Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA: Die Rechtsprechung zum Altlasten-Superfund als Modell für das deutsche Konzernhaftungsrecht? [1 ed.] 9783428491889, 9783428091881

Auf der Suche nach »deep pockets« für die Kosten der Altlastensanierung haben US-Gerichte eine neue Form der Konzernhaft

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German Pages 311 Year 1998

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Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA: Die Rechtsprechung zum Altlasten-Superfund als Modell für das deutsche Konzernhaftungsrecht? [1 ed.]
 9783428491889, 9783428091881

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 109

Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA Die Rechtsprechung zum Altlasten-Superfund als Modell für das deutsche Konzernhaftungsrecht?

Von

Frank Ochsenfeld

Duncker & Humblot · Berlin

FRANK OCHSENFELD

Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 109

Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA Die Rechtsprechung zum Altlasten-Superfund als M o d e l l f ü r das deutsche Konzernhaftungsrecht?

Von Frank Ochsenfeld

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Ochsenfeld, Frank: Direkthaftung von Konzernobergesellschaften in den USA : die Rechtsprechung zum Altlasten-Superfund als Modell für das deutsche Konzernhaftungsrecht? / von Frank Ochsenfeld. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 109) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09188-4

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-09188-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Meinen Eltern

Vorwort

Diese Arbeit lag in fast identischer Form der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 1996/97 als Dissertation vor. Für die Veröffentlichung sind Rechtsprechung und Literatur zur Direkthaftung bis einschließlich Juni 1997 berücksichtigt worden. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Marcus Lutter, der die Untersuchung angeregt, kritisch begleitet und in jeder erdenklichen Weise gefördert hat. Herrn Professor Dr. WulfHenning Roth danke ich für die ebenso sorgfältige wie zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Unter den vielen anderen, die mir im Laufe der Arbeit geholfen haben, gilt mein besonderer Dank meinen ehemaligen Kollegen im Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht, vor allem Herrn Rechtsreferendar Wolfgang Schüler. Meinem Vater danke ich für geduldiges und genaues Korrekturlesen. Ferner habe ich dem Bundesministerium für Wirtschaft und der Studienstiftung des deutschen Volkes zu danken, die mein LL. M.-Studium an der University of Pennsylvania und meine Promotion mit Stipendien unterstützt haben. Dem Verlag danke ich schließlich für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Wirtschaftsrecht". New York, im August 1997

Frank Ochsenfeld

Inhaltsverzeichnis

§ι Einleitung

27

I. Fragestellung

27

Π. Gang sowie Art und Weise der Darstellung

29

§2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften nach dem Bundesaltlastengesetz

I.

31

§ 107(a)(1) und (2) CERCLA als gesetzlicher Rahmen

31

1. Blick auf die Entstehungsgeschichte des CERCLA

31

2. Neuere Entwicklungen

32

3. Grundlinien des gesetzgeberischen Konzepts: der Superfund

33

4. Die Haftungsregelung in § 107(a)(1) und (2) CERCLA

34

a) Verantwortliche Personen

36

aa) Die vier Kategorien des § 107(a) CERCLA

36

bb) Insbesondere: Eigentümer und Betreiber

36

b) Wesensmerkmale der Haftung

39

aa) Verschuldensunabhängig und gesamtschuldnerisch

40

bb) Verringerte Anforderungen an den Kausalitätsnachweis

41

c) Umfang der Ersatzpflicht

42

d) Kommentar

42

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft nach dem CERCLA

43

10

nsverzeichnis 1. Warum gerade Muttergesellschaften?

44

2. Rechtsprechung zur Betreiberhaftung von Muttergesellschaften

45

a) Ausübung von Kontrolle durch die Muttergesellschaft

46

aa) Colorado v. Idarado Mining Co

46

bb) Rockwell Intern. Corp. v. IU Intern. Corp

48

cc) U.S. v. Nicolet, Ine

49

dd) U.S. v. McGraw-Edison Co

50

ee) U.S. v. Kayser-Roth Corp

51

ff) City of New York v. Exxon Corp

52

gg) United States v. Allied Chem. Corp

54

hh) Mobay Corp. v. Allied-Signal, Ine

55

ii) CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp

56

(1) Haftung der (Widerbeklagten CPC International, Ine

56

(2) Haftung der beklagten Aerojet-General Corp

58

jj) John S. Boyd Co., Inc. ν. Boston Gas Co

60

kk) In Re Tutu Wells Contamination Litigation

61

11) Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp

62

mm) U.S. v. TIC Inv. Corp

63

nn) Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Ine

65

oo) Zusammenfassung

66

b) Möglichkeit der Kontrolle durch die Muttergesellschaft

68

aa) State of Idaho v. Bunker Hill Co

69

bb) State of Vt. v. Staco, Ine

70

cc) State of N.Y. v. Solvent Chemical Co., Ine

71

dd) Bemerkung und Zusammenfassung

72

c) Ablehnung einer besonderen Direkthaftung

73

aa) FMC Corp. v. Northern Pump Co

74

bb) Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Ine

76

cc) GL Industries of Michigan v. Forstmann-Little

77

dd) Trinity Industries, Inc. v. Dixie Carriers, Ine

78

ee) Zusammenfassung

79

nsverzeichnis 3. Rechtsprechung zur Jurisdiktion über Muttergesellschaften

80

a) Vergleichbarkeit und Aussagekraft dieser Entscheidungen

80

b) Überblick über die Rechtsprechung

83

aa) Wehner v. Syntex Agribusiness, Ine

84

bb) State of Idaho v. Bunker Hill Co

86

cc) In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed

87

dd) In Re Tutu Wells Contamination Litigation

89

ee) Bemerkung und Zusammenfassung

90

4. Rechtsprechung zur Betreiberhaftung von Aktionären unabhängiger Gesellschaften

92

a) Vergleichbarkeit und Aussagekraft dieser Entscheidungen

92

b) Resümee der Entscheidungen

95

5. Besonderheiten bei multinationalen Konzernen

98

6. Zwischenbilanz

99

§3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation der CERCLA-Direkthaftung

I.

102

Erklärungsversuch mit Hilfe traditioneller haftungsrechtlicher Figuren und . . 102 Theorien 1. Durchgriffshaftung (piercing the corporate veil) a) Dogmatische Betrachtung

103 104

aa) Direkte versus derivative Haftung

104

bb) Sektorale versus umfassende Haftung

106

b) Vergleich der Ergebnisse von Direkt- und Durchgriffshaftung aa) Bestimmung des maßgeblichen Durchgriffsmaßstabs

108 109

(1) Verfassungsrechtlicher Hintergrund der Rechtswahl

109

(2) Anwendung dieser Grundsätze auf den CERCLA

Ill

bb) Inhaltliche Unterschiede zwischen Direkt- und Durchgriffshaftung (1) Direkthaftung versus traditioneller Durchgriff nach gliedstaatlichem Recht

115 115

12

nsverzeichnis (2) Direkthaftung versus modifizierter Durchgriff nach Bundesrecht cc) Schlußfolgerung

120 123

2. Stellvertreterhaftung auf agency-Basis a) Anwendbarkeit der respondeat superior-Regel im CERCLA-Kontext

124 . 125

b) Dogmatische Gemeinsamkeiten und Unterschiede

126

c) Voraussetzungen der Stell Vertreterhaftung

128

d) Ergebnis

130

3. Gemeines Deliktsrecht: corporate actor-Regel

130

a) Anwendbarkeit der Regel im CERCLA-Kontext

131

b) Inhalt der Regel in ihrer ursprünglichen Form

132

c) Vergleich mit der Direkthaftung

132

d) Übertragbarkeit der corporate actor-Regel auf die Haftung im Konzern 133 e) Ergebnis

136

II. Neuartigkeit und Eigenständigkeit der Direkthaftung

136

§4 Der CERCLA als Grundlage der Direkthaftung: Auslegung und normative Betrachtung

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung von Muttergesellschaften

138

138

1. Anwendung unterschiedlicher Auslegungsmethoden

138

a) Der Wortlaut des Gesetzes als Ausgangspunkt

138

aa) Anhaltspunkte für eine Haftung von Muttergesellschaften

139

(1) § 107(a)(1) bzw. (2) i. V. m. § 101(20)(A) und § 101(21) CERCLA

139

(2) Insbesondere: die Ausnahme für dinglich gesicherte Gläubiger

142

(3) Vergleich mit Bestimmungen in anderen Gesetzen

144

(4) Ergebnis

146

bb) Inhaltliche Vorgaben für eine direkte Haftung

147

nsverzeichnis (1) Betreiben der Anlage selbst

147

(2) Art und Umfang der Beteiligung

148

(3) Verschuldensunabhängiger Haftungsmaßstab

149

(4) Ergebnis

150

b) Einfluß der Gesetzesziele auf die Auslegung

150

aa) Intention des historischen Gesetzgebers

152

bb) Politik des Gesetzes

153

(1) Der CERCLA als Antwort auf das drängende Altlastenproblem 154 (a) Zügige Altlastensanierung

155

(b) Heranziehung Verantwortlicher

157

(aa) Der CERCLA als Ausdruck eines weit verstandenen Verursacherprinzips

157

(bb) Kern dieses Prinzips: Haftung aufgrund einer Kausalbeziehung

159

(cc) Weiteres Ziel: Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherungen

163

(c) Aktive Beteiligung an Sanierungsmaßnahmen

165

(d) Finanzierung der Altlastensanierung

166

(2) Umweltverträgliche Abfallbeseitigung in der Zukunft (a) Steuerungsfunktion des CERCLA neben dem RCRA

168 . . . . 169

(b) Übermittlung des Signals an die entscheidenden Personen . 172 (aa) Welche Rolle spielt die Direkthaftung von Konzernmüttern?

173

(bb) Identifizierung des richtigen Adressaten

174

(cc) Inhaltlich unverfälschte Übermittlung des Signals

. . . 176

(c) Umweltverträgliche Gefahrstoffbeseitigung als Reaktion . . 177 cc) Ergebnis 2. Auslegung oder Entwicklung von federai common law?

II. Ökonomische Analyse als normative Kontrollüberlegung 1. Untersuchung der Direkthaftung im Hinblick auf die Gesetzesziele a) Sanierung bestehender Altlasten

178 179

182 183 184

14

nsverzeichnis aa) Muttergesellschaften als optimale Kostenträger?

184

bb) Möglichkeiten der Risikoverlagerung und-Streuung

185

cc) Ergebnis

188

b) Verantwortungsvoller Umgang mit Gefahrstoffen in der Zukunft . . . . 188 aa) Internalisierung von Altlastenschäden durch § 107(a) CERCLA . . 189 bb) Funktion der Direkthaftung von Muttergesellschaften

192

cc) Effiziente Risikovermeidung durch Muttergesellschaften

195

2. Ergebnisse der ökonomischen Analyse neben der Auslegung des CERCLA

III.

Methodische Betrachtung: Direkte Betreiberhaftung als Beispiel für einen sektoralen Ansatz im Konzernhaftungsrecht

196

197

§5 Abstimmung der Direkthaftung von Obergesellschaften mit dem Konzernrecht

I.

200

Das Prinzip beschränkter Haftung als maßgebliche gesellschaftsrechtliche Vorgabe

201

1. Grundlage und Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung

203

2. Erstreckung der Haftungsbeschränkung auf Muttergesellschaften

204

3. Durchbrechungen des Prinzips de lege lata

206

4. Reformvorschläge der Lehre zur Haftungsbeschränkung

209

a) Die enterprise entity-Theorie Berles

209

b) Neuere Entwicklungen

211

c) Bewertung unter Berücksichtigung der CERCLA-Direkthaftung

212

II. Konflikt zwischen haftungsrechtlichen Vorgaben und dem gesellschaftsrechtlichen Prinzip beschränkter Haftung

213

1. Ziele des CERCLA im Konflikt mit der Haftungsbeschränkung

213

2. Vergleichbare Konflikte in anderen Rechtsgebieten

216

a) Haftung für Ansprüche nach dem ERISA

218

b) Produkthaftung

219

nsverzeichnis III. Entwicklung einer allgemeinen konzernhaftungsrechtlichen Konfliktlösung . . 221 1. Direkte Haftung als überlegenes Konfliktlösungsmodell a) Vorzüge der Direkthaftung im Vergleich zur traditionellen piercingLehre

221 222

aa) Flexibilität und Vorhersehbarkeit

222

bb) Erfassen des Phänomens konzerninterner Kontrolle

224

(1) Mißbrauch oder Normalfall?

224

(2) Einheit oder Vielfalt?

225

cc) Steuerungswirkung des Rechts

226

dd) Ausweitung der Haftung

227

b) Modifizierte Durchgriffs- oder agency-Haftung als Alternative

228

c) Inhaltliche Ausgestaltung der Direkthaftung

230

aa) Tatsächliche Kontrolle als allgemein maßgebliches Kriterium

230

bb) Art und Intensität der Einflußnahme

232

d) Ergebnis

233

2. Ökonomische Analyse als normative Kontrollüberlegung a) Partiell unbeschränkte Haftung

234 235

aa) Reduzierte Investitionsbereitschaft der Unternehmen?

235

bb) Beeinträchtigte Funktionsfähigkeit der Aktienmärkte?

238

cc) Höhere Informations- und Überwachungskosten?

240

b) Abhängigkeit des Haftungsregimes vom Grad der Integration

242

aa) Wahrung des Effizienzpotentials der Konzernform

242

bb) Effizienzverluste bei einer konkreten Gefahr direkter Inanspruchnahme?

245

c) Ergebnis

246

§6 Praktische Empfehlungen für Konzerne im Hinblick auf die CERCLA-Direkthaftung

I.

Gesellschaftsrechtliche Gestaltung mit dem Ziel einer Reduzierung des Haftungsrisikos

248

249

16

nsverzeichnis 1. Keine Einflußnahme auf betriebliche Angelegenheiten der Tochtergesellschaft

249

2. Vollständige oder teilweise Übertragung von Betriebsvermögen oder Anteilen

250

3. Auflösung der Mutter- oder Tochtergesellschaft

252

4. Herbeiführung einer Insolvenz der Mutter- oder Tochtergesellschaft . . . . 254 5. Outsourcing mit Hilfe unabhängiger Vertragspartner

255

6. Besonderheiten bei multinationalen Unternehmensgruppen

256

7. Ergebnis

257

II. Reduzierung des Schadensrisikos durch aktive Vorsorge

258

§7 Übertragung des Direkthaftungsmodells ins deutsche Recht

I.

Zulässigkeit und Ansatzpunkt einer rechtsvergleichenden Betrachtung

260

261

II. Vereinbarkeit der Direkthaftung mit einschlägigen Regeln des deutschen Rechts

262

1. Unterschiede in puncto Rechtsmethodik

263

a) Auslegung anhand der Politik des Gesetzes

263

b) Ökonomische Analyse des Rechts

264

2. Besonderheiten im allgemeinen Haftungsrecht

266

a) Grundsätzliche Überlegungen

266

b) Insbesondere: Haftung für Altlasten

268

3. Spezifika des Gesellschaftsrechts

271

a) Grundlagen für eine Direkthaftung

271

b) Einfügen der Direkthaftung in das bestehende System aa) Abschließende Regelung der Materie durch das bestehende Konzernhaftungsrecht? bb) (1) Bedürfnis für eine Direkthaftung Vorgeschriebene Mindesthöhe des Grund- bzw. Stammkapitals

274 274 276 276

nsverzeichnis (2) Verlust- und Nachteilsausgleichspflichten im Konzern

278

cc) Gleichlauf von Herrschaft und Haftung als innere Rechtfertigung? dd) Voraussetzungen der Direkthaftung und Konzernleitungspflicht ee) Schlußbemerkung: Dogmatischer Rückschritt?

283

. . 284 286

Zusammenfassung der Ergebnisse

289

Literaturverzeichnis

294

Sachregister

309

2 Ochsenfeld

Abkürzungsverzeichnis

Α.2d a. Α. a.a.O. ABl. Abs. AcP affd AG AG AktG Ala. ALR 3d Am. J. Comp. L. Anh. Anm. Ariz. Ariz. St. L. J. Art. AtomG Aufl.

Atlantic Reporter 2d Series anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für civilistische Praxis affirmed Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alabama American Law Reports 3d Series American Journal of Comparative Law Anhang Anmerkung Arizona Arizona State Law Journal Artikel Atomgesetz Auflage

Bankr. B. C. Envtl. Äff. L. Rev B. C. Int'l & Comp. Rev. BB Bd. Bearb. BGB BGH BGHZ

Bankruptcy Boston College Environmental Affairs Law Review Boston College International & Comparative Law Review Betriebs-Berater Band Bearbeitung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Bundesimmissionsschutzgesetz The Bureau of National Affairs Bundestags-Drucksache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) beziehungsweise

BImSchG BNA BT-Ds. BVerfGE bzw.

2*

20 C.C. C. F. R. Cal. Cal. Cal.2d Cal.App.3d Cal. L. Rev. Case W. Res. L. Rev. CERCLA

Abkürzungsverzeichnis

cert. ch. Chi.-Kent L. Rev. Cin. L. Rev. Cir. Colo. Colum. J. Env. L. Colum. L. Rev. Comm. L. J. Cong. Cong. Ree. Cooley L. Rev. Corn. L. Rev. Corp.

Circuit Court Code of Federal Regulations California California Reporter California Reporter 2d Series California Appellate Reports 3d Series California Law Review Case Western Reserve Law Review Comprehensive Environmental Response, Compensation, and Liability Act of 1980 certiorari chapter Chicago-Kent Law Review Cincinatti Law Review Circuit Colorado Columbia Journal of Environmental Law Columbia Law Review Commercial Law Journal Congress Congressional Record Cooley Law Review Cornell Law Review Corporation

D. D.C. DAJV-NL DB Dec. Del. Denv. L. J. Dept. ders. dies. Diss. Dist. DM

District District of Columbia Newsletter der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung Der Betrieb December Delaware Denver Law Journal Department derselbe dieselbe(n) Dissertation District Court Deutsche Mark

E.D. Ecol. L. Q. ed. ed., eds. EGV Einl. ELR Env. Äff.

Eastern District Ecology Law Quarterly edition editor(s) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Environmental Law Reporter Environmental Affairs

Abkürzungsverzeichnis Envtl. L. EPA ERISA etc. EU

Environmental Law Environmental Protection Agency Employee Retirement Income Security Act of 1974 et cetera Europäische Union

f., ff. F. F.2d F.3d F.R.D. F.Supp. Fed. R. Civ. P. Fla. Fn. Fordh. L. Rev. FS

folgende(r), fortfolgende Federal Reporter Federal Reporter 2d Series Federal Reporter 3d Series Federal Rules Decisions Federal Supplement Federal Rules of Civil Procedure Florida Fußnote Fordham Law Review Festschrift

Ga. Ga. L. Rev. GenTG Geo. Wash. L. Rev. Georgetown L. J. GG ggfs. GmbH GmbHG Gov. GWB

Georgia Georgia Law Review Gentechnikgesetz George Washington Law Review The Georgetown Law Journal Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Government Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen

h. M. H.R. Harv. Env. L. Rev. Harv. L. Rev. Houst. L. Rev. HPflG

herrschende Meinung House of Representatives Harvard Environmental Law Review Harvard Law Review Houston Law Review Haftpflichtgesetz

i. S. d. i. S. v. i. V. m. III. III.2d Inc. Ind. Int. Enc. Comp. L.

im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Illinois Illinois Reports 2d Series Incorporated Indiana International Encyclopedia of Comparative Law

22

Abkürzungsverzeichnis

Int. J. Soc. Law IZVR

International Journal for the Sociology of Law Internationales Zivilverfahrensrecht

J. Corp. L. J. Env. Econ. and Mgmt. J. Fin. J. Law & Econ. J. Leg. Studies J. of Legisl. J. Pol. Econ. JuS

The Journal of Corporation Law Journal for Environmental Economics and Management Journal of Finance Journal of Law & Economics The Journal of Legal Studies Journal of Legislation Journal of Political Economy Juristische Schulung

Kan. KölnKomm Ky.

Kansas Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Kentucky

L. A. Lawyer L.Ed. L.Ed.2d La. Lfg. Ltd.

Los Angeles Lawyer Lawyer's Edition Lawyer's Edition 2d Series Louisiana Lieferung Limited

M.D. m.w.N. Mass. Md. Md. L. Rev. Me. Mercer L. Rev. Mich. Mich. L. Rev. Minn. Mo. MünchKomm

Middle District mit weiteren Nachweisen Massachusetts Maryland Maryland Law Review Maine Mercer Law Review Michigan Michigan Law Review Minnesota Missouri Münchener Kommentar

N.C. N.C.J. Int'l L. & Com. Reg. N.D. N.E. N.E.2d Ν.H. N.H.B.J. N.J. N.N. Nat. Res. & Env.

North Carolina North Carolina Journal of International Law and Commereiai Regulation Northern District North Eastern Reporter North Eastern Reporter 2d Series New Hampshire New Hampshire Bar Journal New Jersey nomen nescio Natural Resources & Environment

Abkürzungsverzeichnis No. Notre Dame L. Rev. Nw. U. L. Rev. N.Y. N.Y. N.Y.App.

Number Notre Dame Law Review Northwestern University Law Review New York New York Supplement New York Supreme Court, Appellate Division

OECD Ohio North. U. L. Rev. Ohio St. L. J. Oklah. L. Rev.

Organisation for Economic Co-operation and Development Ohio Northern University Law Review Ohio State Law Journal Oklahoma Law Review

P. P.2d Pa. Pac. L. J. PCB pic. ProdHG Pub.L.

Pacific Reporter Pacific Reporter 2d Series Pennsylvania Pacific Law Journal Polychlorierte Biphenyle public limited company Produkthaftungsgesetz Public Law

R.I. RCRA RegE reh'g rem'd Rep. rev'd RICO RIW RMBCA Rz.

Rhode Island Resource Conservation and Recovery Act of 1976 Regierungsentwurf rehearing remanded Report reversed Racketeer Influenced and Corrupt Organization Act Recht der Internationalen Wirtschaft Revised Model Business Corporation Act (1984) Randziffer

S. S. S.C. S. C. Comp. & High Tech L. J. S.C. L. Rev. S.Ct. S.D. SARA Sen. Sept. Sess. Sloan Mgmt. Rev. sog.

Seite Senate South Carolina Santa Clara Computer & High Technology Law Journal South Carolina Law Review Supreme Court Reporter Southern District Superfund Amendments and Reauthorization Act of 1986 Senate September Session Sloan Management Review sogenannte(r/s)

24

Abkürzungsverzeichnis

Sp.

Spalte

st. Rspr. Stan. L. Rev. Stat. Sw. L. J.

ständige Rechtsprechung Stanford Law Review Statutes Southwestern Law Journal

TCE Tenn. Tex. L. Rev. Toi. L. Rev. Tox. L. Rep. Tul. Env. L. J. Tul. L. Rev. Tulsa L. J.

Trichlorethylen Tennessee Texas Law Review Toledo Law Review Toxics Law Reporter (BNA) Tulane Environmental Law Journal Tulane Law Review Tulsa Law Journal

u. U. Chi. L. Rev. U. Penn. L. Rev. U.S. U.S. U.S.C. U. S. F. L. Rev. U. Tor. L. J. UmweltHG Utah L. Rev.

und University of Chicago Law Review University of Pennsylvania Law Review United States United States Supreme Court Reports United States Code University of San Francisco Law Review University of Toronto Law Journal Umwelthaftungsgesetz Utah Law Review

v. Va. Va. L. Rev. Vand. J. Trans. L. Vand. L. Rev. vgl. Vili. L. Rev. Virg. Env. L. J. vol(s). Vorb. Vt.

versus Virginia Virginia Law Review Vanderbilt Journal of Transnational Law Vanderbilt Law Review vergleiche Villanova Law Review Virginia Environmental Law Journal volume(s) Vorbemerkungen Vermont

W. W.D. Wake For. L. Rev Wash. Wash. U. L. Q. WHG WiB Wis.

West Western District Wake Forest Law Review Washington Washington University Law Quarterly Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wisconsin

Abkürzungsverzeichnis Yale L. J.

Yale Law Journal

ζ. Β. ZGR ZHR

zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtssoziologie

ZPO ZRSoz

§ 1 Einleitung A specific problem is to be solved; the problem is believed to turn on the corporate entity concept [...]; the concept is mysterious in regard to the nature of the thing conceived; solve the mystery and you solve the problem. Elvin R. Latty 1

I . Fragestellung Ein Unternehmen im Bundesstaat Rhode Island stellt bis Mitte der 70er Jahre in großem Umfang Textilien her. Dabei werden halogenierte Kohlenwasserstoffe, insbesondere Trichlorethylen, als Lösungs- und Entfettungsmittel verwendet. Eigentümerin der Fertigungsstätten ist die Stamina Mills, Inc., eine 100%ige Tochtergesellschaft der Kayser-Roth Corporation. Jahre später, als das Tochterunternehmen längst aufgelöst ist, ergibt eine Untersuchung der zuständigen Umweltbehörde: Der Boden auf dem ehemaligen Betriebsgrundstück sowie die nahegelegenen Trinkwasserreservoirs der Stadt North Smithfield sind durch Halogenkohlenwasserstoffe verseucht, die aus der Textilfabrikation von Stamina Mills stammen.2 Kann die (nach wie vor solvente) Konzernobergesellschaft für die entstandenen Schäden haftbar gemacht werden? Oder bedeutet eine Inanspruchnahme des Mutterunternehmens einen unzulässigen Eingriff in das kapitalgesellschaftsrechtliche Haftungsprivileg? Umgekehrt gefragt: Wie ist der Versuch eines Unternehmens, sein Haftungsrisiko durch die Auslagerung gefahrenträchtiger Aktivitäten in Tochtergesellschaften zu begrenzen oder gar auszuschließen, aus umwelthaftungsrechtlicher Sicht zu beurteilen? Legen es die erklärten Ziele einschlägiger Haftungsnormen - Schadenausgleich und Prävention - nicht nahe, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen und damit auch die Haftungssegmentierung im Konzern unter bestimmten Voraussetzungen zu überwinden?

1 2

Latty , Subsidiaries and Affiliated Corporations, S. 39.

Diese Fakten beruhen auf dem Fall U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15 (D.R.I. 1989), aff'd, 910 F.2d 24 (1st Cir. 1990). Zu weiteren Einzelheiten siehe unten § 2.II.2.a).ee).

28

§ 1 Einleitung

Die Problematik dieser Konstellation, wo Ziele eines speziellen rechtlichen Gestaltungsprogramms durch konzernrechtliche Vorgaben überlagert werden, ist im Kern sowohl in den USA 3 als auch in Deutschland4 erkannt. In besonderer Schärfe ist der Konflikt zwischen Haftungs- und Gesellschaftsrecht in den USA aufgebrochen, seit dort ein Bundesaltlastengesetz mit weitreichenden Haftungsfolgen in Kraft ist. Die damit befaßten Gerichte lösen das Spannungsverhältnis - verursacherfinanzierte Altlastensanierung versus beschränkte Haftung einer konzernangehörigen Gesellschaft - überwiegend zuungunsten der betroffenen Unternehmen auf. Eine Konzernobergesellschaft kann danach für die Sanierung von Altlasten verantwortlich sein, die im Betrieb ihrer Untergesellschaft entstanden sind. Der Clou dieser Rechtsprechung besteht darin, daß sie den Bereich des klassischen (amerikanischen) Konzernhaftungsrechts bewußt verläßt: Die Muttergesellschaft wird aufgrund ihrer Kontrolle über den jeweils haftungsrelevanten Sachbereich "einfach" als Betreiberin einer Anlage ihrer Tochter qualifiziert. Das heißt, die Stellung und das Verhalten der Konzernmutter füllen "direkt" den Tatbestand der Haftungsnorm aus. Die gesetzliche Politik, die Finanzierung der Altlastensanierung sicherzustellen und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Gefahrstoffen anzuhalten, wird damit — zumindest vorgeblich — verwirklicht. Der Durchgriff und die respondeat superior- Regel des agency- Rechts als herkömmliche Instrumente der Konzernhaftung werden hingegen modifiziert oder umgangen. Diese konzernhaftungsrechtliche "Revolution" kam in den USA nicht völlig überraschend, sondern hatte sich in anderen rechtlichen Zusammenhängen bereits früher angekündigt. Gleichwohl fielen die Reaktionen von Rechtswissenschaft und -praxis ausgesprochen heftig aus. Dabei spielte gewiß eine Rolle, daß die Konzeption des Bundesaltlastengesetzes schon im Grundsatz umstritten ist. Insbesondere die Effektivität des Regelungsansatzes wird — im Ergebnis wohl zu Recht — bezweifelt. 5 Hinzu kommt, daß der oben skizzierte Konflikt wegen

3

Vgl. Blumberg, Law of Corporate Groups - General Statutory Law, xliv-xlv.

4

Siehe insbesondere Hommelhoff\ ZIP 90, 761, 768; Teubner in: FS Steindorff, S. 265; sowie jüngst Uwe H. Schneider, ZGR 96, 225, 226, zur Überlagerung des Konzernrechts vor allem durch öffentlich-rechtliche Vorgaben. 5

Außer Zweifel steht lediglich, daß das Gesetz Rechtsanwälten in den USA zahllose Aufträge und stattliche Honorare beschert hat. Hatte der Kongreß im Hinblick auf die Altlastensanierung noch das Ziel "shovels first, lawyers later" vor Augen (vgl. Rodgers, Environmental Law - Hazardous Wastes and Substances, vol. 4, S. 471), so wird über die Gesetzesabkürzung CERCLA heute gespottet, sie stehe für: "Continued Employment, Retirement, and Compensation for Lawyers Act". Zu den hohen Transaktionskosten bei der Umsetzung des CERCLA: Spießhof er,

II. Gang der Darstellung

29

des gewachsenen Stellenwerts der Umweltpolitik, aber auch wegen der spezifischen Gläubigerschutzproblematik im Konzern eine besonders pointierte Ausprägung erfährt. Eine rechtsvergleichende Untersuchung und Würdigung dieser Entwicklungen aus deutscher Sicht trifft auf zusätzliche Schwierigkeiten, die aus Besonderheiten des amerikanischen Rechtssystems resultieren. So ist die dargestellte Grundproblematik — das Zusammentreffen von Umwelt- und Konzernrecht — ihrerseits zweifach überlagert: erstens verfassungsorganisationsrechtlich, da der Konflikt zwischen gesellschaftsrechtlichen und regulatorischen Vorgaben in diesem Fall zugleich ein Konflikt zwischen Gliedstaaten- und Bundesrecht ist; zweitens rechtstheoretisch, da sich hier gemeines Recht und gesetztes Recht gegenüberstehen und es an einer beide umfassenden allgemeinen Rechtstheorie in den USA fehlt. Um den Rahmen der Bearbeitung nicht zu sprengen, wird im folgenden — ausschließlich, aber umfassend — untersucht: unter welchen Bedingungen eine Konzernmutter für Verbindlichkeiten nach dem Bundesaltlastengesetz haftet, die aus der Sphäre ihrer Tochter herrühren. Nur vor dem Hintergrund einer derart konkreten Fragestellung ist zu erwarten, daß sich aus dem amerikanischen "Experiment" Schlußfolgerungen für das deutsche Konzernhaftungsrecht gewinnen lassen. Mit Blick auf das deutsche Recht interessiert insbesondere, ob neben der geltenden Konzernstruktur- bzw. -Verhaltenshaftung Raum für einen sektoralen, direkten Zugriff auf Obergesellschaften nach allgemeinen Haftungstatbeständen ist. Weiterhin ist zu klären, welche Rolle dem Gesellschaftsrecht bei der inhaltlichen Ausgestaltung einer solchen Haftung zukommt.

Π . Gang sowie Art und Weise der Darstellung Nach welchen Maßgaben sich der neue Ansatz aus den USA für die Konzernhaftung im deutschen GmbH- und AG-Recht nutzbar machen läßt, kann natürlich erst am Ende der Arbeit beantwortet werden. Zuvor ist das Bundesaltlastengesetz vorzustellen und die dazu ergangene Rechtsprechung nachzuzeichnen (§ 2). Daran schließt sich die Frage an, inwiefern sich das neue Haftungsmodell von traditionellen (konzern-)haftungsrechtlichen Figuren und Theorien unterscheidet (§ 3). Vor diesem Hintergrund wird versucht, die Urteile zur Betreiberhaftung von Muttergesellschaften aus dem Bundesaltlastengesetz heraus zu erklären und zu bewerten (§ 4). Es bleibt dann noch, diese auf umweltrechtlichen Vorschriften

Grundlegende Änderungen im deutschen Altlastenrecht und US-Superfund-Gesetzgebung, S. 31f. u. 60f.

30

§ 1 Einleitung

beruhende Haftung in Beziehung zum Gesellschaftsrecht zu setzen; daran anknüpfend, soll ein —möglichst allgemeingültiges — Modell entwickelt werden, um den Konflikt zwischen beiden Rechtsbereichen angemessen zu bewältigen (§ 5). Vor der abschließenden rechtsvergleichenden Betrachtung (§ 7) steht ein kurzer Abschnitt mit Empfehlungen, wie Unternehmensgruppen auf die neue Haftung für Altlasten reagieren sollten (§ 6). Dieser Gang der Darstellung folgt — methodisch betrachtet — dem Weg, den die amerikanischen Bundesgerichte beschritten haben: Auch sie untersuchen eine mögliche Einstandspflicht der beklagten Muttergesellschaften ganz überwiegend nicht auf der Basis des überkommenen Konzernhaftungsrechts. Vielmehr nähern sie sich dem Problem aus dem Blickwinkel des Umweltrechts, das heißt des Altlastengesetzes. Da dieses Gesetz alles andere als klar ist und keine inhaltliche Abstimmung mit gesellschaftsrechtlichen Vorgaben vorsieht, fällt die Rechtsprechung unübersichtlich und uneinheitlich aus. Dieser Effekt wird durch die in der amerikanischen Rechtspraxis übliche induktive Herangehensweise noch verstärkt. Dennoch werden nachfolgend — im Interesse einer unverfälschten Bestandsaufnahme — zunächst sämtliche einschlägigen Entscheidungen unkommentiert wiedergegeben. Dabei wird sowohl auf den jeweiligen Sachverhalt als auch die prozessuale Situation besonderer Wert gelegt, damit die späteren Schlußfolgerungen und Kommentare nachvollziehbar werden. Soweit der Umfang und Detailreichtum des Fallmaterials Verwirrung erzeugen, ist das eine unbeabsichtigte, aber unvermeidbare und gewiß nur vorübergehende "Nebenwirkung".

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften nach dem Bundesaltlastengesetz I. § 107(a)(1) und (2) CERCLA als gesetzlicher Rahmen 1. Blick auf die Entstehungsgeschichte des CERCLA Eine Reihe spektakulärer, über die USA verstreuter Altlasten-"Entdeckungen" in der zweiten Hälfte der 70er Jahre setzte den Kongreß zunehmend unter Druck, eine gesetzgeberische Antwort auf die "neuen" Umwelt- und Gesundheitsgefahren zu finden. 6 Der bereits 1976 verabschiedete Resource Conservation and Recovery Act (RCRA) 7 regelte zwar den Umgang mit und die Entsorgung von toxischen Substanzen, war jedoch fast ausschließlich auf die Zukunft gerichtet: 8 Die im RCRA ebenfalls enthaltene Ermächtigung der Bundesumweltbehörde EPA, auch von Altlasten ausgehende unmittelbare Gefahren zu beseitigen,9 war im System dieses Gesetzes ein Fremdkörper. Als Ermächtigungsgrundlage für ein umfassendes, bundesweites Programm zur Altlastensanierung eignete sich diese Vorschrift schon wegen ihres beschränkten Anwendungsbereichs nicht. Hinzu kam, daß dem Gesetzgeber ursprünglich vorschwebte, mit einer Neuregelung zugleich einen individuell einklagbaren deliktischen Anspruch ("unerlaubte Altlastenbeseitigung") zu kreieren. 10 Erste Anläufe zu einem solchen Gesetz noch zu Zeiten des 95. Kongresses sowie ein Entwurf der Carter-Administration aus dem Jahre 1979 waren freilich gescheitert. 11 In dieser Situation nahm der 96. Kongreß gegen Ende seiner Legislaturperiode neue Gesetzesverhandlungen auf, die im Dezember 1980 zur Verabschiedung des Bundesaltlastengesetzes12 {Comprehensive Environmental Response, Compensa-

6

Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte des CERCLA auch Bigalke, Umweltrechtliche Verantwortlichkeit von gesicherten Kreditgebern, S. 20ff. m. w. N. 7

42 U.S.C. §§ 6901-6992k.

8

Cross , N.H.B.J. (June 1990), S. 72; Strand, 35 Stan. L. Rev. 575, 594 (1983).

9

Siehe 42 U.S.C. § 6973.

10

So z. B. die Stellungnahme von Gore, damals Mitglied des Repräsentantenhauses, in H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Se ss., 63f. (1980). 11

Grad, 8 Colum. J. Env. L. lf. (1982).

12

Unzutreffend spricht Depenbrock, WiB 96, 66, 68, von einer "Richtlinie".

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

32

tion, and Liability Act, kurz: CERCLA) führten: eine Maßnahme in allerletzter Minute, da der neue Kongreß bereits gewählt (aber noch nicht konstituiert) war, der alte mithin nur noch als "lame duck" tagte. Da eine Mehrheit für ein solches Gesetzgebungsvorhaben und eine Einigung zwischen Senat und Repräsentantenhaus noch kurz zuvor aussichtslos gewesen waren, verlief die "heiße" Gesetzgebungsphase hektisch und verwirrend: Obschon ursprünglich als Novelle des RCRA eingebracht, wurde vom Repräsentantenhaus von Beginn an eine völlig neue und selbständige Regelung diskutiert. Der Senat hatte einen weitergehenden Vorschlag ausgearbeitet, der so aber keine Chance hatte, Gesetz zu werden. Da die Zeit drängte, brachten Mehrheits- und Oppositionsführer im Senat erne "Änderung" des ursprünglichen Vorschlags ein, die inhaltlich ein völlig neuer Entwurf war. Ohne nennenswerte Diskussion passierte dieser Entwurf zunächst den Senat und zehn Tage später das Repräsentantenhaus: Der CERCLA war geboren. 13

2. Neuere Entwicklungen Die ungewöhnliche und spärliche Geschichte des CERCLA steht in auffallendem Kontrast zu den Dimensionen, die das Altlastenproblem in den USA mittlerweile angenommen hat - und zu den weitreichenden Haftungsfolgen, die Bundesgerichte aus dem neuen Gesetz abgeleitet haben. So sieht ein Kommentator darin ein "bemerkenswertes Beispiel für gesetzgeberische Folgen, die selbst kühnste Vorstellungen der Gesetzesväter weit hinter sich lassen".14 Nichtsdestotrotz hat der Kongreß das mit dem CERCLA begonnene Sanierungsprogramm im Jahr 1986 nicht nur erneuert, sondern mit einem erweiterten finanziellen Rahmen zugleich die Handlungsmöglichkeiten der EPA vervielfacht. 15 1990 wurde das Programm nochmals verlängert 16 — bislang allerdings letztmalig: Eine im Herbst 1994 diskutierte Neuauflage scheiterte am Widerstand der Republikaner im Senat, die ihre Ablehnung gegenüber der angeblich "überzogenen" Umweltgesetzgebung der 80er Jahre deutlich machen und im übrigen einen gesetzgeberischen Erfolg der Clinton-Administration vor den damals anstehenden Parlamentswahlen verhin-

Ausfuhrlich zum Gesetzgebungsverfahren: Grad, a.a.O. (Fn. 11), 4ff.; siehe auch Anderson, 88 Mich. L. Rev. 131, 144f. (1989); Percival/Miller/Schroeder/Leape, Environmental Regulation: Law, Science, and Policy, S. 279ff. 14

Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 475 (Original in Englisch).

15

Zu diesem Zweck wurde der Superfund Amendments and Reauthorization Act of 1986 (SARA) verabschiedet. Vgl. Pub.L. No. 99-499, 99th Cong., 2d Sess., 100 Stat. 1613 (17. Oktober 1986). 16

Durch den Omnibus Budget Reconciliation Act of 1990, Pub.L. No. 101-508, § 6301, 101st Cong., 2d. Sess., 104 Stat. 1388-319 (5. November 1990).

I. Gesetzlicher Rahmen

33

dem wollten. 17 Neuerdings wird die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel (reauthorization) wieder in den zuständigen Ausschüssen des Kongresses diskutiert. Die Haftungsregeln wären von den damit verbundenen Gesetzesänderungen nicht betroffen.

3. Grundlinien des gesetzgeberischen Konzepts: der Superfund Der CERCLA kombiniert öffentlich-rechtliche mit privatrechtlichen Vorschriften und schafft so ein recht eigentümliches System von Eingriffsbefugnissen und Anspruchsgrundlagen. 18 Danach hat sich die EPA bei ihren Sanierungsvorhaben am National Contingency Plan zu orientieren, der Kriterien zur Bewertung von Altlasten enthält, Prioritäten in Abhängigkeit von der Gefährlichkeit der einzelnen Standorte formuliert und Verfahrensregelungen trifft. 19 A u f der Grundlage dieses Plans kann die Umweltbehörde entweder eine private Partei verpflichten, ihrerseits die notwendigen Maßnahmen gegen die von einer Altlast ausgehenden Gefahren zu treffen, sprich: für eine Sanierung zu sorgen. 20 Oder die Behörde wird selbst aktiv, finanziert ihre Aufwendungen vor und nimmt anschließend einen oder mehrere der nach dem Gesetz Verantwortlichen 21 in Regreß. 22 Welchen Weg die EPA beschreitet, ist für die Haftungsfolgen — also auch für eine mögliche Einstandspflicht von Konzernobergesellschaften — ohne Belang.23 Relevant wird die Unterscheidung indes auf andere Weise. Nur in der zweiten Variante kommt derjenige Kernbestandteil des CERCLA ins Spiel, der dem Gesetz seinen populären (und inzwischen berühmt-berüchtigten) Namen gegeben hat: der Superfund. Für ihre eigenen Sanierungsbemühungen greift die Bundesregierung auf Finanzmittel aus diesem Fonds zurück. Die ursprüngliche Gesetzesfassung von

17

Vgl. The New York Times vom 6. Oktober 1994, Seite A l .

18

Eine ähnliche Charakterisierung nimmt Kästle, Haftung für toxische Massenschäden, S. 343, vor. Vgl. auch Teubner in: Environmental Law and Ecological Responsibility, S. 17, 42f. 19

Vgl. 42 U.S.C. § 9605 (Pub.L. 96-510, Title I, § 105, 11. Dezember 1980, zuletzt geändert durch Pub.L. 99-499, Title I, § 105, 17. Oktober 1986, 100 Stat. 1625). Siehe dazu auch Bigalke, a.a.O. (Fn. 6), S. 24ff. 20

42 U.S.C. § 9606 (Pub.L. 96-510, Title I, § 106, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2780, zuletzt geändert durch Pub.L. 99-514, § 2, 22. Oktober 1986, 100 Stat. 2095). 21

Siehe dazu sogleich unten § 2.II.4.a).

22

42 U.S.C. § 9604 (Pub.L. 96-510, Title I, § 104, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2774, zuletzt geändert durch Pub.L. 102-531, Title III, § 312(h), 27. Oktober 1992, 106 Stat. 3506). 23 So auch Rallison, 3 Utah L. Rev. 585, 594 (1987). 3 Ochsenfeld

34

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

1980 hatte noch zwei Fonds24 vorgesehen, die durch den Superfund Amendment and Reauthorization Act of 1986 (SARA) jedoch zum Hazardous Substances Superfund zusammengefaßt worden sind. 25 Über den Namen hinaus hat sich mit diesem Schritt auch die Art der Finanzierung des Fonds geändert. Flossen ursprünglich lediglich Haushaltsmittel des Bundes und Einnahmen aus neuen Steuern auf Erdöl und Erdölprodukte, bestimmte Chemikalien sowie gefährliche Substanzen zusammen, so ruht die Finanzierungslast seit 1986 auf breiteren Schultern: Wesentlicher Bestandteil der 8,5 Milliarden US-Dollar, die dem Superfund damals über fünf Jahre verteilt zugeführt wurden, war eine allgemeine Umweltsteuer für Unternehmen. Diese Steuer wurde vom Gesetzgeber mit den Worten gerechtfertigt, die Altlastensanierung stelle ein "gesamtgesellschaftliches Problem dar, das über die chemische und petrochemische Industrie hinausreicht". 26 Ob darin eine "erkennbare Abkehr vom Verursacherprinzip" 27 liegt, das mit dem CERCLA von Anfang an verfolgt wurde, darf bezweifelt werden: Zweites Essential des Gesetzes neben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Einrichtung des Superfund ist seine privatrechtliche Haftungsregelung. 28 Deren erklärtes Ziel ist es, die "wirklich Verantwortlichen" für die Kosten der Altlastensanierung in Anspruch zu nehmen,29 um so Geld in den Fonds zurückzuführen.

4. Die Haftungsregelung in § 107(a)(1) und (2) CERCLA Die hier interessierende Haftungsregelung des § 107(a) CERCLA hat in den maßgeblichen Passagen folgenden Wortlaut: " Notwithstanding any other provision or rule of law, and subject only to the defenses forth in subsection (b) of this section — (1) the owner and operator of a vessel or a facility, (2) any person who at the time of disposal of any hazardous substance owned or operated any facility at which such hazardous substances were disposed of [...] shall be liable for —

Den Hazardous Substance Response Trust Fund und den Post-Closure Liability Trust Fund. 25

Rodgers , a.a.O. (Fn. 5), S. 479.

26

Sen. Rep. No. 73, 99th Cong., 1st. Sess. 13 (1985) (Original in Englisch).

27

In diesem Sinn äußert sich Rodgers , a.a.O. (Fn. 5), S. 499 (Original in Englisch).

28

Vgl. Cross , a.a.O. (Fn. 8), S. 73.

29

Siehe zu diesem Ziel die Ausführungen unten §4.1.1 .b).bb).(l).(b).

I. Gesetzlicher Rahmen

35

(A) all costs of removal or remedial action incurred by the United States Governme [...] not inconsistent with the national contingency plan;

(B) any other necessary costs of response incurred by any other person consisten with the national contingency plan;

(C) damages for injury to, destruction of, or loss of natural resources, including t reasonable costs of assessing such injury, destruction, or loss resulting from su a release; and

(D) the costs of any health assessment or health effects study carried out unde section 9604(i) of this title} 0 Der Begriff der Anlage (facility) im Sinne dieser Vorschrift ist bereits im CERCLA selbst weit angelegt und umfaßt nach der Legaldefinition in § 101(9)31 Gebäude, Bauten, Einrichtungen, Ausrüstungen, Rohre oder Rohrleitungen, Brunnen, Gruben, Teiche, Lagunen, Stallungen, Gräben, Halden, Lagerbehälter, Kraftfahrzeuge, rollende Betriebsmittel und Flugzeuge; hinzu kommen nach einer Auffangbestimmung alle Grundstücke und Flächen, auf denen gefährliche Stoffe abgelagert, gelagert, entsorgt oder untergebracht worden sind oder sich auf andere Weise angesammelt haben. Berücksichtigt man zudem die großzügige Auslegung32 dieses Tatbestandsmerkmals durch die Rechtsprechung, kann praktisch jeder denkbare Altlastenstandort darunter subsumiert werden. Umfassend ist auch die Legaldefmition des Begriffs der Person (person) in § 101(21) CERCLA 33 . In Betracht kommen danach sowohl natürliche Personen als auch Firmen, Kapitalgesellschaften, Vereinigungen, Personengesellschaften, Konsortien, Gemeinschaftsunternehmen, Wirtschaftseinheiten, die Bundesregierung, Gliedstaaten, Gemeinden, Kommissionen, Gebietskörperschaften oder interstaatliche Zusammenschlüsse. Auffällig ist, daß Konzernmuttergesellschaften in dieser recht detaillierten Auflistung nicht ausdrücklich genannt sind. Um sie in den Kreis der haftenden Unternehmen hineinzuziehen, bleibt nur der Weg, auf die Kapitalgesellschaft als allgemeine Kategorie zurückzugreifen und durch Auslegung (oder durch Rückgriff auf Rechtsfiguren wie Durchgriff 34 , respondeat

30

42 U.S.C. 9607(a) (Pub.L. 96-510, Title I, § 107, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2781, zuletzt geändert durch Pub.L. 103-429, § 7(e)(2), 31. Oktober 1994, 108 Stat. 4390). 31 42 U.S.C. § 9601(9) (Pub.L. 96-510, Title I, § 101, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2767, zuletzt geändert durch Pub.L. 103-429, § 7(e)(1), 31. Oktober 1994, 108 Stat. 4390). 32 Vgl. etwa United States v. Ward, 618 F.Supp. 884, 895 (E.D.N.C. 1985): 210 Landmeilen Straßenrand im Bundesstaat North Carolina sind als eine Anlage anzusehen.

3*

33

42 U.S.C. § 9601(21) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)).

34

Vgl. hierzu unten § 3.1.1.

36

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

superior 35 oder die corporate actor-Regel 36) zum Ergebnis zu gelangen, daß eine Muttergesellschaft zu den verantwortlichen Personen zählt.

a) Verantwortliche

Personen

aa) Die vier Kategorien des § 107(a) CERCLA In seiner vollständigen Fassung nennt § 107(a) CERCLA vier Kategorien von haftungsrechtlich Verantwortlichen: 37 denjenigen, der Vorkehrungen für die Beseitigung oder Behandlung gefährlicher Stoffe trifft ( arranger )3i; denjenigen, der solche Stoffe für den Transport zu Beseitigungs- oder Behandlungsanlagen entgegennimmt ( transporter )\ und schließlich die in dem oben wiedergegebenen Gesetzesauszug genannten gegenwärtigen und früheren Eigentümer und Betreiber (owner and operator) von Anlagen, wo solche Stoffe beseitigt werden bzw. wurden. Die Untersuchung beschränkt sich hier auf die beiden letztgenannten Kategorien: Ihnen kommt im Zusammenhang mit der Einstandspflicht von Obergesellschaften rechtstatsächlich die mit Abstand größte Bedeutung zu. Im übrigen stellen sich namentlich bei der Beurteilung der arranger- Haftung im wesentlichen identische Rechtsfragen, so daß von einer ausgeweiteten Untersuchung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten wären. Soweit die Rechtsprechung zu den beiden "fehlenden" Personengruppen relevant ist, wird sie aber ergänzend herangezogen.

bb) Insbesondere: Eigentümer und Betreiber Für Verwirrung bei der Bestimmung von potentiell Verantwortlichen hat gesorgt, daß § 107(a)(1) CERCLA kumulativ zu verlangen scheint, jemand müsse gegenwärtig Eigentümer und Betreiber 39 einer Anlage sein. In Ziffer (2), wo es um die Haftung früher Beteiligter geht, stehen Eigentümer- und Betreiberstellung dagegen alternativ nebeneinander.40 Eindeutig ist demnach, daß im Rahmen der

35

Vgl. hierzu unten § 3.1.2.

36

Vgl. hierzu unten § 3.1.3.

37

Näher zu diesem Punkt Spießhof er, a.a.O. (Fn. 5), S. 54ff.

38 Das ist typischerweise derjenige, bei dem solche Stoffe entstehen. Daher ist in diesem Zusammenhang auch häufig von der generator- Haftung die Rede. 39

"Eigentümer und Betreiber" (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 40

"jede Person, die [...] in Eigentum hatte oder betrieb" (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

I. Gesetzlicher Rahmen

37

Ziffer (2) zwischen Eigentümer- und Betreiberhaftung zu unterscheiden ist: Eine Obergesellschaft haftet schon dann, wenn sich sagen läßt, sie habe die fragliche Anlage (früher) betrieben. 41 Umgekehrt legt es der Wortlaut der Ziffer (1) im Vergleich zu Ziffer (2) zunächst nahe, eine Obergesellschaft — wenn überhaupt — nur dann haften zu lassen, wenn sie (gegenwärtig) sowohl Eigentümerin als auch Betreiberin der Anlage ist. 42 Gegen eine solche Auslegung wird allerdings eingewandt, sie bleibe unzulässigerweise bei der strikten Anwendung grammatikalischer Regeln stehen; es liege nahe, von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers auszugehen und auch im Rahmen der Ziffer (1) die Haftung als Eigentümer getrennt von derjenigen als Betreiber zu sehen.43 Bedeutsam ist diese Meinungsverschiedenheit insofern, als bei wortgetreuem Verständnis der Ziffer (1) eine Konzernmutter logisch von vornherein nicht als gegenwärtige Eigentümerin-Betreiberin einer Anlage ihrer Tochtergesellschaft in Betracht käme: Als selbständige juristische Person hält allein letztere das Eigentum an der Anlage 44 — ein Ergebnis, das sich wegen der feststehenden eigentumsrechtlichen Zuordnung auch durch Auslegung nicht korrigieren läßt. 45

41 Vgl. ζ. B. U.S. v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 26 (1st Cir. 1990); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp. 777 F.Supp. 549, 572 (W.D.Mich. 1991). 42

Zu diesem Ergebnis gelangt denn auch Redwing Carriers ν. Saraland Apartments, Ltd., 875 F.Supp. 1545 (S.D.Ala. 1995). Ebenfalls in diesem Sinne: Allen, 6 Stan. Env. L. J. 43, 50 (1986-87) m.w.N. 43

United States v. Maryland Bank & Trust Co., 632 F.Supp. 573, 578 (D.Md. 1986). Ebenso Oswald/Schipani, 86 Nw. U. L. Rev. 259, 269f. (1992). 44

Vgl. Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc., 871F.Supp. 764, 770 (D.N.J. 1994); Analytical Measurements v. Keuffel & Esser, 816 F.Supp. 291, 296 (D.N.J. 1983). Dies wird von den Bundesgerichten nicht immer beachtet. Zuweilen lassen sie eine Muttergesellschaft oder einen individuellen Alleinaktionär als "owner and operator" haften und erzeugen so zumindest begriffliche Verwirrung. Vgl. etwa Gopher Oil Co. v. Union Oil Co. of California, 757 F.Supp. 988, 994 (D.Minn. 1990); U.S. v. Amtreco, Inc., 809 F.Supp. 959, 966 (M.D.Ga. 1992). Völlig daneben lag insofern U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 849 (W.D. Missouri, 1984), aff'd in part, rev'd in part , 810 F.2d 726, 743 (8th Cir. 1986): Hier wurde zunächst ein Aktionär als "owner and operator" verantwortlich gemacht, obwohl die fragliche Anlage nicht einmal seinem Unternehmen sondern einem Dritten gehörte und außerhalb seines Einflußbereichs lag. Die Revisionsinstanz korrigierte dieses unhaltbare Ergebnis. 45

Allenfalls im Wege eines Durchgriffs könnte man die Muttergesellschaft — ausnahmsweise — als Eigentümerin der Anlage behandeln. Wallace , J. Corp. L. (Summer 1989), S. 839, 856f., insbesondere Fn. 107; siehe auch Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc., a.a.O. Vgl. auch CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777

38

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Die Muttergesellschaft als Betreiberin zu behandeln, wäre zwar immer noch denkbar, aber folgenlos: Diese Eigenschaft könnte ja nur im Verbund mit Eigentum zur Haftung führen. Schon diese Konsequenz läßt es fragwürdig erscheinen, hier sklavisch dem Wortlaut zu folgen. Selbst wenn man das Auslegungsproblem aus dem Konzernkontext herauslöst, 46 bleibt die Frage, warum die Haftung früher Beteiligter geringeren Voraussetzungen unterliegen sollte als die Haftung gegenwärtiger Eigentümer-Betreiber: Warum sollten Betreiber in der letztgenannten Kategorie nur dann verantwortlich sein, wenn sie zusätzlich Eigentum halten? Als noch aktive Betreiber stehen sie dem Altlastenrisiko besonders nahe, so daß engere Voraussetzungen gerade in ihrem Fall ungerechtfertigt wären. Eine derart widersprüchliche Wertung sollte dem Kongreß nicht unterstellt werden. Wahrscheinlicher ist — zumal mit Rücksicht auf die Umstände, unter denen der CERCLA entstand47 —, daß der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen auf unsorgfältiges Arbeiten im Gesetzgebungsverfahren zurückgeht. Theoretisch denkbar wäre unter dieser Prämisse freilich auch, daß der Redaktionsfehler in Ziffer (2) zu suchen ist, Eigentum und Betreiberstellung also stets kumulativ vorliegen müssen. Gegen diese Möglichkeit spricht jedoch, daß beide Begriffe auch bei der Legaldefmition alternativ gebraucht werden 48 und daß die Kategorie des Betreibers sonst keine eigenständige Bedeutung mehr hätte: § 101(20)(A) CERCLA geht erkennbar davon aus, daß bereits das Eigentum an einer Anlage im Regelfall mit Mitwirkung an deren Betrieb verbunden ist. 49 Es F.Supp. 549, 578 (W.D.Mich. 1991). Zum Durchgriff als Haftungsgrund eingehend unten §3.1.1. 46

Dies empfiehlt sich, da Muttergesellschaften, wie oben festgestellt, vom Gesetz zumindest nicht ausdrücklich als Haftungssubjekte vorgesehen sind. Ob eine Erstreckung der Haftungsfolgen auf sie angemessen ist, ist ja gerade Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. 47

Siehe hierzu oben § 2.1.1.

48

"'Eigentümer oder Betreiber* bedeutet [...]" (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 42 U.S.C. § 9601(20)(A) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)). 49

Nur bei solchem Verständnis der Eigentümerstellung macht es Sinn, daß diese Vorschrift rein passive Eigentümer, denen eine Anlage nur als dingliche Sicherheit dient, von der Haftung ausnimmt: "Dieser Terminus [hiermit wird, wie sich aus dem Zusammenhang zwingend ergibt, allein auf den owner Bezug genommen] bezieht sich nicht auf eine Person, die - ohne am Management [...] einer Anlage mitzuwirken eigentumsrechtliche Positionen vorrangig hält, um ihr Sicherungsinteresse an [...] der Anlage zu schützen." (Original in Englisch). 42 U.S.C. § 9601(20)(A) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)). Dieser Formulierung liegt erkennbar die Annahme zugrunde, Eigentum bringe eine Mitwirkung am Betrieb regelmäßig mit sich.

I. Gesetzlicher Rahmen

39

bleibt also dabei, daß nicht nur § 107(a)(2) CERCLA sondern auch die Ziffer (1) dieser Vorschrift Personen erfaßt, die eine Anlage betreiben, ohne Eigentümer zu sein. 50 Also lassen a priori beide Ziffern Raum für eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften.

b) Wesensmerkmale der Haftung Damit steht fest: Gegenwärtige oder frühere Eigentümer oder Betreiber einer Anlage, wo gefährliche Substanzen beseitigt werden bzw. wurden, sind gem. § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA verantwortlich. Diese Haftung wird als die "vielleicht meistgefürchtete [...] unter den neuen Umwelthaftungen, die in den letzten zwanzig Jahren kreiert wurden" 51 , bewertet. Daß sie - vor allem in der Unternehmenspraxis - für soviel Aufruhr gesorgt hat, erklärt sich aus ihren Modalitäten. Dank großzügiger Gesetzesauslegung durch die Bundesgerichte, die der Dringlichkeit des Altlastenproblems und den Schutzzielen des CERCLA gerecht werden wollen, haftet ein Verantwortlicher heute unter reduzierten Kausalitätsanforderungen gesamtschuldnerisch und verschuldensunabhängig 52 — mit Rückwirkung: Mit einer Einstandspflicht muß auch derjenige rechnen, der Gefahrstoffe vor dem Inkrafttreten des CERCLA, also vor dem 11. Dezember 1980, beseitigte. Dieses auch nach amerikanischem Verfassungsrecht nicht unproblematische Ergebnis wird damit gerechtfertigt, daß sonst die angestrebte Aufarbeitung des Altlastenproblems chancenlos wäre. 53 Denn die Standorte, um deren Sanierung es geht, datieren als Λ/riasten typischerweise aus der Zeit vor den 80er Jahren dieses Jahrhunderts. 54

50

§ 107(a)(1) ist also wie folgt zu lesen: "the owner and the operator of a [...]

facility". 51

Rodgers , a.a.O. (Fn. 5), S. 647 (Original in Englisch).

52

Auch eine Rechtfertigung (mit haftungsentlastender Wirkung) ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Der CERCLA selbst enthält eine abschließende Aufzählung von lediglich drei Rechtfertigungsgründen: höhere Gewalt, Kriegshandlungen und Verhalten eines unabhängigen Dritten. 42 U.S.C. § 9607(b) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 30)). 53

U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 839 (W.D. Missouri, 1984), aff'd in part , rev'd in part , 810 F.2d 726, 732 (8th Cir. 1986). 54

Allerdings hinterläßt auch die Fertigung von High-Tech-Produkten, die in großem Maßstab erst nach 1980 begonnen hat, beträchtliche Mengen etwa an toxischen Schwermetallen: Das kalifornische "Silicon Valley" hat heute die stärkste Anhäufung gefährlicher Mülldeponien in den USA (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 7.12.1995, S. 37, Sp. 5). Es ist sicher nicht abwegig anzunehmen, daß ein Teil der Gefahrstoffe weiterhin — wenn auch in geringerem Umfang als in der Vergangenheit — nicht ordnungsgemäß entsorgt wird. Das "Alt"lastenproblem verspricht daher auch in Zukunft aktuell zu bleiben.

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

40

aa) Verschuldensunabhängig und gesamtschuldnerisch Daß § 107(a) CERCLA eine gesamtschuldnerische Gefährdungshaftung begründet, ergibt sich nur auf Umwegen aus dem Gesetz. Ausdrückliche Formulierungen eines solchen Standards, die in ersten Gesetzentwürfen noch vorgesehen waren, erwiesen sich bei den Beratungen im Kongreß als nicht durchsetzbar und wurden daher gestrichen.55 Jetzt verweist § 101(32) CERCLA 5 6 hinsichtlich des Haftungsstandards auf § 311 des bundesweiten Clean Water Act 51. In dessen Rahmen hatten die Bundesgerichte Wasserverschmutzer schon vor der Verabschiedung des CERCLA verschuldensunabhängig 58 und gesamtschuldnerisch 59 haften lassen. Diese Grundsätze sind in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung auf den CERCLA übertragen worden. 60 Das bedeutet zunächst, daß ein schuldhaft oder auch schuldlos Verantwortlicher in Höhe des gesamten Schadenumfangs haftet, selbst wenn mehrere Personen zur Entstehung der betreffenden Altlast beigetragen haben. Etwas anderes (Verantwortlichkeit lediglich pro rata in Höhe des eigenen Verursachungsbeitrags) gilt ausnahmsweise, wenn der in Anspruch Genommene nachweisen kann, welcher Anteil des Schadens auf sein Verhalten zurückgeht. 61 Leicht abgemildert wurde die Härte der gesamtschuldnerischen Haftung durch den SARA. Jetzt können sich Parteien, die nur für einen geringen Teil des Schadens verantwortlich sind, durch einen Vergleich mit der EPA vor weitergehender Inanspruchnahme schützen.62 Außerdem fand der von den Gerichten bereits zugelassene Innenaus-

55

Percival/Miller/Schroeder/Leape,

56

42 U.S.C. § 9601(32) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)).

57

33 U.S.C. § 1321.

a.a.O. (Fn. 13), S. 336.

58

Vgl. Steuart Transp. Co. v. Allied Towing Corp., etc., 596 F.2d 609, 613 (4th Cir. 1979). 59 Vgl. United States v. M/V Big Sam, 681 F.2d 432 (5th Cir. 1982); Complaint of Berkley Curtis Bay Co., 557 F.Supp. 335, 339 (S.D.N. Y. 1983), ajf'd in part and rem'd in part , 697 F.2d 288 (2d Cir. 1983); United States v. Hollywood Marine, Inc., 519 F.Supp. 688 (S.D.Texas 1981), rev'd on other grounds, 625 F.2d 524 (5th Cir. 1980). 60

Vgl. Bigalke , a.a.O. (Fn. 6), S. 30f. Zu jüngeren Entwicklungen, die zumindest im Ergebnis eine Abkehr vom Prinzip gesamtschuldnerischer Haftung markieren: Hyson, 21. Harv. Env. L. Rev. 137, 160ff. (1997). 61

O'Neil v. Picillo, 883 F.2d 176, 178f. (1st Cir. 1989); U.S. v. Monsanto Co., 858 F.2d 160, 171f. (4th Cir. 1988); U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298, 1313 (E.D.Mo. 1987); United States v. Chem-Dyne Corp., 572 F.Supp. 802, 809 (S.D.Ohio 1983). 62

Sog. de minimis settlement. Vgl. 42 U.S.C. § 9622(g) (Pub.L. 96-510, Title I, § 122, zuletzt geändert durch Pub.L. 99-499, Title I, § 122(a), 17. Oktober 1986, 100 Stat. 1678).

I. Gesetzlicher Rahmen

41

gleich zwischen CERCLA-Gesamtschuldnern seine ausdrückliche Bestätigung im Gesetz.63 Um sich vor der als bedrohlich empfundenen gesamtschuldnerischen Haftung zu schützen, haben findige Unternehmen Haftungsübernahmevereinbarungen mit anderen potentiell Verantwortlichen geschlossen. Auf diese Weise ist jedoch nur ein vertraglicher Anspruch im Innenverhältnis gewonnen: § 107(e)(1) CERCLA bestimmt, daß solche Vereinbarungen im Außenverhältnis, etwa gegenüber der EPA, keinerlei Wirkungen entfalten. 64 Entsprechend haben auch die Gerichte entschieden.65 Schutz vor voller primärer Inanspruchnahme ist auf diesem Weg also nicht zu erreichen.

bb) Verringerte Anforderungen an den Kausalitätsnachweis Zwischen der Beseitigung gefährlicher Stoffe und der auf einem Grundstück festgestellten Verunreinigung muß natürlich ein Kausalzusammenhang bestehen. Der für die Beseitigung Verantwortliche kann jedoch bereits haftbar gemacht werden, wenn die Beweisführung der Klägerseite minimalen Anforderungen genügt: Diese braucht im Prozeß nur nachzuweisen, daß der Beklagte auf dem betreffenden Grundstück Stoffe von der Art beseitigt hat, wie sie dort letztlich gefunden wurden. Darüber hinausgehende Erfordernisse würden nach Ansicht der Bundesgerichte detaillierte toxikologische Analysen nach sich ziehen und damit ungerechtfertigt hohe Kosten verursachen. 66 Einzelne Entscheidungen haben die Kausalitätsanforderungen noch weiter gelockert: So ersetzte das Gericht in Artesian Water die condicio-sine-qua-non-Formel durch die Frage, ob dem Beklagten ein "wesentlicher Beitrag" 67 zu der Verunreinigung vorzuwerfen sei.

63

Vgl. 42 U.S.C. § 9613(f)(1) (Pub.L. 96-510, Title I, § 113, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2795, zuletzt geändert durch Pub.L. 99-514, § 2 , 22. Oktober 1986, 100 Stat. 2095). 64

42 U.S.C. § 9607(e)(1) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 30)). Vgl. auch Bereday, 43 Case W. Res. L. Rev. 161, 174f. u. passim (1992); Weber, 42 Vand. L. Rev. 1469, 1493 (1989). 65

Zur Wirksamkeit und zum Umfang solcher Vereinbarungen: Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 355ff. (D.N.J. 1991); FMC Corp. v. Northern Pump Co. 668 F.Supp. 1285, 1292 (D.Minn. 1987); zur Unwirksamkeit im Außenverhältnis vgl. etwa Robertshaw Controls v. Watts Regulator, 807 F.Supp. 144, 153 (D.Me. 1992) m.w.N.; Interstate Power, 909 F.Supp. 1241, 1264 (N.D.Iowa 1993). 66 Eine Zusammenfassung dieser Rechtsprechungfindet sich bei Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 661f. 67

Artesian Water Co. v. Gov. of New Castle County, 659 F.Supp. 1269, 1283f. (D.Del. 1987), aff'd, 851 F.2d 643 (3d Cir. 1988) (Original in Englisch).

42

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Cumberland Farms ging noch weiter, da dort nur noch auf den Kausalzusammenhang zwischen der Beseitigung einerseits und der Sanierung als der Haftungs/ô/ge andererseits abgestellt wurde. Unerheblich sei, ob die Beseitigungshandlung zur Verunreinigung als dem Haftungsgrund geführt habe.68

c) Umfang der Ersatzpflicht Der potentiell erhebliche Umfang einer Ersatzpflicht ergibt sich direkt aus § 107(a) CERCLA. Zwar sieht Abschnitt (c) dieser Vorschrift eine Haftungsobergrenze von 50 Millionen US-Dollar (für bestimmte Anlagentypen sowie Schiffe liegt diese Grenze niedriger) vor, doch gilt diese bei gravierendem Fehlverhalten der verantwortlichen Person nicht. Darüber hinaus hat unter Umständen sogar Strafschadenersatz (punitive damages) zu zahlen, wer eine an ihn gerichtete Sanierungsanordnung der EPA nicht befolgt. 69 Haftungssummensteigernd dürfte sich auswirken, daß EfFizienzgesichtspunkte bei den Sanierungsmaßnahmen nicht unbedingt ausschlaggebend sind. Während bei der Ausführung solcher Maßnahmen die jeweils kostengünstigste Lösung zu wählen ist, braucht die EPA nicht schon deshalb von einer vollständigen Restitution der geschädigten Umwelt abzusehen, weil der Aufwand unverhältnismäßig hoch ist: Der Kongreß sei davon ausgegangen, daß der Wert natürlicher Lebensgrundlagen ohnehin nicht quantifizierbar sei. 70 Es überrascht daher kaum, daß die Sanierung einer vom CERCLA erfaßten Altlast durchschnittlich 26 Millionen US-Dollar 71 kostet.

d) Kommentar Die wichtigsten Charakteristika sowie die Dimension der Haftung wurden hier bewußt ausführlich dargestellt, auch wenn sie nicht konzernspezifisch sind. Sie unterstreichen einerseits die praktische Relevanz des Themas: Unternehmen in den

68

Vgl. Dedham Water Co. v. Cumberland Farms Dairy, 889 F.2d 1146, 1154 (1st Cir. 1989). 69

42 U.S.C. § 9607(c) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 30)). Von der Sanktion des Strafschadenersatzes wird aber offensichtlich nur zurückhaltend Gebrauch gemacht: Sie spielt in den Fällen, die für diese Arbeit durchgesehen wurden, keine erkennbare Rolle. 70 So das Bundesappellationsgericht für den District of Columbia in State of Ohio v. U.S. Dept. of the Interior, 880 F.2d 432, 456f. (D.C.Cir. 1989). 71

Nachweis unter Hinweis auf EPA-Angaben bei Crawley , 28 Ga. L. Rev. 223, 225 (1993). Wheeler/Fox , 23 Ariz. St. L. J. 483 (1992), sprechen von US$ 25 Millionen. In The New York Times vom 6. Oktober 1994, S. A l , ist von US$ 28 Millionen die Rede.

. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

43

USA sehen sich auf einmal 72 Ansprüchen ausgesetzt, die in ihren Voraussetzungen und ihrem Ausmaß drakonisch sind und selbst große Industriekonzerne das Fürchten gelehrt haben. Überdies dokumentiert die oben festgestellte Bereitschaft der Bundesgerichte, jeden denkbaren Spielraum zu einer extensiven Auslegung und Anwendung des CERCLA zu nutzen, die dort vorherrschende Einstellung. Etwas überspitzt formuliert: Die umweltpolitischen Vorgaben dieses Gesetzes genießen absolute Priorität und rechtfertigen den Einsatz aller verfügbaren rechtlichen Instrumente. Möglichst viele Altlasten sollen auf Kosten "irgendwie" Verantwortlicher saniert werden. Diese Prädisposition der Gerichte ist auch beim Verständnis der Urteile zur Einstandspflicht von Muttergesellschaften zu berücksichtigen.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft nach dem CËRCLA Die Beziehung zwischen Mutter- (parent corporation) und Tochtergesellschaft (subsidiary corporation) ist nach der gängigen Definition der amerikanischen Rechtswissenschaft dadurch gekennzeichnet, daß erstere zumindest eine Mehrheit der Anteile an letzterer hält und daher über Kontrolle verfügt. 73 Aus dem Überblick über das Haftungssystem des CERCLA ist deutlich geworden, daß dieses mitnichten nur solche Konstellationen betrifft: Im CERCLA sind Konzerne nicht einmal ausdrücklich erwähnt. Das Bundesaltlastengesetz zählt damit zu jenem "allgemeinen Gesetzesrecht" 74, das selbstverständlich auch für Konzerne (corporate groups) gilt, an sich aber kein Konzernrecht ist. Woraus rechtfertigt sich dann eine auf Konzernobergesellschaften beschränkte Analyse der Eigentümer- und Betreiberhaftung?

Die Schärfe der CERCLA-Haftung ist fast beispiellos: Eine vergleichbare Schockwirkung auf die amerikanische Wirtschaft übte allenfalls die Welle von Klagen aus, mit denen die von toxischen Substanzen (ζ. B. Asbest) gesundheitlich Geschädigten Schadenersatzansprüche gegen die Hersteller geltend machten. Farmer, J. Corp. L., Sommer 1994, S. 771, spricht im Hinblick auf den CERCLA und die toxischen Massenschäden von einem "zweizinkigen Klageangriff ' auf amerikanische Unternehmen (Original in Englisch). 73

So Gifts , Law Dictionary, S. 471. Etwas anders Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 3, demzufolge eine Muttergesellschaft "genügend Anteile" hält, so daß die Tochtergesellschaft unter ihrer Kontrolle ist (Original in Englisch). Zu solcher Kontrolle ist unter bestimmten Voraussetzungen nicht unbedingt eine Aktienmehrheit erforderlich: Berle/Means, Modern Corporation and Private Property, S. 75ff.; Conard, Corporations in Perspective, S. 169; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, S. 30f. 74

Dieser Begriff wird hier in der von Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 4f., geprägten Bedeutung verwendet (Original in Englisch).

44

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften 1. Warum gerade Muttergesellschaften?

Um eine befriedigende Antwort auf diese Frage geben zu können, empfiehlt es sich, eine zentrale Schlußfolgerung 75 aus der nachfolgenden Rechtsprechungsanalyse als These zugrundezulegen: daß die oben in Umrissen dargestellte Haftung in ihrer Anwendung auf Muttergesellschaften sektorales Konzernhaftungsrecht 76 ist. Dies unterstellt, ist fehlende Konzernspezifität geradezu typisch: Wesensmerkmal eines sektoralen Ansatzes ist, daß eine allgemeine Haftungsvorschrift auf Unternehmensgruppen angewandt und anhand des jeweiligen Gesetzeszwecks entschieden wird, welches konzernangehörige Unternehmen haftbar ist. Auf diese Weise entsteht für Haftungsfragen ein relativer, in der jeweiligen Gesetzesmaterie zu suchender Konzernbegriff. 77 Folglich geht die Frage nach dem spezifisch Konzernrechtlichen des CERCLA-Haftungsregimes fehl. Sie beruht auf einem Ansatz, den wenigstens ein Teil der Rechtsprechung zum CERCLA (und zu einzelnen anderen Gesetzen)78 gerade überwunden hat: Neben das überkommene einheitliche tritt in den USA zunehmend ein sektorales Konzernhaftungsrecht. Doch nicht nur der Blick auf die dogmatische Weiterentwicklung des Konzernhaftungsrechts macht gerade die Haftung von Muttergesellschaften zu einem lohnenden Untersuchungsobjekt. In der Einleitung wurde der Konflikt zwischen dem Prinzip beschränkter Haftung und den Zielen des CERCLA bereits als thematischer Rahmen skizziert. Dieser Konflikt wird im Konzernkontext in gewissem Sinne auf die Spitze getrieben: Eigenheiten des Mutter-TochterVerhältnisses bewirken, daß Gläubiger einer konzernangehörigen Gesellschaft — das sind hier diejenigen, die anstelle einer anlagebetreibenden Tochtergesellschaft eine Altlast sanieren — zusätzlichen, konzerntypischen Risiken ausgesetzt sind. 79 Zugleich fällt es im Fall einer Muttergesellschaft ausgesprochen schwer, die regelmäßig geltende Haftungsbeschränkung zu rechtfertigen. 80 Als Folge verschieben sich bei der Abwägung der konfligierenden Grundsätze die Gewichte. Das heißt, der Konzern verdient und verlangt auch im Rahmen des CERCLA eigene Berücksichtigung, weil sich die Konzernhaftung von anderen Haftungen in charakteristischer Weise abhebt.81

75

Siehe unten § 4.III.

76

Dieser Begriff ist durch den Untertitel eines Aufsatzes von Teubner inspiriert, der für einen "sektoralen Konzerndurchgriff' plädiert (a.a.O. (Fn. 4)). 77

A.a.O., S. 272.

78

Hierzu näher unten §5.11.2.

79

Hierzu eingehend unten § 4. II. 1. b). bb).

80

Hierzu eingehend unten § 5.1.2. u. § 5.III.2.a).

81

Oder, mit Wiedemann , Unternehmensgruppe im Privatrecht, S. 9 (dort im Hinblick auf das deutsche Recht), gesprochen: "[I]m Konzern ist alles anders." Das ändert freilich

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

45

Hinzu kommt schließlich, daß die Einstandspflicht von Obergesellschaften von größter praktischer Relevanz ist. "Die Organisationsform des Multinationalen Unternehmens ist der Konzern." 82 Dies gilt in den USA in noch verstärktem Maße seit der M & A-Welle der 80er Jahre. 83 Die Auswirkungen des CERCLA auf die Konzernhaftung sind daher nicht nur wissenschaftlich interessant; diese Arbeit soll vielmehr auch als Informationsquelle für Konzernunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum dienen, die in den USA tätig sind und sich dort mit dem Bundesaltlastengesetz konfrontiert sehen. 2. Rechtsprechung zur Betreiberhaftung von Muttergesellschaften Es wurde bereits festgestellt, daß die Haftung von Muttergesellschaften als Eigentümerinnen die Entwicklung völlig neuer Konzepte nicht zuläßt: Dem steht der weitgehend vorgegebene Begriffsinhalt von "Eigentum" entgegen.84 Weitaus interessanter — und daher Mittelpunkt dieser Bearbeitung — ist insofern die Betreiberhaftung. 85 Sie hat den Gerichten weitgehende Spielräume eröffnet, die allerdings auf sehr unterschiedliche Weise ausgefüllt worden sind. Ein resümierender Befund fällt in wenigstens einer Hinsicht ernüchternd aus: Viele der Urteile lassen Klarheit im Hinblick auf die zugrundeliegenden Haftungskonzepte vermissen; nicht zuletzt aus diesem Grund sind die von der Rechtsprechung entwickelten Haftungsstandards oft vage und widersprüchlich. 86 Die nachfolgende Darstellung enthält ausschließlich Urteile von Distrikt- und Appellationsgerichten des Bundes, da Bundesgerichte in CERCLA-Angelegennichts daran, daß für Muttergesellschaften kein besonderer, spezifisch konzernrechtlicher Haftungsmaßstab gilt: Siehe unten § 2.II.4.a). 82 Lutter in: FS Stimpel, S. 824, 826. Ähnlich Sugarman in: Regulating Corporate Groups in Europe, S. 20: "[D]ie typische Form der Unternehmensorganisation ist heute der Konzern." (Original in Englisch). 83 Vgl. Kezsbom/Satula/Goldman, 10 Virg. Env. L. J. 45 (1990); Hansmann/Kraakman, 100 Yale L. J. 1879, 1880 (1991). Zur Bedeutung von M & A-Aktivitäten für Konzernierungstendenzen in den USA: Ebke in: Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, S. 279, 310. 84

Vgl. oben unter § 2.1.4.a).bb).

85

Unverständlich ist insofern, daß ein 1994 veröffentlichter Rechtsratgeber für Direktinvestoren in den USA allein die Eigentümerhaftung behandelt, die — weitgehendere — Betreiberhaftung hingegen mit keinem Wort erwähnt. Vgl. Del Duca/Turcon in: Grundlagen des US-amerikanischen Gesellschafts-, Wirtschafts-, Steuerund Fremdenrechts, S. 163, 168. 86

Ein ähnliches Bild der Rechtsprechung zur Haftung von Muttergesellschaften sowie individuellen Aktionären zeichnen Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 849f., und Worden, 30 Idaho L. Rev. 73, 74 (1993-94). Vgl. auch Oswald, 20 B.C. Envtl. Äff. L. Rev. 579, 581f. (1993).

46

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

heiten ausschließlich zuständig sind.87 Eine Entscheidung des U.S. Supreme Court, die entscheidend zu einer Vereinheitlichung der unübersichtlichen Rechtslage beitragen könnte, läßt weiter auf sich warten. Das höchste Gericht hat bislang alle Revisionsersuchen (writ of certiorari) in Verfahren zur Betreiberhaftung zurückgewiesen. So bleibt nur, eine Systematisierung des Fallmaterials zu versuchen und die Urteile nach den verschiedenen Haftungsstandards grob in drei Gruppen zu ordnen. 88

a) Ausübung von Kontrolle durch die Muttergesellschaft Die EPA hatte ihre Vorstellungen zur Auslegung des § 107 CERCLA in einem internen Memorandum vom 13. Juni 198489 zu Papier gebracht, das auch außerhalb der Behörde viel Beachtung fand. Nach Meinung der EPA sollte eine Muttergesellschaft für CERCLA-Verbindlichkeiten einstehen, wenn sie den Betrieb in der fraglichen Anlage ihrer Tochter "kontrollierte oder leitete". 90 Dem haben sich eine Reihe von Gerichten — in bewußter Auseinandersetzung oder wenigstens inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Memorandum — prinzipiell angeschlossen. Dabei kam es freilich zu wesentlichen Modifikationen des EPAStandards.

aa) Colorado v. Idarado Mining Co. 91 Die, soweit ersichtlich, erste Entscheidung in dieser Kategorie betrifft die Newmont Mining Corp., deren Tochtergesellschaft Idarado Mining Co. im Bundesstaat Colorado eine Mine unterhielt. Newmont hatte stets zwischen 27,2 und 89,9 %, seit 1962 beständig 80,1 % der Aktien an Idarado in ihrem Besitz. Die leitenden Angestellten und directors 92 beider Gesellschaften waren seit 1939

87

Vgl. 42 U.S.C. § 9613(b) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 63)). Daher ist es im Zusammenhang mit dem CERCLA unbeachtlich, daß die Gerichte der Gliedstaaten — worauf McMahon/Moertl, 3 Nat. Res. & Env't, No. 3 (Fall 1988), S. 29, hinweisen — auch in Umwelthaftungsfällen weiterhin in traditionellen Haftungskategorien verharren. 88

Dieselbe Unterteilung nimmt etwa Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 781, vor.

89

Abgedruckt in: Practising Law Institute , Acquiring or Selling the Privately Held Company 1986, S. 265ff. 90

A.a.O., S. 266 (Original in Englisch).

91

18 ELR 20578 (D.Colo. Apr. 29, 1987).

92

Der Begriff "director" wird hier und im Folgenden bewußt nicht übersetzt, da es eine vergleichbare Funktion im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht nicht gibt: Die directors sind gewissermaßen zwischen den Vorstands- und den Aufsichtsratsmitgliedern

. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

47

weitgehend identisch. Außerdem galten einheitliche Grundsätze für die Einstellung und Bezahlung von Mitarbeitern. Newmont erbrachte gegen Vergütung eine Reihe von Dienstleistungen für ihre Tochter: Sie unterhielt Kontakte zu Behörden, vermittelte Versicherungsschutz und leistete Beratung in technischen, finanziellen, steuerlichen, rechtlichen sowie insbesondere Umweltfragen. Entscheidend scheint für das Gericht zu sein, daß Newmont von 1944 an bis zuletzt über die Umweltprobleme des Minenbetriebs informiert und an Bemühungen um deren Bewältigung beteiligt war. Newmont selbst holte zu diesem Zweck beispielsweise technische Gutachten ein. Daneben betont das Urteil die allgemeine Mitwirkung von Newmont an den Geschäften von Idarado. Diese erstreckte sich auf die Emsteilung, Entlassung und Vergütung von Idarado-Mitarbeitern ebenso wie auf die Unternehmenspolitik der Tochter. Auch verhandelte und Schloß die Geschäftsführung von Newmont einige Verträge im Namen von Idarado — wobei die selbständige Existenz beider Gesellschaften nicht immer deutlich wurde. 1971 schließlich gründete Newmont eine 100%ige Tochtergesellschaft, die das Management von Idarado und anderen Konzerngliedern übernahm. Das Gericht kommt zu dem Schluß, daß Newmont "beherrschende" und "tatsächliche, eigenhändige Kontrolle" über den Betrieb von Idarado ausübte. Daher sei Newmont als "Eigentümerin und Betreiberin" ihrer Tochtergesellschaft und von deren Anlagen für die Sanierung der Mine verantwortlich. 93 Der Hinweis auf die Eigentümerhaftung ebenso wie einige der vom Gericht herangezogenen Kriterien scheinen den Schluß zuzulassen, daß dem Urteil tatsächlich ein traditioneller Haftungsdurchgriff zugrundeliegt. 94 Andererseits bemüht sich das Gericht explizit, die Haftung von Newmont im Wege der Auslegung von § 107(a) CERCLA zu begründen. Es beruft sich dabei auf andere Urteile zu einer direkten Betreiberhaftung, so daß auch die vorliegende Entscheidung zu dieser Gruppe zu rechnen ist. 95

i. S. d. AktG einzuordnen, da ihnen (zumindest theoretisch) das eigentliche Management, jedoch mit Ausnahme des Tagesgeschäfts, obliegt. Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rz. 483. 93

Colorado v. Idarado Mining Co., 18 ELR 20578, 20579 (D.Colo. Apr. 29, 1987).

94

In diesem Sinne äußert sich Birg, 43 Emory L. J. 772, 807 (1994).

95

So im Ergebnis auch Blankenship/Mandel, Noonan, 68 Wash. U. L. Q. 733, 745f. (1990).

4 Tul. Env. L. J. 213, 236f. (1990);

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

48

bb) Rockwell Intern. Corp. v. IU Intern. Corp. 96 Rockwell hatte im Jahre 1982 alle Aktiva des Unternehmens Hills-McCanna übernommen, darunter auch eine Anlage, wo später verschiedene Gefahrstoffe entdeckt wurden. Die Anlage hatte bis dahin kontinuierlich im Eigentum von direkten oder indirekten Tochtergesellschaften von IU gestanden; auch HillsMcCanna gehörte zum mehrstufigen IU-Konzern. Da Rockwell bereits erhebliche Aufwendungen für die Sanierung der Altlast getätigt hat, nimmt sie IU im Wege des Innenausgleichs in Anspruch. Das Gericht läßt offen, ob ein Durchgriff gerechtfertigt ist und IU als Eigentümerin der Anlage ihres Tochterunternehmens behandelt werden kann. 97 Dagegen sei ausreichend dargelegt, daß IU an der Geschäftsführung des Standorts beteiligt war und tatsächlich Kontrolle über dessen Betrieb ausübte. Insofern erachtet das Gericht die folgenden Punkte als wesentlich: IU stellte leitende Angestellte der jeweils anlagebetreibenden Untergesellschaft ein oder stimmte solchen personellen Entscheidungen zu. Einige Führungskräfte von Hills-McCanna hatten zugleich leitende Positionen bei IU inne. IU legte auch die Aufgabenbereiche der von ihr eingestellten Personen fest. Überdies waren Manager und Prüfer des Mutterunternehmens am Anlagestandort engagiert. Erstere entwickelten das technische Verfahren, genehmigten Pläne zum Anlagebetrieb und kontrollierten deren Einhaltung. Prüfer von IU regten Änderungen gerade solcher Verfahren an, die unmittelbar die Beseitigung toxischer Substanzen betrafen. Hinzu kam, daß sich I U in der Öffentlichkeit selbst als Betreiberin der Anlage präsentierte. Aus alldem leitet das Urteil ab, daß IU die Anlage "in fortgesetzter Weise" betrieb. 98 Zu berücksichtigen ist, daß dieses Ergebnis noch nicht unmittelbar zur Inanspruchnahme von IU führte: Das Gericht wies lediglich einen Antrag der Beklagten auf Klageabweisung im summarischen Verfahren (summary judgment) zurück. 99 Eine solche Klageabweisung wäre nur dann angebracht gewesen, wenn die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen hätte, die es zuließen, IU als Betreiberin haften zu lassen.100 Diese prozessuale Hürde nahm Rockwell mit den Darlegungen zur Beteiligung von IU.

96

702 F.Supp. 1384 (N.D.III. 1988).

97

A.a.O., S. 1390.

98

A.a.O., S. 1390f. (Original in Englisch).

99

Vgl. a.a.O., S. 1391.

100

Ein Urteil im summarischen Verfahren kommt nur in Frage, wenn keine entscheidungsrelevanten Tatsachenfragen (genuine issues of material fact) umstritten sind, Fed.R.Civ.P. 56(c). Vgl. Gifis, a.a.O. (Fn. 73), S. 473f.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

49

cc) U.S. v. Nicolet, Inc. 101 In diesem Rechtsstreit hat sich Nicolet als Hauptbeklagte und gegenwärtige Eigentümerin des Altlastenstandorts bereits mit der EPA verglichen. Es geht daher nur noch um die Haftung der Τ & Ν pic., die nach einer Streitverkündung (thirdparty complaint) durch Nicolet in den Prozeß hineingezogen wurde. Τ & Ν , eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts, war von 1934 bis 1938 Mehrheits- und dann bis 1962 Alleinaktionärin der Keasbey & Mattison Co. gewesen. Letztere, eine Gesellschaft mit Sitz in Pennsylvania, hatte dort eine Fabrik und zwei Mülldeponien betrieben. Die gesamte Anlage war 1962 an Nicolet verkauft worden. 21 Jahre später hatte die EPA das Entweichen asbesthaltiger Stoffe diagnostiziert und das Gelände saniert. Auch diese Entscheidung ergeht aufgrund eines Antrags (von Τ & Ν ) auf summarische Klageabweisung. Das Gericht setzt sich daher nur auszugsweise und relativ knapp mit den fünf Haftungstheorien auseinander, auf die sich die Klage der Bundesregierung stützt. 102 Zu einem Durchgriff auf Τ & Ν als Muttergesellschaft von Keasbey & Mattison entwickelt das Urteil einen auf CERCLA zugeschnittenen bundesrechtlichen Standard. 103 Neben dieser derivativen hält das Gericht aber auch eine direkte Haftung von Τ & Ν als Eigentümerin und Betreiberin 104 für möglich. Verantwortlich mache sich eine Muttergesellschaft, die am Management ihrer Tochter "aktiv partizipiert". 105 Weiterhin hafte Τ & Ν , wenn sich bestätige, daß: Τ & Ν mit der Gefahrstoffbeseitigungspraxis von Keasbey & Mattison vertraut war, von dieser Praxis profitierte sowie die Beseitigung kontrollieren und Schäden durch den Austritt gefahrlicher Stoffe verhindern konnte. 106 Die zuletzt zitierte Aussage des Gerichts läßt sich so verstehen, als stelle schon die Möglichkeit der Kontrolle durch die Muttergesellschaft eine hinreichende Haftungsgrundlage dar. 107 Dies ist jedoch alles andere als klar, da das Gericht im

101

712 F.Supp. 1193 (E.D.Pa. 1989).

102

Vgl. a.a.O., S. 1199f.

103

Hierzu näher unten § 3.1.1 .b).

104

Mit der kumulativen Bezugnahme auf owner und operator folgt das Gericht dem Klageschreiben der Bundesregierung. Wie geschildert, differenziert die NicoletEntscheidung jedoch zwischen derivativer und direkter Haftung. Daß der Eigentümerbegriff auch im Rahmen der direkten Haftung diskutiert wird, ist daher offenbar nur eine terminologische Ungenauigkeit. 105

U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1203 (E.D.Pa. 1989) (Original in Englisch). 106 A.a.O., S. 1203f. 107

In diesem Sinne denn auch Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 806.

4 Ochscnfcld

50

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

selben Atemzug erneut von "direkte[r] Haftung einer Muttergesellschaft, die am Management ihrer Tochter partizipiert", 108 spricht. Ob hier zwei voneinander unabhängige Standards direkter Verantwortlichkeit formuliert werden, ist daher fraglich. 109 Gesichert erscheint nur, daß diesem Urteil zufolge die tatsächlich ausgeübte Kontrolle eine Einstandspflicht der Muttergesellschaft begründet.

dd) U.S. v. McGraw-Edison Co. 1 1 0 Auch in diesem Fall ist nicht ganz eindeutig, welchen Haftungsstandard das Gericht anwendet. Zu Mißverständnissen verleitet bereits, daß wiederum nicht zwischen Eigentümer- und Betreiberhaftung unterschieden wird; 1 1 1 doch wurde das Notwendige dazu bereits im Zusammenhang mit Idarado Mining gesagt. Das Verständnis der vorliegenden Entscheidung wird dadurch weiter erschwert, daß es auch hier nur um einen Antrag der Beklagten, der W.R. Case & Sons Cutlery Co., auf summarische Klageabweisung geht. Das Gericht verwirft dieses Begehren mit den Worten: Das Beweismaterial "wirft genuin umstrittene wesentliche Sachfragen auf, die Cases tatsächliche Beteiligung am täglichen Betrieb von Alcas betreffen". 112 Sowohl die Verwendung des Ausdrucks "tatsächlich" als auch die anschließend angeführten Präzedenzfälle lassen den Schluß zu, daß sich das Gericht an der von Case wirklich ausgeübten Kontrolle orientiert. 113 Der Entscheidung liegen folgende Fakten zugrunde: McGraw-Edison Co., A V X Corp. und Alcas Cutlery Corp. verursachten gemeinsam Trichlorethylen (TCE)Verunreinigungen im Grundwasser der Stadt Olean im Staat New York. Case hielt 49 %, also nur eine Minorität, der Alcas-Stammaktien. Dennoch wurde sie von der EPA für einen Teil der Kosten herangezogen, die bei Maßnahmen gegen die drohende Verseuchung des Trinkwassers angefallen waren. Die Behörde wies daraufhin, daß Case und Alcas in mehrfacher Hinsicht verflochten seien. So war Case vertraglich verpflichtet, ihr technisches Wissen für Alcas' Herstellungsprozesse zur Verfügung zu stellen. Auch war ein leitender Angestellter für beide

108

U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1204 (E.D.Pa. 1989) (Original in Englisch). 109

Ähnliche Zweifel äußern Aronovsky /Fuller, 24 U. S. F. L. Rev. 421, 446, Fn. 108 (1990); Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 309; vgl. auch O'Hara, 6 S. C. Comp. & High Tech. L. J. 1, 10 (1990). 110

718 F.Supp. 154 (W.D.N.Y. 1989).

111

Vgl. a.a.O., S. 156f.

112

A.a.O., S. 157 (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

113 So im Ergebnis wohl auch Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), 1997 Supplement, S. 263; Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 312 u. Fn. 288.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

51

Gesellschaften gleichzeitig tätig. Mit Blick auf diese Umstände stellt das Gericht fest, Case könne sich nicht allein mit dem Hinweis entlasten, sie sei nur Minderheitsaktionär von Alcas gewesen.114

ee) U.S. v. Kayser-Roth Corp. 115 Dieser Fall hat sich als Leitentscheidung und Lehrbuch-Beispiel 116 etabliert: Er gilt als die Autorität schlechthin, wenn die CERCLA-Haftung einer Muttergesellschaft infolge von aktiver Kontrolle über ihre Tochter zu begründen ist. 117 Er ragt gegenüber anderen Entscheidungen aus dieser Kategorie heraus, weil das Urteil (des Revisionsgerichts) klar strukturiert ist und die Grenzen der Einstandspflicht näher umreißt; vor allem handelt es sich um einen der wenigen zweitinstanzlichen Richtersprüche zu § 107(a)(2) CERCLA — und damit um einen wichtigen Orientierungspunkt für die Rechtspraxis. Im Ergebnis läßt das Bundesappellationsgericht für den ersten Bezirk — wie bereits die Vorinstanz — Kayser-Roth für Sanierungskosten in Höhe von fast 847.000 US-Dollar haften. Eine Tochtergesellschaft von Kayser-Roth, Stamina Mills, Inc., stellte in North Smithfield im Staat Rhode Island von 1952 bis 1975 Textilien her. Zu deren Reinigung wurde TCE gebraucht, das sich zu Beginn der 80er Jahre dann sowohl auf dem Fabrikgrundstück als auch in nahegelegenen Trinkwasserreservoirs wiederfand. Da Stamina Mills im Jahre 1977 aufgelöst wurde, kommen nur noch Ansprüche gegen Kayser-Roth in Frage. In ihrer Sachverhaltsanalyse unterscheiden beide Instanzen klar zwischen derivativer Eigentümer- 118 und direkter Betreiberhaftung. Schon die erste Instanz unterstreicht, daß allein der Aktienbesitz eine Muttergesellschaft nicht zur verantwortlichen Person mache. Maßgeblich sei vielmehr das Ausmaß der Kontrolle über Management und Betrieb des Tochterunternehmens. Diese Kontrolle sei hier "beherrschend" und "total" gewesen und kennzeichne Kayser-Roth als Betreiberin. 119 Das Revisionsgericht erkennt, welche Brisanz eine solche Haftung für Obergesellschaften in sich birgt, die als leitende Unternehmen in einem Konzern fast zwangsläufig mehr oder weniger intensive Kontrolle über andere Konzernglieder ausüben. Es sei daher

114

U.S. v. McGraw-Edison Co., 718 F.Supp. 154, 157 (W.D.N.Y. 1989).

115

724 F.Supp. 15 (D.R.I. 1989), aff'd,

116

Siehe etwa Hamilton, Cases and Materials on Corporations, S. 313ff.

910 F.2d 24 (1st Cir. 1990).

117

Vgl. Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 86, der Kayser-Roth den "am häufigsten zitierten Fall" nennt (Original in Englisch). 118 119

Zur derivativen (Durchgriffs-)Haftung siehe unten § 3.1.1.

U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22f. (D.R.I. 1989) (Original in Englisch). 4*

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

52

"offensichtlich nicht der Normalfall, daß die Mutter eines 100%igen Tochterunternehmens dessen Betreiberin ist. [...] Minimale Voraussetzung dafür ist eine aktive Beteiligung an den Aktivitäten der Tochter." 120 Zum Nachweis des von Kayser-Roth ausgeübten Einflusses zieht das Distriktgericht zunächst allgemeine Kriterien heran: Kontrolle in Finanzangelegenheiten einschließlich der Einziehung von Forderungen; Beschränkungen des Haushalts von Stamina Mills; Übernahme aller Kontakte mit öffentlichen Stellen; Zustimmungserfordernisse für Immobilienkäufe, -Verkäufe und -leasing sowie für alle Ausgaben von jeweils mehr als 5.000 US-Dollar; und schließlich Besetzung fast aller Führungspositionen bei Stamina Mills mit Kayser-Roth-Mitarbeitern. Als "beispielhaft" für die Kontrolle weist das erstinstanzliche Urteil dann noch auf Umstände hin, die einen Nexus zwischen Kayser-Roths Verhalten und der Entstehung der Altlast erkennen lassen. So wird festgestellt, daß es in KayserRoths Macht stand, den (drohenden) Austritt von TCE zu bekämpfen und die Verursachungsmechanismen zu steuern: Auf diese Weise sei die Muttergesellschaft in der Lage gewesen, Schäden zu verhindern beziehungsweise zu verringern. 121 Worte wie "Macht" und "Fähigkeit" in dieser Passage des Urteilstextes lassen für einen Augenblick Zweifel aufkommen, ob das Gericht die Haftungsfolge nicht bereits an die bloße Möglichkeit von Kontrolle knüpfen will. 1 2 2 Das (erstinstanzliche) Gericht relativiert seine Aussagen aber selbst, indem es aufzeigt, daß Kayser-Roth in einem Fall tatsächlich mit der TCE-Verwendung bei Stamina Mills befaßt war. Abschließend wird nochmals klargestellt, daß die Fähigkeit zur Einflußnahme in Umweltangelegenheiten "nicht alleinentscheidend" sei und nur im Verbund mit den anderen Beispielen beherrschender Kontrolle zur Haftung führe. 123

ff) City of New York v. Exxon Corp. 124 Die Einstandspflicht von Refinement International, Inc. für Schäden durch die Anlage ihrer Tochtergesellschaft Newtown Refining Corp. ist nur ein Mosaikstein

120 U.S. v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 27 (1st Cir. 1990) (Original in Englisch). 121 U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22f. (D.R.I. 1989) (Original in Englisch). 122

Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 314, Fn. 295, bemerken eine vergleichbare Unklarheit in einer Fußnote der zweitinstanzlichen Entscheidung. Sie ordnen die betreffende Aussage jedoch zurecht als bloßes obiter dictum ein. 123 U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22f. (D.R.I. 1989) (Original in Englisch). 124

112 Bankr. 540 (S.D.N.Y. 1990).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

53

in diesem Mammutprozeß. Es geht darin um die Haftung einer Vielzahl von Unternehmen als Erzeuger und Transporteure von Gefahrstoffen, die unzulässigerweise auf fünf Kippen der Stadt New York abgelagert wurden. Da auch Refinement nur gemäß § 107(a)(3) und (4) CERCLA als arranger bzw. transporter in Anspruch genommen wird, wird hier auf eine ausführliche Diskussion der Fakten verzichtet. Gleichwohl verdient dieser Fall im Rahmen einer Analyse der Betreiberhaftung erwähnt zu werden: Das Gericht selbst hält die Voraussetzungen der Haftung innerhalb der vier Kategorien von Verantwortlichen für übertragbar. 125 Die Entscheidung stellt heraus, daß die bloße Fähigkeit einer Muttergesellschaft zur Kontrolle von Angelegenheiten ihrer Tochter eine direkte Haftung nicht trage. Erforderlich sei vielmehr "eine Form aktiver Beteiligung an und tatsächlicher Kontrolle über" diese Angelegenheiten.126 Das Gericht nennt eine Reihe von Indizien dafür, daß Refinement sowohl auf Newtown allgemein als auch auf deren Gefahrstoffbeseitigung Einfluß nahm. Daraus ergebe sich fast zwangsläufig, daß die Muttergesellschaft über die illegalen Praktiken ihrer Tochter informiert war. 127 Welche Rolle solche Kenntnis bei der Prüfung tatsächlicher Kontrolle spielen soll, wird nicht erklärt. Das Urteil zieht aus alldem eine Schlußfolgerung, die vielleicht kurios, auf jeden Fall aber bemerkenswert und innerhalb der CERCLA-Rechtsprechung wohl einmalig ist: "[W]ir sind fest davon überzeugt, daß Refinement — als eine Muttergesellschaft, die an den Angelegenheiten ihrer Tochter extensiv beteiligt war — eine positive Pflicht hatte sicherzustellen, daß ihre Tochter die Öffentlichkeit angemessen vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken [...] schützte." 128 Diese Pflicht ergebe sich aus dem CERCLA und gelte daher rückwirkend. 129 Offen bleibt freilich ihre genaue Bedeutung: ob sich das Gericht eine bloße Obliegenheit vorstellt, oder ob es möglich sein soll, eine Pflichtverletzung auch unmittelbar zu sanktionieren. Im Ergebnis wird Refinement direkt haftbar gemacht.130 Das vermag an sich kaum zu überraschen, doch ist hier ein besonderes Augenmerk auf die prozessuale Situation zu richten. Die klagende Stadt New York hat beantragt, Refinement im summarischen Verfahren zu verurteilen. 131 Das Gericht entspricht dem mit den 125

Vgl. a.a.O., S. 547.

126

A.a.O., Fn. 9 (Original in Englisch).

127

A.a.O., S. 549ff., insbesondere S. 550.

128

A.a.O., S. 552 (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

129

A.a.O., Fn. 13.

130

A.a.O., S. 552.

131 Im Vergleich zu einigen der vorstehenden Fälle — dort hatte jeweils der Kläger eine Abweisung der Klage beantragt — findet dieses summarische Verfahren also unter umgekehrten Vorzeichen statt.

