genommen werden, wenn sie es als zynisch empfinden, dass ihnen just in dem Moment, in dem ihre Ansprüche durchsetzbar wären, zu ihrem Nachteil entgegengehalten wird, bislang hätten sie damit nicht rechnen können. Dennoch wird der Vorhalt in der Rechtsprechung wiederholt. Er kehrt wieder im Zusammenhang mit der – für die betroffenen Alteigentümer weit einschneidenderen – Art und Weise, in der der Gesetzgeber mit den in der DDR und der SBZ erlittenen Enteignungen umgegangen ist.
3. Die Behandlung der Konfiskationen durch SBZ- und DDR-Gewalt Dieser Bereich war und ist der weitaus brisanteste. Denn hier geht es nicht schlicht um den Ausgleich bestehender Eigentumspositionen in Ost und West, sondern um die Behandlung von Eigentumsentziehungen auf dem Territorium der früheren DDR, die – jedenfalls soweit sie ganz und gar entschädigungslos und ohne Rechtsschutzmöglichkeit erfolgten – korrekterweise als das zu bezeichnen sind, was sie tatsächlich waren: nicht „Enteignungen“, sondern Kon-
___________ 37
BGBl. 1994 I, 2457; BGBl. 1994 I, 2538. BVerfGE 98, 17 (41 ff.); 101, 54 (74 ff.); BVerfG, ZOV 2001, 92 (93 ff.); kritisch C. Degenhart, Der Schutz des Grundeigentums im Beitrittsgebiet: Eigentumsgarantie und Sachenrechtsbereinigung, DVBl. 1994, 553 ff.; ders., Neuordnung der Nutzungsverhältnisse an Grund und Boden im Beitrittsgebiet: Verfassungsfragen der Schuldrechtsanpassung, JZ 1994, 890 ff., jeweils m.w.N. 39 BVerfGE 98, 17 (38 f.). 38
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fiskationen. 40 Ihnen gleichgestellt sind Eigentumsverluste aufgrund „unlauterer Machenschaften“ (§ 1 Abs. 3 VermG), wie Machtmissbrauch, Nötigung oder Täuschung. Derartige Unrechtsmaßnahmen fanden unter verschiedenen Regimen statt: im Rahmen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen, auf besatzungshoheitlicher Grundlage der Sowjetmacht und im Zuge der Verstaatlichungs- und Repressionspolitik der DDR. 41 Während die Vermögensentziehungen durch den Nationalsozialismus alsbald eine ebenso selbstverständliche wie vergleichsweise geräuschlose Wiedergutmachungsregel gefunden haben (§ 1 Abs. 6 VermG; EALG), entzündete sich an der Art der Vergangenheitsbewältigung der SBZ- und DDR-Enteignungen intensiver politischer und verfassungsrechtlicher Streit. 42 Aus der Perspektive des Grundgesetzes betrachtet wiesen diese Maßnahmen einen derart hohen Unrechtsgehalt auf, dass sie in eklatantem Widerspruch standen zu dem Garantiegehalt des Art. 14 GG und rechtsstaatlichen Grundsätzen. Daher könnte man meinen, aus der – wie gezeigt, prinzipiell unstreitigen – Bindung des (Einigungsvertrags-)Gesetzgebers an das Grundgesetz, jedenfalls an den Verfassungsauftrag, auch im Beitrittsgebiet eine freiheitlichrechtsstaatliche Eigentumsordnung zu etablieren, folge ohne weiteres, dass solche Eigentumsentziehungen nicht aufrecht erhalten werden dürften, vielmehr das geschehene Unrecht in geeigneter Weise rückgängig zu machen oder auszugleichen sei. 43 So gesehen ergäbe sich im Wesentlichen aus Art. 14 GG eine grundrechtliche (Schutz-)Pflicht zur Wiedergutmachung, der ein (resubjektivierter) Anspruch zuvörderst auf Wiederherstellung des entzogenen Eigentums korrelierte, d.h. auf Restitution. 44 Doch so liegen die Dinge nicht, jedenfalls nicht so einfach. Der Argumentation begegnen mehrere Hindernisse, die allesamt die Anwendbarkeit des Art. 14 GG in Frage stellen – und am Ende, so das Bundesverfassungsgericht, diese sogar ausschließen.
___________ 40
O. Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozess der Wiedervereinigung, 1990, S. 58 f.; H.-J. Papier, Verfassungsrechtliche Probleme der Eigentumsregelung im Einigungsvertrag, NJW 1991, 193 (194); Th. Schweisfurth, Von der Völkerrechtswidrigkeit der SBZ-Konfiskationen 1945-1949. Zur Verfassungswidrigkeit des Restitutionsausschlusses 1990, VIZ 2000, 505 (511). 41 F. Ossenbühl (Fn. 29), § 212 Rn. 17 ff. 42 Zur historischen Entwicklung der Verhandlungen der Parteien des Einigungsvertrages zu den Eigentums- und offenen Vermögensfragen vgl. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1803 ff., 1901 ff., 1945 ff., 2125 ff. 43 So P. Badura (Fn. 36), DVBl. 1990, 1262. 44 Im Sinne einer „Folgenbeseitigung“; s. dazu BVerfGE 38, 175 (179); 97, 89 (96 f.).
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a) Gemeinsame Erklärung von 1990 in Verfassungsrang Der Gesetzgeber des Einigungsvertrages hatte das Grundgesetz geändert. Das ist das erste Hindernis. Aufgrund des Art. 4 Nr. 5 EV erhielt der Art. 143 GG im Absatz 3 eine spezifische, die Enteignungsproblematik betreffende Regelung. Danach haben Art. 41 EV und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit verfassungsrechtlichen Bestand, als sie vorsehen, dass Eingriffe in das Eigentum auf dem Gebiet der DDR nicht mehr rückgängig gemacht werden. Durch jenen Art. 41 EV war die „Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen“ vom 15. Juni 1990 zum Bestandteil des Einigungsvertrages geworden 45 und die Bundesrepublik verpflichtet worden, keine dieser Erklärung widersprechende Rechtsvorschriften zu erlassen. Im Ergebnis wurden somit die Inhalte der Gemeinsamen Erklärung in Verfassungsrang erhoben und folgeweise der (Einigungsvertrags-)Gesetzgeber von der unmittelbaren Bindung an Art. 14 GG befreit. Des Weiteren hatte der Art. 135a GG aufgrund des Art. 4 Nr. 4 EV einen neuen Absatz 2 erhalten, wodurch dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet wurde, u.a. Entschädigungsansprüche, die sich auf Maßnahmen der DDR oder ihrer Rechtsträger beziehen, abweichend von Art. 14 Abs. 3 GG ganz oder teilweise auszuschließen. Das schließlich vom Gesetzgeber entworfene Wiedergutmachungswerk (im Vermögensgesetz, im Investitionsvorranggesetz und im Entschädigungs- und Lastenausgleichsgesetz 46 ) folgt den Grundsätzen der Gemeinsamen Erklärung. Danach ist das nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 ohne oder gegen eine nur geringe Entschädigung entzogene Eigentum grundsätzlich zurückzugeben. Ausnahmen gelten im Wesentlichen dann, wenn eine Rückgabe von der Natur der Sache her nicht möglich ist, der Vermögensgegenstand inzwischen von einem DDR-Bürger in redlicher Weise erworben worden war oder das Grundstück oder Gebäude für dringende Investitionszwecke benötigt wird; ___________ 45 Veröffentlicht als Anlage III zum Einigungsvertrag, BGBl. 1990 II, 889 (1237); abgedr. bei K. Stern/W. Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Verträge und Rechtsakte zur deutschen Einheit, Bd. 2, 1990, S. 823 ff. 46 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG, Anlage II zum Einigungsvertrag, Kap. III Sachgeb. Abschn. I Nr. 5, BGBl. 1990 II, 889 (1159), neu gefasst durch Bek. v. 9. Februar 2005, BGBl. I, 205, zuletzt geänd. durch Art. 4 Gesetz vom 19. Dezember 2006, BGBl. I 3230; Gesetz über den Vorrang von Investitionen bei Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz - InVorG, BGBl. 1992 I, 1257, 1268, neu gefasst durch Bek. vom 4. August 1997, BGBl. I, 1996, zuletzt geänd. durch Art. 5 Gesetz vom 19. Dezember 2006, BGBl. I, 3230; Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage - EALG, BGBl. 1994 I, 2624, zuletzt geänd. durch Art. 4 Abs. 38 Gesetz vom 22. September 2005, BGBl. I, 2809.
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in diesen Fällen wird eine Entschädigung geleistet 47 . Hingegen erhalten Personen, die Opfer der zwischen 1945 und 1949 in der SBZ erfolgten Enteignungsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage wurden, nach dem ersten „Eckwert“ der Gemeinsamen Erklärung 48 ihr Eigentum generell nicht zurück (§ 1 Abs. 8 lit. a VermG). Für die durch die kommunistische Bodenreform Enteigneten ist allein die Gewähr staatlicher Ausgleichsleistungen vorgesehen. Diese Regelung ist durch die zuvor aufgezeigten Verfassungsänderungen (Art. 143 Abs. 3, Art. 135a Abs. 2 GG) abgesichert. Das hat zur Folge, dass ihr die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG allenfalls noch in dem Umfang entgegen gehalten werden kann, wie deren Kerngehalt zu jenen letzten Grundsätzen gehört, die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG auch durch Verfassungsänderungen nicht verletzt werden dürfen. Doch das Bundesverfassungsgericht hat einen solchen Verfassungsverstoß verneint, und zwar sowohl hinsichtlich der Regelungen, die die Enteignungen seitens der DDRStaatsgewalt betreffen, als auch hinsichtlich derjenigen zu den SBZKonfiskationen. Demzufolge wurden die Fallgruppen des Restitutionsausschlusses, namentlich in Bezug auf die sowjetzonalen Enteignungen, ebenso wie die als ungenügend angegriffenen Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen für verfassungsgemäß erklärt. 49
b) Eigentumsgrundrechtlich geschützte Rechtspositionen? Die Rechtsprechung ist mit guten Gründen auf herbe Kritik gestoßen. Scharfzüngig war (namentlich zu den Bodenreform-Entscheidungen) von „Landrauburteilen“ und ähnlichem die Rede. 50 Denn dass der Kerngehalt der ___________ 47 Frühe Analyse von D. Rauschning, Enteignetes Grundvermögen wird grundsätzlich zurückgegeben, in: J. Goydke u.a. (Hrsg.), Festschrift für W. Remmers, 1995, S. 425 ff. 48 Ziffer 1 der Erklärung: „Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, dass einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss.“ Zur Vorgeschichte s. K. Stern (Fn. 42), S. 1803 ff. 49 BVerfGE 84, 90 (117 ff.); 94, 12 (33 ff.); 112, 1 (20 ff.), jeweils zu den Konfiskationen in der SBZ; BVerfGE 102, 254 (297 ff.), zum EALG; BVerfGE 95, 48 (56 ff.); 97, 89 (96 ff.), jeweils zu den DDR-Enteignungen. 50 I. Seidl-Hohenveldern, in: V. Götz u.a. (Hrsg.), Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 975 (977). Die Liste der kritischen Stellungnahmen ist lang und kaum mehr überschaubar. Statt aller seien angeführt: W. Graf Vitzthum, Das Bodenreform-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Analyse und Kritik, in: K. Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, die Rechtseinheit, Bd. II/1, 1992, S. 3 ff.; ders./W. März, Restituti-
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Eigentumsgarantie nicht verletzt sein soll, begründet das Bundesverfassungsgericht damit, dass die Garantie gar nicht betroffen werde. Das ist das zweite Hindernis, das einer Berufung auf Art. 14 GG entgegensteht. Aus dem Zusammenhang zwischen dem Schutz des Eigentumsrechts und dem Recht auf Rückgewähr rechtswidrig enteigneten Eigentums folge, so das Gericht, dass das Bestehen eines Rückübereignungsanspruchs eine im Zeitpunkt der Enteignung durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition voraussetzte; 51 das aber sei nicht der Fall. Das überzeugt nicht. Gewiss steht klar, dass das Grundgesetz sich nicht auf das Gebiet der DDR erstreckte und dort auch nicht – wie schon gesagt – nach dem Beitritt rückwirkend in Kraft getreten ist. Zum Zeitpunkt der sowjetzona___________ onsausschluss 1995, S. 41 f.; W. Leisner, Das Bodenreform-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1991, 1569 ff.; ders., Verfassungswidriges Verfassungsrecht. Nach dem „Bodenreform-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 1992, 432 ff. (beides auch abgedruckt in ders., Eigentum, hrsg. von J. Isensee, 1996, S. 635 ff. bzw. S. 651 f.); M. Herdegen, Die Eigentumsregelung des Einigungsvertrages vor dem Bundesverfassungsgericht, Jura 1992, 21 ff.; D. Blumenwitz, Die besatzungshoheitlichen Konfiskationen in der SBZ, BayVBl. 1993, 705 ff.; ders., Intertemporales und interlokales Verfassungskollisonsrecht, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 1997, § 211 Rn. 92; J. Wasmuth, Zur Verfassungswidrigkeit des Restitutionsausschlusses für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, NJW 1993, 2476 ff.; M. Silagi, Die Unwirksamkeit der Festschreibung der besatzungshoheitlichen Konfiskationen durch das Vermögensgesetz, IFLA-Informationsdienst für Lastenausgleich, 1993, 1 ff.; G. Gornig, Enteignungen in der SBZ 1945 – 1949 unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, IFLAInformationsdienst für Lastenausgleich 1991, 125 ff.; G. Biehler, Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach der Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990, 1994; R. Meixner, Roma locuta, causa finita: Der „Bodenreform“-II-Beschluß, DÖV 1997, 184 ff.; ders., Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, DÖV 2002, 900 ff.; K. Märker, Der Staatsräson verpflichtet! Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes, VIZ 2001, 233 ff.; Th. Schweisfurth (Fn. 40), VIZ 2000, 505 ff.; ders., SBZ-Konfiskationen privaten Eigentums 1945-1949, 2000; ders., Die verfassungsgerichtlich eingetrübte Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, NVwZ 2005, 1261 ff.; B. Kempen/Y. Dorf, Bodenreform 1945 – 1949. Eine verfassungsrechtliche Neubewertung, 2004; K. Stern (Fn. 42), S. 2143 ff.; B. Kempen (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Bewältigung der demokratischen Bodenreform 2005; K. Doehring, Der Schutz der kommunistischen Bodenreform durch „rechtsstaatliche“ Gerichtsbarkeit, in: E. Klein u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für A. Bleckmann, 2007, S. 103 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 143 (September 1991) Rn. 20 ff.; s. auch die materialreiche Zusammenstellung von B. Sobotka (Hrsg.), Wiedergutmachtungsverbot?, 1998, sowie die Beiträge in der Presse u.a. von H. H. von Arnim, FAZ vom 6. September 1990, R. Zuck, FAZ vom 24. Juli 1999, K. Doehring, FAZ vom 2. Dezember 2004. Bis heute unermüdlich U. Madaus, Allianz des Schweigens, 2002; ders., Wahrheit und Recht, 2006. 51 BVerfGE 97, 89 (98).
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len Maßnahmen war es ohnehin noch nicht in Kraft. 52 Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gilt nur gegenüber Akten der von ihr verpflichteten Staatsgewalt. Das war (ab 1949) die tatsächlich und rechtlich auf das Gebiet der alten Bundesrepublik beschränkte Staatsgewalt (Art. 23 Satz 1 GG a.F.). Aus dieser Erkenntnis folgert das Bundesverfassungsgericht: Gleichviel, ob die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 einer ausländischen oder einer früheren deutschen Staatsgewalt zuzurechnen seien, hätten sie – ebensowenig wie die Besatzungs- und Reparationsschäden – eine durch Art. 14 GG geschützte Vermögensposition nicht verletzen und folglich auch keinen darauf gestützten Restitutionsanspruch nach sich ziehen können. In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es freilich, dass es gar keiner Verfassungsänderung in Art. 143 GG bedurft hätte, um den Ausschluss etwaiger Rückgewährsansprüche zu untermauern. 53 Es ist gerade auch dieses einigermaßen verblüffende Ergebnis, das Befremden hervorrufen muss: Der Staat des Grundgesetzes steht zwar außerhalb der Verantwortung der aus seiner Sicht rechts- oder verfassungswidrigen Enteignungen auf dem Gebiet der DDR; diese können ihm nicht zugerechnet werden. Doch muss die Frage gestellt werden, ob nicht deren (vollständige oder teilweise) Aufrechterhaltung nach Maßgabe des Einigungsvertrages die dem Staat gegenüber allen betroffenen Deutschen obliegende Pflicht zum Schutz ihrer Grundrechte aus Art. 14 GG missachtet oder gar als ein neuer Grundrechtseingriff zu werten ist. 54 Auch unter dieser Perspektive käme allerdings wegen der Sondernormen in Art. 143 und 135a GG ein Verfassungsverstoß (gegen Art. 79 Abs. 3 GG) nur in Betracht, wenn der unantastbare Wesenskern der Eigentumsgarantie verletzt würde. Zwar wird auch dies unter Hinweis auf das weite außenpolitische Ermessen, das dem Gesetzgeber im Kontext völkerrechtlicher Verträge zusteht, überwiegend verneint. 55 Indessen: So unbezweifelbar die Verfassung in außenpolitischen Angelegenheiten einen weiten Gestaltungs- und Handlungsspielraum belässt, so bleiben gleichwohl Bedenken, ob nicht der Restitutionsausschluss die Grenzen dieses Spielraums überschreitet. Solche Bedenken rühren weniger aus der breit und kontrovers erörterten Frage, 56 ob die Bundesregierung bei ihrem Verzicht auf die ___________ 52
BVerfGE 84, 90 (122 f.); 97, 89 (98); 112, 1 (29). BVerfGE 84, 90 (125); 94, 12 (47); 95, 48 (58). 54 O. Kimminich, Auswirkungen des Einigungsvertrags auf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, in: Verfassungsrecht im Wandel, Festschrift 180 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1995, S. 75 ff. (81 f.); E. Klein, Deutsche Einigung und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: ebd., S. 91 ff. (95); D. Blumenwitz (Fn. 50), HStR, Bd. VII, 1997, § 211 Rn. 93 f. 55 Vgl. F. Ossenbühl (Fn. 29), § 212 Rn. 67 ff.; BVerfGE 84, 90 (127); 94, 12 (35). 56 Insbesondere nach der Schrift von C. Paffrath, Macht und Eigentum. Die Enteignungen 19451949 im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, 2004. 53
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Rückabwicklung der besatzungshoheitlichen Konfiskationen von einer richtigen Tatsachengrundlage ausging, als sie annahm, dieser Verzicht sei von der Sowjetunion zur Bedingung ihrer Zustimmung zum Zwei plus Vier-Vertrag und zur deutschen Wiedervereinigung gemacht worden. Denn jedenfalls kann darin nicht eine schlechterdings pflichtwidrige, die Ermessensgrenzen überschreitende Einschätzung der damaligen Verhandlungssituation gesehen werden. 57 Statt dessen oder daneben muss aber ein zweiter Einwand erhoben werden: Wie vermerkt, schützt Art. 14 GG auch solche Eigentumspositionen gegenüber Zugriffen der deutschen öffentlichen Gewalt, die aufgrund einer fremden Rechtsordnung bestehen. Wenn also nicht unmittelbar in Art. 14 GG gründend, so ist doch entscheidend, ob den Betroffenen der SBZ/DDR-Enteignungen nicht eine vermögenswerte Rechtsposition aufgrund sonstigen, auch früheren Rechts zustand und verblieben war, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung am Schutzgehalt des Art. 14 GG (im Umfang seines absoluten Kernbereichschutzes) teilnimmt. In Frage stand und steht daher, ob die vormals bestehenden Eigentumsrechte 58 durch die besatzungshoheitlichen Enteignungen vernichtet worden sind. Nur wenn dies zu bejahen wäre, hätte dies zur Folge, dass für die Betroffenen keine Rechtsposition mehr bestünde, in die der deutsche Gesetzgeber hätte eingreifen können.
aa) Beurteilungsmaßstab: Deutsches internationales Enteignungsrecht Hierzu stellt das Bundesverfassungsgericht im Ausgangspunkt durchaus richtig fest, dass die Frage nur „im Blick auf eine konkrete Rechtsordnung“ beantwortet werden könne. 59 Doch im Weiteren wird dieser Blick erheblich trübe. Das gilt zunächst für die Feststellung, dass „nach der Rechtslage im Gebiet der früheren sowjetisch besetzten Zone und späteren Deutschen Demokratischen Republik“ die Enteignungsmaßnahmen „als rechtmäßig angesehen“ wurden und daher nach deren Vollzug eine Eigentumsposition nicht mehr bestand. 60 Ein tieferer Erkenntniswert ist hier nicht zu entdecken, sind es doch ___________ 57
BVerfGE 84, 90 (127 f.); 94, 12 (35 ff.). Hier ist auch daran zu erinnern, dass bis zum Inkrafttreten der ersten DDRVerfassung vom 7. Oktober 1949 im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone die Weimarer Verfassung prinzipiell fortgalt, nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes als einfaches Reichsgesetz. Nach Art. 153 Abs. 2 WRV waren Enteignungen grundsätzlich nur gegen gesetzlich vorgesehene Entschädigungen statthaft (dazu R. Scholz, Fn. 50, Art. 143 Rn. 22). Die sowjetische Besatzungsmacht war freilich nicht an Art. Art. 153 WRV gebunden (BVerfGE 94, 12, 48). 59 BVerfGE 84, 90 (122). 60 BVerfGE, ebd. 58
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überhaupt erst diese so genannte Rechtslage und die von ihr geduldete Enteignungspraxis, die die Bundesrepublik Deutschland zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung vor die Frage gestellt hat, ob auch nach ihrem Recht diese Enteignungen weiterhin als rechtmäßig und bestandskräftig behandelt werden dürfen, ohne dass damit eine Verantwortlichkeit „im Sinne eines Einstehenmüssens“ verbunden wäre. Wenn im Anschluss daran just diese Frage unter dem Gesichtspunkt des deutschen internationalen Enteignungsrechts angegangen wird, so trüben sich die Dinge weiter ein. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei dem Betroffenen auch danach keine vermögenswerte Rechtsposition verblieben, vielmehr müssten die Enteignungen und entschädigungslosen Konfiskationen hingenommen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie mit der eigenen innerstaatlichen Verfassungsordnung vereinbar seien. 61 Nach dem international anerkannten Territorialitätsprinzip würden solche Maßnahmen eines fremden Staates grundsätzlich als wirksam angesehen, soweit dieser Staat innerhalb der Grenzen seiner Macht geblieben sei. Weil sie das Vermögen erfassten, das zum Zeitpunkt der Enteignung der Gebietshoheit des enteignenden Staates unterläge, würden sie ihre Wirkung (nur) innerhalb des Hoheitsgebiets des fremden Staates entfalten. Auch die Ausnahme des (deutschen) ordre public-Vorbehalts greife im Fall der sowjetzonalen Enteignungen nicht ein; dazu heißt es wörtlich: „Die Entschädigungslosigkeit der Enteignung oder ein ihr sonst nach inländischer Gerechtigkeitsvorstellung anhaftender Makel reicht danach, soweit die Enteignung Objekte im Territorium des enteignenden Staates betrifft, für sich allein nicht aus, um ihr die Wirksamkeit abzusprechen“. 62 Abgesehen von dieser schon erstaunlichen Einlassung zum Inhalt des deutschen ordre public begründet sich der Einwand gegen diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts weit prinzipieller, nämlich aus der Einsicht, dass das Territorialitätsprinzip des internationalen Enteignungsrechts auf die Konfiskationen in der sowjetischen Besatzungszone gar keine Anwendung finden kann. Zwar handelt es sich bei den Maßnahmen der Besatzungsmacht um Enteignungen eines fremden Staates, nicht aber um solche innerhalb des Hoheitsgebiets des fremden Staates, der Sowjetunion, sondern um Enteignungen in einem Drittstaat, nämlich Deutschland. 63 Für die Besatzungsmacht ist das besetzte Gebiet weiterhin Ausland. Die Konfiskationsmaßnahmen sind also gerade nicht vom Territorialitätsprinzip gedeckt, vielmehr spricht dieses umgekehrt dafür, dass ihnen keine Wirksamkeit zukommt. Selbst wenn man aber in den ___________ 61
Siehe zum Folgenden BVerfGE 84, 90 (123 f.). BVerfGE, ebd. 63 Vgl. Th. Schweisfurth, Konfiskationen in der völkerrechtlichen Beurteilung, in: B. Kempen (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Bewältigung der demokratischen Bodenreform, 2005, S. 35 (56). 62
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Enteignungen eine spezifische Ausübung von Gebietshoheit erblickte, die die sowjetische Besatzungsmacht kraft der kriegerischen Besetzung (occupatio bellica) Deutschlands inne hatte, ergibt sich aus keinem Gesichtspunkt die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, diese Enteignungen hinzunehmen. Denn entweder sind das Territorialitätsprinzip und das internationale Enteignungsrecht als Institute des allgemeinen Friedensvölkerrechts wegen des seinerzeit noch bestehenden kriegsrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen Deutschland und der Sowjetunion 64 auch dann nicht anwendbar. Oder die Maßnahmen verletzen das Territorialitätsprinzip, weil sich der enteignende Staat, die Sowjetunion, nicht innerhalb der Grenzen seiner Macht gehalten hat, die ihm durch die Rechtsordnung der kriegerischen Besetzung gezogen sind, und insoweit zumindest gegen den internationalen ordre public verstoßen worden ist. 65
bb) Beurteilungsmaßstab: (Kriegs-)Völkerrecht In beiden Hinsichten werden die dazu erforderlichen Überlegungen auf das (Kriegs-)Völkerrecht verwiesen. Doch insofern verdunkelt sich der Blick des Bundesverfassungsgerichts vollends. Bekanntlich hat das Gericht im ersten Bodenreform-Urteil von 1991 jegliche völkerrechtlichen Aspekte ausdrücklich außen vor gelassen und die Beschwerdeführer mit dem – schon angeführten – Hinweis vor den Kopf gestoßen, nach völkerrechtlichen Grundsätzen begründete Rechtspositionen wären jedenfalls nicht durchsetzbar und damit praktisch wertlos geblieben. 66 Erst die vom Zweiten Senat Ende 2004 getroffene Entscheidung unternimmt insofern eine eingehendere Auseinandersetzung. 67 Doch macht sich das Gericht auch insoweit die Entscheidung im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite des Art. 14 GG nicht allzu schwer. Durchtrenne, so heißt es, „eine völkerrechtlich legitim ins Leben getretene Rechtsordnung wie das sowjetische Besatzungsregime die Verbindung von Eigentümer und Eigentumsgegenstand, so endet unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit des Entzugs mit der Enteignung die förmliche Rechtsstellung des Eigentümers“. 68 Ob jedoch die Verbindung zwischen Eigentümer und Eigentum „durchtrennt“ wurde, hängt – so muss entgegengehalten werden – gerade entscheidend davon ___________ 64 Der Kriegszustand „zwischen der Sowjetunion und der Deutschland“ wurde erst durch den einseitigen Akt der Sowjetunion (Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjet) vom 25.1.1955 beendet, russischer Text und deutsche Übersetzung in: H. Mosler/K. Doehring, Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, 1963, S. 395. 65 D. Blumenwitz (Fn. 50), HStR, Bd. VII, 1997, § 211 Rn. 92. 66 BVerfGE 84, 90 (124 f.); letztlich das gleiche bietet der Bodenreform IIBeschluss aus dem Jahre 1996, BVerfGE 94, 12 (47). 67 BVerfGE 112, 1 (24 ff.). 68 BVerfGE 112, 1 (21).
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ab, ob der Eigentumsentzug rechtmäßig war. Die legitime Errichtung des Besatzungsregimes besagt noch nichts über die Legalität der Besatzungsmaßnahmen. Allein mit der Legitimität des Besatzungsregimes kann daher der Verlust von Eigentümerpositionen nicht begründet werden, 69 schon gar nicht über das Ende des Besatzungsregimes hinaus, dessen Maßnahmen wesensgemäß vorübergehender Natur sind. 70 Daher wäre gerade hier zu prüfen gewesen, ob und inwieweit das Völkerrecht den Betroffenen das Recht auf ihr Eigentum bewahrt und Rechtspositionen begründet hat, über die der deutsche Gesetzgeber nicht im Wege der Aufrechterhaltung der Enteignungen verfügen durfte – und zwar auch nicht durch eine dahingehende Verfassungsänderung. Das Bundesverfassungsgericht geht statt dessen einen anderen Weg. Es verortet zunächst die Frage nach einem völkerrechtlich geschützten Eigentumsrecht in der allgemeinen Völkerrechtsklausel des Art. 25 GG, wonach der deutsche Staat verpflichtet sei, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere als zwingendes und Völkergewohnheitsrecht (ius cogens), zu respektieren. In diesem Rahmen wird immerhin herausgestellt, dass Verstöße gegen das Völkerrecht unter Umständen innerstaatlich selbst dann als subjektive Rechtsverletzungen geltend gemacht werden können, wenn die völkerrechtliche Norm ursprünglich nur objektive Verpflichtungen zwischen Staaten begründen wollte. So seien insbesondere solche Völkerrechtsregeln, die den Schutz von Eigentumspositionen zum Gegenstand haben, zumindest in ihrer Schutzwirkung auch „subjektiv gerichtet“ 71 . Das verdient Zustimmung. Indessen bleibt es in der Rechtsprechung sodann offen, ob und inwieweit ein solchermaßen subjektivrechtlich gewendeter Rechtssatz des Völkerrechts über Art. 25 GG auch den verfassungsändernden Gesetzgeber bindet, mithin der schon auf Verfassungshöhe (Art. 143 Abs. 3, 135a Abs. 2 GG) verfügte Ausschluss der Rückgängigmachung der Enteignungen oder der Gewähr hinreichender Entschädigungen gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen kann. Denn unabhängig davon, ob konkrete, gegen das Eigentum gerichtete Völkerrechtsverletzungen zu beklagen seien – das Bundesverfassungsgericht lässt dies letztlich dahingestellt –, werde ein solcher, im Völkerrecht gesicherter Eigentumsschutz, so das Gericht, von der weiteren völkerrechtlichen „Pflicht zur erfolgsbezogenen Zusammenarbeit“ bei der Beendigung und Beseitigung von gravierenden Völkerrechtsverstößen überlagert. Dieser Pflicht sei die Bundesrepublik Deutschland dadurch nachgekommen, dass sie bei der kooperativen Bewältigung der Wiedervereinigung auf friedlichem Verhandlungswege von einer Rückgabe der wiedererlangten Vermögensgegenstände an die Alteigentümer abgesehen, die tatsächli___________ 69 70 71
Vgl. eindringlich Th. Schweisfurth (Fn. 50), NVwZ 2005, 1262. S. Th. Schweisfurth (Fn. 40), VIZ 2000, 509. BVerfGE 112, 1 (22).
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che Wirkung der Enteignungen aber durch die Zuerkennung von Ausgleichsleistungsansprüchen abgemildert habe. 72 Die Argumentation, mit der die Angelegenheit damit „erledigt“ wurde, kann schwerlich überzeugen. Auffällig ist, wie vage und reserviert sich das Bundesverfassungsgericht durchgängig zu den involvierten völkerrechtlichen Fragestellungen verhält. Insoweit müssen zwei einschlägige Zeitpunkte unterschieden werden: der Zeitpunkt der Eigentumsentziehungen und der Zeitpunkt des Abschlusses des Einigungsvertrages bzw. der entsprechenden Ratifikationsgesetzgebung. Auf den Zeitpunkt der Enteignungen bezogen formuliert das Bundesverfassungsgericht vorsichtig, es würden zwar „verschiedene Gründe“ dafür sprechen, dass die Eigentumsentziehungen in der SBZ elementaren Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts widersprachen, die auch die Ausgestaltung eines grundsätzlich legitim ins Leben getretenen Besatzungsregimes begrenzten. 73 Insoweit das Gericht hier zu Recht die Haager Landkriegsordnung (HLKO) in den Blick nimmt, geschieht dies aber nur mit erheblicher Zurückhaltung. Zum einen werden der sowjetischen Besatzungsmacht nicht näher spezifizierte „besondere Befugnisse“ im Hinblick auf die Umgestaltung der Eigentumsordnung in ihrer Besatzungszone zugestanden. 74 Das erinnert an die zumal in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhobenen Zweifel, ob die Haager Landkriegsordnung für die Sowjetunion überhaupt Bindungswirkungen erzeuge. 75 Diese Zweifel sind jedoch inzwischen, jedenfalls soweit es um ihre humanitären Normen geht, nach allgemeiner Auffassung obsolet. 76 Zum anderen äußert sich das Bundesverfassungsgericht zu diesem humanitären Kern der Haager Landkriegsordnung, der auch zum Besatzungszeitpunkt längst dem ius cogens zugehörte, 77 nur ungenügend. Zwar wird dessen bindender Charakter betont, sein Inhalt aber lediglich mit der Wiedergabe der Martens’schen Klausel in der Präambel der Haager Landkriegsordnung wiedergegeben. Auf das ausdrückliche kriegsvölkerrechtliche Verbot der Konfiskation von Privateigentum in Art. 46 Abs. 2 HLKO wird mit keinem Wort eingegangen. Was man demnach vermisst, ist eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieses Konfiskationsverbots und vor allem auch mit der Wirkung dagegen verstoßender Maßnahmen. „La propriété privée ne peut pas être confisquée“, so lautet der authentische Text des Art. 46 Abs. 2 HLKO. Das heißt: Die in priva___________ 72 73 74 75 76 77
BVerfGE 112, 1 (31 ff., 35 ff.). BVerfGE 112, 1 (29, 31). BVerfGE 112, 1 (29). Vgl. schon BVerfGE 94, 12 (47). Vgl. Th. Schweisfurth, SBZ-Konfiskationen (Fn. 50), S. 19 ff. Dazu Th. Schweisfurth (Fn. 63), 47 ff.
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tem Eigentum befindlichen Vermögenswerte waren konfiskationsuntauglich, sie konnten von der Besatzungsmacht nicht entschädigungslos entzogen werden. Die Maßnahmen erfolgten ultra vires und waren daher nichtig. Das Bundesverfassungsgericht vermeidet es indessen, hierzu eine klare Position zu formulieren, sondern zieht sich auf die vage Linie zurück, es könne „nicht ausgeschlossen werden“, 78 dass die sowjetzonalen Konfiskationen dem humanitären Kriegs- bzw. Besatzungsvölkerrecht widersprachen. Dann aber kann es zumindest auch nicht ausgeschlossen werden, dass diese Maßnahmen nichtig waren, mit anderen Worten ohne rechtliche Wirkung geblieben sind und daher einen Verlust von Eigentümerpositionen gar nicht bewirkt haben, sondern den Konfiskationsbetroffenen ihre Rechtsposition als Eigentümer erhalten geblieben ist. 79 Ist das aber der Fall, dann stand ihnen auch – nicht als „Alteigentümer“, sondern als andauernde Eigentümer – gegenüber den jeweiligen neuen Besitzern ein Herausgabeanspruch zu; bei Schädigung oder Zerstörung auch ein Schadenersatzanspruch. Dieser war zwar bis 1990 nicht durchsetzbar, aber auch nicht untergegangen, sondern lebte zu diesem Zeitpunkt gerade praktisch wieder auf. Denn auch nach dem Ende der Besatzungszeit im Jahre 1955 war nichts geschehen, was den Untergang dieser Ansprüche bewirkt haben könnte; bis zur abschließenden Regelung der deutschen Frage im Zwei plus Vier-Vertrag war gar nichts endgültig geregelt, auch nicht die Eigentumsordnung in jenem Teil Deutschlands, auf dem sich die DDR etabliert hatte. 80 Diese Feststellungen können nun nicht ohne Auswirkung auf den Handlungsspielraum der Bundesrepublik zur Zeit des Einigungsvertrages sein. Mit dem Ende der sowjetischen Besatzung erwarb der zurückgekehrte Souverän, erst die DDR, nach deren Untergang die Bundesrepublik Deutschland, die Kompetenz, über das Fortbestehen der besatzungshoheitlichen Entscheidungen, also auch der erfolgten Enteignungen, zu befinden. Dieser zurückerlangte souveräne Handlungsspielraum 81 ist allerdings nicht unbegrenzt. Vielmehr ist er völkerrechtlich – und über Art. 25 GG somit innerstaatlich – begrenzt durch die bindenden Normen des Völkerrechts. Daraus folgt die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, auf ihrem Territorium die Unversehrtheit der elementaren Grundsätze des Völkerrechts zu garantieren, d.h. Völkerrechtsverletzungen durch die eigenen Staatsorgane zu unterbinden bzw. zu korrigieren sowie das Völkerrecht im Falle der Verletzung durch dritte Staaten durchzusetzen. 82
___________ 78 79
BVerfGE 112, 1 (31). Vgl. Th. Schweisfurth (Fn. 50), NVwZ 2005, 1262; ders. (Fn. 40), VIZ 2000,
513 f. 80 81 82
Th. Schweisfurth, ebd., VIZ 2000, 520. Vgl. auch BVerfGE 112, 1 (31). BVerfGE 112, 1 (24, 26, 28, 35).
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Im Hinblick darauf mag es nun vielleicht richtig sein, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass der Schutz des Eigentums eigener Staatsangehöriger noch nicht zum universellen Völkerrecht gezählt werden konnte und kann. 83 Doch sofern es um die – völkerrechtlich begründete und gemäß Art. 25 GG transformierte – Pflicht geht, im eigenen Verantwortungsbereich das Völkerrecht zur Geltung zu bringen, das durch einen dritten Staat verletzt wurde, kommt es darauf gar nicht an. Denn nicht das heutige Friedens-, sondern das zuvor maßgebliche Kriegsvölkerrecht bestimmt den Handlungsspielraum des nach der Besatzung zurückgekehrten Souveräns – hier also das Konfiskationsverbot der Haager Landkriegsordnung. Dieses dient aber nicht dem Schutz der eigenen, sondern im Verhältnis zur Besatzungsmacht dem Schutz der fremden Staatsangehörigen im besetzten Gebiet. 84 Wenn mithin in der Tat zumindest „nicht ausgeschlossen“ werden kann, dass die SBZ-Enteignungen völkerrechtswidrig waren und einen internationalen Unrechtsakt darstellten, dann folgt daraus denknotwendig, dass auch die Rechtsfolge dieses Rechtsverstoßes, nämlich die Nichtigkeit der Enteignungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann. Für diesen Fall besteht aber, entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, für die Bundesrepublik Deutschland gar kein Ermessen mehr, über die Nichtigkeitsfolge zu befinden. Diese ergibt sich vielmehr aus der verletzten Völkerrechtsnorm selbst. Die Bundesrepublik konnte also nach dem Ende der Besatzung bzw. im Jahre 1990 nur darüber entscheiden, wie sie mit den nichtigen Enteignungen und den demzufolge bestehenden Rückgabeansprüchen umgeht. Der vom Gesetzgeber angeordnete Ausschluss der Restitution bedeutet so gesehen die Perpetuierung eines völkerrechtswidrigen Zustandes, der nun nicht mehr der Sowjetunion, sondern der deutschen Staatsgewalt zuzurechnen wäre. Mit dem Art. 41 EV und den einhergehenden Verfassungsänderungen in Art. 143 Abs. 3, 135a Abs. 2 GG wäre den SBZ-Enteignungen eine neue Rechtsgrundlage gegeben, die schon in Ermangelung einer zugleich verfügten Entschädigungsregelung den Kerngehalten des Rechts am Eigentum widerspräche. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts könne jedoch dies alles dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls habe für die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Korrektur von Völkerrechtsverletzungen auch die völkerrechtliche Pflicht zur erfolgsbezogenen Zusammenarbeit bestanden. Dieser sei sie durch die Herbeiführung der Wiedervereinigung auf friedlichem Verhandlungswege ___________ 83 BVerfGE 112, 1 (34). Bemerkenswert sind freilich zwei jüngere Urteile des Gerichts erster Instanz der EG zum Einfrieren von Geldern aufgrund von Sanktionen des UN-Sicherheitsrats (EuG vom 21. 9. 2005 Rs. T-306/01, Rs. T-315/01). Diese wollen es nicht mehr von vornherein ausschließen, dass der Schutz des Eigentums zum völkerrechtlichen ius cogens gehört; dazu näher C. Ohler, Der Schutz privaten Eigentums als Grundlage der internationalen Wirtschaftsordnung, JZ 2006, 875 ff. 84 Th. Schweisfurth (Fn. 50), NVwZ 2005, 1264.
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nachgekommen, in dessen Rahmen die Bundesregierung zu der Einschätzung hätte gelangen dürfen, dass die kooperative Bewältigung der Wiedervereinigung mit einer Behandlung der Enteignungen als nichtig nicht vereinbar gewesen wäre. 85 Dass dieser Gesichtspunkt zur Rechtfertigung nicht, jedenfalls nicht gänzlich hinreicht, ergibt sich aus Folgendem: Zum einen ist es schon mehr als zweifelhaft, ob diese aus der Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 53 WVRK) und aus den Artikeln der International Law Commission der Vereinten Nationen über die Staatenverantwortlichkeit (Art. 40 ff. ILC) hergeleitete Pflicht zur Zusammenarbeit die Pflicht zur Beseitigung eines durch Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht geschaffenen Zustandes relativieren kann. Vor allem aber war von der vermeintlichen Vorbedingung der Sowjetunion bei der kooperativen Bewältigung der Wiedervereinigung allenfalls der Restitutionsausschluss als solcher umfasst, nicht aber auch ein Entschädigungsausschluss. Es ist daher nicht recht nachvollziehbar, wenn es das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Völkerrecht genügen lässt, dass die Bundesrepublik Deutschland den Enteignungsopfern lediglich einen – hinter den Anforderungen einer Enteignungsentschädigung weit zurückbleibenden – finanziellen Ausgleich zuerkennt, 86 nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages sogar nur die Möglichkeit eines solchen Ausgleichs. Insgesamt: Der Schutz auch aufgrund fremder Rechtsordnung erlangter Eigentumsrechte, wie er in Art. 14 GG verbürgt wird, hätte zumal in seinem verfassungsänderungsfesten Kerngehalt gegenüber den massenhaften und systematischen Konfiskationen gegen die als „Klassenfeind“ titulierten Privateigentümer und Unternehmer in der sowjetischen Besatzungszone weit mehr Unterstützung von Seiten des Völkerrechts erfahren müssen. Für die Betroffenen hat sich die vielgepriesene Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unter den Blicken des Bundesverfassungsgerichts – wie gesagt – ziemlich eingetrübt. 87 Der Restitutionsausschluss hinterlässt unwillkürlich den Eindruck, dass dem zum schlichten „Teilungsunrecht“ geläuterten DDR-Unrecht nach der Wiedervereinigung eine größere Bedeutung zufällt als zu Zeiten der staatlichen Trennung. 88
cc) Beurteilungsmaßstab: Rechts- und Sozialstaatsprinzip Nachzutragen bleibt, dass das Bundesverfassungsgericht die Verpflichtung des deutschen Staates zur vermögensrechtlichen Wiedergutmachung früheren, ___________ 85 86 87 88
BVerfGE 112, 1 (37). Vgl. Th. Schweisfurth (Fn. 50), NVwZ 2005, 1261 ff. Vgl. Th. Schweisfurth, ebd. D. Blumenwitz (Fn. 50), HStR, Bd. IX, 1997, § 211 Rn. 91, 96.
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von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts wenn nicht in Art. 14 GG, so doch im Rechts- und Sozialstaatsprinzip verankert. 89 Unter diesem Gesichtspunkt hat der Gesetzgeber allerdings schon allgemein einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Die Grenzen, die ihm dabei gezogen sind, ergeben sich zumal aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Doch werde dieser jedenfalls nicht in seinen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundelementen verletzt. Dass die Rückgewähr für die in der SBZ erfolgten Enteignungen ausgeschlossen sei, während hinsichtlich der späteren (entschädigungslosen) Enteignungen der DDR grundsätzlich die Eigentumsrückgabe gewährt werde, rechtfertige sich aus der nicht zu beanstandenden Einschätzung der außenpolitischen Lage bei der Verhandlung des Einigungsvertrages. 90 Ebenso seien die getroffenen Ausgleichs- und Entschädigungsregeln im Interesse einer gerechten Befriedigung und unter Berücksichtigung der von der Bundesrepublik und ihrer Bürger zu tragenden Lasten nicht unverhältnismäßig. Höhere Anforderungen ergäben sich auch nicht aus der verfassungsrechtlichen Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren. 91 Dass auch diese Rechtsprechung im Detail an Überzeugungskraft zu wünschen übrig lässt, vielmehr einer der inneren Einheitsbildung eher abträglichen Zwei-Klassen-Wiedergutmachung nahe kommt, wird vielerorts begründungsmächtig behauptet. 92
IV. Das Enteignungsunrecht vor dem EGMR Eine aus der Sicht der Enteignungsopfer letzte Hoffnung verlegte sich auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Doch auch die Berufung auf die Grundrechte der EMRK, insbesondere den Schutz des Eigentums, den die Beschwerdeführer durch die deutsche Gesetzgebung und die sie bestätigende Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Restitutionsausschluss und zur (ungenügenden) Kompensation verletzt sahen, war vergeblich. Nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls (ZP) zur EMRK hat jede Person ein „Recht auf Achtung ihres Eigentums“. Der Begriff des Eigentums wird dabei seinem völkerrechtlichen Kontext entsprechend etwas weiter, insbesondere von einer gesetzlichen Vorprägung unabhängiger bemessen als im nationalen Rahmen des Grundgesetzes. So werden nicht nur „vorhandene Eigentumsrechte“ und andere vermögenswerte Rechtspositionen geschützt, sondern auch „be___________ 89
BVerfGE 84, 90 (126 f.). BVerfGE 84, 90 (127 f.); 94, 12 (35 ff.). 91 BVerfGE 102, 254 (301 ff.); 112, 1 (38 ff.). 92 Vgl. etwa M. Redeker, Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit im Wiedergutmachungsrecht, VIZ 2001, 177 ff.; K. Märker (Fn. 50), VIZ 2001, 233 ff.; R. Meixner (Fn. 50), DÖV 2002, 900 ff. 90
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rechtigte Erwartungen“; das sind unbedingt entstandene Ansprüche auf vermögenswerte Leistungen bzw. Forderungen, auf deren Erfüllung der Berechtigte legitimerweise vertrauen durfte. Soweit staatliche Maßnahmen eine Beschränkung des Eigentums und seiner Nutzung bewirken oder das Eigentum formell oder faktisch entziehen, müssen diese dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel und dem angestrebten Ziel genügen. Im Falle einer Enteignung sieht zwar der Art. 1 1. ZP nicht ausdrücklich das Junktim einer Entschädigungsleistung vor. Doch stellt eine entschädigungslose Enteignung nach der Rechtsprechung des EGMR regelmäßig einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht dar. Die Höhe der Entschädigung hat sich auch nach dem konventionsrechtlichen Standard an dem Verkehrswert des entzogenen Guts zu orientieren. 93 Im Hinblick auf die zur Bewältigung der Wiedervereinigung in Deutschland getroffenen Entscheidungen über die offenen Vermögensfragen hat der EGMR indessen – so lässt sich cum grano salis sagen – die gleiche, unbefriedigende Haltung eingenommen, wie das Bundesverfassungsgericht. In der Sache von Maltzan u.a. 94 verneint die Große Kammer des Gerichtshofs sowohl für die Behandlung der SBZ-Enteignungen zwischen 1945 und 1949 als auch für die DDR-Enteignungen nach 1949 schon die Anwendbarkeit der konventionsrechtlichen Eigentumsgarantie als Kontrollmaßstab. Die entsprechenden Beschwerden wurden insoweit ratione temporis und ratione materiae als unzulässig abgewiesen. In der Begründung wird zunächst hervorgehoben, „dass die Konvention die Vertragsstaaten in keiner Weise verpflichtet, Unrecht oder Schäden wieder gutzumachen, zu denen es auf Veranlassung einer fremden Besatzungsmacht oder eines anderen Staates gekommen sei“. 95 Wenn der deutsche Staat gleichwohl eine solche Wiedergutmachungsregelung (vor allem in Form des EALG) getroffen habe und diese gerichtlich bestätigt worden sei, dann komme demgegenüber eine Berufung auf den Konventionsschutz von „vorhandenem Eigentum“ von vornherein nicht in Betracht. Die früheren Enteignungen hätten nämlich, so heißt es in lapidarer Kürze, dazu geführt, dass die alten Eigentumsrechte mehr als ein halbes Jahrhundert nicht hätten ausgeübt werden können. Insofern hier das gleiche ausgedrückt wird wie in der bundesverfassungsgerichtlichen Feststellung, etwaige Eigentumsansprüche seien jedenfalls nicht durchsetzbar und daher praktisch wertlos gewesen, 96 bleibt es freilich wiederum nicht nachvollziehbar, wie die prozedurale Insuffizienz die materielle Exis___________ 93
Vgl. eingehend zum Ganzen C. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, § 25 Rn. 1 ff.; s. auch BVerfGE 112, 1 (41 ff.). 94 EGMR v. 2.3.2005, NJW 2005, 2530 ff. 95 EGMR, ebd., Rn. 77. 96 S.o. (Fn. 66).
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tenz eines Rechts soll vernichtet haben können. Für diese Enteignungsmaßnahmen aber sei jedenfalls, so das Gericht weiter, die Bundesrepublik Deutschland als Konventionsstaat – sie hat das 1. ZP 1957 ratifiziert – nicht verantwortlich, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer fortdauernden Wirkung bzw. einer fortdauernden Verletzung der Konvention. Denn die Entziehung eines Rechts auf Eigentum sei ein „einmaliger Vorgang“ und begründe „keinen fortdauernden Zustand“, der noch der Prüfungszuständigkeit des Gerichtshofs unterliege. 97 Die Einwendung der Beschwerdeführer, ihnen stünden hinsichtlich der sowjetzonalen Enteignungen aus der Verletzung des kriegsvölkerrechtlichen Konfiskationsverbots Rückgewährs- und Entschädigungsansprüche zu, wies der Gerichtshof zurück. Bei der sowjetischen Besatzung habe es sich, so die Begründung, nicht um eine „normale“, sondern um eine „Besatzung sui generis“ gehandelt. 98 Ob und inwieweit diese Eigenart einer occupatio sui generis dem Vorbringen der Beschwerdeführer widerstreiten soll, wird allerdings nicht gesagt und erscheint zudem äußerst zweifelhaft. 99 Denn diese Eigenart, wenn man sie denn annehme, lag ja wohl auch nach Auffassung des EGMR gewiss nicht in der Nichtbeachtung des humanitären Völkerrechts der Haager Landkriegsordnung. Die vollständige und apodiktische Ausblendung des Völkerrechts und die damit einhergehende Auffassung, seit dem Zeitpunkt der Konfiskationen hätten keine Eigentumsrechte mehr bestanden, die später unter den Schutz des 1. ZP hätten fallen können, kann daher nur als unbegreiflich bezeichnet werden. Auch hinsichtlich der durch die DDR erfolgten Enteignungen begnügt sich die Judikatur des EGMR mit knappen Worten, um nicht zu sagen: hingeworfenen Brocken. Es sei, so bekommt der Beschwerdeführer zu lesen, die Stellung der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Enteignungen lediglich eine Frage „so genannter politischer Verpflichtungen“, die sich der konventionsrechtlichen Beurteilung entzogen. Über den Inhalt einer solchen politischen Verpflichtung erhält man jedoch keine Auskunft. 100 Schließlich verwehrt es der Gerichtshof den Enteignungsopfern auch, die Konventionsgarantie des Eigentums im Sinne des Schutzes einer „berechtigten Erwartung“ in Stellung zu bringen. Es mochte vielleicht eine „einfache Hoffnung“ auf Restitution oder angemessene Entschädigung bestanden haben, eine „berechtigte Erwartung“ im Sinne des Konventionsschutzes aber nicht. 101 Weder die Gemeinsame Erklärung vom 15. Juli 1990 noch irgendeines der nachfolgenden Regelungswerke des deutschen Wiedergutmachungsrechts hätten ei___________ 97 98 99 100 101
EGMR, a.a.O., Rn. 74 (a), 82, 83. EGMR, a.a.O., Rn. 80 (1). Th. Schweisfurth (Fn. 50), NVwZ 2005, 1266. EGMR, a.a.O., Rn. 81. EGMR, a.a.O., Rn. 85 ff.
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ne solche Erwartung begründen können. Das ist freilich in einer Weise traurige Wahrheit. Andererseits bleibt der Verdacht, dass dem Gerichtshof hier eine schwerwiegende petitio principii unterlaufen ist. 102 Nach seiner vorangegangenen Argumentation konnte als Anknüpfungspunkt für eine berechtigte Erwartung zwar in der Tat nur noch die Gemeinsame Erklärung in der Auslegung, die sie in der nachfolgenden Gesetzgebung und Rechtsprechung gefunden hat, in Betracht kommen. Indes hatten die Beschwerdeführer doch gerade deren Rechtmäßigkeit bestritten und daraus eine berechtigte Erwartung auf Wahrung ihrer Eigentumsrechte abgeleitet. Wenn dieser Erwartung allein der Bestand der Gemeinsamen Erklärung entgegenstehen soll, dann impliziert das die Annahme, dass deren Rechtmäßigkeit auf ihrem Bestand beruhe, und setzt also voraus, was gerade zu prüfen war. Auch drängt sich die Frage auf: Hätte wohl ohne die Gemeinsame Erklärung doch eine „berechtigte Erwartung“ bestanden? – So bleibt für die Beschwerdeführer am Ende nur mit Brecht zu sagen: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“. 103 * * *
Abstract Hans-Detlef Horn: The Constitutional Protection of Property in the Context of the Compensation of Former Unlawful Expropriations. Aspects of International Public and European Law, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 79-106. The injustice of the expropriations and confiscations without compensation after the Second World War weigh upon the German and the European laws on property. The objectives of the compensations have not completely been reached. This task was very obvious during the process of the German reunification. An all-German legal order, in line with the values of the Basic Law and with the prescriptions of the European Conventions on Human Rights had to be created. However, due to the communist land reforms in the Soviet zone of occupation between 1945 and 1949 and the subsequent property confiscations in the GDR, the picture is rather gloomy. The German Federal Constitutional Court and the European Court for Human Rights rejected the property claims of Germans concerned by these measures and as well as their ___________ 102
Ebenso K. Doehring, Kommunistische Bodenreform (Fn. 50), 107. Das Thema „Menschenrechte und Konfiskationen“ wird in einem Folgebeitrag vertieft werden. 103
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restitution claims. The judgements caused confusion and were sometimes described as intolerable for a state of law. The article analyses the existing case-law and points out its legal deficits.
Der Schutz des Eigentums als Menschenrecht Von Kirsten Koopmann-Aleksin
I. Einführung Das Recht auf Eigentum erscheint vielen Menschen, die in demokratischen Gesellschaften leben, in der heutigen Zeit als eine Selbstverständlichkeit. Erst der Verlust des Eigentums führt den Betroffenen vor Augen, welche Bedeutung sie diesem tatsächlich beimessen. Der Eingriff wird von ihnen regelmäßig als ungerecht und die gegebenenfalls erhaltene Entschädigung als zu gering empfunden. Dass der ungerechtfertigte Eingriff in das Recht auf Eigentum auch eine Menschenrechtsverletzung darstellen kann, ist aber den wenigsten bewusst, da dieses Recht von der gemeinen Öffentlichkeit für gewöhnlich nicht mit dem Begriff Menschenrechte assoziiert wird. Diese verbindet mit „Menschenrechten“ primär die klassischen Freiheitsrechte wie z. B. das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit bzw. das Verbot der Folter. Darüber hinaus wird die Bedeutung, die der Eigentumsgarantie im Hinblick auf den effektiven und umfassenden Schutz der persönlichen Freiheit zukommt, zumeist nicht erkannt. Die Gewährleistung des Eigentums trägt dazu bei, dass der Einzelne seine Freiheitsrechte überhaupt erst in Anspruch nehmen kann.1 In ständiger Rechtsprechung betont das Bundesverfassungsgericht, dass der Eigentumsgarantie im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zukomme, dem Träger des Grundrechts seinen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen.2 Der menschenrechtliche Charakter der Eigentumsgarantie ist daher in Fachkreisen anerkannt.3
___________ 1 J. Abr. Frowein, The Protection of Property, in: R. Macdonald/F. Matscher und H. Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights, Dordrecht 1993, S. 515. 2 BVerfGE 42, 64 (76 f.); 50, 290 (339 ff.). 3 E. Riedel, Theorie des Menschenrechtsstandards, Berlin 1986, S. 118 ff.; J. Schwartländer/D. Willoweit (Hrsg.), Das Recht des Menschen auf Eigentum, Kehl 1983; vgl. auch J. Abr. Frowein/W. Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl 1996, Art. 1 des 1. ZP, Rn. 1 m.w.N.
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Dieser Beitrag ist dem Schutz des Eigentums als Menschenrecht in Europa gewidmet. Eine besonders wichtige Rolle fällt in diesem Zusammenhang dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu. Mit seiner mittlerweile mehrere Jahrzehnte umfassenden Rechtsprechung hat er auf Grundlage des Artikels 1 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP) einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung des Eigentumsschutzes auf europäischer Ebene geleistet. Nach einem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte von Artikel 1 ZP (II.), werden Inhalt und Reichweite (III.) der darin enthaltenen Eigentumsgarantie anhand der wichtigsten Entscheidungen des EGMR aufgezeigt. Den Abschluss bildet die ausführliche Darstellung einer Entscheidung, die in Deutschland für viel Furore gesorgt hat. In dem Verfahren Jahn u.a. gegen Deutschland hatte sich der EGMR mit den aus der Wiedervereinigung resultierenden Spätfolgen der auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik durchgeführten Bodenreform zu befassen (IV.).
II. Entstehungsgeschichte Im Gegensatz zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der in Artikel 17 niedergelegt ist, dass jeder Mensch allein oder in der Gemeinschaft ein Recht auf Eigentum hat, welches ihm nicht willkürlich entzogen werden darf, enthält der eigentliche Text der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)4 keine Vorschrift, die die Achtung des Rechts auf Eigentum proklamiert. Zwar wurde im Rahmen der Ausarbeitung des Konventionstextes auch über die Aufnahme einer Regelung zum Schutz des Eigentums diskutiert – tatsächlich handelte es sich hierbei um einen der umstrittensten Punkte – ein entsprechender Artikel konnte jedoch erst im Zusatzprotokoll aufgenommen werden.5 Die Aufnahme in den eigentlichen Konventionstext scheiterte daran, dass keine Einigung hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite der zu erarbeitenden Gewährleistung erzielt werden konnte. Zum Teil bestanden sogar Bedenken, wegen der wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede der künftigen Konventionsstaaten den Schutz des Eigentums überhaupt einer internationalen Kontrollinstanz anzuvertrauen.6 Schließlich war umstritten, ob die Eigentumsgarantie eine ausdrücklich normierte Pflicht zur Entschädigung im Falle von ___________ 4 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685). 5 Vgl. W. Peukert, Der Schutz des Eigentums nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1981, S. 97 ff. 6 Vgl. Peukert, ebd., S. 98; P. Mittelberger, Die Rechtsprechung des ständigen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Eigentumsschutz, EuGRZ 2001, S. 364, 365.
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Enteignungen enthalten sollte.7 Dagegen wurde insbesondere eingewendet, dass es gänzlich unmöglich sei, eine Formulierung für diese Pflicht zu finden, die allen erdenklichen Situationen gerecht wird.8 Die Eigentumsgarantie wurde schließlich aus dem Entwurf des Konventionstextes gestrichen. Der Wunsch nach einer entsprechenden Regelung wurde aber nicht gänzlich aufgegeben. Gleich nach Abschluss der Arbeiten an der Konvention begannen die Arbeiten an einem Zusatzprotokoll, in dem die Regelung zum Schutze des Eigentums an erster Stelle stehen sollte. Noch vor dem Inkrafttreten der EMRK9 konnte dieses Zusatzprotokoll inklusive Eigentumsgarantie zur Unterzeichnung aufgelegt werden.10 Ein Blick in Artikel 1 ZP offenbart jedoch, dass in einem Punkt bis zuletzt keine Einigung erzielt werden konnte, nämlich in der Frage der Entschädigungspflicht bei Enteignungen. Artikel 1 ZP enthält keine entsprechende Regelung. Das hat die Konventionsorgane, d.h. den Gerichtshof und bis zu ihrer Abschaffung durch das 11. Zusatzprotokoll11 auch die Kommission, indes nicht daran gehindert im Rahmen ihrer Rechtsprechung zu Artikel 1 ZP den Grundsatz zu prägen, dass entschädigungslose Enteignungen regelmäßig unverhältnismäßig sind.12 Dies ist nur ein Beispiel für den großen Einfluss, den die Rechtsprechung der Konventionsorgane auf die Entwicklung und Ausgestaltung des Eigentumsschutzes auf europäischer Ebene hat, zumal nicht in jedem Vertragsstaat eine der Eigentumsgarantie entsprechende Regelung im nationalen Recht existiert.13 Die Rechtsprechung hat Inhalt und Reichweite der in dem Zusatzprotokoll niedergelegten Eigentumsgarantie präzisiert. Im folgenden Abschnitt wird daher ausführlich auf die grundlegenden Entscheidungen des EGMR zum Eigentumsschutz eingegangen.
___________ 7
Frowein/Peukert (Fn. 3), Rn. 2. Frowein/Peukert (Fn. 3), Rn. 2. 9 Die EMRK trat am 3.9.1953 in Kraft. 10 Das Zusatzprotokoll wurde am 20.03.1952 zur Unterzeichnung in Paris aufgelegt. Deutschland hat es am 13.2.1957 ratifiziert (BGBl. 1957 II S. 226). 11 Vgl. BGBl. 1995 II S. 578. 12 St. Rspr. vgl. EGMR, Sporrong u. Lönnroth ./. Schweden, Urt. v. 23.9.1982, Ser. A 52; EGMR, James u.a. ./. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 21.2.1986, Ser. A 98; EGMR, Lithgow u.a. ./. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 8.7.1986, Ser. A 102; EGMR (GK), Ehemaliger König von Griechenland ./. Griechenland, Urt. v. 23.11.2000, ECHR 2000-XII. 13 J. Abr. Frowein, Der Eigentumsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: G. Pfeiffer/ G. Wiese u. K. Zimmermann (Hrsg.), Festschrift für Heinz Rowedder, München 1994, S. 49. 8
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III. Inhalt und Reichweite der Eigentumsgarantie Artikel 1 ZP14 beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung des EGMR drei verschiedene Regeln. An erster Stelle ist der Grundsatz statuiert, dass jedermann das Recht zur friedlichen Nutzung seines Eigentums hat (Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 ZP). Die zweite Regel betrifft die Entziehung des Eigentums, welche nur bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zulässig ist (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 ZP). Gemäß der dritten Regel bleiben die Vertragsstaaten befugt, die Nutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse zu regeln (Artikel 1 Abs. 2 ZP). Der Gerichtshof betont jedoch, dass diese Regeln zwar verschieden sind, aber nicht unverbunden nebeneinander stehen. Die zweite und die dritte Regel bezögen sich auf besondere Beispiele für Verletzungen des Rechts auf Eigentum und seien daher im Lichte des in der ersten Regel niedergelegten Grundsatzes auszulegen.15
1. Der Anwendungsbereich von Artikel 1 ZP Artikel 1 ZP gewährt ausdrücklich nicht nur natürlichen, sondern auch juristischen Personen Schutz, sofern ihr Eigentum von staatlichen Maßnahmen beeinträchtigt wurde.16 Der EGMR legt den Begriff des Eigentums prinzipiell autonom aus. Sofern das Recht des betroffenen Vertragsstaates nicht dem Ziel und Zweck von Artikel 1 ZP zuwiderläuft, kann er auch das jeweilige nationale Recht zur Begriffsbestimmung heranziehen.17 Dieses ist für ihn allerdings nicht präjudiziell.18 Im Laufe der Zeit hat der Gerichtshof zahlreiche Vermögenspositionen unter den Begriff des Eigentums im Sinne von Artikel 1 ZP subsumiert.19 Geschützt sind ___________ 14 Artikel 1 ZP lautet: Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält (vgl. BGBl. 1956 II S. 1879, 1880). 15 St. Rspr. vgl. Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 61; James u.a. (Fn. 12), Ziff. 37; EGMR, Heilige Klöster ./. Griechenland, Urt. v. 9.12.1994, Ser. A 301-A, Ziff. 56. 16 Vgl. z.B. EGMR, Pressos Compania Naviera S.A. u.a. ./. Belgien, Urt. v. 20.11.1995, Ser. A 332. 17 Pressos, ebd., Ziff. 31. 18 Vgl. EGMR (GK), Beyeler ./. Italien, Urt. v. 5.1.2000, ECHR 2000-I, Ziff. 100. 19 Z.B. fallen unter den Begriff des Eigentums: Forderungen (Pressos [Fn. 16]), die Innehabung einer Schanklizenz (EGMR, Tre Traktörer ./. Schweden, Urt. v. 7.7.1989,
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demzufolge neben dem klassischen Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen auch sämtliche erworbenen vermögenswerten Rechte. Dazu gehören auch Ansprüche auf vermögenswerte Leistungen und Forderungen.20 Erforderlich ist jedoch, dass der Beschwerdeführer eine berechtigte Erwartung (“legitimate expectation”) haben konnte, dass diese erfüllt werden.21 Die bloße Hoffnung, ein Vermögensrecht werde anerkannt, das nicht wirksam ausgeübt werden konnte, fällt dagegen nicht unter den Schutz des Eigentums im Sinne von Artikel 1 ZP.22 Ebenso wenig ist eine bedingte Forderung, die wegen Nichteintritts der Bedingung erloschen ist, erfasst.23 In der Rechtssache Kopecký setzte sich der EGMR dezidiert mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen eine berechtigte Erwartung im Gegensatz zu einer bloßen Hoffnung auf die Erfüllung eines Anspruchs vorliegt.24 Der Fall betraf die seitens der nationalen Behörden verweigerte Rückgabe von im Jahre 1959 konfiszierten Gold- und Silbermünzen trotz der im Jahre 1990 erfolgten strafgerichtlichen Rehabilitierung des früheren Eigentümers. Ein Gesetz sah unter diesen Umständen einen Restitutionsanspruch des ursprünglichen Eigentümers bzw. seiner Erben vor, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt waren, insbesondere musste derjenige, der den Anspruch geltend machte, nachweisen, wo sich das konfiszierte Eigentum befindet. Im Falle des Beschwerdeführers war bereits auf nationaler Ebene umstritten, ob er diesen Nachweis erbracht hatte. Hierzu lagen einander widersprechende nationale Gerichtsentscheidungen vor. In einer knappen Entscheidung (4:3) bejahte die Mehrheit der EGMR-Kammer eine Verletzung von Artikel 1 ZP, weil der Beschwerdeführer sich auf eine berechtigte Erwartung der Erfüllung seines Anspruchs stützen konnte. Nach Ansicht der Kammer belegten die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils eines nationalen Gerichts, welches zugunsten des Beschwerdeführers ergangen war, dass der Restitutionsanspruch jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen ist. Insofern unterscheide sich ___________ Ser. A 159), der erworbene Kundenstamm (EGMR, van Marle u.a. ./. Niederlande, Urt. v. 26.6.1986, Ser. A 101) und auf Beiträgen beruhende Sozialversicherungsleistungen (EGMR, Gaygusuz ./. Österreich, Urt. v. 16.9.1996, ECHR 1996-IV). 20 C. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., München 2005, § 25, Rn. 3; Peukert (Fn. 5), S. 99 ff. 21 EGMR, Pine Valley Developments Ltd. u.a. ./. v Irland, Urt. v. 29.11.1991, Ser. A 222, Ziff. 51; Pressos (Fn. 16), Ziff. 31. 22 EGMR (GK), Fürst Hans-Adam II von Liechtenstein ./. Deutschland, Urt. v. 12.7.2001, ECHR 2001-VIII, Ziff. 82 f.; EMGR (GK) Malhous ./. Tschechische Republik, Entsch. v. 13.12.2000, ECHR 2000-XII; EGMR (GK), Gratzinger ./. Tschechische Republik, Entsch. v. 10.7.2002, ECHR 2002-VII, Ziff. 69. 23 EKMR, Mario de Napoles Pacheco ./. Belgien, Entsch. v. 5.10.1978, Nr. 7775/77, D.R. 15, S. 151; Malhous (Fn. 22). 24 EGMR (GK), Kopecký ./. Slowakei, Urt. v. 28.9.2004, ECHR 2004-IX, Ziff. 45 ff.
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der vorliegende Fall von anderen Entscheidungen, in denen eine berechtigte Erwartung abgelehnt wurde.25 Die Große Kammer des EGMR, an die der Fall gemäß Artikel 43 EMRK verwiesen wurde, befand dagegen, dass keine Verletzung von Artikel 1 ZP vorlag, weil der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt einen vollstreckbaren Anspruch auf Rückgabe der Münzen gehabt habe.26 Dies sei jedoch Vorraussetzung für eine berechtigte Erwartung. Zwar habe ein nationales Gericht in erster Instanz dem Beschwerdeführer einen Restitutionsanspruch eingeräumt, dieses wurde jedoch im weiteren Instanzenzug von den höheren nationalen Gerichten aufgehoben und sei daher zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig und damit bindend geworden.27 Im Ergebnis kann folglich festgehalten werden, dass eine berechtigte Erwartung grundsätzlich dann besteht, wenn sich der Beschwerdeführer auf eine innerstaatliche Rechtsgrundlage oder einen anderen innerstaatlichen Rechtsakt berufen kann, die einen vollstreckbaren Anspruch auf Erfüllung belegen.28 In zeitlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich von Artikel 1 ZP auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die zu einem Zeitpunkt erfolgten, in dem das Zusatzprotokoll für den jeweiligen Vertragsstaat schon in Kraft getreten war.29 Handelt es sich bei der beanstandeten Maßnahme um eine Enteignung, ist zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof diese regelmäßig als einen einmaligen in sich abgeschlossenen Vorgang wertet, der keinen fortdauernden Zustand der Entziehung eines Rechts begründet.30 Die Rechtmäßigkeit einer Enteignung kann folglich nur vom EGMR überprüft werden, wenn der Entziehungsakt zeitlich nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls für den betroffenen Staat erfolgt ist. Artikel 1 ZP kann nach Ansicht des Gerichtshofs nicht entnommen werden, dass die Vertragsstaaten zur Rückgabe der ihnen vor der Ratifizierung der Konvention übertragenen Vermögenswerte verpflichtet sind.31 Diese sind vielmehr frei in der inhaltlichen Ausgestaltung von etwaigen Rückübertragungsregelungen und in der Festlegung der Bedingungen, unter denen sie das Eigentum an die früheren Eigentümer zurückgewähren.32 Zwei Aufsehen erregende Fälle, in denen sich der EGMR mit dem Einwand ratione temporis auseinandersetzen musste, sind die Entscheidungen Loizidou33 ___________ 25 26 27 28 29 30 31 32 33
EGMR, Kopecký ./. Slowakei, Urt. v. 7.1.2003, Nr. 44912/98, Ziff. 26 ff. Kopecký (Fn. 24), Ziff. 59. Kopecký (Fn. 24), Ziff. 59. Kopecký (Fn. 24), Ziff. 49; vgl. auch Gratzinger (Fn. 22), Ziff. 73. Peukert (Fn. 5), S. 104. Kopecký (Fn. 24) Ziff. 35; vgl. auch Malhous (Fn. 22). Kopecký (Fn. 24), Ziff. 35. EGMR, Jantner ./. Slowakei, Urt. v. 4.3.2003, Nr. 39050/97, Ziff. 34. EGMR (GK), Loizidou ./. Türkei, Urt. v. 18.12.1996, ECHR 1996-VI.
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und von Maltzan34. Die zyprische Beschwerdeführerin Loizidou trug vor, Eigentümerin von mehreren in Nordzypern gelegenen Grundstücken zu sein, zu denen ihr türkische Streitkräfte seit der Invasion im Jahre 1974 den Zutritt verweigerten. Die türkische Regierung erhob unter anderem den Einwand ratione temporis. Zur Begründung führte sie an, dass sie in ihrer im Jahre 1990 gemäß Artikel 46 EMRK hinterlegten Unterwerfungserklärung die Zuständigkeit des EGMR nur in solchen Angelegenheiten anerkannt habe35, die sich auf Tatsachen beziehen, die nach der Hinterlegung der Erklärung eingetreten sind. Die Beschwerdeführerin habe jedoch ihr Eigentum bereits vorher, nämlich spätestens im Jahre 1985 aufgrund eines Rechtsaktes der „Regierung der Türkischen Republik Nordzypern“ verloren. Der EGMR wies den Einwand ratione temporis zurück und stellte eine Verletzung von Artikel 1 ZP fest. Entgegen der Annahme der türkischen Regierung sei die Beschwerdeführerin weiterhin die rechtmäßige Eigentümerin der Grundstücke, da der Rechtsakt der „Regierung der Türkischen Republik Nordzypern“, durch den sie angeblich ihr Eigentum verloren habe, nicht rechtswirksam gewesen sei.36 Nach Analyse mehrerer relevanter Resolutionen des Sicherheitsrates sowie der internationalen Staatenpraxis gelangte der EGMR zu dem Schluss, dass die Türkische Republik Nordzypern außer von der Türkei von der Völkergemeinschaft zu keiner Zeit als Staat anerkannt worden sei. Vielmehr sei die Regierung der Republik Zypern nach wie vor die einzig legitimierte Regierung Zyperns. Diese habe stets bekräftigt, dass griechisch-zyprische Eigentümer von unbeweglichem Vermögen im nördlichen Teil Zyperns – zu denen auch die Beschwerdeführerin zählte – ihre Ansprüche behalten haben und frei über ihre Besitztümer verfügen können sollten.37 Indem die türkischen Streitkräfte Frau Loizidou den Zutritt zu ihren Grundstücken verweigerten, verletzten sie folglich ihre Eigentumsrechte. Die Entscheidung von Maltzan betraf Entschädigungsansprüche von Personen, die zum Teil Rechtsnachfolger von Opfern, zum Teil selbst Opfer von Enteignungen waren, die in der sowjetischen Besatzungszone im Zeitraum von 1945 bis 1949 bzw. in der DDR nach 1949 durchgeführt wurden. Parallelen zu Loizidou ergeben sich daraus, dass die fraglichen Enteignungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, der per se ebenfalls außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs von Artikel 1 ZP lag. Die Beschwerdeführer beriefen sich auf die Argumentation des Gerichtshofs in Loizidou und trugen vor, die noch vor Inkrafttre___________ 34
EGMR (GK), von Maltzan u.a. ./. Deutschland, Entsch. v. 2.3.2005, Nr. 71916/01, 71917/01 u. 10260/01(abgedruckt in EuGRZ 2005, 305). 35 Damals wurde die Zuständigkeit des EGMR gemäß Artikel 46 EMRK durch eine besondere Unterwerfungserklärung der Vertragsstaaten begründet. Die Erklärung konnte unter der Bedingung der Gegenseitigkeit und unter der Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum abgegeben werden (vgl. Frowein/Peukert [Fn. 3], Artikel 46). 36 Loizidou (Fn. 33), Ziff. 44. 37 Loizidou (Fn. 33), Ziff. 42 ff.
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ten der Konvention durchgeführten Enteignungen stünden im Widerspruch zum Völkerrecht und begründeten folglich ausnahmsweise eine kontinuierliche Verletzung ihrer Eigentumsrechte, die noch andauere, zumal die Bundesrepublik Deutschland diese Enteignungen weder politisch noch rechtlich anerkannt habe.38 Der Gerichtshof erklärte sich gleichwohl unter anderem ratione temporis für unzuständig. Den Entscheidungsgründen ist eindeutig zu entnehmen, dass er die in Loizidou entwickelten Grundsätze für nicht übertragbar hält. Ohne diese ausdrücklich zu zitieren, stellt er die Unterschiede zwischen den Fällen heraus, indem er betont, dass die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone im Zeitraum von 1945 bis 1949 auf Veranlassung einer mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten Besatzungsmacht erfolgten, deren besonderer Status international anerkannt gewesen sei. Die Enteignungen nach 1949 seien der DDR, d.h. einem von der Bundesrepublik Deutschland zu trennenden Staat zuzurechnen. Dieser sei gegen Ende seines Bestehens international anerkannt gewesen.39 Die Bundesrepublik Deutschland könne daher weder für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone noch in der DDR verantwortlich gemacht werden.40 Eine fortdauernde Verletzung vorhandener Eigentumsrechte durch Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland war also ausgeschlossen, da die Beschwerdeführer bzw. ihre Vorfahren ihr Eigentum bereits zu einem Zeitpunkt verloren hatten, als es die Konvention noch nicht einmal gab, geschweige denn von Deutschland ratifiziert war.41 Eine berechtigte Erwartung im Sinne von Artikel 1 ZP lehnte der Gerichtshof mit dem Argument ab, dass die Beschwerdeführer keinen diesbezüglichen, hinreichend nachgewiesenen und einklagbaren Anspruch vorgetragen haben.42 Die Individualbeschwerden wurden ratione temporis, personae und materiae für unzulässig erklärt.
2. Eingriffsformen Jede staatliche Maßnahme, die das Recht auf Achtung des Eigentums beeinträchtigt, wird vom EGMR an Artikel 1 ZP gemessen. Da die Konventionsrechte „praktisch und effektiv“ geschützt werden, beschränkt sich der Gerichtshof nicht nur auf eine Untersuchung der formellen Rechtslage, sondern
___________ 38 39 40 41 42
Von Maltzan (Fn. 34), Ziff. 70. Von Maltzan (Fn. 34), Ziff. 80. Von Maltzan (Fn. 34), Ziff. 81. Von Maltzan (Fn. 34), Ziff. 79. Von Maltzan (Fn. 34), Ziff. 84 ff.
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bezieht auch die tatsächlichen Gegebenheiten der streitigen Situation mit ein.43 Unter Umständen kann daher die rein faktische Beeinträchtigung von Eigentumsrechten ebenfalls einen Eingriff darstellen.44 Die beiden klassischen Formen des Eingriffs in Eigentumsrechte – Enteignung (Artikel 1 Absatz 1 Satz 2) und Nutzungsregelung (Artikel 1 Abs. 2 ZP) – sind in Artikel 1 ZP ausdrücklich normiert und bestimmten Bedingungen unterworfen. Staatliche Maßnahmen, die weder eine Enteignung noch eine reine Nutzungsregelung darstellen, misst der Gerichtshof direkt an dem in Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 niedergelegten Grundsatz des Rechts auf friedliche Nutzung des Eigentums. Erstmals erwähnt wurden diese „sonstigen Eingriffe“ im Fall Sporrong und Lönnroth.45 Die Beschwerdeführer waren Eigentümer von Grundstücken, die alle – zum Teil über mehrere Jahrzehnte – mit Enteignungsgenehmigungen zugunsten der Stadtplanung belastet waren, ohne dass diese jemals realisiert wurden. Die Mehrheit der Richter sah darin keine faktische Enteignung, da die Beschwerdeführer nicht jegliche Verfügungsgewalt über ihre Grundstücke verloren hatten, z.B. war der Verkauf des Landes möglich.46 Der Kern des Eigentums der Beschwerdeführer sei zwar berührt, aber nicht entzogen worden. Allerdings könne die Belastung der Grundstücke in dieser Form ebenso wenig als bloße Benutzungsregelung charakterisiert werden, da sie letztlich der Vorbereitung der jederzeit möglichen Enteignung diene.47 Im Ergebnis gelangte der Gerichtshof zu der Entscheidung, dass Artikel 1 ZP verletzt sei, da diese direkt an Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 ZP zu messenden „sonstigen Eingriffe“ ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und der Anforderung der Wahrung der Grundrechtsinteressen des Einzelnen vermissen lassen und demzufolge unverhältnismäßig waren.48 Die sonstigen Eingriffe in das nach Artikel 1 ZP geschützte Eigentum unterliegen denselben Zulässigkeitsvoraussetzungen wie die ausdrücklich normierten Eingriffe, d.h. Gesetzmäßigkeit, Erforderlichkeit im öffentlichen Interesse und Verhältnismäßigkeit.49 Dennoch ist die Einordnung der beanstandeten staatlichen Maßnahme in eine bestimmte Eingriffskategorie nicht unerheblich, da sie im weiteren Verlauf Auswirkungen auf die Prüfung der Vereinbarkeit mit Artikel 1 ZP hat. ___________ 43 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12) Ziff. 63; EGMR, Jahn u.a. ./. Deutschland, Urt. v. 22.1.2004, Nr. 46720/99, 72203/01 u. 72552/01, Ziff. 65 (abgedruckt in EuGRZ 2004, 57). 44 EGMR, Papamichalopoulos ./. Griechenland, Urt. v. 24.6.1993, Ser. A 260-B. 45 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12). 46 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 63. 47 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 60. 48 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 69 ff. 49 Der Gerichtshof wird nicht müde zu betonen, dass die drei Vorschriften zwar verschieden sind, aber nicht unverbunden nebeneinander stehen (vgl. James (Fn. 12), Ziff. 37; EGMR, Beyeler (Fn. 18), Ziff. 98.
