Zur Dynamik von Ehescheidungen: Theoretische und empirische Analysen [1 ed.] 9783428501199, 9783428101191

Im vorliegenden Buch wird von der Theorie, über die Methoden bis hin zu ausgewählten empirischen Fragen die Scheidungsdy

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German Pages 190 Year 2002

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Zur Dynamik von Ehescheidungen: Theoretische und empirische Analysen [1 ed.]
 9783428501199, 9783428101191

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HENRIETTE ENGELHARDT

Zur Dynamik von Ehescheidungen

Rostocker Beiträge zur Demographie Band 2 Herausgegeben von Reiner Hans Dinkel, Jan M. Hoem, Johannes Huinink und J ames W. Vaupel

Zur Dynamik von Ehescheidungen Theoretische und empirische Analysen

Von

Henriette Engelhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Engelhardt, Henriette: Zur Dynamik von Ehescheidungen : theoretische und empirische Analysen I Henriette Engelhardt. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Rostocker Beiträge zur Demographie ; Bd. 2) Zug!.: Bern, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-10119-7

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1615-7273 ISBN 3-428-10119-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Geleitwort "Drum prüfe, wer sich ewig bindet!" Paradoxerweise ergeben empirische Studien ein scheinbar gegenläufiges Resultat. Haben Ehepartner bereits eine längere Zeit vor der Heirat zusammen gelebt, so ist ihr Scheidungsrisiko höher als bei Paaren ohne voreheliche Haushaltsgemeinschaft Auch in multivariaten Schätzungen ereignisanalytischer Modelle ergibt sich zunächst einmal ein positiver "Kohabitationseffekt". Und dies, obwohl doch gerade in Probeehen beide Partner die Möglichkeit hatten, sich genauer im Alltag kennenzulernen und zu "prüfen". Statt vorschnell nach Gründen zu suchen, um das unerwartete Resultat zu "erklären", empfiehlt es sich allerdings, mit der Autorin dieser Monographie einen methodenkritischen Blick auf die Befunde zu werfen. Tatsächlich zeigt sich, dass sich insbesondere bei den älteren Jahrgängen Paare mit vorehelicher Kohabitation auch in vielen anderen Merkmalen von jenen Paaren unterscheiden, die erst bei der Eheschließung zusammengezogen sind. Solche Merkmale sind z. B. Religiosität oder der Grad der Betonung von Familienwerten. "Selbstselektion" erzeugt dann eine positive Korrelation mit dem Scheidungsrisiko, obgleich der tatsächliche Kausaleffekt des Merkmals "voreheliche Kohabitation" negativ ist. Diese Interpretation legen nicht nur verschiedene Indizien nahe, etwa der mit zunehmender Nähe zur Gegenwart schwindende Selektionseffekt, sondern auch die Schätzung eines geeignet spezifizierten Modells, das dem Problem der Selektionsverzerrung Rechnung trägt. Das hier herausgegriffene Beispiel des Zusammenhangs von Kohabitation und Scheidungsrisiko, den die Autorin ausführlich in einem Kapitel analysiert, demonstriert, dass komplexe mathematische und statistische Modelle nicht Selbstzweck sind. Sie haben u. a. die wichtige Funktion der Korrektur von Fehlurteilen, die sich aufgrund einer oberflächlichen Dateninterpretation einstellen können. Dabei sollte man sich aber auch nicht allein auf die mehr oder minder robusten Modellschätzungen verlassen. Erst wenn weitere Indizien in die gleiche Richtung weisen und die Spurensuche ein konsistentes Bild ergibt, wird man dies als (vorläufigen) Beweis für die Richtigkeit der Hypothese gelten lassen. Wer Kausalstrukturen untersucht und "nur" nicht-experimentelle Umfragedaten zur Verfügung hat, wird immer wieder mit gravierenden methodischen Problemen konfrontiert. Dazu zählen das soeben erwähnte Problem der Selektionsverzerrung, das Problem zensierter Daten bei Ereignisanalysen, das Problem "unbeobachteter Heterogenität", Messfehler- und Erhe-

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Geleitwort

bungsprobleme (ist "Trennung" oder "Scheidung" das validere Datum?) und die Problematik kausaler Wechselwirkung - alles methodische Probleme, die in diesem Buch explizit zur Sprache kommen. Reduzieren Kinder in Ehen wirklich kausal das Scheidungsrisiko oder sind es einfach die stabileren Ehen, in denen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Kinder geboren werden? Oder ist beides der Fall? Müßig zu fragen, wie viele Artefakte in wissenschaftliche Veröffentlichungen Eingang gefunden haben, weil systematisch bedingten Verzerrungen keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In experimentellen Wissenschaften benötigt man eines nicht: Eine aufwendige Methodik der Datenanalyse zur Identifizierung von Kausalstrukturen. In der Demographie und Familiensoziologie verhält es sich umgekehrt. Die Unmöglichkeit von Experimenten erfordert komplexe, multivariate Methoden in der Auswertungsphase, mit deren Hilfe versucht wird, Verzerrungen aufgrund des nicht-experimentellen Designs in der Erhebungsphase nachträglich im Zuge der Datenanalyse auszugleichen. Deswegen ist die moderne Bevölkerungsforschung und Familiensoziologie anspruchsvoll bezüglich der Wahl der Modelle und statistischen Methoden. Hohe Ansprüche stellt auch Henriette Engelhardts Monographie zur Dynamik von Ehescheidungen. Das nötige Rüstzeug zur Diskussion der angesprochenen methodischen Fragen hat die Autorin im Gepäck. In sieben Kapiteln wird der Bogen von der Theorie über die Methoden bis hin zur Anwendung der Techniken auf die Daten einer umfassenden Erhebung zur Familiendynamik in Deutschland gespannt. Anband der ca. 6000 retrospektiv erhobenen Biographien nicht-lediger Befragter des "Deutschen Familiensurveys" werden ereignisanalytische Modelle geschätzt, Die Schätzungen geben über das Gewicht zahlreicher Einflussgrößen auf das Risiko einer Ehescheidung Auskunft und werfen ein Licht auf verschiedene, in der Literatur kontrovers diskutierte Hypothesen. Nach einer Einführung in die Thematik rücken Theorien zur Erklärung von Scheidungsrisiken in den Mittelpunkt der Diskussion. Behandelt werden drei Ansätze: Austauschtheorie, Familienökonomie und spieltheoretische Verhandlungsmodelle. Die Theorien werden sachkundig präsentiert, Gemeinsamkeiten und Mängel werden herausgearbeitet. In Anlehnung an Lewis und Spanier, jedoch wesentlich erweitert, wird eine Liste empirischer Propositionen zur Ehequalität und Ehestabilität vorgelegt. Damit wird zugleich ein Überblick zu den mutmaßlichen Faktoren, die das Scheidungsrisiko hemmen oder befördern, gegeben. Das folgende, dritte Kapitel behandelt methodische Probleme der Datenanalyse und die Techniken der Ereignisanalyse. Dabei werden, zugeschnitten auf den Gegenstand der Untersuchung, spezielle parametrische Modelle diskutiert, die sich zur Analyse von Scheidungsrisiken eignen. Typisch für Scheidungsrisiken ist der nichtmonotone, umgekehrt u-förmige Verlauf des Risikos in Abhängigkeit

Geleitwort

7

von der Ehedauer. Für diese Regelmäßigkeit werden verschiedene Begründungen angeführt, die in Kapitel vier diskutiert werden. Selten finden sich in der Literatur, selbst in statistisch-quantitativ orientierten demographischen Arbeiten, Versuche, die Risikofunktion aus formalisierten Annahmen herzuleiten. In den meisten Studien wird der Risikoverlauf einfach als gegeben angenommen. Insofern wird mit der Diskussion in Kapitel vier auch ein Schritt über die übliche Praxis hinaus unternommen. Dies gilt auch für die Untersuchung des Problems der Ereignisdefinition. Ist es sinnvoll mit dem Ereignis "Trennung" oder mit dem Ereignis "Scheidung" im juristischen Sinne zu arbeiten und ergeben sich aus den unterschiedlichen Definitionen überhaupt Unterschiede bei den empirischen Resultaten? Es zeigt sich u. a., dass die multivariaten Schätzungen weitgehend robust sind bezüglich unterschiedlicher Definitionen der Eheauflösung, ausgenommen allerdings die Schätzungen für die sozialen "Vererbungseffekte" des Scheidungsrisikos nach Geschlecht. Die Differenz zwischen den sozialen Vererbungseffekten bei Söhnen und Töchtern ist nicht mehr signifikant, wenn man die "Trennungsdefinition" anstelle der juristischen Definition des Scheidungsrisikos zugrunde legt. Darüber hinaus werden neue Ergebnisse erzielt zu den Bestimmungsgrößen der "Wartezeit" zwischen der Trennung und der gerichtlich festgesetzten Ehescheidung. Von Interesse ist auch der Befund, dass offenbar die subjektive Erinnerung des Trennungsdatums mit dem Geschlecht variiert und mit Blick auf die Validität der retrospektiv gewonnenen Angaben skeptisch beurteilt werden muss. Eine detaillierte Analyse der sozialen Vererbung des Scheidungsrisikos findet sich in Kapitel sechs. Im Einklang mit zahlreichen US-amerikanischen Studien zeigt sich auch für deutsche Ehen, dass Kinder aus Scheidungsfamilien in ihrer eigenen Ehe ein stark erhöhtes Scheidungsrisiko aufweisen. Dass die Scheidung kausal von Bedeutung ist, kann durch den Vergleich zu den Eheauflösungen durch den Tod eines Elternteils ermittelt werden. Bei Verwitwung eines Elternteils in der Phase des Heranwachsens der Kinder erhöht sich das Scheidungsrisiko in der nachfolgenden Generation nämlich nicht. Kapitel sieben befasst sich mit der eingangs erwähnten Frage nach dem Einfluss vorehelicher Kohabitation auf das Scheidungsrisiko. Anband verschiedener Tests wird in diesem Kapitel nachgewiesen, dass das erhöhte Scheidungsrisiko von Ehen mit "vorgeschalteter Probeehe" nicht kausal interpretiert werden kann, sondern aus einem Selektionseffekt resultiert. Theoretisch, methodisch-statistisch und empirisch knüpft die vorliegende Studie zur Dynamik von Ehescheidungen am Stand der Forschung an und leistet zur Erforschung der Scheidungsursachen mit neuen, aufschlussreichen Resultaten einen bedeutsamen Beitrag. Wo andere Untersuchungen Annahmen als gegeben hinnehmen, werden in dieser Arbeit genauere Begründungen diskutiert. Besonders aber lässt sich die Autorin nicht durch

Geleitwort

8

den ersten Augenschein von Zusammenhängen zu kausalen Interpretationen verleiten. Vielmehr prüft sie wie eine gute Detektivin, kritisch und gerüstet mit modernen Methoden der Statistik, die Indizien, um den kausalen Mechanismen demographischer Zusammenhänge auf die Spur zu kommen. Bem, Januar 2002

Andreas Diekmann

Vorwort Ehescheidungen sind kein neues Phänomen; sie sind Teil der menschlichen Beziehungen fast überall auf der Welt. Neu ist in vielen westlichen Industriegesellschaften das Ansteigen der Scheidungsziffern auf ein bis anhin nicht erreichtes Niveau. Das Problem der Zunahme der ehelichen Instabilität besteht meines Erachtens weniger in der Gefährdung der Institution Ehe, als vielmehr in den psychischen und wirtschaftlichen Folgen für die Ehepartner sowie in den veränderten Sozialisationsbedingungen der betroffenen Kinder. Diese sozialen Konsequenzen sind Grund genug für eine theoretische und empirische Beschäftigung mit der Dynamik von Ehescheidungen. Aufgrund der Breite der Thematik empfiehlt sich die Beschränkung auf wenige Einzelfragen zur Dynamik des Scheidungsrisikos. Bei der Auswahl und Abhandlung der einzelnen Aspekte wurde bewusst der Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstands Rechnung getragen. So finden sich in der vorliegenden Arbeit Erkenntnisse aus der Demographie, Soziologie, Psychologie, Ökonomik und Ökonometrie. Konkret liegen die inhaltlichen Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit in einer formalen theoretischen und statistischen Betrachtung der Problematik der Dynamik des Scheidungsrisikos, in der Frage nach den empirischen Konsequenzen unterschiedlicher Definitionen der Eheauflösung, sowie in einer empirischen Analyse der so genannten Transmissions-These und der Kohabitations-These. Die einzelnen Kapitel wurden dabei jeweils so geschrieben, dass sie in sich geschlossene Beiträge darstellen. Obwohl Querverbindungen durch entsprechende Hinweise verdeutlicht werden, können die Kapitel prinzipiell isoliert gelesen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass sich der Leser durch eine selektive Lektüre der Einzelkapitel schnell in eine bestimmte Thematik einfinden kann. Mein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle Johannes Huinink und Andreas Diekrnann. Johannes Huinink hat die Publikation der vorliegenden Arbeit angeregt und unterstützt. Andreas Diekrnann hat mein Interesse an der empirisch-dynamischen Scheidungsforschung geweckt und mich während der Abschlussphase der dieser Arbeit zugrunde liegenden Dissertation von Arbeiten am Institut für Soziologie der Universität Bem entlastet. Gemeinsam mit Andreas Diekrnann entstand auch eine Veröffentlichung einer früheren Version von Kapitel 6 ("Transmission"). Kapitel 7 ("Kohabitation") beruht ebenfalls auf zwei gemeinsamen Publikationen mit Andreas Diekrnann und Josef Brüderl. Josef Brüderl verdanke ich Korrekturen mei-

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Vorwort

ner ersten Programme zur Auswertung der Daten des Familiensurveys sowie deren unermüdliche Weiterentwicklung, welche letztendlich den empirischen Analysen der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen. Aus Überlegungen zur Scheidungs- und Trennungsproblematik bei der Ereignisdefinition ist auch aus einer älteren Version von Kapitel 5 ("Trennungen vs. Scheidungen") ein gemeinsamer Artikel entstanden. Wertvolle fachliche und moralische Unterstützung sowie geduldige Diskussionsbereitschaft gewährte mir Norman Braun, mit dem eine gemeinsame Arbeit zur diffusionstheoretischen Begründung von Hazardratenmodellen entstand, welche in Kapitel 3 eingeflossen ist. Eine große Hilfe war auch Claudia Zahner, die das Manuskript sprachlich korrigiert hat. Für die trotz aller Umsicht verbliebenen Fehler bin ich selbstverständlich allein verantwortlich. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich Reinhard Wölfler, der mir während der abschließenden Arbeiten an diesem Manuskript Unterkunft gewährte und mich von den Alltagslasten abschirmte. Rostock und Wien, Dezember 2001

Henriette Engelhardt

Inhaltsverzeichnis Kapitell Einleitung

17

Kapitel 2 Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

24

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Methodologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 C. Erklärungsansätze............. . ... . ............ . . . ............... . .. . I. Austauschtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Familienökonomik . . .. . . . . .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Spieltheoretische Verhandlungsmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 31 42

D. Empirische Korrelate......... . . ... .. . ... . . .. . . . .. .. . .. ... .. ........ . . 44 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Kapitel3 Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

57

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 B. Grundkonzepte der Ereignisanalyse....... . ... . ..... ... . ........ .... .. . 58 C. Nicht- und semi-parametrische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. Sterbetafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Cox-Regression................................................. . 61 D. Parametrische Modelle....... . ......... .. . . .. . ...................... . 62 I. Risikofunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Parameterschätzung und ModellwahL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 E. Effekte von Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Exogene Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Endogene Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 F. Unbeobachtete Heterogenität . . . ....... ........ . . ... .. .. . .... ... . . .... . 75 G. Zusammenfassung............................ . ...................... 76

12

Inhaltsverzeichnis

Kapite/4 Begründungen des Risikoverlaufs

78

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 B. Unbeobachtete Heterogenität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Mover-Stayer-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Allgemeines Heterogenitätsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Lerntheoretische Begründung des Sichel-Modells. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 D. Diffusionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Diekmanns Diffusionsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Alternatives Diffusionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Kapitel 5 Trennungen vs. Scheidungen

99

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 B. Daten und Variablen ........ .. ...... . .. . ......... . ........... .... .... 100 C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

I. Deskriptiver Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Multivariater Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

D. Von der Trennung zur Scheidung ... .... .. . . .... .... . ..... .... . . .. . . ... ll2 E. Parametrische Modellanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 F. Zusammenfassung .. ........ . . . .. . .... .... . . .. . .. .. ......... . . . .. .. . . 121

Kapite/6 Transmission

123

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 B. Hypothesen ......... .. . .. . .. .. ...... . .. . ... . ............. . .. . . . . .... 124 C. Empirische Evidenz ...... . . ..... .................. . ...... . .. . ... ... . . 127 I. Geschlechtsspezifische Transmissionseffekte .. . . ... . .. . .. . ... . . . . .. . 129 II. Multivariate Kontrolle ... . . .. ...... . . . . . ........ .... ... .. ..... . . .. 132 D. Stilisierte Fakten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Inhaltsverzeichnis

13

Kapitel 7

Kohabitation

145

A. Einleitung ................... . ................ .... ............ . ..... 145 B. Kohabitations-und Selektivitätsthese ........... ... . .. ........... ... .... 146 C. Indirekte Tests des Kohabitations-Effekts .......... . . . ............ . . ... . 148 I. Indirekte Tests der Selbstselektion-Hypothese ... .. ............. .... . 152 II. Indirekte Tests der Kohabitations-These ..... . . .. . . . . . . . ..... .. . . ... 154 D. Direkter Test des Kohabitation-Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Kapitel 8

Diskussion und Ausblick

164

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1.1: Ehescheidungen in Deutschland je 10.000 Einwohner . . . . . . . . Abbildung 1.2: Scheidungsziffern der amtlichen Statistik für ausgewählte Heiratskohorten der Bundesrepublik....... ... . . .............. .

17

Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

64 65 67 68 69

3.1: 3.2: 3.3: 3.4: 3.5:

Übergangsraten des Sichel-Modells.. .. .................... Log-logistisches Hazardratenmodell.. ... .................. . Generalisiertes log-logistisches Modell: Intensitätseffekte.. . . . Generalisiertes log-logistisches Modell: Zeiteffekte . . . . . . . . . . Generalisiertes log-logistisches Modell: Gestalteffekte. . . . . . . .

18

Abbildung 4.1: Ratenmischung zweier Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Abbildung 4.2: Individuelle Risikoverläufe des Heterogenitätsmodells. . . . . . . . 82 Abbildung 4.3: Aggregierte Risikoverläufe des Heterogenitätsmodells. . . . . . . . 83 Abbildung 5.1: Sterbetafel-Schätzung des ehedauerabhängigen Trennungsund Scheidungsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5.2: Kaplan-Meier-Schätzung der ehedauerabhängigen Trennungsund Scheidungs-Überlebensfunktionen........ .... .. . ... .... Abbildung 5.3: Ehedauerabhängiges Trennungsrisiko nach Heiratskohorten (Sterbetafel-Schätzungen) ............. . ........... ... ..... Abbildung 5.4: Ehedauerabhängiges Scheidungsrisiko nach Heiratskohorten (Sterbetafel-Schätzungen) ............. . ............. .... . . Abbildung 5.5: Anteil nicht getrennter Ehen nach Heiratskohorten (KaplanMeier-Schätzungen) ..... .. . ... ...... . .... . . .............. Abbildung 5.6: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Heiratskohorten (Kaplan-Meier-Schätzungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5.7: Sterbetafel-Schätzung des Scheidungsrisikos nach einer Trennung ......... ..... .............................. . . ... . . Abbildung 5.8: Eheüberlebenskurve nach einer Trennung . . ... ........ .... . . Abbildung 5.9: Vergleich der Sterbetafelschätzung des Trennungsrisikos mit den parametrischen Risikofunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5.10: Vergleich der Sterbetafelschätzung des Scheidungsrisikos mit den parametrischen Risikofunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 106 107 107 109 109 113 113 119 119

Abbildung 6.1 : Anteil nicht geschiedener Ehen nach der Ehedauer und der Herkunftsfamilie (Kaplan-Meier-Schätzungen) . . ........ .. .. 128 Abbildung 6.2: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Herkunftsfamilie bei Heiratskohorten bis 1970 (Kaplan-Meier-Schätzungen) ....... 130 Abbildung 6.3: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Herkunftsfamilie bei Heiratskohorten ab 1971 (Kaplan-Meier-Schätzungen) .... .... 130

Abbildungsverzeichnis Abbildung 6.4: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Herkunftsfamilie der Ehefrauen (Kaplan-Meier-Schätzungen) .................. . . Abbildung 6.5: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Herkunftsfamilie der Ehemänner (Kaplan-Meier-Schätzungen) ................... Abbildung 6.6: Scheidungsprozess für Scheidungswaisen nach Geschlecht (Kaplan-Meier-Schätzungen) .............................. Abbildung 6.7: Trennungsprozess für Scheidungswaisen nach Geschlecht (Kaplan-Meier-Schätzungen) .............................. Abbildung 7.1: Kaplan-Meier-Schätzung des Anteils nicht geschiedener Erstehen für Paare mit und ohne Kohabitation (nur Heiratskohorten 1971-88; 95%-Konfidenzintervall schattiert) ............ Abbildung 7.2: Sterbetafelschätzung des Scheidungsrisikos für Paare mit und ohne Kohabitation (nur Heiratskohorten 1971-88) ........... Abbildung 7.3: Anteil Ehepaare nach Heiratskohorten, welche vor Eheschließung nichtehelich zusammen lebten ........................ Abbildung 7.4: Ein Kausalmodell der Beziehung von Kohabitation und Scheidung ...................................................

15 131 131 133 133

149 149 153 159

Tabellenverzeichnis Tabelle 4.1: Tabelle 4.2:

Drei Spezialfälle von Diekmanns Diffusionsmodell. . . . . . . . . . . . . 90 Einige Spezialfälle des alternativen Diffusionsmodells . . . . . . . . . . 94

Tabelle 5.1: Tabelle 5.2:

Mittelwerte der Kovariablen ......... .. .................... . . Der Trennungs- und Scheidungsprozess im multivariaten Vergleich (Cox-Regression) ............ . ........................ Analyse der Zeitdauer von der Trennung bis zur Scheidung (Split-Population Modell) .......... ... ...................... Parameterschätzungen verschiedener Hazardratenmodelle des Trennungs- und Scheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der parametrischen Modellprognosen mit den KaplanMeier-Schätzungen ................... .. ....................

Tabelle 5.3: Tabelle 5.4: Tabelle 5.5: Tabelle 6.1: Tabelle 6.2: Tabelle 6.3: Tabelle 6.4: Tabelle 7.1: Tabelle 7.2: Tabelle 7.3: Tabelle 7.4:

Transmissions-Effekt beim Scheidungsrisiko nach Geschlecht (Sichel-Modell) ... . .. ... ... ...... ....... .. . ................ Geschlechtsspezifische Interaktionseffekte beim TransmissionsEffekt für das Trennungs- und Scheidungsrisiko (Sichel-Modell) . Mittelwerte der Kovariablen nach Herkunftsfamilie ............. Mittelwerte der Kovariablen nach Herkunftsfamilie und Geschlecht der befragten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheidungsraten deutscher Erstehen (Sichel-Modell) ............ Eheorientierung bei Personen mit und ohne Kohabitation (Heiratskohorten 1971- 88) ................. .. ................... Kohabitationseffekt in unterschiedlichen Modellspezifikationen .. Ein Simultanmodell für die Wahrscheinlichkeit von Kohabitation und Scheidung . .. . ... . . . . .............. . . . . ....... . . . ......

104 111 115 117 120 135 137 138 140 151 152 155 161

Kapitell

Einleitung Seit Beginn dieses Jahrhunderts ist in Deutschland - wie in vielen anderen westlichen Industriegesellschaften - ein langfristiger Trend steigender Scheidungszahlen zu beobachten. Abbildung 1.1 zeigt diese Entwicklung für das Deutsche Reich, sowie für Ost- und Westdeutschland anband der allgemeinen Scheidungsziffer, welche sich durch die Anzahl Ehescheidungen je 10.000 Einwohner definiert (vgl. Statistisches Amt der DDR 1990: 417; Statistisches Bundesamt 1972: 114 sowie verschiedene statistische Jahrbücher). Die Kontinuität des zunächst langsam verlaufenden und dann beschleunigten Anstiegs wurde durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Ein wahrer Scheidungsboom war nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu beobachten, der sich aber in der Bundesrepublik schon Ende der 40er Jahre stark rückläufig entwickelte. Seit Mitte der 50er Jahre steigen hier die Scheidungsziffern wieder an. Zu einem kurzfristigen Einbruch dieser Entwicklung kam es durch die Scheidungsreform 1977178, welche auf verfahrenstechnische Verzögerungen der Ehescheidungen zurückzuführen ist (Dorbritz und Gärtner 1998; Höhn 1980).