54

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Worten, "kein vernünftiger Juror könnte anders entscheiden", als die Muttergesellschaft haften zu lassen.132 Diese Feststellung sollte allerdings nicht überbewertet werden: Immerhin ergeht die Entscheidung in einem äußerst komplexen, bereits fünf Jahre währenden Prozeß. Der Sachverhalt ist daher möglicherweise wirklich so detailliert aufgeklärt, daß an der Kontrolle von Refinement über Newtown keine Zweifel bestehen.133

gg) United States v. Allied Chem. Corp. 134 Die beklagte Earth Sciences, Inc., wehrt sich mit einem Antrag auf summarische Klageabweisung dagegen, für die Kosten der Sanierung einer zinkverarbeitenden Fabrik in Colorado herangezogen zu werden. Chemical and Pigment Co., die ursprüngliche Eigentümerin der Fabrik, war im Jahre 1979 von ESI Chemicals übernommen worden. Bei ESI handelte es sich um eine eigens zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft von Earth Sciences: Das Mutterunternehmen hatte den Anspruch auf die Chemical and Pigment-Anteile an ESI abgetreten und die Transaktion mit einem Darlehen finanziert. Aus diesem Darlehen brachte Earth Sciences 500.000 US-Dollar als Eigenkapital in ESI ein; weitere 3,5 Millionen US-Dollar erhielt ESI ihrerseits in Form eines Darlehens, das jedoch in der Folgezeit nicht zurückgezahlt wurde. 1983 wurde die Anlage an den früheren Aktionär von Chemical and Pigment rückübereignet. Offensichtlich wurden diese Transaktionen mit dem Ziel konzipiert, das Haftungsrisiko für Earth Sciences zu minimieren — doch die Mühe erwies sich als vergeblich: Das Gericht setzt sich mit den Ausführungen der Beklagten, ein Durchgriff auf Earth Sciences sei nicht gerechtfertigt, nicht näher auseinander. Es befürwortet statt dessen eine direkte Haftung von Earth Sciences wegen deren aktiver Beteiligung am Geschäftsbetrieb von ESI beziehungsweise der Anlage selbst. 135 Ob sich die Einflußnahme auf die Tochtergesellschaft allgemein oder gerade auf die Anlage beziehen muß, wird nicht ausdrücklich gesagt. Die Entscheidung verweist vielmehr darauf, daß noch unklar sei, woraus sich die Inanspruchnahme von ESI als der primär verantwortlichen Person herleite: aus

132

City of New York v. Exxon Corp., 112 Bankr. 540, 552 (S.D.N.Y. 1990) (Original in Englisch). 133

Dafür läßt sich anführen, daß die Stadt New York in großem Umfang auf eidesstattliche Erklärungen sowie auf Zeugenaussagen in einem früheren Verfahren verweisen kann (a.a.O., S. 549ff.). Das Gericht nimmt denn auch ausdrücklich auf die Aktenlage Bezug: "Taking the record before us as a whole [...]" (a.a.O., S. 552). 134

1990 U.S. Dist. LEXIS 11695 (N.D.Cal.).

135

Vgl. a.a.O., S. 4f.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

55

deren Eigentümer- oder Betreiberstellung zu einem Zeitpunkt, als Gefahrstoffe beseitigt wurden (§ 107(a)(2) CERCLA), oder nur aus der Übernahme der Chemical and Pigment-Aktien. 136 Im letzteren Fall scheide es von vornherein aus, Earth Sciences als Betreiberin haften zu lassen.137 Daran leuchtet ein, daß Earth Sciences zum entscheidenden Zeitpunkt keine Kontrolle über die Anlage ausgeübt haben kann, wenn ESI selbst damals weder Eigentümerin noch Betreiberin war. So gesehen, werfen diese Ausführungen des Gerichts (etwas) Licht auf die Frage, welcher Anknüpfungspunkt für die Haftung als maßgeblich erachtet wird. Zwar bleibt es danach grundsätzlich möglich, auf Kontrolle über die Tochtergesellschaft insgesamt abzustellen; zeitlich soll diese jedoch offenbar mit der Abfallbeseitigung zusammenfallen. Würde das Gericht auch die temporale Dimension von Kontrolle noch allgemeiner verstehen, käme eine Haftung von Earth Sciences als Betreiberin nämlich auf jeden Fall — das heißt unabhängig von der Vorfrage, woraus die Verantwortlichkeit von ESI folgt — in Betracht: Zu prüfen wäre dann nur, ob zu irgendeinem Zeitpunkt der Einfluß der Muttergesellschaft ausreichend war. Gerade das genügt dem Gericht indes erkennbar nicht.

hh) Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc. 138 American Home Products Corp. (ΑΗΡ) hatte von 1942 bis 1950 alle Anteile an Harmon Color Works gehalten, einem Unternehmen, das organische Pigmente für die Farbenindustrie herstellte. Das gesamte Betriebsvermögen, einschließlich des Fabrikgrundstücks in New Jersey, war — nach vorübergehendem Besitz durch zwei weitere Gesellschaften — im Jahre 1977 schließlich an Harmon Colors Corp. verkauft worden. Nachdem Harmon Colors auf ihre Schwestergesellschaft Mobay verschmolzen worden war, sah sich letztere in der Mitte der 80er Jahre mit einer unerfreulichen Entdeckung auf dem Fabrikgelände konfrontiert: Grundwasserproben der Umweltbehörde zeigten eine Verseuchung mit flüchtigen organischen Verbindungen und Schwermetallen. Mobay versucht jetzt, ΑΗΡ an den Kosten der bereits begonnenen Sanierung zu beteiligen. Das Gericht zitiert sämtliche oben diskutierte Präzedenzfälle und schließt sich unter Hinweis auf deren Überzeugungskraft der Kayser-Roth-Enischs\à\ing an. Maßgeblich sei demnach nicht der strikte Standard für eine Durchgriffshaftung; vielmehr hafte ΑΗΡ "für die Aktivitäten von Harmon Color Works, wenn sie

136

Zu dieser Form von Nachfolgehaftung siehe unten § 6.1.2.

137

United States v. Allied Chem. Corp., 1990 U.S. Dist. LEXIS 11695, S. 6 (N.D.Cal.). 138

761 F.Supp. 345 (D.N.J. 1991).

56

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Kontrolle über die Aktivitäten ihrer Tochtergesellschaft ausübte oder aktiv daran beteiligt war". 139 Diese Wortwahl ist insofern unglücklich, als daraus der direkte Charakter der Haftung nicht deutlich wird. Doch ist die Bezugnahme auf die Aktivitäten der Tochter wohl nur als Beschreibung des Haftungsgrundes zu verstehen, nicht als Formulierung einer derivativen Einstandspflicht. Letztlich wird ohnehin offengelassen, ob ΑΗΡ verantwortlich ist: Zu entscheiden ist lediglich über deren Antrag auf Klageabweisung im summarischen Verfahren. Dieser wird zurückgewiesen, weil es noch weiterer Tatsachenfeststellungen bedarf. 140

ii) CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp. 141 (1) Haftung der (wider-) beklagten CPC International, Inc. Wesentlich ergiebiger für eine Analyse der Faktoren, die zur Haftung einer Muttergesellschaft führen, ist der Fall von CPC. Deren 100%ige Tochter Four Lakes war 1965 mit einem Eigenkapital von 1.000 US-Dollar gegründet worden, um die Aktiva der Ott Chemical Company zu übernehmen. Die Ott-Aktionäre erhielten im Gegenzug CPC-Aktien. Four Lakes führte den früheren Namen des Unternehmens weiter, firmierte also fortan als "Ott Chemical Company", und behielt die leitenden Angestellten von Ott. Auch der Großteil der Abnehmer blieb erhalten. Allerdings wurde die Übernahme durch CPC sowohl Geschäftspartnern als auch der Öffentlichkeit gegenüber bekanntgemacht. Auch das Gesicht des Unternehmens änderte sich, da CPC innerhalb weniger Jahre mit Millionenaufwand die Expansion von Ott betrieb. Damit nahm zugleich die Umweltverschmutzung neue Dimensionen an. Ott produzierte eine Reihe organischer Chemikalien zur Weiterverwendung in der Pharmazie, Veterinärmedizin und Landwirtschaft. Durch Pannen und unsorgfältiges Arbeiten gelangten toxische Stoffe in den Boden; außerdem wurde belastetes Abwasser in angrenzende Lagunen geleitet. Versuche von Ott, dem mit technischen Maßnahmen zu begegnen, blieben offenbar erfolglos.

139

A.a.O., S. 354 (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

140

Vgl. a.a.O.

141

777 F.Supp. 549 (W.D.Mich. 1991), off'd in part, rev'd in part sub nom U.S. v. Cordova Chemical Co. of Michigan, 59 F.3d 584 (6th Cir. 1995). Das zweitinstanzliche Urteil, das sich im Gegensatz zur Vorinstanz prinzipiell gegen eine Direkthaftung ausspricht, wurde in 67 F.3d 586 (6th Cir. 1995) zunächst aufgehoben (und daher an dieser Stelle nicht näher berücksichtigt), im Mai 1997 aber in einem en banc-Verfahren vor dem Bundesappellationsgericht für den 6. Bezirk überraschend bestätigt (siehe 28 ELR 156, May 23, 1997).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

57

Das Gericht trifft detaillierte Feststellungen zur Verflechtung zwischen der Ober- und der Untergesellschaft. 142 Zumindest eine Mehrheit der Ott-directors bestand stets aus CPC-Vertretern bzw. Personen, die von CPC ausgewählt wurden. Der Vorsitzende des board 143 war immer ein führender CPC-Manager. Da der board eine ausgesprochen aktive Rolle spielte, kontrollierte CPC auf diese Weise alle wichtigen Entscheidungen ihrer Tochter. Daneben war sie sogar am Tagesgeschäft aktiv beteiligt, da CPC-Manager führende Positionen bei Ott bekleideten. Einige dieser Personen mit Doppelfunktion arbeiteten nicht mehr an einem Schreibtisch bei Ott sondern in der New Yorker Zentrale von CPC. Otts Generaldirektor unterstand unmittelbar dem Generaldirektor von CPC. Die damit verbundene Einflußnahme auf das Management betraf Entscheidungen über die Gefahrstoffbeseitigung, den Ein- und Verkauf, das Marketing, die Produktion und das Personal. Sie war so umfassend, daß es mehrfach zu erheblichen Friktionen zwischen den Geschäftsleitungen von Mutter und Tochter kam. Eine dritte Säule, auf der die Kontrolle durch CPC ruhte, war eine andere Konzerntochter, die eine umfassende Aufsichtsfunktion für die gesamte CPC-Gruppe wahrnahm. Auch Ott gegenüber empfahl sie verschiedene betriebliche Änderungen und übte in dieser Hinsicht Druck aus. Neben der Kontrolle in finanziellen, arbeitsrechtlichen und anderen allgemeinen geschäftlichen Angelegenheiten widmet sich das Urteil besonders dem Einfluß von CPC auf die Umweltpolitik von Ott. 144 Auch in diesem Bereich habe CPC aktiv partizipiert. Nicht nur diskutierte der — mit Vertretern der Muttergesellschaft besetzte — board mögliche Lösungen der Gefahrstoffbeseitigungsproblematik. Hinzu kam, daß CPCs director für Umweltfragen dieses Ressort für den gesamten Konzern wahrnahm. Er führte daher als Vertreter von Ott Gespräche mit Umweltbehörden und mahnte umgekehrt bei den OttBeschäftigten Zurückhaltung bei solchen Behördenkontakten an. In vielerlei Hinsicht nahm der director aus New York auf die Erfüllung umweltrechtlicher Mitteilungs- und Informationspflichten durch Ott Einfluß.

142

Vgl. a.a.O., S. 558ff.

143

Der board ist die Gesamtheit der directors , vgl. § 8.03(a) RMBCA sowie Gifis, a.a.O. (Fn. 73), S. 51. 144

Vgl. CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., I I I F.Supp. 549, 561f. (W.D.Mich. 1991). Gerade diesen Aspekt des vorliegenden Urteils stellt eine spätere Entscheidung in der gleichen Rechtssache als wesentlich heraus. Vgl. CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 825 F.Supp. 795, 799 (W.D.Mich. 1993).

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

58

Umfassend begründet wird schließlich, warum CPC gemäß § 107(a)(2) CERCLA direkt 145 hafte. Nach Überzeugung des Gerichts weitet der CERCLA die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Muttergesellschaften aus, ohne sich vollends vom Topos der Haftungsbeschränkung zu lösen. Der anzustrebende Mittelweg verbiete eine Einstandspflicht zu Lasten von Konzernmüttern, die nur auf eine Art und Weise an ihren Töchtern beteiligt sind, welche sich mit der zwischen beiden bestehenden "Investitions-Beziehung" vereinbaren lasse. Stattdessen sei zu prüfen, ob "tatsächlich die Geschäfte der Untergesellschaft betrieben" worden seien. Solche Einflußnahme müsse sich auf einen Zeitraum erstrecken, in dem Gefahrstoffe entsorgt wurden. 146 Als maßgeblich erachtet das Gericht die allgemeine Kontrolle durch die Muttergesellschaft ebenso wie ihre Rolle im Hinblick auf die Abfallbeseitigung. Auch die Funktion der Tochtergesellschaft innerhalb des Konzerns sei zu beachten. Weniger gewichtig seien demgegenüber Umstände, welche die Konzernmutter lediglich als "besonnene Investorin" auswiesen: Ertragskontrolle, Zentralisierung der Bereiche Buchführung und Recht oder Kooperation bei der Forschung. 147 In solch engen Grenzen habe sich die Partizipation von CPC freilich nicht mehr bewegt: "Wenn eine Muttergesellschaft den board , die Geschäftsführung und die Entscheidungsprozesse einer 100%igen Tochter durchdringt, die gefährliche Abfälle beseitigte, greift laut CERCLA eine direkte Betreiberhaftung ein." 148

(2) Haftung der beklagten Aerojet-General Corp. In ähnlicher Weise begründet das Gericht die Haftung von Aerojet-General. Deren indirekte Tochtergesellschaft Cordova Chemical Company hatte das Grundstück der früheren Ott-Fabrik 1978 übernommen. Die Schadstoffbelastung (die in der Zwischenzeit dramatische Formen angenommen hatte149) war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen; Aerojet-General hatte sich gegenüber der am Verkauf beteiligten Umweltbehörde des Staates Michigan verpflichtet, das Grundstück teilweise zu sanieren. Da diese Sanierung jedoch Stückwerk blieb, sah 145

Unabhängig davon prüft das Gericht auch eine derivative Haftung im Wege des Durchgriffs. Vgl. CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 574. Hierzu näher unten § 3.1.1. 146

A.a.O., S. 573 (Original in Englisch).

147

A.a.O. (Original in Englisch).

148

A.a.O., S. 575 (Original in Englisch).

149

Einige "Kostproben" aus dem Sachverhalt: Das Grundwasser war schaumig und von bräunlicher Farbe, Bodenaushub war violett gefärbt. Hunderte teils verrosteter und undichter Fässer mit Chemikalien lagen auf dem Fabrikgelände herum. Tanks mit explosivem Phosgen-Gas, das bei einem Entweichen für Menschen tödlich gewesen wäre, bedrohten die Bewohner der Umgebung. A.a.O., S. 562f.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

59

sich die EPA Anfang der 80er Jahre zu umfangreichen weiteren Maßnahmen gezwungen. Die Vereinbarung mit dem Staat Michigan bewahrte Cordova und Aerojet-General nicht davor, zur Finanzierung des von der EPA aufgestellten Drei-Stufen-Plans herangezogen zu werden. Das Gericht macht nicht nur die Tochtergesellschaft verantwortlich, sondern läßt auch die Konzernmutter haften — erst derivativ (im Wege des Durchgriffs) als Eigentümerin des Grundstücks, 150 dann direkt als Anlagebetreiberin. 151 Im Zusammenhang mit der Betreiberhaftung stützt sich das Urteil ausdrücklich auf das "Gerüst", das auch die Haftung von CPC trägt. Unbeeindruckt zeigt sich das Gericht davon, daß zwischen Aerojet und Cordova eine weitere, direkte Tochtergesellschaft geschaltet ist: Es wird schlicht festgestellt, daß sich die aktive Beteiligung und beherrschende Kontrolle auf die Geschäfte aller betroffenen Konzernglieder erstrecke. Dies ergebe sich aus der Mitwirkung an und Kontrolle über board , Geschäftsführung und Entscheidungen beider Töchter. 152 Zunächst verweist das Urteil darauf, daß Aerojet selbst die Verhandlungen mit dem Staat Michigan führte und die Tochtergesellschaften erst kurz vor dem Grundstückserwerb — und eigens zu diesem Zweck — gegründet hatte. Auch in der Folgezeit war Aerojet unmittelbar an den Entscheidungen zur Erweiterung der Anlage und zur Nutzung für den eigenen Konzern beteiligt gewesen. Nach den Feststellungen des Gerichts hatten die neugegründeten Töchter Funktionen übernommen, die zuvor von eigenen Abteilungen der Aerojet ausgeübt worden waren. De facto sei das Unternehmen als Einheit fortgeführt worden: Eine andere Konzerngesellschaft sei von der Belieferung durch Cordova abhängig gewesen. Im Gegenzug habe diese Gesellschaft für Cordova das Marketing, die Kundenakquisition sowie die Auftragsbearbeitung, Buchführung und Personalverwaltung übernommen. Auch an Verkaufs- und Produktionsplänen sowie Inventarkontrollen bei Cordova sei sie beteiligt gewesen. Hinzu kam, daß die boards beider Töchter nicht nur fast vollständig mit Aerojet-Mitarbeitern besetzt waren, sondern überdies nicht regelmäßig tagten. Da Aerojets Leute auch an den Schaltstellen in der Geschäftsführung saßen, war die Kontrolle der Muttergesellschaft allgegenwärtig. 153 Bemerkenswert ist allerdings, daß die Entscheidung keine Aussagen zur Kontrolle speziell über die Abfallbeseitigungspraktiken von Cordova trifft.

150

Siehe hierzu unten §3.1.1.

151

CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 578ff. (W.D.Mich.

1991). 152

A.a.O., S. 580.

153

Zum Ganzen: a.a.O., S. 567ff.

60

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften j j ) John S. Boyd Co., Inc. v. Boston Gas Co. 154

In diesem Fall, der in der zweiten Instanz vom gleichen Gericht entschieden wird wie knapp drei Jahre zuvor Kayser-Roth, geht es um die Haftung für eine Altlast auf dem Gelände einer ehemaligen Ölvergasungsanlage in Massachusetts. Diese war von 1888 bis 1959 durch die Lynn Gas Electric Co., eine vom New England Electric System (NEES) beherrschte Gesellschaft, betrieben worden. Nach einer Restrukturierung des NEES-Konzerns hatte die Anlage von 1959 bis 1972 zur neugegründeten Lynn Gas Company gehört, an der eine 100%ige Tochter von NEES 93 % der Anteile gehalten hatte. Diese Anteile waren 1973 im Zuge einer komplizierten Übernahmetransaktion zunächst an Eastern Enterprises gefallen. Eastern hatte Lynn Gas umgehend aufgelöst und deren Betriebsvermögen an die Boston Gas Company verkauft. Als die Ölvergasung längst eingestellt war, entdeckten die neuen Eigentümer auf dem Grundstück gefährliche Stoffe wie Kohleteer und -schlacke. Das Distriktgericht kommt schnell zu dem Ergebnis, daß Eastern weder derivativ als Eigentümerin des Grundstücks 155 noch direkt als Anlagebetreiberin haftbar gemacht werden könne. Es verweist darauf, daß die einzige Verbindung zwischen Eastern und der Anlage darin bestand, dem Verkauf aller Aktiva von Lynn Gas — einschließlich der Anlage — an Boston Gas zuzustimmen. "Eine einzige solche Maßnahme der Gesellschaft, ohne jeglichen Bezug zu Entscheidungen über den Betrieb der fraglichen Anlage, kann nicht ausreichen, um 4 die beherrschende Kontrolle, die Voraussetzung einer Betreiberstellung ist', nachzuweisen."156 Aus prozessualen Gründen beschäftigt sich offenbar erst das Appellationsgericht detailliert mit der Haftung von NEES als (indirekte) Muttergesellschaft von Lynn Gas Electric bzw. Lynn Gas. Die Vorinstanz hat eine solche Haftung befürwortet; dieses Ergebnis wird im Revisionsverfahren nur noch auf "offensichtliche Fehler" überprüft. 157 Solche Fehler vermag das Gericht nicht zu entdecken. Es stellt fest, daß die "Beziehung zwischen den in diesem Fall beteiligten Gesellschaften zur Genüge zeigt", daß NEES als Betreiberin verantwortlich sei. 158 Entscheidend seien insoweit folgende Faktoren: Der

154

775 F.Supp. 435 (D.Mass. 1991), aff'd,

155

Siehe hierzu unten §3.1.1.

992 F.2d 401 (1st Cir. 1993).

156

John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 441 (D.Mass. 1991) unter Bezugnahme auf United States v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 27 (1st Cir. 1990) (Original in Englisch). 157

John S. Boyd Co., Inc. v. Boston Gas Co., 992 F.2d, 401, 408 (1st Cir. 1993) (Original in Englisch). 158

Idem.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

61

Generaldirektor von Lynn Gas war zugleich Leiter des Gasgeschäfts bei NEES und vom Vorsitzenden des NEES-òoùvy/ ernannt; er unterstand unmittelbar Vertretern der Muttergesellschaft. NEES wählte auch die directors ihrer Tochter aus. Der Haushalt von Lynn Gas bedurfte der Genehmigung durch NEES; für alle Ausgaben von mehr als jeweils $ 5.000 US-Dollar war zudem eine gesonderte Zustimmung erforderlich. Hinzu kam, daß ein Service-Unternehmen der NEESGruppe umfangreiche Dienstleistungen auch für Lynn Gas erbrachte.

kk) In Re Tutu Wells Contamination Litigation 159 Nur am Rande dieses überaus komplexen Rechtsstreits geht es um die direkte Einstandspflicht der Exxon Corp. als Muttergesellschaft von Esso Standard Oil, S.A. Letztere gehörte zu einer Reihe von Unternehmen, die auf der Insel St. Thomas unterirdische Benzintanks und andere Anlagen unterhielten. Die EPA identifizierte diese Anlagen als Ursache von Verunreinigungen der Tutu-Quellen mit halogenierten Kohlenwasserstoffen. Im Laufe des jahrelangen Vorverfahrens (pre-trial discovery and motion practice) wurde neben Esso auch Exxon verklagt. Exxon hat beantragt, diesen Teil der Klage gemäß Fed.R.Civ.P. 12(b)(6) abzuweisen, da ein Anspruch gegen sie unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht komme. Sie beruft sich dabei auf eine Gerichtsentscheidung 160 , die eine direkte Inanspruchnahme von Muttergesellschaften pauschal abgelehnt hatte. Dieser Argumentation entzieht sich das Gericht mit dem Hinweis, der vorliegende Fall unterscheide sich sowohl tatsächlich als auch rechtlich von der Entscheidung, die Exxon zitiert habe. Der Klageschrift zufolge habe Exxon die Umweltpolitik ihrer Tochtergesellschaft Esso kontrolliert und sei aktiv an deren Umgang mit Gefahrstoffen beteiligt gewesen. Im übrigen gehe es hier um eine Betreiberhaftung, während das von Exxon angeführte Urteil vorrangig eine Haftung als Eigentümer im Auge habe.161 Zu folgen sei deshalb dem in KayserRoth und Nicolet formulierten Haftungsmaßstab. Da demnach eine direkte Haftung von Exxon durchaus in Betracht komme, sei eine Klageabweisung gemäß Fed.R.Civ.P. 12(b)(6) nicht gerechtfertigt. 162

159

846 F.Supp. 1243 (D.Virgin Islands 1993).

160

Nämlich den unten § 2.II.2.c).aa). wiedergegebenen Joslyn-Fall.

161

Diese Interpretation von Joslyn ist wohl nicht zutreffend; näher hierzu a.a.O.

162 In Re Tutu Wells Contamination Litigation, 846 F.Supp. 1243, 1271 (D.Virgin Islands 1993).

62

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften 11) Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp. 163

Tonolli Pennsylvania war zu Beginn der 70er Jahre von Tonolli Canada, einer Kapitalgesellschaft kanadischen Rechts, gegründet worden, um in Nesquehoning, Pennsylvania, Blei zu schmelzen und Metalle zu recyclen. Nachdem Tonolli Canada von 1972 bis 1976 Alleinaktionärin gewesen war, hatte das holländische Unternehmen IFIM sämtliche Anteile erworben und war so zur Obergesellschaft für Tonolli Pennsylvania und Tonolli Canada geworden. Die zuständige Wasserbehörde wurde Anfang der 80er Jahre auf eine mögliche Bleibelastung von Trinkwasserreservoirs in der Nähe der Schmelze aufmerksam. Nachdem Tonolli Pennsylvania in Konkurs gegangen war, machte die Behörde Ansprüche wegen der Kosten für weitere Untersuchungen und eventuelle Sanierungsmaßnahmen gegen die beiden früheren Muttergesellschaften geltend. Das Gericht lehnt es ab, eine direkte 164 Haftung von Tonolli Canada oder IFIM allein mit deren Möglichkeit, die Angelegenheiten von Tonolli Pennsylvania zu kontrollieren, zu begründen. Der "angemessene Mittelweg, der die Vorteile beschränkter Haftung gegen die Abhilfezwekke des CERCLA abwägt", liege vielmehr in der Anknüpfung an tatsächliche Kontrolle. 165 Damit wird ausdrücklich der in Kayser-Roth entwickelte Haftungsstandard angewandt. Das Urteil unterstreicht, daß eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Fakten geboten sei — unter besonderer Berücksichtigung des Ausmaßes der Beteiligung am Tagesgeschäft und an den unternehmerischen Entscheidungen der Untergesellschaft. 166 Die Entscheidung der Vorinstanz genügt diesen recht detaillierten und anspruchsvollen Erfordernissen offensichtlich nicht: Das Appellationsgericht verweist zur näheren Klärung der Frage, ob Tonolli Canada oder IFIM als Betreiberinnen in Frage kommen, an die Vorinstanz zurück (remand). 167 Feststellungen zur Rolle von IFIM bei Tonolli Pennsylvania fehlen ganz. Im Hinblick auf Tonolli Canada vermißt das Gericht vor allem Aussagen zur Identität leitender Angestellter bei der Mutter- und der Tochtergesellschaft. Zwar reiche solche Identität an sich noch nicht aus, um eine Einstandspflicht der Konzernmutter zu begründen; sie lasse jedoch immerhin Zweifel an der Unabhängigkeit der Tochter aufkommen. Wo ein leitender Angestellter keine reine Repräsentationsfigur sei, sondern "tatsächlich Kontrolle über beide Gesellschaften ausübte", sei

163

4 F.3d 1209 (3rd Cir. 1993).

164

Zu einer derivativen (Durchgriffs-)Haftung siehe unten § 3.1.1.

165

Lansford-Coaldale Water Authoritz v. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1221 (3rd Cir. 1993) (Original in Englisch). 166

A.a.O., S. 1222.

167

A.a.O., S. 1222 und 1226.

. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

63

eine Haftung auch der Muttergesellschaft angebracht. 168 Von untergeordneter Bedeutung 169 sind für das Gericht dagegen die Feststellungen der ersten Instanz zur wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Unternehmen im Konzern: Eine Patronatserklärung von Tonolli Canada im Hinblick auf Tonolli Pennsylvania war mit dem Verkauf des Tochterunternehmens an IFIM erloschen. Die Bleischmelze trug sich selbst, so daß Tonolli Pennsylvania in der Anfangsphase geleistete Vorschüsse ihrer Obergesellschaft bald zurückzahlen konnte. Beide Gesellschaften waren nicht nur formal in jeder Hinsicht getrennt; sie hatten auch jeweils eigene Betriebsmittel, Lieferanten, Kunden, technische Berater sowie getrennte Verkaufs- und Rechtsabteilungen. Die jährlichen Geschäftsführungsverträge 170 zwischen Mutter und Tochter wurden — ebenso wie andere Vereinbarungen — auf einer arm's length- Basis, also wie mit einem außenstehenden Dritten, abgeschlossen. Letzteres wird daraus gefolgert, daß es keine Anzeichen für manipulierte Konzernverrechnungspreise oder eine übermäßige Abschöpfung von Gewinnen gab. 171

mm) U.S. v. TIC Inv. Corp. 172 White Farm Equipment Company (WFE), ein Unternehmen der TIC-Gruppe, hatte landwirtschaftliche Geräte unter anderem in einer Fabrik in Charles City, Iowa, hergestellt. Bei der Produktion angefallene Gefahrstoffe wurden noch bis zu Beginn des Gerichtsverfahrens auf eine private Deponie verbracht. Für deren Sanierung nahm die Bundesregierung mehrere Gesellschaften des TIC-Konzerns in Anspruch — eines ausgesprochen verschachtelten Unternehmensverbunds, der wohl am treffendsten als mehrstufige Ein-Mann-Holding beschrieben ist: Dieser Mann, Stratton Geourgoulis, hielt sämtliche Anteile an der TIC Investment Corp.

168

A.a.O., S. 1223 (Original in Englisch).

169

Das Urteil selbst spricht hier von "subsidiary findings", also untergeordneten Tatsachenfeststellungen. A.a.O., S. 1223 u. 1224. 170

Diese Verträge sind, soweit aus dem Sachverhalt ersichtlich, nicht mit Beherrschungsverträgen i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG vergleichbar, die der amerikanischen Rechtspraxis in dieser Form unbekannt sind: Im vorliegenden Fall ging es wohl nur um die Vereinbarung einer Vergütung für Buchhaltung und EDV-Beratung durch Tonolli Canada. Vgl. a.a.O., S. 1223. 171

Eine solche Schlußfolgerung ist gewagt und läßt erkennen, daß dem Gericht nicht bewußt ist, wie schwierig die Bewertung von Konzernverrechnungspreisen oder die Diagnose eines unzulässigen asset-stripping ist. Vgl. zu diesen Aspekten unten § 4.II.l.b).bb). 172

866 F.Supp. 1173 (N.D.Iowa 1994), qff'd in part , rev'd in part , 68 F.3d (8th Cir. 1995). Kritisch zu diesen Entscheidungen Lawson, 71 Notre Dame L. Rev. 731, 763ff. (1996).

64

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

(TICI) sowie der TIC United (TICU). Beide Gesellschaften waren in aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten jeweils Alleinaktionärinnen von White Farm Indutries, Inc., die wiederum alle Anteile an White Farm U.S.A., Inc. hielt, die endlich alle Anteile an der eingangs erwähnten WFE hielt. Mit Ausnahme von WFE waren alle genannten Konzernglieder reine Holdinggesellschaften. Daneben bestand TIC Services, eine Konzerntochter, die für alle anderen Gesellschaften vielfältige Dienstleistungen übernahm: Auszahlung der Mitarbeitergehälter, Versicherung, Buchhaltung sowie Rechts- und Steuerberatung. In nahezu allen Konzernunternehmen, einschließlich TICI und TICU, war Geourgoulis Vorsitzender des board , zeitweise außerdem Generaldirektor. Sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite haben beantragt, über die Haftung von TICI und TICU als "Eigentümerin und Betreiberin" 173 summarisch zu entscheiden. Dazu sieht sich das Distriktgericht — verständlicherweise — nicht in der Lage. Denn Anlage i. S. d. § 107(a)(2) CERCLA ist hier eine Deponie, die im Eigentum eines Dritten steht und von WFE nur gemietet bzw. nach Ablauf des Mietvertrags weiterbenutzt worden war. Unklar, aber entscheidungserheblich ist nach Meinung des Gerichts, ob TICI und TICU "in ausreichendem Umfang Kontrolle über [das Deponiegrundstück] ausübten".174 Damit bekennt sich das Distriktgericht (nach einigen reichlich verwirrenden Äußerungen zum Haftungsstandard 175) eindeutig dazu, daß es auf die tatsächliche Kontrolle des Anlagebetreibers ankomme. Dieses Ergebnis wird zumindest indirekt bestätigt, als anschließend die Verantwortlichkeit von TICI und TICU als arrangers gemäß § 107(a)(3) CERCLA auf der Grundlage tatsächlicher Kontrolle geprüft — und bejaht — wird. Dabei nimmt das erstinstanzliche Urteil explizit auf Kayser-Roth Bezug und stellt fest: "Da es der Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft eigen ist, daß erstere die Befugnis hat, die Maßnahmen letzterer zu kontrollieren, [...] wäre es nicht angemessen, eine Muttergesellschaft für fehlerhafte Abfallbeseitigung [...] haftbar zu machen, wo die Muttergesellschaft keine aktive Rolle bei ihrer Tochter spielte". 176

173

Vgl. die Ausführungen zur Problematik der kumulativen Verwendung der Begriffe "Eigentümerin" und "Betreiberin" im Zusammenhang mit der Idarado MiningEntscheidung, oben § 2.II.2.a).aa). 174

U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1178 (N.D.Iowa 1994) (Original in Englisch). Ähnlich, aber etwas ungenau die Revisionsentscheidung: "[E]ine Muttergesellschaft braucht nur [...] Kontrolle über die Aktivitäten ihrer Tochter zu haben, um direkt als Betreiberhin zu haften [...]." (Original in Englisch). 175 So spricht das Distriktgericht zunächst von dem "Ausmaß an Kontrolle, das der Mieter ausüben kann", oder von der "Befugnis zu kontrollieren". A.a.O. (Original in Englisch, Hervorhebungen durch den Verfasser). 176 A.a.O., S. 1182 (Original in Englisch). Vgl. auch U.S. v. TIC Inv. Corp., 68 F.3d 1082, 1092 (8th Cir. 1995).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

65

Hinweise auf eine solche aktive Rolle von TICI und TICU finden sich reichlich. 177 An erster Stelle steht die herausragende Stellung von Geourgoulis, der einer der beiden directors von WFE und als solcher letztlich für alle Personalangelegenheiten dieser Gesellschaft zuständig war. TICI und TICU waren unmittelbar daran beteiligt, Arbeits- und Personalkosten bei WFE zu drücken. Innerhalb von TICI bestand ein "Büro für Verwaltungsangelegenheiten", dem zahlreiche Abteilungen von WFE hierarchisch untergeordnet waren. Auch handelten Vertreter des Holdingunternehmens im Namen von WFE eine Kreditvereinbarung aus, die wegen ihres Umfangs von 15 Millionen US-Dollar für die Untergesellschaft lebenswichtig gewesen sein dürfte. Finanzielle Vereinbarungen innerhalb des Konzerns kamen offenbar nicht nach arm's lengthPrinzipien zustande. So mußte WFE jahrelang überhöhte Vergütungen für die von TIC Services geleisteten Dienste zahlen. Abschließend weist die Entscheidung noch daraufhin, daß TICI bzw. TICU konzernweite Steuererklärungen abgaben, die WFEs Finanzen einschlossen. Die Revisionsinstanz kommt jedoch zu dem Schluß, daß allein diese Indizien allgemeiner konzernmäßiger Verflechtung eine Haftung von TICI und TICU als arrangers nicht tragen. Abzustellen sei vielmehr auf die direkte oder indirekte Kontrolle über die Vorkehrungen und Vereinbarungen WFEs gerade hinsichtlich der Gefahrstoffbeseitigung. Bemerkenswert erscheint diese Aussage — mit der sich das Bundesappellationsgericht für den 8. Gerichtsbezirk in Widerspruch zum Distriktgericht setzt — im Vergleich zur Betreiberhaftung: Dort scheint es dem (Revisions-)Gericht zu genügen, daß die Muttergesellschaften generell den Betrieb von WFE kontrolliert haben.

nn) Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc. 1 7 8 Fishbein ist Eigentümerin eines Grundstücks in Jersey City, auf dem eine Altlastensanierung erforderlich wurde. In den Rechtsstreit, mit dem Fishbein die dabei entstandenen Kosten geltend macht, wurde UGI Utilities, Inc., durch eine Streitverkündung verwickelt. Nach dem Vorbringen der streitverkündenden Partei hatte U G I 1 7 9 von 1899 bis 1903 99,56 % der Aktien an der Hudson County Gas Company gehalten, die während dieser Zeit eine Gasfabrik auf dem Grundstück gemietet und betrieben hatte. Im Jahre 1903 waren die Rechte aus dem Mietvertrag auf die Public Service Corporation of New Jersey (PSC) übergegangen; diese hatte ihre Rechte im Jahre 1909 ihrerseits an ihre Tochtergesellschaft Public

177

Vgl. a.a.O., S. 1183f.

178

871 F.Supp. 764 (D.N.J. 1994).

179

Bzw. ihre Vorgängerin, The United Gas Improvement Company: Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt UGI entstand. 5 Ochsenfcld

66

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Service Gas Company abgetreten. Mit PSC war UGI auf zweierlei Weise verbunden gewesen: einerseits durch ein Aktienpaket von 25 %, andererseits dadurch, daß der Vorsitzende des UGI-board erster Generaldirektor von PSC geworden war. Bis in die 40er Jahre hinein war UGI die bedeutendste Aktionärin von PSC geblieben. Das Gericht hält diese Umstände nicht für ausreichend, um eine direkte Einstandspflicht von UGI als Betreiberin zu begründen. Es fehle an Hinweisen darauf, "daß UGI wesentliche Kontrolle über die Richtungsentscheidungen oder den täglichen Betrieb von PSC hatte". 180 Unmittelbare materiell-rechtliche Konsequenzen hat diese Feststellung nicht. Erneut ist die besondere prozessuale Situation bedeutsam, in der die Entscheidung ergeht. Zur Beurteilung steht aus verfahrensrechtlicher Sicht nur ein Antrag gem. Fed.R.Civ.P. 15(a), die ursprüngliche Streitverkündungsschrift um Ansprüche aus Eigentümer- bzw. Betreiberhaftung gegen UGI zu ergänzen. Diesen Antrag verwirft das Gericht unter anderem deshalb, weil die streitverkündende Partei nichts dargetan habe, was solche Ansprüche rechtfertigen könnte. Der Antrag sei folglich gegenstandslos. 181 Berücksichtigt man diesen Kontext, so gewinnt die Schlußfolgerung des Gerichts zur Haftung von UGI erheblich an Schärfe. Als gegenstandslos darf ein Ergänzungsantrag nämlich nur verworfen werden, wenn der zusätzlich geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt bestehen kann. 182 Indirekt relativiert sich die Entscheidung in diesem Punkt allerdings selbst ein wenig, da die Ablehnung des Ergänzungsantrags — unabhängig von der Gegenstandslosigkeit — noch von einem anderen Gesichtspunkt getragen wird. 1 8 3

oo) Zusammenfassung Die — chronologisch geordneten — Urteile in dieser Kategorie haben gemeinsam, daß eine Muttergesellschaft direkt als Betreiberin einer Anlage ihrer Tochter haftet, weil sie aktiv und wesentlich an deren Geschäften mitwirkt bzw. mitgewirkt hat. 184 Ob dies der Fall ist, läßt sich nur sachverhaltsbezogen entschei-

180

Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc., 871 F.Supp. 764, 771 (D.N.J. 1994) (Original in Englisch). 181

A.a.O., S. 772.

182

Vgl. a.a.O., S. 769. Anzuwenden ist insoweit der in Fed.R.Civ.P. 12(b)(6) enthaltene Maßstab ("failure to state a claim upon which relief can be granted"). Massarsky v. General Motors Corp., 706 F.2d 111, 125 (3d Cir. 1983), cert . denied , 464 U.S. 937, 104 S.Ct. 348, 78 L.Ed.2d 314 (1983). 183

Vgl. Fishbein Family Partnership v. PPG Industries, Inc., 871 F.Supp. 764, 768f. (D.N.J. 1994). 184

Ganz ähnlich resümieren die Rechtsprechung: Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), 1997

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

67

den; 185 entsprechend vielseitig und uneinheitlich sind die Kriterien, die von den Gerichten herangezogen werden. 186 Der Ursprung und die dogmatische Begründung der Einstandspflicht werden durchgängig im Wortlaut des CERCLA gesucht. Dabei wird wenigstens terminologisch nicht immer mit der angebrachten Schärfe zwischen Eigentümer- und Betreiberhaftung differenziert. Uneinig sind sich die Gerichte, ob die allgemeine Verflechtung zwischen den Unternehmen den haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt, sobald sie eine bestimmte Intensität erreicht, oder ob sich die Einflußnahme der Obergesellschaft gerade auf den Betrieb der Anlage i. S. d. § 107(a) CERCLA beziehen muß. 187 Diese Divergenz wird dadurch etwas entschärft, daß in vielen Fällen beide Voraussetzungen erfüllt sind, sprich: die Untergesellschaft nicht nur insgesamt stark in den Konzern integriert, sondern gerade auch bei der Gefahrstoffbeseitigung dem Einfluß "von oben" ausgesetzt ist. Soweit auf allgemeine Kontrolle abgestellt und deren temporale Dimension thematisiert wird, verlangen die Entscheidungen, daß die Kontrolle mit den Beseitigungsmaßnahmen des Tochterunternehmens zeitlich zusammenfällt. Vereinzelt sind schon in dieser Fallgruppe Ansätze zu beobachten, auf die tatsächliche Ausübung von Kontrolle durch die Muttergesellschaft zu verzichten und die bloße Kontrollmöglichkeit ausreichen zu lassen. Vor diesem Hintergrund

Supplement, S. 225; Heiden in: Protecting the Corporate Parent 1993, S. 87, 100; Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 676. 185

So bereits die EPA in ihrem oben (Fn. 89) erwähnten Memorandum (S. 266 in der veröffentlichten Fassung). 186

Vgl. die Zusammenfassung solcher Kriterien bei Rallison (Fn. 23), S. 619, und Heidt, 52 Ohio St. L. J. 133, 155 (1991). Chadd/Satinover, 2 Tox. L. Rep. (BNA), No. 20, S. 573ff., versuchen wohl, das unübersichtliche Fallmaterial auf eine einfache Formel zu bringen, indem sie feststellen: uJe mehr die Tochtergesellschaft wie eine Abteilung geführt wird, um so wahrscheinlicher ist es, daß die Mutter [...] direkt haftbar gemacht wird." (Original in Englisch). 187

Ungenau daher Geltman, 95 Comm. L. J. 385, 402 (1990), die meint, eine Mehrheit der Gerichte befürworte die Haftung einer Muttergesellschaft, wenn diese nur entweder ihre anlagebetreibende Tochter manage oder die Aktivitäten in der Anlage kontrolliere oder leite. Tatsächlich unterscheiden die meisten Urteile zwischen dem Betrieb der Tochtergesellschaft an sich und dem Betrieb der Anlage. Je nach Standpunkt halten sie die eine oder andere Form von Betrieb für den einzigen Haftungsgrund. Daß demnach — je nach Gericht — schon eine allgemeine Einflußnahme ausreichen kann, verkennt Sokolsky, L. A. Lawyer (Januar 1990), S. 14, 19: Sie behauptet, eine Muttergesellschaft hafte keinesfalls, wenn sie die Deponierung nicht betreibe. Ebenso falsch ist die Bewertung von Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 89, daß die Gerichte eine Muttergesellschaft verschonen, die sich aus den Umweltangelegenheiten ihrer Tochter heraushalte. 5=

68

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

ist wohl auch die Aussage eines Gerichts zu sehen, die Muttergesellschaft treffe eine positive Pflicht, für den Schutz der Allgemeinheit vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken aus der Tätigkeit ihrer Tochter zu sorgen. Bei der Gewichtung des einzelnen Richterspruchs ist anhand der jeweiligen prozessualen Konstellation zu differenzieren: Die Aussagen einiger Gerichte wiegen deshalb weniger stark, weil sie im Rahmen eines Antrags der Beklagten auf summarische Klageabweisung stehen. Umgekehrt haben diejenigen Entscheidungen besonderes Gewicht, die einem Antrag des Klägers auf Verurteilung im summarischen Verfahren entsprechen; das Gleiche gilt — mit umgekehrten Vorzeichen — für den Fall, daß ein Antrag auf Ergänzung der Klageschrift um einen Anspruch aus Betreiberhaftung als gegenstandslos verworfen wird.

b) Möglichkeit der Kontrolle durch die Muttergesellschaft Einen Schritt weiter gehen Urteile, die eine Einstandspflicht der Muttergesellschaft schon aus deren Möglichkeit, Kontrolle über ihre Tochter auszuüben, ableiten. 188 Hatte ein EPA-Memorandum einen wichtigen Anstoß zu der bisher dargestellten Rechtsprechung gegeben, so sind die nachfolgenden Entscheidungen wesentlich durch den NEPACCO-Fall aus dem Jahre 1984 inspiriert. 189 Darin war die Eigentümer- und Betreiberhaftung eines leitenden Angestellten, der zugleich Alleinaktionär seines Unternehmens war, so begründet worden: "[Er] hatte die Fähigkeit, die Beseitigung von gefährlichem Abfall [...] zu kontrollieren; die Macht, die Verhandlungen über die Beseitigung von Abfällen auf dem [...] Grundstück zu führen; und die Fähigkeit, den Schaden zu verhindern und zu verringern, der durch die Beseitigung gefährlicher Abfälle [...] entstand." 190 Daß diese Aussage des Distriktgerichts große Beachtung — und Anhänger — fand, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Passus des Urteils über die Eigentümer- und Betreiberhaftung, in dem sie steht, wurde von der Revisionsinstanz (wenngleich aus anderen Gründen) aufgehoben. 191

188

Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 618, bemerkt dazu treffend: M [E]in solches Prinzip würde die Tür zur Inanspruchnahme von Muttergesellschaften weit öffnen." (Original in Englisch). 189

Zum Ursprung des Möglichkeitstestes in Urteilen, die sich mit der Haftung von leitenden Angestellten und individuellen Aktionären befassen, vgl. Dennis, 36 Vili. L. Rev. 1367, 1384 (1991). 190

United States v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 849 (W.D.Missouri 1984) (Original in Englisch, Hervorhebungen durch den Verfasser). 191

Hierzu näher oben Fn. 44.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

69

aa) State of Idaho v. Bunker Hill Co. 192 Bunker Hill hatte bereits jahrzehntelang eine Fabrik im Bundesstaat Idaho unterhalten, als im Jahre 1968 sämtliche Anteile der Gesellschaft von der Gulf Resources & Chemical Corporation übernommen wurden. Bis 1982 blieben beide Unternehmen eng miteinander verflochten: Gulf kontrollierte zeitweise eine Mehrheit der directors von Bunker Hill und hatte ein Vetorecht über Geschäftsführungsentscheidungen ihrer Tochter. Bunker Hills investive Aufwendungen ebenso wie Ausgaben für Umweltschutzzwecke, die jeweils US$ 500 überstiegen, bedurften der Zustimmung durch Gulf. Während das Stammkapital der Tochtergesellschaft nur 1.100 US-Dollar betrug, führte sie im Lauf der Jahre Dividenden in Höhe von 27 Millionen US-Dollar an ihre Mutter ab. Gulf gab einheitliche Steuererklärungen ab, die alle Konzemunternehmen einschlossen. Schließlich war die Obergesellschaft durch wöchentliche Berichte auch über den laufenden Betrieb der Bunker Hill-Fabrik informiert. In einer bahnbrechenden Entscheidung folgert das Gericht aus diesen Umständen, daß Gulf für die Kosten der Sanierung des Fabrikgeländes aufkommen müsse: "Die Beklagte [...] war in der Lage, mit der Beseitigung von Sondermüll und Schadstoffaustritten in der Bunker Hill-Anlage gründlich vertraut zu sein, und war dies auch; [sie] besaß die Fähigkeit, diese Beseitigung und Austritte zu kontrollieren; und [sie] hatte die Fähigkeit, wenn nicht sogar die ausschließliche Zuständigkeit, Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen durchzuführen, um den Schaden zu verhindern und zu verringern, der durch die Beseitigung und die Austritte von gefährlichen Abfällen [...] verursacht wurde." 193 Es ist gewiß nicht abwegig, aus der engen Verflechtung 194 zwischen beiden Gesellschaften zu folgern, Gulf habe tatsächlich Einfluß auf die täglichen Geschäfte bzw. den Anlagenbetrieb von Bunker Hill genommen.195 Dies ändert jedoch nichts daran, daß entscheidend auf die bloße Möglichkeit Gulfs abgehoben wird, Kontrolle über den Betrieb der Anlage auszuüben: Klare Hinweise in diesem Sinne enthält nicht nur die Wortwahl in der oben zitierten Urteilspassage; hinzu kommt, daß explizit auf das NEPACCO-Urteil Bezug genommen wird, 196 das — wie allgemein anerkannt wird — einen vergleichbaren Möglichkeitstest formuliert.

192

635 F.Supp. 665 (D.Idaho 1986).

193

A.a.O., S. 672 (Original in Englisch, Hervorhebungen durch den Verfasser).

194

Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 618, charakterisiert den Konzern im vorliegenden Fall als "stark einheitliche Unternehmensgruppe" (Original in Englisch). 195

Vgl. in diesem Sinne Brown, 31 Tulsa L. J. 819, 827 (1996); Stewart/Campbell, 6 Nat. Res. & Env., No. 3 (Winter 1992), S. 9; Oswald in: Protecting the Corporate Parent 1993, S. 241, 250. 196

Vgl. State of Idaho ν. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 671 (D.Idaho 1986).

70

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Gänzlich verkehrt wäre es, die Prüfung der Haftungsfrage durch das Gericht als klassische Durchgriffsanalyse zu interpretieren: 197 Die beiden Haftungstheorien, mit denen sich das Gericht auseinandersetzt, sind inhaltlich — auch wenn mißverständlich von Betreiber- und Eigentümerhaftung gesprochen wird — direkter, nicht derivativer Natur. Überdies folgt ein Haftungsdurchgriff Kriterien, die sich zum Teil signifikant von den hier diskutierten Eigenheiten der MutterTochter-Beziehung unterscheiden. 198 Auch dem Gericht scheint bewußt zu sein, daß es juristisches Neuland betritt, da es sich am Ende zu folgender Einschränkung veranlaßt sieht: "[B]ei der Anwendung des oben genannten Maßstabs muß Sorge dafür getragen werden, daß 'normale' Aktivitäten einer Muttergesellschaft in bezug auf ihre Tochter es nicht automatisch rechtfertigen, die Muttergesellschaft als Eigentümerin oder Betreiberin zu qualifizieren." 199 Wo die Grenze zwischen "normalem" und haftungsauslösendem Verhalten verläuft, bleibt freilich offen. 200

bb) State of Vt. v. Staco, Inc. 201 Staco hatte von 1973 bis 1984 Quecksilberthermometer in Poultney im Bundesstaat Vermont hergestellt. Quecksilber aus der Fertigung war in eine öffentliche Kläranlage und das Kanalsystem gelangt, die kostenaufwendig gereinigt werden mußten. Dafür nimmt die Umweltbehörde von Vermont nicht nur Staco selbst, sondern auch deren Muttergesellschaft Chase Instruments Corp., zwei Schwesterunternehmen von Staco innerhalb des Chase-Konzerns sowie mehrere leitende Angestellte und directors in Regreß. Die Klägerin hat beantragt, sämtliche Beklagten im summarischen Verfahren als Betreiber und Eigentümer zu verurteilen. Im wesentlichen folgt das Gericht diesem Antrag und bemerkt knapp: "Die persönlich Beklagten [...] sind in ihren jeweiligen geschäftsführenden Funktionen im Unternehmensverbund persönlich verantwortlich. Alle beklagten Gesellschaften, mit Ausnahme der Chase Instruments Sales Corporation [einer

197 So aber offenbar U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989); Dadswell, 7 Cooley L. Rev. 463, 477 (1990). 198 Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1402f.; McMahon/Moertl, a.a.O. (Fn. 87), S. 31; vgl. auch Heidelberg, 22 Pac. L. J. 854, 888 (1991). Zu den traditionellen Durchgriffsvoraussetzungen siehe eingehend unten § 3.1.1.b).bb).(l). 199 State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 672 (D.Idaho 1986) (Original in Englisch). 200

Dies veranlaßt Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 782, dazu, von "immanenten Widersprüchlichkeiten" des Urteils zu sprechen (Original in Englisch). 201

684 F.Supp. 822 (D.Vt. 1988).

. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

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anderen Chase-Tochter], zählen erwiesenermaßen zu den in 42 U.S.C. § 9607(a) definierten Personen." 202 Für sich genommen, läßt diese Aussage kaum Schlüsse auf den vom Gericht angewandten Haftungsstandard zu. 203 Die in Bezug genommenen Sachverhaltsfeststellungen sind dürftig: Staco ist eine 100%ige Tochter von Chase Instruments; der Generaldirektor und der Vorsitzende des board der Obergesellschaft wirkten zum entscheidenden Zeitpunkt an der Geschäftsführung und der Kontrolle des Betriebs von Staco mit. Dieses Indiz für tatsächliche Kontrolle ist besonders bemerkenswert, da das Gericht anschließend an die bloße Möglichkeit zur Kontrolle anknüpft. 204 So werden Präzedenzfälle herangezogen, die — in anderen Zusammenhängen — einen solchen weitergehenden Haftungsstandard formuliert haben. 205 Während dieser Hinweis noch versteckt und rätselhaft ist, wird das Gericht im Zusammenhang mit der Prüfung von Ansprüchen gemäß dem RCRA deutlicher: "Im Einklang mit der Erörterung von Sanierungskosten [gemeint sind die Ansprüche aus dem CERCLA] besaß die Chase Instruments Corp., die Konzernmutter, die Fähigkeit, Stacos Geschäfte zu kontrollieren". 206 Dieser Verweis auf die vorangegangenen Erörterungen zum CERCLA geht zwar ins Leere, da solche Erörterungen gerade fehlen; doch der Standpunkt des Gerichts wird erkennbar: Schon die Fähigkeit zur Kontrolle soll haflungsauslösend sein. 207

cc) State of N.Y. v. Solvent Chemical Co., Inc. 2 0 8 In diesem Prozeß um die Sanierung eines verseuchten Grundstücks in Niagara Falls, New York, hat die beklagte Solvent den Unternehmen Frontenac Environmental Services und Laidlaw, Inc., den Streit verkündet. Nach dem Vorbringen von Solvent hatte Frontenac das Grundstück von 1980 bis etwa 1984 gemietet. 202

A.a.O., S. 832 (Original in Englisch).

203

Vgl. Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), Fn. 92.; Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 168, insbesondere Fn. 251; Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 31 lf. 204

Diese Divergenz zwischen dem Sachverhalt und dem Haftungsstandard bemerken auch Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 9. 205

Vgl. in diesem Zusammenhang die Bezugnahme auf die Entscheidungen Shore Realty sowie Bunker Hill. State of Vt. v. Staco, Inc., 684 F.Supp. 822, 83lf. (D.Vt. 1988). 206

A.a.O., S. 835 (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

207

Anders Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 312: Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Entscheidung sei, daß die Muttergesellschaft durch ihre Führungspersonen tatsächlich an den Geschäften von Staco beteiligt war. Im Ergebnis sei also auch hier die ausgeübte Kontrolle maßgeblich. 208

875 F.Supp. 1015 (W.D.N.Y. 1995).

72

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Während dieses Zeitraums waren angeblich toxische Stoffe von dem Grundstück aus in die Umwelt gelangt; auch von Frontenacs Betrieb selbst waren solche Verunreinigungen ausgegangen. Weiter wurde behauptet, Laidlaw sei Frontenacs Muttergesellschaft gewesen und habe ihre Tochter kontrolliert und dominiert. Laidlaw hat beantragt, die Klage zurückzuweisen, soweit darin Ansprüche gegen sie erhoben werden: Solvent habe keine Umstände dargelegt, die eine Haftung von Laidlaw als Muttergesellschaft gemäß § 107(a) CERCLA rechtfertigen würden. Die Streitverkündung basiere demnach auf unsubstantiierten Behauptungen und genüge nicht den formalen Anforderungen von Fed.R.Civ.P. 8(a). Das Gericht stellt zunächst den Unterschied zwischen derivativer Eigentümer 209 und direkter Betreiberhaftung heraus. Im Hinblick auf die Betreiberhaftung bestehe Uneinigkeit, welcher Test anzuwenden sei, sprich: ob auf die tatsächliche oder die mögliche Kontrolle der Ober- über die Untergesellschaft abzustellen sei. Die vorliegende Entscheidung beantwortet diese Streitfrage nicht klar im einen oder anderen Sinne. Sie kommt aber zu dem Ergebnis: Das Vorbringen von Solvent sei "im Rahmen der großzügigen Regelung fur Schriftsätze in Fed.R.Civ.P. 8(a) ausreichend, um Laidlaw in angemessener Weise Kenntnis von [...] Ansprüchen aus einer CERCLA-Betreiberhaftung als Muttergesellschaft — sei es auf der Grundlage tatsächlich ausgeübter Kontrolle oder der Fähigkeit zur Kontrolle — zu geben."210 Damit läßt das Gericht durchblikken, daß eine aus der Kontrollmöglichkeit abgeleitete Einstandspflicht in seinen Augen durchaus in Frage kommt. Allerdings sollte der zitierten Aussage kein allzu großes Gewicht beigemessen werden. Denkbar ist auch, daß der Richter schlicht zögerte, die Streitverkündung allein an der formalen Hürde von Fed.R.Civ.P. 8(a) scheitern zu lassen.211 So betrachtet, reflektiert seine Entscheidung nicht unbedingt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Haftungsstandard.

dd) Bemerkung und Zusammenfassung Die von Bunker Hill vorgezeichnete Linie zur Betreiberhaftung ist im Konzernkontext eine vergleichsweise unbedeutende Mindermeinung geblieben.212 Die

209

Siehe hierzu unten §3.1.1.

210

State of N.Y. v. Solvent Chemical Co., Ine, 875 F.Supp. 1015, 1019 (W.D.N.Y. 1995) (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 211

Für diese Sichtweise spricht, daß in der entscheidenden Urteilspassage davon gesprochen wird, zunächst seien weitere Offenlegungen (discovery) zum Ausmaß der Kontrolle von Laidlaw über Frontenac erforderlich. Nur so könne Solvent sein Vorbringen näher substantiieren. A.a.O. 212

Weber, a.a.O. (Fn. 64), S. 1499f.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

73

beiden Folgeentscheidungen213 sind in der entscheidenden Frage des Haftungsmaßstabs Musterbeispiele für Mehrdeutigkeit; als Präzedenzfälle für eine Fortschreibung des Möglichkeitstestes eignen sie sich daher nur bedingt. Zu beachten ist allerdings, daß dieser Test zahlreiche Befürworter findet, wenn es um die Haftung individueller Aktionäre und leitender Angestellter bzw. von directors geht. Die Entscheidungen zu solchen Konstellationen strahlen auch auf den Haftungsstandard in Konzernfällen aus. 214 In den ausführlichen Versionen des Möglichkeitstestes (etwa in Bunker Hill) wird deutlich, daß sich die Kontrollmöglichkeit der Muttergesellschaft gerade auf den Anlagebetrieb beziehen muß. Bereits dadurch erhöht sich das Haftungsrisiko für Konzernmütter jedoch dramatisch. Da diese schon aufgrund ihrer Stellung als Anteilseignerinnen per definitionem 215 Kontrolle ausüben können, nähert sich dieser Haftungsstandard einer unbedingten Einstandspflicht für CERCLAVerbindlichkeiten aus dem Betrieb einer tochtereigenen Anlage an. 216 Ein caveat ist hier indes angebracht: In keinem der bislang entschiedenen Fälle ist, soweit ersichtlich, eine Betreiberhaftung angeordnet worden, ohne daß die Muttergesellschaft tatsächlich Kontrolle ausgeübt hätte. Dies gilt, wie die drei letzten Beispiele demonstrieren, selbst dann, wenn abstrakt der weitreichende Möglichkeitstest zum Haftungsmaßstab erhoben wird. 2 1 7

c) Ablehnung einer besonderen Direkthaftung Am anderen Ende der Skala möglicher Ansichten zu § 107(a) CERCLA stehen diejenigen Richtersprüche, die eine direkte Betreiberhaftung von Muttergesellschaften rundweg ablehnen. Diesen Urteilen zufolge läßt sich eine Einstandspflicht im Konzern nur ausnahmsweise und derivativ konstruieren. Sie verdienen hier Beachtung, auch wenn die Bedeutung und Voraussetzungen von Durchgriffshaftung und agency erst später 218 diskutiert werden. Schon im vorliegenden Zusammenhang ist zu fragen: Grenzen sich die Entscheidungen gegen eine Direkthaftung wirklich in dogmatischer Hinsicht von den oben dargestellten Urteilen ab, oder basieren sie auf Sachverhalten, die in entschei213

Zu berücksichtigen ist außerdem Nicolet (oben § 2.H.2.a.cc.), soweit dort von der Möglichkeit der Kontrolle durch die Muttergesellschaft die Rede ist. 214

Hierzu eingehend unten § 2.II.4.a).

215

Vgl. oben § 2.II.

216

So auch Brown, a.a.O. (Fn. 195), S. 872f.; Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 790; Ikuta/Johnson, California Lawyer (November 1995), S. 59, 60. 217

Vgl. a.a.O., S. 790f.; Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 75, insbesondere Fn. 15 mit einem Hinweis auf die Äaco-Entscheidung. 218

Unten §3.1.1. bzw. §3.1.2.

74

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

dender Hinsicht anders sind, das heißt: keinen Raum für eine direkte Verantwortlichkeit lassen? Nicht hierher gehören Urteile wie etwa Idarado Mining 219, die zwar nicht ausdrücklich, wohl aber inhaltlich zu einer direkten Betreiberhaftung gelangen; das Gleiche gilt für die (wie gesehen, zahlreichen) Fälle, die Eigentümer- und Betreiberhaftung in einem Atemzug nennen, obwohl erstere nur im Wege eines Durchgriffs möglich ist 220 : Wie bereits in bezug auf Nicolet 221 gesagt, zeugen solche Ungenauigkeiten wohl nur von terminologischer, vielleicht auch konzeptioneller Unsicherheit, nicht hingegen von einer ablehnenden Haltung gegenüber direkter Haftung.

aa) FMC Corp. v. Northern Pump Co. 2 2 2 Dies ist, soweit ersichtlich, das einzige 223 Urteil, das eine agency- Beziehung als dogmatische Grundlage für eine derivative Einstandspflicht von Muttergesellschaften diskutiert. Dabei wird agency nicht untechnisch und bildhaft als Synonym für einen Durchgriff verstanden, 224 sondern in ihrem eigentlichen Sinn als anspruchspezifische Stellvertreterhaftung. 225 Das Gericht entspricht einem Antrag der beklagten Muttergesellschaft auf summarische Klageabweisung mit folgenden Worten: Die von der Klägerin vorgetragenen Umstände seien "unzulänglich, um das Ausmaß an Kontrolle [der Mutter- über die Tochtergesellschaft] zu belegen, das erforderlich wäre, um eine agency- Beziehung [zwischen beiden] anzunehmen." Schlüsselelement einer solchen Beziehung sei nämlich die fortgesetzte Unterwerfung des Stellvertreters unter den Willen des Prinzipals. 226 Die beklagte Northern Pump war von 1945 bis 1964 (Teil-)Eigentümerin einer Anlage in Fridley, Minnesota, gewesen, wo nicht nur Geschütze für die Marine produziert sondern auch gefährliche Abfälle wie TCE abgelagert wurden. Northern Pump hatte die Anlage an ihre 100%ige Tochtergesellschaft Northern Ordnance, Inc., vermietet; dieser Mietvertrag blieb auch bestehen, nachdem ein 219

Oben § 2.II.2.a).aa).

220

Vgl. hierzu die Ausführungen und Rechtsprechungsbeispiele in § 2.1.4.a).bb).

221

Oben § 2.II.2.a).cc)., insbesondere Fn. 104.

222

668 F.Supp. 1285 (D.Minn. 1987).

223

Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 261.

224

Zu diesem verwirrenden Sprachgebrauch vgl. unten § 3.1.1.b).bb).(l).

225 Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 620; Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 261. Zur Rechtsfigur der agency als Grundlage einer Stellvertreterhaftung näher unten § 3.1.2. 226

FMC Corp. v. Northern Pump Co., 668 F.Supp. 1285, 1293 (D.Minn. 1987) (Original in Englisch).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

75

großer Teil der Anlage im Jahre 1947 an die US-Marine übertragen worden war. 1964 schließlich hatte Northern Pump das in ihrem Eigentum verbliebene Betriebsvermögen sowie die Northern Ordnance-Aktien an FMC verkauft. Da FMC immer noch Eigentümerin und Betreiberin der Fabrik war, als die Verseuchung des Geländes offenbar wurde, verpflichtete sie sich gegenüber der EPA zur Sanierung. Für einen Teil ihrer Kosten nimmt sie jetzt Northern Pump in Regreß. Nach dem heute herrschenden Verständnis von § 107(a)(2) CERCLA würde Northern Pump schon deshalb haften, weil sie (Mit-)Eigentümerin der Fabrik war, während dort Gefahrstoffe beseitigt wurden. Das Gericht meint hingegen, zusätzlich zur Eigentümerstellung sei auch die Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft für die Beseitigungsmaßnahmen festzustellen 227 — und tritt deshalb in eine Prüfung ein, die inhaltlich an die Voraussetzungen der Betreiberhaftung anknüpft. Vielleicht weil es sich um eine relativ frühe Entscheidung handelt, wird jedoch nicht diskutiert, ob Northern Pump als Betreiberin der von ihrer Tochter gemieteten Anlage qualifiziert werden kann. Stattdessen fragt das Gericht, ob Northern Pump selbst — gemeint ist wohl: nicht durch ihre Tochter handelnd — toxische Stoffe beseitigt habe, oder ob sie sich die Beseitigung durch Northern Ordnance zurechnen lassen müsse.228 Eine solche Zurechnung mit Hilfe der Rechtsfigur agency hält das Gericht nicht für angebracht. Nach Angaben der Klägerseite war Northern Pump Alleinaktionärin von Northern Ordnance; es bestand weitgehende Personenidentität hinsichtlich der directors und leitenden Angestellten beider Gesellschaften; und beide Gesellschaften unterhielten Büros in der fraglichen Fabrik. Außerdem wurde behauptet, daß Northern Pump als "Geschäftsherrin" zwangsläufig Kenntnis von der Gefahrstoffbeseitigung gehabt haben und daran beteiligt gewesen sein müsse. Diese Umstände allein rechtfertigen es nach Ansicht des Gerichts nicht, von einer agertçy-Beziehung zwischen Mutter und Tochter auszugehen. Selbst wenn man das Bestehen einer derartigen Beziehung unterstelle, lasse sich nicht sagen, daß Northern Pump die unzulängliche Entsorgung von TCE durch Northern Ordnance autorisiert habe. Unwahrscheinlich sei bereits, daß die Geschäftsführung der Obergesellschaft mit der Gefahrstoffbeseitigungspraxis vertraut gewesen sei. 229

227

A.a.O., S. 1290.

228

A.a.O., S. 1292.

229

Zum Ganzen: a.a.O., S. 1293.

76

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften bb) Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc. 230

Diese Entscheidung wird allgemein als Pendant zu Kayser-Roth verstanden. Ebenfalls von einem Bundesappellationsgericht entschieden und entsprechend gewichtig, gelangt sie in einem vergleichbar strukturierten Fall zum entgegengesetzten Ergebnis: Eine extensive Auslegung des Eigentümer- und Betreiberbegriffs mit dem Ergebnis, daß "Muttergesellschaften für Handlungen ihrer Töchter direkt haftbar gemacht werden", würde traditionelle gesellschaftsrechtliche Grundsätze entscheidend ändern; eine dahingehende gesetzgeberische Intention sei nicht erkennbar. 231 Aus dieser Wortwahl des Gerichts folgert Kayser-Roth, es gehe in Joslyn vorrangig um eine Eigentümer- und nur sekundär um eine Betreiberhaftung. 232 Eine solche Interpretation erscheint indes allzu spitzfindig und daher unangemessen: Das Joslyn-Urteil betont mehrfach, daß es eine direkte Haftung der Muttergesellschaft prüft. Mangels Eigentum an einer Anlage ihrer Tochter kann eine Muttergesellschaft — wenn überhaupt — nur als Betreiberin direkt haften. 233 Wenn dennoch kumulativ auf die Eigentümer- und Betreiberstellung Bezug genommen sowie von einer Einstandspflicht für Handlungen der Tochter gesprochen wird, mag das terminologisch unglücklich und in der Darstellung unpräzise sein; es ändert nichts daran, daß einer direkten (Betreiber-)Haftung von Konzernmüttern eine grundsätzliche Absage erteilt wird. 2 3 4 Demgegenüber hält das Gericht einen Durchgriff an sich für möglich, unter den Umständen des vorliegenden Falles jedoch nicht für gerechtfertigt. 235 Ebenso hat zuvor das Distriktgericht geurteilt 236 und damit einem Antrag der Beklagten James auf summarische Klageabweisung stattgegeben237. 230 696 F.Supp. 222 (W.D.La. 1988), aff'd, 893 F.2d 80 (5th Cir. 1990), cert. denied , 498 U.S. 804, 111 S.Ct. 34, 112 L.Ed.2d 11 (1991). 231

Joslyn Mfg. Co. v. T.L. James & Co., Inc., 893 F.2d 80, 82f. (5th Cir. 1990) (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). Zustimmend Lawson, a.a.O. (Fn. 172), S. 764f. 232

U.S. v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 27 (1st Cir. 1990).

233

Vgl. oben § 2.1.4.a).bb).

234

Wie hier: Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 791f.

235

Joslyn Mfg. Co. v. T.L. James & Co., Inc., 893 F.2d 80, 83 (5th Cir. 1990). Zur derivativen Haftung siehe unten § 3.1.1. 236

Vgl. Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc., 696 F.Supp. 222, 224ff. und 231 (W.D.La. 1988). 237 Diesen prozessualen Gesichtspunkt hebt zu Recht Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 79, hervor. Bedeutsam ist, daß die Entscheidung damit auf eine rechtliche und nicht lediglich tatsächliche Grundlage gehoben wird: Würde das Gericht eine direkte Betreiberhaftung nicht bereits prinzipiell ausschließen, dürfte es die Klage keinesfalls schon im summarischen Verfahren abweisen. Aufgrund der vorgetragenen Fakten würden sich dann

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

77

Dies sind die zugrundeliegenden Fakten: Im Rahmen eines komplexen Rechtsstreits mit zahlreichen Parteien streiten Joslyn und James über ihre Verantwortlichkeit für die Sanierung eines Industriegrundstücks in Bossier City im Bundesstaat Louisiana. Joslyn erwarb dieses Grundstück 1950 von der Lincoln Creosoting Company, Inc., die dort 15 Jahre lang Holz mit Kreosoten behandelt hatte; dabei verwendete Chemikalien waren ins Erdreich und Oberflächenwasser gelangt. James hatte 60 % der Lincoln-Anteile gehalten; die übrigen 40 %, die zwei Einzelaktionären zustanden, waren als Sicherheit für noch nicht erbrachte Kapitaleinlagen an James indossiert worden. Der Inhaber von James — zunächst T.L. James, später dessen Sohn G.W. James — war Generaldirektor von Lincoln geworden. Fünf Mitglieder des siebenköpfigen board von Lincoln hatten in irgendeiner Beziehung zu James gestanden. Später allerdings hatte sich der Einfluß von James auf eine Minderheits- bzw. Pariposition im board reduziert. Die erforderlichen gesellschaftsrechtlichen Formalitäten waren von Lincoln zu jeder Zeit beachtet worden. Auch wirtschaftlich und organisatorisch hatte Lincoln als eigenständiges Unternehmen agiert: Eigentumsgegenstände und Mitarbeiter waren von denen James' getrennt gewesen, und Lincoln hatte aus eigenem Budget Mitarbeitergehälter, Versicherungsprämien sowie Leistungen für die Altersversorgung und den gesetzlichen Unfallschutz ihrer Arbeiter gezahlt. "Rückgrat" der Geschäfte von Lincoln war — trotz der einflußreichen Stellung von James — bis zuletzt C. A. Tooke gewesen, einer der beiden Minderheitsaktionäre, der als Hauptgeschäftsführer umfassende Kompetenzen innegehabt hatte. Vor diesem Hintergrund verwundert die eindeutige und grundsätzliche Stellungnahme des Gerichts gegen eine direkte Betreiberhaftung von Muttergesellschaften ein wenig: Mangels tatsächlicher Einflußnahme von Seiten James' auf die laufenden Geschäfte von Lincoln, insbesondere auf deren Abfallbeseitigungsmaßnahmen, hätte sich auch gut vertreten lassen, die Grundsatzfrage offenzulassen und eine Einstandspflicht lediglich in diesem speziellen Fall zu verneinen. 238

cc) GL Industries of Michigan v. Forstmann-Little 239 Auch in diesem Fall wird eine Klage auf Betreiben der Beklagten summarisch abgewiesen. Maßgeblich scheint hier allerdings zu sein, daß GL ihr Vorbringen gegen Forstmann-Little nicht ausreichend substantiiert hat. Es wird in der Klageschrift noch nicht einmal im einzelnen dargelegt, daß Forstmann-Little die

nämlich Fragen zur Kontrolle von James bei Lincoln geradezu aufdrängen. Vgl. zu den Voraussetzungen eines summarischen Urteils auch oben § 2. II.2.a).bb). 238

Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 450. Vgl. auch Riverside Mkt. Devel. Corp. v. International Bldg. Prods., 1990 U.S. Dist. LEXIS 6375 (E.D.La.), S. 11. 239

800 F.Supp. 695 (S.D.Ind. 1991).

78

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Konzernmutter der unmittelbar anlagebetreibenden Gesellschaft ist. Offen bleibt folglich auch der Grad der von Forstmann-Little ausgeübten Einflußnahme. Mit wenigen Worten verwirft das Gericht einen möglichen CERCLA-Anspruch gegen die Beklagte: "[D]a es die Kläger versäumt haben, eine relevante Tatsachenfrage im Hinblick auf die Notwendigkeit für einen Haftungsdurchgriff aufzuwerfen, besteht keine Grundlage, um Forstmann-Little für eine CERCLA-Haftung in Anspruch zu nehmen." 240 Unmittelbar anschließend wird auf Joslyn als Präzedenzfall für eine solche Haftung verwiesen. So knapp diese Aussage ist: Sie macht deutlich, daß eine direkte Betreiberhaftung für das Gericht per se indiskutabel ist. Nur unter dieser Prämisse macht die Feststellung Sinn, es fehle an einer Grundlage für einen CERCLA-Anspruch, weil für einen Durchgriff nichts vorgetragen sei. Bei einem anderen Verständnis von § 107(a) CERCLA hätte als weiterer denkbarer Haftungsgrund eine Subsumtion des Verhaltens von Forstmann-Little unter den Direkthaftungs-Tatbestand erörtert werden müssen.

dd) Trinity Industries, Inc. v. Dixie Carriers, Inc. 241 Trinity hatte die Stammaktien der Gretna Machine & Iron Works, Inc., im Jahre 1981 von Dixie erworben. Wie sich später herausstellte, hatte Gretna Lastkähne gereinigt und dabei gesammelte giftige Altöle an Entsorgungsunternehmen verkauft. Da die Öle damals zu einer Anlage gebracht worden waren, die 1987 als Superfund-Altlast eingestuft wurde, wurde Gretna gemäß § 107(a)(3) CERCLA als arranger für die Sanierungskosten herangezogen. Trinity als heutige Obergesellschaft verpflichtete sich in einem Vergleich mit der EPA zur Übernahme dieser Kosten. Jetzt nimmt sie Dixie als frühere Obergesellschaft in Regreß. Zwar geht es hier — wieder einmal — nicht unmittelbar um eine Betreiberhaftung; doch ist die Grundentscheidung zwischen direkter oder lediglich derivativer Haftung im Rahmen des § 107(a)(3) CERCLA {arranger- Verantwortlichkeit) dieselbe. Das Gericht beruft sich denn auch auf das Joslyn-Urteil, das es trotz der etwas anderen Fragestellung als bindend ansieht: Entscheidungen aus anderen Gerichtsbezirken, die eine Direkthaftung von Muttergesellschaften befürwortet haben, hätten gewiß einiges für sich. Im Staat Louisiana 242 komme jedoch allein eine derivative Haftung im Wege des Durchgriffs in Frage. 243 Dafür sei das Maß an Verflechtung zwischen Dixie und Gretna aber nicht ausreichend: Die 240

A.a.O., S. 705 (Original in Englisch).

241

1992 U.S. Dist. LEXIS 9540 (E.D.La.).

242

Louisiana gehört zum 5. Gerichtsbezirk (circuit), Joslyn entschieden wurde.

von dessen Appellationsgericht

243 Trinity Industries, Inc. v. Dixie Carriers, Inc., 1992 U.S. Dist. LEXIS 9540 (E.D.La.), S. 7, insbesondere Fn. 1. Zur derivativen Haftung siehe unten § 3.1.1.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

79

Beziehung zwischen beiden Gesellschaften hatte sich offensichtlich darin erschöpft, daß Dixie alle Anteile an Gretna gehalten, daß Personenidentität hinsichtlich einer Reihe von directors bestanden und daß Gretna Darlehen von Dixie erhalten hatte; zudem war Gretna von Dixie inkorporiert worden, Dixie hatte bestimmte Buchführungsregeln vorgeschrieben, und es waren gemeinsame Steuererklärungen abgegeben worden. 244

ee) Zusammenfassung Schon die geringe Zahl der Urteile in dieser Kategorie zeigt, daß der Trend in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung insgesamt dahin geht, eine direkte Betreiberhaftung in irgendeiner Form zu befürworten. 245 Entscheidungen aus bestimmten Distrikten und Bezirken, namentlich aus dem fünften Gerichtsbezirk, heben sich von dieser Entwicklung jedoch markant ab. Im übrigen verleitet die obige Darstellung von lediglich vier Urteilen dazu, deren Stellenwert zu unterschätzen: Um ein vollständiges Bild zu gewinnen, sind zusätzlich diejenigen Richtersprüche 246 zu würdigen, die sich mit der prozessualen Frage der Jurisdiktion über die Muttergesellschaft befassen und dabei einen direkten Zugriff ablehnen.247 Die vorstehenden Entscheidungen sind — nicht zuletzt aufgrund der jeweils unterschiedlichen prozessualen Situation — von ungleichem Gewicht, inhaltlich hingegen in bemerkenswerter Hinsicht vergleichbar: Offenbar übte die Muttergesellschaft in keinem Fall aktiven Einfluß auf die Geschäfte ihrer Tochter

244

A.a.O., S. lOf.

245

Ebenso Brown , a.a.O. (Fn. 195), S. 829; Presser , Piercing the Corporate Veil, S. 3-148. Siehe auch die Entscheidungen Certain Underwriters at Lloyd's v. St. Joe Minerals, 90 F.3d 671, 674 (2d Cir. 1996); Bankamerica Commercial Corp. v. Trinity Industries, 900 F. Supp. 1427, 1454f. (D.Kan. 1995); Idylwoods Associates v. Mader Capital, 915 F.Supp. 1290, 1307 (W.D.N.Y. 1996); Schiavone v. Pearce, 79 F.3d 248, 254f. (2d Cir. 1996); Mathews v. Dow Chemical Co., 947 F.Supp. 1517, 1526 (D.Colo. 1996). Vgl. andererseits aus jüngster Zeit das Urteil U.S. v. Cordova Chemical Co. of Michigan, 59 F.3d 584, 590 (6th Cir. 1995), in dem sich das Bundesappellationsgericht für den 6. Bezirk der Joslyn-Linie anschließt. Diese Entscheidung wurde zwar in 67 F.3d 586 (6th Cir. 1995) zunächst aufgehoben, dann aber in einem en banc-Verfahren vor dem Bundesappellationsgericht für den 6. Gerichtsbezirk überraschend bestätigt (siehe 28 ELR 156, May 23, 1997). 246 247

Vgl. insbesondere den Acushnet-VdXX,

unten § 2.II.3.b).cc).

Dabei ist freilich Vorsicht geboten: Materielle Haftung und Ausübung von Gerichtshoheit sind nicht ohne weiteres vergleichbar. Hierzu eingehend unten § 2.II.3.a).

80

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

allgemein bzw. auf deren Anlagenbetrieb aus.248 Demnach wäre es unter Heranziehung von tatsächlicher Kontrolle als dem maßgeblichen Kriterium kaum möglich, hier eine direkte Einstandspflicht der Konzernmutter zu begründen. Joslyn und seine Folgeentscheidungen sprechen sich insofern unnötigerweise vehement gegen eine direkte Betreiberhaftung aus. Daß sie dies dennoch tun, macht es jedoch unmöglich, diese Fälle von den zuvor besprochenen allein anhand der Fakten zu unterscheiden: Ihnen liegt erkennbar eine andere Rechtsauffassung zu § 107(a) CERCLA zugrunde. Ob dies auch für Northern Pump gilt, ist fraglich: In diesem schon 1987 entschiedenen Fall wird auf die (sich damals erst entwickelnde) Direkthaftungs-Rechtsprechung nicht eingegangen.

3. Rechtsprechung zur Jurisdiktion über Muttergesellschaften Die oben 249 dargestellte Bunker /////-Entscheidung verweist in ihren Ausführungen zum angemessenen Haftungsmaßstab auf einen vorangegangenen Teil der Urteilsgründe: 250 Dort geht es um die auch systematisch vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gericht mit Zuständigkeit über ein Tochterunternehmen seine Gerichtsbarkeit auf dessen nicht forumansässige Mutter erstrecken kann. Mit diesem Problem setzen sich auch andere Urteile zu § 107(a) CERCLA auseinander. Es fragt sich, inwieweit aus solchen wenigstens primär prozessual motivierten Entscheidungen Erkenntnisse für das materielle Konzernhaftungsrecht gewonnen werden können.

a) Vergleichbarkeit

und Aussagekraft dieser Entscheidungen

Ein gemeinsamer, beide Fallgruppen umfassender Rahmen ist schnell gefunden. Sowohl zu einer Einstandspflicht der Muttergesellschaft als auch zu ihrer Unterwerfung unter die Jurisdiktion eines Gerichts, dessen Zuständigkeit sich zunächst nur auf die Tochtergesellschaft zu erstrecken scheint, gelangt man durch ein weitverstandenes piercing the corporate veil : Man läßt es nicht zu, daß sich die Muttergesellschaft — sei es materiell- oder prozeßrechtlich — mit Erfolg auf die Einwendung bzw. Einrede beruft, sie habe als selbständige juristische Person nichts mit dem Betrieb einer vom CERCLA erfaßten Anlage ihrer Tochter zu tun.

248

Denkbar ist natürlich, daß genaue Feststellungen zu solcher Einflußnahme unterblieben, weil das Gericht — ganz dem traditionellen Durchgriffs- bzw. agencyDenken verhaftet — keine Notwendigkeit sah, die Parteien zu entsprechenden Darlegungen anzuhalten. 249 250

§ 2.II.2.b).aa).

Vgl. State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 671 (D.Idaho 1986); siehe hierzu auch unten § 2.II.3.b).bb).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

81

Um in dem traditionell beliebten Bild des amerikanischen Gesellschaftsrechts zu bleiben: Der Schleier der juristischen Person wird gelüftet, damit die tatsächlichen Verhältnisse in bezug auf die Anlage sichtbar werden. Eine solche Betrachtung läuft jedoch Gefahr, der Suggestivkraft eines Symbols zu erliegen, das relevante Unterschiede zwischen der prozeß- und der materiellrechtlichen Fragestellung erst recht verschleiert. Im übrigen begegnet ein derart extensiver Gebrauch der piercing- Formel dem Bedenken, (noch mehr 251 ) Begriffsverwirrung zu erzeugen. Gemeinhin wird als piercing the corporate veil nämlich nur die derivative Durchgriffshaftung von Muttergesellschaften oder individuellen Aktionären bezeichnet.252 Mehrere Autoren weisen zu Recht daraufhin, daß es bei der Erstreckung von Jurisdiktion auf eine Muttergesellschaft um spezifisch verfahrensmäßige, nämlich vor allem staatshoheitsrechtliche Gesichtspunkte geht. Entscheidende Vorgaben enthält insoweit das verfassungsrechtliche Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens (procedural due process) 2*, wonach die Ausübung von Gerichtsbarkeit fair sein und den Bedürfnissen sowie vernünftigen Erwartungen der Muttergesellschaft Rechnung tragen muß. Daneben spielen Überlegungen zur vertikalen Gewaltenteilung eine Rolle, soweit die Abgrenzung der Zuständigkeiten von gliedstaatlichen und Bundesgerichten betroffen ist. 254 Es verbietet sich deshalb, Grundsätze aus dem Kontext der Durchgriffshaftung ohne weiteres auf Fälle zu übertragen, in denen es um die Begründung von Jurisdiktion geht — und vice versa. 255 Folglich besteht auch ein Gleichlauf von Gerichtshoheit und 251

Bereits Douglas /Shanks, 39 Yale L. J. 193, 218 (1929), sprechen in diesem Zusammenhang anschaulich von einem "Nebel aus Metaphern" (Original in Englisch). Mit Blick auf die immer unübersichtlichere und stärker divergierende Durchgriffsrechtsprechung empfiehlt Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 57f., die Vokabel "piercing the corporate veil" nicht mehr zu verwenden: Verschiedene Gerichte würden damit heute ganz verschiedene Haftungsmaßstäbe bezeichnen. 252

Vgl. in diesem Sinne etwa Gifts, a.a.O. (Fn. 73), S. 353; Merkt, a.a.O. (Fn. 92), Rz. 313ff. 253

Dieses ergibt sich aus dem 5. bzw. 14. Zusatz (amendment) zur US-Bundesverfassung. Eingehend hierzu Born/Westin, International Civil Litigation in U.S. Courts, S. 70ff. m. w. N. 254

Thompson, 76 Corn. L. Rev. 1036, 1060 (1991). Ähnlich bereits Ballantine, 14 Cal. L. R. 12, 14 (1925): Es gehe darum, die teilweise willkürliche Ausübung von Kompetenzen über nicht ortsansässige Unternehmen durch die einzelnen Staaten zu begrenzen. Auch Douglas /Shanks, a.a.O. (Fn. 251), S. 204, haben offensichtlich die verfassungsrechtlichen Grenzen der Ausübung von Gerichtshoheit im Auge, wenn sie feststellen: "Die Frage ist rein jurisdiktioneller Art. Sie hängt von der Anwendung des presence-Testes ab." (Original in Englisch). 255

So bereits Douglas/Shanks, a.a.O., S. 205.

6 Ochsenfeld

82

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

materieller Haftung allenfalls zufällig, keinesfalls als Ergebnis identischer Maßstäbe.256 Dem steht als rechtstatsächlicher Befund gegenüber, daß die Erstreckung der Gerichtshoheit auf die Muttergesellschaft häufig die materiell-rechtliche Haftungsfrage präjudiziell 257 Daß in der Spruchpraxis nicht trennscharf zwischen beiden Fragestellungen unterschieden wird, erweist sich gerade auch im Zusammenhang mit dem CERCLA. Wie oben 258 nachgewiesen, werden Ergebnisse aus der jurisdiktionellen Prüfung zum Teil "einfach" ins materielle Recht übertragen. Eine echte Präklusions- oder Präzedenzwirkung der prozessualen Überlegungen ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussion aber abzulehnen. Zu überlegen bleibt nur, ob den Urteilen zur Gerichtshoheit über eine Muttergesellschaft eine — untechnisch verstandene — Orientierungsfunktion für die Frage nach der Berechtigung einer direkten Haftung eignet. 259 Eine interessante prozessuale Parallele zum Gegensatz zwischen direkter und derivativer (Durchgriffs- oder ûrge/7çy-)Haftung tut sich auf: Jurisdiktion über eine auswärtige Muttergesellschaft ist ohne weiteres gegeben, wenn diese selbst — das heißt infolge eigener Aktivitäten — ausreichende Kontakte zum Forumstaat unterhält und ihr die Klageschrift zugestellt werden kann. 260 Ist nur ein

256

Vgl. Alexander, 106 Harv. L. Rev. 387, 394ff. (1992); Otto, Der prozessuale Durchgriff, S. 68f. Abweichend Brilmayer/Paisley, 74 Cal. L. Rev. 1, 34ff. (1986): Ausgangspunkt für Überlegungen zur Gerichtshoheit seien die Standards des materiellen Rechts. Diese Grundregel könne freilich durch Verfassungsrecht modifiziert werden. Im Sinne eines Gleichlaufs äußert sich auch Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 62. Ähnlich das Gericht in Wehner v. Syntex Agribusiness, Inc., 616 F.Supp. 27, 29 (E.D.Mo. 1985), einem CERCLAHaftungsfall: Ein Gericht müsse sehr vorsichtig sein, wenn ihm nahegelegt werde, die Selbständigkeit juristischer Personen habe im materiellen und im Prozeßrecht unterschiedliche Bedeutungen. "Eine solche Unterscheidung zu treffen dient keinem Zweck und führt nur zu Verwirrung und Unsicherheit." (Original in Englisch). Vgl. in diesem Zusammenhang aber das allgemeine Postulat von Blumberg/Strasser in: Protecting the Corporate Parent 1993, S. 175, 205f., nicht von universell geltenden piercing-Grundsäizen auszugehen, sondern den anzuwendenden Maßstab in Abhängigkeit vom jeweiligen Regelungszusammenhang zu bestimmen. 257

Kronstein/Hawkins,

258

§2.11.3.

RIW 83, 249, 257.

259

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 625: Diese Entscheidungen "belegen offensichtlich auch die Haltung der Gerichte zu materiell-rechtlichen Aspekten." (Original in Englisch). 260

Zu diesen Voraussetzungen von Gerichtsbarkeit allgemein Lange/Black, Zivilprozeß in den Vereinigten Staaten, Rz. 9; ausführlicher Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 120ff. u. 166ff.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

83

Tochterunternehmen solchermaßen mit dem Forumstaat verbunden, stellt sich die Frage nach einer Zurechnung dieser Verbindung zu Lasten der Mutter: Die Gerichtshoheit wird dann derivativ begründet. Dieser Schritt kann sich entweder durch eine generelle Einheitsbetrachtung von Mutter- und Tochtergesellschaft (merger) oder durch eine kontextspezifische Zuordnung (attribution) vollziehen. Nur erstere führt zur allgemeinen Zuständigkeit (general jurisdiction) des Gerichts; bei letzterer ist die Zuständigkeit sachlich auf Ansprüche beschränkt, die mit dem Grund der Zuordnung in einem inneren Zusammenhang stehen (specific jurisdiction). 261 Dem entspricht materiell-rechtlich der Unterschied zwischen einem Haftungsdurchgriff — mit der Folge, daß die Muttergesellschaft für viele, voneinander unabhängige oder gar alle Verbindlichkeiten der Tochter einzustehen hat — und einer agency- artigen Haftung, wobei der Mutter bestimmte Handlungen der Tochter zugerechnet werden. 262 Stellt man daneben noch die Direkthaftung als materiell-rechtliches Gegenstück zu eigenen Forumkontakten der Mutter, so ist das Spektrum der zu § 107(a) CERCLA vertretenen Meinungen komplett: nur Stellvertreterhaftung (kraft Durchgriff oder agency) oder auch direkte Einstandspflicht von Muttergesellschaften? Unter dem Gesichtspunkt der Parallelen im materiellen Recht verdienen die jurisdiktioneilen Urteile nähere Aufmerksamkeit.

b) Überblick über die Rechtsprechung Wenig aufschlußreich sind Entscheidungen, die den konstruktiven Unterschied zwischen den beiden derivativen Theorien und dem direkten Ansatz nicht thematisieren und wie selbstverständlich den Weg einer allgemeinen Einheitsbetrachtung beschreiten: Hier läßt der "prozessuale Durchgriff ' 2 6 3 keine Schlüsse dahingehend zu, wie das Gericht § 107(a) CERCLA versteht. 264 Solche Urteile bleiben im folgenden unberücksichtigt.

261

Brilmayer /Paisley, a.a.O. (Fn. 256), S. 12f.; in der Sache vergleichbar, aber ohne Verwendung der Begriffe "merger" und "attribution" differenzieren auch Born/Westin, a.a.O. (Fn. 253), S. 162 zwischen der Begründung von Jurisdiktion durch piercing einerseits und nach ûge/içy-Prinzipien andererseits. 262 263

Brilmayer /Paisley , a.a.O., S. 14f. Vgl. auch unten § 3.1.1.a).bb). u. § 3.1.2.b).

Diese zwar griffige, wegen des oszillierenden Inhalts des Begriffs "Durchgriff' aber eher unglückliche Bezeichnung der Einheitsbetrachtung im Verfahrensrecht verwendet die gleichnamige Dissertation von Otto, a.a.O. (Fn. 256). 6*

84

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften aa) Wehner v. Syntex Agribusiness, Inc. 265

Syntex Agribusiness ist eine 100%ige Tochtergesellschaft von Syntex (U.S.Α.), Inc., deren Anteile wiederum vollständig von der Syntex Corp. gehalten werden. Der Kläger macht geltend, daß ihm erhebliche Kosten für die Beseitigung von Dioxinen entstanden sind, die aus der Produktion von Syntex Agribusiness an Standorten in den Bundesstaaten Missouri und Iowa stammen. Dafür nimmt er unter anderem die Muttergesellschaft in Anspruch, die selbst in Missouri weder Eigentum hat noch Geschäfte tätigt. Gleichwohl meint der Kläger, das Bundesgericht für den östlichen Distrikt von Missouri könne — in Anwendung des einschlägigen gliedstaatlichen Zuständigkeitsrechts — Gerichtsbarkeit über die Syntex Corp. ausüben. Wehner stützt sich dabei auf drei Entscheidungen266, in denen Gerichte ihre Jurisdiktion über eine Konzernmutter abweichend von der traditionellen, umfassenden Einheitsbetrachtung 267 begründet haben. Diese Entscheidungen lassen Konsistenz hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Gerichtshoheit über eine Tochtergesellschaft auf deren Mutter erstreckt werden kann, freilich vermissen. 268 Andererseits sind sie sämtlich — wenngleich nicht eindeutig — so

264

Eine undifferenzierte Einheitsbetrachtung liegt folgenden Urteilen zugrunde: Adams v. Republic Steel Corp., 621 F.Supp. 370, 374f. (W.D.Tenn. 1985) (piercing zur Begründung von diversity jurisdiction i. S. v. 28 U.S.C. § 1332(a) abgelehnt); United States v. Bliss, 108 F.R.D. 127, 13If. (E.D.Mo. 1985) (Einheitsbetrachtung zur Unterwerfung der Muttergesellschaft unter die Gerichtshoheit nicht gerechtfertigt); City of New York v. Exxon Corp., 633 F.Supp. 609, 620f. (S.D.N.Y. 1986) (maßgebliche Umstände sprechen für die Ausübung von Gerichtsbarkeit in bezug auf sämtliche Ansprüche aufgrund von Aktivitäten der Tochter). 265

616 F.Supp. 27 (E.D.Mo. 1985).

266

Nämlich Energy Reserves Group, Inc. v. Superior Oil Co., 460 F.Supp. 483 (D.Kan. 1978); Brunswick Corp. v. Suzuki Motor Co., Ltd., 575 F.Supp. 1412 (E.D.Wisconsin 1983); Hoffman v. United Telecommunications, Inc., 575 F.Supp. 1463 (D.Kan. 1983). 267

Diese ähnelt in ihren Voraussetzungen dem materiell-rechtlichen Durchgriff. Vgl. als Leitentscheidung hierzu Cannon Mfg Co. v. Cudahy Packing Co., 267 U.S. 333, 45 S.Ct. 250, 69 L.Ed. 635 (1925). 268

So stellt Energy Reserves Group, Inc. v. Superior Oil Co., 460 F.Supp. 483, 514f. (D.Kan. 1978) entscheidend darauf ab, daß die Muttergesellschaft für ihre Tochter den Vertrag ausgehandelt hat, der Anlaß zu dem Streit gab. Demgegenüber begründet Brunswick Corp. v. Suzuki Motor Co., Ltd., 575 F.Supp. 1412, 1421f. (E.D.Wisconsin 1983) die Gerichtsbarkeit mit den wesentlichen und systematischen Aktivitäten der

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

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zu verstehen, daß sie die Jurisdiktionsausweitung mit einer attribution und nicht lediglich mit einem (modifizierten) merger begründen. 269 Das Syntex-Gericht entscheidet so gesehen also über eine Anregung des Klägers, im Wege einer anspruchspezifischen Zuordnung zur Gerichtsbarkeit über die Syntex Corp. zu gelangen. Diese Entscheidung fällt klar ablehnend aus: Das Gericht bezeichnet die angeführten Urteile als "gefährliche Neuerungen" und weigert sich aus diesem Grund ausdrücklich, sie auf den vorliegenden Fall anzuwenden.270 Statt dessen folgt es dem überkommenen Grundsatz, daß es einer generellen Einheitsbetrachtung bedarf, um Gerichtsbarkeit über eine Muttergesellschaft auszuüben.271 Dafür fehlten hier jedoch die entscheidenden Voraussetzungen, bemerkt das Gericht unter Hinweis auf Kriterien für einen Haftungsdurchgriff: Syntex Agribusiness treffe selbständige Entscheidungen hinsichtlich ihrer Geschäftsziele, ihres Haushalts, der Verträge mit ihren Lieferanten sowie der Produktgestaltung. Weiterhin bringe die Tochtergesellschaft ihr Kapital selbst auf, und ihre

Tochter im Forumstaat und der insgesamt engen wirtschaftlichen Verflechtung von Mutter- und Tochtergesellschaft. Ähnlich allgemeine Kriterien geben offenbar in Hoffman v. United Telecommunications, Inc., 575 F.Supp. 1463, 1472ff. (D.Kan. 1983) den Ausschlag. 269

Für diese Sichtweise sprechen drei unterschiedliche Gesichtspunkte: Erstens beziehen sich alle drei Urteile auf International Shoe Co. ν. State of Washington etc., 326 U.S. 310, 66 S.Ct. 154 (1945). Der darin formulierte minimum contacts-Tzsi bildet die Grundlage für die Ausübung von specific, nicht general jurisdiction (Vgl. a.a.O., S. 319f.). Eine umfassende Einheitsbetrachtung läßt sich damit also nicht rechtfertigen. Zweitens geht es in Brunswick Corp. v. Suzuki Motor Co., Ltd. ebenso wie in Energy Reserves Group, Inc. v. Superior Oil Co. um die Anwendung des sogenannten long-arm statute des jeweiligen Gliedstaats. Ein solches Gesetz vermag ebenfalls nur specific jurisdiction zu begründen. Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, a.a.O. (Fn. 260), S. 140f. Auch dies deutet darauf hin, daß es nicht um eine Einheitsbetrachtung geht. Drittens finden sich in den Urteilen Formulierungen, die von einem sektoralen Ansatz zeugen: Nach Energy Reserves Group, Inc. v. Superior Oil Co., 460 F.Supp. 483, 490 (D.Kan. 1978) sprechen insbesondere solche Handlungen der Tochtergesellschaft für Jurisdiktion über ihre Mutter, die in einem innerem Zusammenhang mit den geltend gemachten Ansprüchen stehen. Etwas vorsichtiger Brunswick Corp. v. Suzuki Motor Co., Ltd., 575 F.Supp. 1412, 1422 (E.D.Wisconsin 1983): Der Zusammenhang zwischen der Beziehung der Mutter zum Forum einerseits und dem Streitgegenstand andererseits sei "ein wichtiges aber nicht entscheidendes Kriterium" (Original in Englisch). 270

Wehner v. Syntex Agribusiness, Inc., 616 F.Supp. 27, 29 (E.D.Mo. 1985) (Original in Englisch). 271

Vgl. Cain, 17 J. of Legisl. 1, 9 (1990); Weber, a.a.O. (Fn. 64), S. 1499.

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§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Buchführung sei von derjenigen der Mutter getrennt. Die Einflußnahme von Syntex Corp. beschränke sich darauf, der Ernennung und Bezahlung leitender Angestellter bei Syntex Agribusiness sowie bestimmten Ausgaben zuzustimmen, Patronatserklärungen abzugeben und eine konzernweite Altersversorgung anzubieten.272

bb) State of Idaho v. Bunker Hill Co. 273 In diesem Urteil, das die Betreiberhaftung mit der bloßen Möglichkeit zur Kontrolle des Anlagebetriebs rechtfertigt, 274 geht es auch um die Gerichtshoheit über Gulf Resources & Chemical Corp., die Muttergesellschaft von Bunker Hill. Bei der Anwendung des gliedstaatlichen Zuständigkeitsrechts zieht das Gericht dieselben Sachverhaltselemente heran, die anschließend für die materiellrechtliche Beurteilung nutzbar gemacht werden. Im Hinblick auf den anzuwendenden Maßstab wird jedoch ausdrücklich differenziert. 275 Im Mittelpunkt der verfahrensrechtlichen Analyse steht eine kombinierte Anknüpfung an die Aktivitäten von Gulf in bezug auf Bunker Hill und an die "weitere[n]" Punkte, die Gulf mit dem Forumstaat (Idaho) verbinden: Das Gericht nennt die oben dargestellten Indizien für eine enge Verflechtung und Kontrolle zwischen beiden Gesellschaften und betont Gulfs "gesamte Kontakte" mit Idaho. 276 Daß die Entscheidung auf den Tatbestand der Konzernierung allgemein Bezug nimmt und der Kontrolle über Bunker Hills Abfallbeseitigungspraktiken allenfalls sekundäre Bedeutung beimißt, macht eines bereits deutlich: Die Ausübung von Gerichtsbarkeit über Gulf basiert nicht auf einer anspruch-, sprich: CERCLAspezifischen Zuordnung. Andererseits bedient sich das Gericht auch keiner generellen Einheitsbetrachtung: Es nennt Cannon277, die Leitentscheidung für eine solche Einheitsbetrachtung, beschreitet aber erklärtermaßen einen anderen Weg, um zur Jurisdiktion über Gulf zu gelangen. Die Bezugnahme auf Gulfs eigene Forumkontakte ist daher ein deutlicher — wenngleich nicht ausdrücklicher — Hinweis darauf, daß die Gerichtshoheit über Gulf direkt begründet wird. Somit 272

Wehner v. Syntex Agribusiness, Inc., 616 F.Supp. 27, 30 (E.D.Mo. 1985).

273

635 F.Supp. 665 (D.Idaho 1986).

274

Vgl. hierzu und zum Sachverhalt oben § 2.ü.b).aa).

275

Vgl. State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 671 (D.Idaho 1986): Der in der Jurisdiktionsfrage angewandte Test trage zwar möglicherweise auch eine materiell-rechtliche Einstandspflicht der Muttergesellschaft; doch sei der — präzisere — Möglichkeitstest für die Feststellung einer Betreiberhaftung vorzuziehen. 276 277

A.a.O., S. 670 (Original in Englisch).

Cannon Mfg. Co. v. Cudahy Packing Co., 267 U.S. 333, 45 S.Ct. 250, 69 L.Ed.2d 635 (1925).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

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decken sich die jurisdiktioneile und die spätere materiell-rechtliche Analyse wenigstens teilweise: Beide knüpfen an das Verhalten der Muttergesellschaft selbst an, wobei die materiell-rechtliche Haftung allerdings anhand des Möglichkeitstestes geprüft wird. Worin die (angeblichen) unmittelbaren Kontakte der Muttergesellschaft zum Forumstaat bestehen, wird übrigens nicht ausgeführt. Das überrascht, weil sich das Gericht zum Ziel gesetzt hat nachzuweisen, daß eine Unterwerfung von Gulf unter seine Jurisdiktion den verfassungsrechtlichen Anforderungen an prozedurale Fairneß genügt. In diesem Rahmen ist der "minimum contacts"-Test maßgeblich, wonach ausreichende Verbindungen zwischen dem Beklagten und dem Forumstaat nachzuweisen sind. 278 Angesichts seiner dürftigen Ausführungen zu diesem Punkt scheint dem Gericht selbst nicht ganz wohl zu sein; es schiebt daher ein weiteres Argument für das Bestehen von Gerichtshoheit nach: Infolge eines Urteils in einem anderen Verfahren sei Gulf mit ihrem Vorbringen präkludiert, sie unterliege der Gerichtshoheit nicht. 279

cc) In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed. 280 Die Bundesregierung und der Commonwealth of Massachusetts haben sechs Unternehmen verklagt, die sie für Verunreinigungen des Hafens von New Bedford und des Flusses Acushnet mit polychlorierten Biphenylen (PCB) verantwortlich machen. Die beklagte RTE Corp. hat beantragt, die Klage abzuweisen, da sie der Zuständigkeit des Gerichts nicht unterliege. Die Klägerseite hat eingeräumt, daß es an einer unmittelbaren Verbindung zwischen RTE und dem Forumstaat (Massachusetts) fehle; ausreichend sei nach dem gliedstaatlichen Zuständigkeitsrecht jedoch, daß Aerovox, ein 100%iges Tochterunternehmen von RTE, unter der Hoheit des Gerichts stehe. RTE nimmt in folgender Weise Einfluß auf ihre Tochter: Sie unterhält ein konzernweites Kassenhaltungssystem, dem Aerovox angeschlossen ist. Durch eine Patronatserklärung erreichte sie, daß Aerovox ein Darlehen zu günstigen Konditionen erhielt. Innerhalb der Unternehmensgruppe wurden keine formellen Darlehensverträge abgeschlossen; von der Tochtergesellschaft geliehenes Geld wurde vielmehr im Zuge der laufenden Finanztransfers zurückgewährt. Vor größeren Ausgaben muß Aerovox die Zustimmung von RTE einholen. Auf RTEs Initiative änderte Aerovox einige Buchhaltungsregeln ebenso wie sein Firmenlogo.

