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German Pages 319 [321] Year 2022
Franziska Meier
Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
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Die deutsche Jugendbewegung und Jugendmusikbewegung als Katalysator für den Aufbau von Kulturmarktunternehmen 1918–1933
Geschichte
Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte
Franz Steiner Verlag
Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte Herausgegeben von Katja Patzel-Mattern, Julia Laura Rischbieter und Clemens Wischermann Band 10
Franziska Meier
EIN „BÜNDISCHER KULTURMARKT“ ENTSTEHT Die deutsche Jugendbewegung und Jugendmusikbewegung als Katalysator für den Aufbau von Kulturmarktunternehmen 1918–1933
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Singsang im Burgverließ, Gautag des Wandervogels Nordthuringgau auf dem Arnstein (12.–13. Juli 1919), Fotograf: Julius Groß, Archiv der deutschen Jugendbewegung, Witzenhausen (AdJb F1 52/11) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (2021) Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13304-3 (Print) ISBN 978-3-515-13307-4 (E-Book)
Dank
Die vorliegende Arbeit, die als Inauguraldissertation des Fachs Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingereicht wurde, konnte nur mithilfe vieler Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter entstehen, für deren jahrelange Hilfe und Unterstützung ich ihnen meinen herzlichsten Dank ausspreche. Seit der Ideenfindung, über die ersten Konzepte bis zur Abfassung der Arbeit begleitete und unterstützte mich Prof. Dr. Cord Arendes, der mir als Betreuer in zahlreichen Kolloquien und Gesprächen Hinweise und Richtung gab. Als zweite Betreuerin lernte ich auch von Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern Vieles, was mir den Weg der vergangenen Jahre wies und mir stets Mut machte, neue Wege zu gehen und das Thema immer wieder neu zu durchdenken. Neben dieser Unterstützung hatten beide durch ihre Funktion als Sprecher und Sprecherin des Promotionskollegs „Kunst, Kultur und Märkte“ deutlichen Anteil an der richtungsgebenden Themenfindung meiner Dissertation. Die Diskussionen im Verband dieses Kollegs waren Quell vieler essenzieller Ideen. Darum gilt mein Dank auch den weiteren Professorinnen und Professoren des Kollegs: Prof. Dr. Henry Keazor, Prof. Dr. Dorothea Redepenning, Prof. Dr. Gregor Ahn und Prof. Dr. Susan Richter. Als besonders fruchtbar erwies sich auch der Austausch mit den Kollegiaten Adrian Grimm, Patrick Mertens, Kilian Kohn und den Kollegiatinnen Laila Baur und Lena von Geyso. Durch ihre Bearbeitung zeitlich, räumlich und gegenständlich anderer Themen mit einem ähnlichen Erkenntnisinteresse konnte ich den Aufbau der vorliegenden Arbeit schärfen. Das Promotionskolleg bot mir den Einblick in die Perspektiven anderer Disziplinen auf das verbindende Element, den „Kulturmarkt“, und war damit ein wichtiger Baustein für die erfolgreiche Bearbeitung der vorliegenden Arbeit. Gedankt sei daher auch der Landesgraduiertenförderung und der Graduiertenakademie der Universität Heidelberg dafür, dass die Mittel für das Kolleg bereitgestellt wurden und ich von dieser Förderung durch ein Promotionsstipendium profitieren durfte. Maria Daldrup, Charlotte Lachauer, Jens Lanfer und Margarete Over haben die Arbeit durch ihre sorgsame Kommentierung begleitet. Besonderer Dank gilt Maria Daldrup, auch für die langen Jahre des freundschaftlichen und fachlichen Austauschs
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Dank
und die vielen themenbezogenen und auch darüberhinausgehenden Diskussionen. Ihre Erfahrungen und konstruktive Kritik sind mir stets wertvoll. Danken möchte ich im Besonderen für die intensive Beratung und die große Hilfsbereitschaft, die mir durch Dr. Susanne Rappe-Weber im Archiv der deutschen Jugendbewegung und ihr Team, Elke Hack und Birgit Richter, zuteilwurde. Im Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg hieß mich Prof. Dr. Dr. Michael Fischer willkommen, im Universitätsarchiv der Universität der Künste war es Dr. Dietmar Schenk, der mir den Zugang zum Archiv ermöglichte. Gedankt sei an dieser Stelle im Besonderen den Geschäftsführern der Voggenreiter Verlag GmbH, Ralf und Charles Voggenreiter, die mich herzlichst aufnahmen und mir ihr Firmenarchiv anvertrauten. Auch Almut Maria Voggenreiter, der Tochter Heinrich Voggenreiters, und den Mitarbeitenden des Verlages bin ich für die ausführlichen Gespräche während meiner Besuche zu Dank verpflichtet. Ohne das Entgegenkommen der Familie Voggenreiter hätte diese Forschungsarbeit nicht durchgeführt werden können. Die Erkenntnisse, die das umfangreiche Quellenmaterial, das sich im Verlagssitz befindet, ermöglichen, sind Grundlage des hier Erarbeiteten. Für den Zugang zum Archiv der BärenreiterVerlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG danke ich Johannes Mundry, der mir während meiner Besuche mit Rat und Tat zur Seite stand. Meinen Freunden und meiner Familie danke ich dafür, dass sie mir immer wieder die Notwendigkeit von Pausen nahelegten. Dies gab mir die erforderliche Zuversicht und immer neue Kraft, die Arbeit fortzusetzen.
Inhalt
.......................................................... Fragestellung und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorie und Methode: Was leistet das Konzept des „Kulturmarktes“ für die Untersuchung der bündischen Jugend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 „Kultur“ – Definition und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 „Markt“ – Definition und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Der „Bündische Kulturmarkt“ als Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Struktur der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Einleitung
1.1 1.2 1.3 1.4
2.
9 18 20 22 29 30 42 46 51
Formelle und informelle Institutionen: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Voraussetzungen für den „bündischen Kulturmarkt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 2.1 Singen, Wandern, Lagern: Die Alltagspraktiken der Jugendbewegten . . . . . 59 2.2 Nachfrage, Produkte, Finanzierung: Ein Kulturmarkt entsteht . . . . . . . . . . . 69 2.3 Rechte, Verträge, Honorare in ihrer Aushandlung zwischen Verlagen, Buchhändlern und Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.
Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau:
..................... 3.1 Akteure und Organisationen: Reform, Spaltung und Einigung . . . . . . . . . . . 3.2 Wege und Verbindungen: Der Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Profil – Zeitschriften und Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Recht – Autoren und Verlagsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Markt – Finanzielle Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter
89 90 101 111 111 136 157
8
Inhalt
4.
Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht – Vergleichbare jugendbewegte (Musik-)Verlage
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.1 Aus der „bündischen Subkultur“ entsprungen – Die Verlage . . . . . . . . . . . . . 187 4.2 Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“ – Zeitschriften und Verlagsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4.2.1 Jöde, Kallmeyer und das Musizieren für Laien und Profis . . . . . . . . . . . . 203 4.2.2 Jungnationale, Wolff und die grenz- und auslandsdeutschen Gebiete . . 215 4.2.3 Hensel, Vötterle und die Volksmusikpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4.2.4 Kulturpolitik statt „bündischer Kultur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.3 Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“ . . . . . . . . . . 243 Verbreitung der „bündischen Kulturgüter“ in Schule und Gesellschaft . . . 257 5.1 Neue Absatzmärkte durch die Bildungsreform: Die Akademie für Kirchen- und Schulmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5.2 Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers – Georg Götsch und das Musikheim Frankfurt an der Oder . . . . . . . . . . . . . . . 265
5.
6.
Ergebnisse und Ausblick
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Abbildungs- und Bildnachweise Tabellenverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Quellen- und Literaturverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 315 316 319
1.
Einleitung
Konsumieren ist nicht mehr nur Teil einer Wirtschaftspraxis, sondern es wird wirklich auch Teil einer Kulturpraxis.1 Christian Neuhäuser, 2011
Wie eng Kultur und Markt miteinander in Verbindung stehen und welche Bedeutungen die Begriffe haben können, hängt immer auch davon ab, was alltagssprachlich oder wissenschaftlich darunter verstanden wird.2 Geht man von dem Anteil der „Kultur“ am deutschen Bruttoinlandsprodukt aus, zeigt sich die wirtschaftliche Bedeutung, die ob ihrer Zersplitterung in verschiedene Bereiche oft unterschätzt wird. Medial und emotional ist in Deutschland die Automobilindustrie ein wichtiger Richtwert. Die Autoindustrie verbuchte 435 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2019, was allerdings zu zwei Dritteln im Ausland erwirtschaftet wurde, womit der Anteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt mit 152,5 Milliarden Euro bei etwa 4,5 % lag. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hatte dagegen 2018 einen Umsatz von 100,5 Milliarden Euro und trug damit mit 3 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. Verglichen also mit einer der wirtschaftsstärksten Branchen Deutschlands kann die Kultur- und Kreativwirtschaft mit dieser mithalten.3 Dementsprechend ist Konsumieren keine reine Wirtschaftspraxis, sondern tatsächlich eine Kulturpraxis. Konsumieren regelt nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das
1 Neuhäuser, Christian: Sternstunden der Philosophie, 5.6.2011, SRF, Teil 2, ab Minute 4:45, URL: https:// www.youtube.com/watch?v=Vd-Y3xGvVAE&feature=emb_rel_pause [21.01.2020]. 2 Die beiden Begriffe „Kultur“ und „Markt“ werden in den Kapiteln 1.4.1 und 1.4.2 vorbereitend auf den Untersuchungsgegenstand definiert. 3 Zur Autoindustrie vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Automobilindustrie [Onlinefassung], URL: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Branchenfokus/Industrie/ branchenfokus-automobilindustrie.html [20.07.2020]; zur Kultur- und Kreativwirtschaft vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2019. Kurzfassung, Oktober 2019 [Onlinefassung], URL: https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/ DE/Publikationen/2019/monitoring-wirtschaftliche-eckdaten-kuk.pdf?__blob=publication File&v=10 [20.07.2020].
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Einleitung
soziale Miteinander, stellt Hierarchien her oder bestätigt sie oder schafft (Gruppen-) Identitäten. Der Konsum von Kultur, also der Ge- oder Verbrauch kultureller Güter, wird gesellschaftlich für so wichtig erachtet, dass auch außerhalb der reinen Marktwirtschaft und des Tauschhandels Geld-gegen-Ware Mittel und Wege des wirtschaftlichen Erhalts gefunden werden, wie beispielsweise über Stiftungen, Spenden oder Crowdinvesting-Modelle. Auch vor 100 Jahren gab es in Deutschland kulturelle Finanzierungsmodelle, die nicht allein auf Angebot und Nachfrage beruhten: Spenden, Darlehen, Vorauszahlungen und im Buchmarkt speziell die Preisbindung. Ausgehend von der Frage, wie sehr Kultur und Markt miteinander verflochten sind, untersuche ich das Jungunternehmertum in einer Nische: Das Verlagswesen der Jugend(musik-)bewegung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Aus dem sich diversifizierenden Phänomen der bündischen Jugend, das sich anfangs noch auf die beiden Gruppen der Wandervögel und Pfadfinder beschränkte und das sich nach dem Krieg durch Gruppenneugründungen und einer Vielzahl Abspaltungen erweiterte, entstanden durch einzelne selbst jugendbewegte und damit sehr junge Akteure Verlage. Diese dienten dem Austausch innerhalb der bündischen Gruppen, der gleichzeitigen Verbreitung und Vervielfältigung der eigenen Ideale, Ideen und Werte und waren zudem wachsende Wirtschaftsunternehmen, die durch ihre Programmgestaltung zugleich ihre Zielgruppen bedienten und diese ausbauten. Untersucht werden mit Verweisen auf die Vor- und die Ausläufer die vier jugendbewegten (Musik-)Verlage Der Weiße Ritter (später Ludwig Voggenreiter Verlag), Julius Zwißler (später Georg Kallmeyer Verlag), Bärenreiter und Das junge Volk (später Günther Wolff Verlag) zwischen 1918 und 1933. Die Verleger – ihre Person, ihre Verflechtungen in die bündische Jugend und die Jugendmusikbewegung hinein und ihr Verlagsprogramm – sind damit zentraler Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Jugendbewegung – das „Bündische“ des „bündischen Kulturmarktes“ Sowohl die bündische Jugend als auch die Jugendmusikbewegung sind zur bürgerlichen Jugendbewegung zu zählen: Ihre Gruppenmitglieder waren meist den mittleren sozialen Schichten angehörig, waren Schülerinnen und Schüler höherer Schulen und konnten auf einen gewissen materiellen und ideellen Wohlstand des Elternhauses bauen. Eine Definition des Begriffs „bündisch“ wurde bereits zeitgenössisch diskutiert.4 Aufbauend auf der von Ferdinand Tönnies formulierten Dichotomie zwischen „Ge4 Als Grundlage und Eingrenzung des Phänomens „bündisch“ können im Vorgriff des Forschungstandes genannt werden: Ahrens, Rüdiger: Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918–1933, Göttingen 2015; Pross, Harry: Jugend, Eros, Politik. Die Geschichte d. dt. Jugendverbände, Bern/München/Wien 1964; Laqueur, Walter: Die deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie, Köln 1962.
Einleitung
sellschaft“ und „Gemeinschaft“ erweiterte der Soziologe Herman Schmalenbach 1922 die Zweiteilung durch einen dritten, dazwischenliegenden Begriff – den des „Bundes“, der zwar nicht neu war, mit dem Schmalenbach jedoch die gesellschaftlichen Entwicklungen zu beschreiben suchte.5 Tönnies ordnet der „Gesellschaft“ das Mechanische, Zivilisatorische, das Zweckmäßige und Individualistische sowie „das Vertragliche“ zu; der „Gemeinschaft“ dagegen das Organische, die Familie, die natürliche und naturhafte Zusammengehörigkeit einschließlich Kult, Brauchtum, Tradition und Dauer. Schmalenbach definierte dagegen den „Bund“ (das Dritte) als eine Form der willensmäßigen, emotionalen Zusammengehörigkeit vor allem der Jugend, mit der Wirkmacht charismatischer Führungspersönlichkeiten und dem spontanen Element, das demjenigen der Tradition entgegenstand. Er attestiert dem „Bund“, ihm sei sogar von innen her die „Labilität“ symptomatisch. Solange er besteht, besteht er zwar keineswegs aus und nur in einzelnen, diskreten Akten. […] Die […] rauschhaften Gefühlswogen, die ihn tragen und in denen er existiert, sind ihrer Natur nach vergänglich. Sie mögen zwar tief unsre Seele aufrühren […]. Aber dauerhaft sind sie nicht. Der Rausch verfliegt. Die Affektionen des „Bewusstseins“ blassen ab oder werden durch andere verdrängt.6
Die „rauschhaften Gefühlswogen“, von denen Schmalenbach spricht, zeigen die Emotionalität an, die in dieser Art der Zusammenschlüsse junger Menschen lag: In einem Moment bereit, alles für die Gemeinschaft zu geben, im nächsten Moment gefühlskalt für denselben Gegenstand und von einem neuen völlig übermannt. Verschiedene Erklärungsmuster greifen an dieser Stelle: Zum einen Deutungen der jugendlichen Entwicklungspsychologie – und damit ausgehend vom einzelnen Individuum –, nach dem junge Menschen sich in der Zeit ihrer Jugend und der damit einhergehenden Ablösung von dem Elternhaus ihre eigene Identität suchen. Diese Identität werde an allem geschliffen, das zur Verfügung stehe: Der Elterngeneration, von der sich die Jugend distanziere, Gleichaltrigen, die gleiche oder andere Gedanken, Ideen, Wertvorstellungen hätten.7 Das Entstehen jugendlicher Subkulturen spielt im vorliegenVgl. Kolland, Dorothea: Die Jugendmusikbewegung. „Gemeinschaftsmusik“ – Theorie und Praxis, Stuttgart 1979, S. 14–18. 6 Schmalenbach, Herman: Die soziologische Kategorie des Bundes, in: Strich, Walter (Hrsg.): Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften. Band 1, München 1922, S. 35–105, hier: 73–74; Eine ähnliche Argumentation verfolge ich in: Meier, Franziska: Ideen- und Kulturtransfer durch das Liedgut der bündischen Jugend 1918–1933, in: Fendl, Elisabeth / Mezger, Werner / Paredes Zavala, Saray / Prosser-Schell, Michael / Retterath, Hans-Werner / Scholl-Schneider, Sarah / rogerstoddart (Hrsg.): Schwerpunkt: Bewegte Jugend im östlichen Europa. Volkskundliche Perspektiven auf unterschiedliche Ausprägungen der Jugendbewegung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, Münster/New York 2017, S. 7–31. 7 Als Überblicksdarstellung zur Entwicklungspsychologie vgl. bspw. Eschenbeck, Heike / Knauf, Rhea-Katharina: 2 Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung, in: Lohaus, Arnold (Hrsg.): Entwicklungspsychologie des Jugendalters, Berlin 2018, S. 23–50. Vieles zur Identitätsbildung während der Jugend und der Lebenszyklen beruht auf: Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze, 28. Auflage, Berlin 2017. 5
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Einleitung
den Fall eine bedeutende Rolle, da diese Distinktionsbedürfnisse in der bündischen Jugend zutage treten. Zum anderen lässt sich diese bündische Emotionalität mit den Ausprägungen der zeitgenössischen Jugendkulturen selbst begreifen – also von der Gruppe und nicht vom Individuum ausgehend. Die jeweilige bündische Gruppe richtete sich an der zeitüblichen Freizeitbeschäftigung bürgerlicher und auch arbeitender Jugendlicher aus: Wandern, Singen und Lagern. Zudem aber teilten die bürgerlichen Gruppen verschiedene weitere – nicht alle, aber viele – Charakteristika: Die Gruppen waren selbstorganisiert, autonom, also nicht an eine Konfession oder eine Partei gebunden, und politisch waren sie nach eigener Aussage undogmatisch – anders als die Arbeiterjugend und ihre Verbände.8 Wenig Konkretes also, was an eine Gruppe binden konnte, und dennoch kam es zu dieser Bindung. Eine ähnliche ästhetische Empfindung (Literatur, Kunst, Kleidung, Musik) und eine ähnliche Einstellung zu gesellschaftlichen und politischen Themen9 reichten aus, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erreichen. Beides bedingte sich gegenseitig und so waren die in den 1920er Jahren vorhandenen verschiedenen parallel existierenden Deutungen und Ideen von „Jugend“, „Volk“, „Nation“ und „Führertum“ jederzeit wandelbar und in der Jugendbewegung mit großer Begeisterung oder niederschmetternder Ablehnung virulent. Wie intensiv diese Empfindungen waren, zeigt sich vor allem durch die emotionale Praxis des gemeinschaftlichen Singens, die Jugendmusikbewegung, die sich zu großen Teilen aus den Bündischen rekrutierte und die auf die gemeinschaftsfördernde Wirkung der Musik ihre gesamte Bewegung aufbaute.10 Nicht alle Jugendgruppen waren formal legitimiert und zum Beispiel als Verein eingetragen. Die Hauptrichtungen der bündischen Jugend aber nutzten eine formale Struktur und waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg weit verbreitet, allen voran die Wandervogel- und die Pfadfinder-Gruppen. Diese befanden sich 1918 in einem Umbruch: die Bünde waren einer Zersplitterung ausgesetzt, ihre Scheidelinien gingen entlang von Geschlechter-, Religions- und Abstinenzfragen. Zudem setzte infolge der
8 Vgl. bspw. Eberts, Erich: Arbeiterjugend 1904–1945. Sozialistische Erziehungsgemeinschaft – politische Organisation, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1981; Herrmann, Ulrich: „Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt“. Die Arbeiterjugendbewegung – die „andere“ Jugendbewegung in Deutschland und Österreich, in: Eppe, Heinrich / Herrmann, Ulrich (Hrsg.): Sozialistische Jugend im 20. Jahrhundert. Studien zur Entwicklung und politischen Praxis der Arbeiterjugendbewegung in Deutschland, Weinheim 2008, S. 19–42. 9 Beispielhaft für die politischen Themen in den jugendbewegten Zeitschriften sind die folgenden Aussagen über Deutschlands Grenzgebiete, ihre Sprachen und nationalen Identitäten: „Viele Deutsche [in Südtirol, F. M.] wollen mit ihnen [, den Italienern, F. M.] nichts zu tun haben und wünschen die Grenze bei Salurn, wo die deutsche Bevölkerung auf die italienische trifft“, so Meyer, Erich: Einiges aus Südtirol, in: Die Spur. Fünfter Jahresband, Potsdam 1927, S. 39–40, hier: S. 39; „Hier waren wir auch der polnischen Grenze nahe, konnten deutlicher die Not und das verborgene Weh dieses Landes spüren, das deutsch ist weit über die Grenzpfähle hinaus“, so Rosenthal, Alfred: Erste Ostmarksingfahrt, in: Die Singgemeinde, Jg. 2 (1925/26), Heft 1, Augsburg 1925, S. 11–16, hier: S. 14. 10 Vgl. hierzu erneut: Kolland, Die Jugendmusikbewegung.