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Insbesondere sind die Anforderungen an das Vorliegen eines gerechten Ausgleichs im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterschiedlich: Handelt es sich um eine Enteignung, ist die Maßnahme regelmäßig unverhältnismäßig, wenn eine Entschädigung nicht vorgesehen ist. Dagegen besteht bei Nutzungsregelungen grundsätzlich keine Entschädigungspflicht.50 Die Abgrenzung zwischen Eigentumsentziehung und Nutzungsregelung gestaltet sich zuweilen schwierig.51 Der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich entnehmen, dass eine Nutzungsregelung nur in Betracht kommt, wenn trotz des Eingriffs noch „Eigentumssubstanz“ vorhanden ist. Nutzungsregelungen sind daher alle staatlichen Maßnahmen, die einen bestimmten Gebrauch des Eigentums vorschreiben bzw. untersagen, ohne dem Eigentümer formal oder faktisch das Recht zu nehmen, über sein Eigentum zu verfügen.52
3. Gesetzmäßigkeit des Eingriffs Gemäß Artikel 1 ZP bedarf jeder Eingriff in das geschützte Eigentum einer gesetzlichen Grundlage. Diese muss weder ein Gesetz im formellen Sinn noch kodifiziert sein.53 Zwingend erforderlich ist jedoch, dass sie dem Rechtsstaatsprinzip entspricht, d.h. sie muss hinreichend bestimmt, zugänglich und vorhersehbar sein.54 Die staatliche Maßnahme muss den Vorgaben der gesetzlichen Grundlage entsprechen. Der Gerichtshof versteht seine Rolle indes nicht als die einer Superrevisionsinstanz. Wenn die Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahme mit dem innerstaatlichen Recht von nationalen Gerichten bestätigt wurde, beschränkt er seine Überprüfung auf eine Willkürkontrolle, da die nationalen Gerichte mit den jeweiligen Strukturen und Eigenheiten ihrer Rechtsordnung regelmäßig besser vertraut sind.55 Zweifel an der Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahme nach innerstaatlichem Recht führen nicht automatisch zu der Feststellung, dass Artikel 1 ZP verletzt ist, wie die Entscheidungen Broniowski56 ___________ 50 K. Gelinsky, Der Schutz des Eigentums gemäß Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1996, S. 189 ff. 51 Vgl. EGMR, Mellacher u.a. ./. Österreich, Urt. v. 19.12.1989, Ser. A 169, Ziff. 40 ff.; EGMR, Fredin ./. Schweden (Nr. 1), Urt. v. 18.02.1991, Ser. A 192, Ziff. 41 ff.; Tre Traktörer (Fn. 19), Ziff. 55. 52 Frowein / Peukert (Fn. 3), Ziff. 37 f.; Grabenwarter (Fn. 20), Rn. 12 f. 53 EGMR, Sunday Times ./. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 26.04.1979, Ser. A 30, Ziff. 46 ff.; allg. zum Gesetzesbegriff in der Konvention: R. Weiss, Das Gesetz im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1996, S. 57 ff. 54 EGMR, Hentrich ./. Frankreich, Urt. v. 22.9.1994, Ser. A 296-A, Ziff. 42; Lithgow (Fn. 12), Ziff. 110. 55 Jahn u.a. (Fn. 43), Ziff. 75. 56 EGMR (GK), Broniowski ./. Polen, Urt. v. 22.6.2004, ECHR 2004-V.
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und Beyeler57 zeigen. In beiden Fällen stellte der Gerichtshof die Bedenken zunächst zurück und berücksichtigte die Feststellungen, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahmen hervorriefen, erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.58
4. Das Erfordernis des öffentlichen Interesses Eingriffe in das nach Artikel 1 ZP geschützte Recht auf Achtung des Eigentums sind nur gerechtfertigt, wenn sie im öffentlichen Interesse erforderlich sind. Aus den unterschiedlichen Formulierungen in Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 ZP („…es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt…“) und Artikel 1 Abs. 2 ZP („die [der Vertragsstaat]…im Einklang mit dem Allgemeininteresse…für erforderlich hält“) schloss der EGMR anfangs, dass die Erforderlichkeit der getroffenen Maßnahmen, sofern es sich um Nutzungsregelungen handelt, nicht gerichtlich überprüft werden kann. Diese Beurteilung obliege ausschließlich dem jeweiligen Vertragsstaat.59 In der Folge präzisierte der Gerichtshof seine Rechtsprechung jedoch dahingehend, dass die Vertragsstaaten im Falle von Nutzungsregelungen lediglich die alleinigen Richter hinsichtlich der Erforderlichkeit eines Gesetzes seien, jedoch nicht hinsichtlich der Erforderlichkeit der aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Maßnahmen.60 Der EGMR legt den Begriff des öffentlichen Interesses weit aus. Auch Maßnahmen, von denen Private profitieren, können im öffentlichen Interesse liegen. Beispielsweise kann eine Enteignung zugunsten von Privatpersonen im öffentlichen Interesse liegen, wenn dadurch die soziale Gerechtigkeit gefördert wird. Das entzogene Eigentum muss der Allgemeinheit weder ganz noch in Teilen zugänglich gemacht werden.61 Da staatliche Maßnahmen regelmäßig von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erwägungen getragen werden, gesteht der Gerichtshof den Vertragsstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu. Dementsprechend kontrolliert er nur, ob sie willkürlich handelten, und korrigiert nur offensichtlich unangemessene Bewertungen.62 Diese Rechtsprechung hat nicht nur positive Resonanz hervorgerufen. Kritische Stimmen sprechen davon, dass angesichts des eingeräumten, außerordentlich ___________ 57 58 59
Beyeler (Fn. 18). Beyeler (Fn. 18), Ziff. 109 f.; Broniowski (Fn. 56), Ziff. 154. EGMR, Handyside ./. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 7.12.1976, Ser. A 24, Ziff.
62. 60
Frowein / Peukert (Fn. 3), Rn. 55; EGMR, Marckx ./. Belgien, Urt. v. 13.6.1979, Ser. A 31. 61 James (Fn. 12), Ziff. 39 ff. 62 James (Fn. 12), Ziff. 46; Broniowski (Fn. 56), Ziff. 149.
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großen Beurteilungsspielraums kaum Fälle vorstellbar sind, in denen dieser überschritten werde könne.63 Dagegen wird angeführt, dass dieser Prüfungspunkt dennoch nicht überflüssig sei, da der Gerichtshof gegebenenfalls bestehende Zweifel an der Erforderlichkeit ebenso im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtige wie Zweifel an der Gesetzmäßigkeit der Maßnahme. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist folglich das wichtigste Instrument der gerichtlichen Kontrolle.64 Zwar gesteht der Gerichtshof den Vertragsstaaten auch in diesem Punkt einen gewissen Beurteilungsspielraum zu, die Prüfung fällt allerdings strenger aus.65 Der Gerichtshof umschreibt dies folgendermaßen: „Bei seiner Prüfung, ob [dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit] entsprochen wurde, gesteht der Gerichtshof dem Staat einen weiten Beurteilungsspielraum zu und zwar sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Umsetzung wie auch bei der Frage, ob deren Folgen im Allgemeininteresse durch das Bestreben gerechtfertigt werden, das Ziel des umstrittenen Gesetzes zu erreichen...Allerdings kann er auf das ihm zustehende Kontrollrecht nicht verzichten, sondern muss prüfen, ob der erforderliche Ausgleich in Übereinstimmung mit dem Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Eigentums im Sinne von Artikel 1 Satz 1 Zusatzprotokoll zur EMRK hergestellt worden ist…“66
Bemerkenswerterweise handelt es sich bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, um einen Prüfungspunkt, der ausschließlich durch die Rechtsprechung der Konventionsorgane eingeführt wurde. Eine entsprechende Formulierung findet sich in Artikel 1 ZP nicht. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des EGMR durchzieht das Streben nach einem gerechten Ausgleich aber die gesamte Konvention und spiegelt sich auch in der Struktur von Artikel 1 ZP wider.67
___________ 63 P. Mittelberger, Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK im Lichte der Rechtsprechung der Straßburger Organe, Bern 2000, S.117; W. Fiedler, Die EMRK und der Schutz des Eigentums, EuGRZ 1996, 354, 355; J.A. Frowein (Fn. 1), S. 515, 523. 64 E. Klein, Der Eigentumsschutz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: B. Kempen (Hrsg.), Die rechtstaatliche Bewältigung der demokratischen Bodenreform, Frankfurt a. M. 2005, S. 78; vgl. auch Mittelberger (Fn. 6), 368. 65 E. Reininghaus, Eingriffe in das Eigentumsrecht nach Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK, Berlin 2002, S. 165 ff.; Fiedler (Fn. 63), S. 355. 66 EGMR (GK), Jahn u.a. ./. Deutschland, Urt. v. 30.6.2005, Nr. 46720/99, 72203/01 u. 72552/01, Ziff. 93 (abgedruckt in NJW 2005, 2907). 67 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 69.
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5. Verhältnismäßigkeit Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit prüft der Gerichtshof, ob die Maßnahmen geeignet sind, ihr Ziel zu erreichen, und ob ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des öffentlichen Interesses der Gemeinschaft und den Anforderungen des individuellen Grundrechtschutzes gewahrt wurde.68 Das heißt indes nicht, dass der Staat das mildeste zur Verfügung stehende Mittel wählen muss. Die bloße Möglichkeit alternativer Verfahrensweisen macht für sich genommen die Maßnahme noch nicht unrechtmäßig. Sie stellt lediglich einen Gesichtspunkt dar, der berücksichtigt werden muss, um festzustellen, ob die gewählten Mittel zu dem durch die staatliche Maßnahme verfolgten legitimen Zweck in einem vernünftigen Verhältnis stehen.69 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dann nicht gewahrt, wenn die betroffene Person durch den Eingriff des Staates oder sein Untätigbleiben eine unverhältnismäßige und übermäßige Last zu tragen hat, mit anderen Worten, wenn dem Einzelnen ein übermäßiges Sonderopfer abverlangt wird.70 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spielt die Qualifizierung der staatlichen Maßnahmen nunmehr tatsächlich eine Rolle. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des EGMR sind Eingriffe, die Enteignungen darstellen, regelmäßig nur verhältnismäßig, wenn eine angemessene Entschädigung hierfür erfolgt oder zumindest vorgesehen ist.71 Einzig und allein das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen kann im Einzelfall das völlige Fehlen einer Entschädigung rechtfertigen.72 Er begründet dies damit, dass sonst der Schutz des Eigentums weitgehend illusorisch und unwirksam wäre. Ferner entspreche diese Rechtsprechung der Rechtslage in den Vertragsstaaten.73 Dagegen besteht im Falle von Nutzungsregelungen und sonstigen Eingriffe regelmäßig keine Entschädigungspflicht des Staates.74 Gemäß der Rechtsprechung des EGMR gewährt die Eigentumsgarantie lediglich ein Recht auf angemessene Entschädigung.75 In Fällen, in denen die staatlichen Regelungen eine Entschädigung vorsehen, prüft der Gerichtshof, ob ___________ 68
Klein (Fn. 64), S. 79. James (Fn. 12), Ziff. 51. 70 Sporrong u. Lönnroth (Fn. 12), Ziff. 73; Broniowski (Fn. 56), Ziff. 150; Lithgow (Fn. 12), Ziff. 120. 71 Pressos (Fn. 16), Ziff. 38; Ehemaliger König von Griechenland (Fn. 12), Ziff. 89; vgl. auch Zvolský und Zvolská ./. Tschechische Republik, Urt. v. 12.11.2002, ECHR 2002-IX, Ziff. 70 ff. 72 Heilige Klöster (Fn. 15), Ziff. 71. 73 Reininghaus (Fn. 65), S. 210 ff.; vgl. James (Fn. 12), Ziff. 54; Lithgow (Fn. 12), Ziff. 120. 74 Vgl. Gelinsky (Fn. 50), S. 189; Grabenwarter (Fn. 20), Rn. 22. 75 James (Fn. 12), Ziff. 54. 69
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der vorgesehene Betrag in einem vernünftigen Verhältnis zum Wert der entzogenen Sache steht. Dabei berücksichtigt er, dass bestimmte Ziele des öffentlichen Interesses eine niedrigere als die volle Entschädigung rechtfertigen können, insbesondere wenn die soziale Gerechtigkeit gefördert werden soll.76 In Fällen, in denen keine Entschädigung vorgesehen ist, prüft der Gerichtshof, ob dies ausnahmsweise durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt ist.77 Diese Ausnahme von der Entschädigungspflicht spielt heutzutage insbesondere in Fällen, die mit einem Wechsel des politischen und wirtschaftlichen Systems in dem jeweiligen Vertragsstaat zusammenhängen, eine Rolle. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, gefolgt von der Transformation von vormals sozialistisch bzw. kommunistisch geprägten Eigentumsordnungen in freiheitlich-demokratische und marktwirtschaftliche Eigentumsordnungen, stellt den Gerichtshof vor neue Herausforderungen. Im Fall Broniowski führte er aus, dass er Staaten im Transformationsprozess einen weiten Beurteilungsspielraum einräume, weil unter diesen Umständen verschiedenartige Fragen moralischer, rechtlicher, politischer und ökonomischer Art umfassend berücksichtigt werden müssten. Die Vertragsstaaten seien aufgrund ihrer Kenntnis der nationalen Besonderheiten diesbezüglich in einer besseren Position.78 Gleichwohl war bis vor kurzem keinem Staat mit dem Argument der außergewöhnlichen Umstände Erfolg beschieden.79 Beispielhaft dafür ist der Fall des ehemaligen Königs von Griechenland, dem die Transformation Griechenlands von einer Monarchie zur Republik zugrunde lag.80 Der ehemalige König konnte zunächst mit dem griechischen Staat eine Einigung hinsichtlich seiner Besitztümer erzielen. In der Folge wurde jedoch ein neues Gesetz erlassen, durch das dem König sein Eigentum entschädigungslos entzogen wurde. Die Regierung berief sich zu ihrer Rechtfertigung auf das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen. Die Königsfamilie habe den Großteil ihres Eigentums nur aufgrund ihres Status und zur Wahrnehmung ihrer königlichen Aufgaben vom griechischen Staat erhalten. Diese Funktion würden sie nun nicht mehr ausüben. Der Gerichtshof erklärte unmissverständlich, dass die Regierung keine überzeugende Erklärung dafür vorgetragen habe, die eine Enteignung ohne Entschädigung rechtfertige. Er bezweifelte nicht, dass die Regierung im guten Glauben gehandelt habe. Ihre Annahme von der Existenz außergewöhnlicher Umstände lasse sich jedoch objektiv nicht erhärten, da, wie der Beschwerdeführer substantiiert darlegen konnte, zumindest ein Teil des Grundeigentums mit Mitteln aus seiner Privat___________ 76 James (Fn. 12), Ziff. 54; EGMR (GK), Ehemaliger König von Griechenland u.a. ./. Griechenland, Urt. v. 28.11.2002, Nr. 25701/94, Ziff. 78. 77 Heilige Klöster (Fn. 15), Ziff. 71; Ehemaliger König von Griechenland (Fn. 12), Ziff. 89. 78 Broniowski (Fn. 56), Ziff. 162. 79 Klein (Fn. 64), S. 82. 80 Ehemaliger König von Griechenland (Fn. 12).
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schatulle erworben worden war. Darüber hinaus sei in früheren Fällen der Entziehung von Eigentum eine Entschädigung gewährt worden. Dies habe zu einer berechtigten Erwartung des Königs geführt, auch in diesem Fall entschädigt zu werden.81 Die entschädigungslose Enteignung war demnach mit Artikel 1 ZP unvereinbar. Ein anderes Ergebnis fand die Große Kammer des EGMR im Jahre 2005 im Fall Jahn u.a. gegen Deutschland. In diesem Verfahren konnte sich ein Staat erstmalig erfolgreich mit dem Argument des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände verteidigen.
IV. Die Entscheidung im Fall Jahn u.a. gegen Deutschland Die Beschwerdeführer im Fall Jahn u.a. hatten von ihren Eltern so genannte Bodenreformgrundstücke geerbt. Hierbei handelte es sich um Grundstücke, deren ursprüngliche Eigentümer im Zuge der im Jahre 1945 auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Bodenreform enteignet worden waren.82 Diese Grundstücke unterlagen auch noch zu DDR-Zeiten weitreichenden Verfügungsbeschränkungen. So durften sie weder verkauft, verpachtet oder verschenkt werden. Darüber hinaus mussten sie landwirtschaftlich genutzt werden. Die Grundstücke waren jedoch vererblich.83 Die Erben durften die Grundstücke behalten, wenn sie sie weiterhin landwirtschaftlich nutzten, ansonsten mussten die Grundstücke in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt werden und wurden neu verteilt. Die Behörden der DDR befolgten diese Anordnungen jedoch nicht konsequent. Zahlreiche Grundstücke blieben im Besitz von Erben, die nicht landwirtschaftlich tätig waren. Kurz vor der ersten freien Wahl in der DDR erließ die Volkskammer am 6. März 1990 das Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform84 (das so genannte Modrow-Gesetz). Dieses hob sämtliche Verfügungsbeschränkungen bezüglich der Bodenreformgrundstücke auf und übertrug den Besitzern volle Eigentumsrechte. 1992 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften (Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz).85 Darin war vorgesehen, dass Erben von Bodenreformgrundstücken diese nur behalten durften, wenn sie zuteilungsfähig waren. Zuteilungsfähig war, wer am Tag vor dem Inkrafttreten des Modrow-Gesetzes die ___________ 81
Ehemaliger König von Griechenland (Fn. 12), Ziff. 98 f. Diese Enteignungen waren Gegenstand der Entscheidung von Maltzan (s.o. II. 1.). 83 B. Grün, Die Geltung des Erbrechts beim Neubauerneigentum in der SBZ-DDR – verkannte Rechtslage mit schweren Folgen, VIZ 1998, 537 ff. 84 DDR GBl. I (1990), S. 134. 85 BGBl. 1992 I S. 1257. 82
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Grundstücke landwirtschaftlich nutzte oder über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahre genutzt hatte und seitdem keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen war. Da diese Voraussetzungen von den Beschwerdeführern nicht erfüllt waren, mussten sie die Grundstücke unentgeltlich an den Fiskus auflassen. Die Beschwerdeführer sahen hierin einen unzulässigen Eingriff in ihr Eigentumsrecht, da die Pflicht zur unentgeltlichen Auflassung eine entschädigungslose Enteignung darstelle. Die Bundesregierung war der Ansicht, dass es sich lediglich um eine Eigentumszuordnung, nicht um eine Eigentumsentziehung handele. Sie begründete dies damit, dass die von den Beschwerdeführern erlangte Eigentumsposition illegitim sei. Bei konsequenter Anwendung der Vorschriften zu DDR-Zeiten wären die Grundstücke in den Bodenfonds zurückgeführt worden. Die jetzige Position der Beschwerdeführer sei daher ein nicht schützenswerter unverhoffter Glücksfall. Die Kammer folgte dieser Argumentation nicht. Stattdessen kam sie zu dem Schluss, dass hier eindeutig eine Eigentumsentziehung vorlag, denn das Modrow-Gesetz habe vollwertiges Eigentum verschafft. Sie wies zudem den Begriff des illegitimen Eigentums als einen politischen Begriff zurück, zumal die politische Legitimität nicht vollständig erfasst und beurteilt werden könne, ohne das anfängliche Unrecht, nämlich die Enteignungen von 1945 mit einzubeziehen.86 In konsequenter Anwendung der bisherigen Rechtsprechung gelangte die Kammer daher einstimmig zu dem Ergebnis, dass Artikel 1 ZP verletzt war, da den Beschwerdeführern ihre Eigentumsposition entschädigungslos entzogen worden war. Dies gelte auch angesichts der außergewöhnlichen Umstände infolge der deutschen Wiedervereinigung. Diese rechtfertigten nicht das Fehlen jeglicher Entschädigung.87 Auf Antrag der Bundesregierung wurde der Fall daraufhin gemäß Artikel 43 EMRK an die Große Kammer des EGMR verwiesen. Anders als die erste Instanz fand die Mehrheit der Großen Kammer (mit elf zu sechs Stimmen), dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise das Fehlen einer Entschädigung rechtfertigen.88 Insofern berücksichtigte sie insbesondere die einmalige Situation, in der sich Deutschland während und nach der Wiedervereinigung befand. Das Modrow-Gesetz, welches den Beschwerdeführern nur eine formale Eigentumsposition einräume, sei in einer Umbruchphase, in der alles ungesichert gewesen sei, von einem demokratisch nicht legitimierten Gesetzgeber verabschiedet worden. Dementsprechend könnten sich die Beschwerdeführer nicht erfolgreich auf ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand ihrer Rechtsposition berufen, zumal zwischen der Wiedervereinigung und der Änderung der Rechtslage durch das Zweite Vermögensrechtsän___________ 86 87 88
Jahn u.a. (Fn. 43), Ziff. 90. Jahn u.a. (Fn. 43), Ziff. 93. Jahn u.a. (Fn. 66), Ziff. 116 f.
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derungsgesetz nur eine relativ kurze Zeitspanne gelegen habe, die angesichts der Fülle der Aufgaben, denen sich der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Wiedervereinigung stellen musste, angemessen gewesen sei.89 Der Erlass des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes habe einen legitimen Zweck verfolgt, nämlich die Herstellung sozialer Gerechtigkeit. Schließlich stelle die Erlangung der formalen Eigentumsposition durch das Modrow-Gesetz für die Beschwerdeführer einen „unverhofften Glücksfall“ dar. Dieser durfte entschädigungslos korrigiert werden.90 Dem Urteil sind mehrere Sondervoten beigefügt.91 Auch in der Literatur ist die Mehrheitsentscheidung der Großen Kammer kritisch aufgenommen worden.92 Die am häufigsten vorgetragene Befürchtung ist, dass durch die Annerkennung von außergewöhnlichen Umständen, die eine entschädigungslose Enteignung rechtfertigen, der von der Konvention gewährte Eigentumsschutz seine Effektivität einbüßt. Zwar handele es sich bei der deutschen Wiedervereinigung um eine einzigartige Situation, aber auch bzw. gerade unter diesen Umständen müsse es bei einer stringenten Auslegung und Anwendung der Konvention bleiben.93 Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände müsse restriktiv ausgelegt werden und dürfe nur in extremen Ausnahmefällen Anwendung finden.94 In dem bezüglich der Auswirkungen und Folgen eines Systemswechsels vergleichbaren Fall Ehemaliger König von Griechenland95 sei eine entschädigungslose Enteignung trotz der außergewöhnlichen Umständen als unvereinbar mit Artikel 1 ZP angesehen worden.96 Schließlich könne nicht von einem gerechten Ausgleich gesprochen werden, wenn nur die Interessen einer der betroffenen Parteien – in diesem Fall die des Staates – berücksichtigt werden.97
___________ 89
Jahn u.a. (Fn. 66), Ziff. 116 f. Jahn u.a. (Fn. 66), Ziff. 116 f. 91 Die Richter Cabral Barreto, Pavlovschi, Costa, Borrego Borrego, Ress und Botoucharova fügten dem Urteil ihre abweichenden Meinungen bei. 92 A. Nußberger, „Illegitimes“ Eigentum?, DÖV 2006, S. 454 ff. 93 Nußberger, S. 461; vgl. Jahn u.a. (Fn. 66), abweichende Meinung des Richters Ress, Ziff. 3. 94 Vgl. Jahn u.a. (Fn. 66), gemeinsame abweichende Meinung der Richter Costa und Borrego Borrego, der sich Richter Ress und Richterin Botoucharova anschließen, Ziff. 5. 95 S.o. II. 5. 96 Vgl. Jahn u.a. (Fn. 66), teilweise abweichende Meinung der Richters Cabral Barreto und die abweichende Meinung des Richters Ress, Ziff. 4. 97 Jahn u.a. (Fn. 66), teilweise abweichende Meinung des Richters Pavlovschi. 90
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V. Zusammenfassung und Fazit Der effektive Schutz des Eigentums erhält nicht immer die ihm gebührende Aufmerksamkeit als eine der wichtigsten Grundlagen für die freie Entfaltung der Person. Auch aus diesem Grund stellt die in Artikel 1 ZP enthaltene Eigentumsgarantie einen Meilenstein in der Entwicklung des internationalen Eigentumsschutzes dar. Zwar war es nicht das erste Mal, dass das Eigentum auf internationaler Ebene gewährleistet wurde (vgl. Artikel 17 AEMR), aber zum ersten Mal handelte es sich um eine für die Vertragsstaaten verbindliche Garantie, deren Einhaltung von dazu berufenen Organen überwacht wurde. Anfangs etwas zögerlich hat der EGMR mit seiner nunmehr mehrere Jahrzehnte umspannenden Rechtsprechung maßgeblich zur Weiterentwicklung des Eigentumsschutzes auf europäischer Ebene beigetragen.98 Dies gilt umso mehr in Bezug auf Vertragsstaaten, deren nationales Recht keine dem Artikel 1 ZP vergleichbare Eigentumsgarantie enthält. Aber auch in Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland, die über eine vergleichbare Gewährleistung in ihrem nationalen Recht verfügen, spielt die im Zusatzprotokoll enthaltene Eigentumsgarantie – anders als zunächst von einigen erwartet99 – eine Rolle, wie das Verfahren Jahn u.a. zeigt. Den Beschwerdeführern war trotz der Gewährleistung des Eigentums in Artikel 14 GG mit ihren Klagen vor bundesdeutschen Gerichten kein Erfolg beschieden. Erst die Kammerentscheidung des EGMR vom 22. Januar 2004 bestätigte ihnen, dass ein ungerechtfertigter Eingriff in ihre Eigentumsrechte erfolgt ist. Der Schutz des Eigentums auf europäischer Ebene war in diesem Fall also weitreichender als die Gewährleistung auf nationaler Ebene. Allerdings galt dies nur bis zu der Verkündung des Mehrheitsvotums der Großen Kammer anderthalb Jahre später. Die Entscheidung der Großen Kammer in Sachen Jahn u.a. wirft einen Schatten auf die bisher so erfolgreiche Bilanz des Gerichtshofs. In den Worten von Ress: „Wenn der Gerichtshof außergewöhnliche Umstände zulässt, um Eingriffe des Staates in die Rechte des Einzelnen zu rechtfertigen, handelt es sich um eine auf das Staatsinteresse eingestellte Denkweise, die weit von der Vorstellung des Schutzes der Menschenrechte entfernt ist.“100
Es steht zu hoffen, dass diese Kritik aus den eigenen Reihen nicht ungehört verhallt. * * * ___________ 98
W. Fiedler (Fn. 63), S. 354; Frowein (Fn. 13), S. 49. M. Hartwig, Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, RabelsZ 1999, 561, 578 f. 100 Jahn u.a. (Fn. 66), abweichende Meinung des Richters Ress, Ziff. 4. 99
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Abstract Kirsten Koopmann-Aleksin: The Protection of Property as a Human Right, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 107-125. The characterisation of the right to property as a human right is commonly accepted among experts. Its effective protection is crucial to the enjoyment of other human rights and to the free development of a person. A prominent role in this regard is played by the European Court of Human Rights, which keeps an eye on the implementation of the rights and freedoms contained in the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (ECHR). This article represents an extensive survey of the fundamental judgments of the Court relating to the right of property as enshrined in Article 1 of Protocol No. 1 to the ECHR. Special attention is given to cases in which the applicant claims a violation of his property rights in connection with expropriation. It is argued that the principle of proportionality is the key element within the judicature of the Court, which has provided a substantial contribution to the advancement of the protection of the right to property. The decision of the Grand Chamber of the Court in Jahn a.o. v. Germany, however, casts a shadow on the Court’s successful record.
Zur Eigentumsproblematik staatlicher und nicht-staatlicher Archive insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg Von Michael Silagi
I. Archive als Vermögenskategorie sui generis 1. Zum Archivbegriff a) Öffentliche und private Archive Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung der deutschen Archivgesetzgebung beginnt mit der Bemerkung, wenn man das Wort „Archiv“ höre, denke man spontan an eher historisches Archivgut wie etwa Siegelurkunden, Pergamentschriftrollen oder an Dokumente aus längst vergangenen Jahrhunderten, und es heißt dann weiter: „Die wenigsten wissen, dass es sich hierbei nur um einen kleinen Teil der Aufgaben von Archiven handelt.“1 In der Tat ist der Aufgabenkreis privater und staatlicher Archive viel umfassender. In Deutschland ist zu unterscheiden zwischen den privaten und den öffentlichen Archiven, wobei bei den öffentlichen Archiven weiter zu differenzieren ist zwischen Staatsarchiven und nichtstaatlichen Archiven.2 Unter den nichtstaatlichen öffentlichen Archiven kommt den Kommunalarchiven die größte Bedeutung zu.3 Daneben werden noch kirchliche Archive, Universitätsarchive und Rundfunkund Fernseharchive unter den öffentlichen Archiven angeführt.4 Den kirchlichen Archiven ist allerdings insoweit eine besondere Stellung zugewiesen, als die Religionsgemeinschaften von Verfassungs wegen (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV5) keiner Archivierungspflicht unterliegen.6 Die beiden gro___________ 1
Petra Nau, Verfassungsrechtliche Anforderungen an Archivgesetze des Bundes und der Länder, Kiel 2000, S. 1. 2 Nau, ebd., S. 3-6. 3 Nau, ebd., S. 7 f. 4 Nau, ebd., S. 8-10. 5 Vgl. Nau, ebd., S. 174-176. 6 Art. 137 WRV wurde auch in der Zwischenkriegszeit von den Kirchen angeführt, wenn es um die Verhinderung staatlicher Eingriffe in die kirchliche Archivverwaltung ging; vgl. dazu Norbert Reimann, Kulturgutschutz und Hegemonie. Die Bemühungen
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ßen Kirchen haben vielmehr für ihre Archive selber Spezialnormen erlassen.7 Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV folgt aber, dass grundsätzlich auch die dem kirchlichen Gebrauch dienenden Gegenstände zu den öffentlichen Sachen zählen.8 Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass bei Kirchenbüchern aus der Zeit, als noch keine weltlichen Standesregister geführt wurden, die Einordnung als kirchlich und damit nicht-staatlich durchaus zweifelhaft sein kann. Als „privat“ werden demnach Sammelstätten bezeichnet, die nicht öffentlich sind. Anders als private Archive gehören öffentliche Archive als Sammelstätten von Dokumenten, die auf amtlichem Wege erwachsen sind und in amtlichem Interesse aufbewahrt werden, zu den öffentlichen Sachen.9 Staatliche Archive sind damit Teil des Staatsvermögens, auch wenn sie Merkmale aufweisen, die ihnen gegenüber dem übrigen Staatsvermögen Eigenständigkeit verleihen.10 Das Vermögen des Staates ist definiert als die Gesamtheit derjenigen Vermögensgegenstände, welche dem Staat zugeordnet sind.11 (Im weiteren Sinn umfasst es auch öffentliches Vermögen, das anderen Rechtsträgern gehört.) Lorenz von Stein teilte 1860 das gesamte Staatsvermögen in Staatsbesitz einerseits und Staatsdomänen, also Gewerbe und Gefälle, andererseits.12 Dies entsprach bereits der heute in Deutschland üblichen Zweiteilung in „Verwaltungsvermögen“ und „Finanzvermögen“.13 Die beiden Termini wurden von Paul Laband geprägt.14 ___________ der staatlichen Archive um ein Archivalienschutzgesetz in Deutschland 1921-1972, Münster 2003, S. 6 f. 7 Zur katholischen Kirche vgl. Stephan Haering, „Zur rechtlichen Ordnung des kirchlichen Archivwesens“, Archiv für katholisches Kirchenrecht 171 (2002), S. 442 ff. (zur Rechtslage in Deutschland, S. 453), und Kerstin Odendahl, Kulturgüterschutz, Tübingen 2005, S. 344 mit Fn. 682; zur evangelischen Kirche in Deutschland Odendahl, ebd., S. 345 mit Fn. 683. 8 Vgl. Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht Bd. 2, 6. Aufl., München 2000, S. 686 (§ 75, Rn. 27). 9 Vgl. dazu Hans-Joachim Hecker, „Archive“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 2. Aufl., Bd. I, 2. Lfg., Berlin 2005, S. 285 ff.; Max Huber, Die Staatensuccession, Leipzig 1898, S. 68. 10 Siehe dazu Hecker (Hrsg.), HRG. 11 Karl Heinrich Friauf, „Staatsvermögen“, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. 4, Heidelberg 1990, S. 295 ff. 12 Lorenz von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 1. Aufl., Leipzig 1860, S.°113. 13 Vgl. Bernhard Schmitz, Die Unterscheidung zwischen Finanz- und Verwaltungsvermögen im Lichte des modernen Rechts- und Wirtschaftsstaates, Hamburg 1966, „Historischer Teil“, S. 1 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München 1980, S. 1260 ff.; Friauf (Fn. 11), S. 308 ff. 14 Paul Laband, „Das Finanzrecht des Deutschen Reiches“, in: Annalen des Deutschen Reichs 1873, Sp. 406 ff.
Zur Problematik staatlicher und nicht-staatlicher Archive
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Stern beschreibt als Verwaltungsvermögen dasjenige Vermögen, welches dem Gebrauch durch staatliche Stellen (Verwaltungsgebrauch) und der Nutzung durch die Bürger gewidmet sei.15 Dieses Verwaltungsvermögen diene somit unmittelbar den Zwecken der Verwaltung; das für seine Nutzung maßgebliche Rechtsregime sei bei weiterbestehendem privatrechtlichem Eigentum grundsätzlich das des öffentlichen Rechts, etwa des Straßen-, Wasser- und Anstaltsrechts. Dabei werden zwei Kategorien von Verwaltungsvermögen unterschieden: Einmal Gegenstände des internen Verwaltungsgebrauchs und zum anderen solche externer Nutzung in der Form von Gemeingebrauch, Sondernutzung oder anstaltlicher Nutzung. Dem internen Verwaltungsgebrauch dienen Verwaltungsgebäude, Mobiliar, Büroinventar, Fuhrpark, Militärgut, also der sogenannte Verwaltungsapparat. Man könnte dies als Verwaltungsvermögen im engeren Sinne bezeichnen. Zum Verwaltungsvermögen im weiteren Sinne zählen die Sachen, die jedermann zum usus publicus offen stehen, wobei der Gemeingebrauch auf der natürlichen Beschaffenheit des Sachkörpers beruhen kann („öffentliche Gewässer, Gletscher, Firnen usw.“16) oder eine der Sache von der zuständigen Behörde gegebene Zweckbestimmung (Widmung) zur Grundlage hat, beispielsweise Straßen, Wege, Brücken, Plätze, Anlagen. Sachen der zuletzt angeführten Gruppe sind auch umgekehrt einer Entwidmung fähig. In anstaltlicher Nutzung stehen öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Bäder, Museen, Theater, Markthallen, Sportanlagen, öffentliche Krankenhäuser, Kindergärten und Altenheime, wobei meist nicht der Staat, sondern andere juristische Personen des öffentlichen Rechts (häufig kommunale Gebietskörperschaften) die Träger sind. Zwar gibt es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine Zweiteilung des Staatsvermögens, aber wie an dieser Definition deutlich wird, unterscheidet sich das Konzept vom Verwaltungsvermögen bei allen Gemeinsamkeiten in einigen Punkten vom französischen Begriff des „domaine public“. Diese Unterschiede sind auch für die folgende Diskussion des Status von Archivgut und seiner möglichen Subsumtion unter den Kulturgutsbegriff von Relevanz. Die Zweiteilung des Staatsvermögens geht sowohl in Frankreich als auch in Deutschland zurück auf den Code Napoléon.17 Dort findet sich die Einteilung des domaine de l'Etat in domaine public und domaine privé. Der domaine public war unveräußerlich und unverjährbar, weil er dem Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben unentbehrlich war. Hingegen war der domaine privé veräußerlich ___________ 15
Stern (Fn. 13), S. 1261 f., unter Hinweis auf Laband, Paul, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 4, 5. Aufl., Freiburg 1914, S. 346. 16 Robert Haab, Art. 664 ZGB, Rdnr. 7, in: Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch („Zürcher Kommentar“), 2. Aufl., Bd. 4, 1. Abt., 1977, S. 288. 17 Dazu eingehend Winrich Ipsen, Theorie und Recht des domaine public: Das öffentliche Sachenrecht in Frankreich, 1969.
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und verjährbar.18 In Deutschland ging insbesondere Otto Mayer in Anlehnung an die französische Lehre19 von einem der Privatrechtsordnung entzogenen „domaine public“ als öffentlichem Eigentum aus20; sein Konzept vom öffentlichen Eigentum konnte sich aber nicht durchsetzen. Auch für die Nutzung des Verwaltungsvermögens im oben umschriebenen Sinne ist grundsätzlich das öffentliche Recht maßgeblich, aber daneben besteht, wie gesagt, nach der in Deutschland in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Auffassung das privatrechtliche Eigentum weiter. Man spricht hier von der Konstruktion des „modifizierten Privateigentums“, welches das deutsche öffentliche Sachenrecht prägt.21 Die Theorie vom öffentlichen Eigentum (Otto Mayer), welche ihr Vorbild im französischen „domaine public“ findet, unterwirft gewisse für die Verwaltung unersetzliche öffentliche Sachen besonderen Verwaltungsrechtssätzen und hoheitlicher Bestimmungsgewalt und entzieht sie damit der Privatrechtsordnung, besonders insoweit, als sie unveräußerlich und unverjährbar sind. Sie können also weder ersessen werden noch kann der Vindikationsanspruch verjähren. Anders als das übrige Staatsvermögen, das demnach zum „domaine privé“ gehört, unterliegt der domaine public (der eine Teilmenge des Verwaltungsvermögens nach der in Deutschland herrschenden Terminologie ausmacht) nicht einem „durch verwaltungsrechtliche Zwecksicherung modifizierten Privateigentum“.22 Amtliche Archive würden wohl nach Otto Mayer zum domaine public gehören, und sie sind jedenfalls Teil des „Verwaltungsvermögens“. Diese Qualifizierung ist unabhängig von der Widmung einzelner Archivstücke oder eines Archivkörpers. Wie Marc Weber zutreffend feststellt, dürfte Archivgut selbst dann als Verwaltungsvermögen seiner verwaltungsrechtlichen Zwecksicherung entsprechend unveräußerlich sein, wenn dies nicht ausdrücklich normiert ist, „und zwar, weil der Zweck der Archivierung gerade in der dauerhaften dokumentarischen Überlieferung besteht, die durch die mögliche Veräußerung von Schriftgut vereitelt würde“.23 Als „privates“ Archiv wird das Archivgut im Eigentum von Vereinen und Stiftungen des Privatrechts oder von Gesellschaften bezeichnet – die eingangs ___________ 18
Vgl. Schmitz (Fn. 15), S. 16 f. Zu deren Weiterentwicklung vgl. André de Laubadère, Traité élémentaire de Droit administratif, 3. Aufl., Paris 1963, S. 113, 133; W. Ipsen (Fn. 17), S. 52 ff. 20 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 3. Aufl., Leipzig 1924, S. 39 ff. 21 Vgl. Wolff/Bachof/Stober (Fn. 8), S. 696 f. (§ 77 Rn. 2-8), mit zahlreichen Nachweisen. 22 Ebd., S. 700 (§ 77, Rn. 11); zu Ansätzen einer solchen Konstruktion in Deutschland, insbes. im Hamburger Wegerecht, vgl. ebd., Rn. 12-15. 23 Marc Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, Berlin 2002, S. 25 f. 19
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zitierte Arbeit nennt hier Wirtschaftsarchive24, Partei- und Verbandsarchive25 sowie Pressearchive26. Insbesondere fasst man unter den Begriff des Privatarchivs jedoch das Archivgut von meist adeligen Familien, häufig verbunden mit dem archivalischen Niederschlag von Grundherrschaften und Gutswirtschaften oder anderer eigenwirtschaftlicher Betriebe, unter Einschluss der Hausarchive.27 Im engeren Sinn versteht man daher „in Österreich, aber auch in Deutschland unter Privatarchiven die Archive der reichsunmittelbaren oder des in den einzelnen Ländern bzw. Territorien landsässigen Adels.“28 Diese Familienarchive umfassen Bestände, deren Charakter nur zum Teil als privatrechtlich qualifiziert werden kann. Soweit es sich um Archivalien handelt, welche bei der Ausübung oder Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Belange erwachsen sind (etwa Grundbücher, Heiratsbücher oder strafrechtliche Akten), kommt ihnen öffentlichrechtlicher Charakter zu.29 Wie schwierig und langwierig sich die Probleme der Abgrenzung zwischen genuin „privaten“ und hoheitlichen Dokumenten gestalten können, belegt eine im Jahr 1923 erfolgte Einigung Österreichs mit Frankreich30, aufgrund deren Dokumente an Frankreich übergeben wurden, welche Franz (-Stephan) von Lothringen, der Ehemann der Erzherzogin MariaTheresia und spätere römisch-deutsche Kaiser Franz I., nach dem Verzicht auf sein Stammland, das Herzogtum Lothringen (das er gegen die spätere habsburgische Sekundogenitur Toskana eintauschte), von dort mitgenommen hatte.31 Anlässlich der Abtretung Lothringens im Jahr 1736 war ihm nämlich gestattet worden, bestimmte Familienpapiere mitzunehmen. Diese Bestimmung wurde ___________ 24
Nau (Fn. 1), S. 11 f. Nau (Fn. 1), S. 12-14. 26 Nau (Fn. 1), S. 15. 27 Heinrich Otto Meisner, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Göttingen 1969, S. 26. 28 Felix Tobler, „Die Privatarchive in Österreich – historische Entwicklung und gegenwärtige Situation“, Scrinium 54 (2000), S. 464 ff. (464). 29 Vgl. Helmut Richtering, „Privatarchive und Archivalienschutz in Norddeutschland“, Scrinium 22/23 (1980), S. 56. 30 Vertrag vom 27.2.1923, angeführt in der “Non-exhaustive table of treaties containing provisions relating to the transfer of archives in case of succession of States” bei Mohammed Bedjaoui, “Eleventh report on succession in respect of matters other than treaties”, YBILC 1979 II, 1, S. 67 (82 ff.). Nachdruck bei Patricia Kennedy Grimsted, Trophies of War and Empire, Cambridge, MA, 2001, S. 511-530. 31 Aufgrund der Pragmatischen Sanktion von 1713/1723 konnte Kaiser Karl VI. im Habsburgerreich die weibliche Erbfolge sichern. Der Gleichlauf der Thronfolge in Cisund in Transleithanien war so lange gewährleistet, wie eine katholische Person, und sei sie auch weiblich, aus jenen Linien des Hauses Habsburg, die ausdrücklich auch in Ungarn zur Erbfolge berufen waren, vorhanden war. Seine Tochter Maria-Theresia konnte als Oberhaupt des Hauses Habsburg zwar „rex Hungariae“, nicht jedoch römischdeutscher Kaiser werden; diese Würde fiel an ihren Ehemann, Franz. Vgl. Gustav Turba, Die Grundlagen der Pragmatischen Sanktion, Wien, Bd. 1, 1911, Bd. 2, 1912. 25
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von Franz „sehr großzügig“32 ausgelegt, so dass der Herzog aus Lothringen auch vielfältige Dokumente zur Außenpolitik und zu anderen Sachbereichen fortschaffte. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gelang es also Frankreich im Rahmen einer Einigung über den Austausch von Archivbeständen mit Österreich, die im Sinne der obigen Abgrenzung als nicht-privat zu qualifizierenden lothringischen Archivalien zurückzuerhalten. (Von der Abgabe an Frankreich ausgenommen waren Dokumente aus Lothringen, welche sich auf außerhalb Lothringens belegene Domänen oder auf die Familie des Herzogs bezogen.)33 Schon hier sei hervorgehoben, dass nicht nur die Unterscheidung zwischen persönlichen Dokumenten und Dokumenten von öffentlich-rechtlichem Charakter, sondern auch die Abgrenzung zwischen nicht-staatlichen und staatlichen Archiven problematisch sein kann. Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Unterscheidung stellt der Untergang des Kirchenstaats 1870 dar: Italien wurde sein Rechtsnachfolger, der Heilige Stuhl als gesondertes Völkerrechtssubjekt blieb davon unberührt, so dass es zu einer Aufteilung der Archive zwischen dem Königreich Italien und dem Heiligen Stuhl kam.34
b) Archiv und Registratur – enger und weiter Archivbegriff Zur Herleitung einer Archivdefinition stehen sich zwei begriffliche Ansätze gegenüber.35 Man kann einerseits zwischen Registraturgut und Archivgut unterscheiden. Registraturgut ist das Schriftgut, d.h. die dokumentarische Überlieferung, welche bei einer Institution oder Person anfällt und auf deren Tätigkeit bezogen ist, soweit es noch gebraucht und folglich in der Registratur verwahrt wird. Wenn die weitere Verwahrung dieses Registraturguts für die betreffende Institution oder Person entbehrlich wird, kann es sein, dass solche Dokumente wegen eines über den ursprünglichen Zweck hinausreichenden Beweiswerts oder wegen ihres politischen, rechtlichen oder kulturellen Informationsgehalts auf Dauer aufbewahrt werden. Zum Archivgut im eigentlichen Sinn wird Registraturgut demnach erst dann, wenn sein bleibender Wert, der allerdings nicht immer ein „kultureller“ Wert sein muss, durch die Übernahme
___________ 32
Thomas Fitschen, Das rechtliche Schicksal von staatlichen Akten und Archiven bei einem Wechsel der Herrschaft über Staatsgebiet, Baden-Baden 2004, S. 62 mit Fn. 84 f. 33 Robert-Henri Bautier, « Rapport général », in: Actes de la VIe CITRA [=conférence internationale de la table ronde des archives], Paris 1963, S. 7 (33 f.). 34 Vgl. Elio Lodolini, Archivistica: Principi e problemi, 9. Aufl., Mailand 2000, S. 352 f. 35 Vgl. zum folgenden Fitschen (Fn. 32), S. 28 f.
Zur Problematik staatlicher und nicht-staatlicher Archive
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durch das zuständige Archiv feststeht.36 Dieser Differenzierung entspricht die deutsche und angelsächsische Terminologie.37 Man kann andererseits den Begriff des Archivs einheitlich als Oberbegriff für beide Arten von Unterlagen gebrauchen, wie etwa im Sprachgebrauch der katholischen Kirche38 oder in Frankreich, wobei dann aber zwischen „lebenden“ und „historischen“ Archiven („archives courantes“ und „archives historiques“ in der französischen Terminologie39) zu differenzieren wäre. Nicht nur in foro interno, auch von Völkerrechts wegen sind Archive eine Vermögenskategorie sui generis.40 Dies zeigt seit alters her ihre gesonderte Behandlung in zahlreichen Friedensverträgen bzw. in Folgevereinbarungen zu Friedensverträgen.41 Die besonderen Regelungen betreffen einmal die Revindikation (Restitution) von Archiven, welche während eines Krieges vom Gegner beschlagnahmt oder widerrechtlich entführt worden sind.42 Zum anderen geht es um die Zuordnung von Archiven im Falle einer Staatennachfolge.43 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Eigentumsverhältnisse an staatlichen und nicht-staatlichen Archiven unter diesen beiden Aspekten erörtert. Neben der Rückgabe von verschlepptem Archivgut und der Zuordnung von Archiven bei territorialen Veränderungen, wird aber auch verstärkt der denkbare illegale Handel mit (abhandengekommenen) Archivalien problematisiert.44 In diesem Zusammenhang wird geprüft, inwieweit das Eigentum an Archivbeständen gesichert werden kann, indem sie als Kulturgut qualifiziert werden.45 Was den Aspekt der Staatensukzession angeht, so belegt auch die im Rahmen der UN-Völkerrechtskommission (ILC) erstellte Wiener Konvention vom ___________ 36 Wenn diese Übernahme aufgrund allgemeiner Richtlinien erfolgt, bedarf es keiner gesonderten Widmung, vielmehr begründet, wie gesagt, die Archivierung selber die Unveräußerlichkeit. 37 Vgl. Fitschen (Fn. 32), S. 29. 38 Vgl. Haering (Fn. 7), AfkKR 171, S. 445. 39 Fitschen (Fn. 32), S. 30; in der normativen Grundlage des Archives des Außenministeriums wird zwischen „archives courantes“, „archives intermédiaires“ und „archives définitives“ unterschieden, zitiert nach Fitschen, ebd., S. 29, Fn. 12. 40 Thomas Fitschen, „Archive' im modernen Völkervertragsrecht ein problematischer (Rechts-) Begriff“, Der Archivar 58 (2005), S. 255 ff.; Michael Silagi, „Staatennachfolge und Archive“, Arch. Ztschr. 85 (2003), S. 9 (63 ff.). 41 Vgl. Joachim Meyer-Landrut, „Die Behandlung von staatlichen Archiven und Registraturen nach Völkerrecht“, Arch. Ztschr. 48 (1953), S. 45-121; Andreas Zimmer, Friedensverträge im Völkerrecht, Koblenz 1988, S. 61-64. 42 Vgl. Meyer-Landrut, ebd., im ersten Hauptteil seiner Untersuchung, Arch. Ztschr. 48, S. 56 ff. 43 Vgl. Meyer-Landrut, ebd., im zweiten Hauptteil seiner Untersuchung, Arch. Ztschr. 48, S. 80 ff. 44 Vgl. dazu Fitschen (Fn. 32), S. 34 ff. 45 Siehe dazu im folgenden Abschnitt.
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8. April 1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten46 (im weiteren „WK 83“) die Sonderstellung der Archive unter dem Staatsvermögen. Diese Konvention behandelt Archive gesondert vom sonstigen Staatsvermögen. Diese Sonderstellung der Archive wurde im Sommer 2001 durch eine Resolution des Institut de Droit International (IDI) über die Staatennachfolge in Vermögen und Schulden47 bestätigt; hier wird ausdrücklich festgehalten, dass die Resolution auf Archive grundsätzlich keine Anwendung findet48. Überdies behandelt auch die Vereinbarung der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens aus dem Jahr 200149 Archive als Vermögenskategorie sui generis. Die unter Federführung Mohammed Bedjaouis, des späteren Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs50, ausgearbeitete WK 8351 enthält eine recht allgemein gehaltene Umschreibung von „Archiven“. Art. 20 WK 83 definiert als Staatsarchive Dokumente beliebigen Alters und beliebiger Art und schließt damit Registraturen und lebende Archive in den Regelungsbereich ein. Eine auch für das 21. Jahrhundert zeitgemäße Erweiterung der Archivdefinition findet sich in Art. 1 (c) des Annex D zum erwähnten „Agreement on succession issues between the five successor States of the former State of Yugoslavia“ vom 29. Juni 200152, der die Nachfolge in archivalische Dokumente regelt: “’Documents’ in the preceding sub-paragraphs includes film, audio and video tapes and other recordings, as well as any form of computerised records, and includes documents which constitute cultural property”. Die Vereinbarung geht also wie die WK 83 von einem weiten Archivbegriff aus, der gegebenenfalls auch in Bibliotheken und in Museen aufbewahrte Stücke umfasst. Wie die WK 83 unterscheidet auch das agreement on succession für das ehemalige Jugoslawien in der Nachfolgevereinbarung für Archive in seinem ___________ 46
Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts (vom 8. April 1983), Text in: International Legal Materials (ILM) 22 (1983), S. 306 ff.; eine (ost-) deutsche Übersetzung, der im weiteren gefolgt wird, findet sich bei Walter Poeggel/Rolf Meißner (Leitung), Staatennachfolge im Völkerrecht, Ost-Berlin 1986, Anlage, S. 156 ff. Teil III der Konvention (Art. 19 bis Art. 26), welcher die Nachfolge in Archive behandelt, ist wiedergegeben bei Grimsted (Fn. 30), S. 531 ff. 47 Die Resolution des IDI ist wiedergegeben im ArchVR 2002, S. 355 ff. 48 Art. 16 Nr. 6 der Resolution des IDI. 49 “Agreement on succession issues between the five successor States of the former State of Yugoslavia”, ILM 41 (2002), S. 3. 50 Zu Werk und Person des algerischen Völkerrechtlers siehe Emile Yakpo/Tahar Boumedra (Hrsg.), Liber Amicorum Judge Mohammed Bedjaoui (1999), S. 2-45. Im Jahr 2001 schied Bedjaoui als ständiger Richter am IGH aus und kehrte in die algerische Politik zurück, wo er im Jahr 2005 zum Außenminister berufen wurde. 51 ILM 22 (1983), S. 306 ff. 52 ILM 41 (2002), S. 3.
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Annex D nicht zwischen Archiven im engeren Sinn und Registraturen, sie gilt vielmehr gleichermaßen für historische Archive, für Verwaltungsarchive und für Registraturen. Auch hier wird also der weite Archivbegriff (Einschluss von „lebenden“ Archiven und Registraturen) zugrundegelegt. An dieser Stelle sei kurz auf die Unterscheidung zwischen Bibliotheksgut und Archivgut hingewiesen.53 Die ILC befasste sich auch mit dem überkommenen Problem einer stringenten Abgrenzung zwischen Archivgut und Bibliotheksgut. Schrift und Druck sind nämlich keine hinreichenden Kriterien für die Unterscheidung, und sogenannte „Filmarchive“ oder „Programmarchive“ enthalten in der Regel eher Museums- oder Bibliotheksgut.54 Eine präzise Trennung zwischen den Begriffen „Archive“ und „Bibliotheken“ gelang daher auch der ILC nicht: Während die Urkundsbestände in Archiven im allgemeinen ein organisches Ganzes darstellen, verstehe man unter Bibliotheken jene Anstalten, die aus solchen Objekten bestünden, welche einzeln und für sich genommen individuelle Einheiten darstellten.55 Trotzdem treffe es zu, dass Archivalien häufig in Bibliotheken aufbewahrt würden und umgekehrt. Auch die Abgrenzung zwischen Archiven und Museen sei nicht immer eindeutig.56 Schon hier kann festgehalten werden: Der spezielle Stellenwert der Archive läßt sich nicht auf die Zugehörigkeit zu den Kulturgütern des jeweiligen Staates reduzieren, denn zu den Kulturgütern zählen allenfalls historische Archive. Die hervorgehobene Behandlung der Archive erklärt sich vielmehr aus der – auch im Verhältnis zu sonstigem Kulturgut – besonderen Bedeutung für die Identität und das kollektive Gedächtnis des Gemeinwesens und für die Verwaltung. Dass hierbei gerade das Registraturgut aus lebenden Archiven für die Verwaltung besonders wichtig sein dürfte, liegt auf der Hand. Dem Schutz von Grundbuchakten in den Katasterbehörden und von Personenstandsakten (Fami___________ 53
Zur Abgrenzung von Archiven einerseits und Museen/Bibliotheken andererseits vgl. Yves Pérotin, “Le concept d'archives et les frontières de l'archivistique” (Rapport général), in: CITRA 1963, S. 9 (25 ff.); Adolf Brenneke, Archivkunde: Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, Leipzig 1953, S. 32 ff. (35); Ivo Striedinger, „Was ist Archiv-, was Bibliotheksgut?“, Arch. Ztschr. 36 (1926), S. 151 ff. 54 Vgl. dazu Brenneke, ebd., S. 35. 55 Report of the ILC on the work of its 31st session, YBILC 1979, II, 2, S. 81, Nr. 9; vgl. dazu Norbert Bernsdorff/Andreas Klein-Tebbe, Kulturgutschutz in Deutschland: Ein Kommentar, Köln 1996, § 1 KSchG Rn. 30: Im Unterschied zum Archivgut handle es sich beim Bibliotheksgut um „künstliche“, von vornherein einem (bildenden, belehrenden, informativen oder unterhaltenden) Zweck dienende Sammlungsstücke, „während als Archivgut der schriftliche Niederschlag geschäftlicher (oder allgemeiner: schaffender) Tätigkeit in vorarchivisch zweckfrei 'gewachsenen' Einheiten (behördlicher, institutioneller, peersönlicher Registraturen) gilt, die erst nachträglich zu amtlichen oder wissenschaftlichen Zwecken herangezogen werden“. 56 Report of the ILC on the work of its 31st session, YBILC 1979, II, 2, S. 81, Nr. 10.
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lienbüchern) in Standesämtern sollte daher ebensoviel Augenmerk gelten wie dem von archivalischen Kulturgütern.57
2. Für und wider die Subsumtion von Archivgut unter den Rechtsbegriff der Kulturgüter a) Archivgut als Kulturgut? Mit dem unerwünschten illegalen Handel mit (abhandengekommenen) Archivalien stehen, wie bereits erwähnt, Bestrebungen in Zusammenhang, das Eigentum an solchem abhandengekommenen Archivgut dadurch besser zu sichern, dass es als Kulturgut qualifiziert wird. Unter dem Blickwinkel der Eigentumssicherung wird im archivrechtlichen Schrifttum das Archivgut häufig als Kulturgut bezeichnet. Allerdings greift eine derartige Subsumtion von Archiven unter das Kulturgut zu kurz. So hat der Beobachter der UNESCO auf der Vertragskonferenz in Wien 1983, Frank B. Evans, die Wichtigkeit der Abgrenzung zwischen Archiven und (sonstigen) Kulturgütern betont: “Archives were a unique category of State property in that they were essential both to the nation's identity and to the very sovereignty of the State itself. As such they were to be regarded [...] as inalienable. It was their relationship to the sovereignty of the State that distinguished archives from other forms of cultural property that a State might naturally wish to preserve.”58 Ähnlich begründet auch der italienische Historiker Marco Mozzati die gesonderte Behandlung der Archive: “Gli archivi, sopratutto nell'edificazione dello Stato moderno, possiedono non soltanto quel magico alóne que li circonda come uno dei punti nevralgici della vita dello Stato, ma anche una elevata carica simbolica constituita dal fatto di essere uno dei luoghi privilegiati della memoria collettiva”.59 Anders als Verbleib und Abgabe von Kulturgut im engeren Sinn wurde daher die Zuordnung von strittigen Archiven und Dokumenten in Friedensverträgen nicht in den Abschnitten über Reparationen und Restitutionen geregelt. Archive wurden, so Kurt Siehr, „als Zubehör des Herr___________ 57 Anders Stefan Baufeld, Kulturgutbeschlagnahme in bewaffneten Konflikten, ihre Rückabwicklung und der deutsch-russische Streit um die so genannte Beutekunst, Frankfurt 2005, S. 14. Demnach seien Registraturen „Einrichtungen der jetztzeitlichen Staatlichkeit; diese zu schützen hieße, der Krieg führenden Partei einen umfangreichen Schutz ihrer Staatstätigkeit zu gewähren, der weit über den Schutz der kulturellen Sachzeugnisse hinausgeht“ (und deshalb abzulehnen sei). 58 UN Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Official Records (UN Doc. A/CONF.117/16), Vol I, S. 130 f. 59 Marco Mozzati, “La battaglia degli archivi”, in: La modernizzazione in Asia e Africa. Problemi di storia e problemi di metodo. Studi offerti a Giorgio Borsa, Pavia 1989, S. 213 (214).
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schaftsgebiets behandelt“.60 Dies gelte zumindest für Archive von aktueller staats- und privatrechtlicher Relevanz.61 Als Kulturgut behandelt werden können demnach bloß solche Archive, die keinen Charakter als Zubehör aufweisen und denen keine Bedeutung mehr für die Verwaltung des Gebietes zukommt, die also bloß noch historisch sind.62 Auch Elio Lodolini hebt in seinem Standardwerk zur Archivkunde die Unterschiede zwischen lebenden und historischen Archiven hervor und spricht von “due aspetti distinti e fra loro abbastanza diversi: l'uno concerne i documenti dell'amministratione corrente, i titoli di proprietà, la gestione giuridico-amministrativa in genere; l'altro, invece, gli archivi veri e propri, quali beni culturali”.63 Allenfalls dann, wenn man den Archivbegriff auf historische Dokumente und damit auf das beschränkt, was Lodolini als echte Archive im eigentlichen Sinn bezeichnet, wäre die Subsumtion unter den Begriff des Kulturgutes gerechtfertigt – allerdings auch dann bloß bedingt. Denn selbst bei einer derartigen Beschränkung, welche die „lebenden“ Registraturen, die für die laufende Verwaltung gebraucht werden, ausnimmt, wäre die undifferenzierte Gleichsetzung von Archivgut mit Kulturgut fragwürdig.64 Dokumente, welche wegen eines über den ursprünglichen Zweck hinausreichenden Beweiswerts, insbesondere wegen ihres rechtlichen Informationsgehalts, auf Dauer aufbewahrt werden, wie dies etwa das Bundesarchivgesetz65 vorsieht, verkörpern doch nicht unbedingt kulturelle Werte im eigentlichen Sinn. § 3 BArchG enthält ganz unterschiedlichen Bewertungskriterien.66 Die positive Wertungsentscheidung nach § 3 BArchG macht die zu Archivgut umgewidmeten Unterlagen demnach nicht notwendig zu „Kulturgut“. Die bereits erwähnten Personenstandsunterlagen schließlich sind „in der ___________ 60 Vgl. Kurt Siehr, „Kulturgüter in Friedens- und Freundschaftsverträgen“, in: Festschrift für Jost Delbrück, Berlin 2005, S. 695 (697). 61 Siehr, ebd., S. 696. 62 Archive können durch Zeitablauf „historisch“ und damit Teil des „kulturellen Erbes“ werden; vgl. P.J. O'Keefe/Lyndell V. Prott, „Cultural Property“, Encyclopedia of Public International Law (EPIL) Bd. 1, Amsterdam etc. 1992, S. 890 ff. 63 Lodolini (Fn. 34), S. 247 f. 64 Amalie Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, Berlin 2001, S. 292, Fn. 39, sieht Kulturgut im Regelfall im Anstaltsgebrauch und nur ausnahmsweise im Verwaltungsgebrauch. Diese Ausnahme sei etwa gegeben bei „Archiven, wenn sie ausschließlich der Verwaltung für die Erfüllung ihrer Aufgaben dienen“; für sie sind daher auch laufende Archive Kulturgut. 65 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz BArchG) vom 6. Januar 1988, BGBl. I, S. 62; vgl. Siegfried Becker/Klaus Oldenhage, Bundesarchivgesetz. Handkommentar, Baden-Baden 2006. Die Anbietungsund Übergabepflicht der Bundesstellen nach § 2 BArchG betrifft Unterlagen von „bleibendem Wert“. Dieser „bleibende Wert“ wird gemäß § 3 BArchG vom Bundesarchiv festgestellt. 66 Vgl. Becker/Oldenhage (Fn. 65), § 3 Rn. 10.
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Regel von Gesetz wegen als dauernd aufzubewahren eingestuft und unterliegen daher keiner archivischen Bewertung“.67 Zudem behalten auch als archivwürdig eingestufte und aus den Registraturen an die zuständigen Archiveinrichtungen abgegebene Unterlagen, wie besonders Fitschen betont, zumindest potentiell die Bedeutung, die sie auch bei ihrer Entstehung und Aufbewahrung im laufenden Geschäftsgang hatten.68 Diesen Aspekt der fortdauernden rechtlich-administrativen Funktion von Dokumenten hob im Jahr 1978 auch ein Bericht der UNESCO hervor.69 Bedjaoui und die UN-Völkerrechtskommission legten Gewicht auf eine präzise Abgrenzbarkeit von Archivgut einerseits zu (weiteren) Gegenständen von kultureller und historischer Bedeutung andererseits – auf solche „bjets d'art“ wären die Vorschriften der Konvention für die Staatennachfolge in das Staatsvermögen und nicht die speziellen Regeln zu den Archiven anzuwenden.70 Anderes Kulturgut als Archive erfährt folglich nach der WK 83 keine gesonderte Behandlung, sondern fällt unter die übrigen Aktiva des Staates. Im Kriegsrecht ist diese Abgrenzung anders: Im Kriegsrecht gelten keine speziellen Regeln zum Schutz von Archiven. Die Haager Landkriegsordnung von 1899/1907 stellt allenfalls historische Archive unter besonderen Schutz; ähnliches gilt für die Haager Konvention aus dem Jahr 1954 zum Schutze der Kulturgüter im Falle eines bewaffneten Konflikts. Archivgut wird also nur besonders geschützt, soweit es als Kulturgut gilt.71 Es sei nochmals betont, dass von den Verfassern der WK 83 (die allerdings sachlich auf die Regelung des Schicksals staatlicher Archive – und zwar im Fall der Staatennachfolge – beschränkt ist) kein Unterschied zwischen Registraturgut und Archiven von historischer und kultureller Bedeutung gemacht wird. Dieser weite Sprachgebrauch findet sich bereits in Art. 1 Abs. 1 lit. k des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963.72 Dort umfasst der Ausdruck „konsularische Archive“ alle Papiere, ___________ 67 Martin Stürzlinger, „Die Bedeutung von Personenstands- und Heimatrechtsunterlagen für die archivische Bewertung“, Scrinium 59 (2005), S. 40. 68 Fitschen (Fn. 32), S. 39. 69 Ziff. 9 des “Report [20C/102] of the Director-General on the study regarding problems involved in the transfer of documents from archives in the territory of certain countries to the country of their origin”, abgedruckt in: Proceedings of the International Conferences of the Round Table on Archives XXIX CITRA - Mexico 1993, XXX CITRA - Thessaloniki 1994, XXXI CITRA - Washington 1995 (zitiert wird nach der englischen Fassung, deren Paginierung geringfügig von der französischen abweicht), Dordrecht 1998, S. 235 ff.; Grimsted (Fn. 30), S. 499 ff. 70 Report of the ILC on the work of its 31st session, YBILC 1979, II, 2, S. 81, Nr. 6. 71 Vgl. dazu Heike Spieker, “The Protection of Cultural Property”, in: FS Knut Ipsen, München 2000, S. 357 (359 Fn. 14, 15). 72 BGBl. 1969 II, S. 1587.
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Schriftstücke, Korrespondenzen, Bücher, Filme, Tonbänder und Register der konsularischen Vertretung sowie die Schlüsselmittel und Chiffriergeräte, die Karteien und die zum Schutz oder zur Aufbewahrung derselben bestimmten Einrichtungsgegenstände.73 Auch die bereits erwähnte Vereinbarung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens vom 29. Juni 200174 behandelt, wie gesagt, Archive (historische und laufende) gesondert vom übrigen Staatsvermögen und damit auch gesondert vom (sonstigen) Kulturgut des Vorgängerstaates. Art. 3 Abs. 1 von Annex A sieht den Übergang des im Gebiet des jeweiligen Sukzessors belegenen beweglichen Staatsvermögens auf diesen vor. Art. 3 Abs. 2 nimmt davon bewegliche Sachen von besonderer Bedeutung für das kulturelle Erbe eines Nachfolgestaates, darunter auch bestimmte historische Archive, aus: “Paragraph (1) of this Article does not apply to tangible movable State property of great importance to the cultural heritage of one of the successor States and which originated from the territory of that State, such as: [...] important collections of books or archives which shall pass to that State. Such property shall be identified by the successor State concerned as soon as possible, but not later than 2 years after the entry into force of this Agreement.” (Das Abkommen trat am 2. Juni 2004 in Kraft.) Ob die Aufnahme „wichtiger“ historischer Archiv-Sammlungen in eine Bestimmung des Annex A ein Redaktionsversehen ist oder nicht, kann hier dahinstehen, jedenfalls ist Annex D die speziellere Regelung, und für andere als diese für einen bestimmten Nachfolgestaat „wichtigen“ Sammlungen, also auch für weniger wichtige historische Archive, gilt ausschließlich Annex D des Übereinkommens.
b) Staatliches und nicht-staatliches Archivgut Besonderen völkerrechtlichen Schutz in der Staatennachfolge, wenn auch nicht aufgrund der WK 83, die sich auf staatliches Gut beschränkt, genießen Archive gegebenenfalls auch dann, wenn sie bei nicht-amtlichen Stellen angefallen sind und nicht (oder noch nicht) in amtliche Sammlungen eingegliedert wurden (also nach dem Recht des jeweiligen Staates nicht „staatlich“ und möglicherweise auch nicht „öffentlich“ sind). Dass die Differenzierung zwischen privaten und staatlichen (öffentlichen) Archiven problematisch ist, hob der erwähnte Bericht der UNESCO bereits im Jahr 1978 hervor: “In discussions of archival claims a distinction is sometimes made between public and private ar___________ 73 Vgl. Luke T. Lee, Consular Law and Practice, 2. Aufl., Oxford 1991, S. 424 ff.; B. Sen, A Diplomat's Handbook of International Law and Practice, 3. Aufl., Den Haag 1988, S. 288 f. 74 ILM 41 (2002), S. 3.
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chives. This is a legal distinction that not only differs substantially from State to State, but that has undergone change from time to time in the same State. Furthermore, in some States, archives that were once regarded as private have been or are now accorded the status of official records, for example, church registers of births, marriages and deaths that have been used to establish citizenship rights or eligibility for certain public benefits. ”75 Gerade an dem von der UNESCO hier besonders hervorgehobenen Beispiel kirchlicher Register über Geburten, Eheschließungen und Todesfälle wird die Fragwürdigkeit einer scharfen Trennung deutlich. Dies belegt auch die kontrovers geführte Diskussion der Jahre 2001/2002 um die Vereinbarung der katholischen deutschen Bischöfe mit dem polnischen Episkopat über die Abgabe von ostdeutschen Kirchenbüchern aus der Zeit bis 1945 an Polen.76 Nach dem Ende der DDR stellte sich bei den Archiven der DDR-Parteien und Massenorganisationen die Frage nach deren Qualifikation als „nichtstaatlich“ oder „staatlich“. Anders als bei den Archiven der überkommenen bundesdeutschen Parteien und politischen Organisationen war in der kommunistischen Rechtsordnung der DDR – insoweit vergleichbar mit der Sowjetunion – die Partei ein Staatsorgan. Daher war nach der Wende von 1989/90 eine besondere Regelung für das Archivgut der SED, aber auch der anderen Parteien und Massenorganisationen erforderlich. Eine erste – unvollständige – Regelung des Schicksals der DDR-Archive erfolgte durch die Anlage I zum Einigungsvertrag. In Kapitel 2 fand sich eine Ergänzung zum Bundesarchivgesetz. Die überkommene Legaldefinition des § 2 Abs. 8 BArchG77 wurde folgendermaßen neugefasst: „(8) Unterlagen im Sinne dieses Gesetzes sind Akten, Schriftstücke, Karten, Pläne sowie Träger von Daten-, Bild-, Film-, Ton- und sonstigen Aufzeichnungen, die bei den in Abs. 1 genannten Stellen des Bundes, bei Stellen der Deutschen Demokratischen Republik, bei Stellen der Besatzungszonen, des Deutschen Reiches oder des Deutschen Bundes erwachsen oder in deren Eigentum übergegangen oder diesen zur Nutzung überlassen ___________ 75 Report [20C/102], in: CITRA 1993-1995, S. 235 (238). Siehe dazu auch im nächsten Abschnitt (zu Art. 20 WK 83). 76 Vgl. etwa Hartmut Sander, „Zur Rechtsproblematik der katholischen Ostkirchenbücher“, Der Archivar 56 (2003), 43, wonach die Kirchenbücher zwar „kirchliches Eigentum“ seien, aber „nicht nur Kirchengut, sondern auch Kulturgut und insofern eingeschränktes Eigentum“. 77 Was Archivgut bzw. Unterlagen im Sinne des Bundesarchivgesetzes sind, definierte § 2 Abs. 8 in der Fassung vor Inkrafttreten der einigungsvertragsbedingten Änderung folgendermaßen: „Unterlagen im Sinne dieses Gesetzes sind Akten, Schriftstücke, Karten, Pläne sowie Träger von Daten-, Bild-, Film-, Ton- und sonstigen Aufzeichnungen, die bei den in Abs. 1 genannten Stellen des Bundes, bei Stellen der Besatzungszonen, des Deutschen Reiches oder des Deutschen Bundes erwachsen oder in deren Eigentum übergegangen oder diesen zur Nutzung überlassen worden sind.“
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worden sind.“78 (Für Stasi-Unterlagen galten und gelten bis heute besondere Maßgaben.79) In der amtlichen Erläuterung zu der einigungsbedingten Änderung des § 2 Abs. 8 BArchG heißt es: „Das Archivgut zentraler Stellen der Deutschen Demokratischen Republik ist auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten. Die Regelung in § 2 Abs. 8 Bundesarchivgesetz stellt klar, dass Unterlagen zentraler Stellen der Deutschen Demokratischen Republik ebenfalls unter das Gesetz fallen.“80 Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bundesarchivgesetzes auf diejenigen Unterlagen, welche bei den „zentralen Stellen der DDR“ entstanden sind, betraf allerdings nur im engeren Sinne staatliche Stellen der ehemaligen DDR. Nicht erfasst waren von dieser Definition Unterlagen, die bei anderen Institutionen, wie dem zentralen Parteiarchiv der SED, den Blockparteien81 und den Massenorganisationen82, bei Wahrnehmung staatlicher Aufgaben angefallen sind.83 Erst mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes vom 13. März 199284 wurden auch die zuletzt genannten Institutionen einbezogen. Der neue § 2 Abs. 9 BArchG stellte den Eigentumsanspruch des Bundes auf alle in der ehemaligen DDR bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben entstandenen Unterlagen klar85, und der während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte neue § 2a BArchG sah die Übernahme der Unterlagen von zentralen Stellen nach § 2 Abs. 9 BArchG durch eine unselbständige Stiftung des öffentlichen Rechts („Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“) vor.86 Der Bund wurde damit zwar Eigentümer aller Unterlagen, die bei Wahrneh___________ 78
EinigungsV Anlage I, Kapitel 2, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 Buchst. a. EinigungsV Anlage I, Kapitel 2, Sachgebiet B, Abschnitt II, Nr. 2 Buchst. b; vgl. dazu Becker/Oldenhage (Fn. 65), § 2 Rn. 79. 80 Erläuterung wiedergegeben bei Stern/Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag, München 1990, S. 219. 81 Einen Überblick zu den Blockparteien gibt Peter Joachim Lapp, Die „Befreundeten Parteien“ der SED, Köln 1988. 82 Siehe dazu den Artikel „Massenorganisationen“, in: DDR-Handbuch, 3. Aufl., Köln 1985, S. 876 f. 83 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen für diese Tätigkeit vgl. Bertram Raum, „Die Regelung der Benutzung und Aufbewahrung der Unterlagen der SED, der Blockparteien und der Massenorganisationen der ehemaligen DDR“, DtZ 1992, S. 105 (106). 84 BGBl. 1992 I, S. 506; vgl. dazu Hermann Weber, „Immer noch Probleme mit Archiven“, Deutschland-Archiv 1992, S. 580. 85 Vgl. Raum (Fn. 83), DtZ 1992, S. 105 ff. 86 Strittig blieb die Zuweisung der Unterlagen lokaler Gliederungen der SED etc., die nicht an die kommunalen Archive in den neuen Bundesländern erfolgte; vgl. dazu Hans-Joachim Hecker, „Zur Rechtslage der Archivierung von Unterlagen der SED, übrigen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR auf örtlicher Ebene“, Der Archivar 47 (1994), Sp. 764-768. 79
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mung öffentlicher Aufgaben durch die zentralen Stellen der Parteien und Massenorganisation der DDR anfielen; § 2 Abs. 9 BArchG blieb aber auslegungsfähig dahin, ob es im Einzelfall um die Wahrnehmung derartiger staatlicher Aufgaben ging. Besonders im Hinblick auf den Dokumentenbestand des Zentralen Parteiarchivs der SED, „eines der größten Archive Europas zur Geschichte der Arbeiterbewegung mit Dokumenten seit 1830“87, war die Subsumtion unter diese Vorschrift im Einzelfall nicht immer einfach. Im Dezember 1992 einigten sich daher der Parteivorstand der PDS als Nachfolgepartei der SED und das Bundesinnenministerium darauf, das Zentrale Parteiarchiv der SED/PDS in die unselbständige Stiftung beim Bundesarchiv zu überführen.88 Auf der Grundlage des § 2 Abs. 9 BArchG übernahm diese Stiftung zugleich das Archivgut von 80 Parteien und Massenorganisationen der DDR, so etwa der FDJ.89 Die Übernahme erfolgte ausdrücklich unbeschadet der „unterschiedlichen eigentumsrechtlichen Auffassungen“.90
c) Die Gründe der Annäherung von Archivgut an das völkerrechtliche Kulturgüterregime Eine generelle Aufsicht des Staates auch über nicht-staatliche Archivalien, wie sie seit dem Ende des Ersten Weltkriegs von den deutschen staatlichen Archivaren gefordert wurde91, ließ sich nicht durchsetzen. Es ging dabei einmal um Privatarchive im weitesten Sinne, unter Einschluss von Adels- und Familienarchiven, sowie (sieht man vom Sonderfall DDR einmal ab) der Archiven von Vereinen, Parteien, Gewerkschaften, Verbänden usw.92, zum anderen aber auch um kirchliche Archive. Allerdings stehen nicht nur in Deutschland93 auch „private“ Archive unter mehr oder weniger strenger staatlicher Kontrolle.94 Sie ___________ 87
„Parteiengeschichte ins Archiv: Nachlaß von SED und PDS“, Frankfurter Allgemeine vom 15. Dezember 1992, S. 31. 88 Siehe „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“, Der Archivar 46 (1993), Sp. 298 f.; der Einbringungsvertrag des Bundesarchivs mit der PDS vom 29. Dezember 1992 ist erstmals veröffentlicht bei Becker/Oldenhage (Fn. 65), Anhang E (S. 137 ff.). 89 „FDJ-Akten ins Bundesarchiv“, SZ vom 24./25./26./27. Dezember 1992, S. 5; wie beim Parteiarchiv der SED wurde auch mit der FDJ-Nachfolgeorganisation „fdj“ eine pauschale Übernahme des Archivs der ehemaligen DDR-Jugendorganisation vereinbart. 90 „Parteiengeschichte ins Archiv“, Frankfurter Allgemeine vom 15. Dezember 1992. 91 Zu den Bemühungen der staatlichen Archive um ein Archivalienschutzgesetz in Deutschland 1921-1972 vgl. Reimann, Kulturgutschutz und Hegemonie, passim. 92 Reimann, ebd., S. 6. 93 Dazu näher im nächsten Abschnitt. 94 Vgl. dazu Wladyslaw Stepniak (Hrsg.), The Private Archives and the Archival Materials in the Central and East European Countries, Warschau 1999. Der Sammel-
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greift besonders dann ein, wenn Archivstücke, die als Teil des „kulturellen Erbes“ gelten, außer Landes geschafft werden sollen.95 Auch in Bezug auf solche nichtstaatliche Bestände stellen übrigens Änderungen der Gebietszuordnung eine besondere Herausforderung dar. Es können sich insbesondere im Fall des Staatszerfalls Fragen der korrekten Zuordnung stellen.96 Allerdings ist privates Archivgut nicht notwendigerweise Teil des kulturellen Erbes, zu dem ja auch private Bibliotheken und Museen zählen. Wie bereits angedeutet, wird im archivrechtlichen Schrifttum häufig Archiven generell die Funktion von Kulturgut zugeschrieben.97 So publizierte das Mitteilungsblatt der deutschen Archivare, Anfang 2006 drei Aufsätze zum Thema „Archivgut als bewegliches Kulturgut“.98 Der Klassifizierung von Archiven als Teil des Kulturgutes scheinen sich dabei Udo Schäfer99 und Klaus Oldenhage100 uneingeschränkt anzuschließen, während Kerstin Odendahl in ihrem Beitrag immerhin konzediert, dass nicht alle Archivalien Kulturgut sind.101 Besonders der Beitrag von Oldenhage macht deutlich, worum es den Befürwortern einer normativen Erweiterung des Kulturgutsbegriffs und der Angleichung von Archiven an oder ihrer Gleichsetzung mit Kulturgut geht: Mit der ___________ band enthält die Beiträge einer Tagung aus dem Jahr 1998, die teils auf Englisch, teils mit englischer Zusammenfassung veröffentlicht wurden; es geht um die staatlichen Kontrollmechanismen zur Sicherung an sich „privaten“ Archivguts in verschiedenen Ländern Ost- und Mitteleuropas. 95 Siehe Bautier (Fn. 33), S. 52 ff. 96 Vgl. Alfred Ogris, „Der Archivaustausch zwischen Kärnten und Slowenien“, Scrinium 57 (2003), S. 88 (91, 98 f.): Die nach österreichischem Recht als Privateigentum zu qualifizierenden Archivalien des Geschichtsvereins für Kärnten konnten in die von Ogris beschriebene im Jahr 2001 erzielte „pragmatische Lösung“ zwischen Kärnten und Slowenien einbezogen werden, und zwar „dank der großzügigen Haltung des Geschichtsvereins“ (S. 98), der auf die Archivalien zugunsten des Kärntner Landesarchivs verzichtete (ebd., Fn. 34). 97 Anders verhält es sich in eher kulturverfassungs- und kulturverwaltungsrechtlichen Abhandlungen, wo häufig Archive gar nicht erwähnt werden. Vgl. etwa Karl-Peter Sommermann „Kultur im Verfassungsstaat“, VVDStRL 65 (2006), S. 7-50: In seiner lesenswerten Darstellung, in der der Verf. sowohl unter inhaltlichen als auch unter kompentiellen Gesichtspunkten umfassend auf die Stellung und den Stellenwert der Kultur im deutschen Bundesstaat eingeht, wobei er besonders den Aspekt der Pflege des kulturellen Erbes (S. 30 ff.) und auch die Erinnerungskultur (S. 36) anspricht, erwähnt er die Archive an keiner Stelle. 98 So die Sammelüberschrift über drei Beiträgen in Der Archivar 59 (2006), S. 19 ff. 99 Udo Schäfer, „Ziel einer Reform des Kulturgüterschutzrechts aus der Perspektive der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder ein Positionspapier. Einführung und Textabdruck“, Der Archivar 59 (2006), S. 19 ff. 100 Klaus Oldenhage, „Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes“, Der Archivar 59 (2006), S. 21 ff. 101 Kerstin Odendahl, „Das Normensystem zum Schutz von Kulturgütern in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von Archivgütern“, Der Archivar 59 (2006), S. 23 (24). Vgl. auch Odendahl (Fn. 7), S. 340-345.