278

Dieser Standard wurde von der International ^^-Entscheidung geprägt. Vgl. hierzu oben Fn. 269. 279

State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 670f. (D.Idaho 1986).

280

675 F.Supp. 22 (D.Mass. 1987).

88

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

In regelmäßigen Abständen sind von der Untergesellschaft Berichte und Prognosen zu erstellen. Beide Unternehmen beschäftigen dieselbe Anwaltssozietät, und RTE hat Versicherungsschutz für alle Konzernglieder kontrahiert. Darüber hinaus behaupten die Kläger, daß Aerovox eigens gegründet worden sei, um RTE vor etwaigen Ansprüchen im Zusammenhang mit der PCB-Kontamination zu schützen. Weder die Hinweise auf die wirtschaftliche Beeinflussung noch das letztgenannte Argument vermögen das Gericht zu überzeugen, RTE seiner Jurisdiktion zu unterwerfen. Es fehle an Anzeichen für "einen derart übertriebenen Grad an Verflechtung und Kontrolle, daß der Billigkeits-Rechtsbehelf des piercing the veil [...] angebracht wäre." Insbesondere sei das Bemühen von RTE, durch die Gründung einer Tochtergesellschaft ihre eigene Haftung zu beschränken, nicht per se unstatthaft. 281 Solche Formulierungen lassen klar erkennen, daß der Entscheidung eine allgemeine Einheitsbetrachtung, das heißt ein merger, zugrundeliegt. Es paßt insofern ins Bild, daß der Richterspruch zahlreiche Vokabeln verwendet, die der Durchgriffsrechtsprechung entlehnt sind. 282 Zugleich läßt das Gericht durchblicken, daß es eine spezifische, auf die Betreiberstellung bezogene Zuordnung nicht für den richtigen Weg hält, um seine Jurisdiktion auf RTE zu erstrecken. Die Klageschrift hat unter Hinweis auf die Abhilfezwecke des CERCLA postuliert, die durch den board vermittelte Kontrolle von RTE über Aerovox sei eine ausreichende Grundlage für die Gerichtshoheit. Dem hält das Gericht entgegen, daß eine Muttergesellschaft dann nur noch ein reines Investitionsinteresse an ihrer Tochter verfolgen dürfe, wenn sie sich nicht der "Haftung aufgrund einer agency-Theorie" aussetzen wolle. Einem solchen neuartigen Ansatz sei die Einheitsbetrachtung, angereichert um die Vorgaben des CERCLA, 283 vorzuziehen. 284 Auch wenn der Hinweis auf die CERCLA-Haftung in einem prozessualen Urteil fehl am Platze ist: Mit der Ablehnung einer agency ähnlichen Haftung verwirft das Urteil implizit deren verfahrensrechtliches Gegenstück, die attribution , als Grundlage von Jurisdiktion. 285

281

A.a.O., S. 34 (Original in Englisch).

282

Etwa "intermingling funds", "abandoning the corporate fiction", "disregard of corporate separateness". A.a.O. 283

Vgl. Heidelberg , a.a.O. (Fn. 198), S. 900; Noonan, a.a.O. (Fn. 95), S. 740.

284

In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 32f. (D.Mass. 1987) (Original in Englisch). 285

Vgl. Little, 44 Sw. L. J. 1499, 1511 (1991): Acushnet lehne den von Urteilen wie Bunker Hill gewählten Ansatz ab. Ähnlich interpretiert auch Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-136, das Urteil. Unklar insofern Weber, a.a.O. (Fn. 64), S. 1499, die meint: "Das Gericht weigerte sich [...], die Haftung gemäß § 107 [CERCLA] zu analysieren." (Original in Englisch).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

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dd) In Re Tutu Wells Contamination Litigation 286 In diesem schon oben 287 erwähnten Rechtsstreit um die Verseuchung der TutuQuellen auf der Karibikinsel St. Thomas ist auch die Texaco, Inc., verklagt. Vor Ort war jedoch nur die Texaco Caribbean, Inc., tätig, ein Konzernunternehmen, das lediglich auf indirekte Weise mit Texaco verbunden ist: Texaco Caribbean ist eine Tochtergesellschaft der in Delaware ansässigen Texaco Overseas Holding, Inc., deren Anteile wiederum von der Texaco Refining and Marketing, Inc. mit Sitz in Houston, Texas, gehalten werden. An Texaco Refining and Marketing schließlich ist Texaco als Konzernmutter zu 100 % beteiligt. Texaco meint, daß sie als reine Holdinggesellschaft nicht der Jurisdiktion des Distriktgerichts für die Virgin Islands unterliege. Sie hat deshalb beantragt, die gegen sie gerichtete Klage zu verwerfen. Das Gericht gelangt zum gegenteiligen Ergebnis. Wie von dem einschlägigen Gesetz der Virgin Islands vorausgesetzt, lasse sich sagen, daß Texaco dort eine deliktische Handlung begangen habe und zugleich in fortgesetzter Weise geschäftlich tätig sei. Aus dem Urteil wird leider nicht deutlich, welches Unternehmen des Texaco-Konzerns die unterirdischen Tanks — die Anlage i. S. d. CERCLA — errichtet hat und betreibt. Das Gericht erklärt auch nicht, worin genau es das anspruchsbegründende Verhalten der Konzernmutter Texaco sieht. Es stellt lediglich fest, daß die Ansprüche nach dem Klägervorbringen aus "den direkten oder indirekten Handlungen und/oder Unterlassungen von Texaco auf den Virgin Islands und außerhalb der Virgin Islands" erwachsen. 288 Aus dem Zusammenhang läßt sich jedoch entnehmen, daß es — neben deliktischen Ansprüchen im engeren Sinne — um eine CERCLA-Direkthaftung der Texaco als Betreiberin der Tanks geht. So behaupten die Kläger, daß Texaco die Geschäfte der Texaco Caribbean kontrolliere. Insbesondere nehme sie durch eine Abteilung mit dem Namen Texaco Latin America/West Africa auf die Umweltpolitik ihrer indirekten Tochter Einfluß; durch diese Abteilung habe Texaco konzernweit die Errichtung, Unterhaltung und den Austausch von Tanks kontrolliert. Zudem überwache Texaco die Einhaltung seiner sogenannten "präventiven Instandhaltungsprogramme". 289 Diese Beweisführung ist ersichtlich auf die im Streit befindlichen Anlagen und damit auf eine direkte Inanspruchnahme von Texaco im Rahmen des CERCLA zugeschnitten.

286

846 F.Supp. 1243 (D.Virgin Islands 1993).

287

§ 2.II.2.a).kk).

288

In Re Tutu Wells Contamination Litigation, 846 F.Supp. 1243, 1265 (D.Virgin Islands 1993) (Original in Englisch). 289

Vgl. a.a.O., S. 1263f. (Original in Englisch).

90

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Bei seiner verfassungsrechtlichen Analyse der Kontakte zwischen der Muttergesellschaft und dem Forumstaat greift das Gericht zusätzlich auf Feststellungen zur wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb des Texaco-Konzerns zurück. So weise Texaco in seinem Geschäftsbericht und in kapitalmarktrechtlich vorgeschriebenen Offenlegungen auf die vertikale Struktur des Unternehmens hin, dessen Tätigkeit von der Ölausbeutung bis hin zum Verkauf raffinierter Erdölprodukte reiche. Daraus folgert das Gericht einen "vereinheitlichten unternehmerischen Zweck". Dieser betreffe gerade auch die Geschäfte auf den Virgin Islands, so daß es gerechtfertigt sei, Texaco der dortigen Gerichtshoheit zu unterwerfen. 290 Der entsprechende Urteilspassus schließt mit der Bemerkung, Texaco unterhalte nicht nur selbst ausreichende Verbindungen mit dem Forum, sondern müsse sich auch die jurisdiktioneilen Kontakte ihrer Töchter zurechnen lassen.291 Trotz dieser letztgenannten Aussage und trotz der Hinweise auf die Beziehungen zwischen Texaco und seinen Töchtern insgesamt: Das Gericht begründet seine Gerichtsbarkeit über Texaco primär mit deren eigenen umweit- und insbesondere anlagebezogenen Maßnahmen im Hinblick auf Texaco Caribbean. Auch wenn sich das Gericht nicht explizit gegen mögliche derivative Begründungen ausspricht, folgt die jurisdiktioneile Prüfung also einem direkten Ansatz. Diese Wahl ist nur konsequent, da die materielle Haftung gemäß § 107(a) CERCLA in diesem Fall ebenfalls direkter Natur ist. 292

ee) Bemerkung und Zusammenfassung Die Frage, die in den wiedergegebenen prozessualen Urteilen zur Entscheidung stand, stellt sich so heute nur noch für einen privaten Kläger: 293 Durch den SARA ist eine Bestimmung 294 in den CERCLA eingefügt worden, wonach die Bundesregierung Klagen nach dem Bundesaltlastengesetz bundesweit zustellen kann. 295 Folglich richtet sich die Jurisdiktion über eme Muttergesellschaft nicht

290

A.a.O., S. 1266f. (Original in Englisch).

291

A.a.O., S. 1267. Die Begründung für eine solche Zurechnung ist freilich äußerst gewagt: Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Texaco zweifellos Kenntnis von gerichtlichen Schriftsätzen erlange, die an Tochtergesellschaften gerichtet seien. Letztere hätten innerhalb des Konzerns Funktionen von zentraler Bedeutung für den Erfolg von Texaco als integriertes Unternehmen. 292

Vgl. oben § 2.II.2.a).kk).

293

Vgl. In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 35ff. (D.Mass. 1987). 294 295

42 U.S.C. § 9613(e) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 63)).

Für alle anderen Kläger bleibt es bei der "alten" Rechtslage. Steego Corp. v. Ravenal, 830 F.Supp. 42, 50 (D.Mass. 1993) m. w. N.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

91

mehr nach Fed.R.Civ.P. 4(e) i. V. m. dem jeweiligen gliedstaatlichen Zuständigkeitsgesetz (long-arm statute). Es braucht einer Muttergesellschaft nicht mehr nachgewiesen zu werden, daß sie ein Delikt im Forumstaat begangen hat bzw. daß sie sich deliktisches Verhalten einer der Gerichtshoheit unterliegenden Tochtergesellschaft (durch merger oder attribution) zurechnen lassen muß. Stattdessen ergibt sich die gerichtliche Zuständigkeit unmittelbar aus dem CERCLA. Schranken enthält allerdings weiterhin das Verfassungsrecht: Nach dem Gebot prozeduraler Fairneß kann nur dann Jurisdiktion über eine Muttergesellschaft bestehen, wenn sie ausreichende Kontakte mit dem Forumstaat unterhält. 296 Im Rahmen dieser grundrechtlichen Prüfung sind in der Sache ähnliche Aspekte maßgeblich wie bei der Auslegung des gliedstaatlichen Zuständigkeitsrechts. Schon deshalb bleibt die Aussagekraft der vier obigen Urteile für das materiellrechtliche Verständnis des § 107(a) CERCLA von der nachträglichen Rechtsänderung im wesentlichen unberührt. In ihren jeweiligen tatsächlichen und dogmatischen Grundlagen sind die dargestellten Entscheidungen noch unklarer und interpretationsbedürftiger als viele Urteile zur (materiellen) Betreiberhaftung von Muttergesellschaften. So wird offenbar durchweg nicht gesehen297, daß prinzipiell drei Wege offenstehen, um die Gerichtshoheit über eine nicht forumansässige Muttergesellschaft zu begründen: zwei derivative und ein direkter. Dieses Versäumnis tritt selbst in denjenigen Fällen zutage, wo innerhalb eines Verfahrens über Jurisdiktion und Haftung geurteilt wird. Immerhin ziehen diese Entscheidungen — Bunker Hill und Tutu Wells — eine Parallele zwischen beiden Fragen. Wenn schon nicht bei einer streng rechtlichen Betrachtung, 298 so doch wenigstens faktisch besteht also eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Maßstäben zur Jurisdiktion und zur direkten Betreiberhaftung. Das macht im Ergebnis, auch aus dem materiell-rechtlichen Blickwinkel dieser Arbeit betrachtet, 299 durchaus Sinn. Denn der Streit über die 296

Siehe oben § 2.II.3.a).

297

Dies ist weniger eine Kritik an den Gerichten als vielmehr an den Parteien: Diese haben sich — soweit sich dies aus den veröffentlichten Entscheidungen entnehmen läßt — in keinem Fall auf alle verfügbaren jurisdiktioneilen Theorien gestützt. 298 299

Vgl. oben § 2.II.3.)a.

Einen — hiervon unabhängigen — prozessualen Grund für einen Gleichlauf von jurisdiktionellem und Haftungsmaßstab nennt Cain , a.a.O. (Fn. 271), S. 9 u. 11: Nicht forumansässige Beklagte würden gegenüber forumansässigen Beklagten privilegiert, wenn nur die Haftung, nicht hingegen die Gerichtsbarkeit direkt begründet werden könnte. Denn dann könnten erstere gerichtlich nicht belangt werden, selbst wenn sie materiell-rechtlich verantwortlich wären. Dieses Argument ist allerdings schwach, da eine solche

92

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Gerichtsbarkeit wird hier stellvertretend für den Streit über die materielle Haftung geführt. Um letzterem von vornherein auszuweichen, hat eine beklagte Muttergesellschaft ein offensichtliches Interesse daran, daß die Klage schon aus prozessualen Gründen abgewiesen wird. Wo dies nicht gelingt, dürfte häufig ein erheblicher Druck entstehen, den geltend gemachten Anspruch aus direkter Betreiberhaftung zumindest teilweise durch einen Vergleich zu befriedigen. Auf diese Weise wird de facto bereits auf der Stufe der Zulässigkeitsprüfung eine Vorentscheidung über die Haftungsfrage getroffen.

4. Rechtsprechung zur Betreiberhaftung von Aktionären unabhängiger Gesellschaften Mindestens ebenso zahlreich wie die Konzernhaftungsfälle zu § 107(a) CERCLA sind Entscheidungen, die sich mit der Verantwortlichkeit von Aktionären unabhängiger Gesellschaften befassen. Beide Gruppen von Urteilen stehen nicht einfach «beieinander; bei genauem Hinsehen wird vielmehr deutlich, daß sie eine einheitliche Rechtsprechung bilden: Eine ganze Entscheidungslinie zur Konzernhaftung — bestehend aus denjenigen Urteilen, die den Möglichkeitstest zum Haftungsmaßstab für Muttergesellschaften erheben — ist maßgeblich von einem Fall geprägt, in dem es um die direkte Haftung einer natürlichen Person als Alleinaktionär und leitender Angestellter geht. 300 Ohne Vorbehalte oder Einschränkungen beziehen sich viele der oben dargestellten Entscheidungen auf diesen oder andere Präzedenzfälle zur Betreiberhaftung individueller Aktionäre. 301

a) Vergleichbarkeit

und Aussagekraft dieser Entscheidungen

Es sind indes Zweifel anzumelden, ob Urteile zur Aktionärshaftung in unabhängigen Gesellschaften für die hier zu beurteilende konzernrechtliche Fragestellung

Privilegierung forumferner Personen eine natürliche und in gewissem Umfang unvermeidliche Folge des föderalen Gerichtssystems der USA ist. 300 301

Die Rede ist hier von dem schon oben § 2.II.2.b). erwähnten NEPACCO-VzW.

Vgl. Colorado v. Idarado Mining Co., 18 ELR 20578 (D.Colo. Apr. 29, 1987); Rockwell Intern. Corp. v. IU Intern. Corp., 702 F.Supp. 1384, 1390 (N.D.III. 1988); U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1203 (E.D.Pa. 1989); U.S. v. McGraw-Edison Co., 718 F.Supp. 154, 157 (W.D.N.Y. 1989); U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22 (D.R.I. 1989); Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 353 (D.N.J. 1991); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 573 (W.D.Mich. 1991); John Boyd v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 442 (D.Mass. 1991); U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1178 (N.D.Iowa 1994); State of N.Y. v. Solvent Chemical Co., Inc., 875 F.Supp. 1015, 1019 (W.D.N.Y. 1995).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

93

bedeutsam und aussagekräftig sind. Soweit die amerikanische Rechtswissenschaft solche Zweifel überhaupt ventiliert, stützt sie sich dabei auf eine ökonomische Analyse der CERCLA-Haftungsfolgen. Eine Einstandspflicht einzelner Personen sei schwieriger zu rechtfertigen, weil diese typischerweise weniger vermögend als Konzernmütter seien. Zur Refinanzierung 302 des Superfund könnten sie daher nur relativ unbedeutende Beiträge leisten; außerdem sei der marginale Nutzen des Vermögens, das zur Schadenersatzleistung verwendet werde, für ein Individuum durchweg höher als für ein Unternehmen. 303 Gewichtigere Bedenken ergeben sich, wenn man die unterschiedslose Behandlung von individuellen Aktionären und Muttergesellschaften mit einer differenzierten konzernrechtlichen Dogmatik wie der deutschen kontrastiert: Hierzulande ist einerseits anerkannt, daß eine weitgehende Einflußnahme der Ober- auf die Untergesellschaft dem Konzern immanent und deshalb regulär, ja geradezu "natürlich" ist. 304 Im Zusammenhang mit der Durchgriffsrechtsprechung wird etwa dargelegt, daß eine Vermischung der Sphären mehrerer Konzernglieder als Folge arbeitsteiliger Differenzierung und synergetischer Integration von Unternehmensteilen nicht nur gewollt sondern wirtschaftlich zudem wünschenswert sei. Demgegenüber indiziere eine solche Vermischung im Verhältnis des einzelnen Aktionärs zu seiner Gesellschaft häufig einen Mißbrauch. 305 Andererseits sehen sich Gläubiger (ebenso wie Minderheitsgesellschafter) einer konzernangehörigen Gesellschaft zusätzlichen, konzernspezifischen Risiken ausgesetzt.306 Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, daß die Haftung von herrschenden Unternehmen in Deutschland in §§ 29Iff. AktG besonders geregelt ist. 307

302

Vgl. zu diesem Gesichtspunkt eingehend unten § 4.1.1 .b).bb).(l).(d).

303

Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 60f. Insbesondere das letztgenannte Argument überzeugt so pauschal jedenfalls nicht: Gewiß ist der Grenznutzen von Geld für ein Individuum maximal, wenn damit Grundbedürfiiisse wie Wohnung oder Nahrungsmittel (vgl. a.a.O., Fn. 93) befriedigt werden. Wer Unternehmensanteile erworben hat und daher als Aktionär eventuell CERCLA-Verbindlichkeiten ausgesetzt ist, dürfte solche Grundbedürnisse aber längst gedeckt haben. Auch durch die Vollstreckung von Ansprüchen aus Betreiberhaftung werden sie nicht gefährdet, da insoweit die Pfändungsschutzvorschriften ausreichenden Schutz gewähren. Vgl. auch die ökonomischen Überlegungen bei Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 617. 304

Vgl. hierzu auch unten § 5.III.l.a).bb).(l).

305

Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 273; vgl. Lutter, ZGR 82, 244, 246f.

306

Hierzu eingehend unten § 4.II. 1 .b).bb).

307

Vgl. Begründung RegE bei Kropff, Aktiengesetz, S. 373ff.; Koppensteiner in: KölnKomm, Vorb. § 291, Rz. 5ff.; näher unten § 7.II.3.b).bb).(2).

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

94

Eine derartige Sonderregelung kennt das amerikanische Recht jedoch nicht. Traditionell werden Aktionäre einer unabhängigen Gesellschaft und Konzernmütter haftungsrechtlich — das heißt bei einem Durchgriff als dem klassischen Instrument, mit dem eine Einstandspflicht begründet wird — nach identisch formulierten Standards beurteilt. 308 Es ist insofern nur konsequent, daß auch im Rahmen der Direkthaftung gemäß dem CERCLA für beide gleiche Grundsätze gelten. Da die Betreiberhaftung entscheidend an tatsächliche bzw. mögliche Kontrolle über eine Anlage anknüpft, läßt sich — stark verkürzend und vereinfachend — sagen: Eine Konzernobergesellschaft entspricht, aus der Warte des überkommenen Haftungsrechts betrachtet, einem Mehrheits- oder Alleinaktionär, der schon aufgrund dieser Stellung und/oder als director und/oder leitender Angestellter "seiner" Gesellschaft Einfluß nimmt bzw. nehmen kann. 309 In ähnlicher Weise ist wohl bereits Latty zu verstehen, wenn er meint: "Eine Muttergesellschaft stellt nur eine bestimmte Sorte von Aktionär dar; häufig ist sie nur eine andere Ausprägung der Ein-Mann-Gesellschaft." 310 Freilich verwischt diese — allzu simple — Logik einen strukturellen Unterschied zwischen Fällen zu Unternehmensgruppen und Konstellationen, in deren Mittelpunkt eine unabhängige Gesellschaft steht. Letztere sind vergleichsweise übersichtlich und unkompliziert. Die gesellschaftsrechtlichen Strukturen sind einfach; typischerweise kommt nur eine juristische Person als Haftungssubjekt in Betracht. 311 Wo es um die Haftung einer Konzernmutter geht, ist hingegen oft schon fraglich, für wen eine im Anlagebetrieb tätige natürliche Person gehandelt hat: Da in vielen Fällen dieselbe Person Führungspositionen bei der Mutter- und der dazugehörigen Tochtergesellschaft bekleidet, kommen prinzipiell beide Gesellschaften als Zuordnungssubjekte in Betracht. 312 Hinzu 308 Siehe unten § 3.1.1 .b).bb).(l). Vgl. Antunes, Liability of Corporate Groups, S. 155; Drüke, Haftung der Muttergesellschaft für Schulden der Tochtergesellschaft, S. 4. 309

Vgl. hierzu Ballantine, 14 Cal. L. Rev. 12, 20f. (1925). Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, S. 499, bemerkt (freilich ohne besonderen Bezug zum CERCLA): "Ob ein individueller Aktionär das Management der Gesellschaft übernimmt, oder ob dies die Obergesellschaft durch ihre Organe oder leitenden Angestellten tut, steht gleich." Chadd/Satinover, a.a.O. (Fn. 186), lehnen eine solche Gleichstellung im CERCLAKontext wohl nur deshalb ab, weil sie die Möglichkeit einer Muttergesellschaft, die Geschäfte ihrer Tochter gegebenenfalls bis ins Detail mitzubestimmen, nicht erkennen. 310

Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 192 (Original in Englisch). Bemerkenswert ist im vorliegenden Zusammenhang auch sein Postulat, für die Frage nach der Beteiligung einer Muttergesellschaft an einem Delikt seien dieselben Grundsätze maßgebend, nach denen directors und leitende Angestellte gegenüber Dritten für deliktisches Verhalten "ihrer" Gesellschaft haften. A.a.O., S. 83. 311

Vgl. Aronovsky/Fuller,

312

Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 189; vgl. Blumberg/Strasser,

a.a.O. (Fn. 109), S. 446. a.a.O. (Fn. 256), S.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

95

kommt, daß die Beziehung zwischen dem unmittelbar handelnden Individuum und dem Unternehmen durch die allgemeine konzernmäßige Verflechtung überlagert wird. Das macht den Betreiberbegriff im Kontext verbundener Unternehmen diffus, aber eben auch besonders interessant. Da die Urteile zur Haftung individueller Aktionäre für eine Aufarbeitung dieses Begriffs wenig ergiebig sind, werden sie im folgenden nur resümiert.

b) Resümee der Entscheidungen Das Meinungsspektrum zur Betreiberhaftung individueller Aktionäre ist ähnlich breit wie das im Konzernkontext. Die grobe Einteilung in drei Entscheidungslinien ist jedoch in signifikanter Weise variiert: Urteile, in denen eine direkte Haftung von aktiven Anteilseignern prinzipiell abgelehnt wird, finden sich nicht; es "fehlt" also an einem Pendant zu Joslyn und seinen Folgeentscheidungen. Andererseits tritt neben den Standard, der an tatsächliche Kontrolle anknüpft, und den Möglichkeitstest eine dritte Spielart möglicher Haftungsmaßstäbe im Rahmen des § 107(a) CERCLA: der sogenannte "Verhütungstest". Ein höchstrichterliches Urteil läßt auf sich warten, nachdem der U.S. Supreme Court mehrere Revisionsersuchen abgelehnt hat. Inzwischen haben sich jedoch etliche zweitinstanzliche Gerichte für eine direkte Betreiberhaftung ausgesprochen. Dominierend sind — ähnlich wie im Rahmen der Konzernhaftung — diejenigen Entscheidungen, die einen Aktionär wegen seiner tatsächlichen Mitwirkung persönlich haften lassen. Dabei erstreckt sich die Mitwirkung durchweg auf den Umgang mit gefährlichen Stoffen und bezieht sich damit letztlich auf die betreffende Altlast. 313 Soweit ersichtlich, läßt lediglich ein Gericht die laufende

209f.; Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 616. Vgl. zum Problem der Personenidentität auch unten § 3.1.3.d). am Ende. 313

In diesem Sinne etwa: State of N.Y. v. Shore Realty Corp., 759 F.2d 1032, 1052 (2d Cir. 1985); United States v. Ward, 618 F.Supp. 884, 894 (E.D.N.C. 1985) (zur arranger- Haftung gemäß § 107(a)(3) CERCLA); United States v. Conservation Chemical Co., 619 F.Supp. 162, 190 (W.D.Mo. 1985); U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298, 1306 (E.D.Mo. 1987) (arranger- Haftung); U.S. v. Carolina Transformer Co., Inc., 739 F.Supp. 1030, 1037f. (E.D.N.C. 1989); Columbia River Service Corp. v. Gilman, 751 F.Supp. 1448, 1454 (W.D.Wash. 1990); Riverside Mkt. Devel. Corp. v. International Bldg. Prods., 1990 U.S. Dist. LEXIS 6375 (E.D.La. 1990), S. 6ff., qff'd, 931 F.2d 327, 330 (5th Cir. 1991); Levin Metals v. Parr-Richmond Terminal, 781 F.Supp. 1454, 1456f. (N.D.Cal. 1991); CBS, Inc. v. Henkin, 803 F.Supp. 1426, 1434 (N.D.Ind. 1992); U.S. v. Amtreco, Inc., 809 F.Supp. 959, 966f. (M.D.Ga. 1992); Kelley ex rei. Mich. Nat. Res. v. Tiscornia, 827 F.Supp. 1315, 1323 (W.D.Mich. 1993); Sidney S.Arst ν. Pipefitters Welfare Educ. Fund, 25 F.3d 417, 421 (7th Cir. 1994); Witco Corp. v. Beekhuis, 38 F.3d 682, 692 (3rd Cir. 1994).

96

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Einflußnahme auf die allgemeinen Geschäfte des Unternehmens als Haftungsvoraussetzung genügen.314 Eine geringere Zahl von Gerichten verzichtet ganz auf eine tatsächliche Mitwirkung und stellt auf die bloße Möglichkeit des Beklagten ab, die Gefahrstoffbeseitigung zu überwachen. 315 In der letztgenannten Fallgruppe deckt sich freilich der abstrakt formulierte Standard nicht mit den jeweiligen tatsächlichen Grundlagen, sprich: Selbst in denjenigen Konstellationen, wo Gerichte auf den Möglichkeitstest zurückgegriffen haben, scheint der beklagte Aktionär — über seine Rolle als Anteilseigner hinausgehend — tatsächlich Einfluß auf die Geschäfte "seines" Unternehmens genommen zu haben.316 Dieser Umstand wird zum Teil wiederum als Indiz für seine Kontrollmöglichkeit gewertet. 317 Zusammenfasssend läßt sich sagen: Rein passive Aktionäre können sich mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf verlassen, nicht persönlich in Anspruch genommen zu werden. Gering einzuschätzen ist das Haftungsrisiko auch, wenn die Aktivitäten eines Aktionärs nur allgemeiner Art, also nicht unmittelbar auf die fraglichen Gefahrstoffe bezogen sind. 318 Über diese Grundsätze scheint der Verhütungstest (prevention test) hinauszugehen, der im Hinblick auf die Haftung individueller Aktionäre neu entwickelt wurde. Danach ist der Möglichkeitstest wie folgt zu modifizieren: Ausgehend von der Feststellung, daß jemand die Zuständigkeit zur Kontrolle von Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen besitzt, ist nach seiner Position und Funktion innerhalb des

314 Vgl. Jacksonville Elee. Auth. v. Eppinger & Russell Co., 776 F.Supp. 1542, 1546ff. (M.D.Fla. 1991), äff fd sub nom Jacksonville Elee. Auth. v. Bernuth Corp., 996 F.2d 1107, 1110 (llth Cir. 1993). Bei diesem Fall ist jedoch als Besonderheit zu beachten, daß der in Anspruch genommene Aktionär keine natürliche Person sondern die Tufts University ist. 315

U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 849 (W.D.Missouri 1984), qff'd in part , rev'd in part , 810 F.2d 726, 743f. (8th Cir. 1986), cert, denied , 484 U.S. 848, 108 S.Ct. 146, 98 L.Ed.2d 102 (1987) (die zweitinstanzliche Entscheidung wendet den Möglichkeitstest nur noch auf die arranger-Haftung an); State of Vt. v. Staco, Inc., 684 F.Supp. 822, 832 (D.Vt. 1988); Nurad, Inc. v. William E. Hooper & Sons Co., 966 F.2d, 837, 842 (4th Cir. 1992); U.S. v. Carolina Transformer Co., 978 F.2d 832, 837 (4th Cir. 1992); Donahey v. Bogle, 987 F.2d 1250, 1254 (6th Cir. 1993); City of North Miami, Fla. v. Berger, 828 F.Supp. 401, 410 (E.D.Va. 1993); U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1179 (N.D.Iowa 1994). 316

Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 624; vgl. dies./Schipani,

a.a.O. (Fn. 43), S. 300f.

317

Vgl. etwa U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1179f. (N.D.Iowa 1994) m. w. N. 318

So allgemein, das heißt ohne besonderen Bezug zu CERCLA: Thompson, 47 Vand. L. Rev. 1, 11 (1994). Ähnlich Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 602ff., der daraufhinweist, daß die Gerichte geneigt sind, eine verantwortliche Stellung des Aktionärs innerhalb der Gesellschaft als Indiz für eine aktive Beteiligung an der Abfallbeseitigung zu werten.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

97

Unternehmens zu fragen. Es geht dabei insbesondere um seine mögliche Rolle in der Geschäftsführung, seine Stellung im MachtgefÜge der Gesellschaft und die Größe seines Aktienpakets. Besonderes Augenmerk gilt der Frage, ob bzw. inwieweit sich daraus eine besondere Verantwortung für die Behandlung der fraglichen Gefahrstoffe ergibt — und ob bzw. inwieweit der Aktionär mit seinem Verhalten der möglichen Verantwortung gerecht geworden ist. Selbst fehlgeschlagene Bemühungen um einen angemessenen Umgang mit den Stoffen sprechen für den Beklagten und dagegen, ihn für Sanierungskosten haftbar zu machen.319 In den so entschiedenen Fällen standen detaillierte Feststellungen zum Umfang der Einflußnahme durch den beklagten Aktionär noch aus. Folglich ist unklar, ob der Verhütungstest das Haftungsrisiko nur auf dem Papier oder auch im Ergebnis deutlich steigert: Letzteres wäre der Fall, wenn infolge rigider Anwendung der beschriebenen Kriterien wirklich (auch) solche Personen zum Schadenersatz herangezogen würden, die tatsächlich nicht an der Abfallbeseitigung durch "ihre" Gesellschaft beteiligt waren. Jüngere Entscheidungen, die den Verhütungstest befolgen, 320 haben diese Unklarheit, soweit ersichtlich, nicht beseitigt. Gesichert erscheint demnach nur, daß es allein der Status eines Aktionärs als leitender Angestellter nicht rechtfertigt, diesen haftbar zu machen.321 Es kommt vielmehr darauf an, ob die innerhalb des Verhütungstestes relevanten Umstände im Einzelfall vorliegen. Daß offenbar kein Gericht eine Direkthaftung zu Lasten individueller Aktionäre per se ablehnt, vermag nur auf den ersten Blick zu überraschen. Wer für eine Gesellschaft handelt und dabei ein Delikt begeht, haftet nämlich schon nach traditionellen Grundsätzen des gemeinen Delikts- und agency- Rechts persönlich und kann sich insoweit nicht auf das Prinzip der beschränkten Haftung im Kapitalgesellschaftsrecht berufen (corporate actor rule) 321. A u f diese Regel stützen sich viele der zitierten Urteile — insbesondere diejenigen, die an tatsächliche Einflußnahme anknüpfen — zumindest implizit. Haftungsauslösendes Moment ist also weniger die Aktionärstellung der Beklagten als vielmehr ihre Einmischung in die unternehmerischen Angelegen-

319

Kelley ex rei. Natural Res. Com'n v. ARCO Ind., 723 F.Supp. 1214, 1219f. (W.D.Mich. 1989); Kelley v. Thomas Solvent Co., 727 F.Supp. 1532, 1543f. (W.D.Mich. 1989); Kelley v. Thomas Solvent Co., 727 F.Supp. 1554, 1562 (W.D.Mich. 1989). Vgl. Kezsbom/Satula/Goldman, a.a.O. (Fn. 83), S. 72ff. 320

Etwa Quadion Corp. v. Mache, 738 F.Supp. 270, 274f. (N.D.III. 1990); Robertshaw Controls v. Watts Regulator, 807 F.Supp. 144, 152f. (D.Me. 1992). 321

Lawrence, 20 ELR 10377, Text zu Fn. 69.

322

Hierzu eingehend unten § 3.1.3.

7 Ochsenfcld

98

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

heiten, vor allem die Gefahrstoffbeseitigung. 323 So erklärt sich auch, daß in einigen (wenigen) Fällen leitende Angestellte als Betreiber i. S. d. § 107(a)(1) und (2) CERCLA verantwortlich gemacht werden, die keine Anteile an der betreffenden Gesellschaft halten bzw. gehalten haben. 324 Wenn eine Direkthaftung natürlicher Personen mit Hilfe der corporate actor rule — wenigstens im Grundsatz — so unproblematisch gerechtfertigt werden kann, drängt sich eine Frage natürlich auf: Läßt sich diese Regel auch auf Konzernmütter anwenden?325

5. Besonderheiten bei multinationalen Konzernen In der heutigen Zeit international, teils sogar global tätiger Unternehmensgruppen mit Tochtergesellschaften in einer Vielzahl von Staaten stellen sich für das Konzernhaftungsrecht zusätzliche Probleme. 326 So sind die Bestimmung der lex causae und jurisdiktionelle Fragen — nicht mehr nur auf der Ebene der einzelnen Teilrechtsordnungen der USA sondern überdies im internationalen Maßstab — der materiell-rechtlichen Prüfung logisch vorangestellt. 327 Von den oben dargestellten konzernrechtlichen Fällen weisen, soweit erkennbar, zwei eine relevante Auslandsberührung auf: In Nicolei 328 ist eine englische, in TonollZ 329 sind eine holländische sowie einefrühere kanadische Muttergesellschaft verklagt; doch beschäftigen sich die veröffentlichten Entscheidungen nicht mit den daraus resultierenden Fragen. Potentiell bestehen besondere Probleme aber auf drei Ebenen. Erstens ist es für ein amerikanisches Gericht schwieriger, Gerichtsbarkeit über einen ausländischen Beklagten (etwa eine außerhalb der USA ansässige Muttergesellschaft) zu begründen als über einen Beklagten mit Sitz in einem US-

323

Ähnlich Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 632; dies./Schipam, a.a.O. (Fn. 43), S. 301.

324

Vgl. etwa United States v. Carolawn Co., 14 ELR 20698, 20700 (D.S.C. June 15, 1984); United States v. Mottolo, 629 F.Supp. 56, 60 (D.N.H. 1984) (zur arrangerHaftung gemäß § 107(a)(3) CERCLA); U.S. v. Northernaire Plating Co., 670 F.Supp. 742, 748 (W.D.Mich. 1987). Überblicke zu den für leitende Angestellte geltenden Haftungsgrundsätzen geben: Cross , a.a.O. (Fn. 8), S. 74ff.; Knepper /Bailey, Liability of Corporate Officers and Directors, vol. I, S. 370ff .; Oswald, a.a.O., S. 613ff.; dies./Schipani, a.a.O., S. 272ff.; Preston, 17 Toi. L. Rev. 923, 952ff. (1986) und passim. 325 326

Hierzu eingehend unten § 3.1.3.d). Vgl. vor diesem Hintergrund zum Haftungsdurchgriff Schiessl, DB 89, 513ff.

327

Vgl. Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 233.

328

Oben § 2.II.2.a).cc).

329

Oben § 2.II.2.a.)ll).

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

99

Bundesstaat.330 Das liegt unter anderem daran, daß die möglicherweise fehlende Vertrautheit des Beklagten mit dem amerikanischen Rechtssystem in die Beurteilung der prozeduralen Fairneß einfließt; 331 zudem kann sich die Bundesregierung als Klägerin nicht auf § 113(e) CERCLA 3 3 2 stützen, wonach Klagen bundesweit, aber nicht im Ausland, zugestellt werden können. 333 Zweitens kann es erforderlich werden, aufgrund eines in den USA erstrittenen Urteils in im Ausland belegenes Vermögen zu vollstrecken. Dabei sind zumindest zusätzliche praktische Schwierigkeiten, oft auch Hindernisse rechtlicher Art zu überwinden. 334 Drittens bedarf es näherer Erklärung, warum sich etwa die Haftung einer ausländischen Muttergesellschaft überhaupt nach amerikanischem Recht, sprich: nach dem CERCLA, richten soll. Sowohl der Topos der wirtschaftlichen Einheit einer Unternehmensgruppe als auch völkerrechtliche Grundsätze lassen unter Umständen Bedenken gegen eine extraterritoriale Anwendung des USKonzernhaftungsrechts aufkommen. 335 Weiterführende Überlegungen zu diesen Aspekten würden über den Rahmen dieser Bearbeitung hinausführen. An dieser Stelle sollen deshalb die obigen Andeutungen genügen.336

6. Zwischenbilanz Eine Gesamtschau der Entscheidungen zeigt, daß eine direkte Betreiberhaftung von Obergesellschaften — im Grundsatz — auf einer mittlerweile gefestigten

330

Alexander, a.a.O. (Fn. 256), S. 429.

331

Vgl. Asahi Metal Ind. v. Super. Ct. of Cal., Solano Cty., 480 U.S. 102, 114, 107 S.Ct. 1026, 94 L.Ed.2d 92 (1987). 332

42 U.S.C. § 9613(e) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 63)); vgl. auch oben § 2.II.3.b).ee). 333

U.S. v. Ivey, 747 F.Supp. 1235, 1238 (E.D.Mich. 1990).

334

Vgl. Alexander, a.a.O. (Fn. 256), S. 430. Berücksichtigt man, daß eine Direkthaftung zu Lasten von Aktionären das Prinzip beschränkter Haftung wenigstens teilweise in Frage stellt (hierzu näher unten § 5.Π.Ι.), so wird eine warnende Anmerkung von Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1922, relevant: Ein Gericht in einem Staat, der diesem Prinzip einen höheren Stellenwert zuerkennt, könnte einem amerikanischen Direkthaftungs-Urteil die Anerkennung versagen. 335 Vgl. OECD, Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für ihre Tochtergesellschaften, S. 31; Blumberg in: ZGR-Sonderheft 11, S. 264, 307f. 336

Detaillierte Ausführungen zu den angesprochenen Punkten finden sich in: Hof stette r, Sachgerechte Haftungsregeln für Multinationale Konzerne, S. 160ff. (insbesondere S. 166f.), u. passim 7*

100

§ 2 Bestandsaufnahme: Haftung von Obergesellschaften

Rechtsprechung beruht. 337 Aus dem Rahmen fallen lediglich die Urteile aus dem fünften Gerichtsbezirk, die eine solche Haftung rundweg ausschließen. Mit dieser Schlußfolgerung ist jedoch für Rechtslehre und -praxis noch nicht viel gewonnen: Abgesehen von der Rechtfertigung dieser neuen und zusätzlichen Form von Konzernhaftung, fragt sich, unter welchen Voraussetzungen eine Einstandspflicht von Konzernmüttern konkret anzunehmen ist. Die grobe Unterscheidung zwischen Urteilen, die auf tatsächlich ausgeübte Kontrolle und solchen, welche auf die bloße Kontrollmöglichkeit der Muttergesellschaft abstellen, führt insofern kaum weiter. Womöglich verzerrt die — scheinbar klare — Zuordnung von Entscheidungen zur einen oder anderen Fallgruppe sogar das wirkliche Meinungsbild in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Die beiden Direkthaftungs-Maßstäbe enthalten nämlich alles andere als klar konturierte, aussagekräftige Tatbestände. Letztlich ist etwa die Formel vom "beherrschenden Einfluß", die insbesondere in der Kayser-Roth-Linie von Entscheidungen häufig wiederkehrt, 338 eben nur das: eine Formel. 339 Wie unterschiedlich sie verstanden und gehandhabt wird, zeigt beispielsweise eine Gegenüberstellung von CPC International 340 und Tonolli 341. Die erstgenannte Entscheidung unterstreicht die aktive Einflußnahme der Muttergesellschaft auf den Umgang mit toxischen Stoffen in der Anlage ihrer Tochter. Letztere verweist den Rechtsstreit mit der Maßgabe an die Vorinstanz zurück, Feststellungen zur Identität leitender Angestellter bei beiden Gesellschaften zu treffen: Entscheidend sei die auf diesem Weg ausgeübte allgemeine unternehmerische Kontrolle. Damit ist der Haftungsstandard im Tonolli-YM, obgleich dort — ebenso wie in CPC International — von "tatsächlicher Kontrolle" die Rede ist, im Ergebnis nicht weit vom Möglichkeitstest entfernt. 342

Relativierend ist zwar festzustellen, daß die Zahl der veröffentlichten Urteile in diesem Sinne nicht allzu groß ist und sich viele Bundesappellationsgerichte überhaupt noch nicht zu dieser Frage geäußert haben — einschließlich des Gerichts für den (schon wegen seiner geographischen Größe) besonders wichtigen 9. Bezirks. Doch erscheint es unwahrscheinlich, daß diese Gerichte der im 5. Bezirk herrschenden Mindermeinung folgen würden. 338

Vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 264.

339

Wie "formelhaft" ihr Gebrauch inzwischen geworden ist, zeigt plakativ die Entscheidung Kleen Laundry & Dry Clng. ν. Total Waste Management, 867 F.Supp. 1136 (D.N.H. 1994): Anstelle des üblichen Terminus "pervasive control" (beherrschende Kontrolle) verwendet das Gericht die ähnlich klingende, aber wenig sinnvolle Formulierung "persuasive control" (überzeugende Kontrolle). A.a.O., S. 1144. 340

Oben § 2.II.2.a).ii).

341

Oben § 2.II.2.a).ll).

342

Ikuta/Johnson, a.a.O. (Fn. 216), S. 60.

II. Einstandspflicht einer Muttergesellschaft

101

Quer zur Dichotomie zwischen tatsächlicher und möglicher Kontrolle lassen sich die Entscheidungen also nach dem Grad der Einflußnahme im Einzelfall unterscheiden. Eine Kategorisierung anhand dieses Kriteriums ist freilich unmöglich: Vielfach fehlen detaillierte Feststellungen zu Art und Umfang der Einflußnahme ganz. Aus anderen Entscheidungen läßt sich zwar eine Vielzahl von Elementen343 destillieren, die insgesamt das Tatbestandsmerkmal der Kontrolle ausfüllen; in welcher Verbindung sie zur Haftung einer Obergesellschaft führen, ist aber nicht abstrakt feststellbar. Abschätzbar ist das Haftungsrisiko nur, wo die in Frage stehende Konzernsituation weitestgehend einer im gleichen Gerichtsdistrikt bzw. -bezirk bereits entschiedenen Konstellation entspricht. Jenseits des case law müssen Aussagen zur Rechtslage so vage bleiben wie in den obigen Zusammenfassungen der Rechtsprechung.

Neben der Einflußnahme auf die Gefahrstoffbeseitigungspraxis wird am häufigsten die Identität von directors und leitenden Angestellten bei Mutter- und Tochtergesellschaft genannt. Darüber hinaus kehren folgende Elemente immer wieder: Bestimmung der Personalpolitik (namentlich Entscheidungen über die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern); Zentralisierung bestimmter Verwaltungsfunktionen beim Mutterunternehmen oder einer Servicegesellschaft; Auftreten der Muttergesellschaft gegenüber Behörden oder Vertragspartnern im Namen der Tochter.

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation der CERCLA-Direkthaftung I. Erklärungsversuch mit Hilfe traditioneller haftungsrechtlicher Figuren und Theorien Bislang wurde festgestellt, daß Muttergesellschaften unter Heranziehung stark divergierender Maßstäbe und Kriterien als Betreiberinnen von Anlagen ihrer Töchter gemäß § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA haftbar gemacht werden; diese Einstandspflicht scheint schwer kalkulierbar und häufig weitgehend zu sein. In der amerikanischen Diskussion dominieren denn auch drastische Schlußfolgerungen wie: Die Gerichte hätten "schlicht das Ende des Prinzips beschränkter Haftung eingeläutet"344, und die neuen Entwicklungen würden den "traditionellen gesellschaftsrechtlichen Schutz von Aktionären [...] in signifikanter Weise erodieren" 345 . Dieser beunruhigenden Diagnose stehen — vereinzelte — beschwichtigende Aussagen gegenüber. So ziehen Oswald/Schipani aus einer Analyse des Fallmaterials den Schluß, sämtliche bis dato verantwortlich gemachten Unternehmen hätten auch auf der Grundlage herkömmlicher gesellschaftsrechtlicher Prinzipien 346 herangezogen werden können. 347 Eine solche Aussage begegnet sogleich dem Einwand, daß sich die Gerichte überwiegend gerade nicht auf solche Prinzipien stützen, vielmehr die Verantwortlichkeit von Obergesellschaften und individuellen Aktionären mehr oder weniger ausdrücklich als "Direkthaftung" deklarieren. Das wäre indes übertrieben formalistisch gedacht, wenn sich unter dem neuen Etikett in der Sache allein bekannte Figuren und Theorien des (Konzern-)Haftungsrechts verbergen würden. In Betracht zu ziehen ist insoweit nicht nur die Durchgriffshaftung (piercing the corporate veil) als Paradigma für eine Einstandspflicht von Muttergesellschaften, sondern außerdem die Rechtsfigur der agency sowie die oben 348 bereits erwähnte

344

Blankenship/Mandel,

345

McMahon/Moertl, 997 (1991).

a.a.O. (Fn. 95), S. 249 (Original in Englisch).

a.a.O. (Fn. 87), S. 29; vgl. auch Wolfer,

346

59 Cin. L. Rev. 975,

Davon zu unterscheiden sind die gemeinen deliktsrechtlichen Prinzipien, die den ersten Entwurfsfassungen des CERCLA zugrundelagen. Vgl. hierzu unten § 3.1.2.a), insbesondere Fn. 462f. 347

Oswald/Schipani,

348

§ 2.II.4.b).

a.a.O. (Fn. 43), S. 263.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

103

corporate actor rule ,349 Der nachfolgende Versuch einer Einordnung des dargestellten Fallmaterials in diese vorgegebenen Kategorien soll nicht bei einer Subsumtion unter deren Tatbestandsmerkmale stehenbleiben: In der Gegenüberstellung mit dem überkommenen Haftungsrecht sollen zugleich die Charakteristika sowie die Neuartigkeit der CERCLA-Direkthaftung deutlicher hervortreten.

1. Durchgriffshaftung (piercing the corporate veil) Für die Gerichte, die mit den oben dargestellten Fallkonstellationen konfrontiert waren, wäre es — bei traditioneller gesellschaftsrechtlicher Sichtweise — am naheliegendsten gewesen, eine Einstandspflicht zu Lasten der betroffenen Muttergesellschaften anhand der Kriterien für einen Haftungsdurchgriff zu prüfen und ggfs. anzunehmen.350 Entscheidungen wie Joslyn, die eine direkte Haftung grundsätzlich ausschließen, gehen diesen Weg — freilich mit durchgängig abschlägiger Bescheidung der Klagebegehren. Aber auch zahlreiche ProDirekthaftungs-Urteile 351 erörtern oder erwähnen den Durchgriff als alternative Grundlage. Allein das ist ein gewichtiges Indiz dafür, daß jedenfalls die betreffenden Gerichte die direkte Betreiberhaftung von Konzernmüttern als aliud zur Durchgriffshaftung verstehen. 352 Blumberg meint jedoch, daß diese

349 Weitere, im vorliegenden Zusammenhang jedoch fernliegende Alternativen zur Durchgriffshaftung nennen Krendl/Krendl, 55 Denv. L. J. 1, 2ff. (1978). 350

Auf der anderen Seite gilt für die Rechtspraxis der allgemeine Grundsatz des Billigkeitsrechts (equity), daß eine Billigkeitsregel wie der Durchgriff gegenüber anderen Haftungsgrundsätzen nur subsidiär angewandt werden sollte. Geltman, a.a.O. (Fn. 187), S. 433. 351 Vgl. etwa U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989); U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 23 (D.R.I. 1989); City of New York v. Exxon Corp., 112 Bankr. 540, 552 (S.D.N.Y. 1990); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 575, 578, 580 (W.D.Mich. 1991); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 441 (D.Mass. 1991); In Re Tutu Wells Contamination Litigation, 846 F.Supp. 1243, 1261ff. (D.Virgin Islands 1993); Lansford-Coaldale Water Authority v. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1224f. (3rd Cir. 1993); Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc., 871 F.Supp. 764, 770f. (D.N.J. 1994); State of N.Y. v. Solvent Chemical Co., Inc., 875 F.Supp. 1015, 1019 (W.D.N.Y. 1995); Idylwoods Associates v. Mader Capital, 915 F.Supp. 1290, 1304 (W.D.N.Y. 1996); Schiavone v. Pearce, 79 F.3d 248, 254 (2d Cir. 1996); Pinal Creek Group v. Newmont Min. Corp., 926 F.Supp. 1400, 1414 (D.Ariz. 1996); anders — und mißverständlich — dagegen Interstate Power Co. v. Kansas City Power & Light Co., 909 F.Supp. 1241, 1281 (N.D.Iowa 1993), wo die Betreiberhaftung als "piercing the corporate veil" klassifiziert wird. 352

Das erkennen auch Oswald/Schipani

an; sie bestehen jedoch darauf, die neue

104

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

Unterscheidung lediglich von "analytische[r] Eleganz und vielleicht konzeptuelle[r] Klarheit" zeuge; letztlich würden beide Haftungskonstruktionen von identischen Fakten getragen. 353

a) Dogmatische Betrachtung Ob dieselben Sachverhaltselemente im Ergebnis sowohl eine Direkt- als auch eine Durchgriffshaftung rechtfertigen, erscheint zweifelhaft, soll hier aber zunächst dahinstehen.354 Bedeutsame Unterschiede zwischen beiden Haftungsmodellen ergeben sich bereits aus dogmatischer Sicht.

aa) Direkte versus derivative Haftung Im Zusammenhang mit der Betreiberhaftung war bisher — mit gutem Grund und im Einklang mit der Wortwahl in den meisten Entscheidungen — durchgängig von einer direkten Haftung der Muttergesellschaften als Betreiberinnen von Anlagen ihrer Töchter die Rede: Haftungsauslösend ist das eigene Verhalten der Mütter, das sich allerdings auf die Geschäfte der Töchter beziehen muß. In diese Richtung weisen etliche Gerichte bereits dadurch, daß sie die Verantwortlichkeit einer Obergesellschaft expressis verbis als "direkt" charakterisieren; 355 doch wäre es angesichts der oft wenig bedachten Urteilsformulierungen 356 gewagt, allein daraus auf die direkte Natur der Betreiberhaftung zu schließen.

Direkthaftung überschreite im Ergebnis nicht die traditionellen Grenzen des Gesellschaftsrechts. A.a.O. (Fn. 43), Fn. 219. 353

So Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), 1997 Supplement, S. 262, zum Kayser-Roth-Fall, der eine derartige Unterscheidung trifft (Original in Englisch). Etwas vorsichtiger formulierenO 'Hara, a.a.O. (Fn. 109), S. 11, und Oswald/Schipani, a.a.O., S. 308: Die für Direkt- und Durchgriffshaftung maßgeblichen Kriterien seien "ähnlich" (Original in Englisch). Vgl. auch Idyl woods Associates ν. Mader Capital, 915 F.Supp. 1290, 1307 (W.D.N.Y. 1996). 354

Eingehend zu diesem Aspekt unten § 3.1.l.b).

355

Etwa U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1204 (E.D.Pa. 1989); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 575 (W.D.Mich. 1991); vgl. auch Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc., 893 F.2d. 80, 82f. (5th Cir. 1990), wo ausgeschlossen wird, daß Konzernmütter "direkt haftbar gemacht werden" (Original in Englisch). 356

So etwa die Aussage, die Muttergesellschaft hafte "für die Aktivitäten [ihrer Tochter]", die im Kontext der Direkthaftung steht und dort äußerst mißverständlich ist. Vgl. Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 354 (D.N.J. 1991).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

105

Gestützt wird eine solche Schlußfolgerung jedoch dadurch, daß zahlreiche Gerichte eine Haftung der beklagten Muttergesellschaft von deren aktiver Einflußnahme auf den Umgang mit Gefahrstoffen in der tochtereigenen Anlage abhängig machen.357 Auf diese Weise wird das konzernangehörige Unternehmen als gesellschaftsrechtliche Intermediärebene zwischen der konzernleitenden Gesellschaft und dem Betriebsvermögen der Konzernglieder aus der haftungsrechtlichen Betrachtung ausgeblendet: Die Konzernmutter selbst wird — im Widerspruch zur Eigentumslage — zum unmittelbaren Zuordnungssubjekt für die fragliche Anlage. Ihre Kontrolle über die Gefahrstoffe und deren Beseitigung leitet sich nicht mehr (nur) aus der allgemeinen Beherrschung der Tochtergesellschaft ab, sondern ist (auch) direkt. Zugegeben: Etliche derjenigen Entscheidungen, welche die tatsächlich ausgeübte Kontrolle zum Maßstab einer Direkthaftung erheben, verstehen dieses Kriterium allgemein, das heißt auf die Geschäfte der Tochter insgesamt bezogen. 358 Solche Urteile enthalten natürlich keine positive Aussage im Sinne der obigen Argumentation; sie widersprechen ihr andererseits aber auch nicht. 3 5 9 Da beide Fallgruppen eine einheitliche Rechtsprechung bilden und die jeweiligen Entscheidungen wechselseitig aufeinander verweisen, läßt sich als Fazit

357

In diesem Sinne etwa Colorado v. Idarado Mining Co., 18 ELR 20578 (D.Colo. Apr. 29, 1987); Rockwell Intern. Corp. v. IU Intern. Corp., 702 F.Supp. 1384, 1390f. (N.D.III. 1988); U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1203f. (E.D.Pa. 1989); City of New York v. Exxon Corp., 112 Bankr. 540, 549ff. (S.D.N.Y. 1990) (zur arrangerund transporter- Haftung gemäß § 107(a)(3) bzw. (4) CERCLA); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 561f. (W.D.Mich. 1991) (nur im Hinblick auf die widerbeklagte CPC); State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 672 (D.Idaho 1986); In Re Tutu Wells Contamination Litigation, 846 F.Supp. 1243, 1263f. (D.Virgin Islands 1993). 358 So ausdrücklich U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22f. (D.R.I. 1989); Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 354 (D.N.J. 1991); LansfordCoaldale Water Authority ν. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1223f. (3rd Cir. 1993); Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc., 871 F.Supp. 764, 771 (D.N.J. 1994). 359

Auf den ersten Blick scheinen sie allerdings für eine derivative Sichtweise zu sprechen, da die Tochtergesellschaft (und nicht die Anlage) als Gegenstand der Einflußnahme durch die Mutter erscheint. Deren Kontrolle über die Anlage wäre dann durch eine andere juristische Person vermittelt. Die Entscheidungen lassen sich aber auch so interpretieren, daß die Hinweise auf eine allgemeine Einflußnahme nur als Indizien für eine spezifisch anlagebezogene Einflußnahme dienen. So gesehen, ist die Betreiberhaftung auch hier — zumindest latent — direkt angelegt.

106

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

festhalten, daß die Betreiberhaftung insgesamt als direkt qualifiziert wird. 3 6 0 Demgegenüber führt ein Durchgriff — konstruktiv völlig anders — zur derivativen 361 Haftung einer Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten, die primär in der Person ihrer Tochter erwachsen: Indem letzterer die Anerkennung als selbständige juristische Person versagt wird, 3 6 2 gehen ihre (Zahlungs-)Pflichten automatisch auf die Konzernmutter über. 363

bb) Sektorale versus umfassende Haftung Im Zusammenhang mit der prozessualen Einheitsbetrachtung (merger) wurde bereits daraufhingewiesen, daß diese das verfahrensrechtliche Gegenstück zum Durchgriff büdet: Beide Rechtsfiguren verbindet der Gedanke, daß die zu einem Konzern gehörenden Gesellschaften nicht nur für einzelne, bestimmte Zwecke sondern umfassend als Einheit behandelt werden. 364 Ein piercing — zumindest in seiner idealtypischen Ausprägung — führt also dazu, daß der einmal durchdrungene "Schleier" der betroffenen Muttergesellschaft für viele voneinander unabhängige oder gar alle Ansprüche durchlässig wird. 3 6 5 Diese Konsequenz erschließt sich freilich nicht aus dem Bild des piercing of the corporate veil oder dessen Übersetzung als "Haftungsdurchgriff". Denn beide suggerieren, eine Muttergesellschaft würde lediglich punktuell, das heißt nur für den jeweils (gegen ihre Tochter) geltend gemachten Anspruch, herangezogen. Ein Blick auf das rechtliche Konstrukt hinter dem Büd des piercing erweist, daß

360

Dies verkennt Hofstetten a.a.O. (Fn. 336), S. 150, wenn er Kayser-Roth als Beispiel für eine (modifizierte) Durchgriffshaftung anführt. Auch Depenbrock, a.a.O. (Fn. 12), S. 68, erkennt nicht, daß der CERCLA eine direkte Haftung zuläßt. Wie hier: Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 149. 361

Zwar ist auch die Betreiberhaftung einer Gesellschaft in dem Sinne derivativ, daß diese mit ihrem Vermögen für die Folgen der Abfallbeseitigung durch natürliche Personen — ihre Angestellten — einstehen muß. Doch ist dies eine zwingende Konsequenz aus dem Umstand, daß eine Kapitalgesellschaft als juristische Person nicht unmittelbar selbst handeln kann. So betrachtet, ist die Durchgriffshaftung einer Muttergesellschaft "doppelt derivativ", die Betreiberhaftung hingegen nur "einfach derivativ": Ein struktureller Unterschied zwischen beiden Konstellationen bleibt jedenfalls bestehen. 362

Siehe dazu sogleich unten §3.1.1 .a).bb).

363

Vgl. Fletcher, Cyclopedia of the Law of Private Corporations, vol. 1, S. 162.

364

Siehe oben § 2.II.3.a). m. w. Ν.

365

Einschränkend ist allerdings zu sagen, daß ein Durchgriff die Muttergesellschaft der Haftung nur für solche Verbindlichkeiten gegen ihre Tochter aussetzt, die der gegenständlichen Zuständigkeit des Gerichts unterliegen. Vgl. Fletcher, a.a.O. (Fn. 363), S. 136f.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

107

dieser assoziativ begründete erste Eindruck nicht zutrifft: Es geht vielmehr darum, der selbständigen rechtlichen Existenz der Tochtergesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung zu versagen (disregard of the corporate fiction/personality j.366Die Einheitsbetrachtung setzt mithin nicht auf der schuldrechtlichen Ebene des fraglichen Anspruchs, sondern — grundlegender — bei der juristischen Person selbst an. 3 6 7 Genau umgekehrt verhält es sich mit der direkten Haftung von Obergesellschaften als Anlage-Betreiberinnen. Im Wege der Subsumtion unter die im CERCLA enthaltene Anspruchsgrundlage werden bestimmte Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen als Handlungen der Obergesellschaft qualifiziert. Die Untergesellschaft als — an sich — primäres Zuordnungssubjekt wird zwar aus der Betrachtung ausgeblendet,368 nicht jedoch als solche in Frage gestellt. Nur das Ergebnis ist das gleiche wie beim Durchgriff — und selbst das gilt nur eingeschränkt. Zu beachten ist nämlich, daß die Einstandspflicht hier auf CERCLA-Verbindlichkeiten beschränkt ist. In diesem Sinne ist die oben vorgestellte Betreiberhaftung sektoral, während eine Durchgriffshaftung umfassend ist. Indes: So scharf stellt sich der Kontrast in Wirklichkeit nicht dar. Ein gewichtiger Teil der amerikanischen Rechtsprechung hat sich längst von dem oben skizzierten Idealtypus gelöst und die Durchgriffshaftung zu einer (anderen, nämlich derivativen Form einer) sektoralen Haftung weiterentwickelt. Einen Anstoß in diese Richtung hatte — vielleicht unbewußt — bereits Ballantine gegeben, der in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts schrieb: "Die Probleme, um die es geht, [...] sind nicht durch eine 'Mißachtung' der juristischen Person zu lösen, sondern durch eine Untersuchung der gerechten und vernünftigen Grenzen für die Ausübung des Privilegs selbständiger rechtlicher Existenz unter den jeweiligen Umständen." 269 Die Rechtsprechung in den USA trägt solchen Umständen seit jeher — wenngleich nicht konsequent — Rechnung, indem sie den

366 Ähnlich Hamilton , Law of Corporations, S. 98; Berle , 47 Colum. L. Rev. 343, 349f. (1947); vgl. auch Stevens , Law of Private Corporations, S. 95ff .; Ballantine , Corporations, S. 292f. m. w. N., der den Terminus "disregarding the corporate fiction" freilich für ebenso ungeeignet hält wie die piercing- Formel. 367

Auch Blumberg, Law of Corporate Groups — Substantive Law, S. 108, und Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, S. 67f., betonen die juristische Person als Bezugspunkt. 368 369

Vgl. oben §3.1.1.a).aa).

Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 292f. (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. auch ders. , a.a.O. (Fn. 309).

108

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

Haftungsdurchgriff bei vertraglichen und nicht-vertraglichen Ansprüchen unterschiedlich großzügig handhabt.370 Vor diesem Hintergrund ist es eine folgerichtige Weiterentwicklung, daß seit einiger Zeit die Vorgaben und Regelungszwecke etwa einschlägiger gesetzlicher Haftungsregeln häufig den Durchgriffsmaßstab mitbestimmen:371 Im Zusammenhang mit bestimmten bundesrechtlichen Vorschriften entwickeln Bundesgerichte zunehmend bundeseinheitliche Grundsätze zum Durchgriff. Diese sind in ihren Voraussetzungen oft weitaus laxer als herkömmliche gemeinrechtliche Regeln. 372

b) Vergleich der Ergebnisse von Direkt- und Durchgriffshaftung Für einen ergebnisorientierten Vergleich von Direkt- und Durchgriffshaftung fragt sich, woran erstere zu messen ist: an dem relativ engen Maßstab des traditionellen gliedstaatlichen Durchgriffsrechts oder an einem neuen (und potentiell großzügigeren), CERCLA-spezifischen bundesrechtlichen Standard? Die meisten Bundesgerichte sind den letzteren Weg gegangen.373 Soweit ersichtlich, haben lediglich zwei Gerichte das gemeine Recht des betreffenden Gliedstaates angewandt.374 Im (erstinstanzlichen) Joslyn-Urteil wird keine 370

Siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 275; Douglas/Shanks , a.a.O. (Fn. 251), S. 210f. und passim; Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 112 (1985); vgl. auch Hamilton, a.a.O. (Fn. 366), S. 104. Allerdings behauptet Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1058f., gestützt auf eine umfangreiche empirische Studie, daß die weitverbreitete Annahme falsch sei, Gerichte würden einen Haftungsdurchgriff bereitwilliger zugunsten von unfreiwilligen Gläubigern (das heißt solchen mit nicht-vertraglichen Ansprüchen) vornehmen: Das Gegenteil sei der Fall. Kritisch zu dieser Studie jedoch Presser, 87 Nw. U. L. Rev. 148, 167f. (1992). 371

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 38f., 56ff., 65ff.; ders., a.a.O. (Fn. 335), S. 275; Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1060ff. 372

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 884; OHara, a.a.O. (Fn. 109), S. 2; Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-138 m. w. N.; ders., a.a.O. (Fn. 370), S. 177; Thompson, a.a.O.; Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 876 m. w. N. 373

Vgl. etwa In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 30f. (D.Mass. 1987); U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1201ff. (E.D.Pa. 1989); U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 19f. (D.R.I. 1989); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 441 (D.Mass. 1991); Idylwoods Associates v. Mader Capital, 915 F.Supp. 1305 (W.D.N.Y. 1996). 374 Vgl. Plaskon Electronic Materials v. Allied-Signal, 904 F.Supp. 644, 656 (N.D.Ohio 1995); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 574 u. 578 (W.D.Mich. 1991), aff fd in part, rev'd in part sub nom U.S. v. Cordova Chemical Co. of Michigan, 59 F.3d 584, 591f. (6th Cir. 1995) (das zweitinstanzliche Urteil wurde allerdings in 67 F.3d 586 zunächst aufgehoben, bevor es kürzlich vom

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

109

Entscheidung für den einen oder anderen Weg getroffen, da der Haftungsmaßstab in jedem Fall der gleiche sei. 375 Diese Begründung ist jedoch mehr als nur ungenau wegen der Vielzahl, Uneinheitlichkeit und Unbestimmtheit der Durchgriffskriterien: Angesichts des beschriebenen Trends zu einer immer differenzierteren Durchgriffsrechtsprechung kann von einem einheitlichen Standard heute keine Rede mehr sein.

aa) Bestimmung des maßgeblichen Durchgriffsmaßstabs (1) Verfassungsrechtlicher

Hintergrund der Rechtswahl

Die Frage nach dem anzuwendenden Durchgriffsmaßstab verlangt nach einer Wahl zwischen dem kollisionsrechtlich berufenen gliedstaatlichen und einem bundesweiten gemeinen Recht (federal common law). Dabei sind letztlich verfassungsorganisationsrechtliche Gesichtspunkte entscheidend. Die Rechtswahlentscheidung hat zwei Dimensionen: eine horizontale und eine vertikale. Auf der horizontalen Ebene geht es darum, unter mehreren in Betracht kommenden Gliedstaaten denjenigen zu ermitteln, dessen gemeines Recht die Durchgriffsfrage regeln soll. Dabei ist unklar und umstritten, wie die Durchgriffshaftung zu qualifizieren, das heißt welche Kollisionsnorm einschlägig ist. Gesellschaftsstatut ist nach den US-amerikanischen Kollisionsrechten das Recht desjenigen Staates, in dem das betreffende Unternehmen inkorporiert worden ist. Auf diese Weise werden traditionell alle gesellschaftsinternen Angelegenheiten gesellschaftsrechtlich angeknüpft (internal affairs doctrine)? 16 Dies gilt nach verbreiteter Auffassung auch für die Haftung von Aktionären für Verbindlichkeiten "ihrer" Gesellschaft gegenüber außenstehenden Gläubigern. 377 Manche Kommentatoren kritisieren jedoch, daß damit der Anwendungsbereich der internal affairs doctrine unzulässig ausgedehnt werde: Die Haftung gegenüber Dritten

Bundesappellationsgericht für den 6. Gerichtsbezirk bestätigt wurde; siehe 28 ELR 156, May 23, 1997). Daneben hat ein Gericht die Haftung eines individuellen Aktionärs nach gliedstaatlichem Recht beurteilt. Vgl. CBS, Inc. v. Henkin, 803 F.Supp. 1426, 1433f. (N.D.Ind. 1992). 375

Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc., 696 F.Supp. 222, 226 (W.D.La. 1988); vgl. auch Brown, a.a.O. (Fn. 195), S. 834: Die entscheidenden Faktoren seien "im wesentlichen gleich" (Original in Englisch). 376 377

Vgl. Restatement 2d of Conflict of Laws §§ 302ff.

In diesem Sinne a.a.O., § 307; vgl. mch Alexander, a.a.O. (Fn. 256), S. 410ff. m. w. N.

110

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

betreffe allein das Außenverhältnis. 378 Als Alternative wird deshalb angeregt, CERCLA-Ansprüche nicht gesellschafts- sondern deliktsrechtlich anzuknüpfen und das am Anlagestandort geltende Recht anzuwenden.379 Aus alldem folgt, daß eine kollisionsrechtliche Lösung allein auf der gliedstaatlichen Ebene zwei Problemen begegnet: Wegen der offenen Qualifikationsfrage entsteht Unsicherheit hinsichtlich des berufenen Rechts. Zudem gelangt man bei Konzernen, die in mehreren Bundesstaaten tätig sind, in jedem Fall — egal, ob auf den Gründungsort der Tochtergesellschaft oder auf den Anlagestandort abgestellt wird — zur Anwendbarkeit mehrerer (möglicherweise inhaltlich von einander abweichender) Durchgriffsrechte. Diese Schwierigkeiten werden vermieden, wenn stattdessen bundeseinheitliche gemeinrechtliche Regeln zum Durchgriff in CERCLA-Fällen gelten. Damit rückt die vertikale Dimension der Rechtswahlfrage ins Blickfeld. Prinzipiell ist eine Kompetenz der Bundesgerichte, im Zusammenhang mit der Auslegung eines Bundesgesetzes eigenes federal common law (zum Durchgriff) zu entwickeln, denkbar. 380 Dabei sind jedoch verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten. Insoweit ist nur derjenige Fall relativ unproblematisch, daß die betreffende bundesgesetzliche Regelung Vorgaben für einen Durchgriff enthält: Den darin ausgedrückten Bundesinteressen gebührt der Vorrang gegenüber dem Interesse des jeweiligen Gliedstaates an der Geltung seines Gesellschaftsrechts; die bundesgesetzlichen Vorgaben brechen daher entgegenstehendes gliedstaatliches Recht. 381 Umgekehrt gilt gliedstaatliches Durchgriffsrecht, wenn ein dahingehender Wille des Kongresses erkennbar ist. 3 8 2 Fehlt es an entsprechenden gesetzgeberischen Vorgaben im einen oder anderen Sinne, ist eine einfache Entscheidung für bundeseinheitliches bzw. gliedstaatliches Recht ausgeschlossen. Die Gerichte treten dann in eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider staatlichen Ebenen ein. Dabei kommt folgenden

378

Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1053f.; vgl. auch Vagts, ZGR 94, 227, 234.

379

Vgl. Layfield, 68 Tex. L. Rev. 1237, 1248 (1990): Allerdings bezieht sich der Vorschlag nicht unmittelbar auf die Rechtswahl beim Haftungsdurchgriff, sondern auf die — insoweit vergleichbare — Frage der Haftung von Nachfolgeunternehmen. Ähnlich Hansmann/Kraakman, 106 Harv. L. Rev. 446, 451 (1992): Das Gesellschaftsstatut solle nicht für Ansprüche unfreiwilliger, sprich: deliktischer, Gläubiger gegen die Gesellschaft bzw. ihre Aktionäre gelten. 380

Vgl. Clearfield Trust Co. v. United States, 318 U.S. 363, 367 (1943), 63 S.Ct. 573, die Leitentscheidung für die Zulässigkeit von federal common law. 381

Anderson v. Abbott, 321 U.S. 349, 364f. (1944), 64 S.Ct. 531, reh'g denied , 321 U.S. 804 (1944), 64 S.Ct. 845. 382

M , 95 Harv. L. Rev. 853, 856f. (1982) m. w. N.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

111

Faktoren maßgebliche Bedeutung zu: Wie groß ist, wenn überhaupt, der Bedarf für eine bundesweit uniforme Regelung? Würde ein Rückgriff auf gliedstaatliches Recht Ziele des Bundesgesetzes unterlaufen — wenn ja, in welchem Umfang? Wie stark würde, wenn überhaupt, die Anwendung von Bundesrecht in Wirtschaftsbeziehungen eingreifen, die auf gliedstaatlichem Recht beruhen? 383

(2) Anwendung dieser Grundsätze auf den CERCLA Projiziert man das soeben allgemein dargestellte Problem auf den CERCLA, so stellt sich eine Rechtswahlfrage der komplizierteren Art. Der CERCLA läßt nämlich keinerlei (bundesrechtliche) Vorgaben zur Durchgriffshaftung erkennen. Erstens enthält der Wortlaut von § 107(a)384 insofern keinerlei Hinweise. Aus der dort gebrauchten Eingangsformel: "[u]nbeschadet anderer rechtlicher Vorschriften oder Regeln" läßt sich keine Präferenz des Gesetzgebers für gemeines Bundesrecht herauslesen. Denn der darin ausgedrückte Vorrang von CERCLA kann sich auch auf etwa entgegenstehendes sonstiges Bundesrecht, muß sich also nicht auf gliedstaatliches Recht beziehen.385 § 113(f)(1) CERCLA ordnet zwar an, daß bundesrechtliche Grundsätze den Innenausgleich zwischen gesamtschuldnerisch verantwortlichen Personen bestimmen; 386 doch ist damit nichts über die Rechtswahl im Rahmen der primären Haftungsnorm des § 107(a) CERCLA gesagt.387

383

Diese dreigliedrige Prüfung geht auf das Urteil United States v. Kimbell Foods, Inc., 440 U.S. 715, 728f. (1979), 99 S.Ct. 1448, 59 L.Ed.2d 711, zurück. Vgl. hierzu Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1441f.; Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 883. 384

Siehe oben unter § 2.1.4.

385

Anders Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 675, der in der Formulierung des Gesetzes einen "versteckten Hinweis" für einen Vorrang des Bundesrechts sieht (Original in Englisch). 386 "Such claims [...] shall be governed by Federal law." 42 U.S.C. § 9613(f)(1) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 63)). 387

Etwas anders Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1266: § 113(1) CERCLA sei zwar strenggenommen auf den Innenausgleich beschränkt, zeuge jedoch davon, daß der Kongreß der Entwicklung von federal common law durch die Gerichte insgesamt positiv gegenüberstand. Diese Schlußfolgerung erscheint gewagt. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das Bundesrecht legt im Gegenteil die Frage nahe, warum eine entsprechende Formulierung in § 107(a) CERCLA fehlt. Allerdings würde es wohl zu weit gehen, aus dieser (vermeintlichen) Lücke im Umkehrschluß zu folgern, die primäre Haftung richte sich zwangsläufig nach gliedstaatlichem Recht: § 113(f) CERCLA wurde erst nachträglich durch den SARA eingefügt. Es ist wohl nicht unrealistisch anzunehmen, daß dabei der

112

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

Zweitens erhellt auch aus der Gesetzesgeschichte nicht hinreichend, ob Bundesgerichte ihr eigenes gemeines Recht zum Durchgriff entwickeln sollten. 388 Äußerungen federführender Kongreßmitglieder während der Debatte über den CERCLA deuten nur scheinbar in eine solche Richtung: Sie betonen die Notwendigkeit von federal common law im Zusammenhang mit der Haftung für Sanierungskosten, 389 beziehen sich damit aber offenbar nur auf allgemeine haftungsrechtliche Prinzipien — nicht auf das Instrument des Durchgriffs, das während der Gesetzesberatungen, soweit erkennbar, keine Rolle spielte. 390 Folglich ist durch eine Abwägung der Bundes- gegen die gliedstaatlichen Interessen zu ermitteln, ob im Rahmen des CERCLA Raum für ein bundeseinheitliches Durchgriffsrecht ist. Daß die Haftung für Altlasten in den USA uniform geregelt sein sollte, wird von Gerichten und Kommentatoren meist nur knapp begründet: Die mit dem CERCLA angestrebten Umweltschutzziele könnten nur bundesweit umgesetzt werden; das Gesetz stelle eine "nationale Lösung eines landesweiten Problems" dar. 391 Eine solche Argumentation würde im Hinblick auf viele andere aktuelle Umweltprobleme, die an Grenzen nicht haltmachen und so zwangsläufig mehrere Staaten betreffen, ohne weiteres einleuchten. Altlasten hingegen verursachen Kompatibilität mit den bestehenden Regelungen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 388

Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1446f.; Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 81. Ähnlich zur — vergleichbaren — Frage der Haftung von Nachfolgeunternehmen: Anderson, a.a.O. (Fn. 13), S. 145f.; Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 675; sowie besonders plastisch die Entscheidung HRW Systems, Inc. v. Washington Gas Light Co., 823 F.Supp. 318 (D.Md. 1993): "Unglücklicherweise gibt die Gesetzesgeschichte des CERCLA mehr Aufschluß über die 'Alice-im-Wunderland'-artige Entstehung dieses besonderen Gesetzes als [...] hilfreiche Hinweise auf die Absicht des Gesetzgebers." (Original in Englisch). 389

So beispielsweise das Mitglied des Repräsentantenhauses Florio in: 126 Cong. Ree. H31965 (daily ed. Dec. 3, 1980). 390

Ähnlich Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1447. Anders N.N., 99 Harv. L. Rev. 986, 1000 (1986), der die zitierten Aussagen als Voten für einen CERCLA-spezifischen Standard zur Durchgriffshaftung interpretiert. Ebenso zur — vergleichbaren — Frage der Haftung von Nachfolgeunternehmen: Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1266, insbesondere Fn. 195; vgl. Smith Land & Imp. Corp. ν. Celotex Corp., 851 F.2d 86, 91 (3rd Cir. 1988). 391

So etwa die vielzitierte Aussage des Gerichts in In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 31 (D.Mass. 1987) (Original in Englisch). Ähnlich U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989); U.S. v. KayserRoth Corp., 724 F.Supp. 15, 19 (D.R.I. 1989); noch vager Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 47.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

113

Schäden typischerweise an einem bestimmten Ort 392 — und das heißt auch: in nur einem Bundesstaat, wenn sich das betreffende Grundstück nicht zufällig auf einer Staatengrenze befindet. Im Ergebnis ist es gleichwohl richtig, diesem a priori lokalen Problem nationale Bedeutung beizumessen. Denn die Kosten der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen können die finanziellen Möglichkeiten einzelner Bundesstaaten bei weitem übersteigen. Aus diesem Grund hat der Kongreß mit dem CERCLA ein bundesweites Programm aufgelegt, das — wie gezeigt393 — aus Steuergeldern des Bundes gespeist wird. Schon daraus resultiert ein gewichtiges Bundesinteresse an uniformen Haftungsregeln. 394 Der CERCLA wäre — sowohl im Hinblick auf die Sanierung bestehender Altlasten als auch auf die Verhaltenssteuerung bei der zukünftigen Abfallbeseitigung 395 — deutlich weniger effektiv, wenn Aktionäre verantwortlicher Unternehmen nur unter den Voraussetzungen des einzelstaatlichen Durchgriffsrechts haftbar gemacht werden könnten. Denn die Exekutive sähe sich bei der Durchsetzung von CERCLA-Ansprüchen nicht nur mit dem allgemein amorphen Erscheinungsbüd 396 der Durchgriffskriterien, sondern auch mit einer Vielzahl von Maßstäben konfrontiert, die von einem Bundesstaat zum anderen teilweise erheblich divergieren. 397 Daraus resultierende Unterschiede in den Haftungsrisi-

392

Allerdings weist United States v. Chem-Dyne Corp., 572 F.Supp. 802, 808 (S.D.Ohio 1983), zu Recht darauf hin, daß sich auch die von Altlasten ausgehende Verseuchung unter Umständen auf mehrere Gliedstaaten auswirken kann. Zu denken ist etwa an die Migration von belastetem Grund- oder Oberflächenwasser. 393

Siehe oben § 2.1.3.

394

United States v. Chem-Dyne Corp., 572 F.Supp. 802, 808f. (S.D.Ohio 1983); vgl. N.N., 99 Harv. L. Rev. 1458, 1526 (1986) m. w. Ν. Auch In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 31 (D.Mass. 1987) betont den Aspekt der Finanzierung des Superfund. Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1446ff., übersieht diesen Aspekt und gelangt daher zu dem Ergebnis, der Kongreß selbst habe eine uniforme Anwendung des CERCLA nicht vorgesehen. 395

Ausführlich zu diesen Zielen unten § 4.1.1 .b).bb).(l). u. (2).

396

Siehe hierzu unten § 3.1.1.b).bb).(l).

397

Vgl. U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298, 1308 (Fn. 8) (E.D.Mo. 1987); HRW Systems, Inc. v. Washington Gas Light Co., 823 F.Supp. 318, 328 (D.Md. 1993) (zur — vergleichbaren — Frage der Haftung von Nachfolgeunternehmen). Siehe auch allgemein Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 63. Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1459, sieht darin kein nennenswertes Problem, da die Bundesregierung bis zum Gerichtsverfahren Zeit habe, sich auf das jeweilige gliedstaatliche Recht einzustellen. Diese Begründung verkennt, daß sich schon im Verwaltungsverfahren — bei der Anwendung des CERCLA — die Frage stellt, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen ein Aktionär haftbar gemacht werden kann. 8 Ochscnfeld

114

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

ken könnten überdies ein race to the bottom auslösen: Industrien mit besonders großen Mengen an gefahrlichen Abfallen würden sich potentiell in solchen Bundesstaaten konzentrieren, wo ein Durchgriff nur unter engen Voraussetzungen zugelassen wird; 3 9 8 dadurch würde womöglich Druck auf andere Staaten ausgeübt, ihre Haftungsstandards "nach unten" zu korrigieren. Auch auf diese Weise würden die Ziele des CERCLA unterlaufen. Dem Interesse des Bundes an einer einheitlichen und effektiven Umsetzung des CERCLA steht das Interesse des jeweiligen Bundesstaates an der Integrität seiner Rechtsordnung gegenüber. Da bundesrechtliche Durchgriffsregeln zumindest tendenziell einschneidender sind als ihre Pendants im gemeinen Recht des einzelnen Staates, wären die dort tätigen Unternehmen einer häufig weitergehenden Haftung ausgesetzt. Damit wären zwangsläufig Eingriffe in bestehende, auf gliedstaatlichem Recht gegründete wirtschaftliche Beziehungen verbunden. 399 Hinzu kommt, daß die Regeln des Gesellschaftsrechts — und damit, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, auch die zur gesellschaftsrechtlichen Haftung — zum Kernbestand des gemeinen Rechts gehören. Sie sind daher traditionell der Regelungshoheit der Bundesstaaten zugeordnet. 400 Die beiden zuletzt genannten Aspekte fallen bei der Abwägung jedoch vergleichsweise schwach ins Gewicht. Mögliche Eingriffe in bestehende Wirtschaftsbeziehungen auf gliedstaatlicher Ebene lassen sich rechtfertigen: Solche Beziehungen (etwa zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften) könnten zum Betrieb von Abfallbeseitigungsunternehmen in Form unterkapitalisierter Tochtergesellschaften mißbraucht werden; 401 sie sind daher nicht in jedem Fall schutzwürdig. Zudem ist das Regelungsinteresse des betreffenden Gliedstaates im Falle der Durchgriffshaftung schwächer als in anderen Bereichen des Gesellschaftsrechts. Hier läßt sich die Wertung des Kollisionsrechts heranziehen, wonach die Haftung von Aktionären gegenüber außerhalb des Unternehmens stehenden Dritten keine eindeutig gesellschaftsinterne Angelegenheit ist; daher 398

United States v. A & F Materials Co., Inc., 578 F.Supp. 1249, 1255 (S.D.III. 1984). Dennis, a.a.O., S. 1488, hält eine solche Überlegung für "reine Spekulation" (Original in Englisch). 399

Dennis, a.a.O., S. 1506 u. 1509; N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 1000 m. w. N. Anders, solche Eingriffe ohne Begründung bestreitend: In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 31 (D.Mass. 1987); U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989). 400

Vgl. U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298, 1308 (Fn. 8) (E.D.Mo. 1987). Siehe auch Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), der allgemein — das heißt ohne direkten Bezug zum CERCLA — von einer Präferenz für gliedstaatliches Gesellschaftsrecht spricht. 401

Vgl. hierzu unten § 4.II. 1 .b).bb).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

115

findet nicht zwingend das Recht des Gründungsstaates Anwendung. 402 Noch fragwürdiger wird die Beanspruchung der Regelungshoheit durch einen einzelnen Bundesstaat, wenn die Haftungsfrage mehrere Konzernglieder mit jeweils unterschiedlichen Gründungsstaaten betrifft. 403 Als Ergebnis der Abwägung ist festzuhalten, daß die Interessenlage insgesamt dafür spricht, federal common law zum Durchgriff in CERCLA-Fällen zu entwikkeln. 404 Die Überlegungen zur vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Gliedstaaten, die dieser Schlußfolgerung zugrundeliegen, werden später auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung 405 der ZWrefohaftung gemäß § 107(a) CERCLA von Bedeutung sein.

bb) Inhaltliche Unterschiede zwischen Direkt- und Durchgriffshaftung Nach dem bisher Gesagten hat sich ein ergebnisorientierter Vergleich der Direkt- mit der Durchgriffshaftung an einem CERCLA-spezifischen, bundesrechtlichen Durchgriffsmaßstab zu orientieren — nicht an dem traditionellen Durchgriffsmaßstab des gliedstaatlichen Rechts. Dies entspricht auch der herrschenden Meinung. Doch gibt es, wie soeben gesehen, in Rechtsprechung und Literatur beachtliche Gegenauffassungen, die im Zusammenhang mit dem CERCLA zur Anwendung gliedstaatlichen Durchgriffsrechts gelangen. Hinzu kommt, daß der Trend zu einem (wenigstens potentiell) liberaleren piercing im Zusammenhang mit Bundesgesetzen neu und noch grundsätzlich umstritten ist. Schon aus diesem Grund ist es geboten, zunächst kurz auf die traditionelle Rechtsprechimg zum Durchgriff einzugehen.

(1) Direkthaftung versus traditioneller Durchgriff nach gliedstaatlichem Recht Einer vielzitierten Formulierung von Easterbrook und Fischel zufolge ist die (traditionelle) Durchgriffshaftung "unberechenbar: Wie ein Blitz, ist sie selten, schwerwiegend und ohne feste Grundsätze." 406 Dieses Bild mag die Defizite und Schwierigkeiten der herkömmlichen Durchgriffsrechtsprechung etwas überzeich402

Zur internal affairs

403

Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 382), S. 862f. m. w. N.

doctrine als Kollisionsregel siehe oben § 3.1.1.b).aa).(l).

404

Ebenso Brown, a.a.O. (Fn. 195), S. 835; Newton, 20 Ecol. L. Q. 313, 318 (1993); Noonan, a.a.O. (Fn. 95), S. 748; Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 876. Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1512, plädiert demgegenüber für die Geltung gliedstaatlichen Rechts.

8'

405

Unten §4.1.2.

406

Easterbrook/Fischel,

a.a.O. (Fn. 370), S. 89 (Original in Englisch).

116

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

nen, bringt sie aber anschaulich auf den Punkt. In der Rechtslehre und -praxis konkurrieren mehrere Ansätze zur Begründung eines piercing miteinander. In unterschiedlichem Maße greift jeder dieser Ansätze auf symbolhafte Kriterien zurück, die uneinheitlich angewandt werden. 407 Dadurch wird das Verständnis der eigentlich relevanten Wertungen und Rechtsprinzipien, die hinter dem Durchgriff stehen, zumindest erschwert. 408 Wurden die verschiedenen Tests ursprünglich für den Durchgriff auf natürliche Personen (im Zusammenhang mit unabhängigen Gesellschaften) entwikkelt, so gelten sie heute — äußerlich unverändert — auch im Hinblick auf verbundene Unternehmen. 409 Viele Gerichte scheinen allerdings eher zu einem piercing bereit zu sein, wenn der betroffene Aktionär eine (Ober-)Gesellschaft ist. 4 1 0 Besonders undurchsichtig sind diejenigen (überwiegend älteren) Urteile, die einen Durchgriff rechtfertigen, indem sie die primär verantwortliche Gesellschaft mit Hüfe einer Metapher "wegdefinieren" (metaphor approach): Das Spektrum entsprechender Vokabeln umfaßt farbige Bezeichnungen wie "Marionette", "trockene Schale" oder "Deckmantel" ebenso wie den Begriff der "agency", der eine feststehende — andere 411 — rechtliche Bedeutung hat. 4 1 2 In der heutigen Durchgriffsrechtsprechung sind jedoch zwei andere Formeln gebräuchlicher. Einerseits hat der Zweispitzentest (two-prong test , häufig alter ego rule genannt) weite Verbreitung erlangt. Danach müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Durchgriff gerechtfertigt ist: eine derart einheitliche Interessen407

Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 139 m. w. N. Vgl. Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 322f. der freilich meint, die Gerichte würden die Durchgriffshaftung "mit Augenmaß handhaben" - sowie Schiessl, a.a.O. (Fn. 326), S. 514f. 408

Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 293; Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 273f.; Conard, a.a.O. (Fn. 73), S. 426; Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 27ff. 409

Blumberg, a.a.O., S. 272; Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 4; Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 321; Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 192. 410

KrendUKrendl, a.a.O. (Fn. 349), S. 43; Merkt, a.a.O. (Fn. 92), Rz. 331 m. w. N. Vgl. bereits Latty, a.a.O., S. 193f. Etwas anders Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1056, der aufgrund seiner empirischen Untersuchung zu dem Ergebnis kommt: Muttergesellschaften sind nur dann häufiger von einem Durchgriff betroffen als individuelle Aktionäre, wenn man close corporations (das heißt kleine, personalistisch geprägte Kapitalgesellschaften mit bis zu drei Anteilseignern) aus der Betrachtung ausklammert. Vgl. Hamilton, a.a.O. (Fn. 366), S. 110. 411

Siehe unten § 3.1.2. Kritisch zu diesem irritierenden Sprachgebrauch Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 128. 412

Nachweise zu diesen und weiteren Metaphern finden sich etwa bei Henn/Alexander, Laws of Corporations, S. 344, insbesondere Fn. 2.; Wiedemann , a.a.O. (Fn. 81), S. 18.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

117

und Eigentumslage von Aktionär und Gesellschaft, daß beide nicht als jeweils selbständige Personen angesehen werden können; und ein unbilliges Ergebnis, falls die Gesellschaft dennoch als eigenes Subjekt behandelt würde. 413 Andererseits hat Powell im Jahre 1931 einen Versuch unternommen, die bereits damals unübersichtlich wuchernde Rechtsprechung zu systematisieren. 414 Der daraus abgeleitete dreigliedrige Test ist als instrumentality rule bekannt und in der Folgezeit vielfach rezipiert 415 worden. Danach ist ein Durchgriff gerechtfertigt, wenn: die Kontrolle des Aktionärs so umfassend ist, daß "seine" Gesellschaft de facto keine selbständige Existenz mehr hat; mit dieser Kontrolle ein unlauteres Ziel verfolgt, das heißt: eine Pflicht verletzt wird; und außerdem Kontrolle, Pflichtverletzung und Schaden eng zusammenhängen.416 Alle Ansätze leiden darunter, daß sie mehrere ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe enthalten. Insbesondere bleibt unklar, unter welchen Umständen noch von einer Trennung zwischen Aktionär und Gesellschaft gesprochen werden kann und wann beide für Haftungszwecke zu einer Einheit verschmelzen. Zu dieser Frage hat die Rechtsprechung zahlreiche Kriterien entwickelt, die Indizwirkung haben und in bestimmten Kombinationen als ausreichende Grundlage für einen Durchgriff angesehen werden. In Urteilen gegen Muttergesellschaften beschreiben diese Kriterien das Ausmaß der Verflechtung des betreffenden Konzerns. 417 Ein praktikabler Test, der vorhersehbare Ergebnisse liefern würde, läßt sich daraus aber nicht ableiten. 418 Resignierend stellt ein Kommentator daher fest: Letztlich sei alles "eine Frage von gutem Glauben und Ehrlichkeit im

413

Ausführlich hierzu Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 118ff. u. Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 9ff. Siehe auch Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 874f. 414

Powell, Parent and Subsidiary Corporations.

415

Als Leitentscheidung gilt in diesem Zusammenhang Lowendahl v. Baltimore & O. R. Co., 272 N.Y. 360, 6 N.E.2d 56f. (1936). 416

Ausführlich hierzu Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 112ff., Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 12ff. sowie Krendl/Krendl, a.a.O. (Fn. 349), S. llff. Eine leicht variierte Form dieses Testes zitiert Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 875ff. 417 Blumberg/Strasser, a.a.O. (Fn. 256), S. 228, führen in diesem Zusammenhang neun Faktoren auf: aufdringliche Ausübung von Kontrolle; Manipulierung von Vermögensgegenständen; unzureichende Kapitalausstattung; extensive wirtschaftliche Integration; einheitliches öffentliches Erscheinungsbild der Gruppe; finanzielle Abhängigkeit vom Konzern; Abhängigkeit in Verwaltungs- und Betriebsangelegenheiten; Austausch von Personal und Informationen; Mißachtung gesellschaftsrechtlicher Formalitäten. Vgl. auch Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 774; Herrn/Alexander, a.a.O. (Fn. 412), S. 355f.; Serick, a.a.O. (Fn. 367), S. 87. 418

Vgl. Ballantine, a.a.O. (Fn. 309), S. 15 u. 18.

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

118

Gebrauch des kapitalgesellschaftsrechtlichen Privilegs zu legitimen Zwecken". 419 Dieses enttäuschende Resümee ist eine wohl unvermeidliche Konsequenz daraus, daß die piercing- Lehre ein induktiv entwickelter Billigkeits-Rechtsbehelf ist, der sich abstrakt nicht fassen läßt. 420 Möglich ist es jedoch in vielen Fällen, die jeweilige ratio für den Durchgriff zu benennen — sofern diese hinter der Durchgriffsrhetorik des Gerichts noch erkennbar ist. Auf diese Weise kann das unübersichtliche Fallmaterial wenigstens klassifiziert werden; 421 zugleich wird konkretisiert, welche inhaltlichen Überlegungen sich hinter dem Verweis auf den "guten Glauben" verbergen. Der amerikanischen Durchgriffslehre liegt die Vorstellung zugrunde, daß ein Eigenleben der juristischen Person vom Recht nur unter bestimmten Voraussetzungen toleriert werden darf: Wer sich der gesellschaftsrechtlichen Form zu korporationsfremden oder gar -feindlichen Zwecken bedient, kann sich nicht erfolgreich hinter dieser Form "verstecken" und vor einer Haftung schützen.422 Im Konzern ist dies der Fall, wenn: die Muttergesellschaft ihre Tochter unterkapitalisiert; die Vermögen oder Sphären beider Gesellschaften vermischt werden; oder das Vermögen der Tochtergesellschaft durch die Mutter nachteilig beeinflußt wird. 4 2 3 Ob im Einzelfall einer dieser Tatbestände erfüllt ist, entnehmen die Gerichte aus dem (Nicht-) Vorliegen der oben 424 genannten Indizien. 4 2 5 Zusätzlich muß vom Kläger nachgewiesen werden, daß ein Durchgriff

419

A.a.O., S. 19 (Original in Englisch). Ähnlich spricht Landers, 42 U. Chi. L. Rev. 589, 620 (1975), davon, die Kriterien würden herangezogen, um "eine wertende Entscheidung zu treffen, ob ein Durchgriff angebracht ist, oder nicht" (Original in Englisch). Vgl. auch Kronstein/Hawkins, a.a.O. (Fn. 257), S. 254. 420

Auf diese Charakteristika der Durchgriffsrechtsprechung weist auch Merkt, a.a.O. (Fn. 92), Rz. 319, hin. 421

So bereits Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 312.

422

Serick, a.a.O. (Fn. 367), S. 67 u. 100, jeweils m. w. N. Vgl. Krendl/Krendl, a.a.O. (Fn. 349), S. 43; Rieh, 13 Env. Äff. 643, 659 (1986). 423

Eingehend zu diesen drei Fallgruppen: Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 15 u. passim. Die Bedeutung der ersten und dritten Fallgruppe unterstreichen auch Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 314ff. u. Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. llOff. Vgl. auch Conard, a.a.O. (Fn. 73), S. 428ff., der generell — das heißt, ohne besonders auf Unternehmensgruppen abzustellen — ähnliche Kriterien für maßgebend hält. 424 425

In Fn. 417.

Die Aussagekraft mancher Indizien für die jeweilige Durchgriffs-ratio wird allerdings — zu Recht — bezweifelt. Vgl. etwa Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 870 u. 873 (insbesondere zur Nichteinhaltung gesellschaftsrechtlicher Formalitäten). Kritisiert wird zudem, daß die Kriterien einer ökonomischen Analyse der Durchgriffshaftung nicht standhalten. Vgl. Sommer, 59 Fordh. L. Rev. 227, 238 (1990).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

119

erforderlich ist, um ein unbilliges Ergebnis abzuwenden (Zweispitzentest), bzw. daß die beklagte Muttergesellschaft pflichtwidrig handelte (instrumentality rule).' 26 Ein solches Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchselement taucht in keiner Variation der oben vorgestellten Betreiber-Direkthaftung von Obergesellschaften auf. 4 2 7 Das scheint darauf hinzudeuten, daß diese neue Haftung in ihren Voraussetzungen weniger streng ist als das traditionelle Durchgriffsrecht. 428 Ein direkter Vergleich der Haftungsmaßstäbe ist indes nicht ohne weiteres möglich, weil die Anknüpfungspunkte — wenigstens teilweise — verschieden sind: Für die Frage, ob ein Durchgriff angebracht ist, sind allein Kriterien allgemeiner konzernmäßiger Verflechtung entscheidend. Dagegen hebt ein wesentlicher Teil der Direkthaftungs-Urteüe — getreu dem sektoralen Ansatz — auf die Rolle der beklagten Muttergesellschaft im Hinblick auf den Umgang mit Gefahrstoffen ab. 4 2 9 Damit ist die Direkthaftung einerseits weiter, weil sie nicht notwendig von einer insgesamt starken Integration der konzernangehörigen Unternehmen abhängt; 430 zugleich ist sie enger, weil eine Muttergesellschaft selbst bei umfassendster Einflußnahme auf die betreffende Tochter nicht haftbar gemacht werden kann, solange eine Kontrolle gerade der Gefahrstoffbeseitigung nicht feststellbar ist. Diese letztgenannte Konstellation dürfte allerdings tatsächlich selten vorkommen: Eine insgesamt starke Verflechtung zwischen Mutter und Tochter wird sich im Regelfall auch auf die Gefahrstoffbeseitigung erstrecken. Im Ergebnis geht daher jede Form der Direkthaftung typischerweise über die herkömmliche Durchgriffshaftung hinaus. 431

426

Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 15 m. w. N. Vgl. auch Krendl/Krendl, a.a.O. (Fn. 349), S. 23. Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), nennt dieses zusätzliche Element auf S. 168 als generelle Voraussetzung, weist andererseits auf S. 177 daraufhin, daß einzelne Jurisdiktionen in den USA inzwischen selbst im Bereich des gemeinen Rechts darauf verzichten. Vgl. ders., a.a.O. (Fn. 335), S. 278. 427

Ebenso Hofstetter in: Environmental Law and Ecological Responsibility, S. 99, 102; vgl. auch Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-141f. zum Kayser-Roth-¥d\\. 428

Vgl. Niekamp, 14 Ohio North. U. L. Rev. 379, 390 (1987).

429

Siehe oben § 3.1.l.a).bb).

430

Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 873, weist darauf hin, daß der Nachweis solcher allgemeinen Kriterien im Prozeß mitunter schwierig ist. 431

So im Ergebnis auch Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 82.

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

120 (2) Direkthaftung

versus modifizierter

Durchgriff

nach Bundesrecht

432

Wie oben bereits erwähnt, haben Bundesgerichte während der letzten 15 Jahre zunehmend eigene Durchgriffstandards im Zusammenhang mit bestimmten Bundesgesetzen entwickelt. Zum Teil wurden dabei die soeben beschriebenen traditionellen Ansätze der gliedstaatlichen Rechte — inhaltlich im wesentlichen unverändert — übernommen. 433 Andere Entscheidungen lösten sich hingegen von diesen Vorgaben, formulierten laxere Haftungsvoraussetzungen und erweiterten so den Anwendungsbereich des /w^rawg-Rechtsbehelfs. Nach einer inzwischen verbreiteten Formel ist ein Durchgriff nach gemeinem Bundesrecht "im Interesse von Bedürfnissen der Allgemeinheit, Gerechtigkeit und Billigkeit" angezeigt.434 Im Wege der Ausfüllung dieser Merkmale fließen die Wertungen des einschlägigen Bundesgesetzes auf zweierlei Weise in die herkömmliche Durchgriffsanalyse ein: Erstens hängt von Art und Ausmaß der (im Rahmen des Gesetzes relevanten) Kontrolle einer Ober- über eine Untergesellschaft ab, ob sich beide als Einheit behandeln lassen müssen. Zweitens ist dem Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchserfordernis bereits Genüge getan, wenn durch eine Anerkennung der selbständigen Existenz der Obergesellschaft die gesetzgeberische Intention unterlaufen würde. 435 Die EPA postuliert in ihrem schon früher 436 erwähnten Memorandum zur Auslegung von § 107(a) CERCLA, bei einem Durchgriff im Rahmen dieser Vorschrift müsse der zuletzt beschriebene, großzügige Durchgriffstest des Bundesrechts Anwendung finden. 437 Diejenigen Bundesgerichte, die im Zusammenhang mit dem CERCLA einen bundesweiten gemeinrechtlichen Durchgriffsmaßstab anwenden, nehmen denn auch ausdrücklich auf "Bedürfhisse der Allgemeinheit, Gerechtigkeit und Billigkeit" Bezug 438 oder greifen auf eine

432

§3.I.l.a).bb). (am Ende).

433

Eingehend und mit Nachweisen hierzu Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1419ff.

434

Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 884 m. w. Ν (Original in Englisch). Die zitierte Formulierung geht letztlich zurück auf United States v. Milwaukee Refrigerator Transit Co, 142 F. 247, 255 (E.D.Wisconsin 1905). 435

Heidelberg, a.a.O., S. 884f.; vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 69ff.; N.N., a.a.O. (Fn. 382), S. 866ff. 436

Oben § 2.II.2.a)., insbesondere Fn. 89.

437

A.a.O., S. 273.

438

Vgl. In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 33 (D.Mass. 1987); U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 20 (D.R.I. 1989); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 441 (D.Mass. 1991) (Original in Englisch).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

121

vergleichbare Formulierung zurück 439 . Bei der Konkretisierung der genannten Merkmale gehen die Urteile jedoch weit auseinander. Nicolet zufolge ist ein piercing zu Lasten einer Muttergesellschaft schon dann gerechtfertigt, wenn diese ein wesentliches finanzielles oder Eigentumsinteresse habe und Kontrolle über die Geschäftsführung und den Betrieb ihrer Tochter ausübe.440 Dabei lehnt sich das Gericht explizit an den Maßstab aus einem Urteil zur direkten Haftung an, 441 behauptet jedoch gleichzeitig, sich am gliedstaatlichen Durchgriffsrecht zu orientieren. 442 Insoweit vergleichbar, spricht auch das Distriktgericht in Kayser-Roth zunächst von einer weitgehenden Ähnlichkeit zwischen Bundes- und Staatenrecht. 443 Im Widerspruch dazu stellt es dann die "überragende beherrschende Kontrolle" der Muttergesellschaft als entscheidenden Grund für einen Durchgriff heraus; in diesem Zusammenhang seien weitgehend dieselben Umstände zu berücksichtigen wie bei der Prüfung der Direkthaftung. 444 Ein solcher Maßstab ist qualitativ anders — und weniger streng 445 — als der Zweispitzentest oder die instrumentality rule : Auf ein Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchselement wird verzichtet; außerdem treten CERCLA-spezifische Umstände neben oder an die Stelle allgemeiner Kriterien, 446 so daß der Durchgriff hier zum Instrument einer sektoralen Haftung mutiert. Demgegenüber ist aus den Entscheidungen Acushnet und John Boyd erkennbar, daß sie sich bei der Formulierung des federal common law inhaltlich von Grundsätzen des gliedstaatlichen Rechts leiten lassen: Sie greifen auf die klassischen Indizien konzernmäßiger Verflechtung zurück und gelangen zu dem Ergebnis, daß ein Durchgriff auf die Muttergesellschaft in beiden Fällen nicht gerechtfertigt wäre. 447 Die Vorgaben des CERCLA wirken sich auf den Haftungsmaßstab nur

439

So wird in U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989), ein Test verwendet, der neben den klassischen Elementen Täuschung, Illegalität und Ungerechtigkeit auch die "Gefährdung öffentlicher Interessen" als Grund für einen Durchgriff nennt. 440

A.a.O.