35.-------------------------------------, 30 25

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1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

Abbildung 1.1: Ehescheidungen in Deutschland je 10.000 Einwohner 2 Engelhardt

Kap. 1: Einleitung

18

Für die ehemalige DDR zeigt sich eine weitgehend parallele Entwicklung der Scheidungszahlen, allerdings auf einem höheren Niveau. Mit der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland ging für die neuen Bundesländer auch ein drastischer Einbruch der Anzahl Ehescheidungen einher, welcher ebenfalls - neben der abwartenden Haltung scheidungswilliger Personen - teilweise auf die Umstellung des Scheidungsrechts zurückzuführen sein dürfte. Seit 1993 nimmt denn auch in Ostdeutschland die Zahl der Scheidungen wieder deutlich zu. Analoge Scheidungsverläufe ergeben sich für West- und Ostdeutschland auch bei der Betrachtung der spezifischen Scheidungsziffem, welche sich durch die Anzahl Ehescheidungen je 10.000 Ehen definiert (ohne Abbildung; siehe z.B. Kopp 1994: 20; Wagner 1997: 119). Die amtlichen Querschnittsdaten illustrieren deutlich, dass die Dynamik des Scheidungsrisikos in diesem Jahrhundert nur kurzzeitig von verschiedenen externen Ereignissen unterbrochen wurde. Ein genaueres Bild über den Anstieg des Scheidungsrisikos vermitteln Längsschnittdaten. Abbildung 1.2 zeigt für die Bundesrepublik für ausgewählte Heiratskohorten von 1950 bis 1985 die kumulierten Anteile geschiedener Ehen in Abhängigkeit von der Ehedauer (vgl. Harnmes 1994; EngstIer 1998). Es ergibt sich ein deutlicher Rückgang der ehelichen Stabilität über die Ehejahrgänge, der allerdings (noch) für keine Heiratskohorte das Niveau von einem Drittel erreicht hat. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es zumindest Ende der 90er Jahre in Westdeutschland noch keinen Eheschließungsjahrgang, der zu 30% geschieden wurde (vgl. Wagner 1997: 120 f.). 30

5 25

1980. 1975

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Zt), wird sie in der Ehe verbleiben, wenn die Summe des Einkommens von Mann und Frau nach der Trennung kleiner ist als in der Ehe. Der Mann wird ihr dann nämlich ein lukratives Bleibeangebot unterbreiten (z. B. vermehrte freundliche Zuwendung, erhöhte Beteiligung an der Haushaltsarbeit, Entgegenkommen bei Planungen für größere Ausgaben wie Urlaub, Kinder, Wohnungseinrichtung). Wenn die Frau umgekehrt durch eine Scheidung verlieren würde (Zj < Zt ), wird sie sich dann mit der Scheidung abfinden, wenn die Summe der getrennten Einkommen größer ist als die Summe der gemeinsamen Einkommen. Von einer Scheidung müssen also keineswegs beide Partner profitieren. Es kommt dennoch zur Scheidung, wenn der Gewinn der Frau (bzw. des Mannes) durch eine Scheidung größer ist als der Verlust des Mannes (bzw. der Frau). Eine Ehe bleibt dann durch Ausgleichszahlungen erhalten, wenn durch den Verbleib in der Beziehung der potentielle Verlust des einen Partners den Gewinn des anderen nicht überschreitet. Zusammenfassend wird im Ansatz der Familienökonomik die Ehestabilität (a) durch das eheliche bzw. nacheheliche Einkommen, (b) durch die Konstanz der Eheerträge und (c) durch die Kosten der Scheidung bestimmt 9 Das Coase-Theorem besagt, dass Externalitäten (Nutzeneinflüsse durch Handlungen für einen unbeteiligten Akteur) perfekt internalisiert werden können, sofern Verhandlungen ohne Transaktionskosten möglich sind (Coase 1988).

C. Erklärungsansätze

39

(Michael 1979: 223 ff.). Obwohl die Familienökonomik auf formaler Modellbildung beruht, werden allerdings nicht alle der folgenden Aussagen auch durch entsprechende Modelle begründet. 1. Die Höhe des gemeinsamen ehelichen Einkommens und damit die Ehestabilität ergibt sich unmittelbar aus dem Heirats- und Scheidungskriterium. Es ist plausibel, dass der Ehegewinn mit dem Grad der Arbeitsteilung in einer Ehe und der Spezialisierung eng verknüpft ist. Sind die Ehegatten in der Haushaltsgüterproduktion weitgehend Substitute, ist der Ehegewinn gering. Höher ist der Ehegewinn, wenn die Ehegatten diesbezüglich in einer komplementären Beziehung stehen. Der Gewinn aus einer Ehe und damit die Ehestabilität sind darüber hinaus umso höher, je mehr in ehespezifisches Kapital investiert wurde. Unter ehespezifischen Investitionen verstehen Becker (1991) sowie Becker et al. (1977) Kinder, Hausbesitz, haushaltsnahes Humankapital der Frau, marktnahes Humankapital des Mannes, sexuelle Kompatibilität sowie Kenntnisse über den Partner. Diese Investitionen erhöhen den Ehegewinn durch eine effizientere Produktion der Haushaltsgüter. Weiter ist zu berücksichtigten, dass das eheliche bzw. nacheheliche Einkommen wesentlich durch das Steuer- und Transfersystem beeinflusst wird. 2. Die Ehestabilität wird mit starken Schwankungen des erwarteten Ehegewinns reduziert. Durch den Eintritt unerwarteter Ereignisse wird der Ehegewinn unter Umständen so reduziert, dass eine Scheidung für einen oder beide Ehegatten die beste Lösung darstellt. Unerwartete scheidungsfördernde Ereignisse sind zum Beispiel Veränderungen des Gesundheitszustands eines Ehegatten, Abweichungen von der erwarteten Fertilität oder starke Abweichungen zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Einkommenserzielungskapazität des Partners. 3. Die Ehestabilität erhöht sich schließlich mit den institutionell festgelegten und normativen Scheidungskosten. Zu den ersteren Kosten zählen z. B. Anwalts- und Gerichtskosten sowie bestimmte Prinzipien der Scheidungsgesetzgebung wie das Zerrüttungs- oder Schuldprinzip. Liegt einer Scheidung das Zerrüttungsprinzip zugrunde, ist die finanzielle Situation der ehemaligen Ehegatten sehr viel ausgeglichener als beim Schuldprinzip. Der schuldig Gesprochende wird durch die Scheidung meist deutlich schlechter gestellt als der Schuldlose. Weitere, von Becker explizit berücksichtigte Scheidungskosten, liegen im Verlust bzw. in der Entwertung von ehespezifischem Kapital. Diese Investitionen verlieren nach einer Trennung an Wert, da sie nicht über das Ende der Ehe transferiert werden können. Für das Ansteigen der Scheidungsraten machen Becker (1991) sowie Becker et al. (1977) ein generelles Absinken des Ehegewinns u. a. durch

40

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

verminderte ehespezifische Investitionen verantwortlich. Destabilisierende Effekte für eine Ehe gehen von verringerten Kinderzahlen, steigenden Löhnen der Frauen und zunehmenden Erwerbsquoten verheirateter Frauen aus, die auch durch den Abbau des Informationsdefizits bei der Heirat (steigende Kohabitationsraten) nicht kompensiert werden. Kopp (1994: 64) weist allerdings darauf hin, dass Individualisierungsprozesse die Einschätzung des zukünftigen Ehegewinns aufgrund askriptiver Merkmale (Religion, soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit) zunehmend erschweren. Welche Faktoren genau die Scheidungsraten ansteigen lassen, müssen beim familienökonomischen Ansatz - wie bereits bei der Austauschtheorie noch explizit benannt werden. Es müssen damit erst noch entsprechende Anschlusshypothesen formuliert werden, welche in der Regel auf Plausibilitätsüberlegungen beruhen (siehe z. B. Kopp 1994). Zusatzannahmen sind aber in der Regel auch dann erforderlich, wenn nicht der Anstieg des Scheidungsrisikos, sondern generell die Effekte der Determinanten der Ehescheidung überprüft werden sollen. Hier werden die Modellfolgerungen häufig durch Zusatzannahmen ergänzt, welche sich nicht nur auf die Messung der relevanten Variablen beziehen. Da ein direkter Test des Scheidungsmodells nicht möglich ist, bleibt der Übergang vom theoretischen zum statistischen Modell unbegründet. Dieser Mangel ist bei Rational Choice Modeliierungen häufig zu diagnostizieren (Braun 1998b). Abgesehen von der unzureichenden theoretischen Begründung des statistischen Modells stellt sich konkret die Frage nach dem Effekt von schulischer und beruflicher Ausbildung auf das Scheidungsrisiko. Weiter oben wurde diskutiert, dass die eheliche Haushaltsproduktion hinsichtlich substituierbarer Eigenschaften bei einem "positive assortative mating" und hinsichtlich komplementärer Merkmale bei einem "negative assortative mating" maximiert und damit die Ehestabilität erhöht wird. Bei gegebener traditioneller Arbeitsteilung ist für Männer die Einflussrichtung der Schulund Berufsausbildung auf das Scheidungsrisiko eindeutig negativ, da sich der eheliche Output mit steigender schulischer und beruflicher Ausbildung erhöht. Bei Frauen ist der Effekt der schulischen Bildung hingegen a priori nicht bestimmbar: "Schulische Bildung der Frauen erhöht das Scheidungsrisiko auf dem Wege der Erhöhung des Humankapitals und Einkommenspotentials, senkt aber das Risiko, weil Bildung auch eine komplementäre Eigenschaft darstellt" (Diekmann und Klein 1991: 275). Bezüglich der beruflichen Ausbildung ist für Frauen dagegen zu erwarten, dass das Scheidungsrisiko mit dem Ausbildungsniveau ansteigt, da die berufliche Ausbildung mutmaßlich stärker mit Einkommenserzielungskapazitäten verknüpft ist. Vergleichen wir schließlich noch die Familienökonomik mit der Austauschtheorie. Im Gegensatz zu der Austauschtheorie erscheint bei der Fa-

C.

Erklärungsansätze

41

milienökonomik nicht die Ehequalität als zentrale Einflussgröße der Ehestabilität, sondern der Ehegewinn. Allerdings kann die Ehequalität auch im Sinne eines Ehegewinns oder Ehenutzens interpretiert werden. Bei beiden Ansätzen ist der individuelle Scheidungsentscheid zusätzlich abhängig von den Kosten der Scheidung sowie den verfügbaren außerehelichen Alternativen. Unabhängig von der Benennung des zentralen Scheidungskriteriums müssen bei beiden Theorien die Faktoren, die in die jeweiligen Konstrukte einfließen, vor der empirischen Überprüfung genau spezifiziert werden. Nur so kann vennieden werden, dass post hoc weitere nicht erhobene nutzenstiftende Güter bzw. Determinanten der Ehequalität zur Erklärung der Ehestabilität herangezogen werden. Der wesentliche Vorteil der Familienökonomik gegenüber der Austauschtheorie liegt allerdings darin, dass die Familienökonomik durch die explizite Nennung der Annahmen Angriffsfläche zur Kritik bietet. Im Zusammenhang mit der wesentlich unpräziseren Austauschtheorie fallt eine Annahmenkritik wesentlich schwerer (Kopp 1994: 69). Nehmen wir also diese Kritikmöglichkeit wahr, und betrachten im folgenden die Annahmen der Neuen Haushaltstheorie und Familienökonomik etwas genauer. 1. Hinter vielen familienökonomischen Ansätzen verbirgt sich die Wettbe-

werbsidee. Der Mikro-Makro-Übergang erfolgt unter den Bedingungen der Theorie des Wettbewerbsmarktes. Diese Theorie beruht aber auf sehr idealisierenden Annahmen: So werden perfekte Markttransparenz und konvexe Präferenzen vorausgesetzt, Transaktionskosten und zunehmende Skalenerträge jedoch ausgeschlossen. Die empirische Berechtigung dieser Annahmen ist aber gerade im Bereich familialer Prozesse fragwürdig. So ist zum Beispiel ziemlich klar, dass zwischen potentiellen Tauschpartnern im Heiratsmarkt - entgegen der Annahme perfekten Wettbewerbs - keine relationale Indifferenz besteht, örtliche und zeitliche Differenzierungen vorliegen und auch keine homogenen Güter getauscht werden. Sind derartige Annahmen aber verletzt, so ist die Existenz eindeutiger Gleichgewichte nicht unbedingt gewährleistet. Aus empirischer Sicht können dann u. U. keine eindeutigen Voraussagen gemacht werden.

2. Im Rahmen des Scheidungsmodells werden zwar die notwendigen Bedingungen für eine Scheidung genannt, nämlich eine Verringerung der Eheerträge unter das Niveau, welches in einer alternativen Lebensform zu erreichen wäre. Hinter der Familienökonomie steht aber ein inhärent statisches Konzept, welches der Erklärung eines zeitabhängigen Phänomens nicht unbedingt angemessen ist (z. B. Witt 1987). Eine dynamische Analyse von familialen Prozessen erfordert einen über den Zeithorizont variierenden Nutzenstrom, d.h. eine dynamische Optimierung unter Nebenbedingungen.

42

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

3. Berk (1980: 126) kritisiert darüber hinaus die Betrachtung einer Familie, die als einzelne Entscheidungsträgerio eine einheitliche Nutzenfunktion maximiert. Dadurch entstehen Inkonsistenzen im Heirats- und Scheidungsmodell, welche auf der Annahme strikter Verfolgung eigennütziger Interessen beruhen. Unklar bleibt nämlich, in welchem Moment ein Ehegatte von der Wohlfahrt des Partners absieht und der Entscheidungsfindung nur mehr die Maximierung des eigenen Nutzens zugrunde legt. Die Familienökonomik schließt zwar mit der "Rotten Kid"-Logik Konflikte zwischen den Haushaltsmitgliedern nicht aus (Becker 1989), die Konsensfindung wird allerdings nicht thematisiert. Spieltheoretische Verhandlungsmodelle ermöglichen dagegen die Modellierung dieser Kompromisse (z.B. Gallerund Ott 1990; Lundberg und Pollak 1993, 1994; Manser und Brown 1980; McElroy und Horney 1981; 1990; Ott 1992).

111. Spieltheoretische Verhandlungsmodelle Die Spieltheorie befasst sich mit der Analyse strategischer Interdependenz zwischen rationalen Akteuren (auch Spieler genannt). Die Spieler in den spieltheoretischen Familienmodellen sind typischerweise die Ehefrau (j) und der Ehemann (m), die ihre Strategien nicht zwingend simultan wählen. Grundsätzlich sind sowohl kooperative wie nicht-kooperative Verhaltensweisen denkbar (Galler und Ott 1990: 113). Allgemein thematisiert die nicht-kooperative Spieltheorie Situationen, in denen die Spieler keine bindenden Verträge schließen oder Absprachen tätigen können (z.B. Rasmusen 1994). Die kooperative Spieltheorie behandelt dagegen Situation, in denen bindende Verträge oder Absprachen möglich sind. Zur Erklärung familialer Entscheidungen wie Heiraten und Scheidungen fand bislang vor allem die kooperative Spieltheorie Anwendung (z.B. Gallerund Ott 1990; Lundberg und Pollak 1993; Manser und Brown 1980; Weissund Willis 1985; Ott 1992). Zur Verdeutlichung der Logik kooperativer spieltheoretischer Modelle seien U1 = Ut(XJ) und Um= Um(xm) die von den Partnern erreichten Nutzenniveaus bei einem Güterbündel x. Zentrales handlungsleitendes Konzept sind die verschiedenen erzielbaren Auszahlungen der Ehepartner im Falle der Übereinkunft oder im KonfliktfalL Können die Ehepartner keine Übereinkunft erzielen, dann erhalten sie die Auszahlungen D1 und Dm. Diese Auszahlungen bilden die Koordinaten des Konflikt- oder Drohpunktes. In unserem Anwendungsfall reflektieren D1 und Dm die Nutzenniveaus im Falle einer Trennung oder Scheidung. Welche Lösung nun im Spiel der Ehegatten realisiert wird, hängt von den Verhandlungsstrategien sowie von der jeweiligen Verhandlungsmacht der

C. Erklärungsansätze

43

Partner ab. Ein häufig angewandtes Konzept ist die Nash-Verhandlungslösung, bei der "[... ] diejenige Lösung gewählt wird, bei der das Produkt der Wohlfahrtsgewinne der Partner gegenüber der jeweils besten externen Alternative maximal wird" (Galler und Ott 1990: 114). Bei einem gegebenem Einkommen E1 und Em und einem Preisvektor p des Güterbündels x ergibt sich die Nash-Lösung formal aus dem folgenden Optimierungsproblem: (2.16)

unter der Nebenbedingung (2.17)

Somit wird bei der Nash-Verhandlungslösung diejenige Güterallokation

(x1 ,xm) gesucht, die das Produkt der Kooperationserträge unter der Neben-

bedingung maximiert, dass Familienausgaben und Familieneinkünfte übereinstimmen. Neben den Preisen und den Einkommen hängen die individuellen Handlungsentscheide wesentlich vom Konflikt- oder Drohpunkt (Dt,Dm) und seinen Determinanten ab (Braun 2000). Veränderungen in den Preisen und Löhnen wirken in zweifacher Hinsicht: Zum einen beeinflussen sie die Handlungsmöglichkeiten in der Familie, zum anderen aber auch die Verhandlungsmacht durch die Erhöhung außerehelicher Alternativen (z. B. alleinige Haushaltsführung durch finanzielle Unabhängigkeit). Externe Alternativen werden neben den Einkommen und Preisen aber auch von institutionellen Regelungen beeinflusst, welche das Einkommen und die Produktion von Haushaltsgütern tangieren. Der Drohpunkt als zentrale Komponente der Handlungsentscheidungen hat im Verhandlungsspiel doppelte Bedeutung. Erstens gibt er die im Konfliktfall anstehenden Auszahlungen für beide Ehegatten an. Zweitens bestimmt der Drohpunkt die intrafamiliale Verteilung entsprechend den Regeln des Verhandlungsspiels. "Rationale Akteure werden die kooperative Lösung in der Familie wählen, wenn die durch das in der Familie erreichbare Wohlfahrtsniveau bestimmte kooperative Auszahlung über der Konfliktauszahlung liegt, die außerhalb der Familie erreicht werden kann" (Galler und Ott 1990: 115). In diesem Fall ergeben sich für die Frau und den Mann die Auszahlung U1 - D1 bzw. Um- Dm. Eine nicht-kooperative Lösung wird umgekehrt dann von einem der beiden Ehegatten gewählt, wenn der Drohpunkt außerhalb der Verhandlungsmenge der Familie liegt, der Ehegatte somit außerhalb der Familie ein höheres Nutzenniveau erreicht. Allgemein dürfte sich das Risiko einer Trennung oder Scheidung mit einem höheren Kooperationsgewinn reduzieren.

44

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

Als zentrales Problem der kooperativen Spieltheorie kann die Bestimmung des Konfliktpunkts (D1 , Dm) bezeichnet werden. Hierzu besteht in der Literatur bislang keine Übereinstimmung (z. B. Grossbard-Shechtman 1995). Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem Erkenntnisgewinn durch die präsentierte kooperative spieltheoretische Modellierung. So zeigen McElroy und Homey (1981 ), dass sich bei einem exogen gegebenen und unveränderlichen Drohpunkt und einer Interpretation von U = ( Uf - DJ) (Um - Dm) als Haushaltsnutzenfunktion praktisch analoge Resultate zum traditionellen mikroökonomischen Modell ergeben. Braun (2000) kommt daher auch zu dem Schluss, dass die spieltheoretischen Verhandlungsmodelle in ihrer gegenwärtigen Form keinen einheitlichen theoretischen Rahmen bieten, der den Standardansatz der Familienökonomik ersetzen könnte.

D. Empirische Korrelate In der familiensoziologischen, -demographischen, -ökonomischen und -psychologischen Literatur findet sich eine reichhaltige Sammlung von empirischen Beziehungen zwischen der Ehestabilität und zahlreichen makrostrukturellen, individuellen und paarspezifischen Merkmalen, die allerdings nur z. T. aus den in Abschnitt B. diskutierten Erklärungsansätzen abgeleitet werden können. Dennoch sind derartige Beziehungen keineswegs zu Vernachlässen - sie weisen ja auf eine Reihe weiterer potentieller Einflussgrößen auf das Risiko einer Ehescheidung hin, die bei empirischen Untersuchungen als Kovariablen mitberücksichtigt werden können. Lewis und Spanier (1979) haben eine Liste von 90 Propositionen zusammengestellt, die zumindest in der angelsächsischen Literatur bestätigt scheinen. Diese Propositionen sind aus der empirischen Literatur herauskristallisierte spezifische Aussagen zu individuellen und paarspezifischen Merkmalen, welche mit der Ehequalität und Ehestabilität positiv oder negativ korrelieren. 10 Da die empirischen Befunde nicht an Aktualität eingebüßt haben und nicht ausschließlich auf den angelsächsischen Sprachraum beschränkt sind, ist die Liste von Lewis und Spanier (1979) im folgenden widergegeben. Ergänzt wurde die Sammlung um neuere Forschungsresultate, so dass hier eine Sammlung von 117 Propositionen zur individuellen oder paarspezifischen ehelichen Qualität und Stabilität vorliegt. Die ersten 43 Propositionen thematisieren voreheliche Faktoren (Paarhomogenität, Ressourcen, Herkunftsfamilie, Unterstützung durch "signifikante Andere" und sonstige voreheliche Faktoren), die Propositionen 44 bis 68 soziale und ökonomische Faktoren (sozioökonomische Faktoren, Frauenerwerbstätig10 Einen Überblick zur Messung von Ehequalität geben Karney und Bradbury (1995).

D. Empirische Korrelate

45

keit, Haushaltszusammensetzung, soziale Eingebundenheit) und die Propositionen 69 bis 110 interpersonelle und dyadische Faktoren (positive Verstärkungen, emotionale Gratifikationen, Kommunikation, Rollenanpassung und Interaktion). Beziehen sich die Forschungsresultate ausschließlich auf die Ehequalität - nach der Austauschtheorie die zentrale Determinante der Ehestabilität -, so steht in der jeweiligen Proposition der Begriff "Stabilität" in Klammem. Sofern bei den Propositionen keine Literaturhinweise angegeben sind, finden sich die entsprechenden bibliographischen Hinweise bei Lewis und Spanier (1979). Daran schließt sich eine Sammlung von 7 Makrokorrelaten der Ehescheidungsraten an, die anband Aggregatanalysen gewonnen wurden oder die sich erst auf der Aggregatebene ergeben (Propositionen 111 bis 117). Paarhomogenität

1. Paare mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund haben eine geringere eheliche Qualität und Stabilität als Paare derselben Ethnie (Diekmann und Engelhardt 1995; Fu 2000; Lewis und Spanier 1979; Roloff 1998). 2. Je größer der Unterschied des vorehelichen sozioökonomischen Status der Partner ist, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 3. Katholische Ehen haben im Vergleich zu nicht katholischen Ehen eine höhere eheliche Stabilität (Diekmann und Engelhardt 1995; Diekmann und Klein 1991; Höhn 1980; Lehrer 1988; Shehan et al. 1990; Wagner 1997). 4. Konfessionslose Paare haben eine geringere eheliche Stabilität als Paare mit einem Glaubensbekenntnis (Babka von Gastomski 1998; Diekmann und Engelhardt 1995). 5. Gemischt religiöse Paare haben eine geringere eheliche Qualität und Stabilität als Paare derselben Konfession (Diekmann und Engelhardt 1995; Höhn 1980; Lehrer 1988; Lehrer und Chiswiek 1993; Lewis und Spanier 1979; Roloff 1998). 6. Je größer der Intelligenzunterschied der Partner, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 7. Bildungshomogame Ehen haben eine höhere eheliche Stabilität als Ehen mit unterschiedlichen Bildungsniveau (Babka von Gastomski 1999; Bumpass und Sweet 1972; Bumpass et al. 1991 ; Brüderl und Engelhardt 1997; Tzeng 1992; Wagner 1997). 8. Eine im Vergleich zur Ehefrau höhere Bildung des Ehemannes erhöht die eheliche Stabilität (Bumpass et al. 1991).

46

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

9. Eine im Vergleich zum Ehemann höhere Bildung der Ehefrau reduziert dagegen die eheliche Stabilität (Bumpass et al. 1991; Wagner 1997). 10. Je größer der Altersunterschied zwischen den Ehepartner ist, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 11. Ist die Frau älter als der Ehemann verringert dies die eheliche Stabilität (Dorbritz und Gärtner 1998; Höhn 1980; Lehrer 1988). 12. Je größer die Statusdifferenz zwischen den Ehepartnern, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 13. Je größer die voreheliche Homogarnie des Paares, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 14. Je ähnlicher die persönlichen Eigenschaften, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 11

Ressourcen 15. Je größer das voreheliche Ausmaß neurotischen Verhaltens eines Partners, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 16. Je höher das Bildungsniveau beider Ehepartner, desto höher ist die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979; Martin und Bumpass 1989; Menken et al. 1981; Morgan und Rindfuss 1985; South und Spitze 1986; Teachman 1982; Tzeng und Mare 1995; Wagner 1997). 17. Je älter die Partner bei der Eheschließung sind, desto höher ist die eheliche Qualität und Stabilität (Balakrishnan et al. 1987; Diekmann und Engelhardt 1995; Diekmann und Klein 1991; Hoem und Hoem 1992; Lehrer 1988; Lewis und Spanier 1979; Martin und Bumpass 1989; South und Spitze 1986; Thornton und Rodgers 1987; Tzeng und Mare 1995; Wagner 1997). 18. Je höher die soziale Schichtzugehörigkeit bzw. der sozioökonomische Status des Ehepaares ist, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Greenstein 1985; Lewis und Spanier 1979; Martin und Burnpass 1989; Smith und Meitz 1985; South und Spitze 1986). 19. Je besser bzw. länger sich das Paar vor der Eheschließung kennengelernt hat, desto höher ist die eheliche Qualität und Stabilität (Brüder! et al. 1999; Lewis und Spanier 1979; Niephaus 1999). 20. Je größer die individuellen sozialen Fähigkeiten, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 11 Diese Proposition wird bei Lewis und Spanier (1979) unter dem Stichwort "Rollenanpassung" gelistet.