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Subsumtion von Archivgut unter das kulturelle Erbe ist eine Intensivierung des rechtlichen Bestandsschutzes von Archiven bezweckt.102 Es gibt einerseits gute Gründe für die im deutschen archivrechtlichen Schrifttum teilweise propagierte Subsumtion öffentlicher Archive unter den Kulturgutsbegriff, andererseits ist die Gleichsetzung nicht unproblematisch. Die Motive der an der Diskussion Beteiligten Archivare und Juristen können nur zutreffend gewürdigt werden, wenn man sich zunächst über die rechtliche Ausgangslage (insbesondere in Deutschland) Klarheit verschafft. De lege lata fällt in Deutschland allenfalls privates Archivgut unter den Schutzbereich des Bundes-Kulturgutschutzgesetzes103, dessen § 10 ein „Verzeichnis national wertvoller Archive“ vorsieht.104 Die Ausfuhr von Archivgut, das in diesem Verzeichnis eingetragen ist, bedarf einer Genehmigung. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Kulturgüterschutz ergab sich aus Art. 74 Nr. 5 GG („Schutz deutschen Kulturgutes gegen die Abwanderung ins Ausland“) in der bis 1994 geltenden Fassung.105 Kritik an dieser Zuständigkeit des Bundes ist eher vereinzelt geblieben. So hat Roman Herzog im Jahr 1991 die in Art. 74 Nr. 5 a.F. geregelte Bundeskompetenz als „im deutschen Föderalismus überhaupt nicht notwendig“106 bezeichnet. Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994107 wurde die konkurrierende Kompetenz in Art. 74 Nr. 5 GG a.F. in eine bloße Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 GG (in der bis zum 31.8.2006 geltenden Fassung) überführt. Dazu heißt es in der Kommentierung der Vorschrift durch Christian Pestalozza, Streit habe das Vorhaben offenbar zu keiner Zeit ausgelöst: „Der Gegenstand lohnte ihn wohl nicht“.108 Dies mag für die Beratungen ___________ 102
Vgl. auch Klaus Oldenhage, „Archivgut als Gegenstand des Kulturgutschutzes“, in: Mußgung/Roellecke (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes – Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, Heidelberg 1998, S. 51 ff.; Reinhard Mußgnug, „Museums- und Kulturgut als res extra commercium?“, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Heidelberg 1994, S. 199 ff. 103 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KgSchG) vom 6.8.1955, neugefasst durch Bekanntmachung vom 8.7.1999, BGBl. I, S. 1754, zitiert nach der zuletzt durch Art. 71 Abs. 5 des Ges. v. 29.10.2001 (BGBl. I, S. 2785) geänderten Fassung. Siehe dazu den Kommentar von Bernsdorff/Klein-Tebbe zum Kulturgüterschutzgesetz aus dem Jahr 1996. 104 Zur verfassungsrechtlichen Problematik in Hinblick auf Art. 14 GG vgl. Jörg Sprecher, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Zürich 2003, S. 36 ff. 105 Vgl. Anette Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, Berlin 2000, S. 67. 106 Roman Herzog, „Mängel des deutschen Föderalismus“, BayVBl. 1991, S. 513 (515). 107 BGBl. 1994 I, S. 3146. 108 In: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. 8, München 1996, Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 GG, Rn. 635.
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im Parlament gelten. Ganz allgemein wurde jedoch die Reduzierung auf eine Rahmenkompetenz (Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 GG) kritisiert und als „verfehlt“109 bezeichnet. Reinhard Mußgnug meinte gar zur Reform im Jahr 1994, wer zu gemäßigter Rede unfähig sei, gerate in die Gefahr, die Regelung zum Kulturgüterschutz eine „föderalistische Eselei“110 zu nennen. Während der Zeit der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, vom 15.11.1994 bis zum 31.8.2006, galt das Kultugutschutzgesetz nach Art. 125a Abs. 1 GG111 fort, hätte aber in einzelnen Bundesländern jeweils durch Landesrecht ersetzt werden können, um dann lediglich im restlichen Bundesgebiet als partikulares Bundesrecht fortzugelten. Vor dem 1.9.2006 erging jedoch kein entsprechendes Landesrecht.112 Das Kulturgutschutzgesetz des Bundes galt also unbeschadet des Wegfalls der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz über den 15.11.1994 hinaus uneingeschränkt fort. Der Bundesgesetzgeber war nach dem erwähnten Art. 125a Abs. 1 GG auch nicht zu einer entsprechenden Novellierung des Gesetzes, etwa zu seiner Beschränkung auf Rahmenvorschriften, gehalten. Vielmehr behielt der Bund insoweit auch die Kompetenz zur Fortschreibung und Anpassung des Kulturgutschutzgesetzes an geänderte Verhältnisse (etwa zur Umsetzung von EG-Richtlinien) „unter Erhalt der wesentlichen Elemente“.113 Mit der Föderalismusreform des Jahres 2006 erhielt der Bund die ausschließliche Kompetenz (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG in der seit dem 1.9.2006 geltenden Fassung).114 Das Kultugutschutzgesetz regelt gesondert „Kunstwerke und anderes Kulturgut (außer Archivgut)“ (so die amtliche Überschrift zum Ersten Abschnitt, §§°1-9 KgSchG) und „Archivgut“ (Zweiter Abschnitt, §§ 10-15 KgSchG). Aus der Überschrift zum Ersten Abschnitt kann man darauf schließen, dass der Gesetzgeber das Archivgut – zumindest grundsätzlich – zum Kulturgut gezählt hat.115 ___________ 109
So etwa Hipp (Fn. 105), S. 298, mit weiteren Nachweisen in Fn. 9. Reinhard Mußgnug, „Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz“, in: Mußgung/Roellecke (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes, S. 11. 111 Das ist nicht ganz unumstritten (manche Autoren halten hier, wenig überzeugend, Art. 125a Abs. 2 GG für einschlägig); wie hier bereits 1996 Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Rn. 640, und Hans D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl., München 2006, Art. 125a Rn. 2. 112 Vgl. Odendahl (Fn. 7), S. 307. 113 Vgl. Jarass (Fn. 111), Art. 125a Rn. 3. 114 Vgl. Ernst-Rainer Hönes, „Die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14. November 1970“, BayVBl. 2006, S. 165. 115 Sehr vorsichtig Bernsdorff/Klein-Tebbe, (Fn. 55), § 1 Rn. 1, wo es heißt, „nur grundsätzlich“ zähle das Gesetz Archivgut zum Kulturgut. Eindeutig im Sinne eines umfassenden Kulturgutbegriffs äußern sich die Autoren bei der Kommentierung zu § 18 110
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Archivgut mit wesentlicher Bedeutung116 für die deutsche politische, Kulturund Wirtschaftsgeschichte im Sinne von § 10 KgSchG117 fällt unter den Schutz des Kulturgutschutzgesetzes, wenn es die Schutzvoraussetzungen des § 10 KgSchG erfüllt, also in ein Verzeichnis „national wertvoller Archive“ eingetragen worden ist.118 Dieses Verfahren der Eintragung ist, wie gesagt, lediglich für privates Archivgut vorgesehen. Das Kulturgutschutzgesetz schütze, so Becker und Oldenhage in ihrem Kommentar zum Bundesarchivgesetz, „öffentliches Archivgut bisher leider nicht“.119 Auf national wertvolles Kultur- und Archivgut im öffentlichen Eigentum findet das Kulturgutschutzgesetz nach § 18 KgSchG keine Anwendung.120 Ebenso wenig eintragungsfähig ist nach § 19 KgSchG Kultur- und Archivgut, „das im Eigentum der Kirchen oder einer anderen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaft sowie deren kirchlich beaufsichtigten Einrichtungen und Organisationen steht, soweit durch eigene öffentlich-rechtliche Vorschriften die Veräußerung wertvollen Kultur- und Archivgutes von der Genehmigung einer aufsichtsführenden kirchlichen Stelle oder auf Grund gesetzlicher Vorschriften von der Genehmigung einer staatlichen Stelle abhängig gemacht worden ist.“121 Die Behandlung des Archivguts war während der Ausarbeitung des Kulturgutschutzgesetzes einem Wandel unterworfen. Im Regierungsentwurf für das Gesetz sollten Kulturgut und Archivgut wegen der „Besonderheit und kulturellen Funktion des dem Gesetz unterstellten einzelnen Kulturgutes“122 unterschiedlichen Regelungen unterworfen werden. Es war vorgesehen, die Ausfuhr allen Archivguts von einer Genehmigung abhängig zu machen, wobei lediglich Verpflichtungen auf Grund internationaler Verträge durch dieses Gesetz unberührt bleiben sollten.123 Bei der begrifflichen Trennung und bei dem vorgesehenen besonderen Schutzsystem ging der Entwurf davon aus, dass Archivgut weniger oft Handelsgegenstand sei und „seiner Natur nach mehr einen öffentli___________ Rn. 1 und zu § 19 Rn. 4. In diesen beiden Vorschriften ist jeweils von „Kulturgut und Archivgut“ die Rede, was von den Autoren kritisiert wird: Der gesonderten Erwähnung des Archivgutes hätte es nicht bedurft, denn das Gesetz verwende den Begriff „Kulturgut“ für beides. 116 Zur „wesentlichen Bedeutung“ vgl. Bernsdorff/Klein-Tebbe (Fn. 55), § 10 Rn. 15. 117 Zur Definition des Begriffs „Archivgut“ siehe Hipp (Fn. 105), S. 78; Bernsdorff/Klein-Tebbe, (Fn. 55), § 10 Rn. 2, 5 ff. 118 Zur Eintragung und den verfahrensrechtlichen Aspekten vgl. Hipp (Fn. 105), S. 79-87. 119 Becker/Oldenhage (Fn. 65), § 1 Rn. 14. 120 Vgl. Hipp (Fn. 105), S. 97 f. 121 Vgl. Bernsdorff/Klein-Tebbe (Fn. 55), § 15; Hipp (Fn. 105), S. 99 f. 122 Amtl. Begr. des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 2/76, Anl. 1, S. 6), zitiert nach Bernsdorff/Klein-Tebbe (Fn. 55), § 10 Rn. 1. 123 § 17 Abs. 2 des Entwurfs (= § 15 KgSchG).
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chen Charakter“ besitze124. Diese begriffliche Trennung bezeichnete etwa Hönes als „nicht sachgerecht“.125 Im Gegensatz zum Entwurf geht die Gesetz gewordene Regelung, nach der auch Archivgut – wie (anderes) Kulturgut – in ein Verzeichnis aufzunehmen ist, dann auch von einer anderen Konzeption aus. Ob dies wirklich „sachgerecht“ ist, erscheint doch eher zweifelhaft. Das Archivgut im öffentlichen Eigentum, d.h. der Archivbesitz des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften, ist nach § 18 KgSchG vom sachlichen Anwendungsbereich des Kulturgutschutzgesetzes ausgenommen, weil der Gesetzgeber bei öffentlichem Archivgut die Abwanderungsgefahr aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bindungen als eher gering ansah.126 Zwar ist die Skepsis von Oldenhage127 an dieser Einschätzung des Gesetzgebers durchaus gerechtfertigt, auch wenn es bei den von ihm angeführten Beispielen zumeist um bloß versuchte, gescheiterte Übertragungen einzelner Archivstücke aus öffentlichen Archiven (zum Teil allerdings bloß innerhalb Deutschlands!) ging. Aber mehr noch als um den Aspekt der Unveräußerlichkeit von Archivstücken nach Maßgabe des Zivilrechts geht es wohl um den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs und um die Unverjährbarkeit: Es sollte (und das grenzüberschreitend) gewährleistet werden, dass entwendete Dokumente weder gutgläubig erworben noch ersessen werden können; die Vindikation sollte zeitlich uneingeschränkt zulässig sein, und zwar auch bei privaten Archiven, wie dies etwa in Frankreich der Fall ist: Archive öffentlich-rechtlicher Körperschaften zählen nach dem französischen Archivgesetz vom 3. Januar 1979 zum domaine public; anders als öffentliche Archive gehören private Archive nicht zum domaine public, sie sind damit zwar – zumindest grundsätzlich – veräußerlich, aber sie sind ebenfalls unverjährbar. Es ist also auch bei historischen Dokumenten aus Privatarchiven kein gutgläubiger Erwerb und keine Ersitzung möglich.128 ___________ 124
BT-Drs. 2/76, Anl. 1, S. 10. Ernst-Rainer Hönes, Kommentar zum Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, in: Stich/Burhenne, Denkmalrecht des Bundes und der Länder, Stand 15. Lfg. (1990), Kz. 420 S. 12; es sei hier besonders auf die Unanwendbarkeit des § 7 KgSchG auf Archivgut hingewiesen. § 7 KgSchG regelt die Rückgängigmachung einer Eintragung von Kulturgut in das entsprechende Verzeichnis. Demnach wäre eine „Entwidmung“ von einmal eingetragenem Archivgut mangels Anwendbarkeit des § 7 allenfalls nach § 49 VwVfG möglich. Allerdings erscheint es fragwürdig, ob angesichts der Spezialregelung in § 7 KgSchG eine Entwidmung nach den Grundsätzen des Widerrufs eines Verwaltungsaktes möglich wäre. Jedenfalls spricht § 1 Abs. 2 S. 1 VwVfG wohl gegen einen Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht (sei es des Bundes oder auch der Länder). 126 Vgl. Hipp (Fn. 105), S. 97 f. 127 Oldenhage (Fn. 102), S. 52. 128 Vgl. Weidner (Fn. 64), S. 51. 125
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Im Gegensatz hierzu ist die Rechtslage in Deutschland129 aus der Sicht der Archivare tatsächlich unbefriedigend. Im Jahr 1914 ließ es das Reichsgericht noch dahingestellt sein, ob Stücke aus öffentlichen preußischen Archiven überhaupt gutgläubig erworben werden können bzw. der Ersitzung unterworfen sind.130 Für die heutige Rechtslage und für den mangelhaften Schutz de lege lata ist der Hamburger Stadtsiegelfall exemplarisch.131 Wären Archivstücke vom gutgläubigen Erwerb ausgeschlossen, hätte das Siegel vom Erwerber an das Stadtarchiv Hamburg zurückgegeben werden müssen. EU-weit ist die Restitution illegal ausgeführter Kulturgüter durch die Richtlinie 93/7/EWG132 geregelt. Unter den Kulturgutsbegriff der Richtlinie fallen gegebenenfalls private, keinesfalls öffentliche Archive, denn diese können gemäß § 18 KgSchG nicht in das Verzeichnis national wertvoller Archive eingetragen werden. Dies wird von den Verfechtern der Gleichsetzung von Archivgut mit Kulturgut als „unbefriedigend“133 bezeichnet. Gegenüber dem derzeitigen Schutzniveau von Archiven in Deutschland brächte die Einbeziehung öffentlicher Archive in das Kulturgutschutzgesetz und damit ihr gesteigerter europaweiter Schutz sowie die Umsetzung der Unesco-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Ilicit Import, Export and Transfer of Cultural Property vom 14. November 1970134 und der Unidroit-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995135 sicherlich eine Verbesserung. Dennoch sind Zweifel daran erlaubt, ob nicht mit der Rückkehr zur Einstufung von staatlichen Archiven als öffentliches Eigentum (wie dies bekanntlich gegenwärtig in Frankreich, aber – nach dem Testo Unico dei Beni Culturali vom 29. Oktober 1999 – auch in Italien der Fall ist136) mehr erreicht würde. ___________ 129
Stand: Oktober 2006. RG III. 11/14 vom 24. April 1914, zitiert nach Peters, „Die Ersitzbarkeit von Gegenständen öffentlichrechtlichen Eigentums in besonderer Beziehung auf Stücke aus Archiven des Staates oder anderer öffentlichrechtlicher Körperschaften in Preußen“, VerwArch 24 (1916), S. 167 (169). 131 Zu den Einzelheiten des Falls vgl. Weidner (Fn. 64), S. 293 ff. 132 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993, abgedruckt bei Bettina Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROITKonvention, Berlin 2005, S. 358; zu ihrer Umsetzung siehe ebd., S. 50 ff. 133 Odendahl (Fn. 101), S. 27. 134 Abgedruckt bei Thorn (Fn. 132), S. 339. Vgl. dazu Hönes (Fn. 114), BayVBl. 2006, S. 165 ff. 135 Abgedruckt bei Thorn (Fn. 132), S. 326; vgl. dazu ebd., passim; Stefan Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, Berlin 2002, S. 147 ff. 136 Vgl. Weidner (Fn. 64), S. 65, Fn. 141, und S. 70. 130
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Besonders skeptisch in Hinblick auf die Folgen einer Unterstellung von Archivgut unter die Regeln der Unidroit-Konvention äußerte sich bereits 1995 der Internationale Archivrat (ICA).137 Selbst wenn man nicht in Frage stelle, dass Archive zur weiteren Kategorie des Kulturgutes gehörten, habe man doch starke Vorbehalte gegen die Anwendung der Konvention auf öffentliche Dokumente. Der ICA weist zum einen auf die zwischenstaatliche (und damit öffentlichrechtliche, also gerade nicht privatrechtliche) Natur der überwiegenden Zahl von Archivstreitigkeiten hin, zum anderen darauf, dass in den Fällen, wo nach Privatrecht zu entscheiden sei, die Konvention durch die Einführung von Verjährungsfristen legitimer Weise den Kunstmarkt schütze.138 In Bezug auf öffentliche Urkunden sei dies jedoch kaum angemessen. Die Bedenken des Archivrats scheinen allerdings bloß unter der Voraussetzung stichhaltig, dass die nationale Rechtsordnung öffentliche Archive tatsächlich als Teil des unveräußerlichen und unverjährbaren domaine public erfasst (wie etwa in Frankreich und Italien). Der Dachverband der Archivare sieht aber wohl, dass mit der Erstreckung des Kulturgüterschutzes nach der Unidroit-, aber auch nach der UNESCO-Konvention der von Völkerrechts wegen gebotene besondere Schutz der Archive ausgehöhlt wird. Ähnliche Vorbehalte werden übrigens auch von seriösen Archäologen gegen die nach der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005 geplante Umsetzung der UNESCO-Konvention in deutsches Recht vorgebracht.139 Die Bedenken an der Effizienz der Unesco-Konvention von 1970 bzw. der vorgesehenen Art ihrer Umsetzung in Bundesrecht sind aus archäologischer Sicht sicherlich ebenso begründet wie aus archivarischer – zumal ja auch der gefährdete Entstehungszusammenhang archäologischer Bodenschätze als gewachsenes „Boden-Archiv“ bezeichnet wird140; den Kritikern, welche im Beitritt Deutschland zur Unidroit-Konvention von 1995 ein effizienteres Heilmittel erblicken, wäre jedoch eine Lektüre der Stellungnahme des Internationalen Archivrats zu diesem Abkommen dringend zu empfehlen. ___________ 137
Sehr kritisch: “Opinion of the International Council of Archives relating to the Unidroit draft Convention 20 April 1995” CITRA 1993-1995, S. 206. 138 Zu den unterschiedlichen Verjährungsfristen der Art. 3 und Art. 5 der Konvention vgl. Thorn (Fn. 132), S. 158 ff. 139 So etwa Michael Müller-Karpe, „Die Hehler werden sich freuen – Zahnlos: Deutschland will Handel mit Raubkunst verbieten“, in: Süddeutsche Zeitung vom 18. Februar 2006. Die Art der im Jahr 2006 auf den Weg gebrachten Umsetzung lade zur Plünderung archäologischer Bodenschätze ein und damit zur Zerstörung ihres Entstehungszusammenhangs. Müller-Karpe ist Archäologe des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz. 140 So etwa Müller-Karpe in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 27. September 2006 (in der Sendung „Kultur heute“) zur Anhörung im Bundestag vom selben Tag.
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II. Zuordnung von Archiven bei Staatennachfolge 1. Archive und das Recht auf „Cultural Memory“ Festzuhalten ist, dass eine Qualifizierung von Archivgut als Teil des Kulturguts zu kurz greift. Während sich staatliches Archivgut von historischer Bedeutung wie anderes Kulturgut im Regelfall im Anstaltsgebrauch befindet, stehen „Archive, wenn sie ausschließlich der Verwaltung für die Erfüllung ihrer Aufgaben dienen“141, im Verwaltungsgebrauch. Archivgut ist jedenfalls von Völkerrechts wegen eine Kategorie sui generis. Trotz der gesonderten Behandlung von Archivgut in der WK 83 kann natürlich dessen kulturelle Bedeutung für die jeweilige Identität des betroffenen Gemeinwesens nicht geleugnet werden. Die WK 83 ordnet daher an verschiedenen Stellen an, dass Abkommen zwischen den betroffenen Staaten in Bezug auf Staatsarchive des Vorgängerstaates das Recht der Völker dieser Staaten auf Entwicklung, auf Information über ihre Geschichte und auf ihr kulturelles Erbe berücksichtigen sollen142. Bedjaoui sprach in diesem Zusammenhang in seinem Elften Bericht an die Völkerrechtskommission von 1979 vom „Recht auf kollektives kulturelles Gedächtnis“ („cultural memory“) und sah das Recht auf den nationalen Archivbestand im Kontext einer „Neuen Weltkulturordnung“143. Bedjaoui war vor seiner Ernennung zum ILC-Mitglied algerischer Justizminister und zeitweise Botschafter seines Landes in Paris. In beiden Funktionen hatte er sich mit Frankreich um das archivalische Erbe Algeriens auseinanderzusetzen, und dabei ist wohl sein Gespür für die besondere Problematik der Zuordnung von Archiven im Sukzessionsfall geschärft worden. “Per queste ragioni”, so der italienische Historiker Marco Mozzati, “Bedjaoui è da considerare uno dei protagonisti della 'battaglia degli archivi'”.144 Dieses Recht der Völker auf Information über ihre Geschichte und auf ihr kulturelles Erbe, das bei der Entkolonisierung, bei der Sezession und beim Staatszerfall zu beachten ist, hat – anders als die meisten Regelungen in Abschnitt 2 von Teil III der WK 83 – zwingenden Charakter. Es gilt also nicht bloß dispositiv, d.h. vorbehaltlich einer einvernehmlichen vertraglichen Lösung zwischen den betroffenen Völkerrechtssubjekten. Vielmehr haben auch Ver___________ 141 Weidner (Fn. 64), S. 292, Fn. 39; für sie sind daher allerdings auch laufende Archive Kulturgut. 142 Art. 28 Abs. 7 WK 83 (neuer unabhängiger Staat); Art. 30 Abs. 3 (Separation eines Teiles oder von Teilen eines Staates); Art. 31 Abs. 4 (Zerfall eines Staates); beim Staatenzusammenschluss (Art. 29) fehlt diese Anordnung naturgemäß. 143 Bedjaoui, Eleventh report, YBILC 1979, II, 1, S. 80.; zu den Aktivitäten der UNESCO im Interesse einer Rückführung von Archivgut vgl. Bedjaoui, Twelfth report, YBILC 1980, II, 1, S. 1 (4 f.). 144 Mozzati (Fn. 59), S. 240.
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einbarungen zwischen den beteiligten Staaten über die Archivaufteilung immer das Recht der betroffenen Völker auf ihre Geschichte zu achten. Die praktische Umsetzung des angesprochenen Rechts ethnischer Kollektive auf ihr kulturelles Erbe, welches von einer Staatennachfolge betroffen wird, erweist sich allerdings im Einzelfall häufig als problematisch. Bestritten wurde etwa polnischerseits die Zuordnung der Archive des Deutschen Ordens sowie des altpreußischen Herzogtums zu Deutschland nach 1945.145 Exemplarisch für eine missglückte und willkürliche Zuordnung historischer Archive zum kulturellen Erbe einer bestimmten Ethnie ist Art. 11 Abs. 3 des Friedensvertrags der Alliierten mit Ungarn vom 10. Februar 1947.146 Danach musste Ungarn den aus dem 18. Jahrhundert stammenden Archivbestand der Illyrischen Hof-Deputation bzw. Hof-Commission und der Illyrischen Hofkanzlei an Jugoslawien herausgeben.147 Es handelte sich hier aber um Dokumente, welche in Wien angefallen waren und seit dem 19. Jahrhundert in Budapest aufbewahrt wurden. Überdies betrafen sie auch weitgehend Gebiete und Personen außerhalb der Grenzen des späteren Jugoslawiens. Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs verkannten wohl völlig die Bedeutung des Attributes „illyrisch“. Die Wiener Behördensprache hatte im 18. Jahrhundert „illyrisch“ im Sinne einer (die Slawen in Cisleithanien und die Bevölkerung des alten Königreichs Kroatien ausschließenden) Zugehörigkeit zu den nicht mit Rom unierten Kirchen verstanden. Hingegen wurde der Begriff seit den napoleonischen Wirren allgemein mit südslawisch oder serbo-kroatisch gleichgesetzt148, und in Unkenntnis dieses Bedeutungswandels ordneten die Alliierten diesen Archivbestand irrtümlich dem Kulturerbe des neuen Jugoslawiens zu.
___________ 145
Siehe dazu am Ende des Beitrags. Friedensvertrag mit Ungarn vom 10 Februar 1947, United Nations Treaty Series, Bd. 41, S. 135 (178). Vgl. zu Art. 11 generell Bautier, „Rapport général“, S. 34, und zu Art. 11 Abs. 3 speziell die Erläuterung bei János Baracs et al., „A párisi magyar békeszerzödés és magyarázata [Der ungarische Friedensvertrag von Paris und seine Auslegung]“, in: Documenta Danubiana 3, 1947), S. 22 f. 147 Vgl. dazu Silagi, „Die internationalen Regelungen zum Archivgut der Habsburgermonarchie nach 1918: Zum Schicksal von Archiven beim Staatszerfall“, SüdostForschungen 55 (1996), S. 311 (322 f.). 148 Zu diesem Bedeutungswandel vgl. den Artikel „illirizmus“ von Peter Bán, in: Bán/Varga, Magyar törtélemi fogalomtár [Ungarisches historisches Begriffswörterbuch], Bd. 1, Budapest 1989, S. 205. 146
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2. Archiveigentum in der Staatennachfolge a) Grundsätze der Zuordnung von Archivgut im Sukzessionsfall In einer im Jahr 2000 erschienenen Abhandlung zur Staatennachfolge liest man, die Aufteilung von Archivalien bereite im Sukzessionsfall im Vergleich zum sonstigen Vermögen „des problèmes moins aigus“.149 Zum einen sei es nämlich möglich, Dokumente zu kopieren; zum anderen könne Vertretern anderer interessierter Staaten der freie Zugang zu den Archivalien eingeräumt werden. Angesichts der zahlreichen Auseinandersetzungen – nicht nur um „historische“ Sammlungen mit möglicherweise hohem immateriellem Wert – erscheint eher zweifelhaft, ob dies zutrifft. Bereits die Einräumung eines Zugangsrechts für Delegierte fremder Regierungen wird von den betroffenen Staaten keineswegs als unproblematisch angesehen. Dies macht die Haltung Ungarns zum „Übereinkommen zwischen Österreich, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, dem Königreiche S.H.S. und der Tschechoslowakei betreffend archivalische Fragen“ vom 6. April 1922150 deutlich. Dieses Ausführungsabkommen zu den Archivklauseln der Verträge von St. Germain und Trianon wurde von Ungarn nur deshalb nicht ratifiziert, weil sein Art. 2 umfassenden freien Zugang der Vertragspartner zu den ungarischen Archiven vorsah.151 Bei der Zuordnung von Archiven im Vertreibungsfall ist überdies zu unterscheiden zwischen Vertreibungen, die mit einer Staatensukzession in Bezug auf das Vertreibungsgebiet einhergingen152, und solchen, bei denen keine Änderung der völkerrechtlichen Zuordnung des betreffenden Gebietes erfolgte.153 Wie beim sonstigen Staatsvermögen geht zunächst auch die Kontrolle über die auf dem Gebiet des jeweiligen Nachfolgestaates gelegenen Archive nach dem Territorialitätsprinzip auf diesen über.154 (Besonderheiten können im Sukzessionsfall für Archive im Ausland, besonders Konsulararchive, gelten.) Bei Sezession und Staatszerfall wäre allerdings eine schematische und endgültige ___________ 149 Vgl. Sandrine Maljean-Dubois, « Le rôle de l'équité dans le droit de la succession d'états », in: Eisemann/Koskenniemi, La succession d'États: la codification à l'épreuve des faits, Den Haag 2000, S. 137 (157). 150 ÖBGBl. 1924, S. 375; vgl. Ludwig Bittner, „Die zwischenstaatlichen Verhandlungen über das Schicksal der österreichischen Archive nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns“, Archiv für Politik und Geschichte Jg. 3 N.F. (1925), Bd. 4, S. 58 (83, 93). 151 Vgl. Ferenc Eckhart, „Az osztrák levéltárügy a háború után“ [Das österreichische Archivwesen nach dem Krieg], Levéltári Közlemények [Archivalische Mitteilungen] 4 (1927), S. 20 (41). 152 Vgl. Odendahl (Fn. 7), S. 151 ff. 153 Odendahl, ebd., S. 159 ff. 154 Annie Gruber, Le droit international de la succession d'états, Brüssel 1986, S. 168.
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Aufteilung der Archive nach der Belegenheit, d.h. nach dem Territorialitätsprinzip, nicht angemessen. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf Zentralarchive. Das Schicksal zentraler Sammelstätten verdient im Fall solcher Umwälzungen spezielle Beachtung, da deren Bestand Urkunden umfasst, die aus dem gesamten betroffenen Gebiet stammen und sich auf das gesamte Gebiet beziehen. Belege für die gesonderte Behandlung des Archivguts finden sich insbesondere in nicht wenigen Friedensverträgen bzw. in Folgevereinbarungen zu Friedensverträgen.155 In der Staatenpraxis spielen Vereinbarungen über Archive in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Häufig geht es um die Rückführung von Archiven und literarischen Dokumenten, die durch Kriegsereignisse an andere Orte verbracht oder verschleppt wurden.156 Trotz einiger Überschneidungen sind davon zu unterscheiden Vereinbarungen anlässlich eines Gebietswechsels (Abtretung oder Staatszerfall).157 Bis ins 19. Jahrhundert galt bei Gebietswechsel weithin, dass der Teil der Staatsarchive, der für die normale Verwaltung von mehreren Nachfolgestaaten bzw. sowohl vom Vorgänger- als auch vom Nachfolgestaat gleichermaßen unentbehrlich war, im Eigentum des Vorgängerstaates bzw. des Sitzstaates des jeweiligen Archives blieb, der andere Staat jedoch Anspruch auf Kopien der von ihm benötigten Dokumente hatte. Ohne Rücksicht darauf, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Gebietes des Sukzessors befanden, gingen hingegen nach dem „Betreffsprinzip“ auf den Nachfolger solche Archivstücke über, die ausschließlich oder hauptsächlich dessen Gebiet betrafen.158 Dies mochte solange unproblematisch sein, als es primär um den Nachweis von Eigentumstiteln an Grund und Boden ging. Mit der Entstehung des neuzeitlichen Staates und seiner geregelten Verwaltung ging es aber nicht mehr – wie zuvor – in ers___________ 155
Vgl. die 183 Verträge mit kurzer Beschreibung des Regelungsgehalts in der “Non-exhaustive table of treaties containing provisions relating to the transfer of archives in case of succession of States” bei Mohammed Bedjaoui, “Eleventh report on succession in respect of matters other than treaties”, YBILC 1979 II, 1, S. 67 (82 ff.), wiedergegeben bei Grimstedt (Fn. 30), S. 511-530. Siehe auch Bautier (Fn. 33), S. 12 ff. 156 Bautier (Fn. 33), S. 15 f.; entsprechende Regelungen enthielt bereits der westfälische Friede - Vertrag von Münster vom 24. Oktober 1648, in: Clive Parry (Hrsg.), The Consolidated Treaty Series (CTS), Dobbs Ferry 1969 ff., Bd. 1, S. 271, (= der mit „Restituantur etiam Archiva & Documenta Literaria [...]“ beginnende Absatz [S. 307]). Vertrag von Osnabrück vom 24. Oktober 1648, Art. 11 letzter Abs., CTS Bd. 1, S. 119 (170 f.). 157 Dem entspricht die bereits erwähnte Zweiteilung bei Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 45 ff.: Zunächst geht es um die Revindikation (Restitution) von Archiven, welche von einer Besatzungsmacht während eines Krieges widerrechtlich entführt worden sind (S. 56 ff.), sodann – im zweiten Hauptteil – um Fragen der Staatennachfolge (S. 80 ff.). 158 D. P. O'Connell, State Succession in Municipal Law and International Law, Cambridge 1967, Bd. 1 (Internal Relations), S. 232 f.
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ter Linie um die Dokumentierung von Eigentumstiteln. Es entwickelte sich das Bedürfnis nach einer systematischen Aufbewahrung weiterer Urkunden159, und damit wuchs im Sukzessionsfall auch das Interesse an Vereinbarungen über das Schicksal von verwaltungsbezogenen Unterlagen160. Mit der Zeit wurde daher die Aufteilung von Dokumentbeständen bei Staatensukzession nach dem hier beschriebenen Betreffs- oder Pertinenzgrundsatz161 immer fragwürdiger. Das Pertinenzprinzip stammt eigentlich aus der Archivtheorie und meint dort nur eine bestimmte Aufbewahrungsordnung für Archivalien. Bei der Archivierung von Dokumenten stand das ältere Pertinenzprinzip im Gegensatz zu einer jüngeren Aufbewahrungsrichtline, dem Provenienzprinzip162, das auf den französischen Grundsatz der Trennung der Archivfonds zurückgeht.163 Im Recht der Staatennachfolge werden diese konträren Aufbewahrungsgrundsätze – mit leicht modifizierter Bedeutung! – auf eine etwaige Aufteilung von Archivbeständen unter mehreren Staaten angewendet. Wenn in Abhandlungen zur Staatennachfolge vom „Provenienzgrundsatz“ die Rede ist, so ist damit nicht notwendig bloß eine Zuordnung unter Anerkennung des „respect des fonds“, d.h. der Wahrung des einheitlichen Charakters von Gruppen von Staatsarchiven des Vorgängerstaates, gemeint. Häufig – und dies nicht nur im juristischen Schrifttum – geht es auch um die Beibehaltung der Zuordnung der Dokumente zu einer unbeweglichen Verwaltungseinrichtung und damit zum Ort der Aufbewahrung im Sukzessionszeitpunkt. In diesem Sinne hat etwa Ludwig Bittner den Begriff verwendet: Österreich sei es bei den Verhandlungen von 1919 gelungen, so sein Resümee der Auseinandersetzungen nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie, seine überkommenen Archivbestände weitgehend in Wien zu behalten und damit das Provenienzsystem durchzusetzen.164 Wie schon angedeutet, erfolgte im 19. Jahrhundert ein Wandel: Aufteilungen von Aktenbeständen sind seither bei zwischenstaatlichen Sukzessionsvorgängen nur ausnahmsweise erfolgt, und zwar lediglich, soweit dies zum Aufbau einer Verwaltung oder zur Fortführung der Regierungstätigkeit nötig war. ___________ 159
Siehe Ernst Posner, “Some aspects of archival development since the French Revolution”, in: ders., Archives & the Public Interest: Selected Essays, Washington 1967, S. 23 ff. 160 Vgl. Posner, “Effects of changes of sovereignty on archive”, Archives & the Public Interest, S. 168 ff. 161 Zum Pertinenzprinzip vgl. Brenneke (Fn. 53), S. 25 ff. 162 Englisch: Principle of origin. Siehe Brenneke, ebd., passim und S. 88 f. 163 Französisch: Respect des fonds; siehe Lodolini, „Respect des fonds et principe de provenance: Histoire, théories, pratiques“, La Gazette des Archives 168 (1995), S. 201 ff. Für die Aufstellung des Geheimen Staatsarchivs von Preußen wurde 1881 der Provenienzgrundsatz übernommen; vgl. Posner, “Max Lehmann and the genesis of the principle of provenance”, in: ders., Archives & the Public Interest, S. 36 ff. 164 Bittner (Fn. 150), Arch. f. Pol. u. Gesch., 1925, Bd. 4, S. 67 ff., insbes. S. 76.
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Nicht mehr die territoriale Beziehung, die sich aus dem Inhalt eines einzelnen Schriftstücks ergab, begründete dessen Zuordnung zu dem in Frage stehenden Gebiet; entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Zuordnung eines Archivkörpers, so, wie er bei einer bestimmten Behörde oder Person erwachsen ist, war vielmehr sein Entstehungsort und damit auch seine territoriale Beziehung als Ganzes.165 Man könnte hier von einer modifizierten Form des Pertinenzprinzips sprechen, die auf die Pertinenz eines Archivkörpers zu einem Gebiet und nicht darauf abstellt, worauf sich das einzelne Dokument bezieht – dem entspricht, wie noch zu zeigen sein wird, auch die WK 83.
b) Versailler Vertrag Beispielhaft für den geschilderten Wandel bei der Archivzuordnung ist die Vorgehensweise nach der Abtretung Elsaß-Lothringens an Deutschland. Aufgrund Art. 3 des Friedensvertrags zwischen Deutschland und Frankreich vom 10. Mai 1871166 erhielt das Reich nur die lokalen Archive im Abtretungsgebiet Elsaß-Lothringen und Urkunden, die von dort entfernt worden waren.167 In Archiven außerhalb des Abtretungsgebietes angefallene Urkunden waren nicht herauszugeben. Bei der Rückgabe der Gebiete an Frankreich wurde im Versailler Vertrag168 entsprechend verfahren. Nun scheint Deutschland mit Art. 52 Satz 1 FVV in Bezug auf Archive das Betreffsprinzip hingenommen zu haben. Nach Art. 52 Satz 1 FVV hatte nämlich Deutschland unverzüglich „Archive, Register, Pläne, Urkunden und Schriftstücke aller Art an Frankreich zu übermitteln, welche die Zivil-, Militär-, Finanz-, Gerichts- und sonstige Verwaltung der unter die französische Souveränität zurückfallenden Gebiete betreffen [concernant, concerning]“. Dennoch wurde Art. 52 Satz 1 FVV in der Praxis wie Art. 3 des Friedensvertrags von 1871 ausgelegt. Es waren also nur solche Akten und Archivalien auszuliefern, die bei den Verwaltungsbehörden im Abtretungsgebiet erwachsen waren169. Auch Art. 52 Satz 2 FVV170 spricht für die Richtigkeit dieser Auslegung: Wenn dort die Zurückschaffung von Schriftstü___________ 165
Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 110. Friedensvertrag von Frankfurt zwischen Deutschland und Frankreich vom 10. Mai 1871, in: CTS Bd. 143, S. 163. 167 Vgl. Posner (Fn. 160), S. 168 (175 f.). 168 Versailler Vertrag (FVV), zitiert nach RGBl. 1919, S. 687 ff. Maßgebend (d.h. „authentisch“) sind die französische und die englische Vertragsfassung; bei der im RGBl. ebenfalls wiedergegebenen deutschen Version handelt es sich lediglich um eine „amtliche Übersetzung“. 169 Vgl. Posner (Fn. 160), S. 177 f. 170 Art. 52 Satz 2 FVV bestimmte: „Schriftstücke, Archive, Register, Urkunden oder Pläne, die etwa entfernt worden sind, hat die deutsche Regierung auf Ersuchen der französischen Regierung zurückzuschaffen.“ 166
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cken etc., „die etwa entfernt worden sind“, gesondert geregelt wird, folgt daraus, dass Akten, die bei zentralen Stellen außerhalb Elsaß-Lothringens entstanden waren und aufbewahrt wurden, in Satz 1 nicht gemeint sind. Hingegen scheint Deutschland mit Art. 158 FVV (Verzicht auf Kiautschou zugunsten Japans) tatsächlich eine Archivabgabe nach dem Betreffsprinzip hingenommen zu haben. Hier ist das „concernant“ der authentischen französischen Fassung in der ebenfalls authentischen englischen Vertragsfassung mit „relating“ wiedergegeben, und es ist klargestellt, dass die „Archive [...] und Urkunden jeder Art“ ohne Rücksicht auf den Aufbewahrungsort zu übergeben sind („à quelque endroit qu'ils se trouvent“).
c) Österreich-Ungarn nach 1919 aa) Die Archivklauseln von St. Germain und Trianon Die archivalischen Auseinandersetzungen nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie waren „ohne Vorbild“.171 Damals zerfiel die Personalunion zwischen Cisleithanien und den Ländern der Stephanskrone, und es kam auch zu beträchtlichen Gebietsverlusten jeder der beiden Reichshälften.172 Zentrale Vorschrift für Österreich war Art. 93 des Vertrags von St. Germain.173 Die entsprechende Vorschrift für Ungarn fand sich in Art. 77 des Vertrags von Trianon.174 Demnach blieben in Wien und in Budapest sämtliche dort erwachsenen Urkundenbestände, wobei die österreichische Delegation darauf Wert legte, das „concernant“, wie es sich in Art. 52 Satz 1 FVV findet, wo von „documents etc. concernants les territoires cédés“ die Rede ist, durch „appartenant“ zu ersetzen. Art. 93 Satz 1 des Vertrags von St. Germain beschränkt somit ausdrücklich die Rückgabe auf „archives [etc.] appartenants aux administrations [...] des territoires cédés“. Der Restitution an einen Nachfolgestaat nach dem Provenienzprinzip unterlag überdies nur solches Archivgut, das vor kategorienweise unterschiedlichen Stichtagen aus den abge-
___________ 171
Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 99. Zur völkerrechtlichen Bewertung des Zerfalls der Doppelmonarchie vgl. Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge, Frankfurt a.M. 1996, S. 30 ff. 173 Vertrag vom 10. September 1919; Martens, Nouveau Recueil général de traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international. Troisième série (NRG3), Bd. 11, S. 691. Vgl. Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 100 f., und Posner (Fn. 160), S. 177 f. 174 Vertrag vom 4. Juni 1920; Martens (Fn. 173), NRG3, Bd. 12, S. 423. Art. 77 des Vertrags von Trianon entspricht Art. 93 des Vertrags von St. Germain; vgl. MeyerLandrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 103. 172
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trennten Gebieten nach Wien oder Budapest gelangt war.175 Das früheste vereinbarte Stichjahr für eine Rückgabe von transferierten Dokumenten war 1861, und zwar im Verhältnis zu Italien. Damit verblieben historische Archive, die zu einem früheren Zeitpunkt aus dem Gebiet der späteren „Nachfolgestaaten“ nach Wien oder Budapest verbracht worden waren, in der Regel weiterhin in Österreich bzw. in Ungarn.176 Dass bei dem Aushandeln der Folgeverträge der Grundsatz mehrfach unterlaufen wurde, steht auf einem anderen Blatt. Zu den Archivklauseln der Verträge von St. Germain und Trianon schlossen Österreich bzw. Ungarn auf der einen und die Nachfolgestaaten auf der anderen Seite nämlich mehrere Ausführungsverträge.177 Allerdings wurde das Abkommen Österreichs aus dem Jahr 1923 mit dem (1929 in Jugoslawien umbenannten) Königreich S.H.S.178 nicht umgesetzt und nach einem Notenwechsel im Jahr 1927 wegen der Weigerung Belgrads, die Reziprozitätsklausel des Vertrags (Art. 20) zu erfüllen, „stillschweigend sistiert“.179
bb) Fortschreibung über das Jahr 1945 hinaus Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Österreich zunächst Dokumente, die während der großdeutschen Besatzung aus Jugoslawien entfernt worden waren, im Wege der „Revindikation“ abgeben.180 Auch Gesandtschafts- und Konsu___________ 175
Der Vertrag von St. Germain sah grundsätzlich die Rückgabe solcher Dokumente vor, die innerhalb der letzten zehn Jahre aus den abgetretenen Gebieten fortgeschafft worden waren, allerdings nur bei unmittelbarer geschichtlicher Bedeutung für die abgetretenen Gebiete (Art. 193 Abs. 1). Für andere Dokumente galt der noch spätere Stichtag des 1. Juni 1914 (Art. 192 Abs. 1 des Vertrags von St. Germain; vgl. auch Art. 176 f. des Vertrags von Trianon). 176 Vgl. Bautier (Fn. 33), S. 30 ff.; vgl. dazu auch Bittner (Fn. 150), Arch. f. Pol. u. Gesch., 1925, Bd. 4, S. 73 f. 177 Überblick bei Bittner, ebd., S. 81 ff., und Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 103 ff. Zudem wurde im Jahr 1932 ein Abkommen mit Polen geschlossen; vgl. Daria Nalecz, „Polish archives after the partition of the State“, Archives et Bibliothèques de Belgique 69 (1998), S. 65 (72). 178 Übereinkommen vom 26. Juni 1923 zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen betreffend die Durchführung der Artikel 93, 191 und 196 des Staatsvertrags von St. Germain, ÖBGBl. 1923, S. 1909; vgl. dazu Rill/Springer/Thomas, Mitteilungen des österr. Staatsarchivs (MÖSTA) 35, S. 288 ff. (Text des Abkommens auf S. 332 ff.). 179 Siehe dazu „Zur publizistischen Auswertung des österreichisch-jugoslawischen Archivabkommens: Eine Erklärung der Generaldirektion des österreichischen Staatsarchivs“, MÖSTA 29 (1976), S. 499 (500). 180 Vgl. Leopold Auer, “Restitution of Removed Records Following War”, in: CITRA 1993-1995, S. 172 (176), und Peter Pavel Klasinc, „Rückgabe von Archivgut
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lararchive der Habsburgermonarchie, die seit 1941 nach Österreich gelangten, waren zurückzugeben, obwohl diese nach Auffassung Wiens „unbestrittenes Eigentum Österreichs sein sollten“.181 Einziges Kriterium für die Rückgabe war nämlich die Verbringung nach Wien im Verlaufe des Krieges, entsprechend dem Grundsatz der unbedingten Restitution von historisch wertvollem Archivund Kulturgut im Sinne der Haager Landkriegsordnung, welches von einer Besatzungsmacht entwendet wurde.182 Im Jahr 1958 kam es aufgrund eines Protokolls zur Einsetzung einer Österreichisch-Jugoslawischen Gemischten Kommission.183 Damit sollte auch das Archivabkommen von 1923 wiederbelebt werden. Diese Bemühungen waren zunächst wenig erfolgreich. So weigerte sich Jugoslawien auch weiterhin, dessen Art. 20, d.h. die Reziprozitätsklausel, zur Kenntnis zu nehmen.184 Wie die Generaldirektion der Österreichischen Archive 1976 erklärte, bezogen sich die jugoslawischen Forderungen auf Archivgut, das „bedingt durch die historische Entwicklung der Monarchie [...] in österreichischen Archiven und Registraturen erwachsen ist“.185 Nach dem in St. Germain niedergelegten Provenienzgrundsatz war den Forderungen auf Übergabe daher nicht zu entsprechen. Allerdings hat Österreich an Jugoslawien weit mehr Dokumente übergeben, als es der Vertrag von 1923 vorgesehen hatte.186 1975 kam es dann zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Durchführung des Archivabkommens.187 Die beiden Parteien waren nunmehr zwar erfolgreicher als nach 1958188, aber mit dem Zerfall Jugoslawiens betrachtete Österreich das Archivabkommen mit dem S.H.S.-Staat aus dem Jahr 1923 „als abgeschlossen“.189 Trotzdem kam es ___________ von Österreich an Slowenien“, Archives et Bibliothèques de Belgique 69 (1998), S. 85 (92). 181 Rill/Springer/Thomas (Fn. 178), MÖSTA 35, S. 297. 182 Vgl. Ludwig Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, Köln 1964, S. 271. 183 Rill/Springer/Thomas, (Fn. 178), MÖSTA 35, S. 288 ff. Siehe dazu auch den Literaturbericht in Arch. Ztschr. 71 (1975), S. 297 f. 184 Vgl. L. Auer/Christiane Thomas, “The Austro-Yugoslavian Convention on Archives: A Case Study in State Succession”, Information Development I, 3 (1985), S. 169 (171), und das Fazit auf S. 172: “It will be evident that the mutual transfer of archives, insofar as it is based on the Convention of 1923, has, up to now [i.e. 1985], been far from equal.” 185 MÖSTA 29, S. 500. 186 Vgl. Auer/Thomas (Fn. 184), Information Development I, 3 (1985), S. 169, 172. 187 Vgl. Ogris (Fn. 96), Scrinium 57, S. 91. 188 Rill/Springer/Thomas (Fn. 178), MÖSTA 35, S. 288 ff., passim. 189 Klasinc (Fn. 180), Archives et Bibliothèques de Belgique 69, S. 92, unter Hinweis auf einen Notenwechsel zwischen Österreich und Slowenien aus dem Jahr 1992 über die weitere Anwendung österreichisch-jugoslawischer Staatsverträge: Das Archivabkommen von 1923 ist dort nicht unter den weitergeltenden Verträgen genannt.
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zwischen Slowenien und der Steiermark im Jahr 1997 zu einer „direkten Lösung auch ohne offizielle Übereinkommen“190, es ging dabei vor allem um die Abgabe der sog. „Riedkarten“ aus dem steiermärkischen Landesarchiv. Kärnten und Slowenien schließlich erreichten auf pragmatischem Wege, ebenfalls außerhalb des Archivabkommens, sogar ein „endgültiges Ergebnis“191: Am 10./11. September 2001 kam es zu einem umfangreichen Archivaustausch zwischen Klagenfurt und Ljubljana. An diesem Austausch ist bemerkenswert, dass sich alle Akten, die von Kärnten abgegeben wurden, „ausschließlich auf heute slowenisches Staatsgebiet“192 beziehen. Alle von Slowenien übergebenen Archivalien „betreffen ausschließlich heutiges österreichisches, das heißt Kärntner Gebiet“.193 Der Austausch erfolgte also nach dem Pertinenzprinzip. Anders als Österreich musste Ungarn nach 1945 gemäß Art. 11 Abs. 1 des Friedensvertrags an Jugoslawien und an die Tschechoslowakei weitere Gegenstände des „kulturellen Erbes“ (nicht bloß Archivgut) herausgeben, darunter auch historische Archive, sofern sie nach 1848 in ungarischen Besitz gelangt waren.194 Damit war für die Abgabe gemäß der Provenienz an diese beiden Nachfolgestaaten zulasten Ungarns ein Stichjahr festgesetzt worden, das um Jahrzehnte vor dem im Vertrag von Trianon festgelegten Datum lag. Zusätzlich musste bekanntlich nach Art. 11 Abs. 3 des Friedensvertrags auch der aus dem 18. Jahrhundert stammende Archivbestand der Wiener Illyrischen Hofcommission (1745-47) bzw. Hofdeputation (1747-77)195 und der Illyrischen Hofkanzlei (1791/92)196 an Jugoslawien herausgegeben werden. Dessen Herausgabe war allerdings, dies sei nochmals betont, nach keinem archivkundlichem Grundsatz gerechtfertigt: Nach der Auflösung der Illyrischen Hofdeputation im Jahr 1777 ging ihr Aktenbestand geschlossen an die königliche ungarische Hofkanzlei, einer ungarischen Behörde in Wien, über.197 Die Akten ___________ 190
Klasinc, ebd. Ogris (Fn. 16), Scrinium 57, S. 92. 192 Ogris, ebd., Scrinium 57, S. 98; hier auch Einzelheiten der Regelung. 193 Ogris, ebd. 194 Friedensvertrag mit Ungarn vom 10 Februar 1947, United Nations Treaty Series, Bd. 41, S. 135 (178); vgl. dazu Bautier (Fn. 33), S. 34. 195 Vgl. Johann Heinrich Schwicker, Politische Geschichte der Serben in Ungarn, Budapest 1880, S. 102 ff; 1747 als „Hofdeputaion in Transylvanicis, Banaticis et Illyricis“ gegründet (vgl. Walter, Die österr. Zentralverwaltung, II/1/1, Wien 1938, S. 235 ff.), behielt sie auch nach Beschränkung in „Illyricis“ (Schwicker, ebd., S. 151 ff.) ihre Zuständigkeit zumindest für die gesamte nichtunierte Bevölkerung dieser Kirchenprovinz. 196 Schwicker, ebd., S. 381 ff.; Friedrich Walter, Die österreichische Zentralverwaltung, II/1/2/1, Wien 1950, S. 83 ff. 197 Schwicker (Fn. 195), S. 382. 191
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der kurzlebigen Illyrischen Hofkanzlei fielen nach ihrer Aufhebung 1792 ebenfalls an die ungarische Kanzlei.198 Die nach Art. 11 Abs. 3 des Friedensvertrages von 1947 an Jugoslawien zu übergebenden Dokumente waren also in Wien angefallen und dort seit 1777/92 im Archiv der königlichen Hofkanzlei aufbewahrt worden. Nach deren Auflösung199 gelangten sie mit den übrigen Archivbeständen der Hofkanzlei in das Ungarische Staatsarchiv.200 Es handelte sich also um Material, welches weitgehend Personen und Gebiete außerhalb der Grenzen des späteren Jugoslawiens betraf und welches zudem außerhalb dieses Staates angefallen war und aufbewahrt wurde. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass bei den im Jahr 1975 wiederaufgenommenen jugoslawisch-österreichischen Archivverhandlungen der Bestand „Illyrische Baudirektion in Laibach - Laibacher Gubernium (1788-1849)“ zwar eine „entscheidende Rolle“201 spielte, sein Verbleib im Kärntner Landesarchiv aber von Jugoslawien und später von Slowenien nie ernsthaft in Frage gestellt wurde.202 Dieser Archivbestand wurde daher nicht in die im Jahr 2001 erzielte „pragmatische Lösung“ zwischen Kärnten und Slowenien einbezogen.
d) Friede von Riga Von den geschilderten archivbezogenen Vorschriften der Pariser Vorortverträge unterschieden sich die Ab- und Rückgabeklauseln des polnischsowjetischen Vertrags von Riga. Den Archivplünderungen und -verlagerungen anlässlich der Teilungen Polens203 lagen keine vertraglichen Vereinbarungen mit Polen zugrunde204. Nach dem Ersten Weltkrieg ging es für Polen auch um die „Revindikation“205 von Archivalien, die seit 1772 an Orte außerhalb der nunmehrigen Grenzen des wiedererrichteten (aus polnischer Sicht zuvor ledig-
___________ 198
Schwicker, ebd., S. 400. Die Auflösung erfolgte 1848; 1861 wurde die ungarische Hofkanzlei zwar wiedererrichtet, mit dem Ausgleich (1867) aber endgültig abgeschafft. 200 Siehe Vilmos Bélay, A magyar kancelláriai levéltár [Das Archiv der ungarischen Hofkanzlei], Budapest 1973. 201 Vgl. Ogris (Fn. 96), Scrinium 57, S. 95. 202 Ogris, ebd. 203 Siehe Alexis Bachulski, „Polnische Staatsarchive“, Arch. Ztschr. 37 (1928), S. 241 (241-247); Bautier (Fn. 33), S. 33. 204 Zu den Vereinbarungen unter den Eroberern vgl. Hedvige Kawarsinska, « La remise des archives dans les traités de l'Est européen », in: Comité International des Sciences Historiques, VIIIe Congrès Internationale des Sciences Historiques, Zurich 1938, Communications Présentées I, Paris o.J., S. 52 f. 205 Bachulski (Fn. 203), Arch. Ztschr. 37, S. 254. 199
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lich „besetzten“206) Staates verbracht worden waren. Während Warschau mit Berlin bloß die Abgabe von Behördenakten mit Bezug auf die Abtretungsgebiete vereinbarte207, konnte Polen im Vertrag von Riga208 eine Regelung durchsetzen, die nicht nur eine weitestgehende Rückführung der aus Polen seit 1772 nach Russland weggeschafften Bestände vorsah, sondern auch die Abgabe geschlossener, außerhalb des Staatsgebiets von Polen erwachsener, schwerpunktmäßig auf Polen bezogener Archivgruppen an Polen vorsah (Art. II Abs. 4 und Art. II Abs. 5 des Abkommens).209 Diese für Polen sehr günstige Normierung hielt Ernst Posner für nachvollziehbar: “The Polish claims to some of the central records at least could be justified, since many of the administrations whose records were involved had been central authorities of Poland with their seat in Warsaw, or, if located in St. Petersburg, had dealt with Polish affairs exclusively.”210 Art. II Abs. 5 des Vertrags von Riga sah überdies die Abgabe auch einzelner Akten und Archivstücke aus russischen und ukrainischen Zentralbehörden vor, die sich auf das Gebiet Polens bezogen.211 Dies umfasste folglich auch Archivalien, die zum Aufbau einer Verwaltung oder zur Fortführung der Regierungstätigkeit in Polen gar nicht benötigt wurden, und spiegelte, wie gesagt, nicht die Staatenpraxis seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wider. Es entsprach aber der polnischen Rechtsüberzeugung: Noch im Jahr 1923 hielt es der damalige Generaldirektor der Polnischen Archive, Joseph Paczkowski, für ein Gebot des Völkergewohnheitsrechts212, dass „alle die abgetretenen Provinzen betreffenden Akten aus den Staatsarchiven an den neuen Souverän abgeliefert werden sollten“.213 Grenze der Abgabepflicht an Polen wäre für Paczkowski das ___________ 206 Vgl. Joseph Siemienski, « Respect de fonds. Application internationale », in: VIIIe Congrès Internationale des Sciences Historiques, Communications Présentées I, S. 63 ff. 207 Bachulski (Fn. 203), Arch. Ztschr. 37, S. 258 f. 208 Vertrag zwischen Polen und Sowjet-Russland sowie der Sowjet-Ukraine vom 18. Mai 1921, League of Nations Treaty Series, Bd. 6, S. 51. Art. II wiedergegeben bei Wilfried Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, Berlin 1991, S. 268 f. 209 Bachulski (Fn. 203), Arch. Ztschr. 37, S. 254. Eine ähnliche Regelung konnte Finnland im Vertrag von Dorpat durchsetzen; vgl. Bautier (Fn. 33), S. 36; Fitschen (Fn. 32), S. 134 f. 210 Posner (Fn. 160), S. 177. 211 Bachulski (Fn. 203), Arch. Ztschr. 37, S. 254 f. 212 Joseph Paczkowski, « La remise des actes en connexion avec les changements de frontières entre les États », in: La Pologne au Ve Congrès Internationale des Sciences Historiques, Bruxelles 1923, Warschau 1924, S. 199 (201). 213 So das von Paczkowski ohne genaue Fundstelle auf S. 200 wiedergegebene – allerdings aus dem Jahr 1815 stammende – Zitat aus einem Brief von Barthold Georg Niebuhr an Gneisenau. Auch auf den erwähnten Art. 158 FVV (Kiautschou) weist
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einzelne Faszikel, dessen Integrität nicht durch Zertrennen oder durch Herausschneiden einzelner Blätter zerstört werden sollte, und er weist darauf hin, dass sich zahlreiche Beispiele für solche Zerstörungen („découpages“) wertvoller Akten durch Preußen und Russland zu Lasten Polens anlässlich der Teilungen Polens finden.214 Art. II Abs. 5 des Vertrags von Riga, der die polnische Auffassung umsetzte, wurde von Meyer-Landrut zutreffend als „in der neueren Staatenpraxis einzig dastehend“215 bezeichnet. Aufgrund von Art. II Abs. 15 des Vertrags von Riga wurde eine gemischte Kommission zur Durchführung des Archivaustausches bestellt. Allerdings wurde den polnische Delegierten kein Recht auf Zugang zu den Beständen in Russland eingeräumt216, was ihre Arbeit „sehr erschwerte“.217 Was die praktische Durchführung angeht, zog Posner im Jahr 1941 folgendes Fazit: “As a result of stubborn Russian resistance, however, actual deliveries under the Riga treaty have not been very satisfactory for Poland.”218
III. Die Wiener Konvention von 1983 1. Teil III der WK 83 a) Zur generellen Regelung im nicht-kolonialen Bereich Die soeben dargestellte Praxis nach dem Ersten Weltkrieg folgte – mit Ausnahme der weitgehend bloß auf dem Papier stehenden Rückgabeklauseln im Vertrag von Riga – einer modifizierten Form des Pertinenzprinzips, die auf die Pertinenz eines Archivkörpers, nicht jedoch eines einzelnen Dokuments, zu einem bestimmten Gebiet abstellt. Dies entspricht insgesamt der Regelung in der ___________ Paczkowski besonders hin (S. 204); den viel wichtigeren Art. 52 FVV (zu ElsaßLothringen) läßt er hingegen unerwähnt. 214 In polnischen Archiven seien allein 118 dieser „découpages“ wertvoller Faszikel und Dokumente durch die zuständigen Beamten Preußens und Russlands protokolliert, Paczkowski (Fn. 212), S. 206 f. 215 Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 107. 216 Dies bestätigt die in Zusammenhang mit der Haltung Ungarns zum „Übereinkommen zwischen Österreich, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, dem Königreiche S.H.S. und der Tschechoslowakei betreffend archivalische Fragen“ vom 6. April 1922 gemachte Beobachtung, wonach bereits die Einräumung eines Zugangsrechts für Delegierte fremder Regierungen keineswegs als unproblematisch angesehen wird. Ungarn verweigerte die Ratifikation dieses Abkommen bekanntlich nur wegen des in Art. 2 vorgesehenen umfassenden freien Zugang der Vertragspartner zu den ungarischen Archiven. 217 Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 107. 218 Posner (Fn. 160), S. 177; vgl. auch Grimstedt (Fn. 30), S. 86 f.
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Wiener Konvention von 1983 über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden, die insbesondere auch die archivbezogenen Klauseln der Einigung am 29. Juni 2001 von den fünf neuen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien in Wien getroffene Vereinbarung über Nachfolgeangelegenheiten219 inspirierte. Dieser WK 83 sind erst sieben Staaten beigetreten, so dass ihr Inkrafttreten derzeit noch nicht abzusehen ist. Bemerkenswerterweise handelt es sich jedoch – abgesehen von Liberia – bei den bisherigen Vertragsparteien, mit Kroatien, Mazedonien und Slowenien sowie Estland, Georgien und der Ukraine, um Staaten, die als nach der Wende von 1989/90 entstandene Sukkzessoren Jugoslawiens bzw. der Sowjetunion an den Regelungen besonders interessiert sind.220 Zu den Unterzeichnerstaaten zählt zudem das ehemalige (frühere) Jugoslawien, in dessen Rechtsstellung als Signatar Serbien und Montenegro im Jahr 2001 durch entsprechende Erklärung an die Vereinten Nationen nachgefolgt sind.221 Teil III der Konvention befasst sich mit den Archiven, wobei ein einleitender Abschnitt 1 gemeinsame Regeln für alle Arten der Staatensukzession enthält und Abschnitt 2 dann die einzelnen Nachfolgetatbestände (Zession, Sezession, Staatszerfall und Entkolonialisierung) normiert.222 Ausdrücklich aufgenommen wurde das Provenienzprinzip nur für den Fall der Dekolonisierung.223 Ansonsten gilt, wenn sich ein Staat auflöst und zu bestehen aufgehört hat, folgendes: nach Art. 31 Abs. 1 WK 83 soll, sofern die betreffenden Nachfolgestaaten nicht etwas anderes vereinbaren, der Teil der Staatsarchive des Vorgängerstaates, der für eine normale Verwaltung des Territoriums eines Nachfolgestaates in dem Territorium nötig ist, auf diesen Nachfolgestaat übergehen und sollen andere Teile der Staatsarchive des Vorgängerstaates, die sich direkt auf das Territorium eines Nachfolgestaates beziehen, auf diesen Nachfolgestaat übergehen. (Entsprechende Regelungen enthält Art. 30 WK 83 für die Separation/Sezession von Staatsteilen.) Art. 31 Abs. 2 WK 83 bestimmt dann, dass andere Staatsarchive des Vorgängerstaates als die in Abs. 1 genannten unter Berücksichtigung aller wichtigen Umstände in angemessener Art auf den Nachfolgestaat übergehen sollten. Für Staatszerfall und Sezession ___________ 219
Dazu eingehend im nächsten Abschnitt. Multilateral Treaties as Deposited with the Secretary General: http://www.untreaty.un.org (Stand: 20.9.2006). 221 Unterzeichnet, aber (noch) nicht ratifiziert, haben den Vertrag außerdem: Algerien, Argentinien, Ägypten, Niger und Peru. 222 Zur Würdigung vgl. Fitschen (Fn. 32), S. 303-305; Silagi (Fn. 40), Arch. Ztschr. 85, S. 63 ff. 223 Art. 28 Abs. 1 Buchst. a WK 83 bestimmt, dass Archive, die dem Kolonialgebiet gehörten, „auf das sich die Staatennachfolge bezieht und die während der Periode der Abhängigkeit Staatsarchive des Vorgängerstaates wurden“, auf den neuen unabhängigen Staat übergehen. 220
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ist, wie gesagt, in Art. 31 Abs. 4 bzw. Art. 30 Abs. 3 WK 83 überdies festgehalten, dass zwischen den betreffenden Staaten in Bezug auf Staatsarchive des Vorgängerstaates geschlossene Abkommen auf das Recht der Völker dieser Staaten auf Entwicklung, auf Information über ihre Geschichte und auf ihr kulturelles Erbe Rücksicht nehmen müssten. Außerhalb der Entkolonialisierung scheint also der Betreffsgrundsatz zu gelten. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass schon die bloße Belegenheit im Gebiet des späteren Nachfolgestaates die Zuweisung von Archiven an diesen begründet. Verwaltungsarchive, aber auch historische und kulturelle Archive, die nicht dem Vorgängerstaat (Zentralstaat) als solchem unmittelbar zuzuordnen sind, sondern einem anderen Rechtsträger der öffentlichen Hand (z.B. einer Gemeinde oder einem Gliedstaat), werden von der Konvention zwar nicht erfasst, aber Bedjaoui und ebenso die ILC stellten klar, dass auch hier allein die Belegenheit im Abtretungsgebiet die Zuweisung an den Nachfolgestaat bzw. an eine Gebietskörperschaft im Nachfolgestaat begründet.224 Auf der Staatenkonferenz zur Verabschiedung der Konvention von 1983 sprach sich besonders Österreich sowohl für den Fall der Abtretung oder Abtrennung von Gebietsteilen (Zession und Sezession) als auch für den der Auflösung von Staaten dafür aus, an andere beteiligte Staaten als den des Archivsitzes jeweils nur diejenigen Archivbestände zu übergeben, die nach dem Provenienzsystem dorthin gehören oder gehört hatten. Allerdings kann nicht nur beim Staatszerfall, sondern auch bei einer Sezession oder Zession keinem der zwei vorgestellten Prinzipien für die Archivaufteilung voll entsprochen werden, und Österreich selber konnte bei den erwähnten jugoslawisch-österreichischen Archivverhandlungen der Bestand „Illyrische Baudirektion in Laibach – Laibacher Gubernium (1788-1849)“ unter Hinweis auf das Pertinenzprinzip, das, so Ogris, „schon im 19. Jahrhundert zur Anwendung gekommen war“225, im Kärntner Landesarchiv halten. Die im Jahr 2001 erzielte „pragmatische Lösung“ zwischen Kärnten und Slowenien umfasste, wie Ogris betont, „ausschließlich“226 Archivalien, die sich auf das jeweilige Gebiet des übernehmenden Staates bezogen.
___________ 224
Vgl. UN Doc. A/CONF.117/16, Vol II, S. 42: “State archives of every kind, which have a direct and necessary link with the management and administration of the part of the territory transferred, must unquestionably pass to the successor State. [...] Where the archives are not State archives at all, but are local administrative, historical or cultural archives, owned in its own right by the part of the territory transferred, they are not affected by these draft articles.” Siehe auch Silagi (Fn. 40), Arch. Ztschr. 85, S. 46 f. 225 Ogris (Fn. 96), Scrinium 2003, S. 95. 226 Ebd., S. 98.
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b) Das Gebot der Archiveinheit (respect des fonds) Soweit in Art. 30 und 31 der Konvention auf die Pertinenz abgestellt wird, darf zudem nicht übersehen werden, dass sich diese Vorschriften des Abschnitts 2 keinesfalls auf einzelne Archivstücke beziehen, sondern stets auf ganze Registraturen oder Archivgruppen. Dies folgt aus Art. 25 WK 83 (in Abschnitt 1 von Teil III der Konvention). Dort findet sich ein bei allen Arten der Staatennachfolge zu beachtendes Bekenntnis zum Provenienzgrundsatz, wenn es heißt: „Keine der Bestimmungen im vorliegenden Teil wird in irgendeiner Hinsicht für Fragen als präjudizierend betrachtet, die sich aufgrund der Wahrung des einheitlichen Charakters von Gruppen von Staatsarchiven des Vorgängerstaates ergeben können.“ (Die authentische französischen Fassung spricht von „sauvegarde de l'intégrité des fonds d'archives d'Etat“.) Art. 25 WK 83 wurde bei nur einer Stimmenthaltung angenommen. Der Schweizer Vertreter auf der Konferenz in Wien schlug eine Ergänzung des Art. 25 der Konvention um einen zweiten Absatz vor: Insbesondere in Fällen, wo Archivgruppen zugleich Teil des nationalen Erbes des Vorgänger- und des Nachfolgestaates sind und nicht ohne Beeinträchtigung ihres Wertes aufgeteilt werden können, sollten sich diese Staaten vom archivalischen Grundsatz des „gemeinsamen Erbes“ leiten lassen.227 Die meisten westlichen Staaten sprachen sich für diesen Vorschlag aus, wobei Österreich die praktische Anwendung dieses Konzepts bei der Regelung der Archivprobleme zwischen Österreich und Ungarn nach dem Zerfall der Doppelmonarchie hervorhob.228 Trotzdem wurde dieser Schweizer Vorschlag mit 32 zu 17 Stimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt.229
___________ 227
“In particular, in cases where archive collections are simultaneously part of the national heritage of the predecessor State and one or more successor States and cannot be divided up without substantial jeopardy to their legal, administrative or historical value, these States should be guided by the archival concept of joint heritage for the purpose of the utilization of such collections.” UN Doc. A/CONF.117/16, Vol 2, S. 108. 228 UN Doc. A/CONF.117/16, Vol. 1, S. 158; vgl. Übereinkommen zwischen der österreichischen Bundesregierung und der königlich ungarischen Regierung, betreffend Archive vom 28. Mai 1926; abgedruckt bei Ferenc Szávai, Az Osztrák-Magyar Monarchia közös vagyona [Das gemeinsame Vermögen der österreichisch-ungarischen Monarchie], Budapest 1999, S. 145, sowie (ohne Zusatzprotokoll zum Kossutharchiv) bei Silagi (Fn. 147), Südost-Forschungen 1996, S. 324. 229 Ebd., S. 163.
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2. Archivteilungen nach Verabschiedungen der WK 83 a) UdSSR Bereits in der Übergangszeit vor dem Zerfall der UdSSR, am 24. August 1991, erließ der russische Präsident ein Dekret, durch das die großen ehemaligen Parteiarchive und die Archive des KGB der russischen Regierung unterstellt werden sollten. Noch vor Ende des Jahres 1991 hatten dann russische Stellen die Kontrolle über die sowjetischen Archive, welche auf dem Gebiet Russlands gelegen waren, übernommen.230 Insgesamt zwölf zentrale Archive der ehemaligen UdSSR wurden im Juni 1992 zu „föderalen“ Archiven Russlands.231 Bei der erwähnten Reorganisation des sowjetischen Archivwesens durch Russland wurde den konkurrierenden Ansprüchen der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken am kulturellen Erbe232 ein ganz geringer Stellenwert zugestanden.233 Im „Abkommen über die Rechtsnachfolge in Bezug auf Staatsarchive der ehemaligen UdSSR“ vom 6. Juli 1992234 hat dann Russland den einseitig vollzogenen Übergang der Archive unter seine Jurisdiktion durch die übrigen GUS-Mitglieder sanktionieren lassen. (Eine Vereinbarung vom Februar 1992, welche die Interessen der übrigen Nachfolgestaaten wesentlich stärker berücksichtigt hätte, war am Widerstand des russischen Parlaments geschei-
___________ 230
Vgl. Theodore Karasik, The Post-Soviet Archives, Santa Monica 1993, S. 3 f. Markus Wehner, „Archivreform bei leeren Kassen“, Osteuropa 1994, S. 105 (107). Während die 14 anderen Unionsrepubliken „ein weit entwickeltes Netz der Staatsarchive, die nach einheitlichen Regeln funktioniert hatten“, besaßen, gab es, so V. Tuyneev, in der RSFSR überhaupt erst seit 1957 ein Zentrales Staatsarchiv, doch „die wichtigsten Quellen zur Geschichte Russlands wurden in zentralen Staatsarchiven der UdSSR aufbewahrt“, vgl. Tuyneev, „Archivisches Erbe der GUS-Länder: Sicherung, Zugang, Benutzung“, Archives et Bibliothèques de Belgique 69 (1998), S. 27 (28). 232 Vgl. dazu den Abschnitt “Legal Reform and Contested Records”, bei Grimsted, “Beyond Perestroika: Soviet-Area Archives after the August Coup”, American Archivist, 55 (1992), S. 94 (103 ff.). 233 Jeder Hinweis auf derartige Ansprüche fehlt bei Wehner, Osteuropa 1995, S. 105 ff., bei Manfred Heinemann, „Das Staatsarchiv der Russischen Föderation“, Der Archivar 46 (1993), Sp. 613 ff., sowie bei Karasik (Fn. 230). Karasik erwähnt bloß, dass die Bestände des KGB-Archivs für Litauen bis März 1990 teils aus Vilna nach Moskau geschafft, teils vernichtet wurden (S. 4, Fn. 1). 234 Vgl. Theodor Schweisfurth, „Das Recht der Staatensukzession: Die Staatenpraxis der Nachfolge in völkerrechtliche Verträge, Staatsvermögen, Staatsschulden und Archive in den Teilungsfällen Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien“, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (BerDGV) Bd. 35 (Heidelberg 1996), S. 49 (159 f.). 231
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tert.235) Im Abkommen vom 6. Juli 1992 erkannten die GUS-Staaten gegenseitig die Übernahme der auf ihren Territorien liegenden staatlichen und anderen Archive an. Damit wurde auch der Grundsatz der Integrität und Unteilbarkeit der Archive respektiert.236 Die Russische Föderation (RF) betrachtet nach den im Juli 1993 veröffentlichten „Grundlagen für die Gesetzgebung der RF über den Archivfonds der RF und die Archive“237 sämtliche auf dem Territorium der RF befindlichen Bestände und Dokumente „unabhängig von ihrer Entstehungsquelle“ (also der Provenienz238) als Teil des Archivfonds der RF. Dies entsprach der Übereinkunft vom 6. Juli 1992, und Russland sieht darin keine Benachteilung der anderen GUS-Staaten: Wo es um Interessen der jeweiligen Republik ging, seien nämlich in der Sowjetperiode, so V. Tuyneev, Dokumente der höchsten Parteiund Staatsorgane in der Regel in diese Republik abgesandt worden. Also könne man sagen, dass die GUS-Staaten heute große nationale Archivfonds haben, in denen die Geschichte ihrer Völker allseitig und voll vertreten ist.239
b) CSFR Während bei den sowjetischen Archiven nach dem Zusammenbruch der UdSSR weitgehend einseitig nach dem Territorialitätsprinzip vorgegangen wurde, wodurch die Zentralarchive geschlossen bei der Russischen Föderation verblieben, verlief in der CSFR im Archivwesen die Loslösung der Slowakischen Republik einvernehmlich, und zwar noch vor der staatsrechtlichen Trennung. Bereits 1989 begann die Rückgabe der seit 1945 nach Prag verbrachten Registraturen slowakischer Provenienz. Im übrigen war die Teilung der Archivbestände derjenigen Appenzells oder Basels vergleichbar240, wobei im Falle beiderseitigen Interesses Bratislava Abschriften erhielt und die Originale in der Tschechischen Republik verblieben.241 Sowohl von tschechischer als auch ___________ 235 Schweisfurth, ebd., BerDGV 35, S. 159; das Abkommen vom 6. Juli 1992 bedurfte keiner Ratifikation und damit nicht der Zustimmung der Parlamente (Tuyneev, Fn. 231, S. 35). 236 Vgl. Tuyneev (Fn. 231), S. 28. 237 Wiedergabe der „Grundlagen“ bei Hermann Schreyer, „Neue archivgesetzliche Bestimmungen zur Umgestaltung des Archivwesens der Russischen Föderation“, Der Archivar 47 (1994), Sp. 527 ff. 238 Schreyer, ebd., Sp. 528. 239 Tuyneev (Fn. 231), S. 29. 240 In Appenzell (1597) wie Basel (1833) erfolgte die Teilung des Archivguts nach dem älteren Betreffsprinzip, wobei die den ehemaligen Gesamtstaat betreffenden Dokumente dem alten Archiv und damit dessen Sitzstaat zugeordnet blieben. 241 Vgl. Juraj Spiritza, „Delimitierung der Archivdokumente slowakischer Herkunft und die Trennung der föderativen Registraturen nach der Existenzauflösung der Tsche-
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von slowakischer Seite wurde die Trennung der Archive als „ziemlich ruhig“242 und frei von „politischen Misstönen“243 bezeichnet.
c) Jugoslawien Eine erste wirkliche Bewährungsprobe für die Archivregelungen der WK 83 bedeutete die am 29. Juni 2001 von den fünf neuen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien244 in Wien getroffene Vereinbarung über Nachfolgeangelegenheiten.245 Das Abkommen besteht aus neun Artikeln und mehreren Annexen. Die Art. 1-9 enthalten gleichsam den Allgemeinen Teil der Übereinkunft; in den Annexen finden sich dann die konkreten Vorgaben zu einzelnen Materien. Dabei ist das Schicksal der Archive in einem eigenen Anhang, dem Annex D, normiert.246 Archive sind also nach der Systematik des Vertrags ein spezieller Teil des beweglichen Staatseigentums (das im übrigen in Annex A geregelt ist.247) Anthony Aust, langjähriger Völkerrechtsberater des Londoner Außenministeriums, berichtet, dass bei der Ausarbeitung des archivbezogenen Annex D der Vereinbarung Teil III der Konvention von 1983 „hilfreich“248 war. Nach Art. 1 (a) von Annex D werden Archive des Zentralstaates (vom 1. Dezember 1918, dem Zeitpunkt der Errichtung des Königreichs S.H.S., bis ___________ chischen und Slowakischen Föderativen Republik“, Slovenská Archivistika 29 (1994), S. 35 ff. (deutsche Zusammenfassung einer längeren, auf S. 3 ff. abgedruckten Abhandlung in slowakischer Sprache). 242 Ivan Martinowsky, „Tschechische Republik: Veränderungen im Archivwesen“, Der Archivar 47 (1994), Sp. 531 f. (532). 243 Spiritza (Fn. 241), S. 37. 244 Es handelt sich um Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, sowie die damalige Bundesrepublik Jugoslawien – bestehend aus Serbien und Montenegro. Diese Bundesrepublik ging zunächst (historisch und damit auch völkerrechtlich plausibel) von einer Identität mit der ehemaligen Sozialistischen Bundesrepublik aus (an der auch das erst 2006 erfolgte Ausscheiden Montenegros nichts geändert hätte). Inzwischen betrachtet sich wohl auch Restjugoslawien – in Einklang mit den übrigen Nachfolgestaaten und den Vereinten Nationen – als Nachfolgestaat und damit als neuer Staat. 245 ILM 41 (2002), S. 3. (Die englische Fassung ist der authentische Text des Abkommens.) Zur Vorgeschichte siehe Arthur Watts, Introductory Note, ebenda, S. 1 f. 246 Zu Einzelheiten diese Regelung vgl. Silagi (Fn. 40), Arch. Ztschr. 85, S. 70 ff. 247 Wie schon erwähnt, enthält Art. 3 Abs. 2 von Annex A auch eine besondere Regelung zu „important collections of books or archives“. Annex D ist aber die speziellere Regelung und gilt daher jedenfalls für andere als besonders wertvolle historische Archive. 248 Anthony Aust, „Limping Treaties: Lessons from Multilateral Treaty-Making“, Netherlands International Law Review 50 (2003), S. 243 (255).; zur Bedeutung von Teil III der Konvention für das Abkommen vom 29. Juni 2001 vgl. auch Fitschen (Fn. 32), S. 315 f.
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zum 30. Juni 1991) erfasst. Art. 1 (b) nennt auch die Archive der Gliedstaaten sowie anderer Gebietskörperschaften und Verwaltungseinheiten.249 Während Art. 20 WK 83 Archive lediglich als „alle Dokumente beliebigen Alters und beliebiger Art“ umschrieb, versucht Art. 1 (c) eine präzisere Definition: “'Documents' in the preceding sub-paragraphs includes film, audio and video tapes and other recordings, as well as any form of computerised records, and includes documents which constitute cultural property. ” Nach Art. 3 von Annex D geht derjenige Teil der Zentralarchive des Vorgängerstaates, der für eine normale Verwaltung des Territoriums eines oder mehrerer Nachfolgestaaten nötig ist, an diese Staaten über.250 Dies entspricht Art. 31 Abs. 1 Unterabs. a WK 83, berücksichtigt aber ausdrücklich den Fall, dass Dokumente mehr als einem Nachfolgestaat zuzuordnen wären. Für diesen Fall verpflichtet Art. 5 diese Sukzessoren, sich darauf zu einigen, welcher von ihnen die Originale erhält und anderen betroffenen Staaten die Anfertigung von Ablichtungen ermöglicht.251 Art. 4 (a) (i) von Annex D enthält – ähnlich Art. 31 Abs. 1 Unterabs. b WK 83 – die Bestimmung, dass andere Teile der Staatsarchive der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien, welche sich „direkt“ auf das Territorium eines oder mehrerer Nachfolgestaaten beziehen, an diese Nachfolgestaaten fallen252; Art. 4 (a) (ii) verfügt überdies gleiches für denjenigen Teil “[which] was produced or received in the territory of one or more of the States”.253 In einem wichtigen Punkt geht Art. 4 (a) des Annex D aber weiter als die entsprechende ___________ 249
Archive der Gliedstaaten im Sinne von Art. 1 (b) werden aber von den darzustellenden Nachfolgeregelungen der Art. 3-6 nicht erfasst (dies betont ausdrücklich Art. 8); sie fallen allenfalls unter Art. 2, der die Revinidikation, regelt und – eingeschränkt – unter die Zugangsregelung in Art. 7 (siehe dazu am Ende dieses Abschnitts). 250 Art. 3 von Annex D lautet: “The part of the SFRY State archives (administrative, current and archival records) necessary for the normal administration of the territory of one or more of the States shall, in accordance with the principle of functional pertinence, pass to those States, irrespective of where those archives are actually located.” (SFRY ist die englische Abkürzung für „Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien“.) 251 Einzelheiten dazu enthält Art. 11. 252 Auch hier gilt der erwähnte Art. 5, der mehrere betroffene Staaten verpflichtet, sich zu arrangieren. 253 Art. 4 (a) (iii) enthält eine spezielle Zuordnungsregel für völkerrechtliche Vertragsurkunden; sie sollen an den Nachfolgestaat fallen, der nach den Regeln der Vertragssukzession in die Parteistellung des ehemaligen Jugoslawien eintritt. Für zwei konkrete Vertragskomplexe aus der Zeit vor dem Untergang des Zentralstaats nimmt dann Art. 4 (b) diese Zuordnung der Dokumente an einzelne Nachfolgestaaten selber vor – es handelt sich um ein hier nicht weiter interessierendes gebietsbezogenes („radiziertes“) Abkommen mit Griechenland, in das Mazedonien nachfolgt, sowie um den Vertrag von Osimo mit Italien vom 10. November 1975, in dem es auch um Archivprobleme ging und der im Verhältnis zu Kroatien und Slowenien seine Bedeutung behält (vgl. auch am Ende dieses Abschnitts die Anmerkungen zu Art. 10 von Annex D.