441

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), 1997 Supplement, S. 278.

442

Vgl. U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1202 (E.D.Pa. 1989).

443

U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 20 (D.R.I. 1989).

444

A.a.O., S. 24.

445

Vgl. Kezsbom/Satula/Goldman,

a.a.O. (Fn. 83), S. 63.

446

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 909; siehe auch Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 144, die jedoch bezweifelt, daß der so modifizierte Durchgriffsstandard weniger streng ist. 447

Vgl. In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 33

122

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

insofern aus, als der Kontrolle über die Beseitigung gefährlicher Substanzen im Rahmen der Gesamtwürdigung ein besonderes Augenmerk gilt. 4 4 8 Daß der Einfluß des Gesetzes keineswegs zu einem Durchgriff unter erleichterten Voraussetzungen führt, wird vor allem aus dem John Boyd-Urteil deutlich: Der separate gesellschaftsrechtliche Status der Muttergesellschaft verdient nach Meinung des Gerichts besonderen Schutz, weil die Haftung gemäß § 107 CERCLA "potentiell ruinös" sei. 449 Demnach ist klar, daß von einem einheitlichen bundesrechtlichen Durchgriffsstandard in CERCLA-Fällen nicht gesprochen werden kann. 450 Daher fällt auch der Ergebnisvergleich differenziert aus. Der von Acushnet und John Boyd formulierte Test unterscheidet sich nur so unwesentlich vom traditionellen gliedstaatlichen Durchgriffsrecht, daß die dort 451 gezogene Schlußfolgerung auch hier gilt: Diese Art von derivativer Haftung bleibt hinter der Direkthaftung von Muttergesellschaften weit zurück, weil sie zusätzlichen und anderen Bedingungen unterliegt. Dagegen entspricht der Durchgriffsstandard in Nicolet und KayserRoth weitgehend dem Maßstab zur Direkthaftung, den diese und andere, auf tatsächliche452 Kontrolle abstellende Urteile enthalten. Das geben die Gerichte in beiden Entscheidungen auch — indirekt — zu, indem sie Formulierungen und Kriterien aus dem Kontext der Direkthaftung für den Durchgriff nutzbar machen. Sie verwischen damit den Unterschied zwischen einer derivativen und einer direkten Einstandspflicht von Muttergesellschaften. 453 Im Ergebnis sind beide nicht mehr unterscheidbar.

(D.Mass. 1987); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 442f. (D.Mass. 1991). 448

In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., a.a.O., S. 33f.; John Boyd Co. v. Boston Gas Co., a.a.O., S. 442. 449

John Boyd Co. v. Boston Gas Co., a.a.O (Original in Englisch).

450

Vgl. Heidelberg , a.a.O. (Fn. 198), S. 906.

451

Oben § 3.1.1.b).bb).(l). am Ende.

452

McPharson , 44 Oklah. L. Rev. 345, 359f. (1991), weist zu Recht darauf hin, daß ein Durchgriff auch nach dem modifizierten Standard bislang nicht mit der bloßen KontvoWmöglichkeit der Muttergesellschaft begründet worden ist. Zieht man den Möglichkeitstest zur Direkthaftung (siehe hierzu oben § 2.II.2.b.) als Vergleichsmaßstab heran, bleibt also ein Unterschied zur Durchgriffshaftung bestehen. Dieser Unterschied verliert aber dadurch an Schärfe, daß bislang — soweit ersichtlich — keine Muttergesellschaft zur Schadenersatzleistung verurteilt worden ist, die tatsächlich keine Kontrolle ausgeübt hätte. Vgl. oben § 2.II.2.b).dd).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

123

cc) Schlußfolgerung Als Resümee aus dem Vergleich von Direkt- und Durchgriffshaftung im Hinblick auf § 107(a) CERCLA ergibt sich also: Dogmatisch lassen sich beide vor allem anhand der Parameter "direkt" bzw. "derivativ" auseinanderhalten. Dagegen löst sich der überkommene Gegensatz zwischen sektoraler Direkthaftung und umfassender Durchgriffshaftung teilweise auf, da der piercing-Standard von einigen Gerichten unter Berücksichtigung der spezifischen Vorgaben des CERCLA modifiziert wird. Uneinheitlich fallt auch die ergebnisbezogene Bewertung aus. Einerseits würde ein Durchgriff in der klassischen Ausprägung des gliedstaatlichen Rechts vielfach den juristischen "Schleier" einer Muttergesellschaft unangetastet lassen, wo die Direkthaftung deren Inanspruchnahme zuläßt. Andererseits besteht in einigen Fällen praktisch kein Unterschied mehr zwischen einem Durchgriff nach gemeinem Bundesrecht und dem direkten Ansatz — jedenfalls dann nicht, wenn man in Übereinstimmung mit der herrschenden 454 Meinung (nur) bei tatsächlich ausgeübter Kontrolle eine Direkthaftung annimmt. Danach scheint es möglich zu sein, die meisten der oben 455 vorgestellten Direkthaftungsfalle mit gleichem Ergebnis auf der — theoretisch anderen — Grundlage des Durchgriffs zu lösen. Zu beachten ist freilich die Fragestellung dieses Kapitels: ob die bisher von der Direkthaftung betroffenen Unternehmen auch nach herkömmlichen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien verantwortlich gemacht werden könnten. Soweit die Rechtsprechung einen neuen Durchgriffsstandard einführt, der sich stärker an den Wertungen und Zielen des CERCLA als an den früher herangezogenen Indizien orientiert, gibt sie sich zu Unrecht den Namen "piercing the veü jurisprudence". Denn konstruktiv entfernt sie sich vom rechtsformbezogenen Denken, das in den USA seit jeher hinter dem Durchgriff steht; 456 stattdessen nähert sie sich der Gesetzesauslegung und -anwendung an. 4 5 7

453

Kezsbom/Satula/Goldman, a.a.O. (Fn. 83), S. 65. Möglicherweise erklärt sich daraus auch die oben (§ 2.n.2.a.cc.) beklagte terminologische Ungenauigkeit des Gerichts, das im Zusammenhang mit der Direkthaftung auf die Betreiber- und auf die Eigentümertigensch&ft der Muttergesellschaft verweist, obwohl letztere nur eine derivative Verantwortlichkeit zu begründen vermag. 454

Vgl. oben § 2.II.2.b).dd). u. § 2.II.2.c).ee).

455

Vgl. oben § 2.II. Schwierigkeiten bestehen insoweit allerdings hinsichtlich der Urteile, die den Möglichkeitstest zum Direkthaftungsmaßstab erheben. Vgl. hierzu oben Fn. 452. 456

Vgl. oben §3.1.1.a).bb).

457

Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 69 u. 77ff.; vgl. auch Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198),

124

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

Dieser Ansatz ist im Vergleich zum klassischen Durchgriff seinerseits so neuund andersartig, daß er nicht mehr als traditionelle Kategorie des Gesellschaftsrechts bezeichnet werden kann. Dann läßt sich aber auch nicht sagen, daß man die Ergebnisse der Direkthaftungs-Urteile alternativ aus dem herkömmlichen Gesellschaftsrecht herleiten könnte.

2. Stellvertreterhaftung auf agency-Basis Die gesellschaftsrechtliche Figur des Durchgriffs gilt in den USA weithin als Mittel der Wahl, um eine Einstandspflicht von Muttergesellschaften für Verbindlichkeiten ihrer Töcher zu begründen. 458 Es ist jedoch anerkannt, daß daneben eine Haftung nach allgemeinen ögewcy-Grundsätzen des gemeinen Rechts in Frage kommt. 459 Funktional wird die agency damit zum Äquivalent des Durchgriffs. 460 Strukturell betrachtet, führen beide jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während ein piercing — wenigstens in seiner idealtypischen Form — bewirkt, daß die separate rechtliche Existenz der betreffenden (Tochter-) Gesellschaft aufgehoben wird, 4 6 1 kann mit Hilfe der agency allenfalls eine Handlung der Tochter dem Mutterunternehmen zugerechnet werden (respondeat superior rule). 462 Das einzige Urteil zu § 107(a) CERCLA, das eine agency Haftung der Obergesellschaft prüft, fragt denn auch: ob die "Beseitigimg von gefahrlichem Abfall rechtlich [der Obergesellschaft] zugeschrieben werden kann". 463

S. 919, die im Zusammenhang mit dem bundesrechtlichen Durchgriffsstandard in CERCLA-Fällen drei Grundregeln der Gesetzesinterpretation (sie!) identifiziert. 458

Vgl. Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 513.

459

Leitentscheidungen, in denen eine Haftung der Muttergesellschaft auf der Grundlage von age/icy-Grundsätzen diskutiert wird, sind: Berkey v. Third Ave. Ry. Co., 244 N.Y. 84, 155 N.E. 58, 61 (Ct.App.N.Y. 1926); Kingston Dry Dock Co. v. Lake Champlain Transp. Co., 31 F.2d 265, 267 (2d Cir. 1929). Vgl. auch Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 313; ders., a.a.O. (Fn. 309), S. 20f.; Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 125ff. m. w. N.; Henn/Alexander, a.a.O. (Fn. 412), S. 356. 460

Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 248.

461

Siehe hierzu oben § 3.1.1 .a).bb).

462

Serick, a.a.O. (Fn. 367), S. 86; vgl. Henn/Alexander, a.a.O. (Fn. 412), S. 356. Allgemein zur respondeat superior- Regel: Reuschlein/Gregory, Law of Agency and Partnership, S. 104.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

a) Anwendbarkeit

125

der respondeat superior -Regel im CERCLA-Kontext

Das agency- Recht enthält den Grundsatz, daß ein Prinzipal für deliktische Handlungen eines agent stellvertretend haftet. 464 Die Anwendbarkeit dieser Regel auf den Tatbestand des § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA mag auf den ersten Blick überraschen: Schließlich zählt diese gesetzliche Bestimmimg nicht zum Deliktsrecht (tort law) im engeren Sinne, das von den Gerichten als Teil des gemeinen Rechts entwickelt worden ist. Andererseits greift der CERCLA — wie während der Beratungen im Kongreß erklärt wurde465 — die gemeinrechtliche Gefährdungshaftung für extrem gefährliche Aktivitäten (ultrahazardous activities) auf und entwickelt diese weiter. Federführende Kongreßmitglieder sprachen davon, daß vom CERCLA offengelassene Haftungsfragen mit Hilfe des gemeinen Rechts beantwortet werden sollten.466 Es erscheint daher nur folgerichtig, auf einen Grundsatz wie respondeat superior zurückzugreifen. 467 Dagegen läßt sich freilich einwenden, die Stellvertreterhaftung habe in ihrer ursprünglichen Version vorausgesetzt, daß der agent fahrlässig oder vorsätzlich handelte.468 Der CERCLA begründet dagegen, wie oben469 gesehen, eine reine Gefahrdungshaftung. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum an diesem Unterschied die Anwendbarkeit von respondeat superior scheitern sollte. Erstens läßt sich die Gefährdungshaftung — mit Hüfe ökonomischer Analyse — auch als Haftung für schuldhaftes Verhalten deuten: Die Fahrlässigkeit könnte im Unterlassen einer Versicherung der Risiken aus dem Anlagebetrieb gesehen werden.470 Zweitens beruht die Stellvertreterhaftung entscheidend auf der Überlegung, daß in bestimmten Situationen eine Risikoallokation zu Lasten des Prinzipals die normativ angemessene Lösung ist.471 Auch die Haftung von

463

FMC Corp. v. Northern Pump Co., 668 F.Supp. 1285, 1292 (D.Minn. 1987) (Original in Englisch). Vgl. zu diesem Urteil oben § 2.II.2.c).aa). 464

Vgl. Restatement of the Law of Agency 2d, §§ 216, 219.

465

Siehe die Nachweise bei Grad, a.a.O. (Fn. 11), S. 9, insbesondere Fn. 63.

466

Vgl. die Erklärungen des Mitglieds des Repräsentantenhauses Florio in: 126 Cong. Ree. H31965 (daily ed. Dec. 3, 1980) sowie den Nachweis bei Preston , a.a.O. (Fn. 324), S. 932. 467

Zweifelnd aber offenbar Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 864, insbesondere Fn. 164.

468

Vgl. in diesem Sinne etwa Keeton/Dobbs/Keeton/Owen,.

469

Siehe § 2.1.4.b).aa).

470

Law of Torts, S. 501ff.

Zu diesem Gedanken allgemein Leebron, 91 Colum. L. Rev. 1565, 1633 (1991). Problematisch ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings, daß die Haftungsrisiken aus Altlasten zum Teil nicht versicherbar sind. Hierzu näher unten § 4.II.l.a).bb).

126

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA wird damit begründet, diese seien bei normativer Betrachtung die relativ besten Risikoträger.472 Angesichts dieser Zielkongruenz erscheint es gut vertretbar, die Stellvertreterhaftung auch im vorliegenden Zusammenhang gelten zu lassen.

b) Dogmatische Gemeinsamkeiten und Unterschiede Vergleicht man die Charakteristika der Direkthaftung mit einer Haftung nach ügeflcy-Grundsätzen, so fallen auf den ersten Blick mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Zum einen sind beide sektoral ausgerichtet: die direkte Haftung, weil sie CERCLA-spezifisch ist und daher allein Ansprüche nach diesem Gesetz zuläßt;473 die Stell Vertreterhaftung, weil es um die Zurechnung bestimmter Handlungen der Tochtergesellschaft (hier: im Bereich der Gefahrstoffbeseitigung) und damit um die Begründung gegenständlich beschränkter Ansprüche geht. Zum anderen ist nicht nur die oben vorgestellte Betreiberhaftung direkt,474 sondern — in gewissem Sinne — auch die Haftung nach dem respondeat superior-Prìnzip. Allerdings ist der Begriff "direkt" in beiden Zusammenhängen unterschiedlich zu verstehen. Um die Verwirrung komplett zu machen: Mit gleicher Berechtigung läßt sich sagen, daß die Stellvertreterhaftung derivativ sei.475 Die direkte Natur der Stellvertreterhaftung tritt hervor, wenn man auf deren ratio abhebt. Denn ein Prinzipal haftet, da er in seiner Geschäftssphäre die ultimative Kontrolle besitzt, den agent ausgewählt hat und ihm gegenüber weisungsberechtigt ist.476 Auf den Konzernkontext übertragen würde das bedeuten: Es ginge — anders als beim Durchgriff 477 — nicht darum, eine

471

Keeton/Dobbs/Keeton/Owen, a.a.O. (Fn. 468), S. 500f. Vgl. Seavey, Law of Agency, S. 141; Restatement of the Law of Agency 2d, § 219, Comment a. 472

Hierzu eingehend unten § 4.1.1 .b).cc).

473

Vgl. oben §3.1.1.a).bb).

474

Vgl. oben § 3.1.1.a).aa).

475

So ist sie in der vorliegenden Arbeit bislang auch charakterisiert worden: Siehe etwa oben § 2.II.2.C). u. § 2.II.3.a). 476

Vgl. Steffen, Agency - Partnership, S. 73ff. m. w. Ν. Anders aber Bradley v. Rosenthal, 154 Cal. 420, 97 P. 875, 876 (Sup.Ct.Cal. 1908): Da die Stellvertreterhaftung nicht auf einem Verschulden des Geschäftsherrn basiere, sei sie als "sekundär" (das heißt wohl: als derivativ) zu verstehen (Original in Englisch). 477

Vgl. oben §3.1.1.a).aa).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

127

Verbindlichkeit der Tochtergesellschaft (agent) auf deren Mutter (Geschäftsherr) überzuleiten. Der Grund für die Haftung der Konzernmutter läge vielmehr darin, daß diese die Geschäftspolitik der mit ihr verbundenen Unternehmen bestimmen, Kontrolle über deren Aktivitäten ausüben und das resultierende Schädigungspotential steuern könnte. Allein478 diese tatsächliche Möglichkeit — nicht etwa, wie bei § 831 Abs. 1 des deutschen BGB, ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden — ist nämlich im Rahmen von respondeat superior entscheidend.479 Die Auswahl oder Überwachung des agent reicht für sich genommen freilich nicht aus, um eine Haftung des Prinzipals zu begründen. Im vorliegenden Zusammenhang gilt: Eine Muttergesellschaft kann überhaupt nur dann nach agency- Grundsätzen in Anspruch genommen werden, wenn Maßnahmen ihrer Tochter den Tatbestand des § 107(a) CERCLA erfüllen. 480 Diese unmittelbar schädigenden Akte begeht die Muttergesellschaft als Geschäftsherrin nicht persönlich; sie müssen ihr zugerechnet werden. In diesem Sinne ist die Stellvertreterhaftung derivativ481 — und von der Direkthaftung zu unterscheiden, wo die Konzernmutter selbst als Betreiberin der fraglichen Anlage in Erscheinung tritt. 482

478

Steffen, a.a.O. (Fn. 476), S. 73ff., betont allerdings zu Recht, daß daneben eine ökonomische Überlegung für die amerikanischen Gerichte großes Gewicht hat: Die Stellvertreterhaftung wird auch damit gerechtfertigt, daß der Prinzipal von der arbeitsteiligen Delegation bestimmter Handlungen auf den agent wirtschaftlich profitiert. Vgl. auch Seavey, a.a.O. (Fn. 471), S. 141. Die Annahme ökonomischer Vorteile durch Spezialisierung und Delegation trifft gerade im Konzernkontext typischerweise zu. Vgl. hierzu unten § 5.III.2.b).aa). Eine umfassende ökonomische Analyse des respondeat superior-Prinzips findet sich bei Sykes, 93 Yale L. J. 1231ff. (1984). 479 Vgl. Harper/James/Gray, aus der Rechtsprechung.

Law of Torts, vol. 5, S. lOff., mit zahlreichen Belegen

480

Ein schuldhaftes Verhalten des Tochterunternehmens wird jedoch nicht vorausgesetzt: Weil es nach dem zuvor Gesagten allein auf den Prinzipal ankommt, kann diesen eine Stellvertreterhaftung auch dann treffen, wenn der agent selbst dem Dritten gegenüber nicht verantwortlich ist. Vgl. Schubert v. August Schubert Wagon Co., 249 N.Y. 253, 164 N.E. 42 (1928); Eule v. Eule Motor Sales, 34 N.J. 537, 170 A.2d 241, 243ff. (1961); anders jedoch Freeman ν. Churchill, 30 Cal.2d 453, 183 P.2d 4, 8 m. w. N. (1947); Popejoy v. Hannon, 37 Cal.2d 159, 231 P.2d 484, 492 (1951). 481 Ein ähnliches Verständnis des Begriffs "derivativ" liegt der Entscheidung Schubert v. August Schubert Wagon Co., 249 N.Y. 253, 164 N.E. 42, 43 (Ct.App.N.Y. 1928), zugrunde. 482

Vgl. oben § 3.1.l.a).aa).

128

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

c) Voraussetzungen der Stellvertreterhaftung Auch wenn die rechtliche Konstruktion der Stellvertreterhaftung anders als die der Direkthaftung ist: Vor dem Hintergrund der pragmatischen Denk- und Arbeitsweise, welche Rechtslehre und -praxis in den USA bestimmt, ist die Frage nach den praktischen Ergebnissen mindestens genauso wichtig: Wann kann ein CERCLA-Verstoß einer Untergesellschaft mit Hilfe von respondeat superior der Obergesellschaft zugerechnet werden, so daß letztere haftet? Wenig hilfreich ist die Feststellung, daß ügeizcy-Grundsätze zur Haftung führen, wenn zwischen beiden Gesellschaften "eine 4agency'-Beziehung besteht".483 Immerhin ist damit die Erkenntnis gewonnen, daß die Obergesellschaft zur Untergesellschaft in einem bestimmten Verhältnis stehen muß. Anders als es die zitierte Aussage suggeriert, reicht aber nicht irgendein agency- artiges Verhältnis aus: Nur wenn die Obergesellschaft als master und die Untergesellschaft als servant qualifiziert werden kann, besteht eine Grundlage für eine Stellvertreterhaftung. 484 Ein servant ist ein agent , der vom Prinzipal beschäftigt wird, um für diesen Geschäfte zu besorgen und der dabei kontrolliert wird oder kontrollierbar ist.485 Im Einklang mit dieser allgemeinen Definition wird gefragt, ob und inwieweit eine Muttergesellschaft von ihrer Kontrollmöglichkeit Gebrauch macht, das heißt sich an der Führung der Geschäfte ihrer Tochter beteiligt oder Weisungen gibt — sei es auf einer vertraglichen oder einer rein tatsächlichen Grundlage.486 Während in der allgemeinen Definition auch von der Kontrollierbarkeit des agent die Rede ist, wird im Zusammenhang mit Aktionären also durchweg ein strengerer Maßstab angelegt: Eine Konzernmutter wird nicht schon dadurch zur Geschäftsherrin, daß sie eine Mehrheit der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft hält.487 Diese Einschränkung stützt den Eindruck, daß die respondeat superior483 484

So aber Kronstein/Hawkins,

a.a.O. (Fn. 257), S. 254.

Vgl. allgemein Reuschlein/Gregory, 471), S. 141.

a.a.O. (Fn. 462), S. 17; Seavey, a.a.O. (Fn.

485

Vgl. Restatement 2d of the Law of Agency, § 220(1); Keeton/Dobbs/Keeton/Owen , a.a.O. (Fn. 468), S. 501; Reuschlein/Gregory, a.a.O., S. 16; Seavey, a.a.O., S. 8 (jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). 486

Vgl. Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 313; Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 788; Bryant , 38 ALR 3d 1102, 1116 (1971) m. w. N. Vgl. auch die entsprechende Passage im Urteil FMC Corp. v. Northern Pump Co., 668 F.Supp. 1285, 1293 (D.Minn. 1987). Dort wird eine CERCLA-Haftung der beklagten Muttergesellschaft aufgrund einer agency- Theorie mit den Worten abgelehnt: "Das Gericht stellt [...] fest, daß die [...] vorgetragenen Umstände unzureichend sind, um das Ausmaß an Kontrolle nachzuweisen, das zur Begründung einer ögeflcy-Beziehung erforderlich ist." (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 487

Restatement 2d of the Law of Agency, § 14 M, Comment a.; vgl. Stone, 90 Yale

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

129

Regel und die Direkthaftung in ihren Voraussetzungen praktisch identisch seien. Soweit letztere nämlich allein an tatsächliche Kontrolle anknüpft,488 steht — ebenso wie beim agency- Modell — die Einflußnahme der Obergesellschaft (insbesondere auf den Umgang mit gefahrlichen Stoffen) im Mittelpunkt der Betrachtung. Meist ist es aber ausgeschlossen, eine Tochtergesellschaft als servant ihrer Mutter zu qualifizieren. Das soeben untersuchte Merkmal der umfassenden Kontrolle durch den Prinzipal unterscheidet nämlich nur den servant vom unabhängig Handelnden (independent contractor ), dem anderen Typus des agent. m Es sagt nichts darüber aus, ob die allgemeinen Voraussetzungen einer agency vorliegen. So müssen sich beide Beteiligten darüber einig sein, daß der agent bestimmte Geschäfte für den Prinzipal besorgt.490 Wo sich eine Muttergesellschaft in Angelegenheiten ihrer Tochter einmischt, dürfte es häufig an einem Konsens häufig schlechthin fehlen. 491 Doch selbst wenn man ein Handeln im gegenseitigen Einverständnis unterstellt: Im Konzern ist es typischerweise so, daß eine Tochtergesellschaft in eigener Sache tätig wird. 492 Nur wo dies anders ist, kann davon gesprochen werden, daß sie Angelegenheiten der Muttergesellschaft wahrnimmt — und nur dann ist es möglich, agency- Recht anzuwenden.493 L. J. 1, 67 (1980). Siehe auch Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 861f., der jedoch offenbar die Rollen von Mutter- und Tochtergesellschaft als Prinzipal bzw. agent verwechselt. 488

Diejenigen Urteile, die eine Direkthaftung mit Hilfe des Möglichkeitstestes begründen (siehe oben § 2.II.2.b).), sind insoweit problematischer: Hier weicht der abstrakte Haftungsmaßstab von der respondeat superior- Regel ab, weil allein die Stellung als Mehrheitsaktionär haftungsauslösend zu sein scheint. Zu berücksichtigen ist aber, daß — soweit ersichtlich — in allen bisher entschiedenen Fällen die Muttergesellschaft tatsächlich Kontrolle ausgeübt hat (vgl. oben § 2.II.2.b).dd).). Bezieht man die zugrundeliegenden Fakten in die Betrachtung ein, besteht in dieser Hinsicht also kein Widerspruch zur Haftung nach ögewcy-Grundsätzen. 489

Zur Kategorie des independent contractor vgl. Reuschlein/Gregory, 462), S. 17; Seavey, a.a.O. (Fn. 471), S. 8. 490

a.a.O. (Fn.

Vgl. Restatement 2d of the Law of Agency, § 1(1); Seavey , a.a.O., S. 2f.

491

Vgl. Kingston Dry Dock Co. v. Lake Champlain Transp. Co., 31 F.2d 265, 267 (2d Cir. 1929); Blumberg , a.a.O. (Fn. 367), S. 126; dersJStrasser, a.a.O. (Fn. 256), S. 202; Bryant , a.a.O. (Fn. 486), S. 1116. 492

Blumberg, a.a.O.; dersJStrasser , a.a.O.

493

Eine weitere allgemeine Voraussetzung betont die oben (§ 2.II.2.c).aa).) bereits erwähnte Entscheidung FMC Corp. v. Northern Pump Co., 668 F.Supp. 1285, 1293 (D.Minn. 1987): Dort hatte die Muttergesellschaft das schadenauslösende Verhalten ihrer Tochter nicht autorisiert. Allerdings hat eine solche Autorisierung als Bedingung einer Stellvertreterhaftung seit einiger Zeit erheblich an Bedeutung verloren. Vgl. Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 7, insbesondere Fn. 27. Daher wird dieser Aspekt hier nicht näher vertieft. 9 Ochsenfeld

130

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

d) Ergebnis Wie aus den letzten Ausführungen deutlich wird, scheitert die Anwendbarkeit der respondeat superior- Regel in den meisten Fällen an der Art und Struktur konzerninterner Beziehungen. Natürlich könnte man sich von dem Erfordernis lösen, wonach ein Einvernehmen darüber bestehen muß, daß der agent Geschäfte des Prinzipals besorgt. Doch damit würde der Begriff "respondeat superior" untechnisch für eine neuartige, signifikant andere Form von Stellvertreterhaftung verwendet.494 In ihrem eigentlichen Sinne verstanden, eignet sich diese Haftung nicht, um die Inanspruchnahme von Muttergesellschaften für CERCLA-Verbindlichkeiten alternativ zu begründen: Respondeat superior ist kein potentielles Substitut für die oben vorgestellte Direkthaftung. Dieses Prinzip hat daher aus gutem Grund in der Rechtsprechung (fast 495) keine Rolle gespielt.496 Immerhin ist die Stellvertreterhaftung der direkten Haftung jedoch konstruktiv sehr viel ähnlicher als die Durchgriffshaftung: Beide sind sektoral und — freilich auf jeweils unterschiedliche Weise — direkt angelegt. Zudem verzichten beide (anders als das piercing-Wloà&M in seiner traditionellen Form497) auf ein Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchselement. Damit entfallt aber auch ein zusätzlicher Filter, der die Integrität der Kapitalgesellschaft als juristische Person und damit zugleich die dahinter stehenden Aktionäre vor persönlicher Inanspruchnahme bewahrt. Möglicherweise üben die Gerichte schon deshalb Zurückhaltung beim Rückgriff auf respondeat superior , weil sie befürchten, daß sonst die Haftungsbeschränkung (auf das Eigenvermögen der Untergesellschaft) ausgehöhlt zu werden drohte.498

3. Gemeines Deliktsrecht: corporate actor-Regel

Als dritte Möglichkeit, um die Ergebnisse der Direkthaftungs-Rechtsprechung aus traditionellen Rechtsgrundsätzen herzuleiten, ist die corporate actor- Regel in Betracht zu ziehen: Directors bzw. leitende Angestellte einer Gesellschaft haften unter bestimmten Voraussetzungen persönlich für Schäden aus ihrer

494 Zu Tendenzen, den Begriff der agency im amerikanischen Recht untechnisch zu verwenden und damit letztlich auszuweiten vgl. OECD, a.a.O. (Fn. 335), S. 13. 495

Eine einsame Ausnahme bildet nur die oben (§ 2.H.2.c).aa).) dargestellte Northern Pwmp-Entscheidung. 496

Vgl. Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 800.

497

Vgl. oben §3.1.1.b).bb).(l).

498

In diesem Sinne Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 512f.; Powell, a.a.O. (Fn. 414), S. 93ff.; vgl. Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 788 m. w. N.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

131

Beteiligung am deliktischen Verhalten des Unternehmens: Sie können nicht erfolgreich einwenden, daß sie "nur" als Funktionsträger gehandelt hätten.499 Im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit individueller Aktionäre500 — wo das corporate actor-Piinzip unmittelbar anwendbar ist — würde bereits die Frage aufgeworfen: Kann eine Muttergesellschaft unter Umständen als corporate actor ihrer Tochter qualifiziert werden? Dann wäre es möglich, Verstöße gegen den CERCLA beim Betrieb der tochtereigenen Anlage als Handlungen der Konzernmutter einzuordnen und diese haften zu lassen.

a) Anwendbarkeit

der Regel im CERCLA-Kontext

Vereinzelt wird die corporate actor- Regel — wohl wegen ihres insoweit mißverständlichen Namens — als Doktrin des Gesellschaftsrechts bezeichnet.501 Tatsächlich wurzelt diese Ausnahme von dem (gesellschaftsrechtlichen) Grundsatz, daß Funktionsträger einer Gesellschaft bei pflichtgemäßer Aufgabenerfüllung kein persönliches Haftungsrisiko eingehen,502 jedoch im gemeinen agency- bzw. Deliktsrecht. So besagt § 343 des Restatement of the Law of Agency 2d: "Ein agent , der eine sonst deliktische Handlung begeht, wird nicht dadurch von Haftung befreit, daß er auf Anweisung [...] oder auf Rechnung des Prinzipals handelt [...]. 1,503 Da der CERCLA in seinem § 107(a) strenggenommen keine gemeinrechtliche, sondern eine zusätzliche gesetzliche Haftung begründet, bedarf die Anwendung eines traditionellen Rechtsgrundsatzes wie des corporate actor-Prinzips auch hier einer besonderen Rechtfertigung. Insofern kann aber auf die Ausführungen zum Rückgriff auf die Stellvertreterhaftung im CERCLAKontext504 verwiesen werden.

499

Ausführlich hierzu sogleich unten § 3.1.3.b).

500

Vgl. oben § 2.II.4.b). am Ende.

501

Vgl. etwa Geltman, a.a.O. (Fn. 187), S. 395.

502

Dieses Prinzip ist ζ. B. in § 8.30(d) (für directors) u. § 8.42(d) RMBCA (für leitende Angestellte) festgeschrieben. Vgl. auch Thompson, DAJV-NL 95, 95, 99. 503

(Original in Englisch, Hervorhebungen durch den Verfasser). Unmittelbare Anwendung findet diese Restatement- Regel, weil sie das agency- Recht betrifft, allerdings nur für leitende Angestellte, nicht für directors : Letztere werden allgemein nicht als agents , sondern — in ihrer Gesamtheit als board — als Organ der Gesellschaft behandelt. Vgl. Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 137; Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 6 u. 8; Merkt, a.a.O. (Fn. 92), Rz. 488. Gleichwohl gilt die corporate actorRegel inhaltlich identisch für die directors einer Gesellschaft. Vgl. Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 850. 504

9*

Vgl. oben § 3.1.2.a).

132

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

b) Inhalt der Regel in ihrer ursprünglichen Form Von der Rechtsprechung wird die Geltung der corporate actor- Regel (nur) für directors und leitende Angestellte ausdrücklich anerkannt.505 Halten diese Personen außerdem Anteile an "ihrem" Unternehmen, spricht dieser Umstand natürlich nicht gegen, sondern erst recht für die Anwendung der Regel.506 Eine kapitalmäßige Beteiligung vermag aber für sich genommen ebensowenig eine persönliche Haftung auszulösen wie die Stellung der Betroffenen im Unternehmen. Entscheidend ist vielmehr, ob der in Anspruch genommene corporate actor am deliktischen Verhalten der Gesellschaft — hier: der unsachgemäßen Beseitigung gefährlicher Substanzen — persönlich beteiligt ist.507 Das Tatbestandsmerkmal der Beteüigung gilt bereits dann als erfüllt, wenn die inkriminierende Handlung zwar nicht unmittelbar von der fraglichen Person ausgeführt, von dieser jedoch autorisiert, angeordnet oder kontrolliert und überwacht wird. 508

c) Vergleich mit der Direkthaftung In dieser erweiterten Fassung erinnert die corporate actor- Regel an entsprechende Formulierungen in Urteilen zur CERCLA-Direkthaftung von Muttergesellschaften: Auch dort wird als entscheidendes Kriterium häufig die "beherrschende Kontrolle" über das Tochterunternehmen, zum Teil sogar explizit über dessen Abfallbeseitigungspraktiken, genannt.509 Konstruktiv ähneln sich die corporate actor- Regel und die direkte Haftung darin, daß beide direkt sind, da sie an das eigene schadenverursachende Verhalten der betreffenden Person anknüpfen.510 Gegenständlich ist die Verantwortlichkeit in beiden Fällen auf Ansprüche beschränkt, die mit diesem Verhalten in Zusammenhang stehen. Das heißt, auch der corporate actor- Regel liegt ein sektoraler Ansatz zugrunde. Angesichts derart weitgehender Parallelen liegt es nahe, die direkte Haftung von Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA als Beispiel für eine Anwendung des corporate actor-Prinzips im Konzernkontext zu interpretieren.

505

Vgl. Geltman, a.a.O. (Fn. 187), S. 395; Thompson, a.a.O. (Fn. 502), S. 99; ders., a.a.O. (Fn. 318), S. 6ff. 506

Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 84, mit Rechtsprechungsbeispielen in Fn. 22.

507

Vgl. Biel, 140 U. Penn. L. Rev. 241, 250 (1991).

508

In diesem Sinne etwa Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 275; Fletcher , a.a.O. (Fn. 363), vol. 3, S. 71 Iff.; Preston , a.a.O. (Fn. 324), S. 933; Rich , a.a.O. (Fn. 422), S. 659 (alle mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). 509

Vgl. oben § 2.II.6.

510

Zur direkten Natur der CERCLA-Direkthaftung vgl. oben § 3.1.1 .a).aa).

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

133

Dagegen läßt sich indes zweierlei vorbringen. Erstens ist es auf diese Weise nicht ohne weiteres möglich, die Direkthaftung von Muttergesellschaften in ihrem gesamten Spektrum zu erklären.511 Zweitens gibt zu denken, daß die Gerichte selbst diese Haftung offenbar keineswegs als Fortschreibung des corporate öc/or-Prinzips ansehen. Soweit ersichtlich, geht allenfalls das Gericht im Mcö/ei-Urteil512 einen Schritt in eine solche Richtung. Es zitiert zunächst zwei Entscheidungen513, in denen mit Hilfe der corporate actor-Rtgcl die Haftung eines Aktionärs einer unabhängigen Gesellschaft begründet wurde, und bemerkt dann: "Es besteht natürlich kein Grund, im Rahmen von CERCLA zwischen der Haftung eines individuellen Aktionärs, der aktiv am Management einer Gesellschaft mitwirkt, und einer Muttergesellschaft, die auf diese Weise mitwirkt, zu unterscheiden."514 Darin mag man einen (versteckten) Hinweis auf die Anwendung des corporate actor-Pr'wzips in einem Konzernfall sehen515 — zwingend ist dies jedoch nicht.

d) Übertragbarkeit

der corporate actor-Regel auf die Haftung im Konz

Aus der Rechtsprechung läßt sich also nicht entnehmen, ob die Geltung dieses Prinzips auf die Haftung von Mutterunternehmen erstreckt werden kann. Die Fragestellung des vorliegenden Kapitels verlangt jedoch eine Antwort: Nur wenn die corporate actor- Regel im Konzernkontext anwendbar ist, kann die direkte Inanspruchnahme von Obergesellschaften als ein in der Sache anerkanntes Haftungsmodell unter neuem Namen qualifiziert werden. Unglücklicherweise sind sich die Kommentatoren in den USA uneinig, ob und ggfs. inwieweit die Regel übertragbar ist. Im Zusammenhang mit der CERCLA-Direkthaftung werden zu dieser Frage alle möglichen Meinungen vertreten.516 Im übrigen ist 511

Schwierigkeiten bereiten — wiederum — diejenigen Urteile, die sich mit der bloßen Möglichkeit einer Beteiligung am schädigenden Verhalten begnügen (siehe oben § 2.II.2.b).): Die corporate actor- Regel verlangt ausdrücklich eine tatsächliche Form der Beteiligung. Dieser Einwand läßt sich aber damit entkräften, daß die beklagte Muttergesellschaft in den fraglichen Fällen tatsächlich doch an den Maßnahmen ihrer Tochter beteiligt war (vgl. oben § 2.II.2.b).dd).). 512

Vgl. oben § 2.II.2.a).cc).

513

Nämlich State of New York v. Shore Realty Corp., 759 F.2d 1032, 1052 (2d Cir. 1985) und U.S. v. Northeastern Pharmaceutical, 810 F.2d 726, 744 (8th Cir. 1986). 514

U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1203 (E.D.Pa. 1989) (Original in Englisch). 515 516

Vgl. Blumberg , a.a.O. (Fn. 3), 1997 Supplement, S. 274.

Für eine Anwendung auf Muttergesellschaften: Blankenship/Mandel, a.a.O. (Fn. 95), S. 241 u. 247; Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 10. Dagegen: Heidt, a.a.O.

134

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

die einschlägige Literatur spärlich; nur vereinzelt sind Stimmen zu vernehmen, die für eine mögliche Qualifikation von Muttergesellschaften als corporate actors plädieren.517 Eine solche Qualifikation ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Anders als die "klassischen" corporate actors ist eine (Mutter-)Gesellschaft ein juristisches Gebilde, das seinerseits nur durch natürliche Personen aktiv werden kann.518 Die Einflußnahme einer Muttergesellschaft auf die Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen ihrer Tochter gewinnt dadurch eine andere Qualität als die Beteiligung von directors oder leitenden Angestellten (der Tochter).519 Logisch ausgeschlossen ist es dennoch nicht, auch im Fall einer Konzernmutter von "persönlicher Beteiligung" zu sprechen — vorausgesetzt, man verengt diesen Begriff nicht von vornherein auf das tatsächliche Handeln natürlicher Personen. Zwei Wege bieten sich an, wenn man die Geltung des corporate actor- Prinzips auf Muttergesellschaften erweitern, dem Wesen des Prinzips jedoch treu bleiben will. Erstens kann man an die Handlungen des board anknüpfen: Diese gelten als Handlungen der Gesellschaft selbst, weil der board deren Organ ist.520 Zweitens ist es denkbar, der Gesellschaft als solcher die metaphysische Qualität als handelnde Person zuzuerkennen.521 Damit würde freilich die obige Prämisse aufgehoben, wonach eine juristische Person nur durch natürliche Personen handeln kann: ein gewagter Schritt, der zu einer Auseinandersetzung mit der Natur der juristischen Person zwingen und vom Thema dieser Arbeit wegführen würde. Dieser Gedanke wird deshalb hier nicht weiter vertieft. Doch auch der Weg über den board als Organ der Obergesellschaft vermag nicht zu überzeugen: (Fn. 186), S. 148. Vermittelnd Blumberg, a.a.O., S. 623f., der eine Übertragung der corporate actor- Regel unter bestimmten Voraussetzungen offenbar zumindest für möglich hält. 517

In diesem Sinne äußern sich namentlich Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 82ff., und wohl auch Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 494. 518

Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 119.

519

Vgl. Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 616.

520

Vgl. Fletcher , a.a.O. (Fn. 363), vol. 2, S. 561f., der die Organqualität des board — in den Worten der Entscheidung In Re Lone Star Shipbuilding Co., 6 F.2d 192, 195 (2d Cir. 1925) — so umschreibt: "[D]ie Befugnisse des board of directors sind, in einem sehr wichtigen Sinne, originär und nicht delegiert. Die Aktionäre verleihen diese Befugnisse nicht, noch können sie diese widerrufen." (Original in Englisch). 521

Siehe etwa French , Collective and Corporate Responsibility, der sich mit folgender Begründung für eine Handelndenqualität von Unternehmen an sich ausspricht: Deren interne Entscheidungsstrukturen bestimmten das Handeln der im Unternehmen tätigen natürlichen Personen in einer Weise, daß von einem finalen Verhalten des Unternehmens selbst gesprochen werden könne. A.a.O., S. 13f., 39, 44 u. passim.

I. Traditionelle haftungsrechtliche Figuren und Theorien

135

Fraglich ist bereits, ob die bisher ergangenen Direkthaftungs-Urteile auf diese Weise erklärt werden können. Denn nach dem bisher Gesagten tritt eine Obergesellschaft nur dann als corporate actor einer Untergesellschaft auf, wenn ihr board das deliktische Verhalten (das heißt: die unsachgemäße Abfallbeseitigung) der Untergesellschaft autorisiert oder kontrolliert. In den bislang entschiedenen Fällen ging der Einfluß auf Maßnahmen der Abfallbeseitigung jedoch, soweit ersichtlich, nie vom gesamten board der Konzernmutter sondern nur von einzelnen director î 522 bzw. von der Geschäftsführung 523 aus. Anders als der board sind diese unmittelbar handelnden Personen keine Organe der Muttergesellschaft. Es ist daher zumindest zweifelhaft, ob ihre Handlungen als originär gesellschaftseigene behandelt werden können.524 Lehnt man dies ab, bliebe nur, auf die Rolle der leitenden Angestellten als agents abzustellen und ihr Verhalten dem Unternehmen entsprechend der Maxime respondeat superior zuzurechnen. Die Haftung der Muttergesellschaft würde dann nicht mehr allein aus dem corporate actor-Prinzip hergeleitet, sondern auf dem Umweg über das agency- Recht begründet. Für eine solche Ausweitung des Prinzips ist aber keine rechtliche Grundlage ersichtlich. Selbst wenn man das schädigende Verhalten leitender Angestellter mit dem Verhalten "ihrer" Gesellschaft gleichsetzen könnte, bliebe jedoch eine Schwierigkeit. In vielen Direkthaftungsfällen sind die Führungskräfte der Muttergesellschaft mit denen der Tochter zumindest teilweise identisch.525 Unter solchen Umständen läßt sich die Frage nicht vermeiden, wessen agent der unmittelbar

522 So etwa in CPC Intern,, Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 561f. (W.D.Mich. 1991). 523

So etwa in Colorado v. Idarado Mining Co., 18 ELR 20578 (D.Colo. Apr. 29,

1987). 524

Befürwortend aber wohl Fletcher , a.a.O. (Fn. 363), vol. 2, S. 25ff., der die Festschreibung bestimmter Funktionen in der Gründungsurkunde (charter) oder den Satzungsbestimmungen (by-laws) unterstreicht: Soweit die Rolle eines leitenden Angestellten satzungsmäßig verankert sei, handle "seine" Gesellschaft originär durch ihn. Anders als sonstige Personen sei er kein "gewöhnlicher" agent des Unternehmens. A.a.O., S. 28f. Eindeutig zu weit geht Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 87, der eine Einstandspflicht einer (Mutter-)Gesellschaft sogar dann zu befürworten scheint, wenn diese durch untergeordnete Mitarbeiter handelt. 525 Vgl. etwa Colorado v. Idarado Mining Co., 18 ELR 20578 (D.Colo. Apr. 29, 1987); Rockwell Intern. Corp. v. IU Intern. Corp., 702 F.Supp. 1384, 1390 (N.D.III. 1988); CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 558f. u. 569 (W.D.Mich. 1991); John S. Boyd Co., Inc. v. Boston Gas Co., 992 F.2d, 401, 408 (1st Cir. 1993); U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1183f. (N.D.Iowa 1994).

136

§ 3 Rechtliche Einordnung und Qualifikation

handelnde Mitarbeiter ist.526 Mit anderen Worten: Handelt durch den leitenden Angestellten die Mutter- oder die Tochtergesellschaft, wenn dieser bestimmte Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen durchführt bzw. anordnet? Nur im ersten Fall könnte das Mutterunternehmen als corporate actor haftungsrechtlich verantwortlich sein. Doch spricht vieles (zum Beispiel die eigentumsrechtliche Zuordnung der Anlagen) dafür, in den betreffenden Maßnahmen Akte der Tochtergesellschaft zu sehen.

e) Ergebnis Eine Anwendung des corporate actor-Prinzips auf Muttergesellschaften stünde auf einer zerbrechlichen theoretischen Grundlage. Selbst wenn man sie im Grundsatz zuließe, könnten mit Hilfe dieser traditionellen Haftungsregel schwerlich alle Urteile zur CERCLA-Direkthaftung im Konzernkontext erklärt werden: Zu zahlreich sind die Fälle, in denen sich Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen nicht auf eine Kontrolle durch Führungskräfte des Mutterunternehmens zurückführen lassen, weil diese Personen entweder gar nicht oder in anderer Funktion beteiligt waren. Damit muß auch dieser Versuch, die Ergebnisse der Direkthaftungs-Rechtsprechung mit herkömmlichen Rechtsregeln abzustützen, als gescheitert angesehen werden.527

Π. Neuartigkeit und Eigenständigkeit der Direkthaftung Festzuhalten ist demnach, daß die oben vorgestellte Direkthaftung von Obergesellschaften dieses — neue — Etikett mit Recht trägt: Die Bundesgerichte haben während der zurückliegenden zehn Jahre ein neuartiges Haftungsmodell entwickelt und neben528 die bestehenden haftungsrechtlichen Figuren und Theorien gestellt. Durchgriff, respondeat superior- Grundsatz und corporate actor- Regel können zwar jeweils als alternative Urteilsgrundlagen in bestimmten Einzelfallen dienen; sie vermögen die Direkthaftungs-Rechtsprechung indes nicht als Gesamtphänomen zu erfassen. 529 Auch ein Vergleich der dogmatischen Konstruktionen hinter den herkömmlichen Rechtsgrundsätzen einerseits und dem direkten Ansatz andererseits läßt es als unzulässig erscheinen, letzteren etwa als

526

Vgl. Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 92f. Siehe auch Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S.

497f. 527

Im Ergebnis ebenso Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 148.

528

Im Sinne eines Nebeneinanders von Direkthaftung und Durchgriff äußern sich auch Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 464. 529

Im Ergebnis ebenso Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 855.

II. Neuartigkeit und Eigenständigkeit

137

"versteckten" Haftungsdurchgriff zu interpretieren. Dies gilt — abgeschwächt — auch für das respondeat superior-Pfwzip und sogar für die corporate actorRegel, obschon sie die größte Ähnlichkeit mit der Direkthaftung aufweist. Wollte man die Urteile zur Betreiberhaftung von Konzernmüttern gemäß § 107(a) CERCLA dennoch in die bestehenden Kategorien pressen, würde man diese zwangsläufig verändern und verformen. Ein solches — ohnehin fragwürdiges — Vorgehen verbietet sich bereits deshalb, weil etliche Gerichte die Direkthaftung explizit als aliud deklarieren.530 Daneben finden sich in den relevanten Passagen vieler Entscheidungen Ausführungen zu den Vorgaben und Zielen des CERCLA. Dies ist (neben der bereits erwähnten531 gegenständlichen Beschränkung von Schadenersatzansprüchen) ein weiterer Hinweis auf die sektorale Natur — und das heißt zugleich: die Neuartigkeit — dieser Form von Konzernhaftung. Dementsprechend widmet sich das folgende Kapitel ganz den gesetzlichen Grundlagen der Direkthaftung im CERCLA sowie deren Auslegung.

530

Vgl. oben §3.1.1.

531

Vgl. oben §3.1.1.a).bb).

§ 4 Der CERCLA als Grundlage der Direkthaftung: Auslegung und normative Betrachtung I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung von Muttergesellschaften Herkömmliche Figuren und Theorien des Haftungsrechts vermögen, wie im letzten Kapitel nachgewiesen wurde, die Rechtsprechung zur direkten Betreiberhaftung von Muttergesellschaften nicht zu tragen. Es liegt deshalb nahe, diese neue Form der Konzernhaftung im CERCLA zu verorten. Dies ist keineswegs als "Notlösung" (da kein anderer Weg bleibt, um die Direkthaftung zu erklären) zu sehen, sondern entspricht gerade der von der Rechtsprechung selbst gewählten Herangehensweise. In zahlreichen Urteilen fällt nämlich eine (mehr oder weniger) detaillierte Auseinandersetzung mit dem Wortlaut, der Geschichte und den Zielen des CERCLA auf. 532 Es fragt sich allerdings, ob dieser sektorale Ansatz seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird, das heißt: ob sich eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften in der beschriebenen Form aus dem CERCLA ableiten läßt.

1. Anwendung unterschiedlicher Auslegungsmethoden

a) Der Wortlaut

des Gesetzes als Ausgangspunkt

Einigkeit besteht — auch in den USA — darüber, daß Auslegung am Wortlaut des Gesetzes anzusetzen hat.533 Der Gesetzestext an sich hat nach dem Verständnis der amerikanischen Rechtslehre und -praxis jedoch keinen eigenständigen Erkenntniswert, sondern nur eine relative Bedeutung: Die sprachliche Analyse der gesetzlichen Bestimmungen dient dazu, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln; diesem eigentlichen Ziel der Gesetzesauslegung ist sie untergeordnet.534 Daher büdet der Wortsinn auch keine absolute Grenze der Auslegung; 532

Siehe die Nachweise in den folgenden Abschnitten.

533

Vgl. etwa Blue Chip Stamps v. Manor Drug Stores, 421 U.S. 723, 756, 95 S.Ct. 1917, 44 L.Ed.2d 539 (1975) CPowell , J., concurring); Blumberg , a.a.O. (Fn. 3), S. 15 m. w. N.; Frankfurter , 47 Colum. L. Rev. 527, 535f. (1947). Siehe auch Pinal Creek Group v. Newmont Min. Corp., 926 F.Supp. 1400, 1405 (D.Ariz. 1996). 534

Fikentscher , Methoden des Rechts, Bd. II., S. 266f.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

139

er kann durch die Zielsetzung des Gesetzes überlagert sein, unter Umständen sogar überwunden werden.535 Erscheint die Wortlautinterpretation demnach nur als unselbständiger Teil des Auslegungsprozesses, so können mit ihrer Hilfe doch zwei Fragen beantwortet werden: Enthält der Text des CERCLA Anhaltspunkte, um Konzernmütter in den Kreis der nach § 107(a) verantwortlichen Personen einzubeziehen? Und: Lassen sich daraus Richtlinien für die inhaltliche Ausgestaltung einer direkten Haftung entnehmen?

aa) Anhaltspunkte für eine Haftung von Muttergesellschaften Ausdrückliche Aussagen im Sinne einer Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften finden sich im CERCLA nicht.536 Da in § 107(a) nur von "Eigentümern" und "Betreibern" die Rede ist und keine offenen Hinweise auf eine Konzernhaftung gegeben werden, bezeichnet Blumberg diese Regelung als "allgemeines" Gesetz.537 Das scheint freilich etwas zu kurz gegriffen: Bevor eine Regelung als "allgemein" (das heißt konzernunspezifisch) qualifiziert wird, sollte festgestellt werden, daß der Wortlaut auch keine versteckten Anhaltspunkte für eine Haftung von Mutterunternehmen enthält. Im übrigen ist zu fragen, ob der Gesetzestext eine solche Haftung, wenn schon nicht vorzeichnet, so doch wenigstens zuläßt.

(1) § 107(a)(1) bzw. (2) i. V. m. § 101 (20) (A) und § 101(21) CERCLA Den Umfang der Betreiberhaftung gemäß § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA zu bestimmen, bereitet vor allem deshalb Schwierigkeiten, weil der Begriff "Betreiber" (operator) keinen allgemein feststehenden rechtlichen Bedeutungsgehalt hat. Zwar kann insofern auf die Legaldefinition in § 101(20)(A) CERCLA538 zurückgegriffen werden, doch ist diese weitgehend zirkulär und daher wenig539 hilfreich. Danach ist ein Betreiber: "(ii) im Falle einer [...] Anlage jede Person, die eine solche Anlage [...] betreibt, und (iii) im Falle einer Anlage, deren

535

Vgl. United States v. American Trucking Ass'ns, 310 U.S. 534, 543, 60 S.Ct. 1059 (1940); siehe auch Fikentscher, a.a.O., S. 263ff. 536

Siehe oben § 2.1.4.

537

Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 5, insbesondere Fn. 7.

538

42 U.S.C. § 9601(20)(A) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)).

539 Zur Aussagekraft der Legaldefinition für die nähere Ausgestaltung der Haftung siehe aber unten § 4.1.1.a).bb).

140

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Eigentum oder Besitz aufgrund eines Bankrotts, einer Zwangsversteigerung, eines Steuervergehens, einer Dereliktion oder auf ähnlichem Weg auf eine Untergliederung eines Staates oder einer örtlichen Regierung übergegangen ist, jede Person, die unmittelbar zuvor [...] betrieben oder Aktivitäten in einer solchen Anlage auf andere Weise kontrolliert hat."540 Der Begriff der Person ist seinerseits in § 101(21) CERCLA541 definiert und schließt, wie oben542 ausgeführt wurde, unter anderem Kapitalgesellschaften ein. Unter das Merkmal der Person kann ein Mutterunternehmen problemlos subsumiert werden.543 Der dagegen vorgebrachte Einwand544, daß Anteilseigner oder andere kontrollierende Personen üblicherweise nicht gemeint seien, wenn ein Gesetz eine Kapitalgesellschaft in Bezug nehme, geht fehl: Entsprechend der oben545 erklärten Konzeption der Direkthaftung wird ja die Muttergesellschaft selbst als Betreiberin in Anspruch genommen — nicht in ihrer Eigenschaft als Aktionärin ihrer Tochter, in deren Eigentum die betreffende Anlage steht. Daß eine Konzernmutter immer auch kapitalmäßig beteiligt ist, hindert nicht, sie als Anlagebetreiberin zu behandeln.546 Freilich gerät die Direkthaftung dadurch in Konflikt mit dem Privileg der beschränkten Haftung. Doch das ist ein Problem der Abstimmung des CERCLA mit dem Gesellschaftsrecht,547 keine Frage der Auslegung.548 Die Crux des Auslegungsproblems liegt in der Tatbestandsvoraussetzung des Betreibens. Ist damit in bestimmten Fällen auch die Beziehung gemeint, in der eine Muttergesellschaft zu einer Anlage ihrer Tochter steht? Eine Antwort hat sich am üblichen Sinn des Wortes "betreiben", also am allgemeinen Sprachge-

540

(Original in Englisch).

541

42 U.S.C. § 9601(21) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)).

542

§ 2.1.4.

543

Ebenso das oben (in Fn. 89) erwähnte EPA-Memorandum, S. 267; vgl. auch Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1390. 544

Vgl. Dent, 26 Wake For. L. Rev. 151, 156 (1991).

545

§ 3.1.1.a).aa).

546

Vgl. U.S. v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 26 (1st Cir. 1990); Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 179. 547 548

Eingehend zu diesem Aspekt unten § 5.II.1. u. § 5.III.

Anders Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 156, dem offenbar eine Art "gesellschaftsrechtskonforme" Auslegung des CERCLA vorschwebt. Dies ist aber wohl nicht der richtige Weg, um die konfligierenden Ziele von Umwelt- und Gesellschaftsrecht zum Ausgleich zu bringen. Unterstellt wird damit nämlich — zumindest faktisch — ein Primat des Gesellschaftsrechts. Davon kann aber selbstverständlich keine Rede sein.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

141

brauch, zu orientieren. 549 Im Englischen ist "betreiben" (operate) gleichbedeutend mit "führen oder in Betrieb halten" bzw. mit "Macht oder Einfluß ausüben".550 Die Autoren des SARA scheinen von einer ähnlichen Wortbedeutung ausgegangen zu sein, da "betreiben" in § 101(20)(A)(iii) CERCLA (der in seiner aktuellen Fassung auf dem SARA beruht) als eine Variante von "kontrollieren" verstanden wird. 551 Gewonnen ist mit diesen Definitionen jedoch wenig: Sie erfassen potentiell nicht nur Muttergesellschaften, sondern alle möglichen, den Anlagebetrieb kontrollierenden Personen.552 Es wäre daher reine Spekulation, im Betreiberbegriff des CERCLA einen Hinweis des Gesetzgebers gerade auf die Haftung von Konzernmüttern zu sehen.553 Immerhin entsprechen Muttergesellschaften jedoch dem Typus des Betreibers, der dem CERCLA zugrundeliegt. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Begriff "Betreiber" der in § 103(a) u. (b) CERCLA 554 verwendeten Formulierung

549

Edward Hines Lumber Co. v. Vulcan Materials Co., 861 F.2d 155, 156 (7th Cir. 1988), schließt dies aus der zirkulären Definition des Betreiberbegriffs. Zur Bedeutung des allgemeinen Wortsinns für die Gesetzesinterpretation: Fikentscher, a.a.O. (Fn. 534), Bd.II, S. 266; Frankfurter, a.a.O. (Fn. 533), S. 536. 550

So Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 792, unter Bezug auf Webster's International Dictionary; vgl. auch Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 179.

Third New

551

Zum Teil wird allerdings zwischen den Ziffern (ii) und (iii) dieser Vorschrift unterschieden. Weil nur bei letzterer von "kontrollieren" die Rede sei, lasse sich der Betreiberbegriff nicht allgemein mit diesem Merkmal verknüpfen. Vgl. Joslyn Mfg. Co. v. T.L. James & Co, Inc., 893 F.2d 80, 83 (5th Cir. 1990); Birg, a.a.O., S. 811; Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 156f.; Morgan, 66 Tul. L. Rev. 1554, 1562f. (1992). Diese Argumentation überzeugt nicht: Die Ziffer (iii) enthält keine eigenständige Kategorie; sie soll die Haftungsverhältnisse in solchen Fällen klarstellen, in denen die öffentliche Hand als Schuldnerin von CERCLA-Verbindlichkeiten erscheint, obwohl ihre Beziehung zu der betreffenden Altlast allein auf besonderen Regeln des öffentlichen Rechts beruht. Es spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber von zwei unterschiedlichen Betreiberbegriffen — einem engeren in Ziffer (ii) und einem weiteren in Ziffer (iii) — ausging. Vgl. Heidt, a.a.O., S. 160f. 552

Heidt, a.a.O., S. 180.

553

Anders aber offenbar Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 918, die gerade aus der Weite der verwendeten Begriffe folgert, daß den separaten gesellschaftsrechtlichen Einheiten innerhalb eines Konzerns vergleichsweise geringe Bedeutung beigemessen werden sollte. 554 42 U.S.C. § 9603 (Pub.L. 96-510, Title I, § 103, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2772, zuletzt geändert durch Pub.L. 99-499, Title I, §§ 103, 109(a)(1), (2), 17. Oktober 1986, 100 Stat. 1617, 1632, 1633). In dieser Vorschrift geht es um Mitteilungspflichten im Zusammenhang mit Schadstoffaustritten.

142

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

"Verantwortlicher" (person in charge) gegenüberstellt. Während eine Betreiberstellung, wie soeben dargelegt, mit einer Leitungs- oder Kontrollfunktion verbunden ist, drückt Verantwortlichkeit zunächst einmal nur aus, daß jemand mit bestimmten Aufgaben betraut ist. In charge kann daher auch ein Mitarbeiter in untergeordneter Funktion sein.555 Daß der Gesetzgeber zwischen dem (engeren) Betreiber- und dem (weiteren) Verantwortlichenbegriff differenziert hat,556 läßt erkennen: Die Haftung für Sanierungskosten soll auf Personen in übergeordneter Stellung beschränkt sein. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Inpflichtnahme von Muttergesellschaften, welche die Geschicke ihrer Töchter bis ins Detail bestimmen und lenken können, a priori nicht unangemes-

(2) Insbesondere: die Ausnahme fur dinglich gesicherte Gläubiger Ein — versteckter — Hinweis darauf, daß Aktionäre nach der Vorstellung des Kongresses potentiell verantwortlich seien, wird vielfach in der sogenannten secured creditor exception des § 101(20)(A) CERCLA gesehen. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Definition von "Eigentümer" und "Betreiber": "Dieser Terminus bezieht sich nicht auf eine Person, die — ohne am Management [...] einer Anlage mitzuwirken — eigentumsrechtliche Positionen vorrangig hält, um ihr Sicherungsinteresse an [...] der Anlage zu schützen."558 Mehrere Gerichte und einzelne Kommentatoren haben daraus gefolgert, daß sich ein Anteilseigner (also

555

So im Ergebnis auch das Gericht in U.S. v. Carr, 880 F.2d 1550, 1554 (2d Cir. 1989), das insoweit jedoch der Geschichte des CERCLA größeres Gewicht beimißt als dem Wortlaut des § 103. 556

Sogar innerhalb des § 103 CERCLA wird die Formulierung "person in charge" in bezug auf die besonders dringlichen, der Begriff "Betreiber" in bezug auf die weniger wichtigen Mitteilungspflichten gebraucht. Vgl. Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1387, der allerdings ein anderes Verständnis von "person in charge" zugrundelegt. 557

Anders jedoch Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 631: Aktionäre könnten keinesfalls als Betreiber qualifiziert werden, da sich ihre Stellung innerhalb des Unternehmens nach der Vorstellung des Gesellschaftsrechts darauf beschränke, Investoren zu sein, die Mitglieder des board zu wählen und in grundlegenden Angelegenheiten mitzubestimmen; dagegen hätten sie keine Möglichkeit, sich in den laufenden Betrieb einzumischen. Das ist wohl bereits im Hinblick auf unabhängige Gesellschaften zu formalistisch gedacht und entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Um so weniger kann eine Muttergesellschaft als passive Anteilseignerin angesehen und von der Haftung von vornherein ausgeschlossen werden. 558

42 U.S.C. § 9601(20)(A) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)) (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

143

etwa auch ein Mutterunternehmen) haftbar mache, wenn er aktiv am Betrieb einer Anlage "seiner" Gesellschaft beteiligt sei.559 Dies ist jedoch nur scheinbar ein logischer Umkehrschluß. Denn die Ausnahme dinglich gesicherter Gläubiger von der Haftung bezieht sich ausschließlich auf die Haftung als Eigentümer, 560 Dagegen kann die direkte Inanspruchnahme einer Muttergesellschaft nur an deren Betreiberstélhmg anknüpfen: Eine (direkte561) Eigentümerhaftung scheidet aus, da allein die Tochtergesellschaft das Eigentum an der Anlage hält. Die Konzernmutter ist daran nur mittelbar über ihr Aktienpaket beteiligt.562 Zwar stellt auch diese Beteiligung eine Eigentumsposition dar; es läßt sich insoweit jedoch nicht mehr — wie § 101(20)(A) CERCLA es voraussetzt563 — von Eigentum an der Anlage sprechen.564 Hinzu kommt ein weiterer Grund, weshalb die secured creditor exception nicht eingreifen kann: Sie bezieht sich ausdrücklich nur auf Eigentum, das zu Kreditsicherungszwecken gehalten wird. Eine Muttergesellschaft verfolgt mit dem Halten von Aktien ihrer Tochter aber gewöhnlich kein Sicherungsinteresse.565 Ist demnach die Ausnahme nicht anwendbar, verbietet sich auch ein Umkehrschluß daraus. Vereinzelt wird — anstelle eines Umkehrschlusses — angeregt, aus § 101(20)(A) CERCLA zumindest die Wertung zu entnehmen, daß eine Haftung von Muttergesellschaften gerechtfertigt sei: Wenn schon ein außerhalb der 559

Vgl. U.S. v. Nicolet, Inc., 712 F.Supp. 1193, 1203 (E.D.Pa. 1989); Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. XX), S. 7. Ebenso zur Haftung individueller Aktionäre: U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 848 (W.D.Missouri 1984); United States v. Carolawn Co., 14 ELR 20699, 20700 (D.S.C. June 15, 1984); State of N.Y. v. Shore Realty Corp., 759 F.2d 1032, 1052 (2d Cir. 1985); United States v. Mirabile, 15 ELR 20994, 20995 (E.D.Pa. Sept. 4, 1985). 560

So auch Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 181, insbesondere Fn. 330.

561

Natürlich kann eine Muttergesellschaft derivativ, das heißt im Wege eines Durchgriffs, auch als Eigentümerin haften. Vgl. oben Fn. 42. 562 Vgl. Cain , a.a.O. (Fn. 271), S. 6; Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 634; siehe auch oben § 2.1.4.a).bb). 563

"Der Terminus 'Eigentümer [...]' bedeutet [...] (ii) im Falle einer [...] Anlage jede Person, die eine solche Anlage in Eigentum hat [...], und (iii) im Falle einer Anlage, deren Eigentum oder Besitz aufgrund eines Bankrotts, einer Zwangsversteigerung, eines Steuervergehens, einer Dereliktion oder auf ähnlichem Weg auf eine Untergliederung eines Staates oder einer örtlichen Regierung übergegangen ist, jede Person, die unmittelbar zuvor Eigentum hatte [...]." 42 U.S.C. § 9601(20)(A) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)) (Original in Englisch, Hervorhebungen durch den Verfasser). 564

Ähnlich Little, a.a.O. (Fn. 285), S. 1504.

565

Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 157.

144

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

(Tochter-)Gesellschaft stehender Gläubiger im Falle aktiver Einmischung hafte, müsse dies erst recht für einen Anteilseigner gelten.566 Eine solche Argumentation übersieht einen wesentlichen Unterschied zwischen der Haftung eines Gläubigers, der nicht von der beschriebenen Ausnahme profitiert, und der Direkthaftung einer Obergesellschaft: Ersterer haftet wegen seiner formalen Stellung als Eigentümer, letztere wegen ihrer Aktivitäten als Betreiberin. Zwar stellt auch die secured creditor exception letztlich auf solche Aktivitäten ab;567 doch im Grunde bleiben die Eigentümer- und die Betreiberhaftung konzeptionell verschieden. Daher ist eine wertungsmäßige Gleichsetzung beider Haftungen durch den beschriebenen Erst-recht-Schluß unzulässig. Zu berücksichtigen sind schließlich auch die negative Fassung ("...bezieht sich nicht auf..."), der enge unmittelbare Anwendungsbereich568 sowie die untergeordnete Stellung der Ausnahme im Gesetz. Deren Funktion sollte deshalb allein darin gesehen werden, bestimmte Personengruppen von einer Haftung freizustellen. Daraus eine umfassende, positive Aussage über den Kreis der haftungsrechtlich Verantwortlichen zu entnehmen, wäre nicht nur gewagt, sondern käme einer Usurpation des Gesetzeswortlauts gleich.569

(3) Vergleich mit Bestimmungen in anderen Gesetzen Ein Wortlautargument gegen eine Haftung von Muttergesellschaften wird vereinzelt aus einer systematischen Betrachtung, das heißt aus einem Vergleich mit anderen Gesetzen,570 hergeleitet. Daß der Kongreß dort deutlicher oder sogar ausdrücklich zur Frage der Geltung für verbundene Unternehmen Stellung beziehe, spreche gegen eine solche Geltung im Falle des CERCLA.571 Diese 566

So Heidt, a.a.O., S. 182; vorsichtiger Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 805, die § 101(20)(A) CERCLA nur eine Indizwirkung zuerkennen will. 567

Dies betont denn auch Heidt, a.a.O., S. 181 am Ende.

568

Exemplarisch für ein besonders restriktives Verständnis der secured creditor exception ist United States v. Maryland Bank & Trust Co., 632 F.Supp. 573, 579f. (D.Md. 1986): Die Ausnahme privilegiere allein Inhaber von Grundpfandrechten (mortgagees) in solchen Bundesstaaten, die der gemeinrechtlichen title theory zur Rechtsnatur der Grundpfandrechte folgen. 569

Im Ergebnis ähnlich Wallace, a.a.O. (Fn. 45), S. 853; vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 634. 570

Solche systematische Interpretation wird in den USA — wie hier — als Teil der Wortlautauslegung verstanden. Vgl. etwa Frankfurter, a.a.O. (Fn. 533), S. 537f. 571

Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc., 696 F.Supp. 222, 226 (W.D.La. 1988); Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 156; vgl. auch Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 811.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

145

Schlußfolgerung erscheint auf den ersten Blick plausibel, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als brüchig. Einige der zum Vergleich herangezogenen Vorschriften, insbesondere sonstige umweltrechtliche Regelungen, beziehen sich nicht speziell auf Konzernmütter, sondern beispielsweise auf: jede "Person, die eine stationäre [Emissions-] Quelle in Eigentum hat, mietet, betreibt, kontrolliert oder überwacht".572 Eine solche Definition ist — wenn man die oben573 erklärte Bedeutung des Wortes "betreiben" berücksichtigt — teilweise tautologisch, weil "kontrollieren" und "überwachen" Ausprägungen von "betreiben" sind. Hinzu kommt, daß auch der CERCLA (in § 101 (20)(A)(iii)) die Vokabel "kontrollieren" gebraucht: allerdings als Oberbegriff für "betreiben".574 Aus beidem folgt, daß die zitierte Bestimmung den Kreis der verantwortlichen Personen im Ergebnis nicht weiter zieht als der CERCLA.575 Auch andere Umweltgesetze gehen über den Betreiberbegriff des CERCLA nicht hinaus;576 sie lassen sich daher weder für noch gegen eine Erstreckung der Haftung auf Muttergesellschaften anführen. 577 Manche Gesetze aus anderen Rechtsbereichen enthalten hingegen ausdrückliche Bestimmungen darüber, inwieweit sie auf verbundene Unternehmen Anwendung finden. 578 Daß eine vergleichbare Aussage im CERCLA fehlt, läßt aber nicht auf eine gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Subsumtion von Muttergesellschaften unter den Betreiberbegriff schließen. Eine Gegenüberstellung von § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA mit den betreffenden anderen Gesetzen deckt auf, daß beide in entscheidender Hinsicht nicht vergleichbar sind: Erstens ist das vom CERCLA gebrauchte Wort "betreiben" rechtlich nicht "vorbelastet": Es weist nicht von vornherein auf ein bestimmtes Zuordnungssubjekt (nämlich das betreffende Tochterunternehmen als Eigentümerin der betriebenen Anlage) hin, sondern läßt auch eine Haftung von Obergesellschaften

572

So der Clean Air Act, 40 C.F.R. § 61.02. (Original in Englisch).

573

§4.I.l.a).aa).(l).

574

Vgl. oben a.a.O.

575

Das gibt auch Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 794, zu.

576

Die entsprechende Bestimmung des Clean Water Act ist mit § 101(20)(A) CERCLA weitgehend identisch, vgl. 33 U.S.C. § 1321(a)(6). Noch unergiebiger ist der RCRA, der von "Eigentümern" und "Betreibern" spricht, diese Begriffe aber überhaupt nicht definiert; vgl. 42 U.S.C. §§ 6924, 6925. 57 7

Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 794 am Ende.

578

Näher Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 5f. m. w. N.

10 Ochsenfeld

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

146

prinzipiell zu. 579 Wenn hingegen etwa im Depository Institution Management Interlocks Acζ580 von "Kreditinstituten" oder deren "Holdinggesellschaften" die Rede ist, sind damit verbundene Unternehmen zunächst einmal ausgeschlossen. Der ausdrückliche Hinweis auf andere Konzernglieder war hier geradezu zwingend, um diese einzubeziehen.

Zweitens spielt eine Rolle, daß sich "Betreiben" im CERCLA-Kontext unmittelbar auf die Anlage, nicht auf die Tochtergesellschaft bezieht.581 Dadurch verliert die jeweilige gesellschaftsrechtliche Konstellation zumindest vordergründig an Relevanz. Folglich bestand für die Gesetzesautoren auch keine absolute Notwendigkeit, zur Geltung des § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA für eine mit der Anlageeigentümerin verbundene Gesellschaft Stellung zu nehmen — wiewohl eine solche Klarstellung wünschenswert gewesen wäre. Anders verhält es sich etwa mit dem Fair Labor Standards Ac?* 1 oder dem Employee Retirement Income Security Act 5* 3, die bestimmte gesetzliche Folgen für das "Unternehmen" bzw. das "Geschäft" anordnen. Da solche Begriffe nicht unterhalb, sondern an eine der gesellschaftsrechtlichen Ebenen selbst anknüpfen, drängten sich auch hier Aussagen zur Einbeziehung anderer Konzernglieder auf.

(4) Ergebnis In den vorstehenden Abschnitten wurde anhand des CERCLA exemplarisch dargestellt, welche Aspekte im Rahmen der Wortlautinterpretation eines "allgemeinen" Gesetzes beachtet werden sollten. Beim systematischen Vergleich mit anderen Gesetzen ist, wie sich gezeigt hat, genau auf die Struktur und Formulierung der jeweiligen Haftungsbestimmungen zu achten. In bezug auf den CERCLA lautet das Ergebnis, daß dessen Wortlaut eine direkte Haftung von Muttergesellschaften weder ausschließt584 noch nahelegt585. Daß einige Bundesgerichte zu (in beide Richtungen) abweichenden Ergebnissen gelangen, ist wohl auf ihren eher oberflächlichen Umgang mit dem Gesetzestext zurückzuführen. 586

579

Siehe oben § 4.1.1.a).aa).(l). am Ende.

580

12 U.S.C. §§ 3201-3207.

581

Vgl. oben § 3.1.1.a.aa.; siehe auch unten § 4.1.1.a).bb).(l).

582

29 U.S.C. § 203(r).

583

29 U.S.C. § 1301(b)(1). Vgl. hierzu auch unten § 5.II.2.a).

584

So auch Aronovsky/Fuller,

585

Vgl. Newton, a.a.O. (Fn. 404), S. 319; Wolfer,

a.a.O. (Fn. 109), S. 437. a.a.O. (Fn. 345), S. 995.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

147

bb) Inhaltliche Vorgaben für eine direkte Haftung Blendet man das Ob" einer Direkthaftung von Konzernmüttern aus der Betrachtung aus, so lassen sich dem Gesetzeswortlaut immerhin Vorgaben zum "Wie", sprich: zur inhaltlichen Ausgestaltung einer - unterstellten - Haftung, entnehmen.

(1) Betreiben der Anlage selbst Der Betreiberbegriff wird sowohl in § 107(a)(1) bzw. (2) als auch in § 101(20)(A) CERCLA auf die Anlage selbst bezogen. Es reicht demnach nicht aus, ist aber auch nicht Voraussetzung einer Haftung, daß ein Betreiber umfassende Kontrolle über die Gesellschaft besitzt, in deren Eigentum die betreffende Anlage steht.587 Bedenklich stimmt daher, daß einige der oben vorgestellten Urteile in allgemeiner Weise auf den Einfluß der beklagten Muttergesellschaft über ihre Tochter abheben. Wenigstens in einigen Fällen läßt sich dieser Widerspruch jedoch auflösen. Zum Teil sprechen die Gerichte ohnehin nicht etwa von der "Kontrolle des Tochterunternehmens", sondern ziehen nur einzelne Kriterien heran, die aus dem Kontext der Durchgriffshaftung vertraut sind. Selbst darin scheint aber zunächst ein Widerspruch zu liegen: Solche Kriterien sind auf den rechtsformbezogenen Ansatz588 des piercing zugeschnitten sind und passen daher nicht ohne weiteres zur Betreiberhaftung, die von den Gerichten auf der Grundlage des CERCLA direkt und sektoral ausgestaltet wird. 589 Eine genaue Analyse der gesetzgeberischen Zielsetzung erweist jedoch, daß einige "Durchgriffskriterien" auch im Zusammenhang mit der Direkthaftung relevant sind.590 Denkbar ist andererseits, daß einschlägige Urteilspassagen nur unpräzise formuliert sind. So läßt sich vertreten, daß eigentlich die Kontrolle einer beklagten Muttergesellschaft über die betreffende Anlage ihrer Tochter gemeint 586

Vgl. Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 173: Die "Gerichte unterlassen es weiterhin, der Gesetzessprache ausreichende Berücksichtigung zu schenken." (Original in Englisch). 587

Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 792 u. 806; Heidt, a.a.O., S. 155; vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 262. 588

Vgl. hierzu oben § 3.1.1 .a).bb).

589

Vgl. hierzu a.a.O. und § 3.1.1.a).aa).

590

Dies gilt namentlich für Dividendenzahlungen oder andere nennenswerte Transfers der betreffenden Tochtergesellschaft an ihre Mutter oder die Überschneidung der Tätigkeitsfelder der konzernangehörigen Unternehmen. Zur Bedeutung solcher Aspekte für die Direkthaftung siehe unten § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(cc). u. § 4.1.1.b).bb).(l).(c). 10*

148

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

ist, auch wenn ausdrücklich von der Kontrolle des Tochterunternehmens selbst und seiner Geschäfte gesprochen wird: Möglicherweise sehen die Gerichte in der allgemeinen Kontrolle nur ein Indiz für eine anlagebezogene Einflußnahme.591 Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß ein derart mittelbarer Nachweis des Nexus zwischen dem Handeln der Konzernmutter und dem Anlagebetrieb ausreicht.

(2) Art und Umfang der Beteiligung Schon aus dem allgemeinen Wortsinn von "betreiben"592 folgt, daß ein eigener physischer Beitrag zur Gefahrstoffbeseitigung i. S. d. § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA nicht Voraussetzung einer Betreiberhaftung ist:593 Es genügt, daß eine Muttergesellschaft die betreffenden Maßnahmen dirigiert oder kontrolliert.594 Wie eng muß aber die Beziehung zwischen dem kontrollierenden Unternehmen und der Gefahrstoffbeseitigung sein, damit von "Betreiben" gesprochen werden kann? Reicht beispielsweise schon der Status als Mehrheitsaktionär der Anlageeigentümerin aus, weil dadurch — vermittelt durch die Wahl des board, der wiederum die leitenden Angestellten bestimmt — letztlich Einfluß auf deren Entscheidungen und Verhalten ausgeübt wird?595

591

So bereits oben § 3.1.1.a).aa)., insbesondere Fn. 356. Vgl. auch Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 10, die meinen, daß es praktisch unmöglich sei, zwischen der Einflußnahme einer Muttergesellschaft auf den Betrieb ihrer Tochter allgemein und auf deren Abfallbeseitigungspraxis im Besonderen zu differenzieren. Es muß jedoch davor gewarnt werden, die konzerninterne Kontrolle als ein Phänomen zu sehen, das notwendiger- oder auch nur typischerweise alle möglichen Sachbereiche übergreift. Hierzu näher unten § 5.III.l.a).bb).(2). 592

Vgl. hierzu oben § 4.1.1.a).aa).(l).

593

Die Haftung von arrangers und transporters gemäß § 107(a)(3) bzw. (4) CERCLA ist insoweit enger, weil die dort gebrauchten Termini deutlicher auf physische Handlungsbeiträge Bezug nehmen. Vgl. Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 178; Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 856. 594

Bleibt die Beteiligung einer Muttergesellschaft freilich unterhalb dieser Schwelle, entspräche eine Haftung nicht mehr dem Betreibertypus, der dem CERCLA zugrundeliegt (vgl. hierzu oben § 4.1.1.a.aa.(l) am Ende). Untergeordnete Maßnahmen ohne Leitungsoder Kontrollcharakter vermögen eine Haftung daher nicht zu begründen. Vgl. allgemein Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 497f., zu einer direkten Haftung von Obergesellschaften, ohne daß diese (bzw. ihre agents) physisch an dem betreffenden Delikt mitwirken. 595

Diese Frage wirft auch Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 857f., auf.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

149

Der Gesetzeswortlaut spricht eher gegen eine derart extensive Auslegung des Betreiberbegriffs: Wie oben596 ausgeführt wurde, knüpft der CERCLA in zwei Bestimmungen an das Betreiben der (Gefahrstoffbeseitigungs-)Anlage an — nicht an die Lenkung des Unternehmens insgesamt und auch nicht an die bloße Fähigkeit, Einfluß auf den Anlagebetrieb zu nehmen. Daher sollte sich die Kontrolle der in Anspruch genommenen Person speziell auf das schädigende Verhalten (die Gefahrstoffbeseitigung) beziehen und tatsächlich, nicht lediglich möglich sein. Diejenigen Urteile, die allein die allgemeine Einflußnahme einer Mutter- auf ihre Tochtergesellschaft prüfen, 597 genügen diesen Anforderungen hinsichtlich Art und Umfang der Beteiligung nicht. Auch die Gerichte, die dem Möglichkeitstest folgen, 598 können sich nicht auf den Wortlaut des CERCLA stützen.

(3) Verschuldensunabhängiger

Haftungsmaßstab

An versteckter Stelle — in § 101(32) CERCLA599, der auf § 311 des Clean Water Act verweist — bestimmt der Gesetzestext, daß die Einstandspflicht für Altlasten-Sanierungskosten als Gefährdungshaftung auszugestalten ist.600 Daraus folgt, daß der für Muttergesellschaften geltende Haftungsmaßstab kein Verschuldenselement enthalten darf. Vor diesem Hintergrund lehnt Oswald verschiedene Tests, mit deren Hilfe die Gerichte eine Direkthaftung geprüft haben, als unvereinbar mit dem Gesetzeswortlaut ab: Wer auf persönliche Beteiligung bzw. Kontrolle rekurriere oder den Verhütungstest anwende, mache die Haftung contra legem von einem Verschulden abhängig.601 Demnach würde lediglich der Möglichkeitstest, der — weit verstanden und konsequent umgesetzt — an den Status einer Konzernmutter als Mehrheitsaktionärin ihrer Tochter anknüpft,602 den ausdrücklichen Vorgaben des Gesetzes entsprechen.603

596

Oben § 4.1.l.a).bb).(l).

597

Vgl. hierzu bereits a.a.O.

598

Vgl. die oben § 2.II.2.b). wiedergegebenen Entscheidungen.

599

42 U.S.C. § 9601(32) (genauer Fundstellennachweis a.a.O. (Fn. 31)).

600

Hierzu bereits oben § 2.1.4.b).aa).

601

Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 583f., 613 u. passim.

602

Vgl. oben § 2.II.2.b).dd).

603

So weit geht Oswald, a.a.O. (Fn. 86) freilich nicht.

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

150

Dieser Argumentation zu folgen, hieße jedoch, das Wesen der Direkthaftung zu verkennen. Denn erstens implizieren weder die tatsächliche Einflußnahme, noch die unterlassenen Bemühungen eines Aktionärs um Risikovermeidung ohne weiteres dessen Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Haftungsauslösend wirken schon die jeweüigen tatsächlichen Akte. Daraus wird zwar im Zuge wertender Betrachtung ein Vorwurf abgeleitet, welcher der Haftung eine innere Rechtfertigung verleiht. Mit einem irgendwie gearteten Verschulden hat das aber nichts zu tun. Zweitens beziehen sich die dargestellten Haftungsmaßstäbe nicht unmittelbar auf die Durchführung von Gefahrstoffbeseitigungsmaßnahmen, sondern genaugenommen nur auf die Stellung einer Muttergesellschaft zu ihrer Tochter bzw. deren Anlage. Somit bestimmen diese Maßstäbe nur den Kreis verantwortlicher Personen, lassen die Gefahrdungshaftung an sich aber unberührt.604 Keiner der Haftungsstandards stellt also die Verschuldensunabhängigkeit als Axiom des CERCLA in Frage.

(4) Ergebnis Aus der Wortlautinterpretation folgt, daß die Direkthaftung von Konzernmüttern gemäß § 107(a) CERCLA - vorausgesetzt, man befürwortet sie im Grundsatz - jedenfalls anlagebezogen auszugestalten ist. Es spricht einiges dafür, eine tatsächliche und unmittelbare Einflußnahme auf die Gefahrstoffbeseitigung in der betreffenden Anlage des Tochterunternehmens zur Haftungsvoraussetzung zu erheben. Die bisherige Rechtsprechung trägt diesen Vorgaben nur teilweise Rechnung.

b) Einfluß der Gesetzesziele auf die Auslegung Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Obergesellschaft als Betreiberin in Anspruch genommen werden kann, hängt letztlich aber nicht vom Wortlaut, sondern von den Zielen des CERCLA ab. Diese Unterordnung605 der rein textgestützten Interpretation unter den telos606 und die Politik607 des Gesetzes608

604

So auch Newton, a.a.O. (Fn. 404), S. 337, zum Verhütungstest.

605

Vgl. oben § 4.1.l.a).

606

Der Begriff "telos" wird hier als Synonym für den verobjektivierten (lies: vernünftigen) Willen des historischen Gesetzgebers verstanden. Rechtslehre und -praxis in den USA sprechen in diesem Zusammenhang vom "legislative intent". Vgl. Fikentscher, a.a.O. (Fn. 534), Bd. II, S. 266f.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

151

manifestiert sich insbesondere in folgender Auslegungsregel: Gesetze, die einem Mißstand abhelfen sollen (remedial statutes sind extensiv auszulegen.609 Diese Maxime soll auch für § 107(a) CERCLA gelten, da diese Vorschrift der Bewältigung des bundesweiten Altlastenproblems diene.610 Demnach erscheint es zumindest denkbar, eine Erstreckung der Betreiberhaftung auf Muttergesellschaften — trotz der insoweit neutralen Gesetzesformulierungen — mit den Zielen des CERCLA zu begründen.611

607

Gemeint sind — im Gegensatz zum telos — der Zweck und die öffentlichen Interessen, kurz: das politische Vorhaben, dem ein Gesetz dient. Diese Politik erschließt sich durch Lesen "zwischen den Zeilen" aus dem Regelungszusammenhang. So versteht auch Frankfurter, a.a.O. (Fn. 533), S. 538f., die "Politik" (policy) des Gesetzes. Vgl. auch Steindorff in: FS Larenz, S. 217, 222ff. u. passim. 608

Zum Nebeneinander von telos und Poltik des Gesetzes als Auslegungsmaßstäbe in den USA vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 14f. m. w. N. 609

Blumberg, a.a.O., S. 18 m. w. N. Einschränkend Radin, 43 Harv. L. Rev. 863, 880 (1930): Großzügige Auslegung dürfe nicht zur Anwendung des betreffenden Gesetzes auf Sachverhalte führen, die der Gesetzgeber nicht in Erwägung gezogen habe. 610

Vgl. aus der Rechtsprechung: Dedham Water Co. v. Cumberland Farms Dairy, Inc., 805 F.2d 1074, 1081 (1st Cir. 1986); U.S. v. Sharon Steel Corp., 681 F.Supp. 1492, 1495 (D.Utah 1987); U.S. v. Aceto Agr. Chemicals Corp., 872 F.2d 1373, 1380 (8th Cir. 1989); Florida Power & Light Co. v. Allis Chalmers Corp., 893 F.2d 1313, 1317 (11th Cir. 1990); U.S. v. Kayser-Roth Corp., Inc., 910 F.2d 24, 26 (1st Cir. 1990); Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 350 (D.N.J. 1991); Anspec Co., Inc. v. Johnson Controls, Inc., 922 F.2d 1240, 1247 (6th Cir. 1991); U.S. v. Carolina Transformer Co., 978 F.2d 832, 838 (4th Cir. 1992); Pinal Creek Group v. Newmont Min. Corp., 926 F.Supp. 1400, 1405 (D.Ariz. 1996); aus dem Schrifttum: Aronovsky/Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 437; Heidt , a.a.O. (Fn. 186), S. 182. Gegen eine extensive Auslegung der Haftungsregelung jedoch Jacksonville Elee. Authority v. Bernuth Corp., 996 F.2d 1107, 1110 (Fn. 3) (11th Cir. 1993); U.S. v. Cordova Chemical Co. of Michigan, 59 F.3d 584, 588 (6th Cir. 1995). Siehe auch Morgan , a.a.O. (Fn. 551), S. 1563 oben: Der potentiell gewaltige Umfang der Haftung für Altlastenschäden mahne zu Zurückhaltung. Morgan erläutert aber nicht, wie er diese Position mit dem — anerkannten und allgemeingültigen — Grundsatz großzügiger Anwendung von remedial statutes in Einklang bringen will. 611

So im Ergebnis Schiavone v. Pearce, 79 F.3d 248, 253 (2d Cir. 1996): "Eine Interpretation des CERCLA, die Muttergesellschaften, deren eigene Handlungen das Gesetz verletzen, direkt der Betreiberhaftung zu unterwerfen, steht im Einklang mit der allgemeinen Stoßrichtung und dem Zweck des Gesetzes." (Original in Englisch).

152

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

aa) Intention des historischen Gesetzgebers Die Gesetzesgeschichte liefert aber wenig Stoff für eine Argumentation mit den Zielen des CERCLA. Das liegt nicht zuletzt daran, daß der Superfund und die damit verbundenen Haftungsbestimmungen auf einem unter Zeitdruck gefundenen Kompromiß beruhen.612 Materialien zu dem schließlich verabschiedeten Entwurf sind äußerst spärlich, weil dieser beide Häuser des Kongresses ohne nennenswerte formelle Beratungen passierte. Selbst wenn man — mit den gebotenen Vorbehalten613 — die parlamentarische Diskussion früherer Entwurfsfassungen ergänzend heranzieht, bleibt die entscheidende Frage offen: Konkrete Anhaltspunkte für oder gegen eine Haftung von Aktionären, insbesondere Muttergesellschaften, finden sich auch dort nicht.614 Lediglich Erkenntnisse über einige allgemeine Topoi des CERCLA-Haftungsmodells lassen sich so gewinnen.615 Man könnte daran denken, eine gesetzgeberische Entscheidung fir eine Haftung von Anteilseignern aus der Entwicklung seit dem Inkrafttreten des CERCLA im Jahre 1980 zu folgern: Als der Kongreß den SARA verabschiedete,616 erst recht aber als er im Jahre 1990 eine weitere Neuauflage des Superfund beschloß, dürften ihm die bis dato ergangenen Direkthaftungsurteile — die in der Fachöffentlichkeit für großes Aufsehen gesorgt hatten — bekannt gewesen sein. Läßt sich deshalb sagen, der Gesetzgeber habe sich die Vorstellungen der Gerichte von einer neuartigen, weitgehenden Einstandspflicht von Muttergesellschaften zu eigen gemacht? Läßt sich sein Schweigen in diesem Punkt als Zustimmung deuten?617

612 Noonan, a.a.O. (Fn. 95), S. 736. Zur Entstehungsgeschichte des CERCLA vgl. oben §2.1.1. 613

Vgl. Radin, a.a.O. (Fn. 609), S. 873: "Aufeinanderfolgende Entwürfe eines Gesetzes sind nicht seine Entwicklungsstufen. Sie sind eigenständige Dinge, von denen wir nur sagen können, daß sie einander in einer bestimmten Weise folgten, und daß eines nicht das andere war. Aber diese Tatsache gibt uns wenig Auskuft über die endgültige Form, weil wir niemals wirklich wissen, warum ein [Entwurf] dem anderen Platz machte." (Original in Englisch). 614

So im Ergebnis auch Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 809f.; Oswald/Schipani, (Fn. 43), S. 301; Raltison, a.a.O. (Fn. 23), S. 621. 615

a.a.O.

So wird etwa deutlich, daß der Kongreß mit dem CERCLA das Verursacherprinzip implementieren wollte und eine Finanzierung der Sanierung von Altlasten auf dem Rücken der Allgemeinheit ablehnte. Näher hierzu unten § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(aa). 616

Vgl. hierzu oben § 2.1.2.

617

Befürwortend Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 927.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

153

Diese Fragen zu bejahen, wäre ein "Schnellschuß", der die Regelungsinhalte der CERCLA-Novellen außer acht ließe und die Mechanik der Entscheidungsbildung in einem Kollektivorgan wie dem US-Kongreß verkennen würde. Erstens war der Kreis der gemäß § 107(a) CERCLA verantwortlichen Personen, soweit ersichtlich, bei den Beratungen des SARA kein Thema.618 Man müßte also schon eine — gewagte — Konstruktion wie die einer Art gedanklichen Mitbewußtseins bemühen, um eine Zustimmung des Kongresses zur Haftung von Muttergesellschaften unterstellen zu können. Zweitens war der SARA das Produkt komplexer Verhandlungen, an denen 19 Senatoren und 53 Mitglieder des Repräsentantenhauses aus elf verschiedenen Ausschüssen beteiligt waren.619 Nimmt man — realistischerweise — an, daß deren Meinungen zur (subjektiven) Reichweite einer direkten Haftung für CERCLA-Verbindlichkeiten deutlich variierten, wäre eine Korrektur der Rechtsprechung per Gesetz vermutlich gar nicht durchsetzbar gewesen.620 Unter diesen Umständen läßt sich schwerlich sagen, der Kongreß habe das Direkthaftungs-Modell schweigend gebilligt.621

bb) Politik des Gesetzes Da sich eine Intention des historischen Gesetzgebers hinsichtlich der Haftung von Muttergesellschaften nicht feststellen läßt, bleibt nur der Rückgriff auf die Politik des CERCLA. Das heißt, der dort verwendete Betreiberbegriff ist so auszulegen, daß er die mit dem CERCLA verfolgten öffentlichen Interessen reflektiert und das gesetzliche Programm umsetzen hilft. 622 Dazu sind zunächst

618

Die einzige Ausnahme bildet insofern der damals neu eingefügte § 124 CERCLA (42 U.S.C. § 9624 (Pub.L. 96-510, Title I, § 124, as added Pub.L. 99-499, Title I, § 124(a), 17. Oktober 1986, 100 Stat. 1688), der bestimmte Eigentümer und Betreiber von Methangaswiedergewinnungs- oder -behandlungsanlagen von der Haftung ausnimmt. Diese Änderung läßt die Frage der Verantwortlichkeit von Obergesellschaften an sich jedoch unberührt. Vgl. zu den Gegenständen der Beratungen und den inhaltlichen Neuerungen des SARA die detaillierte Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens bei Atkeson/Goldberg/Ellrod/Connors, 16 ELR 10362, 10363, 10377, 10398, 10413, 10414 (1986). 619

Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 485.

620

Solche dem Gesetzgebungsverfahren inhärenten Schranken lassen sich unter Rückgriff auf spieltheoretische Modelle nachweisen. Vgl. McNollgast, 80 Georgetown L. J. 705, 735 u. passim (1992). 621

Vgl. allgemein a.a.O., S. 736: M[D]as Fehlen einer nachträglichen Reaktion auf eine gerichtlich auferlegte Politik impliziert keine Billigung der gerichtlichen Interpretation der ursprünglichen Gesetzgebung." (Original in Englisch). 622

Im Zusammenhang mit der Politik des Gesetzes betont Steindorff,

a.a.O. (Fn.

154

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

die übergeordneten, vom Kontext der Aktionärs- und speziell Konzernhaftung unabhängigen - Ziele des CERCLA zu ermitteln. Alsdann ist für jedes dieser Ziele gesondert zu untersuchen, ob es durch die Direkthaftung in ihren verschiedenen Ausprägungen gefördert wird. Umgekehrt kann man fragen: Würden die Anliegen, die hinter der Haftungsnorm des § 107(a) in Verbindung mit dem Superfuruf 23 erkennbar sind, leerlaufen oder umgangen, wenn Konzernmütter vor direkter Inanspruchnahme "sicher" wären?624 Die Politik des CERCLA trägt die Direkthaftung strenggenommen bereits dann, wenn letztere erforderlich ist, um nur ein Gesetzesziel effektiv zu verwirklichen. Aber die Berechtigung der Direkthaftung ist natürlich stärker, wenn sich Gleiches hinsichtlich mehrerer oder gar aller Gesetzesziele sagen läßt.

(1) Der CERCLA als Antwort auf das drängende Altlastenproblem Vorrangiges Ziel des CERCLA ist die zügige Sanierung solcher Altlasten, die von der EPA als besonders gefahrlich eingestuft werden.625 Verantwortliche Personen sollen dazu angehalten werden, (mehr oder weniger) freiwillig Maßnahmen in dieser Richtung zu ergreifen. Wenn dieser Weg nicht gangbar ist, stehen der Bundesregierung Finanzmittel — in Gestalt des Superfund — für eigene Sanierungsbemühungen zur Verfügung. Komplettiert wird dieses Instrumentarium durch eine Haftungsnorm (§ 107(a) CERCLA), die es der Bundesregierung erlaubt, von ihr verauslagte Sanierungskosten den Verantwortlichen in Rechnung zu stellen; damit soll eine Auszehrung des Fonds verhindert werden. Diese Vorstellungen des Gesetzgebers bestimmten schon die Beratungen des CERCLA

607), S. 223, die involvierten öffentlichen Interessen, während Frankfurter, a.a.O. (Fn. 533), S. 539, den Begriff "Politik" weitgehend synonym für die Zielsetzung einer Regelung gebraucht. Gemeint ist dasselbe: daß jedenfalls hinter Gesetzen, die einem bestimmten Mißstand abhelfen oder vorbeugen sollen, ein politischer Wille, ein Anliegen erkennbar ist, das über konkrete Fragen hinausreicht. 623

Hierzu näher oben § 2.1.3.

624

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 18ff., der — von der Politik des jeweiligen Gesetzes ausgehend — folgende, eng zusammenhängenden Fragen stellt: Wie können die Ziele des Gesetzes verwirklicht werden? Wie kann eine Frustration dieser Ziele vermieden werden? Wie kann eine Umgehung der gesetzlichen Vorgaben verhindert werden? 625

U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 848 (W.D.Missouri 1984); U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298, 1304 (E.D.Mo. 1987); Smith Land & Imp. Corp. v. Celotex Corp. 851 F.2d 86, 91 (3rd Cir. 1988); U.S. v. Carolina Transformer Co., Inc., 739 F.Supp. 1030, 1035 (E.D.N.C. 1989); Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 349 u. 354 (D.N.J. 1991). Ebenso Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 52; Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 910; Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1240f.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

155

(bzw. seiner Vorentwürfe) im Jahre 1980626 und traten erneut vor der Verabschiedung des SARA im Jahre 1986627 hervor. Unterhalb des Fernziels "zügige Altlastensanierung" lassen sich demnach drei gesetzgeberische Vorgaben identifizieren: die Heranziehung derjenigen Personen, welche die Entstehung der betreffenden Altlasten zu verantworten haben; deren aktive Beteiligung an Sanierungsmaßnahmen; und — hilfsweise — die Finanzierung behördlicher Initiativen zur Gefahrenabwehr. Diese Topoi werden nachfolgend in Bezug zur direkten Haftung von Muttergesellschaften gesetzt. Davor steht jedoch die Frage, ob die oben dargestellte Rechtsprechung dem Anspruch gerecht wird, zu einer schnellen Lösung des drängenden Altlastenproblems beizutragen.

(a) Zügige Altlastensanierung Grundsätzlich eröffnet die Direkthaftung die Möglichkeit, schneller auf Obergesellschaften zuzugreifen, als dies aufgrund herkömmlicher Rechtsfiguren möglich wäre. Um etwa einen Durchgriff zu rechtfertigen, wären nicht nur Umstände darzutun, die eine umfassende Verflechtung der verbundenen Unternehmen erkennen lassen; vor allem wäre ein Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchselement nachzuweisen.628 Insofern ist die Darlegungs- und Beweislast bei einem Anspruch aus direkter Betreiberhaftung geringer: Das spart vor dem und während des Gerichtsverfahrens Zeit.629 Eigentlich könnte diese Haftung ein förmliches Verfahren in vielen Fällen sogar vermeiden helfen. Denn da auf die diffusen, schwer feststellbaren Tatbestandsmerkmale "Ungerechtigkeit" bzw. "Mißbrauch" verzichtet wird, schwinden die Aussichten einer in Anspruch genommenen Muttergesellschaft, einen Prozeß wegen der Unaufklärbarkeit entsprechender Umstände zu gewinnen. Dementsprechend könnte die Bereitschaft zu einem außergerichtlichen Vergleich steigen.630

626

Vgl. etwa H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Sess., 17 u. 33 (1980); S. Rep. No. 848, 96th Cong., 2d Se ss., 13 (1980). 627

Vgl. etwa die Stellungnahme von Senator Kasten in: 131 Cong. Ree. S11618 (daily ed. Sept. 17, 1985). 628

Vgl. oben §3.1.1.b).bb).(l).

629

Vgl. Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 8, welche die Ersparnis allerdings nicht in Zeit sondern — entsprechend der Terminologie ökonomischer Analyse — in reduzierten Transaktionskosten ausdrücken. Ähnlich Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 145. 630

Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 997. Diese Hoffnung hegte auch die EPA, wie auf S. 266 ihres oben (Fn. 89) erwähnten Memorandums deutlich wird.

156

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Die Ausgestaltung und Handhabung der Direkthaftung durch die Rechtsprechung verhindert indes, daß solche Zeitersparnispotentiale wirksam werden. Einerseits liegen die Standpunkte der Gerichte zur Inanspruchnahme von Muttergesellschaften (zu) weit auseinander. Andererseits bleibt der Ausgang eines Verfahrens für einen Betroffenen ungewiß, selbst wenn er weiß, auf welchen Haftungsstandard er sich — abstrakt — einzustellen hat: Zu zahlreich und unterschiedlich sind die von den Gerichten herangezogenen Kriterien, als daß sich vorhersagen ließe, in welcher Kombination sie zu einer Direkthaftung führen. 631 Vor diesem Hintergrund liegt es — wie die stetig wachsende Zahl an Urteilen belegt — nahe, über die Voraussetzungen einer Haftung gerichtlich zu streiten.632 Soweit Sanierungsmaßnahmen dadurch verzögert werden, wird die bestehende Direkthaftung dem gesetzgeberischen Ideal schneller Abhilfe nicht voll gerecht.633 Einzelne Kommentatoren kritisieren denn auch, daß mit den Obergesellschaften überhaupt zusätzliche Personen ins Spiel gebracht werden: Ohne sie wäre die Zahl der potentiell Verantwortlichen kleiner und die CERCLA-Haftung besser handhabbar; die Verfahren würden nicht mit weiteren, strittigen Aspekten belastet.634 Diese Argumentation übersieht, daß die Umsetzung des Sanierungsprogramms erst recht verzögert würde, wenn Muttergesellschaften von der Haftung ausgenommen wären:635 Da häufig nur noch sie als Schuldner greifbar sind, hängt von ihrer Inanspruchnahme in starkem Maße die Finanzierung weiterer Maßnahmen der Bundesregierung ab.636 Fazit: Zwar ist die Direkthaftung alles andere als ein optimales Mittel zur Beschleunigung der Altlastensanierung, doch vermag sie dieses Ziel — im Vergleich zum status quo ante — immerhin zu fördern.

631

Zum Ganzen vgl. oben § 2.II.6.

632

Vgl. Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 56ff., insbesondere S. 59f., der jedoch selbst im Hinblick auf die Direkthaftung mißverständlich von einem "/wercmg-Rechtsbehelf 11 spricht (Original in Englisch). 633

Allen, a.a.O., S. 52ff., weist jedoch daraufhin, daß die Direkthaftung dem Ziel einer zügigen Altlastensanierung nicht per se zuwiderläuft. Vorstellbar wäre etwa eine klare Regel, wonach Muttergesellschaften ohne weiteres verantwortlich gemacht werden können. Allerdings würden dadurch — was Allen selbst zugibt (vgl. a.a.O., S. 55) — die Gerechtigkeitsvorstellungen in Frage gestellt, die dem CERCLA ebenfalls zugrundeliegen. 634

So Aronovsky /Fuller,

a.a.O. (Fn. 109), S. 436f.