Einleitung
Kriegserfahrung ab 1918 eine Politisierung der Jugendbünde ein und die Scheidung zwischen Jugendbund und Lebensbund nahm einen wichtigen Stellenwert ein.11 Die Wandervogel-Bewegung entstand durch die Initiative einer kleinen Gruppe von Jungen eines Gymnasiums in Berlin-Steglitz 1896, die ihre Freizeit außerhalb der Erziehungsinstanzen Schule, Kirche und Elternhaus verbringen wollte und sich gemeinsam mit dem Studenten und Stenographielehrer Hermann Hoffmann (*1875) auf Wanderfahrten durch die nähere und weitere Umgebung auf das Land und in die Natur begab.12 1901 manifestierte sich, damals bereits ohne Hoffmann, mit dem mittlerweile Jura studierenden Karl Fischer (*1881) „an der Spitze“ diese Idee in Form eines Vereins: „Wandervogel. Ausschuß für Schülerfahrten e. V“.13 Auf die Wiedergabe weiterer Gründungsmythen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Mit oder ohne diese hat sich die Idee und die Praxis des gemeinsamen Wanderns Jugendlicher und junger Erwachsener in Eigenregie über Deutschland ausgebreitet und die Wandervogelbewegung wurde wirkmächtig.14 Sie beruhte damit von Kindesbeinen an auf dem Prinzip der Gleichheit und Mitbestimmung, nahezu eine bottom-up-Bewegung in heutigen Worten ausgedrückt, denn die Jugendlichen organisierten sich grundsätzlich selbst, unter Anleitung der etwas älteren.15 In einer Veröffentlichung der Zentralstelle für Volkswohlfahrt mit dem Titel „Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation“ von 1918, die als Zusammenschau aller die deutsche Jugend betreffenden Verbände gelten kann, werden die jeweiligen Verbände durch je einen Vertreter vorgestellt.16 Der Wandervogel e. V. wird darin von Emil Heinrich Schomburg behandelt. Er attestiert ihm, dass
Vgl. zum Ausschluss jüdischer Menschen: Mogge, Winfried: „Ihr Wandervögel in der Luft …“. Fundstücke zur Wanderung eines romantischen Bildes und zur Selbstinszenierung einer Jugendbewegung, Würzburg 2009, S. 116–119; Vgl. zum Lebensbund-Prinzip und der Geschlechterfrage in den Jugendbünden: Ahrens, Bündische Jugend, S. 215–224. 12 Vgl. Eintrag „Hermann Hoffmann“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke, Band 2, Frankfurt am Main 1974, S. 171–174. 13 Vgl. Eintrag „Karl Fischer“, in: Jantzen: Namen und Werke, Band 3, Frankfurt am Main 1975, S. 99–106. 14 Eine aktuelle und umfassende Untersuchung gibt es nicht. Kurz dargestellt hat Rüdiger Ahrens die Vorläufer der bündischen Jugend u. a. die Wandervogelbewegung: Ahrens, Bündische Jugend, S. 28–36; aus der älteren Literatur bspw. Ziemer, Gerhard / Wolf, Hans: Wandervogel und Freideutsche Jugend, Bad Godesberg 1961; Mehr mythologisch als faktisch: Helwig, Werner: Die Blaue Blume des Wandervogels. Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung, Gütersloh 1960; nicht unproblematisch, aber einschlägig hierzu auch die dreibändige Arbeit von Werner Kindt, vgl. Kindt, Werner: Dokumentation der Jugendbewegung, Düsseldorf/Köln 1963–1974. 15 Diese Organisationsform führte im Nationalsozialismus zur Propagandaformel „Jugend führt Jugend“, die jedoch nie vollkommen umgesetzt wurde, da stets Erwachsene in der Hierarchie übergeordnet waren und die Jugend und ihre Betätigungsfelder mehr oder weniger direkt lenkten. Vgl. Gängler, Hans: „Jugend führt Jugend“? Zur Geschichte der Jugendverbände im Spiegel rechtlicher Kodifizierung, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Jg. 61 (2013), Heft 1, S. 33–45. 16 Die Herausgeberin, Hertha Siemering, weist darauf hin, dass die Veröffentlichung auf eine 1917 abgehaltene Tagung zurückgeht, vgl. Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918. 11
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Einleitung
es […] sich beim Wandervogel nicht um einen Verband [handelt], der zur Jugendpflege im eigentlichen Sinne gehört. Er gehört vielmehr der Jugendbewegung an. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen ist dieser: die Jugendpflege ist von Erwachsenen zur Beeinflussung der Jugend für bestimmte Zwecke ins Leben gerufen, wird von Erwachsenen geleitet und getragen. Die Jugendbewegung hingegen ist aus den Kreisen der Jugendlichen selbst entstanden und wird von ihnen wesentlich getragen. Der Wandervogel dürfte als eine der ersten und eine der wichtigsten Gruppen der Jugendbewegung anzusehen sein.17
Die Unterscheidung problematisiert zeitgenössisch ebenfalls Fritz Jöde, der sich in seiner Kurzschrift „Jugendbewegung oder Jugendpflege?“ den beiden Begriffen über die sie verkörpernden Personen annähert.18 Die Zielsetzung sei bei beiden sehr ähnlich, nur in ihrer Entstehung, der Ausübung und den Mitteln bestehe ein Gegensatz – Erziehung bei der Jugendpflege und Selbsterziehung in der Jugendbewegung.19 Die Mittel des Wandervogels seien die Pflege des Volksliedes, die Schaffung einer besonderen Wander- und Festtracht und die Errichtung von Landheimen, um die übergeordneten Ziele – Natürlichkeit, Gesundheit, Wahrheit und eigene Verantwortlichkeit – zu erreichen. Passend zu dieser Zielsetzung oblag die Bundesleitung des Wandervogel e. V. 1918 dem Oberschuldirektor Gustav Rudolf Edmund Neuendorff und seinem Bundesausschuss, die anstrebten, als Pädagogen die Jugendlichen zur Selbsterziehung anzuleiten.20 Was der Wandervogel an eigener Erziehung zu Bedürfnislosigkeit, Selbstständigkeit des Handelns, Ertragen von Strapazen geleistet hat, trug im Kriege reiche Früchte. Die Wandervogelsoldaten hatten auf ihren Fahrten längst gelernt, mit einfacher Ernährung auszukommen, auf Stroh oder dem Erdboden im Zelte zu schlafen, Kälte und Hitze zu ertragen und sich unterzuordnen.21
17 Der Geistliche und Lehrer Emil Heinrich Schomburg aus Braunschweig berichtete über den Wandervogel, verweist auch im Text auf weiterführende Literatur. Besonders interessant ist dieser Artikel durch die strukturierte Beschreibung der Teilungen und Zusammenschlüsse durch Streitfragen (Abstinenz, Mädchenwandern und Volksschulwandern) innerhalb des sich ausbreitenden Wandervogels: Schomburg, Emil Heinrich: Der Wandervogel, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 385–391, hier: S. 385. 18 Explizit abzugrenzen waren für Jöde die Jugendfürsorge (Strafrecht) und die parteipolitische Jugendarbeit, weil sie nicht der Jugend, sondern der Partei diene, sowie jede militärische, kirchliche und politische Absicht aus demselben Grund. Trotzdem sah er „nur eine von ihrer Überzeugung tiefbewegte Persönlichkeit [als] eine erzieherische“ an und zeichnet hiermit den Grat zwischen Indienstnahme und Selbstbestimmung der Jugend sehr schmal. „Staatliche Jugendpflege wäre Staatspflege, keine Jugendpflege“, vgl. Jöde, Fritz: Jugendbewegung oder Jugendpflege? Hamburg 1917, hier: S. 9. 19 Jöde hat eine Definition der Unterschiede vorgenommen, vgl. ebd., S. 21; Im Wesentlichen stimmen Jödes Ausführungen mit denen Emil Heinrich Schomburgs überein. 20 Vgl. Schomburg, Der Wandervogel, S. 388. 21 Ebd., S. 391.
Einleitung
Schomburg nennt in seinem Beitrag bereits die zweite Hauptrichtung der Jugend und beurteilt sie aus der Perspektive des Wandervogels: den deutschen Pfadfinderbund, der nach britischem Vorbild im Deutschen Reich seit 1909 seine Gruppen aufbaute. Dieser jedoch sei eher der Jugendpflege denn der Jugendbewegung im Wandervogelstil zuzurechnen, da die Initiative von Erwachsenen ausginge.22 Nach dem Ersten Weltkrieg allerdings wandelte sich auch die innere Struktur mancher Pfadfinderverbände. Junge Menschen, die sich als Pfadfinder verstanden, erneuerten ihre „Bünde“, gründeten neue und fanden dabei nicht selten, unter anderem durch die Erfahrungen und Bekanntschaften während des Krieges, Mischformen zwischen Wandervogel und Pfadfinderei. Ab 1908 entstand, vorangetrieben durch den ehemals in der Kolonie Südafrika stationierten Sir Robert Baden-Powell in Großbritannien und darauffolgend in vielen europäischen Ländern, die Pfadfinderbewegung. Auch in Deutschland wurde bereits 1909 das erste Pfadfinderkorps durch den Fabrikbesitzer Konsul Georg Baschwitz, den Oberstabsarzt Dr. Alexander Lion und den Major Maximilian Bayer gegründet. Alle drei waren kriegserfahrene, erwachsene Männer. 1911 entstand unter Einbeziehung dieser ersten Pfadfinderkorps der überregionale Deutsche Pfadfinderbund (DPB). Dieser war zwar hierarchisch gegliedert und trat militärisch streng für Ritterlichkeit, Mut, Treue, Pflichtbewusstsein und Vaterlandsliebe ein,23 trug aber dennoch jederzeit das Element der Idee des Weltpfadfindertums und damit der Völkerverständigung in sich. Auch der Deutsche Pfadfinderbund ist in der oben zitierten Publikation der Zentralstelle für Volkswohlfahrt aufgenommen, und das explizit als Jugendpflegeverband. Allein die Über-18-Jährigen hatten satzungsgemäß Mitbestimmungsrecht in Organisation und inhaltlicher Ausgestaltung. 1914 habe es bereits 90.000 Jungen und 2.000 Feldmeister in 375 Ortsgruppen im Verband gegeben, am Krieg nahmen nach eigenen Angaben 25.000 Jungen und 1.500 Feldmeister teil, wodurch die Gruppengrößen nach 1918 deutlich kleiner seien als zuvor und dennoch waren sie zahlenmäßig einer der größeren Verbände.24 Dies zeigt jedoch unmittelbar die Ausrichtung des Deutschen Pfadfinderbundes auf die vormilitärische Ausbildung der Jungen:
Vgl. ebd., S. 387. Auch die Entwicklung der Pfadfinderbewegung hat Ahrens zusammengefasst und weist auf die unzureichende Forschungsliteratur hin: Ahrens, Bündische Jugend, S. 36–42; Ahrens kritisiert bspw. Seidelmann, Karl: Die Pfadfinder in der deutschen Jugendgeschichte. Darstellung, Hannover/Dortmund/Darmstadt/ Berlin 1977; Eine Auseinandersetzung mit der Pfadfinderbewegung findet regelmäßig bspw. auf den zweijährlichen Fachtagungen Pfadfinden statt, vgl. den neuesten Tagungsband: Breyvogel, Wilfried / Bremer, Helmut (Hrsg.): Die Pfadfinderinnen in der deutschen Jugendkultur. Von der Gründung über die Eingliederung in den BDM zur Koedukation und Genderdebatte, Wiesbaden 2020. 24 Vgl. anonym: Der Deutsche Pfadfinderbund, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 51–53. 22 23
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Das Ziel des Deutschen Pfadfinderbundes ist auch während des Krieges dasselbe geblieben wie vor ihm, d. h. die Sammlung der 13- bis 17-jährigen Knaben, ihre körperliche und ethische Erziehung in vaterländischem Sinne außerhalb von Schule und Haus, aber in Verbindung mit diesen.25
Ausbildungszweige, die explizit genannt werden, sind folgende: 1. Schärfung der Sinne, 2. Schärfung der Beobachtungsgabe, 3. Signaldienst, 4. Praktische Naturlehre, 5. Orientierungsübungen, 6. Karten lesen, 7. Feld- und Lagerleben, 8. Praktische Fertigkeiten, 9. Hilfsbereitschaft, 10. Kräftigung des Körpers, 11. Sozialer Unterricht, 12. Übungen im Freien als Vorbereitung für die Pfadfinderspiele.26
Zu letzterem gehörten auch Kriegsspiele, die Darstellung historischer Schlachten und Einüben von Strategien. Explizit ausgeschlossen war allerdings paradoxerweise das Exerzieren, da es eine zu verurteilende „Soldatenspielerei“ sei.27 Schirmherr des ersten bayerischen Pfadfinderkorps, des Bayerischen Wehrkraftverein als Teil des deutschen Pfadfinderbundes, war der bayerische Kronprinz. Auch nach dessen Tod übernahm der hohe Adel diesen Posten. Das Pfadfindertum verstand sich als monarchisch, aber dennoch weltoffen. Die Verbindung zu Pfadfinderschaften aus den verschiedensten nationalen Zusammenhängen und damit das Weltpfadfindertum wurde beispielsweise bei den sogenannten Jamborees gefeiert und stetig erneuert. Das erste World Scout Jamboree fand 1920 in London statt, bei welchem um die 8.000 Pfadfinder aus 21 unabhängigen Ländern und 12 britischen Kronkolonien vertreten waren und bei welchem deutsche Verbände zunächst keine Einladung erhielten. Im gleichen Jahr wurde auch das Boy Scouts International Bureau gegründet, das später zur World Organization of the Scout Movement (WOSM) wurde. Weitere solche Großlager fanden im Untersuchungszeitraum 1924 in Kopenhagen (Dänemark) – erstmals mit einer deutschen Delegation –, 1929 in Birkenhead (England) und 1933 in Gödöllő (Ungarn) statt.28 Diese beiden „Grundlinien“ der Jugendbewegung – Wandervogel und Pfadfinder – wiederum entwickelten sich, einmal in die Welt gesetzt, organisch weiter und ihre Ausformungen sind ob ihrer Vielfalt und Kurzlebigkeit schwer zu systematisieren. Nach 1918 kamen die alten Gruppen zusammen, ihre Mitglieder waren teils stark dezimiert, hatten extreme Situationen erlebt und so konnten sie nicht ohne Weiteres an die Zeit vor dem Krieg anknüpfen – Abspaltungen, Neugründungen, Zusammenschlüsse: Alles, was möglich war, wurde versucht. Diese Vielfalt der „bündischen Jugend“ zu beschreiben, ist eine Aufgabe, der sich Rüdiger Ahrens in seiner ausführlichen, orga-
Ebd., S. 52. Ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 51–53. Vgl. Honeck, Mischa: Our frontier is the world. The Boy Scouts in the age of American ascendancy, Ithaca/London 2018.