D. Empirische Korrelate

47

21. Je besser das emotionale Wohlbefinden einer Person, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 22. Je positiver das individuelle Selbst-Konzept, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 23. Je besser die psychische Gesundheit der Ehepartner, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 24. Personen mit Eheerfahrung haben eine geringere eheliche Stabilität als Personen in Erstehen (Babka von Gostomski 1998; Booth und Edwards 1992; Bumpass und Sweet 1972; Cherlin 1978; Klein 1992, 1995; Lehrer 1988; Tzeng und Mare 1995; Wagner 1997). 25. Je größer die gesellschaftlichen und persönlichen Ressourcen für ein angemessenes Funktionieren der ehelichen Rollen sind, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 26. Je mehr voreheliche Ressourcen für eine Ehe vonnöten sind, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Herkunftsfamilie

27. Je höher die eheliche Qualität in der Herkunftsfamilie, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität) in der eigenen Familie. 28. Je glücklicher die eigene Kindheit war, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 29. Je positiver die Beziehung zwischen einem Ehegatten und dessen Eltern war, desto größer ist dessen eigene eheliche Qualität (und Stabilität). 30. Je eher eine Person adäquaten Rollenmodellen zum Funktionieren einer Ehe ausgesetzt war, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 31. Personen mit geschiedenen Eltern haben eine geringere eheliche Qualität und Stabilität als Personen aus vollständigem Elternhaus (z. B. Amato 1996; Bumpass und Sweet 1972; Diekmann und Engelhardt 1995; McLanahan und Bumpass 1988; Mueller und Pope 1977; Pope und Mueller 1976; Webster et al. 1995; siehe auch Kapiel 6). 32. Personen, die ohne Geschwister aufgewachsen sind, haben eine geringere eheliche Stabilität (Diekmann und Engelhardt 1996). 33. Je höher das Bildungsniveau des Vaters, desto geringer ist die Ehestabilität (Brüderl und Engelhardt 1997; Wagner 1997).

48

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

Unterstützung durch "signifikante Andere" 34. Je größer das Einverständnis der Eltern mit der Partnerwahl, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 35. Je größer die Zuneigung zu den zukünftigen angeheirateten Verwandten, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 36. Je größer die Opposition des Freundeskreises gegen eine Heirat, desto geringer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 37. Je größer die Unterstützung durch "signifikante Andere", desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Sonstige voreheliche Faktoren 38. Die eheliche Qualität (und Stabilität) steigt mit dem Ausmaß an Konventionalität (Rauch- und Trinkgewohnheiten, Freizeitaktivitäten, Kinderwunsch, Kirchenmitgliedschaft etc.). 39. Personen, die voreheliche sexuelle Erfahrungen sammeln, erfahren eine höhere eheliche Qualität (und Stabilität) sofern dieses Verhalten gesellschaftlich akzeptiert ist. 40. Voreheliche gemeinsame Kinder reduzieren die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979; Billy et al. 1986; Martin und Burnpass 1989; Morgan und Rindfuss 1985). 41. Kinder aus früheren ehelichen oder nicht-ehelichen Verbindungen reduzieren die eheliche Stabilität (Lehrer 1988; Menken et al. 1981; Teachman 1986; Waite und Lillard 1991; Babka von Gastomski 1999). 42. Je größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Heiratsmotivation unabhängig ist von irgendwelchen problematischen Umständen (wie z.B. interner oder externer Druck), desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 43. Paare, die vor der Eheschließung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen lebten, haben eine geringere eheliche Stabilität als Personen, die erst mit der Heirat einen gemeinsamen Haushalt gründen (z.B. Bennett et al. 1988; Booth und Johnson 1988; Brüderl et al. 1997, 1999; de Rose 1992; Hall 1999; White 1987; siehe genauer Kapitel 7).

D. Empirische Korrelate

49

Sozioökonomische Faktoren

44. Je höher der berufliche Status des Ehemannes, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979). 45. Je stabiler die ökonomischen Ressourcen und die Rollen der Eheleute, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Becker et al. 1977; Cain und Wissoker 1990; Groenenveld et al. 1980; Lewis und Spanier 1979). 46. Je höher das Einkommen des Ehemannes, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Becker et al. 1977; Karney und Bradbury 1995; Lewis und Spanier 1979). 47. Je höher das Einkommen der Ehefrau, desto geringer ist die eheliche Stabilität (Becker et al. 1977; Huber und Spitze 1988; Karney und Bradbury 1995; South und Spitze 1986). 48. Unerwartete Einkommenszuwächse des Ehemannes erhöhen die eheliche Stabilität (Weiss und Willis 1997). 49. Unerwartete Einkommenszuwächse der Ehefrau reduzieren die eheliche Stabilität (Weiss und Willis 1997). 50. Je besser die sozioökonomischen Gemeinsamkeiten des Paares, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 51. Je zufriedener das Paar mit ihrem Lebensstil ist, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 52. Wohneigentum erhöht die eheliche Stabilität (Babka von Gostomski 1998; Diekmann und Engelhardt 1995; Kalter 1999; Ostermeier und Blassfeld 1998; Rottleuthner-Lutter 1989; Wagner 1991). Frauenerwerbstätigkeit

53. Eine Erwerbstätigkeit der Ehefrau (insbesondere eine Vollzeiterwerbstätigkeit) reduziert die eheliche Stabilität (Babka von Gastomski et al. 1999; Beck und Hartmann 1999; Cherlin 1992; de Rose 1992; Diekrnano und Engelhardt 1995; Karney und Bradbury 1995; Tzeng 1992). 12 54. Je größer die Zufriedenheit der Ehefrau mit ihrer Erwerbstätigkeit, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 12 Beck und Hartmann (1999) finden diesen Zusammenhang nur für die alten Länder der Bundesrepublik, nicht aber für die DDR. Zu einer Diskussion empirisch widersprüchlicher Befunde siehe auch Wagner 1997. 4 Engelhardt

50

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

55. Je eher die Zustimmung des Ehemanns zur Erwerbstätigkeit der Frau, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 56. Je größer die Zufriedenheit des Ehepaares mit der Erwerbstätigkeit der Frau, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Haushaltszusammensetzung

57. Je weniger Erwachsene neben den Ehepartnern im Haushalt leben, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 58. Je besser die Fertilitätskontrolle eines Paares ihren Wünschen entspricht, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 59. Je eher die Haushaltszusammensetzung als optimal betrachtet wird, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 60. Die Ehestabilität steigt mit der Geburt eines Kindes in der Ehe (Babka von Gastomski 1998; Becker et al. 1977; Cherlin 1977; Diekmann und Klein 1991; Hartmann 1989; Höhn 1980; Morgan und Rindfuss 1985; Smith und Meitz 1983; Wagner 1997; Wineberg 1988). 61. Die Geburten weiterer Kinder erhöhen die eheliche Stabilität zunächst. Ab einer bestimmten Kinderzahl steigt das Scheidungsrisiko wieder. Der Zusammenhang entspricht einem umgekehrt U-förmigen Verlauf (Becker et al. 1977; Heaton 1990; Hoem und Hoem 1992; de Rose 1992). 62. Kinder im Vorschulalter erhöhen die eheliche Stabilität stärker als ältere Kinder (Cherlin 1977; Fergusson et al. 1990; Waite und Lillard 1992; Wagner 1997; White et al. 1986). 63. Söhne erhöhen die Ehestabilität stärker als Töchter (Morgan et al. 1988; Wagner 1997; für eine kritische Diskussion siehe auch Anderssan und Woldemicael 2001). Soziale Eingebundenheit

64. Die Missbilligung der Verbindung durch Verwandte und Freunde steht in einer inversen Beziehung zur ehelichen Qualität (und Stabilität). 65. Je größer das gemeinsame Freundesnetzwerk eines Paares, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Hartmann 1999; Lewis und Spanier 1979). 66. Eine gemeinsame Tätigkeit in einer Organisation oder Mitgliedschaft in einem Verein erhöht die eheliche Qualität und Stabilität (Hartmann 1999; Lewis und Spanier 1979).

D. Empirische Korrelate

51

67. Je geringer die Bevölkerungsdichte und je geringer der Urbanisierungsgrad, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Babka von Gostomski et al. 1999; Brüderl und Engelhardt 1997; de Rose 1992; Diekmann und Klein 1991; Lewis und Spanier 1979; Wagner 1993, 1997). 68. Je besser die soziale Eingebundenheit, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Positive Verstärkungen

69. Je größer die wahrgenommenen Ähnlichkeiten zwischen den Eheleuten, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 70. Je leichter die Kommunikation zwischen den Ehepartnern, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 71. Je größer die wahrgenommene physische, mentale und sexuelle Attraktivität des Partners, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 72. Je positiver die Beurteilung oder Einschätzung des Partners, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 73. Je größer die Übereinstimmung in Werthaltungen, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979; Karney und Bradbury 1995). 74. Je höher die vom Partner gezeigte Einschätzung der eigenen Person, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 75. Je höher die gegenseitige Achtung, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 76. Je größer der Gewinn durch die eheliche Interaktion, desto höher ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 77. Religiös aktive Partner haben eine höhere eheliche Stabilität (Hoem und Hoem 1992; Lehrer 1988; Brüderlet al. 1999). Emotionale Gratifikation

78. Je stärker die Äußerung der Zuneigung, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 79. Je größer die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt der Ehepartner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 80. Je besser die sozial-emotionalen Leistungen der Partner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 4*

52

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

81. Je mehr die Partner gegenseitig ihre persönliche Entwicklung unterstützen, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 82. Je egalitärer die Beziehung, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 83. Je besser die Wahrung der persönlichen Grenzen der Partner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 84. Je größer die gegenseitige emotionale Abhängigkeit der Partner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 85. Je größer die Liebe der Eheleute, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 86. Je größer die sexuelle Befriedigung, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979; Karney und Bradbury 1995). 87. Je größer die Kongruenz zwischen dem "idealen" Partner und dem aktuellen Partner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 88. Je größer die Paaridentität des Paares, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 89. Je höher die emotionale Erfüllung zwischen den Partnern, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Kommunikation 90. Je eher persönliche Gedanken mitgeteilt werden, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 91. Je mehr das Paar enttäuschte Erwartungen teilt, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 92. Je besser die nonverbale Kommunikation abläuft, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 93. Je größer der gemeinsame symbolische Bedeutungsgehalt der Umgebung, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 94. Je häufiger erfolgreiche Kommunikation stattfindet, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 95. Je größer das Verständnis zwischen den Partnern, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 96. Je größer die Empathie, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität).

D. Empirische Korrelate

53

Rollenanpassung

97. Je adäquater die Rollenübernahme der Ehepartner, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 13 98. Je besser die Übereinstimmung der Wahrnehmung von Rollen, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 99. Je größer die Notwendigkeit der ehelichen Rollenteilung, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). I 00. Je besser sich die ehelichen Rollen ergänzen, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 101. Je besser die Rollenerwartung an den Partner von diesem erfüllt wird, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 102. Je eher Rollen gemeinsam übernommen werden, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 103. Je besser die sexuelle Kompatibilität, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 104. Je besser die Rollenanpassung, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). Interaktion

105. Je besser die eheliche Kameradschaft, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 106. Je mehr Aktivitäten geteilt werden und je mehr Zeit zusammen verbracht wird, desto größer ist die eheliche Qualität und Stabilität (Lewis und Spanier 1979; Booth et al. 1985, 1986; Hill 1988). 107. Je mehr das Paar aufeinander eingeht, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 108. Je geringer das Ausmaß an physischer Separation (z. B. getrennte Schlafzimmer), desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 109. Je effektiver das gemeinsame Problemlösungsverhalten, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität). 110. Je häufiger die gemeinsamen Gottesdienstbesuche, desto größer ist die eheliche Qualität (und Stabilität).

13 Die Propositionen 97 und 98 werden bei Lewis und Spanier (1979) unter dem Stichwort "Kommunikation" gelistet.

54

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

Makrozusammenhänge 111. Die Scheidungsrate steigt mit dem Urbanisierungsgrad (Breault und Kposowa 1987; Hartmann 1989). 112. Scheidungsraten folgen ökonomischen Zyklen. Positive wirtschaftliche Entwicklungen steigern die Scheidungszahlen (Cherlin 1991; Hartmann 1989; Trent und South 1989). 113. Scheidungsraten variieren mit dem Scheidungsrecht Das Zerrüttungsprinzip erzeugt höhere Scheidungsraten als das Schuldprinzip (Balakrishnan et al. 1987; Glenn 1999; Petersen 1996a; Weitzman 1985) und unilaterale Scheidungsregelungen haben höhere Scheidungsraten zur Folge als bilaterale Regelungen (Fine 1994; Gruber 2000; Rodgers et al. 1999). 114. Je geringer die Anzahl an Frauen relativ zu der Anzahl an Männem, desto geringer ist die Scheidungsrate (Grossbard-Shechtman 1993; Guttentag und Secord 1983; Trent und South 1989). 115. Je höher die Mobilitätsrate, desto höher ist die Scheidungsrate (Breault und Kposowa 1987; Glenn und Shelton 1985; Trovato 1986). 116. Je höher die Frauenerwerbsquote, desto höher ist die Scheidungsrate (Cherlin 1992; Diekmann 1992; Seccombe und Lee 1987; Trent und South 1989; siehe auch die Diskussion empirisch widersprüchlicher Befunde bei Wagner 1997). 117. Das aggregierte Scheidungsrisiko ist ehedauerabhängig. Es steigt nach der Eheschließung zunächst an und fällt nach dem Erreichen eines Maximums wieder ab (Diekmann 1987; Diekmann und Mitter 1984b; Dorbritz und Gärtner 1998; siehe auch Kapitel 4). Nach dieser Auflistung von Korrelaten der Ehescheidung wird deutlich, dass keine der diskutierten Theorien sämtliche empirischen Befunde im Sinne der methodologischen Grundlagen "erklärt". So macht die Familienökonomik z. B. keine Aussagen zum Zusammenhang zwischen der ehelichen Stabilität und der sexuellen Kompatibilität (Proposition 103), wohl aber die Austauschtheorie. Umgekehrt können z. B. aus der Austauschtheorie keine Hypothesen über den Zusammenhang zwischen der Kinderzahl und der Ehestabilität abgeleitet werden (Propositionen 60 und 61 ). Über die Beziehung vom Geschlecht der Kinder und dem Scheidungsrisiko (Proposition 63) schweigen sich alle drei Erklärungsansätze aus. Obwohl "[... ] die Vielzahl empirischer Befunde der Theorieentwicklung weit vorauseilt" (Wagner 1997: 316), spricht dies jedoch nicht unbedingt gegen die diskutierten Theorien. In Übereinstimmung mit Friedmans (1953)

E. Zusammenfassung

55

Ökonomieprinzip sollte eine Theorie nämlich so einfach wie möglich, aber so komplex wie nötig sein. Insbesondere bei stark abstrahierenden Theorien wie bei der ökonomischen Theorie der Familie treten die jeweils betrachteten Erklärungsfaktoren deutlicher hervor, während andere Komponenten bewusst ausgeblendet werden. Letzteres ist dann kein Mangel, wenn man ein Modell als eine Abstraktion von der Realität betrachtet, welches auf mehr oder weniger realistischen Annahmen beruht und nur eine Skizze der Wirklichkeit darstellen will.

E. Zusammenfassung Anliegen des vorliegenden Kapitels war neben der Präsentation empirischer Scheidungskorrelate, die Diskussion ausgewählter individualistischer bzw. utilitaristischer Theorien der ehelichen Stabilität vor dem Hintergrund steigender Scheidungsziffern. Vorgestellt wurden die Austauschtheorie, die ökonomische Theorie der Familie und die Spieltheorie. Auf die Präsentation primär kollektivistisch orientierter Ansätze, welche zum Teil explizit auf soziale Wandlungsprozesse abstellen, wurde aus wissenschaftstheoretischen und methodologischen Gesichtspunkten verzichtet. Alle drei genannten Erklärungsansätze gehen von rational handelnden Individuen aus. Zentrales Konzept der Austauschtheorie ist die Ehequalität, welche sich aus subjektiven ehelichen Belohnungen und Kosten ergibt. Im Gegensatz dazu bestimmt sich die Ehestabilität in der Familienökonomik neben dem Ehegewinn vor allem aus der Paarkonstellation als Ergebnis des Partnersuchprozesses. Bei beiden Ansätzen ist die individuelle Scheidungsentscheidung darüber hinaus determiniert durch die Kosten der Scheidung sowie durch außereheliche Alternativen. Während die Austauschtheorie aber vorwiegend dazu dient, post hoc Erklärungen zu liefern (Nauck 1989: 58), ist die Familienökonomik stärker auf die Ableitung empirisch testbarer Hypothesen ausgerichtet. Durch einen starken Formalisierungsgrad werden die Annahmen der Familienökonomik deutlich, womit sich die Theorie auch der Kritik aussetzt. Die Spieltheorie ermöglicht darüber hinaus auch die Modeliierung strategischer Interaktionen, welche weder von der Austauschtheorie noch von der ökonomischen Theorie der Familie thematisiert werden. Da die Handlung in der diskutierten kooperativen Theorieversion wesentlich durch den exogen gegebenen Konflikt- oder Drohpunkt bestimmt wird, bietet die Theorie allerdings keinen zusätzlichen Erklärungsbeitrag, der über die Familienökonomik und Austauschtheorie hinausgeht. Vor dem Hintergrund steigender Scheidungsrisiken stellt sich natürlich die Frage, wie die diskutierten Scheidungstheorien hinsichtlich ihrer Erklärungskraft zu beurteilen sind. Zunächst muss betont werden, dass die disku-

56

Kap. 2: Theorie und Empirie der ehelichen Stabilität

tierten Theorien individualistisches Verhalten aus einer statischen Perspektive betrachten und nicht für die Erklärung sozialer Wandlungsprozesse konzipiert sind. Da aber allgemein gültige Theorien des sozialen Wandels bislang nicht existieren und nach Meinung einiger Autoren (Boudon 1983, 1986; Popper 1987) auch nicht existieren können, gilt es, die individualistischen Ansätze auf soziale Prozesse anzuwenden. Wie ist nun dabei vorzugehen? Für eine Erklärung der Scheidungsdynamik müssen die veränderten sozialen Bedingungen, die dem individuellen Handeln zugrunde liegen, thematisiert und quantifiziert werden. Folgt man den diskutierten Theorien, so lässt sich ein Wandel in der Ehestabilität an drei Faktoren festmachen: (a) an der Ehequalität bzw. am Ehegewinn und den jeweiligen sozialstruktureilen Determinanten, (b) an den Scheidungsbarrieren sowie (c) an den Alternativen zur bestehenden Ehe. Zusätzlich tragen Veränderungen demographischer Faktoren wie sich wandelnde Geschlechterproportionen zur Veränderung von Scheidungsziffern bei (Cherlin 1992; White 1990). In der Literatur finden sich für jeden dieser Ansatzpunkte zur Erklärung des Anstiegs der Scheidungsziffern eine Fülle von Beispielen (z. B. Kopp 1994: 207 ff.; Wagner 1997: 111 ff.), so dass wir uns an dieser Stelle kurz fassen. Erstens ist der Anstieg der Scheidungsraten nach der Austauschtheorie und der Familienökonomik auf einen allgemein gesunkenen Ehegewinn und auf eine gesunkene Ehequalität zurückzuführen. Als Faktoren sind hier vor allem die zunehmende Frauenerwerbsbeteiligung und die abnehmende Transparenz des Heiratsmarktes durch Individualisierungsprozesse zu nennen (vergleiche hierzu und zum Folgenden auch die in Kapitel 1 diskutierten Mechanismen der Scheidungsdynamik). Zweitens haben sich die Scheidungsbarrieren gesenkt durch eine zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Ehescheidungen, eine liberalere Handhabung des Ehescheidungsrechts sowie einer allgemein zunehmenden Säkularisierung. Drittens sind die Alternativen zur bestehenden Ehe vielfältiger geworden, u. a. durch verbesserte Wiederverheiratungschancen, der Möglichkeit zur außerehelichen Kohabitation oder sonstiger neuer Lebensformen wie "living apart together".

Kapitel 3

Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern A. Einleitung Die Analyse der Dynamik von Ehescheidungen erfordert spezielle Längsschnittdaten, die über die Zeitdauern zwischen den Ereignissen Heirat und Scheidung bzw. Heirat und Tod eines Ehepartners informieren. Im Idealfall sind Anfang und Ende einer Ehe bekannt. Während für verheiratete Personen das Heiratsdatum in der Regel bekannt ist, ist das interessierende Ende der Ehe, das Scheidungsdatum, häufig nicht bekannt. 1 Bis zum Zeitpunkt der Befragung ist nämlich bei einem Großteil der verheirateten Personen keine Scheidung eingetreten. Die angegebenen Ehedauern oder Episoden sind zum Befragungszeitpunkt "abgeschnitten" oder "zensiert". Herkömmliche Verfahren wie die einfache Tabellenanalyse oder die multiple Regressionsanalyse sind bei zensierten Beobachtungen nicht anwendbar. Die Verfahren der Ereignis- oder Survivalanalyse liefern dagegen konsistente Schätzungen des Scheidungsrisikos im Zeitverlauf bzw. der Einflussstärke von Kovariablen auf das Scheidungsrisiko selbst bei zensierten Beobachtungen. Die Methode der Ereignisdatenanalyse stellt generell Modelle und Schätzverfahren zur Untersuchung von diskreten Zustandswechseln zur Verfügung, wobei die Zeitskala als stetig angenommen wird, d. h. ein Ereignis oder Zustandswechsel kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt auftreten. Mittlerweile liegen eine Reihe von Lehrbüchern zur Ereignisdatennalyse vor (z.B. Diekmann und Mitter 1984b; Lancaster 1990; Yamaguchi 1991; Andreß 1992; Courgeau und Lelievre 1992; Blassfeld und Rohwer 2002; für einen Überblick siehe Petersen 1995). Im folgenden Abschnitt B. werden deshalb nur kurz die grundlegenden Konzepte der Ereignisanalyse vorgestellt, bevor nicht- und semi-parametrische Modelle (Abschnitt C.) sowie die für uns thematisch relevanten parametrischen Modelle und die einschlägigen Aspekte ihrer Schätzung näher diskutiert werden (Abschnitt D.). 1 In der Umfrageforschung werden die Daten in der Regel durch Retrospektivbefragung erhoben.

58

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

Thema von Abschnitt E. ist die Schätzung der Effektstärken endogener und exogener Ereignisse. Nach einer kurzen Abhandlung der Modeliierung unbeobachteter Heterogenität (Abschnitt F.) fasst Abschnitt G. zusammen.

B. Grundkonzepte der Ereignisanalyse Die zentralen Konzepte der Verweildaueranalyse sind die kumulierte Verteilungsfunktion, die zugehörige Dichtefunktion, die korrespondierende Überlebensfunktion, die Hazardratenfunktion sowie die damit einhergehende kumulierte Übergangsratenfunktion. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Annahme, dass die Zeit als eine stetige Zufallsvariable T mit Ausprägungen t bezüglich des Auftretens eines Ereignisses (Zustandswechsels) aufgefasst werden kann. Demnach unterscheiden sich die Individuen mehr oder weniger stark bezüglich des zeitlichen Auftretens z. B. einer Ehescheidung. Die kumulierte Verteilungsfunktion der Ankunftszeiten (der Ehescheidung) F(t) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass bis zum Zeitpunkt t ein Ereignis eingetreten ist: (3.1)

F(t)

= Prob(T:::; t) = [t(r)dr,

wobei f(t) die Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung bezeichnet. Diese Dichtefunktion gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass in einem bestimmten sehr kleinen Zeitintervall ein Ereignis auftritt: . Prob(t :S T < t + ß t) dF(t) ft( ) = hm =--. D.t ---< 0 ßt dt

(3.2)

Die Überlebensfunktion G(t) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass bis zum Zeitpunkt t kein Ereignis eingetreten ist: G(t)

(3.3)

= Prob(T ~ t) = 1 -

F(t).

Zentrale Größe aller unter den Sammelbegriff "Ereignisdatenanalyse" fallenden Verfahren ist die zeitabhängige Risikofunktion h(t): (3.4)

h(t

)

.

= 2:f!! o

Prob(t:ST 1 ergeben sich die maximale Rate h(tmax) und der entsprechende Zeitpunkt tmax durch (Brüderl und Diekmann 1995: 161): (3.23)

h(tmax)

p-1

= q(p - 1)-P , I

(3.24)

tmax

=

(p- l)P q

Kovariablen werden (analog zum Sichel-Modell) üblicherweise über den Skalierungsfaktor q log-linear ins Modell eingeführt; prinzipiell ist aber auch eine Parametrisierung von p möglich:

= ao a:t o:;2 ... a~m,

(3.25)

q

(3.26)

p = 8o 8['

8J.

2 •• •

8~m.