635

Ohnehin erscheint es ausgeschlossen, Muttergesellschaften ganz aus den Verwaltungs- und Gerichtsverfahren herauszuhalten, da — wie soeben gesehen — jedenfalls ein Haftungsdurchgriff in Betracht zu ziehen ist. 636

Zu diesem Finanzierungsgesichtspunkt eingehend unten §4.1.1 .b).bb).(l).(d).

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

157

(b) Heranziehung Verantwortlicher Es ist das erklärte Anliegen des Gesetzgebers, mit den Eingriffs- und Sanktionsmechanismen des CERCLA diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die für die Existenz der erfaßten Altlasten "verantwortlich" (responsible) sind.637 Auf den ersten Blick erweist sich das oben vorgestellte Direkthaftungsmodell als geeignet, um diesen Begriff auszufüllen: Richtig angewandt, erlaubt es das Merkmal beherrschender Kontrolle (das eine zentrale Stellung in der Rechtsprechung einnimmt638), solche Muttergesellschaften zu identifizieren, die aktiv an der Abfallbeseitigungspraxis in der fraglichen Anlage ihrer Tochter beteiligt waren bzw. sind.639 Damit scheint eine Übersetzung des vom Gesetzgeber gewählten Merkmals "verantwortlich" gefunden, die sich im Konzernkontext gebrauchen läßt.640 Eine genauere Analyse wirft allerdings Zweifel auf, ob eine direkte Haftung der betreffenden Muttergesellschaften in jedem von der Rechtsprechung entschiedenen Fall gerechtfertigt war.

(aa) Der CERCLA als Ausdruck eines weit verstandenen Verursacherprinzips Wenn in den Gesetzesmaterialien die "Verantwortlichkeit" bestimmter Personen herausgestellt wird, 641 steht dahinter die Aufforderung des Gesetzgebers, ein — weit verstandenes — Verursacherprinzip (polluter pays principle) anzuwenden.642 Die Vorstellungen der Kongreßmehrheit von einer angemessenen Verteilung der Kosten des Sanierungsprogramms verdeutlichen das: Anfallende Kosten sollen nicht der Allgemeinheit aufgebürdet, sondern im wesentlichen von

637

So aus der Rechtsprechung: U.S. v. Northeastern Pharm. & Chem. Co., 579 F.Supp. 823, 848 (W.D.Missouri 1984); United States v. Mirabile, 15 ELR 20994, 20996 (E.D.Pa. Sept. 4, 1985); U.S. v. Bliss, 667 F.Supp. 1298 (E.D.Mo. 1987); U.S. v. Carolina Transformer Co., Inc., 739 F.Supp. 1030, 1035 (E.D.N.C. 1989); CBS, Inc. v. Henkin, 803 F.Supp. 1426, 1432 (N.D.Ind. 1992); John S. Boyd Co., Inc. v. Boston Gas Co., 992 F.2d 401, 405 (1st Cir. 1993); U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1177 (N.D.Iowa 1994). Aus der Literatur: Anderson, a.a.O. (Fn. 13), S. 146; Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 910, jeweils m. w. N. 638

Vgl. oben § 2.II.6.

639

Dies gilt jedenfalls, wenn "Kontrolle" auf den Anlagebetrieb bezogen wird und "beherrschend" eine tatsächliche, nicht lediglich eine mögliche Beteiligung impliziert. 640

Ähnlich Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 180.

641

Vgl. die Nachweise in Fn. 626.

642

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 910f.; N.N., 99 Harv. L. Rev. 1458, 1477

(1986).

158

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Unternehmen getragen werden, die mit Gefahrstoffen gearbeitet haben bzw. arbeiten.643 Unmittelbarer Ausdruck dieses Grundsatzes sind diejenigen Normen im CERCLA, die eine verschuldensunabhängige Pflicht einzelner zur Gefahrenbeseitigung begründen oder deren Haftung anordnen. Aber auch die Fondslösung verstößt nicht gegen den Verursachergedanken: Sie soll regelmäßig nur eine Vorfinanzierung und damit eine zügige Sanierung von Altlasten gewährleisten. Nur im Notfall, wenn kein konkret Verantwortlicher feststellbar oder greifbar ist, darf aus der Vor- eine dauerhafte Finanzierung mit Steuergeldern werden.644 Untersucht man die Herkunft dieser Gelder, wird deutlich, daß sich der Verursachergedanke — wenngleich in "aufgeweichter" Form — sogar innerhalb der Fondsfinanzierung niedergeschlagen hat. Schon bei den Beratungen eines früheren Gesetzesentwurfs war betont worden, daß die Altlastensanierung keinesfalls aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden solle.645 Der durch den CERCLA kreierte Hazardous Substance Response Trust Fund speiste sich denn auch zum größten Teil aus neuen Steuern auf Gefahrstoffe. 646 Im Fonds spiegelte sich somit ein Risikopool derjenigen wider, die möglicherweise zum Altlastenproblem beigetragen hatten. Zuzugeben ist allerdings, daß der SARA in dieser Hinsicht eine Wende markierte: Mit der Vervielfachung des Superfund ging eine Neuverteilung der Finanzierungslast

643

Charakteristisch ist insofern die Stellungnahme des Mitglieds des Repräsentantenhauses Gore in H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Sess., 63 (1980): "Das Argument, daß die Steuerzahler auf Bundesebene und die Chemieunternehmen gleichermaßen verantwortlich sind, um ein Durcheinander zu bereinigen, daß in erster Linie durch jahrzehntelange Rücksichtslosigkeit der Industrie entstand, ist unvernünftig und unfair." (Original in Englisch). Vgl. auch die Begründung des Ways and Means Committee zu einem der diskutierten Entwürfe in H.R. Rep. No. 1016, Part II, 96th Cong. 2d Sess., 5 (1980). Einige Politiker vertraten jedoch eine prononciert andere Ansicht zur Verantwortlichkeit der Industrie und betrachteten die Altlastensanierung als Aufgabe der Allgemeinheit. Vgl. etwa die Stellungnahme der Mitglieder des Repräsentantenhauses Loejfler und Stockman in H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Sess, 74 (1980). 644

Vgl. Smith Land & Imp. Corp. ν. Celotex Corp., 851 F.2d 86, 92 (3rd Cir. 1988); Mobay Corp. v. Allied-Signal, Inc., 761 F.Supp. 345, 349 (D.N.J. 1991); Knepper /Bailey, a.a.O. (Fn. 324), S. 366. Diese subsidiäre Funktion der Fonds verkennt Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 599f., die offenbar davon ausgeht, direkte Ersatzansprüche gegen die konkret Verantwortlichen würden dadurch abgeschnitten. 645

Vgl. die Nachweise bei Grad, a.a.O. (Fn. 11), S. 18.

646

Näher hierzu oben § 2.1.3.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

159

einher, die alle möglichen Wirtschaftszweige und den allgemeinen Bundeshaushalt einbezog,647 Daher läßt sich die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Altlastensanierung auf Kosten der Allgemeinheit heute nur noch an den Gefahrenabwehrund Haftungsnormen des CERCLA festmachen. Da eine Muttergesellschaft den Risiken aus dem Betrieb einer Anlage ihrer Tochter in jedem Fall nähersteht als die Allgemeinheit, fördert jede Direkthaftung die Grundvorstellungen des Kongresses zur Verteilung der Finanzierungslasten. So allgemein verstanden, würde das Verursacherprinzip sogar folgenden Schluß zulassen: Je laxer der Maßstab der Direkthaftung, um so besser.

(bb) Kern dieses Prinzips: Haftung aufgrund einer Kausalbeziehung Legt man hingegen ein technisches Verständnis des Verursacherprinzips zugrunde, so tritt die Kausalität zwischen deliktischer Handlung und Schadenserfolg — im Sinne unseres Äquivalenzprinzips verstanden — als entscheidender Haftungsgrund hervor.648 Auf die direkte Konzernhaftung für CERCLA-Verbindlichkeiten angewandt, würde daraus strenggenommen folgen: Eine Muttergesellschaft dürfte nur in Anspruch genommen werden, wenn und soweit sie einen kausalen Beitrag zu der mangelhaften Abfallbeseitigung in der Anlage ihrer Tochter geleistet hat. Eine solche Beschränkung sieht das Haftungsregime des CERCLA indes nicht vor. Da auf der Tatbestandsseite die Kausalitätsanforderungen verringert sind649 und als Rechtsfolge eine Gesamtschuld droht650, geht die Haftung für Sanierungskosten oft über den Anteil hinaus, der dem eigenen Ursachenbeitrag des Betroffenen entspräche.651 Auch an einem traditionell anerkannten Grund, um dem Betroffenen die Beiträge Dritter zuzurechnen, fehlt es durchweg. Soweit der CERCLA dennoch eine Haftung begründet, entfernt er sich also von der Reinform des Verursacherprinzips. 652 Diese Problematik ist nicht auf die Direkthaftung von Konzernmüttern beschränkt, sondern allgemeiner Art: Sie 647

Vgl. Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 499; siehe auch oben § 2.1.3.

648

Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 910f.; Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 593; vgl. allgemein zum Kausalzusammenhang als Grundlage deliktischer Verantwortlichkeit Seavey, 56 Harv. L. Rev. 72, 73ff. (1942). 649

Hierzu näher oben § 2.1.4.b).bb). sowie Kästle, a.a.O. (Fn. 18), S. 344ff.

650

Vgl. oben § 2.1.4.b).aa).

651

Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 74f.

652

Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 911.

160

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

betrifft potentiell jeden Fall, in dem der CERCLA eine Person zur Gefahrenbeseitigung oder Schadenersatzleistung verpflichtet. Von einem Verstoß gegen die oben653 festgestellte Politik des Gesetzes, (nur) verantwortliche Personen heranzuziehen, kann aber trotz einer so breitangelegten Modifikation des Verursacherprinzips keine Rede sein. Denn die Väter des CERCLA verstanden dieses Prinzip selbst nicht so eng, wie es eingangs dargestellt wurde. Die ursprünglich vorgesehene Formulierung: "jede Person, die den [Schadstoff-]Austritt [...] verursachte oder dazu beitrug"654 wurde in § 107(a) CERCLA bewußt nicht übernommen; auch aus der Gesetzessystematik läßt sich ersehen, daß diese Vorschrift kein Kausalitätserfordernis im herkömmlichen Sinne enthält.655 Als Antwort auf die besonderen Schwierigkeiten der Umwelthaftung656 wurde im CERCLA vielmehr ein Kausalitätskonzept realisiert, das ebenso weitgehend wie neuartig657 ist. Teübner bringt den Grundgedanken der Verantwortlichkeit i. S. d. CERCLA auf den Punkt: "Das entscheidende Kriterium ist [...] die Fähigkeit zum Risikomanagement."658 Im Falle einer Abfallbeseitigungsanlage haben die Beteiligten gemein, daß sie in einer engen Beziehung zu derselben Anlage stehen.659 Dadurch ist es ihnen möglich, die von der Anlage ausgehenden Gefahren gemeinsam zu steuern. Diese (hier räumlich definierte) Einheit der Beteiligten rechtfertigt die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit jedes einzelnen

653

§4.I.l.b).bb).(l).(b).

654

(Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

655

Näher State of N.Y. v. Shore Realty Corp., 759 F.2d 1032, 1044f. (2d Cir. 1985); Atlantic Richfield Co. v. Blosenski, 847 F.Supp. 1261, 1285f. (E.D.Pa. 1994); Hyson, a.a.O. (Fn. 60), S. 143; N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1520. 656

Vgl. Kästle, a.a.O. (Fn. 18), S. 346f.; siehe auch Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 587ff.

657

Selbst über die schon relativ laxen Kausalitätsanforderungen des neueren Produkthaftungsrechts geht der CERCLA hinaus: Dort wird zwar ebenfalls auf einen genauen Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität verzichtet; doch erfolgt eine Einschränkung im Rahmen der haftungsaustüllenden Kausalität dadurch, daß nur pro rata — etwa entsprechend dem jeweiligen Marktanteil (market share liability) —gehaftet wird. Die Haftung für Altlastensanierungskosten ist hingegen, wie gesehen, gesamtschuldnerisch angelegt. Vgl. Kästle, a.a.O., S. 347, sowie N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1523. 658 659

Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 27 (Original in Englisch).

Diesen Aspekt betont auch die bei Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 481, wiedergegebene Rede von Marzulla.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

161

für den gesamten Schaden.660 Was folgt aus diesem Gedanken für die Haftung von Muttergesellschaften? Erstens macht es keinen Sinn, die Inanspruchnahme einer Konzernmutter allein mit deren Möglichkeit zu begründen, auf den Betrieb einer Anlage ihrer Tochter Einfluß zu nehmen. Teubner verwendet zwar den Begriff "Fähigkeit", bezieht diesen aber auf die Steuerung der Betriebsrisiken. Damit wird eine enge tatsächliche Beziehung und laufende Einflußnahme auf den Anlagebetrieb vorausgesetzt: Nur dann läßt sich einer Muttergesellschaft vorhalten, sie hätte — gemeinsam mit anderen — eine aktive Risikovorsorge betreiben können und müssen.661 Der von einigen Gerichten angewandte Möglichkeitstest ist mit einem solchen Verständnis von Verantwortlichkeit nicht vereinbar. Folgenlos bleibt dieser Widerspruch nur, wenn die Entstehung einer Altlast eindeutig auf einen Unternehmensverbund zurückgeführt werden kann: Dann stellt sich das soeben skizzierte Problem kollektiver Risikobewältigung nicht. Typischerweise kommt im Zusammenhang mit Altlasten jedoch eine Vielzahl von Personen als beteiligt in Frage.662 Deshalb ist der Möglichkeitstest als Haftungsstandard unangemessen. Zweitens ist es ungerechtfertigt, Muttergesellschaften (oder andere in Anspruch genommene Personen) haftbar zu machen, denen es am erforderlichen Wissen für ein aktives Risikomanagement mangelte.663 Da viele Altlasten eine weit zurückreichende "Geschichte" haben, kann nicht unbedingt vorausgesetzt werden, daß die Gefährlichkeit der fraglichen Stoffe zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung bekannt war. 664 Im Hinblick auf die Möglichkeit wirksamer Risikovorsorge ist

660

Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 29. Vgl. auch Rieh, a.a.O. (Fn. 422), S. 670, der den Grund der Haftung gemäß § 107(a) CERCLA so beschreibt: Bestimmte Personen "können entsprechend dem CERCLA verantwortlich gemacht werden, weil sie — im Gegensatz zur grundsätzlich unschuldigen Öffentlichkeit — in verantwortlicher Stellung zu einer bekannten Gefahr stehen." 661

Vgl. zu diesem Aspekt Teubner, a.a.O., S. 28.

662

Bemerkenswert ist, daß selbst bei denjenigen Entscheidungen, die den Möglichkeitstest zugrundelegen (vgl. oben § 2.II.2.b).), überwiegend mehrere voneinander unabhängige Unternehmen verklagt sind: Nur im Staco-Fall wurden, soweit ersichtlich, haftungsrechtlich Verantwortliche allein innerhalb eines Konzerns gesucht. 663

Solches Wissen (oder zumindest Wissen-Können) ist für eine bewußte Entscheidung zwischen mehreren Handlungsvarianten erforderlich. Dadurch wird es zur Voraussetzung, um dem Handelnden die Folgen seines Verhaltens zurechnen zu können und ihn dafür verantwortlich zu machen. Näher hierzu Schwartz , 14 J. Leg. Studies 689, 734 (1985), in bezug auf Ansprüche aus Produkthaftung bei gefährlichen Stoffen. 664

Vgl. Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 54; Semeraro, 6 Stan. Env. L. J. 226 (1986-87). Treffend formuliert Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1237, hierzu: "Die Tausende 11 Ochsenfeld

162

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

zu fragen: Hätte die in Anspruch genommene Konzernmutter von den bestimmten Substanzen innewohnenden Gefahren zumindest wissen können?665 Folgende Umstände können im Einzelfall auf eine solche Kenntnismöglichkeit hindeuten: ein Verstoß gegen öffentliche Vorschriften, die bereits zum Zeitpunkt der Beseitigungshandlung galten;666 Transaktionen, die von der Absicht der Beteiligten zeugen, sich möglichen Haftungsfolgen zu entziehen;667 oder Entsorgungsaktivitäten, die erst aus den 70er Jahren oder später datieren.668 Vor diesem Hintergrund verdienen einige der oben vorgestellten Urteile Kritik: Zum Teil wurden Muttergesellschaften haftbar gemacht, obwohl sie nicht in der Lage gewesen sein dürften, das Schädigungspotential zu erkennen, das sich letztlich realisierte. 669

mangelhaft geführten Chemiemüll-Kippen, die über unser Land verstreut sind, sind das Erbe unserer naiven Vergangenheit." (Original in Englisch). 665

Kritisch zu einem solchen Kriterium Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 799: Die Kenntnismöglichkeit ex ante sei für ein Gericht ex post schwierig festzustellen. 666

Allen, a.a.O. (Fn. 42), hält die (Nicht-)Einhaltung solcher Vorschriften hingegen für gänzlich irrelevant. 667

Laseter/Long, 41 Mercer L. Rev. 1027, 1037 (1990), sprechen im Kontext der Haftung von Nachfolgeunternehmen anschaulich von einem "sleaze factor", der manchen Transaktionen anhafte. 668

Semeraro, a.a.O. (Fn. 664), S. 226, weist in diesem Zusammenhang daraufhin, daß erst in den 70er Jahren Altlastenentdeckungen unter klangvollen Namen wie "Love Canal" oder "Valley of the Drums" Schlagzeilen machten. Unter Experten waren die Gefahren von Ablagerungen toxischer Stoffe freilich schon zu Beginn der 60er Jahre ansatzweise erkannt. Als etwa Carson im Jahre 1962 (sie!) in den USA ihr vielbeachtetes Buch "Silent Spring" veröffentlichte, widmete sie ein ganzes Kapitel (S. 61ff.) der Verseuchung des Bodens mit Chemikalien im Kontext der Auswirkungen der Agrarindustrie. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß in vielen Fällen schon vor den 70er Jahren eine Möglichkeit für Verwender toxischer Stoffe bestand, damit verbundene Gefahren zu erkennen. 669 Ernsthafte Zweifel an einer Kenntnismöglichkeit der Muttergesellschaft bestehen — vor allem, da die betreffenden Abfallbeseitigungsmaßnahmen in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zurückreichen — zum Beispiel in folgenden Fällen: Mobay Corp. v. AlliedSignal, Inc.; John S. Boyd Co., Inc. v. Boston Gas. Co.; Fishbein Family Partnership ν. PPG Industries, Inc. Aus anderen Entscheidungen läßt sich hingegen ersehen, daß sich die dort beklagten Muttergesellschaften der Umweltprobleme durchaus bewußt waren. Vgl. etwa Colorado v. Idarado Mining Co.; United States v. Allied Chem. Corp.; CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

163

(cc) Weiteres Ziel: Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherungen Schon die vorstehenden Ausführungen dokumentieren eine wertende Betrachtung: Der strikte Grundsatz äquivalenter Verursachung wird durch Zurechnungsgesichtspunkte modifiziert und so dem neuartigen, weiten Kausalitätsbegriff des CERCLA angepaßt. Unabhängig davon wird das Verursacherprinzip aber seit jeher um eine (andere) normative Komponente angereichert: Es geht (auch) darum, ungerechtfertigte Bereicherungen beim Schädiger abzuschöpfen. Dadurch wird die innere Rechtfertigung der Haftung gestärkt. Denn die soeben diskutierte kausale Beziehung zwischen Schädigungshandlung und -erfolg reflektiert allein den ethischen Topos ausgleichender Gerechtigkeit (corrective oder compensatory justice).™ Demgegenüber beruht die Abschöpfung ungerechtfertiger Bereicherungen auf dem Gedanken der restitution ,671 den auch die Verfasser des CERCLA als Element von Verantwortlichkeit verstanden - freilich nur als zusätzliches, nicht als essentielles Element.672 Vor diesem Hintergrund wird von Gerichten und Kommentatoren argumentiert: Diejenigen, die heute für die Kosten der Altlastensanierung in Anspruch genommen werden, hätten seinerzeit — bei der Beseitigung der gefahrlichen Stoffe — Kosten für eine adäquate Abfallbehandlung eingespart.673 In dieser Ersparnis von Aufwendungen eine Bereicherung zu sehen, die auf dem Wege der Haftung abgeschöpft werden müsse, ist jedoch fragwürdig. Denn in vielen Fällen dürfte von vornherein keine Bereicherung eingetreten sein, weil eine mögliche Kostenersparnis der Anlageeigentümerin (hier: der Tochtergesellschaft) in Form niedrigerer Preise unmittelbar an Abnehmer weitergegeben

670

Auf die weitgehende Übereinstimmung des Verursacherprinzips mit dem corrective y&tf/ce-Gedanken weist etwa Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 592f., hin. 671 Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 912. Coleman , 11 J. Leg. Studies 421, 423 (1982), versteht den Gedanken der restitution allerdings als Bestandteil des corrective justice-Prinzips selbst. Die Frage, in welcher Weise beide Topoi logisch miteinander verknüpft sind, bedarf hier jedoch keiner näheren Erörterung. 672

Vgl. S. Rep. No. 848, 96th Cong., 2d Se ss., 13 (1980); siehe auch Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 60lf. m. w. N. 673

Vgl. U.S. v. Monsanto Co., 858 F.2d 160, 174 (4th Cir. 1988) unter Bezug auf eine frühere Supreme Cowri-Entscheidung aus einem anderen Kontext; Oswald, a.a.O., S. 593 u. 625; Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 29f. Ähnlich aus dem Blickwinkel ökonomischer Analyse Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1917. 1

164

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

wurde.674 Dies betrifft namentlich die oben675 erwähnten Situationen, wo die Risiken unsachgemässer Gefahrstoffbeseitigung noch unbekannt waren: Dort waren sich die Unternehmen natürlich keiner Ersparnis bewußt und verfügten gegenüber Mitbewerbern auch nicht über entsprechende Kostenvorteile, die sie ihren Kunden hätten vorenthalten können. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob mit der Haftung gemäß § 107(a) CERCLA das restitution- Ziel dieses Gesetzes umgesetzt werden kann. Im Einzelfall mag jedoch eine andere Sichtweise angebracht sein. Soweit in der Anlage einer Tochtergesellschaft tatsächlich eine Kostenersparnis realisiert wurde, die — beispielsweise durch Dividendenzahlungen — der Mutter zugute kam, wurde letztere bereichert.676 Unter solchen Umständen fördert die Haftung der Muttergesellschaft die Politik des CERCLA, ungerechtfertigte (weil unter Verstoß gegen das Postulat vernünftiger Gefahrstoffbeseitigung zustandegekommene) Bereicherungen rückgängig zu machen und so die Sanierungskosten billiger und gerechter zu verteilen.677 In den Urteilen zur Direkthaftung wird allerdings nur vereinzelt auf Dividendenzahlungen oder andere Transferleistungen der Tochterunternehmen Bezug genommen.678 Daraus läßt sich schließen, daß die Rechtsprechung dem restitution-Gedanken bei der Begründung einer Haftung von Obergesellschaften keine besondere Bedeutung beimißt — im Ergebnis zu Recht: Wie soeben dargelegt, fehlte es vielfach schon an einer 67 4

Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 621f.; vgl. auch Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 912; N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1541f. 675

§4.I.l.b).bb).(l).(b.).(bb).

676

Dies gilt — in entsprechender Weise — selbstverständlich auch für individuelle Aktionäre einer unabhängigen Gesellschaft. Vgl. Smith Land & Imp. Corp. v. Celotex Corp., 851 F.2d, 86, 92 (3rd Cir. 1988) (hier wird mit diesem Argument im Ergebnis aber "nur" die Haftung eines Nachfolgeunternehmens gerechtfertigt); Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 912f. Natürlich ist die Bereicherung um so indirekter und schwerer faßbar, je mehr Zeit zwischen der Abfallbeseitigungshandlung und der Inanspruchnahme für die Kosten der Altlastensanierung vergangen ist. Am Zeitablauf selbst oder an zwischenzeitlichen Änderungen (durch gesellschaftsrechtliche Transaktionen) in der Person der jeweiligen Muttergesellschaft sollte die Anwendbarkeit des retf/fttf/ö/z-Gedankens jedoch nicht scheitern: Schließlich ist dieser nur als Beitrag zur inneren Rechtfertigung der CERCLAHaftung zu sehen, nicht als exakter Mechanismus, anhand dessen ein Bereicherungsausgleich durchzuführen ist. Es genügt also, wenn die ursprüngliche Bereicherung in irgendeiner Weise fortwirkt. Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1542. 67 7

Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 807, warnt allerdings — zu Recht — davor, die Haftung einer Muttergesellschaft allein mit der Erlangungfinanzieller Vorteile zu begründen. 678 Als Ausnahmen sind die Urteile State of Idaho v. Bunker Hill Co. und U.S. v. TIC Inv. Corp. zu nennen.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

165

Bereicherung in der Person der jeweiligen Tochtergesellschaft, von der die Konzernmutter hätte profitieren können.

(c) Aktive Beteiligung an Sanierungsmaßnahmen Wer fur "verantwortlich" befunden ist, soll nach der Konzeption des CERCLA möglichst aktiv an Maßnahmen zur Sanierung der betreffenden Altlast beteiligt werden.679 Dahinter steht die Überlegung, daß jeder Rückgriff auf die öffentliche Hand (das heißt: eine von der EPA durchgeführte Sanierung mit anschliessendem Regreß bei Verantwortlichen) mehr Zeit und Geld kostet. In dem Maße, wie sich involvierte Unternehmen zu eigenem Tätigwerden verpflichten, werden Superjund-Mittel für andere Projekte frei; außerdem werden Verwaltungs- und Rechtsverfolgungskosten gespart.680 Dieses Ziel ist freilich, wie schon gesagt, grundsätzlich in Frage gestellt: Die Rechtsprechung zur direkten Haftung ist so uneinheitlich und in ihren Ergebnissen so unvorhersehbar, daß sie betroffene Unternehmen geradezu ermuntert, sich eigenen Sanierungsmaßnahmen zu verweigern und es auf einen Prozeß ankommen zu lassen.681 Sieht man von solchen strukturellen Defiziten des Direkthaftungs-Modells einmal ab, läßt die Intention, Verantwortliche in Sanierungsaktivitäten einzubinden, Rückschlüsse auf die Auswahl verantwortlicher Personen zu: Immerhin war die — heute praktisch vorherrschende — Altlastensanierung durch die Regierung ursprünglich als subsidiär gegenüber eigenen Abhilfemaßnahmen der Betroffenen gedacht.682 Deshalb ist eine Haftung für Sanierungsaufwendungen der EPA zwar nicht nur, aber insbesondere dann angezeigt, wenn ein eigenes Tätigwerden der betreffenden Muttergesellschaft besonders effektiv und daher vorzugswürdig gewesen wäre. Das betrifft namentlich solche Situationen, wo die beklagte Gesellschaft den Betrieb der Anlage ihrer Tochter aktiv kontrolliert (hat) oder wo sie zumindest in demselben oder einem eng verwandten Feld tätig war bzw. ist. In beiden Fällen kann davon ausgegangen werden, daß die Konzernmutter überdurchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den fraglichen Substanzen besitzt683 und daher für eigene Sanierungsaktivitäten besonders qualifiziert

679

Siehe die Nachweise oben § 4.1.1 .b).bb).(l).

680

So Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 151, unter Bezug auf EPA-Dokumente.

681

Eingehend hierzu oben § 4.1.1 .b).bb).(l).

682

Vgl. S. Rep. No. 848, 96th Cong., 2d Sess., 63 (1980).

683

Diesen Aspekt nennen auch Stewart/Campbell,

a.a.O. (Fn. 195). S. 10.

166

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

gewesen wäre.684 Umgekehrt sind eigene Maßnahmen der EPA in puncto Kostenund Zeitaufwand nicht per se unterlegen, wenn sich die Tätigkeitsfelder der betreffenden Ober- und Untergesellschaft nicht berühren, insbesondere wenn erstere eine reine Holding ist. In den Entscheidungen zur Direkthaftung von Konzernmüttern finden sich derartige Erwägungen freilich nicht.685

(d) Finanzierung der Altlastensanierung Ursprünglich als ultima ratio gedacht, sind eigene Sanierungsbemühungen der EPA — mit anschließendem Regreß — mittlerweile fast zum Regelfall geworden. Damit ist ein weiteres Gesetzesziel und folglich auch ein weiteres Kriterium zur Auswahl Verantwortlicher in den Mittelpunkt gerückt: die Finanzierung des Altlastensanierungsprogramms, die den Zugriff auf zahlungskräftige Personen (deep pockets) erfordert. 686 Einige Autoren sehen die Funktion und Rechtfertigung der Haftung gemäß § 107(a) CERCLA daher vor allem oder gar ausschließlich in der Erhaltung des Superfund:** 1 Dieser drohte — angesichts der schwindelerregenden Höhe des gesamten Sanierungsaufwands — schnell aufgezehrt zu werden, wenn der Haftungstatbestand, und hier insbesondere der Begriff des Verantwortlichen, nicht großzügig ausgelegt würde. Vor diesem Hintergrund läßt sich ohne weiteres rechtfertigen, daß Muttergesellschaften nicht nur im Wege des traditionellen Durchgriffs, sondern auch 684

Diese Fähigkeit zur Risikobewältigung ist von der Fähigkeit zum Risikomanagement zu unterscheiden, die oben (§ 4.1.1.b).bb).(l).(b).(bb).) als Kern des neuartigen Kausalitätsbegriffs identifiziert wurde, welcher der CERCLA-Haftung zugrundeliegt: Dort ging es um die Möglichkeit, Gefahren aus dem Betrieb der betreffenden Anlage, ex ante zu steuern und vielleicht zu vermeiden. Hier stellt sich hingegen die Frage, wer ex post besonders qualifiziert ist, um die Sanierungslast zu tragen. Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 27f., faßt allerdings beide Aspekte unter den Begriff des Risikomanagements zusammen. 685

Im TIC-Fall (oben § 2.II.2.a.mm.) wurde sogar ein reines Holdingunternehmen als Muttergesellschaft haftbar gemacht — was im Ergebnis jedoch (aus anderen Gründen) berechtigt war. 686

Vgl. Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 151. Die Rechtfertigung der Haftung mit dem Hinweis auf die deep pockets der Industrie war im Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht unumstritten. Besonders kritisch fiel die Stellungnahme der Mitglieder des Repräsentantenhauses Broyhill, Devine , Collins , Loeffler und Stockman in H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Sess., 67f. (1980) aus. 687

Vgl. etwa Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 425; Cope, 32 S. C. L. Rev. 539 u. 542 (1992); Heidelberg , a.a.O. (Fn. 198), S. 917; Mörsdorf-Schulte, RIW 94, 292, 295.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

167

direkt — und damit unter erleichterten Voraussetzungen — für Sanierungskosten haften. Zum einen würde ein piercing im Zusammenhang mit § 107(a) CERCLA möglicherweise anderen Gläubigern den Weg ebnen, um auch ihre Forderungen gegen die betreffende Tochtergesellschaft bei der Mutter zu liquidieren. Das ist eine Konsequenz daraus, daß jedenfalls die klassische Variante des Durchgriffs (nach einzelstaatlichem Recht) nicht anspruchs-, sondern rechtsformbezogen ist und daher nicht gegenständlich beschränkt, sondern umfassend wirkt. 688 Dritte könnten sich also — mit Hilfe zivilprozessualer Instrumente wie collateral estoppel oder issue preclusion — einen von der Bundesregierung erstrittenen Durchgriff zunutze machen und eigene Ansprüche "nachschieben". Die verschiedenen Forderungen würden miteinander konkurrieren — mit der Folge, daß die Bundesregierung (bei knappen Finanzmitteln der jeweiligen Konzernmutter) ggfs. nur einen Teil ihrer Sanierungsaufwendungen wiedererlangen könnte.689 Demgegenüber bietet die CERCLA-Direkthaftung den Vorteil, daß sie gegenständlich auf diese Aufwendungen beschränkt ist und anderen Gläubigern nicht zur Verfügung steht. Zum anderen erweitert die Direkthaftung, da sie von geringeren Voraussetzungen ausgeht und deshalb früher einsetzt, den Kreis der Verantwortlichen. Dieser quantitative Zugewinn an potentiellen Schuldnern wirkt sich auch auf den Umfang und die Qualität des Haftungssubstrats aus: Ein Zugriff beschränkt sich nicht mehr auf die häufig dünne Kapitaldecke des betreffenden Tochterunternehmens, sondern erstreckt sich auf das typischerweise dickere Polster der dazugehörigen Konzernmutter690 — und damit auf die begehrten deep pockets. Auch wenn neben der Anlageeigentümerin und ihrer Muttergesellschaft potentiell noch leitende Angestellte691 oder Nachfolgeunternehmen692 als Schuldner in Frage kommen,693 kann eine Zugriffsmöglichkeit auf die Mutter in Konzernfällen von

688

Vgl. zu diesen Charakteristika des piercing oben § 3.1.1.a).bb).

689

Zum Ganzen eingehend Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 145ff.

690

Vgl. Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 45; N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 987f.; Rieh, a.a.O. (Fn. 422), S. 668. 691

Vgl. hierzu bereits oben § 2.II.4.b). am Ende.

692

Zur Nachfolgehaftung näher unten § 6.1.2.

693

Vgl. Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 436, die außerdem die Allgemeinheit als alternative Finanzierungsquelle nennen. In letzterem Punkt kann ihnen nicht gefolgt werden: Wie oben (§ 4.1.1.b.bb.(l).(b).) nachgewiesen wurde, hat der Gesetzgeber eine klare Entscheidung gegen eine Altlastensanierung zu Lasten der Allgemeinheit getroffen.

168

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

ausschlaggebender Bedeutung sein:694 Die Inanspruchnahme von leitenden Angestellten etwa scheitert praktisch oftmals an der Komplexität der Strukturen in einem Unternehmensverbund.695 Demnach erscheint eine Haftung von Muttergesellschaften insbesondere dann angebracht, wenn die betreffende Tochter unterkapitalisiert ist und auch andere zahlungskräftige Personen nicht greifbar sind.696 Tatsächlich hat der Aspekt unzureichender Kapitalisierung offenbar in mehreren DirekthaftungsEntscheidungen eine Rolle gespielt.697 Für die Frage, welcher Haftungsmaßstab vorzuziehen ist, gibt der Finanzierungsgedanke allerdings nichts her.

(2) Umweltverträgliche

Abfallbeseitigung

in der Zukunft

Die Haftungsregelung des CERCLA ist, wie gesagt, vornehmlich auf die Vergangenheit ausgerichtet: auf die Bewältigung des Altlastenproblems, das seine Ursache in dem gedankenlosen Umgang mit toxischen Substanzen während früherer Jahrzehnte hat.698 Schon die Gesetzesväter sahen eine sekundäre Funktion des CERCLA jedoch in der Steuerung zukünftigen Verhaltens.699 Das überrascht zunächst, weil seit 1976 bereits der RCRA den Umgang mit und die Entsorgung von Sondermüll umfassend regelt;700 zudem kann § 107(a) CERCLA 694

Im Ergebnis ebenso Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 55; vgl. auch Blankens hip/Mandel, a.a.O. (Fn. 95), S. 231. 695

Näher Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 35.

696

Anders Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 464, die meinen, solche Finanzierungsgesichtspunkte sollten keine Rolle spielen. In Zukunft könnte der Gesichtspunkt der Unterkapitalisierung an Bedeutung verlieren, da § 108 CERCLA Anforderungen hinsichtlich des haftenden Kapitals von Betreibern und Eigentümern aufstellt. Vgl. Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 786; 42 U.S.C. § 9608 (Pub.L. 96510, Title I, § 108, 11. Dezember 1980, 94 Stat. 2785, zuletzt geändert durch Pub.L. 99499, Title I, §§ 108, 127(c), 17. Oktober 1986, 100 Stat. 1631, 1692). 697

Vgl. insbesondere den Bunker Hill-Fall (oben § 2.II.2.b).aa).).

698

So bereits oben § 4.1.1.b).bb).(l).

699

Besonders deutlich ist insofern die Stellungnahme des Mitglieds des Repräsentantenhauses Gore in H.R. Rep. No. 1016, Part I, 96th Cong., 2d Se ss., 63 (1980): "[D]ie Haftungsbestimmungen sind auch insofern bedeutsam, als sie [...] einen starken Anreiz begründen, um sicherzustellen, daß von zukünftigen Erzeugern, Verarbeitern und Beseitigern gefährlicher Abfälle ein hoher Sicherheitsstandard beachtet wird." (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 700

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 914. Zum RCRA bereits oben § 2.1.1. Allerdings ist dessen Anwendungsbereich insofern enger, als er lediglich den Umgang mit gefährlichen Abfällen regelt, während der CERCLA sämtliche gefährlichen

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

169

erst nachträglich eingreifen, da er nur dem Ausgleich bereits eingetretener Schäden (in Form von Sanierungskosten) dient. Im Deliktsrecht ist freilich anerkannt, daß auch die nachträgliche Sanktionierung von Fehlverhalten mit Schadenersatzpflichten reflexhaft Abschreckungs- und Steuerungseffekte für die Zukunft erzeugt.701 Ähnlich argumentieren Gerichte und Kommentatoren in bezug auf den CERCLA: Dadurch, daß verantwortliche Personen für die zum Teil beträchtlichen Kosten der Sanierung bestehender Altlasten herangezogen werden können, entstehe allgemein ein starker Anreiz, verantwortungsvoll mit Gefahrstoffen umzugehen und so der Entstehung neuer "Alt"lasten vorzubeugen.702 Das klingt einfach und plausibel, funktioniert aber nur, wenn die Steuerungswirkung des § 107(a) CERCLA die entscheidende Person erreicht und diese sich aufgrund des Haftungsrisikos entschließt, die Beseitigungspraxis unter ökologischen Gesichtspunkten zu optimieren. An diesen Prüfsteinen ist die Effektivität der Direkthaftung von Muttergesellschaften nachfolgend zu messen. Zuvor ist — wegen der auf den ersten Blick erschöpfenden Regelung der Materie durch den RCRA — zu klären, inwiefern vom CERCLA überhaupt (zusätzliche) Anreize für die Unternehmenspraxis ausgehen.

(a) Steuerungsfunktion des CERCLA neben dem RCRA Eine gesetzliche Steuerung des Abfallbeseitigungsverhaltens läßt sich sowohl rein negativ (Abschreckung von umweltgefährdenden Praktiken) als auch positiv (Anreiz zur Entwicklung und Umsetzung umweltverträglicher Praktiken) denken. Ein Teil der Literatur betont allein die Abschreckungswirkung des CERCLAHaftungsregimes. 703 Unter diesem Gesichtspunkt bleibt indes offen, worin die Bedeutung des CERCLA neben dem — parallel geltenden704 — RCRA liegen soll. Dessen System aus Verfahrensstandards sowie Mitteilungs- und KennzeichSubstanzen erfaßt; damit sind auch, aber nicht ausschließlich gefährliche Abfälle i. S. d. RCRA gemeint. 701

Vgl. etwa Keeton/Dobbs/Keeton/Owen,

a.a.O. (Fn. 468), S. 25f.

702

Vgl. Edward Hines Lumber Co. v. Vulcan Materials Co., 862 F.2d 155, 159 (7th Cir. 1988); N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1519f.; ähnlich bereits das oben (Fn. 89) erwähnte EPA-Memorandum auf S. 266. 703

Vgl. Green, 87 Nw. U. L. Rev. 897, 901 (1992); Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 914f.; Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1241. 704

Vgl. Mardan Corp. v. C.G.C. Music, Ltd., 600 F.Supp. 1049, 1053ff. (D.Arizona 1984); Chemical Waste Mgt. v. Armstrong World Industries, 669 F.Supp. 1285, 1289ff. (E.D.Pa. 1987).

170

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

nungspflichten für die Behandlung, Lagerung und Beseitigung gefährlicher Abfalle ist unter anderem mit Geldbußen und Strafen bewehrt.705 Daneben ist die Abschreckungswirkung der Schadenersatzpflicht aus § 107(a) CERCLA allenfalls marginal.706 Sie kann überhaupt nur zum Tragen kommen, wenn das Instrumentarium des RCRA nicht ausreichend abschreckt. Dann ist aber zweifelhaft, ob ausgerechnet von der Sanktion des Schadenersatzes genügend Druck ausgeht, damit die betreffende Handlung unterlassen wird. Läßt sich ein Unternehmen allerdings prinzipiell von Vorschriften zur Abfallbeseitigung beeinflussen, kommt dem CERCLA neben dem RCRA durchaus eine eigenständige Funktion zu. Unter dem Gesichtspunkt einer positiven Verhaltenssteuerung (sprich: des Anreizes zu einem verantwortungsbewußten Umgang mit Gefahrstoffen) gehen von beiden Gesetzen nämlich Signale unterschiedlicher Art und wohl auch unterschiedlichen Inhalts aus. Das wird verständlich, wenn man das Regelungskonzept des § 107(a) CERCLA mit dem des RCRA vergleicht: Letzterer ist insofern ein "klassisches" Umweltgesetz, als seine Urheber erkennbar davon ausgingen, daß die Festsetzung detaillierter technischer Verfahrensstandards 707 das Ziel umweltgerechter Abfallbehandlung und -beseitigung am besten fördere. Dieser Ansatz ist unter dem Namen "Command-andControl" bekannt geworden, hat (nicht nur) in den USA weite Verbreitung gefunden — wird inzwischen aber zunehmend kritisiert. 708 Dagegen enthält § 107(a) CERCLA keine Vorgaben dahingehend, auf welche Weise die angesprochenen Unternehmen die Entstehung weiterer "Altlasten" verhindern sollen.709 Wenn ein solcher Schadensfall jedoch eintritt, entsteht eine Einstands705

Vgl. 42 U.S.C. § 6928.

706

Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 915 m. w. N.

707

Vgl. in diesem Zusammenhang die im RCRA (42 U.S.C. §§ 6922-6924) enthaltenen Ermächtigungen an die EPA, solche Standards zu entwickeln und auf dem Verordnungswege durchzusetzen. 708

Übersichten aus jüngerer Sicht zu den Nachteilen dieser Regelungstechnik finden sich etwa bei Farmer/Teubner in: Environmental Law and Ecological Responsibility, S. 3; Orts , 89 Nw. U. L. Rev. 1227, 1235ff. (1995) m. w. N.; Pierce, 33 Vand. L. Rev. 1281, 1309ff. (1980). Als wichtigste Kritikpunkte seien hier genannt: Die gesetzliche Festschreibung bestimmter Standards ist — in Zeiten rapiden technischen Fortschritts — nicht nur zu statisch, sondern fast zwangsläufig in einem gewissen Umfang irrational. Denn dem Gesetzgeber fehlt schlicht das erforderliche Wissen, um in allen Fällen zu bestimmen, welcher Standard adäquat ist. Zudem stoßen command-and-control-GesetLQ wegen ihrer unvermeidlichen Spezifität und ihres Detailreichtums heute bereits an kognitive Grenzen ihrer Adressaten. 709

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 857. Allgemein Stone, a.a.O. (Fn. 487), S.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

171

pflicht in Höhe des Sanierungsaufwands. Ökonomisch betrachtet, werden den Verantwortlichen damit die (Folge-)Kosten ihres früheren Verhaltens auferlegt. Auf diese Weise werden die ökologischen Risiken mangelhafter Gefahrstoffbeseitigung internalisiert.710 Diesen zwei Regelungskonzepten korrespondieren unterschiedliche Signale an die jeweiligen Adressaten: Command-and-Control- Vorschriften enthalten klare und konkrete Verhaltensanweisungen711 — im Fall des RCRA dazu, welche Techniken bei der Gefahrstoffbeseitigung und -behandlung anzuwenden sind. Die Kosten, die bei deren Umsetzung (oder, im Falle eines Gesetzesverstoßes, durch Geldbußen bzw. Strafen) entstehen, sind nicht mit den Folgekosten mangelhafter Gefahrstoffbeseitigung gleichzusetzen. Eine Internalisierung von Umweltrisikenfindet also nicht statt. Die mögliche Wirkung des RCRA beschränkt sich vielmehr darauf, daß die betroffenen Unternehmen ihren Umgang mit Gefahrstoffen den gesetzlichen Anforderungen anpassen. Demgegenüber zeugt § 107(a) CERCLA — was die Steuerung zukünftigen Verhaltens angeht — von einem passiven Regelungsansatz. Jedes Unternehmen wird a priori als "black box" behandelt und respektiert:712 In die darin vorherrschende Gefahrstoffbeseitigungspraxis wird von staatlicher Seite nicht eingegriffen. Stattdessen wird primär 713 auf eine Selbstregulierung in unternehmerischer Verantwortung vertraut. Dadurch wird der CERCLA natürlich nicht zu reflexivem Recht.714 Er hat mit dieser neuartigen Regelungskonzeption jedoch 8, der in diesem Zusammenhang von "enterprise liability" spricht, ohne freilich § 107(a) CERCLA ausdrücklich als Anwendungsfall zu identifizieren. 710

Eingehend zu dieser ökonomischen Betrachtung unten § 4.Π. 1 .b).aa).

711

Vgl. Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 42.

712

Dieses anschauliche Bild verwendet Stone, a.a.O., S. 8.

713

Will heißen: solange die Selbstregulierung nicht versagt. Dann nämlich drohen den Beteiligten Sanktionen in Form von Schadenersatzpflichten. 714

Der Begriff und die Konzeption des reflexiven Rechts wurden maßgeblich von Teubner entwickelt. Der reflexive Ansatz geht von der Erkenntnis aus, daß der Gesetzgeber — angesichts der zunehmenden Verrechtlichung und Komplexität der Gesellschaft — schlicht überfordert sei, die Lebensverhältnisse umfassend zu gestalten und zu ordnen. Zudem bestünden erhebliche Widerstände der Adressaten herkömmlicher Regelungen gegen solche Eingriffe "von außen" in ihre Sphäre. Vor diesem Hintergrund erweise es sich als notwendig und sinnvoll, solche Privatpersonen (die nach klassischem Verständnis lediglich Empfänger von Handlungsanweisungen und Zielvorgaben wären) aktiv in die Erfüllung der Regelungsaufgabe einzubinden. Das gesetzte Recht solle sich insoweit darauf beschränken, Prozesse der Selbstregulierung dieser Akteure zu induzieren

172

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

gemein, daß ein Freiraum und Anreiz für Private (hier: betroffene Unternehmen) geschaffen wird, damit diese ihre Ressourcen und Kreativität in eigene Initiativen zur Förderung eines öffentlichen Anliegens (hier: einer auf lange Sicht umweltverträglichen Abfallbeseitigung) umsetzen. Die Praxis der Unternehmen wird nicht in einer vom Gesetzgeber, also von "außen", genau vorgegebenen Weise gesteuert; sie orientiert sich folglich auch nicht an gesetzlich festgeschriebenen Mindestanforderungen. Im Vergleich zum Command-and- Control- Ansatz des RCRA führt dieser weitgehend selbstbestimmte Prozeß zu einer Gefahrstoffbeseitigungspraxis, die andersartig und (im Hinblick auf das Ziel der Umweltverträglichkeit) auch effektiver sein dürfte. 715 Auf welche Weise trägt die Direkthaftung von Konzernmüttern gemäß § 107(a) CERCLA dazu bei, diese Politik positiver Verhaltenssteuerung umzusetzen?

(b) Übermittlung des Signals an die entscheidenden Personen Die Haftung derjenigen Personen, die über den Umgang mit toxischen Substanzen entscheiden, ist eine Grundbedingung dafür, daß die beschriebene Steuerungswirkung eintreten kann. Denn der Anreiz zu einer umweltverträglichen Gefahrstoffbeseitigung geht im Fall des CERCLA allein von der Internalisierung der Sanierungskosten716 aus, die als Folge mangelhafter Beseitigungsmaßnahmen drohen. Dieser Anreiz ist zwar, wie gerade gesehen,

und zu lenken. Näher Teubner/WillJce, ZRSoz 6 (1984), 4ff.; zum Begriff des reflexiven Rechts dort insbesondere S. 19ff. Das Modell des reflexiven Rechts ist mittlerweile auch in den USA rezipiert worden. Vgl. aus jüngerer Zeit insbesondere Orts, a.a.O. (Fn. 708), S. 1252ff. u. passim. Sowohl Teubner selbst als auch andere Autoren sehen einen besonders geeigneten Anwendungsbereich dieses Modells im — noch weitgehend von Command-and- Co/ziro/-Vorschriften dominierten — Umweltrecht. Vgl. die Beiträge in Teubner/Farmer/Murphy (eds.), Environmental Law and Ecological Responsibility, sowie den Artikel von Orts, a.a.O. Der CERCLA ist jedoch kein Beispiel für reflexives Umweltrecht, da er sich von der Typik solchen Rechts unterscheidet. Wie aus zahlreichen Einzelvorschriften deutlich wird, liegt dem CERCLA kein selbstkritischer Regelungsansatz zugrunde, der von immanenten Grenzen des Gesetzesrechts ausginge. Zwar verzichtet § 107(a) CERCLA, auf unmittelbare Eingriffe in interne Unternehmenspraktiken; der dadurch geschaffene Freiraum wird jedoch nicht mit reflexiven Elementen — das heißt mit institutionellen und Verfahrensregeln als dem rechtlichen Rahmen für die angestrebte Selbstregulierung — gefüllt. 715

Zur Überlegenheit des reflexiven Rechts gegenüber einer klassischen Eingriffsverwaltung, die sich auf detaillierte Regelungen verläßt, vgl. Orts, a.a.O., S. 1255ff. u. passim. 716

Zu diesem Aspekt näher oben § 4.1.1 .b).bb).(2).(a).

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

173

überlagert durch die Steuerungssignale des RCRA.717 Doch erscheint es realistisch anzunehmen, daß die andersartigen, von § 107(a) CERCLA ausgehenden Signale von den betreffenden Personen gleichwohl "empfangen" werden. Auch wenn man die konkreten Effekte gesetzlicher Vorschriften auf die Wirtschaftspraxis grundsätzlich skeptisch beurteilt:718 Die weite, potentiell ruinöse Haftung für Altlasten dürfte jedenfalls eine (teilweise heilsame) Schockwirkung auf die betroffenen Unternehmen ausüben und zum Nachdenken über die Abfallbeseitigungspraxis anregen.

(aa) Welche Rolle spielt die Direkthaftung von Konzernmüttern? Muttergesellschaften wären gegen diesen Effekt weitgehend immun, wenn sie nur unter den — strengen719 — Voraussetzungen eines Durchgriffs in Anspruch genommen werden könnten. Dann wäre es ihnen nämlich auf relativ einfache Weise möglich, das Haftungsrisiko aus der Entsorgimg von Gefahrstoffen zu beschränken: Sie brauchten die betreffenden Tätigkeiten nur einer separat inkorporierten Tochtergesellschaft zu überantworten. Solange deren haftendes Eigenkapital nicht offensichtlich unangemessen wäre, könnte die Konzernmutter mit einiger Gewißheit davon ausgehen, daß zu Haftungszwecken nicht auf ihr Kapital durchgegriffen würde — dies sogar dann, wenn sie die Gefahrstoffbeseitigungspraxis in der betreffenden Anlage ihrer Tochter eigentlich bestimmt.720 Empirische Daten bestätigen, daß die Ausgliederung gefahrenträchtiger Aktivitäten in Untergesellschaften eine verbreitete Reaktion der Industrie auf große Haftungsrisiken ist.721 Soweit mit solchen gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen eine ausreichende Segmentierung und Beschränkung der Haftung erreicht wird, entfällt jeder Anreiz, die wahren Ursachen von Haftungs-

717

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 914.

718

Empirische Studien zeigen, daß gesetzliche Steuerungssignale in Wirtschaftsunternehmen durchweg nur schwach wahrgenommen und zudem verfälscht werden. Näher zu diesem Problem Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 33f. m. w. N. Vgl. auch Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 21ff. 719

Neben einer umfassenden Verflechtung der Konzernglieder ist insbesondere ein Ungerechtigkeits- bzw. Mißbrauchselement Voraussetzung einer Durchgriffshaftung. Vgl. oben § 3.1.l.b).bb).(l). 720

Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 988. Allgemein hierzu Roe, 72 Va. L. Rev. 1, 48f. (1992). 721

Hansmann/Kraakman , a.a.O. (Fn. 379), S. 1880; vgl. Ringleb/Wiggins , 98 J. Pol. Econ. 574, 589ff. (1990); Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 71.

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§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

risiken zu bekämpfen, sprich: das Schädigungspotential zu minimieren.722 Dadurch drohen die Steuerungszwecke des Haftungsrechts — hier: die Politik des CERCLA, auf eine umweltverträgliche Gefahrstoffbeseitigung hinzuwirken — unterlaufen zu werden.723 Der Ansatz einer direkten Haftung senkt die Schwelle für eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften und kann so von entscheidender Bedeutung sein, um dem Steuerungssignal des CERCLA Geltung zu verschaffen.

(bb) Identifizierung des richtigen Adressaten Die abstrakte Gefahr, daß die vom Haftungsrecht beabsichtigte Steuerungswirkung leerlaufen könnte, aktualisiert sich freilich nicht in jedem Konzernfall. Eine direkte Inanspruchnahme von Muttergesellschaften ist nur unter bestimmten Voraussetzungen angezeigt. Allgemein gilt: Eine Haftungsregelung vermag nur dann die Praxis eines Unternehmens zu beeinflussen, wenn sie dessen Entscheidungsträger erreicht.724 Diese können, müssen aber nicht an der Konzernspitze, das heißt bei der Muttergesellschaft, zu suchen sein. Dem Konzernhaftungsrecht fallt die Aufgabe zu, (nur) entscheidende Muttergesellschaften als Adressatinnen von Schadenersatzforderungen zu identifizieren. Irrelevant ist dabei, daß die konkret haftungsauslösende Handlung — die unsachgemäße Beseitigung von Gefahrstoffen — in jedem Fall von Tochterunternehmen ausgeführt wird. In bezug auf die CERCLA-Direkthaftung gilt: Wenn eine Konzernmutter (durch ihre agents) tatsächlich und unmittelbar Einfluß auf die Gefahrstoffbeseitigungspraxis ihrer Tochter nimmt, ist sie die entscheidende Person und als Adressatin des § 107(a) CERCLA prädestiniert. Solange sie von ihrer Kontrollmöglichkeit hingegen keinen oder nur mittelbar Gebrauch macht, wird die Entscheidung innerhalb des Tochterunternehmens getroffen. Dann ist es nicht gerechtfertigt, die Muttergesellschaft haftbar zu machen.725 Eine andere Bewertung würde implizieren, daß vom Recht stets eine aktive Einmischung der Konzernspitze in betriebliche Entscheidungen aller anderen Konzernglieder 722

Ringleb /Wiggins,

a.a.O., S. 577.

723

Vgl. zum Zielkonflikt zwischen der CERCLA-Direkthaftung und dem gesellschaftsrechtlichen Prinzip beschränkter Haftung unten § 5.II.1. 724

So Brüggemeier in: Environmental Law and Ecological Responsibility, S. 75, 88, zu seinem Entwurf einer "production liability". Vgl. vor dem Hintergrund des deutschen Rechts auch Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 266f. 725

Auch Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 463f., differenzieren anhand des Einflusses der Muttergesellschaft auf die Abfallbeseitigungspraxis.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

175

gewünscht werde.726 Für eine entsprechende Verpflichtung der Muttergesellschaft gegenüber Dritten - den Gläubigern ihrer Tochter - besteht im amerikanischen Gesellschaftsrecht aber keine Grundlage.727 Es wäre auch in der Sache verfehlt, eine derart weitgehende Einmischung zu fordern. 728 Daher spricht die Politik der Verhaltenssteuerung gegen den Möglichkeitstest als Direkthaftungsmaßstab und für die tatsächliche, anlagebezogene Kontrolle als maßgebliches Kriterium einer Konzernhaftung. Die Alternative, auf eine direkte Haftung zu verzichten und Muttergesellschaften nur unter den Voraussetzungen des Durchgriffs in Anspruch zu nehmen, erweist sich in diesem Zusammenhang als ungeeignet. Erstens würde, wie schon gesagt,729 häufiger überhaupt kein Steuerungssignal bei der betreffenden Obergesellschaft ankommen, weil diese keinem Haftungsrisiko ausgesetzt wäre. Zweitens wäre nicht gewährleistet, daß von einer Haftung der Konzernmutter — in denjenigen (Ausnahme-)Fällen, in denen ein Durchgriff möglich wäre — die erwünschten Steuerungseffekte auf die Gefahrstoffbeseitigungspraxis ausgingen. Denn die Durchgriffshaftung knüpft (in ihrer traditionellen Ausprägung) an die Verflechtung von Mutter- und Tochterunternehmen insgesamt an.730 Eine Einflußnahme der Muttergesellschaft gerade auf die Gefahrstoffbeseitigung wird nicht vorausgesetzt, löst aber umgekehrt auch nicht ohne weiteres eine Haftung aus: Die Konzernmutter würde im Wege eines piercing unter Umständen für

726

Eine solche Vorstellung scheint in der Tat einzelnen Entscheidungen zur Direkthaftung zugrundezuliegen. Vgl. etwa folgende Passage aus U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1177 (N.D.Iowa 1994) (bei der allerdings nicht klar ist, ob sie sich nur auf die Haftung von leitenden Angestellten und Einzelaktionären oder auch auf die Haftung der ebenfalls beklagten Muttergesellschaft bezieht): "Die anerkannten Zwecke der CERCLA-Gesetzgebung sind (1) [...] und (2) sicherzustellen, daß es verantwortlichen Personen nicht gestattet wird, dadurch der Haftung zu entgehen, daß sie untätig bleiben." (Original in Englisch). Auch Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 178f., befürwortet eine Pflicht von Muttergesellschaften, die Umweltpolitik ihrer Töchter aktiv zu kontrollieren. Allerdings soll nur eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht zur Haftung führen. 727

Anderer Ansicht ist offenbar das Gericht in City of New York v. Exxon Corp., 112 Bankr. 540, 552 (S.D.N.Y. 1990), das von einer solchen Pflicht ausgeht. Vgl. dazu bereits oben § 2.II.2.a).ff). 728

Eingehend zu dieser Bewertung unten § 5.III.2.b)aa) Für eine Wahlfreiheit von Muttergesellschaften im Hinblick auf die Integrationsdichte "ihrer" Konzerne spricht sich auch Berle, a.a.O. (Fn. 366), S. 357, aus. 729

Siehe oben § 4.1.1.b).bb).(2).(b).(aa).

730

Vgl. oben §3.1.1.b).bb).(l).

176

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

CERCLA-Verbindlichkeiten ihrer Tochter haften, ohne zu deren Entstehung beigetragen zu haben — und vice versa. Daran zeigt sich, daß der Durchgriff ein zu grobes Instrument ist und keine differenzierte, das heißt sachbereichsspezifische Verhaltenssteuerung gestattet. Sein umfassender, rechtsformbezogener Ansatz ignoriert, daß Kontrolle und Einflußnahme in der Konzernpraxis keine monolithischen Phänomene sind, sondern die Aufgabenverteilung zwischen Mutter- und Tochterunternehmen von einem Bereich zum anderen variiert:731 Wenn bestimmte Verwaltungsfunktionen integriert sind, braucht die Gefahrstoffbeseitigungspraxis noch lange nicht zentral gesteuert zu sein.

(cc) Inhaltlich unverfälschte Übermittlung des Signals Sonach steht fest: Nur die Direkthaftung vermag — soweit sie an die tatsächliche und unmittelbare Kontrolle der betreffenden Muttergesellschaft in puncto Gefahrstoffbeseitigung anknüpft — das von § 107(a) CERCLA ausgehende Signal in Richtung auf den konkret geeigneten Empfänger weiterzuleiten. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob dieses Signal inhaltlich klar dort ankommt: Da die Rechtsprechung zur Direkthaftung von Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA nicht nur uneinheitlich ist, sondern überdies ein unübersichtliches Sammelsurium an Kriterien verwendet,732 ist die Rechtslage äußerst unklar. Entsprechend diffus ist das Signal, das von Konzernmüttern wahrgenommen werden kann. Aber es existiert und läßt sich sogar in praktische Empfehlungen für Unternehmensgruppen übersetzen.733 Zudem relativieren sich auch diese Schwächen der Direkthaftung, wenn man zum Vergleich den traditionellen Durchgriff auf seine Eignung als Übermittler des Signals untersucht: Da die allgemeinen, rechtsformbezogenen piercing Kriterien nichts mit umweltrechtlichen Regelungszielen zu tun haben, bilden sie einen sachfremden Filter, der die von § 107(a) CERCLA ausgehenden Steuerungssignale nicht nur (wie die Direkthaftung) abschwächt, sondern zudem verzerrt. Der direkte Ansatz vermeidet diese zusätzliche Störung, da er im CERCLA selbst verortet ist. Dadurch scheint er besser geeignet, dessen Politik im Vergleich zum status quo ante zu fördern.

731

Ähnlich Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 267, zum deutschen Recht. Zu den sachbereichsabhängigen Unterschieden in bezug auf die Dichte der Einflußnahme und Kontrolle im Konzern näher unten § 5.III.l.a).bb).(2). 732

Vgl. oben § 2.II.6.

733

Zu solchen Empfehlungen eingehend unten § 6.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

177

(c) Umweltverträgliche Gefahrstoffbeseitigung als Reaktion Natürlich bewirkt das von der CERCLA-Direkthaftung ausgehende Signal nicht automatisch, daß die betreffenden Konzernmütter beim Betrieb von Gefahrstoffbeseitigungsanlagen ihrer Töchter fortan ökologische Grundsätze beachten. Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn keine — aus Sicht der Unternehmen — attraktiveren Verhaltensalternativen zur Verfügimg stehen. Einerseits liegt es — zumal angesichts der unklaren Haftungslage734 — für ein Unternehmen nicht fern, die eventuell hohen Aufwendungen für eine umweltgerechte Gefahrstoffbehandlung einzusparen und darauf zu vertrauen, es werde "schon nichts passieren": Falls die Umwelt doch geschädigt werde, sei das Mutterunternehmen "hoffentlich" rechtlich vor einer Inanspruchnahme geschützt. Eine solche Strategie mag dadurch einen zusätzlichen Reiz erhalten, daß Schäden durch Altlasten tyischerweise erst nach langer Zeit auftreten oder festgestellt werden.735 In den meisten Fällen dürfte sie jedoch irrational sein. Denn gewöhnlich verursachen vorbeugende Maßnahmen nur einen Bruchteil der Kosten, die bei der Behebung einmal eingetretener Schäden anfallen würden.736 Zudem ging der Trend während der letzten Jahre dahin, die CERCLA-Haftung zu verschärfen; eine Wende ist insofern nicht in Sicht.737 Es ist daher kaum zu besorgen, daß sich viele (Mutter-)Unternehmen dafür entscheiden, passiv zu bleiben und abzuwarten.738 Andererseits kommen auf den ersten Blick eine ganze Reihe von Vermeidestrategien (die es einer Konzernmutter scheinbar ermöglichen, sich

734

Vor allem kann sich nach der bisherigen Rechtsprechung selbst ein (aus heutiger Sicht) verantwortlich agierendes Unternehmen nicht darauf verlassen, später nicht doch für womöglich anfallende Sanierungsaufwendungen herangezogen zu werden. Lediglich der — im Rahmen der Haftung individueller Aktionäre und leitender Angestellter — vereinzelt angewandte Verhütungstest (vgl. oben § 2.II.4.b).) versucht, dieses Dilemma zu lösen, indem auch fehlgeschlagene Bemühungen um eine adäquate Behandlung von Gefahrstoffen honoriert und als gewichtiges Indiz gegen eine Haftung gewertet werden. 735

Die dadurch entstehende Unsicherheit — ob überhaupt ein Haftungsfall eintritt und welchen Umfang die Schäden hätten — kann dazu führen, daß die entscheidenden Personen das Haftungsrisiko unterschätzen. Vgl. Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 601f. 736

Vgl. Crawley , a.a.O. (Fn. 71), S. 228; Hunt/Auster, 1990, S. 7, 9. 737

Ähnlich bewerten Wheeler/Fox, Umwelthaftung insgesamt. 738

Sloan Mgmt. Rev., Winter

a.a.O. (Fn. 71), S. 484, die Entwicklung der

So im Ergebnis auch Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 810, die auf das Interesse hinweist, das jede Muttergesellschaft daran habe, ihre Investition in Anteile an ihrer Tochter im Auge zu behalten. 12 Ochsenfeld

178

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

einer Haftung zu entziehen, ohne eine umweltverträgliche Gefahrstoffbeseitigung sicherzustellen) in Betracht:739 eine Ausgliederung desjenigen Geschäftsbereichs, der besonders risikoreich und daher vor dem Hintergrund des CERCLA schadensträchtig ist, mit anschließendem Spin-Off oder Verkauf an Dritte; ein Outsourcing bestimmter Tätigkeiten; eine Auflösung der betreffenden Gesellschaft; oder eine Flucht in die Insolvenz. Teilweise schneidet das Haftungssystem des CERCLA solche Umgehungsmöglichkeiten jedoch ab; teilweise sind diese unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten unattraktiv.740 Es ist deshalb nicht zu befürchten, daß die Direkthaftung von Konzernmüttern leerläuft, das heißt keine positiven Wirkungen auf die Gefahrstoffbeseitigungspraxis entfalten kann. Demnach bleibt es bei der Feststellung, daß dieses neue Haftungsmodell dazu beiträgt, das zukünftige Verhalten von Unternehmen im Sinne eines verantwortlicheren Umgangs mit Sondermüll zu beeinflussen.

cc) Ergebnis Resümiert man die einzelnen, bisher aus der Politik des CERCLA gezogenen Schlußfolgerungen, so gelangt man zu einer differenzierten Bewertung der Direkthaftung von Muttergesellschaften: Von entscheidender Bedeutung ist, wie gleich näher ausgeführt wird, auf welches der beiden Fernziele des CERCLA abgehoben wird. Zugleich ist aber deutlich geworden, daß eine Lösung der Problemfalle allein auf der Grundlage des traditionellen Konzernhaftungsrechts diese Ziele nur in beschränktem Maße fördern oder sogar unterlaufen würde. Diejenigen Urteile, die eine direkte Inanspruchnahme von Konzernmüttern prinzipiell ablehnen und lediglich einen Durchgriff — nach traditionellem Recht — prüfen, werden der Politik des CERCLA deshalb nicht gerecht.741 Es ist schwierig, eine Direkthaftung von Obergesellschaften für die Kosten der Sanierung bestehender Altlasten zu begründen: Nur wenn eine Konzernmutter die Gefahrstoffbeseitigung in der betreffenden Anlage ihrer Tochter tatsächlich kontrollierte und die damit verbundenen Risiken ex ante erkennen konnte, entspricht sie dem Bild des "Verantwortlichen", das dem CERCLA zugrundeliegt. Dann, aber nur dann, ist es angebracht, zusätzliche Argumente für eine Inanspruchnahme der Muttergesellschaft zu berücksichtigen: Kostenersparnisse durch eine unsachgemäße Behandlung gefährlicher Stoffe; besondere Erfahrungen und Kenntnisse der Muttergesellschaft; Unterkapitalisierung der Tochter und 739

Vgl. Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 174f.

740

Eingehend hierzu unten § 6.1.

741

Vgl. Noonan, a.a.O. (Fn. 95), S. 748ff. Vor diesem Hintergrund kritisiert Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 924f., die Urteile Acushnet und Joslyn.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

179

Fehlen sonstiger zahlungskräftiger Personen, auf die zugegriffen werden könnte. Richtig verstanden und angewandt, steht die Direkthaftung also nur in engen Grenzen als Instrument zur Bewältigung des bestehenden Altlastenproblems zur Verfügung — was von den Gerichten indes nicht konsequent beachtet wird. Andererseits ist der direkte Ansatz in der Konzernhaftung nicht nur geeignet, sondern von entscheidender Bedeutung, um das zweite Fernziel des § 107(a) CERCLA zu verwirklichen: die Steuerung der gegenwärtigen und zukünftigen Unternehmenspraxis hin zu einem verantwortungsbewußten Umgang mit Gefahrstoffen. Dieser Effekt wird am besten dadurch erreicht, daß auch hier nach der tatsächlichen Einflußnahme von Muttergesellschaften auf die Entsorgung von Gefahrstoffen in den Anlagen ihrer Töchter gefragt wird. Da die Steuerungswirkung ein Reflex — und also die Kehrseite — der Haftungsregelung ist, könnte man annehmen, auf diesem Umweg ließe sich die Direkthaftung von Konzernmüttern in ihrer ganzen Breite rechtfertigen. Dem ist jedoch nicht so: Um die gegenwärtigen und zukünftigen Praktiken in Konzernen zu beeinflussen, würde es ausreichen, eine Haftung für Schäden aus unsachgemässer Gefahrstoffbeseitigung ex nunc (ohne Rückwirkung auf "Altfalle" aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des CERCLA am 11. Dezember 1980) anzuordnen.

2. Auslegung oder Entwicklung von federal common law?

Die vorstehende Diskussion geht stillschweigend von der Annahme aus, die direkte Haftung von Konzernmüttern werde im Wege der Auslegung aus dem CERCLA abgeleitet. Da dieser jedoch keine ausdrücklichen Vorgaben für oder gegen eine Erstreckung der Betreiberhaftung gerade auf Konzernmütter enthält,742 läßt sich mit einiger Berechtigung sagen: Tatsächlich gehe es hier nicht um Auslegung, sondern um die Entwicklung von bundesweitem gemeinem Recht.743 Gerichtlich ist diese Frage, soweit ersichtlich, bislang unbeantwortet.744 742

Vgl. oben § 4.1.1.a).aa).(4). (hinsichtlich des Wortlauts des CERCLA) u. § 4.1.1.b.aa. (hinsichtlich der Ziele des historischen Gesetzgebers). 743

Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 183. Allgemein zur Wahl zwischen Gesetzesauslegung und Entwicklung von federal common law bei der Anwendung eines allgemeinen Gesetzes auf Konzernmütter: Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 59. 744

Lediglich zur Haftung von Nachfolgeunternehmen gemäß § 107(a) CERCLA hat ein Gericht entschieden, diese lasse sich ohne weiteres im Wege der Auslegung begründen; die Entwicklung von federal common law sei insoweit nicht erforderlich. Vgl. Anspec Co., Inc. v. Johnson Controls, Inc., 922 F.2d 1240, 1246f. (6th Cir. 1991). Dieses Ergebnis läßt sich aber nicht auf den Konzernkontext übertragen: Anerkanntermaßen schließt jede gesetzliche Bezugnahme auf Kapitalgesellschaften (corporations) —

12*

180

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Allgemein gilt aber: Die Grenze zwischen der Auslegung eines Gesetzes und der Schaffung von Richterrecht ist fließend. Je unklarer die Vorgaben des Gesetzgebers im Hinblick auf die zu entscheidende Frage sind, um so weniger hat die Tätigkeit der Gerichte methodisch mit Auslegung gemein.745 Argumente für eine Direkthaftung wurden in den vorstehenden Abschnitten allein aus der allgemeinen Politik des CERCLA gewonnen. Daher läßt sich nicht mit Eindeutigkeit sagen, die einschlägige Rechtsprechung beruhe auf Auslegung. Ob sich unmittelbar aus § 107(a) CERCLA oder nur auf dem Umweg über federal common law begründen läßt, daß Muttergesellschaften direkt für Sanierungskosten haften, ist nicht nur aus methodischer oder dogmatischer Sicht von Interesse. Praktisch bedeutsam wären vor allem die verfassungsorganisationsrechtlichen Implikationen, wenn die Direkthaftung als Regel des gemeinen Bundesrechts gedeutet würde: Wann immer ein Bundesgericht eigenes (Richter-) Recht formuliert, betritt es — anders als bei der Auslegung — einen Grenzbereich seiner Kompetenzen. Damit werden Fragen sowohl der vertikalen als auch der horizontalen Gewaltenteilung aufgeworfen: In der vertikalen Dimension geht es um die Kompetenzverteilung zwischen der Bundes- und der gliedstaatlichen Ebene: Die Bundesgerichte dürfen nur dann federal common law zu einem Bundesgesetz entwickeln und damit in die Regelungshoheit der einzelnen Gliedstaaten eingreifen, wenn sich eine entsprechende Ermächtigimg — ausdrücklich oder implizit — aus dem Gesetz ergibt.746 Prima facie kollidiert die direkte Betreiberhaftung von Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA zwar nicht mit gliedstaatlichen Regelungen, da eine derartige Haftung dort nicht vorgesehen ist.747 Inhaltlich steht sie jedoch in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz beschränkter Haftung, der im Kapitalgesellschaftsrecht aller Gliedstaaten fest verankert ist.748 Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren: Für eine bundesweite gemeinrechtliche Regelung, die eine Haftung von Muttergesellschaften im Widerspruch zum gliedstaatlichen Recht zuläßt, sei kein Raum; als federal common law sei die wie in § 101(21) CERCLA — Nachfolgeunternehmen mit ein; dies bestätigt 1 U.S.C. §§ 5. Gleiches läßt sich von Mutterunternehmen jedoch nicht sagen. 745

Bator/Meitzer/Mishkin/Shapiro,

Federal Courts and Federal System, S. 863.

746

Näher zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung von federal common law oben § 3.1.1.b).aa).(l). 747 Diese Aussage ist — zugegebenermaßen — nicht ganz korrekt: Soweit einzelne USBundesstaaten eigene, dem CERCLA nachgebildete Altlastengesetze (sog. State Superfund Laws) erlassen haben, stellt sich die Kollisionsfrage natürlich unmittelbar. Aus Gründen der Vereinfachung wird dieser Aspekt hier jedoch vernachlässigt. 748

Eingehend zu diesem Spannungsverhältnis unten § 5.II. 1.

I. Auslegung des CERCLA im Hinblick auf die Haftung

181

Direkthaftung daher unzulässig.749 Für den Durchgriff in CERCLA-Fällen wurde jedoch bereits nachgewiesen, daß die Interessenlage dafür spricht, federal common law zu entwickeln.750 Dieses Ergebnis gilt erst recht für die Betreiberhaftung, 751 die — anders als der Durchgriff — im gliedstaatlichen Recht noch nicht einmal ein Pendant findet. Horizontal betrachtet besteht die Gefahr, daß Bundesgerichte die Grenze zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung überschreiten, wenn sie richterrechtliche Grundsätze formulieren. 752 Es finden sich denn auch einzelne Stimmen, die dafür plädieren, eine Entscheidung für oder gegen eine Direkthaftung von Anteilseignern gemäß § 107(a) CERCLA dem Kongreß zu überlassen.753 Überzeugend erscheinen solche Einwände — jedenfalls auf den ersten Blick — nicht: Immerhin wurde oben754 festgestellt, daß die vom Gesetzgeber (sie!) vorgegebene Politik des CERCLA eine Direkthaftung unter Umständen nicht nur zuläßt, sondern sogar erfordert. Eine genauere Analyse dieses Gewaltenteüungsaspekts würde freilich voraussetzen, die Rolle der Gerichte im Verfassungssystem der USA allgemein zu definieren. 755 Das kann an dieser Stelle 749

Mit diesem Argument setzt sich auch Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 184, auseinander.

750

Siehe oben §3.1.1 .b).aa).(2). am Ende.

751

Auch Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 186, befürwortet im Ergebnis einen gemeinen bundesrechtlichen Betreiberbegriff. 752 Vgl. Northwest Airlines v. Transport Workers Union, 451 U.S. 77, 94, 101 S.Ct. 1571, 67 L.Ed.2d 750 (1981): "[D]ie bundesweite gesetzgebende Gewalt ist dem legislativen, nicht dem judikativen Arm der Staatsgewalt übertragen; deshalb 'unterliegt bundesweites gemeines Recht der übergeordneten Zuständigkeit des Kongresses'." (quoting New Jersey v. New York, 283 U.S. 336, 348, 51 S.Ct. 478, 75 L.Ed. 1104 (1931)) (Original in Englisch). 753

So etwa Joslyn Corp. v. T.L. James & Co., Inc., 696 F.Supp. 222, 225f. (W.D.La. 1988), aff'd, 893 F.2d 80, 83 (5th Cir. 1990); aus der Literatur: Dadswell, a.a.O. (Fn. XX), S. 489. Vgl. zum Verständnis des § 107(a) CERCLA allgemein auch Redwing Carriers v. Saraland Apartments, Ltd., 875 F.Supp. 1545, 1556 (S.D.Ala. 1995): "Nur der Kongreß hat die Ressourcen, um adäquat zu untersuchen und festzustellen, ob die Haftung gemäß dem CERCLA zusätzlichen Parteien auferlegt werden sollte." (Original in Englisch). 754 755

§4.I.l.b).cc).

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 10; Noonan, a.a.O. (Fn. 95), S. 747f. Es überrascht daher nicht, in einem Urteil zum Eigentümer- und Betreiberbegriff des § 107(a) CERCLA folgende Standortbestimmung des Gerichts zu finden: "Die Aufgabe eines Gerichts besteht nicht weniger darin, immanente Grenzen [des Gesetzes] zu finden und anzuwenden, als andere Entscheidungen des Gesetzgebers zu implementieren." Edward Hines Lumber Co. v. Vulcan Materials Co., 862 F.2d 155, 157 (7th Cir. 1988) (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser).

182

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

nicht geleistet werden: Für die hier vorzunehmende Beurteilung der Direkthaftungs-Rechtsprechung aus der Sicht des amerikanischen und deutschen Konzernhaftungsrechts wären derart allgemeine verfassungsrechtliche Erwägungen ohne Belang. Es soll deshalb genügen festzustellen: Die Direkthaftung von Muttergesellschaften im Rahmen des CERCLA auf gemeines Bundesrecht zu stützen, würde die Prinzipien vertikaler und wohl auch horizontaler Gewaltenteilung nicht verletzen. Also kann dahinstehen, ob sich dieses neue Haftungsmodell durch Auslegung aus dem Gesetzestext gewinnen läßt oder ob es auf federal common law beruht. Die oben756 unter der Überschrift "Auslegung" angestellten Überlegungen zum Wortlaut und zu den Zielen des CERCLA wären inhaltlich auch im Zusammenhang mit federal common law relevant: für die Beantwortung der Frage, ob die Bundesgerichte eigenes gemeines Recht entwickeln dürfen.

Π. Ökonomische Analyse als normative Kontrollüberlegung Ökonomische Erwägungen können der Direkthaftung von Muttergesellschaften eine zusätzliche Rechtfertigung verleihen — vorausgesetzt, sie fuhren zu denselben Schlußfolgerungen, die auf der Grundlage der Politik des CERCLA entwickelt wurden.757 Nachfolgend wird versucht, mit Hilfe ökonomischer Analyse zu verifizieren, daß die Direkthaftung unter bestimmten Bedingungen zur Umsetzung der Gesetzesziele beiträgt. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bereits in den Gesetzesmaterialien zum CERCLA758 sowie in einzelnen Urteilen und zahlreichen Literaturäußerungen zur Betreiberhaftung von Konzernmüttern. 759 Er entspricht auch der modernen Tendenz in der amerikanischen Rechtswissenschaft und -praxis: Rechtsfragen werden nicht mehr ausschließlich anhand streng juristischer Auslegungs- und Arbeitsmethoden, sondern unter Mitberücksichtigung wirtschaftlicher Maßstäbe beantwortet.760 Dadurch treten im Haftungsrecht Allokations- und Effizienzgesichtspunkte neben die Topoi aristotelischer Ethik.761

756

Vgl. insgesamt §4.1.1.

757

Zu diesen Schlußfolgerungen oben §4.1.1 .b).cc).

758

So z. B. in S. Rep. No. 848, 96th Cong., 2d Sess., 34 (1980).

759

Vgl. die einzelnen Nachweise in den folgenden Abschnitten.

760

Vgl. Fikentscher, a.a.O. (Fn. 534), Bd. II, S. 437. Fraglich erscheint allerdings, ob dessen einsilbige Feststellung: die ökonomische Analyse sei "[e]in weiterer Aspekt allgemeiner Rechtskritik" dem großen Stellenwert gerecht wird, den diese Methode heute in den USA hat.

II. Ökonomische Analyse

183

Eine wertende Betrachtung, die über die soeben skizzierte — konzernhaftungsrechtliche — Fragestellung hinausginge, würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchimg sprengen. Es wird deshalb unterstellt, daß die Gesamtkonzeption762 des CERCLA, und hier insbesondere seiner Haftungsregelung, grundsätzlich geeignet ist, sowohl gerechte und billige als auch ökonomisch optimale Ergebnisse hervorzubringen. Beide Prämissen sind diskutabel, wenn nicht sogar unrealistisch.763 Dennoch erscheint es vertretbar, auf eine Fundamentalkritik am Ansatz des CERCLA zur Bewältigung des Altlastenproblems zu verzichten: Die Direkthaftungs-Rechtsprechung stellt derart grundsätzliche Fragen selbst nicht; vielmehr akzeptiert sie die allgemeine Haftungskonzeption und wendet sie — weitgehend unkritisch — auf Muttergesellschaften an.

1. Untersuchung der Direkthaftung im Hinblick auf die Gesetzesziele

Ausgangspunkt der Analyse sind also die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele des § 107(a) CERCLA. Diese müssen in entsprechende ökonomische Kategorien übersetzt werden, auf deren Grundlage die Frage beantwortet werden kann, die den Kern jeder ökonomischen Betrachtung einer rechtlichen Regelung bildet: Führt diese Regelung (hier: die Direkthaftung von Obergesellschaften für Altlasten) zu einer gesamtwirtschaftlich optimalen Ressourcenallokation?764 Im vorliegenden Zusammenhang, in dem es um die Ziele des CERCLA geht, wird zunächst nur eine Seite dieses Allokationsmechanismus dargestellt: inwiefern die direkte Haftung dazu beiträgt, das Gut einer nicht chemikalien-verseuchten Umwelt effizient wiederherzustellen bzw. zu schützen. Die mögliche Kehrseite — welche Auswirkungen die Haftung auf die Investitionstätigkeit und die Effizienz der Wirtschaftsunternehmen insgesamt hat — wird später765 untersucht.

761

Beide Ansätze fuhren aber häufig zu identischen Ergebnissen. Vgl. Kästle, a.a.O. (Fn. 18), S. 43 u. passim. 762

Gemeint sind etwa die Auswahl sanierungsbedürftiger Standorte, die Bestimmung geeigneter Sanierungsmaßnahmen und -ziele ("how clean is clean?") sowie die allgemeinen Wesensmerkmale der Haftung (verschuldensunabhängig und rückwirkend). 763

So bestehen zum Beispiel grundsätzliche Zweifel, ob eine Gefährdungshaftung — wie die Haftung gemäß § 107(a) CERCLA — mit dem Gedanken der corrective bzw. compensatory justice vereinbar ist, der seinen Ursprung in der Ethik Aristoteles' hat. Siehe hierzu Coleman , a.a.O. (Fn. 671), S. 427f.; Posner, 10 J. Legal Studies 187, 200 u. passim (1981). 764

Näher hierzu Posner, Economic Analysis of Law, S. 23ff. u. passim.

765

Unten § 5.III.2.

184

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

a) Sanierung bestehender Altlasten Die zentrale Funktion der Haftungsregelung des CERCLA besteht darin, Verantwortliche für die Sanierung bestehender Altlasten heranzuziehen — vorzugsweise durch aktive Beteiligung, hüfsweise im Regreßwege.766 Anstatt auf herkömmliche (rechtliche) Zurechnungskriterien zurückzugreifen, definiert die ökonomische Analysemethode solche haftungsrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne des Effizienzgedankens: Die gesellschaftlichen Kosten einmal eingetretener Schäden werden minimiert, wenn sie denjenigen Personen auferlegt werden, die als optimale Kostenträger erscheinen.

aa) Muttergesellschaften als optimale Kostenträger? Wirtschaftliche Überlegungen sprechen dafür, Schadenersatzforderungen möglichst breit zu streuen und insbesondere gegen finanzkräftige Schuldner zu richten. So wird nur Geld abgeschöpft, das (für die Betroffenen) einen relativ geringen Grenznutzen hat.767 Ob die CERCLA-Betreiberhaftung von Muttergesellschaften dem Ideal der Kostenstreuung768 entspricht, ist fraglich. Theoretisch wird damit zwar der Kreis der haftbaren Personen erweitert, 769 praktisch jedoch eher das Gegenteü bewirkt: Der erleichterte Zugriff auf Konzernmütter ist ganz im Sinne der EPA, die von mehreren potentiell haftbaren Personen üblicherweise nur die zahlungskräftigste(n) herausgreift und verklagt.770 Mit dieser Praxis beschränkt die Umweltbehörde ihre Prozeßkosten; das Ziel einer möglichst breiten Verteilung der Schadenskosten wird aber unterlaufen.

766

Siehe oben § 4.1.1.b).bb).(l).

767

Näher hierzu das — für die ökonomische Analyse des Haftungsrechts — grundlegende Werk: Calabresi , Costs of Accidents, S. 39ff. Vgl. auch Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 596 m. w. N. 768

Im Fall des CERCLA erklärte der Kongreß die Streuung von Haftungsrisiken ausdrücklich zum Gesetzesziel. Vgl. die Nachweise in United States v. Price, 577 F.Supp. 1103, 1114 (D.N.J. 1983), u. bei Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 862, Fn. 48. Gleichwohl meint Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 33, der Aspekt der Risikoverteilung spiele in der Direkthaftungs-Rechtsprechung keine Rolle (vgl. aber a.a.O., S. 3f.). 76 9

Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 626, meint allerdings: Solange die Zahl der Aktionäre des (Tochter-)Unternehmens klein sei, werde keine nennenswerte Risikostreuung erreicht. 770

Vgl. Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 915f. In der amerikanischen Praxis wird in diesem Zusammenhang anschaulich vom "deep pocket syndrome" gesprochen.

II. Ökonomische Analyse

185

Zudem darf bezweifelt werden, ob sich Muttergesellschaften als Träger der Kosten, die aus unsachgemäßer Gefahrstoffbeseitigung in Anlagen ihrer Töchter resultieren, besonders eignen. Im Vergleich zu den Tochterunternehmen selbst oder zu leitenden Angestellten verfugen sie zwar typischerweise über ein großes Eigenkapital; sie sind daher grundsätzlich geeignet, auch größere Schäden zu absorbieren. Doch selbst für wohlhabende Konzernmütter sind die Kosten der Sanierung einer CERCLA-Altlast häufig besorgniserregend hoch. Daher ist wahrscheinlich, daß mit der Direkthaftung (auch) auf Vermögen zugegriffen wird, das (für die betroffene Konzernmutter) einen vergleichsweise hohen Grenznutzen hat. Dieser nachteilige Effekt würde weitgehend vermieden, wenn Muttergesellschaften nur ausnahmsweise — im Wege des Durchgriffs — belangt werden könnten.

bb) Möglichkeiten der Risikoverlagerung und -Streuung Trotzdem wäre die Direkthaftung nicht ineffizient, wenn Obergesellschaften in der Lage wären, die auf sie entfallenden Haftungsrisiken — von vornherein oder nachdem sie sich realisiert haben — zu verlagern und dabei weiter zu streuen.771 Es kommen drei Mechanismen in Betracht, mit deren Hilfe eine Konzernmutter das Risiko einer Haftung für Altlastenschäden möglicherweise auf Dritte überleiten kann: (private) Versicherung, höhere Produktpreise für Abnehmer oder verringerte Dividendenzahlungen an ihre Aktionäre. Besonders vielversprechend erscheint auf den ersten Blick die Möglichkeit, daß Konzernmütter ihre Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 107(a) CERCLA privat versichern. Grundsätzlich sollte ein Risiko von demjenigen versichert werden, der durch einen Informationsvorsprung in die Lage versetzt ist, die Wahrscheinlichkeit und Größe eines eventuellen Schadens möglichst genau einzuschätzen; auf diese Weise werden Kalkulationsunsicherheiten minimiert und Versicherungsprämien klein gehalten (Stichwort: least cost insurer). 111 Das würde dafür sprechen, solche Mutterunternehmen für Sanierungskosten in die Pflicht zu nehmen, die aktiv am Umgang mit Gefahrstoffen in der Anlage ihrer Tochter beteiligt waren und die daraus resultierenden Gefahren erkennen konnten.773

771 Vgl. zu den Möglichkeiten einer (sekundären) Risikostreuung Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 45ff. 772

Vgl. Halpern/Trebilcock/Turnbull, Ribstein, 50 Md. L. Rev. 80, 128f. (1991). 773

Ähnlich N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 995.

30 U. Tor. L. J. 117, 146 (1980); siehe auch

186

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Indes: Diese Argumentation setzt — unzutreffend — voraus, daß die aus Altlasten fließenden Risiken überhaupt versicherbar sind. Versicherbarkeit ist ein generelles Problem, 774 das sich hier in besonderer Schärfe stellt: Die haftungsrechtlichen Maßstäbe bei § 107(a) CERCLA sind ebenso unklar wie weit, und es werden immer neue Erkenntnisse über die Gefährlichkeit bestimmter Stoffe oder Standorte gewonnen — mit der Konsequenz, daß Versicherungsunternehmen das Haftungsrisiko kaum mehr kalkulieren können.775 Dies hat dazu geführt, daß der Markt für Versicherungen gegen Altlastenschäden in den USA zusammengebrochen ist. 776 Neue Versicherungen sind praktisch nicht mehr oder nur noch zu prohibitiv hohen Kosten zu haben.777 Inwieweit bestehende Policen das Haftungsrisiko aus § 107(a) CERCLA abdecken, ist Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten.778 Auch die durch den SARA eingeführte Möglichkeit, daß betroffene Unternehmen auf vertraglicher Basis

77 4

Halpern/Trebilcock/Turnbull, a.a.O. (Fn. 772), S. 140ff., weisen daraufhin, daß eine Versicherung bestimmter Risiken nur dann angeboten wird, wenn es dem Versicherungsunternehmen gelingt, Phänomene wie moral hazard (mangelnder Schutzwille des Versicherten) und negative Auslese (der Risiken) in Zaum zu halten und durch Diversifizierung (das heißt eine Kombination nicht korrelierender Risiken) das Gesamtrisiko aus dem Versicherungsgeschäft weitgehend zu eliminieren. 77 5

The Economist vom 3. Dezember 1994, Survey Insurance, S. 10; vgl. Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1249f.;W7wte, 25 Houst. L. Rev. 899, 920 (1988). Eine detaillierte Darstellung des Problems findet sich bei Semeraro, a.a.O. (Fn. 664), S. 235ff. 776

Eine ausführliche Darstellung der gegenwärtigen Versicherungskrise und möglicher Lösungsansätze, die im Zusammenhang mit einer geplanten CERCLA-Novelle Ende 1994 diskutiert wurden, findet sich in The New York Times vom 22. September 1994, Seite D l . 77 7

Allen, a.a.O. (Fn. 42), S. 63 m. w. N.; Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 181; Green, a.a.O. (Fn. 703), S. 928f. m. w. N.; Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1249f.; N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1573ff.; Segerson, 16 J. Env. Econ. and Mgmt. 1, 3 u. 6 (1989); The Economist , a.a.O. (Fn. 775), S. 10; Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 22 m. w. Νr,White, a.a.O. (Fn. 775). Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 42, hält es allerdings für möglich, daß die gegenwärtige Krise nur vorübergehend sei, weil die VersicherungsWirtschaft eine Experimentierphase durchlaufe. Das Problem, daß Versicherungen — zumindest gegen schleichende Umweltrisiken wie Altlasten — nicht mehr angeboten werden, stellt sich inzwischen auch in Europa: Smith/Hunter, 21 ELR 10718, 10725 (1991). 778

Vgl. allgemein Thompson, a.a.O., S. 21 unten.

II. Ökonomische Analyse

187

Risikogemeinschaften bilden und gemeinsam Versicherungsschutz erwerben,779 bietet vor diesem Hintergrund keine wirkliche Lösung.780 Als Alternative wird angeregt, daß Unternehmen das Risiko einer Haftung gemäß § 107(a) CERCLA in Form von Risikoprämien (also höheren Preisen) an Abnehmer ihrer Produkte weitergeben.781 Schon Calabresi erkannte diese Möglichkeit der Risikostreuung — und ihre Schwächen: Sie kann überhaupt nur funktionieren, wenn die Marktverhältnisse Preiserhöhungen zulassen, die besondere Haftungsrisiken eines Herstellers reflektieren. 782 Im vorliegenden Kontext kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. So profitiert eine haftende Konzernmutter allenfalls mittelbar — durch Dividendenzahlungen oder andere Transferleistungen — von Preisaufschlägen auf Produkte ihrer Tochter.783 Vor allem aber kann ein Haftungsrisiko, das bestimmten Herstellungsprozessen anhaftet, nur dann auf Abnehmer der Produkte abgewälzt werden, wenn es ex ante erkennbar ist. Diese Voraussetzung war in vielen Fällen, in denen sich die Gefährlichkeit bestimmter Stoffe heute in einer Altlast manifestiert, nicht gegeben.784 Unter solchen Bedingungen war eine Abwälzung des Risikos auf Abnehmer ausgeschlossen. Einen weiteren Mechanismus zur (nachträglichen) Risikostreuung könnte man darin sehen, daß Schadenersatzpflichten einer Muttergesellschaft deren Gewinn schmälern und so auf die Gesamtheit der Aktionäre zurückfallen. Auch dieser Gedanke überzeugt jedoch nicht: Erstens befindet sich gerade in Konzernfällen typischerweise - wenn überhaupt - nur ein kleiner Teil der Aktien in Streubesitz. Eine nennenswerte Risikostreuung läßt sich schon aus diesem Grund nicht erreichen. Zweitens ist mit der Inanspruchnahme einer Gesellschaft für CERCLA-Verbindlichkeiten nicht unbedingt eine Kürzung der Dividenden in gleichem Ausmaß verbunden. Das heißt, ein Unternehmen bleibt vielfach zumindest auf einem Teil seines Verlustes "sitzen". Drittens betreffen große Schadenersatzpflichten einer Konzernmutter unter Umständen nicht nur deren 779

Vgl. 42 U.S.C. §§ 9671-9675. Hierzu Rodgers, a.a.O. (Fn. 5), S. 496 m. w. N.

780

Allein durch die Bildung einer Risikogemeinschaft wird noch keine versicherungsgleiche Risikostreuung erreicht. Da eine solche Gemeinschaft nur potentiell haftbare Unternehmen umfassen kann, ist sie zu homogen und vermag daher keine Diversifizierung von Risiken zu bewirken. Der Abschluß von Gruppenversicherungsverträgen trifft auf das bereits dargestellte Problem, daß Versicherungen gegen Altlastenschäden praktisch nicht angeboten werden. 781

Vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 596f.

782

Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 53.

783

Vgl. zu diesem Aspekt bereits oben § 4.1.1 .b).bb).(l).(b.)(cc.).

784

Vgl. bereits oben § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(bb).

188

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Aktionäre (die ihr Investitionsrisiko durch überlegte Portfolio-Gestaltung reduzieren können785), sondern auch andere Stakeholders wie insbesondere Führungskräfte des Mutterunternehmens. Diese eignen sich schlecht als endgültige Risikoträger, da ihr Humankapital häufig firmenspezifisch und das Risiko von Einbußen daher nicht diversifizierbar ist.786

cc) Ergebnis Aus alldem folgt, daß Muttergesellschaften ihr Risiko einer Haftung gemäß § 107(a) CERCLA nur unter relativ engen Voraussetzungen streuen können: wenn sie über (alte) Versicherungspolicen verfügen, die dieses Risiko abdekken; oder wenn sie die Gefahren aus dem Umgang mit toxischen Stoffen in einer Anlage ihrer Tochter ex ante erkennen und Preisaufschläge auf deren Produkte durchsetzen konnten. In allen übrigen Fällen sind Konzernmütter keine effizienten Risikoträgerinnen. Will heißen: Die Allgemeinheit erscheint besser geeignet, um die Kosten der Sanierung bestehender Altlasten zu tragen.787 Dies gilt um so mehr, da der CERCLA eine Finanzierung des Superfund aus allgemeinen und besonderen Steuern vorsieht. Insofern ist dort bereits ein Mechanismus zur Kostenverteilung angelegt.788

b) Verantwortungsvoller

Umgang mit Gefahrstoffen

in der Zukunf

Neben der Bewältigung des bestehenden Altlastenproblems steht das Ziel des CERCLA, Unternehmen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Gefahrstoffen in der Zukunft anzuhalten.789 Ob von der Haftungsregelung in § 107(a) CERCLA eine solche Steuerungswirkung ausgeht, steht und fällt damit, ob die Risiken im Zusammenhang mit Altlasten internalisiert werden und als Kosten Eingang in das unternehmerische Kalkülfinden. Erst dadurch wird für die betroffenen Unternehmen das gesamte "Bild" sichtbar: Den zusätzlichen 785

Näher unten § 5.III.2.a).bb).

786

Anderes gilt für die Mitarbeiter von Tochterunternehmen, vgl. unten § 4.ü.l.b).bb). 787

Im Ergebnis ebenso, aber ohne die soeben genannten Ausnahmen: Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 174. Zweifel an der Eignung der Allgemeinheit als Risikoträgerin äußert hingegen Segerson, a.a.O. (Fn. 777), S. 3 788 So Laseter/Long, a.a.O. (Fn. 667), S. 1038, im Hinblick auf die Haftung von Nachfolgeunternehmen. 789

Oben § 4.1.l.b).bb).(2).

II. Ökonomische Analyse

189

Kosten, die eine sachgerechte Gefahrstoffbeseitigung verursachen würde,790 treten die Folgekosten einer Fortsetzung unverantwortlicher Praktiken gegenüber.791 Dieser Internalisierungsgedanke, der oben792 bereits erwähnt wurde, wird nachfolgend mit Hilfe ökonomischer Analyse näher beleuchtet.

aa) Internalisierung von Altlastenschäden durch § 107(a) CERCLA Eine Haftungsnorm wie § 107(a) CERCLA sorgt dafür, daß Unternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Umwelt in Form zusätzlicher Kosten zu spüren bekommen. Unter der Annahme eines funktionierenden Marktes793 beeinflussen diese Kosten über den Preismechanismus das Konsumverhalten der Allgemeinheit. Weil deren Nachfrage auf die Produktionsentscheidungen der Unternehmen zurückwirkt, werden Schadensrisiken von diesen (nur) im gesamtwirtschaftlich optimalen Umfang eingegangen.794 Dieses Ziel wird auf zwei — nebeneinander verlaufenden — Wegen erreicht: durch die Drosselung oder Einstellung einer Produktion, deren Kosten (in Form möglicher späterer Altlasten) als zu hoch empfunden werden, und durch die Verbesserung von Herstellungsprozessen nach ökologischen Gesichtspunkten.795 Hinter alldem steht die Annahme, daß die Allgemeinheit ihre Präferenzen selbst am besten kennt und bewerten kann. So ist dem Verbraucher die Entscheidung überlassen, ob er Produkte kauft, deren Herstellung eine Verseuchung der Umwelt mit Gefahrstoffen nach sich zieht. Wenn der Hersteller weiß, daß er für die durch ihn verursachten Umweltschäden haften wird, verlangt er eine entsprechende Risikoprämie, also einen höheren Produktpreis. In ihrer Gesamtheit bewirken die individuellen Konsumentscheidungen, daß die Schädigung der Umwelt das gesellschaftlich erwünschte Niveau nicht überschrei-

790

Zu denken ist sowohl an die unmittelbaren Kosten des Einsatzes moderner Entsorgungstechniken als auch an Verluste durch Umsatzeinbußen infolge höherer Produktpreise. 791

Vgl. allgemein Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 69 u. passim, der diesen Ansatz — im Gegensatz zur Command-and- Ccw/rô/-Technik, die etwa dem RCRA zugrundeliegt — mit der Bezeichnung "general deterrence approach" belegt. 792

§ 4.1.1.b).bb).(2).(a). u. § 4.1.1.b).bb).(2).(b).(aa).

793

Das heißt: unter Wettbewerbsbedingungen, nicht unter den Bedingungen eines monopolistischen und durchweg wohl auch nicht eines oligopolistischen Marktes. 794

Pierce , a.a.O. (Fn. 708), S. 1289f.

795

Allgemein zu diesen zwei Wegen: Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 73.

190

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

tet.796 So wird eine gesamtwirtschaftlich optimale Ressourcenallokation erreicht. 797 Ob dieser Allokationsmechanismus funktioniert, hängt davon ab, daß der Schädiger (hier: das herstellende Unternehmen) die vollen Kosten seines Verhaltens zu tragen hat.798 Darin liegt kein Problem, wenn nur "freiwillige Gläubiger"799 (voluntary creditors) geschädigt werden: Diese haben per definitionem Gelegenheit, ein auf sie zukommendes Risiko bewußt einzugehen und sich in Transaktionen mit dem Schädiger von vornherein abzusichern.800 Auf den Marktmechanismus ist indes kein Verlaß, wenn "unfreiwillige Gläubiger"801 (involuntary creditors) betroffen sind: Sie werden zu Schadensträgern, ohne daß sie mit dem Verantwortlichen zuvor eine Entschädigung aushandeln konnten. Würde das Haftungsrecht hier nicht eingreifen und dem Verantwortlichen nachträglich die Kosten seines Verhaltens auferlegen, könnte dieser den Schaden als Externalität ignorieren. Eben diese Gefahr bestand — bis zum Inkrafttreten des CERCLA — im Hinblick auf Altlasten. Die unsachgemäße Entsorgung von Gefahrstoffen verursachte Umweltschäden und damit Kosten, ohne daß die betreffenden Unternehmen dafür einzustehen hatten. Die Bundesregierung hatte (und hat) schon mangels Kenntnis von der Entsorgungspraxis praktisch keine Möglichkeit, Unternehmen dazu zu bringen, die Risiken von vornherein als Kosten wahrzunehmen und zu internalisieren. Daherfindet sie sich in der Rolle einer "unfreiwilligen Gläubigerin" wieder, wenn sie später die Altlastensanierung

796

Mit dieser Aussage soll nicht suggeriert werden, daß die Bestimmung des (Umwelt-)Schutzniveaus dem freien Spiel der Kräfte auf dem Markt überlassen werden sollte: Hofstetten a.a.O. (Fn. 427), S. 107f. m. w. N., macht darauf aufmerksam, daß die ökonomische Analyse gerade im Bereich des Umwelthaftungsrechts zwar durchaus neue Erkenntnisse liefern kann, zugleich aber an immanente Grenzen stößt. 797

Zum Ganzen allgemein Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 69ff., der auch eine Reihe von prinzipiellen Schwächen dieser Theorie aufdeckt (a.a.O., S. 78ff.). Vgl. auch White, a.a.O. (Fn. 775), S. 918. 798

Calabresi , 70 Yale L. J. 499, 505 (1961); ders. t a.a.O. (Fn. 767), S. 70.

799

Zu diesem Begriff näher Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, S. 56f.; Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1920f. 800

Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 990. Im vorliegenden Zusammenhang wäre etwa an die Käufer von Grundstücken zu denken, auf denen sich Altlasten befinden. Sofern die Schadstoffbelastung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beiden Seiten bekannt ist, dürfte sie sich in einem Abschlag vom Kaufpreis niederschlagen. 801

Zu diesem Begriff näher Adams, a.a.O. (Fn. 799), S. 57f.; N.N., a.a.O., S. 990.