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Vorschrift der WK 83, indem nicht auf einzelne Dokumente, sondern auf Archivgruppen abgestellt wird.254 Der Pertinenzgrundsatz ist hier also ausdrücklich nicht auf einzelne Archivstücke, sondern auf Archivgruppen bezogen. Für Art. 31 Abs. 1 Unterabs. b. WK 83 gilt dies bloß, wenn Art. 25 WK 83 und der dort festgeschriebenen „Respect des fonds“ mitgelesen wird. Für Sammlungen, die nicht von Art. 3 oder Art. 4 erfasst sind, gilt Art. 6 von Annex D, der Art. 31 Abs. 2 WK 83 entspricht. Nach Art. 6 (a) haben sich die Nachfolgestaaten hinsichtlich dieser Staatsarchive innerhalb von sechs Monaten (nach Inkrafttreten) auf ihre angemessene „equitable“) Aufteilung oder auf ihre Beibehaltung als „gemeinsames Erbe“ zu einigen. Falls keine Vereinbarung zustandekommt, werden diese Archive ebenfalls „gemeinsames Erbe“. Wie erinnerlich, war auf der Staatenkonferenz 1983 in Wien ein entsprechender Vorschlag zur Ergänzung des Art. 25 WK 83 für Archivgruppen, die zugleich Teil des nationalen Erbes mehrere Staaten sind und nicht ohne Beeinträchtigung ihres Wertes aufgeteilt werden können, noch abgelehnt worden. Art. 6 (b) verpflichtet die Staaten dann nochmals besonders auf den Grundsatz des Art. 25 WK 83.255 Bis zur Umsetzung einer Vereinbarung nach Art. 6 räumt Art. 7 den Nachfolgestaaten ein gegenseitiges Zugangsrecht nicht nur zu den ehemals jugoslawischen, sondern auch zu den Archiven der Gliedstaaten und anderen Archiven ein (nicht jedoch zu „current archives“, also Verwaltungsarchiven!). Art. 2 von Annex D enthält für Archive eine Revindikationsklausel, die Unterschiede zum entsprechenden Art. 3 (3) des Annex A enthält. Art. 3 (3) Annex A sieht hinsichtlich des gewöhnlichen beweglichen Eigentums die unverzügliche Rückstellung oder Schadensersatzleistung vor, wenn ein Nachfolgestaat es unberechtigt aus dem Gebiet eines anderen Nachfolgestaates entfernt hat. Es geht also um bewegliche Sachen, die seit dem 30. Juni 1991 verschleppt worden sind. Art. 2 des Annex D stellt nicht bloß auf die Zeit seit Beginn der Auflösung des ehemaligen Jugoslawiens ab: Wenn Archive eines Gliedstaats ___________ 254 In Art. 4 (a) vor (i) heißt es: “The Part of SFRY State archives which constitutes a group which [es folgen die Alternativen (i)-(iii)]”. 255 Art. 6 (b) lautet: “The agreement referred to in paragraph (a) shall take account of all relevant circumstances which include the observance as far as possible of the principle of respect for the integrity of groups of SFRY State archives so as to facilitate full access to and research in those groups of archives. Respect for the integrity of groups of archives is without prejudice to the question where any particular group of archives should be preserved. The Ministries or Departments responsible for archives in each of the States shall within 24 months of the date on which this Agreement enters into force identify, and circulate to each other, lists of groups of archives to which this principle should apply, and shall thereafter seek to agree on a single such list within a further period of 3 months. They shall also identify, and circulate to each other, within 24 months of the date on which this Agreement enters into force, lists of archives to which Articles 3 and 4 apply.”
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oder andere Archive aus der Republik, der sie gehörten, oder wenn Bundesarchive von ihrem ordnungsgemäßen Aufbewahrungsort entfernt wurden, sollen sie restituiert werden, und zwar in Einklang mit den internationalen Grundsätzen der Provenienz. Abschließend ist noch auf eine interessante Bestimmung hinzuweisen, die nicht die Verteilung der im ehemaligen Jugoslawien belegenen Archive betrifft, sondern zunächst eher Fragen der Vertragssukzession. Art. 10 des Annex D bestimmt: “Where SFRY bilateral treaties concerning the restitution of archives were in force on 30 June 1991 and those treaties have not yet been fully performed, the States with an interest in those archives are ready to assume the rights and obligations formerly held by the SFRY in relation to the performance of those treaties.” Es geht hier wohl um noch offene Archivprobleme im Verhältnis zu Italien256 und insbesondere zu Österreich257.
IV. Umsiedlung, Vertreibung und das Eigentum an Archivgut 1. Zur Praxis der Zuordnung von Archiven bei Vertreibung Die Frage nach der Zuordnung von staatlichem und nicht-staatlichem Archivgut stellt sich auch in der Folge von Vertreibung, Flucht oder Umsiedlung der angestammten Bevölkerung. Eine solche Austreibung kann (muss aber nicht notwendigerweise) mit einer Gebietsabtretung verbunden sein. So trafen etwa im Falle der deutschen Ostgebiete die Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung und die – allerdings erst mit gehöriger Verzögerung völkerrechtlich bestätigte – Abtretung des Vertreibungsgebietes (durch Deutschland an Polen und die UdSSR) zusammen. Zwischen Deutschland und Polen umstritten blieb, wie schon erwähnt, vor allem die Zuordnung der Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Osten Preußens in das Gebiet der späteren Westzonen verlagert worden waren, und Polen setzte sich überdies für die Übergabe kirchlicher Matrikeln ein. Das lebhafte publizistische Echo auf die Übergabe im Jahr 2002 ist Beleg für das anhaltende, ja wachsende deutsche Interesse nicht nur an historischen Archiven, sondern auch am Schicksal der ostdeutschen Familienbücher. ___________ 256 Wie erwähnt, regelt Art. 4 (b) (ii) von Annex D die Zuordnung der archivierten Vertragsurkunden, die sich auf den am 10. November 1975 in Osimo mit Italien geschlossenen Vertrag beziehen, an Kroatien und Slowenien als betroffene Staaten. 257 Vgl. – aus slowenischer Warte – Klasinc (Fn. 180), Archives et Bibliothèques de Belgique 69, passim, der allerdings auch darauf hinweist, dass Österreich das Archivabkommen mit dem S.H.S.-Staat aus dem Jahr 1923 wohl „als abgeschlossen“ betrachtet (ebd., S. 93).
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Die Zuordnung von Archiven aus Vertreibungsgebieten ist aber, dies sei nochmals festgehalten, nicht notwendig mit einer Gebietsabtretung verbunden. So hat es nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg Vertreibungen und Umsiedlungen ethnischer Minderheiten aus ihren angestammten Wohnund Siedlungsgebieten gegeben, ohne dass damit eine Änderung der völkerrechtlichen Zuordnung des betreffenden Gebietes einherging.258 In Zusammenhang mit den deutsch-polnischen Archivproblemen werden im Schrifttum auch Präzedenzfälle für die Zuordnung von Archiven mit Bezug auf solche ausgesiedelte Bevölkerungsgruppen erörtert. Angeführt werden insbesondere archivund kulturgutbezogene Klauseln in Vereinbarungen des Deutschen Reiches anlässlich der Umsiedlung der Balten-Deutschen in den Jahren 1939-41.259 Auf die Verträge mit Estland und Lettland260 nimmt Bezug Meyer-Landrut261, und auch Turner führt diese Verträge an.262 Der deutsch-estnische Vertrag sah in Art. II Nr. 1 Abs. 2 vor: „Die Mitnahme und Ausfuhr von Sammlungen und Gegenständen von künstlerischer und kulturhistorischer Bedeutung sowie von Archivalien von historischer oder sonstwie allgemeiner Bedeutung ist nur mit Genehmigung des Estnischen Kultusministeriums gestattet.“ In Abs. 4 heißt es dann: „Die Mitnahme bezw. spätere Verbringung von Personalpapieren nach Deutschland, soweit sie keine historische oder sonstwie allgemeine Bedeutung haben, ist unbeschränkt möglich.“263 Detailliertere Maßgaben finden sich in der deutsch-lettischen Regelung. Art. 7 des Umsiedlungsvertrags erlaubt zunächst die Mitnahme des beweglichen Eigentums.264 § 1 Nr. 15 des Zusatzprotokolls zum zitierten Art. 7 nimmt zwar neben anderen Kulturgütern mit Bezug zu Lettland zunächst Archivalien, welche zu einem staatlichen oder kommunalen Archiv gehören oder gehört hatten (lit. b), sowie sonstige für das wirtschaftliche und rechtliche Leben in Lettland kennzeichnende Archivalien (lit. c) von der Ausfuhr aus, gemäß Anmerkung 1 zur § 1 Nr. 15 des Zusatzprotokolls sind jedoch zur Ausfuhr zugelassen „Familienarchive, welche für die lettische Ge___________ 258 Vgl. dazu noch immer grundlegend Josef B. Schechtman, European Population Transfers, New York 1946, und ders., Population Transfer in Asia, New York 1949. 259 Vgl. dazu Dietrich A. Loeber, Die diktierte Option, 2. (unveränd.) Aufl., Neumünster 1974, passim. 260 Wiedergegeben bei Hellmuth Hecker, Die Umsiedlungsverträge des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges, Frankfurt a.M. 1971. 261 Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48 , S. 119. 262 Stefan Turner, „Die Zuordnung beweglicher Kulturgüter im Völkerrecht“, in: Wilfried Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, Berlin 1991, S. 19 (104 f.). 263 Protokoll über die Umsiedlung der deutschen Volksgruppe Estlands in das Deutsche Reich vom 15. Oktober 1939, Hecker (Fn. 260), S. 15. 264 Vertrag über die Umsiedlung lettischer Bürger deutscher Volkszugehörigkeit in das Deutsche Reich vom 30. Oktober 1939, Hecker (Fn. 260), S. 61; Zusatzprotokoll, ebd., S. 70.
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schichte ohne besondere Bedeutung sind“ (lit. a), „Utensilien und Archive der ehemaligen deutschen Studentenverbindungen und Philistervereinigungen“ (lit. b), Archive der nicht auf Gewinn gerichteten Vereine, soweit sie deren inneres Leben schildern (lit. c). Besonders hervorzuheben ist lit. f. der Anmerkung zu Nr. 15, wonach ausgeführt werden können „Kirchen- und Gemeindebücher deutscher Kirchen und Gemeinden sowie Kopien, Photokopien oder Abschriften der Bücher gemischter Gemeinden“. Angemerkt sei noch, dass die deutsch-ukrainischen und deutsch-russischen Zusatzverträge zu den Friedensverträgen von Brest-Litowsk Anfang 1917265 ebenfalls die Rückkehr der deutschen Siedler ins Reich vorsahen.266 Trotz für Deutschland und für die Siedler äußerst günstigen Regelungen – insbesondere im Vertrag mit Russland – fehlt dort jeder Hinweis auf ein Recht zur Mitnahme von Archivalien. Bei genauer Lektüre sind die Umsiedlungsverträge mit Estland und Lettland natürlich weniger ergiebig als auf den ersten Blick. Allenfalls Archive im Privatbesitz und kirchliche Sammlungen wurden nämlich vom grundsätzlichen Ausfuhrverbot für Kulturgüter ausgenommen. Trotzdem ist die Folgerung Meyer-Landruts, damit wäre international anerkannt, dass die das Land verlassende Bevölkerung ihre Geschichte gleichsam „mitführt“267, nicht von der Hand zu weisen. Allerdings scheinen in der Praxis die Möglichkeiten zur Mitnahme von Archivalien noch mehr eingeschränkt worden zu sein, als dies nach dem zitierten Wortlaut der Abkommen ohnehin der Fall war. Wie Urmas Oolup, Direktor des Stadtarchivs von Tallinn, im Jahr 2005 berichtet, wurde durch die Umsiedlung der Deutschbalten aus Estland die normale und langfristig angelegte Erschließungs- und Editionsarbeit durch die „Übernahme zahlreicher Archive privater Provenienz“268 verdrängt. Binnen kurzer Zeit, von 1939 bis 1940, habe nämlich das Stadtarchiv Archive umgesiedelter deutscher Familien und aufgelöster Vereine aufnehmen müssen: „Die estnische Staatsregierung erklärte kulturhistorisch wertvolle Einzelgegenstände und Sammlungen, u.a. auch Privatarchive, die im Besitz der Deutschbalten waren, zum nationalen Kulturgut. Diese durften von den Umsiedlern aus Estland nicht weggeführt werden, son-
___________ 265 RGBl. 1918, S. 1030, und RGBl. 1918, S. 622. Vgl. Karl Strupp, Die Friedensverträge. I. Ostfrieden (Ukraine, GroßRussland, Finnland, Rumänien) nebst den Zusatzverträgen, Berlin 1918. 266 Vgl. dazu Silagi, Vertreibung und Staatsangehörigkeit, Bonn 1999, S. 89 ff. 267 Meyer-Landrut (Fn. 41), Arch. Ztschr. 48, S. 119. 268 Urmas Oolup, „Über das Stadtarchiv Tallinn (Reval) in Estland und seine Bestände“, Arch. Ztschr. 87 (2005), S. 165 (173).
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dern sollten den öffentlichen Museen, Archiven und Bibliotheken überlassen werden.“269 Im Jahr 1944 verschleppte dann die abziehende deutsche Besatzungsmacht auch wichtige Archivbestände aus dem Stadtarchiv.270 Sie wurden erst im Oktober 1990 nach Tallinn zurückgegeben.271 Entgegen dem bereits erwähnten Grundsatz der unbedingten Restitution von historischem Archivgut, welches von einer Besatzungsmacht entwendet wurde, blieben nämlich Bestände aus dem Baltikum zunächst in den Westzonen Deutschlands. Dies hing mit der Nicht-Anerkennung der sowjetischen Annexion der baltischen Staaten durch die westlichen Besatzungsmächte zusammen.272 Eine Ausnahme von der unbedingten Restitution wurde bei Sammlungen und einzelnen Gegenständen aus dem Baltikum aber auch deshalb gemacht, weil sie in unmittelbarem Bezug zu weitgehend vertriebenen Bevölkerungsteilen standen. So gehörte zum Archivgut, das von den abziehenden Deutschen aus dem Baltikum mitgenommen wurde, neben staatlichen Archivalien, die wegen Nichtanerkennung der sowjetischen Annexion im Westen zurückgehalten wurden, auch der als privat zu qualifizierende Archivbestand der baltischen Ritterschaft.273 Dieser Bestand wurde aufgrund der privaten Eigentumsansprüche der aus dem Baltikum vertriebenen Ritterschaft274 in Deutschland (Marburg) belassen.275 Vor allem ist hier aber die Überlassung des von den Deutschen im Osten geraubten, weitgehend erbenlosen jüdischen Kulturguts durch die Westalliierten an jüdische Nachfolgeorganisationen zu nennen.276 Turner glaubt darin Parallelen zu einer angemessenen Behandlung der Fragen der Archive der deutschen Ostgebiete zu erkennen.277 Die Analogie ist insoweit nicht zwingend, als es bei dem jüdischen Kulturgut – zumindest bis zu seiner Sammlung und Lagerung in Deutschland – nicht um Archivgut ging.278 Es handelte ___________ 269
Oolup, ebd., S. 173, Fn. 13. Siehe Oolup (Fn. 268), Arch. Ztschr. 87, S. 175, Fn. 16 f. 271 Grimstedt (Fn. 30), S. 308 f.; vgl. auch Henning von Wistinghausen, Im freien Estland: Erinnerungen des ersten deutschen Botschafters 1991-1995, Köln 2004, S. 2632. 272 Grimstedt (Fn.30), S. 238. 273 Es handelt sich um die vier Ritterschaften in den Provinzen Liv-, Est- und Kurland sowie auf der Insel Ösel (Hubertus Neuschäffer, „Die Rolle der Balten als Europäer“, in: Hans Hecker/Silke Spieler, Die historische Einheit Europas, Bonn 1994, S. 25 f.). 274 Zum „Verband der Angehörigen der Baltischen Ritterschaften e.V.“ vgl. Walther v. Ungern-Sternberg, Geschichte der Baltischen Ritterschaften, Limburg 1964, S. 89 f. 275 Grimstedt (Fn. 30), S. 239. 276 Vgl. Michael J. Kurtz, America and the Return of Nazi Contraband, Cambridge 2006, S. 151 ff. 277 Turner (Fn. 262), S. 17, 107. 278 Vgl. Michael J. Kurtz, Nazi contraband, New York 1985, S. 202 (211). 270
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sich um geraubte Gegenstände teils aus dem Privatvermögen einzelner, teils aus religiösen Einrichtungen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass die westdeutschen Behörden den Bestrebungen zur Ausfuhr erhalten gebliebener jüdischer Archivalien aus Deutschland nach 1945 eher ablehnend gegenüberstanden279, wobei die Lage in Bayern, so Kurtz, “particularly difficult”280 war, und zwar aufgrund der ablehnenden Haltung von Philipp Auerbach. Nicht um den Raub, sondern um die Rettung von Archivgut ging es bei der Verbringung des Archivs der jüdischen Gemeinschaft im Irak in die USA durch amerikanische Spezialeinheiten im Jahr 2003.281 Das Archiv befand sich nicht nur kriegsbedingt in einem desolaten Zustand und wurde daher zur Sicherung und Wiederherstellung des Bestands der U.S. National Archives and Records Administration übergeben. Die Eigentumsverhältnisse an dem Archiv, das sich zuletzt in den Kellern der Zentrale der irakischen Geheimpolizei befand und dort dem Verfall preisgegeben war, sind unklar.282 Die Dokumente hatten der jüdischen Gemeinde des Iraks gehört, aber eine jüdische Gemeinschaft gibt es im Irak nicht mehr. Nach fast 3.000 Jahren ununterbrochener Präsenz in Mesopotamien mussten nämlich die rund 130.000 Angehörigen der jüdischen Gemeinde im Irak Anfang der fünfziger Jahre unter Zurücklassung ihres Vermögens, aber auch ihre Kultur- und Archivgüter, das Land verlassen.283 Dieser Exodus war umfassend; bis zum Ende der Herrschaft Saddam Husseins war die Zahl der Juden im Irak auf weniger als 100 geschrumpft.284 Eine Rückgabe an den Irak scheidet also in Anbetracht der Tatsache, dass sich die gesamte jüdische Gemeinde im Exil (weitgehend in Israel) befindet, nach den oben entwickelten Grundsätzen eigentlich aus.285 Dies gilt umso mehr, als eine sichere Aufbewahrung des zum Teil kulturhistorisch sehr wertvollen Bestands im Irak ausgeschlossen erscheint. Allerdings kann die Aufbewahrung des Archivguts abgewanderter Gemeinschaften „vor Ort“, d.h. im Vertreibungsgebiet, ausnahmsweise eine legitime Alternative zur Mitnahme sein. Das Bemühen um Erhaltung des genuin volksdeutschen Archiv- und Kulturguts in den siebenbürgischen Vertreibungsgebie___________ 279
Vgl. Kurtz (Fn. 276), S. 220 f. Kurtz, ebd., S. 169. 281 Siehe Dana Ledger, “Remembrance of Things Past: The Iraqi Jewish Archive and the Legacy of the Iraqi Jewish Community”, George Washington International Law Review 37 (2005), S. 795 ff. 282 Ledger, ebd., S. 828. 283 Ledger (Fn. 281), S. 812. 284 Ledger (Fn. 281), S. 815. 285 So überzeugend Ledger (Fn. 281), S. 827 ff., mit weiteren Nachweisen. 280
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ten stellt einen solchen Fall dar.286 Wertvolles Archivgut der ausschließlich volksdeutschen Angehörigen der Augsburger Konfession in Siebenbürgen war in den Jahren nach 1944 enteignet und in den staatlichen Archivfonds überführt worden.287 Den rumänischen Staatsarchivaren wird zwar ein pfleglicher Umgang mit dem übernommenen Archivgut der religiösen und zugleich nationalen Minderheit bescheinigt288, aber die rumänische Vorschrift, wonach einmal in das staatliche Archiv gelangte Akten dieses nicht mehr verlassen dürfen289, macht eine Restitution schwierig: „Die Rückübertragung steht“, so der deutsche Archivar Helmut Baier im Jahr 2005, „vor Eintritt in die EU noch an“.290 Ein wohl dringenderes Problem stellte und stellt die Sicherung des nicht verstaatlichten, also nicht in den staatlichen Archivfonds eingestellten Schriftgutes, aber auch des sonstigen Kulturgutes der rund 260 Gemeinden Augsburger Bekenntnisses in Rumänien dar. So blieben etwa im Fall des Archivs der Honterusgemeinde in Kronstadt die kirchlichen Matrikeln und Schulakten auch nach 1945 an ihrem Standort und wurden nicht in den nationalen Archivfonds überführt.291 Die Gemeinden befanden sich jedoch angesichts der Auswanderung deutschsprachiger evangelischer Gemeindemitglieder A.B. seit den 1970er Jahren weitgehend in Auflösung. Es war aber auch nach der Wende von 1988/90 nicht vorgesehen, den nicht vom rumänischen Staat konfiszierten, den örtlichen Gemeinden belassenen Archivbestand nach Deutschland zu überführen. Vielmehr bemühte sich die Kirche mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der EKD um die Sammlung und zentrale Sicherung des verstreuten Archivgutes in Siebenbürgen selber, und am 19. Oktober 2003 wurde in Hermannstadt ein nach dem siebenbürgischen Bischof Friedrich Teutsch (1852-1933) benanntes Kultur- und Begegnungszentrum mit einem neuen Zentralarchiv der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien eröffnet.292 ___________ 286
Siehe dazu Helmut Baier, „Rettung des Kulturgutes religiöser Minderheiten am Beispiel Siebenbürgen (Transsylvanien/Rumänien) oder wie beharrlicher, oft auswärtiger Sachverstand Fakten schaffen kann“, Aus evangelischen Archiven 45 (2005), S. 153 ff. 287 Thomas Sindilariu, „Enteignung von Archivgut aus dem Besitz evangelischer Gemeinden A.B. in Rumänien nach 1944 am Beispiel des Archivs der Honterusgemeinde in Kronstadt“, Aus evangelischen Archiven 44 (2004), S. 95 ff. 288 Baier (Fn. 286), Aus evangelischen Archiven 45 (2005), S. 161. 289 Art. 19 des rumänischen Gesetzes der nationalen Archive von 1996, vgl. Sindilariu (Fn. 287), Aus evangelischen Archiven 44 (2004), S. 114 mit Fn. 76. 290 Baier (Fn. 286), Aus evangelischen Archiven 45 (2005), S. 161. 291 Sindilariu (Fn. 287), S. 112. 292 Baier, „Eine Diasporakirche, ihr Kulturgut und ihre Geschichte als verpflichtendes Erbe. Das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien“, Aus evangelischen Archiven 44 (2004), S. 65 ff.; Wolfgang Theilemann, „Das neue Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B in Rumänien – endlich ein angemessener Ort für die
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2. Mohammed Bedjaoui und die ILC Zwar hat sich die ILC im Rahmen der Ausarbeitung der WK 83 mit Fragen der Staatennachfolge befasst, aber dabei wurde auch das Problem der Vertreibung angesprochen: Im Falle einer Zession regelt Art. 27 WK 83 den Übergang der im Abtretungsgebiet belegenen Archive an den Nachfolgestaat. Allerdings finden sich in den Materialien aufschlussreiche Hinweise zu Vertreibungen, die in Zusammenhang mit Gebietsabtretungen stehen. Sowohl der Berichterstatter Bedjaoui als auch die ILC haben im Falle der Vertreibung oder auch nur der Auswanderung der Mehrheit der angestammten Bevölkerung aus einem abzutretenden Gebiet in den Altstaat Art. 27 WK 83, für unanwendbar gehalten. Dies wird durch einen Vorbehalt bei der Begründung Bedjaouis für die in Art. 27293 gefundene Regelung deutlich. Zunächst wird betont, “State archives which were situated in the transferred territory, such as the archives constituted locally by the predecessor State for the purpose of administering the part of the territory in question, must pass to the successor State.”294 Dies sei selbst dann noch angemessen, wenn einige oder viele Bewohner des Abtretungsgebiets für den Vorgängerstaat optierten und abwanderten295, doch sei dann folgendes zu berücksichtigen: “The State archives that were situated in the transferred territory, such as taxation records or records of births, marriages and deaths, concern these transplanted inhabitants. It will then be for the predecessor State to ask the successor State for all facilities such as microfilming, in order to obtain the archives necessary for administrative operations relating to the evacuated nationals. In no case, however, inasmuch as it is a minority of the inhabitants which emigrates, may the successor State be deprived of the archives necessary for administrative operations relating to the majority of the population which stays in the transferred territory.”296 Daraus folgt, dass bei Vertreibung der Bevölkerungsmehrheit, ja sogar bei deren freiwilligen Option für den bisherigen Heimatstaat und folgenden Abwanderung, Art. 27 WK 83 nicht gilt, die örtlichen Archive also nicht auf den Nachfolgestaat übergehen sollen. Entscheidend ist hier der eben zitierte, mit „inasmuch“ eingeleitete Vorbehalt Bedjaouis, dem die ILC in ihrem Bericht ___________ Schriftgutüberlieferungen der traditionsreichen Minderheiten Kirche“, Aus evangelischen Archiven 44 (2004), S. 75 ff. 293 In der endgültigen Numerierung. 294 Bedjaoui, Eleventh report, YBILC 1979, II, 1, S. 107 (Hervorhebung im Original). 295 “This is the obvious, wise and equitable solution. It may happen, however, that in consequence of the transfer of a part of one State's territory, some or many of the inhabitants, preferring to retain their nationality, leave that territory and settle in the other part of the territory, which remains under the sovereignty of the predecessor State.” (Bedjaoui, ebd.) 296 Bedjaoui (Fn. 294).
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wörtlich gefolgt ist297. In einer derartigen Situation fallen also entgegen Art. 27 WK 83 “the archives necessary for administrative operations relating to the evacuated nationals”298, also Verwaltungsarchive, nicht an den Nachfolgestaat. Auch die Arbeitsgruppe des Internationalen Archivrats verlangt in ihrer Stellungnahme zur WK 83, bei der Zuordnung der Archive im Zessionsfall die Abwanderung der Bevölkerung eines zedierten Gebietes in den Vorgängerstaat zu berücksichtigen: “In cases where, in the process of change of sovereignty, a siginificant part of the population leaves the territory of the successor State and settles in the territory of the predecessor State, this fact shall be taken into account when negotiating the succession of States in respect of archives”.299 Was den Aspekt des Schutzes der kulturellen Identität angeht, macht es wohl keinen Unterschied, ob ein Staat „bloß“ eine geschlossene Minderheit mit inländischer Staatsangehörigkeit, sei es eine Volksgruppe oder eine religiöse Minderheit, vertreibt (wie etwa die Südostdeutschen in Rumänien oder die Juden aus dem Irak und zahlreichen anderen arabischen Staaten nach 1948) oder ob ein Staat nach Erwerb eines Gebietes die angestammte Bevölkerung aus diesem Gebiet vertreibt. In beiden Fällen gelten gleichermaßen die Grundsätze, welche die ILC und ganz besonders M. Bedjaoui hier für den Schutz und die Bewahrung des kultureller Erbes vertriebener Minderheiten aufstellen.
3. Die ostdeutschen Archive Wie gesagt, blieb zwischen Deutschland und Polen die Zuordnung von Archivalien umstritten. Es geht einmal um ostdeutschen Familienbücher aus katholischen und evangelischen Gemeinden im Vertreibungsgebiet300, zum anderen vor allem um die Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Osten Preußens in das Gebiet der späteren Westzonen verlagert worden waren. Der größere Teil des Registraturgutes der ostdeutschen Standesämter war bei der Vertreibung der Deutschen im Osten geblieben. Vor Kriegsende waren jedoch in bescheidenem Umfang standesamtliche Register aus den Vertreibungsgebieten in den Westen gerettet worden. Sie wurden im Standesamt I in ___________ 297
Report of the ILC on the work of its 33rd session, YBILC 1981, II, 2, S. 42. Bedjaoui (Fn. 294). 299 “Professional Advice formulated in 1983 on the Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Part III , State archives (art. 19 to 31)”, in: CITRA 1993-1995, S. 250 (254). 300 Vgl. dazu Silagi, „Die kulturelle Dimension des Rechts auf die Heimat im deutschen Vertriebenenrecht“, Teil 2, in: IFLA Informationsdienst 2005, S. 13-16. 298
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Berlin (West), teilweise auch im Standesamt I in Berlin (Ost) aufbewahrt.301 An diesem nach Berlin geschafften Material war man nach 1945 in Warschau offensichtlich nicht sonderlich interessiert. Nur so erklärt es sich, dass derjenige Teil dieser Bestände, welcher bis zur Wende von 1989/90 in Ost-Berlin lagerte – 1250 laufende Meter an Standesamtsregistern und Personenstandsbüchern aus 1300 ehemaligen ostdeutschen Standesämtern302 –, nicht von der DDR an Polen herausgegeben wurde. Polen hat andererseits weder vor noch nach 1990 das in den ostdeutschen Standesämtern zurückgelassene Registraturgut an Deutschland übergeben. Dabei hatte Herbert Kraus bereits 1949 festgestellt, dieses sei „für die nunmehr dort tätigen Behörden und in diesen Gebieten wohnhaften Menschen von keiner aktuellen Relevanz; aber [es] ist in vielfacher Hinsicht (z. B. für Familienstand, Vorstrafen, Ausweis über bestandene Prüfungen usw. usw.) für die Behörden der Aufnahmeländer und die Vertriebenen selbst von wesentlicher Bedeutung“303 und sei daher an Deutschland herauszugeben. Auch nach den von der UN-Völkerrechtskommission in Übereinstimmung mit ihrem Sonderberichterstatter Bedjaoui aufgestellten, von der Arbeitsgruppe des Internationalen Archivrats im Jahr 1983 bestätigten Grundsätzen hätten diese Archivalien an den Aufnahmestaat der Vertriebenen, also an Deutschland, zu fallen. Immerhin gelang es dem Verlag für Standesamtswesen im Jahr 2000, ein Verzeichnis der in Polen einschließlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete zurückgelassenen und dort aufbewahrten deutschen Standesregister und Personenstandsbücher zu veröffentlichen.304 Im Frühjahr 2002 wurden, wie erwähnt, 3361 ostdeutsche Kirchenbücher, welche am Ende des Zweiten Weltkrieg in den Westen gelangt waren und im bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg aufbewahrt wurden, an die nunmehr polnischen Heimatdiözesen übergeben.305 Diese Transaktion erfolgte aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat ___________ 301
Verlag für Standesamtswesen (Hrsg.), Standesamtsregister und Personenstandsbücher der Ostgebiete im Standesamt I in Berlin. Gesamtverzeichnis für die ehemaligen deutschen Ostgebiete, die besetzten Gebiete und das Generalgouvernement, Frankfurt a.M., Berlin 1992. Nach dem 3. Oktober 1990 wurde der Gesamtbestand vom wiedervereinigten Standesamt I in Berlin fortgeführt (Wolfgang Schütz, Vorwort, ebd., S. V). 302 Vgl. Wolfgang Schütz, ebd., S. V. 303 Herbert Kraus, „Völkerrechtliches Gutachten“, in: H. Kraus/Erich Weise, Zwei Gutachten über die Archive des Deutschen Ordens sowie des altpreußischen Herzogtums (als Ms. gedruckt) Göttingen 1949, S. S. 9 (Nr. 8); ähnlich Hermann Kownatzki, „Grenzen des Provenienzsystems“, Arch. Ztschr. 47 (1951), S. 217 f. 304 Verband der Standesbeamten der Republik Polen (Hrsg.), Deutsche Personenstandsbücher und Personenstandseinträge von Deutschen in Polen. 1898-1945, Frankfurt am Main 2000; dieses ebenfalls im Verlag für Standesamtswesen erschienene Verzeichnis ergänzt das vom Verlag für Standesamtswesen herausgegebene Gesamtverzeichnis von 1992. 305 Vgl. dazu Rudolf Zewell, „Kirchenbücher sind weg“, Rheinischer Merkur 2002, Nr. 25, S. S. 4.
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vom August 2001. Kirchlicherseits hat man das damit begründet, dass die Kirchenbücher nach dem jus ecclesiasticum weiterhin im Eigentum der rechtlich fortbestehenden katholischen Pfarreien im Osten stünden und als Kirchengut den (allerdings erst seit 1992) zuständigen polnischen Bistümern übergeben würden.306 Das mag zwar formaljuristisch vertretbar sein, ist doch vom kanonischen Grundsatz der Unveräußerlichkeit von Archivgut auszugehen307, aber dies hindert nicht die innerkirchliche Verlagerung von Archivgut mit Genehmigung des Apostolischen Stuhles.308 Eine derartige Genehmigung war wohl auch für die Herausgabe an die „Heimatdiözesen“ Voraussetzung, denn nach dem überkommenen preußischen Recht waren die mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Kirchengemeinden Eigentümer des Archivguts.309 Diesen nach dem katholischen Kirchenrecht fortbestehenden Pfarreien und nicht den für sie (seit 1992) zuständigen „Heimatdiözesen“ wären die Kirchenbücher also allenfalls auszuhändigen gewesen. Eine Abgabe der im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin verwahrten Kirchenbücher aus den historischen deutschen Ostgebieten ist nicht beabsichtigt. Eigentümer dieser Kirchenbücher waren die jeweiligen evangelischen Kirchengemeinden in den ostdeutschen Kirchenprovinzen der damaligen Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. Sie sind, so der sicherlich besser nachvollziehbare Rechtsstandpunkt der Evangelischen Kirche, durch die Vertreibung der Gemeindemitglieder untergegangen. Ihr in der Bundesrepublik Deutschland gelegenes Eigentum ist auf die Evangelische Kirche der Union, die Rechtsnachfolgerin der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, übergegangen, so dass „keine Ansprüche auf sie erhoben werden können, wie es die Konferenz der polnischen katholischen Bischöfe für die 3361 Kirchenbücher getan hat“.310 Von Völkerrechts wegen war und ist die Abgabe von Kirchenbüchern aus den Vertreibungsgebieten an Polen nicht geboten; der evangelische Standpunkt ist folgerichtig. Dies gilt um so mehr, als eine ausschließlich kirchenrechtliche ___________ 306
Kritisch hierzu Rudolf Benl, „Man verliert, was man verloren gibt“, Folge 1 in: Kulturpolitische Korrespondenz (KK) Nr. 1163 (2003), S. 2 ff., Folge 2 in: KK Nr. 1164 (2003), S. 2 ff. 307 Zum kanonischen Veräußerungsverbot und dessen Grundlagen im einschlägigen jus ecclesiasticum vgl. Heribert Schmitz, Die pfarrlichen Kirchenbücher, Speyer 1992, S. 42 f., 86 f. (unter Hinweis auf das Statut der päpstlichen Kommission für die kirchlichen Archive in Italien vom 29. Februar 1960 und die Anweisungen für die Ordinarien und Ordensoberen Italiens über die Verwaltung der Archive vom 5. Dezember 1960 – abgedruckt in: Der Archivar 15, 1962, Sp. 205 ff.). 308 Vgl. Schmitz, ebd., S. 43. 309 Schmitz (Fn. 307), S. 34. 310 So der Leiter des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, Dr. Hartmut Sander, in seinem instruktiven Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen vom 17. September 2001.
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Einordnung der Kirchenbücher fragwürdig wäre: Bis 1874/76 wurden in Preußen für Christen keine weltlichen Standesregister geführt. Durch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 wurden allerdings Einrichtung, Führung und Aufbewahrung der Kirchenbücher den Pfarrern übertragen und eingehend normiert.311 Seither besaßen die kirchlichen Matrikeln den Status öffentlich-rechtlicher Urkunden.312 Bis zur Einführung des staatlichen Personenstandswesens im Jahr 1875 waren die Kirchenbücher in Preußen (wie in den anderen Teilen des Reiches) zugleich „staatliche Personenstandsregister“313, für deren Anschaffung und Einband der Staat auch die Kosten übernahm. Daher erschiene es angemessener, die Pfarrer, welche die Kirchenregister geführt haben, als mit der staatlichen Funktion der zivilen Beurkundung betraut oder beliehen anzusehen. Entsprechend wären die Kirchenbücher aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Charakters als staatliche Archivalien zu qualifizieren.314 Eher hätte also Deutschland von Polen die Herausgabe von solchem Archivgut verlangen können, das von den bis 1945 deutschen Kirchengemeinden stammte. Dies gilt gleichermaßen für katholische wie für evangelische Kirchenbücher. Auf historische Archive treffen die Erwägungen, mit denen die ILC ihren Vorbehalt für den besonderen Fall einer Vertreibung der angestammten Bevölkerung aus dem Abtretungsgebiet begründet, nicht im selben Maße zu wie auf Verwaltungsarchive. Aber sowohl Akten als auch Archivalien aus den früheren preußischen Ostprovinzen gelangten, so treffend Klaus-Dieter Lehmann im Jahr 2000, „als Teil der Identität der Menschen, um derentwillen sie entstanden waren, mit der Vertreibung der Deutschen nach Westen.“315 Bei historischen Archiven gebietet auch der Grundsatz der Rücksichtnahme auf das Recht der Völker der beteiligten Staaten auf Entwicklung, auf Information über ihre Geschichte und auf ihr kulturelles Erbe die Herausgabe an den Vorgängerstaat, denn solche Urkunden können für die vertriebene Bevölkerung von historischer und kultureller Bedeutung sein. Wenn Archivbestände im Abtretungsgebiet nicht bloß von lokaler Bedeutung für die dortige Bevölkerung sind, sondern Bezug zur Geschichte des Vorgängerstaates insgesamt haben, sollten sie ___________ 311
Schmitz (Fn. 307), S. 34. Tomasz Brzózka, Einleitung zu Deutsche Personenstandsbücher und Personenstandseinträge von Deutschen in Polen. 1898-1945, S. 5. 313 Schmitz (Fn. 307), S. 34. Vgl. auch Wolfgang Günther, „Personenstandsüberlieferung in evangelischen Archiven“, Aus evangelischen Archiven 45 (2005), S. 102 ff. 314 Zur Problematik einer Einstufung von Kirchenregistern als nicht-staatlich vgl. auch das Zitat weiter oben aus dem UNESCO-Report 20C/102. 315 K.-D. Lehmann, zitiert nach „Was heißt hier Identität? Noch einmal: Das Problem verschleppter Kulturgüter sollte dem Territorialprinzip folgen“, Berliner Zeitung vom 20. Dezember 2000. 312
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auch dann nicht an den Nachfolgestaat fallen, wenn die angestammte Bevölkerung des zedierten Gebietes nicht in den Altstaat abwandert. Dass auch bei historischen Dokumenten in jedem Fall vor der voreiligen Zuschreibung an einen der beteiligten Staaten zu warnen ist, zeigt auch die bereits erwähnte polnischerseits seit 1945 bestrittene Zuordnung der Archive des Deutschen Ordens sowie des altpreußischen Herzogtums zu Deutschland. Diese Warnung gilt besonders bei Archivbeständen längst obsoleter Rechtssubjekte: Die Identifikation des Staatsvolkes eines bestimmten Nachfolgestaates als denjenigen Volkskörper, in dem der untergegangene Staat (oder das untergegangene staatsähnliches Gebilde) gleichsam „weiterlebt“ und der daher legitimer Träger seines kulturellen Erbes ist, dürfte im Einzelfall nicht immer einfach sein. Bei den beiden Archiven des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums handelt es sich um „historische Archive“. Diese bis zum Jahr 1944 im Preußischen Staatsarchiv in Königsberg aufbewahrten Bestände befinden sich nunmehr im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.316 Sie waren 1944 von Königsberg nach Goslar verlegt worden.317 Die betreffenden Bestände waren also vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus einem Teil Preußens in einen anderen Teil desselben Staates (zunächst nach Goslar) gerettet worden318. Polnischerseits wurde allerdings behauptet, wertvolle polnische Archivalien aus den „wiedergewonnenen Gebieten“319 seien ins Innere Deutschlands „verschleppt“ worden. Ähnliches vertrat noch im Jahr 1998 die Generaldirektorin der polnischen Archive.320 Eine kriegsrechtliche Qualifikation der Vorgänge wäre jedoch abwegig, denn das nördliche Ostpreußen war kein von Deutschland besetztes Gebiet. Das wird in der Diskussion gelegentlich auch
___________ 316 Jürgen Sarnowsky, „Die Quellen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen“, in: M. Thumser u.a. (Hrsg.), Edition deutschsprachiger Quellen aus dem Ostseeraum (14.-16. Jahrhundert), Torun 2001, S. 171 (174). 317 Siehe Kurt Forstreuter, Das Preußische Staatsarchiv in Königsberg, Göttingen 1955, S. 11 ff. (zum Deutschordensarchiv) und S. 22 f. (zum Archiv des Herzogtums Preußen). 318 Dies betont auch Kraus (Fn. 303), S. 10 f. (Nr. 12). 319 So die Formulierung in der deutschen Zusammenfassung von Wladyslaw Stepniak, Misja Adama Stebelskiego [Adam Stebelskis Mission: Die Revindikation von polnischen Archivalien aus Deutschland (1945-1949)], Warschau, Lodz 1989, S. 76 ff. Stebelski, von dem das Buch handelt, war nach 1945 Direktor des Hauptstaatsarchivs in Warschau; zu seiner Tätigkeit in Deutschland vgl. C.A.F. Meekings, „Rückgabe von Archiven an Polen“, Der Archivar 1 (1947/48), 71 (74). 320 Daria Nalecz, in ihrem Beitrag in Archives et Bibliothèques de Belgique 69, S. 73.
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von neutralen Beobachtern verkannt321. Das Deutschordensarchiv ist auch nicht erst während des Krieges (also zwischen 1940 und 1944) aus dem besetzten Polen nach Königsberg verlagert worden. Die Behauptung Grimstedts322, der strittige Archivbestand des Deutschen Ordens sei bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Warschau aufbewahrt worden, trifft allenfalls für einzelne, verstreute Urkunden zu.323 Eine Verpflichtung zur Restitution des Archivs an Polen scheidet also ebenso aus wie in Bezug auf das Staatsarchiv Königsberg im übrigen. Allenfalls hinsichtlich der erwähnten (insgesamt 73 oder 74) Urkunden, die 1525 von Königsberg über das polnische Kronarchiv in Krakau in das Warschauer Archiv für Alte Akten gelangten und von dort während der Besatzung durch Deutschland im Jahr 1941 in das Staatsarchiv Königsberg verschleppt wurden324, könnte eine Rückgabe in Erwägung gezogen werden.325 Dennoch wäre zu prüfen, ob die im Jahre 1944 erfolgte Verlegung von Archivbeständen aus dem seinerzeit deutschen Königsberg in den Westen im Verhältnis zu den möglichen Nachfolgestaaten (neben Polen käme noch die UdSSR/Russland in Frage) als „suspekt“ im Sinne von Art. 26 WK 83326 zu qualifizieren wäre. Art. 26 WK 83 soll rechtsmissbräuchliche Verfügungen des Vorgängerstaates über seine Archive zu Lasten des Nachfolgestaates während der sog. „période suspecte“327, also im zeitlichen Umfeld einer Staatennachfolge, verhindern. Es geht dabei um den Zeitraum, welchen Seidl-Hohenveldern in Zusammenhang mit dem Ende der DDR als „Götterdämmerungszeit eines Regimes“ bezeichnet hat.328 ___________ 321 Vgl. etwa Auer (Fn. 180), CITRA 1993-1995, S. 176, der bei der Behandlung des Themas „Restitution of Removed Records Following War“ auch das Königsberger Archiv anführt. 322 Grimstedt (Fn. 30), S. 238. 323 Vgl. Sarnowsky, „Die Quellen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen“, S. 173, 184 f. 324 Vgl. Sarnowsky, ebd., S. 185, Fn. 66. Adam Stebelski, The Fate of Polish Archives during World War II, Warschau 1964, S. 34, spricht in diesem Zusammenhang von „74 parchments of the former Polish Crown Archives from the period of 1215-1455 (including 15 Papal Bulls)“; zur Nichtrückgabe dieser verschleppten 74 Dokumente durch die Briten in der unmittelbaren Nachkriegszeit siehe ebenda, S. 52 Fn. 102. 325 Vgl. Klaus-Dieter Lehmann als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Juli 1999: „Es besteht für mich gar kein Zweifel, dass wir diese Urkunden zurückgeben.“ 326 Art. 26 WK 83 lautet: „Für den Zweck der Erfüllung der Bestimmungen der Artikel im vorliegenden Teil soll der Vorgängerstaat alle Maßnahmen ergreifen, um Beschädigung oder Zerstörung von Staatsarchiven, die in Übereinstimmung mit diesen Bestimmungen auf den Nachfolgestaat übergehen, zu verhindern.“ 327 Vgl. dazu Silagi (Fn. 172), S. 231 ff. 328 Seidl-Hohenveldern, „Der Vermögensvertrag zwischen Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik“, in: FS Herbert Schambeck, Berlin 1994, S. 603 (615); im Falle der DDR meint dies die Monate zwischen dem Fall der Berliner Mauer
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Hinsichtlich der preußischen Gebiete östlich von Oder und Neiße kann eine „période suspecte“ im Sinne von Art. 26 WK 83 gar nicht angenommen werden. Es gibt keinen völkerrechtlichen Grundsatz, der es einem Staat verbieten würde, historische Archive innerhalb seines souveränen Gebietes in eine andere Sammelstätte zu verlegen.329 Dies gilt in diesem Fall schon deshalb, weil die Aufbewahrung gerade im Staatsarchiv Königsberg ihrerseits eher zufällig war. Überdies erfolgte die Verlegung lange vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt eines Erlöschens der deutschen Verwaltungskompetenz über den Einzugsbereich des Staatsarchivs Königsberg und über Königsberg selber – im Jahr 1944 geschah dies zweifellos nicht in Hinblick auf die damals ja noch unvorhersehbare Entwicklung nach dem 8. Mai 1945. Aber selbst wenn unterstellt würde, die Sicherung dieser Bestände sei während einer „période suspecte“ erfolgt, hätte die Rückführung in das heutige Polen oder nach Königsberg aus anderen Gründen zu unterbleiben. Die Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums sind nämlich von historischer Bedeutung nicht nur für die vertriebene Bevölkerung der Ostgebiete, sondern für das ganze deutsche Volk.330 In Parenthese sei angemerkt, dass das Bundesarchiv seine „Akten der deutschen Besatzungsverwaltung von 1939-1944/45 an Warschau abgegeben und dafür einige verlagerte Reichsakten erhalten“331 hat. Die Abgabe von Besatzungsakten ist wohl von Völkerrechts wegen nicht geboten. Dieser Meinung waren auch die Fachleute des Internationalen Archivrats, welche anscheinend die Errichtung oder Beendung einer occupatio bellica für einen Fall der Staatennachfolge hielten. Sie schlugen nämlich eine Ergänzung der WK 83 dahin vor, dass – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – vom Übergang der Archivalien an den Nachfolgestaat “the archives created by military occupation authorities”332 ausgenommen seien. (Da es sich bei der Beendigung der kriegerischen Besetzung nicht um einen Fall der Staatensukzession handelt, stellte sich die Frage des Schicksals der Akten einer Besatzungsmacht für die ILC nicht.) Von Völkerrechts wegen ist also die Zuordnung der beiden genannten historischen Archivsammlungen zu Deutschland vom Übergang der Verwaltungskompetenz in den Ostgebieten und von der im Jahr 1990 vollzogenen Gebietsabtretung nicht berührt. Aus staatsrechtlicher Sicht kommt noch hinzu, dass ___________ am 9. November 1989 und dem Beitritt der DDR zum freien Teil Deutschlands am 3. Oktober 1990. 329 Dies betont auch Kraus (Fn. 303), S. 10 f. (Nr. 12). 330 Vgl. Erich Weise, „Das Staatsarchiv Königsberg, seine Bedeutung für die deutsche und europäische Wissenschaft“, in: Kraus/Weise, Zwei Gutachten (1949), S. 13 ff. 331 Vgl. „Was heißt hier Identität? ...“, BZ vom 20. Dezember 2000. 332 Professional Advice, in: CITRA 1993-1995, S. S. 254.
Zur Problematik staatlicher und nicht-staatlicher Archive
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§ 96 BVFG333 im Einklang mit dem Völkerrecht gebietet, die deutschen Archivbestände, die bis 1945 aus den Ostprovinzen Preußens in den Westen gerettet worden waren, weiterhin in Deutschland zu sichern.334 * * *
Abstract Michael Silagi: The Property of National and Non-Governmental Archives after the Second World War, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 127-186. The sui generis nature of State archives as well as of private archives, as compared with public and cultural property in general, requires distinct standards for their treatment in cases of State succession. Therefore, the 1983 Vienna Convention on Succession of States contains separate sets of rules for succession with respect to State property and with respect to archives. Taking into account a large number of historical precedents, Part III of the Convention codifies general principles concerning the allocation of archives of predecessor States. Following the dissolution of the Soviet Union, of Czechoslovakia and of Yugoslavia, archival questions played quite a special role between the several successor States. An agreement on succession issues between the five successor States of the former State of Yugoslavia, signed in Vienna on June 29, 2001, is of special interest here, as it contains detailed rules on the distribution of archives of the predecessor State. Conventions containing provisions for the special protection of cultural property in times of armed conflict do not cover archives as such unless they are “historical”. ___________ 333 § 96 BVFG lautet folgendermaßen: „Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zu fördern. Die Bundesregierung berichtet jährlich über das von ihr Veranlaßte.“ Vgl. dazu Silagi, „§ 96 BVFG Staatlicher Auftrag und Förderanspruch der Vertriebenen“; www.kulturstiftung-der-deutschen-vertriebenen.de/Silagi. 334 Siehe dazu auch die Referate in Sektion III des 72. Deutschen Archivtages in Cottbus (2001), die sich mit dem Thema „Archivbestände unter den politischen und juristischen Folgen von Krieg und Herrschaftswechseln“ befassten; veröffentlicht in: Der Archivar, Beiband 7, Siegburg 2002, S. 135 ff.
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In the East German territories ceded to Poland and to the Soviet Union after 1945, some historical as well as current archives had been transferred to the western provinces of Prussia before the end of World War II. Removed documents would normally remain the property of the ceded territories. In these cases, however, the successor States, after having expelled the bulk of the original local population, cannot lay claim to these archives.
Enteignung der Deutschen durch Polen nach dem Zweiten Weltkrieg aus polnischer und völkerrechtlicher Sicht Von Aldona Szczeponek
I. Politische und rechtliche Ausgangslage Über die Enteignung der nach dem Krieg zwangsausgesiedelten Deutschen und über die Aussiedlung (Vertreibung) selbst, ähnlich wie über viele andere „unbequeme“ Seiten der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, konnte man in Polen über viele Jahre nicht offen sprechen. In der Volksrepublik Polen arbeitete man dagegen gerne mit Stereotypen und Feindbildern. Nun ist Polen ein freier und demokratischer Rechtsstaat, die Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte des Landes gehört allerdings immer noch zu einer höchst aktuellen Aufgabe der Politik und Gesellschaft. Die Aktivitäten der Vertriebenen in Deutschland werden in Polen sehr genau und gleichzeitig sehr misstrauisch und skeptisch beobachtet und meistens als revisionistisch und die Geschichte relativierend eingestuft. Diese empfindliche und emotionsgeladene polnische Haltung in Bezug auf die Kriegsvergangenheit hat verschiedene Ursachen, die für Polen verständlich und begründet zu sein scheinen, in Deutschland aber auf wenig Verständnis stoßen. Das Thema der Enteignung der Deutschen muss deshalb in einem breiteren Spektrum der Nachkriegsgeschichte behandelt werden. Außer der juristischen ist auch die historisch-politische sowie moralische und menschliche Ebene der Betrachtung zu beachten. Es geht hier doch um die einzelnen Schicksale der Deutschen, die sowohl ihr Eigentum als auch ihre Heimat verloren haben. Die polnischen und die deutschen „Rechtspositionen“ in Fragen der Vertreibung und Enteignung unterscheiden sich voneinander gravierend. Der Kern der Streitigkeiten liegt in der juristischen (vor allem völkerrechtlichen) Beurteilung der nach dem Zweiten Weltkrieg seitens der Siegermächte und Polen erfolgten Handlungen und getroffenen Maßnahmen. Umso mehr verlangen diese Fragen nach einer offenen Debatte, die allerdings nicht auf gegenseitige Beschuldigungen und Vorwürfe, sondern auf pragmatische und zukunftsorientierte Lösungen ausgerichtet werden muss. Eine „objektive“ juristische Betrachtung der Ereignisse, die vor vielen Jahren unter völlig anderen Bedingungen erfolgten und welche für beide Staaten und Nationen eine komplett andere Bedeutung haben, ist sehr schwierig, zumal man hier praktisch über die „eigene“ Rechts-
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lage entscheiden soll. Eine Annäherung im Rechtsstreit über die Enteignung und Vertreibung scheint deswegen schwer vorstellbar zu sein – es sei denn, sowohl die deutsche als auch die polnische Seite wären bereit, auf ihre bislang vertretene Auffassung in einigen Fragen zu verzichten. Um die Fragen nach den eventuellen Restitutionsansprüchen für das verlorene deutsche Eigentum zu beantworten, muss man ein grundlegendes Problem lösen, nämlich ob die Enteignung wirksam, also rechtmäßig war. Dies muss vor allem völkerrechtlich geprüft werden, da nicht das nationale Recht, sondern in diesem Fall vielmehr das Völkerrecht Anwendung findet. Die deutschen Ansprüche fußen einerseits auf der Völkerrechtswidrigkeit der Handlungen des polnischen Staates (insbesondere der Enteignung), andererseits sind sie auf dem allgemein anerkannten Eigentumsschutz gestützt. Die polnische Seite hebt dagegen stets hervor, dass die polnischen Nachkriegshandlungen (Gebietsübernahme, Zwangsumsiedlung und Konfiskationen) vor allem als Konsequenz des durch Deutschland geführten Angriffskrieges anzusehen sind und völkerrechtskonform waren. Die Enteignung unterlag darüber hinaus allein der damals geltenden polnischen Regelung in dem Bereich. Da das Problem der Konfiskationen und Entschädigung eng mit den Fragen des Gebietsverlustes und der Zwangsumsiedlung der deutschen Bevölkerung zusammenhängt, verlangen diese Fragen eine kurze Betrachtung. Die Rechtspositionen der polnischen Lehre werden dabei im Mittelpunkt stehen.
II. Zur rechtlichen Lage der ehemaligen deutschen Ostgebiete („Oder-Neiße-Gebiete“) nach der polnischen Lehre Den Ausgangspunkt für die Beurteilung der rechtlichen Lage der OderNeiße-Gebiete stellt die Würdigung völkerrechtlicher Akte dar, die nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands vom 8. Mai 1945 1 zustande gekommen sind, vor allem des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 2 und seiner Bestimmungen, die sich mit den Gebieten östlich der Oder-Neiße Linie beschäftigen (Kapitel IX). Die polnische und die deutsche Lehre vertreten in dieser Frage radikal unterschiedliche Meinungen. Die deutsche Lehre hebt hervor, dass die endgültige ___________ 1 Text: Militärische Kapitulationsurkunde (08.05.1945), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ns/1945/kapitulation.html, Stand: 18.09.2006. 2 Text: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 13-20; Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin [„Potsdamer Abkommen“] (02.08.1945), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ in/1945/potsdamer-abkommen.html, Stand: 18.09.2006.
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Regulierung der Grenzfrage erst im sog. Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990 3 stattgefunden habe, welchem der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze vom 14. November 1990 4 folgte. 5 Nach der polnischen Lehre handelt es sich dagegen schon beim Potsdamer Abkommen um einen verbindlichen konstitutiven völkerrechtlichen Akt, aufgrund dessen Polen seine souveräne Gewalt auf dieses ehemalige deutsche Territorium erstrecken konnte. 6
1. Die Streitpunkte und die Meinung polnischer Lehre Der faktische Rahmen der Machtaufteilung nach dem Krieg wurde politisch schon in Teheran 7 und Jalta bestimmt. 8 Bezüglich des polnischen Staates wurde seine „Verschiebung“ nach Westen beschlossen, was einen deutlichen Verlust der polnischen Gebiete östlich der Bug-Linie (Curzon Linie) bedeutete, die nun unter sowjetische Herrschaft fallen sollten. Dafür wurde vorgesehen, dass Polen die deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße Linie und die Gebiete der Freien Stadt Danzig als territoriale Entschädigung bekommt. 9 Diese Bestimmungen haben dann im Potsdamer Abkommen ihren Niederschlag gefunden. ___________ 3
Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, Text: BGBl. 1990, II S. 1318. 4 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze. Text: BGBl. 1991 II S. 1329. 5 Vgl. u.a. Gornig, Gilbert, Der Zwei-plus-vier-Vertrag unter besonderer Berücksichtigung grenzbezogenen Regelungen, in: Recht in Ost und West (ROW), 1991, S. 97 ff.; Blumenwitz, Dieter, Die territorialen Folgen des Zweiten Weltkriegs für Deutschland, ArchVR, Bd. 23 (1985), S. 17 ff.; ders., Was ist Deutschland? Staats- und völkerrechtliche Grundsätze zur deutschen Frage und ihre Konsequenzen für die deutsche Ostpolitik, 3. Aufl. 1989; ders., Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, 1991. 6 Vgl. u.a. Klafkowski, Alfons, Umowa poczdamska z dnia 2 VIII 1945, 1960; ders. Granica polsko-niemiecka po II wojnie Ğwiatowej, 1970; Skubiszewski, Krzysztof, Zachodnia granica Polski w Ğwietle traktatów, 1975; Wiewióra, Bolesáaw, Granica polsko-niemiecka w Ğwietle prawa miĊdzynarodowego, 1957. 7 Konferenz in Teheran 1943, auf der bereits über das Schicksal Polens unter sowjetischen Einflüssen entschieden wurde. 8 Die sog. Krimkonferenz vom 03.-11.02.1945. Vgl. Bericht über die KrimKonferenz in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 4-5. Bericht über die Krimkonferenz (03.-11.02.1945), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/in/1945/krimkonferenzbericht.html, Stand: 18.09.2006. Die Konferenzen in Teheran und Jalta bedeuteten einen tatsächlichen Sieg Stalins. 9 Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass die polnische Exilregierung in London ausdrücklich gegen eine solche Regelung protestierte und um jeden Preis die Territorien im Osten sowie eine Unabhängigkeit von der UdSSR behalten wollte. Sie erklärte die Bestimmungen bezüglich Polens als nicht bindend, da es ohne polnische Teilnahme über Polen entschieden wurde. Zu der Erweiterung nach Westen äußerte sich der Präsident Wáadysáaw Raczkiewicz sehr zurückhaltend, mit Hinweis darauf, dass der Polni-
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a) res inter alios gesta Zuerst muss die rechtliche Wirkung des Abkommens für Polen und Deutschland festgestellt werden. Die Betrachtung des Potsdamer Abkommens als res inter alios gesta und somit für Deutschland nicht bindend (pactum in detrimentum tertii) kann nach der polnischen Lehre nicht aufrechterhalten bleiben: 10 durch die Übernahme der Obersten Gewalt (Supreme authority) am 5. Juni 1945 in der Berliner Erklärung seien die Alliierten ermächtigt worden, über das Schicksal des besiegten Landes im Ganzen zu entscheiden. 11 Die Siegermächte hätten deswegen für Deutschland und als oberste Gewalt Deutschlands bindend über seine Grenzen entschieden. Ihre Handlungen erfolgten im völkerrechtlich anerkannten Rahmen bezüglich eines Aggressorstaates, welcher später auch in der UN-Charta und in der Wiener Vertragskonvention bestätigt worden sei. 12 Polen als Nichtvertragsstaat sei bezüglich seiner westlichen ___________ sche Staat die deutschen Gebiete mit den deutschen Einwohnern „nicht braucht“. Die Exilregierung hatte aber keine faktische Macht und wurde als „nicht mehr existierend“ bezeichnet. Seitdem wurde die kommunistische Regierung der Nationalen Einheit als alleinige polnische Regierung anerkannt, die mit der Wirkung des Potsdamer Vertrags einverstanden war. 10 Vgl. Bierzanek, Remigiusz/Symonides, Janusz, Prawo miĊdzynarodowe publiczne, 2004, S. 94. 11 Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands hatte zwar primär militärische Bedeutung, eröffnete aber faktisch den Siegermächten die Gewaltübernahme. Dass Deutschland alle Entscheidungen der Alliierten zu achten hat, ergibt sich auch aus der Berliner Erklärung: „Die deutschen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft sind vollständig geschlagen und haben bedingungslos kapituliert, und Deutschland, das für den Krieg verantwortlich ist, ist nicht mehr fähig, sich dem Willen der siegreichen Mächte zu widersetzen. Dadurch ist die bedingungslose Kapitulation Deutschlands erfolgt, und Deutschland unterwirft sich allen Forderungen, die ihm jetzt oder später auferlegt werden. (…) Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und die Provisorische Regierung der Französischen Republik übernehmen hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands. Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und die Provisorische Regierung der Französischen Republik werden später die Grenzen Deutschlands oder irgendeines Teiles Deutschlands und die rechtliche Stellung Deutschlands oder irgendeines Gebietes, das gegenwärtig einen Teil deutschen Gebietes bildet, festlegen.“ Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Supplement Nr. 1, Berlin 1946, S. 7-9. 12 Die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Siegermächte wurde durch Art. 107 der UN-Charta (sog. Feindstaatenklausel) bestätigt: „Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des zweiten Weltkrieges im Be-
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Grenzen als Begünstigter des Vertrags vorgesehen (pactum in favorem tertii) und war mit dieser Wirkung einverstanden, erkannte also die Bestimmungen des Vertrags als für sich bindend an. 13 Das Abkommen hat also nach dieser Ansicht für beide Staaten einen verbindlichen Charakter. 14
b) Auslegungsfragen „Die Häupter der drei Regierungen bekräftigen ihre Auffassung, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll. Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens, die früher deutschen Gebiete (…) unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.“ 15 Dieser Abkommenausschnitt wird in Polen und in Deutschland unterschiedlich interpretiert; vor allem wird von der deutschen Seite auf die vorgesehene „Verwaltung“ des Polnischen Staates und den Vorbehalt eines Friedensvertrags hingewiesen.
___________ zug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeicherstaats dieser Charta war, werden durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt“. Darüber hinaus ist es auf Art. 75 WVK hinzuweisen, nach dem das Übereinkommen „keine mit einem Vertrag zusammenhängenden Verpflichtungen, welche sich für einen Angreiferstaat infolge von Maßnahmen ergeben können, die auf den Angriff des betreffenden Staates hin im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen getroffen wurden, berührt.“ Diese Bestimmung spiegelt die bis dato herrschenden gewohnheitsrechtlichen Regel bezüglich des Angreiferstaates wider. 13 Mit diesem Akt haben die Vertragsstaaten die Befugnis zu selbständiger Regelung der Polen betreffenden Territorialfragen verloren, was in einem eventuellen Friedensvertrag hätte berücksichtigt werden müssen. Vgl. CzapliĔski, Wáadysáaw/Wyrozumska, Anna (Hrsg.), Prawo miĊdzynarodowe publiczne. Zagadnienia systemowe, 2004, S. 480. 14 Das Abkommen enthält zwar Bestimmungen, die unterschiedlich eingestuft werden können (als Deklaration, Bekanntmachung oder Vereinbarung) und hat deswegen einen gemischten Charakter, weist aber eine hohe Verbindlichkeitskraft auf und stellt eine „Vorstufe“ einer Friedensvereinbarung mit hohem Grad der Endgültigkeit dar. Vgl. dazu Klafkowski (Anm. 5), S. 571 ff. 15 Die englische Fassung: “The three Heads of Government reaffirm their opinion that the final delimitation of the western frontier of Poland should await the peace settlement. The three Heads of Government agree that, pending the final determination of Poland's western frontier, the former German territories (…) shall be under the administration of the Polish State and for such purposes should not be considered as part of the Soviet zone of occupation in Germany.”
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In der polnischen Literatur wird hervorgehoben, dass die Formulierung „Verwaltung des polnischen Staates“ vor allem den Sinn gehabt habe, die Gebiete aus der sowjetischen Besatzungszone auszusondern, so dass sie unter polnische Herrschaft gefallen seien und nicht als okkupiertes Territorium angesehen werden könnten. 16 Der Begriff „administration“ bedeute hier eine volle, unbegrenzte und unbefristete Macht über ein Gebiet, welche Polen de iure (aufgrund des Abkommens) und de facto (durch Aufnahme staatlicher Tätigkeiten auf diesem Gebiet, die eine innerstaatliche Bestätigung der völkerrechtlich festgelegten Lage bedeutete) ausgeübt habe. 17 Die Gewalt des polnischen Staates wies in diesem Bereich also von Anfang an einen souveränen Charakter auf. 18 Zusätzlich könne man auf den Wortlaut des Abkommens hinweisen, dass es sich hier um „ehemalige deutsche Gebiete“ (former German territories) handele, womit betont werde, dass dieses Territorium nun kein deutsches Staatsgebiet mehr sei und gemäß den früheren Vereinbarungen unter die polnische Herrschaft fallen solle. Die Auslegung des IX. Teiles des Abkommens bestätigt nach der polnischen Lehre, dass Polen bereits kraft des Potsdamer Abkommens eine souveräne Gewalt in den ehemaligen östlichen Gebieten Deutschlands erhalten habe. 19 Da Polen in diesem Sinne keine Besatzungsmacht gewesen sei (es könne also von einer occupatio bellica keine Rede sein) und über die Rechtsverhältnisse auf diesen Gebieten souverän verfügen konnte, fänden hier die in der Haager Landkriegsordnung von 1907 festgelegen Regeln keine Anwendung. Nach der polnischen Lehre hatten spätere Grenzverträge zwischen Polen und Deutschland lediglich deklaratorische Bedeutung und bestätigten den endgültigen Charakter der Grenzregulierung ex tunc.
c) Friedensvertragsvorbehalt Der Vorbehalt der endgültigen Regelung der Grenzfrage in einem Friedensvertrag lässt nach polnischer Lehre die Potsdamer Entscheidungen in Bezug ___________ 16 Diese Gebiete wurden ausdrücklich aus der Verwaltung des Alliierten Kontrollrats ausgeschlossen und unterlagen den Regelungen über die Besatzungszonen und dem „Nachkriegsdeutschland“ nicht. Vgl. MuszyĔski, Mariusz, PrzejĊcie majątków niemieckich przez PolskĊ po II wojnie Ğwiatowej, 2003, S. 326. 17 Vgl. Skubiszewski (Anm. 5), S. 78 ff. 18 Polen hat also die souveräne Gewalt durch eine Zuweisung der Siegermächte (adjucatio) erworben; es handelte sich hier also nicht um eine Zession oder Dereliktion. Im Potsdamer Abkommen wird ebenfalls von neuen westlichen Grenzen Polens ausgegangen, welche die Oder-Neiße Linie darstellt. Vgl. MuszyĔski (Anm. 16), S. 251 ff. 19 Die genaue Demarkation und Delimitation der Grenze erfolgte erst später (1950 zwischen DDR und Polen), was aber als endgültige Bestätigung der bisherigen Machtverhältnisse interpretiert wurde.
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auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete nicht als unverbindlich erscheinen. 20 Eine spätere Friedensregulierung hätte bestimmt viele offene Fragen geklärt, sei aber vor allem aus machtpolitischen Gründen nicht zustande gekommen. Das Abkommen stellte hier eine gewisse „Vorstufe“ der Friedensregulierung dar und habe letztendlich tatsächlich über die neue Ordnung Europas entschieden. 21 Erwähnt wird ferner, dass Deutschland, wenn es 1945 einen Friedensvertrag durch eine autochthone Regierung geschlossen hätte, höchst wahrscheinlich die von den Alliierten auferlegten Bedingungen hätte annehmen müssen.
2. Würdigung Die untypische Weise der Kriegsbeendigung (vor allem fehlender Friedensvertrag) hat die internationale Lage Deutschlands für viele Jahre im Unklaren gelassen. Für die Bundesrepublik Deutschland war es von grundlegendem Interesse, an den Vorkriegsgrenzen (vom 31. Dezember 1937) festzuhalten, vor allem um die Teilung des Staatsgebildes zu überwinden und die Möglichkeit der Wiedervereinigung zu wahren. Mit der im Potsdam geäußerten Erklärung über das Schicksal des deutschen Vorkriegsstaates wurden aber neue Grenzen festgelegt, welche von diesem Moment an zu gelten hatten. Selbst den Vorbehalt des Friedensvertrags soll man eher als eine Art von erwarteter Bestätigung dieser Regelungen in einem klassischen Vertrag ansehen. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass während des „kalten Krieges“ westliche Staaten die Bundesrepublik gegenüber der DDR und dem ganzen Ostblock unterstützt haben (und auch in diesem Sinne an dem „Vorkriegsdeutschland“ gehalten haben), andere politische Gründe, die mit dem verbindlichen Charakter der Nachkriegsregelungen bezüglich der Oder-Neiße Grenze nicht direkt zu tun haben. Für den endgültigen Charakter des Gebietsverlustes 1945 spricht ebenfalls die Tatsache, dass die deutsch-polnische Grenze 1950, 1970 und schließlich 1990 vertraglich bestätigt wurde. Normalerweise bestätigt man nur, was schon vorhanden ist, in diesem Fall eine seit 1945 verbindliche Grenzlinie zwischen ___________ 20
In Polen wird darauf hingewiesen, dass es sich eigentlich um eine „Friedensregulierung“ (peace settlement) handelt, was die praktische Folge hat, dass die rechtliche Form eines Völkerrechtsvertrags nicht ausdrücklich vorgesehen war und dementsprechend eine „Friedensregulierung“ auch durch andere völkerrechtliche Handlungen erfolgen konnte (z.B. durch eine einseitige Erklärung über die Beendigung des Kriegszustands, was in Polen mit der Erklärung des Staatsrates vom 18.02.1955 passierte). Vgl. SkibiĔski, Jerzy, Sprawa traktatu pokoju z Niemcami, 1987, S. 49 ff. 21 Es bedeutete einerseits die Teilung Europas in zwei durch den „Eisernen Vorhang“ getrennte Blocks, andererseits hat es im Westen die Bildung der Europäischen Gemeinschaften gefördert.
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Deutschland und Polen. Eine Bestätigung im rechtlichen Sinne kann dementsprechend nur eine ex tunc Wirkung hervorrufen. Das Infragestellen der Tatsache, dass Polen seit 1945 seine volle Souveränität auf den Oder-Neiße Gebieten ausübt (unabhängig davon, ob bis 1990 völkerrechtsmäßig oder wie es die deutsche Lehre will völkerrechtswidrig), hat für das Bewusstsein sowohl der Polen als auch der Deutschen eine wesentliche Bedeutung und kann leicht zu unerwünschten Spannungen führen. Es ist praktisch unmöglich, den dort mittlerweile seit drei Generationen lebenden Menschen zu erklären, dass sie bis 1990 auf dem „deutschen Territorium“ gewohnt hätten, ohne gewaltige negative Reaktionen und Empörung zu erwarten. Eine solche, die ganze Nachkriegsordnung bestreitende deutsche Haltung, kann immer noch sehr schädliche Wirkungen für die deutsch-polnischen Beziehungen haben. 22 Die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, selbst wenn es „nur“ ein Konferenzprotokoll war, legten zweifelsohne den Rahmen für die neue Ordnung Europas, welche über 40 Jahre hielt und den „Kalten Krieg“ als Konsequenz nach sich zog, fest. Selbst der Friedensvertragsvorbehalt kann nicht ändern, dass die Bestimmungen dieses Dokuments einen tatsächlichen modus vivendi darstellten und ihre Folgen in vielen Fällen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Diese Tatsache anzuerkennen und einen bindenden Charakter der Oder-Neiße Grenze ex tunc zu akzeptieren kann deshalb als vernünftige und friedensstiftende Lösung angesehen werden. 23 Es darf nicht vergessen werden, dass das Infragestellen der den Krieg beendenden und neue Ordnung schaffenden Akte allzu oft in der Geschichte zu neuen Kriegen und Feindseligkeiten führte. Für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der strittigen Regionen sind dagegen primär rechtliche Sicherheit und achtungsvoller Umgang sowohl mit der Vergangenheit als auch (und vor allem) mit der Gegenwart sehr wichtig. Eine gemeinsame europäische Zukunft soll im Interesse beider mit diesen Gebieten verbundenen Völker liegen, denn nur auf diese Wiese kann die „deutsche“ Geschichte dieses Landes geachtet und nicht verleugnet werden. Der EUBeitritt Polens und das Freizügigkeitsprinzip eröffnen jedem EU-Bürger die
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Obwohl es heute außer Frage steht, dass die Grenzfrage jetzt endgültig geregelt ist und Deutschland keinerlei Gebietsansprüche erheben kann. 23 Die Ansicht, dass immer noch zwischen der „polnischen Gebietshoheit“ und der „deutschen Souveränität“ zu unterscheiden ist, entspricht nicht der Wirklichkeit und ist für die polnisch-deutsche Verständigung äußerst schädlich und einfach nicht akzeptabel; vgl. Schleifenbaum, Reinhold, Eigentum und Entschädigungsansprüche in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße, in: Schriftenreihe des Preußeninstituts, Heft 7, 1998, S. 59.
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Möglichkeit, sich in den ehemaligen deutschen Gebieten niederzulassen. 24 Es soll für alle Interessierten eine erfreuliche Perspektive darstellen, so dass die „gemeinsame Heimat“ nicht mehr feindlich zerstört, sondern gepflegt und geliebt wird!
III. Zwangsaussiedlungen Die Verschiebung des polnischen Staates „nach Westen“ brachte vor allem Folgen für die dort lebende deutsche Bevölkerung mit sich. Nach der polnischen Lehre waren diese (zweifelsohne schmerzhaften) Maßnahmen eine eindeutige Konsequenz des Zweiten Weltkrieges und stellten eine Notwendigkeit dar, die allerdings völkerrechtlich durch das Potsdamer Abkommen gerechtfertigt war. 25 Die deutsche Seite sieht dagegen für diese Maßnahmen keine Rechtfertigungsgründe: die Rede ist von den Vertreibungen, welche eine eindeutige Menschenrechtsverletzung darstellen. Mehr noch, die Vertreibung verstoße gegen völkerrechtliches ius cogens und sei sogar dem Völkermord gleichzustellen. 26
1. Potsdamer Abkommen Nach polnischer Auffassung stellt das Potsdamer Abkommen eine eindeutige Legitimation der Aussiedlung deutscher Bevölkerung aus den Oder-Neiße Gebieten dar, denn dort wurde sie ausdrücklich vorgesehen und so auch durch die Siegermächte als notwendig und gerechtfertigt eingestuft. 27 Diese Regelung bekräftigte zusätzlich die polnische Überzeugung von der Übernahme der souveränen Gewalt in den ehemaligen deutschen Gebieten, denn die Deutschen sollen nun aus „Polen“ nach „Deutschland“ umgesiedelt werden. ___________ 24 Vgl. Krülle, Siegrid, Die Vertreibung und Enteignung der Deutschen durch Polen, in: Blumenwitz, Dieter/Gornig, Gilbert/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Die Europäische Union als Wertegemeinschaft, 2005, S. 246. 25 Vgl. u. a. Skubiszewski, Krzysztof, Wysiedlenie Niemców po II wojnie Ğwiatowej, 1968; Piskorski, Jan, Vertreibung und die deutsch-polnische Geschichte. Eine Streitschrift, 2004. 26 Vgl. u. a. Blumenwitz, Dieter (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987; Ermacora, Felix, Die Sudetendeutschen Fragen: Rechtsgutachten, 1992; Gornig, Gilbert, Das Verbot von Vertreibungen und ethnischer Säuberungen, in: Rill, Bernd (Hrsg.), Gegen Völkermord und Vertreibung, 2001, S. 53; Krülle (Anm. 23), S. 213. 27 Kapitel XIII. Ordnungsmäßige Überführung deutscher Bevölkerungsteile: „Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss.“
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Die Frage der Überführung wurde „unter allen Gesichtspunkten“ beraten und der „Transfer“ stellte sich nach Ansicht der Alliierten als notwendig heraus, vor allem um den möglichen Konflikten und Vergeltungsaktionen von beiden verfeindeten Seiten vorzubeugen. 28 Viele deutsche Bewohner dieser Gebiete haben bereits (angesichts der Niederlage Deutschlands und der Ankunft der Roten Armee) das Land verlassen; die Aussiedlung der Zurückgebliebenen sollte „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ erfolgen.29 Die Entscheidung über die Zwangsaussiedlungen ist also nach polnischer Ansicht als eine eindeutige Folge des Zweiten Weltkrieges für das deutsche Volk zu verstehen und soll deswegen immer in diesem Zusammenhang interpretiert werden. Es kann auch nicht mit gezielten Aktionen der Aussiedlung und Ausrottung NS-Deutschlands gegenüber Polen und anderen Völkern verglichen werden. Zwar kam es Ende des Krieges zu menschenunwürdigen Taten seitens der Polen, die zu verurteilen sind, die Zwangsumsiedlung der Deutschen ist aber nach der polnischen Lehre weit von dem Vorwurf des Völkermords entfernt. 30
2. Verstoß gegen völkerrechtliches ius cogens? Die polnische Ansicht, dass ein völkerrechtlicher Akt eine Zwangsumsiedlung anordnen und rechtfertigen kann, darf nur dann aufrechterhalten bleiben, wenn dieser Akt eine bindende Wirkung hat und nicht gegen höherrangiges
___________ 28
Vgl. die Ansicht Churchills, nach der eine Zwangsaussiedlung notwendig ist, da nur auf diese Weise eine dauerhafte Lösung der ständigen Unruhen, die zwischen gemischten Bevölkerungsgruppen auftreten, gefunden werden kann. Er betonte, dass der Transfer ohne auf das Kriegsende zu warten, beginnen soll. Auch andere Staatsoberhäupter der Siegermächte haben die Aussiedlungen gebilligt. (Nach: Janicki, Lech, Aspekty prawne konfiskaty mienia niemieckiego w Polsce po II wojnie Ğwiatowej, in: Przegląd Zachodni 1996, Nr. 4, S. 6 mit dort genannten Fußnoten). 29 Weitere Bedingungen des Transfers nach Deutschland wurden zunächst in der Proklamation Nr. 2 des Kontrollrates vom 20.09.1945 festgelegt. Im Rahmen des am 20.11.1945 vom Kontrollrat beschlossenen Plans der Umsiedlungen wurden entsprechende Verträge zwischen polnischen Behörden und Militärvertretern der Besatzungszonen abgeschlossen, welche die Einzelheiten der Aussiedlung beinhalteten, vor allem in welche Gebiete Deutschlands umgesiedelt wird und welche Gegenstände mitgenommen werden können. 30 Wie etwa bei Ermacora (Anm. 25), S. 177 ff. Polen hat nie in der Absicht gehandelt, die deutsche Bevölkerung als solche zu zerstören, wie etwa der Völkermord in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes definiert wird. Vgl. auch Misztal, Jan, Polityka wáadz polskich wobec staáych mieszkaĔcow Ziem Odzyskanych w pierwszych latach po zakoĔczeniu drugiej wojny Ğwiatowej, in: Zeszyty Naukowe Politechniki ĝląskiej, 1991, Nr. 1102, S. 109 ff.
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Recht verstößt. 31 Um die Sachlage zu klären, ist es deshalb notwendig, den Inhalt des zum Zeitpunkt der Zwangsumsiedlungen geltenden Völkerrechts festzustellen, welches solche Maßnahmen verbieten oder rechtfertigen würde. 32
a) Existenz und Geltung des Vertreibungsverbots als ius cogens Die Ermittlung des direkt nach dem Krieg geltenden Völkerrechts, insbesondere des zwingenden Rechts, ist äußerst schwierig, u.a. deshalb, weil die heutzutage geltenden Regeln vor 60 Jahren noch nicht in dieser Form existierten und ihre Entstehung oft eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg war. 33 Das Ausmaß des begangenen Unrechts und der menschenentwürdigenden Maßnahmen führte zu einer verstärkten Suche nach naturrechtlich verankerten Regeln des Völkerrechts und resultierte in einer Vielzahl von Normen und Prinzipien, die auf die Menschenrechte gerichtet waren. Sie fanden ihren Niederschlag in den darauf folgenden Erklärungen und Verträgen, die vor allem den Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens zum Ausdruck brachten. 34 Als unmittelbar und allgemein geltend sollen diese Normen eine direkte Wirkung auf staatliche Handlungen haben. Die prinzipielle Frage ist, ob das Verbot der Zwangsaussiedlung eine direkt nach dem Krieg geltende ius cogens-Norm war, denn nur dann kann man eine zwingend bindende Wirkung einer Verbotsnorm für den polnischen Staat annehmen. 35 Als ius cogens wäre das Vertreibungsverbot unabhängig vom staatlichen Willen und von allen anderen Umständen zu respektieren. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es nur einige wenige Anhaltspunkte, die es erlaubten, eine Zwangsumsiedlung als völkerrechtswidrig einzustufen. Man kann es damit erklären, dass das Völkerrecht vor allem als zwischenstaatliches ___________ 31 Zur bindenden Wirkung des Potsdamer Abkommens für Polen und Deutschland vgl. oben. 32 Die polnische Lehre bestreitet die Existenz solcher Normen und beruft sich ständig auf das Abkommen. Nach dieser Auffassung gab es im Moment, in dem die Umsiedlung beschlossen wurde, keine Norm des Völkerrechts (Vertrag, Gewohnheit oder Richterentscheidung), die auf die Umsiedlung deutscher Bevölkerung Anwendung finden würde und dies verboten hätte. Vgl. Skubiszewski (Anm. 5), S. 79-80. 33 In der Völkerrechtsgeschichte kam es schon davor zu Zwangsumsiedlungen, die eine vertragliche Verankerung hatten, z. B. der griechisch-türkische Bevölkerungsaustauschvertrag (Lausanner Vertrag) von 1923. 34 Wie die Allgemeine Menschenrechtserklärung 1948, Europäische Menschenrechtskonvention 1950 usw. 35 Die Quellen des Völkerrechts sind Völkergewohnheitsrecht und Völkervertragsrecht, die nicht über- bzw. untergeordnet sind, sowie subsidiär die allgemeinen Rechtsgrundsätze (Vgl. Art. 38 IGH-Statut). Ausschließlich die ius cogens Normen haben einen höheren Rang und können für den Staat unmittelbar gelten.