Ist p jedoch nicht direkt abhängig von Kovariablen, so erlaubt die Schätzung einen Test auf die Form der Übergangsrate. Die a-Effekte in Gleichung (3.25) sind nicht wie beim Sichel- und Cox-Modell (bzw. nur für bestimmte Wertebereiche) prozentual interpretierbar. Da der Median der Ankunftszeit 1/q beträgt, entspricht aber 100(1/ak- 1) dem Prozent-Effekt der Variable k auf den Median (Brüderl und Diekmann 1995). Bei gegebenem Gestaltparameter p > 1 determiniert der Skalierungsparameter q sowohl Höhe als auch Lage des Maximums: Je größer q, desto größer h(tmax) und tmax· Somit kann auch nicht getestet werden, ob eine Kovariable primär auf die Intensität oder auf den zeitlichen Ablauf des Prozesses wirkt. Brüderl und Diekmann (1995) führen denn auch die oft schlechte Anpassung des log-logistischen Modells an empirische Daten auf diese Eigenschaft von q zurück (für ernpirsche Tests siehe z. B. Diekmann und Mitter 1984a; Diekmann 1989; Wu 1990). Ein weiteres Problem des log-logistischen Modells ist, dass (im Gegensatz zum Sichelmodell) die Wahrscheinlichkeit, dass das interessierende Ereignis nie eintritt, gleich null ist (G( oo) = 0). Es ist zu vermuten, dass das log-logistische Modell im Vergleich zum Sichel-Modell um so schlechtere Prognoseleistungen bietet, je höher der Anteil der niemals Geschiedenen ist (Diekmann 1991: 606). Generalisierte log-logistische Verteilung Eine für empirische Zwecke nützliche Erweiterung des log-logistischen Modells stellt das generalisierte log-logistische Modell von Brüderl (1991) und Brüderl und Diekmann (1995) dar, welches einen weiteren Parameter enthält. Die Dichte-, Überlebens- und Ratenfunktion dieses Modells lauten:

67

D. Parametrische Modelle

=b

p(qt)P- ~ , [t+(qt)pF+l

(3.27)

f(t)

(3.28)

G(t) = ----.b ,

(3.29)

p(qt)P- I h(t) = b 1 + (qt)P '

[1 + (qrtF

mit q,p, b > 0. Für p > 1 ergeben sich die maximale Rate h(tmax) und die Lage des Maximums tmax durch (Brüderl und Dielemann 1995: 162): (3.30)

h(tmax)

= b(p- l)-P , p-1

I

(3.31)

lmax

=

(p_-__:1)'--• -=q

Der reziproke Wert von q determiniert nun den Zeitpunkt der maximalen Übergangsrate Ctmax) und b die Höhe der maximalen Rate (h(tmax)). Damit erlaubt das generalisierte log-logistische Modell die Separierung von Intensitäts- und Zeiteffekten. Die Gestalt der Hazardrate wird wie im Standardmodell von p bestimmt. Für p ::; 1 ist die Rate monoton fallend und für p > 1 zunächst steigend, dann fallend (siehe Abbildung 3.3).

1.5.----------------------, ....

''

''

q=0.2 p=3.0

'

' , b=O.S b=0.6 ' ,

''

....................................

-- --....

0.5

0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 3.3: Generalisiertes log-logistisches Modell: Intensitätseffekte

s•

68

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

1.5-.---------------------, q=0.4

q=0.2

b = 0.75

q=O.J

-----

p=3ß

-------------

-- ---

---

0.5

0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer

Abbildung 3.4: Generalisiertes log-logistisches Modell: Zeiteffekte

Die Kovariablen können in alle drei Parameter log-linear eingeführt werden: (3.32) (3.33) (3.34)

= ao a ;I a;z . . · a~m , = 8o 8j'I 8J2. .. 8~m' P = /'o l'ti l'~z .. ·f'::. b q

Im Gegensatz zum allgerneinen log-logistischen Modell sind die Parameter a j und 8k wie beim Cox- und Sichel-Modell prozentual interpretierbar: 100(aj - 1) entspricht dem prozentualen ratenerhöhenden Effekt der j-ten Variablen; 100( 1/8k - 1) gibt den prozentualen lageverschiebenden Effekt der k-ten Variablen auf das maximale Risiko an. Die Modellspezifikation sollte der theoretischen Fragestellung folgen: Interessieren nur Intensitätseffekte der Kovariablen, wird man diese in b einführen und q sowie p unspezifiziert lassen. Interessieren dagegen ausschließlich Zeiteffekte, wird man die Kovariablen in q einführen und b sowie p unspezifiziert lassen. Entsprechend ist vorzugehen, wenn nur die Effekte der Kovariablen auf die Gestalt der Verteilung interessieren: In diesem Fall wird man nur p pararnetrisieren und q sowie b durch die Konstanten schätzen. Um Intensitäts- und Zeiteffekte zu trennen, sind b und q zu pararnetrisieren sowie p durch die Konstante /'o zu schätzen (Brüderl und Diekrnann 1995: 165). Durch das generalisierte log-logistische Modell können zwar Intensitätsund Zeiteffekte separiert werden, allerdings schließt es (wie auch das allge-

69

D. Parametrische Modelle

1.5"--------------------------------------. '

'

,- ......

b=0.6 q =0.2

',

' '' ''' ' '

--- --- ---

p=4.0

0.5

p = 2.0

0

10

5

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 3.5: Generalisiertes log-logistisches Modell: Gestalteffekte

meine log-logistische Modell) Immunität aus (G( oo) = 0). In einer anderen dreiparametrischen Erweiterung des allgemeinen log-logistischen Modells schlagen Brüderl und Diekmann (1995: 166) deswegen folgendes Hazardraten-Modell mit Immunität vor: (3.35)

h(t)

=k

[I

qp(qt)P- I

+ (qt)P][l + (1 -

k)(qt)P]

mit p, q > 0 und 0 < k::::; 1, woraus sich für k = 1 das Standardmodell ergibt. Wie Brüderl und Diekmann (1995: Fußnote 5) anmerken, gehört das Modell zur Klasse der Mover-Stayer-Modelle. Auf diese Modellbegründung gehen wir in Kapitel 4 genauer ein. Die Interpretation der Parameter q und p entspricht deijenigen im allgemeinen log-logistischen Modell. Die Immunitäts-Erweiterung bietet somit nicht die Interpretationsmöglichkeiten des generalisierten log-logistischen Modells. In einem empirischen Vergleich zum Verheiratungsprozess schneidet das Immunitätsmodell erwartungsgemäß besser ab als das generalisierte Modell (Brüderl und Diekmann 1995). Die Wahrscheinlichkeit, dass das interessierende Ereignis nie eintritt, beträgt bei ersterem G( oo) = 1 - k. Die schlechteste Anpassung an die Daten liefert das StandardmodelL Für den empirischen Teil in dieser Arbeit wird zur Berücksichtigung von Immunität auf das Sichel-Modell zurückgegriffen, da dieses mit nur zwei freien Parametern eine sparsamere Modeliierung als das dreiparametrische log-logistische Immunitätsmodell bietet.

70

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

II. Parameterschätzung und Modellwahl Unter Berücksichtigung zensierter Beobachtungen können die Parameter der Kovariablen mit der Maximum-Likelihood Methode konsistent geschätzt werden? Gemäß der Maximum-Likelihood Theorie sind die Schätzungen asymptotisch normalverteilt. Damit sind die Effekte auch inferenzstatistischen Prüfverfahren zugänglich. Hierzu wird der Logarithmus der Likelihoodfunktion (3.36)

C(ß) =

N

11 [f(t;,xi'G(t;,x;) 1-d' ],

i= I

in bezug auf die zu schätzenden ß-Parameter maximiert. Dabei bezeichnet N die Anzahl der Fälle und d; einen Zensierungsindikator, der für unzensierte Beobachtungen den Wert 1 annimmt, und für zensierte den Wert 0. Die Auflösung einer Ehe durch den Tod eines Ehepartners wird bei der Schätzung ebenfalls als zensierte Beobachtung behandelt. Zur Beurteilung der Schätzverbesserung durch die Aufnahme zusätzlicher Parameter oder Kovariablen wird in der Regel der Likelihood-Ratio Test verwendet.4 Bei seiner Durchführung vergleicht man die maximierte Likelihood des interessierenden (oder unrestringierten) Modells, C(ß), mit der maximierten Likelihood des (restringierten) Referenzmodells, C(ß*). Die Likelihood-Ratio Prüfgröße (3.37)

LR = 2 [ lnC(ß) -lnC(ß*) ]

folgt asymptotisch einer x2-Verteilung mit der Parameter- bzw. Kovariablendifferenz der betrachteten Modelle als Freiheitsgrade. Übersteigt LR für das gewählte Signifikanzniveau den relevanten kritischen Wert, so können die Restriktionen zurückgewiesen werden (z. B. Brüderl 2000). Grob gesprochen bietet das interessierende Modell dann eine signifikante Schätzverbesserung. Basierend auf dem Log-Likelihood-Wert werden in der Literatur zahlreiche Modell-"Fitmaße" vorgeschlagen. Aufgrund seiner Konservativität wird häufig McFaddens Pseudo R2 empfohlen (siehe Brüderl 2000 und die dort

3 Zu den Modellannahmen ("non-informative-censoring" u. a.) siehe Kalbfleisch und Prentice (1980: 46 ff.). 4 Der Likelihood-Ratio Test ist entsprechend auch beim Vergleich unterschiedlich spezifizierter Cox-Modelle einsetzbar.

E. Effekte von Ereignissen

71

angegebene Literatur), welches die relative Log-Likelihood-Verbesserung des aktuellen Modells gegenüber einem Vergleichsmodell angibt: (3.38)

2

PseudoR =

In C(ß*) - Ln C(ß) lnC(ß•) .

Bei der Interpretation von Pseudo R2 ist allerdings darauf zu achten, dass es nicht nonniert ist: Der Wertebereich von Pseudo R2 liegt zwischen Null und einem Wert kleiner als Eins. Nicht "verschachtelte" oder "genistete" Modelle, die auf unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen beruhen (wie z. B. das Sichel-Modell und das generalisierte log-logistische Modell), können mit Hilfe des Bayesianischen Informationskriterium (BIC) gegeneinander getestet werden (Raftery 1995). Dazu bestimmt man für jedes betrachtete Modell die Größe (3.39)

BIC = - LR + ln(N)r,

wobei LR die Likelihood-Ratio Teststatistik bezeichnet und N die FallzahL Zudem gibt r die Zahl der zusätzlichen Parameter im Vergleich zum gewählten Referenzmodell (z. B. Exponentialverteilung) an. Üblicherweise betrachtet man das Modell mit dem kleinsten BIC-Wert als das relativ "beste" Modell. Im Rahmen einer Modellselektion aufgrund statistischer Kriterien wäre somit dieses Modell zu wählen.

E. Effekte von Ereignissen Ein weiteres Problem bei der Analyse von Ehedauern ist, dass sich die Kovariablen über den Beobachtungszeitraum ändern können. Bei der Analyse der Ehedauer ist die Geburt eines Kindes eine typische zeitveränderliche Kovariable. Der Wert dieser Variablen kann sich, anders als bei zeitunabhängigen Kovariablen, im Verlauf des Prozesses verändern. Die technische Handhabung zeitveränderlicher Kovariablen sollte der theoretischen Betrachtung folgen. Stehen die Ereignisse außerhalb des Erklärungszusammenhangs, so kann ein einfaches Episodensplitting durchgeführt werden (siehe Abschnitt 1.). Bedingen sich das interessierende Ereignis (z. B. die Ehescheidung) und die zeitabhängige Kovariable wechselseitig, muss auf Verfahren zurückgegriffen werden, die das im Prozessverlauf eintretende Ereignis endogenisieren (siehe Abschnitt II.).

72

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

I. Exogene Ereignisse Um die Effekte exogener zeitveränderlicher Kovariablen zu schätzen, greifen wir auf das Verfahren des Episodensplittings zurück, welches generell bei parameterischen (und semiparametrischen) Modellen anwendbar ist (Kalbfleisch und Prentice 1980; Petersen 1986; Yamaguchi 1991). Dazu wird die Ehedauer immer dann zerlegt oder aufgesplittet, wenn sich die Kovariable ändert, z.B. bei der Dummy-Variablen "Kind in der Ehe" diese von dem Wert 0 auf 1 springt, wenn ein Kind geboren wird. Der Log-Likelihood Beitrag einer zensierten Beobachtung beträgt dann: (3.40)

Unter dem Integral steht somit eine zeitabhängige Kovariable. Der "Trick" ist nun, das Integral in zwei Teile aufzuspalten, so dass unter jedem Integral die Kovariable konstant ist: (3.41)

Hier verändert sich die Kovariable x zum Zeitpunkt fx von x0 zu x 1 • Durch das Episodensplitting vergrößert sich zwar die Fallzahl (die Anzahl der Episoden), die Log-Likelihood (und damit der Standardfehler der Schätzer) verändert sich aber nicht gegenüber deijenigen bei konstanten Kovariablen. Damit gewährleistet das Verfahren konsistente Schätzer.

II. Endogene Ereignisse Sind die interessierenden Ereignisse endogen und stehen somit im wechselseitigen Zusammenhang, werden die Effekte von Ereignissen durch das Episodensplitting nicht adäquat modelliert. Die mit dieser Methode geschätzten Koeffizienten werden im allgemeinen verzerrt sein. Um unverzerrte Schätzer zu erhalten, braucht es spezielle statistische Verfahren, die die Endogenität des interessierenden Ereignisses berücksichtigen. In der Literatur finden sich nun verschiedene Möglichkeiten zur Handhabung der Endogenität. Diese Verfahren lassen sich mit Brüderl ( 1996) nach der Art des ereignisgenerierenden Prozesses klassifizieren in "Zustandsabhängigkeit", "Ratenabhängigkeit" und "korrelierte Fehlerterme". 1. Zustandsabhängigkeit liegt vor, wenn die Entscheidung bezüglich des zeitveränderlichen Ereignisses x abhängig ist vom aktuellen Zustand von y:

E. Effekte von Ereignissen

73

Yr =f(x,,z,v),

x,

= g(y,, w, c:),

wobei w und z fixe Kovariablen repräsentieren, während 11 und c: Störterme bezeichnen. Ein Beispiel für Zustandsabhängigkeit ist das Ereignis "Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" für Frauen. So bestimmt der aktuelle Familienstand "Verheiratet vs. Geschieden" in t die Partizipationsentscheidung; gleichzeitig beeinflusst aber diese Entscheidung den Familienstand. 2. Ratenabhängigkeit liegt vor, wenn die Entscheidung bezüglich des Ereignisses x abhängig ist vom aktuellen Wert der Übergangsrate hY: Yr =f(x,,z,v), x,

= g(hY, w, c:).

So wird die Entscheidung für ein Kind vom perzipierten Scheidungsrisiko abhängen. Paare, die ihr Scheidungsrisiko hoch einschätzen, werden sich eher gegen Kinder entscheiden. Die Ratenabhängigkeit von Ereignissen ist theoretisch interessant, da antizipierte mögliche künftige Geschehnisse frühere Ereignisse verursachen können und somit die gängigen Kausalitätsdefinitionen konterkarieren. 3. Eine dritte mögliche Fehlerquelle bei der Analyse von Effekten von Ereignissen sind korrelierte Fehlerterme bei der Entscheidung bezüglich x undy: y, = f(x,, z, v),

x,

= g(w, v).

In diesem Fall werden die Entscheide bezüglich x und y von gemeinsamen unbeobachteten Größen beeinflusst. Korrelierte Fehlerterme treten typischerweise bei Ereignissen mit Selbst-Selektion auf. Diverse empirische Studien fanden etwa einen negativen Effekt der vorehelichen Kohabitation auf das Scheidungsrisiko (siehe ausführlich Kapitel 7). Es ist gut denkbar, dass dieser Effekt nicht kausal ist, sondern durch Selbstselektion entsteht: Personen mit vorehelichen Lebensgemeinschaften haben demnach ein ohnehin erhöhtes Scheidungsrisiko. Unbeobachtete Einstellungen und Werte determinieren hier möglicherweise sowohl die Kohabitations- und die Ehescheidungsentscheidung. Um unverzerrte Schätzwerte der Effektstärke zu erhalten, sind statistische Modelle erforderlich, die der Endogenität von x Rechnung tragen. In der statistischen Literatur finden sich verschiedene Modelle zur Berücksichtigung von Zustandsabhängigkeit, Ratenabhängigkeit und korrelierten Fehlertermen. Brüder! (1996) gibt hierüber einen kurzen Überblick. Im

74

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

folgenden werden zwei dieser Modelle kurz präsentiert, die für unsere ereignisanalytischen Betrachtungen bedeutsam sind. Das Ratenmodell von Larsen und Rohwer (1993) ermöglicht die Berücksichtigung von Selbstselektion; das simultane Ratenmodell von Lillard (1993) erlaubt die simultane Schätzung zweier Ratenfunktionen unter Berücksichtigung von Zustandsabhängigkeit, Ratenabhängigkeit sowie korrelierten Fehlerterm. Ratenmodell mit Selbstselektion

Larsen und Rohwer (1993) schlagen als Lösung bei endogenen Ereignissen durch Selbst-Selektion ein Ratenmodell vor, das durch die Verknüfung mit einem binären Entscheidungsmodell die Selbst-Selektion explizit berücksichtigt: (3.42)

= exp{IJ. + 8x;(t) + ßz; + c;}, exp{ (w; + v;} Prob(x;(t) = 1) = 1 + exp{"."w; + v; } . h((t)

h[(t) ist hier ein Ratenmodell mit konstanter Übergangsrate (d.h. die Wartezeiten sind exponentialverteilt). J.L, 8 und ß sind die zu schätzenden Parameter und c; sind die Störterme. Für das Auswahlmodell wird hier ein Logit-Modell angenommen; prinzipiell ist aber auch ein Probit-Modell denkbar. ( ist der zu schätzende Parameter und v; sind die Störgrößen. Die beiden Fehlerterme c und v seien gemeinsam bivariat verteilt mit dem Korrelationskoeffizienten Pllf:· Als Verteilung für p schlagen Larsen und Rohwer (1993) eine diskrete Verteilung mit einer finiten Anzahl Massepunkten vor. Zur Schätzung der Parameter ist dann die marginale Likelihood-Funktion zu maximieren. Simultanes Ratenmodell

Zur Erfassung der Ratenabhängigkeit eines endogenen Ereignisses schlägt Lillard (1993) ein Gleichungsmodell vor, das simultan die Scheidungsrate hY und die Fertilitätsrate hx modelliert. In diesem Modell wird das Scheidungsrisiko zum Zeitpunkt t beeinflusst durch die Fertilität, und die Fertilitätsrate in t wird beeinflusst durch die aktuelle Scheidungsrate: 5 (3.43)

h((t) = exp{IJ. + 6x;(t) + ßz; + v;}, ht(t) =exp{ 17 + qlnh((t) + (w; + c;}.

5 In der Originalarbeit (1993) behandelt Lillard den Zusammenhang von Scheidungsrate und Fertilitätsrate. Den Zusammenhang zwischen Scheidungs- und Kohabitationsrate analysieren Lillard et al. (1995) mit den gleichen Methoden.

F. Unbeobachtete Heterogenität

75

Die nicht beobachtbaren Größen v und c: seien gemeinsam bivariat normalverteilt mit einem Korrelationskoeffizienten Pve· J.L und 'fJ bezeichnen Basisübergangsraten. z und w stehen für die individuelle Scheidungs- bzw. Kohabitationsdeterminanten mit den Parametern ß und (. 8 bezeichnet den Parameter der zeitabhängigen Kohabitationsvariablen und >. ist der zu schätzende Parameter des zeitabhängigen Scheidungsrisikos in der Kohabitationsgleichung. Die Simultanität wird in diesem Modell nicht nur durch korrelierte Fehlerterme produziert sondern auch über die Zustands- bzw. Ratenabhängigkeit der zwei Prozesse. Zur Schätzung der Parameter ist die marginale Likelihood-Funktion zu maximieren. Mittlerweile liegt mit aML von Lee A. Lillard und Constantijn W. A. Panis eine allgemein zugängliche Software vor, die eine Schätzung dieses simultanen Ratenmodells erlaubt.

F. Unbeobachtete Heterogenität Ein Problem aller Regressionsmodelle inklusive der Ratenmodelle stellt unbeobachtete Heterogenität dar (siehe Brüderl 2000; Blassfeld und Rohwer 2002; Vaupel und Yashin 1985; Andreß 1992). Unbeobachtete Heterogenität liegt dann vor, wenn unbekannte Kovariablen die abhängige Variable - hier die Übergangsrate - beeinflussen. Haben z. B. wie beim MoverStayer-Modell zwei nicht identifizierte Teilgruppen unterschiedlich hohe Übergangsraten (siehe Abschnitt I.), so ergibt sich die beobachtete Gesamthazardrate aus einem Mittel der beiden "richtigen" Übergangsraten. Unbeobachtete Heterogenität kann somit zu einer falschen Darstellung der Beziehung von Verweildauer und Übergangsrate führen. Darüber hinaus können in parametrischen Modellen verzerrte Koeffizientenschätzungen resultieren. Unbeobachtete Heterogenität lässt sich in der Ratenfunktion durch einen Fehlerterm c: berücksichtigen. In der Analyse tauchen nun zwei Verteilungen auf, die Verteilung der Hazardrate und die Verteilung der individuellen Heterogenität, so dass sogenannte Mischverteilungen modelliert werden müssen. Für die Dichteverteilung der Episodendauern bei gegebenen exogenen Variablen gilt: (3.44)

f(tlx) =

[x' f(tlx,E)g(c)d(c) .

In der Regel wird angenommen, g(c:) folge der Gamma-Verteilung mit einem Erwartungswert erw(exp{ c:}) = 1 und der Varianz var( exp{ c}) = v (siehe Tuma und Hannan 1984: 177 ff.). v ist ein empirisch zu schätzender Parameter. Brüderl (1991: 44) weist darauf hin, dass eine Fehlervarianz ungleich Null ein Anzeichen dafür ist, dass die beobachtete Verweildauerab-

76

Kap. 3: Statistische Modelle zur Analyse von Verweildauern

hängigkeit der Rate eventuell auf unbeobachtete Heterogenität zurückgeführt werden muss.

G. Zusammenfassung Im vorliegenden Kapitel wurden Methoden zur Analyse zensierter Beobachtungen vorgestellt, wie sie typischerweise bei Ehescheidungen vorliegen. Zentrale Größe der Ereignisdatenanalyse ist die sogenannte Hazardrate, Übergangsrate oder Risikofunktion. Die verschiedenen Methoden der Ereignisanalyse wurden klassifiziert nach den Annahmen, die über die Risikofunktion getroffen werden. Bei den nicht-parametrischen Verfahren wie der einfachen Sterbetafelmethode (für gruppierte Ehedauern) oder der KaplanMeier Schätzung (für ungruppierte Ehedauern) werden bezüglich dem funktionalen Verlauf der Risikofunktion keine Annahmen getroffen. Bei der semi-parametrischen Cox-Regression wird lediglich der Einfluss von Kovariablen auf die Übergangsrate pararnetrisiert; die Effektstärken werden mittels der Partial-Likelihood-Methode geschätzt. Parametrische Modelle erfordern darüber hinaus zusätzlich die Spezifikation des funktionalen Verlaufs der Übergangsrate; die Modelle können mithilfe der Maximum-Likelihood Methode bei Berücksichtigung von Kovariablen geschätzt werden. Neben der Berücksichtigung zeitkonstanter Kovariablen besteht auch die Möglichkeit der Modeliierung der Effekte zeitveränderlicher Kovariablen auf die Übergangsrate. Sind diese exogen gegeben, ist das Verfahren des Episodensplittings universell bei parametrischen und semiparametrischen Verfahren einsetzbar. Aber auch für exogene zeitveränderliche Kovariablen werden in der Literatur seit kurzem Analysemöglichkeiten diskutiert, z. B. das simultane Ratenmodell (Lillard 1993) oder das Ratenmodell mit Selbstselektion (Larsen und Rohwer 1993). Die Pararnetrisierung der Übergangsrate hat den großen Vorteil, dass mit Hilfe des Modells auch Prognosen des Prozesses über den Beobachtungszeitraum hinaus möglich sind. Zur Repräsentation des typischen nicht-monotonen, umgekehrt U-förmigen Verlaufs des Scheidungsrisikos lassen sich verschiedene nicht-monotone Hazardratenmodelle verwenden. So können beispielsweise neben dem log-logistischen Standardmodell auch Diekmann und Mitters (1983, 1984a) Sichel-Modell sowie Brüderl und Diekmanns (1995) generalisiertes log-logistisches Modell an die Daten angepasst werden. Das Sichel-Modell hat gegenüber den anderen beiden Modellen den Vorteil der Berücksichtigung von "Immunität" gegenüber einer Ehescheidung. Beim log-logistischen Standardmodell und beim generalisierten loglogistischen Modell tritt bei einer theoretisch unendlichen Ehedauer das Ereignis "Scheidung" irgendwann ein. Allerdings nähern sich die Risikoverläufe beider Modelle nur sehr langsam der Asymptote, so dass der Im-

G. Zusammenfassung

77

munitäts-Einwand bei einer "üblichen" Ehedauer nur ein geringes Gewicht trägt. Die parametrischen Ansätze der Ereignisdatenanalyse weisen allerdings zumindest einen Mangel auf: In der Regel fehlt eine tiefere theoretische Begründung für das geschätzte statistische Modell. Üblicherweise wird bei gegebenen Ereignisdaten mit Hilfe nicht-parametrischer Verfahren zunächst die Kurvenform der empirischen Übergangsrate ermittelt. Diese Evidenz über den zeitlichen Verlauf der Hazardrate wird dann zur Auswahl eines geeigneten parametrischen Modells verwendet. Theoretische Überlegungen beziehen sich dabei weniger auf das gewählte Hazardratenmodell, sondern eher auf die Wahl und Interpretation von Kovariablen. Dies ist weitgehend unproblem~tisch, wenn die Kurvenform der empirischen Risikofunktion eine eindeutige Wahl des parametrischen Modells für die statistische Schätzung nahe legt. Viele soziale Prozesse - wie das Scheidungsrisiko - sind allerdings durch ähnlich verlaufende Hazardratenfunktionen gekennzeichnet, welche durch (aus theoretischer Sicht) unterschiedliche Modelle beschrieben werden können. Entgegen der üblichen Praxis sollten allerdings prozesstheoretische Unterschiede zwischen diesen Übergangsratenmodellen bei der Auswahl des letztlich verwendeten parametrischen Modells nicht vernachlässigt werden. Anders ausgedrückt: Eine theoretisch begründete Wahl zwischen Modellalternativen wäre wünschenswert (Braun und Engelhardt 1998). Um eine solche theoretische Grundlage zu erhalten, verknüpfen einige Autoren (z.B. Brüderl und Diekmann 1995; Diekmann 1990, 1992; Yamaguchi 1994) Modelle der Verlaufsdatenanalyse mit Modellen der Diffusionsforschung (z.B. Hamblin et al. 1973; Mahajan und Peterson 1985; Rogers 1983). Grundlegend ist hierbei die Idee, dass das jeweilige Schätzmodell der Verlaufsdatenanalyse im Sinne eines sozialen Diffusionsprozesses interpretiert werden kann. Der gemeinsame Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist jeweils eine allgemeine Differentialgleichung, die eine Vielzahl konkreter Diffusionshypothesen als Spezialfälle umfasst und damit eine theoretische Begründung für verschiedene Hazardratenmodelle liefert. Diese Art der Verbindung von Diffusionsforschung und Ereignisdatenanalyse steht auch im Mittelpunkt des nächsten Kapitels.