II. Ökonomische Analyse

191

übernimmt und finanziert. 802 Erkennt man darin einen Schaden, so bewirkt § 107(a) CERCLA, daß dieser wenigstens nachträglich auf den oder die Verantwortlichen übergeleitet wird. Theoretisch wird damit eine perfekte Internalisierung der von Gefahrstoffen ausgehenden Risiken erreicht. Andererseits weisen solche Risiken Charakteristika auf, die eine Internalisierung erschweren. Der Umfang und die Wahrscheinlichkeit späterer Schäden sind schwierig vorherzusagen, so daß Risikoaufschläge auf Produktpreise nicht exakt berechnet werden können.803 Unternehmen könnten deshalb — und wegen der oft langen Zeitspanne zwischen der Schädigungshandlung und der Entdekkung des Schadens — versucht sein, die durch einen Schaden möglicherweise entstehenden Kosten vollständig aus ihren Berechnungen auszublenden.804 Schon wegen der Größe des Haftungsrisikos bei § 107(a) CERCLA ist jedoch nicht zu besorgen, daß eine Internalisierung ganz unterbleibt. Zuzugeben ist lediglich, daß die unbekannten Größen in der Kalkulation den Internalisierungsmechanismus stören können. Das könnte die Effizienz der Ressourcenallokation mindern. Im Prinzip bleibt der dargestellte Mechanismus aber wirksam. Fazit: Die Haftung gemäß § 107(a) CERCLA fördert — im Bereich von Unternehmen, die mit Gefahrstoffen arbeiten — eine optimale Ressourcenallokation. Nach dem bisher Gesagten versteht sich von selbst, daß dieser positive Effekt nicht rückwirkend eintreten kann: Nur dem Unternehmen bekannte Kosten können in die Produktpreise einfließen, die wiederum von zentraler Bedeutung für den Allokationsvorgang sind. Die Folgekosten unsachgemäßer Gefahrstoffbeseitigung (das heißt: die Kosten von Altlastensanierungen) wurden aus Sicht der Industrie aber erst mit dem Inkrafttreten des CERCLA am 11. Dezember 1980 relevant. Eine Erstreckung der Haftung auf

802

Birg, a.a.O. (Fn. 94), S. 780, Fn. 39 m. w. N.; N.N., a.a.O., S. 991ff. In vergleichbarer Weise qualifiziert Landers, 43 U. Chi. L. Rev. 527, 529 (1976), den Staat in seiner Rolle als Empfanger von Steuern als "unfreiwilligen Gläubiger". 803

Kalkulationsunsicherheiten resultieren insbesondere daraus, daß die Kosten eines möglichen zukünftigen Schadens diskontiert werden müssen, um ihren gegenwärtigen Wert (net present value) zu bestimmen. Aus einer Reihe von Gründen ist es gerade in den hier interessierenden Fällen schwierig, den "richtigen" Diskontsatz (discount rate) zu ermitteln. Siehe Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 600ff. Vgl. auch Heidelberg, a.a.O. (Fn. 198), S. 915. Allgemein zur Kostenberechnung nach dem net present vû/we-Verfahren: Brealey /Myers, Principles of Corporate Finance, S. llff. u. passim. 804

Vgl. bereits oben § 4.1.1.b).bb).(2).(c).

192

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

"Altfälle" kann Produktionsentscheidungen nicht mehr beeinflussen und ist deshalb unter Effizienzgesichtspunkten nicht angezeigt.805

bb) Funktion der Direkthaftung von Muttergesellschaften Nicht ohne weiteres ersichtlich ist, in welcher Beziehung die Direkthaftung von Muttergesellschaften zum Internalisierungsziel des § 107(a) CERCLA steht: Schließlich haften nach dieser Vorschrift schon die Tochtergesellschaften selbst, wenn sie Gefahrstoffe verwenden und so entsorgen, daß dadurch die Umwelt geschädigt wird. Soweit diese Tochterunternehmen ihre Produkte selbst am Markt anbieten, sind sie zugleich in einer idealen Position, um das Haftungsrisiko in Form höherer Preise an ihre Abnehmer weiterzugeben. Wenn sie dies tun, wird der oben806 beschriebene Allokationsmechanismus in Gang gesetzt. Demnach scheint eine Internalisierung aller erheblichen Kosten auch ohne (direkte) Inanspruchnahme von Muttergesellschaften gewährleistet.807 Doch der Schein trügt. Denn in einer Rechtsordnung ohne Direkthaftung eröffnet der kapitalgesellschaftsrechtliche Grundsatz beschränkter Haftung findigen Unternehmensgruppen verschiedene Möglichkeiten, um sich einer möglichen Haftung für Altlastenschäden wenigstens teilweise zu entziehen. Eine — tatsächlich praktizierte808 — Strategie besteht darin, mit Gefahrstoffen verbundene Aktivitäten in spärlich kapitalisierte Tochtergesellschaften auszulagern. Dadurch kann das Haftungsrisiko — für die betroffene Tochtergesellschaft ebenso wie für diejenigen Konzernglieder, die deren Anteile halten — im Umfang dramatisch begrenzt werden. Der resultierende Kostenvorteil dürfte sich (auch) in niedrigeren Produktpreisen niederschlagen.809 Da die Preise dann nicht mehr die vollen gesellschaftlichen Produktionskosten reflektieren, kommt es zu einer suboptimalen Ressourcenallokation:810 Die Konsumentscheidungen stehen nicht mehr im Einklang mit den wahren Präferenzen der Allgemeinheit.

805

Näher White, a.a.O. (Fn. 775), S. 918f.; vgl. Semeraro, a.a.O. (Fn. 664), S. 239.

806

§ 4.H.l.b).aa).

807

So denn auch Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 628.

808

Vgl. oben §4.1.1 .b).bb).(2).(b).(aa)., insbesondere Fn. 722.

809

Michael Lehmann, ZGR 86, 345, 369, weist (mit Blick auf das deutsche Recht) zu Recht darauf hin, daß dadurch — unverdientermaßen — Wettbewerbsvorteile für konzernangehörige gegenüber unabhängigen Unternehmen entstehen können. 810 Vgl. N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 991f., wo von ineffizienten unternehmerischen Tätigkeiten die Rede ist.

II. Ökonomische Analyse

193

Dieser nachteilige Effekt ist allein mit der Drohung, im Falle einer Unterkapitalisierung811 der Tochtergesellschaft auf das Vermögen ihrer Mutter durchzugreifen, 812 kaum aufzuhalten. Gerade einer Konzernmutter813 stehen nämlich subtile, rechtlich schwer angreifbare Mittel zur Verfügung, um sich Vermögensgegenstände ihrer Tochter einzuverleiben und "ungestraft" deren Eigenkapital auszuhöhlen (asset-stripping). m Das gilt insbesondere in vertikal integrierten Konzernen mit zahlreichen Transfers zwischen den verbundenen Unternehmen: Hier kann eine Muttergesellschaft ein schleichendes assetstripping — etwa durch manipulierte Konzernverrechnungspreise — besonders gut hinter "üblichen" Transaktionen mit ihrer Tochter verbergen.815 Erschwerend kommt hinzu, daß Vorschriften gegen Veräußerungen mit gläubigerbenachteiligender Wirkung (fraudulent conveyance law) im Konzern weitgehend leerlaufen. 816 Nach alldem ist das Problem der Unterkapitalisierung bei Untergesellschaften besonders ernst zu nehmen.817 Eine weitere Möglichkeit, dem Haftungsrisiko aus § 107(a) CERCLA zu entgehen, bietet folgendes Szenario: Die schadensträchtigen Aktivitäten werden einige Jahre lang von einer Tochtergesellschaft ausgeübt. Bevor Schäden sichtbar 811 Bereits die Definition von "Unterkapitalisierung" bereitet im Hinblick auf den CERCLA besondere Schwierigkeiten: Durch die oftmals hohen Sanierungskosten, für die überdies gesamtschuldnerisch gehaftet wird, kann selbst eine "eigentlich" ausreichend kapitalisierte Tochtergesellschaft schnell überfordert sein. Vgl. Aronovsky /Fuller, a.a.O. (Fn. 109), S. 435. 812

Die Unterkapitalisierung des Tochterunternehmens ist ein wichtiger Gesichtspunkt für die Entscheidung, ob ein Durchgriff auf die Mutter gerechtfertigt ist. Siehe bereits oben § 3.1.1.b).bb).(l)., insbesondere Fn. 414. Näher Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 20ff.; rechtsvergleichend Michael Lehmann, a.a.O. (Fn. 809), S. 364 m. w. N. 813

Im Vergleich zu einem individuellen Aktionär einer unabhängigen Gesellschaft.

814

Vgl. Frost, 44 Hastings L. J. 449, 490ff. (1993); Rodden, 12 Int. J. Soc. Law 271, 279f. (1984); Schanze in: Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, S. 473, 480. Posner, 43 U. Chi. L. Rev. 499, 513f. (1976), scheint asset-stripping dagegen für ein praktisch weitgehend irrelevantes Phänomen zu halten: Er geht davon aus, daß konzernangehörige ebenso wie unabhängige Unternehmen jeweils als eigenständige ProfitCenter betrieben werden. Eine solche Annahme ist aber wohl unrealistisch. Siehe Landers, a.a.O. (Fn. 802), S. 533; vgl. auch Michael Lehmann, a.a.O. (Fn. 809), S. 368. 815

Frost, a.a.O., S. 481.

816

Näher hierzu a.a.O., S. 488f.; Hofstetten 15 N.C.J. ΙηίΊ L. & Com. Reg. 299, 316 m. w. N. (1990); Landers, a.a.O. (Fn. 419), S. 594ff. 817

Anders, nämlich aus Sicht der Gläubiger, ausgedrückt: Gläubiger eines Tochterunternehmens tragen nicht nur das übliche, jeder schuldrechtlichen Forderung anhaftende Liquiditätsrisiko sondern ein konzernspezifisch gesteigertes Ausfallrisiko. 13 Ochsenfeld

194

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

werden und Forderungen gegen die Tochter erhoben werden können, wird diese aufgelöst.818 Unter solchen Umständen besteht kein Anlaß, Schadenskosten bei der Preisgestaltung und bei Produktionsentscheidungen zu berücksichtigen819. Folglich wird die Ressourcenallokation in gleicher Weise gestört wie im Fall der Unterkapitalisierung. Auch dieses Problem stellt sich im Konzernkontext in verschärfter Form: Während die Liquidation eines unabhängigen Unternehmens mit extrem (das heißt häufig: prohibitiv) hohen Kosten verbunden ist, können die Ressourcen einer aufgelösten Tochtergesellschaft ohne große Verluste im Konzern weitergenutzt werden. Insbesondere Humankapital, das auf dem offenen Arbeitsmarkt wegen seiner Firmenspezifität unter Wert "gehandelt" würde, läßt sich meist in einem anderen konzernangehörigen Unternehmen adäquat einsetzen.820 Die obige Diskussion macht deutlich: Auf eine (volle) Internalisierung von Schadenskosten durch Tochtergesellschaften kann nicht vertraut werden. Als Ausweg bleibt nur, Konzernmütter — bei denen kaum zu befürchten ist, daß sie Schadenskosten durch Unterkapitalisierung oder Liquidation zu vermeiden suchen — zu einer Internalisierung zu bewegen. Dies kann der Durchgriff nicht leisten, da er die Haftungsbeschränkung an sich unberührt läßt und eine Inanspruchnahme der Muttergesellschaft nur ausnahmsweise erlaubt.821 Wirksame Abhilfe verspricht nur eine direkte Haftung, wobei jedoch folgende Grundregel zu beachten ist: Eine Internalisierung findet nur statt, wenn die Kosten des schädigenden Verhaltens dem wahrhaft Verantwortlichen auferlegt werden; dieser muß zudem in der Lage sein, Einfluß auf die entsprechenden Preise zu nehmen.822 Effizient ist ein direkter Zugriff daher nur im Hinblick auf

818

Vgl. Easterbrook/Fischel, (Fn. 83), S. 1884f.

a.a.O. (Fn. 370), S. 111; Hansmann/Kraakman,

a.a.O.

819

Diese Aussage gilt strenggenommen nur mit der Einschränkung, daß die (früheren) Aktionäre einer aufgelösten Gesellschaft noch einige Jahre für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, die zum Zeitpunkt der Auflösung bereits bestanden. Näher zu dieser Nachfolgehaftung unten § 6.1.3. 820 Vgl. Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 111, sowie Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 236, die solche Überlegungen im Zusammenhang mit der Insolvenz eines Tochterunternehmens anstellen. 821 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 17: "Sorge über eine Verlagerung der Haftung auf die Opfer von Delikten spielte in der Diskussion über beschränkte Haftung keine große Rolle." (Original in Englisch). 822

Calabresi , a.a.O. (Fn. 798), S. 505. Insbesondere die letztgenannte Voraussetzung ist im Hinblick auf individuelle Aktionäre unabhängiger Gesellschaften problematisch. Vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 626, die jedoch nicht zwischen solchen Aktionären und Muttergesellschaften differenziert.

II. Ökonomische Analyse

195

Mutterunternehmen, die sowohl die Gefahrstoffbeseitigung als auch die Preisgestaltung ihrer Töchter aktiv beeinflussen bzw. beeinflußt haben.823

cc) Effiziente Risikovermeidung durch Muttergesellschaften Die bisherige Darstellung konzentrierte sich darauf, wie § 107(a) CERCLA über den Preismechanismus bewirkt, daß Muttergesellschaften die Folgekosten einer unsachgemäßen Gefahrstoffentsorgung internalisieren. Doch natürlich hat auch die Umsetzung einer ökologisch verantwortlichen Unternehmenspolitik, die (reflexhaft) erreicht werden soll, ihren Preis. Zu denken ist nicht nur an die zusätzlichen Kosten, die unmittelbar durch eine umweltverträgliche — und daher aufwendigere — Behandlung von Gefahrstoffen entstehen. Hinzu kommen administrative Kosten bei der Implementierung und Überwachung derart verbesserter Praktiken. Für diesen bislang nicht berücksichtigten Aspekt enthält die ökonomische Analyse folgende Vorgabe: Eine Haftung für Schäden sollte stets demjenigen angedroht und ggfs. auferlegt werden, der das zugrundeliegende Risiko am kostengünstigsten vermeiden kann (least cost avoider). m Hintergrund dieses Postulats ist, daß dadurch die gesellschaftlichen Kosten der Risikovermeidung minimiert werden; entsprechend klein fallen Aufschläge auf die Produktpreise aus. Auf diese Weise wird die vom Marktmechanismus abhängige Ressourcenallokation optimiert, da sie nicht vor dem Hintergrund überhöhter Vermeidungskosten stattfindet.825 Nur unter idealen Marktverhältnissen826 wäre es egal, wem das Haftungsrecht Schäden ursprünglich zuordnet: Durch Transaktionen zwischen der Person, die rechtlich verantwortlich ist, und derjenigen, die das Risiko am günstigsten vermeiden kann, würde letzterer in jedem Fall die Risikovermeidung übertragen.827 Da solche Transaktionen jedoch praktisch mit erheblichen Kosten verbunden sind, unterbleiben sie in vielen

823

Im Ergebnis ebenso Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 181, die allerdings den Aspekt "Einfluß auf die Preisgestaltung" nicht nennt. 824

Calabresi , a.a.O. (Fn. 798), S. 135.

825

A.a.O., S. 134f.

826

Gemeint ist ein Markt, in dem keinerlei Transaktions- oder Rechtsdurchsetzungskosten anfallen. 827

Diese Aussage beruht auf dem Coare-Theorem, einem zentralen Konzept der ökonomischen Analyse. Danach entwickelt sich letztendlich immer eine optimale Allokation von Rechten und Verpflichtungen — wie auch immer diese Rechte und Verpflichtungen durch rechtliche Regelungen ursprünglich zugeordnet werden. Siehe hierzu Coase, 3 J. Law & Econ. Iff. (1960). 13*

196

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

Fällen. Effizient ist daher nur eine Haftungsregelung, die von vornherein die geeignete Person in Anspruch nimmt.828 Vor diesem Hintergrund fragt sich: Ist eine direkt haftende Muttergesellschaft in der Lage, die Risiken aus einer unsachgemäßen Gefahrstoffbehandlung durch ihre Tochter mit minimalen Kosten zu vermeiden?829 Diese Frage ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn ein Konzern hierarchisch gegliedert und die Konzernmutter an Entscheidungen über betriebliche Praktiken ihrer Tochter beteiligt ist. Dann nämlich kann die Obergesellschaft die Handhabung von Gefahrstoffen kostengünstig überwachen, ggfs. beeinflussen und umweltverträglich ausgestalten.830 Die EPA oder in Vorleistung tretende Unternehmen als Gläubiger des Anspruchs aus § 107(a) CERCLA hätten weitaus höhere administrative Kosten: Sofern diese Außenstehenden Risiken aus unsachgemäßer Gefahrstoffbeseitigung in (Tochter-)Gesellschaften überhaupt erkennen könnten, wäre deren Feststellung und Beseitigung durch sie unverhältnismäßig teuer.831 Auch unter dem Gesichtspunkt effizienter Risikovermeidung ist eine Direkthaftung von Muttergesellschaften demnach angebracht.832

2. Ergebnisse der ökonomischen Analyse neben der Auslegung des CERCLA

Vergleicht man die Ergebnisse der ökonomischen Analyse mit denen der Auslegung, so fällt eine weitgehende Übereinstimmung auf: Mit Hilfe beider Methoden läßt sich eine Direkthaftung für die Kosten der Sanierung bestehender Altlasten nur dann rechtfertigen, wenn die betreffende Konzernmutter das jeweilige Gefahrstoffrisiko ex ante erkennen konnte.833 Was die Haftung für

828

Vgl. zum Ganzen Calabresi , a.a.O. (Fn. 767), S. 135ff.

829

Vgl. Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1916, die eine ähnliche Frage allgemein im Zusammenhang mit einer nicht beschränkten Haftung von Aktionären für die Folgen von Delikten "ihrer" Gesellschaft stellen. 830

N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 993. Vgl. Hofstetten a.a.O. (Fn. 427), S. 107.

831

A.a.O., S. 993f.

832

Vgl. Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 236. Zum gleichen Ergebnis gelangt Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 172, in bezug auf eine Haftung von Aktionären unter den Voraussetzungen des Verhütungstestes. Die zusätzlichen Kosten, die unmittelbar durch sachgerechte Gefahrstoffbeseitigungstechniken entstehen, wurden hier bewußt nicht besonders berücksichtigt: Da sie — als Betriebskosten — auf jeden Fall von dem mit Gefahrstoffen hantierenden Unternehmen selbst zu tragen sind, stellt sich die Frage einer anderweitigen Zuordnung insoweit nicht. 833

Siehe einerseits oben § 4.1.1.b).cc). (zur Auslegung), andererseits § 4.II.l.a).cc). (zur ökonomischen Analyse). Allerdings spielen bei ökonomischer Sichtweise — anders

ΙΠ. Methodische Betrachtung

197

Schäden betrifft, die auf eine unsachgemäße Gefahrstoffbeseitigung nach dem Inkrafttreten des CERCLA am 11. Dezember 1980 zurückgehen, liegen die Ergebnisse ähnlich dicht beieinander: Muttergesellschaften können jedenfalls dann direkt in Anspruch genommen werden, wenn sie die Gefahrstoffbeseitigung (nach ökonomischer Analyse außerdem: die Preisbildung) durch ihre Töchter aktiv beeinflußt haben.834 Solche Übereinstimmungen bezeugen, daß die mit ökonomischer Analyse gewonnenen Ergebnisse durchaus Aussagekraft besitzen. Das versteht sich nicht von selbst (da die ökonomische Analyse von teilweise idealisierten, auf preistheoretischen Modellen beruhenden Annahmen ausgeht), ist aber gerade im vorliegenden Zusammenhang eine wichtige und beruhigende Erkenntnis. Denn wie die Auslegung ergeben hat, läßt sich die Direkthaftung von Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA ansonsten nur aus der Politik dieses Gesetzes ableiten.835 Die ökonomische Analyse hat insofern — höchst erwünschte, vielleicht sogar notwendige — zusätzliche Klarheit und Sicherheit gebracht.

Ι Π . Methodische Betrachtung: Direkte Betreiberhaftung als Beispiel für einen sektoralen Ansatz im Konzernhaftungsrecht

Für das deutsche Recht hat bereits Teubner dargelegt, daß "Ob" und "Wie" einer sektoralen Haftung von Konzernmüttern maßgeblich von der Zielsetzung bestimmt sein müssen, die hinter der betreffenden Haftungsnorm steht — von der Politik des Gesetzes also.836 Eben dieser sektorale Ansatz liegt den Urteilen zur direkten Betreiberhaftung von Muttergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA zugrunde. Die haftungsrechtliche Anknüpfung bleibt nicht bei der Rechtssubals bei der Auslegung des CERCLA — zusätzliche Aspekte eine Rolle: ob das Altlastenrisiko durch eine bestehende Versicherung abgedeckt ist und ob die Marktverhältnisse einen um eine Risikoprämie erhöhten Produktpreis zulassen. Vgl. a.a.O. 834 Vgl. einerseits oben § 4.1.1.b).cc). (zur Auslegung), andererseits § 4.II.l.b).cc). (zur ökonomischen Analyse). Genaugenommen führt die ökonomische Analyse in diesem Punkt noch einen Schritt weiter: Da unter anderem auf die Fähigkeit zu kostengünstiger Risikovermeidung abgestellt wird, braucht sich die Einflußnahme der Muttergesellschaft nicht unbedingt auf den Umgang mit Gefahrstoffen zu beziehen. In einer relativ günstigen Lage befindet sich eine Muttergesellschaft bereits, wenn sie mit ihrer Tochter derart verflochten ist, daß sie deren betriebliche Entscheidungen ohne weiteres steuern kann. Vgl. a.a.O. 835

Vgl. oben § 4.1.1.a).bb).(4). u. § 4.1.1.b).aa).

836

Vgl. Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 272 u. passim.

198

§ 4 CERCLA als Grundlage der Direkthaftung

jekteigenschaft der einzelnen Konzernglieder stehen, sondern orientiert sich stattdessen an den beiden Fernzielen des CERCLA: der effektiven Sanierung bestehender Altlasten sowie der Beeinflussung der unternehmerischen Praxis hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Gefahrstoffen. Diese vagen und allgemeinen Ziele lassen auf den ersten Blick jeden Bezug zum Konzernrecht vermissen. Daher liegt die Befürchtung nicht fern, die Feststellung einer (direkten) Haftung von Muttergesellschaften für Schäden aus dem Betrieb ihrer Tochter orientiere sich an diffusen Kriterien und werde zu einer unkalkulierbaren Billigkeitsentscheidung. Die vorangegangene Diskussion hat jedoch deutlich gemacht: Dem muß nicht so sein. Bei sorgfaltiger - und das heißt leider auch: aufwendiger - Analyse lassen sich einer Haftungsbestimmung wie § 107(a) CERCLA recht genaue Vorgaben für eine (direkte) Haftung von Muttergesellschaften entnehmen.837 Die Ergebnisse dieser Analyse können sogar kontraintuitiv sein, wie folgendes Beispiel zeigt: Vordergründig betrachtet, erscheint vor dem Hintergrund der Umweltschutzziele des CERCLA eine Haftung nach dem Motto: "je weitgehender, desto besser" angezeigt. Danach wäre es angebracht, eine Muttergesellschaft bereits dann haftbar zu machen, wenn sie in der Lage war bzw. ist, Einfluß auf die Gefahrstoffbeseitigung durch ihre Tochter zu nehmen (Möglichkeitstest).838 Die genaue Untersuchung der Gesetzesziele hat jedoch aufgedeckt, daß die Ausübung tatsächlicher Kontrolle das geeignete Kriterium für eine Inanspruchnahme der Muttergesellschaft gemäß § 107(a) CERCLA ist.839 Allerdings finden sich die Bedingungen und Einschränkungen hinsichtlich der Direkthaftung, die hier aus der Politik des CERCLA abgeleitet wurden, in der einschlägigen Literatur — wenn überhaupt — nur ansatzweise wieder. Auch viele Gerichte verfahren überraschend großzügig: In einigen Fällen wurden Muttergesellschaften beispielsweise haftbar gemacht, obwohl sie die Gefährlichkeit der beseitigten Stoffe ex ante nicht erkennen konnten.840 Solche Urteile sind

837

Im Fall des § 107(a) CERCLA haben sich die Kausalitätskonzeption und der Schädigertypus, die dieser Vorschrift zugrundeliegen, als besonders aufschlußreich erwiesen. 838

Wenn (mit der herrschenden Meinung) die tatsächlich ausgeübte Kontrolle zur Haftungsvoraussetzung gemacht wird, verbleibt einer Muttergesellschaft die Option, sich passiv zu verhalten: Auch wenn Gefahrstoffe von der Tochter erkennbar unsachgemäß entsorgt werden, kann sich die Konzernmutter einer Direkthaftung entziehen, indem sie sich nicht einmischt. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der Politik des CERCLA aber hinzunehmen. 839

Siehe oben § 4.1.l.b).cc).

840

Vgl. oben § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(bb).

ΠΙ. Methodische Betrachtung

199

aus zwei Gründen bedauerlich: Erstens tragen sie wesentlich zur Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung bei. Dadurch verschärft sich das Problem, daß die Steuerungswirkung einer konzernunspezifischen Norm wie des § 107(a) CERCLA, die erst durch Richtersprüche konkretisiert werden muß, im Hinblick auf Muttergesellschaften etwas diffus bleibt. Zweitens schießen die Gerichte über die Ziele des Gesetzes hinaus. Das ruft bei den Betroffenen — zu Recht — Kritik hervor. Zudem wird dadurch der Konflikt zwischen Haftungs- und Gesellschaftsrecht, der in einer sektoralen Konzernhaftung zwangsläufig angelegt ist,841 unnötig ausgeweitet. Der Versuch, mit einem sektoralen Ansatz im Konzernhaftungsrecht sachgerechte Ergebnisse zu erzielen, ist in diesem Fall also weitgehend mißlungen. Damit ist dieser Ansatz an sich aber nicht diskreditiert: Vorzuwerfen ist den Gerichten nicht ihr Bemühen, im Rahmen der Haftung von Muttergesellschaften den Vorgaben des CERCLA Rechnung zu tragen. Allein — einige Besonderheiten des gesetzlichen Modells zur Haftung für Altlasten wurden und werden zum Teil nicht (hinreichend) beachtet. Gleichwohl mag § 107(a) CERCLA als Beispiel dafür dienen, welche Schritte bei der Prüfung einer sektoralen Konzernhaftung zu durchlaufen sind: Erstens sollte festgestellt werden, ob Wortlaut oder Geschichte der Haftungsnorm klare Hinweise im Sinne einer Haftung von Muttergesellschaften enthalten. Der Befund dürfte insoweit regelmäßig negativ ausfallen. Läßt der Wortlaut eine Direkthaftung aber wenigstens zu, so ist zweitens die Zielsetzung der Haftungsnorm möglichst detailliert zu bestimmen. Daran schließt sich die - entscheidende - Frage an, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen diese Zielsetzung eine Haftung von Muttergesellschaften nahelegt.842 Drittens sollten die so gewonnenen Ergebnisse mit Hilfe ökonomischer Analyse im wesentlichen verifizierbar sein.843

841

Eingehend hierzu unten § 5.II. 1.

842

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß freiwillige Gläubiger eines Unternehmens grundsätzlich weniger schutzbedürftig sind als unfreiwillige. Vgl. hierzu (allerdings vor dem Hintergrund des deutschen Rechts) Kubier in: FS Heinsius, S. 397, 419ff. 843

Aufgrund der Besonderheiten der amerikanischen Gerichtsverfassung, innerhalb derer den Bundesgerichten nur eine beschränkte Rolle zufällt, schließt sich hier eine vierte Frage an: ob sich die Erstreckung der jeweiligen Haftungsnorm auf Muttergesellschaften im Wege der Auslegung oder nur mittels federal common law begründen läßt. Im letzteren Fall ist zu prüfen, ob die Bundesgerichte im konkreten Fall kompetent sind, solches federal common law zu entwickeln. Vgl. oben § 4.1.2.

§ 5 Abstimmung der Direkthaftung von Obergesellschaften mit dem Konzernrecht Daß die Inanspruchnahme von Kapitalgesellschaften im Zuge der Altlastensanierung besonderes Interesse erweckt, liegt auf der Hand. In immer stärkerem Maße geht sozial relevantes Verhalten — mit all seinen negativen Folgen wie etwa Umweltschäden — von Korporationen aus. Solche Schäden können gewaltige Dimensionen annehmen, weil ein als Verband organisiertes Unternehmen im Vergleich zu einer Einzelperson weit größere Handlungsmöglichkeiten hat.844 Der Erfolg rechtlicher Gestaltung hängt deshalb entscheidend davon ab, ob Haftungsregeln (wie § 107(a) CERCLA) mit der Korporation als einer grundlegenden Einheit gesellschaftlicher Aktivität adäquat umgehen.845 Mit der Anwendung allgemeiner Vorschriften auf Kapitalgesellschaften rücken zugleich gesellschaftsrechtliche Vorgaben ins Blickfeld — insbesondere der Grundsatz beschränkter Haftung im Verhältnis von Mutter- und Tochterunternehmen. Damit beschäftigen sich die nachfolgenden Ausführungen, nachdem bisher nur von den im CERCLA ausgedrückten umweltrechtlichen Vorgaben die Rede war.

Der Direkthaftungs-Rechtsprechung und einem Teil der einschlägigen Literatur wird vorgeworfen, sie unterließen die gebotene Abwägimg zwischen Umweltund Gesellschaftsrecht. Wo eine Betreiberhaftung von Konzernmüttern zur Diskussion stehe, werde den Zielen des CERCLA unbedacht der Vorzug gegenüber dem Prinzip der Haftungsbeschränkung gegeben.846 Solche Kritik findet sich bestätigt, wenn Gerichte ohne nähere Begründung etwa pauschal behaupten: "der CERCLA mißt der kapitalgesellschaftlichen Form keine Bedeutung bei"847, oder: die Haftungsbestimmungen des CERCLA dienten dazu, "verantwortliche Parteien unabhängig von der kapitalgesellschaftlichen For haften zu lassen".848 Andere Äußerungen aus Rechtsprechung849 und Lehre850 zum 844

Adams, a.a.O. (Fn. 799), S. 55 u. 79.

845

Vgl. Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 1.

846

So etwa Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-152; vgl. auch ders., a.a.O. (Fn. 370), S. 178; ähnlich Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 858. 847 U.S. v. Mottolo, 695 F.Supp. 615, 624 (D.N.H. 1988) (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 848

Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 599 (Original in Englisch, Hervorhebung durch den Verfasser). 849

Vgl. etwa In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp.

I. Prinzip beschränkter Haftung

201

Konflikt zwischen der Politik des CERCLA und dem Grundsatz der beschränkten Haftung sind jedoch differenzierter und zeugen von dem Bemühen, einen angemessenen Ausgleich zu finden. 851 Damit ist bereits angedeutet, wohin die nachstehenden Überlegungen führen sollen: zu einem — auf andere Bereiche des Haftungsrechts übertragbaren — Modell, um den beschriebenen Zielkonflikt im Rahmen des Konzernhaftungsrechts zu bewältigen.

I . Das Prinzip beschränkter Haftung als maßgebliche gesellschaftsrechtliche Vorgabe Den Hintergrund für die Entwicklung eines solchen Modells bildet das traditionelle kapitalgesellschaftsrechtliche Prinzip beschränkter Haftung. Nach dieser grundlegenden Regel ist die Haftung eines Anteilseigners für Verbindlichkeiten "seiner" Gesellschaft regelmäßig auf seine Einlage beschränkt.852 Das Prinzip setzte sich in den USA vornehmlich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sukzessiv durch853 und ist inzwischen854 im Gesellschaftsrecht aller

22, 32 (D.Mass. 1987); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 442 (D.Mass. 1991); Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1221 (3rd Cir. 1993); Sidney S. Arst v. Pipefitters Welfare Educ. Fund, 25 F.3d 417, 421 (7th Cir. 1994) (diese Entscheidung betrifft allerdings die Haftung eines individuellen Aktionärs einer unabhängigen Gesellschaft); Schiavone v. Pearce, 79 F.3d 248, 254 (2d Cir. 1996); Pinal Creek Group v. Newmont Min. Corp., 926 F.Supp. 1400, 1415 (D.Ariz. 1996). 850

Vgl. beispielsweise Cross , a.a.O. (Fn. 8), S. 85; Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 624.

851

Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Zielen des Gesellschafts- und des Umweltrechts zum Teil bereits im Rahmen einer — vorgelagerten — kollisionsrechtlichen Prüfung erfolgt. Dabei geht es zwar vordergründig um eine Gewichtung der Interessen von Einzelstaaten und Bund an der Geltung ihrer jeweiligen Rechte. Zwangsläufig gewinnt damit jedoch auch die Frage an Bedeutung, welchem Rechtsgebiet Vorrang einzuräumen ist: dem (gliedstaatlichen) Gesellschafts- oder dem (bundesweiten) Umweltrecht. Vgl. zu der kollisionsrechtlichen Abwägung bereits oben § 3.1.1.b).aa).(2). 852

Statt vieler: Gifis, a.a.O. (Fn. 73), S. 279.

853

Näher hierzu Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 23ff.; ders./Strasser, a.a.O. (Fn. 256), S. 188ff.; Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 159f.; Matheson/Olson, 65 Geo. Wash. L. Rev. 1, 6ff. (1996). Zur Entwicklung am Beispiel Massachusetts' (des ersten Gliedstaates, in dem beschränkte Haftung als allgemeine Regel gesetzlich festgeschrieben wurde): Dodd, 61 Harv. L. Rev. 1351, 1366ff. (1948). Zur zeitlich etwas späteren Entwicklung in England: Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 34f.; Blumberg, a.a.O., S. 9ff.; ders./Strasser, a.a.O., S. 186ff. 854

Noch bis 1931 galt allerdings in Kalifornien ein Gesetz, wonach Aktionäre für

202

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Gliedstaaten verankert. Eine bemerkenswerte Ausweitung hat es in den letzten Jahren durch die Anerkennung von limited liability companies durch die einzelstaatlichen Gesetzgeber erfahren. 855 Weithin wird das Privileg der Haftungsbeschränkung als prägendes und praktisch wichtigstes Charakteristikum von Kapitalgesellschaften angesehen.856 Doch können im Einzelfall (auch) andere Gründe für die Wahl der kapitalgesellschaftlichen Form von Bedeutung sein.857 Zu denken ist insbesondere an die Möglichkeit der Fremdorganschaft und die Geltung eines standardisierten Organisationsrechts.858 Im Falle von (US-amerikanischen oder multinationalen) Konzernen kommt hinzu, daß durch die gesonderte Inkorporation jeder Tochter die Zahl der Jurisdiktionen reduziert wird, in denen Ansprüche im Zusammenhang mit bestimmten Aktivitäten klageweise geltend gemacht werden können.859 Sinnvoll kann die Bildung separater Tochtergesellschaften auch sein, um die Geltung spezifischer regulatorischer Vorgaben für einzelne Tätigkeiten auf den betreffenden Unternehmensteil zu beschränken.860 Schon aus diesen weiteren Zwecken, aber auch aus der geschichtlichen Entwicklung läßt sich ersehen, daß die Haftungsbeschränkung kein konstitutives Merkmal der Kapitalgesellschaft ist.861

Gesellschaftsverbindlichkeiten pro rata persönlich hafteten. Vgl. Blumberg, a.a.O., S. 42ff. 855

Ausführlich zu dieser neuen Gesellschaftsform Thompson, a.a.O. (Fn. 502), S.

95ff. 856

Vgl. Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 89; Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 772; Matheson/Olson, a.a.O. (Fn. 853), S. 6; Ribstein, a.a.O. (Fn. 772), S. 89ff.; weitere Nachweise bei Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 122, insbesondere Fn. 44; aus rechtsvergleichender Sicht ähnlich Serick, a.a.O. (Fn. 367), S. 1. 857

Hamilton, a.a.O. (Fn. 366), S. 30ff.

858

Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 4f.

859

Hierzu näher Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 227 u. passim.

860

Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1041. Zu weiteren Vorteilen der Konzernform vgl. etwa die Übersicht bei Douglas/Shanks , a.a.O. (Fn. 251), S. 193. 861

So bereits Stevens, a.a.O. (Fn. 366), S. 18f. u. 838ff.; vgl. auch Vagts y a.a.O. (Fn. 378), S. 228. Zur geschichtlichen Entwicklung, in deren frühem Verlauf ^beschränkte Haftung die Regel war, vgl. Dodd t a.a.O. (Fn. 853), S. 1361ff.

I. Prinzip beschränkter Haftung

203

1. Grundlage und Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung

Allerdings steht das Prinzip der beschränkten Haftung in engem Zusammenhang mit der Anerkennung der Kapitalgesellschaft als juristische Person.862 Erst die konzeptionelle Loslösung der Gesellschaft von ihren Aktionären ermöglicht es, beide als voneinander unabhängige Zuordnungsobjekte mit jeweils eigenen Rechten und Pflichten zu begreifen. 863 Dies wiederum ist eine denklogische Voraussetzung für die oben864 wiedergegebene Grundregel: daß ein Aktionär für G^e//5cA^5verbindlichkeiten nicht persönlich und unbeschränkt haftet. Ist die eigene Rechtspersönlichkeit der Kapitalgesellschaft demnach als gedankliches Konstrukt unverzichtbar, so dürfen allein daraus jedoch keine weitergehenden Schlüsse gezogen werden:865 Die Anerkennung als Person ist eine rechtliche Fiktion866 und kann daher nicht als innere Begründung für die Haftungsbeschränkung herhalten. Allein aus dieser Anerkennung zu folgern, daß Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht den Gesellschaftern entgegengehalten werden können, liefe auf eine petitio principii hinaus.867 Getragen wird die Beschränkung der Haftung vielmehr von dem — jedenfalls im amerikanischen Gesellschaftsrecht gültigen868 — Grundsatz, daß zwischen Herrschaft und Haftung ein Gleichlauf bestehen sollte. Umgekehrt folgt aus

862

Stevens, a.a.O., S. 838f. m. w. N.; Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1039; Tschernig, a.a.O. (Fn. 73), S. 34f.; vgl. auch Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 7f.; Hamilton, a.a.O. (Fn. 366), S. lf. 863

Vgl. hierzu Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 287f.; Hamilton, a.a.O.; Lattin, Law of Corporations, S. 60; Stevens, a.a.O., S. 74ff. 864

§5.1.

865

Vgl. allgemein Berger, 55 Colum. L. Rev. 808, 814 (1955).

866

In der amerikanischen Rechtswissenschaft wird denn auch häufig von "corporate fiction" anstelle von "corporate personality" gesprochen. Ballantine, a.a.O. (Fn. 366), S. 2, bemerkt in diesem Zusammenhang: "[E]s ist ausschließlich eine Frage der Zweckdienlichkeit, die sprachliche Metapher oder Figur zu gebrauchen, mit Hilfe derer wir eine Gesellschaft als juristische Person bezeichnen." (Original in Englisch). 867

Davon geht - für das deutsche Recht - auch Lutter, a.a.O. (Fn. 305), S. 253f., aus, wenn er betont, daß die juristische Person eine Kreation des Rechts sei, die als solche dessen Zwecken untergeordnet bleibe und sich nicht etwa verselbständigen könne. Denn die juristische Person sei "eben kein 'Ding an sich' [...], kein Subjekt mit einem realen, auch für die Rechtsordnung unverrückbaren Sein wie der Mensch [...]." (Hervorhebung im Original). 868

Vgl. Blaurock, FS Stimpel, S. 553, 556f., der den Grundsatz vom Gleichlauf zwischen Herrschaft und Haftung im amerikanischem Recht daran festmacht, daß ein Kommanditist (limitedpartner) persönlich und unbeschränkt haftet, wenn er faktisch die Stellung eines Komplentärs (general partner) innehat.

204

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

diesem Grundsatz: Der Einzelaktionär einer Kapitalgesellschaft, der seine Anteile lediglich zu Investitionszwecken hält und — wegen der Vielzahl anderer Aktionäre — de facto keine Möglichkeit hat, die Entscheidungsbildung und das Management "seines" Unternehmens maßgeblich zu beeinflussen, bleibt zu Recht von persönlicher und unbeschränkter Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten verschont.869 Daß in diesem Gedanken die eigentliche Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung liegt, hat Antunes m im Rahmen seiner umfassenden rechtsvergleichenden Untersuchung zum Konzernhaftungsrecht nachgewiesen. Hinter dem Postulat eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung stehen grundlegende, letztlich philosophisch motivierte Fragen wie: Wann führt selbstbestimmtes und -verantwortetes Verhalten einer Person berechtigterweise zu deren Inanspruchnahme für etwaige negative Folgen? Für die Entwicklung des Prinzips beschränkter Haftung in den USA waren aber praktische, vor allem wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend: Man befürchtete, potentielle Investoren würden durch die drohende persönliche und unbeschränkte Haftung von einer Gesellschaftsgründung bzw. von einem Anteilskauf abgeschreckt. Damit war die Funktion der Kapitalgesellschaft als Instrument zur Beschaffung und Bündelung von Kapital, als Motor der industriellen Entwicklung, in Frage gestellt.871 Das Bestreben, der kapitalgesellschaftlichen Form zum Erfolg zu verhelfen, hatte (und hat) jedoch nicht nur eine gesamtwirtschaftliche, sondern zugleich eine demokratische Komponente: Es dient auch der Streuung von (wirtschaftlicher) Macht, wenn möglichst viele Bürger selbst unternehmerisch tätig werden oder sich wenigstens kapitalmäßig beteiligen.872

2. Erstreckung der Haftungsbeschränkung auf Muttergesellschaften

Der Siegeszug des Prinzips beschränkter Haftung in den USA ist in engem Zusammenhang mit der historischen Ausgangslage zu sehen: Jedenfalls während der ersten beiden Drittel des 19. Jahrhunderts existierten nur relativ wenige, allerdings durchweg große Kapitalgesellschaften, deren Anteile jeweils von einer Vielzahl natürlicher Personen gehalten wurden. Ein-Mann-Gesellschaften oder kleine, personalistisch geprägte Kapitalgesellschaften (close corporations )m gab 869

Ähnlich, aber etwas vorsichtiger formuliert N.N., 76 Yale L. J. 1190, 1197 (1967); vgl. auch Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 267.; Vagts, a.a.O. (Fn. 378), S. 229. 870

Amines, a.a.O. (Fn. 308), S. 124ff. u. passim.

871

Vgl. Antunes, a.a.O., S. 125; Presser, a.a.O. (Fn. 370), S. 155.

872

Ausführlich zu diesem demokratischen Ansatz Presser, a.a.O., S. 155f., 163,

174f. 873

Näher zum Begriff und zu den Charakteristika der close corporation : Bungert, GmbH im US-amerikanischen Recht — Close Corporation, S. 5ff. u. passim.

I. Prinzip beschränkter Haftung

205

es ebensowenig wie Konzerne; die kapitalmäßige Beteiligung einer Gesellschaft an einer anderen wurde erstmals im Jahre 1888 gesetzlich erlaubt und blieb noch jahrzehntelang eine Ausnahmeerscheinung.874 Indes: Dieses Bild hat sich inzwischen umgekehrt — zum Teil bereits während der 20er und 30er Jahre, spätestens aber in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts.875 Neben einer Vielzahl kleiner Kapitalgesellschaften mit wenigen Anteilseignern bestimmen heute vor allem Unternehmensgruppen das Wirtschaftsgeschehen. Oftmals sind zahllose Einzelgesellschaften auf komplexe Weise so miteinander verflochten, daß sich die meisten von ihnen in abhängiger Stellung den Direktiven eines anderen Unternehmens untergeordnet finden. 876 Vor diesem Hintergrund werden zunehmend Zweifel geäußert, ob die fortgesetzte und umfassende Geltung des Prinzips beschränkter Haftung gerechtfertigt ist. Eine Konzernmutter, die für Verbindlichkeiten einer von ihr beherrschten Tochter in Anspruch genommen wird, kann sich schwerlich auf die ratio der Haftungsbeschränkung berufen und einwenden: Haftung setze Herrschaft voraus. Denn der Status als Muttergesellschaft vermittelt per definitionem877 Herrschaft über ein abhängiges Unternehmen. In dieser Situation stellt die Haftungsbeschränkung zugunsten der Muttergesellschaft den angestrebten Gleichlauf nicht her, sondern droht diesen im Gegenteil gerade aufzulösen.878 Zudem besteht für eine solche Haftungsbeschränkung kein Bedarf: Stellt man auf den anerkannten Zweck ab, die Investitionsbereitschaft natürlicher Personen zu fördern oder zu erhalten, so reicht es aus, diese (als Anleger am Kapitalmarkt) vor persönlicher und unbeschränkter Haftung zu schützen. Die — zusätzliche — Anwendung des Haftungsprivilegs innerhalb von Konzernen führt dazu, daß der Schutz vor persönlicher und unbeschränkter Inanspruchnahme — ungerechtfertigt — zwei- oder mehrfach verstärkt wird. 879

874

Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 30ff. u. 123f.; Landers, a.a.O. (Fn. 419), S. 618f. Näher zur Möglichkeit des Anteilserwerbs durch eine Kapitalgesellschaft Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 55ff.; Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 281f. 875

Vgl. Antunes, a.a.O., S. 24ff.; Eisenberg, Structure of the Corporation, S. 279ff.; Hadden, a.a.O. (Fn. 814), S. 271f. (letzterer insbesondere zur Situation in Großbritannien). 876

Antunes, a.a.O., S. 37ff., 113ff. u. 144ff.; vgl. auch Hadden, a.a.O., S. 273ff.

877

Zum Begriff der Muttergesellschaft vgl. bereits oben § 2.II.

878

Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 131ff.

879

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. xl. Dagegen spricht sich Presser, a.a.O. (Fn. 370), S. 175, für die Geltung des Prinzips beschränkter Haftung auch innerhalb in Konzernen aus. Er beruft sich dabei — wenig

206

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Es hätte daher nahegelegen, die traditionelle Regel beschränkter Haftung nicht auf den — ursprünglich unbedachten — Fall einer Obergesellschaft in der Rolle der Anteilseignerin zu erstrecken.880 Rechtsprechung und Lehre in den USA entschieden sich jedoch schon frühzeitig anders,881 so daß die Haftungsbeschränkung mittlerweile ein fester Bestandteil (auch) des Konzernrechts ist. Das erkennen sogar die Kritiker dieser Rechtsentwicklung — resignierend — an. So resümiert Landers: "Würde die Haftungsbeschränkung erstmals bedacht, ließe sich gut argumentieren, daß sie nicht auf das Verhältnis der Mutter- zu ihrer Tochtergesellschaft angewandt werden sollte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint das Prinzip beschränkter Haftung jedoch so eingebürgert, daß ein derart breit angelegter Angriff ausgeschlossen ist."882

3. Durchbrechungen des Prinzips de lege lata

Ein Korrelat des Grundsatzes beschränkter Haftung ist die Durchgriffsrechtsprechung: Diese hilft nach Billigkeitsgrundsätzen (equity) über die trennenden Grenzen hinweg, welche das strikte Recht zwischen mehreren konzernangehörigen Kapitalgesellschaften errichtet.883 Eine ähnliche, das Prinzip der Haftungsbeschränkung korrigierende Funktion kommt der respondeat superior- Haftung des agency- Rechts zu. 884 Beide Institute sind anerkannte, inzwischen traditionelle Bestandteile des Gesellschaftsrechts. Sie stellen die Haftungsbeschränkung als Grundregel nicht in Frage, sondern bestätigen diese im Gegenteil. Namentlich die piercing-Lehie hat sich erst vor dem Hintergrund des Prinzips beschränkter Haftung entwickelt, erkennt dessen Geltung grundsätzlich an und hat daher von vornherein Ausnahmecharakter.885

überzeugend — auf die oben (§ 5.1.1.) dargestellte demokratische Komponente dieses Prinzips. 880

So denn auch Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 130f.; Hofstetten a.a.O. (Fn. 816), S. 308; Landers, a.a.O. (Fn. 419), S. 619; vgl .Vagts in: St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 31, 39f. 881

Vgl. etwa Douglas/Shanks, a.a.O. (Fn. 251), S. 193ff.; Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 2 u. passim; Stevens, a.a.O. (Fn. 366), S. 86f. (jeweils mit zahlreichen — frühen — Rechtsprechungsbeispielen). 882

Landers, a.a.O. (Fn. 419), S. 619 (Original in Englisch).

883

Eingehend hierzu bereits oben § 3.1.1 .b).bb).

884

Vgl. hierzu bereits oben § 3.1.2.c).

885

Vgl. Aronovsky /Fuller,

a.a.O. (Fn. 109), S. 423; Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 773ff. Charakteristisch sind insofern Formulierungen wie: "Beschränkte Haftung ist die Regel, nicht die Ausnahme [...]." Anderson v. Abbott, 321 U.S. 349, 362, 64 S.Ct. 531, 88

I. Prinzip beschränkter Haftung

207

Außerhalb des Haftungsrechts ist es in einigen Rechtsbereichen mittlerweile zur Regel geworden, die vom Gesellschaftsrecht vorgegebene Unterteilung eines Konzerns in mehrere separate Einheiten zu überwinden. Dadurch wird die gedankliche Trennimg zwischen Gesellschaft und Aktionär, die oben886 als dogmatische Basis des Prinzips beschränkter Haftung identifiziert wurde, wenn nicht im Kern aufgehoben, so doch an ihren Rändern "aufgeweicht". Kommentatoren sehen darin Anzeichen einer Entwicklung weg vom entity law (Denken in den vorgegebenen Kategorien juristischer Personen) hin zum enterprise law (Orientierung an einem wirtschaftlichen Unternehmensbegriff, der in Konzernfällen sämtliche miteinander verbundenen Unternehmen umfassen kann).887 Beispiele für diese Entwicklungfinden sich insbesondere im Bilanz-, Steuer-, Insolvenz- und Kartellrecht. So sind Unternehmensgruppen unter Umständen zu konzernweiter Rechnungslegung verpflichtet. 888 Nach dem Internal Revenue Code haben sie die Möglichkeit, konsolidierte Steuererklärungen abzugeben;889 andererseits müssen sie Einschränkungen bei Steuervergünstigungen hinnehmen.890 Nach den Grundsätzen der Einheitsbesteuerung (unitary taxation) können national oder international tätige Konzerne in jedem Bundesstaat, in dem sich ein Gliedunternehmen befindet, anteilig für die gesamten Konzernaktivitäten veranlagt werden.891 In Konkursfällen ordnen Gerichte immer häufiger ein Pooling der Rechte und Pflichten aller betroffenen Konzerngesellschaften an (substantive consolidation)} 91 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Ansprüche

L.Ed. 793 (1944) (Original in Englisch). Oder: "[E]ine Kapitalgesellschaft wird regelmäßig als juristische Einheit angesehen werden, bis ein ausreichender gegenteiliger Grund erscheint [...]." United States v. Milwaukee Refrigerator Transit Co., 142 F. 247, 255 (C.C.E.D.Wis. 1905). 886

§5.1.1.

887

So etwa Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 271; vgl. auch Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S.

293ff. 888

Conard, a.a.O. (Fn. 73), S. 167; Ebke, a.a.O., S. 294 m. w. N.; Trumpler, Aktiengesellschaft nach dem Gesellschafts-, Bilanz- und Steuerrecht der Vereinigten Staaten, S. 234ff.; ausführlich zum Konzernabschluß im amerikanischen Recht: Küting/Weber, Internationale Bilanzierung, S. 80ff. 889 Vgl. 26 U.S.C. §§ 1501-1504. Hierzu Conard, a.a.O.; Ebke, a.a.O., m. w. N.; Ruffèr/Turcon in: Grundlagen des US-amerikanischen Gesellschafts-, Wirtschafts-, Steuerund Fremdenrechts, S. 393, 402f. 890

Vgl. 26 U.S.C. §§ 1561-1563; hierzu Ebke, a.a.O., m. w. N.

891

Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 166ff.; vgl. ders., a.a.O. (Fn. 335), S. 279ff.;Va£tt, a.a.O. (Fn. 880), S. 44f. 892

Frost, a.a.O. (Fn. 814), S. 449f.; vgl. Landers, a.a.O. (Fn. 419), S. 628ff.;

208

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

einer Muttergesellschaft an die Konkursmasse ihrer Tochter denen anderer Gläubiger unterzuordnen (equitable subordination). 893 Im Kartellrecht führt die Behandlung eines Konzerns als Einheit unter anderem dazu, daß ein abgestimmtes Verhalten von Mutter- und Tochtergesellschaft nicht den Verbotstatbestand des § 1 Sherman Acf* erfüllt. 895 Auch wenn diese Beispiele von einem Trend zur Einheitsbetrachtung im Konzernrecht der USA zeugen: Das Prinzip beschränkter Haftung ist davon unmittelbar nicht betroffen und gilt unverändert.896 Unzulässig wäre es beispielsweise, aus der Einheitsbehandlung einer Unternehmensgruppe für steueroder insolvenzrechtliche Zwecke Schlüsse im Hinblick auf das Haftungsrecht zu ziehen.897 Denn den erwähnten Grundsätzen wie unitary taxation , substantive consolidation oder equitable subordination liegen rechtsgebietsspezifische Wertungen und Zwecke zugrunde, die sich nicht als Argumente für eine allgemeine Einstandspflicht von Muttergesellschaften anführen lassen.898 Dasselbe gilt, wie bereits festgestellt wurde,899 für die Einheitsbetrachtung bzw. Zuordnung im Zivilprozeßrecht.

ausführlich zu dieser Doktrin Gilbert, 43 Vand. L. Rev. 207, 209f. u. passim (1990), sowie Tschernig, a.a.O. (Fn. 73), S. 73ff. 893

Hierzu Landers, a.a.O., S. 597ff., u. Tschernig, a.a.O., S. 55ff.

894

15 U.S.C. § 1. Funktional entspricht diese Vorschrift § 1 GWB bzw. Art. 85

EGV. 895

Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., 467 U.S. 752, 771, 104 S.Ct. 2731, 81 L.Ed.2d 628 (1984). Hierzu Gellhorn/Kovacic, Antitrust Law and Economics, S. 195, sowie Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 295, der noch weitere Beispiele für eine Einheitsbetrachtung im Kartellrecht anführt. 896 Einschränkend ist in diesem Zusammenhang lediglich festzustellen, daß die tendenziell großzügigere Durchgriffsrechtsprechung der Bundesgerichte während der zurückliegenden Jahre (siehe hierzu oben § 3.1.1.b).bb).(2).) die Ausnahmen vom Grundsatz der Haftungsbeschränkung merklich ausgeweitet hat. 897

Zubik v. Zubik, 384 F.2d 267, 273 (3rd Cir. 1967), cert, denied , 390 U.S. 988, 88 S.Ct. 1183. Für die Anwendung des Moline Properties-Testes (anstelle des "normalen" Durchgriffsmaßstabes), um zu einer steuerrechtlichen Einheitsbetrachtung zu gelangen: United States v. Creel, 711 F.2d 575, 579 (5th Cir. 1982), cert, denied , 464 U.S. 1044, 104 SCt. 714, 79 L.Ed.2d 177 (1984). Für die Anwendung des Turner-Testes auf ein piercing im Konkursfall: Matter of Palmer Trading Post, 695 F.2d 1012, 1016ff. (7th Cir. 1982) 898

Vgl. Blumberg/Strasser,

S. 492f. 899

Siehe oben § 2.II.3.a).

a.a.O. (Fn. 256), S. 205f.; Schanze, a.a.O. (Fn. 814),

I. Prinzip beschränkter Haftung

209

4. Reformvorschläge der Lehre zur Haftungsbeschränkung

Die Rechtslehre hat die Anwendung des Prinzips beschränkter Haftung zugunsten konzernangehöriger Unternehmen schon fritti kritisiert und alternative Ansätze entwickelt. In jüngerer Zeit sind Angriffe auf dieses Prinzip — auch unabhängig von der Frage, inwieweit Muttergesellschaften für Altlastensanierungen herangezogen werden können — verstärkt zu registrieren. 900 Diese allgemeine Entwicklung, die als (gesellschaftsrechtlicher) Hintergrund auch für die Direkthaftungs-Rechtsprechung zu § 107(a) CERCLA von Interesse ist, wird im Folgenden nachgezeichnet.

a) Die enterprise entity-Theorie

Berles

Bereits im Jahr 1947 unternahm Berle einen vielbeachteten901 Versuch, die Haftung der immer zahlreicheren verbundenen Unternehmen in Einklang mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu bringen. Er plädierte dafür, den Konzern selbst in bestimmten Fällen zum Zuordnungsobjekt zu machen, das heißt: ihn mit dem zusammengefaßten Vermögen aller zugehörigen Gesellschaften für deren jeweilige Verbindlichkeiten haften zu lassen.902 Eine notwendige, aber auch ausreichende Voraussetzung sei, daß diese Gesellschaften insgesamt eine wirtschaftliche Einheit (enterprise entity) verkörperten. Demzufolge blieben die einzelnen Konzernunternehmen und insbesondere ihre Vermögen getrennt, solange sich die beherrschende Gesellschaft auf die Rolle eines Investors beschränke und die — formell — abhängigen Gesellschaften eigenständig agieren lasse. Dagegen sei die Differenzierung zwischen den Einzelunternehmen und damit auch die Haftungssegmentierung aufzuheben, wenn die Aktivitäten der

900 Vgl. etwa Crawley , a.a.O. (Fn. 71), S. 223: "Das Wachstum komplexer Holdingunternehmen und multinationaler Gesellschaften in den letzten Jahren fordert zu einer sorgfältigen Untersuchung der Angemessenheit der beschränkten Haftung heraus, die Muttergesellschaften traditionell genießen." (Original in Englisch). Niekamp, a.a.O. (Fn. 428), S. 390: "Vielleicht muß die Lehre von der Haftungsbeschränkung im Zusammenhang mit dem Umweltrecht neu beurteilt werden." (Original in Englisch). 901

Vgl. etwa die Rezeption seiner Überlegungen bei Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 5ff.; Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 293; Hamilton, a.a.O. (Fn. 366), S. 113; Lattin, a.a.O. (Fn. 863), S. 94ff. (der sich kritisch zur Eignung der von Berle vorgeschlagenen ökonomischen Umstände als Abgrenzungsmerkmale äußert; a.a.O., S. 96); Tschernig, a.a.O. (Fn. 73), S. 37. 902 Siehe Berle, a.a.O. (Fn. 366), S. 350 u. passim. 14 Ochsenfeld

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

210

Konzernglieder ganz oder teilweise903 in eine wirtschaftliche Einheit integriert QfU

seien. Die enterprise entity- Theorie konnte sich auf eine — zeitlich frühere — Studie von Latty stützen: Schon dessen Vorstellungen vom Konzernhaftungsrecht basierten auf einer wirtschaftlichen Betrachtung des haftenden Unternehmens.905 Inzwischen haben die Vorschläge Berles weitere Anhänger gefunden.906 Gleichwohl läßt sich nicht sagen, die postulierte Einheitsbetrachtung habe sich "durchgesetzt".907 Zwar hat zumindest ein Gericht ausdrücklich Sympathie für die enterprise e/zWy-Theorie bekundet. Doch handelt es sich dabei um ein bloßes obiter dictum, da die betreffende Entscheidung908 keinen Konzernfall, sondern die Frage des Durchgriffs auf eine natürliche Person betraf. Die herkömmliche Durchgriffsrechtsprechung — übrigens einschließlich des besagten Urteils — respektiert weiterhin jede Kapitalgesellschaft a priori als gesonderte Einheit. Nur ausnahmsweise werden die vom Recht gezogenen Schranken zwischen mehreren juristischen Personen überwunden, um einen Mißbrauch der kapitalgesellschaftlichen Form zu unterbinden.909 Diese Praxis steht im Gegensatz zur enterprise entity- Theorie: Berle hat eine Haftung der Gruppe910 nicht als Sanktion für einen irgendwie gearteten Mißbrauch konzipiert, 903

Unklar ist, ob Berle bei nur teilweiser Integration auch die Rechtsfolge — die Zusammenfassung von Haftungssubstrat und Verbindlichkeiten der konzernangehörigen Gesellschaften — gegenständlich beschränkt wissen wollte. Da er jedoch die enterprise entity als einheitliches Kriterium verstand, läßt seine Theorie für eine Differenzierung nach verschiedenen Rechtsbereichen und Ansprüchen eigentlich keinen Raum. Hier liegt ein wesentlicher Vorzug des sektoralen Ansatzes, auf dem die Direkthaftung basiert. Näher hierzu unten § 5.III.l.a).bb).(2). 904

Berle , a.a.O. (Fn. 366), S. 357.

905

Vgl. Latty, a.a.O. (Fn. 1), S. 217ff.

906

So hat Blumberg die Überwindung des entity-Denkens zum beherrschenden Thema seines mehrbändigen Werkes zum amerikanischen Konzernrecht gemacht. Im gleichen Sinn äußert sich Conard, a.a.O. (Fn. 73), S. 166, wenn er schreibt: "Es ist offensichtlich, daß die Gruppe miteinander verbundener Unternehmen — eher als die getrennten gesellschaftsrechtlichen Einheiten — das Subjekt darstellt, das für gültige Aussagen über unternehmerisches Verhaltens untersucht werden sollte." (Original in Englisch). Kritisch zur Einheitsbetrachtung im Konzernhaftungsrecht aus englischer Sicht: Hadden, a.a.O. (Fn. 814), S. 280f. 907

So aber Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 293, u. Tschernig, a.a.O. (Fn. 73), S. 26. Wie hier: Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 690ff. 908

Walkovszky v. Carlton, 223 N.E.2d 6, 8f. (N.Y.App. 1966).

909

Näher hierzu bereits oben § 3.1.1.b).bb).(l).

910

Also nicht lediglich eines einzelnen Konzernunternehmens, das im Wege eines

I. Prinzip beschränkter Haftung

211

sondern als Reaktion auf eine bestimmte — durchaus "normale" und legitime — Integrationsdichte im Konzern.911

b) Neuere Entwicklungen Der weitestgehende Reformvorschlag aus jüngerer Zeit stammt von Hansmann und Kraakman. Sie forderten in einem aufsehenerregenden, im Jahre 1991 veröffentlichten Artikel, daß sämtliche Aktionäre für Delikte "ihrer" Gesellschaft persönlich haften sollten — allerdings nur ex nunc und pro rata, das heißt beschränkt auf denjenigen Anteil am Schaden, der ihrer jeweüigen Kapitalbeteüigung entspricht.912 Dieser Vorschlag läuft auf eine unbeschränkte Haftung gegenüber unfreiwilligen Gläubigern (involuntary creditors) — insbesondere auch für Umweltschäden — hinaus, wenn sämtliche Gesellschaftsanteile von einem Mutterunternehmen gehalten werden.913 Demgegenüber würde eine (übrigens nicht ganz neue914) Anregung Gelbs kerne Verschärfung des geltenden Konzernhaftungsrechts bewirken: Er wül das Prinzip beschränkter Haftung weiterhin auch zugunsten von Konzernmüttern anwenden. Lediglich die Kriterien für eine Durchgriffshaftung seien im Interesse der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu vereinfachen. Allein entscheidend müsse sein, ob die ursprüngliche oder laufende Kapitalausstattung der betreffenden (Tochter-)Gesellschaft "grob unangemessen" sei.915 Einen ganz anderen Ansatz hat Schwartz vor dem Hintergrund der Produkthaftung entwickelt. Danach bleibt die rechtliche Trennung zwischen mehreren konzernangehörigen Gesellschaften unangetastet. Genaugenommenfindet weder ein Durchgriff auf die Muttergesellschaft statt, noch haftet diese gar regelmäßig

Durchgriffs belangt wird: Auch darin liegt ein Unterschied zwischen der enterprise entityTheorie und der piercing- Lehre. 911

Ähnlich ist wohl auch Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 8, zu verstehen. Vgl. Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 279. 912

Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 487), S. 73ff. 913

a.a.O. (Fn. 83), S. 1932ff. Ähnlich zuvor bereits Stone,

Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 796, insbesondere Fn. 187.

914

Vgl. die Nachweise früherer Vorschläge in die gleiche Richtung bei Farmer, a.a.O., S. 788, Fn. 132. Siehe auch KrendUKrendl, a.a.O. (Fn. 349), S. 37f.; Lutter in: FS Riesenfeld, S. 165, 172ff. 915

Gelb, 59 Chi.-Kent L. Rev. 1, 12ff. (1982) (Original in Englisch). Dieser Vorschlag wird von Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 804ff., aufgenommen und mit Anregungen kombiniert, die im Zusammenhang mit der CERCLA-Direkthaftung entwickelt wurden. 14*

212

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

für bestimmte Verbindlichkeiten ihrer Töchter. Stattdessen wird unter Umständen der Konzernmutter selbst ein deliktisches Verhalten vorgeworfen, auch wenn die unmittelbar schadenauslösende Handlung oder Unterlassung in die Sphäre ihres Tochterunternehmens fällt: Schwartz will Ansprüche Geschädigter gegen die Muttergesellschaft zulassen, wenn diese erkennbar risikoreiche Aktivitäten in eine unzureichend kapitalisierte Tochter ausgelagert hat.916 Eine Haftung für Folgen "entfernter Risiken", die dem Mutterunternehmen ex ante nicht bekannt waren und bei vernünftiger Betrachtung auch nicht bekannt sein konnten, wäre hingegen unangemessen.917

c) Bewertung unter Berücksichtigung der CERCLA-Direkthaftung Der zuletzt genannte Reformansatz ähnelt, wenn nicht in den genauen Haftungsvoraussetzungen, so doch strukturell der direkten Konzernhaftung gemäß § 107(a) CERCLA. Beide Modelle gehen davon aus, daß der Grund für die Inanspruchnahme von Obergesellschaften in deren eigenem Verhalten zu suchen sei: in der Einflußnahme auf die schadenauslösenden Maßnahmen der Untergesellschaft. Letztere wird auf diese Weise aus der Betrachtung ausgeblendet, ohne daß ihre Identität als eigenständiges Rechtssubjekt in Frage gestellt würde.918 Gegenüber dieser "eleganten" Lösung wirken die Vorschläge von Berle sowie Hansmann und Kraakman eher grob, ja geradezu radikal: Sie fordern schon dadurch größere Bedenken oder gar Ablehnung heraus, daß sie ausdrücklich auf eine Neukonzeption des Begriffs "juristische Person" (so die enterprise entity- Theorie) bzw. auf eine Teilaufhebung der Haftungsbeschränkung (so Hansmann und Kraakman) abzielen. Darin dürfte ein entscheidender Grund liegen, warum solchen grundlegenden Reformvorschlägen kein Erfolg beschieden war — während sich die Direkthaftung trotz heftiger Kritik inzwischen weitgehend durchgesetzt hat.919 In diesem Zusammenhang spielen aber auch (spezifisch US-amerikanische) verfassungsrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle. Das Gesellschaftsrecht unterfällt traditionell der Regelungshoheit der Gliedstaaten.920 Änderungen des Konzernhaftungsrechts, die an der personalen Qualität von (Tochter-)Gesellschaften oder am Grundsatz beschränkter Haftung ansetzen, bedürften also 916

Schwartz, a.a.O. (Fn. 663), S. 692ff. u. 716f.

917

A.a.O., S. 727f. (Original in Englisch).

918

So bereits die Analyse der CERCLA-Direkthaftung oben §3.1.1 .a).aa).

919

Zur Dominanz der Direkthaftung in der Rechtsprechung zu § 107(a) CERCLA vgl. oben § 2.II.6. 920

Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 286.

. Haftungsrechtliche Vorgaben und beschränkte Haftung

213

entsprechender Entscheidungen der Gesetzgebungs- bzw. Rechtsprechungsorgane sämtlicher Gliedstaaten. Solche Entscheidungen auch nur in den wirtschaftlich bedeutendsten Staaten zu erreichen, wäre im günstigsten Fall ein langwieriger Prozeß. Demgegenüber bietet eine Rechtsprechungsregel wie die Direkthaftung von Muttergesellschaften, die auf der Grundlage eines Bundesgesetzes wie dem CERCLA entwickelt wird, offensichtliche Vorzüge:921 Sie ermöglicht es den Bundesgerichten, wenigstens in Teilbereichen ein bundesweites Konzernrecht zu kreieren. 922

Π. Konflikt zwischen haftungsrechtlichen Vorgaben und dem gesellschaftsrechtlichen Prinzip beschränkter Haftung Festzuhalten ist demnach: Die Möglichkeit, Obergesellschaften direkt haften zu lassen, erscheint aus Sicht der angerufenen Gerichte nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil sie eine "elegante" Umgehung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen und des Prinzips der Haftungsbeschränkung erlaubt. Die Befürworter einer ausdrücklichen Aufhebung dieses Prinzips kritisieren denn auch, die Rechtsprechung zur Direkthaftung höhle die Haftungsbeschränkung schleichend aus. Der damit im Ergebnis vollzogene Paradigmenwechsel, die Abkehr vom Grundsatz beschränkter Haftung, werde verschleiert.923 Daran ist jedenfalls soviel richtig, daß die Verlagerung konzernhaftungsrechtlicher Fragen in allgemeine Gesetze wie den CERCLA eine Gefahr in sich birgt: Der Konflikt zwischen den Vorgaben des jeweiligen Gesetzes und dem gesellschaftsrechtlichen Prinzip der Haftungsbeschränkung droht übersehen zu werden.

1. Ziele des CERCLA im Konflikt mit der Haftungsbeschränkung

So könnte man sich auf den Standpunkt stellen, die Betreiberhaftung von Obergesellschaften gemäß § 107(a) CERCLA konfligiere überhaupt nicht mit dem Haftungsprivileg. Da sie direkt sei und an das eigene Verhalten des betreffenden Mutterunternehmens anknüpfe, blieben die gesellschaftsrechtlichen

921 Einen bundesweiten Ansatz im Konzernhaftungsrecht hält auch Alexander, a.a.O. (Fn. 256), S. 431, für viel versprechender. 922

In vergleichbarer Weise sprechen Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 286, und Fleischer, 78 Harv. L. Rev. 1146, 1179 (1965), im Zusammenhang mit dem Kapitalmarktrecht (Securities Law) von einem "Bundesgesellschaftsrecht". 923 Vgl. Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1932: Sie beziehen sich zwar ausdrücklich nur auf die zunehmende Liberalisierung der Durchgriffsvoraussetzungen, doch trifft ihre Kritik in gleicher Weise auf die Direkthaftungs-Rechtsprechung zu.

214

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Strukturen unberührt und folglich außer Betracht.924 Das wäre aber zu formal gedacht. Rechtslehre und -praxis in den USA legen in dieser Frage - zu Recht - eine betont pragmatische und ergebnisorientierte Sichtweise an den Tag: Entscheidend ist, daß eine Konzernmutter im Wege der Direkthaftung mit Verbindlichkeiten aus der Sphäre ihrer Tochter konfrontiert wird, vor denen traditionell geschützt war. 925 Das hinter der Haftungsbeschränkung erkennbare Anliegen, (auch gefahrenträchtige) Investitionen anzuregen und zu fördern, wird durch die Direkthaftung in gleicher Weise betroffen wie durch die derivative Einstandspflicht einer Muttergesellschaft flr Verbindlichkeiten ihrer Tochter ,926 Folglich stellt sich die neue Haftung als (weitere) Ausnahme vom Grundsatz beschränkter Haftung dar. 927 Aber auch dogmatisch läßt sich begründen, daß die Direkthaftung in einem Spannungsverhältnis zum Haftungsprivileg steht. Zwar erfüllt die jeweils in Anspruch genommene Obergesellschaft selbst den haftungsbegründenden Tatbestand, also zum Beispiel die Voraussetzungen des § 107(a) CERCLA. Doch die letztlich haftungsauslösenden Akte, hier die Maßnahmen zur Beseitigung toxischer Stoffe, finden - ohne unmittelbare Beteüigung der Konzernspitze - im Betrieb der Untergesellschaft statt. In wohl allen bisher entschiedenen Fällen wurden diese Maßnahmen von Mitarbeitern des Tochterunternehmens ausgeführt. Soweit aus den Urteilen ersichtlich, wurde die dabei von der Muttergesellschaft ausgeübte Kontrolle durch Entscheidungsträger der Tochter (die freilich oft auch Entscheidungsträger der Konzernmutter waren) vermittelt. Das Verhalten der Konzernspitze läßt sich deshalb auf zweierlei Weise deuten: einerseits, wie gesagt, als Verwirklichung des Haftungstatbestands; andererseits als konkretisierte, auf einen bestimmten Sachbereich bezogene Ausübung der Kontroll- und Leitungsfunktion, welche die Muttergesellschaft als beherrschende Anteilseignerin wahrnimmt.928

924

Vgl. Heidt, a.a.O. (Fn. 186), S. 186f., die diese Denkmöglichkeit vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Konflikts zwischen bundesweitem Umweltrecht und einzelstaatlichem Gesellschaftsrecht diskutiert. 925

Daß die Direkthaftung im Ergebnis häufig über die Haftung aufgrund herkömmlicher Rechtsfiguren hinausgeht, wurde oben detailliert nachgewiesen. Vgl. § 3.1.1.b).cc). (mmpiercing), § 3.1.2.d). (zur respondeat superior- Haftung) u. § 3.1.3.e). (zur corporate actor- Regel). 926

Siehe als Beispiel für ein ausgesprochen /?ö//cy-orientiertes Verständnis des Prinzips beschränkter Haftung allgemein Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 6: "Beschränkte Haftung dient, wie jede andere Rechtsregel auch, bestimmten übergeordneten Zwecken, um bestimmte Ziele zu erreichen." (Original in Englisch). 927

So im Ergebnis beispielsweise die bereits in Fn. 344f. zitierten Literaturstimmen.

928

Pointiert ausgedrückt, könnte man sagen: Die Maßnahmen, welche die

II. Haftungsrechtliche Vorgaben und beschränkte Haftung

215

Da eine Konzernmutter per definitionem Kontrolle über ihre Tochter ausübt,929 Kontrolle mithin ein Wesensmerkmal des Konzerns ist, können und dürfen allein daran keine Haftungsfolgen geknüpft werden. Würde eine Muttergesellschaft für (Umwelt-)Schäden, die infolge ihrer Leitung in Tochterbetrieben auftreten, ohne weiteres haften, wäre damit das Haftungsprivileg im Konzern aufgehoben: Es gäbe praktisch keinen Konzern im Sinne einer Gruppe rechtlich voneinander getrennter Unternehmen mehr. Vor diesem Hintergrund betrachtet, weicht praktisch jede direkte Haftung - mehr oder weniger stark - von der Regel beschränkter Haftung ab. Völlig intakt bliebe diese Regel nur, wenn sich das tatbestandsmäßige Verhalten einer Muttergesellschaft eindeutig und ausschließlich dem Deliktsrecht zuordnen ließe, wenn es also nicht zugleich auch Elemente konzerninterner Kontrolle in sich tragen würde.930 In der Praxis ist eine solche klare Grenzziehung aber unmöglich.931 Dies gilt in besonderem Maße, wenn die betreffende Haftung - wie im Fall des § 107(a) CERCLA - verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Denn hier kann eine Konzernmutter unabhängig davon in Anspruch genommen werden, ob ihr im Einzelfall ein Verhaltensvorwurf zu machen ist. Deshalb zeugen gerade die zu § 107(a) CERCLA entschiedenen Sachverhalte von der Ambivalenz des haftungsrelevanten Verhaltens von Konzernmüttern.932 Von Fall zu Fall anders,

Konzernmutter, in Ausübung ihrer Kontrollstellung trifft, erfüllen zufällig auch den Tatbestand einer Haftungsnorm. Bei verändertem (das heißt: primär umweit- statt gesellschaftsrechtlichem) Blickwinkel läßt sich diese Aussage freilich auch umkehren. 929

Vgl. oben § 2.II.

930

Dies wäre der Fall, wenn die Konzernmutter bzw. die für sie handelnden natürlichen Personen unmittelbar tatbestandsmäßig handeln würden. So wäre im Zusammenhang mit der CERCLA-Betreiberhaftung vorstellbar, daß Angestellte des Mutterunternehmens die Gefahrstoffbeseitigung im Betrieb der Tochter selbst in die Hand nehmen, also beispielsweise die Einleitung entsprechender Stoffe in die örtliche Kanalisation beaufsichtigen. Solches Tätigwerden "vor Ort" könnte kaum noch als Konkretisierung der Kontrollfunktion qualifiziert werden, welche die Konzernspitze im Hinblick auf nachgeordnete Gesellschaften wahrnimmt. Folglich stände die Direkthaftung in einem derartigen Extremfall auch nicht im Konflikt mit dem Haftungsprivileg. 931

Dies beklagt auch das Gericht in U.S. v. Cordova Chemical Co. of Michigan, 59 F.3d 584, 590 (6th Cir. 1995). 932

Angesichts der fließenden Grenze haben sich die Gerichte mit der Entscheidung, wann aus der "normalen", konzernleitenden Kontrolle eine zur Haftung führende Einflußnahme auf betriebliche Belange wird, sichtlich schwer getan. Vgl. etwa State of Idaho v. Bunker Hill Co., 635 F.Supp. 665, 672 (D.Idaho 1986); U.S. v. Kayser-Roth Corp., 724 F.Supp. 15, 22f. (D.R.I. 1989), qtf'd, 910 F.2d 24, 27f. (1st Cir. 1990); City of New York v. Exxon Corp., 112 Bankr. 540, 547 (S.D.N.Y. 1990); John Boyd Co., Inc., v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 441ff. (D.Mass. 1991), aff'd, 992 F.2d 401,

216

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

läßt sich dieses Verhalten "irgendwo" zwischen den beiden Polen "Kontrolle" und "Delikt" einordnen. Je konkreter und unmittelbarer eine Muttergesellschaft betriebliche Entscheidungen auf der Tochterebene beeinflußt, um so weiter entfernt sie sich von ihrer Rolle als Anteilseignerin - und um so unbedenklicher ist es, sie trotz ihres grundsätzlichen Haftungsprivilegs letztlich direkt in Anspruch zu nehmen. Aber auch wenn eine Direkthaftung im Ergebnis zu befürworten ist, läßt sich der Konflikt mit dem Prinzip beschränkter Haftung nicht von vornherein ausschließen. Im Rahmen des Direkthaftungsmodells ist also auf jeden Fall eine Abstimmung mit dem Gesellschaftsrecht vorzunehmen. Der Konflikt zwischen umweit- und gesellschaftsrechtlichen Vorgaben löst sich auch nicht etwa dadurch auf, daß der Geltungsanspruch der einschlägigen Prinzipien im vorliegenden Zusammenhang abgeschwächt ist. Zugegebenermaßen legt der CERCLA eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften von vornherein nur unter bestimmten, zum Teil eng begrenzten Voraussetzungen nahe.933 Zugleich ist die innere Berechtigung der Haftungsbeschränkung, soweit sie zugunsten von Konzernmüttern angewandt wird, durchaus fragwürdig. 934 Letzteres ändert jedoch nichts daran, daß auch im Konzernrecht der USA weiterhin die Regel beschränkter Haftung gilt. Daraufhaben sich die Unternehmen in ihren Entscheidungen und Kalkulationen eingerichtet.935 Jede Ausweitung der Haftung von Muttergesellschaften durchkreuzt deren Erwartung, vor unbeschränkter Haftung geschützt zu sein. Umgekehrt drohte dieser Schutz, wenn er ohne weiteres und umfassend gewährt würde, jedoch die Steuerungsziele des CERCLA zu unterlaufen. 936

2. Vergleichbare Konflikte in anderen Rechtsgebieten

Dieser Konflikt zwischen Gesellschaftsrechts- und Haftungsrechtspolitik ist im Kern weder konzernspezifisch noch neu. Er tritt in (auf den ersten Blick) ähnlicher Weise schon im Zusammenhang mit dem gemeinen Deliktsrecht auf. Umfangreiches Anschauungsmaterial liefern insofern die berühmten New Yorker "Taxifälle"937: Bereits dort stellte sich das Problem, daß die separate Inkorporation kleinster Taxiunternehmen deren Haftung für unerlaubte Handlungen der 408 (1st Cir. 1993); Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1221f. (3rd Cir. 1993). 933

Hierzu ausführlich oben § 4.1.1.b). cc).

934

Siehe hierzu oben § 5.1.2.

935

Cross , a.a.O. (Fn. 8), S. 72; vgl. Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 621.

936

Näher hierzu oben § 4.1.1 .b).bb).(2).(b).(aa).

937

Vgl. hierzu die Nachweise bei Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 6f.

II. Haftungsrechtliche Vorgaben und beschränkte Haftung

217

Fahrer drastisch beschränkte; die verhaltenssteuernde Wirkung des Deliktsrechts lief daher weitgehend leer. 938 Diese Parallele zu den hier interessierenden Altlastenfällen darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß der CERCLA dem beschriebenen Konflikt eine andere Qualität verleiht. Anders als etwa in den "Taxifällen" geht es nicht mehr um eine rein privatrechtliche Auseinandersetzung zwischen zwei Individuen, dem Schädiger (bzw. der hinter ihm stehenden Kapitalgesellschaft) und dem Geschädigten. Vielmehr gewinnt der Konflikt eine öffentliche Dimension: Es geht auch um die Umsetzung des spezifischen Regelungsprogramms, das der Gesetzgeber im CERCLA niedergelegt hat.939 Durch das öffentliche Interesse an diesem Programm werden die haftungsrechtlichen Ziele gegenüber dem Prinzip der Haftungsbeschränkung aufgewertet. Diese Konstellation — daß ein Haftungsrisiko von gesellschaftlicher Relevanz auf die Haftungsbeschränkung im Konzern trifft — ist natürlich nicht auf den CERCLA-Kontext beschränkt. Zwar bildet dessen § 107(a) den Rahmen für den mit Abstand größten Teil der bisherigen Direkthaftungs-Rechtsprechung. Doch sind ähnliche Tendenzen inzwischen auch bei anderen Umweltgesetzen940 und sogar in sonstigen Rechtsbereichen941 zu beobachten. Es wäre auch schwerlich begründbar, warum es ausgerechnet die Altlastenhaftung als einzige nahelegen würde, eine neue Form von Konzernhaftung zu entwickeln. Eher schon wäre das Gegenteil vertretbar: Schließlich hat sich erwiesen, daß eine direkte Inanspruchnahme von Muttergesellschaften auf der Grundlage des CERCLA in vielen Fällen problematisch ist.942 In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, daß der Umfang gerade von CERCLA-Verbindlichkeiten potentiell gewaltig ist.943

938

Halpern/Trebilcock/Turnbull,

939

Vgl. allgemein Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 284; ders., a.a.O. (Fn. 3), S. xlv.

a.a.O. (Fn. 772), S. 145.

940

Siehe Hofstetter, a.a.O. (Fn. 427), S. 103; vgl. Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 243. Allgemeiner spricht auch Strand, a.a.O. (Fn. 8), S. 575, von einer Vorbildfunktion der Haftung für Altlastenschäden für die Bewältigung anderer Umweltprobleme. 941

Thompson, a.a.O. (Fn. 502), S. 96, der insbesondere auf die Rechtsprechung zum Employee Retirement Income Security Act of 1974 (ERISA) hinweist. Hierzu sogleich unten § 5.II.2.a). 942 943

Siehe oben § 4.III., letzter Abs.

So John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 442 (D.Mass. 1991); Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 168ff.; vgl. auch Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1880, die in der Höhe möglicher Schäden aber offenbar ein Argument für eine erweiterte Haftung gerade im Umweltbereich sehen.

218

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Nicht zuletzt wegen dieser Besonderheiten sollte die Diskussion über eine angemessene Bewältigimg des Konflikts zwischen Gesellschafts- und Haftungsrecht nicht auf den CERCLA verengt werden. Daher wird nachfolgend beispielhaft umrissen, wie sich das Problem — mutatis mutandis — im Recht der betrieblichen Altersversorgung sowie im Produkthaftungsrecht der USA darstellt. Das letztgenannte Beispiel, die Produkthaftung, beruht freilich nicht auf einem Gesetz, sondern stellt eine Weiterentwicklung des gemeinen (Delikts-)Rechts dar. Der zuvor erwähnte "öffentliche Einschlag" im Haftungsrecht braucht aber nicht unbedingt vom Gesetzgeber auszugehen. Entscheidend ist vielmehr, ob es neben dem Ausgleich von Individualinteressen - auch um die Bewältigung eines gesellschaftlichen Problems geht.

a) Haftung ßr Ansprüche nach dem ERISA Nach dem Umweltrecht hat in jüngerer Zeit das (Bundes-)Recht der betrieblichen Altersversorgung am meisten Bewegung in die überkommenen Strukturen der Konzernhaftung gebracht.944 Hier lautet die Politik des Gesetzgebers: sicherzustellen, daß private Altersversorgungspläne (pension plans) finanziell ausreichend ausgestattet sind. Zu diesem Zweck enthält der Employee Retirement Income Security Act of 1974 (ERISA)945 — neben regulativen Vorgaben — eine Reihe von Haftungsbestimmungen. Danach ist der Arbeitgeber (employer) unter bestimmten Voraussetzungen zur Zahlung von Beiträgen an die betreffende Versorgungskasse verpflichtet; 946 er haftet sowohl bei der Beendigung947 als auch bei seinem Austritt948 aus einem Versorgungsplan. Vor diesem Hintergrund gilt es zu verhindern, daß Unternehmen eine Konzernstruktur wählen, um sich hinter den Grundsatz beschränkter Haftung zurückziehen zu können und so ihren Verpflichtungen aus dem ERISA zu entgehen.949 Allerdings wird der Konflikt zwischen der Politik des Gesetzes und der vom Gesellschaftsrecht vorgegebenen Trennung zwischen konzernangehörigen Unternehmen bereits im ERISA selbst weitgehend entschärft. In bezug auf die Beendigungs- und die Austrittshaftung wird dort zum Begriff des Arbeitgebers erklärt: "Alle Beschäftigten von Geschäften und Betrieben (ob inkorporiert oder 944

Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-158.7; Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 24.

945

29 U.S.C. §§ 1001-1461.

946

Sog. contribution liability gemäß 29 U.S.C. § 1145.

947

Sog. plan termination liability gemäß 29 U.S.C. § 1362.

948

Sog. withdrawal

949

liability gemäß 29 U.S.C. § 1381(a).

Vgl. Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 24, der auf die darin liegende Parallele zur Haftung von Unternehmen gemäß § 107(a) CERCLA aufmerksam macht.

II. Haftungsrechtliche Vorgaben und beschränkte Haftung

219

nicht), die unter einheitlicher Leitung stehen, sind so zu behandeln, als wären sie von einem einzigen Arbeitgeber beschäftigt, und alle derartigen Geschäfte und Betriebe [sind] als ein einziger Arbeitgeber [zu behandeln]."950 Dementsprechend haben die Gerichte keine Schwierigkeiten, Muttergesellschaften für Altersversorgungsansprüche heranzuziehen, die von Mitarbeitern der Tochterunternehmen erhoben werden.951 Ungünstiger ist die Rechtsstellung der Arbeitnehmer, soweit es um Beitragspflichten geht. Mangels besonderer gesetzlicher Regelung wird eine Verpflichtung der Konzernmutter, Versorgungsleistungen für Beschäftigte einer Tochtergesellschaft zu erbringen, überwiegend nur unter den traditionellen — engen — Voraussetzungen eines Durchgriffs angenommen. Allerdings gibt es auch hier Anzeichen einer Abkehr von dieser klassischen Figur des Konzernhaftungsrechts.952 So haben einzelne Urteile unter Berufung auf die Politik des ERISA einen großzügigeren, bundesrechtlichen Durchgriffsmaßstab angelegt.953 Noch einen Schritt weiter geht eine Entscheidung954, die (individuelle) Aktionäre und leitende Angestellte wegen deren persönlicher Einmischung in Angelegenheiten "ihrer" Gesellschaft — insbesondere in die Regelung der Altersversorgung — direkt für noch ausstehende Beiträge haften läßt. Diese Direkthaftung ist freilich, soweit erkennbar, bislang nicht ausdrücklich auf Muttergesellschaften übertragen worden.

b) Produkthaftung Völlig andere Wege ist die Rechtsprechung im Bereich der Produkthaftung gegangen. Diese bildet — neben der Haftung für Umweltschäden — zweifelsohne denjenigen Bereich des Haftungsrechts, in dem öffentliche Interessen am stärksten tangiert sind. Aufgabe des Produkthaftungsrechts ist der Schutz der Allgemeinheit vor defekten Gütern im Zeitalter der industriellen Fertigung und des anonymen Massengeschäfts. Dieser öffentliche Einschlag verleiht den Zielen 950

29 U.S.C. § 1301(b)(1) (Original in Englisch).

951

Vgl. etwa Pension Benefit Guar. Corp. v. Ouimet Corp., 630 F.2d 4, l l f . (1st Cir. 1980). Eingehend zur Beendigungs- und Austrittshaftung von Muttergesellschaften: Blumberg, a.a.O. (Fn. 3), S. 568ff. 952

Zum Ganzen Blumberg, a.a.O., S. 554ff.

953

Vgl. insbesondere Alman v. Danin, 801 F.2d 1, 3f. (1st Cir. 1986). Zur Entwicklung bundesrechtlicher veil-piercing-Grundsäize im Falle des CERCLA siehe bereits oben § 3.1.1.b).bb).(2). 954

Trustees of Amalgamated Ins. Fund ν. Danin, 648 F.Supp. 1142, 1147 (D.Mass. 1986); befolgt von W. Virginia-Ohio Valley Area Ibew Wel. v. Ball Elee., 685 F.Supp. 953, 955 (S.D.W.Va. 1988).

220

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

des Haftungsrechts ein erhöhtes Gewicht, auch wenn der Kongreß die Haftung für fehlerhafte Produkte nicht spezialgesetzlich geregelt hat. Deshalb wäre es bedenklich, wenn Unternehmen ihre Einstandspflicht für mögliche Schäden durch eine Auslagerung von Produktionsaktivitäten in Tochtergesellschaften ohne weiteres begrenzen könnten. Dadurch würde die Steuerungswirkung des Haftungsrechts weitgehend ausgehebelt. Praktisch stellt sich das Problem jedoch nicht in dieser Schärfe. Die deliktische Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte erfaßt nicht nur deren (End-) Hersteller, sondern zugleich alle weiteren Personen, die an der Produktion, Vermarktung, Installation oder am Vertrieb aktiv mitwirken.955 Diese Haftung setzt nur eine tatsächliche Einbindung in den Gesamtprozeß, nicht hingegen eine rechtliche Verbindung der betreffenden Personen voraus. Erst recht trifft sie daher verbundene Unternehmen, die einer der genannten Kategorien angehören.956 Weil viele Muttergesellschaften bereits nach diesen Grundsätzen verantwortlich sind, hält Blumberg die Frage nach neuen konzernhaftungsrechtlichen Ansätzen im Bereich der Produkthaftung für "fast akademisch".957 Zu berücksichtigen ist jedoch, daß namentlich die subjektive Reichweite der Gefahrdungshaftung begrenzt ist. Eine Konzernmutter, die mit dem schadhaften Produkt ihrer Tochter unmittelbar nichts zu tun hat, haftet allenfalls, wenn dieses Produkt ein Warenzeichen bzw. eine Handelsmarke der Mutter trägt.958 In einem Ausnahmefall wurde eine Haftung allerdings darauf gestützt, daß die Muttergesellschaft ein "wesentlicher Bestandteil des zusammengesetzten Unternehmens" war. 959 Bemerkenswert sind die tatsächlichen Umstände, die in dem letztgenannten Urteü für maßgeblich erachtet wurden: daß die Konzernmutter ihr technisches Know-how zur Verfügung stellte, Mitarbeiter der Tochter ausbüdete, umfangreiche Zahlungen von der Tochter erhielt und berechtigt war,

955

Vgl. Harper/ James/Gray, a.a.O. (Fn. 479), S. 537ff.; Keeton/Dobbs/Keeton/ Owen, a.a.O. (Fn. 468), S. 692ff. Siehe auch Restatement (2d) of the Law of Torts, § 402Α. 956 957

Blumberg/Strasser,

a.a.O. (Fn. 256), S. 224.

Siehe Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 689; ders./Strassen in Englisch).

a.a.O., S. 227 (Original

958

Näher Blumberg, a.a.O., S. 265ff. Vgl. Connelly v. Uniroyal, Inc., 75 Dl.2d 393, 389 N.E.2d 155, 162f. (1979), cert, denied , 444 U.S. 1060, 100 S.Ct. 992, 62 L.Ed.2d 738 (1980); in diesem Sinne ist wohl auch Vaughn ν. Chrysler Corporation, 442 F.2d 619, 621 (10th Cir. 1971), cert, denied , 404 U.S. 857, 92 S.Ct. 106, 30 L.Ed.2d 98 (1971), zu verstehen. 959

Vgl. Kasel v. Remington Arms Company, 24 Cal.App.3d 711, 101 Cal. 314, 322 (1972) (Original in Englisch). Siehe hierzu Lüderitz, in: FS Pleyer, S. 539, 548ff.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

221

deren Produktion zu überwachen.960 Ganz ähnliche Faktoren bilden die Basis der Direkthaftungs-Rechtsprechung zu § 107(a) CERCLA.961

Π Ι . Entwicklung einer allgemeinen konzernhaftungsrechtlichen Konfliktlösung

Der vergleichende Blick auf Besonderheiten der Konzernhaftung im Recht der betrieblichen Altersversorgung und der Produkthaftung läßt erkennen: Obwohl eine Auflösung des Zielkonflikts zwischen Haftungs- und Gesellschaftsrecht innerhalb dieser Rechtsgebiete bereits angelegt ist, gelingt sie nur teilweise. Selbst hier bleibt also Raum für eine allgemeine konzernhaftungsrechtliche Konfliktlösung. Es überrascht daher nicht, daß sich in beiden Gebieten Ansätze erkennen lassen, die sich der Direkthaftung von Muttergesellschaften (nach dem Muster der Rechtsprechung zum CERCLA) zumindest inhaltlich annähern. Noch größer ist der Bedarf für einen allgemeinen Konfliktlösungsmechanismus freüich, wo das Haftungsrecht auf den Umgang mit verbundenen Unternehmen als Haftungssubjekten nicht speziell vorbereitet ist. Dies betrifft, wie am Beispiel des CERCLA deutlich geworden ist, insbesondere das — äußerst praxisrelevante — Umwelthaftungsrecht.

1. Direkte Haftung als überlegenes Konfliktlösungsmodell

Nachfolgend wird argumentiert, daß sich die direkte Inanspruchnahme von Obergesellschaften als Konfliktlösungsmodell allgemein in besonderer Weise eignet. "Allgemein" heißt in diesem Zusammenhang nicht etwa, daß die Direkthaftung in einem Bereich (zum Beispiel Schäden aufgrund von Schadstoffemissionen) automatisch eine Haftung in anderen Bereichen (zum Beispiel Schäden durch fehlerhafte Produkte) nach sich zöge: Dies widerspräche der sektoralen Natur der Direkthaftung, 962 die eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Zielen der jeweiligen Haftungsnorm verlangt.963 So ist ohne weiteres vorstellbar, daß dieselbe Art der Einflußnahme einer Muttergesellschaft auf 960

Siehe Kasel v. Remington Arms Company, 24 Cal.App.3d 711, 101 Cal. 314, 334

(1972). 961

Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 267, führt die genannten Faktoren zwar auf, sieht den Grund für die Haftung der Muttergesellschaft aber dennoch darin, daß die Tochter den Konzernnamen und ein Markenzeichen der Mutter verwendete. Diese Überlegungen tauchen in dem Urteil indes nur an untergeordneter Stelle auf. Überzeugender erscheint es daher, von einer "Art" Direkthaftung auszugehen. 962

Vgl. oben §3.1.1.a).bb).

963

Vgl. oben § 4.III. am Ende.

222

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Aktivitäten ihrer Tochter eine Einstandspflicht nach bestimmten Haftungsvorschriften rechtfertigt und trägt, nach anderen hingegen nicht.

"Allgemein" ist die Direkthaftung jedoch insofern, als sie über den CERCLAKontext hinaus als Modell im gesamten Haftungsrecht anwendbar ist. Strukturell ist dieses Modell dadurch gekennzeichnet, daß eine Muttergesellschaft (nicht konzernspezifischen) Haftungstatbestand immer dann erßllt, wenn sie gerade die haftungsrelevanten Tätigkeiten im Tochterunternehmen ko oder in anderer Weise beeinflußt. Diese einheitliche und übergreifende Struktur der Direkthaftung ermöglicht es, Ergebnisse aus der Anwendung unterschiedlicher Haftungsnormen — unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Rechtsbereichs — miteinander zu vergleichen und zu systematisieren.964 So können allgemeine Leitlinien direkter Haftung entwickelt und potentiell haftbaren Konzernunternehmen als "Geschäftsgrundlage" an die Hand gegeben werden.965

a) Vorzüge der Direkthaftung

im Vergleich zur traditionellen

piercing-

Die Direkthaftung muß ihre Überlegenheit als Konfliktlösungsmodell vor allem gegenüber der dominierenden Figur des amerikanischen Konzernhaftungsrechts, dem (traditionellen) piercing the corporate veil , beweisen. Diesem liegt, vereinfacht ausgedrückt, folgende Idee eines Ausgleichs zwischen haftungs- und gesellschaftsrechtlichen Zielen zugrunde: Die vorgegebene Trennung zwischen konzernangehörigen Gesellschaften ist nur dann aufzuheben, wenn sie manipulativ, das heißt mißbräuchlich, eingesetzt wird. 966 Für diese Art des Ausgleichs wird angeführt, sie beruhe auf einer langjährigen Rechtsprechung und reflektiere daher Überlegungen, in welcher Form die Haftung von Unternehmen am besten öffentlichen Interessen diene.967 Diesem "Totschläger-Argument" ("das haben wir schon immer so gemacht") stehen die nachfolgenden Ausführungen zu den Vorzügen der Direkthaftung gegenüber.

aa) Flexibilität und Vorhersehbarkeit Den historischen Ursprung der /?/era>zg-Rechtsprechung büden Fälle, in denen Vertragsgläubigern von Kapitalgesellschaften Nachteile durch gläubigerschädi-

964

Vgl. Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 272, der ein solches "Kumulieren von Fallerfahrungen" im deutschen Recht für ausgesprochen wichtig hält. 965

Näher zur inhaltlichen Ausgestaltung des Direkthaftungsmodells unten § 5.ΠΙ. 1 .c).

966

Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 785 m. w. N.

967

So Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 846f.

. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

223

gende Maßnahmen drohten.968 Die Durchgriffshaftung betraf also zunächst nur vertragliche Verbindlichkeiten. Schon deshalb könnte man bezweifeln, ob sie sich in gleicher Weise als Konfliktlösungsmechanismus bei (außervertraglichen) Haftungsansprüchen unfreiwilliger Gläubiger eignet. Solche Bedenken werden dadurch verstärkt, daß viele Haftungsverhältnisse heute — zusätzlich — eine öffentliche Dimension aufweisen.969 Die Fürsprecher der Durchgriffshaftung weisen in diesem Zusammenhang jedoch zu Recht auf deren Charakter als Billigkeits-Rechtsbehelf hin. Als solcher sei die piercing-Lehie flexibel genug, um auch neue Konflikte bewältigen und gesetzgeberische Vorgaben berücksichtigen zu können.970 Flexibilität wird im Falle des Durchgriffs freilich mit dem hohen Preis mangelnder Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit erkauft. In der Rechtsprechung der einzelnen Gliedstaaten sowie des Bundes werden unterschiedliche Durchgriffsmaßstäbe angelegt. Dabei wird mit symbolhaften Kriterien gearbeitet, die den Blick auf die wahren Gründe einer Inanspruchnahme von Muttergesellschaften zumindest behindern. Die Ergebnisse dieser Vorgehensweise sind uneinheitlich und daher unberechenbar.971 Daß heute ebensowenig vorhersehbar ist, wann eine Konzernmutter gemäß § 107(a) CERCLA direkt haftet, 972 zeugt — anders als beim piercing — nicht von einer prinzipiellen Schwäche des Direkthaftungsmodells. Mit Hilfe sorgfältiger Analyse können vielmehr selbst einer allgemeinen Haftungsnorm verläßliche Vorgaben zu ihrer Anwendbarkeit auf Konzernmütter entnommen werden.973 Nur ist eine derartige Analyse in vielen Altlastenfallen offensichtlich unterblieben.974 Auch in puncto Flexibilität erweist sich die Direkthaftung als geeignet, um den — sich auf immer neue Weise manifestierenden — Konflikt zwischen Haftungsund Gesellschaftsrecht zu bewältigen: Unter dem Einfluß der Politik des Gesetzes, welche die Auslegung der jeweiligen Haftungsnorm entscheidend bestimmt, paßt sich das Direkthaftungsmodell fortlaufend den sich ändernden 968

Thompson, a.a.O. (Fn. 254), S. 1068f.

969

Vgl. zu dieser öffentlichen Dimension im Zusammenhang mit dem CERCLA oben

§5.11.1. 970

Vgl. Dennis, a.a.O. (Fn. 189), S. 1508f.; von der "Anpassungsfähigkeit und Geschmeidigkeit der Durchgriffshaftungsgrundsätze" spricht auch Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 323. 971

So bereits oben § 3.1.1.b).bb).(l).; ebenso Äntunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 219ff.,

259ff. 972

Vgl. oben § 2.II.6.

973

Zweifelnd aber offenbar Aronovsky /Fuller,

974

Eingehend hierzu oben § 4.III.

a.a.O. (Fn. 109), S. 436.

224

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

tatsächlichen Verhältnissen an.975 Auf diese Weise können die widerstreitenden Wertungen der betroffenen Rechtsgebiete in ihrer relativen Bedeutung stets angemessen reflektiert werden.

bb) Erfassen des Phänomens konzerninterner Kontrolle Eine wesentliche Ursache fur die mangelnde Vorhersehbarkeit der Durchgriffsrechtsprechung dürfte darin liegen, daß diese das Phänomen konzerninterner Kontrolle nur verzerrt und unscharf erfassen kann. Kontrolle ist ein konstituierendes Merkmal der Unternehmensgruppe und beansprucht daher auch im Konzernhaftungsrecht einen zentralen Platz. Konzeptionell ist sie allerdings nur schwer faßbar. 976 Allgemein läßt sich Kontrolle definieren als: tatsächlich ausgeübte oder zumindest latent bestehende Möglichkeit einer Muttergesellschaft, die Aktivitäten oder die Unternehmenspolitik ihrer Tochter zu beeinflussen oder zu überwachen.977 Für die Rechtspraxis ist diese allgemeine Formel zunächst wenig hüfreich, da sie eine bloße Büanzkontrolle ebenso umfaßt wie die gezielte Beeinflussung betrieblicher Entscheidungen. In dieser Hinsicht erlaubt das Direkthaftungs-Modell eine Präzisierung und damit eine inhaltliche Annäherung an das Phänomen "Kontrolle".

(1) Mißbrauch oder Normalfall? Eine wichtige Erkenntnis besteht darin, daß Kontrolle im Konzern normal und als unvermeidliche Begleiterscheinung der Gruppenbildung von Unternehmen letztlich sogar erwünscht ist. Insbesondere eine gewisse, in ihrem Ausmaß von der Integrationsdichte abhängige Sphären- und Vermögensvermischung ist geradezu ein Strukturmerkmal des Konzerns.978 Bedenklich stimmt daher, daß die klassische piercing-Lehre solche Umstände — aufdringliche Kontrollausübung, extensive wirtschaftliche Integration, finanzielle Abhängigkeit der Tochtergesellschaften — als Indizien für einen Mißbrauch der kapitalgesell975 Die — im Bereich des Wirtschaftsrechts besonders wichtige — Anpassungsfähigkeit einer an der Politik des Gesetzes orientierten Auslegung unterstreicht bereits Steindorff, a.a.O. (Fn. 607), S. 230. 976

Grundlegend hierzu Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 144 u. passim; Berle/Means, a.a.O. (Fn. 73), S. 66ff.; Herman, Corporate Control, Corporate Power, S. 17ff. u. passim; vgl. auch Conard, a.a.O. (Fn. 73), S. 168 m. w. N.; Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 296. 977 978

Vgl. den ähnlichen Definitionsversuch bei Antunes, a.a.O.

So ausdrücklich Antunes, a.a.O., S. 15lf. Vgl. Immenga, Int. Enc. Comp. L., vol. XIII, ch. 7, S. 82, sowie für das deutsche Recht Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 273.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

225

schaftlichen Form wertet.979 Dieser Widerspruch zwischen wirtschaftlicher und rechtlicher Bewertung hat seinen Ursprung in einer Rechtsprechung, welche die althergebrachte, auf individuelle Aktionäre zugeschnittene Rechtsfigur des Durchgriffs ohne wesentliche Änderung in das Recht der Konzernhaftung implementiert hat.980 Mißbräuchliches Verhalten zur Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von Konzernmüttern zu machen, kann sich auf zweierlei Weise nachteilig auswirken. Möglicherweise wird der Haftungsdurchgriff — unter Berufung auf dieses Merkmal — so restriktiv gehandhabt, daß Herrschaft und Haftung nicht mehr miteinander korrespondieren.981 Umgekehrt besteht die Gefahr, daß Obergesellschaften einer zu weitgehenden Haftung ausgesetzt werden: Die Verwendung der negativ konnotierten Vokabel "Mißbrauch" kann bei den Rechtsprechungsorganen leicht Voreingenommenheit gegenüber beklagten Muttergesellschaften erzeugen.982 Der direkte Ansatz zur Konzernhaftung vermeidet beide Gefahren, da er mit dem Tatbestand der Kontrolle nicht notwendigerweise ein Werturteil, sehr wohl aber eine Schadenersatzpflicht verknüpft.