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Recht verstanden wurde, welches die Rechtsstellung der Einzelnen der jeweiligen nationalen Ordnung überließ. Es wird allerdings insbesondere auf die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 hingewiesen, welche in Art. 43 dem Besetzenden die Pflicht auferlegt, „(…) die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wieder herzustellen und aufrechtzuerhalten (…)“. 36 Ebenfalls wird als Hilfsmittel auf das Statut 37 des Nürnberger Gerichtshofs hingewiesen, welches u. a. Deportation der Zivilbevölkerung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifizierte. 38 Das Vertreibungsverbot, welches sich heutzutage ohne Zweifel beispielsweise aus der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 39 , der Genfer Konvention zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 40 und der Europäischen Menschenrechtskonvention 41 ableiten lässt, kann ebenfalls bei der Ermittlung der im und direkt nach dem Krieg herrschenden Menschenrechte helfen und die Existenz dieses Verbots auch zu dieser Zeit bestätigen. 42
b) Argumente der polnischen Lehre Die polnische Lehre vertritt dagegen die Ansicht, dass es zum Zeitpunkt der Zwangsumsiedlungen der Deutschen keine völkerrechtliche Norm gegeben ha___________ 36
Text: RGBl. 1910, S. 107 ff. Es ist deswegen unmöglich, eine Ordnung herzustellen, indem man die eingesessene Bevölkerung vertreibt. Vgl. auch die Präambel zu HLKO: „die Bevölkerung und die Kriegsführenden verbleiben unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, die sich aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben“. Die Rechte der Menschen und Völker kann man also lediglich aus einer staatlichen Pflicht ableiten. 37 Internationaler Militärgerichtshof (Hrsg.), Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14.11.1945 – 01.10.1946, Bd. I, 1947, S. 7 ff. 38 Es wird hervorgehoben, dass in Nürnberg zwar die Nazi-Verbrecher verurteilt werden sollten, die dort genannten Verbrechen haben aber eine Allgemeingültigkeit und können nicht relativierbar sein. 39 Art. II der Konvention, Text: UNTS, vol. 78, S. 277 ff. 40 Art. 49 und 52 Abs.2. Text: Berber, Friedrich, Völkerrecht. Dokumentensammlung, Bd. II: Konfliktrecht, 1967, S. 2069. 41 Das vierte Zusatzprotokoll zu EMRK vom 16.09.1963, Text: BGBl. 1968 II, S. 423 ff. 42 Es ist aber stets zu betonen, dass diese Akte erst nach dem Krieg entstanden sind und somit eine Geltendmachung der auf sie gestützten Ansprüche erst ab ihrem Inkrafttreten gegenüber dem Staat möglich ist. Die Anwendung der HLKO ist strittig. Auch die Anwendung des Statuts des Nürnberger Gerichtshofs vom 08.08.1945 ist ausgeschlossen, da es sich auf Nazi-Verbrecher bezog.
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be, die diese konkreten Maßnahmen verbieten würde. 43 Die Anwendung der HLKO von 1907 sei für Polen ausgeschlossen, da Polen keine Besatzungsmacht auf fremdem Gebiet gewesen sei, sondern seit dem 2. August 1945 im Rahmen seiner souveränen Gewalt handelte. Die in Polen herrschende Meinung betont erstens, dass die Zwangsaussiedlungen nach Erwägung „aller Umstände“ durch die Siegermächte als notwendig angesehen seien und somit eine völkerrechtliche Billigung erhalten hätten. 44 Die Deutschen seien darüber hinaus in ihr eigenes Land umgesiedelt worden. Zweitens seien allgemein die nach dem Krieg getroffenen Maßnahmen dem Aggressorstaat gegenüber völkerrechtlich gerechtfertigt (nach Art. 107 der UN-Charta werden die Maßnahmen gegen die Feindstaaten nicht außer Kraft gesetzt oder untersagt). Weiterhin wird argumentiert, dass auch die Menschenrechte eine Ausprägung der Charta darstellten und damit nicht auf die Zwangsmaßnahmen gegenüber Deutschland nach dem Krieg angewendet werden könnten.
c) Würdigung Die polnische Ansicht in Bezug auf die Umsiedlung der Deutschen ist nicht in allen Punkten akzeptabel. Sie entspricht zwar dem polnischen Staatsinteresse, ist aber aus völkerrechtlicher Sicht nicht gerechtfertigt. Es entspricht doch nicht dem „allgemeinen Rechtsgefühl“, Menschen, aus welchen Gründen auch immer, zum Verlassen ihrer Heimat zu zwingen. Die aufgezwungene Umsiedlung ist also völkerrechtlich eindeutig zu verurteilen. Die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Zwangsumsiedlung der Deutschen durch Polen stellte also einen Menschenrechtsverstoß dar, welcher auch durch vertragliche Normen nicht gerechtfertigt werden konnte. 45 Eine andere Frage ist, wer für das Zustandekommen der Vertreibung verantwortlich ist. Allein auf die Schultern des polnischen Staates kann man die Verantwortung nicht schieben, obwohl Polen offensichtlich den meisten Nutzen daraus zog. Es waren aber die Siegermächte, die diese Maßnahmen billigten und sogar „angeordnet“ hatten. Schließlich ist auch die ursprüngliche Ursache nicht zu vergessen, welche ohne Zweifel der von Deutschland begonnene ___________ 43
Vgl. Skubiszewski (Anm. 5), S. 79 ff. Danach ist es daran festzuhalten, dass diese Maßnahmen für den internationalen Frieden unentbehrlich waren. Die Aufrechterhaltung des Friedens ist wichtiger als das Interesse der von der Umsiedlung Betroffenen; vgl. Winiarski, Bogdan, Annuaire de l´Institut de Droit International, 1952, S. 191 f. 45 Selbst wenn Polen als Souverän handelte, würden die Deutschen unter den völkerrechtlich garantierten Fremdenschutz fallen. Die rechtliche Position Polens in Bezug auf die Vertreibung wird sich aber wahrscheinlich nicht ändern, da die Anerkennung der Völkerrechtswidrigkeit der Vertreibung dem polnischen Staatsinteresse widersprechen würde. 44
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Angriffskrieg darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt wird die polnische Ansicht etwas mehr verständlich, obwohl eine sachliche Diskussion zu diesem Thema immer noch sehr schwierig und durch viele Missverständnisse sowohl auf der polnischen als auch auf der deutschen Seite geprägt ist.
IV. Enteignung Die Beurteilung von Enteignung der Privatgüter und der Übernahme der staatlichen Güter in den ehemaligen deutschen Ostgebieten ist wegen der unterschiedlichen Ansichten über die Grenzfrage und die Vertreibung in Polen und Deutschland grundsätzlich verschieden. Für die polnische Lehre ist die damals erfolgte Enteignung eine Konsequenz der neuen Nachkriegsordnung Europas und bezieht sich direkt auf die Reparationsfragen. Dementsprechend habe Polen seine Reparationsansprüche gegenüber Deutschland sowohl aus dem zugewiesenen ehemaligen deutschen Gebiet als auch aus dem dort vorhandenen deutschen Privatvermögen befriedigen können. 46 Zusätzlich wird das Argument erhoben, dass, weil Polen über den ehemaligen östlichen Gebieten Deutschlands die souveräne Gewalt erlangt habe, es ausschließlich in seinem Kompetenzbereich gelegen sei, über die innerstaatlichen Eigentumsverhältnisse zu entscheiden und die Deutschen zu enteignen. 47 Nach der deutschen Auffassung dagegen werden die von Polen durchgeführten Konfiskationen als völkerrechtswidrig betrachtet, was eine Offenhaltung der Vermögensfragen in den deutsch-polnischen Beziehungen rechtfertige. 48 Um eine völkerrechtliche Würdigung der Enteignungsmaßnahmen durchführen zu können, soll zuerst die Argumentation der polnischen Lehre genauer dargestellt werden. Anschließend ist auf die völkerrechtlichen Schutzbestimmungen in Bezug auf das Eigentum und die Konfiskation des deutschen Vermögens einzugehen.
___________ 46 Vgl. Klafkowski (Anm. 5), S. 378 ff.; CzapliĔski, Wáadysáaw, Vermögensrechtliche Probleme in den Beziehungen zwischen VRP-BRD, in: Polnische Weststudien, 1988, Nr. 1, S. 109 ff.; Janicki (Anm. 27), S. 12 ff. 47 Da Polen östlich vom „eisernen Vorhang“ lag, gestalteten sich auch die Eigentumsverhältnisse im Einklang mit dem geltenden sozialistischen System, in dem das staatliche Interesse vor dem Privateigentumsschutz stand. 48 Vgl. Blumenwitz, Dieter, Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutschpolnischen Beziehungen, 1992, S. 45 ff.; Wenk, Silke, Das konfiszierte deutsche Privatvermögen in Polen und der Tschechoslowakei, 1993, S. 74 ff.; vgl. auch Gornig, Gilbert, in diesem Band.
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1. Konfiskationen nach polnischer Sicht Das Problem der Enteignung des deutschen Privatvermögens wird, wie erwähnt, im direkten Zusammenhang mit der Reparationspflicht angesehen. 49 Das gesamte deutsche Vermögen in den Oder-Neiße Gebieten wird deswegen als „Schadensersatz“ für die im Krieg durch Polen erlittenen Schäden betrachtet. Die durchgeführte Konfiskation sollte darüber hinaus eine Straffunktion für den Aggressor erfüllen.
a) Übernahme des deutschen Staatseigentums und des Privateigentums In Bezug auf das Staatseigentum wird in Polen betont, dass nach den allgemeinen Grundsätzen der Staatensukzession von der Übernahme dieses Eigentums durch den Nachfolger auszugehen sei. 50 Es sei mit der Erstreckung der Souveränität auf die östlichen Gebiete Deutschlands durch den Polnischen Staat vollzogen worden, also am 2. August 1945. Eine Entschädigung komme hier überhaupt nicht in Frage. Innerstaatlich bestätigte das Dekret vom 8. März 1946 51 den Übergang des ehemaligen deutschen staatlichen Vermögens auf den Polnischen Staat. Eine gesonderte Frage stellt die Enteignung der privaten Güter dar. Nach polnischer Lehre ist die erfolgte Enteignung der Deutschen damit zu rechtfertigen, dass der Staat selbst über die auf seinem Territorium herrschenden Eigentumsverhältnisse zu entscheiden habe und dementsprechend auch die Enteignung vornehmen dürfe. Die Notwendigkeit der Konfiskationen zu Reparationszwecken habe sich aus dem totalen Charakter des Krieges und den deutlichen materiellen Schäden, die dem polnischen Staat durch die Kriegshandlungen der Deutschen zugefügt wurden, ergeben. Zwar beinhalte die HLKO von 1907 bestimmte Verbote bezüglich des Privateigentums im Krieg, die seien aber auf die Situation in Polen nicht anwendbar, denn sie regelten das Besatzungsrecht und Polen sei weder während des Krieges noch nach dem Krieg eine Besatzungsmacht gewesen. Die nach dem 2. August 1945 erfolgte Enteignung sei deswegen allein nach polnischem Recht erfolgt.
___________ 49
Es handelt sich also in keiner Weise um „Kriegsbeute“, sondern um eine vertraglich (in Jalta und Potsdam) begründete Pflicht zur Wiedergutmachung der Schäden, die anderen Staaten durch den durch Deutschland geführten Aggressionskrieg entstanden sind. 50 Vgl. Doehring, Karl, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 176, S. 78. 51 Dz. U. Nr. 13 Pos. 87.
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b) Kriegsreparationen Der Reparationsaspekt der Enteignung spielt in der polnischen Lehre eine entscheidende Rolle. Der durch Deutschland zu leistende Schadensersatz wurde auf den Konferenzen der Alliierten in Jalta und Potsdam festgelegt. 52 Man war sich einig, dass das Kriegspotenzial Deutschlands für immer zerstört werden soll und dass der angerichtete Schaden wieder gutzumachen ist. Im Kapitel IV des Potsdamer Abkommens wurden u.a. auch die polnischen Reparationsansprüche angesprochen, die der polnische Staat von der UdSSR aus ihrem eigenen Anteil an Reparationen befriedigt bekommen soll. 53 Die Reparationsansprüche der UdSSR sollen nach dem Abkommen durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzten Zone in Deutschland und durch angemessene deutsche Auslandsguthaben befriedigt werden. Am 16. August 1945 hat die UdSSR vertraglich auf die Reparationen aus dem polnischen Gebiet (also auch aus den ehemaligen deutschen Oder-Neiße Gebieten) verzichtet. 54 Einer der wichtigsten Akte, die zur Ausführung der Jaltaner und Potsdamer Bestimmungen erlassen wurden, war das Gesetz Nr. 5 des Kontrollrates über die Übernahme und Erfassung des deutschen Vermögens im Ausland vom 30. Oktober 1945. 55 Dieses Gesetz sah vor, dass das deutsche Eigentum im Ausland „zum Zwecke der Verstärkung internationalen Friedens und allgemeiner
___________ 52 Punkt 3 des Berichts über die Krimkonferenz: „Wir haben die Frage des Schadens, den Deutschland in diesem Krieg den Vereinten Nationen zugefügt hat, erörtert und für Recht befunden, daß Deutschland in größtmöglichem Umfange verpflichtet wird, in gleicher Form Ersatz für den verursachten Schaden zu leisten“. In: Bericht über die Krimkonferenz (3.-11.02.1945), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL:http:// www.document Archiv.de/in/1945/krimkonferenz_bericht.html, Stand: 15.9.2006. 53 Kapitel IV des Potsdamer Abkommens: „In Übereinstimmung mit der Entscheidung der Krim-Konferenz, wonach Deutschland gezwungen werden soll, in größtmöglichem Ausmaß für die Verluste und die Leiden, die es den Vereinten Nationen verursacht hat, und wofür das deutsche Volk der Verantwortung nicht entgehen kann, Ausgleich zu schaffen, wurde folgende Übereinkunft über Reparationen erreicht: 1. Die Reparationsansprüche der UdSSR sollen durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzten Zone in Deutschland und durch angemessene deutsche Auslandsguthaben befriedigt werden. 2. Die UdSSR wird die Reparationsansprüche Polens aus ihrem eigenen Anteil an den Reparationen befriedigen. (…)“. In: Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin ["Potsdamer Abkommen"] (02.08.1945), Text: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html, Stand: 15.9.2006. 54 Die endgültige Regulierung der polnisch-russischen Reparationsfragen erfolgte am 04.07.1957 im Endprotokoll über die als Anteil an Reparationen aus Deutschland anzurechnenden Lieferungen für die Volksrepublik Polen. Text: Department State Bulletin 1945, Nr. 12, S. 777. 55 Text: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Nr. 2, S. 27 ff.
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Sicherheit“ entzogen werden soll. 56 Es ging hier also auch um das Eigentum in den Gebieten, welche unter die polnische Herrschaft gemäß des Potsdamer Abkommens gefallen sind. Nach der polnischen Sicht brachte das Gesetz Nr. 5 eine zusätzliche Billigung der Enteignungen deutschen Vermögens zum Ausdruck, da sie durch die Alliierten als gerechtfertigt und notwendig angesehen wurden. 57 Ein später durch die Alliierte Hohe Kommission für Deutschland erlassenes Gesetz Nr. 63 vom 1. September 1951 beschäftigte sich mit dem für die Reparationszwecke übernommenen Eigentum (auch im Ausland) und betrachtete die Ansprüche der enteigneten Deutschen zu diesem Eigentum als erloschen. 58 Die endgültige Regelung der Reparationsfragen zwischen Polen und Deutschland erfolgte im Jahre 1953 mit dem Verzicht des polnischen Staates auf die Entschädigungszahlungen. 59 Es wird darüber hinaus angenommen, dass ___________ 56 Es wurde eine Auslandseigentumskommission (German External Property Commission) ins Leben gerufen, welche über alle mit dem Eigentum verbundenen Ansprüche verfügen und das Eigentum zu Reparationszwecken treuhändisch sichern sollte. Diese Ansprüche wurden allerdings bezüglich der Siegermächte ausgeschlossen. Polen kam hier mittelbar in Betracht, nämlich durch die vorgesehene Befriedigung der Ansprüche aus dem sowjetischen Anteil. 57 Zu erwähnen ist, dass die Siegerstaaten nach dem Kriegsende Beschlagnahmen des deutschen Eigentums durchführten (deren Grundlage die Erklärung Nr. 4 der Konferenz in Bretton Wood vom 22.07.1944 war), um das durch Deutschland geraubte Vermögen zu sichern. Die Bestimmungen der Erklärung wurden auf der Konferenz in Mexico in der Erklärung Nr. XIX vom 07.03.1945 bestätigt. Darüber hinaus wurde im Kapitel V des Krimprotokolls vom 11.02.1945 beschlossen, dass das deutsche Eigentum für Reparationszwecke beschlagnahmt werden sollte. Es sollte vor allem das Kriegspotenzial Deutschlands vernichten. 58 Text: Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 64/1951, S. 1107. Für Polen stellt dieses Gesetz eine zusätzliche, mittelbare Bestätigung der durchgeführten Konfiskationen. An dieser Stelle ist auch auf Art. 3 Abs. 1 Sechster Teil des Überleitungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten (Text: BGBl. 1955 II, S. 405 ff.) hinzuweisen: die Bundesrepublik Deutschland wird danach „in Zukunft keine Einwendungen gegen Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind oder werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustandes oder aufgrund von Abkommen, die die Drei Mächte mit anderen alliierten Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden.“ Nach Art. 3 Abs. 3 Sechster Teil Überleitungsvertrag sind „Ansprüche und Klagen gegen Personen, die auf Grund der in Absatz (1) ... dieses Artikels bezeichneten Maßnahmen Eigentum erworben oder übertragen haben, sowie Ansprüche und Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben“, nicht zugelassen. 59 Diese Entscheidung der polnischen Regierung vom 23.08.1953 wurde politisch durch die UdSSR gesteuert und der Öffentlichkeit kaum bekannt. In diesem Zusammenhang muss man den sog. Überleitungsvertrag erwähnen, in dem der Status des konfiszierten Vermögens gesichert wurde und die Bundesrepublik Deutschland auf die Restitutionsansprüche gegenüber den westlichen Staaten verzichtet hatte (gleichzeitig ver-
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der Zwei-plus-vier-Vertrag die Probleme der Reparationen und damit auch des ehemaligen deutschen Privatvermögens abgeschlossen hat. Im Bezug auf Polen wurde allerdings eine Unklarheit durch den Briefwechsel zum Nachbarschaftsvertrag von 1991 geschaffen, in dem die Vermögensfragen als „durch den Vertrag nicht geregelt“ bezeichnet werden. 60 Die polnische Seite interpretiert diese Erklärung in dem Sinne, dass der Vertrag die Vermögensfragen nicht regelt, weil sie schon längst geregelt seien, die Deutschen vertreten dagegen die Ansicht, dass die Vermögensfragen immer noch aktuell und regelungsbedürftig seien. c) Enteignungsgesetzgebung Die Übernahme des deutschen Vermögens durch Polen erfolgte einerseits im Rahmen der Staatennachfolge, andererseits aufgrund strafrechtlicher „antideutscher“ Gesetze und als Folge der innerstaatlichen Transformation, die u. a. das deutsche Vermögen umfasste. 61 Insbesondere kann man hier folgende Enteignungsakte nennen, die direkt mit dem ehemaligen deutschen Vermögen in Verbindung stehen: 62 das Gesetz vom 6. Mai 1945 „über das verlassene und aufgegebene Vermögen“ 63 , welches dem Staat das verlassene (also sich nicht im Besitz der Eigentümer befindende) und aufgegebene Vermögen in eine vorübergehende Verwaltung übergab, und das Dekret vom 8. März 1946 über „das ___________ pflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung einer Pauschalentschädigung für die enteigneten Deutschen). Polen hatte im Gegenteil die Fragen der Enteignungen als Kriegsreparationen offiziell und formell in ähnliche Weise international nicht ausdrücklich geregelt. Eine solche Regelung würde für Restitutionsansprüche der Privaten den deutschen Staat verantwortlich machen. Ein „Überleitungsvertrag“ stellt nach polnischer Ansicht die richtige Lösung in Bezug auf die deutschen Restitutionsfragen gegenüber Polen dar. Vgl. Góralski, Witold, M., PrzejĊcie wáasnosci niemieckiej przez PaĔstwo Polskie po drugiej wojnie Ğwiatowej na ziemiach Zachodnich i Póánocnych a niemieckie rosczenia odszkodowawcze, 2004, S. 58 ff. 60 „Dieser Vertrag befasst sich nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit und nicht mit Vermögensfragen.“ Text: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1991, S. 547. 61 Vgl. auch Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa. Der deutschen Forderung, diese Akte aufzuheben, folgte eine wissenschaftliche Untersuchung der rechtlichen Wirkungen der noch geltenden Akte (Niels von Redecker, Die polnischen Vertreibungsdekrete und die offenen Vermögensfragen zwischen Deutschland und Polen, 2003.) Nicht aufgehoben sind insgesamt neun Akte. Aufgrund der Systemänderung haben allerdings die meisten noch „amtlich“ geltenden Enteignungsgesetze ihre Bedeutung verloren und werden nicht mehr angewendet, obwohl sie nicht als nichtig betrachtet werden und eine große Rolle beispielsweise im Gerichtsverfahren bei Reprivatisierungsfragen spielen. 62 Zu bemerken ist, dass die Geltung der vor dem 02.08.1945 erlassenen Akte erst mit dem Dekret über die Verwaltung der Wiedergewonnenen Gebiete vom 27.11.1945 auf das ehemalige deutsche Territorium im Osten erstreckt wurde. 63 Dz. U. Nr. 17 Pos. 97, geändert am 23.07.1945 (Dz. U. Nr. 30 Pos. 179).
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verlassene und ehemals deutsche Vermögen“ 64 , welches das o.g. Gesetz ersetzte. 65 Das ehemalige staatliche Vermögen Deutschlands und der Freien Stadt Danzig sowie das deutsche Privatvermögen wurden ex lege Eigentum des polnischen Staates (mit Ausnahme des Eigentums der juristischen Personen öffentlichen Rechts, welches auf entsprechende polnische Personen übergangen ist). Die Einzelheiten zum Dekret regelte die Verordnung vom 21. Mai 1946. 66 Wie erwähnt, ergab sich die Enteignung ebenfalls aus Akten polnischen Rechts, die bestimmte wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen des Staates gründlich im Sinne des Baus eines sozialistischen Staates reformiert hatten. Es handelt sich hier um die Agrarreform (und das diese Reform einführende Gesetz vom 6. September 1944 67 ), die Übernahme einiger Wälder (Gesetz vom 12. Dezember 1944 68 ) und die Nationalisierung der wichtigsten Wirtschaftszweige (Gesetz vom 3. Januar 1946 69 ). Die Verstaatlichung des deutschen Vermögens stellte hier einen Teil der innerstaatlichen Systemänderungen dar und ihre Durchführung unterlag der souveränen Gewalt des polnischen Staates. Es wird aber stets hervorgehoben, dass die Nationalisierung zwar das deutsche Privateigentum im breiteren Rahmen der Systemumwandlung traf, die Enteignung der Deutschen stellte aber in erster Linie eine Reparationsleistung des deutschen Staates dar. Aufgrund der Konfiskation erlosch das deutsche Eigentum und es entstanden neue Eigentumsverhältnisse und -titeln nach polnischem Recht. 70
d) Verfassungskonformität der Enteignung Im Lichte des damals geltenden polnischen Verfassungsrechts war die entschädigungslose Enteignung der Deutschen wirksam und rechtmäßig. Mit der Etablierung der neuen Regierung der Nationalen Einheit und der Aberkennung der Londoner Exilregierung wurde über das künftige politische System Polens unter dem sowjetischen Einfluss entschieden. Die Grundsätze der neuen Regierung und der künftigen Staatsform wurden zunächst im Manifest vom 22. Juli ___________ 64
Dz. U. Nr. 13 Pos. 87. Dieses Dekret ist mit dem „Gesetz über Raumwirtschaft und die Enteignung von Grund und Boden“ vom April 1985 außer Kraft getreten (Art. 100). Heutzutage regelt die Enteignungssachen das Gesetz über die Immobilienwirtschaft vom 21.08.1997 (Dz..U. Nr. 115, Pos. 741). 66 Dz. U. Nr. 28 Pos. 182. 67 Dz. U. Nr. 3 Pos. 13. 68 Dz. U. Nr. 15 Pos. 82. 69 Dz. U. Nr. 2 Pos. 17. 70 Vgl. Janicki (Anm. 27), S. 18. 65
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1944 und im Verfassungsgesetz vom 19. Februar 1947 festgelegt. Diese Akte kannten keine Eigentumsgarantien für die Ausländer. 71
2. Enteignung der Deutschen im Lichte des Völkerrechts Die von Polen vertretene Linie, dass die Konfiskation des deutschen Vermögens eine internationale Grundlage im Potsdamer Abkommen hatte und mit den Kriegsreparationen zu rechtfertigen war, muss nun völkerrechtlich überprüft werden: erstens sind die völkerrechtlich geltenden Schutznormen in Bezug auf das Eigentum Fremder zu ergründen, damit in ihrem Lichte die Rechtmäßigkeit der Enteignungsmaßnahmen erläutert werden kann. Zweitens handelt es sich um die Frage, inwieweit die Einzelnen mit ihrem Privatvermögen für die völkerrechtswidrigen Handlungen des eigenen Staates (in diesem Fall für den verschuldeten Aggressionskrieg) haften und zu Kriegsreparationen verpflichtet werden können.
a) Eigentumsschutz im Völkerrecht Die Gestaltung der in einem Staat geltenden Eigentumsverhältnisse unterliegt grundsätzlich der jeweiligen nationalen Regulierung (Souveränitätsprinzip). 72 Das Völkerrecht greift aber immer dort ein, wo es sich um Garantien der Menschenrechte handelt, besonders stark auch dann, wenn das Fremdenrecht betroffen ist. Zwar existiert ein generelles und absolutes Verbot der Enteignung auch heutzutage nicht, der sog. internationale Mindeststandard verlangt aber in Bezug auf Ausländer, dass die Enteignung 1) im öffentlichen Interesse liegt, 2) nicht diskriminierend ist und 3) eine Entschädigung vorsieht. 73 Das heutige Völkerrecht erkennt also das Recht des Einzelnen auf Achtung seines Eigentums an und bestimmt, in welchen Fällen dieses Recht eingeschränkt oder entzogen werden darf. Vor allem die EMRK bildet für die Bürger der europäischen Staaten eine wichtige Garantie in diesem Bereich. 74 ___________ 71 Zwar verwies das Manifest an die „Grundsätze“ der Verfassung von 1921, ihre Wirkung war aber praktisch sehr begrenzt. 72 Vgl. Dolzer, Rudolf, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, S. 3 ff. 73 Vgl. zu diesem Thema u.a. Gloria, Christian, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen, Knut (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 47 Rdnr. 16 ff.; Dolzer (Anm. 71), S. 20 f.; Mann, F. A. Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, in: NJW 1961, S. 705 ff.; Wenk (Anm. 47), S. 86 ff. 74 Zusatzprotokoll Nr. 1 zu EMRK, Art.1: „Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch
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b) Das nach dem Krieg geltende Völkerrecht bezüglich des Eigentumsschutzes Fremder Die direkt nach dem Krieg geltenden Völkerrechtsnormen, die auf den Eigentumsschutz abzielten, sowie die damaligen Rechtsstandards in diesem Bereich sind nicht einfach zu ermitteln. 75 Es ist umso schwieriger, da es zu dieser Zeit keine einheitliche Praxis der beteiligten Staaten gegeben hat, die zur Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Norm geführt hätte. 76 Eine vertragliche Vereinbarung, deren Bindung beide Seiten in dem Fall anerkennen, war ebenfalls nicht vorhanden. 77 Deswegen kann man hier lediglich auf „allgemeine Prinzipien“ aus unterschiedlichen Quellen (darunter der Rechtsprechung des StIGH) zurückgreifen und sich bedingt auf die Europäische Menschenrechtskonvention und andere spätere Völkerrechtsakte, die den Eigentumsschutz betreffen, stützen. 78 Die Anwendung späterer Normen, vor allem der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die Enteignung der Deutschen ist aber in zweierlei Hinsicht fraglich: erstens, weil sie sich als Reaktion auf den Krieg und seine Grausamkeiten darstellt und zur Wahrung der Menschenrechte pro futuro verpflichtet, zweitens, weil Polen erst 1993 dem Vertrag beigetreten ist. ___________ Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.“ Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält. 75 Vgl. Dolzer (Anm. 71) (Historische Entwicklung des völkerrechtlichen Eigentumsschutzes). Vgl. auch: MuszyĔski, Mariusz, Nacjonalizacja mienia cudzoziemców w Polsce a problem rekompensaty za mienie pozostawione, in: Przegląd Sejmowy, 2006, Nr 1 (72), S. 43 ff. 76 Vgl. MuszyĔski (Anm. 74), S. 48 ff. Es ist u.a. damit verbunden, dass sich nach dem Krieg zwei gegenüberstehende Systeme herausgebildet haben: das westliche und das sozialistische, die bezüglich des Privateigentums eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung vertreten. 77 Die Anwendung der HLKO (Art. 46) ist strittig. Nach polnischer Auffassung ist sie ausgeschlossen, da es sich um kein besetztes Gebiet, sondern um ein staatliches Territorium Polens handelt. 78 Man kann hier z. B. auf die sog. „Hull-Doktrin“ hinweisen. Diese Doktrin wurde vom US-amerikanischen Außenminister Cordell Hull in einem Notenwechsel in Folge der Enteignungen US-amerikanischer Ländereien und Ölrechte durch Mexico im Jahre 1938 geprägt. Nach der Hull-Doktrin ist eine Enteignung in bestimmten Fällen zulässig, setzt aber eine sofortige, angemessene und effektive Entschädigung voraus. Auch das Statut des Nürnberger Gerichtshofs kann als eine Widerspiegelung des geltenden Völkerrechts dienen. Es war zwar grundsätzlich auf die Verfolgung der Naziverbrecher gerichtet, seine Bestimmungen bringen aber das geltende Recht zum Ausdruck. Eine andere Interpretation des Statuts könnte die Relativierung des Rechts bedeuten, welches ein Verbrechen verurteilen soll, unabhängig davon, vom wem es begangen wurde.
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Aus diesen Gründen ist die Antwort auf die Frage nach geltenden Völkerrechtsnormen und Standards bezüglich des Schutzes von Privateigentum der Deutschen schwierig. Trotzdem kann man nicht sagen, dass das private Eigentum Fremder völkerrechtlich nicht geschützt gewesen wäre. Der Umfang und Inhalt dieses Rechts sind allerdings nicht eindeutig bestimmbar. Die Praxis scheint jedenfalls zu bestätigen, dass die Staaten zu dieser Zeit mit einer Enteignung im öffentlichen und politischen Interesse einverstanden waren und der Souveränitätsbegriff solche Maßnahmen rechtfertigen konnte. Ein Diskriminierungsverbot sowie die Pflicht zu Entschädigung sind aber aus der Nachkriegsperspektive nur unter Berufung auf einen Mindeststandard des Fremdenschutzes abzuleiten, was in Bezug auf die Entschädigung die sog. „Hull-Formel“ bestätigen kann. Das Eigentum stellte aber auch damals kein absolutes Recht dar und seine Einschränkungen im öffentlichen Interesse waren zulässig. Da das Völkerrecht eine dynamische Rechtsordnung darstellt, unterlag auch sein Inhalt in der geschichtlichen Entwicklung erheblichen Änderungen, besonders in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Beurteilung der im anderen historischen und politischen Rahmen vor 60 Jahren vorgenommenen staatlichen Handlungen ist deshalb unter den heutzutage geltenden Regeln nicht immer zutreffend, es sei denn es handelt sich um universelle Mindeststandards, die den Einzelnen in den Mittelpunkt stellen und in diesem Fall verbindliche Schutznormen bereit stellen. Ob das Verbot einer entschädigungslosen Enteignung der Ausländer in einer absoluten Gestalt für den polnischen Staat nach dem Krieg wirksam galt, ist nun strittig. Nur indem man das Recht auf eine Entschädigung und Nichtdiskriminierung im Falle der Enteignung als eine auch damals, in den Nachkriegsbedingungen völkerrechtlich geltende Minimalgarantie betrachtet und die Existenz eines öffentlichen Interesses und eines Rechtfertigungsgrundes seitens Polens bestreitet, kann man die Enteignung der Deutschen als völkerrechtswidrig einstufen. 79
aa) Öffentliches Interesse Polens Die Bestimmung des öffentlichen Interesses erfolgt nach nationalem Recht, welches allerdings mit der Enteignung ausschließlich völkerrechtlich legitimierte Ziele verfolgen darf. 80 Der angestrebte öffentliche Nutzen soll darüber
___________ 79
Vgl. dazu Gornig, Gilbert, in diesem Band. Vgl. auch Dahm, Georg, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 513 f.; Gornig, Gilbert, Rechtliche Würdigung von Vertreibung und Enteignung dargestellt am Schicksal der Donauschwaben Jugoslawiens, in: AWR-Bulletin, 1991, Nr. 2, S. 80. 80
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hinaus dem Allgemeinwohl dienen, welches aber vom nationalen Recht definiert wird. 81 Polen begründet sein öffentliches Interesse damit, dass die Enteignung der Deutschen der Einführung einer öffentlichen Ordnung dienen sollte, denn das zum größten Teil verlassene ehemalige deutsche Vermögen musste an innerstaatliche Eigentumsverhältnisse angepasst und integriert werden. Teilweise hatten die Konfiskationen einen strafrechtlichen Charakter. Die Konfiskationen des restlichen Vermögens wurden als Kriegsreparationen angesehen. Ihre internationale Billigung durch die Alliierten bestätigt den angestrebten Nutzen, welcher nicht nur der nationalen Ordnung dienen, sondern auch das Kriegspotenzial Deutschlands und die Kriegsbestrebungen der Deutschen in der Zukunft zerstören soll. In der deutschen Literatur hebt man dagegen hervor, dass die Konfiskationen grundsätzlich darauf abzielten, den Deutschen ihre Lebensgrundlagen zu entziehen und völkerrechtswidrige Vertreibungen zum Ziel hatten. 82 Damit wollte Polen einen national einheitlichen Staat bilden und das Problem mit der eventuellen deutschen Minderheit lösen, die nach der polnischen Ansicht unloyal war und eine Gefahr für die innere Sicherheit bedeuten könnte.
bb) Diskriminierung Da von der Konfiskation ausdrücklich Deutsche betroffen wurden und grundsätzlich zwischen der Verstaatlichung zum Zwecke der Bildung eines sozialistischen Staates und der Enteignung der Deutschen unterschieden wird, kann man die Enteignung als diskriminierend betrachten. Zu bemerken ist jedoch, dass sich ein Gebot der Gleichbehandlung der Ausländer gegenüber Inländern bis heute nicht etabliert hat und allgemein die Gleichbehandlung aller Ausländergruppen bedeutet. 83
cc) Entschädigung Der Grundsatz einer Entschädigungspflicht im Fall der Enteignung hat sich im Völkerrecht praktisch schon vor dem Zweiten Weltkrieg etabliert. 84 Zum ___________ 81 Vgl. Hartmann, Gode, Nationalisierung und Enteignung im Völkerrecht, 1977, S. 100 f. 82 Vgl. Wenk (Anm. 47), S. 85 ff. 83 Vgl. Hartmann (Anm. 79), S. 108. 84 Vgl. Haager Schiedshof vom 13.12.1922 über die Norwegian Shipowners' claims, in: Reports of International Arbitral Awards, vol. I, S. 338. Max Huber in seinem als Schiedsspruch anerkannten Gutachten vom 01.05.1925 in der Affaire des biens britan-
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Ausdruck wurde er besonders in der oben erwähnten „Hull-Formel“ gebracht, nach der eine Entschädigung sofort, angemessen (also grundsätzlich dem Wert des Eigentums entsprechend) und effektiv (in einer konvertierbaren und transferfähiger Währung) zu zahlen ist. Die durch den polnischen Staat durchgeführte Enteignung des deutschen Privatvermögens sah für die Betroffenen keinerlei Entschädigung vor, deswegen stellt dieses Handeln in diesem Sinne einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen Enteignungsmindeststandards dar.
c) Eigentumsschutz bei Staatennachfolge Grundsätzlich soll, gemäß der Staatenpraxis, das private Eigentum von der Staatensukzession unberührt bleiben. 85 Der Staat kann zwar im Rahmen seiner Souveränität über die innerstaatlichen Eigentumsverhältnisse selbst bestimmen, ist aber zu Beachtung der wohl erworbenen Eigentumsrechte verpflichtet und darf nicht willkürlich über die Enteignung entscheiden, es sein denn, von einer Nationalisierung werden nur die Inländer betroffen. 86 Die Rechte Fremder sind also im Fall eines staatlichen Eingriffs in das Eigentum durch das Völkerrecht geschützt. Eine Enteignung ist nur unter Beachtung der allgemeinen Standards möglich, sie soll also im öffentlichen Interesse liegen und gegen Entschädigung stattfinden und darf nicht diskriminierend sein. Ein Staat, der gegen das Fremdenrecht in diesem Bereich verstößt, handelt völkerrechtswidrig und kann das Privateigentum der Ausländer nicht rechtmäßig erwerben. Diese Handlung löst eine völkerrechtliche Haftung des Staates aus und verpflichtet ihn zur Wiedergutmachung des verschuldeten Schadens. Das Eigentum soll entweder zurückgegeben werden oder es soll ein entsprechender Ausgleich geleistet werden. ___________ niques au Maroc espagnol, in: Reports of International Arbitral Awards, vol. II, S. 617 ff. (647); StIGH, Entscheidung vom 25.05.1926 über Certain German Interests in Polish Upper Silesia (Merits), in: Publications of Permanent Court of International Justice, Series A, Collection of Judgements, No. 6 (1926), S. 22 ff. Der Geltungsgrund dieses Grundsatzes für den polnischen Staat kann man allerdings in Frage stellen, denn er könnte lediglich als „allgemeine Regel“ des Völkerrechts (also keine Vertragsnorm und kein Gewohnheitsrecht) seine Wirkung gegenüber Polen erlangen. 85 Diese Ansicht vertritt auch die Rechtsprechung (StIGH) und Völkerrechtslehre. Vgl. Delbrück, Jost, in: Dahm, Georg/Delbrück, Jost/Wolfrum, Rüdiger, Völkerrecht. Bd. I/1, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte, 1989, S.183; Feilchenfeld, Ernst H., Public Debts and State Sucession, 1931, S. 682 ff.; O'Connell, Daniel Patrick, State Succession in Municipal Law and Interna-tional Law, vol. 1, 1967, S. 250 f., 349, 375 f., 448, 466, 473; Holtzendorff, Franz von, Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2. Die völkerrechtliche Verfassung und Grundordnung der auswärtigen Staatsbeziehungen, 1887, S. 38 f.; Rivier, Alphons, Lehrbuch des Völkerrechts, 1889, S. 88 f. 86 Das Privateigentum der eigenen Bürger ist völkerrechtlich lediglich im Zusatzprotokoll zu EMRK vom 20.03.1952 geschützt.
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Die Tatsache, dass am völkerrechtswidrig enteigneten Vermögen andere Personen eigene Rechte erworben haben, schließt den völkerrechtlichen Anspruch nicht aus.
d) Kriegsreparationen aus dem Privateigentum? Die Konfiskation des deutschen Privatvermögens könnte nach polnischer Ansicht zwar unter normalen Umständen als völkerrechtswidrig angesehen werden, die Anwendung des Eigentumsschutzes Fremder sei jedoch in diesem Fall ausgeschlossen, weil es sich um einen Schadensersatz für die im Krieg erlittene Zerstörung des Landes und andere Schäden handele, also ein rechtlicher Rechtfertigungsgrund vorliege. 87 Sowohl in Jalta als auch in Potsdam sei eindeutig entschieden worden, dass Deutschland im größten Umfang zu Reparationen verpflichtet sei. Gleichzeitig seien die Höhe und Formen der Leistungen bestimmt worden. Das deutsche Volk sei darüber hinaus direkt als Träger der Reparationspflicht genannt worden. Durch die auf deutsches Vermögen im Ausland bezogene Alliiertengesetzgebung seien diese Maßnahmen zusätzlich legitimiert. Ob diese Ansicht tatsächlich eine Rechtfertigungsgrundlage für die Konfiskationen darstellt, ist zweifelhaft. Die Frage, ob die Einzelnen für eine völkerrechtswidrige Handlung des Staates, in diesem Fall für den Aggressionskrieg und den dadurch zustande gekommenen Schaden, zu haften haben, ist nach der allgemeinen Staats- und Völkerrechtslehre generell zu verneinen. 88 Andererseits, was hier von entscheidender Bedeutung sein kann, muss man die Staatenpraxis bezüglich des deutschen Vermögens zu Reparationszwecken nach dem Zweiten Weltkrieg berücksichtigen. Der Begriff der Reparationen ist breit zu verstehen. Er umfasste das gesamte „deutsche“ Vermögen (in dem Fall das gesamte Vermögen in den Oder-Neiße Gebieten wie dieses Territorium selbst). 89 Die Praxis der Siegerstaaten zeigte, dass die Befriedigung der Reparationsansprüche oft auch aus den Privatgütern erfolgte. 90 Gleichzeitig wurde aber in den westeuropäischen Staaten die Zahlung einer Entschädigung an Private als ein demokratisches Prinzip des Rechts___________ 87 Dass der Aggressorstaat zu einer Reparation verpflichtet ist, ergibt sich aus dem Prinzip des Schadensersatzes. Auch im Statut des Völkerbundes 1919 wurden die Pflichten des Aggressorstaates in dieser Hinsicht angesprochen. 88 Vgl. Delbrück (Anm. 83), S. 183. 89 Vgl. der breite Begriff der Reparationen bei Seidl-Hohenfeldern, Ignaz, Die Entschädigungspflicht der Bundesrepublik Deutschland für reparationsentzogenes Auslandsvermögen, 1962. 90 Vgl. z. B. die US-amerikanische und britische Praxis. Vgl. MuszyĔski (Anm. 74), S. 48 ff.
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staates anerkannt und die Deutschen konnten im Nachhinein einen Ausgleich für das entzogene Vermögen bekommen. Mit Abschluss der sog. Überleitungsverträge wurde in vielen Fällen die Pflicht zu Zahlung einer Entschädigung auf den deutschen Staat verschoben. Nach der polnischen Auffassung ergab sich die Notwendigkeit der Konfiskation von Privatgütern aus dem globalen Charakter des Krieges und einer erheblichen Zerstörung des polnischen Staats- und Privateigentums. Die Enteignung der Deutschen ohne Entschädigung sollte nicht nur politisch-ökonomische Zwecke erfüllen, sondern auch die „moralische“ Bestrafung des Aggressors zum Ausdruck bringen. Eine Entschädigung für die dadurch Betroffenen sollte deshalb allein der deutsche Staat leisten. Die deutsche Seite wendet hier ein, dass die Enteignung eine Kollektivstrafe darstellte und als eine unzulässige Maßnahme eingestuft werden müsse. Die Völkerrechtswidrigkeit der Kollektivbestrafung sei u.a. durch die Praxis des Nürnberger Militärgerichtshofs bestätigt worden.
e) Würdigung Die Frage der Reparationen und ihres Konflikts mit dem völkerrechtlichen Schutz des Eigentums Fremder kann nicht eindeutig beantwortet werden. Es werden hier unterschiedliche Interessen verfolgt. Selbst bei einer Anerkennung der Enteignung im Rahmen der Kriegsreparationen scheint aber das Minimum, welches die Zahlung einer entsprechenden Entschädigung darstellt, bindend zu sein. Trotz aller Umstände muss man hervorheben, dass das Völkerrecht grundsätzlich zwischen dem staatlichen und dem privaten Eigentum unterscheidet und bestimmte Schutzregeln in Bezug auf die Rechte Fremder, auch im Fall einer Staatensukzession, bereit stellt. Wenn die Konfiskation als Folge eines Gebietsverlustes des Aggressors im Zusammenhang mit dem geführten Aggressionskrieg erfolgte, ist die Frage nach dem zu einer Entschädigung verpflichteten Subjekt (Aggressorstaat oder Nachfolgestaat) allerdings offen. 91 Die polnische Lehre betrachtet das Problem der Enteignung der Deutschen nach dem Krieg einerseits als eine generelle Konsequenz des Krieges, auch für Privatpersonen, andererseits überwiegend in Kategorien des nationalen Rechts, welches vom Völkerrecht losgelöst über die innerstaatlichen Eigentumsverhältnisse, auch gegenüber den Ausländern, frei entscheiden könne. Die nach polnischer Sicht erfolgte Staatensukzession wird als eine Grundlage für die Übernahme des gesamten deutschen Vermögens angesehen und im direkten Zusammenhang mit der Reparationsfrage betrachtet. Wenn die entschädigungs___________ 91 Vgl. MuszyĔski, Mariusz, Odszkodowania dla przesiedlonych – tak, ale od Niemiec, in: Gazeta Prawna 05.04.2004.
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lose Enteignung der Einzelnen in der Reparationspflicht keinen Rechtfertigungsgrund fände, wäre sie als völkerrechtswidrig anzusehen.
3. Geltendmachung der Ansprüche Eine Feststellung völkerrechtswidrigen Handelns des Staates stellt lediglich den ersten Schritt für den langen Weg der Wiedergutmachung des erlittenen Schadens dar. 92 Für eine tatsächliche Möglichkeit der Geltendmachung von Rechtsansprüchen ist ein Durchsetzungsapparat notwendig, welcher im Völkerrecht mangelhaft ausgestattet ist, vor allem wenn es um Ereignisse geht, die schon vor etwa 60 Jahren passierten. Es stellt sich hier darüber hinaus sofort eine gerechte Frage nach der Verjährung der Ansprüche, einer Rechtsinstitution, die dafür gedacht ist, einen Zustand der rechtlichen Sicherheit zu schaffen in Fällen, in denen sich bestimmte Zustände im Laufe der Zeit stark verändert haben und „veraltete“ Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden sollen. 93 In Bezug auf das in Polen enteignete Privatvermögen ist es von besonderer Bedeutung, die bestehenden Rechtsverhältnisse zu achten. Auf der anderen Seite kann man dem entgegenhalten, dass die Konfiskationen eine Menschenrechtsverletzung darstellen, die nicht verjährt oder dass die frühere Geltendmachung der Ansprüche verhindert war. Da das Völkerrecht selbst keine einheitlichen Regeln bezüglich der Verjährung (vor allem Fristen) bereitstellt, kann man die Ansprüche nicht als verjährt betrachten. Ein anderes grundsätzliches Problem, auf welches in der Literatur in erster Linie eingegangen wird, liegt allerdings darin, dass völkerrechtliche Ansprüche Einzelner dem fremden Staat gegenüber ausschließlich in völkerrechtlich vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden können. 94 Gegen eine Völkerrechtsverletzung des Staates kann vor internationalen Gerichten und aufgrund bestimmter völkerrechtlicher Akten (Vertrag, bindende UN-Resolution) insbesondere erst nach ihrem Inkrafttreten geklagt werden. 95 Ein internationales ___________ 92
„Der Schadensersatz hat die Funktion eines Ausgleichs der Verletzung, einer Festsetzung der Völkerrechtswidrigkeit, einer Zwangsvollstreckung und einer Strafsanktion“ (Bleckmann, Albert, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 403). 93 Als eine vielen Rechtssystemen gemeinsame Institution soll die Verjährung den Rang einer allgemeinen Regel des Völkerrechts erlangen. Im Völkerrecht wird die Verjährung allerdings marginalisiert, da es keine bindenden Normen gibt, die über die Fristen entscheiden würden. 94 Die Staatenimmunität verbietet es dem Einzelnen, einen fremden Staat im eigenen Rechtssystem zu verklagen. Dieser Aspekt wird wichtig bei der Erwägung der Zulässigkeit der Klage vor z. B. US-amerikanischen Gerichten. 95 Das internationale Verfahren setzt meistens die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges voraus. Dem Staat muss zuerst die Möglichkeit eingeräumt werden, die
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Verfahren, in dem der Polnische Staat für seine nach dem Krieg begangenen Völkerrechtsverletzungen gegenüber Deutschen (in Bezug auf das Eigentum) in Anspruch genommen wird, ist mangels einer solchen bindenden Regelung nicht vorhanden und kann auch in der Zukunft (Rückwirkungsverbot) nicht geschaffen werden. 96 Eine andere Möglichkeit für die Wiedergutmachung (also in dem Fall eine Restitution in natura oder in Geldleistung) würde der nationale Rechtsweg darstellen oder ein Reprivatisierungsgesetz eröffnen. Dieses steht in Polen allerdings noch aus.
V. Fazit Die völkerrechtliche Würdigung der Enteignung der Deutschen durch Polen führt zum Ergebnis, dass die Konfiskationen als völkerrechtswidrig eingestuft werden können, obgleich der polnische Staat in seiner Argumentation auf die besonderen Nachkriegszustände und auf die Reparationspflicht Deutschlands verweist, welche die Übernahme des gesamten deutschen Vermögens in den Oder-Neiße-Gebieten rechtfertigen würde. Alle Maßnahmen Polens gegenüber Deutschen seien deswegen auf den von Deutschland begonnenen Krieg zurückzuführen. Dem muss man entgegenhalten, dass das Völkerrecht zwar eindeutig den Krieg verurteilt und Regeln kennt, die der Bestrafung eines Aggressorstaates dienen, es aber die Enteignung des Privatvermögens Fremder als Reaktion auf den Krieg nicht akzeptiert. Der polnischen Lehre liegt die Argumentation zugrunde, dass man die Tatsachen der unmittelbaren Nachkriegszeit in einem bestimmten historischen und politischen Kontext darstellen soll. Deswegen könne man die Geschichte der Zwangsumsiedlungen und Enteignungen nicht erst mit dem Jahr 1945 beginnen. Ihre Ursachen lägen direkt im deutschen Nationalsozialismus, welcher einen ungeheuren und viele Millionen unschuldige Menschen das Leben rauben-
___________ Völkerrechtsverletzung selbst zu beheben. Zur internationalen Staatshaftung vgl. u.a. Bleckmann (Anm. 90), S. 394 ff. 96 Vgl. zahlreiche polnische und deutsche Abhandlungen bezüglich der Zulässigkeit einer Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, vor dem Menschenrechtskomitee, dem EuGH, den amerikanischen und anderen nationalen Gerichten. Vgl. u.a. Peterhoff, Wolf, Rechtsansprüche enteigneter Volksgruppen und ihre Durchsetzbarkeit, 2004. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wurden, unterstützt durch die Preußische Treuhand, im November 2006 mehrere Klagen gegen Polen eingereicht. http://www.preussischetreuhand.de.vu/.
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den Krieg mit sich brachte. 97 Polen sei von diesem Krieg besonders stark und tief betroffen worden. Sowohl dem Staat als auch der Bevölkerung wurde damals ein erheblicher materieller und immaterieller Schaden hinzugefügt. Eine einfache Lösung der Enteignungsprobleme und der Vertreibung ist in den deutsch-polnischen Beziehungen bislang nicht gegeben. Sie muss erst erarbeitet werden, wobei der Weg noch lang und unsicher ist. 98 Die auf Versöhnung und gute Nachbarschaft ausgerichtete Politik der Bundesregierung und ihre überlegte Position in Bezug auf die Problematik der Vertreibung und Enteignung können bestimmt eine pragmatische und zukunftsorientierte Lösung dieser schwierigen Probleme fördern. Die Regierung distanziert sich einerseits bewusst von den eindeutig gegen den polnischen Staat ausgerichteten Aktionen der Preußischen Treuhand und verzichtet auf Unterstützung der Individualforderungen in diesem Bereich. 99 Gleichzeitig bekennt sie sich klar zum „Recht auf Erinnerung“ der Vertriebenen, das als „Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft“ dienen kann. 100 Bei der Überwindung der Probleme und Verständigung bezüglich der Ereignisse der Nachkriegsgeschichte kann auch das Völkerrecht eine große Hilfe leisten. Durch die Förderung der Menschenrechte, die den Menschen im Mittelpunkt allen Rechts stellen, die gleichzeitig nicht relativierbar, nicht historisch oder politisch bedingt sind, kann man viele Fragen klären. Ein begangenes ___________ 97 Es geht dabei nicht um eine „einseitige“ Betrachtung der Geschichte. „Natürlich sagt kein vernünftiger Mensch, dass die deutschen Frauen und Kinder im bombardierten Hamburg oder Kassel weniger gelitten hätten als im bombardierten Warschau oder London. Es geht nur um die Einordnung historischer Ereignisse in ihren geschichtlichen Kontext, weil alles andere im Absurden, nichts Erklärenden enden würde.“ Piskorski, Jan, Vertreibung und deutsch-polnische Geschichte, 2005, S. 94. 98 Vgl. die Worte des Bundespräsidenten Horst Köhler am 02.09.2006 („Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen in Berlin), die eine Aufforderung, die Ängste der Nachbarn ernst zu nehmen beinhaltete: „Wir müssen geduldig vermitteln, dass es in Deutschland keine ernstzunehmende politische Kraft gibt, die die Geschichte umschreiben will. Zuletzt hat die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen bei unseren Nachbarn manche beunruhigt und sorgenvoll gestimmt. Diese Besorgnisse sollten wir nicht ignorieren – gerade wenn wir sie für unbegründet halten“. 99 Vgl. die Kanzlerrede vom 01.08.2004: „Wir Deutschen wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat und wer seine ersten Opfer waren. Deshalb darf es heute keinen Raum mehr für Restitutionsansprüche aus Deutschland geben, die die Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide Regierungen kein Thema mehr in den deutsch-polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernst zu nehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie dennoch geltend gemacht werden. Diese Position wird die Bundesregierung auch vor allen internationalen Gerichten vertreten.“ Diese Haltung wurde auch von der Bundeskanzlerin Merkel bestätigt. 100 Vgl. auch die Rede der Bundeskanzlerin Merkel am 18.09.2006 (bei der Gedenkveranstaltung „60 Jahre Vertreibung, 60 Jahre Wege zur Versöhnung“ in Berlin), http://www.cducsu.de/section__1/subsection__5/id__1792/Meldungen.aspx.
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Verbrechen kann ein anderes (als Reaktion) nicht rechtfertigen, ist aber als Ursache immer zu nennen und beeinflusst sicherlich die Würdigung der Tatsachen. In den deutsch-polnischen Beziehungen zeigt die Geschichte, dass nur im respektvollen Umgang miteinander und im Dialog und Achtung voreinander eine wirkliche Verständigung entstehen kann. Die Menschenrechtsverletzungen, die von der polnischen Seite begangen wurden, können nur dann durch Polen wirklich gesehen und „anerkannt“ werden, wenn man den Menschen und sein Schicksal in den Mittelpunkt stellt, gleich ob er deutscher, jüdischer, polnischer oder sonstiger Nationalität ist und unabhängig davon, unter welchen Umständen die Menschenrechte verletzt werden. Aus der schwierigen deutschpolnischen Nachbarschaft kann man viel lernen – vor allem, dass Krieg, Menschenverachtung, Vertreibung und Vermögenskonfiskationen nie wieder passieren dürfen. Ursachen erklären und den Menschen mit seiner Würde achten lernen ist die wichtigste Aufgabe für diejenigen, die den Krieg noch miterlebt haben, damit die nächsten Generationen der Deutschen und Polen mit Verständigung miteinander umgehen und eine bessere Zukunft aufbauen können. Ein offener Dialog über die schmerzhafte Vergangenheit ist allerdings nur dann möglich, wenn man sich gegenseitig respektiert und keine Angst und Vorurteile voreinander hat. Die Bereitschaft für ein gegenseitiges Zuhören und der Verzicht auf den „Rechthaben- und Wahrheitsmonopol“ müssen also auf beiden Seiten vorhanden sein. * * *
Abstract Aldona Szczeponek: The Expropriation of the Germans by Poland after the Second World War from a Polish and International-Law Point of View, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 187-216. The article deals with the problem of expulsion and expropriation of the Germans by Poland. Both the Polish and the German legal arguments are represented, followed by an analysis of the topic under the aspects of international law. The Polish legal literature states that the expropriation is to be regarded as consequence of the war of aggression led by Germany. The expropriated goods are to be classified therefore as war reparations. The German side does not agree with these arguments and regards the expropriation as a violation of international law. The analysis of the international law in force does not give a clear answer to these questions; however the restitution of private property is inadmissible from the today's view. Having in mind the complicated legal and political situation, a solution of the property questions in German-Polish relations must be found.
Zu den Enteignungen durch die Sowjetunion im Kaliningrader Gebiet am Ende des Zweiten Weltkriegs Von Alexander Salenko1
I. Die russische Position im Grundsätzlichen Die offizielle Haltung der russischen Föderation zur Entschädigung von aus dem Königsberger Gebiet vertriebenen Deutschen unterscheidet sich grundlegend von den Aussagen der westlichen Völkerrechtslehre. An sich bedarf es keiner völkerrechtlichen Kenntnisse, um zu erkennen, dass die Vertreibung von Menschen und Völkern Unrecht ist. Jeder Versuch, Vertreibung zu rechtfertigen, widerspräche unserem Rechtsgefühl und bedeutete eine Billigung von Zwangsumsiedlungen und Deportationen ebenso wie eine Anerkennung von Gewaltpolitik, Rassenwahn, Menschenverachtung und Kollektivschuld. Doch für die russische Völkerrechtslehre und Staatspolitik ist der Weg zu solcher Einsicht relativ lang. Im Gegensatz zu Ländern wie Tschechien, Polen oder Slowenien hat in Russland die Debatte um die Behandlung der Entschädigungsproblematik nach Vertreibung und Enteignung noch gar nicht begonnen. Verglichen mit dem Stand der Lehre in den vorgenannten Ländern stellt sich der Standpunkt Russlands weit „einfacher“ dar. Denn dort wird davon ausgegangen, dass sich die russische Bevölkerung in einer Opferrolle befindet. Wirft man einen Blick in ein typisches russisches Völkerrechtslehrbuch, wie es vom russischen Ministerium für Ausbildung herausgegeben und an Moskauer Universitäten geschrieben wird, so trifft man auf zwei wesentliche Grundvorstellungen: Zum einen wird der Übergang Königsbergs und seines Umlands an die russische Föderation als außerordentliche Repressalie bezeichnet, folgend aus der besonderen Verantwortung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum anderen begreift man das Potsdamer Abkommen als eine der wichtigsten Quellen des Völkerrechts. Im Gegensatz zur deutschen Position, die das Potsdamer Abkommen lediglich als Provisorium begreift, sind Zweifel an der völkerrechtlichen Bedeutung des Abkommens in Russland undenkbar. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Frage nach der Rechtsqualität des Abkommens in der russi___________ 1
Sprachlich bereinigte Abschrift vom Tonträger durch die Herausgeber.
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schen Lehre gar nicht gestellt wird, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zu dieser Frage also nicht stattfindet. Diese Haltung rührt aus der sowjetischen Völkerrechtslehre, die nur das als Völkerrecht bezeichnete, was nach der herrschenden Meinung für die sowjetische Politik von Bedeutung war. Auch deswegen betrachten wir die Rechtsquellen des Völkerrechts gänzlich anders. Insofern sollte zwar das Potsdamer Abkommen ein Gegenstand der innerrussischen Diskussion sein. Doch leider befinden wir uns bisweilen in einem Zustand der „Politikbefohlenheit des (Völker-)Rechts“, was die wissenschaftliche Auseinandersetzung lähmt. Die völkerrechtliche Grundposition Russlands zu Fragen der Wiedergutmachung von Enteignungsunrecht wurde im Wesentlichen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts festgelegt. Sie besagt, dass die heutigen Grenzen stabil, anerkannt und unantastbar sind. So ist die Entschädigungsfrage in der russischen Völkerrechtswissenschaft von vornherein tabuisiert. Hinzu tritt das Problem, dass die russische Öffentlichkeit meines Erachtens nach noch nicht zu einer derartigen Diskussion bereit ist. Dies zeigen Erfahrungen mit den russischen Medien und der öffentlichen Meinung, die überwiegend negativ auf jedwede Veranstaltungen mit Wissenschaftlern aus NATO-Mitgliedsstaaten reagieren, ohne sich ernsthaft mit den Inhalten solcher Veranstaltungen zu beschäftigen. Ich selbst habe derartige Negativerlebnisse bei der Organisation dreier Seminare in der britischen Botschaft in Moskau gemacht. Diese ablehnende Einstellung der russischen Öffentlichkeit wird die größte Schwierigkeit bei einem Dialog mit Russland über die Frage nach einer Entschädigung der Vertriebenen sein. Zudem gilt es zu erkennen, dass ein großer Unterschied besteht zwischen den Gesprächen mit der russischen Föderation und denen mit anderen osteuropäischen Staaten wie z.B. Tschechien, Polen, Slowenien, Rumänien und Ungarn. Ein Grund für diese Staaten, entsprechende Dialoge mit Deutschland zu beginnen, ist auch, dass sie als neue Mitgliedsstaaten in der EU integriert sein wollen. Eine derartige Motivation gibt es auf russischer Seite selbstverständlich nicht. Dadurch wird es zusätzlich erschwert, mit Russland ein Gespräch über das Thema in Gang zu bringen. Insofern wäre die Teilnahme russischer Völkerrechtler an Tagungen wie der heutigen wünschenswert, damit sie als Lehrbuchautoren Kenntnis von anderen Denkansätzen und Sichtweisen auf das Problem erlangen, zumal sie nicht selten auch Berater der russischen Regierung sind.
II. Die besondere Einstellung Russlands zum Eigentum Weiterhin gehört die prinzipielle Negierung von Privateigentum zu den russischen Spezifika. Merkmal des sowjetischen Staates war die Verstaatlichung von Grund und Boden, Kapital und Banken usw. nach der Oktoberrevolution
Zu den Enteignungen durch die Sowjetunion im Kaliningrader Gebiet
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1917. Boden wurde nicht verkauft, sondern kostenlos vom Staat zur Verfügung gestellt. Auch die heute in Kaliningrad ansässigen Menschen können demnach nicht beweisen, dass sie Eigentümer des Bodens sind, den sie jetzt seit sechzig Jahren nutzen. Privates Grundeigentum kann man nach dem Gesetz nur in geringem Umfang haben (derzeit 0,6ha). Beginnt man also eine Diskussion um eine Entschädigung der nach 1945 aus dem Kaliningrader Gebiet vertriebenen Menschen, so stellt sich sogleich auch die Frage nach der Entschädigung der enteigneten Russen. Bislang können russische Enteignungsopfer keine Entschädigung für die Verstaatlichung erlangen, was mich im Hinblick auf mögliche Entschädigungsleistungen an die Vertriebenen pessimistisch stimmt. Hinzu kommt, dass es an einem hinreichenden Mechanismus zur Durchsetzung etwaiger Ansprüche fehlt. Insofern besteht eine Parallele zum bekannten Fall Louzidou vs Türkei, in welchem der EGMR zwar eine Verletzung des Eigentums der Klägerin durch den türkischen Staat feststellte, die Türkei aber die Leistung einer Entschädigung verweigerte. Es muss daher das Ziel sein, entsprechende Rechtschutzmöglichkeiten zu schaffen, damit die Vertriebenen ihre Ansprüche verwirklichen können. Um dies zu erreichen, ist es aber notwendig, konstruktiv mit den russischen Stellen zu reden und Missverständnissen vorzubeugen, da von den meisten russischen Politikern die Forderung nach einer Entschädigung als ein Akt des Revanchismus gedeutet wird, also als ein Versuch, die Grenzen neu zu regeln. Umso wichtiger ist es, dass pragmatische Lösungen vorgeschlagen werden, die sich an den heutigen Realitäten im Kaliningrader Gebiet orientieren und die bereits gemachten Erfahrungen berücksichtigen.
III. Rückgabe oder Rückkauf leer stehenden Eigentums Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Kirchen im Gebiet von Kaliningrad leer stehen und sich in einem verwüsteten Zustand befinden. Ein Beispiel hierfür ist die berühmte Kirche in Tharau. Ich halte es für möglich, dass, wenn sich die evangelische und die katholische Kirche um einen Dialog bemühen, eine Lösung darin gefunden werden kann, dass die noch vorhandenen Kirchen zurückgegeben werden. Ähnliches halte ich in Bezug auf die vielen leer stehenden Bauernhäuser in diesem Gebiet für möglich, obgleich sich hier die rechtliche Lage etwas schwieriger darstellt. Zu den Vorhaben des gegenwärtigen Gouverneurs gehört es, die Bevölkerungszahl im Gebiet von Kaliningrad von derzeit ca. 1 Million Menschen auf etwa 2 Millionen zu verdoppeln. Meine Vermutung ist, dass derzeit leer stehendes Wohneigentum dann den Migranten zur Verfügung gestellt werden soll. Es liegt auf der Hand, dass dies die Verhandlungen über eine Rückgabe enteigneten Eigentums der Vertriebenen erschweren wird. Trotzdem muss damit begonnen werden, die Zahl der aus dem Gebiet Vertriebenen ge-
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nauestens zu ermitteln und zu klären, wie hoch der Anteil derer ist, die Interesse an einer Rückgabe oder Entschädigung haben. Diese Zahlen müssen dann mit den Daten aus den russischen Militärarchiven abgeglichen werden, um nicht nur verlässliche, sondern auch verhandlungsfähige Grundlagen zu haben. Ein anderer Ansatz wäre der Rückkauf des betreffenden Eigentums durch die Vertriebenen selbst. Im Gegensatz zu Polen ist es nach der in Russland geltenden Rechtslage für Ausländer durchaus möglich, Immobilien zu erwerben. Eine bedauerliche Ausnahme gilt jedoch für das Gebiet Kaliningrad. Zwar können Ausländer hier Wohnungen und Häuser erwerben, jedoch untersagt das „Gesetz über die Sonderwirtschaftszone Kaliningrad“ wegen der Grenznähe des Gebiets den Grundeigentumserwerb von Ausländern. Diese Rechtslage ist in zweierlei Hinsicht unglücklich und sollte deshalb revidiert werden: Zum einen verhindert sie Investitionen in das Gebiet, zum anderen wird der Rückkauf von Grundstücken durch die Vertriebenen ausgeschlossen. Ungeachtet dessen bleibt natürlich die Frage bestehen, ob es gerecht ist, Eigentum, das man einst besessen und rechtswidrig verloren hat, zurückkaufen zu müssen und damit gezwungen zu sein, für eigenes Vermögen doppelt zu bezahlen. Letztlich ist zu sagen, dass es in Russland keine Präzedenzfälle zur Problematik der Vertriebenenenteignung gibt. Deswegen ist es wichtig, die Fälle vor Gericht zu bringen und Urteile zu erstreiten. Wenngleich davon auszugehen ist, dass eine solche Klage zurückgewiesen wird, ist es wichtig, eine derartige Entscheidung zu erzwingen, um zu sehen, wie das Gericht seine Entscheidung begründet.
IV. Entschädigung Von den wenigen Fällen einmal abgesehen, in denen das betreffende Eigentum derzeit leer steht und niemandem gehört, halte ich eine Entschädigung der Vertriebenen im Wege der Naturalrestitution kaum für möglich. Das Eigentum der Vertriebenen befindet sich nunmehr sechzig Jahre in russischen Händen und hat zumeist mehrfach den Besitzer gewechselt. Das macht eine Wiedergutmachung auf diesem Wege auch rechtlich schwierig. Denkbar erscheint mir indes eine entsprechende Entschädigung in Geld, wie dies nicht zuletzt auch in den Nachbarstaaten geschehen ist.
V. Schluss Die Problematik des Vertriebeneneigentums ist ein sensibles Thema, dass in Russland nicht so offen angesprochen und diskutiert wird, wie es notwendig wäre. Es ist deswegen wichtig, einen Dialog über die Entschädigung der aus dem Kaliningrader Gebiet vertriebenen Deutschen zu beginnen. Dabei ist in
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Rechnung zu stellen, dass sich in Russland erst seit 1990 eine offene Gesellschaft mit Presse- und Meinungsfreiheit entwickelt. Entsprechend gering ist die Anzahl an Veröffentlichungen zum Thema in der russischen Völkerrechtslehre und ebenso fehlt es in der allgemeinen Öffentlichkeit an Informationen über die Vertriebenenfrage. Auf einen einfachen Nenner gebracht, stellt sich das Problem in der Sicht der russischen Medien so dar, dass es sich bei Veranstaltungen und Konferenzen wie der heutigen um Versammlungen von Deutschen handelt, die das Kaliningrader Gebiet zurück haben wollen. Daher fehlt es der russischen Öffentlichkeit an einem hinreichenden Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen. Und deshalb ist Russland meines Erachtens auch noch nicht bereit, die Frage der Vertriebenenentschädigung zu regeln. Angesichts der russischen Position wird es also viel Geduld brauchen, um den Dialog zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Weil es dabei aber auf der anderen Seite um Lebenszeit geht, von der den damals Vertriebenen nicht mehr viel bleibt, ist es umso wichtiger, dass mit der Klärung der Entschädigungsfrage schnell begonnen wird. * * *
Abstract Alexander Salenko: On the Expropriations by the Soviet Union in the Kaliningrad Area at the End of the Second World War, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 217-221. The problem of the refugee property is a sensitive topic which is not as openly addressed and discussed in Russia as it should be. A dialogue on the compensation of the Germans expelled from the Kaliningrad region is therefore important. However, one should keep in mind that it is only since 1990 that an open society with liberty of opinion and liberty of press is developing in Russia. Accordingly, the number of publications on the topic in the Russian international public law literature is small and the general public information about the refugee question is missing. In the view of the Russian media, the meetings and conferences like the today's are only gatherings of Germans, which want to have the Kaliningrad territory back. The Russian public lacks a sufficient consciousness for the necessity to deal more intensively with the topic. To my opinion, Russia is also not ready to regulate the question of the refugee compensation. Having in mind the Russian position, it will take much patience, in order to lead the dialogue to a successful end. Because on the other side we deal with the remaining years of the lifetime of the refugees, it is
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important that the clarification of the compensation issue begins as soon as possible.
Die verfassungsrechtliche Natur der Dekrete des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik Von Karel Klíma
I. Einführung Analysiert man die Dekrete des Präsidenten der Republik aus verfassungsrechtlicher Perspektive, gibt es zwei Blickwinkel. Zum einen muss man die Dekrete als Teil der verfassungsrechtlichen Situation der Zeit zwischen 1938 und 1948 beurteilen. Zum anderen sind diese Dekrete als Entscheidungen zu qualifizieren, die selbstverständlich intertemporäre Folgen haben. Es ist also nötig, ihren Platz in der geltenden Verfassungssituation unter dem Blickwinkel zu beurteilen, wie die Diskontinuität der Verfassung im Jahr 1948 (neue Verfassung der ýSR) diese normativen Entscheidungen überbrückt hat oder auch nicht. Man kann selbstverständlich diese Dekrete auch als eine Methode der Entscheidung der Staatsautorität (respektive mehrerer Autoritäten, siehe unten) sehen.
II. Kontinuität der tschechoslowakischen Macht im Zeitraum der Okkupation Trotz der Äußergewöhnlichkeit der Situation in der Tschechoslowakei von 1938 bis 1945 ist die Auslegung der tschechischen Rechtswissenschaft zu akzeptieren, dass die Tschechoslowakei im Jahr 1939 nicht untergegangen ist. Grundlage für diese Aussage ist die völkerrechtliche Anerkennung der vorläufigen tschechoslowakischen Regierung, die vom Tschechoslowakischen Nationalausschuss in Großbritannien gestellt wurde. Die vorläufige tschechoslowakische Regierung, die am 9. Juli 1940 in Großbritannien konstituiert wurde, setzte sich aus dem Präsidenten der Republik, der Regierung und dem Staatsrat1 zusammen. ___________ 1 Der Staatsrat war konstituiert als eine Beratungskörperschaft für den Präsidenten und als Hilfskontrollorgan im Rahmen der vorläufigen Staatsordnung und zwar nach dem Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik Nr.1/1940.
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Die Zuständigkeit zum Erlass von Dekreten, um die es in diesem Beitrag insbesondere geht, wurde durch das Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik Nr. 2/1940 konstituiert, wonach Vorschriften, die Gesetze ändern, abschaffen oder neu herausgeben, während der Geltungszeit der vorläufigen Staatsordnung erforderlichenfalls vom Präsidenten der Republik in der Form von Dekreten nach Vorschlag der Regierung erlassen werden. Diese Normen zeichnete der Premierminister, respektive die Mitglieder der Regierung, die zur Ausführung befugt waren, gegen. Mit dem Verfassungsdekret Nr. 3 aus dem Jahr 1945 über die Ausführung der gesetzgebenden Macht in der Übergangszeit wurde die Gültigkeit des Dekrets Nr. 2/1940 verlängert, bis die vorläufige gesetzgebende Körperschaft der Tschechoslowakischen Republik errichtet war. Mit Verfassungsdekret vom 25. August 1945 Nr. 47/1945 wurde der Vorläufigen Nationalversammlung gesetzgebende Macht verliehen; sie nahm ihre Funktionen am 28. Oktober 1945 auf. An diesem Tag endete die Befugnis, gesetzgebende Macht durch Dekrete auszuüben. Durch das Verfassungsgesetz vom 28. März 1946 Nr. 57 wurden alle Dekrete, die auf der Basis des Dekrets Nr. 2/1940 erlassen worden waren, durch die Vorläufige Nationalversammlung genehmigt und zu Gesetzen erklärt. Alle Verfassungsdekrete wurden für verfassungsmäßig erklärt. Die Nationalversammlung genehmigte nachträglich alle Dekrete aus den Jahren 1940-1945. Es waren insgesamt 141 Dekrete, 43 wurden im Ausland und 98 schon auf dem befreiten Gebiet der Tschechoslowakei erlassen.
III. Rechtliche Natur der Dekrete des Präsidenten der Republik Die Dekrete wurden von der Regierung vorbereitet und im Staatsrat verhandelt (später auch im Slowakischen Nationalrat). Die Dekrete wurden also von der Regierung, von dem Premierminister oder einem Minister vorgeschlagen, also ähnlich wie in einem gefestigten (nicht übergangsweisen) Rechtssystem. Die Legitimität des Erlasses von Dekreten, also von Normen mit Gesetzeskraft, lässt sich mit der provisorischen Situation des Verfassungssystems der Tschechoslowakei und der völkerrechtlichen Akzeptanz des Exil-Präsidenten und der Regierung begründen. Die Kontinuität des Staatspräsidenten aus der ehemaligen freien Tschechoslowakei hat für die Weitergeltung der Verfassung der Tschechoslowakischen Republik aus dem Jahr 1920 gesorgt.2 ___________ 2 Die Geltungszeit der tschechoslowakischen Verfassung wurde erst durch die Annahme der „Verfassung vom 9. Mai“ im Jahr 1948 beendet. Dadurch ging die Verfassungsperiode, die mit dem Jahr 1920 begann, in der die Periode von 1938 bis 1948 ein
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Die Dekrete stellten die einzige Möglichkeit dar, Entscheidungen mit Gesetzeskraft zu treffen. Der Gegenstand der Regelungen betrifft im Grunde Fragen von Verfassungsrang, von Gesetzgebung und auch konkrete Entscheidungen der Exekutive.3 Inhaltlich haben die Dekrete nur eine zeitlich begrenzte Bedeutung, ohne aktuelle Wirkung in der Gegenwart, sei es rechtlich, sei es politisch. Entweder wurden sie schon umgesetzt und haben daher aufgehört zu gelten oder man kann sie heute nicht mehr anwenden.
IV. Bürgerliche Reichweite der Dekrete Die Dekrete des Präsidenten der Republik betrafen verschiedene Gebiete des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens. Sie lösten und regelten gesetzgebend verschiedene Probleme, vor denen die Organe der vorläufigen Staatsordnung standen, und das sowohl während der Zeit der Exilregierung in London als auch während der Tätigkeit der Regierung mit Sitz auf dem Gebiet der Republik, bis sich erneut die gesetzgebende Körperschaft der Tschechoslowakischen Republik in der Form der vorläufigen Nationalversammlung konstituierte (28.10.1945). Die Dekrete befassen sich mit Fragen der Organisation der vorläufigen Staatsordnung, der Ausübung der gesetzgebenden Macht, den Angelegenheiten der tschechoslowakischen Armee im Ausland, dem Militärsgerichtswesen, dem Staatshaushalt für die einzelnen Jahre, der Einführung von Kriegs- und anderen Auszeichnungen und den Problemen der zeitlichen Verwaltung des stufenweise befreiten Gebietes. Im Zusammenhang mit der Verwaltung des befreiten Gebietes betrafen die Dekrete die Erneuerung der Rechtsordnung, den Wiederaufbau der Wirtschaft und einzelner Bereiche der Wirtschaft, die innere Besiedlung, das Schulwesen, die Sozialversicherung, Gehaltsfragen der Staatsangestellten, die Anmeldung und die Registrierung der Kriegsschäden, Steuer-, Zoll- und Währungsfragen.
___________ selbstständiges Entwicklungskapitel bildet, zu Ende. Diese Periode hatte teilweise das Verfassungssystem geändert, vor allem im Jahr 1944 unter dem Einfluss der sowjetischen (stalinistischen) Konzeption der Macht, mit der Idee der sog. Nationalfronten und unter dem Eindruck einer gewissen Emanzipation des slowakischen Volkes im Rahmen der Tschechoslowakei. 3 Zum Beispiel Dekret Nr. 8/1945 „über die Wiedereinführung der mitteleuropäischen Zeit“, oder Dekret Nr.135/1945 „über die Errichtung einer Nebenstelle der Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Pilsen“.
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Neben dem Wiederaufbau der allgemeinen Verwaltung lösten die Dekrete des Präsidenten der Republik auch Fragen, die konkret den einzelnen Bürger betrafen. In diesem Sinn regelten sie: 1.
Die Bestrafung von einigen Verbrechen;
2.
die Staatsbürgerschaft der Deutschen und der Ungarn;
3.
die Konfiskation und Verstaatlichung des Eigentums ohne Ersatz.
Die Dekrete des Präsidenten der Republik befassten sich nicht mit der Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei.
V. Strafrechtliche Reichweite gewisser Dekrete Die Bestrafung von Verbrechen und Vergehen ist Gegenstand des Dekrets vom 19. Juni 1945 Nr. 16/1945 über die Bestrafung der nazistischen Verbrechen, der Verräter und ihrer Helfer sowie über die außerordentlichen Volksgerichte. Dazu kommen noch die Dekrete Nr. 17/1945 über das nationale Gericht und Nr. 138/1945 über die Bestrafung einiger Vergehen gegen die nationale Würde. Die Wirkungszeit der ersten zwei Dekrete wurde bis 8. Januar 1947 verlängert. Die Tatbestände der Strafhandlungen nach dem Dekret Nr. 16/1945 betrafen „die Verbrechen gegen den Staat“, „die Verbrechen gegen die Personen“, „die Verbrechen gegen das Eigentum“ und „das Denunziantentum“. Die Tatbestände der Verbrechen wurden genau bestimmt durch einen Hinweis auf das Gesetz Nr. 50/1923 über den Schutz der Republik und auf die damals noch geltenden Rechtskodexe aus dem letzten Jahrhundert (1852, resp. 1878) oder durch eine neue Definition des Straftatbestands des Denunziantentums. Diese Dekrete setzten individuelle Schuld voraus und unterschieden den Straftäter nicht nach der Staatsangehörigkeit oder Nationalität, sie gingen von der Unschuldsvermutung aus.
VI. Staatsbürgerliche Reichweite bestimmter Dekrete Nach Dekret Nr. 33/1945 verloren die tschechoslowakischen Staatsbürger der deutschen oder ungarischen Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Okkupationsmacht die deutsche oder ungarische Staatsangehörigkeit erworben hatten, am Tag des Erwerbes jener Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft.4
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Dasselbe Dekret legte aber fest, dass von diesem Dekret betroffene Personen, die die Treue zur Tschechoslowakischen Republik bewiesen, die sich niemals an dem tschechischen oder slowakischen Volk verschuldet und die entweder aktiv für ihre Befreiung gekämpft oder unter dem nazistischen oder faschistischen Widerstand gelitten hatten, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft behalten. Das Dekret ließ also Ausnahmen von seiner Anwendung zu. Die Entlassung der Personen aus der tschechischen Staatsbürgerschaft war eine verfassungsinterne Sache und deshalb Angelegenheit des tschechoslowakischen Staates. Die Aussiedlung selbst war eine internationalrechtliche Entscheidung.
VII. Die das Eigentum betreffende Reichweite bestimmter Dekrete Einige der Dekrete aus dem Jahr 1945 kann man als normative Entscheidungen mit Konfiskations- und Verstaatlichungscharakter qualifizieren.5 Die ausgeführten Maßnahmen wurden aber niemals nur auf Personen der deutschen und ungarischen Nationalität, immer auch auf andere Personen bezogen. Die Konfiskations- und Verstaatlichungsdekrete benutzten die legislative Methode der durch die einzelnen Personen widerlegensfähigen Vermutung der
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Deutschland hat nach der Besetzung von Böhmen und Mähren als eine Okkupationsmacht die Personen deutscher Nationalität, die in der Zeit der durchgeführten Okkupation die tschechoslowakischen Staatsbürger waren, zu deutschen Staatsbürgern erklärt, und das mit der Wirkung vom 10.10.1938. 5 Es handelt sich um folgende Dekrete: Nr. 5/1945 über die Ungültigkeit einiger vermögensrechtlicher Rechtsgeschäfte aus der Zeit der Unfreiheit und über die nationale Verwaltung der Vermögenswerte der Deutschen, der Madjaren, der Verräter und Kollaboranten und einiger Organisationen und Anstalten; Nr. 12/1945 über die Konfiskation und der beschleunigten Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und slowakischen Volkes; Nr. 22/1945 über die Besiedlung des landwirtschaftlichen Bodens der Deutschen, Madjaren und anderer Feinde des Staates durch die tschechische, slowakische und andere slavonische Landwirtschaftler; Nr. 50/1945 über die Maßnahmen im Bereich des Filmes; Nr. 100 bis 103/1945 über die Verstaatlichung der Zechen und einiger industrieller Unternehmen, über die Verstaatlichung einiger Unternehmen der Lebensmittelindustrie, über die Verstaatlichung der Aktienbanken, über die Verstaatlichung der privaten Versicherungsanstalten.