Kapite/4

Begründungen des Risikoverlaufs A. Einleitung Schätzungen des ehedauerabhängigen Scheidungsrisikos ergeben nach allen bekannten Untersuchungen konsistent einen sichei-förmigen Verlauf. Dieses Muster des Scheidungsrisikos resultiert für verschiedene Länder und Kohorten (siehe z.B. Diekmann und Mitter 1984b; Diekmann 1987; Diekrnano und Klein 1991). Die umgekehrt U-förmige Kurve des Scheidungsrisikos korrespondiert mit einer unimodalen Dichteverteilung, einer S-förmigen Verteilungsfunktion und einer spiegelbildlich verkehrten S-förmigen Überlebensfunktion. Diese Regularität gibt Anlaß zur Frage nach den Mechanismen, die das beobachtete Hazardraten-Muster generieren. In der Literatur finden sich zumindest vier Arten formaler Erklärungsmodelle. Der erste Ansatz umfasst stochastische Modelle, in welchen die charakteristische Risikofunktion aus Zufallsprozessen hergeleitet wird (siehe z. B. Coale und McNeil 1972 sowie Mitter 1989). Ein zweiter Erlärungsansatz versucht, den Risikoverlauf auf unbeobachtete Heterogenität der Ehen zurückzuführen (z.B. Vaupel und Yashin 1985). In einem dritten Ansatz wird eine adäquate parametrische Funktion zur Beschreibung des sicheiförmigen Scheidungsrisikos mit einem lerntheoretischen Kalkül begründet (Diekmann und Mitter 1984b). Ein vierter Ansatz konzeptualisiert verschiedene parametrische Modelle der Ereignisdatenanalyse als Konsequenzen sozialer Diffusionsprozesse. Diffusionsmodelle wie sie z. B. von Hernes (1972) für den Verheiratungsprozess vorgeschlagen wurden, basieren zumeist auf der Annahme einer Ansteckung, Imitation oder sozialem Druck, welcher von den bereits geschiedenen (bzw. verheirateten) Personen einer Kohorte auf die noch Verheirateten (bzw. Ledigen) ausgeübt wird. Abgesehen vom erstgenannten Ansatz werden im vorliegenden Kapitel diese Begründungen diskutiert. Auf eine Darstellung stochastischer Modelle wird verzichtet, da mit der Annahme eines stochastischen Prozesses per Definition auf eine intentionale "Erklärung" des Hazardratenverlaufs verzichtet wird. Auch wenn es aufgrund empirischer Beobachtungen durchaus Zweifel daran gibt, ob Heirats- und Scheidungsentscheidungen tatsächlich

B. Unbeobachtete Heterogenität

79

,,rational" im Sinne der Familienökonomik sind (Frey und Eicheoberger 1996), ist dennoch davon auszugehen, dass eine Ehescheidung kein Resultat eines reinen Zufallsprozesses ist. Im folgenden werden unter der Überschrift "Unbeobachtete Heterogenität" (Abschnitt B.) das Mover-Stayer-Modell sowie ein allgemeines Heterogenitätsmodell vorgestellt. In Abschnitt C. ("Lemtheoretische Begründung des Sichel-Modells") wird in Anlehnung an Diekmann und Mitter (1984a) eine psychologische Begründung des SichelModells diskutiert. In Abschnitt D. ("Diffusionsmodelle") folgt durch eine Verallgemeinerung von Diekmanns ( 1990, 1992) Diffusionsmodell eine diffusionstheoretische Begründung des Sichel-Modells, des allgemeinen log-logistischen Modells und des generalisierten log-logistischen Modells. Abschnitt E. fasst zusammen.

B. Unbeobachtete Heterogenität Die Argumentationslinie "Unbeobachtete Heterogenität" geht davon aus, dass verschiedene Personengruppen unterschiedliche Scheidungsrisiken aufweisen, wodurch sich im Zeitablauf deren Zusammensetzung und somit das durchschnittliche Risiko in der Population verändert.

I. Mover-Stayer-Modell Im einfachsten Fall unbeobachteter Heterogenität, dem Mover-StayerModell von Blumen et al. (1955), besteht die Gesamtpopulation nur aus zwei Gruppen von Ehen. Während das Risiko der einen Gruppe ("Stayer") konstant bleibt oder mit der Ehedauer sinkt, steigt das der anderen Gruppe (,,Mover") an (siehe auch Diekmann 1987: 127 ff.; Tuma und Hannan 1984: 174). Die aggregierte Hazardrate h(t) in der Population ergibt sich dann als Summe der gewichteten Übergangsraten der Mover (hM(t)) und Stayer (hs(t) ): (4.1) mit (4.2) wobei 7rM resp. 7rs (7rM + 7rs = 1) die Anteile der Mover bzw. Stayer zu Beginn des Pozesses in der Population bezeichnen und GM(t) bzw. Gs(t) die jeweiligen zeitabhängigen Überlebensfunktionen repräsentieren (vgl. Blossfeld und Rohwer 2002: 257).

80

Kap. 4: Begründungen des Risikoverlaufs

Da die "Mover"-Ehen in den ersten Ehejahren mit steigender Wahrscheinlichkeit gelöst werden, nimmt ihr Anteil an der Population rasch ab, wodurch das durchschnittliche Scheidungsrisiko ab einem gewissen Zeitpunkt wieder sinkt. So ergibt sich durch einfache Aggregation der beiden Ratenverläufe die sicheiförmige Gestalt der Scheidungsrisikofunktion (Abbildung 4.1). Allerdings sind weder die Sichelfunktion noch die verschiedenen log-logistischen Funktionen direkt aus dem Mover-Stayer-Modell ableitbar. Darüber hinaus verschwindet auch das Scheidungsrisiko zu Beginn der Ehedauer nicht wie beim Sichel- und bei den log-logistischen Modellen. Ein niedriges Scheidungsrisiko zu Beginn der Ehe kann jedoch durch institutionelle Rahmenbedingungen erklärt werden: wegen der gesetzlichen Regelungen ist eine gewisse Mindest-Wartezeit bis zur faktischen Ehescheidung einzukalkulieren. Somit eignet sich das Mover-Stayer-Modell besser zur Erklärung von ehelichen Trennungen als von gesetzlichen Scheidungen. Ein Vorteil des Mover-Stayer-Modells gegenüber anderen Ansätzen ist die mögliche theoretische Verknüpfung mit der Familienökonomik (Becker 1991) und der ökonomischen Suchtheorie (z. B. Stigler 1962; Lippman und McCall 1982), aus welchen sich eine Erklärungsskizze für die Aufteilung der Ehen in "Mover" und "Stayer" ergibt (vgl. Diekmann 1987: 127 ff.). Danach sind die potentiellen Heiratskandidaten Träger von Merkmalen oder Eigenschaften, welche sich in zwei Kategorien einteilen lassen: Manifeste Merkmale und Erfahrungsmerkmale. Zu den manifesten Eigenschaften zählen Bildung, soziale Herkunft, physische Attraktivität etc. Erfahrungsmerkmale sind hingegen weniger offenkundig: Informationen hierüber werden

mover

s

..c 0.5

stayer 0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 4.1: Ratenmischung zweier Gruppen

35

40

B. Unbeobachtete Heterogenität

81

häufig erst nach der Eheschließung gesammelt (z. B. Eignung für die Elternrolle). Wird nun die Partnerwahl als Entscheidung unter unvollständiger Information aufgefasst, so besteht nur über die Erfahrungsmerkmale eine gewisse Unsicherheit. Bezüglich der manifesten Eigenschaften besteht hingegen vollständige Information; Irrtümer bei der Partnerwahl sind hier ausgeschlossen. Der Suchprozess erzeugt daher zwei Gruppen von Ehen: Eine erste Gruppe, bei der sich nach der Eheschließung eine Enttäuschung bezüglich erwarteter Erfahrungsmerkmale einstellt, und eine zweite Gruppe, bei der sich die Erwartungen über die Erfahrungsmerkmale bestätigen. Bei der Mismatch-Gruppe steigt das Scheidungsrisiko mit den Enttäuschungen an ("Mover"). Bei der "Stayer"-Gruppe bleibt das Scheidungsrisiko hingegen auf einem konstant niedrigen Niveau oder sinkt sogar. Ein sinkendes Risiko kann zusätzlich erklärt werden durch die mit der Ehedauer zunehmenden ehelichen Investitionen. Darüber hinaus mag sich ein "Feed-Back"Effekt einstellen: Je stabiler die eigene Ehe im Laufe der Zeit eingeschätzt wird, desto mehr Investitionen werden getätigt; ein Umstand, der die Ehestabilität wiederum erhöht. Aus dem Blickwinkel der weiteren theoretischen Diskussion ist es jedoch fragwürdig, ob das Risiko einer Eheauflösung für alle Personen in der "Stayer"- und der "Mover"-Gruppe identisch ist. So mag es Gruppen geben mit einem höheren, aber u. U. zeitunabhängigen Scheidungsrisiko, die aufgrund der Unsicherheit langfristiger Verträge auf ehespezifische Investitionen verzichten (z. B. Kinder geschiedener Eltern). Ändern sich darüber hinaus manifeste Eigenschaften während einer Ehe (z. B. durch längere Arbeitslosigkeit des Mannes oder Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Frau) kann dies zu einem steigenden Risiko führen, wobei der Anstieg langsamer als in der Mismatch-Gruppe sein kann. Einen Ansatz, der von individuell unterschiedlichen Risiken der "Mover" ausgeht, bietet das allgemeine Heterogenitätsmodell.

II. Allgemeines Heterogenitätsmodell Im Gegensatz zur Mover-Stayer-Erklärung wird im allgemeinen Heterogenitätsmodell nach Vaupel und Yashin ( 1985) davon ausgegangen, dass das Risiko bei allen Personen linear ansteigt, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß (siehe Abbildung 4.2). Wie beim Mover-Stayer-Modell lässt sich unter dieser weniger starken Annahme durch Aggregation der individuellen Risikoverläufe eine umgekehrt U-förrnige Risikofunktion ableiten. Obwohl Diekmann (1987: 121 ff.) das Modell auf Verheiratungsprozesse angewendet hat, ist es gleichwohl auch auf Scheidungsrisiken übertragbar. 1 1 Die Darstellung des allgemeinen Heterogenitätsmodells orientiert sich an Diekrnano (1987: 121 ff.).

6 Engelhardt

82

Kap. 4: Begründungen des Risikoverlaufs

0

5

10

20

15

25

30

Ehedauer Abbildung 4.2: Individuelle Risikoverläufe des Heterogenitätsmodells

Zur Ableitung der aggregierten Risikofunktion beginnen wir mit einem allgemeinen Proportional-Hazard-Modell, das durch eine nicht näher spezifizierte zeitabhängige Funktion q(t) mit dem Parameter a > 0 gekennzeichnet ist: h(t) = aq(t).

(4.3)

Die kumulierte Hazardrate H(t) ist das Integral über der Hazardrate: (4.4)

H(t)

=a

1 1

q(T)dT

= aQ(t).

Die Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung lautet dann bei konstantem a: (4.5)

f(t)

= aq(t)e-aQ(t).

Laut Annahme ist der Alters-Risikozuwachs a in einer Population nicht konstant, sondern individuell verschieden. Um diese unbeobachtete Heterogenität zu fassen, nehmen wir an, a folge der Gamma-Verteilung mit den positiven Parametern >. und c? Die Gamma-Verteilung hat unter anderem den Vorteil großer Flexibilität; sie erlaubt die Modeliierung unterschiedlicher Verteilungsformen (linksschief, rechtsschief, symmetrisch). 2 Die Gamma-Dichte lautet f(a) Gamma-Funktion bezeichnet.

= r?~l ac- le->.a

mit .A, c > 0, wobei r(-) die

B. Unbeobachtete Heterogenität

83

0.4-.----------------------, c =I

,-------~= 5

0.3

:1.= 10 ',, ________ _

~ 0.2

0.1

0

15

10

5

20

25

30

Ehedauer Abbildung 4.3: Aggregierte Risikoverläufe des Heterogenitätsmodells

Die aggregierte Dichtefunktion über alle Mitglieder der Population ergibt sich dann durch: (4.6)

f(t) = q(t)>.C r(c)

=

{ oo a ce - a(>.+Q(t))da

lo

q(t)c>..c (.X+Q(t)t+l.

Hieraus können die kumulierte Verteilungsfunktion, die Überlebensfunktion sowie die Risikofunktion abgeleitet werden (vgl. Kapitel 3, A.): (4.7)

F(t)

_

=I

(4.8)

G(t)

_

=

(4.9)

h(t)

-

(

-

(

,X

.X+ Q(t) ,X

.X + Q(t)

)c '

)c,

cq(t)

= .X + Q(t) .

Steigt das Scheidungsrisiko linear an, so ist q(t) in (4.9) einzusetzen: (4.10)

-

h(t) =

ct

I

.X+-t2 2

6*

.

= t und Q(t) = (1/2)t2

84

Kap. 4: Begründungen des Risikoverlaufs

Diese aggregierte Hazardrate entspricht einem zunächst steigenden, dann fallenden Risiko mit einem Maximum bei (4.11)

tmax

= .J25..

Der Verlauf der aggregierten Risikofunktion für c = 1 ist in Abbildung 4.3 für verschiedene .A-Werte dargestellt. Die Variable a ist in diesem Fall exponentialverteilt: Die Wahrscheinlichkeitsdichte ist zu Beginn der Ehedauer am größten und verringert dann mit einer abnehmenden Zuwachsrate.

C. Lerntheoretische Begründung des Sichel-Modells Zur theoretischen Fundierung der Sichel-Übergangsrate liefern Diekmann und Mitter (1984a) eine lerntheoretische Begründung. Das Ehepaar als Einheit der Analyse besitzt ein gemeinsames Sündenkonto. Im Laufe der Zeit wird dieses Konto mit Sündenfällen angereichert. Denkbar sind hier alle ehelichen Vergehen, angefangen von Unaufmerksamkeit in der ehelichen Interaktion bis hin zu außerehelichen Beziehungen. Aufgrund von Lerneffekten beider Ehegatten wird angenommen, dass die Anzahl der ehelichen Sünden exponentiell fällt. Da sich nicht unbedingt alle Sünden kumulieren ("[... ] sins may be forgiven or forgotten" (Diekmann und Mitter 1984a: 129)), wird das eheliche Sündenkonto durch eine konstante Vergebens- oder Vergessensrate c "entlastet". Der Sündenkontostand zum Zeitpunkt t, w(t), ergibt sich unter diesen Annahmen durch: (4.12)

dw = ae-b1 - cw dt ,

-

wobei aexp{ -bt} mit der insgesamt zunehmenden Menge der Vergehen (exponentiell abnehmend durch Lerneffekte) korrespondiert. Der Parameter b determiniert die Geschwindigkeit der Annäherung an die Asymptote der Lernkurve, während cw die verminderte Menge an scheidungsrelevantem Fehlverhalten repräsentiert. Für b =/=- c ergibt sich als Lösung der Differentialgleichung: (4.13)

a

w(t) =--(e-h'- e- 0 sowie c = aßh > 0,8 = O,c = 0, so dass w(t) = I - G(t)'Yiß, r(t) = aßht und h(t) = (aßht)(I - G(t)'Yiß) Sichel-Modell (Kontaktunabhängige Ausbreitung): k -+ oo sowie c > 0, 8 = -I/>.. < 0 und c = 2, so dass w(t) = 1 und r(t) = cre-t/>-. = h(t) Anmerkung: Weitere Spezialfälle finden sich bei Braun und Engelhardt (1998).

Log-logistische Modelle Ob sich Ehescheidungen als soziale Ansteckungsprozesse deuten lassen, ist fraglich; offensichtlichere Beispiele für soziale Ansteckungsprozesse sind z. B. die Verbreitung bestimmter Moden, die Anschaffung neuer Technologien oder auch die Ausbreitung von Gerüchten. Vor dem Hintergrund von (4.22) resultieren Infektionsprozesse, wenn man eine statistisch unabhängige Kontaktaufnahme pro Zeiteinheit unterstellt (k = 1) und deswegen der Anteil der Merkmalsträger jeweils die Wahrscheinlichkeit eines informativen Kontaktes bestimmt. Trifft man die Zusatzannahme einer durchwegs abnehmenden Übernahmefunktion r(t) = cft, dann erhält man mit dem log-logistischen Standardmodell ein Beispiel für einen reinen Ansteckungsprozess. Das log-logistische Modell lässt sich, wie Brüderl und Diekmann (1995) zeigen, durch die Einführung eines zusätzlichen Schätzparameter ß verallgemeinern (vgl. Kapitel 3, D.). Bei Verwendung der positiven Parameter o:, ß und 1Iauten die Verteilungsfunktion F(t) und die Hazardfunktion h(t) des generalisierten log-logistischen Modells: (4.23)

so dass das log-logistische Standardmodell für ß = 1 > 0 resultiert. Für > 1 ergibt sich eine glockenartige Gestalt von h(t), während o: :::; 1 eine durchwegs fallende Hazardrate impliziert. o:

D. Diffusionsmodelle

95

Weil das generalisierte log-logistische Modell das log-logistische Standardmodell als Spezialfall enthält und letzteres infektionstheoretisch begründbar ist, sollte das generalisierte Modell als verallgemeinerter Ansteckungsprozess gedeutet werden können. Tatsächlich erlaubt (4.22) eine entsprechende Interpretation des generalisierten log-logistischen Modells. Kombiniert man in (4.22) nämlich die Annahme k = 'Y j ß > 0 mit den Spezifikationen c = aßh > 0, 8 = 0 und E = 0, so lässt sich die Dichte des generalisierten log-logistischen Modells als verallgemeinerter Infektionsprozess schreiben: (4.24)

dF(t) dt

= P._.!!._ (G(t)- G(tf'/ß + F(t)G(t)"~1ß). 'Y t

Damit illustriert das generalisierte log-logistische Modell einen weiteren Prozesstyp in Tabelle 4.2; es liegt als flexibles Modell einer kontaktabhängigen Diffusion zwischen reinen Infektionsprozessen und kontaktunabhängigen Ausbreitungsprozessen. Die Schätzergebnisse für das generalisierte loglogistische Modell erleichtern deswegen die Wahl zwischen glockenförmigen Hazardratenmodellen, die auf unterschiedlichen prozesstheoretischen Begründungen beruhen. Insbesondere erlauben sie einen Test der Infektionshypothese, welche das log-logistische Standardmodell begründet: Je eher ß = r erfüllt sind, desto angemessener ist eine Interpretation eines glockenförmigen Risikoverlaufs im Sinne eines reinen Ansteckungsprozesses. Neben der möglichen ansteckungstheoretischen Interpretation ist aufgrund der Annahme einer kontstanten Zeitelastizität der Übernahmerate r( t) von - 1 für log-logistische Modelle charakteristisch, dass eine einprozentige Zunahme der (seit dem Prozessbeginn vergangenen) Zeit zu einer einprozentigen Verminderung der Übernahmebereitschaft führt. Sichel-Modell

Ein Prozesstyp in Tabelle 4.2 beruht auf einem für Scheidungsdaten plausibleren Ausbreitungsprozess, der nicht auf Ansteckungen durch Interaktionen zwischen aktuellen und potentiellen Merkmalsträgern abstellt (k---.. oo ). In diesem Szenario kommt es pro Zeiteinheit stets zu einem informativen Kontakt bezüglich des Merkmals und daher erfolgt der Ausbreitungsvorgang unabängig vom Interaktionsmuster. Der Diffusionsprozess wird also nicht durch Ansteckungen im Gefolge von Interaktionen zwischen potentiellen und aktuellen Merkmalsträgern bewerkstelligt, sondern ausschließlich von der Übernahmefunktion gesteuert. In Tabelle 4.2 wird dieser Prozesstyp durch das Sichel-Modell (Diekmann und Mitter 1983, 1984a) repräsentiert (vgl. Kapitel 3, D.). Unter Ver-

96

Kap. 4: Begründungen des Risikoverlaufs

wendung der positiven Parameter c und ), lauten die "defekte" Verteilungsfunktion F(t) und die Hazardfunktion h(t) des Sichel-Modells (4.25)

so dass langfristig "Immunität" im Sinn von F( oo) < 1 vorliegt und der Schätzwert von >. dabei den Zeitpunkt des höchsten Übergangsrisikos bestimmt. Neben k -+ oo erfordert eine diffusionstheoretische Begründung für die Sichelhypothese im Sinne von (4.22) die Parameterspezifikation c > 0, 8 = - 1/), und e: = 2: (4.26)

dF(t)

~=cte

-tf>. ( )

Gt.

Betrachtet man das Sichel-Modell auf dieser Grundlage, so ergeben sich zwei Folgerungen: Zum einen stellen zahllose Interaktionen pro Zeiteinheit sicher, dass für die Verbreitung des Merkmals nur die Übernahmerate eine Rolle spielt, d.h. die Übernahmefunktion r(t) entspricht der Hazardfunktion h(t). Zum anderen weist das Übergangsrisiko eine linear fallende Zeitelastizität (dr(t)/dt)(t/r(t)) = 1- (1/>.)t auf. Bei einer einprozentigen Zunahme der (seit dem Prozessbeginn verstrichenen) Zeit ergibt sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (nämlich bei tm = >.) damit ein prozentuales Wachstum der Übernahmebereitschaft, danach jedoch eine prozentuale Abnahme. Nach einer anfangliehen Beschleunigung wird die Übernahmetendenz also wieder abgebremst, wobei Kontakte für den Ausbreitungsvorgang keine Rolle spielen. Letzteres steht im Gegensatz zur Infektionslogik Diese prozesstheoretischen Unterschiede der log-logistischen Modelle zum ähnlich verlaufenden Sichel-Modell bieten eine Hilfestellung bei der Wahl des geeigneten statistischen Schätzmodells.