25 26 27 28
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nisationshistorischen Studie zu den verschiedenen Verbünden der deutschen Jugendbewegung gewidmet hat, die hier als Grundlage dienen kann.29 Viele dieser Bünde, wie etwa der Jungdeutsche Bund, der Bund der Neupfadfinder oder die Fahrenden Gesellen, hatten ihre eigenen Periodika und für ihre Praktiken nutzten sie diverse Produkte wie Liederbücher, Lagerbaupraxisratgeber oder Ausrüstung, deren Herstellung und Verkauf in der vorliegenden Arbeit in den Blick genommen wird. Bei der Musik der Bündischen kommt zudem ein weiterer Aspekt zum Tragen: die Musikpädagogik. Es entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts, aufbauend auf der Volksliedbegeisterung des Wandervogels, die Jugendmusikbewegung, inklusive Finkensteiner Bund und Musikantengilde, die Orgelbewegung, die Singbewegung, die musikpädagogische Reformbewegung und weitere Bewegungen im Umfeld der Jugendmusikbewegung.30 Auch dieses Feld ist von positiven wie negativen Einordnungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext geprägt. Was während der Weimarer Demokratie als Reform der Schule generell und im Speziellen durch Vertreter wie Leo Kestenberg im Bereich der musikalischen Bildung begonnen wurde,31 hatte von Anbeginn nicht nur Freunde und gipfelte in seiner grundsätzlichen Ablehnung der bildungspolitischen Konzepte Kestenbergs im Nationalsozialismus. Die entstandene Subkultur der bündischen Jugend entwickelte eine Nachfrage nach Waren wie Anleitungen zum Lagerbau im Freien oder Liederbüchern und Lagerund Fahrtenberichten genauso wie Rucksäcken, Wanderschuhen und Instrumenten, die ihnen das gemeinsame Wandern und Musizieren ermöglichten. Aus diesem Milieu heraus entstanden um 1920 diverse bündische Verlage, welche diese Nachfrage decken wollten und die sowohl Zeitschriften und Bücher als auch Musikalien und Musikinstrumente, teilweise sogar Ausrüstung, vertrieben und mancherorts als tatsächlich raum- und zeitgebundener Treffpunkt der Bündischen fungierten. Dieser Handel mit der bündischen Kultur – der „bündische Kulturmarkt“, der aus der „bündischen Kultur“ erwuchs – weitete sich in den 1920er Jahren trotz aller wirtschaftlichen Rückschläge der Zeit aus. Die Wirtschaftlichkeit solcher Jugendkulturen kann als beispielhaft für das Entstehen eines Unternehmens unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen gelten. Als weitere Einflussfaktoren auf diese Unternehmen müssen ohne Frage gesellschaftliche Normen, politische Ideen und Ideologien sowie personelle Netzwerke benannt und bedacht werden. Die Entwicklung solcher jungen Unternehmen und ihres Einflusses auf die Gesellschaft nachzuzeichnen, ist Ziel dieser Arbeit. Vgl. Ahrens, Bündische Jugend. Zur Orgelbewegung vgl. bspw. Allmer, Gottfried / Böcker, Jan / Lemme, Marco / Lipski, Thomas / Luchterhandt, Gerhard / Mohrs, Rainer / Reißig, Stefan: Orgelbewegung und Spätromantik. Orgelmusik zwischen den Weltkriegen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bonn 2016; Zur Singbewegung und Entwicklungen in der Kirchenmusik vgl. bspw. Beyreuther, Rainer: Die Situation der deutschen Kirchenmusik um 1933 zwischen Singbewegung und Musikwissenschaft, in: Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 67 (2010), Heft 1, S. 1–35. 31 Vgl. Kapitel 5.1. 29 30
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1.1
Fragestellung und Hypothesen
Forschungsleitend ist die Frage, wie eng Markt und Kultur zusammengedacht werden müssen, um ein „Kulturmarkt“-Phänomen beleuchten zu können: Wie entsteht ein Marktgeschehen aus einer (Sub-)Kultur und wie beeinflusst die (Sub-)Kultur das Marktgeschehen? Anhand des Forschungsgegenstandes, den jugendbewegten (Musik-)Verlagen, können weitere konkrete Fragestellungen abgeleitet werden, sodass die Untersuchung von vier Hypothesen geleitet wird. Ich nehme erstens an, dass die Frontkämpfer- und Kriegsjugendgenerationen, die sich mit der bündischen Jugend identifizierten, eine Änderung in der Gesellschaft zu schaffen suchten, die sich deutlich und umfangreich in schriftlichen Äußerungen ausdrückte: Hierzu bedurfte es sowohl der Orte, an denen Austausch stattfinden konnte, als auch der Orte, an welchen Ideen gedrucktes Wort werden konnten – und so entstanden die jugendbewegten Verlage. Die Jugendbewegung und die Jugendmusikbewegung waren dabei von immenser Bedeutung: Im Besonderen spielte das Netzwerk der Bündischen und der Jugendmusikbewegung eine große Rolle – Personen, Organisationen und Institutionen, die mit neuer Emphase an den Vorstellungen von „Volk“ und „Nation“ teilhatten und ihren Idealtypus von Gesellschaft vor Augen hatten und umzusetzen versuchten. Beispiele hierfür sind (in-)formelle Gruppen wie der Finkensteiner Bund mit den tragenden Persönlichkeiten Walther (*1887) und Olga Hensel (*1885) oder die Musikantengilde mit Fritz Jöde (*1887), Georg Götsch (*1895) und Karl Gofferje (*1893), wissensvermittelnde oder Bildungsinstitutionen wie die Güntherschule in München mit Dorothee Günther (*1896) und Carl Orff (*1895), die staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, an welcher Fritz Jöde lange Zeit als Professor tätig war, und das Musikheim Frankfurt an der Oder, an welchen Georg Götsch federführend beteiligt war und die kulturverbreitenden Institutionen wie die verschiedenen, aus dem Umfeld der Jugendbewegung entstandenen Verlage. Die für den zu untersuchenden Zeitraum relevanten Verlage sind beispielsweise der Voggenreiter Verlag Franz Ludwig Habbels und Ludwig Voggenreiters, der Verlag Das junge Volk Günther Wolffs, der Julius Zwißler Verlag Georg Kallmeyers und der Bärenreiter Verlag Karl Vötterles. Aus diesem Netzwerk stammende und von ihm getragene Ideen konnten erst durch die genannten Verlage beziehungsweise ihre ersten Produkte, die deutlich auf die spezielle Subkultur zugeschnitten waren, ihre Wirkung entfalten. Die von der ersten These abgeleiteten zentralen Fragen zielen auf die Auswahl des Programms, die Ausrichtung der Zeitschriften, Romane und Prosa, den Umfang von klassischer und zeitgenössischer Musik – Editionen, neue Kompositionen und ähnlichem. Welche Spezialgebiete und welche Auflagenhöhen finden sich im Programm der Verlage? Welche bundesinternen und überbündischen Schriften wurden durch sie verlegt? Was verkaufte sich und was wurde durch andere Einnahmen möglicherweise mitfinanziert, da es als „Herzstück“ des Verlages oder Anliegen des jeweiligen Verlegers galt? Welchen Einfluss nahmen sie
Quellen
und ihre wirtschaftlichen Interessen damit auf die Produktion von bündischem Kulturgut und auf die damit verbundenen Diskursfelder? In den 1920er Jahren erweiterte die bündische Subkultur zweitens ihren Einflussbereich und kam in der Alltagskultur der Gesamtgesellschaft beispielsweise durch ihre Nutzung in Schulen an. Die bündische Jugend teilte die gesamtgesellschaftlichen beziehungsweise bürgerlichen Gedankenwelten unter anderem von der Unrechtmäßigkeit des Versailler Vertrags und der tiefempfundenen Niederlage des Ersten Weltkriegs bis hin zu Revanchismus und Antisemitismus, was bereits als Forschungskonsens angenommen werden kann. Diese Vorstellungen fanden in den Bünden ihren Ausdruck in den Praktiken des Wanderns, Lagerns, Singens und auch des Publizierens beispielsweise durch das Übertragen von Melodien, sprachlich in den Texten oder praktisch durch Grenzlandfahrten mit dem Ziel der Integration von Grenz- und Auslandsdeutschen in die wahrgenommene Volksgemeinschaft. Durch diese Anschlussfähigkeit konnte der entstehende bündische Musikalien- und Buchhandel in „der Mitte der Gesellschaft“ ankommen. Daran anschließend gehe ich drittens davon aus, dass die generelle, gesamtgesellschaftliche Aufbruchstimmung in den 1920er Jahren und die staatlich geförderte Reform der Schulen und der Pädagogik im Allgemeinen zu einer ungeahnten Reichweite der ohnehin pädagogisch denkenden Kreise führte. Hierin konnten die Jugendbewegten – egal ob Wandervögel oder Pfadfinder – nahtlos anknüpfen und waren Vorreiter auf dem Gebiet der Reformpädagogik und ihrer Literatur. Wandern und Singen wurden als Idee von der Erziehung des „ganzen Menschen“ virulent: körperliche Zähigkeit, die Kenntnis der natürlichen deutschen Heimat und die Einordnung in die Gruppe wurden damit zu bestimmenden Idealbildern der Jugend und durch die jugendbewegten Verlage in die Welt getragen. Allerdings war es zunächst die Musikpädagogik, die in Form der Jugendmusikbewegung eine besondere Reichweite erlangte. Zuletzt vermute ich viertens, dass die vier bedeutendsten Musikverlage – Voggenreiter, Bärenreiter, Wolff und Kallmeyer – gegenüber den vielen Klein- und Kleinstverlagen so erfolgreich waren, weil sie nicht nur die „bündische Idee“ voranbringen wollten, sondern gleichzeitig unternehmerisches Geschick hatten und den Blick auf die umgebenden Bedingungen wie die politische und wirtschaftliche Lage nicht verloren. Nur durch den Markt konnte die Idee zu voller Geltung gelangen und der „bündische Kulturmarkt“ konnte nur durch die Vorstellung einer bündischen Kultur entstehen. Auf diesem Markt bestand nicht allein die freie Wirtschaft, sondern auch davon abweichende, kulturell bedeutsame Wertschöpfungsketten. 1.2
Quellen
Für die Durchführung des Forschungsprojekts war das Material, das im Archiv der deutschen Jugendbewegung (AdJb) bewahrt wird, von großer Bedeutung: Lieder-
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20
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bücher, (über-)bündische Zeitschriften, Tonträger und eine Vielzahl an Nachlässen ehemals Jugendbewegter sind dort versammelt. Als zentraler Sammlungsort bildete es durch seine breitgefächerten Quellenbestände den wesentlichen Ausgangspunkt der Arbeit. Auch befindet sich seit 2008 die Sammlung des Vereins Archiv der Jugendmusikbewegung e. V. mit Nachlässen von Georg Götsch, Hilmar Höckner, Fritz Jöde, Ekkehart Pfannenstiel, Fritz Reusch, Wilhelm Twittenhoff oder Gottfried Wolters in seinem Bestand, deren systematische Erschließung für die wissenschaftliche Nutzung im Jahr 2020 begonnen hat. Für die vorliegende Arbeit war diese Sammlung zur Jugendmusikbewegung (AdJb A 228) vor allem wegen ihrer breit gestreuten Korrespondenzen, die dem weiten personellen Netzwerk der Jugendmusikbewegten geschuldet sind, von besonderem Wert. Archive wie das der Universität der Künste Berlin und das Bundesarchiv in BerlinLichterfelde beheimaten weiteres Quellenmaterial. Im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde konnten vor allem Akten über Autoren und Verleger eingesehen werden, von welchen die Akten der Reichskulturkammer (RKK) und der Parteiamtlichen Prüfungskommission (PPK), die aus der Zeit nach 1933 stammen, von Interesse waren, da hier Gutachten und Auskünfte von (ehemaligen) Kollegen, Mitarbeitern und sonstigen Bekannten der betreffenden Personen zusammengeführt wurden. Meist geschah dies vor dem Hintergrund der Überprüfung auf Konformität mit den Grundsätzen der Reichskulturkammer beziehungsweise im Falle der hier besprochenen Verlage meist der Reichsschrifttumskammer, der alle Kulturschaffenden im Nationalsozialismus zwangsläufig beitreten mussten. Im Archiv der Universität der Künste dagegen finden sich Dokumente über ihre Vorgängerinstitution, die staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin Charlottenburg, an der der jugendmusikbewegte Musikpädagoge Fritz Jöde ab 1923 als Professor tätig war – 1930 bekam er die Leitung des als der staatlichen Akademie unterstellten neu gegründeten Seminars für Volksund Jugendmusikpflege übertragen. Georg Götsch, Schüler Jödes, lehrte an der staatlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin Charlottenburg beziehungsweise deren Seminar für Musikerziehung, deren Akten ebenfalls im Archiv der Universität der Künste erhalten sind. Auch zu dem 1929 in Betrieb genommenen und ebenfalls der Akademie für Kirchen- und Schulmusik unterstellten Musikheim Frankfurt an der Oder findet sich im Archiv der Universität der Künste Quellenmaterial. Auch in der Universitätsbibliothek Heidelberg sind durch den Sondersammlungsbereich „Deutsche Jugendbewegung“ Zeitschriften wie „Der Weiße Ritter“, „Die Spur in ein deutsches Jugendland“, „Das junge Volk“ oder „Der Zwiespruch“ erhalten.32 Im Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg dagegen finden sich die musikbezogenen Veröffentlichungen wie die Zeitschrift „Die Musikantengilde“, „Die Vgl. Bonte, Achim: Ein Strohfeuer mit Langzeitwirkung. Die Sammlung „Deutsche Jugendbewegung“ in der Universitätsbibliothek Heidelberg, in: Theke. Informationsblatt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bibliothekssystem der Universität Heidelberg, Heidelberg 2005, S. 12–17.
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Quellen
Singgemeinde“ oder „Musik und Volk“. Diese Zeitschriften sind ebenfalls in Archiven einzusehen, wegen ihrer zeitgenössisch hohen Auflagen sind sie jedoch in einigen Bibliotheken vorhanden und dort einfacher zu nutzen. Anhand dieser Periodika lassen sich subkulturelle und organisatorische Aushandlungsprozesse der Jugend(musik)bewegung nachvollziehen, was zum Teil bereits Eingang in die Studie Rüdiger Ahrens’ fand.33 Darüber hinaus geben diese Zeitschriften und im Besonderen die kurzen Äußerungen der Schriftleitung, der Redaktion oder des Verlages Auskunft über die Preise der Hefte oder eines Abonnements, über Werbeanzeigen oder die Verortung der Zeitschrift innerhalb der Jugendorganisationen und damit über Kundinnen und Kunden. Besonders hervorzuheben sind im Kontext der Publikationstätigkeit der Jugendbewegung und der Jugendmusikbewegung die Hinterlassenschaften der Verlage selbst. Neben den Publikationen sind die nicht gedruckten Quellen von besonders hoher Aussagekraft: Die Korrespondenzen der jeweiligen Verleger mit ihren Autorinnen und Autoren oder den Druckereien, die Werbeanzeigen, Verlagsprogramme und Publikationsankündigungen. Auch in den Archiven der heute noch bestehenden aus der Jugendbewegung entstandenen Verlage ist verwertbares Material erhalten geblieben. Ein besonderer Schatz für die Forschung offenbarte sich im firmeneigenen Archiv des Voggenreiter Verlags in Wachtberg bei Bad Godesberg: Dort sind Korrespondenzen, Verträge und Publikationen beginnend mit der Gründung 1919 zu finden und standen für diese Arbeit zur Verfügung. Der Bestand ist bisher nicht archivalisch erschlossen. Im Zuge der Recherche wurde in Absprache mit der Geschäftsführung ein Findbuch erstellt, das im Archiv des Voggenreiter Verlags ausliegt und dessen Ordnungsnummern für diese Arbeit als Ersatzsigeln genutzt wurden. Dort finden sich sowohl Briefe mit verschiedenen Autorinnen und Autoren, Druckereien oder anderen Verlagen, die als Kommunikation zwischen Adressatin oder Adressat und Absenderin oder Absender verstanden werden müssen. Die hinterlassenen Verträge, zum größten Teil Verlagsverträge mit Autorinnen und Autoren, können wenn sie Unterschriften aller beteiligten, meist zweier, Parteien enthalten, als rechtsverbindliches Dokument und besonders aussagekräftig verstanden werden. Zusammen mit der Korrespondenz ergibt sich ein umfangreiches Bild der Verlagsarbeit: Wie ein Buch entstand, welche Verträge geschlossen wurden und welche Aufträge an Druckereien oder Grafiker erteilt wurden beziehungsweise welche Angebote sie machten. Ergänzt wird dies durch die erhaltenen Verlagsprospekte und Werbeanzeigen in Zeitschriften, die Auskunft über den Erfolg eines Druckwerks geben und den Preis verraten. Abseits davon findet viel nicht an bestimmte Personen gerichtete Kommunikation vom Verlag ausgehend in den Zeitschriften „Der Weiße Ritter“ oder „Die Spur“ statt, beispielsweise über kurze Nachrichten am Anfang oder am Ende der einzelnen Hefte. Gleichwohl Interviews eine völlig andere Quellengattung sind als der Großteil der in dieser Arbeit genutzten
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Vgl. Ahrens, Bündische Jugend, S. 24.