(2) Einheit oder Vielfalt? Ein weiteres Plus der Direkthaftung liegt darin, daß sie — anders als der traditionelle Durchgriff — sektoral angelegt ist983 und damit das differenzierte Erscheinungsbild konzerninterner Kontrolle besser zu reflektieren vermag. Die konzernrechtliche Diskussion war lange Zeit auf den Gegensatz zwischen "Einheit und Vielheit" (das heißt: zwischen der durch Kontrolle vermittelten Einheit der Gruppe und der Vielheit beteiligter juristischer Personen) fokussiert.984 Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Studien haben jedoch nachgewiesen, daß sich die "Einheit" zugleich durch Vielfalt auszeichnet: Die

979

Zu diesen und anderen Durchgriffskriterien bereits oben § 3.1.1.b).bb).(l)., insbesondere Fn. 417. 980 Vgl. allgemein zu den Unterschieden zwischen Kontrolle von unabhängigen Gesellschaften und Kontrolle im Konzern: Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 149ff. 981

Ähnlich Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 499. Zum Postulat eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung vgl. bereits oben § 5.1.1.

982

Besonders anschaulich formuliert Druey in: St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 235, 237: "Der Konzern ist [...] in aller Regel der Böse, der die heile Welt des traditionellen Rechts der juristischen Person stört." 983 Vgl. oben §3.1.1.a).bb). 984

In Deutschland wurde dieses Begriffspaar durch Ludwig Raiser in: Verhältnis von Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, S. 51, 54, geprägt. 15 Ochsenfeld

226

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Kontrolle einer Muttergesellschaft über ihre Tochter läßt sich nicht abstrakt, sondern nur mit Bezug auf einen konkreten Zusammenhang bestimmen.985 "[Kontrolle in einem funktionalen Bereich impliziert nicht Kontrolle in einem anderen Bereich [...], und [...] innerhalb desselben funktionalen Bereichs existiert Kontrolle nicht in gleichem Maße für alle Arten geschäftlicher Entscheidungen."986 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, eine Muttergesellschaft (nur) für die Folgen solcher Akte ihrer Tochter haften zu lassen, die konkret von ihr veranlaßt worden sind. Diesen Weg beschreitet die Direkthaftungs-Rechtsprechung zu § 107(a) CERCLA jedenfalls insoweit, wie sie darauf abstellt, ob die beklagte Konzernmutter gerade den Umgang mit Gefahrstoffen in der Anlage ihrer Tochter beeinflußt hat.987 Zutreffend weist Antunes darauf hin, daß nur eine derart sektorale Haftung dem Postulat eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung wirklich gerecht wird: 988 Unter der Annahme, daß die von der Konzernspitze ausgeübte Kontrolle von Fall zu Fall variiert, muß konsequenterweise auch deren Inanspruchnahme differenziert beurteilt werden. Ein positiver Nebeneffekt dieses Ansatzes besteht darin, daß der haftungsauslösende Grad an konzerninterner Kontrolle in einem konkreten Kontext durchweg leichter festzustellen ist als abstrakt und generell.

cc) Steuerungswirkung des Rechts Eng mit dem Merkmal der Kontrolle verknüpft ist die Frage: ob und wie die verhaltenssteuernde Wirkung, die mit der jeweils einschlägigen Haftungsnorm bezweckt wird, bei der Anwendung auf Konzernsachverhalte erhalten werden kann. Oben989 wurde bereits dargelegt, daß die Direkthaftung dem traditionellen Durchgriff in dieser Hinsicht überlegen ist: Sie garantiert, daß die Steuerungssignale — möglicherweise abgeschwächt, aber inhaltlich im wesentlichen unverfälscht — die im Einzelfall entscheidende(n) Person(en) in einer Unternehmensgruppe erreichen. Dieser Effekt wird verfehlt, wenn Muttergesellschaften nur unter den engen piercing- Voraussetzungen in Anspruch genommen werden können. Damit disqualifiziert sich der Durchgriff als Konfliktlösungsmechanis985

Vgl. Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 191ff. m. w. N.

986

A.a.O., S. 197 (Original in Englisch, Hervorhebung im Original).

987

Vgl. zu solchen Urteilen oben § 2.II.6., wo zum Vergleich auch auf andere Entscheidungen hingewiesen wird, welche die allgemeine Verflechtung von Mutter- und Tochterunternehmen in den Mittelpunkt rücken. 988

Siehe Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 132.

989

Vgl. insbesondere § 4.1.1 .b).bb).(2).(b).(bb). u. (cc).

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

227

mus selbst, weil er zwischen den gesellschafts- und den haftungsrechtlichen Zielen nicht vermittelt, sondern letztere (weitestgehend) leerlaufen läßt. Demgegenüber schafft die Direkthaftung einen echten Ausgleich. Erstens fördert sie nicht nur die Ziele des Haftungsrechts, sondern — reflexhaft — auch solche des Gesellschaftsrechts: Vor dem Hintergrund des hier befürworteten Direkthaftungsmodells990 kann eine Konzernmutter für jeden Entscheidungs- und Funktionszusammenhang zwischen folgenden Alternativen wählen: Kontrolle der Tochter mit entsprechender Haftungsfolge oder laisser-faire ohne eigenes Haftungsrisiko. So lenkt die Direkthaftung den Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften und die Konzernierungsdichte. Auf diese Weise trägt sie zu einer kontinuierlichen Optimierung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen bei.991 Zweitens wird eine Alles-oder-NichtsEntscheidung für oder gegen die Haftungsbeschränkung vermieden. Zwar läuft die direkte Inanspruchnahme einer Konzernmutter im Ergebnis auf deren unbeschränkte Haftung hinaus. Diese tritt jedoch nur ein, wenn und soweit die Politik der betreffenden Haftungsnorm dies erfordert. Zudem bleibt die unbeschränkte Haftung sektoral und daher gegenständlich begrenzt. Das Privileg beschränkter Haftung wird also allenfalls partiell aufgehoben.992

dd) Ausweitung der Haftung Gegen die Eignung der Direkthaftung als Konfliktlösungsmechanismus ließe sich endlich anführen, daß sie zu einer unangemessenen Belastung von Konzernen mit Haftungsrisiken führe: Mit ihrer Hilfe wird die Schwelle für einen Zugriff auf Muttergesellschaften im Vergleich zum klassischen piercing gesenkt,993 wo doch in jüngerer Zeit schon das allgemeine Haftungsrecht immer weitergehende Ausweitungstendenzen zeigt. So haften Unternehmen in zunehmendem Maße für Risiken, die zum Teil untrennbar mit gesellschaftlich durchaus erwünschten Industrieaktivitäten verbunden sind.994 Zugleich werden 990

Zu Empfehlungen hinsichtlicher der näheren Ausgestaltung der Direkthaftung vgl. unten § 5.III.1.C). 991

Vgl. Hofstetten a.a.O. (Fn. 427), S. 110.

992

Dies wiederum ist, worauf Hofstetten a.a.O., S. 110f., hinweist, auch unter dem Gesichtspunkt der Steuerungswirkung des Haftungsrechts vorteilhaft: Würde der Grundsatz beschränkter Haftung auf breiter Front außer kraft gesetzt, würden die Steuerungssignale einzelner haftungsrechtlicher Normen von den Unternehmen vermutlich kaum mehr wahrgenommen. 993 994

Siehe bereits oben §3.1.1 .b).bb).(l). am Ende.

Im Zusammenhang mit dem Altlastenproblem macht Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 623, etwa darauf aufmerksam, daß die Entstehung gefährlicher Abfälle in der modernen 1

228

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

die Kausalitätsanforderungen immer weiter gelockert und — wie auch im Falle des CERCLA995 — durch neue Prinzipien kollektiver Haftung ersetzt.996 Man könnte nun versucht sein, an den engen Durchgriffsvoraussetzungen im Konzernrecht festzuhalten, um ein Gegengewicht zu den genannten Entwicklungen im Haftungsrecht zu schaffen. 997 Doch das Konzernhaftungsrecht wäre nicht der richtige Ort für eine grundlegende Kritik 998 an den neuen Konzepten haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit. Womit sollte eine Abkoppelung des Konzernhaftungsrechts vom generellen Haftungsrecht gerechtfertigt werden?999 Wenn sich Muttergesellschaften — unter dem weitgehenden Schutz der restriktiven piercing- Doktrin — der Wirkung allgemeingültiger Haftungsvorschriften ohne weiteres entziehen könnten, wären Konzerne gegenüber anderen Unternehmen begünstigt.1000 Eine solche Sonderstellung könnte der gesellschaftlichen Akzeptanz der Konzernform schaden. Daher ist die mit dem direkten Ansatz einhergehende Ausweitung der Haftung auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht per se negativ zu beurteilen.1001

b) Modifizierte

Durchgriffs-

oder agency-Haftung als Alternative

In den vorstehenden Abschnitten wurden die Vorzüge der Direkthaftung vor dem Hintergrund der traditionellen piercing-Lehit herausgearbeitet. Denkbar sind freilich, wie am Beispiel des CERCLA bereits aufgezeigt wurde, noch

Industriegesellschaft unvermeidlich ist. Das ist zwar richtig, spricht aber nicht per se gegen eine Haftung für damit zusammenhängende Risiken: Der Internalisierungsgedanke lehrt, daß nur dann ein optimales, den gesellschaftlichen Präferenzen entsprechendes Risikoniveau erreicht wird, wenn die Preise der Endprodukte das mit der Herstellung verbundene Schädigungspotential reflektieren. Eingehend hierzu oben § 4.II.l.b).aa). 995

Vgl. oben § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(bb).

996

Eine ausführliche, rechtsvergleichende Diskussion dieser Entwicklung findet sich bei Teubner, a.a.O. (Fn. 18), S. 17ff. 997

Diese Überlegung deutet Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 23 an, der sie jedoch sogleich verwirft. 998

Sofern eine solche überhaupt angezeigt ist.

999

Ähnliche Bedenken äußert Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 2, an.

1000 Vgl. Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 68, der eine ähnliche Beobachtung vor dem Hintergrund eines Vergleichs von (beschränkt haftenden) Kapitalgesellschaften mit anderen Wirtschaftsakteuren macht. 1001

Den Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Akzeptanz betont auch Karsten Schmidt, BB 85, 2074, der sich zur Verschärfung des deutschen GmbH-Konzernhaftungsrechts durch die /fwto&ran-Entscheidung des BGH äußert.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

229

andere Konfliktlösungsmechanismen:1002 eine sektoral ausgerichtete Durchgriffshaftung, die nicht mehr auf einen Mißbrauch der kapitalgesellschaftlichen Form, sondern auf die Intention des einschlägigen Haftungsgesetzes abstellt;1003 oder eine Anwendung der respondeat superior-Grundsätze unabhängig davon, ob zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft eine ûge/zçy-Beziehung im technischen Sinne besteht.1004 Auf diese Weise könnten diese beiden klassischen Haftungsfiguren mit den Merkmalen ausgestattet werden, welche die Überlegenheit des Direkthaftungsmodells gegenüber dem herkömmlichen Durchgriff begründen. Eine Modifikation der Durchgriffs- oder agency- Haftung wäre im Vergleich zum direkten Ansatz jedoch die schlechtere Alternative. Zum einen würde sie Verwirrung stiften. 1005 Hinter den bekannten Begriffen "piercing" bzw. "respondeat superior" mit ihren feststehenden Inhalten würde sich auf einmal — auch — eine eigentlich andersartige Haftung verbergen.1006 Nur zu leicht würde die Prüfung, ob eine Einstandspflicht der beklagten Muttergesellschaft aufgrund einer Haftungsnorm angebracht ist, mit sachfremden Kriterien aus der herkömmlichen Durchgriffs- bzw. agency- Prüfung befrachtet. Zum anderen entspricht die Konstruktion der Direkthaftung phänotypisch am besten dem hier interessierenden Verhalten der jeweils betroffenen Konzernmutter: Weder die Verflechtung mit ihrer Tochter, noch deren fehlerhafte allgemeine Überwachung soll ihr vorgeworfen werden. Vielmehr geht es darum, daß die Muttergesell-

1002

Auf die corporate actor- Regel des gemeinen Deliktsrechts wird nachfolgend nicht eingegangen, weil Tochtergesellschaften bislang nicht unter den Begriff "corporate actor" subsumiert werden, die Anwendbarkeit der Regel hier also fraglich ist. Vgl. oben § 3.1.3.d). Im übrigen ähnelt diese Regel in ihrer Struktur der Direkthaftung so stark, daß es keinen Sinn machen würde, beide als unterschiedliche Konfliktlösungsmechanismen zu behandeln. Vgl. oben § 3.1.3.c). 1003

Dieser Ansatz findet sich in denjenigen Urteilen zu § 107(a) CERCLA wieder, die einen spezifisch bundesrechtlichen Durchgriffsmaßstab entwickeln. Vgl. hierzu oben § 3.1.b).bb).(2). Vgl. auch Reznicsek, 23 Vand. J. Trans. L. 345, 384 (1990), der — ebenfalls im Zusammenhang mit dem CERCLA — argumentiert, die Gerichte sollten nicht zögern, die von ihnen begründete Durchgriffsrechtsprechung bei Bedarf zu lockern. 1004

Vgl. oben § 3.I.2.C).

1005

Auf diese Gefahr macht — allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang — auch Richter Easterbrook in einer Entscheidung zur Betreiberhaftung gemäß § 107(a) CERCLA aufmerksam: "Eine Reihe kleiner Abweichungen von feststehenden Regeln [des gemeinen Rechts] macht das Recht komplexer und weniger vorhersehbar." Edward Hines Lumber Co. v. Vulcan Materials Co., 862 F.2d 155, 158 (7th Cir. 1988) (Original in Englisch). 1006

Vgl. bereits oben § 3.II.

230

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

schaft durch ihre Kontrolle in einem konkreten Fall die entscheidende Ursache für das schadensträchtige Verhalten in der Sphäre ihrer Tochter gesetzt hat.

c) Inhaltliche Ausgestaltung der Direkthaftung Nach alldem steht fest: Die Direkthaftung ist den anderen konzernhaftungsrechtlichen Konzepten des amerikanischen Rechts grundsätzlich überlegen, wenn es gilt, einen Ausgleich zwischen den Zielen des Haftungs- und des Gesellschaftsrechts herbeizuführen. Zu klären bleibt, welche Spielart der Direkthaftung deren Funktion als Konfliktlösungsmechanismus am besten gerecht wird. Bei der Prüfung einer direkten Inanspruchnahme von Konzernmüttern gemäß § 107(a) CERCLA legen die Gerichte, wie gesehen, im einzelnen unterschiedliche Maßstäbe an. 1007 Die damit aufgeworfenen Fragen stellen sich in prinzipiell gleicher Weise, wenn man das Direkthaftungsmodell auf andere Haftungszusammenhänge überträgt: Sollte auf die tatsächlich ausgeübte Kontrolle oder die Kontrollmöglichkeit der Muttergesellschaft abgestellt werden? Welcher Art und wie intensiv muß die Einflußnahme auf das Tochterunternehmen sein?

aa) Tatsächliche Kontrolle als allgemein maßgebliches Kriterium Im Falle des § 107(a) CERCLA ergibt sich ansatzweise schon aus dem Wortlaut1008, deutlicher noch aus der Politik des Gesetzes1009, daß eine direkte Haftung nur dann angezeigt ist, wenn eine Muttergesellschaft tatsächlich Einfluß auf das schadenauslösende Verhalten in der Sphäre ihrer Tochter genommen hat. Die bloße Kontrollmöglichkeit büdet dagegen, auch wenn dies einige Gerichte1010 offenbar anders sehen, keine tragfähige Haftungsgrundlage. Diese Grundsätze erlauben eine angemessene Grenzziehung zwischen haftungs- und gesellschaftsrechtlichen Interessen.1011 Daß eine Direkthaftung auch außerhalb des CERCLA-Kontextes von tatsächlich ausgeübter Kontrolle abhängen sollte, verdeutlichen die folgenden allgemeinen Überlegungen. Einen ersten Anhaltspunkt enthält der Gedanke des Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung. Wörtlich und genau genommen spricht er dafür, Mutterge1007

Vgl. die Zusammenfassung oben § 2.Π.6.

1008

Vgl. oben § 4.1.1.a).bb).(2).

1009

Vgl. oben § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(bb).

1010

Siehe die Nachweise oben § 2.II.2.b).

1011

So ausdrücklich CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 573 (W.D.Mich. 1991); Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1221 (3rd Cir. 1993).

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

231

sellschaften nur für die Folgen solcher Maßnahmen verantwortlich zu machen, die sie in einem positiven Sinne maßgeblich beeinflußt haben.1012 Dieses Argument verliert jedoch an Überzeugungskraft, wenn man die historische ratio des Gleichlaufprinzips berücksichtigt: Um eine Kongruenz von Herrschaft und Haftung in den sich immer weiter verbreitenden Publikumsgesellschaften herzustellen, wurde das Haftungsprivileg für Kapitalanteilseigner eingeführt. 1013 Der einzelne, der damit geschützt werden sollte, verfügte typischerweise über relativ wenige Aktien und daher de facto weder tatsächlich noch potentiell über Macht und Einfluß in "seinem" Unternehmen.1014 Folglich läßt sich dem Gleichlaufjprinzip nicht ohne weiteres entnehmen, ob schon die mögliche oder erst die tatsächliche Herrschaft zur Haftung führen soll. Daß der Möglichkeitstest als Direkthaftungsmaßstab unangemessen ist, ergibt sich jedoch daraus, daß damit weitreichende Eingriffe in die Gestaltungs- und Organisationsautonomie der Unternehmen verbunden sind: Konzernmütter werden praktisch gezwungen, von ihrer per definitionem1015 bestehenden Kontrollmöglichkeit Gebrauch zu machen.1016 Sie laufen sonst Gefahr, überraschend für Schadensrisiken aus dem Betrieb ihrer Tochtergesellschaften verantwortlich gemacht zu werden, ohne darauf wirksam Einfluß nehmen zu können. Blindes Vertrauen darauf, daß die Tochtergesellschaften solche Risiken von ihren Müttern fernhalten, kann letzteren — angesichts der oft hohen Schadenssummen — kaum angeraten werden. Eine Direkthaftung, die auf den Möglichkeitstest zurückgreift, bewirkt demnach fast zwangsläufig eine forcierte Integration von Ober- und Untergesellschaften—jedenfalls in haftungsrelevanten Bereichen. Dies wiederum verringert das Potential flexibler Gestaltung, in dem der besondere Reiz und die erhöhte Effizienz des Konzerns im Vergleich zu anderen Organisations- und 1012

In diesem Sinne denn auch Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 305.

1013

Näher hierzu oben §5.1.1.

1014

Anders Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 379), S. 455: Sie unterstreichen die Möglichkeit auch kleiner Anleger, über gezielte Aktienkauf- und -Verkaufentscheidungen Unternehmenspolitiken zu beeinflussen. Diese Überlegung vermag jedoch nicht zu überzeugen, weil sie unterstellt, daß jeder einzelne eine wichtige Rolle auf den Finanzmärkten spielt oder daß eine bedeutende Zahl von Personen ihr Anlageverhalten koordiniert. Beide Annahmen sind praxisfern. 1015 1016

Vgl. oben § 2.II.

Eine solche Einflußnahme wird in Urteilen, die im Rahmen des § 107(a) CERCLA den Möglichkeitstest (zur Haftung unabhängiger Aktionäre) anwenden, ausdrücklich zum Ziel erklärt. Vgl. etwa Nurad, Inc., v. William E. Hooper & Sons Co., 966 F.2d 837, 842 (4th Cir. 1992); City of North Miami, Fla. v. Berger, 828 F.Supp. 401, 409 (E.D.Va. 1993); U.S. v. TIC Inv. Corp., 866 F.Supp. 1173, 1179 (N.D.Iowa 1994).

232

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Koordinationsformen wirtschaftlichen Handelns liegen.1017 Diese Gefahr besteht nicht, wenn Haftungsfolgen nur an die tatsächlich ausgeübte Kontrolle einer Muttergesellschaft geknüpft werden. Zwar beeinflußt auch eine derartige Direkthaftung — allein dadurch, daß sie die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme erhöht — in gewisser Weise organisatorische Entscheidungen. Doch kann die betroffene Muttergesellschaft weiterhin zwanglos bestimmen, inwieweit sie ihrer Tochter Aktionsfreiheit einräumen will. Auf diese Weise wird dem Anliegen des Gesellschaftsrechts, zu einer optimalen Organisation der Unternehmenstätigkeit beizutragen, angemessen Rechnung getragen.

bb) Art und Intensität der Einflußnahme Konzerninterne Kontrolle läßt sich, wie oben1018 dargelegt wurde, nicht abstrakt, sondern nur in einem konkreten Zusammenhang überhaupt erfassen. Allgemeine Aussagen zu den Anforderungen, die im Rahmen der Direkthaftung an die Art und Intensität der Einflußnahme von Konzernmüttern zu stellen sind, sind daher nur beschränkt möglich. Soviel steht jedoch fest: Keinesfalls ist ein eigener physischer Beitrag der Muttergesellschaft zur Schadensentstehung erforderlich, um diese haftbar zu machen. Ein solches Erfordernis würde wenig Sinn machen, da im Konzern gerade ausführende Maßnahmen mehr oder weniger vollständig auf die Tochterebene delegiert sind.1019 Maßgebend muß vielmehr sein, wo gerade die betreffende betriebliche Entscheidung getroffen worden ist. Zu fragen ist daher: Sind die einschlägigen Informationen in den Entscheidungsgremien der Konzernmutter verarbeitet und in Form spezifischer Vorgaben an die Tochter weitergegeben worden, deren Umsetzung letztlich den Schaden verursacht hat?1020 Das hört sich zugegebenermaßen ziemlich abstrakt an. Die genannten unbestimmten Rechtsbegriffe ("einschlägige Informationen", "verarbeiten", "spezifische Vorgaben", "Umsetzung") können aber vor dem Hintergrund der jeweiligen Haftungsnorm ausgefüllt und präzisiert werden. Dabei können alle möglichen Umstände als Indizien für eine entsprechend intensive Einflußnahme

1017 Vgl. Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 308ff. u. 385f.; siehe auch Lansford-Coaldale Water Authority ν. Tonolli Corp., 4 F.3d 1209, 1221 am Ende (3rd Cir. 1993). Eingehend zu diesem Aspekt unten § 5.III.2.b).aa). 1018

§5.111.l.a).bb).(2).

1019

Ähnlich Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 495.

1020 Diese Aspekte betonen auch Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 304, und Druey in: St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 89, 98f.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

233

der Muttergesellschaft dienen.1021 So betrachtet, erscheint es letztlich durchaus legitim, daß viele Urteile zu § 107(a) CERCLA nicht (nur) unmittelbar auf den Umgang mit Gefahrstoffen in der tochtereigenen Anlage rekurrieren, sondern auch eine Vielzahl allgemeiner Kriterien untersuchen.1022 Besonders gute Beispiele für die hier gemeinte Kontrolle sind in folgenden Situationen zu sehen: *

Vertreter der Muttergesellschaft im board der Tochter wirke Entscheidungen über die Erweiterung und Nutzung einer tochtere Anlage mit und beeinflussen auf diese Weise die dortige Handha von Gefahrstoff en.1023

*

Eine Abteilung des Mutterunternehmens steuert nicht nur allgeme Umweltpolitik der Tochtergesellschaft, sondern kontrolliert ko die Errichtung, Unterhaltung und den Austausch unterirdische Tanklager. Aus einem solchen Lager treten halogenierte Kohlenwa stoffe aus und verseuchen die Umwelt. 1024

d) Ergebnis Das Ergebnis der Suche nach einem allgemein geeigneten Konfliktlösungsmechanismus für das amerikanische Konzernhaftungsrecht lautet: Eine direkte Haftung von Konzernmüttern bringt die widerstreitenden Ziele des Haftungs- und des Gesellschaftsrechts am besten zum Ausgleich. Dabei ist stets nach dem Ort der tatsächlichen Entscheidungsbildung (in der Mutter- oder der Tochtergesellschaft?) in bezug auf die konkret interessierende Angelegenheit zu fragen. Dieses zweiten Schrittes bedarf es natürlich nur, wenn zunächst - unter Rückgriff auf die Politik des Gesetzes - festgestellt wurde, daß die Muttergesellschaft den betreffenden Haftungstatbestand überhaupt verwirklicht hat.1025 Die Direkthaftung sollte trotz ihrer Überlegenheit gegenüber dem Durchgriff nicht als dessen Substitut, sondern lediglich als Ergänzung des amerikanischen Konzernhaftungsrechts begriffen werden. Die piercing-Léhic kann in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich, dem Schutz vertraglicher Gläubiger vor benachteiligenden Maßnahmen, weiterhin sachgerechte Ergebnisse hervorbrin1021

Vgl. die Beispiele bei Antunes, a.a.O., S. 394f.

1022

Näher hierzu oben § 2.II.6., insbesondere Fn. 343.

1023

So geschehen im Fall CPC Intern., Inc. v. Aerojet-General Corp., 777 F.Supp. 549, 568 (W.D.Mich. 1991). 1024

Vgl. den Fall In Re Tutu Wells Contamination Litigation, 846 F.Supp. 1243, 1263f. (D.Virgin Islands 1993). 1025

Vgl. zu den Kriterien dieser Prüfung oben § 4.III. am Ende.

234

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

gen: Dort geht es um andere Gesichtspunkte als die Gefahrdung haftungsrechtlicher Ziele durch die Haftungsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften. Zudem kann die Durchgriffshaftung im Einzelfall Bedeutung als Auffangtatbestand erlangen. So mag es für einen Geschädigten mitunter leichter sein, die allgemeinen Voraussetzungen für einen Durchgriff nachzuweisen als eine spezifische Einflußnahme der beklagten Muttergesellschaft in dem konkret interessierenden Bereich.1026 Vorstellbar ist auch, daß eine allgemeine Haftungsnorm aufgrund ihrer besonderen Struktur eine direkte Inanspruchnahme von Konzernmüttern schlechthin nicht zuläßt.

2. Ökonomische Analyse als normative Kontrollüberlegung

Die Grenzziehung zwischen Haftungs- und Gesellschaftsrecht, die dem soeben vorgestellten Direkthaftungsmodell zugrundeliegt, ist naturgemäß eine — jedenfalls in gewissem Umfang — subjektive Wertentscheidung. Daß den wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Unternehmen in der Abwägung mit Umweltschutzzielen ein bestimmtes Gewicht beigemessen wurde, spiegelt also (auch) die persönlichen Präferenzen des Verfassers wider. Mit Hilfe ökonomischer Analyse läßt sich dieser Abwägungsvorgang verobjektivieren.1027 Zwar ist es nicht unbedenklich, die Auswirkungen der Direkthaftung auf die Wertschöpfung der Unternehmen gegen die positiven Effekte des Haftungsrechts auf die gesamtwirtschaftliche Ressourcenallokation aufzurechnen. 1028 Erkennt man jedoch die von vornherein begrenzte Aussagekraft der ökonomischen Analysemethode an, so kann sie der Diskussion nur nützen: Die Direkthaftung

1026

Freilich wäre an Beweiserleichterungen oder eine Beweislastumkehr zugunsten der geschädigten Personen zu denken. Diese Möglichkeit kann hier aus Platzgründen jedoch nicht vertieft werden. Vgl. aber Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 395ff. 1027

Wahrlich objektiv ist natürlich auch die ökonomische Analyse nicht, da sie auf Prämissen — insbesondere den Annahmen und Zielen der (neo-)klassischen Ökonomie — beruht, die ihrerseits keineswegs wertneutral sind. 1028

Immerhin hat beispielsweise der Kongreß mit dem CERCLA zum Ausdruck gebracht, daß die Altlastensanierung im Interesse der Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit einen hohen Stellenwert haben soll. Diese normative Vorgabe läßt sich nur unvollständig in ökonomische Kategorien übersetzen. Vgl. Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 843. Dieses Problem verkennt Günther H. Roth, ZGR 86, 371f., wenn er meint, beim Prinzip der Haftungsbeschränkung gehe es "ganz vorrangig um die Kollision wirtschaftlicher Interessen". Spätestens seit mit dem Haftungsrecht (auch) spezifische, meist gesetzliche Politiken verfolgt werden, weisen Haftungsverhältnisse einen öffentlichen Einschlag (vgl. hierzu oben § 5.II.1.) auf, der mit preistheoretischen Modellen nicht ohne weiteres erfaßt werden kann.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

235

wirkt als Konfliktlösungsmechanismus noch überzeugender, wenn sie auch bei wirtschaftlicher Betrachtung überwiegend positive Effekte hervorbringt. Am Beispiel des CERCLA wurde bereits1029 nachgewiesen, wie die Direkthaftung die Allokationsfunktion des Haftungsrechts unterstützt. Nachfolgend soll die Kehrseite, eine mögliche Minderung der Effizienz des Wirtschaftssystems durch das zusätzliche Haftungsrisiko, näher untersucht werden. Aus dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse stellt sich die Direkthaftung in der hier befürworteten Form so dar: Einerseits wird die Haftungsbeschränkung in Konzernen partiell, das heißt gegenständlich begrenzt, aufgehoben.1030 Andererseits wird die damit eingeführte unbeschränkte Haftung (subjektiv) auf solche Muttergesellschaften begrenzt, die in der betreffenden Angelegenheit tatsächlich Einfluß auf ihre Töchter genommen haben. Zwischen diesen beiden Aspekten ist hier zu unterscheiden.

a) Partiell unbeschränkte Haftung Die Wahl zwischen beschränkter und unbeschränkter Haftung kann anhand folgender ökonomischer Parameter getroffen werden: Investitionsbereitschaft der Unternehmen, Funktionieren der Aktienmärkte sowie Informations- und Überwachungskosten.1031 Dabei sind jeweils Besonderheiten zu beachten, die sich aus der Konzernform ergeben.

aa) Reduzierte Investitionsbereitschaft der Unternehmen? Ein wichtiges Anliegen bei der Einführung des Prinzips beschränkter Haftung bestand darin, unternehmerische Aktivitäten nicht mit unübersehbaren Risiken zu belasten.1032 Kapitalgesellschaften seien "von Natur aus" tendenziell risikoscheu.1033 Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, die Gefahr unbeschränkter Haftung halte Unternehmen von gesellschaftlich erwünschten Investitionen ab. Auf diese Weise werde die Innovations- sowie Produktionskraft und damit die

1029

Oben §4.11.1.

1030

Vgl. bereits oben §5.11.1.

1031

Kritisch zur Aussagekraft derartiger ökonomischer Kriterien im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen des Prinzips beschränkter Haftung: Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 22f. 1032

Siehe oben §4.1.1.

1033

So ausdrücklich Dent, a.a.O. (Fn. 544), S. 167 u. 171, insbesondere Fn. 117.

236

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Wertschöpfimg der Wirtschaft beeinträchtigt.1034 Das Risiko einer direkten Haftung wie bei § 107(a) CERCLA führe — zumal angesichts der mangelnden Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung — dazu, daß der betreffende Industriesektor 1035 von potentiell interessierten Gesellschaften gemieden werde.1036 Danach wäre zu befürchten, daß Muttergesellschaften ihre Töchter dazu anhalten, ausschließlich (mehr oder weniger) risikolose Engagements einzugehen. Eine solche Schlußfolgerung erscheint jedoch fragwürdig. Selbst wenn man als Prämisse akzeptierte, Kapitalgesellschaften seien risikoscheu: Es wäre schwerlich einzusehen, warum ausgerechnet die Sorge vor der zusätzlichen, eben w/zbeschränkten Haftung dazu führen sollte, daß bestimmte Vorhaben nicht unternommen werden. Schon bei beschränkter Haftung droht eine Konzernmutter als Anteüseignerin ihre anfängliche (Kapital-)Investition zu verlieren. Wäre sie wirklich risikoscheu, würde sie also auch bei beschränkter Haftung darauf hinwirken, daß ihre Tochtergesellschaft keine besonders großen Risiken eingeht.1037 Tatsächlich zeigen Kapitalgesellschaften ohnedies nicht Scheu, sondern Neutralität gegenüber Risiken.1038 So investieren Tochterunternehmen — durchaus 1034

Vgl. Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 104: Die gesamtgesellschaftlichen Kosten infolge einer verringerten Investitionstätigkeit stellten mögliche Vorteile unbeschränkter Haftung — etwa die Abschreckung unerwünschter, das heißt exzessiv gefährlicher Aktivitäten — in den Schatten. Siehe auch Blumberg, a.a.O. (Fn. 335), S. 304 (beschränkt auf Konglomerate); Dent, a.a.O., S. 167; Michael Lehmann, a.a.O. (Fn. 809), S. 353 u. 356. 1035

Das heißt in diesem Fall: diejenigen Bereiche, in denen mit toxischen Substanzen gearbeitet wird. 1036

So Little, a.a.O. (Fn. 285), S. 1513; Oswald, a.a.O. (Fn. 86), S. 629; Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 623; Wallace, a.a.O. (Fn. 45), S. 864. Insbesondere wird gewarnt, die verringerte Investitionsbereitschaft könne sich sogar gegen die Zielsetzung des CERCLA kehren: Aufgrund des unübersehbaren Haftungsrisikos würden Unternehmen vom Erwerb und damit auch von der Sanierung belasteter Anlagen abgehalten. Vgl. In Re Acushnet River & New Bedford Harbor Proceed., 675 F.Supp. 22, 32 (D.Mass. 1987); John Boyd Co. v. Boston Gas Co., 775 F.Supp. 435, 442 (D.Mass. 1991); Little, a.a.O., S. 1515f. 1037 1038

Presser, a.a.O. (Fn. 370), S. 159.

Mangelnde Risikobereitschaft wäre gerade bei einer Tochtergesellschaft unangebracht: Erstens sind die Anleger am Kapitalmarkt, die Aktionäre der Konzernmutter, weiterhin durch den Grundsatz beschränkter Haftung geschützt. Zweitens können die von einer Tochtergesellschaft eingegangenen Risiken — sei es auf der Ebene des jeweiligen Konzerns, sei es durch entsprechende Portfoliogestaltung der Anleger — problemlos vermindert und kontrolliert werden. Vgl. zum letztgenannten Aspekt Brealey /Myers, a.a.O. (Fn. 803), S. 165 u. passim sowie unten § 5.III.2.a).bb).

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

237

im Interesse ihrer Mütter — auch in risikoreiche Projekte, wenn die zu erwartende Rendite dem Risiko angemessen und der Gegenwartswert des Projekts (net present value) daher positiv ist.1039 Diese Bereitschaft wird in vielen Bereichen, namentlich in der mit Gefahrstoffen arbeitenden Industrie, durch psychologische Faktoren unterstützt. Da häufig viel Zeit vergeht, bis sich Schäden durch solche Stoffe manifestieren, werden Risiken hier eher zu bereitwillig als zu zurückhaltend eingegangen.1040 Aus Sicht der unmittelbaren Entscheidungsträger, der leitenden Angestellten der Tochtergesellschaft, kommt hinzu: Ihr persönliches Risiko ist selbst im schlimmsten Fall — wenn Schadenersatzforderungen "ihre" Gesellschaft in die Insolvenz treiben — relativ klein: Zwar ist ihr Humankapital in gewissem Maße firmenspezifisch und im Wert vom Fortbestand des Unternehmens abhängig. Ist die insolvente Gesellschaft jedoch Teil eines Konzerns1041, so kann dieses Humankapital oft problemlos in einem anderen Teil des Gesamtunternehmens zum Einsatz kommen.1042 Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist somit nicht zu besorgen, daß die Direkthaftung zu einer nennenswerten Verringerung von Investitionen führt. 1043 Im Einzelfall mag dies freilich anders sein. Denn mit der partiellen Aufhebung der Haftungsbeschränkung wird die Möglichkeit beschnitten, daß Unternehmen gefährliche Tätigkeiten in Tochtergesellschaften auslagern, um damit verbundene Schadensrisiken zu externalisieren.1044 Denkbar ist daher, daß einzelne Vorhaben von Tochtergesellschaften, die sich bei beschränkter Haftung (auch) für die beteiligten Konzernmütter auszahlen würden, bei direkter Haftung unattraktiv sind: Das erhöhte Risiko eigener Inanspruchnahme schlägt für die jeweilige Muttergesellschaft als negativer Cashflow zu Buche und ist von den Erträgen abzuziehen, die diese von ihrer Tochter erwartet. Folglich fällt der Gegenwartswert der prognostizierten Rendite niedriger aus — möglicherweise sogar negativ. Es ist aber nicht als nachteilig zu werten, wenn derartige Investitionen auf Druck der Konzernmütter unterbleiben. Denn das erhöhte Haftungsrisiko, das zur 1039

N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 989; näher hierzu Brealey /Myers,

a.a.O., S. 179f. u.

passim. 1040

Hansmann/Kraakman,

a.a.O. (Fn. 83), S. 1908f.

1041

Dessen Bestand, das sei hier unterstellt, trotz unbeschränkter Haftung durch die Schadenersatzverpflichtung nicht insgesamt gefährdet wird. 1042

Vgl. hierzu bereits oben § 4.II.l.b).bb)., insbesondere Fn. 820.

1043

Bedenklicher erscheint unter diesem Gesichtspunkt die Haftung von Nachfolgeunternehmen (näher hierzu unten § 6.1.2.): Durch sie werden asset- und Gesellschaftsanteilskäufe mit dem Risiko belastet, daß der Käufer später für Sanierungskosten einstehen muß. Diese — an sich gesondert zu beurteilende — Haftung kann auch Mutterunternehmen treffen. 1044

Näher hierzu oben § 4.II. 1 .b).bb).

238

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Korrektur der Renditeerwartungen zwingt, reflektiert die Kosten möglicher Schäden.1045 So betrachtet, wirkt sich die unbeschränkte Haftung nur zu Lasten von Projekten bzw. Unternehmen aus, die exzessiv gefahrlich und daher gesellschaftlich unerwünscht sind.1046

bb) Beeinträchtigte Funktionsfähigkeit der Aktienmärkte? Gegen unbeschränkte Haftung wird außerdem vorgebracht,1047 sie würde die Funktionsfähigkeit der equity-Märkte stören.1048 Es könnten keine einheitlichen Aktienkurse mehr ermittelt werden, da der Wert eines Kapitalanteils vom Vermögen des jeweiligen Investors abhinge.1049 Folglich würden die Kurse ihre Funktion als Indikatoren für den Wert der Unternehmen einbüßen. Jeder potentielle Investor müßte — mit erheblichem Aufwand — zunächst ermitteln, welchen (subjektiven) Wert eine Aktie für ihn hätte. Das würde den freien Aktienhandel zumindest erschweren und verteuern. Zudem könnte es zu einer negativen Auslese der Anteüseigner eines Unternehmens kommen: Wohlhabende Investoren, für welche die Aktien einen relativ geringeren Wert hätten, würden zunehmend durch weniger vermögende verdrängt.1050 Dies wiederum würde die Kreditwürdigkeit der betreffenden Gesellschaften beeinträchtigen. Diese hätten 1045

Vgl. in diesem Zusammenhang die Überlegungen zur Internalisierung von Altlastenschäden, oben § 4.II.l.b).aa). 1046

Ähnlich Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1888; N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 990; vgl. auch N.N., a.a.O. (Fn. 382), S. 870.

1047 Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 96; Halpern/Trebilcock/Turnbull, a.a.O (Fn. 772), S. 131; Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 8; Wolfer, a.a.O. (Fn. 345), S. 979. 1048 Grundlegende Zweifel an dieser These äußert jedoch Grundfest, 102 Yale L. J. 387, 389f. u. passim (1992): In Zeiten internationaler equity-WkkXt sei es vergleichsweise einfach zu verhindern, daß sich die Auferlegung unbeschränkter Haftung auf den Kurs der Aktie eines Unternehmens auswirke. Gegen Vollstreckungsmaßnahmen geschützte (z. B. ausländische) Investoren könnten die betreffenden Anteile halten; mittelbar, nämlich mit Hilfe von Derivaten (Futures, Optionen oder Swaps), könnten wiederum andere Investoren beteiligt werden, ohne daß diese ein Risiko unbeschränkter Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten eingingen. Vgl. auch Alexander, a.a.O. (Fn. 256), S. 431. 1049

Dieser — mögliche — Effekt läßt sich so erklären: Unter der Annahme gesamtschuldnerischer Haftung würde jeder Aktionär persönlich und unbeschränkt für die gesamten Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft haften. Deren Gläubiger würden sich, um ihre Rechtsverfolgungskosten zu minimieren, an finanzstarke Anteilseigner halten. Wegen dieses Haftungsrisikos würde sich der Wert einer Aktie umgekehrt proportional zum Vermögen ihres Inhabers verhalten. 1050

Winton, 48 J. Fin. 487, 490 (1993).

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

239

es insgesamt schwerer, sich in ausreichendem Maße und zu günstigen Konditionen Kapital zu beschaffen. 1051 Dieses - mit Blick auf unabhängige Gesellschaften entworfene - Szenario1052 läßt sich aber nicht ohne weiteres auf den Konzernkontext übertragen. Denn wo eine Muttergesellschaft sämtliche Anteile an ihrer Tochter hält, besteht — hinsichtlich dieser Anteile — von vornherein kein Markt, der beeinträchtigt werden könnte.1053 Sofern sich daneben noch Aktien in Streubesitz befinden, läßt sich die geschilderte Problematik zwar nicht völlig von der Hand weisen.1054 Praktisch dürfte die Funktionsfähigkeit der Märkte aber auch hier nicht gefährdet sein: Gläubiger werden ihre (das Vermögen der Tochtergesellschaft übersteigenden) Forderungen in der Regel nur gegen deren Mutter als finanzkräftigste Anteilseignerin richten — nicht gegen die Minderheitsaktionäre. Bei letzteren dürften die Voraussetzungen für eine direkte Inanspruchnahme im übrigen nur selten erfüllt sein.1055 Für die Minderheitsaktionäre ist das Risiko unbeschränkter Haftung deshalb vernachlässigbar. Auch der Handel mit Anteilen am Mwiteninternehmen wird nicht beeinträchtigt, solange die Haftungsbeschränkung zugunsten der Investoren am Kapitalmarkt erhalten bleibt. Denn die Direkthaftung von Konzernmüttern wirkt sich unmittelbar nur im Verhältnis zu deren Töchtern aus; der Aktienkurs des Mutterunternehmens kann weiterhin objektiv und einheitlich festgesetzt werden. Freilich ist dieser Kurs potentiell stärkeren Schwankungen unterworfen, da er für verminderte Erträge der Muttergesellschaft — infolge vermehrter Schadenersatzverpflichtungen aus der Sphäre der Tochter — anfällig ist. 1056 Mit anderen 1051

Vgl. Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 313.

1052

Das sich im übrigen vermeiden läßt, wenn man Aktionäre für Verbindlichkeiten aus der Sphäre "ihrer" Gesellschaften nur pro rata - entsprechend ihrem Kapitalanteil haften läßt. Denn dadurch läßt sich sicherstellen, daß eine Aktie für jeden Gesellschafter denselben Wert und damit auch einen einheitlichen Kurs hat. Halpern/Trebilcock/ Turnbull, a.a.O. (Fn. 772), S. 137f.; Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1903; Leebron, a.a.O. (Fn. 470), S. 1609. Die oben diskutierte Haftung gemäß § 107(a) CERCLA ist freilich gesamtschuldnerischer Art. Vgl. oben § 2.1.4.b).aa). 1053

Vgl. Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 232.

1054

Vgl. Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 96; Hofstetten a.a.O. (Fn. 816), S. 307.

1055

Insbesondere an der tatsächlichen Kontrolle betrieblicher Entscheidungen der Tochtergesellschaft fehlt es Minderheitsaktionären in den meisten Fällen. Vgl. hierzu oben §5.111.l.b).aa). u. bb). 1056

Der Kurswert einer Aktie wird bestimmt: von den Unternehmenserträgen je Aktie (earnings per share) und dem Gegenwartswert des Wachstumspotentials der Gesellschaft. Vgl. Brealey /Myers, a.a.O. (Fn. 803), S. 57ff.

240

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Worten: Die Aktien möglicherweise betroffener (Mutter-)Unternehmen werden zu einer risikoreicheren Kapitalanlage. Das bedeutet nicht, daß sie für Investoren weniger interessant würden.1057 Schließlich ist das zusätzliche Risiko unternehmensspezifisch und daher durch überlegte Portfoliogestaltung wegdiversifizierbar. 1058 Die Aktionäre der Konzernmütter erwarten jedoch eine höhere Rendite.1059 Auf diese Weise führt die unbeschränkte Haftung im Konzern zu erhöhten Kapitalkosten (cost of capital) für haftungsgefahrdete Unternehmen.1060

cc) Höhere Informations- und Überwachungskosten? Unbeschränkte Haftung wird teilweise auch deshalb als ineffizient abgelehnt, weil sie Aktionäre dazu zwinge, sowohl das Management "ihrer" Gesellschaft als auch andere Anteüseigner verstärkt zu überwachen; dies verursache zusätzliche Kosten. Nur vor dem Hintergrund des Haftungsprivilegs sei es rational und vertretbar, sich auf eine Rolle als passiver Investor zu beschränken. Die Gefahr unbeschränkter Haftung lege es hingegen nahe, daß ein Aktionär seine Mitwirkungs- und Kontrollrechte im Unternehmen aktiv wahrnehme.1061 Zugleich sei er gezwungen, Informationen über andere Anteilseigner einzuholen, da sein Haftungsrisiko de facto von deren jeweiliger Vermögenssituation abhänge.1062 Eine Notwendigkeit, andere Aktionäre zu überwachen, besteht im Konzern aber durchweg nicht. Denn selbst wenn es neben der Muttergesellschaft noch 1057

So aber offenbar Presser, a.a.O. (Fn. 370), S. 173, insbesondere Fn. 89.

1058

Näher hierzu Brealey /Myers,

a.a.O. (Fn. 803), S. 153ff.

1059

Zu den Renditeerwartungen der Aktionäre und ihrem Investitionsverhalten vgl. Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 379), S. 455. 1060

Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1903; vgl. Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 8 unten. Kritisch zu höheren Kapitalkosten der Unternehmen infolge gesteigerter Haftungsrisiken: Posner, a.a.O. (Fn. 814), S. 509. 1061 Vgl. Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 94f.; Halpern/Trebilcock/Turnbull, a.a.O. (Fn. 772), S. 125; Wolfer, a.a.O. (Fn. 345), S. 979. Zweifelnd allerdings Meiners/Mof sky /Tollison, 4 Del. J. Corp. L. 359, 363 (1979); Presser, a.a.O. (Fn. 370), S. 159. 1062

Easterbrook/Fischel, a.a.O., S. 95. Differenzierend jedoch Meiners/Mof sky/ Tollison, a.a.O.: Auch bei unbeschränkter Haftung bestehe keine Notwendigkeit, alle anderen Aktionäre zu überwachen, da nur wenige, besonders wohlhabende unter ihnen ernsthaft als Schuldner in Betracht kämen. Zum Zusammenhang zwischen dem Vermögen eines Aktionärs und seinem Haftungsrisiko (bei unbeschränkter und gesamtschuldnerischer persönlicher Haftung) vgl. bereits oben § 5.III.2.a).bb)., insbesondere Fn. 1048.

III. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

241

außenstehende Aktionäre gibt, ist deren Haftungsrisiko praktisch äußerst gering zu veranschlagen.1063 Auch das angeblich gesteigerte Bedürfnis, die Führung der (Tochter-)Gesellschaft zu überwachen, eignet sich im Hinblick auf Muttergesellschaften nicht als Argument gegen die unbeschränkte Haftung. Denn erstens übt eine Konzernmutter in den meisten Fällen ohnehin eine (mehr oder weniger) intensive Kontrolle über ihre Tochter aus.1064 Als entscheidender Gesichtspunkt kommt bei der Direkthaftung hinzu, daß diese idealiter an die tatsächliche Einflußnahme einer Muttergesellschaft auf die betreffenden Angelegenheiten ihrer Tochter anknüpft. 1065 Eine Konzernmutter wird hier also überhaupt nur dann mit unbeschränkter Haftung belastet, wenn sie ihre Tochter vergleichsweise einfach und kostengünstig überwachen kann.1066 Weiterhin wird behauptet, unbeschränkte Haftung führe zu höheren Informations- und Überwachungskosten auch für Gläubiger, insbesondere Kreditoren, von Mutterunternehmen. Wenn Konzernmütter für Verbindlichkeiten aus der Sphäre ihrer Töchter in Anspruch genommen werden könnten, werde es für deren Gläubiger notwendig, konzernweite Risikoanalysen vorzunehmen. Die Kreditwürdigkeit sei nicht mehr nur für die kreditnehmende Gesellschaft, sondern für die gesamte Unternehmensgruppe zu prüfen. 1067 Dieser Nachteil unbeschränkter Haftung ist ernstzunehmen, sollte aber nicht überbewertet werden: Vor allem in der Bankpraxis ist es nicht unüblich, Tochtergesellschaften schon deshalb in die Bonitätsprüfung und andere Überlegungen einzubeziehen, um deren Vermögen ggfs. als zusätzliche Sicherheit verwenden zu können.1068

1063

Vgl. in diesem Zusammenhang bereits oben § 5.III.2.a).bb).

1064

So Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 95f.

1065

Vgl. oben §5.111.l.c).aa).

1066 Dieser Kostenvorteil tritt zumal im Vergleich mit unfreiwilligen Gläubigern zutage, welche die — externalisierten — Schadenskosten sonst zu tragen hätten. Vgl. zum Ganzen im Hinblick auf die CERCLA-Direkthaftung oben § 4.II.l.b).cc). sowie Stewart/Campbell, a.a.O. (Fn. 195), S. 9. Unabhängig von den Besonderheiten der Direkthaftung meint auch Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 232, die günstige Position einer Muttergesellschaft in bezug auf die Überwachung ihrer Tochter spreche für die Aufhebung der Haftungsbeschränkung. Ähnlich Halpern/Trebilcock/Turnbull, a.a.O. (Fn. 772), S. 135, die eine entsprechende Aussage für alle Gesellschaften mit nur wenigen Anteilseignern treffen. 1067

Posner, a.a.O. (Fn. 814), S. 517.

1068

Zudem kann es praktisch schwierig oder gar ausgeschlossen sein, einzelne Vermögensgegenstände einem bestimmten Konzernglied zuzuordnen und das Vermögen einer Unternehmensgruppe auf diese Weise aufzuteilen. Vgl. Frost, a.a.O. (Fn. 814), S. 456, der diese Beobachtung im Zusammenhang mit der substantive consolidation- Doktrin im Konkursrecht macht. 16 Ochsenfeld

242

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

Die — ohnedies nur sektoral eingreifende — Direkthaftung verursacht daher wohl nur in begrenztem Maße zusätzliche Kosten für Gläubiger.1069

b) Abhängigkeit des Haftungsregimes

vom Grad der Integration

In den vorangehenden Abschnitten wurde untersucht, wie sich ökonomisch auswirkt, daß die Direkthaftung von Konzernmüttern den Grundsatz beschränkter Haftung in einzelnen Bereichen außer Kraft setzt. Die insoweit eingeführte unbeschränkte Haftung ist jedoch subjektiv begrenzt. Sie trifft eine Muttergesellschaft — nach dem oben1070 entwickelten Direkthaftungsmodell — nur dann, wenn diese in der entscheidenden Frage tatsächlich Einfluß auf ihre Tochter genommen hat. Der Obergesellschaft bleibt es überlassen, die Konzernierungsdichte im Hinblick auf den betreffenden Sachbereich zu bestimmen: Sie kann zwischen einem lockeren Verbund und einer starken Integration wählen; (nur) im letzteren Fall geht sie das Risiko ein, für Verbindlichkeiten aus der Sphäre der Untergesellschaft in Anspruch genommen zu werden.1071 Macht es bei ökonomischer Betrachtung Sinn, die Rechtsfolge unbeschränkter Konzernhaftung vom Ob" und "Wie" der Verflechtung der verbundenen Unternehmen abhängig zu machen?1072

aa) Wahrung des Effizienzpotentials der Konzernform Mit der beschriebenen Wahlfreiheit wird das spezifische Effizienzpotential der Konzernform gewahrt, das in der Flexibilität der Innenbeziehungen (zwischen den Gliedunternehmen) liegt. Würde die unbeschränkte Haftung der Muttergesellschaften unterschiedslos — also auch dann, wenn tatsächlich kein Einfluß auf die betreffenden Geschäfte der Töchter genommen wird — eingreifen, 1073 so wäre 1069

Blumberg, a.a.O. (Fn. 367), S. 96, meint gar, es würden überhaupt keine zusätzlichen Kosten entstehen: Für Gläubiger sei es einerlei, ob bestimmte Aktivitäten von einer separat inkorporierten Tochter oder einer Abteilung des (Mutter-)Unternehmens unternommen würden. Diese Aussage ist für sich genommen richtig; Blumberg übersieht dabei jedoch, daß die Alternative statt: "Tochtergesellschaft oder bloße Abteilung?" auch: "Tochtergesellschaft mit oder ohne Haftungsbeschränkung?" lauten kann. 1070

Siehe §5.m.l.d).

1071

Auch wenn die engen Voraussetzungen für ein piercing nicht vorliegen.

1072

Auch Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 470, konstatiert diesen Zusammenhang zwischen Konzernierungsdichte und Haftung in der jüngeren amerikanischen Rechtsprechung. 1073

Dies wäre etwa der Fall, wenn der oben (§ 2.ü.2.b).) beschriebene Möglichkeitstest angewandt würde.

ΙΠ. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

243

die Zahl der Verhaltensalternativen faktisch auf zwei1074 reduziert. Einerseits könnte sich eine Konzernmutter zur Kontrolle von betrieblichen Angelegenheiten ihrer Tochter veranlaßt sehen, um damit ihr Haftungsrisiko zu steuern.1075 Dazu käme es möglicherweise selbst dort, wo eine Kontrolle wirtschaftlich wenig sinnvoll oder der Muttergesellschaft eigentlich unerwünscht ist. Andererseits könnte sich das betroffene Unternehmen entschließen, risikoreiche Tätigkeiten nicht konzernintern, sondern von unabhängigen Vertragspartnern ausführen zu lassen. In beiden Fällen würden unter dem Druck des Haftungsrechts potentielle Vorteile der Konzernform verspielt: Die forcierte Integration von Ober- und Untergesellschaften — wenigstens in haftungsrelevanten Teilbereichen — würde bedeuten, daß die betreffenden Konzerne insoweit wie Einheitsunternehmen geführt würden. Als Folge wäre der mögliche Umfang der Geschäftstätigkeit faktisch begrenzt: Jede weitergehende Expansion wäre, wenn nicht erschwert, so doch mit Effizienzverlusten verbunden.1076 Denn die Ausübung von Kontrolle in großen, hierarchischen Organisationen ist nicht nur relativ kostenaufwendig, sondern wird ab einem bestimmten Punkt vollends unpraktikabel und versagt.1077 Demgegenüber zeichnet sich die Konzernform durch dezentrale Führungs- und Entscheidungsstrukturen aus. Innerhalb solcher Strukturen bleibt unternehmerisches Wachstum handhabbar; vor allem entstehen auch für Entscheidungsträger auf untergeordneten Ebenen Anreize, Eigeninitiative zu entwickeln. Darin liegt die besondere Leistungsfähigkeit des Konzerns begründet.1078 Man könnte nun vertreten, diese Vorteile ließen sich bereits dadurch erreichen, daß ein Einheitsunternehmen in organisatorisch sinnvolle Abteilungen untergliedert werde. Diese brauchten nicht in jeweils für sich inkorporierte Tochtergesellschaften verwandelt zu werden.1079 Indes: Nur in gesonderten

1074

Tatsächlich bestünden eine Reihe weiterer Verhaltensalternativen, die unten (§ 6.1.) im einzelnen aufgeführt werden. Hier bedürfen diese zusätzlichen Möglichkeiten jedoch keiner Erörterung, da sie nicht zu Abweichungen von der Konzernform führen. 1075

Auf diese Gefahr wurde bereits oben, § 5.III.l.c).aa)., hingewiesen.

1076

Vgl. Frost, a.a.O. (Fn. 814), S. 472: "Die marginalen Einsparungen durch Integration nehmen in dem Maße ab, wie ein Unternehmen wächst." (Original in Englisch). 1077

Näher Coase, The Firm, the Market, and the Law, S. 43ff.; Frost, a.a.O., S. 472f. ; Williamson , Corporate Control and Business Behavior, S. 114 u. passim; der s., Economic Organization, S. 32ff. 1078

Vgl. etwa Lutter in: Holding-Handbuch, Rz. A2; Teubner in: Regulating Corporate Groups in Europe, S. 67, 84f. 1079

16*

So Frost, a.a.O. (Fn. 814), S. 475.

244

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

rechtlichen Einheiten sind die Rechte und Pflichten der Führungskräfte auf untergeordneten Ebenen gesetzlich geregelt. Dies erleichtert es, deren Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen zu steigern.1080 Hinzu kommt, daß eine auf Abteüungen basierende Unternehmensstruktur bürokratische Züge anzunehmen droht.1081 Die Vorteile einer dezentralen Organisation sind also nur dann voll realisierbar, wenn der Konzern als Unternehmensform attraktiv bleibt. Dezentral ist freilich auch — oder erst recht — der externe Markt, an dem unabhängige Unternehmen miteinander kontrahieren können. Die Möglichkeit, daß eine (Mutter-)Gesellschaft bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten nicht einer Tochter, sondern einem unabhängigen Vertragspartner überläßt, ist der Konzernierung jedoch in vielen Fällen unterlegen. Mit Hilfe der Transaktionskostentheorie läßt sich nachweisen, daß sämtliche Formen marktlicher Koordination zwischen Unternehmen (wie Lizensierung, Handel oder die Vergabe von Aufträgen an Subunternehmer höhere Transaktionskosten verursachen als funktional entsprechende Beziehungen innerhalb eines Konzerns.1082 Selbst für die Allokation von Kapital soll die Konzernform nach verbreiteter Ansicht günstigere Rahmenbedingungen bieten als der Markt. 1083 Daher sollte sie den Unternehmen wenigstens als interessante Option erhalten bleiben. Bei der Formulierung einer konzernhaftungsrechtlichen Regel ist also auf folgendes zu achten: Unternehmen sollten sich für die Bildung eines Konzerns entscheiden — und so Ersparnispotentiale bei den Transaktionskosten erschließen — können, ohne automatisch für Risiken aus der Sphäre derart eingegliederter Bereiche zu haften. Dem entspricht die Direkthaftung in der hier befürworteten

1080

Kallfass in: Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, S. 19,

29. 1081

Bleicher, in: St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 55, 60.

1082

Näher hierzu Coase, a.a.O. (Fn. 1077), S. 40f.; Kallfass, a.a.O. (Fn. 1080), S. 24ff.; Williamson , Economic Organization, S. lOlff.; vgl. auch Assmann in: Regulating Corporate Groups in Europe, S. 323f.; Frost, a.a.O. (Fn. 814), S. 471; Hofstetter, a.a.O. (Fn. 816), S. 301. Solche Effizienzvorteile können sich — je nach Konzerntyp — auf unterschiedliche Weise zeigen: Während beim horizontalen Konzern mögliche Einsparungen durch Rationalisierung und economies of scale winken, sollen mit einem vertikalen Konzern vor allem Kostenersparnisse durch die Verknüpfung mehrerer Produktions- und Vertriebsstufen erzielt werden. Vgl. Frost, a.a.O., S. 470f.; Williamson , a.a.O., S. 85ff. 1083

Vgl. Frost, a.a.O., S. 474; Williamson , Corporate Control and Business Behavior, S. 142ff. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob Unternehmen — im Vergleich zu Investoren am Kapitalmarkt — in einer besseren Position sind, um Risiken durch (interne) Diversifizierung zu begrenzen bzw. zu vermindern. Vgl. Brealey /Myers, a.a.O. (Fn. 803), S. 165.

. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

245

Form, da sie keinen solchen Automatismus beinhaltet: Eine Muttergesellschaftet haftet nur, wenn sie ihre Tochter in der jeweils maßgeblichen Beziehung tatsächlich kontrolliert. Bleiben die betrieblichen Angelegenheiten dem Tochterunternehmen überlassen, so kann die Konzernmutter die übergeordneten, strategischen Entscheidungen ohne Gefahr eigener Haftung treffen. Daß Unternehmen weiterhin auf diese — organisatorisch sinnvolle1084 — Aufgabenverteilung zurückgreifen können, zeugt von der Ausgewogenheit des Direkthaftungsmodells.

bb) Effizienzverluste bei einer konkreten Gefahr direkter Inanspruchnahme? In bestimmten Fällen bewirkt natürlich auch die Direkthaftung in der hier befürworteten Ausprägung, daß die Konzernform an Attraktivität verliert. Dies betrifft Mutterunternehmen, die in relevanter Weise Einfluß auf ihre Töchter nehmen und daher befürchten müssen, für einschlägige Risiken direkt in Anspruch genommen zu werden: Für sie mag es sich lohnen, auf die anderen Möglichkeiten — wirtschaftliche Betätigung in Form eines Einheitsunternehmens oder mit Hilfe von Marktbeziehungen — auszuweichen, selbst wenn diese ansonsten relativ ungünstig erscheinen. Führt die konkrete Gefahr einer direkten Haftung bei den betroffenen Unternehmen deshalb zu Effizienzverlusten? Die Antwort auf diese Frage fällt differenzierend, aber überwiegend negativ aus: Im Hinblick auf die Vorteile des Konzerns gegenüber dem Einheitsunternehmen — in puncto organisatorischer Flexibilität1085 — ist folgendes festzustellen: Eine Muttergesellschaft, die ihre Tochter in den jeweils interessierenden Angelegenheiten kontrolliert und sich dadurch potentiell haftbar macht, gibt das spezifische Effizienzpotential des Konzerns als Unternehmensform insoweit selbst preis.1086 Regelmäßig dürfte die Einflußnahme der Konzernmutter nicht auf die fraglichen Sachbereiche begrenzt bleiben. Daher läßt sich hier nur noch bei formaler Betrachtung von einem Konzern sprechen: Tatsächlich führen die fortgesetzten Eingriffe der Konzernspitze in die betrieblichen Entscheidungen der Tochterebene dazu, daß das Unternehmen in weiten Bereichen einheitlich geführt wird. 1087 Wirtschaftlich gesehen, ändert sich in einem solchen Fall wenig, wenn

1084

Vgl. Williamson , Economic Organization, S. 145f., der die Trennung zwischen strategischen und betrieblichen Entscheidungen zu einem Grundprinzip des Organisationsdesigns erhebt. 1085

Vgl. hierzu oben § 5.m.2.b).aa).

1086

Ähnlich Leebron, a.a.O. (Fn. 470), S. 1617, der vor diesem Hintergrund für unbeschränkte Haftung von Muttergesellschaften in stark integrierten Konzernen plädiert. 1087

Vgl. Williamson , Economic Organization, S. 67f. Er beschreibt die Struktur

246

§ 5 Abstimmung mit dem Konzernrecht

die Geschäfte vor dem Hintergrund der Direkthaftung auch formal in ein Einheitsunternehmen überfuhrt werden. Demgegenüber sind Effizienzverluste denkbar, wo einzelne Aktivitäten wegen des Haftungsrisikos nicht (mehr) im Konzernverbund, sondern von unabhängigen Vertragspartnern ausgeführt werden.1088 Denn im Vergleich zu den dabei unvermeidlichen Markttransaktionen bietet die konzerninterne Abwicklung Kostenvorteile1089 unabhängig davon, ob die Einflußnahme der Ober- auf die Untergesellschaft intensiv ist. Zwar läßt sich argumentieren: eine Konzernmütter könne nicht erwarten, von den Vorteilen einer engen Verbindung mit ihrer Tochter zu profitieren, ohne für Risiken zu haften, die aus dieser Verbindung resultieren. 1090 Das ändert jedoch nichts daran, daß höhere Transaktionskosten entstehen, soweit eine Konzernmütter wegen des gesteigerten Haftungsrisikos verstärkt auf unabhängige Vertragspartner zurückgreift. Andererseits besteht Grund zu der Annahme, daß sich in vielen Industriesektoren kaum Vertragspartner finden, die risikoreiche Tätigkeiten übernehmen würden.1091 Effizienzverluste in Form zusätzlicher Transaktionskosten dürften sich daher in Grenzen halten.

c) Ergebnis Eine Reihe von Kommentatoren fordert unter Berufung auf die ökonomische Analyse: Muttergesellschaften sollten für Verbindlichkeiten aus der Sphäre ihrer Töchter generell unbeschränkt haften. 1092 Ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, mag dahinstehen. Die vorstehenden Überlegungen zeigen jedoch, daß zumindest die — objektiv und subjektiv — begrenzte Aufhebung der Haftungsbeschränkung durch die Direkthaftung wirtschaftlich insgesamt positiv

derartiger Unternehmen anschaulich als "Corrupted multidivisional (M-form)". A.a.O., S. 70. 1088

Vgl. Ringleb/Wiggins,

1089

Näher zu solchen Vorteilen oben § 5.III.2.b).aa).

1090

Diesen Gedanken äußert Crawley , a.a.O. (Fn. 71), S. 264.

a.a.O. (Fn. 721), S. 579.

1091

Näher hierzu Hansmann/Kraakman, a.a.O. (Fn. 83), S. 1912f.; vgl. auch Roe, a.a.O. (Fn. 720), S. 50ff. Α. A. offenbar Ringleb/Wiggins, a.a.O. (Fn. 721), S. 579f. u. passim. Stone, a.a.O. (Fn. 487), S. 71, Fn. 269, nennt ein Beispiel aus der Wirtschaftspraxis, in dem die Produktion einer extrem toxischen Substanz von einem großen Chemieunternehmen auf einen Kleinstbetrieb verlagert wurde. 1092

So Halpern/Trebilcock/Turnbull, a.a.O. (Fn. 772), S. 150; Sommer, a.a.O. (Fn. 425), S. 231; vorsichtig in diesem Sinne auch Thompson, a.a.O. (Fn. 318), S. 35.

. Entwicklung einer allgemeinen Konfliktlösung

247

zu beurteilen ist:1093 Erst die Möglichkeit einer direkten Inanspruchnahme von Obergesellschaften verhilft den erwünschten Allokationseffekten des Haftungsrechts auch in Konzernfällen zu voller Wirkung. Soweit damit negative Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit und die Effizienz der Unternehmen verbunden sind, erscheinen diese vergleichsweise unbedeutend und daher hinnehmbar.

1093

Im Ergebnis ebenso speziell für die CERCLA-Direkthaftung N.N., a.a.O. (Fn. 390), S. 998. Negativer beurteilt die ökonomischen Effekte Bakst, 19 B. C. Infi & Comp. L. Rev. 323, 348 (1996).

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne im Hinblick auf die CERCLA-Direkthaftung Wie sollte ein Konzernunternehmen, das in einem besonders gefahrenträchtigen Industriesektor tätig ist, auf das Risiko einer direkten Haftung der Obergesellschaft reagieren? Diese Frage stellt sich nicht nur für die Entscheidungsträger des jeweiligen Unternehmens. Sie ist auch im Rahmen dieser Arbeit von Interesse. Denn die Direkthaftung vermag als Modell für das Konzernhaftungsrecht nur dann zu überzeugen, wenn sich auf ihrer Grundlage klare Verhaltensempfehlungen für Unternehmen formulieren lassen.1094 Deren Umsetzung sollte zu einem verbesserten Risikomanagement und damit zu einem höheren Schutzniveau führen. Solche Empfehlungen können natürlich nicht genereller Art sein, sondern nur mit Bezug auf einen bestimmten Haftungszusammenhang gegeben werden. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Direkthaftung im Rahmen des § 107(a) CERCLA.1095 In anderen Rechtsbereichen fehlen bislang ausreichend detaillierte Regelungen und Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden könnte. Unmittelbar relevant sind die Verhaltensempfehlungen nur für Konzerne, die (auch) in den USA operieren und dort mit Altlasten oder mit heute verwendeten Gefahrstoffen zu tun haben. Das Fazit — daß diese Unternehmen eine aktive, vorbeugende "Umweltpolitik" betreiben sollten — verdient jedoch auch in anderen Bereichen des amerikanischen Umweltrechts Beachtung. Neuerdings wird sogar Industrieunternehmen in der EU von amerikanischer Seite nahegelegt: Sie sollten jetzt schon Vorsorgemaßnahmen treffen, um mögliche zukünftige Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Altlasten abzuwehren.1096 Potentiell betroffenen Muttergesellschaften stehen grundsätzlich zwei Wege offen, um das

1094 Vgl. Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 620: Unternehmen würden sich nur dann um Risikobegrenzung bzw. -Vermeidung bemühen, wenn sie davon ausgehen könnten, daß sich ihre haftungsrechtliche Verantwortlichkeit durch bestimmte Maßnahmen eingrenzen lasse. 1095 Dabei wird bewußt in kauf genommen, daß sich der direkte Ansatz der Rechtsprechung zum CERCLA teilweise signifikant von dem oben entwickelten Direkthaftungsmodell unterscheidet. 1096

So Smith/Hunter, a.a.O. (Fn. 777), S. 10726, unter Hinweis auf den Entwurf einer EU-Richtlinie über die zivilrechtliche Haftung für die durch Abfälle verursachten Schäden. Näher zu diesem — inzwischen obsoleten — Entwurf unten § 7.II.2.b).

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung

249

Risiko einer direkten Inanspruchnahme gering zu halten. Entweder sorgen sie im gesamten Konzern für einen verantwortungsvollen Umgang mit Gefahrstoffen, oder sie bemühen sich um eine rechtliche Gestaltung, die ihnen Schutz vor — unverändert fortbestehenden — Schadensrisiken aus der Sphäre ihrer Töchter bietet. Dabei sollte klar sein, daß eine Verminderung des Haftungspotentials meist nur prospektiv wirksam werden kann: An Einstandspflichten im Zusammenhang mit bereits bestehenden oder entstehenden Altlasten läßt sich durchweg nichts mehr ändern.

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung mit dem Ziel einer Reduzierung des Haftungsrisikos 1. Keine Einflußnahme auf betriebliche Angelegenheiten der Tochtergesellschaft

Für eine Konzernmütter, die ihr Haftungsrisiko qua rechtlicher Gestaltung verringern will, scheint folgende Möglichkeit am nächsten zu liegen: Sie beschränkt sich im Verhältnis zu ihrer Tochter auf strategische Entscheidungen und vermeidet jede Einflußnahme auf deren betriebliche Angelegenheiten.1097 Nach den oben1098 entwickelten allgemeinen Grundsätzen kann eine Muttergesellschaft unter solchen Umständen nicht direkt haftbar gemacht werden. Sie wäre keine Betreiberin der fraglichen Anlage ihrer Tochter i. S. d. § 107(a) CERCLA. Eine solche laisser faire-Strategie — Umweltschutzmaßnahmen, namentlich beim Umgang mit Gefahrstoffen, ganz der Tochter zu überlassen — könnte sich für die Konzernmütter aber als Bumerang erweisen. Die Bundesgerichte haben im einzelnen höchst unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Art und Intensität konzerninterner Kontrolle eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften rechtfertigt; vereinzelt wird sogar der weitgehende Möglichkeitstest angewandt.1099 Es wäre daher leichtsinnig, sich darauf zu verlassen, NichtEinmischung würde in jedem Fall vor einer direkten Inanspruchnahme bewahren.1100

1097

So denn auch Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 265, und Worden, a.a.O. (Fn. 86), S. 87 (der anhand von Beispielen verdeutlicht, wie sich die Zurückhaltung der Muttergesellschaft in der Praxis darstellen sollte). Vgl. weiterhin O'Hara, a.a.O. (Fn. 109), S. 12, sowie allgemein Depenbrock, a.a.O. (Fn. 12), S. 69. 1098

§5.111.l.c).

1099

Näher hierzu oben § 2.II.6.

1100

Ähnlich Aronovsky /Fuller,

a.a.O. (Fn. 109), S. 467f.

250

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne 2. Vollständige oder teilweise Übertragung von Betriebsvermögen oder Anteilen

Eine weitere Option besteht darin, daß sich eine Konzernmutter "rechtzeitig" von den Anteilen1101 an ihrer Tochter trennt oder für den Verkauf von Betriebsvermögen sorgt, soweit dieses dem weiten Anlagebegriff 1102 des CERCLA unterfällt. Um absolut sicher zu gehen, müßte "rechtzeitig" freilich heißen: bevor es zum Austritt toxischer Substanzen oder zu sonstigen Unregelmäßigkeiten kommt. Es würde also ohne konkreten Anlaß — potentiell wertvolles — Produktiwermögen abgestoßen.1103 Aus unternehmerischer Sicht wäre ein solcher Schritt wirtschaftlich unattraktiv und praktisch vielleicht ausgeschlossen. Praktisch käme er in vielen Fällen ohnehin zu spät: Wo Umweltschäden bereits eingetreten oder angelegt sind, werden Sanierungskosten früher oder später unvermeidlich. Dann stellt sich nur noch die Frage, wer sie letztendlich zu tragen hat.

Eine Muttergesellschaft könnte daher auf die Idee kommen, ihr Tochterunternehmen (oder einen Teü davon) erst zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen: wenn Schäden bereits feststellbar oder vorherzusehen sind, die EPA darauf aber noch nicht aufmerksam geworden ist. In vielen Fällen würde die lange Zeitspanne zwischen dem Austritt eines Gefahrstoffs und der Ermittlung einer Altlast ein solches Vorgehen erleichtern. Allerdings würde eine Konzernmutter, die nach den Grundsätzen der Direkthaftung für die Entstehung der Altlast (mit-) verantwortlich ist, mit dem Verkauf des Tochterunternehmens noch nicht von ihrer Haftung frei. Denn gemäß § 107(a)(2) CERCLA erstreckt sich die Betreiberhaftung ausdrücklich auch auf Personen, die eine Anlage zum Zeitpunkt der Ablagerung gefährlicher Stoffe betrieben haben.1104 Um diese Haftung zu

1101

Es würde nicht ausreichen, wenn eine Muttergesellschaft, die sämtliche Aktien ihrer Tochter hält, nur einen vergleichsweise kleinen Teil davon an außenstehende Personen verkaufen würde: Die Direkthaftung knüpft letztlich nicht an formale Kriterien wie die prozentuale Größe eines Anteils an, sondern an die tatsächliche Kontrollstellung. So wurde in mindestens einem Fall eine Konzernmutter für CERCLA-Verbindlichkeiten aus der Sphäre ihrer Tochter herangezogen, obwohl sie lediglich eine Aktienminorität besaß. Vgl. U.S. v. McGraw-Edison Co., 718 F.Supp. 154, 157 (W.D.N.Y. 1989). Gegen eine Aufhebung der Haftungsbeschränkung nur zu Lasten solcher Muttergesellschaften, die 100 % der Aktien ihrer Tochter besitzen, spricht sich allgemein Leebron, a.a.O. (Fn. 470), S. 1620, aus. 1102

Näher hierzu oben § 2.1.4.

1103

Vgl. Rallison, a.a.O. (Fn. 23), S. 620.

1104

Vgl. den oben § 2.1.4. wiedergegebenen Wortlaut der Bestimmung.

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung

251

unterlaufen, müßte die betreffende Muttergesellschaft im Anschluß an den Unternehmensverkauf also noch aufgelöst oder insolvent werden.1105

Zudem dürfte sich schon ein Verkauf des Tochterunternehmens als problematisch erweisen. Eine Muttergesellschaft, die ihre Anteile an der Tochtergesellschaft — sei es im Wege eines Spin-Off 106 an die eigenen Aktionäre, sei es an Dritte — veräußert und dabei Haftungsrisiken (im Zusammenhang mit einer tochtereigenen Anlage) verschweigt, macht sich unter Umständen schadenersatzpflichtig: Ihr Schweigen kann einen Verstoß gegen Rule 10b-5 n( ny gegen den Racketeer Influenced and Corrupt Organization Act (RICO)1108 oder ein Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten darstellen. Die beiden letztgenannten Anspruchsgrundlagen kommen auch in Betracht, wenn anstelle von Aktien Gegenstände aus dem Betriebsvermögen der Tochter verkauft werden.1109 Im übrigen wird ein Verkauf von (Tochter-)Unternehmen, die CERCLAHaftungsrisiken in sich bergen, zunehmend schwieriger: Da in vielen Fällen auch der Käufer (und Unternehmensnachfolger) für Sanierungskosten haftbar gemacht werden kann,1110 gehört eine sorgfältige Analyse möglicher Schadenspotentiale 1105

Näher zu Auflösung und Insolvenz sogleich unten § 6.1.3. u. § 6.1.4.

1106

Diese Möglichkeit nennt Äoe, a.a.O. (Fn. 720), S. 49, insbesondere Fn. 135.

1107

Bei Rule 10b-5 handelt es sich um eine Vorschrift, die vom Bundeswertpapieraufsichtsamt (Securities and Exchange Commission) der USA auf der Grundlage von § 10(b) des Wertpapierhandelsgesetzes (Securities Exchange Act of 1934) verordnet wurde. Darin werden irreführende Darstellungen und Behauptungen im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften untersagt. Vgl. 15 U.S.C. § 78j(b). 1108

Die entsprechende Schadenersatzvorschrift des RICO befindet sich in 18 U.S.C. § 1964(c). 1109

Näher zu allen drei Anspruchsgrundlagen Geltman, a.a.O. (Fn. 187), S. 413ff. m. w. N. Zur Frage eines Verstoßes gegen Rule 10b-5 siehe auch Knepper /Bailey , a.a.O. (Fn. 324), S. 391ff. 1110

Eine solche Nachfolgehaftung greift auf jeden Fall ein, wenn der Unternehmenskauf gesellschaftsrechtlich strukturiert wird: Bei einem Aktienkauf durch das erwerbende Unternehmen oder einer Fusion der übernehmenden mit der übernommenen Gesellschaft tritt der Nachfolger in die Verbindlichkeiten des Vorgängers ein. Doch selbst wenn eine Transaktion äußerlich einen reinen asset-Kauf — also einen Erwerb von Betriebsvermögen — darstellt, kann es zu einer Nachfolgehaftung kommen. Die Bundesgerichte haben im Zusammenhang mit dem CERCLA nicht nur traditionelle Haftungstheorien des gemeinen Rechts angewandt, sondern auch zwei neuartige Tatbestände der Nachfolgehaftung, die zuvor ausschließlich im Rahmen des Produkthaftungsrechts galten: die product-line- Ausnahme und die continuation of enterprise- Theorie. Detaillierte, teilweise kritische Darstellungen und Rechtsprechungsnachweise zum Ganzen bei: Blankenship/Mandel, a.a.O. (Fn. 95), S. 241ff.; Blumberg, a.a.O. (Fn. 3),

252

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne

heute zum Standard der due diligence im Vorfeld von Akquisitionen.1111 "Verdächtige" Betriebe können daher allenfalls mit großen Preisabschlägen, die das Haftungsrisiko reflektieren, veräußert werden;1112 alternativ kann sich der Verkäufer vertraglich zu einer Haftungsübernahme zugunsten des Käufers verpflichten. 1113 Das macht solche Veräußerungen als Teil einer Strategie, um die Direkthaftung zu unterlaufen, wirtschaftlich weitgehend uninteressant.

3. Auflösung der Mutter- oder Tochtergesellschaft

Verlockend mag dagegen die Möglichkeit erscheinen, verantwortliche Gesellschaften — nachträglich — aufzulösen und damit als Haftungssubjekte "verschwinden" zu lassen.1114 Freilich ist dieser Zweck von vornherein nicht erreichbar, wenn (nur) das jeweilige Tochterunternehmen aufgelöst wird. Denn unter den Voraussetzungen einer (direkten) Betreiberhaftung gemäß § 107(a)(2) CERCLA entstehen eigene Verbindlichkeiten der Konzernmutter, die nicht allein deshalb entfallen, weil diese ihre Rolle als Betreiberin der tochtereigenen Anlage verliert. Damit rückt die Auflösung der Obergesellschaft selbst ins Blickfeld. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten scheidet eine derartige Maßnahme häufig schon deshalb aus, weü sie Werte zerstören würde, die ein Unternehmen nur bei Betriebsfortführung hat (going concern value). 1115 Auch Manager und Aktionäre dürften in vielen Fällen kein Interesse an einer Auflösung des Mutterunternehmens haben.1116 Wird ein solcher Schritt dennoch ernsthaft in Betracht gezogen, ist zu berücksichtigen, daß die damit angestrebte Haftungsbefreiung verschiedenen Beschränkungen unterworfen wäre. Bereits die bestehen1997 Supplement, S. 281ff.; Cope, a.a.O. (Fn. 687), S. 540ff.; Green, a.a.O. (Fn. 703), S. 907ff.; Kezsbom/Satula/Goldman, a.a.O. (Fn. 83), S. 46ff.; Layfield, a.a.O. (Fn. 379), S. 1246ff.; Little, a.a.O. (Fn. 285), S. 1506ff.; McMahon/Moertl, a.a.O. (Fn. 87), S. 3Iff.; O'Hara, a.a.O. (Fn. 109), S. 15ff.; Oswald/Schipani, a.a.O. (Fn. 43), S. 315ff.; Presser, a.a.O. (Fn. 245), S. 3-132ff.; Squire/Ingram/Frost y 43 Sw. L. J. 887, 895ff. (1990); Wallace , a.a.O. (Fn. 45), S. 878ff.; Weber, a.a.O. (Fn. 64), S. 1497f. 1111

Vgl. hierzu Del Duca/Turcon,

a.a.O. (Fn. 85), S. 181ff.

1112

Vgl. Schwartz , a.a.O. (Fn. 663), S. 716.

1113

Siehe hierzu bereits oben § 2.1.4.b).bb).

1114

Daß diese Variante aus unternehmerischer Sicht offenbar attraktiv ist, bezeugt die inzwischen große Zahl von Urteilen, die sich mit der Forthaftung aufgelöster Gesellschaften für CERCLA-Verbindlichkeiten beschäftigen. 1115

Ähnliche Überlegungen stellt Schwartz , a.a.O. (Fn. 663), S. 720ff., im Zusammenhang mit der Insolvenz eines Unternehmens an. 1116 Näher Roe, a.a.O. (Fn. 720), S. 8ff. u. 35ff., zur — insoweit vergleichbaren — Möglichkeit, die Insolvenz eines Unternehmens herbeizuführen.

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung

253

den Gesetze der Gliedstaaten sehen vor, daß Ansprüche gegen eine aufgelöste Gesellschaft bzw. deren ehemalige Aktionäre noch bis zu zwei Jahre1117 nach der Auflösung geltend gemacht werden können.1118 In CERCLA-Fällen kommt hinzu, daß die meisten Bundesgerichte davon ausgehen, diese gliedstaatlichen Vorschriften würden durch den CERCLA verdrängt:1119 Ein Unternehmen bzw. seine Aktionäre müssen damit rechnen, selbst nach Ablauf der genannten Frist noch für CERCLA-Verbindlichkeiten herangezogen zu werden. Diese Forthaftung endet erst, wenn die Gesellschaft — nach ihrer formellen Auflösung — tatsächlich und vollständig abgewickelt worden ist, das heißt: alle offenen Forderungen beglichen sind, das Betriebsvermögen liquidiert und ein etwaiger Überschuß an die Anteilseigner ausgeschüttet worden ist.1120 Während dieses gesamten Vorgangs "drohen" Umweltschäden entdeckt und entsprechende Schadenersatzforderungen erhoben zu werden. Aus unternehmerischer Sicht birgt die Auflösung als strategisches Instrument deshalb ein erhebliches "Restrisiko" in sich.

1117 In einzelnen Staaten ist diese Frist länger, oder es besteht überhaupt keine zeitliche Beschränkung. 1118 Anderson, a.a.O. (Fn. 13), S. 149ff. m. w. N. Vgl. aber § 14.07(c) RMBCA, wonach Ansprüche gegen die aufgelöste Gesellschaft, die zum Auflösungszeitpunkt unbekannt waren, noch fünf Jahre lang erhoben werden können. 1119

Leitentscheidung in diesem Sinne ist der Fall U.S. v. Sharon Steel Corp., 681 F.Supp. 1492, 1495 (D.Utah 1987). Die gegenteilige Position von Levin Metals Corp. v. Parr-Richmond Terminal Co., 817 F.2d 1448, 1451 (9th Cir. 1987) hat sich nicht durchsetzen können und wird heute nur noch vereinzelt vertreten (vgl. aber jüngst wieder Witco Corp. v. Beekhuis, 38 F.3d 682, 689 (3rd Cir. 1994)). Der Trend in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht eindeutig dahin, dem oben genannten Sharon Steel-Urteil zu folgen (so ausdrücklich auch Barton Solvents ν. Southwest Petro-Chem, 836 F.Supp. 757, 761 (D.Kan. 1993)). 1120

Auf diesen Zeitpunkt (und nicht den der formellen Auflösung) heben namentlich folgende Entscheidungen ab: U.S. v. Distler, 741 F.Supp. 643, 646 (W.D.Ky. 1990); TK Disposal v. Commercial Union Ins., 761 F.Supp. 552, 555 (N.D.III. 1991); Traverse Bay Area Int. School Dist. v. Hitco, Inc., 762 F.Supp. 1298, 1301f. (W.D.Mich. 1991); Chesapeake and Potomac Tel. v. Peck Iron & Metal, 814 F.Supp. 1285, 1291 (E.D.Va. 1993); Chatham Steel Corp. v. Brown, 858 F.Supp. 1130, 1152 (N.D.Fla. 1994); Idylwoods Associates v. Mader Capital, 915 F.Supp. 1290, 1304 (W.D.N.Y. 1996). Vgl. auch Blumberg , a.a.O. (Fn. 3), 1997 Supplement, S. 296ff.

254

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne 4. Herbeiführung einer Insolvenz der Mutter- oder Tochtergesellschaft

Mit hohen Kosten für die Sanierung einer Altlast konfrontiert, lassen es immer mehr Unternehmen auf eine Insolvenz ankommen.1121 Denn damit stehen ihnen alle Möglichkeiten des US-Konkursrechts offen, die — wie gleich ausgeführt wird — in mehrfacher Hinsicht Schutz vor einer Inanspruchnahme für CERCLAVerbindlichkeiten bieten. Allerdings reicht es nicht aus, lediglich die betreffende Tochtergesellschaft in Konkurs gehen zu lassen. Aus denselben Gründen, die bereits im Zusammenhang mit der Auflösung genannt wurden,1122 läßt sich eine Inanspruchnahme auch hier nur vermeiden, wenn die Konzernmutter selbst insolvent wird. Dadurch mag die Möglichkeit einer Insolvenz schon bei wirtschaftlicher Betrachtung unattraktiv erscheinen. Wird aber eine Insolvenz herbeigeführt, so sind alle Betroffenen — möglicherweise dauerhaft — vor Schadenersatzansprüchen "sicher". Im Falle einer Liquidation zu Sanierungszwecken (reorganization) nach Kapitel 11 des Bankruptcy Code der USA erlöschen alle Ansprüche gegen das Schuldnerunternehmen (discharge), wenn der Sanierungsplan nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht.1123 Bei einer Liquidation (liquidation) gemäß Kapitel 7 bleiben die Ansprüche zwar formal bestehen;1124 praktisch gehen die Gläubiger aber auch hier leer aus, wenn die Konkursmasse — wie meist — bereits durch vorrangige Ansprüche aufgezehrt ist.1125 Das gilt der Rechtsprechung zufolge grundsätzlich auch für Ansprüche gemäß § 107(a) CERCLA.1126 Diese gehen in den meisten Insolvenzsituationen rechtlich oder zumindest faktisch unter, so daß die EPA oder andere Gläubiger auf ihren Sanierungskosten sitzenbleiben.1127 Bereits vor dem Abschluß eines Konkursverfahrens genießt das Schuldnerunternehmen weitgehenden Schutz durch eine automatische Aussetzung weiterer Ansprüche (automatic stay): ms Nach der Konkursanmeldung können Ansprüche 1121

N.N., a.a.O. (Fn. 642), S. 1585; Silber, 85 Colum. L. Rev. 870 (1985).

1122

Siehe oben § 6.1.3.

1123

11 U.S.C. § 1141(c) u. (d).

1124

Vgl. 11 U.S.C. § 727(a)(1).

1125

Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 362f.

1126 Wegweisend war insofern die Entscheidung Ohio v. Kovacs, 469 U.S. 274, 283, 105 S.Ct. 705, 83 L.Ed.2d 649 (1985), des U.S. Supreme Court. Allerdings ging es darin um die Insolvenz einer natürlichen Person, nicht einer Gesellschaft. Vgl. hierzu Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 350f. u. 362f; kritisch Silber, a.a.O. (Fn. 1121), S. 875ff. u. passim; gänzlich ablehnend Baird/Jackson, 36 Stan. L. Rev. 1199, 1202ff. (1984). 1127

Vgl. Silber, a.a.O., S. 872f.

1128

Vgl. 11 U.S.C. §362.

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung

255

aus Betreiberhaftung gemäß § 107(a) CERCLA jedenfalls dann nicht mehr erhoben werden, wenn sie eigentlich auf Schadenersatz — und nicht auf eigene Sanierungsmaßnahmen des Unternehmens — gerichtet sind.1129 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, daß ein Konkursverwalter ( trustee in bankruptcy) mit gerichtlicher Zustimmung Eigentumsgegenstände des insolventen Unternehmens derelinquiert.1130 Wendet er diese Möglichkeit auf ein altlastenverseuchtes Grundstück an, so entfällt damit seine Verpflichtung, Ansprüche auf Sanierungskosten aus der Konkursmasse zu befriedigen. 1131 Bei einer Gesamtschau all dieser Möglichkeiten drängt sich der Eindruck auf: Die Gerichte haben dem Anliegen des Konkursrechts, möglichst vielen insolventen Unternehmen einen Neubeginn ohne Überschuldung zu erlauben, Vorrang vor den Zielen des CERCLA eingeräumt.1132 Vorausgesetzt, daß die Insolvenz selbst nicht zu unerträglichen wirtschaftlichen Verlusten (Stichwort: going concern value) führt, eröffnet sie betroffenen Unternehmen einen Weg, um einer Haftung tatsächlich zu entgehen.

5. Outsourcing mit Hilfe unabhängiger Vertragspartner

Die Alternative, einzelne unternehmerische Tätigkeiten von vornherein auf unabhängige Vertragspartner zu verlagern, wurde bereits im Rahmen der ökonomischen Analyse des Direkthaftungsmodells diskutiert. Danach ist ein solches Outsourcing Formen konzerninterner Organisation tendenziell unterlegen, weil dabei höhere Transaktionskosten anfallen. 1133 Nun könnte ein Unternehmen versucht sein, solche Kostennachteile durch eine enge Zusammenarbeit mit dem betreffenden Vertragspartner wenigstens teilweise zu kompensieren. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Mehrere Gerichte haben angedeutet, daß ein Unternehmen unter Umständen selbst dann als Betreiber i. S. d. § 107(a)(1) bzw. (2) CERCLA qualifiziert werden könne, wenn die betreffende Anlage im Eigentum eines unabhängigen 1129

Vgl. Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 352ff.; Silber, a.a.O. (Fn. 1121), S. 873ff.

1130

Vgl. 11 U.S.C. § 554(a).

1131

Silber, a.a.O. (Fn. 1121), S. 872. Allerdings haben in der Vergangenheit zahlreiche Gerichte ihre Zustimmung zu einer Dereliktion belasteter Grundstücke verweigert. Siehe hierzu die Ausführungen und Rechtsprechungsnachweise bei Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 356ff.; vgl. auch Silber, a.a.O., S. 878ff. 1132 1133

Knepper /Bailey, a.a.O. (Fn. 324), S. 390f.

Näher oben § 5.III.2.b).aa). sowie insbesondere Ringleb/Wiggins, 721), S. 579.

a.a.O. (Fn.

256

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne

Dritten stehe: Eine ausreichend intensive Einflußnahme auf den Anlagebetrieb wirke ohne weiteres haftungsauslösend.1134 Andere Gerichte haben eine arrangerHaftung 1135 gemäß § 107(a)(3) CERCLA bejaht, wo ein Unternehmen Kontrolle über Produktionsprozesse eines Dritten ausübte, bei denen (auch) toxische Substanzen entstanden.1136 Daran zeigt sich, daß Haftungsrisiken im Wege des Outsourcing allenfalls verringert, nicht jedoch völlig ausgeschlossen werden können.

6. Besonderheiten bei multinationalen Unternehmensgruppen

Besondere praktische Schwierigkeiten und rechtliche Anforderungen im internationalen Rechtsverkehr zeigen (auch) im Zusammenhang mit der CERCLA-Direkthaftung ungewollte Wirkungen, die von amerikanischer Seite nicht verhindert werden können. Ausländische Obergesellschaften dürfen sich — im Vergleich zu rein amerikanischen Unternehmen — in vielen Fällen größere Chancen ausrechnen, einer Inanspruchnahme für Sanierungskosten zu entgehen. So ist es im Rahmen eines (in den USA stattfindenden) Konkursverfahrens meist ausgeschlossen, solche Vermögensgegenstände des insolventen Unternehmens der Konkursmasse zuzuführen, die sich im Ausland befinden. Hinzu kommt, daß Urteile eines amerikanischen Konkursgerichts im Ausland oft nicht vollstreckbar sind.1137 Probleme der internationalen Anerkennung und Vollstrekkung stellen sich aber auch außerhalb des insolvenzrechtlichen Kontextes.1138 Eine deutsche Konzernmutter, die in den USA zur Schadenersatzleistung

1134 So Edward Hines Lumber Co. v. Vulcan Materials Co., 685 F.Supp. 651, 657 (N.D.III. 1988), aff'd, 861 F.2d 155, 157f. (7th Cir. 1988); U.S. v. Consolidated Rail Corp., 729 F.Supp. 1461, 1468f. (D.Del. 1990). In beiden Fällen wurde eine Betreiberhaftung im Ergebnis jedoch abgelehnt, da die Einflußnahme auf den unabhängigen Vertragspartner nach Meinung der Gerichte nicht ausreichend war. Vgl. andererseits Kaiser Aluminum v. Catellus Dev., 976 F.2d 1338, 1341f. (9th Cir. 1992), wo ein Dritter, der sich vertraglich zur Altlastensanierung verpflichtet und dabei weitere Schäden verursacht hatte, als Betreiber qualifiziert wurde. 1135

Siehe zu dieser Kategorie bereits oben § 2.1.4.a).aa).

1136

Siehe nur die Leitentscheidung U.S. v. Aceto Agr. Chemicals Corp., 872 F.2d 1373, 1381f. (8th Cir. 1989), sowie im Anschluß daran Jones-Hamilton v. Beazer Materials & Services, 973 F.2d 688, 694f. (9th Cir. 1992). Das Risiko einer arrangerHaftung erwähnen auch Ikuta/Johnson, a.a.O. (Fn. 216), S. 61 (am Ende). 1137

Näher Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 375ff.; vgl. auch Vagts, a.a.O. (Fn. 378),

S. 235. 1138 Vgl. allgemein Schiessl, a.a.O. (Fn. 326), S. 515ff., der ähnliche Überlegungen vor dem Hintergrund der Durchgriffshaftung anstellt.

I. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung

257

verurteilt worden ist, mag vor einem Gericht in Deutschland beispielsweise einwenden: das erkennende amerikanische Gericht sei international nicht zuständig gewesen (§ 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder die Gegenseitigkeit sei nicht verbürgt (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) 1139 . Erfolg verspricht in vielen Fällen auch die Strategie, in den USA Versäumnisurteile (default judgments) hinzunehmen: Viele ausländische Staaten verweigern die Vollstreckung derartiger Urteile unter Hinweis auf das "fehlende" streitige Verfahren. 1140

7. Ergebnis

Sieht man von solchen Besonderheiten im Hinblick auf multinationale Konzerne ab, so fällt das Fazit der vorstehenden Überlegungen aus Sicht betroffener Muttergesellschaften eher ernüchternd aus: Die Möglichkeiten, der CERCLA-Direkthaftung allein durch eine veränderte rechtliche Gestaltung — also ohne Verringerung des Schadensrisikos selbst — zu entgehen, sind meist nur wenig erfolgversprechend und zudem wirtschaftlich unattraktiv. Mit ihrer Rechtsprechung zum CERCLA haben die Bundesgerichte also dafür gesorgt, daß fast 1141 alle denkbaren Vermeidestrategien weitgehend leerlaufen. Dies ist nicht nur im Sinne der gesetzlichen Umweltschutzziele. Oft dürfte es auch im Interesse der Unternehmen liegen, nicht auf — mitunter aufwendige — Maßnahmen zur Umgehung haftungsrechtlicher Regelungen, sondern auf aktive Vorsorge und einen verantwortlichen Umgang mit Gefahrstoffen zu setzen. Für die Öffentlichkeit, die heutzutage gerade in Umweltangelegenheiten besonders sensibilisiert ist, spielt die Frage rechtlicher Verantwortlichkeit nämlich nur eine sekundäre Rolle. Macht ein Unternehmen etwa als Verursacher einer Altlast Schlagzeilen, so kann sein Ansehen bereits dadurch stark beschädigt werden. Ein solcher Imageverlust wird sich — in Transaktionen mit Dritten, insbesondere aber über die Konsumentscheidungen der Allgemeinheit — regelmäßig auch wirtschaftlich nachteilig auswirken.1142 1139 Vgl. die Übersichten zur Gegenseitigkeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den einzelnen US-Bundesstaaten bei Gottwald in: MünchKomm, § 328 ZPO, Rz. 119; Martiny, Handbuch des IZVR, Bd. ΠΙ/1, Rz. 1513ff. Zum Problem der Reziprozität aus amerikanischer Sicht: Reznicsek, a.a.O. (Fn. 1003), S. 381f. 1140

Siehe hierzu den von Farmer, a.a.O. (Fn. 72), S. 775f., beschriebenen Fall, in dem eine solche Strategie von einer englischen Muttergesellschaft erfolgreich angewandt wurde. 1141

Mit Ausnahme der Möglichkeit, die Insolvenz eines (Mutter-)Unternehmens herbeizuführen und Ansprüche auf Ersatz von Sanierungskosten damit zum Erlöschen zu bringen. 1142

Vgl. allgemein Hadden, a.a.O. (Fn. 814), S. 278 unten.

17 Ochsenfeld

258

§ 6 Praktische Empfehlungen für Konzerne

Π. Reduzierung des Schadensrisikos durch aktive Vorsorge Vor dem Hintergrund der CERCLA-Direkthaftung und anderer Umwelthaftungs-Tatbestände im Recht der USA raten amerikanische Juristen zu einer aktiven, vorbeugenden "Umweltpolitik" der Unternehmen.1143 Konzernmütter können auf verschiedene Methoden und Instrumente zurückgreifen, um sicherzustellen, daß Risiken im Zusammenhang mit Gefahrstoffen in der Sphäre ihrer Töchter so gering wie möglich gehalten werden. Neben der Aufstellung allgemeiner Leitlinien (environmental policy statements j, die vor allem das Umweltbewußtsein innerhalb der Unternehmensgruppe schärfen können,1144 kommen insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht: die Schulung von Mitarbeitern in Umweltangelegenheiten, Öko-Audits1145 und die Ernennung von Umweltbeauftragten auf Geschäftsführungs- und Betriebsebene. Die Verfechter eines aktiven Umweltmanagements unterstreichen, ein unternehmensinternes Umweltprogramm müsse "von höchster Stelle" unterstützt werden.1146 Sollte sich also die Spitze eines Konzerns im einzelnen um die Umweltangelegenheiten der Tochtergesellschaften kümmern? Dagegen sprechen sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Erwägungen: Eine Muttergesellschaft, 1143

So Crawley , a.a.O. (Fn. 71), S. 226; Ikuta/Johnson, a.a.O. (Fn. 216), S. 61 am Ende; Oswald, a.a.O. (Fn. 195), S. 265 (zum CERCLA); Hunt/Auster, a.a.O. (Fn. 736), S. 7 u. passim (allgemein); vgl. auch Lawrence, a.a.O. (Fn. 321), der dieselbe Empfehlung im Zusammenhang mit der Haftung leitender Angestellter gemäß § 107(a) CERCLA abgibt. 1144

Auf mögliche Nachteile solcher Leitlinien in haftungsrechtlicher Hinsicht machen Wheeler/Fox, a.a.O. (Fn. 71), S. 499, aufmerksam. 1145

Wer ein Öko-Audit erstellt oder erstellen läßt, sollte sich jedoch bewußt sein, daß darin häufig (auch) belastende Informationen enthalten sind, die in einem Streitfall unter Umständen gegen das Unternehmen oder seine Mitarbeiter verwendet werden können. Die Aussage- bzw. Vorlageverweigerungsrechte des Zivilprozeßrechts (attorney-client privilege, attorney work product rule und self-critical analysis privilege) bieten insofern nur unvollkommenen Schutz. Vgl. zu diesem Problem Crawley, a.a.O. (Fn. 71), S. 229f.; Hunt/Wilkins, 16 Harv. Env. L. Rev. 365, 375ff. (1992); Mazzer, 23 Ecol. L. Q. 79, 82ff. (1996); Wheeler/Fox, a.a.O., S. 501ff. Allerdings ist die Gefahr, daß Unternehmen vor diesem Hintergrund auf — an sich nützliche und erwünschte — Öko-Audits verzichten, von den meisten einzelstaatlichen Gesetzgebern erkannt worden: Nach Oregon haben inzwischen auch andere Gliedstaaten sogenannte "Environmental Privilege Acts" erlassen, die unter bestimmten Voraussetzungen die Vertraulichkeit der in einem Öko-Audit enthaltenen Informationen garantieren. Auf Bundesebene liegt ebenfalls ein Entwurf eines solchen Gesetzes vor. Gute Überblicke über die aktuelle Gesetzeslage geben Mazzer, a.a.O., und Vierhaus, RIW 96, 393, 394ff. 1146

Vgl. Hunt/Auster,

a.a.O. (Fn. 736), S. 12; Newton, a.a.O. (Fn. 404), S. 338f.

II. Reduzierung des Schadensrisikos

259

die — etwa auf der Grundlage eines von ihr selbst durchgeführten Öko-Audits — in konkreter Form Einfluß auf die Gefahrstoffpraxis ihrer Tochter nähme, würde damit ihr eigenes Haftungsrisiko vergrößern. Denn soweit es trotz aller Vorsorgemaßnahmen zu Umweltschäden käme, würde der Obergesellschaft — unabhängig von einer möglichen Betreiber-Direkthaftung — eine Haftung nach den Grundsätzen der Good Samaritan-Dóktrìn des Deliktsrechts drohen.1147 Hinzu kommt, daß die Konzernmutter mit jeder Einmischung in betriebliche Angelegenheiten ihrer Tochter einen Teü des spezifischen Effizienzpotentials 1148 preisgäbe, das die Konzernform gegenüber dem Einheitsunternehmen auszeichnet. Aktive Vorsorge sollte demnach nur bedeuten, daß von der Konzernspitze ein "umweltpolitischer" und institutioneller Rahmen vorgegeben wird. Darin mag konzernangehörigen Unternehmen verbindlich vorgeschrieben werden, bestimmte technische Standards oder ökologische Prinzipien zu beachten. Denkbar ist auch eine Verpflichtung der Tochterunternehmen, Öko-Audits durchzuführen und organisatorische Vorkehrungen im Hinblick auf Umweltrisiken zu treffen. Die Durchführung und unmittelbare Kontrolle solcher Maßnahmen sollte indes der Eigenverantwortung der Untergesellschaften überlassen bleiben. Anders ausgedrückt: Die Konzernspitze sollte ein präventiv orientiertes Umweltmanagement zwar durchaus betreiben, sich dabei jedoch auf Hüfe zur Selbsthüfe konzentrieren.