E. Zusammenfassung Der umgekehrt U-förmige Verlauf der Scheidungsrisikosfunktion kann durch verschiedene Mechanismen erklärt werden, z. B. durch unbeobachtete Heterogenität, durch das Vergeben und Vergessen ehelicher Sünden sowie durch soziale Diffusionsprozesse. Die Argumentationslinie "Unbeobachtete Heterogenität" geht davon aus, dass verschiedene Personengruppen unterschiedliche Scheidungsrisiken aufweisen, wodurch sich im Zeitablauf deren Zusammensetzung und somit das durchschnittliche Risiko in der Population verändert. Im einfachsten Fall, dem Mover-Stayer-Modell, besteht die Gesamtpopulation nur aus zwei Gruppen, welche jeweils gleiche Risikofunktionen haben. Im allgemeinen

E. Zusammenfassung

97

Heterogenitätsmodell sind die Risikoverläufe individuell verschieden. Bei beiden Modellen ergibt sich die typische sicheiförmige Scheidungsrisikofunktion einer Population durch Aggregation der individuellen Risikoverläufe. Für das Sichel-Modell von Diekmann und Mitter (1983, 1984a) existiert eine lerntheoretische Begründung durch das Vergeben und Vergessen ehelicher Sünden. Unter der Annahme, dass alle Personen identische Vergebensund Vergessensraten aufweisen, kann das Sichel-Modell als aggregierter "Sündenkontostand" einer Population von Ehegatten hergeleitet werden. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, Hazardratenmodelle der Ereignisanalyse aus sozialen Diffusionsprozessen abzuleiten. Durch die Verknüpfung von Verlaufsdatenanalyse und Diffusionsforschung erhalten die Ratenmodelle zugleich eine diffusionstheoretische Begründung bezüglich des Ansteckungs- oder Beeinflussungsprozesses. Diese prozesstheoretischen Implikationen können bei der Wahl eines Ratenmodells ausschlaggebend sem. Die diffusionstheoretische Analyse der be!fachteten Hazardmodelle hat gezeigt, dass das generalisierte log-logistische Modell (im Gegensatz zum Sichel-Modell) insbesondere für solche Anwendungsfälle geeignet ist, die eine infektionstheoretische Begründung zulassen (z. B. Einstieg in den Drogenkonsum durch Kontakte mit bereits konsumierenden Freunden, Übernahme bestimmter Moden oder Technologien oder die Aufnahme krimineller Aktivitäten als Folge eines "schlechten" Umgangs). Die log-logistischen Modelle bieten daher einen Test dafür, ob der betrachtete Anwendungsfall im Sinne einer sozialen Ansteckung gedeutet werden kann. Für Scheidungsdaten schließen die empirischen Schätzwerte der Parameter ß und 'Y jedoch eine infektionstheoretische Deutung aus (siehe hierzu Braun und Engelhardt 1998). Stattdessen weisen sie erwartungsgemäß darauf hin, dass das Scheidungsrisiko weniger von Interaktionen mit Dritten als vielmehr von der Übernahmefunktion abhängt. Insgesamt entsprechen diese Ergebnisse der Intuition, wonach sich Scheidungen v. a. aufgrund von Partnerkennzeichen und paarinternen Vorgängen ergeben. Mit der gemeinsam verbrachten Zeit gewinnt man zusätzliche Erkenntnisse über positive und negative Eigenschaften des Partner und es können Konflikte, Langeweile oder Indifferenz auftreten, die sich im Zeitablauf in einer erhöhten Trennungsneigung zumindest eines Ehepartners niederschlagen können. Gemäß Beckers (1991) Familienökonomik sind es gerade die im Zeitablauf hinzu gewonnenen Informationen über den Ehepartner, die eine Scheidung wahrscheinlicher machen. Aufgrund zusätzlicher Erfahrungen kann sich eine weitgehende Ernüchterung über den Partner einstellen oder ein "Mismatch" diagnostiziert werden, so dass die Auflösung der Beziehung schließlich als das geringere Übel erscheint. 7 Engelhardt

98

Kap. 4: Begründungen des Risikoverlaufs

Somit ist aus prozesstheoretischer Sicht bei der Betrachtung des Ereignisses "Ehescheidung" die Verwendung des Sichel-Modells sinnvoll. Dagegen ergeben sich Zweifel an einer plausiblen Anwendung der ähnlich verlaufenden, aber infektionstheoretisch begründeten log-logistischen Modelle bei der Analyse von Scheidungsdaten. Die Berücksichtigung der abgeleiteten prozesstheoretischen Implikationen verschiedener Ereignisdatenmodelle kann somit bei der Auswahl des letztlich relevanten Schätzmodells hilfreich sein.

Kapitel 5

Trennungen vs. Scheidungen A. Einleitung Schwerpunkt des vorliegenden Kapitels ist die Definition des Begriffs der "Scheidung". In europäischen Scheidungsstudien wird in der Regel die zivilrechtliche Definition zugrunde gelegt. Geschieden ist demnach, wer eine familienrichterliche Scheidungsurkunde vorweisen kann. Entsprechend wird für die ereignisanalytischen Analysen als "Eheende" das Datum des gerichtlichen Scheidungsspruchs gewählt (siehe z.B. Brüder! et al. 1997; Diekmann 1987; Diekmann und Engelhardt 1995; Diekmann und Klein 1991; Ott 1993; Wagner 1993). In Studien aus dem angelsächsischen und skandinavischen Sprachraum werden dagegen häufig getrennt lebende Eheleute als "geschieden" kategorisiert (siehe z. B. für die USA: Bumpass et al. 1991; DeMaris und Rao 1992; Teachman und Polonko 1990; für Kanada: Balakrishnan et al. 1987; Hall und Zhao 1995; Trussel und Rao 1989; für Schweden: Bennett et al. 1988). 1 Dass die Definition nicht willkürlich ist, zeigt sich beim Vergleich der farbigen und weißen Bevölkerungsgruppen in den USA: Hier ist der Anteil von Separationen an Ehescheidungen bei ersterer Gruppe wesentlich höher als bei den weißen Amerikanern (Diekmann 1987: 28). Die Scheidungsdefinition bestimmt hier wesentlich die Anzahl der Ereignisse mit. Allerdings kann die Wahl der Trennungsdefinition auch zu einer leichten Überschätzung der tatsächlichen Eheauflösungen führen, da sich ein Teil der Getrennten wieder "zusammenrauft" (Bumpass et al. 1991; Menken et al. 1981). Auch sind durch die Scheidungsdefinition artifizielle Unterschiede der Ergebnisse möglich: Haben z. B. Katholiken unterdurchschnittliche Scheidungsraten im zivilrechtliehen Sinne, zugleich aber höhere Trennungsraten ("italienische Scheidung", König 1974: 111), dann würden Untersuchungen mit der Trennungsdefinition schwächere konfessionelle Unterschiede entdecken als bei Verwendung der zivilrechtliehen Definition. In diesem Kapitel wird nun versucht, empirisch vergleichend die Folgen der Trennungs- und Scheidungsdefinition für den ehedauerabhängigen Ver1 Abschnitt A., C. und D. beruht - neben einigen ergänzenden Ausführungen auf dem Artikel von Brüder! und Engelhardt (1997). 7*

100

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

lauf des Eheendes aufzuzeigen. Dazu wird zunächst in Abschnitt B. mit der ersten Welle des deutschen Familiensurveys die Datenbasis vorgestellt sowie die genauen Operationalisierungen der Ehedauern in Abhängigkeit der beiden Definitionen des Eheendes erläutert. Darüber hinaus werden die Operationalisierungen der Trennungs- und Scheidungsdeterminanten vorgestellt. In Abschnitt C. folgt eine Präsentation der jeweiligen geschätzten Risikoverläufe und ehedauerabhängigen Anteile nicht geschiedener Ehen sowie ein Vergleich der Effektstärken der Eheauflösungsdeterminanten beim Trennungs- und Scheidungsrisiko. Genauere uni- und multivariate Analysen des Übergangs von der Trennung zur Scheidung werden in Abschnitt D. diskutiert. Thema von Abschnitt E. sind die Anpassungen der parametrischen Modelle (Sichel-, log-logistisches und generalisiertes log-logistisches Modell) an die "beobachteten" Sterbetafel-Risikoverläufe. Dabei wird insbesondere gefragt, ob es Unterschiede in den parametrischen Anpassungen an den Trennungs- und Scheidungsprozess gibt. Eventuelle Unterschiede könnten - neben dem Vergleich der Effektstärken der Trennungs- und Scheidungsdeterminanten - eine Entscheidungshilfe bei der Beantwortung der Frage bieten, ob in der weiteren Arbeit bevorzugt das Trennungs- oder das Scheidungsrisiko analysiert werden soll. Abschnitt F. fasst die Diskussion zusammen.

B. Daten und Variablen Die vorliegende Studie basiert auf der ersten Welle des Familiensurveys des Deutschen Jugendinstituts (DJI) 1988.2 Die DJI-Studie ist eine Zufallsstichprobe der in Privathaushalten lebenden Personen deutscher Staatsangehörigkeit im Alter von 18 bis 55 Jahren. In den "alten" Bundesländern, auf die wir uns hier beziehen, umfasst die Nettostichprobe 10043 Personen. Die Stichprobe setzt sich zusammen aus 3011 Personen, gezogen aus den Einwohnermeldedateien der Gemeinden; 6931 Personen, gezogen aus der Gesamtheit der Privathaushalte mittels ADM-Verfahren, sowie 101 Personen, die bereits im Pretest befragt wurden. Ein Randverteilungsabgleich mit den Mikrozensus-Daten 1988 der amtlichen Statistik zeigt, dass ledige Personen, 20 bis 24-Jährige sowie Männer mit 2,7, 3,7 und 5,3 Prozentpunkten leicht unterrepräsentiert sind (Bender et al. 1996). Berücksichtigt werden in den folgenden Analysen die noch intakten Erstehen, die durch Tod eines Partners beendeten Erstehen sowie die bereits geschiedenen (bzw. getrennten) Erstehen. Für die zentrale Variable der Analyse, die Ehedauer, liegen zwei Operationalisierungen vor: 2 Die Daten des "DJI-Familiensurvey" sind beim Zentralarchiv in Köln unter ZA-Nr. 2245 erhältlich.

B. Daten und Variablen

101

• Die Ehedauer (Heiratsdatum bis Scheidungsdatum, Todesdatum des Partners resp. Interviewdatum) ist in Jahren, Monaten und Tagen erfasst. Da das Heiratsdatum nur monatsgerrau vorliegt, wird als Heiratstag der 15. eines Monats gewählt. Für das Scheidungs- oder Sterbedatum des Ehegatten, das nur jahresgerrau vorliegt, werden Tag und Monat mit dem 30. Juni festgelegt. Eine Episode wird als zensiert behandelt, falls die befragte Person zum Befragungszeitpunkt verwitwet war oder die Ehe am 20. Oktober 1988 noch bestand? Für zensierte Episoden wird dem Ereignisindikator der Wert 0 zugewiesen, 1 sonst. • Für einen Vergleich mit US-amerikanischen Studien, die anstelle des Scheidungsdatums das Trennungsdatum verwenden (dazu gerrauer im folgenden Abschnitt), wurde eine verkürzte Ehedauer gebildet, welche sich aus dem Zeitraum Heiratsdatum bis Trennungsdatum (sofern dies vor dem Scheidungsdatum liegt) ergibt. Da das Trennungsdatum nur monatsgenau vorliegt, wird wie beim Scheidungsdatum als Trennungstag der 15. eines Monats gewählt. Eine Episode wird als zensiert behandelt, falls die befragte Person zum Befragungszeitpunkt verwitwet war oder die Ehe am 20. Oktober 1988 noch nicht getrennt war. Zu beachten ist bei dieser Ehedauer-Variablen, dass sich die Frage nach dem Trennungsdatum im Fragebogen - im Gegensatz zum Scheidungsdatum - nicht explizit auf die Haushaltsauflösung als objektives Ereignis bezieht.4 Da sich eine Trennung in der Regel über einen längeren Zeitraum hinzieht, sind hier auch je nach befragtem Ehepartner variierende Angaben denkbar. Für beide Operationalisierungen der Ehedauer wurde jeweils eine Episodendatei erstellt, die sich wegen "missing values" geringfügig in der Fallzahl unterscheiden: In der Scheidungsdatei liegen 6559 Eheepisoden vor und in der Trennungsdatei 6562 Episoden. Die Zahl der Ereignisse liegt in der Trennungsdatei mit 958 (14,6%) etwas höher als in der Scheidungsdatei mit 826 (12,6%). Die größere Anzahl Trennungen im Datensatz ist darauf zurückzuführen, dass sich nicht alle trennenden Ehepaare auch scheiden lassen (oder noch nicht geschieden sind). Getrennt, aber (noch) nicht geschieden sind insbesondere die jüngeren Eheschließungskohorten. So kommt es in den Heiratskohorten 1949-60, 1961-70, 1971-80 und 1981-88 zu einer Zunahme von Ereignissen um 8,3%, 10,6%, 16,1% und 61,7 %. Absolut erhöht sich die Zahl der Ereignisse in den einzelnen Kohorten um 10, 37, 48 und 37 Fälle. Zur Erklärung des Scheidungs- und Trennungsrisikos lassen sich insbesondere aus der Familienökonomik zahlreiche Zusammenhänge ableiten 3 Leider ist das genaue Interviewdatum nicht im Datensatz enthalten. Deshalb wurde als Stichtag der 20. Oktober 1988 gewählt. 4 Der Fragetext im Fragebogen lautet: "In welchem Jahr haben Sie sich getrennt, und in welchem Jahr wurden Sie dann geschieden?"

102

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

(siehe Becker 1991 sowie Becker et al. 1977). Daneben existieren aus der Literatur bekannte empirische Korrelate, wie z. B. zwischen Heiratskohorten und Scheidungsrisiko (siehe Kapitel 2.4). Bezüglich der Überprüfung der genannten Zusammenhänge sind uns allerdings durch den vorliegenden DJI-Familiensurvey gewisse Grenzen gesetzt: Zum Teil sind die gewünschten Informationen nicht im Datensatz enthalten. Andere inhaltlich äußerst interessante Merkmale sind zwar erfasst, die Informationen beziehen sich allerdings jeweils auf den Zeitpunkt der Befragung. So liegen etwa Informationen über das gegenwärtige Einkommen, das derzeitige Wohneigentum oder die Größe des momentanen Wohnortes vor. Die Schätzung des Einflusses dieser Variablen auf das Scheidungs- oder Trennungsrisiko ist aber insofern problematisch, als hier die Kausalitätsverhältnisse nicht eindeutig sind. So kann etwa die Größe des gegenwärtigen Wohnortes einen positiven Einfluss auf das Scheidungsrisiko ausüben, weil Geschiedene etwa aufgrund sozialer Stigmatisierung kleinere Wohnorte meiden. Aus diesen theoretischen Überlegungen werden in der vorliegenden Studie vor allem zeitkonstante Merkmale erfasst. Zeitabhängige Kovariablen werden nur dann berücksichtigt, wenn sich die im Datensatz enthaltenen Informationen auf die eheliche Zeit beziehen, also innerhalb der "Risikospanne" auftreten. Diese Situation ist bei der Geburt eines Kindes während der Ehe gegeben. Da die Geburtsdaten der im Haushalt lebenden Kinder bekannt sind, wird der mutmaßlich risikovermindernde Einfluss der Geburt eines (ersten) Kindes als zeitabhängige Kovariable behandelt. Je nach Aggregationsebene lassen sich die Scheidungsdeterminanten in Individual- und Paarmerkmale klassifizieren. Die Paarmerkmale werden anband der DJI-Daten wie folgt gebildet: • Für die Heiratskohorten 1961-70, 1971-80 und 1981-88 werden drei Dummy-Variablen gebildet mit dem Code 1 für Personen, deren Eheschließungen in den entsprechenden Zeitraum fallen. Referenzkategorie ist die Heiratskohorte 1949-60. • Die Konfessionen der Ehepartner werden mit drei Oll-Variablen erfasst: beide Ehepartner katholisch, beide Ehepartner konfessionslos, gemischt religiöses Paar. Die Referenzkategorie umfasst die rein evangelischen und den sonstigen Kirchen angehörende Paare. • Ist das Paar gemischt national, wird der Dummy-Variable Nationalitätenmix eine 1 zugewiesen, 0 sonst. • Wurde von dem Paar vor der Eheschließung eine gemeinsame Wohnung bezogen, nimmt die Oll-Variable Kohabitation eine 1 an, 0 sonst. • Liegt die Geburt des ersten Kindes zeitlich vor der Eheschließung, wird der Variable voreheliches Kind der Wert 1 zugewiesen, 0 sonst. Berück-

B. Daten und Variablen

103

sichtigt wurden nur erste Kinder, die gemeinsam mit dem ersten Ehepartner gezeugt wurden. • Die Geburt des ersten ehelichen Kindes wird als zeitabhängige Kovariable J. Kind berücksichtigt. Diese Kovariable ist 0 bis zum Geburtsdatum und 1 ab dem Geburtsdatum. • Die Bildungsdifferenz des Ehepaares wird als Dummy-Variable berücksichtigt: Hat die Frau 2 oder mehr Schulbildungsjahre mehr als der Ehemann, nimmt die Variable Bildungsdifferenz den Wert 1 an, 0 sonst. Neben diesen Paarcharakteristika enthält der Datensatz diverse Individualmerkmale der befragten Person, die wie folgt operationalisiert sind: • Das Heiratsalter wird in Jahren gemessen. • Die Schulbildung vom Befragten und dessen Ehepartner wird in Jahren gemessen. Die Bildungsjahre werden den höchsten genannten Abschlüssen der Befragten wie folgt zugeordnet: gehe noch zur Schule: 8 Jahre; vorzeitig von der Volks-/Hauptschule abgegangen: 8 Jahre; Mittlere Reife/Realschulabschluss: 10 Jahre; Fachhochschulreife: 12 Jahre; Abitur (Hochschulreife): 13 Jahre. Beim Ehepartner handelt es sich um den Schulabschluss bei Beginn der Partnerschaft. • Verfügt der Vater der befragten Person über ein Abitur, wird der Variablen Vater Abitur der Wert 1 zugewiesen, 0 sonst. • Hat der Befragte keine Geschwister, so nimmt die Variable Einzelkind den Wert 1 an, 0 sonst. • Die Art der Herkunftsfamilie der befragten Person wird mit drei Dummy-Variablen erfasst: mit einem Elternteil aufgewachsen wegen Scheidung der Eltern (Scheidungs-Familie), mit einem Elternteil aufgewachsen, z.B. wegen Tod eines Elternteils (I-Eltern Familie) und ohne Eltern aufgewachsen (0-Eltem Familie). Referenzkategorie bilden die bis zum 15. Lebensjahr mit beiden Eltern aufgewachsenen Personen. 5 Leider liegen über die Herkunftsfamilie des Ehegatten keine Informationen vor. • Die Variable Aktiver Gläubiger nimmt den Wert 0 an, falls die befragte Person mindestens 1 mal pro Monat die Kirche besucht, 0 sonst. 5 Der Fragetext im Fragebogen lautet: Wenn Sie einmal an Ihre Kindheit bis zum 15. Lebensjahr zurückdenken: Sind Sie ganz oder überwiegend bei ihren Eltern aufgewachsen? (1) Die ganze Zeit mit beiden Elternteilen. (2) Die ganze Zeit mit einem Elternteil. (3) Zeitweise nur mit einem Elternteil. (4) Nein, nicht bei den Eltern aufgewachsen. Personen, die (2) oder (3) angaben, wurden weiter gefragt: Hatten sich Ihre Eltern scheiden lassen oder waren es andere Gründe, weshalb Sie nicht die ganze Zeit mit beiden Eltern aufgewachsen sind? (1) Scheidung. (2) Andere Gründe.

104

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

• Zur Erfassung der Eheorientierung wird (basierend auf einer Faktorenanalyse) ein einfacher additiver Index der Eheorientierung gebildet.6 Der Index variiert im Intervall 0 für "Ehe hat keine Bedeutung" und 12 für "Ehe hat eine sehr große Bedeutung". Die Mittelwerte der Variablen sind für die Trennungs- und Scheidungsdatei Tabelle 5.1 zu entnehmen. Da sich die Fallzahlen der beiden Dateien nur um 3 Personen unterscheiden, sind die Mittelwerte der Variablen identisch.

Tabelle 5.1 Mittelwerte der Kovariablen Paarmerkmale

Mittelwerte

Individualmerkmale

Mittelwerte

Heiratskohorte 1949-60

0,144

Heiratsalter

Heiratskohorte 1961-70

0,318

Schuljahre Mann

9,92

Heiratskohorte 1971-80

0,318

Schuljahre Frau

9,70

Heiratskohorte 1981-88

0,220

Einzelkind

0,108

23,72

rein katholisches Paar

0,322

Vater Abitur

0,078

konfessionsloses Paar

0,048

0-Eltern Familie

0,033

Religionsmix

0,266

I-Eltern Familie

0,096

Nationalitätenmix

0,031

Scheidungs-Familie

0,025

Kohabitation

0,230

Aktiver Gläubiger

0,208

voreheliches Kind

0,065

Index Orientierung

9,27

1. Kind (zeitveränderlich)

0,734

Frau hat 2+ Schuljahre mehr

0,043

Anzahl Ehen (Trennungsdatei)

6562

% Trennungen

14,6

Anzahl Ehen (Scheidungsdatei)

6559

% Scheidungen

12,6

Anmerkung: Bei den Dummy-Variablen entsprechen die Mittelwerte den Anteilswerten der mit I kodierten Kategorie. Bei einzelnen Variablen können sich wegen fehlender Angaben Abweichungen von der angegebenen Anzahl Ehen ergeben.

6 Die zugrundeliegenden Items sind: "Eine Ehe bedeutet Sicherheit und Geborgenheit", "Nur wenn die Eltern verheiratet sind, haben die Kinder wirklich ein Zuhause", "Ehe bedeutet die Bereitschaft, füreinander auch Verpflichtungen zu übernehmen" und "Wenn zwei Menschen sich lieben, sollten sie auch heiraten".

C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess

105

C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess Im Folgenden wollen wir einen Überblick über den Trennungs- und Scheidungsprozess geben. Nach einem deskriptiv orientierten Vergleich im Unterabschnitt I. folgt in Unterabschnitt II. ein multivariater Vergleich der Effektstärken der Determinanten beider Prozesse.

I. Deskriptiver Vergleich Die Trennungs- und Scheidungsneigung in Abhängigkeit von der Ehedauer lässt sich (wie in Kapitel 3 beschrieben) für gruppierte Ankunftszeiten durch Sterbetafelschätzung oder für exakte Ankunftszeiten durch Kaplan-Meier-Schätzung ermitteln. Die Sterbetafelschätzung des Risikoverlaufs einer Trennung und Scheidung zeigt Abbildung 5.1. Die Risikofunktion gibt (ungefähr) die bedingte Wahrscheinlichkeit an, dass sich ein noch verheiratetes Paar im folgenden Jahr trennt oder scheiden lässt. Die maximale Trennungsneigung liegt nach 3,5 Ehejahren. Die Scheidungskurve erreicht ihr Maximum nach dem 4,5. Ehejahr. Die starken Ausschläge beider Kurven zwischen dem 20. und

0.025 -.-----,----,.-----,------.,..---,.-------, 0.02

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. ... ;.. Tf~l.lflU!lge!l (N=6562)

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10

15

20

25

Ehedauer

Abbildung 5.1: Sterbetafel-Schätzung des ehedauerabhängigen Trennungs- und Scheidungsrisikos

30

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

106

25. Ehejahr sind wegen der geringen Fallzahl mit Vorsicht zu interpretieren. Sieht man von diesem Ausschlag ab, so kann der Verlauf des Trennungsals auch des Scheidungsrisikos bildlich durch eine Sichel beschrieben werden. Dieser globale Ehe-Lebenszyklus ist auch für unterschiedliche Heiratskohorten zu erwarten (dazu weiter unten). Ein typisches Muster weisen auch die Überlebensfunktionen auf (Abbildung 5.2). Diese geben den Anteil nicht getrennter und geschiedener Ehen in einer Population an. Die ehedauerabhängigen "Verbleibensquoten" zeigen einen spiegelbildlich S-förmigen Verlauf. Die Scheidung folgt der vorgelagerten Trennung mit einer gewissen Zeitverzögerung. Allerdings verlangsamt sich mit zunehmender Ehedauer die Scheidungsgeschwindigkeit Während nach den ersten Ehejahren die Scheidung ca. 1 Jahr nach der Trennung folgt, schiebt sich die gerichtliche Eheauflösung mit zunehmender Ehedauer hinaus. Allerdings ist zu beachten, dass dieser Beobachtung keine "gekoppelten" Trennungs- und Scheidungsdaten einer Ehe zugrunde liegen; die Interpretation beruht auf den aggregierten Scheidungs- und Trennungsquoten, so dass durchaus die Möglichkeit eines ökologischen Fehlschlusses besteht. Ein Vergleich von Trennungsjahr und Scheidungsjahr bereits geschiedener Ehen bestätigt jedoch unsere Vermutungen: Trennungsdatum und Scheidungsdatum liegen umso weiter auseinander, je länger die Ehe gedauert hat. Vor dem Hintergrund stark zunehmender Scheidungsraten ist zu erwarten, dass sich das Scheidungsrisiko verschiedener Eheschließungskohorten unter-

0.9

s0

---

0.8

T~ennungen (N=6562) ' . ... . . . -- - · · ··· · · · ;' .... . ... ·.·. ··-

0.7 0.6 0.5 0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 5.2: Kaplan-Meier-Schätzung der ehedauerabhängigen Trennungs- und Scheidungs-Überlebensfunktionen

C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess

107

scheidet. Die Abbildungen 5.3 und 5.4 zeigen, in welchem Ausmaß sich das Risiko einer Trennung der Erstehe bzw. einer Ehescheidung über die Heiratskohorten erhöht hat. Je jünger die Heiratskohorten, desto weiter verläuft die Risikokurve oberhalb des ehedauerabhängigen Durchschnittsrisikos (Abbildung 5.1). 0.025 0.02 0.015

~ 0.01 0.005 1949-60 (N=945) 0

5

0

10

15

20

25

30

Ehedauer

Abbildung 5.3: Ehedauerabhängiges Trennungsrisiko nach Heiratskohorten (Sterbetafel-Schätzungen) 0.025 0.02 0.015

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:1971-88 (N=3527)

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1961-10 (N=2081)

0.005 1949-60 (N=945) 0 0

5

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15

20

25

30

Ehedauer

Abbildung 5.4: Ehedauerabhängiges Scheidungsrisiko nach Heiratskohorten (Sterbetafel-Schätzungen)

108

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

Deutlicher zeigen sich die Trends anband der geschätzten Eheüberlebenskurven (Abbildungen 5.5 und 5.6). Nach etwa 10 Ehejahren wurden in der ältesten Kohorte (1949-60) knapp 4,5%, in der Kohorte 1961-70 etwa 10% und in der jüngsten Kohorte (1971-88) annähernd 16% der Ehen getrennt. Geschieden wurden nach einer Ehedauer von 10 Jahren in den jeweiligen Kohorten knapp 4,5%, 8,5% und 12,7% der befragten Eheleute. Nach 30 Jahren waren in der Kohorte 1949-60 13% der Ehen wieder geschieden. Für die jüngeren Kohorten wagen Brüderl et al. (1997) mit den gleichen Daten anband Schätzungen mit dem generalisierten log-logistischen Modell die Prognose, dass nach 30 Ehejahren 21% bzw. 26% geschieden sein werden. Die Prognose für die Heiratskohorten der 70er und 80er Jahre ist somit, dass rund ein Viertel dieser Ehen mit einer Scheidung enden werden. Dies ist weniger als die in der amtlichen Statistik genannte Zahl von einem Drittel (Statistisches Bundesamt 1996: 80). Diese Diskrepanz kann zweierlei Gründe haben: Erstens beruhen die Prognosen der amtlichen Statistik zumeist auf Periodenscheidungstafeln und nicht auf Kohortentafeln. Mithin besteht die Möglichkeit, dass (durch schnellere Scheidungen bedingte) Kohorteneffekte zu höheren Scheidungsziffern führen. In diesem Fall würden die hier präsentierten Schätzungen näher an der richtigen Scheidungsrate liegen. Zweitens gibt es Hinweise, dass Umfragestudien die Scheidungshäufigkeit (wegen systematischer Ausfalle und sozialer Erwünschtheit beim Antwortverhalten) generell unterschätzen. Sweet und Rumpass (1992) gelangen anband eines Vergleichs mit amtlichen Daten zu dem Ergebnis, dass diese Unterschätzung etwa 20% beträgt (siehe auch Diekrnann und Klein 1991 sowie Huinink und Wagner 1995). Stellt man dies in Rechnung, so prognostizieren auch die Daten des Familiensurveys für die Heiratskohorten der 70er und 80er Jahre eine Scheidungsquote von etwa einem Drittel (Brüderl et al. 1997). Zu beachten ist allerdings, dass dieser Argumentation immer die offiziellen Statistiken als Maßstab zugrunde liegen. Vergleichen wir noch anband der Daten des Deutschen Farniliensurveys die Trennungs- und Scheidungsverläufe: Für die älteren Eheschließungskohorten verlaufen die Scheidungs- und Trennungsprozesse weitestgehend identisch. Für die jüngste Heiratskohorte zeigen die Abbildungen 5.3 und 5.4 allerdings deutlich, dass Trennungs- und Scheidungsrisiko sowohl absolut als auch im zeitlichen Verlauf divergieren. Die zeitliche Verzögerung der Ehescheidung lässt sich zum Teil auf die Eherechtsreform von 1977 zurückführen (siehe auch Wagner 1993). Seither sind alle einverständlich scheidungswillige Paare zur Demonstration des Scheiteros ihrer Ehe verpflichtet, zunächst ein Jahr getrennt zu leben. Bei streitigen Scheidungsanträgen ist eine Trennungszeit von 3 Jahren und im

109

C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess

0.9 0.8

~

:1971-88 (N=3528) ..