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Quellen, wird das im Voggenreiter Archiv als Transkript vorhandene Interview mit Heinrich Voggenreiter, der 1924 zu seinem Bruder Ludwig in den Verlag eintrat, zum Abgleich einiger Informationen herangezogen. Geführt haben es der Schriftsteller Gispert Haefs und der Sohn Heinrichs und damaliger Geschäftsführer des Verlages Ernst Voggenreiter. Kritisch betrachtet werden muss dieses Interview vor allem deshalb, weil es erstens erst 60 Jahre nach Verlagsgründung, 1979, geführt wurde und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Interviewte die Ereignisse nicht (genau) erinnert oder anders darstellt, bewusst oder unbewusst, weil zweitens einer der Interviewer sein Sohn war und damit eine emotionale Verbundenheit zwischen den beiden Beteiligten vorlag und weil drittens Gründe für das Interview das 60. Jubiläum des Verlages und eine geplante Publikation zur Verlagsgeschichte waren und damit eine bestmögliche Darstellung in der Öffentlichkeit als übergeordnetes Ziel angenommen werden muss. Auch im Bärenreiterverlag, der heute in Kassel seinen Sitz hat, sind die frühsten Publikationen zusammengetragen. Hier allerdings konnten durch einen Kriegsschaden 1944 keinerlei Akten erhalten werden, die lückenlose Zusammenstellung der verlagseigenen Publikationen wurde nach 1945 durch den Verlag selbst erneut zusammengetragen. Die dortigen Bestände sind firmenintern erschlossen. Weder der Günther Wolff Verlag noch der Georg Kallmeyer Verlag bestehen heute noch: Der Günther Wolff Verlag wurde noch in der Zeit des Nationalsozialismus geschlossen; Georg Kallmeyer starb 1945, seinen Verlag führte Karl-Heinrich Möseler weiter – dieser Verlag wurde laut Handelsregister 2008 geschlossen. Somit existieren von beiden letztgenannten Verlagen keine Firmenarchive. 1.3
Forschungsstand
Die wissenschaftliche Betrachtung der jugendbewegten (Musik-)Verlage und der sie tragenden Personen und Institutionen ist bislang in unzureichendem Maße geschehen. Die betreffende Forschungsliteratur wird dominiert von Apologeten einerseits und scharfen Kritikern andererseits. Zeitlich sind die meisten relevanten Werke zur Jugendbewegung und zur Jugendmusikbewegung in den 1970er und 1980er Jahren zu verorten. Allerdings ist in den vergangenen Jahren das Interesse an der Jugendbewegungsforschung im Allgemeinen wieder gestiegen. Ein Beispiel hierfür ist die Studie von Rüdiger Ahrens, „Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918–1933“. Ahrens publizierte Dissertation baut auf älteren Werken auf, betrachtet und interpretiert jedoch viele Quellenbestände neu und definiert die Zeit zwischen 1918 und 1933 als bündische Phase der deutschen Jugendbewegung, die er wiederum in drei Phasen unterteilt – Formierung: 1914/18–1923; Konsolidierung und Opposition: 1923–1928; Offensive und Defensive: 1928–1933. Damit schafft er einen wertvollen Überblick über die Organisationsgeschichte der bündischen Jugend. Weiterhin gelten die Werke Harry Pross’ und Walther Laqueurs trotz
Forschungsstand
ihres älteren Datums immer noch als aktuell.34 Auch Malte Lorenzens Dissertation „Zwischen Wandern und Lesen. Eine rezeptionshistorische Untersuchung des Literaturkonzepts der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung 1896–1923“ zeigt dieses neue Interesse an der Jugendbewegungsforschung an.35 Einen immer noch aktuellen, kritisch-fundierten Überblick über die Jugendmusikbewegung gibt Dorothea Kolland 1979 in „Die Jugendmusikbewegung. ‚Gemeinschaftsmusik‘ – Theorie und Praxis“. Dabei geht sie auf die gemeinschaftsfördernde Wirkung von Musik ein und spannt den Bogen zu einer ideologischen Nutzung von Musik – durch die Texte der Lieder und das Singen als Praxis. Sie macht ihren Stellenwert an programmatischen Aussagen fest, die das Volkslied beispielsweise als Zugang zur „wahren Seele des deutschen Volkes“ bezeichnen.36 Die politisch-ideologische Nutzung von Musik in und durch die Jugendmusikbewegung betreffend, führt kein Weg an den Betrachtungen Johannes Hodeks in seiner Publikation „Musikalischpädagogische Bewegung zwischen Demokratie und Faschismus“ vorbei.37 Hodeks Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Kontroverse über einen faschistischen Einschlag in der Sing- und Jugendmusikbewegung zwischen dem Kritiker Theodor Adorno und den Apologeten der Bewegung, Wilhelm Twittenhoff, Wilhelm Kamlah und Wilhelm Ehmann. Um den Ursprüngen der Kontroverse nachzugehen, untersucht Hodek die Sing- und Jugendmusikbewegung um Fritz Jöde und Walther Hensel und die Publikationen ihrer „Hausverlage“, dem Kallmeyer-Verlag und dem Bärenreiter-Verlag – das jedoch mit der eindeutigen Perspektive der Frankfurter Schule. In seiner im Herbst 2019 eingereichten Dissertation befasst sich der Musikwissenschaftler Simon Nußbruch mit der bündischen Musik nach 194538, was die interdisziplinäre Horizontöffnung der Forschung in Richtung der Themenfelder „Bündische Musik“ und „Jugendmusikbewegung“ verdeutlicht. Zuletzt erschienen im vergangenen Jahr zwei Dissertationen, die dieser Thematik Rechnung tragen: Zum einen Mia Holz’ Dissertation „Musikschulen und Jugendmusikbewegung. Die Institutionalisierung des öffentlichen Musikschulwesens von den 1920ern bis in die 1960er Jahre“, die zwar das Augenmerk auf die Musikschulen legt, die hier nicht explizit Thema sein sollen, jedoch wertvolle Grundlagen für die vorliegende Arbeit in Bezug auf die AkVgl. Ahrens, Bündische Jugend; Pross, Jugend, Eros, Politik; Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung. Vgl. Ahrens, Rüdiger: Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918–1933, Göttingen 2015; Lorenzen, Malte: Zwischen Wandern und Lesen. Eine rezeptionshistorische Untersuchung des Literaturkonzepts der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung 1896–1923, Göttingen 2016. 36 Vgl. Kolland, Dorothea: Die Jugendmusikbewegung. „Gemeinschaftsmusik“ – Theorie und Praxis, Stuttgart 1979, S. 32–46. 37 Vgl. Hodek, Johannes: Musikalisch-pädagogische Bewegung zwischen Demokratie und Faschismus. Zur Konkretisierung der Faschismus-Kritik Theodor W. Adornos, Weinheim/Basel 1977. 38 Beschrieben ist Nußbruchs Projekt im Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 2014, vgl. Nußbruch, Simon: Dissertationsprojekt: Musik der Bündischen Jugend nach 1945, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 50 Jahre danach – 50 Jahre davor. Der Meißnertag 1963 und seine Folgen, Göttingen 2014, S. 317–319. 34 35
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Einleitung
teure der Jugendmusikbewegung enthält,39 zum anderen Hans-Joachim Rieß’ „Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland im Begründungszusammenhang kultureller Bildung. Eine ideengeschichtliche Untersuchung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart“.40 Beide gehen auf den bildungspolitischen Kontext der Weimarer Republik in Bezug auf die Musik ein und befassen sich unter anderem mit den Protagonisten aus Jugendmusikbewegung, Wissenschaft und Politik. Zu dem wichtigsten Protagonisten dieser musikalischen Bildungsreform und langjährigen musikalischen Referenten des Kultusministeriums, Leo Kestenberg, existiert eine sechsbändige Edition seiner Schriften, Briefwechsel und Dokumenten zur Reform, die unter anderem von Winfried Gruhn (Band 1 und Band 4), Ulrich Mahlert (Band 2.1 und Band 2.2) und Dietmar Schenk (Band 3.1 und Band 3.2) herausgegeben wurden.41 Auch haben die Herausgeber weitere Veröffentlichungen zu diesem Themenfeld erarbeitet, wie beispielsweise Schenks Betrachtung unter anderem der Weimarer Hochschulpolitik „Die Hochschule für Musik zu Berlin. Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932/33“ oder Gruhns Kestenberg-Biografie „Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen. Leo Kestenbergs Leben zwischen Kunst und Kulturpolitik.“42 Zu den einzelnen Verlagen der Jugendmusikbewegung existieren einige wenige, oft nicht rein wissenschaftliche, selbsthistorisierende Publikationen. Am zahlreichsten sind diese noch zum Bärenreiter-Verlag43 vorhanden, aber auch zum Günther-WolffVerlag44 und zum Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter Verlag45 existieren
Vgl. Holz, Mia: Musikschulen und Jugendmusikbewegung. Die Institutionalisierung des öffentlichen Musikschulwesens von den 1920ern bis in die 1960er-Jahre, Münster 2019. 40 Vgl. Rieß, Hans-Joachim: Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland im Begründungszusammenhang kultureller Bildung. Eine ideengeschichtliche Untersuchung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Kassel 2019. 41 Vgl. Gruhn, Wilfried / Mahlert, Ulrich / Schenk, Dietmar: Leo Kestenberg. Gesammelte Schriften, Freiburg im Breisgau/Berlin/Wien 2009–2013. 42 Vgl. Gruhn, Wilfried: Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen. Leo Kestenbergs Leben zwischen Kunst und Kulturpolitik, Hofheim 2015. 43 Zum Bärenreiter-Verlag wurden bisher publiziert: Gottschick, Anna Martina: Bärenreiter-Chronik, Kassel 1973; Baum, Richard / Rehm, Wolfgang (Hrsg.): Musik und Verlag. Karl Vötterle zum 65. Geburtstag am 12. April 1968, Kassel 1968; Vötterle, Karl: Haus unterm Stern. Über Entstehen, Zerstörung und Wiederaufbau des Bärenreiter-Werkes, 4. Auflage, Kassel 1969. 44 Zum Günther-Wolff-Verlag schrieben bisher: Schepping, Wilhelm: Zur Bedeutung des vogtländischen Günther-Wolff-Verlages für Lied und Singen der Bündischen Jugend in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Bröcker, Marianne (Hrsg.): Das 20. Jahrhundert im Spiegel seiner Lieder. Tagungsbericht Erlbach/Vogtland 2002 der Kommission für Lied-, Musik- und Tanzforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V., Bamberg 2004; Hess, Wolfgang: Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, Plauen im Vogtland 1993. 45 Den einzigen alleinstehenden Artikel, der sich explizit und ausschließlich mit dem Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter beschäftigt, erarbeitete Wolfgang Tripmacker: Tripmacker, Wolfgang: Vom Weißen Ritter zum Potsdamer Reiter. Der Verleger Ludwig Voggenreiter, in: Lehmstedt, Mark / Poethe, Lothar (Hrsg.): Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 10, Wiesbaden 2000, S. 115–127. 39
Forschungsstand
sie. Von diesen Publikationen hebt sich jedoch Wolfgang Tripmackers Buch „Verwehte Spuren. Potsdamer Verlagsgeschichte(n). Drei Jahrhunderte Buchherstellung in der Residenz-, Bezirks- und Landeshauptstadt“ aus dem Jahr 2008 ab, in dem sich einige weiterführende Hinweise für die angestrebte Untersuchung finden. In dieser Zusammenstellung der verschiedenen Potsdamer Verlage findet sich ein Kapitel speziell zu der Zeit der Weimarer Republik, das jedoch überblickshaft und dementsprechend oberflächlich bleibt. Erwähnung finden hierin auch die Verleger Alfred Protte, Ludwig Voggenreiter und Karl Heidkamp, die zu dem Kreis der jugendbewegten Verleger der 1920er Jahre gehören.46 Einen etwas anderen Blickwinkel verfolgt Justus Ulbricht, der in seinen Studien über Literaturpolitik und Buchhandelsgeschichte vorwiegend die extremen beziehungsweise völkisch-nationalen Verlage in den Blick nimmt. Hervorzuheben ist seine Arbeit zum Jenaer Verlag Eugen Diederichs, der ebenfalls in der bündischen Szene bekannt und beliebt war.47 Bei den bisher existierenden Arbeiten zu einzelnen Gruppen oder Personen der Jugendmusikbewegung verhält es sich ganz ähnlich: Sie sind meist älteren Datums wie Reinhard Szeskus Betrachtungen zum Finkensteiner Bund48, kleinere Gedenkschriften, die eher nostalgisch-romantisierende Tendenzen aufweisen und mehr als Quelle denn als Forschungsergebnis gesehen werden müssen oder sie führen beides zusammen wie Erich Bitterhofs „Das Musikheim Frankfurt/Oder 1929–1941, Beiträge der Jugendbewegung zur preußischen Kulturpolitik, Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung“49. Eine Ausnahme stellt beispielsweise der Aufsatz „Fritz Jöde und der Hohe Meißner“ von Franz Riemer dar, der jüngeren Datums ist.50 Einige weitere Werke betrachten lediglich einzelne Aspekte der Jugendmusikbewegung (z. B. Musikpädagogik) wie etwa Karl-Heinz Reinfandts „Die Jugendmusikbewegung. Impulse und Wirkungen“.51 In diese Kategorie fällt auch Stefan Krolles „Musisch-
46 Vgl. ders.: Verwehte Spuren. Potsdamer Verlagsgeschichte(n). Drei Jahrhunderte Buchherstellung in der Residenz-, Bezirks- und Landeshauptstadt, Wilhelmshorst 2008, S. 116–123, 176–191. 47 Vgl. bspw. Ulbricht, Justus H.: „Lebensbücher nicht Lesebücher!“. Buchhandelsgeschichtliche Ansichten der bildungsbürgerlichen Reformbewegungen um 1900, in: Lehmstedt, Mark / Herzog, Andreas (Hrsg.): Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900, Wiesbaden 1999, S. 135–151; ders.: „Die Quellen des Lebens rauschen in leicht zugänglicher Fassung …“ Zur Literaturpolitik völkischer Verlage in der Weimarer Republik, in: Estermann, Monika / Knoche, Michael (Hrsg.): Von Göschen bis Rowohlt, Wiesbaden 1990, S. 177–197; Zu Eugen Diederichs publizierte Ulbricht zusammen mit Meike Werner einen Sammelband: Ulbricht, Justus H. / Werner, Meike G. (Hrsg.): Romantik, Revolution und Reform. Der Eugen-Diederichs-Verlag im Epochenkontext 1900–1949, Göttingen 1999. 48 Vgl. Szeskus, Reinhard: Die Finkensteiner Bewegung, Dissertation maschinenschriftlich, Universität Leipzig, 1965. 49 Vgl. Bitterhof, Erich: Das Musikheim Frankfurt, Oder. 1929–1941; Beiträge der Jugendbewegung zur preußischen Kulturpolitik, Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, Witzenhausen 1980. 50 Vgl. Riemer, Franz: Fritz Jöde und der Hohe Meißner, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 50 Jahre danach – 50 Jahre davor. Der Meißnertag 1963 und seine Folgen, Göttingen 2014, S. 163–172. 51 Vgl. Reinfandt, Karl-Heinz (Hrsg.): Die Jugendmusikbewegung. Impulse und Wirkungen; [… anläßlich des 100. Geburtstages von Fritz Jöde …], Wolfenbüttel 1987.
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kulturelle Etappen der deutschen Jugendbewegung von 1919–1964“, in welchem er das Liedgut des Nerother Wandervogels e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck e. V. über den Zeitraum von 45 Jahren nach quantitativ-qualitativen Methoden der Zeitgeistforschung betrachtet und durch die Untersuchung der Reichweite durch Liedgut, Erlebnisbericht, Zeitschrift und Zeitzeugeninterviews auf ihre Wirksamkeit schließen will.52 Durch die detailreiche, empirische Untersuchung des weitgefassten Zeitraums und die Verengung auf den Personenkreis der Nerother auf Burg Waldeck kommen allerdings Detailfragen des Liedguts eine höhere Bedeutung zu als übergeordneten Strukturen der Bewegung. Bemerkenswert ist auch die über 1000 Seiten fassende Quellenedition „Die deutsche Jugendmusikbewegung in Dokumenten ihrer Zeit von den Anfängen bis 1933“, die 1980 durch das Archiv der Jugendmusikbewegung e. V. Hamburg herausgegeben wurde. Die Initiative ging von Herbert Just aus, der stark in die Jugendmusikbewegung um die Figur Fritz Jöde involviert war und zeitweilig im Kallmeyer-Verlag arbeitete. Auch die weiteren Bearbeiterinnen und Bearbeiter dieser Quellensammlung, wie beispielsweise Kurt Sydow, waren allesamt im weiteren bis engeren Umfeld der Bewegung zu finden, was der Objektivität einer zunächst formal objektiv erscheinenden dokumentarischen Publikation letztendlich entgegensteht.53 Gewollt unkommentiert ist hier eine Auswahl an Quellen versammelt, welche die Herausgeber als dem Ziel, „möglichst umfassend die Entwicklung der JMB, ihre vielfältigen Erscheinungsformen und Lebensäußerungen wider[zu]spiegeln und die bewegenden Kräfte ihres musikalischen Wollens und Wirkens erkennen [zu] lassen“54, angemessen empfanden. Sie endet mit dem Zäsurjahr 1933 und suggeriert dadurch, der Bewegung sei zu diesem Zeitpunkt ein vorläufiges Ende beschieden worden, was jedoch keinesfalls zutrifft. Hilfreich ist sie dennoch: Vor allem die angehängten 80 Kurzbiographien relevanter Akteurinnen und Akteure der Bewegung fassen personenbezogene Informationen zusammen. Kurzbiografien finden sich auch in „Jugendbewegt geprägt“ von Barbara Stambolis55 und Hinrich Jantzens „Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung“56. Der Aspekt des Markts des Buchhandels im bündischen Umfeld fand bisher keine wesentliche Betrachtung. Hilfreich ist für das Verständnis des Marktes und im Besonderen des Büchermarktes im Untersuchungszeitraum daher ein weiteres Buch: der
52 Vgl. Krolle, Stefan: Musisch-kulturelle Etappen der deutschen Jugendbewegung von 1919–1964. Eine Regionalstudie, Münster 2004. 53 Vgl. Scholz, Wilhelm / Schumann, Heinrich / Just, Herbert: Die deutsche Jugendmusikbewegung in Dokumenten ihrer Zeit von den Anfängen bis 1933, Wolfenbüttel 1980. 54 Ebd., S. XI. 55 Vgl. Stambolis, Barbara (Hrsg.): Jugendbewegt geprägt. Essays zu autobiographischen Texten von Werner Heisenberg, Robert Jungk und vielen anderen, Göttingen 2013. 56 Vgl. Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Bände 1–4, Frankfurt am Main 1972–1977.
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zweite Band der „Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert“, der sich explizit und ausschließlich mit der Zeit der Weimarer Republik beschäftigt. Die Herausgeber Ernst Fischer und Stephan Füssel führen in den Band ein und zeigen die zeitrelevanten Umstände auf. Für die vorliegende Arbeit relevante Beiträge zu den Grundlagen des Buchmarktes in der Weimarer Republik finden sich in diesem Band unter anderem von Fischer selbst zum Urheberrecht, von Britta Scheideler zu Schriftstellerinnen, Schriftstellern und Schriftstellerorganisationen und Peter Neumann über drucktechnische Entwicklungen.57 Auch im engeren Sinne erfährt der Zusammenhang von Markt und Kultur mittlerweile intensive Aufmerksamkeit58. Diese Forschungszweige hängen in hohem Maße mit dem nicht abbrechenden Interesse an Populärkultur, populärer Kultur, Alltagskultur, Popkultur, Massenkultur und Ähnlichem zusammen, das sich häufig – aber nicht immer – an der Scheidung zur Hochkultur aufreibt. Die in Folge des proklamierten cultural turn und der subaltern studies angestoßenen Perspektiven führen, so der Kulturwissenschaftler Kasper Maase, zu keiner abschließenden Festlegung von Gegenständen, Methoden oder Theorien der Kultur. Gerade diese definitorische Unschärfe durch ihren Bezug auf das Populäre sei dadurch produktiv, dass die Diskussionen um Inklusion und Exklusion und um Definitionen immer auch Erkenntnisse mit sich brächten.59 Grundsätzlich wird im Folgenden von der „bündischen Kultur“ als Sub-
57 Vgl. Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007. 58 Zu einigen früheren Überlegungen zur Verbindung von Produktion, Markt und Kunst zählt Walther Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, in dem er jedoch nur am Rande auf den Markt eingeht, sondern vielmehr die veränderte Kunstauffassung v. a. durch neue Medien (Film, Foto, Rundfunk) bespricht. Durch die technisch mögliche Reproduktion würde der Kunst das wesentliche, ihre Echtheit und Einmaligkeit, abhandenkommen. Jedoch berge diese Reproduzierbarkeit sowohl die Gefahr der Vereinnahmung durch den Faschismus als auch das Potenzial der gesellschaftlichen Emanzipation und der Demokratisierung der Gesellschaft durch die allen verfügbare Kunstrezeption, vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Benjamin, Walter: Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, 18. Auflage, Frankfurt am Main 2018, S. 136–169; Mit der Wirtschaftskraft, die in Kunst und kulturellen Gegenständen schlummere beziehungsweise die der technische Fortschritt und der Kapitalismus aus ihnen heraushole, beschäftigte sich vielmehr Theodor Adorno, der diese vielmehr pessimistisch als Versklavung beurteilte und einer Massenkultur attestierte, sie führe zur Zentralisierung (in Faschismus oder Großunternehmen) und zur Einschränkung der Freiheit, vgl. bspw. Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug, in: Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 23. Auflage, Frankfurt am Main August 2017, S. 128–176. 59 Maase zufolge „schaffen gerade divergierenden Zugriffe unterschiedlicher Fächer die produktive Unschärfe, die aus verschiedenen Beschreibungen derselben Phänomene hervorgeht.“, Maase, Kaspar: Populärkulturforschung. Eine Einführung, Bielefeld 2019; Auch weist er auf die historisch gewachsenen Begrifflichkeiten hin, die mit der vorherrschenden und heute noch wirkmächtigen Vorstellung von Kunst / kultureller Produktion als individualistisch und damit gleichsam keinesfalls kapitalistisch oder populär gilt. Freilich ist dies nur eine Vorstellung neben vielen weiteren – die Unterscheidung der verschiedenen Begriffsinhalte von Pop/populär/popular soll hier nicht weiter von Belang sein, da Wirkungskreis und Wirkmacht auch anders belegt und beschrieben werden können, vgl. ebd., S. 30–33.