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Verantwortlichkeit. Diese Methode, die im Strafrecht unzulässig ist, wird manchmal sowohl im internationalen als auch im inländischen Recht im Bereich von Regelungen besonderer Art der zivilen Verantwortlichkeit für Schäden herangezogen. Das Völkerrecht hinderte nicht die Konfiskation des Eigentums der eigenen Staatsbürger. Die Rechtsregelung obliegt in diesem Fall der völligen Zuständigkeit des Staates, auf dessen Gebiet sich das Eigentum befindet.
VIII. Rechtsrealisierung der Dekrete des Präsidenten der Republik Über die Anwendung der Eigentumsmaßnahmen haben die administrativen Organe zu entscheiden. Diese Organe haben die Verantwortlichkeit der einzelnen Subjekte bestimmt und Konsequenzen daraus gezogen. Die Beweislast wurde auf die Gruppen der Personen und die Einzelnen übertragen. Aus der Sicht des Rechtsstaates wurde diese Verantwortung nicht in einem gerichtlichen kontradiktorischen Verfahren bewiesen, Tätigkeiten des exekutiven Apparats konnten also im Einzelfall Ungerechtigkeiten erzeugen. * * *
Abstract Karel Klíma: The Constitutional Nature of the Decrees of the President of the Czechoslovakian Republic, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 223-228. Presidential Decrees of the Czechoslovak Republic are the part of the extreme constitutional situation evocated by the Czech and Moravian sovereignty loss as well as by the Czechoslovak temporary disintegration in years 1938-1945. The Decrees had been the provisional way of temporary government decision making in exile (London) and after it, since 1944, also in the freed territories. Presidential Decrees then, after May 1945, solve different questions concerned in administrative, economic and social life, so they have the normative character (generally binding), as well as the executive character (decisions of single cases). The extensional social incidence was the cause of Decrees related to nationalizing, criminal law (quisling and collaborator punishment) and expatriation. Newly elected National Assembly of the Czechoslovak Republic received and reconfirmed all the Presidential Decrees in April 1946. Number of the Decrees fulfilled their purpose because of the instantaneous utilization. The new Constitution of the Czechoslovak Republic from the year 1948, constitutes completely new constitutional situation and substitutes the original Constitution of validity from the year 1920 as well as the presidential decretive activity.
Die Entschädigung der deutschen Vertriebenen durch den slowenischen Staat Von Mladen Kraljiü
I. Einleitung In meiner Studienzeit habe ich öfter als Dolmetscher mitgearbeitet, wenn es um die Denationalisierung von Vermögen ging. Schon damals, als die Unabhängigkeit Sloweniens noch frisch war und eigentlich niemand so genau wusste, wohin es denn gehen soll, gab es heftigste Diskussionen über verschiedene Modelle der Privatisierung des damaligen Vermögens ohne Eigentümer. Warum „ohne Eigentümer“? Slowenien bzw. Jugoslawien besaß ein eigenes Modell der Volkswirtschaft im Sozialismus, das weder staatliches noch richtiges Privateigentum kannte, jedenfalls was Produktionsmittel und wichtige Immobilien anbelangte. Das Vermögen gehörte dem Volk, also keinem. Deshalb werden hier Denationalisierung, d.h. Rückgängigmachung von Enteignungen, und Privatisierung, d.h. Festlegung des Eigentums am sozialistischen Gesellschaftsvermögen, unterschieden, jedoch parallel realisiert, und zwar im Rahmen zweier Rechtsgrundlagen, dem Denationalisationsgesetz und dem Gesetz zur Eigentumsregelung von Unternehmen, die nicht einmal richtig aufeinander abgestimmt wurden. Von der Privatisierung soll dieser Vortrag nicht reden, obwohl auch dieses Thema äußerst kontrovers und interessant wäre. Wenn wir von Denationalisierung sprechen, denken wir an das Vermögen, das jemandem weggenommen wurde und wieder zurückgegeben werden soll. Als ich begann, mich auf das Thema der Rückerstattung beziehungsweise der Entschädigung für die Enteigneten vorzubereiten, habe ich mich an meine ehemaligen Professoren und meinen Mentor gewandt, mit denen ich vor allem zwischen 1993 und 1996 zusammengearbeitet habe, als sie die deutschen Nachkommen der Vertriebenen in den Denationalisierungsverfahren vertreten haben. Einer meiner Professoren meinte: „Wieso Entschädigung? Das wurde doch bereits nach dem Zweiten Weltkrieg per Abkommen zwischen Deutschland und Jugoslawien geregelt. Die Kriegsreparationen sollten mit den Entschädigungen für die Vertriebenen aufgerechnet werden, und fertig. Wer damals entschädigt wurde, kann jetzt nichts mehr fordern.“ „Das wird ein kurzer Beitrag“, habe ich mir gedacht. Ich wandte mich an Prof. Dr. Šime Ivanjko, von dem ich wusste, dass er sicherlich weiterhelfen kann. Er wies mit dem Fin-
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ger auf ein Regal in seinem Büro, eigentlich auf zwei Regale, und meinte: „Hier kannst Du ein bisschen herumstöbern. Das sind die Akten aus einigen Verfahren. Ich kann Dir auch ein offenes Verfahren zeigen“, und er holte einen hohen Stapel von Papieren hervor, „dieser Herr hat eigentlich keine Aussichten auf Erfolg, aber vielleicht hilft es Dir, die Probleme der Thematik zu verstehen.“ Wenig beruhigt habe ich mich auf die Medienveröffentlichungen gestürzt, aber außer Beschwerden über die Dauer der Verfahren nichts Brauchbares gefunden. In den Medien wurde und wird hauptsächlich über die Rückgabe von Vermögen an die Kirche und an ohnehin schon reiche Familien polemisiert. Aufgrund dessen habe ich mich entschlossen, mich an die Hauptrechtsquellen zu halten, d.h. das unten erwähnte Abkommen und das Denationalisationsgesetz (im weiteren: DenG).1 Dabei konzentriere ich mich dem Titel des Beitrags entsprechend auf die Entschädigungen, nicht auf die tatsächlichen Rückgaben von Vermögen, was angesichts der praktischen Schwierigkeiten (neue Eigentümer, die Vermögen entgeltlich erworben haben, öffentliches Interesse am nationalisierten Vermögen, Schutz für landwirtschaftliche Grundstücke vor übertriebener Parzellierung usw.) leicht ein eigenes Thema sein könnte.
II. Vereinbarung vom 10. März 1956 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung von Ansprüchen auf Entschädigung für nicht realisierbare Restitutionen und von Ansprüchen gegen die deutsche Verrechnungskasse2 Durch Notenwechsel haben die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien festgelegt, welche Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien und der späteren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien weiterhin zwischen Deutschland und Slowenien gelten sollen, und zwar am 30. März beziehungsweise 19. April 1993.3 Zu den weiterhin geltenden Abkommen gehört ___________ 1 Bek. in Uradni list (Gesetzblatt) RS, Nr. 27/91, 56/92 – Entscheidung des VerfG, 13/93 – Entscheidung des VerfG, 31/93, 24/95 – Entscheidung des VerfG, 20/97 – Entscheidung des VerfG, 65/98, 76/98 – Entscheidung des VerfG – Entscheidung des VerfG, 66/00. 2 Bek. in Uradni list FLRJ, Nr. 14/56 vom 22.8.1956. 3 Bekanntmachung über die Fortgeltung und das Erlöschen von deutschjugoslawischen Übereinkünften im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
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auch die in der Überschrift genannte Vereinbarung (im weiteren: Entschädigungsabkommen), die am 10. März 1956 unterzeichnet wurde. Darin sagt die Bundesrepublik Deutschland Jugoslawien Entschädigungen in Höhe von 17 Millionen Deutsche Mark zu. Das Abkommen spricht jedoch nur von Forderungen Jugoslawiens gegenüber der BR Deutschland wegen beweglichem Vermögen, das während dem Zweiten Weltkrieg aus Jugoslawien heraus transportiert wurde, nicht aber von Entschädigungen Jugoslawiens an deutsche Vertriebene. Andere Abkommen, die zwischen Slowenien und Deutschland weiterhin gelten, beziehen sich vor allem auf Sozial- und Rentenversicherungen sowie Handelsbeziehungen. In Artikel 1 beruft sich das Entschädigungsabkommen auf den Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen4 und legt fest, dass die Regierungen beider Länder übereingekommen seien, dass die Bundesrepublik Deutschland 17 Millionen Deutsche Mark an Jugoslawien bezahlen werde und dass damit alle Forderungen aus dem genannten Vertrag abgegolten seien. Artikel 3 bestimmt den Zahlungsmodus und beruft sich auf das deutschjugoslawische Zahlungsabkommen. Am selben Tag, an dem das Entschädigungsabkommen geschlossen wurde, d.h. am 10. März 1956, wurden zwei weitere Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien geschlossen. Im ersten wurde ein zinsloser Kredit Deutschlands an Jugoslawien in Höhe von 240 Millionen Mark mit der Laufzeit von 25 Jahren vereinbart, der für die Bezahlung von Warenlieferungen aus Deutschland nach Jugoslawien bereitgestellt wurde, und dann noch ein Abkommen über die Nachkriegshandelsverpflichtungen Jugoslawiens gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Demzufolge gelten andere Abkommen zwischen Deutschland und Jugoslawien nicht zwischen Deutschland und Slowenien und es ist anzunehmen, dass die einzige verbleibende Rechtsgrundlage für Forderungen zum Schutz des Eigentumsrechts seitens deutscher Vertriebener das Denationalisationsgesetz der Republik Slowenien ist.
III. Denationalisationsgesetz Das Denationalisationsgesetz gründet auf Artikel 33 der Verfassung der Republik Slowenien5, welcher das Eigentumsrecht garantiert, und regelt die Denationalisierung von Vermögen, das nach den Vorschriften über die Agrarreform, ___________ land und der Republik Slowenien, Bundesgesetzblatt 1993 Teil II Nr. 29, Seiten 12611263, vom 13. Juli 1993. 4 Bek. in Bundesgesetzblatt 1955, Teil II, Seite 432. 5 Bek. in Uradni list RS, Nr. 33/91-I, 42/97, 66/00.
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die Nationalisierung und die Beschlagnahmen6 sowie durch andere Vorschriften nationalisiert wurde (Art. 1 DenG). Welche Vorschriften das im Einzelnen sind, führt Artikel 3 an. Es sind insgesamt 29. Ergänzend zu dieser spezifischen Aufzählung von Vorschriften der Nationalisierung enthält Artikel 4 DenG die Generalklausel, dass auch Personen, deren Vermögen unentgeltlich aufgrund irgendeiner anderen vor 1963 erlassenen Vorschrift oder eines Akts einer Staatsbehörde ohne Rechtsgrundlage entzogen wurde, das Recht auf Denationalisation haben. Dabei ist der Begriff der anderen Vorschrift sehr restriktiv auszulegen, d.h. dass nur Vorschriften gemeint sind, die zum Zweck der systematischen Nationalisierung erlassen wurden.7 Auch Artikel 5 DenG unternimmt eine Erweiterung der Berechtigung zur Denationalisation. Danach ist auch eine Person berechtigt, wenn sie ihr Vermögen aufgrund von Rechtsgeschäften, die sie wegen Drohung, Gewalt oder Hinterlist der Staatsbehörde oder ihres Vertreters abgeschlossen hatte, verloren hat. Im Originalwortlaut dieses Artikels war die Berechtigung noch auf natürliche Personen beschränkt,8 jedoch wurde aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichts das Wort „natürliche“ aus Artikel 5 gestrichen.9 Den in Artikel 5 DenG enthaltenen Voraussetzungen der Drohung, Gewalt und Hinterlist müssen in jedem Verfahren gesondert geprüft werden, da die allgemeinen Bestimmungen des ABGB (Artikel 869 bis 871) und des slowenischen Obligationengesetzes (Artikel 60 bis 65)10 keine Anwendung finden. Diese Kategorien müssen im Kontext der Zeit verstanden und ausgelegt werden, d.h. weiter als in den beiden Zivilgesetzbüchern, jedoch reicht allein Entscheidung Jugoslawiens für eine Planwirtschaft nicht als Begründung eines Zwangs aus.11 Artikel 6 gibt dem DenG Vorrang vor anderen Vorschriften, die Vermögens- und Entschädigungsbestimmungen enthalten. Darüber hinaus legt Artikel 6 Absatz 2 fest, dass im Allgemeinen für Denationalisationsverfahren die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten, da der Staat normalerweise eine der Parteien ist. ___________ 6 Mehr über diese Rechtsnormen in Marko Prijatelj, Predpisi o agrarni reformi, nacionalizaciji in zaplembah premoženja, ýZ Uradni list RS, Ljubljana 1992, und erster Kommentar zum DenG, Gospodarski vestnik, Ljubljana 1992, Seiten 9-26. 7 Mehr darüber und ausführlich in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 46. 8 Vgl. Uradni list RS, Nr. 27/91-I. 9 Entscheidung des VerG Nr. U-I-25/92-27 vom 4. 3. 1993. 10 Bek. in Uradni list SFRJ, Nr. 29/78, 39/85, 45/89 – Entscheidung des VerfGJ, 57/89). 11 Siehe genauer und mit Rechtsprechung in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 71-74, aber auch Barbara Mazovec, Problematiþnost dokazovanja sile, grožnje in zvijaþe po 5. þlenu ZDen (Problematik der Beweisführung bei Gewalt, Drohung und Hinterlist nach Artikel 5 DenG), Pravna praksa Nr. 34, Seiten 16 und 17 vom 7.9.2006.
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1. Gegenstand Obwohl der Artikel 1 DenG genau anführt, was Gegenstand des Gesetzes ist, fehlt dieser Bestimmung dennoch die Angabe des Gesetzeszwecks. Dieser ist zunächst darin zu finden, dass ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird – das Vermögen braucht einen Eigentümer – sodann auch darin, dass Ungerechtigkeiten der in Artikel 1 angeführten Gesetze abgeschafft beziehungsweise wieder gut gemacht werden sollen.12 Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Gesetzes wird auch durch den 12. Bericht über die Durchführung der Denationalisierung deutlich, in dem die Forderungen auf rund 6 Milliarden Deutsche Mark beziffert wurden, obwohl man zunächst von 3,5 bis 4 Milliarden ausgegangen war.13 Somit nimmt die Denationalisierung volkswirtschaftliche Ausmaße an. Der Gesetzgeber hat sich somit entschieden, dass die Denationalisierung mit zeitlicher Verschiebung durchgeführt werden soll.14 Das Gesetz regelt nicht im einzelnen die Formen von Vermögen, das zurückgegeben oder für das der Eigentümer oder sein Rechtsnachfolger entschädigt werden soll und besitzt auch sonst eher allgemeine Vorschriften, was daher rührt, dass Slowenien mit einem Gesetz das gesamte Thema abdecken wollte, anders als in anderen Transitionsländern. Aufgrund der Allgemeinheit und der hohen Ansprüche, die das Gesetz an den Auslegenden stellt, hat das Verfassungsgericht öfter eingegriffen und somit die Auslegung einzelner Bestimmungen vorgeschrieben.15 Zum Beispiel hat es entschieden, dass der Rückgabepflichtige diejenige Gesellschaftsorganisation ist, die sich im Besitz des zurückzugebenden Vermögens befindet. Diese solle dann aus dem Slowenischen Entschädigungsfonds entschädigt werden.16 Wichtig ist vor allem die Entscheidung darüber, dass für die Denationalisation nicht die Regeln der allgemeinen Entschädigung des Zivilrechts gelten, welche vom Obligationengesetz bestimmt werden, sondern die Rechtslage in Slowenien nach dem Inkrafttreten des marktwirtschaftlichen und demokratischen Systems maßgeblich ist.17
___________ 12 Mehr darüber in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 10. 13 Siehe auch Dvanajsto poroþilo o izvajanju zakona o denacionalizaciji, Poroþevalec Državnega zbora, Nr. 33/1997, Seiten 53-65. 14 Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 11. 15 Siehe genauer in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 13 ff. 16 Beschluss des VerfG der RS, Nr. U-I-71/93 vom 20.4.1995, Entscheidungen des VerfG IV, 42. 17 Beschluss des VerfG der RS, Nr. U-I-173/98 vom 18.3.1999, Entscheidungen des VerfG VIII, 62.
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Gemäß Artikel 2 DenG bedeutet die Rückgabe des nationalisierten Vermögens die Rückgabe in Natur (Art. 2 Abs. 1). Als Ausnahme davon wird die Entschädigung in Form von Ersatzvermögen, Wertpapieren oder Geld vorgesehen, wobei die Bedingungen und die Art und Weise später im Gesetz geregelt werden (Art. 2 Abs. 2 und 3 DenG). Diese Norm beinhaltet demnach zwei Grundprinzipien des Gesetzes, und zwar: 1. das Gesetz gibt der Rückgabe in Natur Vorrang vor der Entschädigung und 2. das Gesetz regelt auch die Bedingungen und die Art und Weise der Rückgabe, d.h. es gibt keine anderen Vorschriften oder Durchführungsvorschriften zu diesem Gesetz.18 Jedoch werden beide Prinzipien nicht vollständig verfolgt, z. B. erlauben mehrere Artikel des DenG der Partei, die Vermögen zurückfordert, die Wahl zwischen den Arten beziehungsweise zwischen Vermögensrückgabe und Entschädigung (z.B. Artikel 24 bei Belastungen mit dauerhaften Rechten Dritter – Mietrecht, Nießbrauch; Artikel 25 erlaubt die Auswahl zwischen verschiedenen Formen der Denationalisierung, usw.). Artikel 8 definiert genauer, was das DenG unter nationalisiertem Vermögen versteht, und zwar: 1. bewegliche und unbewegliche Sachen und Unternehmen beziehungsweise Kapitalanteile an Personen- oder Kapitalgesellschaften; 2. nationalisiertes Vermögen ist privates Vermögen, ungeachtet dessen, ob es durch den Nationalisierungsakt zu Volks-, Staats-, Gesellschafts- oder Genossenschaftseigentum wurde; 3. Nationalisierungsakte sind Vorschriften, die unmittelbar wirkten, sowie Urteile, Entscheidungen, Beschlüsse, andere Rechtsakte und materielle Handlungen von Staatsorganen; 4. Staatsorgane sind Gerichte, Verwaltungsorgane, Kommissionen und Volksausschüsse und ähnliche Organe, die aufgrund der in den Artikeln 3 und 4 DenG genannten Vorschriften befugt waren, Nationalisierungsakte zu erlassen, und 5. Maßnahmen von Staatsorganen umfassen auch Handlungen dieser unter dem Vorwand der Durchführung von Befugnissen.
___________ 18 Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 18-19.
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2. Berechtigte Wie bereits oben erwähnt, wurde aufgrund der Entscheidungen des Verfassungsgerichts die Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen abgeschafft. Somit sind sowohl natürliche als auch juristische Personen berechtigt, Vermögen zurück zu verlangen. Artikel 9 bezieht sich auf natürliche Personen und legt fest, dass diese nach dem damals geltenden Staatsangehörigkeitsgesetz am 9. Mai 1945 die per Gesetz oder internationalem Abkommen anerkannte jugoslawische Staatsangehörigkeit haben mussten (Abs. 1) oder eine andere Staatsangehörigkeit, wenn die Person, deren Vermögen nationalisiert wurde, damals die jugoslawische Staatsangehörigkeit hatte und das Heimatland des Antragstellers auch den jugoslawischen Staatsangehörigen eine Berechtigung zur Denationalisierung zugesteht – Reziprozitätklausel des Absatzes 3. Eine Ausnahme bilden Personen, die zur fraglichen Zeit zwar keine jugoslawische Staatsangehörigkeit hatten, aber aus religiösen oder anderen Gründen interniert waren oder auf Seiten der antifaschistischen Koalition gekämpft haben (Absatz 2). Artikel 9a, der sich auf juristische Personen bezieht, legt fest, dass diese oder ihr Rechtsnachfolger, der nach dem slowenischen Recht beurteilt wird, am 7. Dezember 1991 im Hoheitsgebiet der Republik Slowenien tätig sein und bis zum 13. Mai 1995 den Antrag auf Denationalisation gestellt haben musste. Zunächst einmal sind Artikel 9 und 9a DenG Ergänzungen zum Begriff der Berechtigten aus den Artikeln 3, 4 und 5 DenG, d.h. sie geben dem Begriff einen konkreteren Inhalt. Für natürliche Personen ist demnach das Staatsangehörigkeitsgesetz von 194519 maßgebend. Dieses Gesetz legte in seiner Urfassung in Artikel 35 fest, dass alle Personen, die am 28. August 1945 eine geltende Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 21. Oktober 1928 hatten, jugoslawische Staatsangehörige waren Das wurde dann in der Gesetzesnovelle 1948 geändert. Danach verloren Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die sich am 28. August 1945 im Ausland befanden und vor oder während dem Krieg mit ihrem unloyalen Verhalten die nationalen und staatlichen Interessen der FLRJ verletzt haben, die jugoslawische Staatsangehörigkeit. Es mussten also drei kumulative Bedingungen erfüllt sein (deutsche Volkszugehörigkeit, Auslandsaufenthalt am Stichtag und Verletzung der Interessen der FLRJ). In den Denationalisationsverfahren wurden vor allem diese drei Bedingungen überprüft. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bedienten sich die Behörden vor allem dazu der Geheimdienste. Heute ist das wegen des zeitlichen Abstands kaum hilfreich. In der letzten Zeit wurden vor allem folgende Beweismittel herangezogen: ___________ 19
Bek. in Uradni list FLRJ, Nr. 54/46, 104/47, 88/48 und 105/48.
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1. Urkunden über die Abstammung, eigene Erklärungen der betreffenden Berechtigten zu Beginn der Besetzung 1941, Optierung für das Dritte Reich, Mitgliedschaft im Kulturbund oder in anderen Organisationen, die den Nationalsozialismus propagierten; 2. Urkunden über die Abwesenheit aus der FLRJ; 3. Beweise der Partei, dass der Berechtigte nicht unloyal war (nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts der RS Nr. U-I-23/9320). Gerade Artikel 9 Absatz 2 soll Ungerechtigkeiten in den Feststellungen der Loyalität oder Unloyalität nach dem Zweiten Weltkrieg korrigieren, da er zwei Beweiswege zulässt, den Loyalitätsbeweis oder den Beweis der Internierung beziehungsweise des Kampfes auf Seiten der Alliierten gegen den Nazismus.21 Artikel 10 DenG erweitert den Kreis der Berechtigten noch um die Personen mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet des heutigen Slowenien, aber ohne Staatsangehörigkeit, wenn diese Personen bis zum 15. September1947 die jugoslawische Staatangehörigkeit erworben hatten (Artikel 10 Absatz 1 DenG). Problematisch aus der Sicht der deutsch-jugoslawischen beziehungsweise deutschslowenischen Abkommen ist Absatz 2 von Artikel 10 DenG, denn dort werden alle Personen, die eine Entschädigungsberechtigung in einem anderen Staat haben, von der Berechtigung nach dem DenG ausgeschlossen. Interessant ist die Rechtsprechung bezüglich der Unterscheidung der Rechtsgrundlage des Erwerbs der jugoslawischen Staatsangehörigkeit. Die gesetzliche und konventionelle Erteilung der Staatsangehörigkeit berechtigen zur Forderung nach Rückgabe oder Entschädigung, die Naturalisierung jedoch nicht.22 Das überrascht insoweit, als die Naturalisierung auch eine gesetzlich geregelte und in jedem Staatsangehörigkeitsgesetz enthaltene Form des Erwerbs der Staatsangehörigkeit ist. Weitere Berechtigte zur Denationalisierung werden in den Artikeln 11 bis 15 aufgeführt, und zwar: 1. wenn eine Person vor dem 28. August 1945 beziehungsweise 15. September 1947 verstorben war, ihr Vermögen aber nach ihrem Tod verstaatlicht wurde, gilt, dass das Vermögen von ihren Rechtsnachfolgern verstaatlicht wurde, ungeachtet dessen, auf wen der Nationalisierungsakt lautet, wenn die Rechtsnachfolger nach dem 9. Mai 1945 per Gesetz oder Konvention die jugoslawische Staatsangehörigkeit anerkannt bekommen haben. Die beiden ___________ 20
Bek. in Uradni list RS, Nr. 23/97. Siehe mehr und konkreter in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 123 bis 148. 22 Urteil des OGH der RS, Nr. U 940/92-4 vom 30. 9. 1993. 21
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Daten hängen mit dem Inkrafttreten des Nachkriegsstaatsangehörigkeitsgesetzes und dem Friedensvertrag mit Italien zusammen (Artikel 11 DenG); 2. wenn die Person aus Artikel 9 nach DenG nicht berechtigt ist, ist ihr Ehegatte oder Erbe im ersten Erbrang berechtigt, wenn dieser nach Artikel 9 DenG die jugoslawische Staatsangehörigkeit besaß (Artikel 12 DenG); 3. bei juristischen Personen sind die Aktionäre beziehungsweise Gesellschafter rückgabeberechtigt (Artikel 13 DenG); 4. die Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften, ihre Einrichtungen beziehungsweise Orden sind ebenfalls rückgabeberechtigt, wenn sie bei Inkrafttreten des DenG im Hoheitsgebiet der Republik Slowenien aktiv sind (Artikel 14 DenG) und 5. für die nach den Artikel 3, 4 und 5 DenG berechtigten Toten oder für tot Erklärten sind ihre Rechtsnachfolger rückgabeberechtigt, wobei sich die Rechtsnachfolge nach slowenischem Recht beurteilt, es sei denn, für sie gilt autonomes Recht oder sie wurde bereits nach ausländischem Recht bestimmt. Für Liegenschaften gilt natürlich slowenisches Recht, da sie in Slowenien liegen (Artikel 15 DenG).
3. Verpflichtete Zur Rückgabe ist die juristische Person verpflichtet, in deren Vermögen sich die Sachen, die nach DenG an den oder die Berechtigte zurückzugeben sind, befinden (Artikel 51). Dasselbe gilt für Unternehmen, in deren Vermögen beziehungsweise Mitteln sich Vermögen beziehungsweise Mittel von verstaatlichten Unternehmen befinden. Absatz 2 von Artikel 51 regelt insbesondere die Entschädigung in Aktien, wobei der slowenische Entschädigungsfonds als rückgabeverpflichtet bestimmt wird. Dieser Fonds ist auch für die Entschädigung in Staatsanleihen zuständig, zu Geldentschädigungen ist jedoch die Republik Slowenien verpflichtet (Artikel 51 Absätze 3 und 4). Natürliche Personen sind nur ausnahmsweise rückgabeverpflichtet, und auch nur in Form einer Entschädigung (Artikel 42 beziehungsweise 43), in Natur lediglich nach Artikel 89 DenG.
4. Formen der Denationalisation a) Rückgabe Vermögen wird grundsätzlich ins Eigentum und in den Besitz zurückgegeben, und zwar durch die Rückübertragung des Eigentumsrechts oder die Rückgabe des Eigentumsanteils (Artikel 16 Absatz 1 DenG). Bei einer Rückgabe,
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die nur teilweise möglich ist, wird der mögliche Teil zurückgegeben und der Rest als Entschädigung ausgezahlt (Artikel 16 Abs. 2 DenG). Vermögen, an dem das Eigentum natürlicher Personen oder ziviler juristischer Personen besteht, kann nicht zurückgegeben werden (Artikel 16 Absatz 3 DenG). Vermögen juristischer Personen im gemischten Eigentum kann nur in Form von Eigentumsanteilen an der juristischen Person bis zur Höhe des Gesellschaftsvermögens zurückgegeben werden (Artikel 16 Absatz 4 DenG). Gegenstand dieses Beitrags soll nur die Entschädigung sein, die vom DenG in den Artikeln 42 bis 50 geregelt wird. Die in den Artikeln 16 bis 41 geregelte Rückgabe in Natur bleibt daher außerhalb der Betrachtung.
b) Entschädigung Im Falle der Unmöglichkeit einer Rückgabe in Natur kann nationalisiertes Vermögen auch als Entschädigung rückerstattet werden. Das wird durch Artikel 42 DenG festgelegt. Die Entschädigung ist also das sekundäre Mittel der Denationalisation. Die Entschädigung wird als Eigentumsanteil an juristischen Personen oder in Form von Wertpapieren im Eigentum der Republik Slowenien gewährt. Die Wertpapiere können vom Antragsteller als Aktien oder als Staatsanleihen, die zu diesem Zweck herausgegeben werden, beantragt werden. Alternativ kann dem Berechtigten eine Liegenschaft anstelle eines Eigentumsanteils an der juristischen Person angeboten werden. Interessant sind allerdings die letzten beiden Absätze aus Artikel 42 DenG, und zwar Absatz 5, der die analoge Anwendung der Entschädigung auch für bewegliche Sachen (Ausnahme des Artikels 17 über die Rückgabe) vorsieht, wie auch Absatz 6, der auch dann eine Entschädigung vorsieht, wenn Berechtigte das nationalisierte Vermögen im Wege eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts zurückerworben haben. Somit bedeutet die Willenserklärung der Berechtigten, das Vermögen entgeltlich wieder zu erwerben, keine Anerkennung der Nationalisierung und auch keinen Verzicht auf Entschädigung. Hat der Berechtigte nach den Bestimmungen über die Rückgabe in Natur kein Wahlrecht (mit einigen Ausnahmen), so ist es bei der Entschädigung umgekehrt. Außerdem kann der Berechtigte seinen Antrag bis zur Entscheidung ändern (Artikel 140 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz23). Sollte die Behörde feststellen, dass die Partei einen Antrag auf Rückgabe in Natur gestellt hat, dies aber nicht möglich ist, so wird sie den Antragsteller aufrufen, den Antrag zu ändern, weil sie an den Antrag der Partei gebunden ist und nicht ex officio anders entscheiden kann. Sollte die Partei nicht einsehen, dass eine Rückgabe in Natur nicht möglich ist und ihren Antrag nicht ändern, so muss die Be___________ 23
Bek. in Uradni list Nr. 80/99, 52/02.
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hörde den Antrag auf Rückgabe ablehnen und darf keine Entschädigung festlegen (Artikel 126 und 130 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Artikel 63 DenG). Ein spezieller Fall von Vermögen, das nicht in Natur zurückgegeben werden kann, sind Anteile an unteilbaren landwirtschaftlichen Grundstücken, die gesetzlich besonders geschützt werden.24 Die Staatsanleihen für die in Artikel 42 DenG bestimmten Fälle lauten auf den Überbringer und werden per Übergabe übertragen. Dies entschied das Verfassungsgericht der RS in seiner Entscheidung US RS, Nr. U-I-72/93.25 Die übrige Rechtsprechung betont ebenfalls die Maxime der Wiedergutmachung, indem sie einheitlich betont, dass der Rechtstitel des rückgabeverpflichteten Subjekts nicht entscheidend ist.26 Somit wird auch das alte Prinzip berücksichtigt, dass kein Unrecht durch späteres korrektes Verhalten beseitigt werden kann. Die Höhe der Entschädigung wird nach dem Wert des nationalisierten Vermögens festgesetzt. Der Entschädigungsberechtigte erhält den Wert in Staatsanleihen aus dem slowenischen Entschädigungsfonds oder in Aktien am Unternehmenseigentum der Republik Slowenien (Artikel 43 DenG). Ausgenommen von der Denationalisation sind sog. Vermögen feudalen Ursprungs (Artikel 27a DenG). Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Entschädigung durch Anteile an nationalisierten Unternehmen stellt die Anforderung des Gesetzes über die Eigentumsumwandlung von Unternehmen (im weiteren: GEWU)27 dar, das in Artikel 11 vom Antragsteller verlangte, den Antrag auf eine einstweilige Verfügung zur Sicherung der Denationalisationsansprüche zu stellen, und zwar bis zum 7. Juni 1993 bei der zuständigen Verwaltungsbehörde der ersten Instanz, ansonsten konnte der Berechtigte nur noch eine Entschädigung erhalten (Artikel 15 GEWU). Der Wert des nationalisierten Vermögens wird nach dem Stand in der Zeit der Nationalisierung und unter Berücksichtigung des jetzigen Werts bemessen (Artikel 44 Absatz 1 DenG). Für Wohnungen und Wohnobjekte gelten die entsprechenden Spezialbestimmungen (Artikel 44 Absatz 2 DenG). Für Landwirtschaftsgrundstücke, Wälder und Baugrundstücke wird der jeweilige Wert nach der Vorschrift des Exekutivrats der Versammlung der Republik Slowenien festgelegt, und zwar nach Maßgabe der Katasterkultur, der Katasterklasse und des
___________ 24 Siehe genauer in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 318 und 319. 25 Bek. in Uradni list RS, Nr. 24/95. 26 Beispiele der Rechtsprechung des OGH der RS in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 322 bis 325. 27 Bek. in Uradni list RS, Nr. 5/92, 7/93, 32/94 – Entscheidung des VerfG, 1/96.
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Katasterbezirks (Artikel 44 Absatz 3 DenG).28 Der Wert von Kulturdenkmälern und Naturbesonderheiten wird nach einer eigenen Methode für die Bewertung von Kulturdenkmälern und Naturbesonderheiten bestimmt (Artikel 44 Absatz 4 DenG). Zur Vermeidung von Kursverlusten enthält Artikel 44 eine Valorisierungsklausel. Alle anderen Fälle von nationalisiertem Vermögen werden nach besonderer Anweisung bewertet (Artikel 44 Absatz 6). Im Endergebnis bedeuten diese verschiedenen Wertbestimmungen einen Kompromiss zwischen dem tatsächlichen Wert und den finanziellen Möglichkeiten des Staates. Es wurde oben bereits angeführt, dass die allgemeinen Reparations- und Entschädigungsprinzipien (z. B. Restitution) in den Fällen des DenG nicht gelten.29 Bei der Wertbestimmung spielen natürlich auch Investitionen ins nationalisierte Vermögen eine Rolle, soweit sie die regelmäßige Wartung beziehungsweise Instandhaltung übersteigen. Zur Feststellung der Wertsteigerung durch solche Investitionen wird ein Gutachter herangezogen (Artikel 183 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz). Artikel 45 DenG legt fest, dass für den Zweck der Entschädigung Staatsanleihen herausgegeben werden, welche auf Deutsche Mark lauten und in Halbjahresraten auf 20 Jahre auszuzahlen sind. Die Zinsrate beträgt 6 vom Hundert. Die Funktionsweise des slowenischen Entschädigungsfonds wird im Gesetz über den slowenischen Entschädigungsfonds festgelegt.30 Allerdings erfolgt die Auszahlung in der Währung der Republik Slowenien (Artikel 46). Die Anleihen können auf dem Wertpapiermarkt gehandelt werden. Darüber hinaus können sie zum Kauf von Liegenschaften und zur Kreditsicherung im Privatisierungsprozess verwendet werden, und zwar jeweils zum Nominalwert der Anleihe (Artikel 47 DenG). In Fällen, wo der Berechtigte sozial schwach ist und Unterstützung benötigt, wird seine soziale Sicherheit aus diesen Anleihen gewährleistet, und zwar zum Nominalwert der Anleihen (Artikel 48 DenG). Dieses Recht muss beim Finanzministerium im Verwaltungsverfahren geltend gemacht werden. Artikel 50 DenG legt weiter fest, dass einem sozial schwachen Berechtigten die Entschädigung in Geld ausbezahlt wird, und zwar in der Höhe von 24 Durchschnittsnettoeinkommen eines Beschäftigten in der Republik Slowenien in den letzten drei Monaten vor der Entscheidung über den Denationalisationsantrag. Die
___________ 28 Odlok o naþinu doloþanja vrednosti kmetijskih zemljišþ, gozdov in zemljišþ, uporabljenih za gradnjo, v postopku denacionalizacije (Beschluss über die Art und Weise der Bestimmung des Werts von Landwirtschafts-, Forstwirtschafts- und Baugrundstücken in der Denationalisierung), bek. in Uradni list RS, Nr. 16/92, 21/92. 29 Siehe mehr in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 334. 30 Bek. in Uradni list RS, Nr. 7/93 und 48/94.
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Auszahlung kann in einem Betrag oder in Monatsraten erfolgen. Die Bedingungen dafür können zusammenfassend so bestimmt werden: 1. Erfüllung der Bedingung des Artikels 9 DenG (berechtigte Personen); 2. Positive Entscheidung über die Denationalisierung nach Artikel 42 Absatz 2 oder 43 Absatz 2; 3. Bestehen des Sozialfalls beim Berechtigten nach dem Sozialschutzgesetz31. Artikel 49 bestimmt schließlich die Quellen, aus denen die Entschädigung geschöpft werden soll, wie folgt: Entwicklungsfonds der Republik Slowenien; Erlös aus dem Verkauf der Wohnhäuser im Gesellschaftseigentum und Wohnungen und Geschäftsräume, die dem Anteil entsprechen, in dem sie bei der Beschaffung einer neuen Gesellschaftswohnung durch Mittel des Wohnungsfonds vereinigt wurden, sowie der gesamte Erlös aus dem Verkauf verstaatlichter Wohnungen, wenn diese entgeltlich aus dem Gesellschaftseigentum an Personen, die nach diesem Gesetz nicht berechtigt sind, übertragen werden. Hierzu kann man sagen, dass im Zuge der Privatisierung die verstaatlichten Wohnungen und Wohnhäuser an die Mieter verkauft wurden, nach einem besonderen Verfahren und zu Sonderpreisen; Fonds der Land- und Forstwirtschaftsgrundstücke der Republik Slowenien; andere gesetzlich festgelegte Quellen. Die genaue Deckung der Verpflichtungen des Entschädigungsfonds regelt das oben genannte Gesetz, jedoch soll hier nur erwähnt werden, dass dadurch der Haushalt beziehungsweise der slowenische Steuerzahler nicht belastet werden soll.32
5. Verfahren a) Organe Die Organe, die in Denationalisationsverfahren entscheiden, werden in den Artikeln 54, 56, 57, 59 und 63 Absatz 3 festgelegt (Artikel 52 DenG). Die in Artikel 54 Absatz 2 genannten Kommissionen sind nur Hilfskörper, keine Or___________ 31
Bek. in Uradni list RS, Nr. 54/92, 56/92, 13/93, 42/94, 1/99 und 41/99). Siehe in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 351. 32
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gane.33 Es gilt allgemein das gewöhnliche Zivilverfahrensrecht, wenn nichts anderes festgelegt wird (Artikel 53 DenG). In erster Instanz entscheiden somit: die Verwaltungseinheiten; das Finanzministerium (Denationalisierung von Banken, Versicherungen und anderen Finanzorganisationen nach den Artikeln 3 und 4 DenG); das Kulturministerium für Sachen nach den Artikeln 17 und 18 DenG; das Umwelt- und Raumministerium in Fragen des Umweltschutzes (Artikel 54 Absatz 1 DenG). Diese Bestimmung schreibt keine interne Zuständigkeit innerhalb der Verwaltungseinheiten fest. Somit wird die Entscheidung jeweils vom Vorsteher der Verwaltungseinheit unterzeichnet. Es können aber der Natur nach verschiedene Abteilungen der Verwaltungseinheiten zuständig sein, was dazu führt, dass die Entscheidungen sich vervielfachen und auch verschiedene Rechtsmittelbelehrungen und Verweisungen auf Behörden zweiter Instanz beinhalten können. Dann kann es zum negativen Kompetenzstreit kommen, was aber mit Durchführungsbestimmungen seitens der zuständigen Ministerien abgeschafft werden kann.34 In den Denationalisationsverfahren nach Artikel 5 DenG sind die Kreisgerichte zuständig, die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheiden. Gegen die Entscheidung des Gerichts in zweiter Instanz ist die Revision zulässig. Im Verfahren erster Instanz gelten neben den Vorschriften des Verfahrens der feiwilligen Gerichtsbarkeit35 auch die Bestimmungen der Artikel 2 (Art und Weise und Form), 60 (Parteien), 62 (Inhalt des Antrags), 64 (Frist), 66 und 67 (Inhalt der Entscheidung) sowie 71 (Verfahrenskosten) DenG (Artikel 56 DenG). Es hat in der Rechtsprechung Beispiele gegeben, wo nicht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern im Zivilprozessverfahren entschieden wurde. Dies geschah aufgrund der Verfassungsbestimmung des Artikels 22 der Verfassung der RS, der gleichen Rechtsschutz gewährleistet, so dass die Person mit einem der Denationalisierung entgegenstehenden Recht auch Rechtsschutz genießen darf. Die Tatsache, dass dies offenbar nicht im DenG geregelt ist, stellt aber kein Hindernis für die Geltung der Gerichtsentscheidung dar, da das Zivilprozessgesetz die Rechte aller Beteiligten gleich oder gar besser schützt ___________ 33 Siehe in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 359. 34 Mehr und ausführlich mit Entstehungsgeschichte siehe in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 362-364. 35 Gesetz über das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Uradni list SRS, Nr. 30/86, 20/88 – Korrektur.
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als das Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit, wie der OGH in seinem Beschluss Nr. II Ips 529/94 vom 12. September 1995 meint. Über die Beschwerde gegen die Entscheidungen der Verwaltungseinheiten nach Artikel 54 DenG entscheiden: das Land-, Forstwirtschafts- und Ernährungsministerium, das Wirtschaftsministerium, das Umwelt- und Raumministerium, jeweils in den dem Fachbereich entsprechenden Sachen (Artikel 57). Dass die Verfahren der Denationalisierung innerhalb einer vernünftigen Zeit zu Ende gebracht werden sollen, zeigt Artikel 58 DenG, der festlegt, dass die Entscheidung der Verwaltungsbehörde bis spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreichung des korrekten Antrags erfolgen und dem Antragsteller ausgehändigt werden muss. In seinem zweiten Absatz bestimmt dieser Artikel sogar eine sechstägige Frist im verkürzten Verfahren. In Fällen des Artikels 63 DenG (Fehlen von Urkunden) besteht keine Bindung an die genannten Fristen (Artikel 58 Absatz 3 DenG). Falls sich das Organ nicht an die gesetzte Frist hält, hat die Partei das Beschwerderecht, als ob die Entscheidung negativ gewesen wäre (Artikel 218 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz). Die Vollstreckung der Entscheidungen (sowohl der gerichtlichen, als auch der Verwaltungsorgane) geschieht durch: die ordentlichen Gerichte, wenn es um die Rückgabe einer Liegenschaft oder die Begründung des Eigentums an einer Ersatzliegenschaft geht; den Entwicklungsfonds, wenn es sich um die Zuteilung eines Eigentumsanteils an einem Unternehmen oder eine Entschädigung in Aktien handelt; den slowenischen Entschädigungsfonds, wenn die Entschädigung in Anleihen erfolgt, und das Finanzministerium, wenn es um eine Geldentschädigung geht (Artikel 59 DenG).
b) Parteien Artikel 60 DenG legt den Status der Partei im Denationalisationsverfahren sinngemäß wie Artikel 42 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz und Artikel 19 DenG (Parteien im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit) fest. Demnach sind die Parteien: der Berechtigte, sein Rechtsnachfolger, wobei die Rechtsnachfolge als wahrscheinlich ausgewiesen werden muss,
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der Rückgabepflichtige beziehungsweise eine andere juristische oder natürliche Person, die zum Schutz ihrer Rechte und Interessen ein Recht hat, am Verfahren teilzunehmen, die juristische oder natürliche Person, die bis zum 7. 12. 1991 in verstaatlichte Liegenschaften investiert hat, sofern über ihre Rechte aus diesen Investitionen entschieden wird, der staatliche Rechtsverteidiger der Republik Slowenien in Ansprüchen gegen Vermögen aus dem Eigentum der Republik Slowenien. Wer keinen Sitz oder Wohnsitz in der Republik Slowenien hat, muss sich durch einen Bevollmächtigten mit Wohnsitz oder Sitz in Slowenien vertreten lassen. Sie Staatsangehörigkeit der Parteien wird als Vorfrage des Verfahrens behandelt. Die passive Parteistellung kommt jeweils der rückgabeverpflichteten Partei zu. In Slowenien ist es nach der Gemeindereform36 zu Problemen gekommen, da Liegenschaften manchmal durch die Teilung der alten großen Gemeinden auf einmal in zwei Gemeinden lagen und deren Vermögen zur gesamten Hand waren. Damit hat sich die Lage der fordernden Partei erschwert, hatte sie nun zwei Parteien mit entgegengesetztem Interesse, die dazu immer gemeinsam auftreten müssen. Dies wurde auch durch das Verfassungsgericht der Republik Slowenien bestätigt, nämlich in der Entscheidung Nr. U-I-75/96 vom 14. November 1996. In Fällen, in denen eine bis dahin selbständige Gemeinde einer anderen einverleibt wurde (z. B. wurden bei der Entstehung der Stadtgemeinde Ljubljana mehrere Gemeinden zusammengelegt) wurde die neue Gemeinde zur Rechtsnachfolgerin der alten Gemeinden, wie auch der OGH im Urteil Nr. U 1179/96 vom 7. Oktober 1998 bestätigt hat. In der Rechtsprechung stellte sich auch die Frage der Stellung des Mieters einer Wohnung, die denationalisiert werden sollte. Wie aus dem Wohnungsgesetz37 hervorgeht, ist das Mietrecht vom Eigentumsrecht getrennt. Deshalb sind die Rechte des Mieters von der Rückgabe des Eigentums nicht betroffen. Dazu gab es auch Stellungnahmen (Sitzung des OGH der RS vom 22. Juni 1994, Rechtsgutachten des OGH der RS, 1/94) und Judikate des OGH (Urteil Nr. U 1259/93 vom 5. Mai 1994).
c) Antrag und Entscheidung Das Denationalisationsverfahren beginnt mit dem Antrag auf Denationalisation. Die Berechtigten wurden bereits oben behandelt, jedoch nicht in der Hin___________ 36
Durch das Gesetz über die Gründung von Gemeinden, bek. in Uradni list RS, Nr. 60/94. 37 Bek. in Uradni list RS, Nr. 18/91-I, 19/91-I – Korrektur, 9/94 – Entscheidung des VerfG, 21/94, 23/96, 24/96 – Entscheidung des VerfG, 44/96 – Entscheidung des VerfG, 1/00.
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sicht, dass auch die verpflichtete Partei den Antrag stellen kann, wenn sie ihr Interesse ausweist. In diesem Fall gilt, dass das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wird (Artikel 61 DenG). Die Verfahrensregeln wurden bereits aufgeführt, jedoch muss hier noch erwähnt werden, dass im Fall der Rückerstattung einer Ersatzliegenschaft nicht nur eine Entscheidung bzw. ein Antrag ausreicht, sondern es muss zwischen dem bisherigen Eigentümer der Ersatzliegenschaft und dem neuen Eigentümer eine Vereinbarung geschlossen werden. Dies hat auch der OGH der RS mit Urteil Nr. U 232/95-11 vom 25. September 1997 entschieden.38 Der Antrag muss folgende Elemente beinhalten: Angaben über das Vermögen, auf das er sich bezieht, über die Rechtsgrundlage für die Rückgabe und die Form, in der die Rückgabe erfolgen soll; als Anlage die Urkunde über die Nationalisierung oder die Angabe der Verlautbarung des Akts der Nationalisierung; als Anlage die Bescheinigung über die Eintragung des Berechtigten in die Evidenzliste der Staatsangehörigen; als Anlage die Nennung des Verhältnisses gegenüber dem ursprünglich Berechtigten und wer noch als Rechtsnachfolger in Frage kommt und die eventuelle Erburkunde, wenn der Rechtsnachfolger den Antrag stellt; als Anlage den Namen des Bevollmächtigten, der die Interessen des Antragstellers vertreten wird, wenn dieser keinen Wohnsitz in Slowenien besitzt; im Fall einer Liegenschaft den Grundbuchsauszug oder das C-Blatt ab dem 15.5.1945 bis zum Tag der Antragstellung; im Fall einer Liegenschaft ferner die Grundkatasterdaten über die Lage, die Fläche und die Nutzart des Flurstücks nach dem Stand der Nationalisierung und andere für die Feststellung der Berechtigung des Antrags nötige Angaben (Artikel 62 DenG). Hinsichtlich der Vollständigkeit des Antrags, der Form und der Unterzeichnung gelten die allgemeinen Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren.39 Legt der Antragsteller nicht alle erforderlichen Urkunden bei, erlegt ihm die Behörde erster Instanz die Beibringung von Beweisen für seine Behauptungen auf. Dabei stellt der Nachweis der erforderlichen Staatsangehörigkeit eine große Schwierigkeit dar. Diese Frage, wie bereits angedeutet, wird erforderlichen___________ 38
Siehe auch in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 438. 39 Mehr darüber und Rechtsprechung zu diesem Thema in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seiten 439 bis 446.
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falls als Vorfrage gesondert behandelt. Die Entscheidung fällt die zuständige Verwaltungsbehörde für das Innere (Artikel 63 Absatz 3 DenG). Der OGH hat sich mit der Frage des Nachweises der Staatangehörigkeit oftmals beschäftigt und unter anderem entschieden: der Nachweis des Zeitpunkts der Staatsangehörigkeit des Berechtigten per Reisepass ist unzulässig (Urteil Nr. U 1189/92-6 vom 13. Januar 1994); der Berechtige, der in die Evidenzliste der Volksdeutschen eingetragen ist, kann als Denationalisationsberechtigter den Nachweis des gegenteiligen Tatbestands erbringen (Urteil Nr. U 1212/94.7 vom 6. Februar 1997); die Mitglieder der deutschen Organisation Kulturbund haben die deutsche Volkszugehörigkeit. Wenn sie nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes der FLRJ nicht im ehemaligen Jugoslawien gelebt haben, sind sie keine Staatsangehörigen der FLRJ geworden (Urteil Nr. U 596/94-6 vom 11. Juni 1997); für Mitglieder des Kulturbunds gilt die Rechtsvermutung der feindlichen Gesinnung gegenüber den Interessen der FLRJ. Wenn die Partei im Denationalisationsverfahren keinen Beweis des Gegenteils erbringt, muss die Verwaltungsbehörde den Tatbestand nicht feststellen (Urteil Nr. U 121/95-6 vom 3. Juli 1997); die Tatsache, dass ein Mitglied des Kulturbunds in der Zeit des Zweiten Weltkriegs von der SS interniert wurde, ist nur dann ein Gegenbeweis der Rechtsvermutung des feindlichen Gesinnung, wenn die Internierung eine Folge der Loyalität gegenüber dem slowenischen Volk oder des Kampfes gegen den Nazismus war (Urteil Nr. U 1743/95 vom 18. März 1998). Die Frist für die Einreichung des Antrags war anfänglich nur auf 18 Monate nach dem Inkrafttreten des DenG angesetzt worden, sie wurde jedoch mit der Novelle von 1993 auf 24 Monate verlängert. Die Frist begann am 12. Mai 1993 zu laufen und endete am 12. Mai 1995.40 Das Verfahren der Denationalisation ist in zwei Phasen geteilt. In der ersten Phase wird der Tatbestand geprüft und die Parteien können auf die Feststellungen der Behörde antworten (Artikel 65 DenG). Danach entscheidet das Organ erster Instanz über das Vermögen, das zurückzugeben ist, die Berechtigten, denen das Vermögen zurückgegeben wird, die Form und den Umfang des Vermögens, das zurückgegeben wird und den Rückgabepflichtigen sowie die Fristen für die Erfüllung der Entscheidung. Ebenso erlegt es den Vollstreckungsbehörden die Vollsteckung der Entscheidung einschließlich der Verfahrenskosten auf. Eventuelle Grundbucheinträge werden von Amts wegen durchgeführt ___________ 40 Ausführlicher in Janez Breznik et al., Zakon o denacionalizaciji s komentarjem, Gospodarski vestnik, Ljubljana 2000, Seite 454-457.
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(Artikel 66 DenG). Die Entscheidung lautet immer auf den Berechtigten, sei es der frühere Eigentümer des nationalisierten Vermögens, oder ein anderer Berechtigter nach dem DenG. Ist der Berechtigte verstorben, wird ihm ein zeitweiliger Vormund bestellt. Dies wird durch das Gesetz über die Ehe und die Familienbeziehungen festgelegt. Vormund kann auch der Rechtsnachfolger des Berechtigten sein (Artikel 67 DenG). Zum Schutz der Forderungen aus dem Denationalisationsverfahren kann die Behörde erster Instanz die Verfügung über das fragliche Vermögen einschränken oder sogar dem Antragsteller den Besitz überlassen, wenn seine Berechtigung als wahrscheinlich erscheint (Artikel 68 DenG). Dazu muss der Antragsteller allerdings einen Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung stellen, wovon bereits oben die Rede war.
d) Vergleich Im Denationalisationsverfahren ist jederzeit vor der Entscheidung der Vergleich zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten möglich. Die Behörde erster Instanz kann den Parteien sogar bei der Schließung eines Vergleichs helfen. Dieser kann sich auf das ganze fragliche Vermögen oder einen Teil davon beziehen und wird Bestandteil der Entscheidung (Artikel 69 DenG und Urteil des OGH der RS, Nr. U 862/94). Der Vergleich wird als Vereinbarung geschlossen und von den Parteien unterschrieben. Er tritt mit der Rechtskräftigkeit der Entscheidung in Kraft und darf keine kogenten Bestimmungen des DenG verletzen.
e) Nachweis des anzuwendenden Rechts Artikel 70 bestimmt die Verwendung des Rechts für das Denationalisationsverfahren im Fall, wenn DenG auf ein ausländisches oder autonomes Recht verweist. Die Anwendung des Rechts ist von den Parteien zu beweisen. Dieses Vorverfahren gehört nicht zu den Kosten des Verfahrens der Denationalisierung.
f) Verfahrenskosten Die Kosten des Verfahrens der Denationalisation werden nicht als Taxe bezahlt. Es gelten die Bestimmungen über die Verfahrenskosten des Organs, welches das Denationalisationsverfahren führt (Artikel 71).
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6. Evidenzen über Denationalisation Die Behörden erster Instanz sind nach Artikel 86 DenG verpflichtet, Evidenzen über die Antragstellungen, die erlassenen Entscheidungen und deren Zustellung zu führen. Die Republikverwaltungsbehörde, die für die Bereiche zuständig ist, in denen das DenG durchgeführt wird, führt eine Zentralevidenz. Der Inhalt und die Verpflichtungen sowie die Personen, welche die Datensammlungen verwalten, werden mit einem Erlass über das Programm der statistischen Untersuchungen der Republik Slowenien41 festgelegt.
7. Übergangs- und Schlussbestimmungen Artikel 87 nimmt weitere Personen von der Denationalisation aus, und zwar den vorherigen Eigentümer des nationalisierten Vermögens: wenn es sich um den Entzug des Kriegsgewinns in der Zeit der feindlichen Besetzung handelte (Uradni list DFJ, Nr. 36/45); wenn er nach dem Gesetz über Straftaten gegen die Amtspflicht handelte (Uradni list DFJ, Nr. 26/45); wenn es sich um den Befehl des Vorsitzes des Präsidiums der Nationalversammlung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien vom 8. März 1947, U Nr. 392, handelte (Uradni list FLRJ, Nr. 64/47). Die Verfügung über Vermögen, das für die Denationalisierung bestimmt ist, wird nach Artikel 88 untersagt, bis die Frist für die Stellung der Anträge abgelaufen ist. Dieser Artikel unterscheidet sich vom oben genannten Artikel 68 DenG dadurch, dass er Vermögen behandelt, die bereits für die Denationalisierung bestimmt sind, während Artikel 68 DenG Fälle behandelt, wo ein Vermögen privatisiert wird oder die Frage der Denationalisation noch nicht geklärt ist. Vermögen, das aus spekulativen oder fiktiven Geschäften nationalisiert wurde, ist von den Personen zurückzugeben, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Denationalisation Eigentümer dieses Vermögens sind (Artikel 89 DenG). In diesem Fall gelten auch Miet- oder Pachtverhältnisse nicht weiter. Eine negative Entscheidung über einen Antrag auf Denationalisation bedeutet keinen Ausschluss von einer erneuten Antragstellung. Auch wenn die Entschädigung zu gering ausgefallen ist, d.h. weniger als 30 Prozent des Werts des Vermögens betragen hat, kann ein neuer Antrag gestellt werden, falls die Nationalisierung unentgeltlich erfolgt war (Artikel 90 DenG). ___________ 41 Bek. in Uradni list RS, Nr. 70/97. Das Programm beinhaltet die Statistik der Denationalisationen, die Daten über die Beteiligten, den Gegenstand der Denationalisation, die Anträge und die weiteren Instanzen der Regelung.
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IV. Praxisbeispiele Zu den berühmtesten Fällen der Denationalisierung, die aber nicht ausschließlich mit der Rückgabe an Deutsche zu tun haben, gehören natürlich die von der Kirche beantragten Rückgaben. Die Kirche hat nämlich alles in Natur zurückbekommen. So ist beispielsweise die Universität Maribor verpflichtet, das Gebäude, in dem sich noch die Fakultät für Landwirtschaft befindet, zu räumen und den gesamten Komplex nebst Studentenwohnheim an die Kirche zu übergeben. Dabei ist die Universität nicht Eigentümer, sondern nur Nutznießer der Gebäude. Eigentümer und Rückgabepflichtiger ist die Republik Slowenien. Ein anderer Fall ist das Weingut Merano, das heute der Universität Maribor, der Fakultät für Landwirtschaft, gehört. Es wurde von der Familie des Erzherzogs Johann von Habsburg enteignet. Die Nachkommen des Erzherzogs haben auf eine Rückgabe verzichtet. Bei der Wiedereröffnung des Besitzes war die Familie anwesend und der Name des Gründers und ursprünglichen Eigentümers wird in Ehren gehalten. Das Besitztum Merano liegt am Fuß des Pohorje Bergmassivs, das 1.000 km2 umfasst. Ein großer Teil dieses Bergmassivs wurde der Kirche zurückgegeben. Dagegen wollte den alten zerfallenden Stadtkern niemand haben, und so musste die öffentliche Hand auf den Ablauf aller Fristen warten, bis endlich im letzten Jahr die Gemeinde Maribor zum Eigentümer der Ruinen wurde. Es wird jetzt die Sanierung bis Ende 2008 geplant. Es soll zu einem kulturellen Zentrum werden, ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass es oft zu keinem Antrag auf Rückgabe kam, weil das Eigentum auch große finanzielle Verpflichtungen mit sich bringt. Zur Illustrierung tatsächlicher Entschädigungen sind die Rechtsprechungen des OGH der RS hilfreich: 1.
J.K. war eine Person deutscher Volkszugehörigkeit. Am 18. August 1945 wurde J.K. in einem Strafverfahren vom Kriegsgericht des I. Kriegsgebiets das Vermögen abgesprochen, das vom Besetzer 1944 ins Ausland verbracht worden sei. Gleichermaßen wurde J.K. das Vermögen im Verwaltungsverfahren vom AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) bereits am 21. 11. 1944 entzogen, unter Berufung auf Artikel 1 Absätze 1 und 2 des Erlasses des AVNOJ über den Übergang von Feindesvermögen ins Staatseigentum, die staatliche Verwaltung von abwesenden Personen und die Beschlagnahme von Vermögen, das von den Besatzungsmächten gewaltsam veräußert wurde. Der OGH stellte fest, dass die Verwaltungsentscheidung bereits mit dem Tag der Beschlussfassung gegolten hat, während die Gerichtsentscheidung erst mit der Rechtskraft gilt, anders gesagt: das Urteil des Kriegsgerichts ist ungültig, da die Ver-
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waltungsentscheidung zuerst gültig war und somit gerichtlich nichts mehr entzogen werden kann, frei nach dem Spruch: „einem nackten Mann kann man nicht in die Taschen greifen“. Außerdem hat der OGH entschieden, dass für solche Enteignungen die Verwaltungsorgane zuständig waren, d.h. das Urteil des Kriegsgerichts war wegen Unzuständigkeit ohnehin ungültig, zudem wegen falscher Anwendung des materiellen Rechts und wesentlicher Verletzung der Prozessvorschriften. Die Enteignung aufgrund Artikel 1 Absätze 1 und 2 des Erlasses des AVNOJ42 war bereits vorher gültig, d.h. Vermögen wurde verstaatlicht, wenn: sich Vermögen des Dritten Reichs und seiner Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet Jugoslawiens befand; es sich um Vermögen von Personen deutscher Volkszugehörigkeit handelte, es sei denn, dass diese sich nicht feindselig verhalten haben. Demnach hat der OGH entschieden, dass: die RS dem Verstorbenen oder seinen Erben ca. 50.000,00 EUR bezahlen muss, die Stadtgemeinde seines ehemaligen Wohnorts (Rechtsnachfolgerin der damaligen Lokalverwaltung) ca. 5.000,00 EUR Entschädigung bezahlen muss, aber seine Bilder nicht zurückgegeben werden.43 J. ý. wurde aufgrund der Entscheidung des Kreisgerichts Ljubljana vom 8. Juni 1948 in einem Strafverfahren Vermögen weggenommen. Das OGH hat dieses Urteil am 20. November 1991 aufgehoben. Die Rückgabe des Vermögens war nicht strittig, es ging im Beschwerdeverfahren lediglich um die Form. Wir wissen, das die Rückgabe in Natur, als Ersatz oder in Form von Wertpapieren und gegebenenfalls auch in Geld möglich ist. Das unproblematische Vermögen wurde bereits zurückgegeben, offen war nur eine Forderung des Sohns von J. ý, in der es um bestimmte Aktien einer Gesellschaft in Höhe von ca. 4.700,00 EUR ging. Das Gericht erster Instanz hatte dem Antragsteller diese Aktien zugesprochen. Sowohl der Antragsteller als auch die RS hatten Beschwerde eingelegt, auf die hin das Gericht zweiter Instanz der Höhe des Antrags zugestimmt, aber nur allgemein Aktien im Eigentum der RS zugesprochen und dieser die Wahl der zu übertragenden Aktien zugesprochen hat. Daraufhin wollte der Sohn von
2.
___________ 42
Bek. in Uradni list DFJ, Nr. 2/45. Beispielfall aus den Veröffentlichungen der Entscheidungen des OGH Nr. VS03654, Beschluss II Ips 516/96, entnommen aus http://www.sodisce.si/default.asp? kall=judikat_vs&showin=all&JudikatID=20566, Stand vom 29. 9. 2006. 43
Die Entschädigung der deutschen Vertriebenen durch den slowenischen Staat 251
J. ý. in Revision gehen. Der Revisionsantrag bezog sich darauf, dass dieses Urteil eine Überschreitung der Kompetenzen des Gerichts darstelle, da es den Klageantrag überschritten habe, indem es anders entschied, als gefordert. Es ging also darum, wer auswählt, welche Aktien als Entschädigung auf den Sohn von J. ý. übertragen werden sollen. Der Antrag wurde rechtzeitig gestellt, berief sich auf das Prozessrecht, in dem festgelegt sei, dass sich das Gericht an den Antrag der Partei halten muss, verwies dazu jedoch auf das falsche Gesetz. Das Revisionsgericht wies den Revisionsantrag zurück, da das Beschwerdegericht nach dem Zivilprozessgesetz von 1977 entschieden hatte, das nach Artikel 37 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit subsidiär anzuwenden war. In diesem Gesetz gab es diese Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Gerichts aber noch nicht, so dass die Änderung der Entscheidung in eine allgemeine Formulierung und die Überlassung des Wahlrechts dem Schuldner rechtens war. Das DenG legt nämlich fest, dass Aktien aus dem Besitz der Republik Slowenien zugesprochen werden können. Dabei ist es nach Meinung des OGH gleichgültig, welche Aktien, nur der Wert sei entscheidend.44 3.
Zum Schluss soll noch ein erfolgloser Antrag dargestellt werden. Herr Š. B. wurde 1945 von einem Gericht in M.S. verurteilt, die Ehre Jugoslawiens verletzt zu haben, und deshalb wurde ihm sein Vermögen entzogen. 1971 hat das Kreisgericht in M.S. diese Entscheidung aufgehoben und beschlossen, dass Š. B. das Vermögen zurückzugeben sei. Die Liegenschaften wurden teilweise in Natur zurückgegeben, über den Rest wurde ein Vergleich geschlossen und es wurden 40.000 Dinare ausbezahlt. Die Sache war damit eigentlich abgeschlossen, bis der Sohn von Š. B. bei Gericht beantragte, es solle nach Artikel 5 DenG wegen Amtsmissbrauchs die Denationalisation wieder aufgerollt werden. Er hatte zwar recht, dass es sich 1945 um eine Amtswillkür handelte, aber ansonsten wurden seine Forderungen in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Š.B.’s Sohn ging in Revision mit der Begründung, dass der Vergleich seines Vaters mit der Gemeinde von M.S. nicht den gesamten Wert des nationalisierten Vermögens aufwiege. Primärer Zweck des DenG sei es nämlich, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Dieser Zweck sei von beiden Instanzgerichten missachtet worden. Der OGH hat die Revision zurückgewiesen mit der Begründung, dass es bei der Wiedergutmachung der Ungerechtigkeiten der Enteignungen nicht um einen 1:1-Zahlenvergleich von Nominalwerten gehen könne und dass die Rechtshandlungen des Š. B. Geltung haben. Für einen Vergleich sei es ohnehin charakteristisch, dass die strittigen Fragen einer Rechtsbe-
___________ 44 Beispielfall aus den Veröffentlichungen der Entscheidungen des OGH Nr. VS06392, Beschluss II Ips 50/2001, entnommen aus http://www.sodisce.si/default .asp?kall=judikat _vs&showin=all&JudikatID=20566, Stand vom 29.9.2006.
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ziehung der Parteien durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden.45 Ein Revisionsgrund sei daher nicht gegeben.
V. Schlussbemerkungen Man kann sagen, dass die Denationalisation zwar schleppend, aber erfolgreich vorankommt. Zwar ist aus slowenischer Sicht vor allem die Denationalisation der italienischen und ungarischen Minderheiten vorrangig, da diese verfassungsmäßig als autochthone Minderheiten gelten, während die deutsche Minderheit diese Rechte nicht erworben hat. Von den insgesamt 2.787 eingereichten Anträgen bezüglich Artikel 5 DenG (Enteignung wegen Drohung, Gewalt und Hinterlist) wurden bis zum 31. März 2006 2.420 Fälle gelöst, davon sind bereits 2.297 Entscheidungen rechtskräftig. Von den 167 ungelösten Fällen befinden sich 123 im Beschwerdeverfahren, der Rest wurde nicht eingereicht oder die Beschwerdefrist ist noch nicht abgelaufen. Die meisten ungelösten Fälle, und zwar 36, stehen beim Gericht in Maribor an, während in Ljubljana, wo die meisten Anträge gestellt wurden, noch 22 Fälle ungelöst sind. Von den 2.420 Fällen wurden 700 positiv gelöst, 424 wurden zurückgewiesen, 830 abgelehnt sowie 464 aufgrund einer Rücknahme des Antrags eingestellt. In 840 Fällen hat es Beschwerden gegeben.46 * * *
Abstract Mladen Kraljíü: The Compensation of the German Refugees by the Slovenian State, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 229-253. It can be said that privatisation is going on slowly, but successfully. Yet, from the Slovenian point of view, it was mainly for the Italian and Hungarian minorities for whom privatisation went very quickly, as they obtained the constitutional status of autochthon minorities, whereas the German minority did not receive these rights. Of the total number of 2.787 filed applications ___________ 45 Definition des Vergleichs siehe im Lehrbuch von Viktor Korošec, Rimsko pravo, 1. Teil, 2. ergänzte Ausgabe, ýZ Uradni list RS, Maribor 1991. 46 Siehe Brief des Ministeriums für Justiz Nr. 490-109/2006 vom 17.5.2006.
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regarding article 5 Privatisation Act (deprivation based on threat, force and fraud) till 31. 3. 2006, 2.420 cases were resolved, and of these 2.297 decisions are enforceable. Of the 167 unsolved cases, 123 are in the phase of complaint, the rest was not filed and the limitation period for complaints has not expired, yet. Most of the unsolved cases, namely 36, are vacant at the court of justice in Maribor, while in Ljubljana, where most of the applications were filed, there are 22 cases still unsolved. Of the 2.420 cases 700 were resolved positively, 424 were rejected, 830 were denied and 464 stopped based on retreat of application. There were 840 cases of complaint.
Das Entschädigungsgesetz Ungarns unter besonderer Berücksichtigung der Donauschwaben Von Judit Zeller
I. Zusammenfassung der Geschichte der Entschädigung und deren Regelung 1. Das Vorfeld der Wende in Ungarn Vor und in den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurden Maßnahmen getroffen, die in einem Rechtsstaat undenkbar erscheinen. Sowohl die sich zwischen den beiden Weltkriegen langsam entwickelnde nationalsozialistische Diktatur als auch die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene bolschewistische Diktatur ermordete und quälte Menschen massenweise; neben den moralischen Schäden war die Praxis der Verachtung und der Entziehung des Privateigentums – das funktionell die Freiheit des Einzelnen im wirtschaftlichen Sinne sichert1 – von erheblicher Bedeutung. Die im 17. bis 18. Jahrhundert in Ungarn angesiedelten Donauschwaben wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als „persona non grata“ im Lande betrachtet. Die Alliierten planten bereits während des Krieges einen sog. Transfer der Deutschen aus dem osteuropäischen Raum, nur über den Umfang und die Art und Weise war man sich nicht einig.2 Das von den Alliierten im Jahre 1945 geschlossene Potsdamer Abkommen „löste“ schließlich die Frage der Donauschwaben, da es die Aussiedlung (Vertreibung) der Volksgruppe nach Deutschland und Österreich anordnete. Die meisten Donauschwaben wurden zwischen 1946 und 1948 aus Ungarn vertrieben, ihr Vermögen wurde enteignet. Diejenigen, die doch im Lande blieben, wurden in der Zeit der kommunistischen Diktatur der zwangsmäßigen Assimilation unterworfen. Nach dem Jahre 1985 ließ die Kraft der Diktatur in Ungarn allmählich nach. Neben anderen Reformschritten wurde es möglich, solche Organisationen legal ___________ 1
Chronowski, Nora/Drinóczi, Timea/Petrétei, József – Tilk, P./Zeller, Judit, Ungarisches Verfassungsrecht III. Grundrechte, 2006, S. 485. 2 Mayer, Cornelius: Der Kreuzweg unserer Landsleute – ein Rückblick auf die Vertreibung der Schwaben aus Ungarn im Jahr 1946. http://www.ungarndeutsche.de/ vertreibungs_referat.html (28. 09. 2006).
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zu bilden, in denen sich die aus politischen Gründen Bloßgestellten verbündeten und die deren Interessen in den politischen Prozessen – vor allem gegenüber der Regierung – vertraten. In den Jahren 1988-1989 hielt es die damalige Regierung, nicht zuletzt unter dem Druck der genannten Organisationen und aus aktuellpolitischen Gründen, für erforderlich, die betroffenen Personen juristisch und – wenn auch nur mit einer Minimal-Lösung – auch finanziell zu entschädigen. Zwei von der Németh-Regierung3 vorgelegte Gesetzesentwürfe, die die Annullierung der aus politischen Gründen – anhand der damaligen Bestimmungen des Strafgesetzbuches – ergangenen richterlichen Urteile auf Antrag der Betroffenen ermöglichten, wurden vom Parlament akzeptiert. Das erste Gesetz betraf die Revolutionäre des Jahres 1956, das zweite Gesetz betraf diejenigen, die zwischen 1945 und 1956 in politisch motivierten Scheinprozessen verurteilt wurden. Mehrere Beschlüsse wurden vom Parlament getroffen, in deren Präambeln der Ministerrat (das kollektive Staatsoberhaupt der ehemaligen Volksrepublik Ungarn) das Unrecht im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1945 und 1956 anerkannte und bei den Betroffenen offiziell Abbitte leistete. Die durch die politischen Urteile Geschädigten wurden in unterschiedlicher Weise finanziell entschädigt: bei einigen wurde die Zeit der Freiheitsentziehung bei der Bestimmung der Höhe der Rente in die Arbeitszeit eingerechnet, andere bekamen eine Rentenerhöhung in Höhe von 500 Forint (zirka 2 Euro). Vor der Ausrufung der Republik im Oktober 1989 erließ der Ministerrat eine Verordnung, die für die Betroffenen in differenzierter Weise, anhand der Länge der Freiheitsentziehung, eine progressive Rentenerhöhung bestimmte. (Die Qualität der Verordnung ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie vom neu aufgestellten Ungarischen Verfassungsgericht nach kaum zwei Monaten Geltungszeit für nichtig erklärt wurde)4.
2. Entstehung des Systems der Entschädigungsgesetze Obwohl die Entschädigung als expliziter Teil des Partei- oder Wahlprogramms während des Systemwechsels nur bei einer Partei – nämlich bei der Partei der Kleinlandwirte (FKgP) – auftauchte, mangelte es bei den anderen Reformparteien auch nicht an Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit dem Problemkreis. Die ersten demokratischen Wahlen wurden vom Ungarischen Forum der Demokraten (MDF) gewonnen, dessen Ministerpräsident ___________ 3
Miklós Németh war der letzte Ministerpräsident (Präsident des Ministerrates) zwischen 1988-1990 vor der Wende in Ungarn. 4 Siehe Menczer, Gusztáv, Néhány gondolat a történelmi kárpótlásról. (Gedanken über die historische Entschädigung) http://www.karpotlas.hu/karpotlasrol/01bevezeto.html (02. 10. 2006).
Das Entschädigungsgesetz Ungarns
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(József Antall) sich mit der Frage der Entschädigung und der Reprivatisierung schon am Anfang seiner Regierungszeit auseinandersetzte. Im Jahre 1990 – noch bevor das Parlament anfing, sich mit der Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Entschädigung zu beschäftigen – initiierte József Antall eine abstrakte Auslegung der Verfassung beim Ungarischen Verfassungsgericht (im Weiteren auch: UVerfG), bei der es um die Frage der Reichweite und Methode der später zu verwirklichenden Entschädigung ging. Aus der Entscheidung des Verfassungsgerichts5 können die folgenden Feststellungen hervorgehoben werden: Erstens grenzte das UVerfG den Prozess der Reprivatisierung vom Prozess der Entschädigung scharf ab und betonte, dass die zwei Vorgänge unabhängig voneinander behandelt werden müssten. Zweitens stellte das Gericht klar, dass die Reichweite und Methode der Entschädigung sowie die Frage der Entschädigung in jeder Hinsicht die „souveräne Entscheidung des Staates“ seien. Die Entschädigung erfolgte also aus „Billigkeit“, nicht aus irgendeiner Verpflichtung des Staates. Demzufolge hätten die Geschädigten „kein subjektives Recht“, keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Entschädigung.6 Diese Entscheidung des Verfassungsgerichts gab der nahezu beliebigen Formulierung und Umformulierung der Entschädigungsregeln und des Entschädigungssystems in Ungarn grünes Licht. Das Verfassungsgericht verlangte nur über die Einhaltung des Diskriminierungsverbots Rechenschaft abzugeben, nämlich darüber, dass die ehemaligen Eigentümer von Nichteigentümern bzw. die ehemaligen Eigentümer untereinander nach dem Eigentumsgegenstand nur aufgrund einer objektiven Tatsache unterschieden werden können. Das im Jahre 1991 verabschiedete erste Entschädigungsgesetz (Gesetz vom Jahre 1991 Nr. XXV, im Weiteren: EntschG1) wollte – die oben genannte Entscheidung des Verfassungsgerichts in Betracht genommen – denjenigen, deren Eigentum zwischen dem 1. Mai 1939 und 23. Oktober 1989 geschädigt oder entzogen wurde, eine partielle Entschädigung leisten.7 Das Gesetz bestimmte mehrere Gesetze und Verordnungen im Zeitraum zwischen 1939 und 1987, die eine Eigentumsentziehung angeordnet hatten, als Rechtsgrund für eine Entschädigung. Das EntschG1 listete auch diejenige Verordnung des Ministerpräsidenten – und deren Änderung – als Rechtsgrundlage für eine Entschädigung
___________ 5
Entscheidung Nr. 21/1990 (04. 10.) UVerfG; ABH 1990, 73. Entscheidung Nr. 21/1990 (04. 10.) UVerfG; ABH 1990, 73, 76. 7 Der 1. Mai 1939 war der Tag des Inkrafttretens des zweiten Judengesetzes in Ungarn. Obwohl das Erste Judengesetz auch stark diskriminierende Normen enthielt, war das zweite Gesetz dasjenige, das die Entziehung des Eigentums der Juden verwirklichte. Der 23. Oktober 1989 war – wie schon früher erwähnt – der Tag der Ausrufung der Republik. 6
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auf, die die Zwangsaussiedlung (Verschleppung) der Donauschwaben nach Deutschland im Jahre 1945 angeordnet hatte.8 Art. 1 Abs. (3) des EntschG1 engte aber den Kreis der Entschädigungsberechtigten sofort ein: für den Zeitraum zwischen dem 1. Mai 1939 und 8. Juni 19489 verwies es auf ein anderes – erst später zu verabschiedendes – Gesetz, das die Entschädigungsfragen dieses besonders empfindlichen Zeitraums regeln sollte. Das genannte Gesetz wurde erst im Jahre 1992 verabschiedet (Gesetz vom Jahre 1992 Nr. XXIV, im Weiteren: EntschG2) und verwies auf das EntschG1 als subsidiäres Recht. Das EntschG2 listete auch die relevanten Gesetze und Verordnungen als Rechtsgrund für die Entschädigung auf. Das EntschG1 war nach dessen Verabschiedung mehrmals Gegenstand verfassungsgerichtlicher Normenkontrolle. Die später – in Bezug mit den einzelnen Teilaspekten der Entschädigung – zu erläuternden, wichtigsten Entscheidungen (vor allem die Entscheidungen Nr. 28/1991 und Nr. 15/1993 des UVerfG10) haben die Dogmatik des Entschädigungsrechts und die wichtigsten Prinzipien des Entschädigungsprozesses in Ungarn erstellt. Im Voraus muss hervorgehoben werden, dass das UVerfG die Rechtsgrundlagen der die sog. Verstaatlichung anordnenden Normen, die zwischen 1948 und 1952 verabschiedet wurden und die meisten Eigentumsentziehungen begründeten, in einer Entscheidung11 kassierte, die Beurteilung der Entschädigungsnormen aber – bis zum Abschluss des Ausbaus des ganzen Entschädigungssystems in Ungarn – offen ließ. Trotz der früher erwähnten Billigkeit als Rechtsgrund stellte das Gericht fest, dass die „in den Verstaatlichungsnormen bestimmte Entschädigungspflicht“ immer noch „als fortbestehend“ betrachtet werde, der Staat aber das Recht habe, diese Pflicht (mit der sog. Novation) auf eine neue Rechtsgrundlage zu stellen. Das Gericht erkannte im Weiteren an, dass die in den Entschädigungsgesetzen bestimmte Wiedergutmachung als Erfüllung der genannten Pflicht betrachtet werden könne. Die Verstaatlichungsnormen wurden in den EntschG1 und 2 als mögliche Grundlagen einer Entschädigung angegeben. Die Reihe der Rechtsvorschriften, die das Thema Entschädigung betrifft, wurde mit den zwei genannten Gesetzen nicht abgeschlossen. Im Weiteren verabschiedete das ungarische Parlament das Gesetz Nr. XXXII. vom Jahre 1992 (im Weiteren: EntschG3), das die Entschädigung wegen rechtswidriger Entzie___________ 8
Verordnung des Ministerpräsidenten Nr. 12.330/1945 über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung nach Deutschland und Regierungsverordnung Nr. 12.200/1947 über die Änderung der Verordnung des Ministerpräsidenten Nr. 12.330/1945. 9 Der 8. Juni 1948 war der Tag der ersten Sitzung des antidemokratisch „gewählten“ ungarischen Parlaments nach dem Zweiten Weltkrieg. 10 Entscheidung Nr. 28/1991. (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88. und 15/1993. (03.12.) UVerfG; ABH 1993. 112. 11 Entscheidung Nr. 27/1991 (20. 05.) UVerfG; ABH 1991. 73, 74.
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hung der Freiheit und des Lebens aus politischen Gründen regelte. Die nächste Etappe war das vierte Entschädigungsgesetz (Gesetz Nr. LXIX. vom Jahre 1992). Einer Entscheidung des Verfassungsgerichts12 folgend – in der das Versäumnis der gesetzgeberischen Pflicht im Zusammenhang mit Art. 27 Punkt 2 des Pariser Friedensvertrages festgestellt wurde – wurde das Gesetz Nr. X. vom Jahre 1997 verabschiedet, um die Vorschriften des Friedensvertrages umzusetzen. Dieses Gesetz gab denjenigen Organisationen ihre Güter zurück, die wegen nach Religion oder Rasse diskriminierender oder faschistischer Vorschriften enteignet wurden. Das Gesetz behandelte vor allem die Frage der Entschädigung des Judentums.13 Die Entschädigungsgesetze wurden seit ihrer Verabschiedung mehrmals novelliert, was auf ihre Unausgewogenheit, aber auch politische Bedeutsamkeit hinweist. Das EntschG1 erlebt jetzt seine 15. Version, das EntschG2 wurde bisher insgesamt viermal modifiziert. Dies ist nicht zuletzt auf die zahlreichen Verfassungsbeschwerden zurückzuführen, die im Zusammenhang mit den Entschädigungsfragen dem Verfassungsgericht zugeleitet wurden. Anhand dieser Beschwerden erklärte das Verfassungsgericht manche Anordnungen der einzelnen Entschädigungsgesetze für nichtig. In anderen Fällen wurde das Versäumnis der Rechtsetzungspflicht in Entschädigungsfragen festgestellt.