1147

Diese Doktrin entspricht inhaltlich § 324 A des Restatement 2d of Torts, der folgenden Wortlaut hat: "Jemand, der es [...] übernimmt, einem anderen Dienste zu erbringen, die er als notwendig für den Schutz eines Dritten [...] erkennen sollte, haftet dem Dritten gegenüber für [...] Schäden, die darauf beruhen, daß er es unterläßt, die übliche Sorgfalt [...] anzuwenden, wenn (a) das Unterlassen der Anwendung üblicher Sorgfalt das Risiko eines solchen Schadens erhöht, oder (b) er es übernommen hat, eine Pflicht zu erfüllen, die dem anderen gegenüber dem Dritten oblag [...]." (Original in Englisch). Wendet man die Good Samaritan -OoYxùn im Umwelthaftungsrecht an, so kann sie unter bestimmten Umständen dazu fuhren, daß eine Muttergesellschaft für Schäden aus der Sphäre ihrer Tochter haftbar ist. Diese Gefahr besteht namentlich dann, wenn die Konzernmütter aktiven Einfluß auf die Umweltschutzmaßnahmen der Tochter nimmt. Eingehend hierzu Crawley , a.a.O. (Fn. 71), S. 232ff. 1148 Näher hierzu oben § 5.III.2.b).aa). 17*

§ 7 Übertragung des Direkthaftungsmodells ins deutsche Recht Abschließend soll - ansatzweise - untersucht werden, ob das amerikanische Direkthaftungsmodell für das deutsche Recht nutzbar gemacht werden kann. Diese Überlegung mag zunächst überraschen. Provokativ könnte man fragen: Ist es nicht verfehlt, "ausgerechnet" vom amerikanischen Recht neue Erkenntnisse für das ausdifferenzierte System des deutschen Konzernhaftungsrechts zu erwarten — von einem Recht, das "noch nicht einmal" spezifische Regeln für Konzerne enthält?1149 Solche Überheblichkeit wäre jedoch fehl am Platz. Bereits im "Tiefbau"-Urteil 1150 des BGH zur Haftung des Mutterunternehmens im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern zeigten sich bemerkenswerte Parallelen zur amerikanischen /wmrwg-Rechtsprechung.1151 Ebenso wie Erfahrungen aus dieser Rechtsprechung für das deutsche Gesellschaftsrecht verwertbar sind,1152 regt auch der neue, direkte Ansatz der US-Bundesgerichte im Bereich der Konzernhaftung dazu an, die deutsche Dogmatik zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Hierzulande sind der Direkthaftung ähnliche Modelle, soweit ersichtlich, bislang nur angedacht worden.1153 Die USA haben insofern, wie unter anderem die umfängliche Judikatur1154 zu § 107(a) CERCLA dokumentiert, einen beträchtlichen Vorsprung an Zeit und Erfahrung. Das allein rechtfertigt es natürlich nicht, das amerikanische Direkthaftungsmodell für das deutsche Recht zu übernehmen. Statthaft und sachgerecht ist ein solcher Schritt nur unter zwei Voraussetzungen: Erstens müssen die grundlegenden Vorgaben für das Haftungswie das Gesellschaftsrecht in Deutschland dieselben sein wie in den USA. Sonst fehlte es an einer vergleichbaren Problemlage; es wäre unzulässig, das im Schnittfeld der genannten Rechtsbereiche liegende Institut der Direkthaftung vergleichend heranzuziehen. Zweitens muß sich eine solche Haftung mit den 1149

Zur fehlenden Konzernspezifität des amerikanischen "Konzern"haftungsrechts vgl. bereits oben § 2.II.4.a). 1150

BGHZ 107, 7, 15ff.

1151

Lutter, AG 90, 179, 184; vgl. auch Λ™., 38 Am. J. Comp. L. 949, 959ff. (1990).

1152

So ausdrücklich Serick

1153

Näher zu entsprechenden Ansätzen deutscher Gesellschaftsrechtler unten §

y

a.a.O. (Fn. 367), S. 54 u. 61.

7.II.2.a). 1154

Siehe die detaillierte Darstellung oben § 2.II.

I. Zulässigkeit und Ansatzpunkt

261

einschlägigen Regeln des deutschen Rechts vertragen. Mehr noch, es muß ein Bedürfnis für die Erweiterung des Konzernhaftungsrechts über diese Regeln hinaus bestehen. Damit ist ein weiter Rahmen für die nachfolgenden Überlegungen abgesteckt. Es ist indes nicht Aufgabe dieser Untersuchung, diesen Rahmen erschöpfend auszufüllen — noch weniger, die Direkthaftung in einzelne Materien und Gesetze des deutschen Haftungsrechts zu implementieren. Hier soll nur ein "allgemeiner Teil" skizziert und topisch der Frage nachgegangen werden: Auf welche Schwierigkeiten und Besonderheiten prinzipieller Art trifft der Versuch, das oben für die USA entwickelte Direkthaftungsmodell im deutschen Konzernhaftungsrecht zur Anwendung zu bringen?

I. Zulässigkeit und Ansatzpunkt einer rechtsvergleichenden Betrachtung Eine Übertragung der Direkthaftung ins deutsche Recht läßt sich sinnvoll nur diskutieren, wenn die Konzernhaftung in Deutschland auf denselben Prämissen beruht wie in den USA. Das heißt nicht, daß die Konzernhaftungsrechte beider Staaten gleich ausgestaltet sein müßten: Die — zum Teil grundlegenden — Unterschiede zwischen ausdifferenzierter Konzernstruktur- bzw. -verschuldenshaftung nebst Durchgriffsmöglichkeit einerseits1155 und piercing-Doktr'm plus Direkthaftung andererseits stehen einer rechtsvergleichenden Betrachtung nicht entgegen. Ausreichend ist, daß die genannten Institute funktional vergleichbar sind.1156 Das ist zu bejahen: Bei aller Verschiedenheit dienen sämtliche Regeln zur Konzernhaftung dem Ziel, die Haftungssegmentierung zwischen konzeraangehörigen Unternehmen zu überwinden, wenn dies aus Gründen des Gläubigeroder Minderheitenschutzes1157 erforderlich ist. Voraussetzung für einen Vergleich der Konzernhaftungsrechte ist jedoch die Anerkennung des Prinzips beschränkter Haftung. 1158 Denn zu dem grundlegenden Konflikt 1159 zwischen den Politiken des Konzern- und des Haftungsrechts kommt 1155

Näher zur Regelung des deutschen Konzernhaftungsrechts unten § 7.Π.3. b).bb).(2). 1156 Immenga in: FS Robert Fischer, S. 297, 298f. Allgemein zum Prinzip der Funktionalität in der rechtsvergleichenden Methodik: Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 3 Π u. passim. 1157 Der Aspekt des Minderheitenschutzes spielt im amerikanischen Konzernhaftungsrecht freilich nur eine unbedeutende Rolle. 1158

Vgl. Seridt, a.a.O. (Fn. 367), S. 54. Siehe auch Adams, a.a.O. (Fn. 799), S. 12.

1159

Vgl. die Darstellung oben § 5.II.

262

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

es erst dadurch, daß dieses Prinzip eine Segmentierung von Risiken in der Unternehmensgruppe ermöglicht. Da aber das Haftungsprivileg im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht ebenso gilt1160 wie im amerikanischen1161, besteht der beschriebene Konflikt auf beiden Seiten des Atlantiks in strukturell gleicher Weise.1162 So denkt Westermann 1163 im Zusammenhang mit der Umwelthaftung darüber nach: ob es "einen unzulässigen Anreiz zur künstlichen Haftungsbeschränkung durch Aufgliederung von Unternehmen in Konzerne gibt". Vor diesem Hintergrund ist das Direkthaftungsmodell auch für das deutsche Recht von Interesse. Unerheblich ist für die rechtsvergleichende Betrachtung, daß die Direkthaftung zu einer Verlagerung konzernhaftungsrechtlicher Fragen aus dem Gesellschaftsrecht ins allgemeine Haftungsrecht führt. Zwar liegt das Gesellschaftsrecht als sedes materiae der Konzernrechtsvergleichung besonders nahe.1164 Doch gebietet es die bereits erwähnte funktionale Methode, den Blick darüber hinaus auch auf andere Rechtsbereiche zurichten.Im Folgenden ist also — wegen der systematischen "Zwitterstellung" der Direkthaftung — neben dem Konzernhaftungsrecht auch das allgemeine Haftungsrecht zu berücksichtigen.

Π. Vereinbarkeit der Direkthaftung mit einschlägigen Regeln des deutschen Rechts Der Versuch, das Direkthaftungsmodell ins deutsche Recht zu übertragen, trifft — wenigstens potentiell — in dreifacher Hinsicht auf Abstimmungsprobleme: Unterschiede in der Rechtsmethodik, Besonderheiten im allgemeinen Haftungsund speziell im Altlastenrecht sowie Spezifika des deutschen Gesellschaftsrechts.

1160

Vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG, 13 Abs. 2 GmbHG.

1161

Siehe bereits oben §5.1.1.

1162

Die Ähnlichkeit der Konfliktlagen betont allgemein auch Ebke, a.a.O. (Fn. 83),

S. 280. 1163

Harm Peter Westermann, ZHR 155 (1991), 223, 245. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Föller, Umwelthaftungsrecht und Schadensprävention, S. lOOf.; Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 4), S. 762; Oehler, ZIP 90, 1445. 1164

104.

Immenga, a.a.O. (Fn. 1156), S. 298f.; vgl. auch Hofstetten a.a.O. (Fn. 427), S.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

263

1. Unterschiede in puncto Rechtsmethodik

Im Fall des § 107(a) CERCLA ergaben sich sowohl die Kriterien als auch die innere Rechtfertigung der Direkthaftung aus der Politik der Haftungsnorm. 1165 Die so ermittelten Ergebnisse wurden zur Absicherung mit Hilfe ökonomischer Analyse verifiziert. 1166 Klassische Methoden der Gesetzesauslegung erwiesen sich dagegen als wenig hilfreich 1167 — ein Befund, der auch für andere amerikanische Haftungsgesetze sowie entsprechende deutsche Vorschriften zutreffen dürfte: Eine Interpretation anhand des Wortlauts, der Systematik oder der Gesetzesgeschichte wird kaum je Erkenntnisse über eine direkte Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften hervorbringen, weil diese Frage im Zusammenhang mit allgemeinen Haftungsgesetzen bislang keine Rolle spielte. Für deutsche Gerichte wäre es zumindest ungewohnt, die Inanspruchnahme einer Konzernmütter mit der Politik des einschlägigen Gesetzes und mit ökonomischen Überlegungen zu begründen. Ist die Direkthaftung deshalb inkompatibel mit der deutschen Rechtsmethodik?

a) Auslegung anhand der Politik des Gesetzes Bereits 1973 hat Steindorff für das deutsche Recht eine stärkere Berücksichtigung der Politik des Gesetzes bei der Auslegung angemahnt: Nach angloamerikanischem Vorbild sollten namentlich im Bereich des Wirtschaftsrechts die übergeordneten Regelungsziele und Gestaltungszwecke eines Gesetzes, die sich im Lauf der Zeit durchaus ändern könnten, dessen Auslegung bestimmen.1168 Demgegenüber favorisiert die deutsche Rechtsmethodenlehre traditionell eine teleologische Auslegung, die sich an den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers orientiert. 1169 Der Gegensatz zwischen beiden Ansätzen ist jedoch nicht so stark, wie es auf den ersten Blick scheinen mag: Anerkanntermaßen ist auch im Rahmen der teleologischen Auslegung (etwas) Raum für objektive, vom ursprünglichen Willen des Gesetzgebers abstrahierte Gesetzeszwecke. 1165

Vgl. oben §4.1.1.b).cc).

1166

Vgl. oben §4.11.1.

1167

Siehe hierzu insbesondere oben § 4.III. am Ende.

1168

Steindorff;

1169

a.a.O. (Fn. 607), S. 222ff. u. passim.

In diesem Sinne etwa Fikentscher, Methoden des Rechts (Bd. IV), S. 364ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328ff. Larenz meint allerdings, zwischen dem telos und der Politik des Gesetzes bestehe im Ergebnis kein Unterschied (a.a.O., S. 332). Dabei übersieht er jedoch offenbar, daß sich die Politik in dem hier zugrundegelegten Verständnis jederzeit ändern kann und jeweils durch den Richter konkretisiert wird.

264

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

Überkommene gesetzgeberische Vorstellungen können (in beschränktem Maße) durch Richterrecht korrigiert werden.1170 Dadurch verschwimmt die Abgrenzung zwischen telos und Politik des Gesetzes auch im deutschen Recht.1171 Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß sich amerikanische Gerichte mit einer /wficy-orientierten Argumentation leichter tun als die deutsche Rechtsprechung. Das läßt sich vor allem mit Unterschieden in der Stellung und Funktion der Judikative erklären: In einem commontov-Staatsind neben der Rechtsanwendung auch Rechtsetzung und -politik legitime Aufgaben der Gerichte. Der Rekurs auf die oft diffuse Politik des Gesetzes ist hier unter dem Aspekt der Gewaltenteilung weit weniger problematisch als in einem civil tow-System.1172 Daraus folgt aber nicht, daß diese Politik als Auslegungsmaßstab im deutschen Recht untauglich wäre. Zumal unter dem Einfluß des EU-Rechts — nicht zuletzt im Bereich der zivilen Haftung (Stichwort: Produkthaftungsrichtlinie) — kommen auch deutsche Gerichte heute nicht mehr umhin, stärker policy- orientiert zu denken und zu argumentieren als in der Vergangenheit.1173 Sie sollten sich dabei allerdings ihrer (stärker) beschränkten Rolle bewußt sein. Im Zusammenhang mit der Direkthaftung bedeutet das: Im deutschen Recht ist es noch wichtiger als im amerikanischen1174, die Politik des Gesetzes so genau und detailliert wie möglich zu ermitteln. Sonst könnte sich die Frage einer direkten Haftung von Muttergesellschaften in Billigkeitserwägungen verlieren. 1175

b) Ökonomische Analyse des Rechts Solche Gefahren /wZ/cy-orientierter Rechtsprechung bilden einen Grund für die breite Rezeption der ökonomischen Analysemethode in den USA: 1176 Wie am

1170

Näher Fikentscher, a.a.O., S. 360f.; Larenz, a.a.O., S. 333ff. Beide gehen freilich von einem Vorrang des historischen telos aus. 1171

Schon Steindorff, a.a.O. (Fn. 607), S. 231f., hatte sichtliche Probleme mit der genauen Grenzziehung zwischen der klassischen teleologischen und der von ihm befürworteten policy- orientierten Auslegung. 1172

Vgl. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 130f. u. 144 m. w. N.; siehe auch Fikentscher, Methoden des Rechts (Bd. III), S. 38lf. (dort im Zusammenhang mit dem Stichwort "Interessenjurisprudenz"). 1173

Allgemein zum "politischen" Charakter der bisherigen Privatrechtsangleichung auf EU-Ebene: Rittner, DB 96, 25f. 1174

Vgl. hierzu oben § 5.III.

1175

Den "weitgehenden Behauptungscharakter vieler 'legal pol icy '-Entscheidungen amerikanischer Gerichte" beklagt allgemein Fikentscher, a.a.O. (Fn. 534), S. 235. 1176

Andere Gründe nennt Taupitz, a.a.O. (Fn. 1172), S. 128ff. m. w. N.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

265

Beispiel der CERCLA-Direkthaftung aufgezeigt wurde, kann diese Methode dazu beitragen, den Prozeß der Auslegung bzw. der Entwicklung von Richterrecht zu verobjektivieren.1177 In der deutschen Rechtsprechimg wird jedoch, soweit ersichtlich, von ökonomischer Analyse nach wie vor kein Gebrauch gemacht. Nur zufallig kommt es zu einem "partiellen Begründungsgleichklang"1178, wenn Gerichte Überlegungen anstellen, die sich inhaltlich mit Kriterien oder Methoden der ökonomischen Analyse decken. Im Rahmen der Direkthaftung sollte gleichwohl nicht auf wirtschaftliche Kontrollüberlegungen verzichtet werden. Sonst könnte die Rationalität von Entscheidungen für oder gegen eine Inanspruchnahme von Muttergesellschaften leiden. Von einem Teil der deutschen Lehre wird allerdings vertreten, die ökonomische Analyse sei mit dem geltenden Recht, insbesondere auch dem Haftungsrecht, unvereinbar.1179 Solche Behauptungen lassen sich schwerlich begründen, wenn diese Analysemethode — wie hier — nicht als alleiniger, umfassender Ansatz zur Bewertung des Rechts verstanden wird, sondern lediglich als Kontrollüberlegung und zusätzliche Erkenntnismöglichkeit: Soviel läßt sich an dieser Stelle sagen, ohne in eine grundsätzliche Auseinandersetzung1180 mit den verbreiteten Einwänden gegen die ökonomische Analyse einzutreten. In jüngerer Zeit mehren sich Literaturäußerungen, in denen das allgemeine Haftungsrecht 1181 oder das Prinzip beschränkter Haftung im Kapitalgesellschaftsrecht1182 unter dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse betrachtet werden. Weiterhin ist bemerkenswert, daß beispielsweise die Gesetzesbegründung1183 zum UmweltHG Erwägungen enthält, die durch die ökonomische Analyse inspiriert sind. Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen prinzipiellen Bedenken, auch im Rahmen der Direkthaftung auf diese Methode zurückzugreifen.

1177

Vgl. oben § 4.II.2. u. § 5.III.2.

1178

Taupitz, a.a.O. (Fn. 1172), S. 120ff.

1179

Siehe die Nachweise bei Taupitz, a.a.O., S. 132, insbesondere Fn. 99. Vorsichtiger jedoch Deutsch, Haftungsrecht, Rz. 4. 1180

Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Fezer, JuS 91, 889, 892ff.; grundlegend Kubier in: FS Steindorff, S. 687ff. 1181

So bei Adams, a.a.O. (Fn. 799), S. 56ff.; Taupitz, a.a.O. (Fn. 1172), S. 137ff. u. passim m. w. Ν. 1182

So bei Adams, a.a.O., S. 47ff.; Debus, Haftungsregelungen im Konzernrecht, S. 41 ff.; Michael Lehmann, a.a.O. (Fn. 809), S. 349ff.; Günther Η. Roth, a.a.O. (Fn. 1028), S. 374ff. 1183

BT-Ds. 11/7104 vom 10.5.1990, S. 14.

266

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht 2. Besonderheiten im allgemeinen Haftungsrecht

a) Grundsätzliche

Überlegungen

Als Basis einer Direkthaftung von Obergesellschaften kommt eine ganze Reihe von Bestimmungen in Betracht. Im Bereich der Umwelthaftung ist vor allem an §§ lf. UmweltHG, § 22 WHG, §§ 25ff. AtomG, § 32 GenTG, §§ Iff. HPflG, in der Produkthaftung ist an § 1 ProdHG zu denken. Auch DirekthaftungsAnspriiche nach den §§ 823ff. BGB erscheinen nicht a priori ausgeschlossen.1184 Namhafte Konzernrechtler in Deutschland haben die genannten Normen bereits für sich entdeckt. So diskutiert Hommelhoff eine Subsumtion von Konzernmüttern unter den Herstellerbegriff des § 4 ProdHG sowie davon unabhängige deliktsrechtliche Verkehrssicherungspflichten von Mutterunternehmen gegenüber Kunden ihrer Töchter.1185 Auch Lutter hält es für denkbar, daß eine Muttergesellschaft (konkret: eine Holding) aufgrund von Handlungen in der Sphäre ihrer Tochter unter den Tatbestand einer allgemeinen Haftungsregel fällt. 1186 In die gleiche Richtung gehen Überlegungen von Schneider und von Westermann, eine Konzernmutter als "Betreiberin" oder "Inhaberin" im Sinne öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu qualifizieren. 1187 Von der Direkthaftung gemäß § 107(a) CERCLA unterscheiden sich diese Vorschläge nicht nur dadurch, daß sie von der Rechtsprechung bisher nicht aufgegriffen wurden: Auch im Ansatz weichen sie von dem oben dargestellten amerikanischen Modell ab. Denn die US-Bundesgerichte beschäftigen sich in ihrer Direkthaftungs-Rechtsprechung nur en passant mit der Frage, ob und wann eine Muttergesellschaft dem Bild des "Betreibers" in § 101(20)(A) CERCLA entspricht.1188 Im Mittelpunkt der Urteile steht die Frage: ob eine direkte Konzernhaftung erforderlich ist, um die Politik des Gesetzes, also grundlegende Zielvorstellungen im Zusammenhang mit der Altlastenhaftung, zu fördern bzw. überhaupt zu verwirklichen.1189 Demgegenüber beschränken sich die genannten Ansätze im deutschen Recht darauf, die Stellung und Aktivitäten der Muttergesellschaft mit den allgemeinen Merkmalen des Betreiberbegriffs (oder

1184

Vgl. hierzu Oehler, a.a.O. (Fn. 1163), S. 1446ff., der außerdem auf spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen im Zusammenhang mit der Produkthaftung hinweist. 1185

Siehe Hommelhoff,,

1186

Siehe Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 24.

a.a.O. (Fn. 4), S. 762ff.

1187

Siehe Uwe H. Schneider, a.a.O. (Fn. 4), S. 237ff.; Harm Peter Westermann, a.a.O. (Fn. 1163), S. 233ff.; im Anschluß daran Karsten Schmidt in: Umweltschutz und technische Sicherheit im Unternehmen, S. 69, 78ff. 1188

Vgl. hierzu insbesondere oben § 4.1.1.a).aa).(l).

1189

Vgl. oben § 4.III.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

267

eines entsprechenden anderen Begriffs) der jeweiligen Haftungsnorm abzugleichen. Auf eine Auseinandersetzung mit der Politik des Gesetzes wird verzichtet. Dieser Verzicht wirkt sich im Ergebnis nicht aus, wenn der Betreiberbegriff die Gesetzesziele und -zwecke in vollem Umfang reflektiert. Darauf ist jedoch kein Verlaß. Es erscheint vorzugswürdig, die Entscheidung pro oder contra Direkthaftung als Auflösung eines Konflikts zwischen den Politiken des Haftungs- und des Konzernrechts zu betrachten. Erst dadurch wird deutlich, daß es auch um eine (weitere) Durchbrechung des Prinzips beschränkter Haftung geht1190 — ein Aspekt, der bei der bloßen Subsumtion einer Muttergesellschaft unter den gesetzlichen Tatbestand unterzugehen droht. So betrachtet, bildet die Politik des Gesetzes nicht nur die Grundlage der Direkthaftung; sie schränkt diese zugleich ein: Eine Muttergesellschaft kann mit einer direkten Haftung überhaupt nur dann konfrontiert werden, wenn dies im öffentlichen Interesse (an der Erfüllung der betreffenden rechtlichen Gestaltungsaufgabe) erforderlich ist. Daher empfiehlt es sich, auch im deutschen Recht auf die Regelungsziele der jeweiligen Haftungsnorm abzustellen.1191 Dann aber spricht grundsätzlich nichts dagegen, die Direkthaftung amerikanischen Zuschnitts auf deutsche Haftungsregeln zu übertragen. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß der soeben erläuterte Rückgriff auf das "öffentliche Interesse" zu einer Beschränkung auf bestimmte Haftungsnormen zwingt: Die Rechtsprechung in den USA hat eine Direkthaftung bislang nur angeordnet, wo die Erfüllung einer öffentlichen Gestaltungsaufgabe (Altlastensanierung, Sicherung der betrieblichen Altersversorgung, Schutz vor fehlerhaften Produkten) betroffen war — nicht hingegen in "herkömmlichen", rein privatrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehr Individuen.1192 Von einer Übertragung des Direkthaftungsmodells kann daher nur die Rede sein, wenn und soweit die betreffende deutsche Haftungsnorm nicht (nur) dem Ausgleich von Individualinteressen, sondern (auch) übergeordneten Zielen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung dient. Ob dies der Fall ist, muß für jeden Haftungstatbestand gesondert festgestellt werden. Man könnte natürlich erwägen, die Abgrenzung anhand des "öffentlichen Interesses" aufzugeben und — über das amerikanische Vorbild hinaus — eine Direkthaftung auch in rein individualistischen Haftungsverhältnissen zuzulassen. Ob dies rechtlich möglich und angemessen wäre, kann hier nicht im einzelnen 1190

Vgl. insoweit die Ausführungen zum amerikanischen Recht oben § 5.II.1.

1191

Eine notwendige (aber eben nicht ausreichende) Voraussetzung für eine Direkthaftung ist daneben natürlich, daß Konzernmütter unter den jeweiligen Betreiberoder entsprechenden Begriff des Haftungstatbestands subsumiert werden können. 1192

Siehe zu dieser Unterscheidung bereits oben § 5.II. 1.

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

268

untersucht werden. Schon der Bedarf für einen solchen Schritt erscheint jedoch fraglich: Wenn es nur um eine Haftung im Einzelfall geht, reicht typischerweise das Kapital der jeweiligen Tochtergesellschaft als Haftungssubstrat aus. Auch gezielte Bestrebungen zur Haftungssegmentierung durch Konzernierung, denen entgegengesteuert werden müßte, dürften in solchen Konstellationen eher selten sein. In Ausnahmefällen kann immer noch auf die bestehenden Institute des Konzernhaftungsrechts 1193 zurückgegriffen werden. In den Bereichen hingegen, wo ein praktisches Bedürfnis für eine Direkthaftung von Konzernmüttern besteht, werden auch die deutschen Haftungsregelungen durchweg von einer öffentlichen Politik getragen. Das gilt namentlich für die eingangs genannten Spezialtatbestände des Umwelt- und Produkthaftungsrechts, 1194 unter Umständen aber auch für allgemeine Normen wie die §§ 823ff. BGB.1195

b) Insbesondere: Haftung ßr Altlasten Vor diesem Hintergrund wäre das Altlastenproblem als Anwendungsfall der Direkthaftung eigentlich prädestiniert, weil es sich auch in Deutschland als "gesamtgesellschaftlich[e] Aufgabe"1196 darstellt: Nach jüngsten Schätzungen sind hierzulande möglicherweise 240.000 Flächeneinheiten durch toxische Substanzen

1193

Näher hierzu unten § 7.II.3.b).bb).(2).

1194

Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 265, bemerkt dazu: "Haftungsrecht sucht auf indirekte Weise bestimmte gesellschaftliche Wirkungen zu erreichen (etwa: geringere Umweltbelastung, höhere Produktsicherheit) [...]." In dieser Steuerungsfunktion sei die Politik der betreffenden Regelungen zu sehen. Vgl. a.a.O., S. 263. Gerade im Zusammenhang mit dem Umwelthaftungsrecht wird auch von vielen anderen Autoren die Präventivfunktion zivilrechtlicher Haftung hervorgehoben, von der Anreize zur Umstellung wirtschaftlicher Prozesse ausgingen. So Rehbinder in: Haftung und Versicherung für Umweltschäden, S. 34, 42f.; Kohler in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 3. Buch, Einl. zum UmweltHR, Rz. 26f. (beide m. w. N.). Zum Produkthaftungsrecht vgl. Wieckhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 31f. 1195

Primär dient das bürgerliche Deliktsrecht freilich dem individuellen Schadensausgleich: Darin kann schwerlich eine haftungsrechtliche Politik gesehen werden. Heute ist jedoch weitgehend anerkannt, daß die §§ 823ff. BGB — sekundär — auch Zwecken der Prävention und Verhaltenssteuerung dienen. So etwa Mertens in: MünchKomm, Vor §§ 823-853, Rz. 44ff.; Rehbinder, a.a.O., S. 41 m. w. N. Berücksichtigt man zudem noch, daß diese Vorschriften durch die Entwicklung von Verkehrspflichten zunehmend normative Funktionen entfalten (vgl. nur Mertens, a.a.O., § 823, Rz. 22 u. passim), so sind öffentliche Regelungsziele und -zwecke auf der Grundlage des Deliktsrechts durchaus denkbar. 1196

Kloepfer,

Umweltrecht, Rz. 151 am Ende.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

269

verseucht; ihre Sanierung könnte zwischen 300 und 400 Milliarden DM kosten.1197 Das Altlastenproblem ist mit anderen Worten im Kern ein Finanzierungsproblem.1198 Eben diese Überlegung gab einen entscheidenden Anstoß dafür, daß Mutterunternehmen von US-Bundesgerichten als "Betreiber" von Gefahrstoffbeseitigungsanlagen qualifiziert wurden (und werden).1199 Gleichwohl ist eine Übertragung des Direkthaftungsmodells auf die Altlastenhaftung nach deutschem Recht nicht ohne weiteres möglich, weil entscheidende Unterschiede zwischen dem CERCLA und den entsprechenden deutschen Regelungen bestehen. Es fehlt hier vor allem an einer dem § 107(a) CERCLA vergleichbaren Vorschrift, mit der eine umfassende zivilrechtliche Altlastenhaftung begründet werden könnte: Ansprüche nach den §§ 823ff. BGB sind zwar grundsätzlich denkbar, scheitern aber meist an immanenten Grenzen des Deliktsrechts. Auch der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hilft in der Regel nicht weiter.1200 Vielversprechender erscheinen auf den ersten Blick spezielle zivile Haftungsnormen wie § 22 WHG oder § 2 Abs. 2 UmweltHG. Doch auch sie lassen eine Altlastenhaftung nur in bestimmten Fällen zu. Von den teilweise engen tatbestandlichen Voraussetzungen abgesehen, bereitet insbesondere der zeitliche Anwendungsbereich von WHG und UmweltHG Probleme: Wirkliche /IMasten, die aus der Zeit vor 1960 bzw. 1991 stammen, werden von vornherein nicht erfaßt. 1201 Diese unbefriedigende Rechtslage hätte sich grundlegend ändern können, wenn der Entwurf 1202 einer Richtlinie "über die zivilrechtliche Haftung für die durch Abfälle verursachten Schäden" auf EU-Ebene verabschiedet und in nationales deutsches Recht umgesetzt worden wäre.1203 Der Richtlinienentwurf wird jedoch, wie von der EU-Kommission zu erfahren ist,1204 nicht weiter verfolgt.

1197

Süddeutsche Zeitung vom 11./12.5.1996, S. 23.

1198

So auch Kloepfer,

1199

Vgl. oben § 4.1.1.b).bb).(l).(d).

a.a.O. (Fn. 1196), Rz. 151.

1200

Näher zu beiden Anspruchsgrundlagen: Diederichsen, BB 86, 1723, 1726ff.; Leinemann, Städte und Altlastenhaftung, S. 59ff. 1201 1202

Näher zum Ganzen: Diederichsen, a.a.O., S. 1728ff.; Leinemann, a.a.O., S. 73ff.

Vgl. den von der Kommission geänderten Richtlinienvorschlag in ABl. Nr. C 192/6 vom 23.7.1991.

270

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

Damit bleibt für die Altlastensanierung in Deutschland im wesentlichen der Rückgriff auf das öffentliche Recht.1205 In den Abfallgesetzen des Bundes und der Länder ist die Materie allerdings nur ansatzweise geregelt, und auch das öffentlich-rechtliche Instrumentarium des WHG und des BImSchG steht nur ausnahmsweise zur Verfügimg. Eingriffe können deshalb — wenn überhaupt meist nur auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht gestützt werden.1206 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert freilich weniger die genaue Rechtsgrundlage als vielmehr die Änderung der Fragestellung, die aus der Verlagerung des Altlastenproblems ins öffentliche Recht resultiert: Es geht hier nicht mehr um eine (zivüe) Haftung von Mutterunternehmen, sondern um deren polizeirechtliche Pflichten als Verhaltens- oder Zustandsstörer. In der Sache bestehen zwar durchaus Parallelen zwischen einem Anlagebetreiber i. S. d. § 101(20)(A) CERCLA1207 und einem Verhaltensstörer. Rechtlich macht es jedoch einen bedeutenden Unterschied, ob eine Muttergesellschaft unter den Betreiberbegriff subsumiert oder als Störerin qualifiziert wird: Nur im ersten Fall läßt sich von einem /wZ/cy-Konflikt zwischen verschiedenen Bereichen des Zivilrechts (allgemeines Haftungsrecht einerseits, Gesellschaftsrecht andererseits) sprechen. Im zweiten Fall geht es stattdessen um eine Überlagerung der Konzernstruktur durch öffentlich-rechtliche Pflichten. 1208 Ob und wie sich dieser

1203

Amerikanische Kommentatoren wiesen auf weitgehende Parallelen (aber auch Unterschiede) zwischen dem CERCLA und dem Richtlinienentwurf hin. Insbesondere hätte möglicherweise auch die EU-Richtlinie eine "Art" Betreiberhaftung von Muttergesellschaften zugelassen. Vgl. Bakst, a.a.O. (Fn. 1093), S. 346ff.; Mounteer, 23 Envtl. L. 107, 127 (1993); Smith/Hunter, a.a.O. (Fn. 777), S. 10721. Brüggemeier, a.a.O. (Fn. 724), S. 86, äußert hingegen Zweifel an der rückwirkenden Anwendbarkeit der Richtlinie (auf Altlasten). 1204

Telefonische Auskunft von Ludwig Krämer, Referatsleiter Abfallwirtschaftspolitik in der Generaldirektion XI, vom 5.6.1996. 1205

Vor diesem Hintergrund bemerkt Kästle, a.a.O. (Fn. 18), S. 345, durchaus treffend: "Den deutschen Betrachter erinnert der Superfund-Act [CERCLA] eher an Polizei- und Sicherheits- als an Haftungsrecht." 1206

Näher zum Ganzen: Kloepfer, a.a.O. (Fn. 1196), Rz. 132ff.; Spießhof er, a.a.O. (Fn. 5), S. 32ff. (beide auch zu den Schwierigkeiten und Problemen, die bei der Anwendung allgemeinen Polizeirechts im Zusammenhang mit Altlasten entstehen). 1207 1208

Vgl. hierzu oben § 4.1.1.a).aa).(l).

Ähnlich formuliert auch Uwe H Schneider, a.a.O. (Fn. 4): "Die Überlagerung des Konzernrechts durch öffentlich-rechtliche Strukturnormen und Organisationspflichten". Schneider vermengt jedoch die Frage einer zivilrechtlichen Haftung von Konzernmüttern

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

271

Unterschied auswirkt, kann hier nicht näher untersucht werden. Auf jeden Fall aber wird die am Beispiel des CERCLA1209 skizzierte Konfliktlage unter dem Einfluß der hoheitlichen Interessen, die durch das deutsche Polizeirecht ins Spiel kommen, um einiges komplizierter. De lege lata ist deshalb äußerst fraglich, ob die Direkthaftung von Muttergesellschaften zur Lösung des Altlastenproblems in Deutschland Entscheidendes beitragen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der deutsche Gesetzgeber die Altlastensanierung ohnehin in stärkerem Maße als staatliche Aufgabe betrachtet als etwa der US-Kongreß:1210 Während der CERCLA - im weitesten Sinne - auf dem Verursachergedanken beruht und vornehmlich die Privatwirtschaft in die Pflicht nimmt,1211 führt beispielsweise das Investitionshemmnissebeseitigungsgesetz für die neuen Bundesländer de facto zu einer Finanzierung der Altlastensanierung aus öffentlichen Kassen.1212 Eine Übernahme des Direkthaftungsmodells empfiehlt sich demnach weniger für die Altlastenhaftung als für andere Bereiche des deutschen Haftungsrechts. Dieses Ergebnis läßt sich auch mit allgemeinen Erwägungen zur Direkthaftung begründen: Die Vorzüge dieses Haftungsmodells gegenüber anderen Instituten des Konzernhaftungsrechts beruhen vor allem darauf, daß es der Steuerungsfunktion allgemeiner Haftungsnormen in besonderer Weise Rechnung trägt1213 — ein Aspekt, der bei der Altlastensanierung nur von untergeordneter Bedeutung ist, in anderen Zusammenhängen aber entscheidend sein kann.

3. Spezifika des Gesellschaftsrechts

a) Grundlagen für eine Direkthaftung Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sind die Voraussetzungen für eine Einführung der Direkthaftung in Deutschland günstiger, als sie es vor der CERCLARechtsprechung in den USA waren. Vor allem ist der theoretische Boden für entsprechende Urteile deutscher Gerichte schon seit langem bereitet. Zu nennen gemäß AtomG, GenTG, UmweltHG oder WHG mit einer möglichen öffentlichrechtlichen Pflichtenstellung konzernleitender Unternehmen (vgl. a.a.O., S. 237). Das erscheint nicht ohne weiteres zulässig. 1209

Siehe oben §5.11.1.

1210

Vgl. Schaub, DAJV-NL4/91, S. 55f.

1211

Siehe bereits oben § 4.1.1.b).bb).(l).(b).(aa).

1212

Näher zu den Freistellungsmöglichkeiten gemäß Investitionshemmnissebeseitigungsgesetz Spießhof er, DB 95, 1897ff. 1213

Siehe oben § 5.III.l.a).cc). u. passim.

272

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Literaturäußerungen1214, die eine Direkthaftung bei Umwelt- oder Produktschäden ausdrücklich fordern. Auch die Durchgriffsdogmatik in Deutschland ist seit der grundlegenden Arbeit von Müller-Freienfels 1215 einen bedeutenden Schritt weiter ist als in den USA: Dort herrscht noch heute eine rechtsformbezogene Sichtweise vor, die erst neuerdings unter dem Einfluß bestimmter Bundesgesetze schrittweise überwunden wird. 1216 In der deutschen Rechtswissenschaft dominiert hingegen —- innerhalb, neben bzw. an Stelle der "typischen" Durchgriffstatbestände 1217 — seit langem die Normanwendungslehre.1218 Danach hängt es vom Regelungszweck der jeweils maßgeblichen Vorschrift ab, ob eine Rechtsfolge nur die Gesellschaft oder auch ihre Anteilseigner trifft. Von diesem Ausgangspunkt ist es nur ein kleiner Schritt, bei der Haftung einer Konzernmutter für Verbindlichkeiten aus der Sphäre ihrer Tochter nach Anspruchsgrundlagen zu differenzieren. 1219 Als Weiterentwicklung der Normzwecklehre ist auch der Vorschlag1220 zu sehen, die Frage des Durchgriffs von der Politik des jeweiligen Haftungsgesetzes abhängig zu machen. Im deutschen Gesellschaftsrecht erlaubt es also schon die bestehende Durchgriffs-

1214

Siehe die Nachweise oben Fn. 1184-1187.

1215

Müller-Freienfels,

AcP 156 (1957), 522, 536 u. passim.

1216

Vgl. hierzu die Darstellung zum bundesrechtlichen Durchgriffsmaßstab in CERCLA-Fällen oben § 3.1.1.b).bb).(2). 1217

Gemeint sind die vier Fallgruppen: Unterkapitalisierung, Institutsmißbrauch und Vermögens- oder Sphärenvermischung. Vgl. (mit geringfügigen Abweichungen) Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 17f. u. passim; Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 368f.; Lutter, a.a.O. (Fn. 305), S. 248ff.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 241ff.; Wiedemann , Gesellschaftsrecht I, S. 223ff. Ungeklärt und umstritten ist allerdings das Verhältnis der Normanwendungslehre zur institutionellen, an die genannten Fallgruppen anknüpfenden Durchgriffslehre. Zum Meinungsstand: Hueck, a.a.O., S. 366ff.; Mertens in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 13, Rz. 28ff. 1218

So das Resümee von Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 298ff.; Mertens, a.a.O.; prononciert anders jedoch die vielbeachtete Arbeit von Serick, a.a.O. (Fn. 367), der die Durchgriffshaftung nicht als Frage der Normanwendung sondern als Antwort auf einen Mißbrauch der juristischen Person "an sich" versteht. 1219

Diesen Ansatz wählt Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 107ff. u. passim, um den Anwendungsbereich der rechtsformbezogenen Durchgriffslehre so klein wie möglich zu halten. 1220

Von Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 272 u. passim; ders., ZGR 91, 189, 208; vgl. auch Kübler, a.a.O. (Fn. 1218), S. 299f.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

273

dogmatik, zu einer bereichsspezifischen — in der obigen1221 Terminologie: sektoralen — Haftung von Anteilseignern zu gelangen. Zudem läßt die Normzwecklehre neben der derivativen Haftung einer Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten ihrer Tochter auch eine direkte Haftung (der Muttergesellschaft) für ihr eigenes Verhalten zu. 1222 Damit bietet es sich an, eine Direkthaftung auf der dogmatischen Grundlage dieser Lehre zu entwickeln. Direkthaftung durch Normanwendung darf allerdings nicht heißen: die Frage nach der Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft autonom aus dem Haftungsrecht heraus zu beurteilen, ohne als Korrektiv die Vorgaben des Gesellschaftsrechts zu berücksichtigen.1223 Denn ob eine Konzernmutter unter den Betreiberbegriff (oder einen ähnlichen Begriff) einer deutschen Haftungsnorm subsumiert werden kann, läßt sich — wie im Zusammenhang mit der amerikanischen Rechtslage ausführlich dargelegt1224 — vom Phänomen konzerninterner Kontrolle regelmäßig nicht klar trennen. Auch bei einer ergebnisorientierten Betrachtungsweise wird deutlich, daß die Direkthaftung das kapitalgesellschaftliche Prinzip beschränkter Haftung berührt. Diese Überlagerung der Verwirklichung eines Haftungstatbestands durch das Gesellschaftsrecht zwingt dazu, sich über die bloße Normanwendung hinaus mit den Auswirkungen der Direkthaftung auf das Haftungsprivileg der Konzernmutter auseinanderzusetzen.1225 Dadurch

1221

Siehe §3.I.l.a).bb).

1222

Näher zur Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft wegen der Begehung eigener unerlaubter Handlungen in Ausübung konzerninterner Kontrolle: Rehbinder, a.a.O. (Fn. 309), S. 494ff. 1223

Ähnlich Wiedemann , a.a.O. (Fn. 1217), S. 229f., der in der Anwendung allgemeiner Anspruchs- oder Zurechnungsnormen auf Anteilseigner — noch weitergehend — eine "Relativierung der Selbständigkeit der juristischen Person" sieht. Vgl. auch ders., a.a.O. (Fn. 81), S. 19ff., sowie Mertens in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), Anh. § 13, Rz. 31 ("Vernachlässigung des Trennungsprinzips"). Anders Rehbinder in: FS Robert Fischer, S. 579, 586ff.: Bei der Anwendung allgemeiner (Zurechnungs-)Regeln, die kein Sonderrecht der juristischen Person darstellten, sei ausschließlich auf den jeweiligen gesetzlichen Tatbestand abzustellen; die gesellschaftsrechtlichen Strukturen seien irrelevant. Vgl. auch ders., a.a.O. (Fn. 309), S. 107ff. 1224

Vgl. die Ausführungen oben § 5.II.1.

1225

Dezidiert anders jedoch Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 26: Das Prinzip der Vermögenstrennung im Konzern werde durch einen "allgemeinen" Tatbestand wie die Direkthaftung nicht berührt. Unklar Mertens in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), Anh. § 13, Rz. 2: Die Grenze zwischen "allgemeiner" und "gesellschaftsrechtlicher" Haftung sei fließend, wo eine Person in Ausübung ihrer Gesellschafterstellung einen unspezifischen Haftungstatbestand 18 Ochscnfcld

274

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

wird die oben vorgenommene Abwägung zwischen den Zielen des Haftungs- und des Gesellschaftsrechts auch für das deutsche Recht relevant.

b) Einßgen der Direkthaftung

in das bestehende System

Das Ergebnis dieser Abwägung lautete, daß eine Direkthaftung von Muttergesellschaften nach Haftungsvorschriften mit "öffentlichem Einschlag" im Grundsatz zu befürworten ist.1226 Wie würde sich diese zusätzliche Möglichkeit, eine Konzernmütter für Haftungsrisiken aus der Sphäre ihrer Tochter verantwortlich zu machen, zu den geltenden1227 Regeln und Grundsätzen des Konzernhaftungsrechts verhalten?

aa) Abschließende Regelung der Materie durch das Konzernhaftungsrecht? Eine Direkthaftung nach dem Vorbild der Rechtsprechung zum CERCLA wäre ausgeschlossen, wenn das Haftungsrecht der AG- und GmbH-Konzerne in §§ 291ff. AktG abschließend geregelt wäre. Von einer Abschließlichkeit ist jedoch nicht auszugehen: Für die GmbH als Tochtergesellschaft ergibt sich dies schon daraus, daß eine gesetzliche Regelung der Konzernhaftung fehlt und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf einem Lückenschluß durch analoge Anwendung aktienrechtlicher Vorschriften beruhen.1228 Diese Vorschriften dienen ihrerseits dazu, (nur) den spezifischen, mit der Konzernierung verbundenen Risiken für die beteiligten Personen zu begegnen.1229 Sie geben daher keinen Anlaß, in Konzernfällen auf die Anwendung gruppenunspezifischer Haftungstatbestände zu verzichten. Sowohl im AG- als auch im GmbH-Konzern bleibt deshalb neben der "eigentlichen" Konzernhaftung auch die Durchgriffshaftung

verwirkliche. Für den Fall einer "gesellschaftsrechtlichen" Haftung scheint Mertens von einer Relativierung des Trennungsprinzips auszugehen. 1226

Siehe die Zusammenfassung oben § 5.III.l.d).

1227

Im Folgenden wird diejenige Auslegung zugrundegelegt, die der BGH den Vorschriften des Konzernhaftungsrechts gegeben hat. Eine kritische Würdigung und Auseinandersetzung mit diesen Grundsätzen muß aus Platzgründen unterbleiben. 1228

Näher, insbesondere zur Haftung des herrschenden Unternehmens im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern analog § 302 AktG: Emmerich in: Scholz, GmbH-Gesetz, Anh. Konzernrecht, Rz. 216ff.; Lutter /Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13, Rz. 16ff.; Ulmer in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), Anh. § 77, Rz. 97ff.; Zöllner in: Baumbach/Huecky GmbHG, GmbH-Konzernrecht, Rz. 80ff. (jeweils m. w. N. zur inzwischen kaum noch übersehbaren Literatur). 1229

Vgl. Begründung RegE bei Kropff,

a.a.O. (Fn. 307), S. 373f.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

275

prinzipiell anwendbar.1230 Lediglich das Verhältnis der Durchgriffstatbestände zu den beteiligungsspezifischen Tatbeständen ist im einzelnen umstritten.1231 Entsprechendes hat für die Direkthaftung zu gelten. Auch diese zusätzliche Möglichkeit, auf das Vermögen von Muttergesellschaften zuzugreifen, wird durch die "eigentlichen" konzernrechtlichen Haftungsgründe nicht abgeschnitten. Ein Nebeneinander beider Institute ist schon deshalb als unproblematisch anzusehen, weil die jeweüigen Ansprüche in der Regel verschiedenen Personen (außenstehende Gläubiger einerseits, benachteiligte Gesellschaft andererseits) zustehen.1232 Als entscheidender Gesichtspunkt kommt hinzu, daß die Direkthaftung von Konzernmüttern primär in allgemeinen zivilrechtlichen (Haftungs-) Normen verortet ist: Einen gesellschaftsrechtlichen "Anstrich" erhält sie erst dadurch, daß sie den Grundsatz der Haftungsbeschränkung teilweise aufhebt. 1233 Ist die Direkthaftung aber in ihrem Ursprung allgemeiner Natur, so kann sie neben den konzernspezifischen Haftungstatbeständen ohne weiteres zur Anwendung kommen.1234

1230

Im Ergebnis ebenso Lutter, a.a.O. (Fn. 305), S. 247ff.; ders., a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 13ff., 64ff.; ders./Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13 Rz. 31; Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), GmbH-Konzernrecht, Rz. 75f.; vgl. auch Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 295ff., sowie Karsten Schmidt, ZIP 93, 549, 550, der aus umgekehrter Sicht für ein Nebeneinander von bürgerlich-rechtlichen, allgemeinen gesellschaftsrechtlichen und spezifisch konzernrechtlichen Haftungstatbeständen eintritt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang freilich, daß einzelne Autoren den Durchgriff überhaupt nicht als eigenständiges Rechtsinstitut anerkennen. So insbesondere Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, S. 285ff. 1231

Siehe etwa die Darstellungen bei Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 317, Rz. 43ff; Lutter/Hommelhqff, a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13; Rz. 11. 1232

Vgl. Lutter, a.a.O. (Fn. 305), der diesen Aspekt im Zusammenhang mit der Durchgriffshaftung nennt. Ebenso ders., a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 80. 1233 1234

Vgl. oben § 7.II.3.a).

Davon geht offenbar auch Karsten Schmidt, a.a.O. (Fn. 1187), S. 86, aus. Allgemein für eine Anwendbarkeit allgemeiner zivilrechtlicher Haftungsnormen auch in Konzernfällen Hüffer, AktG, § 317, Rz. 17 am Ende; vgl. auch Thomas Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, S. 613, Rz. 37. Für eine Direkthaftung neben den anerkannten Instituten des Konzernhaftungsrechts spricht sich ausdrücklich bereits Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 24, aus; vgl. auch Oehler, a.a.O. (Fn. 1163), S. 1455. 18*

276

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

bb) Bedürfnis für eine Direkthaftung Damit ist noch nicht festgestellt, ob angesichts der differenzierten Regelung der Konzernhaftung im deutschen Recht überhaupt ein praktisches Bedürfnis dafür besteht, Muttergesellschaften direkt haftbar zu machen. Die Ausgangslage in den USA war insofern anders, als dort vor Einführung der Direkthaftung im wesentlichen nur die piercing-Ooktfm als Instrument der Konzernhaftung zur Verfügung stand.1235 Zudem enthält das amerikanische — anders als das deutsche — Gesellschaftsrecht traditionell keine Mindestkapitalvorschriften, um Gläubiger beschränkt haftender Korporationen zu schützen.1236

(1) Vorgeschriebene

Mindesthöhe des Grund- bzw. Stammkapitals

Hierzulande ist für Kapitalgesellschaften ein Grundkapital von mindestens DM 100.000 (§ 7 AktG) bzw. ein Stammkapital von mindestens DM 50.000 (§ 5 Abs. 1 GmbHG) vorgeschrieben. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, daß Gesellschaftsgläubiger, wenn schon nicht auf das Eigenvermögen der Anteilseigner, so doch wenigstens auf einen "Mindesthaftungsfonds" zugreifen können.1237 Um dessen Fortbestand zu sichern, ist die Rückgewähr von Einlagen bzw. Gesellschaftsvermögen an Aktionäre bzw. GmbH-Gesellschafter untersagt (§ 57 AktG, § 30 GmbHG). Diese Vermögensbindung ist im GmbHG zwar vergleichsweise locker ausgestaltet; doch sorgt die Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Darlehen oder Gebrauchsüberlassungsverhältnissen hier für zusätzlichen Gläubigerschutz.1238 Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Reicht es nicht aus, daß Ansprüche im Zusammenhang mit Umweltoder Produktschäden bei einem ordnungsgemäß kapitalisierten Tochterunternehmen liquidiert werden können? Vergleicht man die relativ niedrigen Mindestkapitalsummen mit dem oft schwindelerregenden Umfang von Schadenersatzforderungen im Umwelt- oder Produkthaftungsrecht, so ist die rechtlich vorgeschriebene Kapitalausstattung von

1235

Vgl. die Darstellung oben § 3.1.

1236

Lediglich einzelne Gliedstaaten verlangen bei der Gesellschaftsgründung den Nachweis eines Mindestkapitals von US$ 500 bis 1000. Näher Lutter, a.a.O. (Fn. 914), S. 170f., insbesondere Fn. 20; Merkt, a.a.O. (Fn. 92), Rz. 135 u. 262. 1237

So ausdrücklich Lutter, a.a.O., S. 167f.; Günther H. Roth, GmbHG, § 5, Anm. 2.1.; Ulmer in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), § 5, Rz. 6. 1238 Siehe zu diesen Fragen der Kapitalaufbringung und -erhaltung die aktuellen Überblicke bei Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 57, Rz. Iff.; Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 28ff.; Wüst, JZ 95, 990, 991ff. (alle m. w. N.).

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

277

(Tochter-)Unternehmen in vielen Fällen inadäquat.1239 Gerade in der jüngeren Vergangenheit gab es denn auch immer wieder Ansätze, die im AktG bzw. GmbHG genannten Beträge zu erhöhen 1240 oder für jede Gesellschaft ein individuell "angemessenes" Mindestkapital vorzuschreiben 1241. De lege lata 1242 güt jedoch weiterhin, daß die Höhe des Grund- bzw. Stammkapitals im Ermessen der Gesellschafter liegt, sofern das gesetzlich statuierte Minimum beachtet wird. 1 2 4 3 Ein praktisches Bedürfnis dafür, daß Gläubiger auf das — im Zweifel deutlich größere — Vermögen von Konzernmüttern zugreifen können, ist also durchaus erkennbar. Verstärkt wird dieses Bedürfnis dadurch, daß im Konzern das Risiko einer Aushöhlung des Kapitals der (Tochter-)Gesellschaft besonders groß ist. 1244

1239 Vgl. Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 4), S. 770; Harm Peter Westermann, a.a.O. (Fn. 1163), S. 245. Siehe auch Ziemons, Haftung der Gesellschafter für Einflußnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, S. 67, 132ff., die (in anderem Zusammenhang) an den niedrigen Mindestkapitalsummen kritisiert, sie ermunterten zu unangemessen risikoreichem Verhalten. 1240

Siehe die Nachweise bei Hüffen a.a.O. (Fn. 1234), § 7, Rz. 2.

1241

So namentlich Wiedemann , a.a.O. (Fn. 1217), S. 224ff. u. 565ff. m. w.N. Gegen derartige Vorschläge wird jedoch — auf beiden Seiten des Atlantiks — eingewandt, die im Einzelfall angemessene Kapitalausstattung lasse sich praktisch kaum feststellen. Wegen der naheliegenden Möglichkeit, daß im Zweifel ein Zuviel an Eigenkapital verlangt werde, seien solche Forderungen aus ökonomischen Gründen abzulehnen. Vgl. nur Easterbrook/Fischel, a.a.O. (Fn. 370), S. 114; Fällen a.a.O. (Fn. 1163), S. 103f.; Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 4), S. 770. 1242

Abgesehen von Sonderbestimmungen für die Kredit- und Versicherungswirtschaft. Vgl. hierzu Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 7, Rz. 5; Kraft in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 7, Rz. 7; Rittner in: Rowedder u. a., GmbHG, § 5, Rz. 9; Winter in: Scholz, a.a.O. (Fn. 1228), § 5, Rz. 20. 1243

Ganz h. M. und st. Rspr. seit BGHZ 31, 258, 268; vgl. Hueck in: Baumbach/ders., a.a.O. (Fn. 1228), § 5, Rz. 5; Lutter/Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), § 5, Rz. 5; Rittner, a.a.O.; Winter, a.a.O., Rz. 18f. Von einem Teil dieser Autoren wird allerdings eine äußerste Ermessensgrenze darin gesehen, daß die Kapitalausstattung nicht eindeutig unzureichend sein dürfe. 1244

Näher zu diesem konzerntypischen Risiko: Begründung RegE bei Kropff, a.a.O. (Fn. 307), S. 373ff.; Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 21ff.; vgl. auch Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 302, Rz. 3; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), Vorb. § 291; Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 41ff.; Roth, a.a.O. (Fn. 1237), § 13, Anm. 3.3.4.; zum amerikanischen Recht oben § 4.II.l.b).bb).

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

278

(2) Verlust- und Nachteilsausgleichspflichten

im Konzern

Freilich ordnet § 302 AktG — nicht zuletzt wegen dieses Risikos — eine Verlustausgleichspflicht der herrschenden Gesellschaft im Vertragskonzern an. Eine entsprechende Pflicht besteht nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung unter Umständen auch im qualifizierten faktischen (GmbH-)Konzern.1245 In den übrigen Fällen faktischer Konzernierung ist die herrschende AG oder GmbH gemäß bzw. analog § 317 Abs. 1 AktG immerhin gehalten, einzelne von ihr verursachte Nachteile abzugleichen.1246 Darüber hinaus wird die Unterkapitalisierung einer (Tochter-)Gesellschaft, wie bereits1247 gesagt, zum Teil als Grund für eine Durchgriffshaftung angesehen.1248 All diese bestehenden Möglichkeiten des Konzernhaftungsrechts reichen aber nicht aus, um zu gewährleisten, daß die (im Zusammenhang mit § 107(a) CERCLA herausgearbeiteten1249) Kompensations-, Distributions- und vor allem die Steuerungsziele des allgemeinen Haftungsrechts auch in Konzernfällen erreicht werden. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen: Läßt man die Durchgriffshaftung — die im Konzernrecht ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielt1250 — außer Betracht, so fällt auf, daß die Regeln des Konzernhaftungsrechts primär auf den Schutz der abhängigen Gesellschaft und ihrer Minderheitsgesellschafter zugeschnitten sind.1251 So ist die Verlustaus1245

Siehe die oben Fn. 1228 genannten Nachweise.

1246

Daneben kommt natürlich auch im Vertragskonzern ein Ausgleich einzelner Schäden bei rechtswidrigen Weisungen des herrschenden Unternehmens in Betracht. Die genauen Voraussetzungen sowie die Grundlage ( p W des Beherrschungsvertrags, analoge Anwendung des § 309 AktG oder ungeschriebene Organhaftung?) dieses Ausgleichsanspruchs sind jedoch höchst umstritten. Vgl. Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 360f.; Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 309, Rz. 26ff.; Koppensteiner, in KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 309, Rz. 25ff. Aus der folgenden Darstellung wird diese Haftung wegen einzelner nachteiliger Weisungen im Vertragskonzern ausgeklammert: Die Defizite, die das System des Einzelausgleichs unter dem Blickwinkel des Haftungsrechts aufweist, werden anhand von § 317 Abs. 1 AktG ausreichend dargestellt. 1247

Oben Fn. 1217.

1248

So im Hinblick (auch) auf Konzernfälle insbesondere Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 30ff., insbesondere S. 50; Lutter, a.a.O. (Fn. 305), S. 249f.; ders., a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F65f.; ders./Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), § 13, Rz. llff.; vgl. auch Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), Rz. 76. 1249

Vgl. oben §4.1.1.b).bb).

1250

Vgl. Lutter, a.a.O. (Fn. 1151), S. 964; Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 261.

1251

Demgegenüber wird der Minderheitenschutz im amerikanischen Recht durch eine differenzierte Konzernbildungskontrolle und durch allgemeine Treuepflichten (fiduciary

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

279

gleichspflicht im Vertragskonzern gemäß § 302 AktG als Gegengewicht zu den Eingriffsrechten konzipiert, die dem herrschenden gegenüber dem abhängigen Unternehmen zustehen.1252 Die analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den qualifizierten faktischen GmbH-Konzern beruht auf dem Gedanken, daß die Muttergesellschaft für die Folgen fehlerhafter Konzernleitung einstehen müsse.1253 In beiden Fällen liegt der Haftungsgrund also im 7/z/i^verhältnis der Konzernglieder. Entsprechendes gilt für die Schadenersatzpflicht gemäß bzw. analog § 317 Abs. 1 AktG: Auch dieser Anspruch knüpft an eine Verletzung der Interessen der abhängigen Gesellschaft (durch Veranlassung nachteiliger Rechtsgeschäfte oder Einzelmaßnahmen) an. 1 2 5 4 Es liegt in der Konsequenz dieser Ausgestaltung der Konzernhaftung als Innenhaftung, daß regelmäßig 1255 nur die abhängige Gesellschaft oder (in den Fällen des § 317 Abs. 1 S. 2 AktG) persönlich geschädigte Aktionäre Inhaber der Ansprüche aus § 302 bzw. § 317 Abs. 1 AktG sind. 1256

duties) von Mehrheitsaktionären (lies: Konzernmüttern) gewährleistet. Vgl. Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 103ff.; Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 311f.; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), Vorb. § 291, Rz. 50 1252

BGHZ 116, 37, 41f.; Drüke, a.a.O. (Fn. 308), S. 175; Koppensteiner, a.a.O., § 302, Rz. 4; vgl. Begründung RegE bei Kropff, a.a.O. (Fn. 307), S. 391. Andere Autoren betonen demgegenüber den Kapitalerhaltungsschutz als vorrangiges Ziel des § 302 AktG. Vgl. statt vieler Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 298, und die dort aufgeführten weiteren Nachweise. 1253

Lutter, a.a.O. (Fn. 305). S. 266f.; ders., ZIP 85, 1425, 1433f.; ders., a.a.O. (Fn. 1151), S. 182; ders./Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13, Rz. 17; ebenso die Rechtsprechung seit BGHZ 122, 123, 126f. u. 130f.; dazu Emmerich/Sonnenschein, a.a.O., S. 457f.; Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), GmbH-Konzernrecht, Rz. 83. Anders Ulmer in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), Anh. § 77, Rz. 113; Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 302, Rz. 8: Der Grund für die Verlustausgleichspflicht im qualifizierten faktischen Konzern sei in der "Beeinträchtigung der Belange des abhängigen Unternehmens" zu sehen. Für die hier interessierende Frage, wessen Schutz durch § 302 AktG bezweckt wird, ist dieser Unterschied aber ohne Belang. 1254

Begründung RegE bei Kropff, a.a.O. (Fn. 307), S. 418; Emmerich/Sonnenschein, a.a.O., S. 379f.; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 317, Rz. 9 u. 14. 1255

Außer im Konkurs der abhängigen Gesellschaft und bei Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse. 1256 Vgl. zu § 302 AktG: Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 301; Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 302, Rz. 26; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 302, Rz. 20; zu § 317 Abs. 1 AktG: Hüffer, a.a.O., § 317, Rz. 2.; Koppensteiner, a.a.O., § 317, Rz. 27f.

280

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

Aus alldem folgt nicht, daß diese Vorschriften keinen Schutz für außenstehende Gläubiger böten. Zwar decken sich deren Interessen inhaltlich allenfalls zufällig mit den Interessen der primär geschützten Gesellschaft und ihrer Minderheitsgesellschafter. 1257 Gleichwohl profitieren im Falle des § 302 AktG — reflexhaft — auch die Gläubiger von der Konzernhaftung, weil diese Vorschrift einen globalen Verlustausgleich zugunsten der abhängigen Gesellschaft anordnet. Auf den Ausgleichsanspruch kann im Wege der Pfändung und Überweisung gemäß §§ 829, 835 ZPO zugegriffen werden.1258 Zudem kommt analog §§ 302, 303 AktG eine unmittelbare Ausfallhaftung der Muttergesellschaft gegenüber Dritten in Betracht, wenn mangels Masse kein Konkurs über das Vermögen ihrer Tochter eröffnet wird. 1259 Wie wirksam dieser — mittelbare — Gläubigerschutz sein kann, zeigen die Urteile zur Haftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern.1260 Unterhalb dieser Schwelle, das heißt im einfachen faktischen Konzern, besteht allerdings nur eine Pflicht zum Ausgleich einzelner Nachteile gemäß § 317 Abs. 1 AktG. Diese Regelung ist aus Sicht außenstehender Gläubiger unbefriedigend, weil sich eine Kongruenz der Interessen von abhängiger Gesellschaft, Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern hier nicht einmal reflexhaft herstellen läßt.1261 Die praktische Bedeutung des Nachteilsausgleichs ist für Gläubiger denn auch gering geblieben1262 — trotz der §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG. Indes: Allein damit, daß Gläubiger in Fällen einfacher faktischer Konzernierung nur beschränkten rechtlichen Schutz genießen, läßt sich eine Unzulänglichkeit des Konzernhaftungsrechts nicht begründen. Denn schon aus § 317 Abs. 1 AktG ergibt sich, daß eine Pflicht zum Verlustausgleich im faktischen Konzern nur ausnahmsweise bestehen soll. Der Gesetzgeber hat sich insofern für die Möglich-

1257

Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 268ff., weist in diesem Zusammenhang daraufhin, daß die Konzernhaftung von konzerninternen Verhältnissen abhänge, die für die Außenhaftung gegenüber Gläubigern des abhängigen Unternehmens irrelevant seien. 1258

Begründung RegE bei Kropff, a.a.O. (Fn. 307), S. 390; Hüffen a.a.O. (Fn. 1234), § 302, Rz. 18; Lutter/Hommelhoff a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13, Rz. 30; Ulmer in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 307), Anh. § 77, Rz. 169; Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), GmbH-Konzernrecht, Rz. 78. 1259 St. Rspr. seit BGHZ 95, 330, 347f.; Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 305; Hüffer, a.a.O., § 303, Rz. 7; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 303, Rz. 15; Lutter/Hommelhoff, a.a.O., Rz. 26; Ulmer in: Hachenburg, a.a.O. (Fn. 1217), Anh. § 77; Rz. 171f.; Zöllner, a.a.O., Rz. 91. 1260

Vgl. BGHZ 95, 330, 343ff.; 107, 7, 15ff.; 115, 187, 192ff.; 122, 123, 126ff.

1261

Ähnlich bereits Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 270.

1262

Emmerich/Sonnenschein, a.a.O. (Fn. 1230), S. 419f. m. w. N.; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 317, Rz. 29; vgl. allgemein Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), §317, Rz. 1.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

281

keit der Haftungssegmentierung im Konzern und gegen einen weitergehenden Gläubigerschutz entschieden.1263 Ob Gesetzgeber und Gerichte damit eine sachgerechte und überzeugende Problemlösung gefunden haben, kann hier nicht geklärt werden. Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang ein anderer Gesichtspunkt: Die Konzernstrukturbzw. -Verhaltenshaftung nach deutschem Recht trägt der Politik des allgemeinen Haftungsrechts in vielen, vielleicht in den meisten Fällen ebensowenig Rechnung wie in den USA diepiercing-OoWm 1264. Da § 302 und § 317 Abs. 1 AktG, wie gesehen, auf konzerninterne Verhältnisse abstellen, bilden sie einen sachfremden Filter 1265 für die von Haftungsgesetzen ausgehenden Steuerungssignale.1266 Wirkungsweise und Effekt dieses Filters variieren allerdings in Abhängigkeit vom Konzerntyp. Das läßt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Die zivile Umwelthaftung dient nach fast einhelliger Meinung auch dem Ziel, potentielle Verursacher von Schäden zur Prävention anzuhalten.1267 In Fällen einfacher faktischer Konzernierung kommt diese "Botschaft" nicht bei der Muttergesellschaft an, weil dort keine Internalisierung des Umweltschadensrisikos stattfindet:1268 § 317 Abs. 1 AktG vermag eine Internalisierung dieses Risikos nicht zu leisten, weü die herrschende Gesellschaft danach nur punktuell für die Folgen interner Benachteiligungen haftet. Im Vertragskonzern ist eine Internalisierung möglicher Schäden durch die Muttergesellschaft demgegenüber zumindest denkbar: Die globale Verlustausgleichspflicht gemäß § 302 AktG legt es einer rational agierenden Konzernmutter nahe, alle nennenswerten Haftungsrisiken aus dem Betrieb ihrer Tochter zu antizipieren und zu steuern. Ob dies tatsächlich geschieht, bleibt aber mangels empirischer Erkenntnisse über das Verhalten von Konzernunternehmen 1263

Vgl. Lutter, a.a.O. (Fn. 1151), S. 181f.; ders., a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 56.

1264

Zur Unzulänglichkeit dieser Doktrin im Hinblick auf die Politik des CERCLA vgl. oben §4.1.1.b).cc). 1265 Als "sachfremder Filter" wurden im Kontext der CERCLA-Haftung bereits die rechtsformbezogenen Kriterien der amerikanischen Durchgriffslehre identifiziert. Vgl. oben § 4.1.1.b).bb).(2).(b.).(cc). 1266

Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 265ff., stellt inhaltlich ganz ähnliche Überlegungen an. Vgl. auch die Ausführungen von Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 4), S. 770, zur Wirkung der Steuerungsimpulse des Produkthaftungsrechts im Konzern. 1267

Statt vieler: Kohler in: Staudinger, a.a.O. (Fn. 1194), Einl. zum UmweltHR, Rz. 24ff.; Rehbinder, a.a.O. (Fn. 1194), S. 42f. m. w. N. 1268

Näher zur Bedeutung der Internalisierung für die Steuerungswirkung des Haftungsrechts oben § 4.II.l.b).aa).

282

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

notwendigerweise spekulativ. Etwas Skepsis scheint insoweit angebracht, weil der Verlustausgleichspflicht ein umfassender, an konzerninterne Verhältnisse anknüpfender Ansatz zugrundeliegt, so daß sich die Signalwirkung eines spezifischen, externen Haftungsrisikos in der Konzernhierarchie möglicherweise verliert. Im qualifizierten faktischen Konzern kann auf Steuerungseffekte allgemeiner Haftungsnormen jedenfalls nicht vertraut werden - auch wenn § 302 AktG analog anwendbar ist. Hier liegt das Problem darin, daß der Tatbestand qualifizierter faktischer Konzernierung im Einzelfall durchweg schwierig festzustellen ist.1269 Eine potentiell betroffene Muttergesellschaft dürfte sich daher ex ante kaum je bewußt sein, daß ihr unter Umständen eine Pflicht zum Ausgleich (auch) von Umweltschäden droht, die vom Vermögen ihrer Tochter nicht gedeckt sind. Zusammengefaßt: Das geltende Konzernhaftungsrecht mag ausreichen, um Gläubiger gegen die konzernspezifische Erhöhung allgemeiner Zahlungs- oder Konkursrisiken zu schützen. Mit Blick auf die normative, verhaltenssteuernde Funktion des modernen Haftungsrechts bedürfen die bestehenden Institute jedoch der Ergänzung.1270 Hier bietet sich die Direkthaftung an: Deren sektorale Ausgestaltung läßt es zu, nach den Zwecken einzelner Haftungsnormen und nach unterschiedlich schutzbedürftigen Gläubigergruppen zu differenzieren. 1271 So bleiben die damit einhergehenden Ausnahmen vom Grundsatz beschränkter Haftung eng begrenzt. Auch weitergehende Folgen für das deutsche Konzern(verfassungs)recht sind mit der Übernahme des Direkthaftungsmodells nicht zwingend verbunden: Teubner kombiniert seinen Vorschlag eines "sektoralen Konzerndurchgriffs" zwar mit der These vom Konzern als polykorporativem Netzwerk.1272 Die Direkthaftung braucht jedoch nicht als Haftung "des Konzernverbunds" konzipiert zu werden; sie kann auch — wie die Rechtsprechung in den' USA zeigt — einfach zum Zugriff auf die Konzernmutter führen.

1269 Dies gilt trotz des "TBB"-Urteils des BGH, das nur in dogmatischer Hinsicht Klarheit gebracht hat. Vgl. die Übersichten zu den Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 302 AktG bei Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 57ff.; ders./Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1228), Anh. § 13, Rz. 17ff.; Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), GmbH-Konzernrecht, Rz. 81ff. 1270

Vgl. Hofstetten a.a.O. (Fn. 427), S. 111.

1271

Teubner, a.a.O. (Fn. 1220), S. 207; vgl. auch Antunes, a.a.O. (Fn. 308), S. 453; Kubier, a.a.O. (Fn. 842), S. 418ff. (dort unter dem Stichwort "Außenhaftung"). 1272

Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 275ff.; ders., a.a.O. (Fn. 1220), S. 209ff. u. passim.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

283

cc) Gleichlauf von Herrschaft und Haftung als innere Rechtfertigung? Die Vereinbarkeit der Direkthaftung mit dem amerikanischen Gesellschaftsrecht wurde oben1273 insbesondere damit begründet, daß sie dem Topos vom Gleichlauf zwischen Herrschaft und Haftung entspreche. In Deutschland haben sich vor allem Vertreter des Ordoliberalismus1274 sowie Befürworter der ökonomischen Analyse des Rechts1275 für einen solchen Gleichlauf starkgemacht. Gleichwohl kennt das deutsche Gesellschaftsrecht keine Regel, wonach die Ausübung von Herrschaft stets eine Haftung für nachteilige Folgen nach sich zöge.1276 Andererseits ist erkennbar, daß der Gleichlauf-Gedanke eine gewisse Wirkung auf den (Aktien-)Gesetzgeber und die Rechtsprechung nicht verfehlt hat. Entsprechende Überlegungen sind etwa hinter der Regelung des Verlustausgleichs in § 302 AktG erkennbar;1277 auch lassen sich die Urteile zum qualifizierten faktischen Konzern immerhin als Ausdruck eines Grundsatzes "Haftung wegen qualifizierter Herrschaft" deuten.1278 Es erscheint legitim, diesen Grundsatz auch zur Begründung der Direkthaftung heranzuziehen. Die haftungsbegründende Qualifizierung der Herrschaft besteht in diesem Fall darin, daß eine Muttergesellschaft ihre Konzernleitungsmacht (auch) in spezifischer und unmittelbarer Weise - also sektoral und direkt ausgeübt hat: Das rechtfertigt ihre zivilrechtliche Verantwortlichkeit, obwohl damit eine Einschränkung des gesellschaftsrechtlichen Haftungsprivilegs verbunden ist.

1273

Vgl. § 5.1.1. u. 2.; § 5.III.l.a).bb).(2).; § 5.III.l.c).aa).

1274

So namentlich Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 279ff.; vgl. auch Franz Böhm, Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung; siehe dazu aber die grundlegende Kritik von Limbach, Die empirischen Normaltypen der GmbH und ihr Verhältnis zum Postulat von Herrschaft und Haftung, S. 107ff. u. passim. 1275

Siehe etwa Michael Lehmann, a.a.O. (Fn. 809), S. 357.

1276

Lutter, a.a.O. (Fn. 305), S. 266; ders., ZHR 151 (1987), 444, 446; Wiedemann, a.a.O. (Fn. 1217), S. 543 m. w. N.; vgl. aus rechtsvergleichender Sicht auch Blaurock, a.a.O. (Fn. 868), S. 554. 1277

Vgl. Begründung RegE bei Kropff, a.a.O. (Fn. 307), S. 391; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), § 302, Rz. 4; siehe auch Wiedemann, a.a.O. (Fn. 81), S. 36f.; zweifelnd jedoch Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 302, Rz. 2. 1278

Vgl. zum Autokran-Urteil des BGH Lutter, a.a.O. (Fn. 1276), S. 446. Diese Deutung wird auch durch die weitere Rechtsprechungsentwicklung, die mit dem "TBB"-Urteil ihren bisherigen Abschluß gefunden hat, nicht in Frage gestellt: Dort sieht der BGH die haftungsbegründende Qualifizierung in "der Dichte der Einflußnahme des herrschenden Unternehmens" (BGHZ 122, 123, 127).

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

284

dd) Voraussetzungen der Direkthaftung und Konzernleitungspflicht Als Ergebnis der Abstimmung von Haftungs- und Gesellschaftsrecht ergab sich für die USA: Eine Konzernmütter ist nur dann direkt haftbar, wenn sie gerade die letztlich haftungsauslösenden Tätigkeiten ihrer Tochter in irgendeiner Form beeinflußt hat.1279 Dabei kommt es auf die von der Obergesellschaft tatsächlich ausgeübte Kontrolle an; die KontroWmöglichkeit löst für sich genommen noch keine Haftung aus.1280 Zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangen diejenigen Kommentatoren, die sich bereits mit einer direkten Haftung von Muttergesellschaften nach deutschem Umwelt- oder Produkthaftungsrecht beschäftigt haben. Im wesentlichen übereinstimmend knüpfen sie an die konkrete Ausübung von Leitungsmacht im Hinblick auf die fraglichen betrieblichen Maßnahmen an. Bei dezentraler Konzernstruktur komme eine Direkthaftung des leitenden Unternehmens nicht in Betracht, solange dieses nicht in technisch-organisatorische Maßnahmen auf der Tochterebene eingreife. 1281 Solche Aussagen scheinen auf den ersten Blick dem Postulat zu widersprechen, ein herrschendes Unternehmen sei zur Konzernleitung verpflichtet. 1282 So ist heute, im Anschluß an die grundlegende Arbeit von Hommelhoff 2 8 \ weitgehend anerkannt, daß der Vorstand einer Obergesellschaft von seinem potentiellen Einfluß auf nachgeordnete Gesellschaften aktiv Gebrauch machen muß. Diese Verpflichtung ist im Vertragskonzern besonders verdichtet, besteht prinzipiell

1279

Siehe oben §5.111.1.

1280

Vgl. oben §5.111.l.c).aa).

1281

Vgl. Hommelhoff a.a.O. (Fn. 4), S. 763ff.; Lutter, a.a.O. (Fn. 1078), Rz. F 24; etwas enger Karsten Schmidt, a.a.O. (Fn. 1187), S. 84, der eine Direkthaftung nur bei Personenverschiedenheit des Managements von Mutter- und Tochterunternehmen ausschließen will. Auf die tatsächliche Kontrolle der betreffenden betrieblichen Entscheidungen stellen auch Oehler, a.a.O. (Fn. 1163), S. 1449; Uwe H Schneider, a.a.O. (Fn. 4), S. 238ff.; Harm Peter Westermann, a.a.O. (Fn. 1163), S. 235ff. ab. Die drei Letztgenannten relativieren ihre Aussagen in diesem Punkt jedoch, indem sie aus dem allgemeinen Haftungsrecht oder aus dem öffentlichen Recht konzernweite Organisationspflichten herleiten. 1282

Nicht diskutiert wird an dieser Stelle die Vereinbarkeit der Direkthaftung mit der Lehre von der originären Leitungsmacht der Konzernspitze. Nach dieser Lehre üben die Vorstände von Tochtergesellschaften nur von der Konzernmütter abgeleitete Leitungsmacht aus. Ein solches Verständnis der Konzernverfassung läßt sich aber wohl kaum mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbaren. Näher hierzu Hommelhoff\ Konzernleitungspflicht, S. 214 m. w. N.; vgl. auch ders., a.a.O. (Fn. 4), S. 766. 1283

Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 1282), S. 417ff. u. passim. Vgl. aber bereits Lutter, FS Westermann, S. 347, 357.

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

285

aber auch im faktischen Konzern.1284 Mit der soeben beschriebenen Möglichkeit, einer Direkthaftung durch Nichteinmischung in betriebliche Belange des Tochterunternehmens zu entgehen, läßt sich die Konzernleitungspflicht jedoch problemlos in Einklang bringen. Denn da die Konzernleitungspflicht in den gesellschaftsrechtlichen Binnenbeziehungen wurzelt, kann sie nur zugunsten des herrschenden Unternehmens selbst oder seiner Gesellschafter wirken1285 - nach einer Mindermeinung1286 auch zugunsten des abhängigen Unternehmens. Ausgeschlossen ist jedenfalls eine Außenwirkung, auf die sich Gläubiger (von Direkthaftungs-Ansprüchen) berufen könnten.1287 Diese Ausführungen zur Konstruktion der Konzernleitungspflicht wären letztlich aber unbefriedigend, wenn eine Muttergesellschaft mit inhaltlich verschiedenen Verhaltensmaßstäben - aus der Konzernverfassung einerseits und dem allgemeinen Haftungsrecht (qua Direkthaftung) andererseits - konfrontiert würde. Zu solchen Befürchtungen besteht indes kein Anlaß. Auch unter dem Gesichtspunkt der Konzernleitung ist eine Muttergesellschaft nicht verpflichtet, etwa in einer Anlage ihrer Tochter die Rolle der Betreiberin zu übernehmen. Zwar gehen die Auffassungen über die Intensität der auszuübenden Leitungstätigkeit im einzelnen auseinander.1288 Als gesichert kann heute jedoch gelten, daß der Vorstand eines Mutterunternehmens nicht verpflichtet ist, nachgeordnete Gesellschaften de facto wie Betriebsabteilungen zu führen. 1289 Vielmehr darf sich die 1284 Siehe die Überblicke und weiteren Nachweise bei Krieger in: Münchener Handbuch, Bd. 4, § 69, Rz. 32, u. § 70, Rz. 104; Thomas Raiser, a.a.O. (Fn. 1234), § 53, Rz. 13, u. § 55, Rz. 6. Einschränkend bis ablehnend jedoch Geßler in: ders./Hefermehl, Aktiengesetz, § 308, Rz. 61; Hüffer, a.a.O. (Fn. 1234), § 76, Rz. 17; Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), Vorb. § 291, Rz. 30; Kropff in: Geßler/Hefermehl, a.a.O., § 311, Rz. 30; Mertens in: KölnKomm, a.a.O., § 76, Rz. 54f.; Zöllner in: Baumbach/Hueck, a.a.O. (Fn. 1228), GmbH-Konzernrecht, Rz. 103. 1285

Koppensteiner, a.a.O., § 308, Rz. 41; Krieger, a.a.O.; Thomas Raiser, a.a.O.; Semler, Leitung und Überwachung der AG, Rz. 279 (jeweils m. w. N.). 1286

Siehe Uwe H. Schneider, BB 81, 249, 257f.

1287

Hommelhoff,

a.a.O. (Fn. 4), S. 766f.

1288

Zum Meinungsstand Koppensteiner in: KölnKomm, a.a.O. (Fn. 307), Vorb. § 291, Rz. 30. 1289 Vgl. etwa Koppensteiner, a.a.O.; Krieger in: Münchener Handbuch, a.a.O. (Fn. 1284), § 69, Rz. 32; Martens, ZGR 84, 417, 425f.; Rittner, AcP 183 (1983), 295, 302 u. 305. Ebenso jetzt offenbar Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 4), S. 767, der ursprünglich (a.a.O. (Fn. 1282), S. 424) allerdings gefordert hatte, der Vorstand der Konzernmutter müsse den "Verbund als Konzern bis in alle Einzelheiten des Tochtergeschehens hinein [...] leiten" (Hervorhebung durch den Verfasser).

286

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

Konzernspitze im Rahmen ihrer - verfassungsrechtlich 1290 geschützten Organisationsfreiheit auch für eine dezentrale Gruppenstruktur entscheiden, in der alle betrieblichen Angelegenheiten den Tochtergesellschaften zur autonomen Erledigung übertragen sind. Schadenersatzansprüche sind bei einer solchen laisser-faire-Strategie nicht zu befürchten - weder aus einer Verletzung der Konzernleitungspflicht noch aus einer direkten Haftung nach allgemeinen Vorschriften. 1291

ee) Schlußbemerkung: Dogmatischer Rückschritt? Zusammenfassend läßt sich feststellen: Grundsätzliche Bedenken gegen eine Übertragung des Direkthaftungsmodells ins deutsche Recht bestehen unter den vorgenannten Gesichtspunkten nicht. Es bedarf jedoch der genauen Prüfung im Einzelfall, welche Haftungsnormen einen direkten Zugriff auf Konzernmütter in welchem Umfang gestatten.1292 Diese Vorgehensweise führt, methodisch betrachtet, zu einer Verlagerung konzernhaftungsrechtlicher Fragen aus dem Gesellschaftsrecht hinaus in allgemeine Haftungsregeln. Damit geht zwangsläufig eine Relativierung des bisher weitgehend einheitlich, nach konzernspezifischen Gesichtspunkten bestimmten Konzernbegriffs einher.1293 Wäre diese Entwicklung - abgesehen von möglichen Verlusten an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit - aus der Sicht des deutschen Konzernrechts ein dogmatischer Rückschritt? Natürlich ist die beschriebene Verlagerung im Umfang von vornherein beschränkt: Die Direkthaftung ist auf geeignete Anspruchsgrundlagen angewiesen, die eine Subsumtion der spezifischen Kontrollmaßnahmen von Konzernmüttern überhaupt zulassen. Nach der hier 1294 vertretenen Auffassung muß es sich

Ausführlich zum Inhalt der Konzernleitungspflicht Semler, a.a.O. (Fn. 1285), Rz. 27 Iff. 1290 Durch die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG: Vgl. BVerfGE 14, 263, 28Iff. und dazu Wiedemann , a.a.O. (Fn. 81), S. lOf. 1291

Anderes gilt in den USA hinsichtlich der Direkthaftung gemäß § 107(a) CERCLA, weil eine Reihe von Bundesgerichten nach wie vor den weitergehenden Möglichkeitstest zur Feststellung der Betreibereigenschaft von Muttergesellschaften anwendet. Vgl. oben §6.1.1. 1292

In diesem Zusammenhang sei auf das Prüfungsraster verwiesen, das vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zu § 107(a) CERCLA entwickelt wurde. Siehe oben § 4.III. am Ende. 1293

Darauf macht bereits Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 272, aufmerksam. Vgl. auch ders., a.a.O. (Fn. 1220), S. 207. 1294

Oben § 7.II.2.a).

II. Vereinbarkeit mit Regeln des deutschen Rechts

287

dabei um Vorschriften handeln, die der Verwirklichung einer öffentlichen policy dienen. Schon weil sich solche Vorschriften nur in ausgewählten Bereichen des Haftungsrechts finden, werden die leitungsspezifischen Tatbestände des Konzernrechts weiterhin gebraucht. Sie bleiben daher neben der Direkthaftung in vollem Umfang anwendbar.1295 Im übrigen kann möglicherweise sogar innerhalb der Direkthaftung auf § 17 AktG und die allgemeinen Konzernierungstatbestände zurückgegriffen werden. So könnte an das Vorliegen einheitlicher Leitung zum Beispiel die Vermutung geknüpft werden, daß die betreffende Muttergesellschaft auch in dem konkret interessierenden Haftungszusammenhang Kontrolle über ihre Tochter ausgeübt hat. Trotz alledem läßt sich nicht leugnen, daß die Direkthaftung wenigstens tendenziell eine Aufweichung des einheitlichen Konzernbegriffs bewirkt. Wer die Konzernstruktur- bzw. -Verhaltenshaftung nach deutschem Muster für verfehlt hält und die sektoralen Ansätze in anderen Staaten (etwa in den USA) bevorzugt,1296 mag solche Tendenzen begrüßen. Bedenklich ist daran jedoch, daß die Lösung konzernhaftungsrechtlicher Probleme auf der Grundlage allgemeiner Vorschriften in letzter Konsequenz auf eine Säkularisierung des Konzernrechts hinauszulaufen droht: Spezifisch konzernrechtliche - und das heißt typischerweise: komplexe - Problemlagen wären dann nicht mehr Gegenstand einer übergreifenden, gesellschaftsrechtlichen Dogmatik, sondern würden unzusammenhängend von Spezialisten in den jeweiligen Einzelgebieten behandelt.1297 Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollte auch eine sektorale Haftung von Muttergesellschaften nicht völlig autonom aus dem allgemeinen Haftungsrecht heraus entwickelt, sondern mit dem Gesellschaftsrecht abgestimmt werden.1298 Nur so läßt sich ein Zurückfallen hinter den bereits erreichten Stand der konzernhaftungsrechtlichen Dogmatik verhindern. Mißt man das hier befürwortete Direkthaftungsmodell an diesem Maßstab, so stellt es keinen Rückschritt dar: Es enthält einerseits die Vorzüge einer sektoralen Konzernhaftung, 1299 läßt sich

1295

Ebenso im Ergebnis Teubner, a.a.O. (Fn. 1220), S. 208, mit Blick auf seinen Vorschlag eines "sektoralen Konzerndurchgriffs". 1296

So offenbar Ebke, a.a.O. (Fn. 83), S. 498ff.

1297

Vgl. Teubner, a.a.O. (Fn. 4), S. 272. Daß die einheitliche haftungsrechtliche Behandlung von Konzernen in dieser Hinsicht Vorteile bietet, gesteht auch Ebke, a.a.O., S. 487ff., ein. 1298

So bereits Teubner, a.a.O., S. 275, der diese Feststellung freilich zum Anlaß nimmt, die Konzern(außen)haftung mit seiner (konzernverfassungsrechtlichen) Vorstellung vom Konzern als einem polykorporativen Netzwerk zu verquicken. 1299

Stichworte: Vielgestaltigkeit konzerninterner Kontrolle, unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von Gläubigern, Steuerungswirkung des Haftungsrechts.

288

§ 7 Übertragung ins deutsche Recht

andererseits aber auch als allgemeiner Tatbestand darstellen,1300 der auf einer grundsätzlichen Abwägimg zwischen haftungs- und gesellschaftsrechtlichen Vorgaben beruht.

1300

Vgl. oben §5.111.1.

Zusammenfassung der Ergebnisse 1301

1. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung in den USA hat im Zusammenhang mit dem amerikanischen Bundesaltlastengesetz (CERCLA) eine neue Form der Konzernhaftung entwickelt. Danach muß eine Konzernobergesellschaft unter Umständen für die Sanierung altlastenverseuchter Grundstücke aufkommen, die zum Zeitpunkt der Ablagerung toxischer Substanzen im Eigentum einer Untergesellschaft standen. Diese Haftung knüpft daran an, daß die Konzernmütter den Umgang mit oder die Entsorgung von Gefahrstoffen in der Anlage ihrer Tochter maßgeblich beeinflußte: Sie wird deshalb als "Betreiberin" i. S. d. Haftungsnorm des CERCLA qualizifiert. 2. Seit 1987 ist eine Vielzahl von Urteüen zur Anlagenbetreiber-Haftung von Mutterunternehmen ergangen. Der U.S. Supreme Court hat sich dazu aber bislang nicht geäußert. Entsprechend uneinheitlich und teüweise widersprüchlich fallen die Entscheidungen der Untergerichte aus. Die Rechtsprechung läßt sich grob in drei Linien einordnen: Nach der heute vorherrschenden Ansicht haftet eine Muttergesellschaft nur dann, wenn sie die Geschäfte ihrer Tochter tatsächlich kontrollierte oder leitete. Einige Gerichte erachten hingegen schon die Möglichkeit zu solcher Kontrolle als ausreichend, um eine Haftung zu begründen (Möglichkeitstest). Eine Mindermeinung lehnt beide Formen der Betreiberhaftung kategorisch ab: Die Muttergesellschaft selbst dürfe nur unter den strengen Voraussetzungen der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werden. "Quer" zu der vorgenannten Einteilung unterscheiden sich die Haftungsmaßstäbe nach Art und Ausmaß der im einzelnen vorausgesetzten Einflußnahme. So erweist sich ein Schlüsselbegriff der Rechtsprechung, die Formel von der "beherrschenden Kontrolle" des Mutterunternehmens, bei näherem Hinsehen als schillernd: Er wird teilweise im Sinne einer allgemeinen unternehmerischen Kontrolle über die Konzerntochter verstanden, teilweise jedoch konkret auf den Umgang mit toxischen Stoffen bezogen.

1301

Die nachfolgenden Ordnungszahlen entsprechen im wesentlichen der Numerierung der vorhergehenden Kapitel. 19 Ochscnfeld

290

Zusammenfassung der Ergebnisse

3. Die Rechtsprechung zur Betreiberhaftung von Muttergesellschaften läßt sich nicht auf der Grundlage herkömmlicher haftungsrechtlicher Figuren und Theorien erklären. Einzelne Urteile berufen sich freilich (auch) auf die piercing of the corporate vei7-Doktrin des amerikanischen Gesellschaftsrechts oder auf die respondeat superior- Haftung des agency -Rechts, und einige Kommentatoren wollen schließlich die corporate actor- Regel für die Konzernhaftung nutzbar machen. In den dogmatischen Grundlagen sowie teilweise auch in den Ergebnissen weicht die Betreiberhaftung aber von diesen bestehenden Rechtsinstituten ab. Der Haftungsdurchgriff (piercing of the corporate veil) setzt traditionell voraus, daß die Haftungssegmentierung im Konzern als Mißbrauch der juristischen Person erscheint oder daß die Anerkennung der Muttergesellschaft als eigenes Rechtssubjekt zu einem ungerechten Ergebnis führen würde. Bei der Betreiberhaftung wird auf derartige Voraussetzungen verzichtet. Zudem begründet der Durchgriff eine derivative Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten ihrer Tochter, während die Betreiberhaftung direkt an das Verhalten der Konzernmutter anknüpft. Aus diesem Grund scheidet auch eine Deutung der Betreiberhaftung als Einstandspflicht entsprechend der respondeat superior- Regel des agency- Rechts aus. Danach müßte nämlich das Verhalten des Tochterunternehmens den Haftungstatbestand des CERCLA erfüllen. Tatsächlich geht es aber, wie gesagt, um eine Subsumtion der Konzernmutter unter den darin enthaltenen Betreiberbegriff. Hinzu kommt, daß Mutter- und Tochtergesellschaft regelmäßig nicht in einer ûge/zçy-Beziehung zueinander stehen. Die corporate actor- Regel schließlich ist auf Konzernmütter weder direkt noch analog anwendbar. Sie besagt (lediglich), daß ein director oder leitender Angestellter eines Unternehmens für die Folgen deliktischen Verhaltens, an dem er als Funktionsträger mitwirkt, persönlich haftet. 4. Die Betreiber-Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften verkörpert vielmehr eine neuartige und eigenständige Form der Konzernhaftung - die hier sogenannte "Direkthaftung". Sie läßt sich aus der allgemeinen Haftungsvorschrift des CERCLA herleiten, auch wenn diese keine ausdrücklichen Anhaltspunkte hinsichtlich einer solchen Verantwortlichkeit enthält: Sowohl Wortlaut- und systematische Interpretation als auch teleologische Auslegung - bezogen auf den Willen des historischen Gesetzgebers - erweisen sich insofern als unergiebig. Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Politik des Gesetzes zu. Das heißt, der Betreiberbegriff des CERCLA wird im Hinblick auf Muttergesellschaften so ausgelegt, daß er die hinter der Haftungsnorm stehenden öffentlichen Interessen reflektiert und damit das gesetzliche Programm verwirklichen hilft. Dabei ist die Direkthaftung inhaltlich auf den Umfang zu beschränken, der zur

Zusammenfassung der Ergebnisse

291

Verwirklichung der Gesetzesziele erforderlich ist. Der auf diese Weise ermittelte Haftungsmaßstab ist sodann mit Hilfe ökonomischer Analyse zu überprüfen. Im Zusammenhang mit dem CERCLA ergibt sich daraus: Die beiden Gesetzesziele - die Beseitigung bestehender Altlasten sicherzustellen und der Entstehung neuer Problemstandorte vorzubeugen - legen eine Direkthaftung nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen nahe. So brauchen Konzernmütter nur dann für die Sanierung von Altlasten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes aufzukommen, wenn sie die Gefahrstoffbeseitigung tatsächlich kontrollierten und die damit verbundenen Risiken erkennen konnten. Um Unternehmen heute zu einem verantwortlichen Umgang mit Gefahrstoffen anzuhalten, ist Muttergesellschaften eine vergleichbare Direkthaftung für die Zukunft anzudrohen. Viele Urteüe zur Altlastenhaftung weichen von diesen strengen Kriterien zum Nachteil der betroffenen Konzernmütter ab, da sie sich mit den Gesetzeszielen nicht detailliert genug auseinandersetzen. Im Ergebnis ist die Rechtsprechung zum CERCLA daher ein weitgehend mißglücktes Beispiel für die Berücksichtigung der Politik des Gesetzes im Rahmen der Direkthaftung. Dadurch wird dieser neue Ansatz zur Konzernhaftung aber nicht prinzipiell in Frage gestellt. 5. Richtig angewandt, ist die Direkthaftung den herkömmlichen Instituten des amerikanischen Konzernhaftungsrechts in verschiedener Hinsicht überlegen. Vor allem vermag sie Muttergesellschaften, die in haftungsrelevanten Angelegenheiten ihrer Töchter (mit)entscheiden, zur Internalisierung möglicher Schäden und damit zu Verhaltenskorrekturen zu bewegen. Allerdings steht die Direkthaftung in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip beschränkter Haftung. Dies läge auf der Hand, wenn es darum ginge, eine Muttergesellschaft zur Übernahme von Verbindlichkeiten ihrer Tochter zu verpflichten. Mit Blick auf Zweck und Funktion des Haftungsprivilegs macht es aber keinen Unterschied, ob eine Konzernmütter (wie bei der Durchgriffshaftung) für Verbindlichkeiten ihrer Tochter unbeschränkt einstehen muß, oder ob sie (wie bei der Direkthaftung) für Risiken aus der Sphäre ihrer Tochter unmittelbar unbeschränkt haftet. Überdies knüpft die Direkthaftung regelmäßig nicht an physische Beiträge der Konzernmütter zur Schadenentstehung an, sondern an mehr oder weniger konkrete Kontrollmaßnahmen. Die Verwirklichung des Haftungstatbestands wird also durch die Ausübung konzerninterner Kontrolle überlagert, die traditionell keine Haftung der Konzernmutter auslösen würde. Das beschriebene Spannungsverhältnis löst sich im Wege einer Abwägung von gesellschafts- und haftungsrechtlichen Vorgaben jedoch auf. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sind dabei folgende Aspekte entscheidend: Auf die Voraussetzungen der Direkthaftung können sich Konzernmütter eher einstellen 19=

292

Zusammenfassung der Ergebnisse

als auf die unsystematische, uneinheitliche Durchgriffsrechtsprechung. Außerdem wird diese Haftung dem vielgestaltigen Erscheinungsbild konzerninterner Kontrolle besser gerecht, da sie nur eine punktuelle Einstandspflicht vorsieht. Auf diese Weise trägt sie dazu bei, das Postulat eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht umzusetzen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein allgemeines, auf verschiedenste Haftungsnormen anwendbares Direkthaftungsmodell. Danach haftet eine Konzernmütter - vorbehaltlich der Erfüllung des jeweiligen gesetzlichen Tatbestands - , wenn sie gerade die schadenverursachenden Aktivitäten in der Tochtergesellschaft tatsächlich kontrolliert hat. Die konkret maßgeblichen Entscheidungen müssen auf der Ebene des Mutterunternehmens getroffen worden sein. 6. Eine Obergesellschaft hat demnach in bezug auf jeden Sachbereich die Wahl: Sie kann sich für die spezifische Einflußnahme mit entsprechendem Haftungsrisiko entscheiden oder ein solches Risiko durch dezentrale Konzernführung ausschließen. Im konkreten Fall der CERCLA-Betreiberhaftung ist die letztgenannte, passive Strategie allerdings nicht zu empfehlen. In der Praxis wendet ja nur ein Teil der Gerichte das Direkthaftungsmodell in der hier befürworteten Form an, während ein anderer Teil Muttergesellschaften unter erleichterten Voraussetzungen haften läßt. Auch andere denkbare Strategien zur Minimierung des Haftungsrisikos laufen leer oder sind wirtschaftlich unattraktiv. Potentiell betroffenen Unternehmen bleibt deshalb nur, aktive Vorsorge im Hinblick auf die Gefahren toxischer Substanzen zu betreiben. 7. Das Direkthaftungsmodell sollte ins deutsche Recht übernommen werden. Der Konflikt zwischen den konzernrechtlichen Vorgaben und den Zielen des allgemeinen Haftungsrechts, der den Anstoß für die Rechtsprechung zur CERCLA-Betreiberhaftung in den USA gab, besteht im Kern auch hierzulande. Die Unterschiede im Hinblick auf die Rechtsmethodik sowie die Stellung und Funktion der Gerichte stehen einer Direkthaftung nach amerikanischem Muster nicht entgegen. Der Anwendungsbereich der Direkthaftung ist von vornherein auf diejenigen Haftungsnormen beschränkt, die nicht (nur) dem Ausgleich von Individualinteressen, sondern (auch) der Erfüllung einer öffentlichen Gestaltungsaufgabe - wie beispielsweise der Altlastensanierung - dienen. Eine umfassende zivilrechtliche Haftung für Altlasten besteht in Deutschland bislang freilich nicht. Anwendbar ist das Direkthaftungsmodell jedoch auf der Grundlage von Sondertatbeständen des Umwelt- und Produkthaftungsrechts in anderen Zusammenhängen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die entscheidende Stärke dieser neuartigen Konzernhaftung liegt in einem Punkt, der im Zusammenhang mit Altlasten ohnehin von nur untergeordneter Bedeutung ist: Die Direkthaftung unterstützt die verhaltenssteuernde Wirkung des modernen Haftungsrechts, indem sie diese Wirkung, soweit erforderlich, auf Muttergesellschaften überleitet. Das können die geltenden Regeln des deutschen Konzernhaftungsrechts - zumindest im Bereich (qualifiziert) faktischer Konzernierung - nicht leisten. Es empfiehlt sich daher, die bestehenden Institute um die Direkthaftung zu ergänzen.

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in der neuen Dezentralität

der

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Sachregister

agency, agent 73ff., 82f., 128, 228ff, siehe auch Stellvertreterhaftung Aktionmärkte (Funktionsfähigkeit) 238ff. Altlastenhaftung in Deutschland 268ff. asset-stripping 193 attribution zur zur Begründung gerichtlicher Zuständigkeit 83, 208 Auflösung einer Gesellschaft 252f. Auslegungsmethoden — Wortlaut 138ff. — systematisch 144ff. — teleologisch 150ff. Aktionärshaftung 92ff. alter ego rule siehe Zweispitzentest ausgleichende Gerechtigkeit 163 CERCLA — Begriff der Anlage 35 — Begriff der Person 35f., 36ff,:, 140 — Betreiberhaftung 36ff., 139ff., 147ff. — Eigentümerhaftung 36ff. — Entstehungsgeschichte 3Iff., 152f. — Gesetzesauslegung siehe Auslegungsmethoden — Haftungsgrundlage 34ff. — Haftungsgrundsätze 40ff. — Kausalität 41 f., 159ff. — ökonomische Analyse 183ff. — Rechtsvergleich siehe Altlastenhaftung in Deutschland — secured creditor exception 142ff. — Steuerungsfunktion 168ff., 188ff. close corporation 204 compensatory justice siehe ausgleichende Gerechtigkeit command-and-control-Vorschriften 171 f. corporate actor-Regel 36, 97f. t 130ff. corrective justice siehe ausgleichende Gerechtigkeit

cost of capital 240 due Process 81 Durchgriff — Haftung 35, 73ff., 103ff. y 115ff., 176f, 206, 222ff ., 228ff ., 233f. — prozessualer 80ff., 90ff. — Rechtslage in Deutschland 27Iff. — Rechtswahl (Bundes- oder einzelstaatliches Recht) 109ff. economic Analysis siehe ökonomische Analyse Einheitsbesteuerung 207 Einheitsbetrachtung (merger) zur Begründung gerichtlicher Zuständigkeit 83, 106 EPA 33, 46, 208 enterprise entity-Theorie 209 enterprise law 207 entity law 207 equitable subordination 208 ERISA (Haftung) 218f. faktischer Konzern 280ff. federal common law 109ff., 120ff., siehe auch Gesetzesauslegung fraudulent conveyance law 193 Gesetzesauslegung 179ff. Gewaltenteilung, 180ff. going concern value 252, 255 Good Samaritan-Doktrin 259 Haftung, Charakteristika — sektoral oder umfassend 44, 106ff., 123, 126, 132, 197ff., 221f. — direkt oder derivativ 104ff., 123, 126f, 132

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Sachregister

(Haftung, Charakteristika) — gesamtschuldnerisch 40f. — verschuldensunabhängig 40, 149f. Haftungsbeschränkung 201ff., 213ff., 235if. Haftungsmaßstäbe — Möglichkeitstest 49, 68ff., 72/., 96, lOOf., 198, 230ff. — tatsächliche Kontrolle 46ff., 66ff., 95f., lOOf., 198, 230ff. — Verhütungstest 95f. Herrschaft und Haftung (Gleichlauf) 203f., 283

Obergesellschaft siehe Muttergesellschaft Öko-Audit 258 ökonomische Analyse 182ff., 234ff., 264f. Outsourcing 255f. piercing of the corporate veil siehe Durchgriff Politik des Gesetzes 153ff., 263f., 272f. polluter pays principle siehe Verursacherprinzip Produkthaftung 21 lf., 219ff. punitive damages siehe Strafschadenersatz qualifiziert faktischer Konzern 279ff.

independent contractor 129 Insolvenz 254f. instrumentality rule 117, 119, 121 internal affairs doctrine 109f. internationale Sachverhalte 98f., 256f. involuntary creditor 190 Kontrolle im Konzern 224ff. Konzernhaftung — agency siehe agency — corporate actor-Regel (Anwendbarkeit) 133ff. — Durchgriffshaftung siehe Durchgriff — Haftungsbeschränkung 204ff. — Rechtsvergleich 261 f., 274ff. — Unterschiede zur allgemeinen Aktionärshaftung 92ff. Konzernleitungspflicht 284ff. least cost avoider 195 least cost insurer 185 limited liability company 202 master 128 metaphor approach 116 Mindestkapital 276f. Multinationaler Konzern 98f., 256f. Muttergesellschaft, Begriff 43, 215 National Contingency Plan 33 Normanwendungslehre 272

RCRA 31, 169ff. Rechtsvergleich 262ff. respondeat superior 35, 124ff., 206f. restitution siehe ungerechtfertigte Bereicherung RICO 251 servant 128 Spin-Off 251 Stellvertreterhaftung 124ff. Strafschadenersatz 42 substantive consolidation 207 Superfund 55/., 154, 158f. Taxifälle 216f. Transaktionskostentheorie 244 two-prong test siehe Zweispitzentest U.S. Supreme Court 46 Überwachungsverschulden 127 Umweltmanagement 258f. ungerechtfertigte Bereicherung 163ff. unitary taxation siehe Einheitsbesteuerung Verlust- und Nachteilsausgleich 278ff. Versicherung von Umweltrisiken 185ff. Verursacherprinzip 157ff. voluntary creditor 190 Zweispitzentest 116f., 119, 121