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Einleitung
kultur oder Jugendkultur gesprochen. Wie genau die „Bündische Kultur“ für die vorliegende Arbeit definiert wird und welche Folgerungen sich daraus ergeben, wird in Kapitel 1.4 ausgeführt. Vor allem im Bereich der Popularmusikforschung wird bereits seit mehreren Jahrzehnten die alltägliche Musikpraxis in den Blick genommen und seit den 1980er Jahren mit einem eigenen Verband, der Gesellschaft für Popularmusikforschung e. V., seinen Tagungen und Schriften für die Relevanz der alltäglichen statt der Hochkultur geworben. Dem dahinterstehenden Wirtschaftsfaktor, der vor allem durch die alltägliche Musikkultur evoziert wird, widmet sich die 2014 gegründete Gesellschaft für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung e. V. Aus diesen Bestrebungen entstanden die Reihen „Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung“, ab 2018 herausgegeben von Carsten Winter, Martin Lücke, Matthias Rauch und Peter Tschmuck, und „Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung“, ab 2019 herausgegeben von Carsten Winter und Martin Lücke. Dieses junge, interdisziplinäre Forschungsfeld vereinigt damit die Diskussionen über populäre und Hochkultur, über Massenmedien, Zugangsbeschränkungen, Wirtschaftlichkeit von musikalisch-kultureller Produktion und vieles mehr. Wünschenswert ist hier die Ausweitung dieser Perspektive auf weitere Bereiche der Kulturwissenschaft und der Kulturgeschichtsforschung und damit die Entwicklung einer umfassenderen Kulturmarktforschung. Es zeigte sich im Verbund des Promotionskollegs „Kunst, Kultur und Märkte. Geschichte der europäischen Kulturwirtschaft vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ des Zentrums für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität Heidelberg, in welchem dieses Projekt zusammen mit vier weiteren verortet war, dass die lebens- und realitätsnäheren Pop-, Gegen- oder Jugendkulturen, wie auch in manchen Fällen bürgerliche Hochkulturen einen bestimmten Teilmarkt immens mitbestimmen und dass sich die Verbindungen von „Kultur“ und „Markt“ in diversen Untersuchungsgegenständen und -zeiten erkennen und untersuchen lassen.60 Der Jugendbewegungsforschung, der Populärkulturforschung und Themenfeldern wie der Musikwirtschaftsforschung können meines Erachtens durch die Perspektive auf die jugendbewegte Kultur als eine Kultur, die vermarktbar war beziehungsweise vermarktet wurde, neue Erkenntnisse hinzugefügt werden. Dafür wird der Schwerpunkt auf die jugendbewegten Verlage als Unternehmen gelegt, die aus dieser bün-
60 Lena von Geyso beschäftigt sich mit den Entwicklungen kreativ-unternehmerischen Handelns am Beispiel der deutschen Kunstvereine, Adrian Grimm nimmt virtuose Rockmusik der 1980er Jahre als kulturelles und wirtschaftliches Phänomen in den Blick, Kilian Kohn beleuchtet die Rezeptionsgeschichte des Künstlers John William Waterhouse unter anderem unter dem Aspekt der Vermarktung von Kunst und Kunstwerk und Patrick Mertens betrachtet Londoner Musiktheaterproduktionen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als erfolgreiche Absatzprodukte, vgl. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Hrsg.): Promotionskolleg „Kunst, Kultur und Märkte. Geschichte der europäischen Kulturwirtschaft vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ [Onlinefassung], URL: https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/ zegk/Promotionskolleg.html [06.07.2020].
Theorie und Methode
dischen Subkultur, der Jugend(musik)bewegung, entstanden. Hierbei besteht großes Potential, das vorhandene, teils noch nicht systematisch genutzte Quellenmaterial abseits der emotional geführten Debatte über die Rolle der Jugendbewegung als völkisch-nationale Stichwortgeberin beziehungsweise nationalsozialistische Vordenkerin auszuwerten. Auch wurden die Verlage in den bisherigen Untersuchungen zur Jugend(musik)bewegung weitestgehend ausgeklammert und kaum bis gar nicht mit ihrem Einfluss auf die bündische kulturelle Produktion an sich in Verbindung gesetzt. 1.4
Theorie und Methode: Was leistet das Konzept des „Kulturmarktes“ für die Untersuchung der bündischen Jugend?
Soll ein Begriff wie der „Bündische (Sub-)Kulturmarkt“ als Analysegrundlage für den Untersuchungsgegenstand genutzt werden, ist dieser Begriff erklärungsbedürftig. Dabei ist das Phänomen der Jugendbünde in der Weimarer Zeit noch am klarsten definitorisch und in seiner historischen Dimension umrissen, wie weiter oben gezeigt. Schwieriger wird es mit den Begriffsbestandteilen „(Sub-)Kultur“ und „Markt“. Die Soziologie beschäftigt sich seit Entstehung ihrer Disziplin mit dem sozialen Miteinander, mit Gesellschaft, ihren Regeln und Bedingungen und mit gesellschaftlicher Kultur. Dabei entstanden mit der Zeit diverse Konzepte, wie Kultur zu definieren sei und was sie in Abgrenzung zu anderen Begriffen beinhalte. Für die Betrachtung des „bündischen Kulturmarktes“ soll auf Grundlage der Kulturtheorie in Anlehnung an Pierre Bourdieu und der von Dirk Baecker erweiterten System-/Differenztheorie Niklas Luhmanns argumentiert werden (Kapitel 1.4.1). Den Begriff des Marktes definiert am unmittelbarsten die Ökonomie. Ihr ist „der Markt“ Untersuchungsgegenstand und sie betrachtet ihn unter Zuhilfenahme verschiedener Theorien über „den Markt“. Verbunden werden soll die theoretische Entfaltung zur Kultur mit der Theorie der Neuen Institutionenökonomik, die in der Wirtschaftsgeschichte in den 1970er Jahren Einzug hielt und für die Überschneidung der Einflusssphären der „Kultur“ und des „Marktes“ hilfreich ist (Kapitel 1.4.2). Sobald diese Ansätze zu „Markt“ und „Kultur“ für die vorliegende Arbeit definitorisch eingegrenzt, fruchtbar gemacht sowie zueinander in Beziehung gesetzt wurden, lässt sich auch ein „bündischer Kulturmarkt“ charakterisieren (Kapitel 1.4.3) und in seinen historischen Kontexten sichtbar machen. 1.4.1
„Kultur“ – Definition und Form
Der Begriff der „Kultur“ ist aus der Alltagssprache nicht wegzudenken, ist aber als solcher deutlich von einem wissenschaftlichen Terminus abzugrenzen. Es gibt diverse Forschungszweige, die sich der Kultur widmen und sie zu definieren suchen, wie etwa
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die Kulturwissenschaften, die Kulturgeschichtsforschung oder die soziologische Kulturtheorie.61 Beides – das alltagssprachliche Verständnis von Kultur genauso wie die Vielzahl der mit Kultur befassten wissenschaftlichen Disziplinen und ihre jeweiligen Begriffsdefinitionen62 – sind Gründe dafür, weshalb es schwerfällt, „Kultur“ zu definieren und jeder Versuch keine abschließende Begriffsbestimmung sein kann und offen bleiben muss.63 Dennoch muss für diese Arbeit eine Arbeitsdefinition vorliegen, die es ermöglicht, sich auf „Kultur“ in den Dimensionen des menschlichen Handelns, der Kommunikation und geschichtlichen Konstruktion zu berufen. Jede Theoriebildungstradition, die sich mit Kultur beschäftigte, lenkt ihren Blick auf bestimmte Aspekte des sozialen Miteinanders und der dahinterstehenden kulturellen Rahmung und vernachlässigt andere. Ohne Zweifel gibt es unzählige Möglichkeiten, Geschichte aus 61 Die Kulturgeschichtsforschung entsprang in Abgrenzung zu Politikgeschichte aus der Vorstellung von einem Aussagewert des kulturellen Ausdrucks über die Gesamtheit einer Gesellschaft in einem engeren Sinn bereits im 18. Jahrhundert. Weiterentwicklungen waren die Kulturphilosophie und die Kultursoziologie Anfang des 20. Jahrhunderts. Durch den cultural turn bekam die Beschäftigung mit Kultur eine noch größere Brisanz und in den 1980er Jahren entwickelte sich eine Neue Kulturgeschichte, die sich erneut vom politischen und auch wirtschaftlichen Paradigma der Geschichtswissenschaft abgrenzte und alle historischen Untersuchungsgegenstände durch eine kulturelle Perspektive betrachtet. Sie widmet sich der Konstruktion von Sinn und Bedeutung in der Vergangenheit und nimmt damit auch den linguistic turn auf, der auf die Bedeutung von Zeichen, Sprache und Symbolen wie Ritualen hinwies. Sie stellt somit die Eindeutigkeit von Sprache und Text infrage, wodurch Bilder und andere Gegenstände an Bedeutung gewinnen (pictural turn / iconic turn). Zusammenfassend über die Entwicklungen der Kulturgeschichte vgl. bspw. Landwehr, Achim: Kulturgeschichte, Stuttgart 2009, S. 7–20. Die Kultursoziologie dagegen beschäftigt sich theoretisch und auch empirisch auf Grundlage ihrer bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreichenden Theorien mit Kulturen als Untersuchungsgegenstand. Vgl. bspw. Junge, Matthias: Kultursoziologie. Eine Einführung in die Theorien, Konstanz 2009, S. 23–35, 115–116. Während die Kulturtheorie als eine Perspektive der Disziplin Soziologie verstanden wird, siedelt sich die Kulturgeschichte als eine Art verbindende Perspektive der Geschichtswissenschaft in der Forschungslandschaft an. Die Kulturwissenschaften dagegen versuchen als eine Art „Überdiziplin“, den gemeinsamen Untersuchungsgegenständen der wissenschaftlichen Disziplinen eine Methoden- und Begriffsoffenheit produktiv zu nutzen und dadurch der Produktion und Bedeutung von kulturellen Phänomenen näher zu kommen. Vgl. bspw. Joachimsthaler, Jürgen (Hrsg.): Kulturwissenschaft(en). Konzepte verschiedener Disziplinen, München 2010. Daraus v. a.: Joachimsthaler, Jürgen / Kotte, Eugen: Kulturwissenschaft(en): Konzept verschiedener Disziplinen. Zur Einführung, in: Joachimsthaler, Jürgen (Hrsg.): Kulturwissenschaft(en). Konzepte verschiedener Disziplinen, München 2010, S. 9–19. 62 Die klassischen Soziologen und Philosophen mit Vertretern wie Max Weber, Georg Simmel, Emile Durkheim und Wilhelm Dilthey bezogen die Grundlagen ihrer Theorien noch aus dem deutschen Idealismus, unter anderem aus den Werken Immanuel Kants und Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Seit den 1960er Jahren erweiterte sich nach kurzzeitiger Stille die Methodenlandschaft in der empirischen Sozialwissenschaft und die moderne Kulturwissenschaft entstand in deutlicher Abgrenzung zur klassischen Kultursoziologie. Dabei beschäftigten sich die Kritische Soziologie und ihre Vertreter wie Theodor Adorno, Max Horkheimer, Pierre Bourdieu oder Norbert Elias am intensivsten theoretisch mit dem Konstrukt der „Kultur“ und der Entstehung dieser Etikettierung zur Benennung spezieller Formen sozialen Handelns. Andreas Reckwitz gibt dahingehend einen Einblick und liefert gleichzeitig eine Ordnung der bedeutendsten Kulturtheorien. Vgl. Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2000. 63 In dieser Weise argumentiert Maase in Bezug auf Populärkultur: Das Alltagsverständnis von Populärkultur beeinflusse auch ihre wissenschaftliche Betrachtung, vgl. Maase, Populärkulturforschung.
Theorie und Methode
der Gegenwart heraus zu verstehen, bleibt dies doch jederzeit eine Konstruktion und damit der Versuch einer Systematisierung, eine Greifbarmachung von unsystematischen, subjektiv verschieden wahrnehmbaren Lebensrealitäten. Im Folgenden sollen auf Grundlage der Wirtschaftswissenschaftler Hans Nutzinger und Stephan Panther, des Soziologen und Systemtheoretikers Dirk Baecker und des Soziologen Pierre Bourdieu Überlegungen zur Kultur angestellt werden, die für die Untersuchung leitend sein werden. Nutzinger und Panther stellen ihrem Aufsatz „Homo oeconomicus vs. homo culturalis: Kultur als Herausforderung der Ökonomik“ eine sehr basale Definition von „Kultur“ voran: „Kultur wird verkörpert in menschlichem Verhalten (Gesten, Höflichkeitsformen, Essriten, Ritualen, Arbeitsabläufen, Organisationsformen …) und vergegenständlicht sich in Artefakten (Büchern, Gemälden, Kleidung, Gebäuden, Maschinen …).“64 Diese Definition lässt eine für die vorliegende Arbeit wesentliche Anbindung an die gesamtgesellschaftlichen Strukturen missen. Weder die Entstehung der „Kultur“, noch die nebeneinander bestehenden „Kulturen“ oder ihre sozialen Implikationen und Funktionen können mit Nutzinger und Panther erklärt werden. Dies aber ist elementar für das Entstehen eines „bündischen Kulturmarktes“. Dennoch stecken in Nutzingers und Panthers Definition zwei wesentliche Elemente, die den Kulturbegriff plastischer machen: Die Rückbindung der Kultur an den Menschen und der Bezug auf menschliches Verhalten und die durch ihn produzierten Gegenstände. Diese Anbindung an die Ökonomik und an die Personen soll hier ebenfalls Ziel sein. Es zeigt sich also: Kulturelle Gegenstände sind unmittelbar mit dem menschlichen Handeln und damit mit dem Menschen an sich verbunden – ohne den Menschen also keine Kultur – und es kann eine Unterscheidung zwischen kulturellen Praktiken und kulturellen Gegenständen festgehalten werden, was im Kontext der bündischen Jugend auf ihre Liederabende oder Grenzlandfahrten (Praktiken) und ihre Liederbücher, Periodika, Instrumente oder Wandersandalen (Gegenstände) angewendet werden kann. Weiterführend im Kontext des „Kulturmarktes“ und der übergeordneten Strukturen, die die Definition von Nutzinger und Panther entbehren, sind die Überlegungen Pierre Bourdieus, der in der kapitalistisch organisierten Gesellschaft die Möglichkeit sieht, Kultur und Kunst als etwas Selbstzweckmäßiges und gleichzeitig ökonomisch Wertvolles zu begreifen, ihnen also sowohl über den Eigen- als auch ökonomischen Wert Bedeutung zuzuweisen. Mit seiner Theorie verschiedener Kapitalsorten (sozial, ökonomisch, kulturell, symbolisch) kann eine unmittelbare, schon durch die verwendete Semantik eingeschriebene, Verbindung zwischen Markt und Kultur ausgemacht werden. Ökonomisches Kapital zeigt sich klassisch in Vermögen und Besitz. Kultu-
64 Nutzinger, Hans G. / Panther, Stephan: Homo oeconomicus vs. homo culturalis: Kultur als Herausforderung der Ökonomik, in: Blümle, Gerold (Hrsg.): Perspektiven einer kulturellen Ökonomik, Münster 2004, S. 287–309, hier: S. 289.