II. Regelung der Entschädigung laut EntschG1 und EntschG2 Obwohl sich vor allem das EntschG2 auf die Donauschwaben bezieht, ist es wichtig auch die Regelung des EntschG1 zu untersuchen, da dieses Gesetz die Grundlage des Entschädigungsrechts und dessen subsidiäre Rechtsquelle bildet. Das EntschG2 enthält praktisch nur die Bestimmung des Zeitraums der Entstehung der zu ersetzenden Schäden (01.05.1939 08.06.1949), für die anderen materiell- und prozessrechtlichen Regelungen finden wir einen Verweis auf das EntschG1, in dem die sonstigen Fragen detailliert geregelt sind. Aus der Präambel geht das doppelte „Ziel des Gesetzes“ hervor, einerseits beabsichtigt es die Wiedergutmachung der durch das vorangegangene System dem Eigentum der Staatsbürger ungerecht zugefügten Schäden, andererseits die Regelung der Wiederherstellung der marktwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse. Das Kriterium der „Ungerechtigkeit“ unterzog Eigentumsschäden von sehr unterschiedlicher Art einer einheitlichen Beurteilung, nämlich einerseits die Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre durchgeführten Verstaatlichungen, andererseits die vielfältigen Eigentumsentziehungen im Zusammenhang mit der Bodenverteilung (bzw. mit der Organisierung der land___________ 12 13
Entscheidung Nr. 16/1993 (13. 03.) UVerfG; ABH 1993. 143. Mihályi, Péter, Kárpótlás. (Entschädigung) Kulturtrade Kiadó Kft., 1998, S. 11.
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wirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften), zusätzlich einige grundsätzlich aus politischen Gründen durchgeführte Immobilienerwerbungen des Staates, wie z. B. die Verstaatlichung des Vermögens der sog. Dissidenten (politischer Flüchtlinge).14 Das Gesetz beabsichtigte die Ziele nicht durch die volle Rückerstattung der entzogenen Eigentumsgegenstände (durch Reprivatisierung) zu erreichen, sondern durch eine partielle Entschädigung der ehemaligen Eigentümer. Als Begründung wurden zwei Faktoren angedeutet: Einerseits die niedrige Belastungsfähigkeit des Staates, andererseits die Tatsache, dass vor der Wende praktisch alle solche Verluste erlitten haben, die sich auch materiell auf ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse auswirken. Der Gesetzgeber musste die Grenzen der Entschädigungsberechtigung bestimmen.
1. Schaffung der gemeinsamen Rechtsgrundlage der Entschädigung: die Novation Die früher erwähnten Verstaatlichungsnormen bestimmten, dass die Verstaatlichung gegen eine – in einem später zu verabschiedenden Gesetz regulierte – Entschädigung erfolgt. Dieses Gesetz wurde nie verabschiedet. Demzufolge erklärte das UVerfG diese Entschädigungspflicht als fortbestehend und deklarierte, dass der Staat im Zusammenhang mit dem durch die Verstaatlichung verursachten Unrecht zur Entschädigung rechtlich verpflichtet sei.15 Daneben gab es auch solche Eigentumsentziehungen, die nicht durch die Verstaatlichungsnormen erfolgten; deswegen begründeten sie keine rechtliche Verpflichtung des Staates. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit den Entschädigungsgesetzen alle Entschädigungsverpflichtungen des Staates nach einheitlichen Grundsätzen zu erfüllen. Demzufolge wurden die Beeinträchtigungen, die in verschiedener Weise erfolgten, unter einen neuen einheitlichen Rechtstitel subsumiert, hinsichtlich des Umfangs neu festgesetzt und neuen Bedingungen, d.h. unter Anwendung der sog. „Novation der Verpflichtungen“, unterworfen. Dadurch, dass der Gesetzgeber – mit der Einführung der Novation als neuem Rechtstitel – die ursprüngliche rechtliche Natur der einzelnen Eigentumsverletzungen außer Acht lässt, werden die Verpflichtungen des Staates, die sich aus verschiedenen Rechtsgründen ergeben, erneuert: durch die Novation entsteht eine im Wesentlichen gleiche Verpflichtung. Durch die Erneuerung der Verpflichtungen werden sowohl die ursprünglich auf rechtlicher Grundlage beruhenden Verpflichtungen als auch die durch die Entschädigungsgesetze ohne Bestehen einer früheren ___________ 14 15
Entscheidung Nr. 28/1991 (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 91. Entscheidung Nr. 28/1991 (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 91.
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Verpflichtung gewährten Entschädigungsansprüche einem gemeinsamen Rechtsgrund unterworfen.16 Laut der Entscheidung des UVerfG ist die Novation der Verpflichtungen eine verfassungsmäßige Lösung, da die Verstaatlichungsnormen nicht gewöhnliche Enteignungen, sondern die konsequente Liquidation des Privateigentums zum Ziele hatten. Die Methode der Novation ist nach Meinung des UVerfG allerdings auch nicht bedingungslos mit der Verfassung vereinbar. Sie darf nicht gegen die in der Verfassung gesicherten Rechte oder Prinzipien verstoßen, was vor allem die Beachtung des Grundsatzes des Diskriminierungsverbots bedeutet: im Laufe der Entschädigung darf keine Gruppe der Betroffenen in irgendeiner Weise benachteiligt werden.17
2. Die Berechtigten Schon im Voraus soll erwähnt werden, dass bei den Vorarbeiten der Entschädigungsgesetze die Größe des Kreises der Entschädigungsberechtigten stark unterschätzt wurde. Die Pläne haben ca. 100.000 Menschen als mögliche Anspruchssteller in Betracht gezogen, dagegen lag die wirkliche Zahl bei mehreren Hunderttausend. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit tauchte auch im Zusammenhang mit der Bestimmung des Kreises der Berechtigten auf. Fraglich war, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, wenn das EntschG1 nur für diejenigen eine Entschädigung vorsieht, die den Schaden an ihrem Eigentum erlitten haben, diejenigen aber, die als Nichteigentümer materiellen Schaden erlitten haben, der sich auch auf die Gegenwart auswirkt, ohne Entschädigung bleiben. Die Begründung des Gesetzes stellte fest, dass nicht einmal die Möglichkeit einer partiellen Entschädigung der Nichteigentümer besteht. Das UVerfG erklärte jedoch, dass, da die Geschädigten nicht von vornherein zu einer Entschädigung berechtigt sind, nur eine willkürliche Unterscheidung verfassungswidrig sei. Das Verfassungsgericht musste im Weiteren die Frage untersuchen, ob es dafür einen rationellen Grund gibt, dass die Wiedergutmachung sich nur auf die „ehemaligen Eigentümer“ beschränkt (und die Nichteigentümer aus dem Prozess ausschließt). Bei der Beantwortung dieser Frage muss man auch die aktuelle wirtschaftliche Lage des Landes in Betracht ziehen. Im Hinblick darauf, dass die finanziellen Quellen für die Durchführung der Entschädigung beschränkt und von der wirtschaftlichen Lage des Landes abhängig sind, ist die allgemeine Abhilfe aller ___________ 16 Petrétei, József, Die verfassungsrechtlichen Fragen der Entschädigung in der Republik Ungarn durch das Vermögensgesetz. In: Manssen, G. und Banaszak, B. (Hrsg.): Wandel der Eigentumsordnung in Mittel- und Osteuropa, 1998. 17 Entscheidung Nr. 28/1991 (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 94.
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materiellen Schäden nicht möglich. Das UVerfG betrachtete die Auswahl der Gruppe der Geschädigten, denen eine Entschädigung geleistet werden konnte, nicht als verfassungswidrig, da der Staat gegenüber den meisten ehemaligen Eigentümern – laut Verstaatlichungsnormen – ohnehin mit einer Entschädigungspflicht belastet war. Das Doppelziel des Gesetzes rationalisierte auch die Beschränkung des Kreises der zu Entschädigenden auf die ehemaligen Eigentümer, da die Wiederherstellung der Eigentumsverhältnisse für die moderne Marktwirtschaft erforderlich und die Erfüllung der durch die Verstaatlichung entstandenen Entschädigungspflicht – vor allem die Reprivatisierung des gesellschaftlichen Eigentums – als Priorität nicht willkürlich waren. Demzufolge war die Unterscheidung zwischen ehemaligen Eigentümern und den nur mittelbar materiell geschädigten Nichteigentümern nicht verfassungswidrig.18 Die Entschädigungsgesetze dienen vor allem dem Zweck der Entschädigung von natürlichen Personen. Die Bestimmungen bringen zum Ausdruck, dass die Entschädigung nicht nur die Wiedergutmachung der Verletzung von Vermögensrechten, sondern auch – wenn auch nicht als explizit definierter Zweck – persönliche, nicht vermögensrechtliche Schäden wiedergutmachen will. Allerdings erfolgte die Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen nicht immer konsequent. Im System der Entschädigungsnormen waren auch solche Gesetze zu finden, die den juristischen Personen die Zurückerwerbung des ehemaligen Eigentums ermöglichten. Solche Ausnahmefälle waren z. B. die Kirchen, deren verstaatlichte Immobilien mit einem eigenen Gesetz19 zurückgegeben wurden. Diese Rückgabe erfolgte sogar in Natur, was nach der bisherigen Strategie der Entschädigung in Ungarn völlig fremd war. Das EntschG1 sicherte nur denjenigen natürlichen Personen die Wiedergutmachung zu, die zur Zeit der Entschädigung oder zur Zeit der Entstehung des Schadens ungarische Staatsbürger waren, bei denen der Schaden im Zusammenhang mit der Entziehung der ungarischen Staatsbürgerschaft erfolgte oder die am 31. Dezember 1990 ihren Aufenthalt in Ungarn hatten.20 Wenn der ehemalige Eigentümer schon verstorben war, hatten die Nachfolger, mangels eines Nachfolgers der Ehepartner, das Recht auf Entschädigung aufgrund folgender Regeln: Den Nachfolgern wird die Entschädigung in dem Maße zugewiesen, wie sie dem Verstorbenen gebührte, mangels eines Nachfolgers ist derjenige Ehepartner entschädigungsberechtigt, der zur Zeit des Sterbens und zur Zeit des Eintritts des Schadens mit dem Berechtigten zusammen gelebt hatte. Diese Regelung wich von den allgemeinen Regelungen des Erbrechts nach dem ungarischen BGB ab. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung hatte das Verfassungsgericht – gegen mehrere Einwände – bestätigt und seine Meinung da___________ 18 19 20
Entscheidung Nr. 28/1991 (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 96. Gesetz Nr. XXXII. vom Jahre 1991. § 2 EntschG1.
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mit begründet, dass die Berechtigten die Entschädigung nicht unter Berufung auf die allgemeinen Regeln des Erbrechts, sondern direkt unter Berufung auf das EntschG1 erwerben können. Die Regeln des Erbrechts waren damit für irrelevant erklärt worden.21 Im Hinblick darauf, dass die Donauschwaben – Dank ihrer früheren Ansiedlung oder Einbürgerung – die ungarische Staatsbürgerschaft hatten oder zur Zeit der Entstehung ihres vermögensrechtlichen Schadens eine solche Staatsbürgerschaft hatten, gehörten sie laut der gesetzlichen Regelung zu demjenigen Kreis der Geschädigten, bei dem die personellen Voraussetzungen der Entschädigung erfüllt waren.
3. Bestimmung des Maßes der Entschädigung Die Entschädigung erfolgte, um die Folgen der wachsenden Inflation vorwegzunehmen, hauptsächlich in Form von „verzinslichen und indossierbaren Wertpapieren“ (sog. Entschädigungsscheinen).22 Laut Gesetz sollte der Betrag der Entschädigung pauschal bestimmt werden,23 und zwar unter Zugrundelegung des ursprünglichen (zur Zeit der Eigentumsentziehung bestehenden) Wertes der einzelnen Eigentumsgegenstände. Hinsichtlich des Umfanges der Entschädigung machte das Gesetz – wenngleich nur in einem engen Bereich – eine Unterscheidung zwischen voller und partieller Entschädigung. Für den landwirtschaftlichen Boden (Acker) sah das Gesetz besondere Bestimmungen vor. Das Gesetz bestimmte zweierlei Art von Pauschalberechnung: Bei Immobilien erfolgte die Entschädigung nach Größe und Lage, bei Unternehmen anhand der Anzahl der ehemaligen Beschäftigten (Arbeitnehmer). Bei Ackerböden sollte der Betrag der Entschädigung in Kataster (anhand des reinen Ertrags des Bodens) bestimmt werden.24 Das EntschG1 bestimmte eine relative und eine absolute Grenze für das Ausmaß der Entschädigung: Bis zum Wert von 200.000 Forint bekam der Geschädigte eine volle, hundertprozentige Entschädigung, danach erfolgte jedoch eine Degression; der 200.000 Forint übersteigende Wert des Eigentumsgegenstandes wurde mit 50, 30 und schließlich 10 Prozent des ursprünglichen Wertes ersetzt.25 Die absolute Grenze der Entschädigung betrug 5 Millionen Forint, ___________ 21 22 23 24 25
Entscheidung Nr. 28/1991. (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 98. Petrétei, ebd. § 3 Abs. 1 EntschG1. § 13 EntschG1. Entscheidung Nr. 15/1993. (III. 12.) UVerfG; ABH 1993. 112, 131.
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mehr als diese Summe konnte nicht als Entschädigung für einen einzigen Berechtigten oder für einen einzigen Eigentumsgegenstand ausgezahlt werden.26 Im Zusammenhang mit der Regelung erfolgte in Ungarn eine heiße, nicht ohne politische Erwägungen geführte Debatte. Die politischen Überlegungen strebten nach der Privilegierung des Ackerbodens, damit die Kleinlandwirte ihren Acker zurückerwerben konnten. Das Verfassungsgericht beschäftigte sich immer wieder mit der Frage, ob und inwieweit eine Diskriminierung zwischen den Grundbesitzern und anderen Eigentümern besteht. Das Gericht stellte die diskriminierende Natur und dadurch die Verfassungswidrigkeit der Regelung in mehreren Fällen fest und erklärte die entsprechenden Artikel des Gesetzes mehrmals für nichtig. Nach der Begründung der ersten EntschädigungsEntscheidung des Verfassungsgerichts enthielt die Regelung eine unverhältnismäßige und ohne objektiven Grund erfolgende Begünstigung der ehemaligen Bodenbesitzer. Laut der allgemeinen Regelungen des EntschG1 erfolgte nämlich eine Vollentschädigung nur bis zu einem Wert von 200.000 Forint. Wenn es sich aber um einen Acker handelte, konnten die Geschädigten bis zu 1.000 Kataster (entspricht dem Wert von zirka 1 Million Forint) den hundertprozentigen Anteil sogar in Natur wiederbekommen. Diese wesentliche Begünstigungen enthaltende Regelung wurde vom Gesetzgeber so begründet, dass der Acker – im Verhältnis zu anderen Kapitalgütern – einerseits einen bedeutend niedrigeren Gesamtertrag habe, der Entschädigte also mit dieser Art von Entschädigung zusätzliche Ausgaben auf sich nehme. Andererseits sei das Bodeneigentum i. d. R. Grundlage eines zukünftigen Unternehmens des Geschädigten, wozu allerdings noch zusätzliche, erst später zurückfließende Investitionen unvermeidbar seien. Diese Investitionskosten belasteten nur die Grundeigentümer im Gegensatz zu denjenigen Berechtigten, die eine andere Art von Entschädigung (z. B. Erwerb von Entschädigungsscheinen) gewählt hatten. Nach Meinung des UVerfG war diese Begründung für eine Unterscheidung jedoch nicht entsprechend objektiv, der Unterschied zwischen Ackerbesitzer und sonstigen Eigentümer in dem Betrag der Entschädigung war außerordentlich hoch und verfassungsmäßig auch dann nicht begründbar, wenn bei der Beurteilung der Regelungsmethode der Maßstab der sog. positiven Diskriminierung benutzt wurde. Laut EntschG1 hatten nämlich die ehemaligen Ackerbesitzer die Möglichkeit, eine Vollentschädigung in Natur zu bekommen, während andere Eigentümer nur eine Teilentschädigung in Geldwert erhalten konnten. Eine Besonderheit der Regelung war, dass „diese Unterscheidung das Konzept des EntschG1, das die Reprivatisierung und die Vollentschädigung verwirft, durchbrach.“ Das UVerfG stellte fest, dass die Unterscheidung des Ackerbodens von anderen Eigentumsgegenständen bei der pauschalen Berechnung nicht per se ver___________ 26
§ 4 Abs. (3) EntschG1.
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fassungswidrig sei. Die Differenz der absoluten Grenze des Ausmaßes der Entschädigung (200.000 Forint und 1 Million Forint) und die Möglichkeit, den Ackerboden in Natur wieder zu erwerben, während für die anderen Güter nur Entschädigungsscheine ausgehändigt wurden, verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Diese Unterscheidung hatte zur Folge, dass die Ackerbesitzer eine Vollentschädigung, die anderen aber nur eine Teilentschädigung erhielten. Das Verfassungsgericht zitierte eine frühere Entscheidung (Entscheidung Nr. 21/1990.), in der es schon festgestellt hatte, dass die Rückgabe des Grundeigentums und die Teilentschädigung durch Geldauszahlung der anderen Eigentümer gegen den Artikel 70/A. der ungarischen Verfassung verstoße, es sei denn, dass der Gesetzgeber für die positive Diskriminierung eine verfassungsmäßige Begründung anhand des vom Verfassungsgericht niedergelegten Maßstabs gebe. Das Verfassungsgericht fand in dem vorlegenden Fall keine solche Beweise für die Begründetheit der positiven Diskriminierung und kassierte dementsprechend den betroffenen Artikel (Art. 24) des Gesetzes.27 Der Gesetzgeber novellierte als Antwort im EntschG1 die Anordnungen über den Rückerwerb des Grundeigentums. Die neue Regelung war aber ein „alter Hut“, die wieder eine die Verfassungswidrigkeit feststellende und kassierende Entscheidung des Verfassungsgerichts nach sich zog. Die neue Regelung sah nämlich in Form einer „landwirtschaftlichen Unternehmerunterstützung“ einen Zuschuss für die Ackerbesitzer vor, die praktisch wieder einer vollen Entschädigung der Ackerbesitzer entsprach, da diese Unterstützung – beliebig wie es genannt wurde – den Rückerwerb des Ackers im vollen Wert ermöglichte. Das Verfassungsgericht stellte fest, dass die Methode, wie der Gesetzgeber die Entschädigung und die staatliche Unterstützung der Landwirtschaft miteinander verknüpfte, wieder gegen das in Art. 70/A der Verfassung deklarierte Diskriminierungsverbot verstoße, da die Folgen der neuen Regelung praktisch dieselben seien, wie bei den vorherigen Normen. Das Verfassungsgericht wies explizit darauf hin, dass in seiner früheren Entscheidung (Entscheidung Nr. 28/1991.) die damalige Regelung für verfassungswidrig erklärt wurde und der Gesetzgeber diese vorherige diskriminierende Regelung nur scheinbar aufgehoben habe. Das Gericht äußerte sich auch dazu, dass die besondere Natur des Ackers, die Präferenzen der Landwirtschaftspolitik und die Tatsache, dass mit der Rückgabe des Bodens auch die Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse erfolge, die unterschiedliche Behandlung der Ackerbesitzer im Laufe der Entschädigung ohne Weiteres ermögliche. Die Methode solle aber nicht diskriminierend sein. Die Vollentschädigung der Ackerbesitzer und die Teilentschädigung der anderen Eigentümer (dadurch der fünffache Unterschied zwischen den absoluten Grenzen der Maximalentschädigung) könne verfassungsmäßig nicht ___________ 27
Entscheidung Nr. 28/1991. (03. 06.) UVerfG; ABH 1991. 88, 101.
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begründet werden.28 Demzufolge wurde die geänderte Regelung vom Verfassungsgericht, mit den genannten Gründen, wieder für nichtig erklärt. Die – überwiegend politisch begründeten – Bestrebungen des Gesetzgebers, die Ackerbesitzer mit Vollentschädigung gegenüber anderen ehemaligen Eigentümern zu begünstigen, konnten also die Verfassungsmäßigkeitskontrolle nicht überstehen.
4. Die Methode der Entschädigung Das EntschG1 bestimmte auch, auf welcher Weise die Entschädigung erfolgen sollte. Laut Gesetz sollten sog. „Entschädigungsscheine“ ausgestellt werden, die sich als veräußerliche Inhaberpapiere darstellten, eine Forderung gegenüber dem Staat beinhalteten und sich vom 10. August 1991 bis zum 31. Dezember 1994 auch verzinsten. Der Wert der Entschädigungsscheine wuchs dementsprechend monatlich mit dem Maß des anrechenbaren Zinses.29 Bis Ende des Jahres 1997 hatten die Entschädigungsbehörden mehr als 2 Millionen Anträge untersucht, mehr als 1,8 Millionen positive Entscheidungen getroffen und dadurch Entschädigungsscheine in einem Wert von mehr als 137 Milliarden Forint ausgegeben. Die Entschädigungsscheine konnten nach dem Erwerb mehrfach verwendet werden: als Entgelt für den Kauf von im Laufe der Privatisierung verkauften ehemaligen staatlichen Gütern (Wertpapiere, Geschäftsteile, Wohnungen) oder für den Erwerb von Ackerboden. Daneben bestand die Möglichkeit, einen besonderen Kredit, den sog. „Existenzkredit“ auf Entschädigungsscheine aufzunehmen, bei dem der Wert der Scheine zum Nominalwert in Betracht kam; schließlich konnte der Entschädigte auch die Möglichkeit wählen, statt der Entschädigungsscheine im Rahmen der Sozialversicherung eine lebenslange Sonderrente zu bekommen.30 Die Entschädigungsscheine verkörperten dadurch praktisch für den Entschädigten und im Handelsverkehr materielle Wertpapiere. Es wurde schnell offenbar, dass die Konstruktion der Entschädigungsscheine aus mehreren Wunden blutet und einen problematischen Faktor im Prozess der Entschädigung darstellt, der nicht zuletzt durch die unüberlegte und fachlich mangelhafte Regelung verursacht wurde. Bei der Firma, die die Scheine ausgegeben hatte, gab es keine exakten Register der Scheine, die ausgestellt, in Privatbesitz gegeben, in Verwahrung gehalten oder schon zurück in staatlichen Besitz umgewandelt wurden. Die Scheine waren leicht zu fälschen, was im ___________ 28 29 30
Entscheidung Nr. 15/1993. (12. 03.) UVerfG; ABH 1993. 112, 131. § 5 Abs. (1)-(3) EntschG1. § 7 EntschG1.
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Laufe der Zeit auch mehrmals geschehen ist. Es war auch nicht klar, dass diejenigen Scheine, die wieder in staatlichen Besitz geraten waren, vernichtet oder eben – als Beweise für anhängige oder abgeschlossene Rechtsgeschäfte oder für mögliche Verbrechen – für längere Zeit aufbewahrt werden sollten. Fraglich waren auch die Besteuerung und die Eintreibung der Steuer der Scheine. Die ursprünglichen Besitzer – die Entschädigten – waren allgemein steuerfrei, sobald aber der Schein verkauft oder in sonstiger Weise veräußert wurde, musste der Verkäufer nach dem Kursgewinn Steuern zahlen. Die Einführung dieser Steuer führte zur Umgehung der Steuerregeln, die Steuer war dadurch praktisch nie eintreibbar, was die Steuermoral in Ungarn schädigte.31
5. Organisation für den Vollzug der Entschädigung Für den Vollzug der oben genannten Regelungen baute die Regierung im September 1990 eine eigene Organisation auf, nämlich die Staatliche Entschädigungsbehörde (im Weiteren: OKH), die sich zuerst nur um die – in der Einleitung erwähnten – Rentenerhöhung kümmerte. Zur gleichen Zeit wurde ein Soziales Entschädigungskollegium aufgestellt; die Aufgabe dieses Kollegiums war, die Mitarbeiter der Entschädigungsbehörden mit den geschichtlichen Ereignissen der Vergangenheit vertraut zu machen, die Arbeit des Vollzugs zu kontrollieren und die Rechtsvorschriften (Entschädigungsgesetze) im Zusammenhang mit dem Entschädigungsprozess zu interpretieren. Dieses Gremium gab auch Sachverständigenberichte für Äußere Organe (Gerichte, Staatsanwaltschaft usw.) aus und unterstützte die Arbeit der Entschädigungsvollzugsorgane. Im nächsten Jahr wurde die Staatliche Entschädigungsbehörde unter neuem Namen umgestaltet: Landesbehörde für Wiedergutmachung und Entschädigung (im Weiteren: OKKH). In der neuen Organisation wurden in jedem Komitat (territoriale Einheit Ungarns) Unterbehörden eingerichtet. Die OKKH beschäftigte sich mit der Administration der Entschädigungsanträge. Die nächste Umgestaltung erfolgte im Jahre 1998, die Organisation wurde wieder umbenannt, und arbeitete unter dem Namen Zentrales Entschädigungsbüro (im Weiteren: KKI) als Rechtsnachfolgerin der OKKH weiter. Die Aufsicht über die gesamte Organisation wurde auch mehrmals geändert: ursprünglich übte sie die Regierung, später ein Rat von mehreren Ministern (Justizminister, Minister für Landwirtschaft, Finanzminister und Innenminister) und der Leiter der OKKH und des Sozialkollegiums aus. Die Regierung hob im Jahre 1994 diese Aufsichtsform wieder auf und beauftragte den Minister für Landwirtschaft mit der Aufsicht des KKI. Im Jahre 2000 wurde das System ___________ 31
Mihályi, ebd. S. 31-32.
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wieder erneuert, ab diesem Zeitpunkt übte der Justizminister die Aufsicht aus.32 Die neuesten Änderungen in Betracht genommen, integrierte sich das KKI im Jahre 2006 mit mehreren anderen Behörden in die vom Justizminister geführte „Justizbehörde“. Im April 2006 wurde das Ministerium nach dem Regierungswechsel in Ministerium für Polizei- und Justizwesen umbenannt. Der aktuellen Situation gemäß werden die Entschädigungsangelegenheiten vom KKI unter der Leitung des Ministers für Polizei- und Justizwesen verwaltet.33 Die schnelle und häufige Änderung des Vollzugssystems und dessen Aufsicht verstärkt den Eindruck, dass die Lösung der Fragen der Entschädigung oft auf ad hocEntscheidungen und provisorischen Konzepten beruhte, die die aktuellen und geschichtlichen Umstände nicht in Betracht nahmen, und Mängel an Fachkenntnissen und Praxisorientiertheit aufwiesen. Zum Ablauf der Entschädigungsprozesse kann Folgendes festgestellt werden. Die zwei Entschädigungsgesetze bestimmten unterschiedliche Zeitpunkte für die Einreichung der Entschädigungsansprüche. Das EntschG134 bestimmte den 16. Dezember 1991 als Ausschlussfrist für die Einreichung, das EntschG235 eine Frist von 120 Tagen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes. Für die Entschädigungsnormen kennzeichnend waren diese Fristen in der Hektik des Wandels der Entschädigungsregelungen nicht endgültig, sie wurden mehrmals verlängert. Die Ansprüche auf Bodeneigentum konnten – laut des EntschG436 – bis zum Herbst 1992 – innerhalb einer verlängerten Frist – eingelegt werden. Nach einem sog. „endgültigen“ Abschluss der Entschädigung wurde das System nochmals novelliert und im Jahre 1994 wieder eröffnet. Die Neueröffnung erfolgte laut Gesetz Nr. II. vom Jahre 1994, wonach die Erhebung der Ansprüche der bisher nicht Entschädigten zwischen dem 15. Februar und 1. März 1994 zu erfolgen hatte. Dieser Zeitpunkt wurde endgültig als Ausschlussfrist angegeben, es gab jedoch noch weitere Fälle, in denen diese Frist auch noch verlängert wurde – z. B. bei der Umwandlung von Entschädigungsscheinen in die Sonderrente, die bis zum Ende des Jahres 1997 erfolgen konnte.
III. Fazit Wie die Analyse der Entschädigungsgesetze Ungarns dokumentiert, wurde nach der Wende die Problematik des ungerechten Eigentumsentzugs während des Zweiten Weltkrieges und in der Zeit der Volksrepublik vom jeweiligen Ge___________ 32 33 34 35 36
Die Geschichte der Organisation wurde anhand Menzer, ebd., zusammengefasst. Regierungsverordnung Nr. 144/2005 (27. 07.). Geltend ab dem 11. August 1991. Geltend ab dem 8. Juni 1992. Gesetz Nr. IL. vom Jahre 1992.
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setzgeber erkannt und deren Lösung angestrebt. In Ungarn – obwohl die Frage der Entschädigung wegen Unrechts politisch stark belastet war – wurde die Notwendigkeit einer Wiedergutmachung in weiten Kreisen nie infrage gestellt. Allerdings waren die Methode und das Ausmaß der Entschädigung und die Bestimmung des Kreises der Berechtigten immer wieder Gegenstände von politischen Debatten mit unterschiedlichen Vorstellungen. Gemäß der schließlich gewählten Konzeption sollte die Wiedergutmachung der Eigentumsschäden einheitlich erfolgen, d.h. es wurden keine Sondergruppen gebildet, alle Geschädigten konnten sich auf einen einheitlichen Rechtsgrund berufen und den Schadensersatz in der selben Entschädigungsform erhalten. Demzufolge hatten die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Donauschwaben die gleichen Möglichkeiten wie die anderen vertriebenen oder in sonstiger Weise benachteiligten Volksgruppen oder Gesellschaftsgruppen. Das System und der Prozess der Entschädigung war jedoch weit von Vollkommenheit entfernt. Sowohl die Rechtsgrundlage und die Pauschalberechnung der Entschädigungssumme als auch die Ausstellung und Verwaltung der Entschädigungsscheine haben zahlreiche weitere Fragen nach sich gezogen. Wie gezeigt, wurden vom Verfassungsgericht im Zusammenhang mit der Entschädigung mehrere Entscheidungen getroffen. Die ersten schon unmittelbar nach der Wende, die neuesten im Jahre 2003, die letzten – wer weiß? Die Entscheidungen fassten das verfassungsmäßige Anforderungssystem der Entschädigung zusammen und bestimmten die wichtigsten Prinzipien der Wiedergutmachung. Trotz der genannten Schwächen wurde die Entschädigung gerecht und ohne Diskriminierung der einzelnen Gruppen verwirklicht und damit ein dunkler und ungerechter Abschnitt der Geschichte bewältigt und abgeschlossen. * * *
Abstract Judit Zeller: The Compensation Law of Hungary with Special Consideration of the Danube Svabs, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008) pp. 255-270. As the analysis of the compensation laws of Hungary documents, after the fall of the communist regime, the problem of the illegal expropriation during the Second World War and during the time of the People's Republic was recognized by legislators and a solution was searched for. The necessity for compensation has never been contested in Hungary. However, the method and the extent of the compensation and the determination of the persons entitled
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was again and again subject of political debates. The compensation for the loss of property should take place uniformly, i.e. all the damaged could claim the same form of compensation. Therefore, after the Second World War the German refugees from the Danube area had the same legal means as the other refugees or disadvantaged groups. The system and the process of the compensation were however far from perfection. Both the legal basis and the overall calculation of the amount of damages and the administration of the remuneration certificates raised numerous further questions. The constitutional court ruled on many issued in connection with the compensations paid. In spite of the weak points of the compensation system, this was carried out fairly and without discrimination of individual groups and therefore closed a dark and unfair chapter of history.
Gesetzliche Vorschriften in Rumänien nach 1989 über die Entschädigung Enteigneter unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Minderheiten Von Dan C. Oancea
I. Übernahme von Privateigentum in Staatseigentum zu Zeiten des kommunistischen Regimes Zu Zeiten des kommunistischen Regimes wurde in Rumänien Privateigentum als Attribut des Kapitalismus betrachtet, so dass dessen Abschaffung durch Enteignung nach sowjetischem Muster versucht wurde. Die Enteignung erfolgte sowohl mit juristischen Mitteln als auch faktisch. Gestützt wurden die Maßnahmen auf die Verfassungen Rumäniens, die in kommunistischer Zeit die Abschaffung jeglicher ökonomischer Privatinitiative forderten und eine „zentralisierte“ Industrie und Wirtschaft durchsetzten.1 Es gab mehrere Mittel zur Realisierung sozialistischen Eigentums, nämlich die Verstaatlichung, die Enteignung, die Requisition, die Beschlagnahme, ___________ 1 Artikel 5 der Verfassung der Volksrepublik Rumänien aus dem Jahre 1948 schrieb vor, dass in der Volksrepublik Rumänien „die Produktionsmittel entweder dem Staat, als Güter des ganzen Volkes oder den Arbeitsgenossenschaften oder den natürlichen oder juristischen Privatpersonen“ gehören. Gemäß Artikel 11 der Verfassung gilt: „wenn das Generalinteresse es verlangt, können Produktionsmittel, Banken und Versicherungsgesellschaften, welche sich im Privateigentum natürlicher oder juristischer Personen befinden, Eigentum des Staates, d. h. Gut des Volkes werden, unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen“. Artikel 11 der Verfassung der Volksrepublik Rumänien aus dem Jahre 1952 schrieb vor: „(1) Die privatkapitalistische Gesellschaftsformation in der Volksrepublik Rumänien schließt die großbäuerlichen Haushalte, die privaten Handelsunternehmen, die kleinen nicht verstaatlichten Industrieunternehmen ein, die auf der Ausbeutung der Arbeit des Angestellten basieren. (2) Der volksdemokratische Staat führt auf konsequenter Weise die Politik für die Einschränkung und die Beseitigung der kapitalistischen Elemente durch“. Artikel 36 der Verfassung des Sozialistischen Republik Rumänien aus dem Jahre 1965 begrenzte das Privateigentumsrecht nur auf „die durch Arbeit erlangten Einkommen und Ersparnisse, das Wohnhaus, dessen Haushalt und das Land auf dem diese sich befinden sowie die Güter für den privaten Gebrauch und Komfort“.
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Geldstrafen, Steuern und Gebühren, Güter ohne Eigentümer, gefundene Schätze und vakante Erbschaften. Die Enteignung wurde auf mehreren Ebenen durchgeführt. Der kommunistische Staat erließ Dekrete (Verordnungen) und Gesetze, wodurch private Unternehmen in der Industrie, im Unterrichtswesen und beispielsweise im Sanitärsystem beseitigt wurden. Die wichtigsten Dekrete und Gesetze in diesem Sinne waren: Gesetz Nr. 119/19482 über die Verstaatlichung der Industrie-, Bank-, Versicherungs-, Bergbau- und Transportunternehmen3, Dekret Nr. 176/19484 über die Übernahme der Güter der Kirchen, Kongregationen, Gemeinschaften oder Privatpersonen, welche dem Funktionieren und der Versorgung der allgemeinen, technischen oder beruflichen Unterrichtsstätten gedient haben5, in das Eigentum des Staates, Dekret Nr. 232/19486 über die Verstaatlichung einiger privater Eisenbahnunternehmen, Dekret Nr. 266/19487 über die Organisierung des Ministeriums des Öffentlichen Unterrichts, Dekret Nr. 302/19488 über die Verstaatlichung der privaten Gesundheitsanstalten, Dekret Nr. 303/19489 über die Verstaatlichung der Film-Industrie und die Regelung des Handels mit kinematografischen Produkten, Dekret Nr. 74/194910 über die Auflösung der Industrie- und Handelskammern, Dekret Nr. 134/194911 über die Verstaatlichung der Gesundheitseinheiten12, ___________ 2
Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 133/11. Juni 1948. Durch dieses Gesetz wurde auch die Gründung von Privatunternehmen in den betreffenden Bereichen verboten. 4 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 177/August 1948. 5 Durch dieses Dekret wurden auch Privatschulen mit Unterricht in fremden Sprachen (Deutsch, Ungarisch, Serbisch, Tschechisch usw.) verstaatlicht und auch alle privaten Einheiten, mit oder ohne lukrative Zwecke, aufgelöst, die der Organisierung oder dem Funktionieren von Privatunterricht dienten. 6 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 209/9. September 1948. 7 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 224/27. September 1948. 8 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 256/3. November 1948. 9 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 256/3. November 1948. 10 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 47/25. Februar 1948. 11 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 15/2. Mai 1948. 3
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Dekret Nr. 418/195313 über die Verstaatlichung der Privatapotheken, ergänzt durch das Dekret Nr. 450 /195314. Ferner erfolgte die Enteignung mittels „Kollektivierung“. Das im Privateigentum befindliche Agrarland wurde durch die Schaffung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften aufgrund mehrerer Gesetze und Dekrete Staatseigentum: Gesetz Nr. 187/1945 bezüglich der landwirtschaftlichen Reform, Dekret Nr. 83/194915 zur Ergänzung einiger Bestimmungen des obigen Gesetzes16, Dekret Nr. 115/195917 zur „Beseitigung der Reste jeglicher Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in der Landwirtschaft, zum Zwecke der ständigen Steigerung des materiellen und kulturellen Lebensstandards der werktätigen Bauernschaft und zur Entwicklung des sozialistischen Aufbaus“, Gesetz über Grundbesitz Nr. 59/197418. Es wurden auch mehrere Normativakte verabschiedet, wodurch andere Immobilien im Privatbesitz vom Staat übernommen wurden: Gesetz Nr. 312/194519 über die Verfolgung und Bestrafung der Schuldigen am Unheil des Landes oder am Kriegsverbrechen20, Dekret Nr. 92/195021 zur Verstaatlichung einiger Immobilien, Dekret Nr. 111/195122 zur Regelung der Lage jeglicher Güter, die der Beschlagnahme unterliegen, der Güter ohne Erben oder Besitzer sowie auch einiger Güter, die den Staatsinstitutionen nicht mehr dienen, ___________ 12 Zum Beispiel städtische Apotheken, Apotheken aus bedeutenden Arbeiterzentren, chemische und pharmazeutische Labors, medizinische Drogerien, Lager für neue Arzneimittel und Labors für medizinische Analysen. 13 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 16/16. Mai 1953. 14 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 43/26. Oktober 1953. 15 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 1/2. März 1949. 16 Wodurch Gehöfte sowie deren landwirtschaftliche Anlagen verstaatlicht wurden. 17 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 10/30. März 1959. 18 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 135/1. November 1974. 19 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 94/24. April 1945. 20 Mit unter den von diesem Gesetz erwähnten Strafen war auch die Beschlagnahme des ganzen Vermögens des Verurteilten sowie auch der Güter seines Gatten und seiner Nachkommen. 21 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 36/20. April 1950. 22 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 81/27. Juli 1951.
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Dekret Nr. 224/195123 über die gerichtliche Verfolgung von Immobilien zur Begleichung der Forderungen des Staates, Dekret Nr. 142/195224, wodurch einige Gemeinden des Kreises Snagov, Region Bukarest, als „Erholungsorte der Arbeiterklasse” erklärt werden, Dekret Nr. 511/1955 über die Regelung der Lage einiger requirierter Güter25, Dekret Nr. 218/196026 zur Änderung des Dekrets Nr. 167/1958 bezüglich der Verjährung, Dekret Nr. 712/196627 bezüglich der Güter, die unter den Bestimmungen des Artikels III des Dekretes Nr. 218/1960 zur Änderung des Dekrets Nr. 167/1958 fallen, Gesetz Nr. 4/197328 über die Entwicklung des Wohnungsbaus und den Verkauf an die Bevölkerung von Wohnungen aus dem Staatsfonds29, Dekret Nr. 223/197430 über die Regelung der Lage einiger Güter31, Gesetz Nr. 58/197432 über die Systematisierung des Territoriums und der städtischen und ländlichen Ortschaften. Die Enteignungen überschritten sogar den bestehenden gesetzlichen Rahmen, da verfassungs- oder gesetzwidrige Beschlagnahmen, Enteignungen und Übernahmen durchgeführt wurden.
___________ 23
Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 117/12. Dezember 1951. Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 33/28. Juni 1952. 25 Unveröffentlicht. 26 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 10/1. Juli 1960. 27 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 54/2. September 1960. 28 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 48/31. März 1973. 29 Durch dieses Gesetz wurde z. B. verboten, dass eine Familie mehr als eine Wohnung in Besitz hatte. 30 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 152/6. Dezember 1974. 31 Aufgrund dieses Dekrets mussten Personen, die Rumänien endgültig verließen, obligatorisch dem Staat ihre Immobilien zu einem vom Staat festgesetzten Preis veräußern. Immobilien der Personen, die Rumänien betrügerisch verlassen hatten oder nicht nach Rumänien zum festgelegten Zeitpunkt zurückgekehrt waren, wurden vom Staat ohne Entgelt übernommen. 32 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 135/1. November 1974. 24
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II. Gesetzgebung nach 1989 zur Entschädigung der während des kommunistischen Regimes enteigneten Personen 1. Allgemeine Gesetzgebung a) Gesetz Nr. 18/1991 des Grundbesitzes („Grundbesitzgesetz“)33 Aufgrund des Grundbesitzgesetzes wurden bestimmte Grundstücke und Bauten an folgende Kategorien von Personen zurückerstattet: Natürliche Personen, die Grundstücke in die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eingebracht hatten, auch wenn diese keine Mitglieder waren, sowie auch die Mitglieder, die keine Grundstücke eingebracht hatten, Pfarreien und Klöster in ländlichen Gebieten, welche Grundstücke in Besitz hatten, natürliche, der deutschen Minderheit angehörende Personen sowie andere natürliche Personen, die zwangsverschickt, versetzt oder enteignet wurden, natürliche Personen, deren Ackerboden vom Staat übernommen wurde, natürliche Personen, denen vom Staat innerörtlich liegende Grundstücke für ewige Benutzung oder auf die Dauer des Baues zugeteilt wurden, ehemalige Eigentümer (natürliche Personen) von Grundstücken, auf welchen keine Bauten oder andere Einrichtungen stehen, ehemalige Eigentümer (natürliche Personen), denen Grundstücke mit Forst, Wäldern, Uferwäldchen, Gebüschen und bewaldeten Weiden vom Staat genommen wurden. Zum Rückerwerb der Grundstücke oder der Bauten waren auch die Erben der oben angegebenen Personen berechtigt. Das Grundbesitzgesetz in seiner ursprünglichen Form schrieb die Rückerstattung einer Fläche von maximal 0,5 Hektar für jede berechtigte Person und maximal 10 Hektar für jede Familie vor34. Im Falle eines Forstgeländes durfte die rückerstattete Fläche einen Hektar nicht überschreiten.
___________ 33
Ursprünglich veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 37/20. Februar 1991. Unter „Familie“ im Sinne des Grundbesitzgesetzes versteht man „die Ehegatten und die unverheirateten Kinder, wenn diese zusammen mit ihren Eltern den Haushalt führen“ (Artikel 8, § 4). 34
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Rumänische Bürger mit Wohnsitz im Ausland waren nach dem Grundbesitzgesetz vom Rückerstattungsrecht ausgeschlossen.35 Die Rückerstattung der Grundstücke, die Gegenstand des Grundbesitzgesetzes war, erfolgte aufgrund eines Verwaltungsverfahrens. Auf regionaler Ebene wurden Rückerstattungskommissionen gegründet, welche den berechtigten Personen Eigentumstitel für die rückerstatteten Grundstücke ausstellten. Im Jahre 1997 wurde das Grundbesitzgesetz geändert, ergänzt und neu veröffentlicht36, wobei sich die Hauptänderungen auf Folgendes bezogen: die Änderung der Fläche, die den ehemaligen Eigentümern zurück zu erstatten war, von 10 Hektar pro Familie auf 50 Hektar pro Familie für landwirtschaftliche und innerörtliche Grundstücke, und von einem Hektar pro Familie auf 30 Hektar pro Familie für Forstgelände, die Einbeziehung der städtischen Pfarreien und Klöster in die Kategorie der zur Entschädigung berechtigten Personen, die Einbeziehung der Unterrichtsstätten in die Kategorie der zur Entschädigung berechtigten Personen. Grundstücke, die gemäß dem Grundbesitzgesetz natürlichen Personen zur ewigen Benutzung zum Zweck des Wohnungsbaus zugeteilt wurden, gingen nur in deren Eigentum über, wenn Wohnungen darauf errichtet waren. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurde das Grundbesitzgesetz mehrmals geändert, besonders in Bezug auf das Rückerstattungsverfahren der Grundstücke und auf die Fristen, bis zu denen die ehemaligen Eigentümer die Rückerstattung fordern können.37
___________ 35 Zu diesem Thema legte das oberste Gericht im Beschluss Nr. 384/1996 fest, dass die Ausschließung dieser Kategorie von Personen infolge des Inkrafttretens der Verfassung Rumäniens aus dem Jahre 1991 unanwendbar geworden sei. 36 Aufgrund des Gesetzes Nr. 169/1967 für die Änderung und Ergänzung des im Amtsblatt Nr. 299/4. November 1997 veröffentlichen Grundbesitzgesetzes. 37 Aufgrund der folgenden Gesetzgebung: Dringliche Ordonanz Nr. 1/23. Januar 1998; Gesetz Nr. 54/2. März 1998; Gesetz Nr. 218/25. November 1998; Gesetz Nr. 215/23 April 2001; Dringliche Ordonanz Nr. 102/27. Juni 2001; Gesetz Nr. 545/17. Oktober 2001; Regierungsbeschluss Nr. 1172/21. November 2001; Gesetz Nr. 400/ 17. Juni 2002; Gesetz Nr. 247/19. Juli 2005; Gesetz Nr. 358/6. Dezember 2005; Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 209/22. Dezember 2005; Gesetz Nr. 263/27. Juni 2006.
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b) Gesetz Nr. 1/2000 über die Wiederherstellung des Eigentumsrechts an landwirtschaftlichen und forstlichen Grundstücken, die gemäß den Bestimmungen des Grundbesitzgesetzes Nr. 18/1999 und des Gesetzes Nr. 169/1997 zurückgefordert werden („Gesetz Nr. 1“)38 Das Gesetz Nr. 1/2000 stellt ein Instrument für die effektive Anwendung des Grundbesitzgesetzes dar, da die Grundsätze der Rückerstattung der Grundstücke sowie der Zahlung einer Geld-Entschädigung für den Fall, dass die Rückerstattung der ganzen Fläche mangels verfügbaren Grundstücks nicht mehr möglich ist, festgelegt wurden.
c) Gesetz Nr. 112/1995 über die Regelung der juristischen Lage einiger Wohnimmobilien, die nach dem 6. März 1945 in das Eigentum des Staates übergegangen sind („Gesetz Nr. 112“)39 Wie oben erwähnt, ist Gegenstand des Grundbesitzgesetzes die Rückerstattung landwirtschaftlicher Grundstücke, der innerörtlich liegenden Grundstücke, auf welchen keine Bauten errichtet wurden, und der forstlichen Grundstücke. Das Grundbesitzgesetz löste aber nicht die Frage der Personen, deren Wohnungen und sonstige Bauten enteignet wurden. Folglich klagten die ehemaligen Eigentümer vor den Gerichten auf Rückerstattung ihrer Wohnungen sowie anderer Bauten und der dazu gehörenden Grundstücke aufgrund der Bestimmungen des BGB. In der Begründung ihrer Klagen zeigten die Kläger, dass entweder die gesetzlichen Bestimmungen, die zum Zeitpunkt ihrer Enteignung anwendbar waren, nicht berücksichtigt wurden, oder dass der Staat keinen Titel für ihre Immobilien besitzt.40 Im Januar 1996 trat das Gesetz Nr. 112 über die Regelung der juristischen Lage einiger Wohnimmobilien, die nach dem 6. März 1945 in das Eigentum des Staates übergegangen sind, in Kraft. Mit diesem Gesetz, in der Praxis als „Gesetz der verstaatlichten Wohnungen“ bekannt, wurden Entschädigungsmaßnahmen für die ehemaligen Eigentümer und deren Nachfolger in Bezug auf diejenigen Wohnungen, die in das Eigentum des Staates „mit Titel“ übergegangen sind, getroffen. Es muss erwähnt werden, dass das Gesetz Nr. 112 in seiner ursprünglichen Form vor seiner Veröffentlichung vorschrieb, dass es für alle vom Staat zwi___________ 38
Gesetz 1/2000 wurde im Amtsblatt Rumäniens Nr. 8/12. Januar 2000 veröffent-
licht. 39
Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 279/29. November 1995. Zur Zeit des kommunistischen Regimes gab es Fälle, in denen der Staat Immobilien sogar in Abwesenheit gesetzlicher Vorschriften übernommen hat. 40
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schen den Jahren 1945 bis 1989 übernommenen Wohnungen, gleichgültig, ob die Enteignung mit oder ohne Titel erfolgte, anwendbar sei. Infolge einer Klage beim Verfassungsgerichtshof, eingereicht von einer Abgeordnetengruppe in Bezug auf die Begriffe „mit Titel – ohne Titel“, entschied das Gericht, dass die Lage der vom Staat ohne Titel übernommenen Immobilien nicht von einem Gesetz geregelt werden könne, welches die juristische Lage einiger im Eigentum des Staates befindlichen Immobilien regele. Folglich wurde das Gesetz Nr. 112 im Parlament wieder erörtert und dessen Artikel 1 gemäß dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes geändert, indem das veröffentlichte Gesetz nur auf die Rückerstattung der vom Staat mit Titel übernommenen Immobilien Bezug nahm. Für die Anwendung des Gesetzes Nr. 112 wurden methodologische Normen verabschiedet41. Gemäß diesen wurden die im Eigentum des Staates „mit Titel” übernommenen Immobilien definiert als diejenigen, „welche im Eigentum des Staates aufgrund einer am betreffenden Datum gültigen gesetzlichen Vorschrift übernommen wurden, wie z. B. Dekret Nr. 92/1950, Dekret Nr.142/1952, Dekret Nr. 111/1951, Dekret Nr. 218/1980, Dekret Nr. 712/1966, Gesetz Nr. 4/1973, Dekret Nr. 223/1974 wie auch andere normative Akte, einschließlich Beschlüsse des ehemaligen Ministerrates oder der Regierung“42. Gleichzeitig schrieben die methodologischen Normen vor, dass Wohnungen, die vom Staat faktisch, in Abwesenheit einer gesetzlichen Vorschrift, die eine juristische Begründung des Eigentumsrechts des Staates darstellen würde, übernommen wurden43, als „ohne Titel“ übernommen betrachtet werden. Infolgedessen sahen sich, im Hinblick auf die ursprüngliche Version dieser methodologischen Normen, die ehemaligen Eigentümer der Immobilien, die vom Staat ohne Titel übernommen wurden, in der Lage, sich an die Gerichte aufgrund des BGB zu wenden, um ihr Eigentum wieder zu erlangen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die methodologischen Normen für die Anwendung des Gesetzes Nr. 112 durch den Regierungsbeschluss Nr. 11/1997 geändert. In der neu veröffentlichten Version definierten diese Normen die vom Staat „mit Titel“ übernommene Immobilien als diejenigen Immobilien, „die als Wohnungen benutzt wurden und die im Eigentum des Staates unter Berücksichtigung der am betreffenden Datum gültigen Gesetze und Dekrete übernommen wurden, wie Dekret Nr. 92/1950, Dekret Nr. 111/1951, Dekret Nr. 142/1952, Gesetz Nr. 4/1973 und Dekret Nr. 223/1974“. Es wurde also das ___________ 41
Regierungsbeschluss Nr. 20/1996 für die Bestimmung von methodologischen Normen bezüglich der Anwendung des Gesetzes Nr. 112/1995. 42 Gemäß Artikel 1 § 2 des Anhangs 1 zum Regierungsbeschluss Nr. 20/1996. 43 Gemäß Artikel 1 § 3 des Anhangs 1 zum Regierungsbeschluss Nr. 20/1996.
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Konzept „vom Staat ohne Titel übernommene Immobilien“ erweitert, indem in dieses auch folgende Immobilien eingeschlossen wurden: Immobilien, die vom Staat unter Nichteinhaltung der am Datum der Übernahme gültigen Gesetzgebung übernommen wurden, sowie auch Immobilien, die vom Staat faktisch in Abwesenheit jeglicher gesetzlicher Vorschriften, die eine solche Maßnahme rechtfertigen würden, übernommen wurden. Gesetz Nr. 112 schrieb vor, dass diejenigen Wohnungen zurückzuerstatten seien, die am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes frei waren oder in welchen die ehemaligen Eigentümer oder ihre Erben wohnten. Für die anderen Wohnungen sollten die berechtigten Personen Geldentschädigungen bekommen. Das Gesetz Nr. 112 regelte auch die Lage der Personen, die als Mieter in den in Staatseigentum mit Titel übernommenen Immobilien wohnten. Erstens schrieb das Gesetz vor, dass die Mietverträge mit den Mietern bezüglich der Immobilien, die an die ehemaligen Eigentümer zurückzuerstatten sind, „rechtlich“ verlängert werden. Zweitens wurde vorgesehen, dass die Mieter die Wohnungen, in welchen sie wohnten und für welche die ehemaligen Eigentümer oder ihre Erben keinen Antrag auf Rückerstattung stellten oder Geldentschädigungen erhalten hatten, diese kaufen könnten, mit der Möglichkeit, den Kaufpreis in Raten zu zahlen. Das Gesetz Nr. 112 setzte ferner den Betrag der Geldentschädigung für die ehemaligen Eigentümer in Höhe des Wertes der vom Staat übernommenen Immobilien fest. Dieser Betrag konnte den Durchschnittslohn, den ein rumänischer Bürger für eine Dauer von 20 Jahren verdient (ungefähr 25.000 US $), nicht überschreiten. Für die Rückerstattung der Immobilien und Festsetzung des Rechts auf Geldentschädigung wurden durch das Gesetz Nr. 112 spezielle örtliche Kommissionen gegründet, die die Beschlüsse für die Rückerstattung verabschieden sollten. Zu erwähnen ist, dass das Gesetz Nr. 112 eine ausdrückliche Bestimmung beinhaltete, wodurch die Möglichkeit gegeben wurde, mit Chance auf Annullierung (auf Rumänisch: „recurs in anulare“) diejenigen endgültigen und unwiderruflichen gerichtlichen Urteile anzufechten, die sich zu den vom Gesetz erwähnten Immobilien äußerten. In Anbetracht der beschränkten Zahl der Immobilien, die gemäß Gesetz Nr. 112 den ehemaligen Eigentümern in natura zurückerstattet werden konnten, und des im ersten Paragraf des Gesetzes befindlichen Begriffes „mit Titel“, haben die ehemaligen Eigentümer auch nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes die gerichtlichen Anträge auf Rückerstattung ihrer missbräuchlich übernommenen Immobilien aufrecht erhalten und in den meisten Fällen behauptet, dass in ihrem Fall die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 112 nicht anwendbar seien.
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In der Praxis führte das Gesetz Nr. 112, welches den Mietern das Recht einräumte, die von ihnen bewohnten Wohnungen zu kaufen, auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Eigentümern und deren Nachfolgern auf der einen Seite und den Mietern der vom Staat übernommenen Immobilien auf der anderen Seite.
d) Gesetz Nr. 10/2001 betreffend das juristische Regime einiger Immobilien, die im Zeitraum 6. März 1945 bis 22. Dezember 1989 missbräuchlich übernommen wurden („Gesetz Nr. 10“)44 Das Gesetz Nr. 10/2001 war notwendig, weil das vorherige Gesetz Nr. 112 die Frage der vom Staat missbräuchlich übernommenen Immobilien nicht vollständig klärte und zudem sogar zu mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen in Bezug auf das Privateigentum führte. Während in der Zeit des Inkraftseins des Gesetzes Nr. 112 mehrere normative Akten45 verabschiedet wurden, die den ehemaligen Eigentümern die Möglichkeit einer Rückerstattung ihrer Immobilien sogar mehr begrenzten, wurde durch das Gesetz Nr. 10 die Regel der Rückerstattung der Immobilien in natura ausdrücklich festgesetzt, ungeachtet der Art und Weise, in welcher diese in das Eigentum des Staates übergegangen waren. Artikel 1 des Gesetzes schreibt vor, dass die im Zeitraum vom 6. März 1945 bis 22. Dezember 1989 missbräuchlich vom Staat übernommenen Immobilien in natura zurückzuerstatten sind. Das Gesetz ordnet weiter ausdrücklich an, dass missbräuchlich übernommene Immobilien nicht nur diejenigen sind, die vom Staat aufgrund der zum betreffenden Zeitpunkt gültigen Gesetzgebung in Bezug auf Verstaatlichung, Beschlagnahme und Enteignung übernommen wurden, sondern auch diejenigen Immobilien, die vom Staat außerhalb des gesetzlichen Rahmens oder durch die Nichteinhaltung des gesetzlichen Rahmens übernommen wurden46. Zusammen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 wurde als weiterer wichtiger Schritt eine viel strengere Regelung der Art und Weise, in welcher der rumänische Staat Entschädigung für die nicht zurückerstatteten Immobilien bezahlen soll, eingeführt. ___________ 44
Das Gesetz Nr. 10/2001 in seiner ursprünglichen Form wurde im Amtsblatt Rumäniens Nr. 75/14. Februar 2001 veröffentlicht. Nachhaltig wurde das Gesetz im Amtsblatt Rumäniens Nr. 279/4. April 2005 und Nr. 798/2. September 2005, in welchen alle eingetretenen Änderungen eingeschlossen sind, veröffentlicht. 45 Regierungsbeschlüsse Nr. 20/1996 und Nr. 11/1997. 46 Gemäß Artikel 2 des Gesetzes Nr. 10/2001.
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In diesem Sinne schreibt das Gesetz vor, dass Äquivalententschädigungen „aus Kompensation mit anderen vom Benutzer47 als Äquivalent angebotenen Gütern oder Dienstleistungen, mit Zustimmung der berechtigten Person, aus Abtretung von Aktien an Handelsgesellschaften, die auf dem Kapitalmarkt verhandelt sind, aus Nominalwert-Titeln, die ausschließlich im Privatisierungsverfahren benutzt werden oder aus Entschädigungen in bar“ bestehen.48 Zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Bestimmung bezüglich der Äquivalententschädigung durch das Gesetz 247/200549 in dem Sinne geändert, dass diese aus „anderen Gütern oder Dienstleistungen bestehen, welche von der gemäß diesem Gesetz für die Lösung der Notifizierung bevollmächtigten Entität angeboten sind, mit Zustimmung der berechtigten Person oder aus Entschädigungen, gewährt in den Bedingungen der speziellen Bestimmungen bezüglich des Regimes für die Festsetzung und Zahlung von Entschädigungen für die missbräuchlich übernommenen Immobilien“. Gleichzeitig schreibt Gesetz Nr. 10 vor, dass der Wert der Äquivalententschädigung im Verhältnis zum Marktwert der Immobilien, die den berechtigten Personen gehört haben, festgesetzt wird. Weil vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 es in der gerichtlichen Praxis Auseinandersetzungen in Bezug auf die Zulässigkeit von Forderungen auf Rückerstattung in natura der missbräuchlich übernommenen Immobilien gab, versuchte das Gesetz Nr. 10 auch diese Frage zu lösen. In diesem Sinne wurde ausdrücklich vorgesehen, dass, um ihre Immobilien zurückzuerhalten, die berechtigten Personen entweder ihre Klagen gestützt auf Vorschriften des rumänischen BGB fortführen oder die Aufhebung des Rechtsstreites beantragen und dem speziellen Verfahren des Gesetzes Nr. 10 folgen. Wie oben schon erwähnt, sind im Bereich des Gesetzes Nr. 10 alle vom Staat missbräuchlich übernommenen Immobilien eingeschlossen, ungeachtet ihrer Bestimmung und der Art und Weise ihrer Übernahme in das Eigentum des Staates. Gemäß diesem Gesetz sind die Personen, die auf Rückerstattung in natura berechtigt sind, die folgenden: natürliche Personen, die zum Zeitpunkt der missbräuchlichen Übernahme Eigentümer der Immobilien waren, natürliche Personen, die Gesellschafter in der juristischen Person waren, welche zum Zeitpunkt der missbräuchlichen Übernahme die Immobilien und andere Aktiva in Besitz hatte, ___________ 47 Auf Rumänisch: „detinator“ (Inhaber); um Konfusionen zu vermeiden, ziehen wir es vor, den Begriff „Benutzer“ zu verwenden. 48 Artikel 1 § 2 des Gesetzes Nr. 10/2001 in seiner ursprünglichen Version. 49 Betreffend die Reform im Eigentums- und Justizwesen sowie auch anderer angrenzender Maßnahmen.
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juristische Personen, die Eigentümer jener Immobilien waren, die nach dem 6. März 1945 vom Staat, von Genossenschaften oder anderen juristischen Personen missbräuchlich übernommen wurden; es wird aber die Bedingung gestellt, dass die betreffende juristische Person ihre Tätigkeit bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 10 fortgesetzt haben soll. In Hinsicht auf die juristische Person, deren Tätigkeit im Zeitraum 6. März 1945 bis 22. Dezember 1989 verboten wurde, wird gefordert, dass diese ihre Tätigkeit nach dem 22. Dezember 1989 fortgesetzt hatte und dass mittels Gerichtsbeschluss festgestellt wurde, dass diese dieselbe juristische Person ist, die aufgelöst oder verboten wurde; politische Parteien, deren Tätigkeit im Zeitraum 6. März 1945 bis 22. Dezember 1989 verboten oder unterbrochen wurde, wenn diese ihre Tätigkeit gemäß Gesetz wieder aufgenommen haben. Die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 sind gleichermaßen für die Erben der o. g. natürlichen Personen anwendbar. Anders als die vorherige Gesetzgebung es tat, hat Gesetz Nr. 10 die Kategorie der berechtigten Personen nicht ausschließlich auf rumänische Staatsbürger begrenzt. Auf der anderen Seite schrieb zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Verfassung Rumäniens vor, dass ausländische Bürger und Staatenlose in Rumänien befindliche Grundstücke nicht als Eigentum erwerben dürfen.50 Folglich konnten ehemalige Eigentümer oder deren Nachfolger, die am Veröffentlichungsdatum des Gesetzes Nr. 10 keine rumänische Staatsangehörigkeit mehr hatten, das Eigentumsrecht nur über das zurückzuerstattende Gebäude erhalten, während über das dazugehörende Grundstück ihnen lediglich ein Nutzungsrecht gewährt wurde. Bezüglich unbebauter Grundstücke, auch wenn rechtswidrig vom Staat übernommen, konnten ausländische Staatsbürger kein Rückerstattungsrecht geltend machen. Im Jahre 2003 wurde die Verfassung Rumäniens revidiert und neu veröffentlicht; diese revidierte Verfassung erlaubt ausländischen Staatsbürgern und Staatenlosen Grundstücke zu erwerben, aber nur mittels gesetzlicher Erbschaft51. Von den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 wurden diejenigen Immobilien ausgenommen, welche Gegenstand des Gesetzes Nr. 18 waren, und die Immobilien, welche den religiösen Kulten und Gemeinschaften der nationalen Minderheiten gehörten und wofür es eine spezielle Gesetzgebung gibt, die weiter unten angesprochen wird. Auch sind die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10
___________ 50 51
Gemäß Artikel 41 der Verfassung Rumäniens. Gemäß Artikel 44 der neu veröffentlichen Verfassung Rumäniens.
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für diejenigen Personen, die Entschädigungen gemäß von Rumänien abgeschlossenen internationalen Abkommen erhalten haben, nicht anwendbar. Anders als das Gesetz Nr. 112, das ehemaligen Eigentümern oder deren Nachfolgern die Rückerstattung in natura nur in Bezug auf die Wohnungen, in welchen diese wohnten oder die frei waren, ermöglichte, begrenzte das Gesetz Nr. 10 die Kategorie der Immobilien, wofür Äquivalententschädigungen gewährt werden. So wurde die Rückerstattung in natura aller verstaatlichten Immobilien die Regel, während die Ausnahmefälle, in welchen Äquivalententschädigung gewährt wird, ausdrücklich und begrenzt vorgeschrieben wurden: der Fall, in welchem die berechtigte Person Gesellschafter der juristischen Person war, die Eigentümerin der Immobilien und der Aktiva zum Zeitpunkt der Übernahme war, ausgenommen Personen, die alleinige Gesellschafter waren; der Fall von Immobilien, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes nicht mehr bestanden, ausgenommen Immobilien, die infolge eines natürlichen Unglücks zerstört wurden; der Fall, in welchem eine Immobilie so weit verändert wurde, dass diese im Vergleich zu der übernommenen Immobilie eine neue Immobilie wurde, wenn die am Rückerstattungsverfahren beteiligten Parteien nicht anders entscheiden; der Fall der Wohnung, die an den ehemaligen Mieter unter Einhaltung der Bestimmungen des Gesetzes Nr. 11252 veräußert wurde. In Anbetracht der Lage, die durch die Anwendung des Gesetzes Nr. 112 geschaffen wurde, versuchte das Gesetz Nr. 10 die Streitigkeiten zwischen den ehemaligen Mietern, die Wohnungen in missbräuchlich vom Staat übernommenen Immobilien gekauft hatten, und den ehemaligen Eigentümern, die die Rückerstattung in natura derselben forderten, zu lösen. Im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 112 und des Gesetzes Nr. 1053 wurden viele Kaufverträge zwischen den Mietern und dem Staat ___________ 52 Gemäß Artikel 16 § 4 des Gesetzes Nr. 10/2001, in seiner ursprünglichen Version, mussten Äquivalententschädigungen auch für Immobilien gewährt werden, die von staatlichen Unterrichtseinheiten, Gesundheitseinheiten, sozialen, kulturellen oder öffentlichen Anstalten, Sitzen der gesetzlich eingetragenen politischen Parteien, diplomatischen Vertretungen, Konsulaten, Vertretungen der in Rumänien akkreditierten internationalen Organisationen sowie auch von dem Personal der o.e. Kategorien besetzt und welche für die Fortsetzung der Tätigkeiten für das öffentliche, soziale, kulturelle oder allgemeine Interesse notwendig waren. Solche Immobilien konnten den ehemaligen Eigentümern in natura nur dann zurückerstattet werden, wenn diese vom Staat ohne einen gültigen Titel übernommen wurden. 53 Januar 1996 – Februar 2001.
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abgeschlossen, deren Gegenstand missbräuchlich übernommene Immobilien waren. In Bezug auf diese Verträge regelte das Gesetz Nr. 10 ein juristisches Verfahren, durch das die ehemaligen Eigentümer vor dem Gericht auf die absolute Nichtigkeit dieser Kaufverträge klagen und unter Berücksichtigung des vom Gesetz Nr. 10 vorgesehenen Verfahrens auch die Rückerstattung der Immobilien in natura beantragen konnten. Um die Stabilität und die Sicherheit des privatrechtlichen Verkehrs zu wahren, schrieb aber das Gesetz Nr. 10 für das Recht auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit eine Verjährungsfrist von einem Jahr ab Datum des Inkrafttretens des Gesetzes vor.54 Auf der anderen Seite bestätigte das Gesetz Nr. 10 die Gültigkeit jener Kaufverträge, durch die die Mieter missbräuchlich übernommene Wohnungen gekauft hatten, unter der Bedingung, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses alle damals anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden. Durch das Gesetz Nr. 10 wurde ein Verwaltungsverfahren bestimmt, wodurch die vom Staat missbräuchlich übernommenen Immobilien in natura zurückzuerstatten sind, oder ein Äquivalent zu stellen ist. Berechtigte Personen, die die Rückerstattung wünschten, mussten, innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist55 einen Antrag in diesem Sinne (eine „Notifizierung“, laut Wortlaut des Gesetzes) an die Person stellen, die die Immobilie nutzte56. Die beweisenden Unterlagen zur Eigenschaft des Antragsstellers müssen innerhalb einer vom Gesetz festgelegten Frist eingereicht werden57. Der Benutzer ist verpflichtet, sich zur Notifizierung binnen 60 Tagen ab dem Datum der Einreichung der Notifizierung oder, je nach Fall, der beweisenden Unterlagen zu äußern.
___________ 54 Diese Bestimmung gilt abweichend von der allgemeinen Regel, nach welcher die Forderung für die Feststellung der absoluten Nichtigkeit unverjährbar ist. 55 Die Frist für die Einreichung der Notifizierungen betrug am Anfang 6 Monate ab Datum des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 10; später wurde durch die Dringlichen Ordonanzen der Regierung Nr. 109/2001 und Nr. 145/2001 die Frist bis zu einem Jahr verlängert. 56 Beziehungsweise die lokalen Verwaltungsbehörden, Gesellschaften mit Staatskapital usw. Laut Wortlaut des Gesetzes, sind diese „die inhabende Einheit“ (auf Rumänisch „unitate detinatoare“; um Konfusionen zu vermeiden, wird weiter unten dafür der Begriff „der Benutzer“ verwendet. 57 In der ursprünglichen Version des Gesetzes betrug diese Frist 18 Monate ab Datum des Inkrafttretens des Gesetzes. Später wurde diese Frist durch eine Reihe von aufeinanderfolgenden normativen Akten verlängert. Gegenwärtig erlaubt das Gesetz Nr. 247/2005 den berechtigten Personen die Möglichkeit, nachweisende Unterlagen „bis zum Zeitpunkt der Lösung der Notifizierung“ einzureichen.
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e) Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 94/2000 für die Wiederabtretung einiger Immobilien, die den religiösen Kulten aus Rumänien gehörten („Ordonanz Nr. 94“)58 In ihrer ursprünglichen Version enthielt die Ordonanz Nr. 94 folgende Bestimmungen in Bezug auf die Wiederabtretung dieser Immobilien: Die Benefizianten der Wiederabtretung waren die religiösen Einrichtungen in Rumänien, welche in ihrem Besitz Immobilien hatten, die vom rumänischen Staat missbräuchlich, mit oder ohne Titel, übernommen wurden, und die aus Bauten mitsamt zugehörendem Grundstück bestanden, die physisch vorhanden und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Ordonanz vom Staat oder von den Einheiten der territorialen Verwaltung benutzt wurden.59 Mit „Immobilien“ waren alle Bauten gemeint, mitsamt Nebengebäuden und dazugehörenden Grundstücken, ungeachtet des Benutzungszwecks, wie auch die beweglichen Güter, die durch Einverleibung mit diesen Bauten zu unbeweglichen Gütern geworden sind. Die Zahl der wieder abgetretenen Immobilien durfte nicht größer als zehn für jedes Eparchie- oder Kultzentrum sein. Die Anträge auf Wiederabtretung mussten aufgrund von Unterlagen und anderer Beweismittel gestellt werden, wodurch die Eigenschaft des Antragsstellers als ehemaliger Eigentümer festgestellt werden konnte. Für Immobilien, die als Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, Anstellungszentren oder Altersheime benutzt wurden, waren die neuen Eigentümer verpflichtet, mit den ehemaligen Benutzern Mietverträge auf drei Jahre abzuschließen. Infolge der Verhandlungen zwischen den religiösen Einrichtungen und den politischen Parteien wurde das Gesetz Nr. 501/2002 zur Genehmigung der Ordonanz Nr. 94 verabschiedet, welches mehrere Änderungen des Wiederabtretungsregimes für diese Immobilien enthält: Es wurde eine Frist für das Einreichen der Wiederabtretungsanträge festgesetzt60; ___________ 58
Ursprünglich im Amtsblatt Rumäniens Nr. 308/4. Juli 2000 veröffentlicht; neu veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 797/ 1. September 2005. 59 Andere als Kulthäuser. 60 Gemäß Artikel 1(5), der durch Gesetz 501/2002 eingeführt wurde, war die Frist für die Einreichung der Wiederabtretungsforderungen von 6 Monaten ab Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes.
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die Begrenzung betreffend die Zahl der Immobilien, die einem Eparchieoder einem Kultzentrum wieder abgetreten sein konnte, wurde beseitigt; es wurde die Möglichkeit vorgesehen, dass die Wiederabtretung auch einige bewegliche Güter betraf, die für das Funktionieren des Kultes notwendig waren, wenn diese zusammen mit der Immobilie übernommen wurden und wenn diese zum Zeitpunkt der Wiederabtretung der Immobilie noch vorhanden waren. Im Jahre 2005 wurden durch Gesetz Nr. 247/2005 folgende Änderungen vorgenommen: Das juristische Regime der Immobilien, die als Kulthäuser dienten, sollte durch ein spezielles Gesetz geregelt werden; im Fall, dass das Grundstück zum Teil bebaut war, konnte die berechtigte Person die Wiederabtretung in natura des freien Teils des Grundstücks erhalten, während für den Teil, der von neuen Bauten besetzt war, eine Äquivalententschädigung festzusetzen war. Grundstücke, auf welchen leichte oder demontierbare Konstruktionen errichtet wurden, waren in natura abzutreten; für die Festsetzung der Äquivalententschädigung wurde gemäß internationalem Bewertungsstandard das Verhältnis zum Marktwert der Immobilie zum Zeitpunkt des Beschlusses für die Wiederabtretung entscheidend; die Frist für die Einreichung der Anträge auf Wiederabtretung der Immobilien war sechs Monate ab Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes 247/200561.
f) Andere Entschädigungsgesetze Außer den oben aufgeführten normativen Akten wurden auch andere Vorschriften verabschiedet, aufgrund deren Entschädigungen für enteignete Personen gewährt wurden, mitunter auch die folgenden: Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 190/2000 betreffend das Regime der Edelmetalle. Aufgrund dieser Ordonanz können natürliche und juristische Personen, deren Gegenstände aus Edelmetallen, EdelmetallLegierungen und Edelsteinen nach 1946 bis 1990 missbräuchlich übernommen wurden, die Rückerstattung solcher Gegenstände beim Gericht des Wohnsitzes des Klägers, aber nicht später als am 31. Dezember
___________ 61
Der letzte Termin für die Einreichung solcher Anträge war der 25. Januar 2006.
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200662, beantragen. Für diejenigen Gegenstände, die physisch nicht mehr vorhanden sind (wurden z. B. geschmolzen oder verwertet), ist eine Entschädigung zu zahlen. Gesetz 182/2000 für den Schutz des nationalen beweglichen kulturellen Vermögens. Artikel 80 dieses Gesetzes 182 schreibt vor: „(1) Die beweglichen kulturellen Güter, die einigen öffentlichen Institutionen nach dem 31. Dezember 1947 zur Aufbewahrung übermittelt wurden, werden von den Institutionen, bei denen sich diese befinden, denjenigen natürlichen oder juristischen Personen, die diese zur Aufbewahrung gegeben haben, zurückerstattet, gemäß Gemeinrecht, aufgrund schriftlichen Antrags der Letzteren, mit Genehmigung der nationalen Kommission für Museen und Sammlungen. (2) Die von den Staatsbehörden vor dem 6. September 1940 übernommenen beweglichen kulturellen Güter können nicht zurückgefordert werden; die von den Staatsbehörden nach den 6. September 1940 übernommenen beweglichen kulturellen Güter können von den rechtlichen Eigentümern zurückgefordert werden und werden diesen von den Institutionen, bei welchen sich diese befinden, aufgrund eines endgültigen gerichtlichen Beschlusses, zurückerstattet. Die gerichtlichen Anträge auf Zurückforderung sind von gerichtlichen Stempeltaxen befreit. Die Institutionen, die Archive bezüglich der beweglichen kulturellen Güter führen, sind verpflichtet, den Zugang an Unterlagen, die die Herkunft und die Übernahme der Güter betreffen, zu gewähren. (3) Klassierte bewegliche kulturelle Güter, die Gegenstand der Forderung gemäß den Bedingungen des Paragrafen (2) darstellen, können den rechtlichen Eigentümern nur nach schriftlicher Gewährleistung seitens der letzteren in Hinsicht auf die Einhaltung der Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes, übermittelt werden.”
Das Gesetz 9/1998 für die Gewährung von Entschädigungen für rumänische Bürger für die Güter, die in das Eigentum des bulgarischen Staates übergegangen sind infolge der Anwendung des Vertrages zwischen Rumänien und Bulgarien, unterzeichnet in Craiova am 7. September 1940. Das Gesetz 290/2003 für die Gewährung von Entschädigungen oder Kompensationen für rumänische Bürger für deren Güter, die infolge des Kriegszustands und der Anwendung des Friedensvertrages zwischen Rumänien und den Alliierten Kräften, unterzeichnet in Paris am 10. Februar 1947, in Bessarabien, Nord-Bukowina und Hertza-Gebiet beschlagnahmt, erhalten oder geblieben sind.
___________ 62
Traditionell waren Angehörende der Rroma-Ethnie diejenigen, die ihre Ersparnisse in den Erwerb von Edelmetallen, insbesondere Gold, investierten. Folglich sind diese diejenigen, die größtenteils von den Bestimmungen der Ordonanz 190/2000 begünstigt wurden.
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2. Spezifische Gesetzgebung in Bezug auf die Entschädigung der Gemeinschaften der nationalen Minderheiten Obwohl vor dem Jahr 1989 auch die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten ihrerseits von ihren Gütern enteignet wurden, wurden spezifische Entschädigungsnormen erst beginnend mit dem Jahr 1997 verabschiedet:
a) Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 21/1997 für die Rückerstattung einiger Immobilien, die den jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien gehört haben („Ordonanz Nr. 21“).63 Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 13/1998 für die Rückerstattung einiger Immobilien, die den Bürgergemeinschaften der nationalen Minderheiten aus Rumänien gehört haben („Ordonanz Nr. 13“).64 Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 112/1998 für die Rückerstattung einiger Immobilien, die den Gemeinschaften (Organisationen, religiose Kulten) der nationalen Minderheiten aus Rumänien gehört haben („Ordonanz Nr. 112“).65 Die Ordonanz Nr. 21 war die erste normative Akte, wodurch Besitztümer, die einer Gemeinschaft der nationalen Minderheiten gehört haben, zurückerstattet wurden. Aufgrund dieser wurden der jüdischen Gemeinschaft sechs Immobilien zurückerstattet, die vom rumänischen Staat nach 1940 beschlagnahmt wurden und die im Anhang zu dieser Ordonanz aufgeführt sind. Begünstigte dieser Rückerstattungen war eine Stiftung, die von der Federation der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien und der Jüdischen Weltorganisation für die Rückerstattung von Gütern gemäß den Bestimmungen dieser Ordonanz gegründet wurde.66 Auf Basis derselben Ordonanz wurde eine spezielle Kommis___________ 63 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 92/21. Mai 1997, genehmigt durch das Gesetz Nr. 140/1997, das im Amtsblatt Rumäniens Nr. 172/ 28. Juli 1997 veröffentlicht wurde, und abgeändert durch die Ordonanz der Regierung Nr. 111/1998, die im Amtsblatt Rumäniens Nr. 324/ 29.August 1998 veröffentlicht wurde. 64 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 255/ 8. Juli 1998. 65 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 324/ 29. August 1998. 66 Die Stiftung, die die Immobilien zurückerhalten hat, musste hauptsächlich folgende Zwecke erfüllen: die Unterstützung und der soziale Schutz für die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien; die Bewahrung, Entwicklung und Äußerung der kulturellen Identität der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien; die Darstellung der alten und der zeitgenössischen Geschichte des jüdischen Volkes, unter spezieller Berücksichtigung der Geschichte der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien; die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit;
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sion67 gegründet, die die Existenz des Eigentumsrechts der jüdischen Gemeinschaft über die im Anhang aufgeführten Immobilien überprüfen und die für die Rückerstattung notwendigen Maßnahmen treffen sollte. Diese Kommission konnte auch Anträge auf Rückerstattung anderer Immobilien überprüfen, die dieser Gemeinschaft gehört hatten, und, falls diese begründet waren, der Regierung eine Liste mit den betreffenden Immobilien vorlegen. Im Fall eines Beschlusses auf Rückerstattung fand die Übergabe auf Basis eines Protokolls statt, abgeschlossen zwischen der Stiftung und den damaligen Benutzern der betreffenden Immobilien. Die Ordonanz Nr. 13 hat auch anderen Gemeinschaften der nationalen Minderheiten gleiche Rechte wie die, die vorher der jüdischen Gemeinschaft aufgrund Ordonanz Nr. 21 gewährt wurden, anerkannt. Auf gleiche Weise wie in der Ordonanz Nr. 21 wurden durch diese Ordonanz bestimmte Immobilien (aufgeführt im Anhang der Ordonanz) zurückerstattet, die nach 1940 den Bürgergemeinschaften der nationalen Minderheiten beschlagnahmt wurden. Für die Anwendung der Ordonanz Nr. 13 wurde wiederum eine Kommission gegründet, die aus Vertretern der Regierung und Vertretern der zur Rückerstattung berechtigten Gemeinschaften bestand. Die Aufgabe dieser Kommission war zu überprüfen, ob die gesetzlichen Bedingungen für die Rückerstattung der aufgeführten Immobilien erfüllt waren bzw. ob diese Immobilien den Gemeinschaften der nationalen Minderheiten gehört haben und vom rumänischen Staat nach 1940 missbräuchlich übernommen wurden. Die Kommission sollte die juristischen Personen bestimmen, die berechtigt waren, die Gemeinschaften der Minderheiten zu vertreten und in das Eigentum welcher die zurückerstatteten Immobilien68 übertragen werden sollten. Die Übertragung des Eigentums erfolgte durch die Unterzeichnung eines Übergabe-Protokolls, ausgearbeitet von der Kommission und unterzeichnet von den Benutzern der Immobilien und den an der Rückerstattung berechtigten Personen. Diese Kommission konnte auch Anträge auf Rückerstattung anderer Immobilien überprüfen, die den Gemeinschaften gehört hatten, und, falls diese begründet waren, diese der Regierung zur Analyse vorlegen. Die Begünstigten dieser Ordonanz waren die deutschen, ungarischen, armenischen, serbischen, griechischen, türkischen und bulgari-
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die Bewahrung und Entwicklung der Verbindungen zwischen den rumänischen Bürgern und anderen Staatsbürgern. 67 Diese spezielle Kommission bestand aus Vertretern der Regierung und der Föderation der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien. 68 Die Ordonanz Nr. 13 sieht vor, dass Immobilien den Personen, von denen diese übernommen wurden, oder deren Nachfolgern zurückerstattet werden und dass die Kommission die Nachfolger der Gemeinschaften festsetzen wird, die das Eigentumsrecht über die zurückgeforderten Immobilien wiedererwerben.