0.7 0.6 0.5

. . .

- . - . - -' . - -

. . .

:1961-70 (N=2089)

- . - .- - . - - - - - - . ' -

' -- ....... '- .. --------·-

0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 5.5: Anteil nicht getrennter Ehen nach Heiratskohorten (Kaplan-Meier-Schätzungen)

...."'::--..~~

- .............

............. ........ ' ...... .

0.9

_ _______

-:"-~ ~...,._

.. _ 0.8

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]971-88 (N=3527) . - .' . . . . . . .. . ~ -

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10

_-H61-70 (N=2087)

' -- . .' . . ... . . . . '. . . .. .. ..... . .. '

'

15

20

25

-- --

30

Ehedauer Abbildung 5.6: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Heiratskohorten (Kaplan-Meier-Schätzungen)

Falle unzumutbarer Härten bzw. im Interesse der Kinder von fünf Jahren vorgesehen. Darüber hinaus müssen seit lokrafttreten des neuen Ehegesetzes alle Unterhalts- und Rentenansprüche sowie das Sorgerecht um die Kin-

110

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

der vor dem zivilrechtliehen Scheidungsurteil geklärt sein (vgl. Höhn 1980). Unter der Annahme, dass der Zeitpunkt des Scheidungsantrags über die Heiratskohorten mit der Trennung einhergeht, hat sich eine verfahrenstechnisch bedingte Verzögerung der gerichtlichen Ehescheidung und damit eine "künstliche" Eheverlängerung eingestellt. Bevor wir den Zeitraum zwischen Trennung und Scheidung bzw. das Risiko einer Scheidung nach erfolgter Trennung in Abschnitt D. genauer analysieren, werden im folgenden Abschnitt einige Determinanten des Trennungs- und Scheidungsrisikos verglichen.

II. Multivariater Vergleich Für die Forschungspraxis ist ein weiterer wichtiger Punkt, ob die Effektstärken der Eheauflösungsdeterminanten von der verwendeten Ereignisdefinition abhängen. Zur Klärung dieser Frage schätzen wir mittels der semiparametrischen Cox-Regression die Einflussstärken der in Kapitel 5, B. vorgestellten Kovariablen für das Trennungs- und Scheidungsrisiko? Die geschätzten Koeffizienten beider Modelle sind in Tabelle 5.2 gegenübergestellt. Ausgewiesen sind dabei die a-Effekte, welche sich anschaulich als Multiplikatoren bzw. (a- 1) · 100 als Prozenteffekt auf das Scheidungsrisiko interpretieren lassen. Wichtigstes Resultat ist, dass sich die Ergebnisse beider Modelle sehr ähnlich sind: Sind beide Partner katholisch, reduziert sich das Scheidungsrisiko um 38% und das Trennungsrisiko um 41% gegenüber den rein evangelischen und sonstigen Kirchen angehörenden Paaren. Sind dagegen beide Partner konfessionslos, sind die beiden Risiken jeweils um ca. 140% und bei gemischt religiösen Paaren um ca. 30% erhöht. Gemischt nationale Paare weisen ein um ca. 100% erhöhtes Trennungsrisiko und ein um 90% erhöhtes Scheidungsrisiko gegenüber deutschen Paaren auf. Dass hier das Scheidungsrisiko um fast 10 Prozentpunkte unter dem Trennungsrisiko liegt, mag zum einen mit dem komplizierteren Scheidungsverfahren bei gemischt nationalen Ehen zusammenhängen; zum anderen ist aber auch bei einem Teil der Ehepaare eine bewusste Aufschiebung der zivilrechtliehen Scheidung denkbar, mit dem Zweck, das Aufenthaltsrecht des ausländischen Partners sicherzustellen. Wird ein Kind in der Ehe geboren, reduziert sich das Trennungsrisiko um 49% und das Scheidungsrisiko um ca. 56 %. Weiterhin ist auch ein deutlicher Anstieg des Trennungs- und Scheidungsrisikos über die Heiratskohorten erkennbar. Eine Abweichung zwi7 Nicht berücksichtigt werden die Kovariablen, welche die Herkunftsfamilie der Befragten erfassen sowie die Kovariable "Kohabitation". Diesen Determinanten des Scheidungs- und Trennungsrisikos sind Kapitel 6 und 7 gewidmet.

C. Der Trennungs- und Scheidungsprozess

111

Tabelle 5.2

Der Trennungs- und Scheidungsprozess im multivariaten Vergleich (Cox-Regression) Trennungen

Scheidungen

Heiratskohorte 1961-70

1,784***

1,757***

Heiratskohorte 1971-80

2,703***

2,612***

Heiratskohorte 1981-88

4,120***

3,128***

rein katholisches Paar

0,592***

0,619***

konfessionsloses Paar

2,378***

2,411 ***

Religionsmix

1,309***

1,335***

Nationalitätenmix

1,998***

1,890***

voreheliches Kind

1,153

1,066

Kind in der Ehe (zeitabhängig)

0,514***

0,437***

Frau hat 2+ Schuljahre mehr

1,211

1,019

Heiratsalter

0,939***

0,926***

Schuljahre Mann

0,960

0,961

Schuljahre Frau

0,947

0,950

Einzelkind

1,433***

1,379**

Vater Abitur

1,624***

1,509**

Anzahl Beobachtungen Anzahl Episoden - Log-Likelihood

6262

6259

10807

10810

7422,7

Anmerkungen: * signifikant bei p :-=:; , 05, •• signifikant bei p Ausgewiesen sind die -Koeffizienten der Kovariablen.

:-=:; , 01,

6390,2

*** signifikant bei p :-=:;

, 001 .

sehen der Trennungs- und Scheidungsanalyse ergibt sich allerdings für die jüngste Kohorte, deren Mitglieder zwischen 1981 und 1988 geheiratet haben. Für das Scheidungsrisiko ist der Kohorteneffekt deutlich geringer als für das Trennungsrisiko. Dieser Effekt ist darauf zurückzuführen, dass sich in der jüngsten Eheschließungskohorte bereits zahlreiche Trennungen ereignet haben, die zivilrechtliehen Eheauflösungen allerdings noch ausstehen; der Zensierungsanteil für die Ehescheidungen liegt damit deutlich über demjenigen für die Trennungen. Betrachten wir nun die signifikanten Effekte der Individualmerkmale der befragten Person: Mit zunehmendem Heiratsalter sinkt das Scheidungs- und Trennungsrisiko um 6 resp. 7% pro Jahr. Verfügt der Vater der befragten

112

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

Person über ein Abitur als höchsten Schulabschluss, so erhöht sich gemäß unserer Schätzung das Trennungsrisiko um ca. 60% und das Scheidungsrisiko um ca. 51%. Einzelkinder weisen ein um ca. 40% signifikant erhöhtes Trennungs- und Scheidungsrisiko auf. 8 Insgesamt stimmen die präsentierten Ergebnisse mit den Befunden vorliegender Untersuchungen überein (siehe Kapitel 2, D.).

D. Von der Trennung zur Scheidung Beim Vergleich der Risikoverläufe von Trennungen und Scheidungen sowie den jeweiligen Eheüberlebenskurven haben wir gesehen, dass sich offensichtlich die zivilrechtliche Ehescheidung mit zunehmender Ehedauer von dem Trennungsdatum entfernt (Abbildung 5.2). Dieser Effekt wird vor allem von den jüngeren Heiratskohorten ab 1971 getragen, deren maximales Scheidungsrisiko in der Mehrzahl der Fälle in die Zeit nach dem Inkrafttreten der Eherechtsreform von 1977 fallt. In diesem Abschnitt wird die Zeitdauer von der Trennung bis zur Scheidung näher untersucht. Da einige Ehen zwar getrennt, aber nicht geschieden werden, handelt es sich bei diesen Zeitdauern um zensierte Daten. Zensiert sind all die Episoden, für die bis zum Befragungszeitpunkt keine Ehescheidung beobachtet werden konnte. Entsprechend der Analyse von Ehedauern sind auch hier die Methoden der Ereignisanalyse das geeignete Analyseinstrumentarium. Betrachten wir zunächst das Übergangsrisiko in eine Scheidung nach erfolgter Trennung. Abbildung 5.7 zeigt den Risikoverlauf: Nach einer Trennungszeit von 1 bis 2 Jahren erreicht das Scheidungsrisiko ein Maximum und fallt dann recht schnell ab. 5 bis 10 Jahre nach der Trennung bleibt die Hazardrate in etwa auf einem konstanten Niveau. Anschaulicher als das Übergangsrisiko sind die in Abbildung 5.8 dargestellten Eheüberlebensquoten. Innerhalb der ersten zwei Trennungsjahre werden etwa 80% der Erstehen geschieden. Nach einer Trennungszeit von 5 Jahren erfolgt die Scheidung bei knapp 90% der Ehepaare. Etwas über 5% aller Ehen sind auch nach einer Trennungszeit von 10 Jahren noch nicht geschieden. 8 Die These der wachsenden Dominanz der Ein-Kind-Familie wird kontrovers diskutiert. Hinter der durchschnittlich sinkenden Kinderzahl pro Ehe kann sich sowohl ein Trend zur Ein-Kind-Familie (Dessai 1985) als auch zur Polarisierung zwischen kinderlosen Ehen und Paaren mit zwei Kindem verbergen (Huinink 1989; Klein 1989; siehe auch Peuckert 1991). Wohl eher in Übereinstimmung mit der Polarisierungsthese ist in unseren Daten keine Zunahme der Ein-Kind-Ehen erkennbar. Über die Kohorten hinweg bleiben die Anteile praktisch konstant. Der Anstieg des Scheidungsrisikos in der Kohortenfolge ist damit auch nicht durch das erhöhte Risiko von Eheleuten erklärbar, die ohne Geschwister aufgewachsen sind.

D. Von der Trennung zur Scheidung

(N=803)

0.75

s..c

113

0.5

0.25

0

0

5

10

15

Jahre zwischen Trennung und Scheidung

Abbildung 5.7: Sterbetafel-Schätzung des Scheidungsrisikos nach einer Trennung

(N=803)

0.75

s0

0.5

0.25

0 0

5

10

15

Jahre zwischen Trennung und Scheidung

Abbildung 5.8: Eheüberlebenskurve nach einer Trennung

Welche Faktoren sind es, die nach erfolgter Trennung die WahrscheinIichkeit einer Ehescheidung erhöhen bzw. eine Scheidung beschleunigen? Die Theorien der Ehescheidung geben auf diese Frage keine Antwort. Wir verwenden hier (rein explorativ) die in Abschnitt B. beschriebenen Trennungs- und Scheidungsdeterminanten als exogene Faktoren. Da die Tren8 Engelhardt

114

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

nung ein zeitlich subjektiv variierendes Ereignis darstellen kann (vgl. ebenfalls Abschnitt B.), berücksichtigen wir zusätzlich als Kontrollvariable das Geschlecht der befragten Person. Die durch die Umstellung des Scheidungsrechts in 1977178 bedingte Hinauszögerung der zivilrechtliehen Ehescheidung wird durch eine Dummy-Variable berücksichtigt, welche den Wert 1 annimmt, wenn die Trennung 1977 oder später erfolgte. Methodisch lassen sich bei der Analyse der Wartedauer von einer Trennung bis zu einer Scheidung zwei Prozesse unterscheiden: (a) Kommt es nach einer Trennung überhaupt zu einer Scheidung oder nicht? (b) Wie lange dauert es bis zu einer Scheidung, falls eine erfolgt? Zur Abbildung dieser beiden Prozesse benötigt man ein Modell, das diesem ,,Splitting" der Population Rechnung trägt. Dies leistet das Split-Population Modell (siehe Schmidt und Witte 1989), in welchem die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung ein zusätzlich zu schätzender Parameter im Übergangsratenmodell darstellt. Die Likelihood-Funktion für das Split-Population Modell ergibt sich dann durch (vgl. Greene 1998: 811 f.): (5.1)

N

1n.C = 2)1n{8d(t;, xi)}]d' i=l N

+ L[ln{1- 8i + 8iG(ti,xi)}]1-d'. i= I

Hierbei bezeichnet d einen Zensierungsindikator, der für unzensierte Beobachtungen den Wert 1 annimmt, und für zensierte den Wert 0. Die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung nach einer Trennung wird durch 8 in die Funktion eingeführt. Weiter ist t die Wartedauer bis zur Scheidung und x bezeichnet die Determinanten der Wartedauer. Die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung nach einer Trennung wird mit der logistischen Regression modelliert. Positive Koeffizienten erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung, negative senken sie (siehe z.B. Brüderl 2000). Die Wartedauer bis zur Scheidung wird in dieser Arbeit mit einer log-logistischen Regression modelliert, welche dem glockenähnlichen Ratenverlauf Rechnung trägt (siehe hierzu Kapitel 3, D. sowie Abbildung 5.7). Positive Effekte verlängern die Wartedauer, negative verkürzen sie (es handelt sich hier um ein Wartedauer-Modell, nicht um ein ÜbergangsratenModell). Die geschätzten Koeffizienten des Split-Population Modells sind in Tabelle 5.3 ausgewiesen. 9 In Übereinstimmung mit Brüderl und Engelhardt ( 1997) werden im Folgenden zusätzlich Dummy-Variablen für die Gemeindegröße (zur Befragungszeit) berücksichtigt. 9

Das Wartedauer-Modell wurde mit LIMDEP 7.0 geschätzt (siehe hierzu Greene

1998).

D. Von der Trennung zur Scheidung

115

Tabelle 5.3 Analyse der Zeitdauer von der Trennung bis zur Scheidung (Split-Population Modell) ScheidungsWahrscheinlichkeit (Logit-Regression)

Wartedauer bis Scheidung (Log-logistische Regression)

Ehedauer bis Trennung

--0,18***

0,00

Trennung 1977 oder später

--0,28

0,54***

rein katholisches Paar

1,77

0,22**

konfessionsloses Paar

0,14

0,22*

Religionsmix

--0,00

0,06

Nationalitätenmix

-1,15

0,02

Frau

--0,73

0,24***

Heiratsalter

--0,17*

Schuljahre Mann

0,10

Schuljahre Frau

--0,34

Land (unter 5000 Einwohner)

--0,61

Mittelstadt (5000 bis unter 100000 Einwohner)

--0,00 0,05* --0,01 0,33*** 0,02

0,38

Anzahl Ereignisse

649

Anzahl Ehen

772

Pseudo R2

10,6%

Anmerkungen: * signifikant bei p:::; ,05, ** signifikant bei p :::; ,01, *** signifikant bei p :::; ,001. Pseudo R2 ist die relative Likelihood-Verbesserung gegenüber dem Modell ohne Kovariablen. Die erste Spalte enthält Logit-Koeffizienten auf die Wahrscheinlichkeit, dass auf eine Trennung eine Scheidung erfolgt (die Wahrscheinlichkeit hierfür beträgt 0,94). Die zweite Spalte enthält die Koeffizienten einer log-logistischen Wartedauerregression.

Auf dem Land beobachten wir seltener eine Scheidung nach einer Trennung (nicht signifikant), und die Wartedauer ist auch länger als in Großstädten. Keine Tendenz zu einer italienischen Scheidung beobachten wir bei katholischen Paaren, allerdings ist deren Wartedauer bis zu einer Scheidung länger. Eine italienische Scheidung erfolgt jedoch häufiger, wenn der Partner Ausländer ist (allerdings nicht signifikant). Dies stützt die Argumentation, die wir oben im Zusammenhang mit Tabelle 5.2 vorgebracht haben. Ein höheres Heiratsalter und eine längere Dauer der Ehe vor der Trennung senken beide die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung, verändern aber nicht die Wartedauer. Dies zeigt, dass das in Abbildung 5.2 mit der Ehedauer 8*

116

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

zunehmende "Hinterherhinken" der Scheidungen gegenüber den Trennungen nicht aufgrund längerer Wartedauern erfolgt, sondern weil sich länger Vermählte nach einer Trennung häufiger nicht scheiden lassen. Schließlich zeigt sich ein deutlicher Effekt der Eherechtsreform von 1977/78: Die Wartedauern bis zu einer Scheidung haben sich durch diese Reform verlängert. Erklärungsbedürftig ist, dass Frauen eine längere Trennungszeit berichten als Männer; getrennt werden ja jeweils Paare. Eine Erklärung dieses Geschlechtereffekts könnte sein, dass Männer zwischen Trennungs- und Scheidungsdatum weniger differenzieren als Frauen. Für diese These sprechen auch empirische Ergebnisse verschiedener US-amerikanischer Studien, welche gleichfalls berichten, dass Männer bei Befragungen zum Thema Erstheirat und Ehescheidung weniger verlässliche Angaben machen (siehe Bumpass et al. 1991 sowie die dort zitierte Literatur). Erstheiraten scheinen wiederverheiratete US-amerikanische Männer bei Befragungen gerne zu "vergessen" (Sweet und Bumpass 1987). Beim Vergleich der Trennungsund Scheidungsangaben von Männern und Frauen verschiedener Heiratskohorten anband der Daten des National Survey of Families and Households 1987-88 stellen Bumpass et al. (1991: 24) fest: "[... ] marital histories from males are not of sufficient quality to merit their use in analysis of marital stability". Die Erklärungsskizze der Autoren lautet, dass Männer generell und insbesondere geschiedene oder getrennte Männer geringe "response"Raten in Bevölkerungsumfragen haben. Deshalb plädieren sie sogar dafür, nur Angaben von Frauen auszuwerten. So dramatisch scheint die Situation nach unseren Ergebnissen mit dem Familiensurvey in Deutschland nicht zu sein. In den weiteren Analysen des Trennungs- und Scheidungsrisikos kontrollieren wir allerdings die Variable Geschlecht.

E. Parametrische Modellanpassungen Nicht-parametrische Analysen stochastischer Prozesse wie die einfache Sterbetafelanalyse oder Kaplan-Meier-Schätzungen zeigen bereits die Verteilung der Übergangsraten und Überlebensquoten auf. Die Verweildauerabhängigkeit der Übergangsrate kann aber auch durch geeignete theoretische Verteilungen explizit modelliert werden (vgl. Kapitel 3, D.). Die Parameter dieser Risikofunktionen lassen sich anband von Verlaufsdaten durch Maximum-Likelihood-Schätzungen ermitteln. Der Vorteil der parametrischen Modeliierung der Risikofunktionen liegt einerseits in der Möglichkeit der Berücksichtigung beobachteter Heterogenität durch die Aufnahme von Kovariablen im Modell; andererseits ist das geschätzte Modell für prognostische Zwecke einsetzbar. So lässt sich (bei Konstanthaltung aller weiteren Faktoren) die mutmaßliche Entwicklung der Übergangsrate bzw. Überlebensquote aufzeigen.

E. Parametrische ModeBanpassungen

117

Wie wir anhand der Kaplan-Meier- und Sterbetafel-Schätzungen gesehen haben, weist der ehedauerabhängige Trennungs- und Scheidungs-Risikoverlauf eine asymmetrische, umgekehrt U-förmige Gestalt auf: das Risiko steigt in den ersten Ehejahren bis zu einem Maximum recht schnell an und sinkt dann langsam ab. Dieser Risikoverlauf lässt sich, wie in Kapitel 3 beschrieben, u. a. durch die Sichel-Verteilung, die log-logistische Verteilung und die generalisierte log-logistische Verteilung beschreiben. Tabelle 5.4 informiert über die Parameterschätzungen der drei Modelle anhand der Daten des Familiensurveys. Tabelle 5.4

Parameterschätzungen verschiedener Hazardratenmodelle des Trennungs- und Scheidungsprozesses Sichel-Modell

log-logistisches Modell

generalisiertes log-log. Modell

c = 0,0062

.>. = 0,0129

.>. = 0,1861

.>. = 6,4372

p = 1,0201

p = 1,6553

Trennungen: -Parameter

b = 0,0163

- Log-Likelihood

- 5365,67

- 5380,23

-5341 ,66

Scheidungen: -Parameter

c = 0,0045

.>. = 0,0110

.>. = 0,1779

.>. = 7,2730

p=1 ,1101

p = 1,8626

b = 0,0121

- Log-Likelihood

-4733,24

-4771,02

-4728,01

Nun fragt es sich, wie gut sich diese theoretischen Verteilungen an den empirisch beobachteten Risikoverlauf anpassen. Aufschluss hierüber gibt der Vergleich der parametrisch geschätzten Übergangsraten mit den "beobachteten" Überlebenskurven, d.h. der Kaplan-Meier-Schätzungen. Die parametrischen Risikoverläufe für Trennungen und Scheidungen sind zusammen mit den Schätzungen aus der Kaplan-Meier-Sterbetafel in den Abbildungen 5.9 und 5.10 abgetragen. Eine sehr gute Übereinstimmung liefern sowohl beim Trennungs- als auch beim Scheidungsprozess das Sichel-Modell sowie das generalisierte log-logististische Modell. Das Sichel-Modell überschätzt jedoch für beide Prozesse nach dem Erreichen des Maximums nach 6,4 bzw. 7,3 Jahren zunächst das Risiko; ab dem Wendepunkt wird das Risiko

118

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

dann unterschätzt. Die sichtbar schlechteste Anpassung liefert das einfache log-logistische Modell. Der geschätzte flache Risikoverlauf ist auf den "Ausschlag" des Trennungs- bzw. Scheidungsrisikos zwischen dem 20. und 25. Ehejahr zurückzuführen. Dem Augenschein nach liefert somit das generalisierte log-logistische Modell die beste Übereinstimmung mit den nichtparametrisch geschätzten Risikowerten. Allenfalls gegen Ende des Prozesses wird das Trennungs- und Scheidungsrisiko überschätzt. Als Gütemaß der Anpassung GM der parametrischen Modelle an die "beobachteten" Kaplan-Meier-Schätzungen berechnen wir in Anlehnung an Diekmann (1987: 117 ff.) sowie Brüderl und Diekmann (1995: 169) die mittlere absolute Abweichung der Kaplan-Meier-Schätzungen (GKM(t)) von den Schätzungen der parametrischen Überlebensfunktion (G(t)): }

T

GM= T 2]GKM(t)- G(t)l . t =

I

Die Ergebnisse der Berechnungen sind in Tabelle 5.5 ausgewiesen. Die konkret gewählten Zeitpunkte t entsprechen jeweils der ersten Jahres-Ankunftszeit der Ereignisse in der Kaplan-Meier-Schätzung. Bei den Trennungen erhalten wir für das Sichel-Modell eine mittlere absolute Abweichung nach 30 Ehejahren von 0,0056, für das log-logistische Modell 0,0152 und für das generalisierte log-logistische Modell 0,0016. Der Prognosefehler nach 30 Ehejahren beträgt mithin 0,6, 1,5 und 0,2 Prozentpunkte. Insgesamt zeigt somit das dreiparametrische generalisierte log-logistische Modell die beste Anpassung an die "beobachteten" Kaplan-Meier-Schätzungen. Das zweiparametrische Sichel-Modell zeigt jedoch bei einer sparsameren Modellierung nur eine geringfügig schlechtere Anpassung nach 30 Ehejahren als das generalisierte log-logistische Modell. Das "Schlusslicht" im Anpassungswettbewerb ist das einfache log-logistische Modell. Das Scheidungsrisiko im Verlauf von 30 Ehejahren wird im Vergleich zur nicht-parametrischen Risikoschätzung vom Sichel-Modell mit einem Prognosefehler von 0,37 Prozentpunkten geringfügig besser beschrieben als vom generalisierten log-logistischen Modell (0,44 Prozentpunkte). Dies ist umso erstaunlicher, als das letztere Modell dem Augenschein nach eine bessere Anpassung liefert (siehe Abbildungen 5.9 und 5.10). Betrachtet man jedoch die Modellanpassungen bis zu einer Ehedauer von 20 Jahren, so bestätigt sich unser erster graphischer Eindruck. In den ersten zwei Ehejahrzehnten schneidet das generalisierte log-logistische Modell weit besser ab als das Sichel-Modell. Das gleiche Phänomen zeigt sich - wenn auch in weniger starkem Ausmaß - bei den Trennungen. Das Problem des generalisierten log-logistischen Modells liegt somit beim letzten Drittel der hier betrachteten Ehedauer. Für die ersten zwanzig Ehejahre zeigt das Modell die

119

E. Parametrische Modellanpassungen 0.025

Sichel-Modell - - · . log~Iogis~ Mo_deJl . general. log-log. Sterbetafel

0.02 0.015

~

...... ~ .....