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Einleitung
relles Kapital kann inkorporiert in Bildung bestehen, objektiviert beispielsweise in Gemälden oder Instrumenten für deren Wertschöpfung das Wissen zur Handhabung notwendig ist (Klavier-Spielen) oder institutionalisiert in akademischen Titeln auftreten. Soziales Kapital entsteht durch die Zuschreibung einer bestimmten Position innerhalb einer Gruppe und wird durch Netzwerkarbeit ebenfalls inkorporiert. Symbolisches Kapital sei diesen drei übergeordnet und vereine sie zu Prestige beziehungsweise Anerkennung. Die klassische Wirtschaftswissenschaft vernachlässige bisher die Möglichkeit anderer Kapitalsorten abseits des ökonomischen Kapitals, dabei seien gerade kulturelles und soziales Kapital für die Strukturierung der Gesellschaft von besonderer Bedeutung, vor allem da beides allein vom Träger „besessen“ werden könne und abweichend vom ökonomischen Kapital so gut wie nicht übertragbar und damit inkorporiert sei, so Bourdieu.65 Um das Gesagte an einem Beispiel des Untersuchungsgegenstandes zu verdeutlichen: Auch Bourdieu bekräftigt die Rolle der Kritik im Kultur- und Kunstbetrieb. Er weist jedoch darauf hin, dass das Gewicht jeder Kritik von der relativen Position des Kritikers im jeweiligen Feld abhänge, genauso wie von der sozialen Definition der objektiven Position und damit von seinem sozialen Kapital.66 Es hat also einen Einfluss auf die Gewichtung der Meinung eines Verlegers über ein Werk eines Autors, ob dieser Verleger einem alteingesessenen und etablierten Haus vorsteht oder ob er in anderer Weise sein Wissen und sein Eingeweiht-Sein erkennbar macht, ob er eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler im Unterschied zu einem Autodidakt vorzuweisen oder ob er institutionalisiertes kulturelles Kapital erworben hat. Denn, so merkt Bourdieu ebenfalls an, auch die „Eigenschaft Schriftsteller, Künstler oder Wissenschaftler [sei schwer zu definieren, F. M.], weil sie nur in der und durch die Kommunikation existiert, durch die Zirkelbeziehung der wechselseitigen Anerkennung unter Peers.“67 Die soziale Fügung einer Bezugsgruppe – so lose diese Bezüge in der bündischen Jugend auch sein mögen – ist für die Wertung eines Urteils und auch den Wert der Produkte von immenser Bedeutung. Mit dieser Betrachtungsweise formuliert Bourdieu die Verbindung zwischen der Soziologie der Erkenntnis und der Soziologie der Macht, die das „Ordnung-Stiften“ beziehungsweise die „Aufrechterhaltung der Ordnung“ beschreiben. Beides jedoch habe eine soziale Funktion, die einer Gruppe die Richtigkeit ihrer Lebensführung durch die Verwendung derselben Symbole beziehungsweise derselben Kommunikation über dieselben Werte und Normen versichert.68 Damit sind Markt und Kultur
Vgl. Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198. 66 Vgl. Bourdieu, Pierre / Schultheis, Franz / Beister, Hella (Hrsg.): Schriften – Band 12.1: Kunst und Kultur. Zur Ökonomie symbolischer Güter. Schriften zur Kultursoziologie 4, Konstanz 2011, S. 30–33. 67 Ebd., S. 24. 68 Vgl. ebd., S. 7–14. 65
Theorie und Methode
immer auch durch die handelnden Individuen und die sie umgebende Welt, durch handlungsleitendes knowing-how-Wissen69 erklärbar. Dieses knowing-how-Wissen bezeichnet inkorporiertes, handlungsleitendes Wissen, welches kein semantisches Wissen darstellt, wie beispielsweise Regeln oder Dispositionen. Angewendet auf „den Markt“ oder „die Kultur“, kann also davon gesprochen werden, dass das Wissen einer Akteurin oder eines Akteurs um die Struktur und Regeln des Marktes oder den formalen und informalen Prämissen einer Kultur sein Handeln beeinflusst und dieses Handeln wiederum die Bedingungen des Marktes beziehungsweise der Kultur reproduziert oder ändert. Allerdings macht dieser Ansatz das Soziale schwer fassbar, da es jederzeit allein durch das Regelwissen der Akteurinnen und Akteure bestimmt ist und damit zwischen einzelner Handlung und übergeordneter Struktur schwankt. Einerseits ist es für die vorliegende Untersuchung notwendig, „Kultur“ – wie bisher gezeigt – immer auch als etwas Subjektives, der einzelnen Akteurin beziehungsweise dem einzelnen Akteur Anhaftendes, zu verstehen, das ausgehend von der Mikro-Perspektive sozialen Handelns die kultivierte Akteurin oder den kultivierten Akteur in den Blick nimmt. Andererseits dürfen auch gesamtgesellschaftliche Strukturen nicht vernachlässigt werden. Denn die „Kultur“ als gesellschaftsformendes Phänomen muss zugleich in den Blick genommen werden und kann dadurch sowohl durch die Systemtheorie als auch durch die Neue Institutionenökonomik (Kapitel 1.4.2) in die Untersuchung einfließen. So fundiert werden individualzentrierter Einfluss auf den Fortgang von Geschichte relativiert und „soziale Systeme“ und die hiermit verbundenen „Institutionen“ als stark normativ geformte Regeln treten deutlich hervor. Verfolgt man die Entwicklung kultureller Erscheinungen durch den Wandel der Zeit, so zeigt sich, wie sich ihre Bedeutungen verschoben und erweitert haben. Der Soziologe und System-/Differenztheoretiker Dirk Baecker macht eine Unterscheidung dreier Kulturverständnisse auf und betitelt diese mit „antikes“, „modernes“ und „postmodernes Kulturverständnis“. Von Interesse ist für die folgende Untersuchung die Unterscheidung der „modernen“ sowohl von der „antiken“ als auch „postmodernen“ Kultur, weil sich der Untersuchungsgegenstand in einem Zeitraum ansiedeln lässt, der sich als „Moderne“ bezeichnen lässt.70 Nach Baecker ist es die Eigenart der modernen
69 Diesen Begriff wendet Reckwitz in Anschluss an Gilbert Ryle auf die Wissensstrukturen an, die er bei Bourdieu beobachtet. Er macht den Unterschied zum knowing what-Wissen stark, der auch als semantisches Wissen im Sinne von Wissen über Bedeutung und Verwendung von Begriffen und Sätzen fungiert. Dagegen ist knowing how ein Regelwissen, das in großem Maße das soziale Miteinander und die sozialen Handlungen einzelner Akteure bestimmt. Vgl. Reckwitz, Andreas: Kulturtheorie, Systemtheorie und das sozialtheoretische Muster der Innen-Außen-Differenz, in: Zeitschrift für Soziologie Jg. 26 (1997), Heft 5, Stuttgart 1997, S. 317–336, hier: S. 332. 70 Als historische Begriffe fanden „modern“, „Modernität“ und „Moderne“ Eingang in die „Geschichtlichen Grundbegriffe“, vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich: Artikel „Modern“, „Moderne“, „Modernität“, in: Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 4, Stuttgart 1978, S. 93–131. In der Soziologie ist
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Einleitung
Kultur, dass sie keinen Genitiv mehr hat: Zuvor, in einem antiken Kulturverständnis, bedeutete Kultur die Pflege von etwas oder jemandem („cultura agri“ – die Pflege des Bodens, „cultura animi“ – die Pflege des Geistes) mit Kulturtechniken wie Schreiben, Rechnen oder Ackerbau betreiben. Im modernen Verständnis sei die Kultur ein eigenständiger Begriff und müsse sich nicht mehr auf etwas beziehen. Stattdessen sei in der Moderne das Vergleichen als bedeutende Kulturtechnik entstanden, auch und vor allem durch die Verbreitung von Beschreibungen von Menschen aus anderen Regionen und anderen Zeiten inklusive ihrer Lebenswelten und Alltagspraktiken – ausgehend vom Buchdruck. Seit dieser Zeit, so Baecker, sei Vergleichen en vogue gewesen: Die Vergleiche ließen die eigene Lebensrealität als lediglich eine neben vielen möglichen erscheinen, Intellektuelle seien die „Kulturarbeiter“ dieser Kulturtechnik und riefen Irritationen durch die von ihnen produzierten Kontingenzen hervor. Speziell die Wissenschaften bekamen in der Moderne Auftrieb, um Vergleiche anzustellen und dadurch Erkenntnisinteressen, ob in der Naturwissenschaft oder in anderen Disziplinen, zu befriedigen.71 Zu welcher Zeit genau sich nun die Wende hin zur „postmodernen Kultur“ ausmachen lässt, bleibt bei Baecker unklar. Was Baecker jedoch zu den Eigenheiten einer „postmodernen Kultur“ sagt, legt nahe, dass sich der von ihm definierte Wandel über einen langen Zeitraum vollzieht und auch heute nicht vollends abgeschlossen ist. Er rekurriert auf die „Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor Adorno (194472), in welcher er bereits einen Teil der Analyse der „postmodernen Kultur“ findet: Sie bestehe im omnipräsenten Zweifel wider sich selbst, da sie selbst unter dem Gesetz der „Kulturindustrie“ jederzeit Redundanzen und Selbstähnlichkeiten in sich entdecke und sich damit nicht sicher sein könne, ob sie sich nicht in einem Zirkelschluss befinde. Dieser Zweifel unter anderem an den kommunikativen Codes münde in der Dekonstruktion von Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsglaube.73 Adornos und Horkheimers Beschreibung der „Kulturindustrie“ geht bereits zeitlich über die Sachverhalte des hier gesetzten Untersuchungsgegenstandes, der bündischen Jugend und der Jugendmusikbewegung, hinaus. Schon in der „Dialektik der Aufklärung“ kritisieren Horkheimer und Adorno die „Kulturindustrie“ als „Aufklärung als Massenbetrug“. Sie sprechen dabei deutlich aus der Zeit heraus, die sie unmittelbar erlebten. 1944, als die Texte entstanden, hatten sie bereits die Nutzung der modernen Rundfunktechnik und der darin verbreiteten Musik als gemeinschaftsförderndes und
die Literatur zu Moderne, zu ihren Charakteristika und Distinktionsmerkmalen vor allem in Auseinandersetzung mit der Spätmoderne und der Postmoderne weit ausdifferenziert, daher sei an dieser Stelle nur auf ein jüngeres Werk hingewiesen, aus dem dieser Diskurs hervorgeht: Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, 6. Auflage, Berlin 2018; Zu Begriff und zeitlicher Eingrenzung von „Moderne“ siehe v. a. S. 27–46, 92–110. 71 Vgl. Baecker, Dirk: Wozu Kultur? Berlin 2012, S. 64–70. 72 Vgl. hierzu auch FN 58 dieser Arbeit. 73 Vgl. Baecker, Wozu Kultur?, S. 70–76.
Theorie und Methode
als faschistoides Werkzeug erlebt.74 Vor allem Adornos Urteil über die Musik und ihre Vermarktung sowie über die Jugendmusikbewegung mitsamt ihrem Anspruch an eine Gemeinschaft, ihren musikalisch teils nicht besonders herausragenden Kompositionen und über die Position viele ihrer Akteure in der Hitlerjugend fällt deutlich negativ aus. Der Vorwurf, die Weimarer Kulturindustrie und auch die Jugendmusikbewegung hätten immens den Nationalsozialismus, Gleichschaltung und Propaganda vorbereitet, ist eine nachvollziehbare, jedoch nicht die einzig mögliche Kausalkette.75 Die Industrialisierung der Kultur beziehungsweise die Kulturalisierung der Industrie waren erst in ihren Anfängen begriffen – bereit durch die prosperierende Kulturwirtschaft trotz Wirtschaftskrisen die Massenproduktion von Kulturgütern in Gang zu setzen und mit ihr den Wertverfall des autonomen Künstlerischen voranzutreiben. An diesen Überlegungen Baeckers lässt sich spiegeln, wie die kulturellen Erscheinungen und ihre Interaktionen des beginnenden 20. Jahrhunderts zu bewerten sind. Geht man nun für die folgenden Überlegungen von einem historischen Kulturbegriff aus, von einem „modernen“, wie ihn Baecker nennt, dann lässt sich festhalten, dass sich die Kulturschaffenden jederzeit über Kontingenzerfahrungen – das Erleben unendlicher Möglichkeiten – bewusst waren und ihre „Kultur“ vergleichend neben andere stellten. Bereits in dieser Formulierung von „Kultur“ zeigt sich die Variabilität und die jederzeitige Veränderbarkeit der Kultur als lebensweltliche Erfahrung, die jedoch in dem Paradox gipfelt, dass bestimmte Kulturen und ihre Ausdrucksformen ausgestaltet wurden. Das führt zur Gleichzeitigkeit von einer konkreten materiellen Form – eine feste Kopplung von Elementen im Medium – und einer unkonkreten abstrakten Idee beziehungsweise einem Medium,76 folgt man den Begrifflichkeiten Niklas Luhmanns, auf welche Dirk Baecker seine Theorie aufbaut.77 Dass „Kultur“ ein historisches Phänomen ist und immer aus der konkreten historischen Situation herausgelesen und verstanden werden muss, ist Grundannahme Luh74 Vgl. Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug, in: Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 127–176; Dies führte auch zu der leidenschaftlich geführten Debatte über E- und U-Musik und der Popularität von Kunst und Kultur (Populärkultur/Popkultur/Popularkultur versus Hochkultur/Leitkultur, etc.), vgl. Maase, Populärkulturforschung, S. 23–41. 75 Die Debatte, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Jugendmusikbewegung, ihren Zielen und ihrem Erbe entspann, ist in dem als Antwort auf Aussagen von Protagonisten der Jugendmusikbewegung zu verstehendem Artikel „Kritik des Musikanten“ nachgezeichnet. Vgl. Adorno, Theodor W.: Die Kritik des Musikanten, in: Adorno, Theodor W.: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, 7. Auflage, Göttingen 1991, S. 62–101. Johannes Hodek untersucht die Debatte um Adornos Kritik an der Jugendmusikbewegung in seiner 1977 veröffentlichten Dissertation, vgl. Hodek, Johannes: Musikalisch-pädagogische Bewegung zwischen Demokratie und Faschismus. Zur Konkretisierung der Faschismus-Kritik Theodor W. Adornos, Weinheim/Basel 1977. 76 Medium bezeichnet zeitgleich jede mögliche Form und existiert nur als Konstrukt zur Erklärung verschiedener real existierender Formen wie etwa verschiedener Moralvorstellungen, verschiedener Sprachen, etc. 77 Wie viele Luhmann-Schüler reintegriert auch Baecker die Kultur als einen der zentralen Begriffe der Soziologie und versucht damit die „Fehlstelle“ in Luhmanns Theorie zu füllen.
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manns. Luhmann selbst nutzt den Begriff der „Kultur“ nur sehr sparsam, was an seiner kritischen Distanz zu ihm und einem umfassenden Verständnis von „Kultur“ liegt.78 Einen einzigen Aufsatz in seinem umfangreichen Werk widmet Luhmann der „Kultur als historische[n] Begriff “.79 Grundsätzlich gelten auch hier Luhmanns systemtheoretische Annahmen: Er differenziert in psychische, biologische und soziale Systeme, wovon vornehmlich letztere für die systemtheoretische Beobachtung infrage kommen, wenn sie sich auf soziale Systeme bezieht.80 Bei sozialen Systemen unterscheidet Luhmann zwischen drei Typen: Interaktionen, Organisationen und Gesellschaften.81 Innerhalb des Gesellschaftssystems gebe es eine funktionale Differenzierung. Beispiele dafür sind die Systeme Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst, Religion, intime Beziehungen, Erziehung, Recht, Familie, Massenmedien und weitere. Sie sind jeweils Teilsysteme des Gesellschaftssystems. Jedes System strebt den Selbsterhalt an, indem es sich autopoietisch nur aus seinen Elementen reproduziert und damit operativ von der (System-)Umwelt – also auch von anderen sozialen Systemen – abgrenzt. Das Verhältnis der Systeme untereinander wird über Erwartungen strukturiert, die die Art und Weise, wie die Systeme einander beobachten, dirigiert. Die Operationen sozialer Systeme und so auch das Gesellschaftssystem als Gesamtheit aller sozialer Systeme sind ausschließlich Kommunikationen. Die gesellschaftlichen Teilsysteme bilden sich zudem durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (Wissen, Macht, Geld, et cetera), die die Annahmebereitschaft von Kommunikationszumutungen wahrscheinlicher machen. Zur Autopoiesis braucht jedes System zudem ein Gedächtnis und nutzt Kommunikation zum Speichern und vor allem zum Vergessen von Informationen. Für sämtliche Systemoperationen gilt mithin, dass sie auf Grundlage des selbstreferenziellen Selbstbezugs und der damit verbundenen drastischen Reduktion von Umweltkomplexität für den Eigengebrauch relevante Informationen ausbilden, um ihre Komplexität zu steigern. Dabei bleibt die Umwelt aber immer überkomplex, unerreichbar und schlicht alles andere jenseits des Systems. Für die Verarbeitung kommunikativen Sinns reduzieren (soziale) Systeme also den Möglichkeitshorizont weitgehend, um sich ohne operativen Kontakt zur Umwelt selbst erhalten zu können und 78 Vgl. Colli, Christian: Mit der Kultur gegen die Kultur. Chancen und Grenzen des Kulturbegriffs bei Niklas Luhmann, Duisburg 2004. 79 Luhmann, Niklas: Kultur als historischer Begriff, in: Luhmann, Niklas (Hrsg.): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995, S. 31–54. 80 Das psychische System als kognitive Operation des Bewusstseins ist weniger Gegenstand der Luhmannschen System-/Differenztheorie. Aber insbesondere wird das biologische System, der Körper, von der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen. Vgl. Schuldt, Christian: Systemtheorie. Theorie für die vernetzte Gesellschaft, Hamburg 2017, S. 10. 81 Interaktionssysteme konstituieren sich über die Anwesenheit psychischer Systeme, also Personen. Organisationssysteme entstehen über Mitgliedschaften und kommunizieren über formales Entscheiden. Sowohl Interaktionen als auch Organisationen gehen aus der Gesellschaft als die Summe aller Kommunikation hervor. Aber die Gesellschaft ist als umfassendes System mehr als die Gesamtheit der Interaktionen und Organisationen. Vgl. ebd., S. 23–25.
Theorie und Methode
um in äußerst begrenztem Maße Möglichkeiten hervorzubringen, die dann systemisch anleitend wirken.82 Hieran schließen sich Luhmanns Überlegungen an, der „Kultur“ die Funktion des Gedächtnisses sozialer Systeme (vor allem des Gesellschaftssystems) zuzuweisen.83 Dabei gilt jedoch, dass „der Begriff ‚Kultur‘ […] sich selbst und alles, was unter ihn fällt, als kontingent [beobachtet]. Je mehr Reflexion Notwendiges sucht (zum Beispiel unbedingt geltende Werte), desto mehr erzeugt sie im Effekt Kontingenz (zum Beispiel ‚Werteabwägungen‘).“84 Das, was erinnert wird, woran sich ein System immer neu erschafft, ist zunächst vollkommen willkürlich und in unendlich anderen Formen möglich. Dennoch besteht ein System und so auch sein Gedächtnis als etwas gegenwartsgebundenes Reales, was erneut ein Paradoxon erzeugt, denn „alle Ansprüche auf Authentizität ziehen sich ins Inkommunikable zurück oder werden als Marotte bestimmter Personen oder Gruppen, Ethnien oder Sekten behandelt.“85 Mit diesen Ausführungen dekonstruiert Luhmann jeden Begriff von Identität, Authentizität, Echtheit und Originalität im Sinne von Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit.86 Gesteht man dem Untersuchungsgegenstand, den jugendbewegten (Musik-)Verlagen, beziehungsweise der bündischen Jugend allgemein den Status eines eigenen sozialen Systems zu, kann neben Sprache, Schrift, Handlungen und Ritualen auch Musik als Kommunikationsmedium gelten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Publikationstätigkeit, die Briefwechsel und die sonstige weitreichende Kommunikation der bündischen Jugend und der Jugendmusikbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts als die schriftliche Fixierung des Vergleichs mit anderen (Teil-)Gesellschaften beziehungsweise anderen sozialen Systemen (z. B. ein Jugendbund, die deutsche Nation, u. a.). Die jugendbewegte und bündische Publikationstätigkeit kann als Wissensspeicher/Gedächtnis und damit als Aufrechterhaltung des sozialen Systems (Autopoiesis) betrachtet werden. Und nicht nur das: Vergleiche wurden hier auch zur Selbstvergewisserung über die eigene (Gruppen-)Identität und die Selbstbehauptung trotz Konvergenzerfahrung angestellt und kommuniziert. Ihre alltägliche Kommunikation umfasste Sprache, Schrift, Musik, Handlung – privat, für Zeitschriften, bundesintern, für Buchpublikationen; bi- oder multilateral; immer gerichtet und mit Intention, teils als Mischform in ritualisierten Handlungen, das Wandern an sich, der Feuerkreis inklusive des Kanons an speziellem Liedgut. Kultur bedeutet also sowohl das Übergreifende eines Gedächtnisses eines sozialen Systems und gleichzeitig die von Individuen aus-
82 Christian Schuldt gibt eine von vielen, dafür eine sehr eingängige, Einführung in die Systemtheorie, vgl. ebd. 83 Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 47–51. 84 Ebd., S. 48. 85 Ebd., S. 51. 86 Vgl. ebd., S. 50.