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schen Minderheiten, die auf dieser Weise das Eigentum über 34 Immobilien wieder erwerben konnten.69 Aufgrund der Ordonanz Nr. 112 wurden den Gemeinschaften der nationalen Minderheiten weitere acht Immobilien zurückerstattet.
b) Dringliche Ordonanz der Regierung Nr. 83/1999 für die Rückerstattung einiger Immobilien, die den Bürgergemeinschaften der nationalen Minderheiten aus Rumänien gehört haben („Ordonanz Nr. 83“)70 In der ursprünglichen Version der Ordonanz Nr. 83/1999 gab es nach dem Vorbild der oben beschriebenen rechtlichen Normen bezüglich der nationalen Minderheiten einen Anhang, in welchem Immobilien aufgeführt wurden, die den juristischen Personen, die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten vertraten, oder deren Nachfolgern zurückerstattet werden sollten. Zur Umsetzung sah die Ordonanz Nr. 83 die Gründung einer aus drei Mitgliedern71 bestehenden Kommission vor. Die Kommission hatte die Aufgabe zu überprüfen, ob die im Anhang zur Ordonanz aufgeführten Immobilien die gesetzlichen Bedingungen für deren Rückerstattung erfüllten, nämlich ob diese den Gemeinschaften der nationalen Minderheiten gehörten und nach 1940 mittels Zwangsmaßnahmen, Beschlagnahme, Verstaatlichung oder betrügerische Machenschaften in Staatseigentum übergingen. Die Kommission sollte die von den Antragsstellern eingereichte Dokumentation analysieren und die juristische Person bestimmen, die zur Rückerstattung der Immobilien berechtigt war. Die Kommission konnte auch Anträge für die Rückerstattung anderer Immobilien gleicher Kategorie überprüfen. Auf Vorschlag der Kommission war die Regierung berechtigt, den Anhang mit den zurückzuerstattenden Immobilien zu ergänzen. Die Personen, denen Immobilien zurückerstattet wurden, waren verpflichtet, mit den Benutzern der Immobilien ein Übergabeprotokoll abzuschließen. Das Protokoll musste die Rechte eventueller Mieter dieser Immobilien, wie auch die Verpflichtung der neuen Eigentümer, die Bestimmung der zurückerstatteten Immobilien nur nach Ablauf einer bestimmten Frist zu ändern, festlegen.72 ___________ 69
So wie es aus dem Anhang der Ordonanz Nr. 13 hervorgeht. Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 266/10. Juni 1999. 71 Die Kommission besteht aus drei Mitgliedern: Ein Vertreter des Justizministeriums, ein Vertreter seitens der Abteilung für den Schutz der nationalen Minderheiten und ein Vertreter seitens der Organisation der betreffenden nationalen Minderheit, dessen Antrag analysiert wird. 72 Diese Frist wurde von den berechtigten Personen im Einverständnis mit den Ministerien, die die zurückzuerstattenden Immobilien verwalteten, festgelegt. 70
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Die Ordonanz Nr. 83 wurde durch das Gesetz Nr. 66/200473 („Gesetz Nr. 66”) genehmigt, durch das auch einige Änderungen vorgenommen wurden: Der Anwendungsbereich der Ordonanz Nr. 83 wurde erweitert und einige der in der Ordonanz verwendeten Begriffe wurden klargestellt. Es wurde vorgesehen, dass Immobilien zurückerstattet werden, die missbräuchlich, mit oder ohne gültigen Titel, übernommen wurden, unter der Bedingung, dass diese zum Zeitpunkt der Rückerstattung noch vorhanden und innerörtlich gelegen sind. Die Immobilien, die Gegenstand der Ordonanz Nr. 83 darstellten, waren Bauten mitsamt deren Nebengebäuden und Grundstücken, ungeachtet deren Bestimmung zum Zeitpunkt der Übernahme. Es wurde also die Möglichkeit der Rückerstattung der Kulthäuser geschaffen. Die Rückerstattung erfolgte nicht nur, wenn Immobilien vom Staat übernommen wurden, sondern auch von Genossenschaften oder anderen juristischen Personen. Die durch Einverleibung unbeweglich gewordenen Güter sowie die Verbesserungen der zurückerstatteten Immobilien sollten von den Begünstigten zu deren gegenwärtigem Wert bezahlt werden. Der Begriff „Gemeinschaft der nationalen Minderheiten“ wurde definiert als diejenige juristische Entität privaten Rechts, gegründet gemäß rumänischem Gesetz, die die Interessen einer Gemeinschaft der nationalen Minderheiten vertritt und die missbräuchlich übernommene Immobilien in ihrem Besitz hatte. Um die Rückerstattung zu erlangen, musste diese Entität beweisen, dass sie die anerkannte Fortsetzerin der juristischen Person war, von der die Güter übernommen wurden. Die Anerkennung einer solchen Fortsetzung erfolgte durch das Gericht, welches die Gründung der zur Rückerstattung berechtigten juristischen Person genehmigt hatte. Zum Zweck dieser Anerkennung musste bewiesen werden, dass entweder die Tätigkeit der juristischen Person bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes fortgesetzt wurde oder dass diese Tätigkeit im Zeitraum 1945 bis 1989 verboten oder unterbrochen und nach 1989 wieder aufgenommen wurde. Die bedeutendste Bedingung war, dass mittels gerichtlichen Beschlusses festgestellt werden sollte, dass die neu gegründete juristische Person die gleiche juristische Person war, die aufgelöst oder verboten wurde. Die Zuständigkeit der Kommission für die Lösung der Rückerstattungsanträge wurde festgesetzt. ___________ 73
Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 278/30. März 2004.
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Die Frist für die Einreichung der Anträge für die Rückerstattung wurde auf sechs Monate ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 66 festgesetzt.74 Es wurde die Weise geregelt, in welcher die Anträge auf Rückerstattung beschieden werden sollten in Bezug auf diejenigen Immobilien, die für Tätigkeiten von öffentlichem Interesse im Unterrichts-, Forschungs- oder Gesundheitswesen für das Funktionieren einiger sozialer oder kultureller Institutionen oder für Sitze der politischen Parteien oder der diplomatischen Vertretungen, Konsularämter und Vertretungen von internationalen wirtschaftlichen Organisationen in Rumänien bestimmt waren. Im Falle solcher Immobilien hatte der Antragsteller die Option zwischen Folgenden: x
Entweder lediglich das Eigentumsrecht zu erlangen, ohne Nutznießung, mit der Pflicht, die spezielle Bestimmung der Immobilie für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ab Datum des Rückerstattungsbeschlusses zu bewahren; im genannten Zeitraum war der Antragsteller von der Zahlung der Eigentumssteuer befreit und berechtigt, eine mittels Regierungsbeschluss bestimmte Miete zu erhalten, oder
x
eine Äquivalententschädigung gemäß Gesetz Nr. 10 zu erhalten.
Für die Begründung ihrer Beschlüsse kann die Kommission von den Ministerien, Präfekturen, Rathäusern, Katasterdiensten und Grundbuchämtern sowie den anderen öffentlichen Institutionen fordern, ihr Auskünfte zur juristischen Lage der beantragten Immobilien zu geben. Die Ordonanz Nr. 83 wurde durch das Gesetz 247/2005 erneut geändert und wiederveröffentlicht.75 Das Gesetz 247/2005 verlängerte die Frist für die Einreichung der Rückerstattungsanträge, indem es vorsah, dass diese binnen sechs Monaten ab Datum des Inkrafttretens des Gesetzes 274/2005 eingereicht werden sollten.76 Mit dem gleichen Gesetz wurde auch der Anwendungsbereich der Ordonanz Nr. 83 erweitert, indem in die Kategorie der zurückzuerstattenden Immobilien auch die Grundstücke, ohne Bauten, eingeschlossen wurden, die zum Zeitpunkt der widerrechtlichen Übernahme innerörtlich gelegen waren und bis zum Datum des Inkrafttretens des Gesetzes nicht rückerstattet wurden. Das Gesetz änderte auch die Weise, in welcher Anträge bezüglich Immobilien, die für Tätigkeiten von öffentlichem Interesse im Unterrichts- oder Gesundheitswesen bestimmt und die vom Staatshaushalt finanziert oder mitfinanziert waren, beschieden werden sollten. In diesem Sinne wurde vorgesehen, dass ___________ 74 75 76
Bis zum 2. Oktober 2004. Im Amtsblatt Rumäniens Nr. 797/ 1. September 2005. Das Gesetz 247/2005 ist am 26. Juli 2005 in Kraft getreten.
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auch Immobilien, die für das Funktionieren einiger sozial-kultureller Einrichtungen, für Sitze von gesetzlich eingetragenen politischen Parteien, diplomatischen Vertretungen und Konsularämtern bestimmt waren, zurückerstattet werden sollten; in diesem Fall waren die berechtigten Personen verpflichtet, die Bestimmung dieser Immobilien für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren zu bewahren. Für die Anwendung der Ordonanz Nr. 83 wurden zwei Regierungsbeschlüsse verabschiedet, wodurch methodologische Normen vorgeschrieben wurden: der Regierungsbeschluss Nr. 269/31.03.200577 und der Regierungsbeschluss Nr. 1093/15.09.200578. Die methodologischen Normen in ihrer gegenwärtigen Version beinhalten Erklärungen zu einigen Bestimmungen der Ordonanz Nr. 83: Die vom Staat missbräuchlich übernommenen Immobilien sind definiert als: x
Immobilien, die den Gemeinschaften der Bürger der nationalen Minderheiten gehört hatten und aufgrund oder infolge einiger in der Zeitspanne 1940 bis 1989 verabschiedeten Verwaltungs- oder Gesetzesnormen übernommen wurden, falls dafür keine gerechten und angemessenen Entschädigungen gewährt wurden;
x
Immobilien, die den Gemeinschaften der Minderheiten gehörten und die in der Zeitspanne 1940 bis 1989 ohne gültigen Titel, ohne Einhaltung der gesetzlichen, damals anwendbaren Vorschriften, übernommen wurden als auch diejenigen, die ohne jegliche rechtliche Basis mittels Verfügungsakten der lokalen Staatsverwaltung oder Staatsgewalt übernommen wurden.
Vom Anwendungsbereich der Ordonanz Nr. 83 sind Grundstücke ausgeschlossen, die außerhalb der Ortschaften gelegen sind, wie auch diejenigen, die Gegenstand anderer Entschädigungsgesetze sind. Es wird erklärt, was unter „beweisende Unterlagen zu den geforderten Rechten“ zu verstehen ist.79 ___________ 77 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 312/13.April 2000, gegenwärtig außer Kraft. 78 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 926/17. Oktober 2005. 79 Unterlagen, die das Eigentumsrecht des Antragstellers beweisen; juristische Akten oder Erklärungen, aus denen hervorgeht, dass die Übernahme einen missbräuchlichen Charakter hatte, mit oder ohne Titel; Unterlagen, die die Voraussetzung der Existenz des Eigentumsrechts des Antragstellers zum Zeitpunkt der Übernahme begründen; Unterlagen, die die Eigenschaft des Antragsstellers als Benefiziant der Rückerstattung beweisen; die Gründungsakte und die Satzung der juristischen Person; Beweise, dass
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Gemäß den methodologischen Normen hat die Kommission die Möglichkeit zu verfügen, dass Historiker und/oder Juristen Berichte und Auskünfte bezüglich der historischen und juristischen Entwicklung der Lage der geforderten Immobilien ausarbeiten bzw. geben. Zugleich kann die Kommission Experten, die notwendige Auskünfte geben können, vernehmen sowie Spezialisten an den Standorten der Immobilien für die Ausstellung von Feststellungsprotokollen entsenden; die erwähnte Dokumentation kann als Beweismittel des Eigentumsrechts dienen. Die Kommission ist verpflichtet, den Rückerstattungsantrag mittels begründeten Beschlusses innerhalb einer Frist von 60 Tagen ab dem Zeitpunkt der Einreichung mitsamt allen notwendigen nachweisenden Unterlagen zu bescheiden. Es ist aber vorgesehen, dass diese Lösung nur nach Ablauf der gesetzlich festgesetzten Frist für die Einreichung aller Rückerstattungsanträge stattfinden wird80, falls es mehrere Antragsteller gibt, die angeben, Vertreter derselben Gemeinschaft der nationalen Minderheit zu sein, die die Immobilie in Besitz hatte. Es wird vorgesehen, dass die von der Kommission verabschiedeten Beschlüsse beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht81 innerhalb von 30 Tagen ab Beschlussmitteilung angefochten werden können. Das gerichtliche Urteil kann wiederum angefochten werden.82 Es wird ausdrücklich erwähnt, dass für Immobilien, die nicht zurückerstattet werden können83, gemäß Gesetz Nr. 247/2005 ÄquivalentEntschädigungen gewährt werden.84 Das Gesetz Nr. 247/2005 schreibt vor, dass die Äquivalententschädigung85 der berechtigten Personen durch Übertragung von Aktien an den „Proprietatea___________ der Antragssteller Fortsetzer der juristischen Person ist, von welcher die Güter übernommen wurden; gerichtliche und außergerichtliche Gutachten usw. 80 So wie oben angegeben, beträgt die Frist für die Einreichung der Rückerstattungsanträge 6 Monate ab Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes 247 bzw. 25.01.2006. 81 Gemäß Artikel 10 § 1 des Gesetzes 554/2004; weil die Kommission ein Organ der öffentlichen Zentralverwaltung ist, ist das Berufungsgericht für die Anfechtungsklage zuständig. 82 Gemäß Art. 10 § 1 und Artikel 20 § 1 des Gesetzes Nr. 554/2004, kann das Urteil der ersten Instanz in 15 Tagen ab Mitteilung mit Rekurs beim Hohen Kassations- und Justizhof angefochten werden. 83 Die Fälle, in welchen Immobilien nicht in natura zurückerstattet werden können, sind im Gesetz Nr. 10 vorgesehen. 84 Titel VII des Gesetzes 247/2005 („Das Regime der Festsetzung und Zahlung der Entschädigungen für missbräuchlich übernommene Immobilien“). 85 Gegründet durch den Regierungsbeschluss 1481/24.11.2005, veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 1092/ 5. Dezember 2005.
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Fonds“ erfolgt.86 Dieser Fonds stellt eine Investitionsgesellschaft dar, deren Aktien zukünftig an der Bukarester Börse gehandelt werden können.87 Diese Aktien, ursprünglich im Eigentum des rumänischen Staates, werden an die Inhaber der Entschädigungstitel kostenlos übertragen.88 Zum Zweck der Analyse und Festsetzung des Entschädigungsbetrages wurde eine Zentralkommission für die Festsetzung von Entschädigungen89 („Zentralkommission“) gegründet. Ihre Hauptaufgabe ist die Ausstellung von Beschlüssen für die Gewährung von Entschädigungstiteln. Zu diesem Zweck werden alle Beschlüsse90, wodurch Entschädigungen für diejenigen Immobilien beschlossen werden, die nicht zurückerstattet werden können, an die Zentralkommission weitergeleitet. Die Zentralkommission überprüft die Legalität der Beschlüsse, wodurch der Antrag auf Rückerstattung in natura abgelehnt wurde. Falls diese feststellt, dass diese Immobilien zurückerstattet werden können, kann sie in diesem Sinne mittels begründeten Beschlusses entscheiden. Im Falle einer Äquivalent-Entschädigung leitet die Zentralkommission die Akte an einen Gutachter91 weiter, der ein Gutachten zur Höhe der Entschädigung ausstellt. Aufgrund dieses Gutachtens stellt die Zentralkommission einen Beschluss aus. Binnen 10 Tagen ab Ausstellungsdatum wird der Beschluss an die Verwaltungsgesellschaft des Proprietatea-Fonds sowie an die Entität, die für die Eintragung der Aktien des Fonds zuständig ist, übermittelt. Die Beschlüsse der Zentralkommission können beim Berufungsgericht angefochten werden. Gegen die in erster Instanz verkündeten Urteile kann Berufung eingelegt werden.
___________ 86
„Proprietatea“ bedeutet auf Deutsch „Eigentum“. In diesem Sinne muss in 30 Tagen nach Gründung des Proprietatea-Fonds das gesetzliche Verfahren für die Transaktionierung der Aktien gestartet werden. Laut einer Mitteilung des Proprietatea-Fonds vom 25.07.2006 wurde dieses Verfahren im Februar 2006 begonnen, ohne jedoch bis zum Datum der Mitteilung beendet zu sein. 88 Die Entschädigungstitel sind Zertifikate, die von der Zentralkommission für die Festsetzung der Entschädigungen ausgestellt sind, die nur mittels Erbschaft übertragen werden können und die eine begrenzte Gültigkeits- und Umlaufsdauer haben bzw. bis diese in Aktien am Proprietatea-Fonds umgewandelt werden. 89 Die Kommission besteht aus sieben Mitgliedern, die durch Beschluss des Ministerpräsidenten für ein vier-Jahres-Mandat ernannt werden. 90 Beschlüsse, die von den Entitäten ausgestellt werden, die für die Lösung der Rückerstattungsanträge zuständig sind. 91 Aleatorisch aus einer Liste von genehmigten Gutachtern gewählt. 87
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III. Praktische und doktrinäre Aspekte bezüglich der Rückerstattung der während des kommunistischen Regimes in Rumänien übernommenen Güter Vorerst müssen einige Präzisierungen gemacht werden. Die spezielle Gesetzgebung für die Rückerstattung der Güter, die den Gemeinschaften der nationalen Minderheiten gehört haben, basiert auf den gleichen Prinzipien wie das Gemeinrecht in diesem Bereich. Sowohl das Gemeinrecht als auch die spezielle Gesetzgebung bezüglich der Gemeinschaften der nationalen Minderheiten verwenden den Begriff von Immobilien, die missbräuchlich „mit Titel” oder „ohne Titel” übernommen wurden. Dasselbe gilt für die Gewährung von Äquivalententschädigungen für die missbräuchlich übernommenen Immobilien. Demzufolge sind einige doktrinäre Debatten und Rechtsstreitigkeiten in der gerichtlichen Praxis sowohl in Bezug auf die spezielle Gesetzgebung als auch auf das Gemeinrecht von Wichtigkeit. Die Gesetzgebung für die Rückerstattung der Immobilien an die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten bezieht sich nur auf die innerörtlich gelegenen Immobilien und auf die außerörtlich gelegenen Bauten und den dazugehörenden Grundstücken. Für Immobilien, wie z.B. Ackerboden, sind die Gesetze Nr. 18 und Nr. 1 auch für die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten anwendbar. In Rumänien wurde keine spezielle Gesetzgebung für die Rückerstattung von Immobilien, die aus dem Eigentum der Bürger der nationalen Minderheiten übernommen wurden, verabschiedet. Diese natürlichen Personen konnten Entschädigungen gemäß dem in diesem Vortrag früher erwähnten Gemeinrecht (Gesetz Nr. 18, Gesetz Nr. 112, Gesetz Nr. 10 usw.) erhalten. Was bewegliche Güter betrifft, wurden in Rumänien, außer den im Kapitel II des vorliegenden Vortrags erwähnten gesetzlichen Vorschriften, keine speziellen Gesetze verabschiedet. Demzufolge wurden Anträge auf Rückerstattung solcher Güter auf die Bestimmungen des rumänischen BGB gestützt. 1. Die rumänische Praxis und Doktrin vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 So wie bereits gezeigt wurde, wurde das Problem der Rückerstattung der missbräuchlich übernommenen Immobilien vom rumänischen Parlament nicht schnell gelöst. In Abwesenheit solcher Gesetzgebung haben die ehemaligen Eigentümer, aufgrund der Bestimmungen des BGB, vor den Gerichten auf Rückerstattung ihrer Immobilien gegen den rumänischen Staat oder die Behörden der öffentlichen Verwaltung geklagt. Gemäß BGB muss das Gericht die Eigentumstitel der
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streitenden Parteien analysieren, um festzustellen, welche Partei einen „vorrangigen“ Eigentumstitel hat. In der Praxis haben die ehemaligen Eigentümer in ihren Klagen entweder auf Mängel des Eigentumstitels des Staates über die übernommene Immobilie oder auf die Inexistenz eines solchen Titels des Staates hingewiesen. Die Begründungen der Klagen auf Rückerstattung von Immobilien können generell in drei Kategorien eingeteilt werden, je nachdem ob die Enteignung: in Abwesenheit einer gesetzlichen Vorschrift oder wenigstens einer Verwaltungsverfügung oder durch Verletzung der gesetzlichen Vorschriften aufgrund derer die Enteignung stattfand oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften, die verfassungswidrig waren, erfolgt ist. Am Anfang nahmen die Gerichte solche Klagen an und verpflichteten den Staat oder die Verwaltungsbehörden, den ehemaligen Eigentümern ihre Güter zurückzuerstatten. Am 2. Februar 1995 traf aber das Plenum des Obersten Gerichtshofes einen Beschluss in Bezug auf die Befugnis der Gerichte, Klagen auf Rückerstattung von Immobilien, die aufgrund des Dekrets 92/1950 verstaatlicht wurden, anzunehmen.92 Es wurde beschlossen, dass Gerichte keine Zuständigkeit haben, sich zur Ungesetzlichkeit und Verfassungswidrigkeit der aufgrund des Dekrets 92/1950 erfolgten Enteignungen zu äußern.93 Auf der anderen Seite entschied der Verfassungsgerichtshof im Beschluss Nr. 73/1995, dass für den Fall, dass Immobilien vom Staat „ohne Titel“ übernommen wurden, die enteigneten Personen berechtigt seien, vor Gericht zu klagen. Der Verfassungsgerichtshof zeigte in mehreren Beschlüssen, dass er für die Überprüfung der Übereinstimmung der Enteignungsgesetze mit den Bestimmungen der damals anwendbaren Verfassung nicht zuständig sei, aber dass die Gerichte eine solche Kompetenz hätten.94 ___________ 92
Durch Beschluss Nr. 1/2. Februar 1995. Der Beschluss wurde mit einer Mehrheit von 25 zu 20 verabschiedet. Die Richter, die gegen den Beschluss stimmten, fassten eine separate Meinung ab, die folgenderweise begründet war: Der freie Zugang zur Justiz ist durch Artikel 21 der Verfassung Rumäniens aus dem Jahre 1991 gewährleistet; Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die die Anwendung der Bestimmungen des rumänischen BGB bezüglich des Schutzes des Eigentumsrechtes einschränken könnte; Das Eigentumsrecht ist gewährleistet gemäß Artikel 17 § 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 94 Beschlüsse Nr. 3/1993, Nr. 14/1993, Nr. 15/1993 und Nr. 45/1997. Durch den Beschluss Nr. 112/1995 hat der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich den Gerichten das 93
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Nach Veröffentlichung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes lehnte ein Teil der Gerichte die Klagen ab, die auf den Bestimmungen des BGB gestützt waren, auch wenn die betreffenden Immobilien vom Staat aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften als durch das Dekret Nr. 92/195095 enteignet wurden. Andere Gerichte haben aber weiterhin diese Klagen mit der Begründung, dass der freie Zugang zur Justiz nicht eingeschränkt werden könne, zugelassen. Gegenstand des Gesetzes Nr. 112 waren diejenigen Wohnimmobilien, die nach 1945 im Eigentum des Staates oder anderer juristischer Personen „mit Titel“ übergegangen sind und die am 22. Dezember 1989 sich noch im Besitz des Staates oder anderer juristischen Personen befanden. Der Begriff „mit Titel“ wurde vom Gesetz Nr. 112 nicht definiert. Angesichts der einschränkenden Bedingungen96, unter welchen Wohnimmobilien den ehemaligen Eigentümern aufgrund des Gesetzes Nr. 112 in natura zurückerstattet werden konnten, haben die letzteren die Praxis der auf den Bestimmungen des BGB gestützten Klagen fortgesetzt und von den Gerichten die Rückerstattung der Immobilien mit der Begründung gefordert, dass diese „ohne Titel“97 übernommen worden seien. Im Gesetz Nr. 112 wurde ein Artikel98 aufgenommen, der vorsah, dass „gerichtliche Beschlüsse in Bezug auf die in Artikel 1 des vorliegenden Gesetzes vorgesehenen Immobilien, welche endgültig und unwiderruflich geblieben sind, aufgrund der Bestimmungen des Artikels 330 ZPO mit Rekurs auf Annullierung angefochten werden können“99. Infolge des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes und des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 112 legte der Generalstaatsanwalt eine Reihe von Rekursen ___________ Recht zuerkannt festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Übernahme ein Gut in das Eigentum des Staates übergehen konnte oder ob, in Abwesenheit eines rechtlichen Titels, ein solcher Erwerb hätte stattfinden können. Implizit hat also der Verfassungsgerichtshof die Kompetenz der Gerichte anerkannt, die Verfassungswidrigkeit der Enteignungsgesetze festzustellen. 95 Dekret 92/1950 war Gegenstand des Beschlusses Nr. 1/02.02.1955 des Obersten Gerichtshofes. 96 In diesem Sinne siehe Kapitel II Punkt II.1 c). 97 So wie im vorliegenden Vortrag gezeigt, hatten ursprünglich, nach dem Inkrafttreten des Regierungsbeschlusses Nr. 20/1996, nur diejenigen ehemaligen Eigentümer, deren Immobilien faktisch, ohne jegliche rechtliche Basis, übernommen wurden, die Möglichkeit einer Klage auf Rückerstattung dieser Immobilien. 98 In Artikel 1 § 2. 99 Die im Artikel 1 des Gesetzes Nr. 112 erwähnten Immobilien sind Wohnungen, die als solche nach dem 6. März 1945, mit Titel, in das Eigentum des Staates oder anderer juristischen Personen übergegangen sind und die sich nach dem 22. Dezember 1989 im Besitz des Staates oder anderer juristischer Personen befanden.
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auf Annullierung gegen diejenigen gerichtlichen Beschlüsse ein, durch die missbräuchlich übernommene Immobilien zurückerstattet wurden. Der Oberste Gerichtshof nahm diese Rekurse mit der Begründung an, dass durch die Rückerstattung der Immobilien die Gerichte ihre Befugnisse überschritten hätten.100 Demzufolge haben die ehemaligen Eigentümer Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht mit der Begründung, dass durch die Annullierung dieser endgültigen und unwiderruflichen gerichtlichen Beschlüsse der Oberste Gerichtshof gravierend gegen das Eigentumsrecht verstoßen habe. In schon mehreren Fällen stellte die europäische Instanz fest, dass dadurch der rumänische Staat ein Grundrecht verletzt habe und diesen zur Rückerstattung der übernommenen Güter verurteilt.101 Die Praxis solcher Rekurse endete im Jahre 1997. Um zu vermeiden, dass neue Klagen bei der europäischen Instanz eingereicht werden und dass die ehemaligen Mieter diejenigen Immobilien veräußern, bezüglich derer Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf das Eigentum noch in Gang waren, wurden mehrere normative Akte verabschiedet: Der Regierungsbeschluss Nr. 11/1997 für die Änderung und Ergänzung der Methodologischen Normen für die Anwendung des Gesetzes Nr. 112102; das Gesetz Nr. 54/1998 bezüglich des privatrechtlichen Verkehrs von Grundstücken, wodurch, unter Strafe der absoluten Nichtigkeit, jede Form von Veräußerung von Grundstücken, deren Eigentum eine gerichtliche Streitsache darstellte, verboten wurde. Während des kommunistischen Regimes gab es auch andere Formen von Enteignung, wie z.B. in Fällen, in denen Personen gezwungen wurden, Schenkungsverträge zu Gunsten des Staates in Bezug auf ihre Immobilien abzuschließen.103 Nach 1989 haben sich die auf diese Weise enteigneten Personen an die Gerichte gewendet und gefordert, dass diese die Nichtigkeit solcher
___________ 100
In diesem Sinne wurden mehrere Beschlüsse der Zivilabteilung des Obersten Gerichtshofes verkündet wie z. B. die Beschlüsse Nr. 408/09.02.1996, Nr. 531/23.02.1996, Nr. 695/08.03.1996, Nr. 818/15.03.1996 und Nr. 1873/07.06.1996. 101 In diesem Sinne ergingen die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Sache Brumarescu gegen Rumänien und Vasilescu gegen Rumänien. 102 In diesem Sinne siehe Kapitel II, Punkt II.1 c). 103 Wenn z. B. eine Person beabsichtigte, Rumänien endgültig zu verlassen oder wenn der rumänische Staat die Absicht hatte, im Privateigentum befindliche Gebäude zwecks Baus von Wohnblocks abzureißen.
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Schenkungsverträge feststellten und, folglich, ihnen die betreffenden Immobilien zurückerstatteten.104
2. Die rumänische Praxis und Doktrin bezüglich der Anwendung des Gesetzes Nr. 10 Mittels dieses Gesetzes wurden viele Streitfragen geregelt, zu denen die Bestimmungen der vorherigen Gesetzgebung keine Lösungen enthielten. Zugleich aber führte das Gesetz zu neuen rechtlichen Debatten hinsichtlich einiger Fragen. a) Die Zulässigkeit der auf den Bestimmungen des BGB gestützten Klagen, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 eingereicht wurden Das Gesetz Nr. 10 führte ein Verwaltungsverfahren ein, wodurch den berechtigten Personen die missbräuchlich übernommenen Immobilien in natura oder in Äquivalent zurückerstattet werden mussten. Dieses Gesetz ermöglichte den berechtigten Personen eine Option, gemäß welcher diese sich entscheiden mussten, entweder ihre gerichtlichen Klagen fortzusetzen, die auf den Bestimmungen des BGB basierten und vor Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 eingereicht wurden, oder das vom Gesetz eingeführte Verfahren anzuwenden unter der Bedingung der Aufhebung der ersten Klagen.105 Das Gesetz Nr. 10 äußerte sich nicht zu der Frage, ob nach dessen Inkrafttreten Klagen auf Rückerstattung gemäß den Bestimmungen des BGB noch möglich sind. Diese Frage wurde in der Praxis gestellt, weil das Gesetz Nr. 10 eine Frist für die Einreichung von Rückerstattungsanträgen vorsieht und weil es zahlreiche Fälle gibt, in welchen die berechtigten Personen diese Frist nicht eingehalten haben106 und folglich versuchen, ihren ehemaligen Besitz mittels Gemeinrecht zu erlangen107.
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In diesem Sinne wurden mehrere gerichtliche Beschlüsse verkündet wie z. B. der Beschluss Nr. 20/2002 des Berufungsgerichts Targu Mures, wodurch die Nichtigkeit des Schenkungsvertrages wegen Fehlens der beglaubigten Form und gesetzwidrigem Grund des Vertrages festgestellt wurde. 105 Gemäß Artikel 26 § 3 des Gesetzes Nr. 10 sind Beschlüsse, die in diesem Verfahren ausgestellt werden, beim Gericht anfechtbar. 106 Zum Beispiel rumänische Bürger mit Wohnsitz im Ausland, die die gesetzlichen Vorschriften nicht zeitgerecht zur Kenntnis nahmen. 107 Gemäß Bestimmungen des rumänischen BGB ist das Klagerecht für die Rückerstattung des Eigentums an einer Immobilie unverjährbar.
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In dieser Sache ergingen gerichtliche Urteile, in denen die auf das BGB gestützten Klagen mit der Begründung abgewiesen wurden, dass das Gesetz Nr. 10 ein spezielles Gesetz für die vor dem Jahre 1989 missbräuchlich übernommenen Immobilien darstellte und dass folglich dieses Gesetz die betreffenden Bestimmungen des BGB beseitigte.108 Ein Teil der rumänischen Doktrin109 vertritt aber die Meinung, dass auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 Klagen gemäß BGB zulässig sind, mit folgender Begründung: Der Zweck des Gesetzes Nr. 10 ist keineswegs die Einführung einer neuen Form von Klage auf Rückerstattung der Immobilien, sondern lediglich die Entschädigung der ehemaligen Eigentümer für den Verlust, den diese durch widerrechtliche Handlungen erlitten haben. Die vom Gesetz Nr. 10 veranlassten Maßnahmen unterscheiden sich von Natur aus von der Klage, die auf dem BGB basiert. Außerdem spricht Gesetz Nr. 10 lediglich über „Entschädigungsmaßnahmen“ (in natura oder in Äquivalent) und bezieht sich nicht auf die Rückerstattung im Sinne des BGB. Es gibt keinen Konflikt zwischen den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 und denen des BGB bezüglich der Rückerstattung von Immobilien. Demnach sind berechtigte Personen frei, einen rechtlichen Weg für ihre Forderungen zu wählen. b) Die Klagen für die Feststellung der Nichtigkeit der aufgrund des Gesetzes Nr. 112 zwischen dem Staat und den Mietern abgeschlossenen Kaufverträge Durch das Gesetz Nr. 112 wurde Mietern das Recht gewährt, die gemieteten Wohnungen, auch wenn missbräuchlich in das Eigentum des Staates übergegangen, unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu kaufen. Dieses Gesetz war aber hinsichtlich der Kategorie der Immobilien, die dessen Bestimmungen unterlagen, unklar. Dazu kamen viele gesetzliche Änderungen und die schwankenden Meinungen der Gerichte, sodass man am Ende nicht eindeutig bestimmen konnte, welche der zwischen dem Staat und den Mietern abgeschlossenen Kaufverträge unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften abgeschlossen wurden. ___________ 108 In diesem Sinne hat der Oberste Kassations- und Justizhof (der ehemalige Oberste Gerichtshof) die Beschlüsse Nr. 2601/17.06.2003, Nr. 1009/13.03.2003, Nr. 326/22.04.2005 verkündet. 109 Ion Igret „Die Rückerstattungsklage im Gemeinrecht bezüglich der vom Staat nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10/2001 missbräuchlich übernommenen Immobilien“, Pandectele Romane Nr. 2/2004, S.262.
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Zur Lösung des Konflikts zwischen den ehemaligen Eigentümern und den Mietern hat der Gesetzgeber im Gesetz Nr. 10 folgende Vorschriften eingeführt110: „(1) Die rechtlichen Äußerungsakte, einschließlich die, die im Rahmen des Privatisierungsverfahrens abgeschlossen wurden, deren Gegenstand Immobilien sind, die den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegen, sind gültig, wenn diese mit Einhaltung der am Datum der Veräußerung gültigen Gesetze abgeschlossen wurden. (2) Die rechtlichen Äußerungsakte, einschließlich die, die im Rahmen des Privatisierungsverfahrens abgeschlossen wurden, deren Gegenstand Immobilien sind, die ohne gültigen Titel übernommen wurden, sind absolut nichtig, außer in dem Fall, dass die Äußerungsakte guten Glaubens abgeschlossen wurden. .... (4) Die rechtlichen Äußerungsakte, einschließlich die, die im Rahmen des Privatisierungsverfahrens abgeschlossen wurden, deren Gegenstand Immobilien sind, die mit gültigen Titel übernommen wurden, sind absolut nichtig wenn dadurch zwingende Bestimmungen der am Veräußerungsdatum gültigen Gesetze verletzt wurden. (5) Durch Abweichung von dem Gemeinrecht, ungeachtet der Ursache der Nichtigkeit, verjährt das Klagerecht in 18 Monaten ab Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes“.
Die juristische Doktrin hat obige Bestimmungen heftig kritisiert111 und gemeint, dass die Paragrafen 2 und 3 verfassungswidrig seien, weil diese das Prinzip der Nicht-Rückwirkung des Gesetzes, das Prinzip der Gewährleistung des Eigentums und das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz verletzten. Diese hat behauptet, dass durch dieses Gesetz ursprünglich nichtige Akte als gültig erklärt wurden, weil das Gesetz diejenigen Akte anerkannt habe, die „guten Glaubens“ abgeschlossen wurden, obwohl diese die rechtlichen Vorschriften nicht beachtet hatten. Folglich haben diese Vorschriften eine neue Reihe von gerichtlichen Klagen ausgelöst, wodurch die ehemaligen Eigentümer die Feststellung der Nichtigkeit der zwischen dem Staat und den Mietern abgeschlossenen Kaufverträge forderten. Diese Klagen wurden auf die Abwesenheit des guten Glaubens der Parteien beim Abschluss des Kaufsvertrages und auf die Abwesenheit eines gültigen Eigentumstitels des Staates gestützt. Was die Frage des „guten Glaubens“ anbelangt, gab es in der Praxis und in der Doktrin verschiedene Interpretationen. Es wurde z. B. behauptet, dass an-
___________ 110
Artikel 46 des Gesetzes Nr. 10 in seiner ursprünglichen Version, gegenwärtig Artikel 45. 111 Flavius Baias, Bogdan Dumitrache, Marian Nicolae – „Das juristische Regime der missbräuchlich übernommenen Immobilien. Das Gesetz Nr. 10/2001, mit Kommentaren und Anmerkungen“, Band I, 2. Auflage, Verlag Rosetti 2002, S. 263 – 286.
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gesichts des Prinzips error communis facit jus bezüglich der Eigenschaft des Staates als Eigentümer, der Kaufvertrag als gültig betrachtet werden müsse.112 In anderen Fällen113 meinte der Oberste Gerichtshof, dass der gute Glaube des Mieters beim Abschluss des Vertrages dadurch bewiesen sei, dass kein Antrag auf Rückerstattung (in natura oder in Äquivalent) aufgrund des Gesetzes Nr. 112 eingereicht wurde und der Staat angegeben habe, Eigentümer zu sein. Man meinte aber auch, dass der gute Glaube nicht bestehe, wenn dem Mieter und dem Staat die Existenz eines gerichtlichen Streitfalles bekannt gewesen sei, wodurch der ehemalige Eigentümer die Rückerstattung der Wohnung gefordert habe. Die Debatte über die Übernahme „mit Titel“ oder „ohne Titel“ wurde vor den Gerichten fortgesetzt. Diesen wurde aber durch die methodologischen Normen für die Anwendung des Gesetzes Nr. 10 das exklusive Recht anerkannt, in jeder Streitsache zu überprüfen, ob die am Übernahmedatum gültige Gesetzgebung eingehalten wurde und ob die Letztere mit der damaligen Verfassung übereinstimmte.
3. Praktische Aspekte bezüglich der Rückerstattung von beweglichen Gütern In Anwendung der Bestimmungen bezüglich der Rückerstattung von Edelmetallen oder anderen mobilen Gütern ist für die Enteigneten der Beweis des Eigentums und der missbräuchlichen Übernahme viel schwieriger. In Abwesenheit von Eigentumsurkunden zu diesen Gütern sind gerichtliche Beschlüsse oder eventuell Verwaltungsakte die wenigen effizienten Beweismittel.
4. Praktische Aspekte bezüglich der speziellen Gesetzgebung für die Rückerstattung von Immobilien an die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten Ein spezifisches praktisches Problem in Anwendung dieser Gesetzgebung war die Bestimmung der juristischen Person, in deren Eigentum die vom Staat vor 1989 übernommenen Immobilien zurückerstattet werden sollten. Wie schon erwähnt, hatten die neu gegründeten Kommissionen die Aufgabe zu entscheiden, ob die juristische Person, die den Antrag gestellt hat, die gleiche Per___________ 112 In diesem Sinne äußerte sich der Oberste Gerichtshof durch den Zivilbeschluss Nr. 1939/14.05.2003. 113 Zivilbeschluss Nr. 3695/30.11.2003.
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son sei wie diejenige, deren Immobilien übernommen wurden, oder Nachfolgerin derselben sei. Angesichts der langen Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme und dem Zeitpunkt des Antrages für die Rückerstattung ist die Beweisstellung für den Antragssteller und für die zuständigen Behörden ein schwieriges Problem geworden. Wie im Kapitel II dieses Vortrags erwähnt, wurde im Falle der jüdischen Gemeinschaft die berechtigte juristische Person ausdrücklich durch die spezifische Gesetzgebung vorgesehen. In anderen Gemeinschaften hatten die juristischen Personen, die die Interessen dieser Gemeinschaften vertraten, Kontinuität und folglich keine Mühe, ihre Berechtigung zu beweisen.114 Ein anderes spezifisches Problem, das von der jüdischen Gemeinschaft aufgeworfen wurde, ist die Tatsache, dass die Entschädigungsnormen, die bis jetzt verabschiedet wurden, mit Ausnahme der die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten und der religiösen Kulte betreffenden, lediglich die Rückerstattung der Immobilien geregelt hätten, die nach dem 6. März 1945 missbräuchlich übernommen wurden. Zwischen 1940 und 1945, nach der Einsetzung des legionären Regimes in Rumänien, wurde aber eine Reihe von Gesetzen für die Verfolgung der Juden verabschiedet, aufgrund deren Juden und die jüdische Gemeinschaft vom rumänischen Staat enteignet wurden. Demnach regeln die gegenwärtigen Entschädigungsgesetze nicht auch das Problem der Rückerstattung der in dieser Zeitspanne enteigneten Güter an Bürger mosaischer Religion. Auch wurde im Jahre 1948 das Dekret Nr.113115 bezüglich der verbliebenen Güter der Juden, die Opfer von Verfolgungsmaßnahmen waren und die ohne Nachfolger gestorben waren, verabschiedet. Dieses Dekret ist nicht außer Kraft getreten. Danach werden diese Güter Eigentum des Bundes der Unionen der Jüdischen Gemeinschaften zum Zwecke der Unterstützung der armen jüdischen Bevölkerung. Die Inhaber dieser Güter haben aber ihre gesetzliche Verpflichtung, diese zu deklarieren, nicht erfüllt. Folglich konnte der Bund der Unionen der Jüdischen Gemeinschaften die gesetzlichen Formalitäten nicht erledigen, um in das Eigentum dieser Güter zu gelangen. Aus diesem Grund meint jetzt die Gemeinschaft der jüdischen Bürger aus Rumänien, dass ein spezielles Gesetz für die Regelung der Lage der vom Dekret Nr. 113/1948 erwähnten Gütern verabschiedet werden sollte. Vor 1989 haben die Gemeinschaften der nationalen Minderheiten Besitz von einigen Wohnimmobilien erlangt, die diesen Gemeinschaften von Bürgern der betreffenden Minderheiten geschenkt oder testamentarisch übertragen wurden. ___________ 114 Das ist, z. B. der Fall der jüdischen Gemeinschaften, die vor 1989 als religiöser Kult, gegründet gemäß den Dekreten Nr. 595/1949 und Nr. 177/1948 betreffend das Regime der religiösen Kulten, funktioniert haben. 115 Veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 140/30. Juni 1948.
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Aufgrund des Gesetzes 58/1974 wurden aber Grundstücke aus dem privatrechtlichen Verkehr herausgenommen. Folglich konnten diese Gemeinschaften nicht in den Besitz auch derjenigen Grundstücke kommen, die Teil der übertragenen Immobilien darstellten und folglich ist es diesen jetzt unmöglich, ihr Eigentumsrecht zu beweisen, um deren Rückerstattung zu erlangen. Dieses Problem findet wiederum keine Lösung in der gegenwärtigen Entschädigungsgesetzgebung.
IV. Schlussfolgerungen Die Entschädigungsgesetze sind ein bedeutender Faktor für die Wiedererlangung der Identität und für die Anerkennung der nationalen Minderheiten in der rumänischen Gesellschaft und stellen eine Modalität dar, wodurch der rumänische Staat die Bürgergemeinschaften dieser Minderheiten schützt, unterstützt und anerkennt. Rumänien hat es leider nicht geschafft, die Rückerstattung von Immobilien mittels eines einzigen Gesetzes oder eines einheitlichen Systems für die Entschädigung der Personen, die in der Zeit des totalitären Regimes enteignet wurden, zu bewerkstelligen. Demnach wurde von 1990 bis jetzt eine lange Reihe von normativen Akten zur Regelung der Entschädigung derjenigen, die vom kommunistischen Staat enteignet wurden, verabschiedet. Diese juristische Wirklichkeit hat sogar zur Vergrößerung der Unannehmlichkeiten, die durch die Enteignungsmaßnahmen verursacht wurden, geführt. Zusätzlich haben die vielfachen Änderungen und Ergänzungen der Entschädigungsgesetze deren Anwendung erschwert. Wie im vorliegenden Vortrag beschrieben, haben die allgemeinen und speziellen Entschädigungsnormen ein Verfahren für die Rückerstattung der übernommenen Güter vorgesehen, an welchem zentrale und örtliche Behörden beteiligt sind. In der Praxis werden wegen des bürokratischen Charakters des rumänischen Verwaltungssystems, Rückerstattungsanträge oft schwer und langsam unter Überschreitung der gesetzlich festgelegten Fristen gelöst. Zusätzlich beinhaltet die Entschädigungsgesetzgebung nicht immer genügend Kriterien für deren effiziente Anwendung. Demzufolge waren öffentliche Behörden oft in der Lage, vorerst auf die Verabschiedung von Regierungsbeschlüssen zu warten, wodurch Zuständigkeiten und spezifische Instrumente für die Rückerstattung geregelt wurden. Wie aus der Website des Bukarester Rathauses hervorgeht, wurden von 42.294 Rückerstattungsanträgen, gestützt auf Gesetz Nr. 10, bis dato nur ungefähr 15% bearbeitet. Die Langwierigkeit des Verwaltungsverfahrens hat dazu geführt, dass Rückerstattungsanträge oft nicht in einer angemessenen Zeit gelöst wurden. Dies
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stellt den Grund dar, weswegen enteignete Personen weiterhin die Gerichte um Anerkennung ihres Eigentumsrechtes ersuchen. Zudem war das oberste Gericht inkonsequent in der Interpretierung der Entschädigungsgesetze. Dieses Verhalten hat zu Konfusionen und, implizit, zu weiteren Verspätungen in der Lösung von Rückerstattungsanträgen geführt. Auf der anderen Seite ist es durch die Verabschiedung des Gesetzes Nr. 10 und der speziellen Gesetze bezüglich der Gemeinschaften der nationalen Minderheiten und der religiösen Kulte gelungen, die Rückerstattung der Mehrheit der missbräuchlich übernommenen Güter zu regeln und den Kreis der zur Entschädigung berechtigten Personen zu erweitern. In der heutigen gerichtlichen Praxis, im Unterschied zu der gleich nach 1989, erkennen die Gerichte in viel größerem Maße die Bedeutung der Gewährleistung und des Schutzes des Privateigentums an. Rumänien hat sichtbare Fortschritte in Bezug auf die Rückerstattung der vom totalitären Staat missbräuchlich übernommenen Immobilien gemacht, aber der Prozess für die Entschädigung der Enteigneten ist noch lange nicht beendet. * * *
Abstract Oancea Dan C.: Romanian Laws after 1989 on the Compensation of Expropriations, with Special Consideration of the National Minorities, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to terms with the past. Vol. I. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2008), pp. 271-307. The lecture deals with the legislation that was passed after 1989, the year of the Romanian revolution, for the compensation of those who were dispossessed during the communist regime. Chapter I makes a presentation of decrees and laws, by which the communist state has taken over private property: enterprises, agricultural land, and other immovable. Chapter II presents, in two sub-chapters, (“General Legislation” and “Specific legislation regarding the compensation of communities of national minorities”), the legislation that was passed after 1989. Chapter III analyses, in four sub-chapters, practice and doctrine related to restitution of goods that were abusively taken over by the State. The last chapter (“Conclusions”) shows that in Romania restitution of immovable could not have been made by means of a unitary system of compensation. That has led to the increase of the inconveniences generated by dispossession. Moreover, because of the tediousness of the administrative procedure, request for compensation are often not solved in a reasonable time, for which reason dispossessed persons are going on in applying to courts of
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justice for the recognition of their ownership right. However, it has been succeeded to regulate the restitution of the biggest part of the abusively taken goods and to enlarge the circle of the persons entitled to compensation.
Die Autoren / The Authors
Prof. Dr. Dr. h. c. Gilbert H. Gornig Persönliche Angaben / Personal Data: Gilbert H. Gornig (geb. 1950): Studium der Rechtswissenschaften und Politischen Wissenschaften in Regensburg und Würzburg; 1984 Promotion zum doctor iuris utriusque in Würzburg; 1986 Habilitation; Lehrstuhlvertretungen in Mainz, Bayreuth und Göttingen; 1989 Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Göttingen und 1994-1995 Dekan; seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Marburg und Geschäftsführender Direktor des Instituts für öffentliches Recht; von 1996 bis 2004 zudem Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Gilbert Gornig, (born 1950): Studies in Law and Political Sciences in Regensburg and Wuerzburg; became a Doctor of Law (iuris utriusque) in Wuerzburg in 1984; habilitation 1986; lecturer in Mainz, Bayreuth and Goettingen; 1989 Director of the Institute of Public International Law at the University of Goettingen, Dean of the Faculty 1994/95; since 1995 Professor for public law, public international and European law at the Philipps University of Marburg, at the same time being the Executive Director of the Institute of Public Law; between 1996 and 2004 also Judge at the Higher Administrative Court of Hessen in Kassel.
Forschungsschwerpunkte / Research interests: Völkerrecht, Europarecht aktuelle Fragen des Völkerrechts, Menschenrechte, Seerecht, Finanzdienstleistungsrecht. International and European Law, current problems of public international law, Human Rights, law of the Sea, law of financial services.
Auswahlbibliographie / Selected Publications: Hongkong. Von der britischen Kronkolonie zur chinesischen Sonderverwaltungszone. Eine historische und rechtliche Betrachtung unter Mitarbeit von Zhang Zhao-qun, 1998; Das rechtliche Schicksal der Danziger Kulturgüter seit 1939-45 am Beispiel der
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Die Autoren / The Authors
Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig. Ein Rechtsgutachten, 1999; Territoriale Entwicklung und Untergangs Preußens. Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung, 2000; Seeabgrenzungsrecht in der Ostsee. Eine Darstellung des völkerrechtlichen Seeabgrenzungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Ostseestaaten, 2002; Völkerrecht und Völkermord. Definition - Nachweis - Konsequenzen am Beispiel der Sudetendeutschen, in: Schriftenreihe Geschichte, Gegenwart und Zukunft der altösterreichischen deutschen Minderheiten in den Ländern der ehemaligen Donaumonarchie, hrsg. vom Felix Ermacora Institut, 2002, (Nachdruck 2003); Der unabhängige AllfinanzVertrieb. Unter Berücksichtigung hierarchischer Vertriebssysteme, in: Schriftenreihe der Forschungsstelle für Finanzdienstleistungsrecht der Philipps-Universität Marburg, hrsg. von Gilbert H. Gornig, 2004, (zusammen mit Frank Reinhardt/Dieter Meurer/Norbert Klatt); Recht der Europäischen Union. Europäische Gemeinschaft. Rechtsschutz in der Gemeinschaft. Verantwortung der Mitgliedstaaten, 2005 (zusammen mit Oxana Vitvitskaya); Kulturgüterschutz – internationale und nationale Aspekte (hrsg. von Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn und Dietrich Murswiek), 2007.
Kontaktadresse / Contact address: Philipps-Universität Marburg Fachbereich Rechtswissenschaften Institut für öffentliches Recht, Abteilung Völkerrecht Savigny-Haus Universitätsstr. 6 D-35032 Marburg / Deutschland Tel.: + 49. (0) 64 21. 28-2 31 27 / -2 31 33 Fax: + 49. (0) 64 21. 28-2 38 53
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Prof. Dr. Hans-Detlef Horn Persönliche Angaben / Personal Data: Hans-Detlef Horn (geb. 1960): 1980-1982 Ausbildung zum Bankkaufmann; 19821987 Studium der Rechtswissenschaften; 1987 Erste Juristische Staatsprüfung; 1989 Promotion (Dr. iur.); 1992 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1992-1998 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bayreuth; 1998 Habilitation (Dr. iur. habil.), Lehrbefugnis für Öffentliches Recht; 1998/1999 Lehrstuhlvertretung an der LudwigMaximilians-Universität München; seit 1999 Professor für Öffentliches Recht an der Philipps-Universität Marburg/Lahn; seit 2003 Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Hans-Detlef Horn (born 1960): 1980-1982 training and qualification as a bank clerk; 1982-1987 studies in Jurisprudence; 1987 First State Examination in Law; 1989
Die Autoren / The Authors
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Doctorate (Dr. iur.); 1992 Second State Examination in Law; 1992-1998 research assistant at University of Bayreuth; 1998 Habilitation in Public Law (Dr. iur. habil.); 1998/1999 Professor as a replacement at University of Munich; since 1999 Professor of Public Law at University of Marburg/Lahn; since 2003 judge at Superior administrative Court of Hessen.
Forschungsschwerpunkte / Research interests: Staats- und Verfassungsrecht; Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht, insbesondere Öffentliches Wirtschaftsrecht, Sicherheits- und Polizeirecht, Verwaltungsprozeßrecht; Europarecht. State and Constitutional law; General and Special Administrative Law, Public Law related to the Economy, Police Law, Law of Administrative Procedure; European Law.
Auswahlbibliographie / Selected Publications: Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989; Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung. Zur Dogmatik des Verhältnisses zwischen Gesetz, Verwaltung und Individuum unter dem Grundgesetz, 1999; Staat und Gesellschaft in der Verwaltung des Pluralismus (1993); „Grundrechtsschutz in Deutschland“ – Die Hoheitsgewalt der Europäischen Gemeinschaften und die Grundrechte des Grundgesetzes nach dem MaastrichtUrteil des Bundesverfassungsgerichts (1995); Mehrheit im Plebiszit (1999); Verwaltungsprozeßrecht (mit Schmitt Glaeser), 15. Aufl. 2000; Über den Grundsatz der Gewaltenteilung in Deutschland und Europa (2001); Kantischer Republikanismus und empirische Verfassung (2002); Gewaltenteilige Demokratie, Demokratische Gewaltenteilung – Überlegungen zu einer Organisationsmaxime des Verfassungsstaates (2002); Die horizontale Kompetenzverteilung in der Europäischen Union (2002); Sicherheit und Freiheit durch vorbeugende Verbrechensbekämpfung – Der Rechtsstaat auf der Suche nach dem rechten Maß (2003); Horn (Hrsg.), Recht im Pluralismus, 2003; Verbände, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 2005; Kulturgüterschutz – internationale und nationale Aspekte (hrsg. von Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn und Dietrich Murswiek), 2007; Der Glückspielstaatsvertrag (mit Hermes, Pieroth), 2007; Muss die Wahlprüfung Sache des Bundestages sein? (2007).
Kontaktadresse / Contact Address: Institut für Öffentliches Recht Philipps-Universität Marburg Universitätsstraße 6 D-35037 Marburg / Deutschland Telefon: +49 (0)6421-28-23-810, -126 Fax: + 49 (0)6421-28-23-839 e-mail: [email protected]
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Die Autoren / The Authors
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Prof. Dr. Karel Klíma Persönliche Angaben / Personal Data: Karel Klíma, CSc. (geb. 1951 in Pilsen): Universitäts- und Hochschullehrer. In den Jahren von 1975 bis 1996 war er an der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag tätig. Seit 1993 unterrichtet er an der Juristischen Fakultät der Westböhmischen Universität in Pilsen, wo er Leiter des Lehrstuhls für Verfassungsrecht ist. Zusätzlich unterrichtet er an den folgenden Hochschulen: Hochschule zu Karlovy Vary, Hochschule für Rechtsanwendung in Prag, Manchester Metropolitan Univesity, WSzEiA BYTOM Polska. Als ein vortragender und gastierender Professor unterrichtete er an der Reihe der Universitäten in aller Welt – in Toulose, Bologna, Udine, Passau, Manchester, Le Havre, Lublin, Oxford, Karlsruhe, Granada u. a. Er ist Autor zahlreicher Einzelbeschreibungen und duzende Artikeln sowohl in Heimat als auch in Ausland, und zwar im Fach Staatslehre, Verfassungsrechtsvergleich und Verfassungsgerichtswesen. Er beherrscht neun Fremdsprachen. In den Jahren 1995 – 2004 war er ein Mitglied der Exekutivkomitee der Internationalen Vereinigung für Verfassungsrecht mit dem Sitz in Fribourg (Schweiz). Im Jahr 2004 war er Kandidat der Regierung der Tschechischen Republik für den Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg. Er ist Rechtsanwalt der Tschechischen Rechtsanwaltskammer. Karel Klíma (born in 1951 in Pilsen) is a university professor. He worked at the Law Department of the Carl University of Prague between 1975 and 1996. Since 1993 he is a professor of the Law Department of the West Bohemian University of Pilsen and the head of the department of constitutional law. In addition, he teaches law at the following universities: Karlovy Vary University, University of Applied Law in Prague, Manchester Metropolitan University and WSzEiA BYTOM Polska. As a guest lecturer, he also taught at the following universities: Toulouse, Bologna, Udine, Passau, Manchester, Le Havre, Lublin, Oxford, Karlsruhe, Granada. He is the author of many articles on state law, comparative constitutional law and constitutional courts published in the Czech Republic and abroad. He speaks nine languages. He was a member of the Executive committee of the International Association of Constitutional Law in Fribourg, Switzerland, between 1995 and 2004. In 2004 he was a candidate of the Czech government for the position of a judge at the European Human Rights Court in Strasbourg. He is a lawyer in the Czech bar.
Forschungsschwerpunkte / Research interests: Staats- und Völkerrecht, insbesondere Schutz der Menschenrechte auf internationaler und regionaler Ebene, internationales Wirtschaftsrecht und Recht des diplomatischen Schutzes; Internationale Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit.
Die Autoren / The Authors
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Constitutional and public international law, in particular the protection of Human Rights on the international and regional level; international economic law and the law of diplomatic protection; the law and policy of international courts and tribunals.
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Kirsten Koopmann-Aleksin LL.M.Eur. Persönliche Angaben / Personal Data: Kirsten Koopmann-Aleksin (geb. 1976 in Berlin): 1995 Abitur an der GeorgBüchner-Oberschule (Gymnasium) in Berlin, 1995 – 2001 Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1997 – 1998 Studium der Rechtswissenschaften an der University of Wales Swansea (Stipendium des Sokrates-Programms), Juli 2001; Erste juristische Staatsprüfung, 2001 – 2002 Aufbaustudium Europäisches und Internationales Recht an der Universität Bremen Magistra Legum Europae (LL.M.Eur.), Thema der Magisterarbeit: Human Rights and Terrorism, Januar – März 2002 Praktikum im Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Genf, 2003 – 2005 Juristischer Vorbereitungsdienst, Februar 2005 Zweite juristische Staatsprüfung, seit August 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Staats-, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Eckart Klein, Potsdam), seit August 2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Koordination im EQUAL-Teilprojekt der Entwicklungspartnerschaft „MORE- Reintegrationsförderung von Menschenhandelsopfern“ (IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit für das Erzbistum Berlin e.V.), Recherche zum Thema Kinderhandel und Kinderprostitution in Deutschland. Kirsten Koopmann-Aleksin (born 1976 in Berlin), 1995 Abitur at the GeorgBüchner-Oberschule (Gymnasium) in Berlin, 1995 – 2001 Law studies at the HumboldtUniversität zu Berlin, 1997 – 1998 Law studies at the University of Wales Swansea (Scholarship granted by the Socrates-Programme), July 2001 First legal state examination, 2001 – 2002 Master's Programme in European and International Law at the Universität Bremen, Magistra Legum Europae (LL.M.Eur.) Master thesis: Human Rights and Terrorism, January – March 2002 Internship at the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights in Geneva, 2003 – 2005 Legal traineeship, February 2005 Second legal state examination, since August 2005 Research assistant at the Chair for Constitutional Law, Public International Law and Law of the European Union (Prof. Dr. Eckart Klein, Potsdam), since August 2006 Research assistant, EQUAL-Subproject of the Development Partnership “MORE – Promotion of the Reintegration of Victims of Human Trafficking” (IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit für das Erzbistum Berlin e.V.), Research on trafficking in children and child prostitution in Germany.
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Die Autoren / The Authors
Mladen Kraljiü Persönliche Angaben / Personal Data: Mladen Kraljiü (geb.1972 in Maribor): abgeschlossenes Jurastudium, 1992 Mitarbeit am Projekt zur Reform des Internationalen Privatrechts und Prozessrechts in Slowenien, 1993 Mitarbeit am wissenschaftlichen Projekt über die individuelle Durchsetzbarkeit des Umweltschutzes, 2000 Leiter des Referats für internationale Beziehungen der Universität Maribor, 2001 anerkannter Übersetzer und Dolmetscher, 2006 Sekretär der Fakultät für Kunst der Universität Maribor. Übte u.a. folgende Funktionen aus: Koordinator für Socrates-Erasmus; Mitglied des Nationalen Rates für Socrates-Erasmus; Mitglied des Nationalen Komitees zur Bewertung des CEEPUS-Projekts; 2000/2001 Sekretär der Konferenz der Donau-Pfarrer; 2002/2003 Sekretär der Konferenz der Alp-Adriatic Pfarrer; 2003/-2004 Sekretär der Quadriga Europaea; 2004/-2006 Sekretär der Maribor Gruppe. Mladen Kraljiü (born 1972 in Maribor): university degree in law, 1992 cooperation in a research project on the Reform of the International Private Law and Proceedings Act of Slovenia, 1993 cooperation in an scientific project on Individual execution of environmental protection, 2000 Head of the International Relations Office of the University of Maribor, 2001 Official Translator and Interpreter, 2006 Secretary of Faculty of Arts of the University of Maribor. Functions: Institutional Coordinator Socrates-Erasmus; Member of National Council Socrates-Erasmus; Member of National Committee for evaluation of CEEPUS projects; 2000/2001 secretary of the Danube Rectors' Conference; 2002/2003 secretary of the Alps-Adriatic Rectors' Conference; 2003/2004 secretary of the Quadriga Europaea; 2004/2006 secretary of Maribor Group.
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Prof. Dr. Dan C. Oancea Persönliche Angaben / Personal Data: Dan Oancea (geb. am 1.1.1958 in Rom, Italien). Im Jahre 1982 hat er die RechtsFakultät der Universität Bukarest cum laudae absolviert. Seit 1986 unterrichtet er an der Rechts-Fakultät der Universität Bukarest in zwei Fächern: “Römisches Recht” und “Geschichte des rumänischen Rechts”. Im Jahre 1990 hat er, zusammen mit anderen Professoren, das Institut für Recht und Internationale Beziehungen “Nicolae Titulescu” (heute die “Nicolae Titulescu Universität”) in Bukarest geründet, das zu den angesehensten Privatuniversitäten Rumäniens zählt. Seit 1990 ist er Doktor im Internationalen Handels- und Privatrecht. Seit dem Uni-Abschlussjahr in 1982 ist er Rechtsanwalt und seit
Die Autoren / The Authors
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1996 leitender Partner in der Rechtsanwaltpartnerschaft “Igret & Oancea” aus Bukarest, die im Handels- und Privatrecht tätig ist. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Dan Oancea was born on 1.1.1958 in Rom, Italy. In 1982 he has graduated cum laudae the Law Faculty of the University of Bucharest. Since 1986 he teaches at the Law Faculty of the University of Bucharest in “Roman Law” und “History of the Romanian Law”. In 1990, together with other professors, he has he has founded the Institute for Law and International Relations “Nicolae Titulescu” (presently the “Nicolae Titulescu University”) in Bucharest, which is one of the most prestigious private universities in Romania. Since 1990 he is a doctor in international commercial law and international private law. Since the year of graduation in 1982 he is an attorney-at-law and since 1996 a managing partner in the Associated Law Offices “Igret & Oancea” of Bucharest, which acts in commercial and private law. He is married and has one son.
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Prof. Dr. Dr. Michael Silagi Persönliche Angaben / Personal Data: Michael Silagi (geb. 1948): 1967-1974 Studium der Rechtswissenschaft, Anglistik, Klassischen Philologie und Amerikanistik an der Universität München; 1973 Promotion zum Dr. phil.; 1977 Promotion zum Dr. jur.; seit 1979 wissenschaftlicher Angestellter und 1996 Habilitation an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen; seit 2001 apl. Professur ebenda. Michael Silagi (born 1948): 1967-1974 study of Jurisprudence, English Language and Literature, Classical Philology and American Studies at the University of Munich; receiving his PhD in 1973, his doctorate in Jurisprudence in 1977, since 1979 Senior Research Fellow and since 1996 Senior Lecturer at the Faculty of Law of Goettingen University.
Forschungsschwerpunkte / Research interests: Völkerrechtsgeschichte und Rechtslage Deutschlands seit 1945; Vertriebenenrecht; Deutsches und ausländisches Staatsangehörigkeitsrecht. History of International Law and Status of Germany since 1945; German and Foreign Nationality Laws; Legal Status of Ethnic Germans expelled to Germany during and after World War II.
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Die Autoren / The Authors
Auswahlbibliographie / Selected Publications: Von Deutsch-Südwest zu Namibia: Wesen und Wandlungen des völkerrechtlichen Mandats (1977); Staatsuntergang und Staatennachfolge (1996); Minderheitenrecht und diplomatischer Schutz für Deutsche in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. Historische Aspekte. In: Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit des europäischen Minderheitenschutzes, Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek (Köln 1999) S. 77-99; Vertreibung und Staatsangehörigkeit. Bonn 1999; Henry Georg and Europe: The Farreaching Impact and Effect of the Ideas of the American Social Philosopher (2000).
Kontaktadresse / Contact address: Prof. Dr. Dr. Michael Silagi Georg-August-Universität Göttingen Institut für Völkerrecht Platz der Göttinger Sieben 5 D-37073 Göttingen / Deutschland Tel. 0551-39-4734, -4661 Fax. 0551-39-4767
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Aldona Szczeponek LL.M. Persönliche Angaben / Personal Data: Aldona Szczeponek (geb. 1978 in Kamienna Gora / Polen). 1997-2002 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität in Wroclaw, 2002-2003 Masterstudium (LL.M.) an der Philipps-Universität Marburg. Seit 2003 Doktorandin und seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht, Abt. Völkerrecht in Marburg. Thema der Doktorarbeit: „Die Umsetzung des Völkerrechts und des europäischen Gemeinschaftsrechts in Polen“. Stipendiatin der Konrad-Adenauer- Stiftung. Aldona Szczeponek (born in 1978 in Kamienna Gora/ Poland). 1997-2002 - study of law at the University of Wroclaw, 2002-2003 master study (Magistra Legum, LL.M.) at the Philipps Universität Marburg. Since 2003 PhD study and since 2004 scientific and research assistant at the Institute for Public Law, Department of International Law in Marburg. Topic of the PhD thesis: “The application of international law and the European Community law in Poland”. Scholarship of the Konrad Adenauer Foundation.
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Personenregister / List of Names Ago, Roberto 42
Kopecký 111
Antall, József 257
Kraus, Herbert 179
Auerbach, Philipp 175 Laband, Paul 128 Baier, Helmut 176
Lehmann, Klaus-Dieter 181
Bartolus 54
Lodolini, Elio 137
Bedjaoui, Mohammed 134, 138, 150, 164, 177 ff.
Loizidou 28, 112 ff.
Bittner, Ludwig 154
Lorenz von Stein 128
Brecht 105 Broniowski 116, 120
Maria-Theresia, Erzherzogin 131 Maltzan 103, 113
Dahm, Georg 42
Mayer, Otto 130 Mozzati, Marco 136, 150
Evans, Frank B. 136
Mußgnug, Reinhard 145
Franz (-Stephan) von Lothringen 131
Németh, Miklós 256
Franz I., Kaiser 131 Odendahl, Kerstin 143 Grotius, Hugo 42
Oldenhage, Klaus 143, 146 f. Oolup, Urmas 173
Habsburg, Johann von, Erzherzog 249 Heinz-Adam II., Fürst von Liechtenstein 73 f. Herzog, Roman 144
Paczkowski, Joseph 161 Pestalozza, Christian 144 Posner, Ernst 161 f.
Ivanjko, Šime 229
318
Personenregister / List of Names
Schäfer, Udo 143
Teutsch, Friedrich 176
Schröder, Gerhard 53 Seidl-Hohenveldern, Ignaz 42, 183 Siehr, Kurt 137 Strisower 42
Zweig, Stefan 80
Sachregister / Index
Abwehrrecht, subjektiv-öffentliches 81
Deutschlandvertrag 49
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 108
Diplomatischer Schutz 55, 58, 70
Allgemeine Regeln des Völkerrechts 65
Diskriminierung 23 f., 36, 57, 76, 209, 264 f., 269 Donauschwaben 255, 258 f., 263, 269
Alliierte Hohe Kommission 203 Altpreußisches Herzogtum 151, 171, 178, 182, 184
Eigentumsgarantie des Grundgesetzes 81 ff.
Amtshaftung 69 f.
Eigentumsordnung, sozialistische (DDR) 86 ff., 98
Äquivalententschädigung 286, 292, 294, 296
281,
283,
Archive 127 ff.
Eigentumspositionen 62 f., 68, 74, 82, 85 f., 88, 94, 97, 122 f. Einigungsvertrag 72, 86 f., 89 f., 93, 98 f., 101 f., 140
Balten-Deutsche 172 Berechtigte Erwartung 104f., 111 f., 114 Besatzungsmaßnahmen 97 Besatzungsrecht 201 Betreffsprinzip 153, 155 f.
Calvo-Doktrin 24
Entschädigung 29, 31 ff., 59, 62 f., 73, 75, 84 f., 90 f., 97, 103 f., 107 f., 116, 119 ff., 188 f., 201, 206, 208 ff., 217 ff., 229 ff., 233 f., 236 ff., 243, 249 ff., 255 ff., 271, 275 f., 281, 283, 286 ff., 293 ff., 301, 305 f. Entschädigungsund gleichsgesetz 73, 90 Entschädigungsabkommen, jugoslawisches 230 f.
Dekolonisierung 163 Denationalisationsgesetz, slowenisches 229 ff. Deutscher Orden 151, 171, 178, 182 ff.
Lastenausdeutsch-
Europäische Kommission für Menschenrechte 27, 73, 109
Föderalismusreform 145
320
Sachregister / Index
Fremdenrecht, völkerrechtliches 20, 22, 24, 25, 206, 210
Internationaler Militärgerichtshof von Nürnberg 34 f.
Frieden von Riga (1921) 160 ff.
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 23, 75
Friedensverträge von Brest-Litowsk (1917) 173 Friedensvölkerrecht 96
Investitionsschutz 20, 26, 90 Irak 175, 178 Ius cogens 40 f., 64 ff., 97 f., 195 ff.
Gemeinnützigkeit 80, 83 Gemeinsame Erklärung 90, 104 f.
Juden 175, 178, 259, 304
Gemeinwohlzweck 84
Jugoslawien 134, 139, 151, 157 ff., 229 ff., 246, 248, 250 f.
Griechenland 120, 123 Grundrechte 57 f., 82, 93, 102, 107
Haager Konvention über das Landkriegsrecht (HLKO) 26, 34 f., 98, 138, 199, 201 Haftung, völkerrechtliche 37 ff., 70, 210 Heiliger Stuhl 132, 180 Heimat 19, 73, 187, 195, 199 Hull-Formel 32, 208, 210
Juristische Personen 129, 235, 282, 286
Kampf der Kulturen 80 Kampf ums Eigentum 80, 83 Kirche 176, 180, 219, 230, 249 Kirchenstaat 132 Kollektivierung 273 Konfiskationsverbot 98, 100, 104 Königsberg 19, 182 ff., 217 Kriegsvölkerrecht 98, 100
Illyrische Hofkanzlei 151, 159 f. Immobilien 122, 229, 262 f., 273 f., 277 ff.
Kulturbund 236, 246 Kulturgut 133, 135 ff., 143 ff., 158, 173 f.
Inhalts- und Schrankenbestimmung 84 Inländerbehandlung 22 ff. Inländerdiskriminierung 23
Lex rei sitae 60 Liegenschaften 61, 237, 140, 244, 251
Institutsgarantie (Art. 14 GG) 82 International Law Commission 43 Internationaler Archivrat 149
Maribor 249, 252 Martens'sche Klausel 35, 98
Sachregister / Index Menschenrechte 21, 25, 27 f., 35 f., 40, 59, 71, 73 ff., 102, 107 f., 124, 197 ff., 206 f., 215 f., 299 Menschenwürde 23, 35, 197 Minderheiten 21, 35, 172, 178, 252, 271, 288 ff., 293, 296, 303 ff. Mindeststandard, internationaler 22 ff., 29, 206, 208 Modrow-Gesetz 74, 121 ff.
321
Reparationen 136, 202, 204, 206, 209, 211 f. Repressalie 24, 41, 217 Restitution 48, 50, 52, 89, 100, 104, 133, 148, 156, 158, 174, 176, 183, 214, 240 Restitutionsanspruch 93, 111 f. Rückerstattung in natura 281, 283, 295 Rückübereignungsanspruch 92 Rumänien
Nachbarschaftsvertrag, deutschpolnischer (1991) 53, 60, 63, 204 Naturalrestitution 44, 47, 220 Nazismus 236, 246 Nordzypern 28, 113
Oder-Neiße-Gebiete 60, 68, 188 f., 194 f., 201 f., 211, 214
Enteignungsgesetzgebung 272 ff., 305
Entschädigung 275 ff.
Verfassung 272, 282
Zentralkommission für die Festsetzung von Entschädigungen 295
Proprietatea-Fonds 294 f.
Oktoberrevolution 218 Ordre public-Vorbehalt 65 f., 86, 95
Siebenbürgen 176
Ostpreußen 182
Slowenien 159 f., 163 f., 217, 229 ff., 235 ff.
Pertinenzprinzip 154 f. 159, 162, 164
Sowjetunion 35, 46, 51, 61 f., 94 ff., 98, 100 f., 120, 140, 163, 217
Polen 51, 53, 60 ff., 75, 84, 140, 152, 160 ff., 171, 178, 183, 187 ff., 217
Sozialbindung 33 f., 83 f.
Potsdamer Abkommen 188 ff., 194 f., 202 f., 206, 217 f. 255 Privatnützigkeit 80, 82 f.
Sozialstaatsprinzip 101 f. Staatensukzession 133, 152, 154, 163, 184, 201, 210, 212
Provenienzprinzip 154, 156, 163
Staatsangehörigkeit 21, 50 f., 53, 55 f., 76, 178, 226 f., 235 ff., 244, 246, 282
Recht am Eigentum 81
Stiftung deutsch-polnische nung 60
Recht auf Eigentum 23, 81, 107 f. Registraturgut 132, 135, 138, 178 f.
Aussöh-
Sachregister / Index
322
Territorialitätsprinzip 61, 95 f., 152 f., 167 Tharau 219 Tschechische Republik 63, 75 f. Tschechoslowakei 46, 61, 64, 73, 76, 152, 159, 223 f., 226
Vertreibungsverbot 197 f. Verwaltungsvermögen 128 ff. Völkergewohnheitsrecht 20, 24, 34, 97, 161 Völkermord 19, 36, 195 f., 198 Volkseigentum 87
Türkei 28, 113, 219 Warschauer Vertrag (1970) 53, 58, 62 Überleitungsvertrag 48 ff., 67, 72 f., 212 Ungarn
Entschädigungsgesetzgebung 255 ff.
Staatliche Entschädigungsbehörde 267
Landesbehörde für Wiedergutmachung und Entschädigung – Zentrales Entschädigungsbüro 267
Weimarer Reichsverfassung 57 Wertgarantie 84 Wiedergutmachung 20, 37, 41, 43 f., 55, 70, 79, 86, 89, 101, 210, 213, 218, 220, 239, 252, 258 f., 261 f., 267, 269 Wiedervereinigung, deutsche 59, 75, 85 f., 88, 94 f., 97, 100 f., 103, 108, 122 f., 193
Zwei-plus-vier-Vertrag 59, 74, 189, 204 Verhältnismäßigkeitsprinzip 82 Vermögensgesetz 90, 121 Versailler Vertrag (1919) 155 Vertrag von St. Germain (1919) 152, 156 ff. Vertrag von Trianon (1920) 152, 156 f., 159
Zweiter Weltkrieg 19 f., 27, 30, 35 f., 53, 58, 127, 133, 151, 157, 171 f., 178 f., 182 f., 187, 195 ff., 208 f., 211, 217, 229, 231, 235 f., 246, 255, 268 f.
Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Die Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht sind bis einschließlich Band 19 im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, erschienen. Mit dem Band 20 ist die Reihe in den Verlag Duncker & Humblot, Berlin, überführt worden. Band 25: Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil I. Hrsg. von Gilbert H. Gornig, HansDetlef Horn und Dietrich Murswiek. 2008. Band 24: Kulturgüterschutz – internationale und nationale Aspekte. Hrsg. von Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn und Dietrich Murswiek. 2007. Band 23: Das Recht auf die Heimat. Hrsg. von Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 2006. Band 22: Die Europäische Union als Wertegemeinschaft. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 2005. Band 21: Minderheitenschutz und Menschenrechte. Aktuelle Probleme insbesondere im deutsch-polnischen Verhältnis. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 2005. Band 20: Minderheitenschutz und Demokratie. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 2004. Band 19: Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 2001. Band 18: Fortschritte im Beitrittsprozeß der Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas zur Europäischen Union. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 1999.
Band 17: Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit des europäischen Minderheitenschutzes. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 1998. Band 16: Der Beitritt der Staaten Ostmitteleuropas zur Europäischen Union und die Rechte der deutschen Volksgruppen und Minderheiten sowie der Vertriebenen. Hrsg. von Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig und Dietrich Murswiek. 1997. Band 15: Der Schutz von Minderheiten- und Volksgruppenrechten durch die Europäische Union. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gilbert H. Gornig. 1996. Band 14: Rechtliche und politische Perspektiven deutscher Minderheiten und Volksgruppen. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gilbert H. Gornig. 1995. Band 13: Aktuelle rechtliche und praktische Fragen des Volksgruppen- und Minderheitenschutzrechts. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Dietrich Murswiek. 1994. Band 12: Minderheiten- und Volksgruppenrechte in Theorie und Praxis. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gilbert Gornig. 1993. Band 11: Fortentwicklung des Minderheitenschutzes und der Volksgruppenrechte in Europa. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Hans von Mangoldt. 1992. Band 10: Neubestätigung und Weiterentwicklung von Menschenrechten und Volksgruppenrechten in Mitteleuropa. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Hans von Mangoldt. 1991. Band 9: Menschenrechtsverpflichtungen und ihre Verwirklichung im Alltag. Auswirkungen für die Deutschen. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Hans von Mangoldt. 1990.
Band 8: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Verantwortung für Deutschland. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gottfried Zieger. 1989. Band 7: Die deutsche Frage im Spiegel der Parteien. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gottfried Zieger. 1989. Band 6: Das deutsche Volk und seine staatliche Gestalt. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gottfried Zieger. 1988. Band 5: Menschenrechte und wirtschaftliche Gegenleistungen. Aspekte ihrer völkerrechtlichen Verknüpfungen. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Gottfried Zieger. 1987. Band 4: Die Überwindung der europäischen Teilung und die deutsche Frage. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Boris Meissner. 1986. Band 3: Staatliche und nationale Einheit Deutschlands – ihre Effektivität. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Boris Meissner. 1984. Band 2: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage. Hrsg. von Dieter Blumenwitz und Boris Meissner. 1984. Band 1: Staatliche Kontinuität unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage Deutschlands. Hrsg. von Boris Meissner und Gottfried Zieger. 1983.
Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Die „Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht“ sind zuletzt im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, erschienen. Zuvor wurden sie vom Verlag Gebr. Mann, Berlin, aufgelegt. Band 32: Dieter Blumenwitz: Positionen der katholischen Kirche zum Schutz von Minderheiten und Volksgruppen in einer internationalen Friedensordnung. 2000. Band 31: Gilbert H. Gornig: Territoriale Entwicklung und Untergang Preußens. 2000. Band 30: Michael Silagi: Vertreibung und Staatsangehörigkeit. 1999. Band 29: Dietrich Murswiek: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes und die Grenzen der Verfassungsänderung. Zur Frage nach der Verfassungswidrigkeit der wiedervereinigungsbedingten Grundgesetzänderungen. 1999. Band 28: Wilfried Fiedler: Deportation, Vertreibung, „ethnische Säuberung“. 1999. Band 27: Dieter Blumenwitz: Interessenausgleich zwischen Deutschland und den östlichen Nachbarstaaten. 1998. Band 26: Otto Luchterhandt: Nationale Minderheiten und Loyalität. 1997. Band 25: Dietrich Murswiek: Peaceful change – ein Völkerrechtsprinzip? 1998. Band 24: Dieter Blumenwitz: Internationale Schutzmechanismen zur Durchsetzung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten. 1997.
Band 23: Hans Victor Böttcher: Die Freie Stadt Danzig. 1995. Band 22: Gilbert-Hanno Gornig: Das nördliche Ostpreußen gestern und heute. 1995. Band 21: Boris Meissner: Die Sowjetunion und Deutschland von Jalta bis zur Wiedervereinigung. 1995. Band 20: Dieter Blumenwitz: Volksgruppen und Minderheiten. 1995. Band 19: Rainer Hofmann: Minderheitenschutz in Europa. 1995. Band 18: Wolfgang Seiffert: Die Verträge zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn. 1994. Band 17: Christian Hillgruber; Matthias Jestaedt: Die europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz nationaler Minderheiten. 1993. Band 16: Siegrid Krülle: Die Konfiskation deutschen Vermögens durch Polen. – 1, 1993. Band 15: Dieter Blumenwitz: Minderheiten- und Volksgruppenrecht. 1992. Band 14: Mechthild Steffens; Alexander Uschakow: Die deutsche Frage in der juristischen und politikwissenschaftlichen Literatur des Auslandes seit 1980. 1993. Band 13: Dieter Blumenwitz: Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutschpolnischen Beziehungen. 1992. Band 12: Eckart Klein: Diplomatischer Schutz im Hinblick auf Konfiskationen deutschen Vermögens durch Polen. 1992.
Band 11: Gilbert-Hanno Gornig: Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands (Bd. 2). 1992. Band 10: Dieter Blumenwitz: Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands (Bd. 1). 1992. Band 9: Dietrich Murswiek: Die Vereinigung Deutschlands. 1992. Band 8: Otto Kimminich: Deutschland und Europa. 1992. Band 7: Wilfried Fiedler: Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage. 1991. Band 6: Otto Kimminich: Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg. 1990. Band 5: Gottfried Zieger: Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes als Grundlage der staatlichen Einheit Deutschlands und Basis seiner Reorganisation. 1990. Band 4: Eckart Klein: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage. 1990. Band 3: Dieter Blumenwitz: Die Überwindung der deutschen Teilung und die Vier Mächte. 1990. Band 2: Mechthild Steffens: Der Beitritt der DDR zu multilateralen Verträgen und seine Auswirkungen auf die innerdeutschen Beziehungen und den Status Gesamtdeutschlands. 1989. Band 1: Mechthild Steffens: Die deutsche Frage in der juristischen Literatur des Auslandes seit 1970. 1989.