~>:::-~~~.,_.;.__

0.01

~'

0.005 0

--0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 5.9: Vergleich der Sterbetafelschätzung des Trennungsrisikos mit den parametrischen Risikofunktionen

0.025

Sichel-Modell

log"logis~ Modell .

0.02

general. log-log. Sterbetafel

0.015 C'

'-' ..c

0.01 0.005 0

0

5

10

15

20

25

30

Ehedauer Abbildung 5.10: Vergleich der Sterbetafelschätzung des Scheidungsrisikos mit den parametrischen Risikofunktionen

beste Anpassung an die Kaplan-Meier-Schätzungen. Das einfache log-logistische Modell schneidet wiederum mit einem Prognosefehler von 0,48 Prozentpunkten am schlechtesten ab.

120

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

Tabelle 5.5 Vergleich der parametrischen Modellprognosen mit den Kaplan-Meier-Schätzungen Sichel-Modell

log-logistisches Modell

generalisiertes log-log. Modell

Trennungen ... nach 5 Ehejahren

0,0012

0,0010

0,0002

. . . nach 10 Ehejahren

0,0018

0,0012

0,0003

... nach 15 Ehejahren

0,0031

0,0022

0,0006

... nach 20 Ehejahren

0,0047

0,0048

0,0007

... nach 25 Ehejahren

0,0053

0,0091

0,0014

... nach 30 Ehejahren

0,0056

0,0152

0,0016

... nach 5 Ehejahren

0,0004

0,0007

0,0002

... nach 10 Ehejahren

0,0009

0,0023

0,0004

... nach 15 Ehejahren

0,0016

0,0044

0,0009

Scheidungen

... nach 20 Ehejahren

0,0028

0,0055

0,0018

.. . nach 25 Ehejahren

0,0034

0,0057

0,0035

... nach 30 Ehejahren

0,0037

0,0075

0,0044

Die insgesamt recht gute Anpassung des Sichel-Modells wiegt umso schwerer, als das Sichel-Modell nur zwei freie Parameter enthält, das generalisierte log-logistische hingegen drei. Das Sichel-Modell stellt somit eine sparsamere Modeliierung dar. Darüber hinaus erlaubt das Sichel-Modell "Immunität". Es gibt also eine positive Wahrscheinlichkeit, dass eine Scheidung nie eintritt (G(oo) = exp{ -c.X2 }). Eine Schwäche des generalisierten log-logistischen Modells besteht hingegen darin, dass das Modell keine "scheidungsimmunen" Fälle kennt (G( oo) = 0). Es ist zu vermuten, dass das generalisierte log-logistische Modell umso schlechtere Prognoseleistungen bietet, je höher der Anteil niemals Geschiedener in einer Population ist. Am schlechtesten schneidet im Vergleich das einfache zweiparametrische log-logistische Modell ab, das ebenfalls keine Immunität kennt. In einem empirischen Vergleich sechs parametrischer Modelle (Poisson-, Weibull-, Exponential-, Mover-Stayer-, Sichel- und log-logistisches Modell) zeigt sich auch bei Diekmann und Mitter (l984a) eine extrem schlechte Anpassung des log-logistischen Modells an das sterbetafel-geschätzte Scheidungsrisiko. Die beste Anpassung lieferte hier auch das Sichel-Modell.

F. Zusammenfassung

121

F. Zusammenfassung Gegenstand des vorliegenden Kapitels sind zwei Fragenkomplexe: Erstens, welche Definition des Begriffs der Ehescheidung - Trennung oder zivilrechtliche Scheidung - ist für eine empirische Analyse des Scheidungsrisikos zweckmäßig und welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen Definitionen auf die empirischen Ergebnisse. Zweitens wird untersucht, wie gut die Anpassungen geschätzter parametrischer Modelle an die "beobachteten" Sterbetafel-Risikoverläufe sind und ob es Unterschiede bei den parametrischen ModeBanpassungen an den Trennungs- und Scheidungsprozess gibt. Die Diskussion dieser beiden Fragestellungen soll uns eine Entscheidungshilfe geben, ob erstens in der weiteren empirischen Analyse bevorzugt das Trennungs- oder das Scheidungsrisiko analysiert werden soll und zweitens, welches parametrische Modell sich für Prognosezwecke als besser geeignet erweist. Datenbasis der empirischen Analysen sind die Angaben von 10043 befragten Personen der ersten Welle des Deutschen Familiensurveys 1988. Während für die älteren Heiratskohorten ( 1949--60) die Scheidungs- und Trennungsprozesse weitgehend identisch verlaufen, zeigt sich bei den Heiratsjahrgängen der 70er und 80er Jahre deutlich eine zeitliche Diskrepanz zwischen der Trennung und Scheidung. Diese Beobachtung mag zum Teil auf die Eherechtsreform von 1977 zurückzuführen sein. Durch verfahrenstechnisch bedingte Verzögerungen der gerichtlichen Ehescheidung hat sich mit der Reform eine "künstliche" Eheverlängerung eingestellt. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich das zivilrechtliche Ehescheidungsdatum mit zunehmender Ehedauer vom Trennungsdatum entfernt. Ein Vergleich der Effektstärken der Determinanten der Eheauflösung lässt erkennen, dass die Ergebnisse weitestgehend invariant gegenüber der gewählten Scheidungsdefinition sind. Aus der Analyse der Zeitdauer von der Trennung bis zur Scheidung resultiert ein nicht-monotones, umgekehrt U-förmiges Übergangsrisiko. Die Wahrscheinlichkeit einer Ehescheidung nach erfolgter Trennung reduziert sich mit steigendem Heiratsalter und mit zunehmender Ehedauer. Eine längere Trennungszeit bis zur gerichtlichen Scheidung zeigt sich für katholische sowie für gemischt konfessionelle Paare (im Vergleich zu rein evangelischen Paaren), für Paare mit einer Trennung nach 1976 sowie für Frauen. Die im Vergleich zu Männern längere Wartedauer bis zu einer Scheidung der Frauen dürfte auf eine Antwortverzerrung zurückzuführen sein. Die Analyse der parametrischen Modellanpassungen an die beobachteten Sterbetafel-Risikoverläufe zeigt zusammenfassend, dass das Sichel- und das generalisierte log-logistische Modell recht gut zur empirischen Beschreibung des Scheidungs- und Trennungsprozesses geeignet sind. Die Vorteile

122

Kap. 5: Trennungen vs. Scheidungen

des generalisierten log-logistischen Modells liegen in der guten Anpassungsleistung zu Beginn und in der Entwicklung der Prozesse. Die Stärken des Sichel-Modells liegen dagegen in der besseren Anpassung bei längerer Ehedauer. Für Prognosezwecke werden wir uns die Vorteile beider Modelle zunutze machen und in den folgenden Kapiteln auf das Sichel- sowie das generalisierte log-logistische Modell zurückgreifen. Bezüglich der Wahl der Scheidungsdefinition (Trennung vs. zivilrechtliehe Scheidung) weisen die empirischen Analysen zwar auf einige Unterschiede hin, liefern jedoch keine eindeutigen Entscheidungshilfen. Allerdings haben wir Anhaltspunkte dafür, dass bei den Analysen (unabhängig von der Definition) für die Variablen Geschlecht und Heiratskohorten zu kontrollieren ist. Für die weitere Arbeit orientieren wir uns, nicht zuletzt aus Vergleichszwecken, an der im deutschsprachigen Raum bei Scheidungsstudien üblichen Definition der zivilrechtliehen Ehescheidung. Dort, wo sich die Ergebnisse je nach Wahl der Ereignisdefinition unterscheiden, werden wir die Schätzungen für beide Definitionen ausweisen.

Kapitel6

Transmission A. Einleitung Gegenstand dieses Kapitels ist eine detaillierte empirische Untersuchung der Transmissionshypothese, welche einen intergenerationalen Transmissionseffekt der Ehescheidung postuliert. Demnach haben Personen, die in ihrer Kindheit eine elterliche Scheidung erlebt haben, ein höheres Scheidungsrisiko im Vergleich zu Personen, deren Eltern nicht durch eine Ehescheidung getrennt wurden. Mit einer "sozialen Vererbung" des Scheidungsrisikos reproduzieren sich die Scheidungsraten in der Generationenfolge; ein Faktor, der die Scheidungsdynamik stimuliert haben dürfte. 1 Zieht man die relativ große Zahl von Untersuchungen aus dem angelsächsischen Sprachraum heran, so ergibt sich im Hinblick auf die Existenz des Effekts ein in der Soziologie allgemein und speziell in der Familiensoziologie ungewohntes Bild beinah nahtlos übereinstimmender empirischer Befunde kumulativer Forschungen. Die Studien von Amato und Booth (1991); Bumpass et al. (1991); Bumpass und Sweet (1972); Diefenbach (1997, 2000); Diekmann und Engelhardt (1995, 1999); Engelhardt et al. (2002) Glenn und Kramer (1987); Greenberg und Nay (1982); Keith und Finlay (1988); Kitson et al. (1985); Kuh und Maclean (1990); McLanahan und Bumpass (1988); Mueller und Cooper (1986); Mueller und Pope (1977); Pope und Mueller (1976); Teachman (1982); Webster et al. ( 1995) sowie Walfinger ( 1999) sind nur einige der zahlreichen Arbeiten, die für die USA, Australien sowie für Ost- und West-Deutschland einen Transmissionseffekt nachweisen konnten. Nur zwei uns bekannte Studien konnten für die USA und die Niederlande keine intergenerationale Übertragung des Scheidungsrisikos feststellen (Duncan und Duncan 1968; Klijzing 1992). In der Literatur finden sich drei Erklärungsansätze zur intergenerationalen Scheidungstransmission, die sich unter den Schlagwörtern "Familien1 Das vorliegende Kapitel basiert - neben einigen ergänzenden Ausführungen auf den Artikeln von Diekrnann und Engelhardt (1995) sowie Brüderl und Engelhardt (1997).

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Kap. 6: Transmission

Stress", "Sozialisation" und "ökonomische Deprivation" zusammenfassen lassen. Diese drei Perspektiven werden im folgenden Abschnitt B. diskutiert.2 Sodann erfolgt anband der Daten des deutschen Familiensurveys der empirische Nachweis einer sozialen Vererbung des Scheidungsrisikos (Abschnitt C.). Darüber hinaus vergleichen wir, ob eventuell feststellbare Einflüsse nach dem Typ der unvollständigen Herkunftsfamilie variieren. Sollten sich Unterschiede im Scheidungsrisiko zeigen, je nachdem ob ein Ehepartner aus einer "Scheidungsfamilie" oder einer aus anderen Gründen unvollständigen Familie stammt, wird damit gleichzeitig ein Licht auf die alternativen Erklärungen der Transmissionshypothese geworfen. Ebenso wie eine Reihe der vorliegenden Studien werden wir der Frage nachgehen, ob das Ausmaß der sozialen Vererbung des Scheidungsrisikos mit dem Geschlecht variiert. Die Antworten auf diese Frage fallen recht uneinheitlich aus (Amato und Keith 1991; Diekmann und Engelhardt 1995; Glenn und Kramer 1987; Keith und Finlay 1988; McLanahan und Rumpass 1988; Pope und Mueller 1976; Wagner 1997). In einer Meta-Analyse von 24 Studien zeigen sich moderate Differenzen im Transmissionseffekt nach Geschlecht, wobei im Mittel Frauen aus geschiedener Herkunftsfamilie in ihrer eigenen Ehe ein etwas höheres Scheidungsrisiko aufweisen als männliche Scheidungswaisen (Amato und Keith 1991 ). Weiterhin prüfen wir, ob der Transmissionseffekt auch in der multivariaten Analyse stabil bleibt. Wichtiger aber ist bei unserer Thematik, dass Unterschiede in den Mittelwerten der sozialdemographischen Kontrollvariablen nach dem Typ der Herkunftsfamilie Hinweise auf die Gültigkeit alternativer Erklärungen des Transmissionseffektes liefern können (Abschnitt D.). So stellt sich z. B. die Frage, ob Kinder aus geschiedenen Herkunftsfamilien tatsächlich früher heiraten oder andere Besonderheiten aufweisen, die die Wahrscheinlichkeit einer Ehescheidung erhöhen. Abschnitt E. fasst zusammen.

B. Hypothesen Kontrovers diskutiert werden alternative Erklärungen der sozialen Vererbung des Scheidungsrisikos. Die Transmissionshypothese behauptet zunächst einmal nur auf der beschreibenden Ebene die Existenz eines Effekts, der noch der gerraueren Erklärung bedarf. Welche Bedingungen sind es, die die "Transmission" des Scheidungsrisikos begünstigen? Hier lassen sich mit McLanahan und Rumpass ( 1988) drei Hauptgruppen "intervenierender Variablen" nennen, die jeweils den folgenden drei Hypothesen zugeordnet 2 Das vorliegende Kapitel ist eine grundlegend überarbeitete und erweiterte Version des Artikels von Diekrnann und Engelhardt (1995). Die berichteten Ergebnisse unterscheiden sich z. T. geringfügig aufgrund einer Optimierung der Auswertungsprogramme.

B. Hypothesen

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werden können (siehe auch Diefenbach 2000; Glenn und Kramer 1987; Heekerens 1987): 1. Eine elterliche Ehescheidung ist für Kinder nicht nur durch das Ausgesetztsein des elterlichen Konflikts, den Verlust des nichterziehungsberechtigten Elternteils, die häufig verschlechterte Beziehungsqualität mit dem erziehungsberechtigten Elternteil und allgemein eine Veränderung des gewohnten Lebensstils eine stressvolle Erfahrung (Wallerstein und Kelly 1980). Häufig sind mit einer Scheidung andere - durchaus auch langfristige - stresserzeugende Ereignisse verknüpft, wie etwa abbrechende Kontakte zu einem Teil der Verwandtschaft, Orts- und Schulwechsel, Verlust von Freunden, neue Beziehungen beider Elternteile, eventuelle Wiederverheiratungen und erneute Scheidungen u. a. m. (Arnato 1993). Die Summe all dieser Stressfaktoren ist nach der Stresshypothese ein "push"-Faktor, der die Kinder veranlasst, frühzeitig das Haus zu verlassen, vorzeitig zu heiraten und generell frühzeitig Erwachsenen-Rollen zu übernehmen. Konsequenz einer frühzeitigen Übernahme von Erwachsenen-Rollen und der höheren Wahrscheinlichkeit einer Frühehe wäre dann gleichfalls ein erhöhtes Scheidungsrisiko (Booth et al. 1984; Eider 1974; McLanahan und Bumpass 1988). Gemäß der Stress-Theorie hätte eine Scheidung der Eltern bei Heranwachsenden einschneidendere Folgen als bei jüngeren Kindern, "[... ] not because the emotional pain of adolescence is greater, but because behavioral responses at this stage have more Iasting consequences" (McLanahan und Bumpass 1988: 134). 2. Die Sozialisationshypothese weist auf eine ganze Reihe von Wirkungen und Folgewirkungen der Sozialisationsbedingungen in "Scheidungsfamilien" vor und nach einer Ehescheidung hin. Hierzu zählen die Weitergabe von Attitüden gegenüber Ehe und Familie, sozialpsychologisches "Modell-Lernen" der Art und Weise von Konfliktregelungen und ein geringeres· Ausmaß disziplinierender Kontrolle (und erhöhter "peer-Einflüsse") in Familien mit einem Elternteil.

(i) Gemäß dem "Attitüden"-Argument lehren Eltern ihren Kindem Einstellungen und Werte gegenüber der Institution Ehe. Sind die Eltern selbst geschieden, werden entsprechend tolerierende oder liberale Haltungen bezüglich einer Ehescheidung an den Nachwuchs weitergegeben, welcher dann seinerseits im Konfliktfall eher eine Ehescheidung in Erwägung zieht (Amato 1996; Axinn und Thomton 1996; Glenn und Kramer 1987; Greenberg und Nay 1982; Pope und Mueller 1976; Reich et al. 1986). (ii) Das "Lernen am Modell" stellt gleichfalls auf das elterliche Vorbild ab: Nach dieser Erklärungsskizze lernen Kinder Ehegatten-Rollenmo-

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Kap. 6: Transmission

delle von ihren Eltern. Kinder geschiedener Eltern erlernen zum einen im Vorfeld der Trennung durch die elterliche Interaktion "unangemessene" Rollenmodelle, zum anderen fehlt nach dem Auszug eines Elternteils aus dem Haushalt naturgemäß das Ehegatten-Rollenmodell (Heiss 1972; Pope und Mueller 1976). In beiden Fällen hat das Kind kein adäquates Modell für einen "erfolgreichen Ehemann" oder eine "erfolgreiche Ehefrau", mit der Folge, dass die eigene Ehe im Vergleich zu Ehen von Kindem aus vollständigen Herkunftsfamilien konfliktreicher und instabiler verläuft (Diefenbach 1997, 2000). Die Hypothese des ModellLemens impliziert mit Pope und Mueller (1976: 52) darüber hinaus, dass die im folgenden jeweils erstgenannte Gruppe ein erhöhtes Scheidungsrisiko aufweist: "(a) persons who come from homes broken by divorce versus those broken by death, (b) persons who lived with neither natural parent versus those who lived with one natural parent after the break, (c) persons who lived with a single parent versus those who lived with a parent and stepparent, and (d) persons who lived with an opposite- versus those who lived with a same-sex natural parent." Da die Mehrzahl der Kinder nach der Ehescheidung bei der Mutter verbleibt, müssten demnach Söhne geschiedener Eltern in ihrer eigenen Ehe ein höheres Scheidungsrisiko aufweisen als Töchter geschiedener Eltern. (iii) Nach dem "Kontroll"-Argument disziplinieren Eltern ein Kind bezüglich sozial erwünschtem Verhalten, kontrollieren die "Peer"-Kontakte, beeinflussen die Partnerwahl und unterstützen schließlich die eheliche Verbindung des Sohnes oder der Tochter. Ein Bruch in der Herkunftsfamilie durch Ehescheidung lässt nicht nur ein Elternteil als Aufsichtsperson ausfallen, in der Regel reduziert sich auch das Netzwerk der angeheirateten Verwandten und damit die Integration des Kindes im Verwandtschaftsnetzwerk. Damit sind Kinder geschiedener Eltern einer - durch die reduzierte Anzahl erwachsener Aufsichtspersonen geringeren sozialen Kontrolle ausgesetzt als Kinder aus vollständigen Herkunftsfamilien (Pope und Mueller 1976). "Da der Einfluss der peerGruppe [. .. ] dann am größten ist, wenn die Familie unvollständig ist oder aus anderen Gründen nur mangelhafte soziale Kontrolle ausüben kann, und weil weiter davon auszugehen ist, dass ein Kind unmittelbare Gratifikation sucht, wenn es sich selbst überlassen bleibt, führt die Verringerung der sozialen Kontrolle durch Erwachsene zu größerer bzw. früherer heterosexueller Aktivität und zu suboptimaler Partnerwahl" (Diefenbach 1997: 96) und damit zu einem erhöhtem Scheidungsrisiko. 3. Die Hypothese ökonomischer Deprivation macht insbesondere auf die ökonomischen Folgen der Ehescheidung der Eltern aufmerksam. In der überwiegenden Zahl der Fälle wachsen Kinder nach einer Trennung der Eltern bei der Mutter unter erheblichen Einbußen des Lebensstandards

C. Empirische Evidenz

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auf (Weitzman 1985, 1996; Peterson 1996a, 1996b). Alleinerziehende Eltern können weniger Zeit und Geld in ihre Kinder investieren, finanzielle Knappheit ist ebenfalls ein "push-Faktor", der das frühe Verlassen des Elternhauses fördert und die Wahrscheinlichkeit von Frühehen erhöht (Amato 1993). Sind die mit einer ökonomischen Deprivation einhergehenden Faktoren Ursache des erhöhten Scheidungsrisikos, dann müsste dies aber für alle Personen, die in einem unvollständigen Elternhaus aufgewachsen sind, gleichermaßen festzustellen sein. Demnach sollte es - unter sonst gleichen Bedingungen - im Scheidungsrisiko von Personen, die mit einem geschiedenen oder einem verwitweten Elternteil aufgewachsen sind, keinen Unterschied geben. Die drei Hypothesen oder Kategorien intervenierender Variablen schließen sich logisch nicht gegenseitig aus. Außerdem dürften wechselseitige Zusammenhänge bestehen, z. B. zwischen ökonomischen Nachteilen und ungünstigeren Sozialisationsbedingungen. Bevor wir uns aber auf Erklärungen des Transmissionseffekts aus empirischer Sicht einlassen, präsentieren wir im folgenden empirische Evidenz für die soziale Vererbung des Scheidungsrisikos anband der Daten des deutschen Familiensurveys.

C. Empirische Evidenz Betrachten wir zunächst einmal als Ausgangspunkt die mit der "Sterbetafelmethode" geschätzten Anteile intakter Ehen nach der Ehedauer ("Scheidungstafel"). Die Werte in der Scheidungstafel werden unter Einschluss der zensierten Beobachtungen, d.h. der Ehedauer der nicht-geschiedenen Ehen, geschätzt. Zu einer ersten Prüfung der Transmissionshypothese schlüsseln wir die Scheidungstafeln nach dem Typ der Herkunftsfamilie auf: (1) bis zum 15. Lebensjahr mit beiden Elternteilen aufgewachsen ("2 Eltern"), (2) mit einem Elternteil aufgewachsen wegen Scheidung der Eltern ("geschiedene Eltern"), (3) mit einem Elternteil aufgewachsen, z. B. wegen Tod eines Elternteils ("1 Eltern") und (4) ohne Eltern aufgewachsen ("0 Eltern").3 Abbildung 6.1 ist eine grafische Veranschaulichung des Verlaufs der Ehequoten (Anteile intakter Ehen) für die vier Kategorien der Herkunftsfamilie. Es zeigt sich ein überaus deutlicher Effekt der Kategorie "geschiedene Eltern". Stammt mindestens ein Ehepartner aus einer Scheidungsfamilie, so lässt sich im Vergleich zu den anderen Kategorien der Herkunftsfamilie ein wesentlich höheres Risiko prognostizieren, dass die Ehe vor dem Schei3 Dergenaue Fragetext im Fragebogen ist in Fußnote 5 in Kapitel 5, B. ("Daten und Variablen") wiedergegeben.

Kap. 6: Transmission

128

Log-Rank (Savage) = 0.0; Wilcoxon (Breslow) = 0.0

1:::

-:-------J Eltern . .. ..... ·. .

0 Eltern(N=l35)

.......... ~ •

.

••

.(N=452)

"

'\ •

• geschiedene Eltern (N=62)

0.6 0.5

0

5

10

15

20

25

30

35

Ehedauer in Jahren Abbildung 6.2: Anteil nicht geschiedener Ehen nach Herkunftsfamilie bei Heiratskohorten bis 1970 (Kaplan-Meier-Schätzungen)

Log-Rank (Savage) = 0.0; Wilcoxon (Breslow) = 0.0

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