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gehende und zur Formation und Bestätigung ihrer Identität genutzte Kommunikation (unter anderem Handlungen oder Schriftgut). Luhmann betont in „Kultur als historischer Begriff “ die Zeitgebundenheit jeder Kultur: Zum einen durch die Annahme der „Kultur“ als Beobachtung von Beobachtern/ Beobachtungen, was immer nur eine Momentaufnahme bedeutet (= Beobachtungen 2. Ordnung) und damit zum anderen durch das Fragen nach dem „Wie wird beobachtet?“, nicht mehr nur nach dem „Was wird beobachtet?“ des Beobachtens.87 Diese Sicht beinhaltet erneut das Vergleichen, das Baecker stark macht und auch Luhmann beschreibt es zum einen als ein hierarchiefreies Vergleichen ähnlicher Vorkommnisse. Zum anderen zeigt er den Vergleich der Kultur mit sich selbst in der Vergangenheit auf, den Abgleich mit ihrer Selbstähnlichkeit oder der Unterschiedlichkeit durch die Divergenz von Vergangenheit und Zukunft. Gegenwärtig werden die Erfahrungen aus der Vergangenheit genauso geprägt wie die Erwartungen an gegenwärtige Zukünfte, die allerdings die immer ungewisse künftige Gegenwart nicht kennen können. Für diese Operation – das Vergleichen – aber ist ein Gedächtnis vonnöten, durch welches Inhalte gespeichert werden und auf das zugegriffen werden kann. Das geschieht mittels Kommunikation, also einem geteilten Zeichensystem, das sich in Schrift ausformen kann, aber eben auch übergeordnet „in Kultur“ und damit in Handlungen, Ritualen, gelebten Werten et cetera. Der Vergleich zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Systems, dem Guten und dem Schlechten, dem Pro und dem Contra, dem „So-Sein“ und dem „Nicht-soSein“ – die Binarität also, die in jedem Gegenstand durch die Kontingenz der Dinge enthalten ist, wird durch die „Kultur“ mit einem dritten Wert – dem unbestimmten Dritten zwischen Entweder-Oder, dem „Nicht-so-aber-anders-Sein“ – ergänzt. Hier aber hat die Kultur selbst ihren blinden Fleck – sie begibt sich in eine neue Binarität, die zwischen Binarität und Tri- oder Multiarität. Kultur öffnet also als Perspektive den Blick auf die Binaritäten und geht gleichzeitig darüber hinaus. Baecker formuliert diesen Zweifel der „Kultur“ gegenüber sich selbst noch drastischer und bezeichnet die Kultur als „Form gewordenes Mißtrauen [sic!]“88. Man könne daher auch sagen, „daß wir nur dem Mißtrauen [sic!] vertrauen und daher eine Kulturtheorie nur in der Form der Kulturkritik akzeptieren.“89 Worin aber zeigt sich Kultur? Baecker macht sowohl Kunst als auch Moral als die zwei stärksten Kräfte aus, für die Kultur eine Rolle spiele. Ihnen nachgelagert seien auch Religion, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung und Familie von Belang. Moral (Medium) zeige sich dabei in Werten (Form), Kunst (Medium) dagegen in
87 Ebd., S. 32. Und durch das Beobachten der Beobachtung von Kultur wird die Analyse auf die Ebene der Beobachtung 3. Ordnung gehoben. Vgl. Colli, Mit der Kultur gegen die Kultur, S. 14. 88 Baecker, Wozu Kultur?, S. 186. 89 Ebd.
Theorie und Methode
Werken (Form). Was aber wenn sich nun Kunst und Moral als eine aus derselben Kultur entstandenen Form miteinander verbünden? Baecker schreibt gerade diesen beiden, Kunst und Moral, eine inhärente Distanz zu. Diese entstehe dadurch, dass wir die Reinheit der Kunst in Zweifel zögen, wenn wir es mit einem moralisierenden Kunstwerk zu tun hätten und das Gefühl vermittelt bekämen, dass die Kunst der Moral einen Dienst leistet und sie damit ihre Unabhängigkeit verliert. Baecker beschreibt es als Sonderfall, dem er wenig Beachtung schenkt, doch wird es für dieses Forschungsvorhaben von besonderem Belang sein, diese „Sonderfälle“ zwischen Kunst, Moral und Kultur zu beleuchten.90 Ohne eine dauerhafte Beobachtung der Kunst durch die Moral und der Moral durch die Kunst wäre die moderne Kultur nicht was sie ist – voller Zweifel wider sich selbst.91 Moral sucht den Streit und formt sich zu bestimmten Werten, Kunst sucht die Form und formt sich zu bestimmten Werken, während beide jeweils ihr Gegenteil mit abbilden, den Gegenwert und das Ungeformte.92 Daneben bestehen weitere Vergleiche in Religion, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik oder Erziehung, die jedoch jeweils wieder durch Moral und Kunst beurteilt werden. Der stetige Vergleich und der damit einhergehende Zweifel wider sich selbst formen immer neue Kultur, Moral, Kunst et cetera, weswegen Kultur etwas immanent Unfestgelegtes ist, auch wenn die allgemeine Vorstellung von Kultur eine statische ist. Nicht umsonst beobachten Zeitgenossen, unabhängig von ihrer Epoche, Kultur als etwas Bestimmtes, Althergebrachtes und Tradiertes, das es nicht zu ändern gilt. Dieses Paradoxon zeigt sich in der Gleichzeitigkeit von Form und Medium genauso wie in der Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Zukunft in einem flüchtigen gegenwärtigen Moment. In der bündischen Jugend wurden, so legt beispielsweise Ahrens in seinen Forschungen dar, gemeinsame Werte geteilt. Dabei darf nicht der Fehler begangen werden, die bündische Kultur mit bündischen Werten gleichzusetzen. Werte und Ideen waren innerhalb des sozialen Systems der Bündischen streitbar und es gab durchaus verschiedene Ansichten, trotz großer Übereinstimmungen.93 Dennoch: Ahrens und auch weitere proklamieren im Gegensatz zur wilhelminischen Zeit ein verändertes Verständnis von Begriffen wie beispielsweise „Volk“, „Nation“, „Jugend“, „Wehrhaftigkeit“ und „Führertum“ innerhalb der bürgerlichen Jugendbewegung in der Zeit der Weimarer Republik. Damit einher gingen die Wertigkeit von Aufopferung, Heldenverehrung in Bezug auf die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, die damit verbundene
90 Die Verbindung von Kunst und Politik beschreibt beispielsweise Walter Benjamin und fasst es mit den Worten zusammen: „So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“ Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Benjamin, Illuminationen, S. 136–169, hier: S. 169. 91 Baecker, Wozu Kultur?, S. 190. 92 Ebd., S. 182–183. 93 Vgl. die Ausführungen hierzu weiter oben, Kapitel 1.
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Gemeinwohlorientierung und Unterordnung des eigenen Lebens unter die Bedürfnisse des deutschen Volkes.94 Um diese Begriffe in einen weiteren Kontext zu stellen, ihrer Bedeutung in der Produktion von Wissen und Wahrheiten näherzukommen und die Wirkmacht der dahinterstehenden zeitgenössischen Diskurse innerhalb dieses sozialen Systems zu verdeutlichen, wird das Quellenmaterial auch daraufhin untersucht. Hierdurch kann beispielsweise verschiedenen Publikationen zu „Auslandsdeutschtum“ und „deutschen Grenzlanden“ unterschiedliche Wirksamkeit attestiert werden und damit die Nutzung kommunikativer Mittel wie dem Lied – aber auch Praktiken wie Liederabenden während sogenannter „Grenzlandfahrten“ – durch die Akteure der Jugend(musik)bewegung bewertet werden.95 Hiermit befinden wir uns mitten in den „Sonderfällen“ (Verbindungen zwischen Kunst, Moral und Kultur), die Baecker lieber unbeachtet lassen möchte. Vor diesem Hintergrund werden in den folgenden Kapiteln die sich als „Kultur“ ausformenden Praktiken und Gegenstände (Publikationen, Wanderbedarf u. ä.) der bündischen Jugend betrachtet. Als „bündische Kultur“ wird in der oben beschriebenen Divergenz von Vergangenheit und Zukunft verstanden, dass sie sich in Volksliedern, -melodien, und -märchen als Althergebrachtes reproduzierte, indem sie alte Instrumente als erinnerungs- und nachahmungswürdig nutzte und auf alte Werte verwiesen wurde, um damit eine zukunftsorientierte, neue Identität zu stiften. Auf den Untersuchungsgegenstand zurückbezogen, bedeutet das, die Träger der bündischen Kultur vergleichen beispielsweise explizit deutsche mit Volksmusik anderer Nationalitäten, vergleichen ihre „Gemeinschaftsmusik“ mit jeglicher zeitgenössischer Musik: Diese Vergleiche hatten das Ziel, die eigene Art des Musizierens sowie die eigenen Musikstücke aufzuwerten, während alles Weitere als minderwertig dargestellt wurde. Hierin findet sich die notwendige Reflexion als Selbstbehauptung durch Vergleich. Zudem referiert die bündische Kultur insofern auf eine Zukunft – auch wenn sie in höchstem Grade gegenwarts- und damit erlebnisbezogen ist – als dass das Ziel, durch ihre sie konstituierenden Praktiken eine bessere, explizit deutsche Zukunft zu errichten, durch die gelebte Kultur erreicht werden soll. Der vorherrschende kulturelle Ausdruck des beginnenden 20. Jahrhunderts im Umfeld der Jugendbewegung ist das Vergleichen zum Vorherigen und Zukünftigen und zu anderen „Völkern“: Die Jugendmusikbewegung verglich die wahrgenommene Gegenwart mit einer imaginierten, positiveren Vergangenheit, zu der zurückgefunden werden müsse, um in Zukunft die Stärke des „deutschen Volkes“ wiederzufinden. Oder wie es Luhmann selbst formuliert:
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Vgl. Ahrens, Bündische Jugend, S. 62–77. Vgl. Kapitel 3.2, 4.1 und 4.2.
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Mit dem Begriff Kultur wird der Begriff der Nation aufgewertet, ja in seiner modernen Emphase überhaupt erst erzeugt. Und erst von diesem Standort aus erscheint Kultur als etwas, was immer schon gewesen ist, und löst damit die alten ontologisch-kategorialen Weltinvarianten, die für Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen galten, auf – und ab.96
Die Annahme einer „nationalen Identität“ ist dabei ein Paradeexemplar der „modernen Kultur“, wie sie auch Baecker beschreibt. Ähnliche Vergleiche finden sich auch in Bezug auf andere Regionen beziehungsweise Nationen: So spricht Georg Götsch97 beispielsweise vom „gleichgerichteten Ausland“98, womit die nördlich gelegenen Länder wie unter anderem England gemeint waren, oder machte die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Russland besonders in ihrer kulturellen Entwicklung geltend: Man kann das alte russische Bauernlied mit den Hymnen, Leiden und Jubilationen der Zeit des gregorianischen Chorals vor der Reformation in Deutschland vergleichen, auch mit den alten frei rezitierten Minnegesängen und Balladen derselben Zeit […]. Das alte Lied ging vom Worte aus, besser vom Wortleib, von der Sprachweisheit, die im Wortklang, in der Sprachbewegung selbst liegt; das neue Lied wird vom Sinne bewegt, von der Ratio regiert.99
Für die folgenden Untersuchungen wird also definiert, dass die „Kultur“ der Moderne das Vergleichen an sich und das Beobachten von Beobachtungen ist. Sie ist das in Kommunikation erkennbare Gedächtnis eines Systems – im Fall des Systems der bündischen Jugend wird ihre Kultur in ihren ritualisierten Handlungen und in ihrer Kommunikation sichtbar, die in Briefen, Zeitschriften oder Positionspapieren untersucht werden können. Aus diesem Gedächtnis des Systems bündische Jugend leiten sich auch konkrete Formen von Kunst und Moral ab, die ebenfalls in den Hinterlassenschaften der bündischen Jugend erkannt werden können. Gleichzeitig sind die im sozialen System durch Kommunikation verbundenen Personen bedeutend: Die Verleger durch ihr inkorporiertes kulturelles, soziales und symbolisches Kapital, das neben dem ökonomischen für den „bündischen Kulturmarkt“ wesentlich von Bedeutung war. In diesem Licht kann die oben angeführte Definition von Kultur Nutzingers und Panthers eingereiht werden und die „Kultur“ als in menschlichem Verhalten verkörpert und in Artefakten vergegenständlicht angenommen werden.
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Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 41. Zur Person Götschs und seiner Rolle innerhalb der Jugend(musik)bewegung siehe Kapitel 5.2. Vgl. Götsch, Georg: Arbeitsbericht über das Musikheim 1932, AdJb A 228 17.03. Götsch, Georg: Bericht über Russlandreise 1926, AdJb N 62/155.
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1.4.2
„Markt“ – Definition und Form
Auch der „Markt“ ist in der Systemtheorie angelegt. Dirk Baecker beschäftigte sich beispielsweise mit dem Unternehmer als Produkt-, Organisations-, Netzwerk- und Kulturdesigner.100 Wirtschaft fungiert – nach Luhmann – als eigenes System mit dem Code Zahlung/Nicht-Zahlung, das sein eigenes Gedächtnis hat, aus dem es seine Handlungsmöglichkeiten generiert und das sich stets durch Abgleich von Vergangenheit/Zukunft und Außen/Innen neu konstituiert. In diesem System können neue Subsysteme entstehen, die sich erneut ihre eigene „Identität“101 schaffen und dadurch ihre Beständigkeit trotz dauerhafter Veränderlichkeit behaupten. An dieser Stelle ist die Integration anderer theoretischer Ansätze möglich und sinnvoll, da die ökonomischen Disziplinen ihre eigenen Erkenntnisräume für die vorliegende Arbeit mit sich bringen. Die Wirtschaftswissenschaften beobachten das System „Wirtschaft“, sind somit nach Luhmann Beobachter zweiter Ordnung, und referieren zeitgleich auf das System „Wissenschaft“, das über einen anderen Code (wahr/nicht wahr) kommuniziert. Dies entspricht der Abstraktionsebene der Beobachtung der Beobachtung des „Marktes“. Wie aber betrachtet die Wirtschaftswissenschaft den „Markt“ beziehungsweise die „Wirtschaft“? Grundannahme der Disziplin ist der Anschluss der modernen Wirtschaftswissenschaften im 18. Jahrhundert an die RationalChoice-Theorie, die jeder Akteurin und jedem Akteur auf dem Marktplatz als homo oeconomicus und damit als rational im Sinne der Profitorientierung und -maximierung denkenden und entscheidenden Menschen annimmt. Begründungen hierfür finden sich in den Werken bedeutender Wirtschaftstheoretiker von Adam Smith über Friedrich August von Hayek bis Joseph Schumpeter.102 Dass sich die Wirtschaftswissenschaft seit einigen Jahren in einem bedeutenden Wandel und einem intensiven Methodendiskurs befindet, stellte Oliver Schlaudt bereits 2016 fest, wenn er ihre ursprüngliche methodische Orientierung an den Naturwissenschaften, im Speziellen an der Physik des 18. Jahrhunderts, in Zweifel zieht. Es sei fraglich, ob die Klassiker der Wissenschaftstheorie an der Physik überhaupt einen adäquaten Begriff von Wissenschaft gewonnen haben. Sie tendierten in der Tat dazu, Wissenschaft auf Theorie zu reduzieren, und in ihren Konzeptionen nahmen dementsprechend die Begriffe von Hypothese und Gesetz eine zentrale Stellung ein. Dieses Bild wurde in den letzten Jahr-
Baecker, Dirk: Das Handwerk des Unternehmers, in: Baecker, Dirk (Hrsg.): Organisation als System. Aufsätze, 4. Auflage, Frankfurt am Main 2012, S. 330–376. 101 „Identität“ bezeichnet bei Luhmann das Form-gewordene, charakterlich ausgebildete Medium. 102 Vgl. zur Übersicht über diese drei und weitere Ökonomen und ihre Theorien: Weitz, Bernd O.: Bedeutende Ökonomen, München 2008. 100
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zehnten ziemlich durcheinander geschüttelt und wich einer Auffassung, welche den praktischen, lokalen und historischen Zügen der Forschung viel mehr Raum gibt, zugleich aber auch in der Abgrenzung von Wissenschaft gegen Nicht-Wissenschaft vorsichtiger ist.103
Die Wirtschaftswissenschaften reformierten sich selbst – behäbig und teils mit großen Widerständen – und zahlreiche alternative Ansätze sind aufgetaucht und haben sich teilweise sogar schon institutionalisiert. Sie umfassen die ökologische Ökonomie, Neue Institutionenökonomie, eine historische Makroökonomie, feministische Ökonomie sowie Ansätze unter Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse anderer empirischer Humanwissenschaften (behavioral economics, neuroeconomics, evolutionary economics).104
In Anlehnung an eben jene Veränderungen der Wirtschaftswissenschaften – das Einbeziehen weiterer Faktoren in die Ökonomie als die rein rational-wirtschaftlichen – und im Nachgang eines cultural turns105 entstand unter anderem die Theorie zur Neuen Institutionenökonomik. Diese Überlegungen und der damit verbundene interdisziplinäre Austausch hielten auch in der Geschichtswissenschaft Einzug. In dem „Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte“, herausgegeben von Clemens Wischermann, Katja Patzel-Mattern, Martin Lutz und Thilo Jungkind, sind die grundlegenden Ideen dieses Ansatzes zusammengefasst.106 Wischermann beschreibt hierin, wie „Institutionen“ als exogene Faktoren wirkmächtig und einflussreich für die Wirtschaft waren und das Diktum von der selbstregulierenden und autonomen Wirtschaft in Frage stellten. „Institutionen“ wiederum seien in Anschluss an Douglass North zu verstehen und entstünden „im Grunde ungeplant zur Bewältigung von Situationen von Unwissenheit und Komplexität“.107 Diese Bewältigung von unbekannten Situationen durch Komplexitätsreduktion entspricht dem ständigen Austarieren der Dualität von Vergangenheit/Zukunft und Medium/Form und der Auffassung von Gedächtnis des sozialen Systems bei Luhmann beziehungsweise bei Baecker. North proklamierte lange vor Luhmann sein Konzept „verlaufsabhängiger oder pfadabhängiger Institutionenbildung“. Institutionen werden als Anzahl an Regeln verstanden, die das Verhalten von Akteurinnen und Akteuren beschränken, allerdings werden
Schlaudt, Oliver: Wirtschaft im Kontext. Eine Einführung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaft in Zeiten des Umbruchs, Frankfurt am Main 2016, S. 9. 104 Ebd., S. 12. 105 Jessop, Bob / Oosterlynck, Stijn: Cultural political economy: On making the cultural turn without falling into soft economic sociology, in: Geoforum, Jg. 39 (2008), Heft 3, S. 1155–1169. 106 Wischermann, Clemens / Patzel-Mattern, Katja / Lutz, Martin / Jungkind, Thilo (Hrsg.): Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2015. 107 Wischermann, Clemens: Neue Institutionenökonomik, in: Wischermann, Clemens / Patzel-Mattern, Katja / Lutz, Martin / Jungkind, Thilo (Hrsg.): Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2015, S. 20–32, hier: S. 20. 103
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im Ansatz der Neuen Institutionenökonomik nicht nur formgebende Beschränkungen als Institutionen (Gesetze, o. Ä.) akzeptiert, wie dies in der neoklassischen Wirtschaftstheorie der Fall war, einen bedeutenden Anteil haben ihr zufolge formlose Beschränkungen, die durch soziale Gebundenheit und Verpflichtungen entstünden. Dies sei realitätsnäher als die Betrachtung des Marktes anhand herkömmlicher Theorien, die die Individualität der Akteurinnen und Akteure unberücksichtigt ließen.108 Auch die auf Norths Überlegungen aufbauenden Forscherinnen und Forscher erteilen der neoklassischen Theorie des „perfekt informierten, vollständig rational maximierenden Entscheidungsträgers“ und damit den „Rational-Choice-Modellen“109 eine Absage. Stattdessen seien auch Marktentscheidungen durch „begrenzte Rationalität (bounded rationalities)“ bestimmt110: Zum einen wirke ein „Filter individueller kognitiver Strukturen (aus Wissen und Wertvorstellungen)“, aber auch die Orts- und Kontextgebundenheit und die kulturhistorische Einbindung wirkten sich auf die möglichen und nicht rein rationalen Marktentscheidungen aus. „Kultur“ wird in diesem Fall als kollektiv geteiltes Sinngebungsmuster modelliert, durch das gleiche Entscheidungen beziehungsweise auf Grundlage gleicher Argumentation und Entscheidungsmuster Entscheidungen getroffen werden können.111 „Kultur“ zeigt auch hier die historische und gesellschaftliche Verortung des „Marktes“ an und ist somit als Gedächtnis der Gesellschaft ebenfalls notwendiger Bestandteil der Theoriebildung und erklärt die „Institutionen“ als kulturell-geformte Handlungsmaximen/Regeln/Ordnungen, die sich in Kommunikation ausbilden. Darauf aufbauend ist auch für den Untersuchungsgegenstand zusammenfassend anzunehmen, dass „in einer Gesellschaft […] zunächst Institutionen im Sinne von Spielregeln vorhanden sein [müssten]. Diese Institutionen müssten Wettbewerb und Privateigentum zulassen.“ Oder anders ausgedrückt müsse „ökonomisches Handeln mit dem Ziel, Wachstumsprozesse zu generieren, […] nach einem solchen Ansatz zunächst erfunden und gesellschaftlich legitimiert werden. Nur so könne Wohlstand erschaffen und ökonomische Stabilität bewahrt werden.“112 Stabilität ist in diesem Kontext zwar für die aktuell Handelnden real existent, doch in der Systemtheorie und auch Ebd., S. 21. Ebd., S. 27. Den ersten Versuch, diesem Umstand auch in der Theorie Rechnung zu tragen, unternahm Herbert Simon bereits in den 1950er Jahren, indem er dem menschlichen Akteur die Möglichkeit der vollumfänglichen Informiertheit absprach und stattdessen mit einem sozialpsychologischen Ansatz den „Saticfacing Man“ dem „Maximizing Man“ entgegenstellte. Siehe hierzu: Erlei, Mathias / Leschke, Martin / Sauerland, Dirk: Neue Institutionenökonomik, 2. Auflage, Stuttgart 2007, S. 7–12.; Vgl. auch: Simon, Herbert A.: Theories of Decision-Making in Economics ans Bahavioural Sciences, in: American Economic Review, Jg. 49 (1959), Heft 3, S. 253–283. 111 Wischermann, Neue Institutionenökonomik, S. 28–32. 112 Jungkind, Thilo: Grundelemente institutionalistischer Theorie, in: Wischermann, Clemens / PatzelMattern, Katja / Lutz, Martin / Jungkind, Thilo (Hrsg.): Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2015, S. 17–19, hier: S. 17–18. 108 109 110
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auf längere Sicht nur so lange vorhanden, wie sich das wirtschaftliche System immer wieder die gleichen Regeln gibt, in gleichen oder ähnlichen Situationen dieselben Entscheidungen aus einer Unmenge an Entscheidungsmöglichkeiten trifft. Dies ist möglich durch das Systemgedächtnis, das sich wiederum durch das Paradoxon des gleichzeitigen Erinnerns und Vergessens und damit der ständigen Veränderung auszeichnet. Die Annahme des Ökonomen Mathias Erlei ist, dass formelle und informelle Regeln Auswirkungen auf das Marktgeschehen und die Handlungsmaxime der Akteurinnen und Akteure haben. Seine Überlegungen dazu systematisiert Erlei in einer Grafik, die erstmals 1998 abgedruckt wurde und seither unter anderem in dem von ihm zusammen mit den Kollegen Martin Leschke und Dirk Sauerland herausgegebenen Lehrbuch „Institutionenökonomik“ in der dritten überarbeiteten Auflage 2016 erneut genutzt wird. Zur Erklärung der Grafik schreibt Erlei, dass die jeweils weiter außen liegenden Schichten hierarchisch den weiter innen liegenden in dem Sinne übergeordnet sind, dass sie deutlich stärker Einfluss auf sie nehmen als umgekehrt. Für Erlei sind damit „Naturgesetze“ (physikalische Gesetze, Ressourcenendlichkeit, etc.) nicht zu beeinflussen, diese wirken unmittelbar auf die „Kultur“ einer Gesellschaft ein, die in diesem Fall als informelle Verhaltensregeln, Sprachen, Religionen und geteilte Geschichte definiert wird. Die „Kultur“ ist in diesem Fall zwar zeitlich gebunden, aber evolutionär gewachsen und kann für die Ökonomik als gegeben und relativ statisch angenommen werden. Dies passt zur Annahme in der Systemtheorie, dass „Kultur“ Selbstbeobachtung und Vergleich bedeutet und eben diese Funktionen durch die Kommunikation der Geschichte/Sprache/Religion des jeweiligen Systems erfüllt. Allerdings ist sie nicht vollumfänglich mit der Vorstellung einer „bündischen Kultur“ und ganz generell mit Sub- und Jugendkulturen zu vereinen, die an einer anderen Stelle in der schematischen Darstellung verortet werden müssten, da sie weder derart statisch gedacht werden können und viel schnelllebiger und vergänglicher sind, als es Erlei in diesem Falle beschreibt, noch sind sie an der Position, die Erlei der „Kultur“ zuweist, gut aufgehoben, da der „Kultur“, die Erlei beschreibt, eine andere Definition zugrunde liegt. Die bei Erlei benannte „Kultur“ wirke unmittelbar auf die „gesetzlichen Rahmenbedingungen“ ein, da sie eine Vorstellung von Herrschaft, Gleichheit und Staatsführung vermittele. Die nächstinnere Ebene beschreibt Erlei als „allgemein verfügbare (variable) Faktorausstattung“ und umfasst das Grundlagenwissen einer Gesellschaft, ihre technologische und organisatorische Infrastruktur und ihr Bildungssystem. Dieses gesellschaftliche Kapitalgut wird maßgeblich durch die Wirtschafts- und Sozialpolitik beeinflusst, die auf derselben Ebene steht. Mit diesen beschriebenen Institutionen ist für Erlei der Grundstein gelegt, um auf die Ebene des Marktsystems, das die Menge aller Teilmärkte beinhaltet, einzugehen. Die Institutionen des (Teil-)Marktes selbst sol-
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Einleitung
len an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.113 Worauf es an dieser Stelle ankommt, ist die Beschreibung Erleis, die die marktformenden Institutionen hierarchisch anordnen genauso wie die Verortung der „Kultur“ in seiner Theorie. Nicht eindeutig formuliert sind die Arten der Beziehungen zwischen den Institutionen: Grundsätzlich geht Erlei von einer hierarchischen Ordnung aus, die er von außen nach innen darstellt. Naturgesetze, die er ganz außen verortet hat, könne nichts beeinflussen. Manche Institutionen aber seien auch durch die hierarchisch untergeordnete Ebene beeinflussbar und bei einigen scheint ihm das von solcher Bedeutung gewesen zu sein, dass er Pfeile in die Grafik einfügte, die diese Beziehungen verdeutlichen sollen. Diese Herangehensweise ist auch für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand inspirierend, allerdings sollen die Hierarchien weniger divers und weniger statisch – in verschiedenen Ebenen, mal mit und mal ohne Pfeil – dargestellt werden. Genauso wichtig ist es, die Sub- und Jugendkulturen mit ihren eigenen, von der Gesamtkultur abweichenden, informellen Institutionen anzuerkennen. Diese Forderung leitet sich induktiv und unmittelbar aus dem vorliegenden Forschungsgegenstand ab. Dieser Einfluss ist in Erleis Schema nicht abgebildet und soll daher im Folgenden Eingang in die Überlegungen finden und in die Verbindung von „Kultur“ und „Markt“ münden. 1.4.3
Der „Bündische Kulturmarkt“ als Konzept
Um nun den Konnex zwischen der „bündischen Kultur“ und Institutionen im Sinne der Neuen Institutionenökonomik (unter anderem Recht, Wirtschaft und Politik) herzustellen, sollen im Folgenden die bisherigen theoretischen Überlegungen zu einem „Bündischen Kulturmarkt“ zusammengefasst und systematisiert werden. Versteht man „Kultur“ im Sinne Erleis und gesteht der „Kultur“ eine weit oben liegende Beeinflussungshierarchie zu, wird mit geteilter Sprache, Religion oder Geschichte Handel getrieben. Beispiele hierfür sind Wörterbücher, Übersetzungen, Subtitling in der Filmindustrie, Faith branding, Geschichtsbücher, Dokumentationen, Museen, Reenactments und ähnliches.114 Soll aber von einem speziellen „Kulturmarkt“ die Rede sein und Kultur als Sub- oder Jugendkultur verstanden werden, muss anders systematisiert werden, weil die geteilte Kultur eine nicht derart übergreifende ist und die Subjekte, die die Werte teilen, nur einen Teil der Gesellschaft ausmachen. Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 22–26. Grundsätzliche Überlegungen dazu, was ein Kulturmarkt bedeuten kann, werden im Promotionskolleg des Zentrums für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität Heidelberg aus verschiedenen Disziplinen heraus erforscht. Vgl. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Hrsg.): Promotionskolleg „Kunst, Kultur und Märkte. Geschichte der europäischen Kulturwirtschaft vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ [Onlinefassung], URL: https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/ zegk/Promotionskolleg.html [06.07.2020].
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Theorie und Methode
Ausgehend von der Idee, dass auf einem „Kulturmarkt“ andere Werte von Belang sind als die rein monetären, muss nach dem gefragt werden, was ein Marktgeschehen auslöst, wenn es nicht die Gewinnmaximierung ist. Würde es auch bei einem „Kulturmarkt“ um Gewinnmaximierung gehen, würde vieles nicht gehandelt werden und viele Märkte würden nicht entstehen, so die Hypothese. Davon abgeleitet müssen die Handlungsmaximen der Akteurinnen und Akteure hinterfragt werden. Auf Grundlage der Überlegung, welchen Wert eine Sub- oder Jugendkultur für die Akteurinnen und Akteure eines „Kulturmarktes“ hat, stelle ich die Hypothese auf, dass es vielmehr emotionale, kommunikative, politische und soziale Werte sind, die ihr Handeln antreiben als rational, Gewinn maximierende Absichten. Es kann von dem inhärenten Zwang zur Individualisierung und der Absetzung von der Gesamtgesellschaft, aber zugleich Vergemeinschaftung in den bündischen Gruppen ausgegangen werden: Die bündische Jugend ist nicht nur durch den partiellen Dissens zur umgebenden Gesellschaft geprägt, sondern auch durch eine Ähnlichkeit innerhalb der Gruppe der Jugendlichen allgemein zum Beispiel durch ihre geteilten Freizeitbeschäftigungen des Wanderns, Lagerns und Singens, was sich innerhalb der jeweiligen spezifischen bündischen Gruppe noch verstärkt. Ich schlage deshalb vor, die „Institutionen“ (gemäß der Neuen Institutionenökonomik), die „Naturgesetze“, die gesellschaftliche „Kultur“ im Sinne von Religion, Geschichte, Sprache und ähnliches, die „gesetzlichen Rahmenbedingungen“ sowie die „allgemein verfügbare (variable) Faktorausstattung“ und die jeweilige „Wirtschaftsund Sozialpolitik“ in ihrer Anordnung bei Erlei unverändert, jedoch weniger stark hierarchisch als gesetzt zu betrachten. Das Marktsystem als Menge aller Märkte kann ebenfalls bestehen bleiben, der Tausch Ware-gegen-Geld funktioniert in allen Märkten gleichermaßen.115 Die Anordnung der Partialmärkte dagegen soll nicht von der „übergeordneten“ Ebene ausgehend gedacht werden, sondern, wie oben beschrieben, von dem, was den jeweiligen Markt prägt und das Markthandeln initiativ begünstigt. Also drehen wir hier die Richtung um und nehmen die „Sub-/Jugendkultur“ der Bündischen als Kern des Marktgeschehens, um die herum alles Markthandeln entsteht. Wäre diese Gruppe nicht, gäbe es weder eine Nachfrage noch Anbieter oder Produkte. Das kann wie folgt dargestellt werden. Ich gehe davon aus, dass die bündische Idee mit ihren idealisierten Praktiken des Wanderns und Singens durch die sich diversifizierenden und erweiternden bündischen Gruppen zu einer eigenen Kultur (innerste Ebene der Grafik) wurde. Diese wiederum wurde „verkörpert in menschlichem Verhalten“116, durch die Praktiken der
Unwesentlich für die folgende Betrachtung, aber der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind der Tausch Ware-gegen-Ware (Tauschhandel), Dienstleitung-gegen-Ware, Dienstleistung-gegen-Geld oder Geld-gegen-Geld und ähnliches. 116 Vgl. Nutzinger, Hans G. / Panther, Stephan, Homo oeconomicus vs. homo culturalis: Kultur als Herausforderung der Ökonomik, S. 289. 115
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Einleitung
bündischen Jugend – Rituale, Lagern, Singen und Wandern. Dies wiederum führte zu einer speziellen Marktnachfrage durch die bündischen Gruppen (zweite Ebene von innen der Grafik). Bündische Verlage und Musikverlage und Ausrüster, aber auch andere Marktakteurinnen und -akteure nahmen sich dieser Nachfrage an und bedienten sie (dritte Ebene von innen der Grafik). Die jeweiligen Verleger kamen teils selbst aus der Jugendbewegung oder standen ihr derart nahe, dass sie genau wussten, was nachgefragt war. Auf dieser Ebene sind weitere Akteure angesiedelt, die zusammen mit den Verlagen Produkte – Liederbücher, Zeitschriften, sonstige Musikalien, teils Musikinstrumente, Töpfe, Zelte, Lagerbedarf, etc. – möglich machten, wodurch die bündische Kultur „in Artefakten vergegenständlicht“117 wurde. In dieser Gruppe agieren die Druckereien, Finanziers und Produzenten ganz generell. Es können auch Grafiker dazugerechnet werden, da sie in den Quellen regelmäßig Erwähnung finden. Es besteht also ein Markt aus verschiedenen Akteurinnen und Akteuren, die auf Gewinnmaximierung – oder mindestens Erwirtschaftung der Lebenshaltungskosten – festgelegt sind. Die potenziellen Abnehmerinnen und Abnehmer der Produkte erhalten einen Wert, der in der Nutzung der Produkte besteht, die Produzenten durch die Einnahmen. Allerdings ist, wie bereits anklang, der „bündische Kulturmarkt“ durch stark kulturell und geographisch gebundene Akteurinnen und Akteure bestimmt, weshalb die Annahme von rein rationalen, profitorientierten homines oeconomices ins Leere läuft. Die Integration der speziellen „bündischen Kultur“ beziehungsweise im besten Fall jeder beliebigen Popkultur in das Marktgeschehen kann über die Neue Institutionenökonomik geleistet werden; die Ausgestaltung des speziellen „Kulturmarktes“, die Beschaffenheit und der Einfluss der „Kultur“ dagegen durch die Systemtheorie. Die auf dem „bündischen Kulturmarkt“ gehandelten Produkte fließen per Handel (Ware-gegen-Geld) zurück in die bündischen Gruppen. An dieser Stelle offenbaren sich materielle und immaterielle Werte und Gebrauchswert und Tauschwert werden bestimmbar. Dabei ist der Gebrauchswert beispielsweise eines Liederbuches für Wandervögel und Pfadfinder ein immenser, allein dadurch, dass daraus gesungen wird, aber auch da es das Gemeinschaftsgefühl und die (Gruppen-)Identität der Käuferin und des Käufers fördert und eine soziale Bindung zur Gruppe sowie eine emotionale und rein psychische Verbindung zu der Musik entsteht. Der Tauschwert dagegen wird meist von den jeweiligen Verlagen bestimmt und entspricht dem, was sie betriebswirtschaftlich brauchen, um die Kosten zu decken und Gewinne zu erwirtschaften. In den Quellen lassen sich Hinweise darauf finden, dass mit verschiedenen Begründungen nicht jederzeit ein erträglicher Tauschwert festgesetzt wurde.118
117 118
Ebd. Vgl. Kapitel 3.3.3 und 4.3.
Theorie und Methode
Abbildung 1 Schematische Darstellung: Der bündische Kulturmarkt, eigene Darstellung.
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Einleitung
Bedeutend ist dieser Kulturmarkt dadurch, dass er über den eigentlichen Kreis an Nachfragern – den Bündischen – hinausging. Der Gebrauchswert änderte sich infolgedessen und die emotionalen, immateriellen Werte verloren an Bedeutung. Für diese Entwicklung kam der Aufstieg der Musikpädagogik gelegen – so wurden bald beispielsweise durch Fritz Jöde und den Kallmeyer Verlag – Liederbücher für die Schule gedruckt, Jöde verbreitete diese Bücher in seiner Jugendmusikschule und in der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, wo er werdende Lehrerinnen und Lehrer unterrichtete.119 Festgehalten werden kann, dass über einen kleinen kulturell und sozial gebundenen Kreis hinaus, der Gebrauchswert eines Produktes (wie ein bündisches Liederbuch) für die Käuferinnen und Käufer abnimmt, dass je weniger der Gebrauchswert im Vordergrund des Handels steht, die Käuferinnen und Käufer umso weniger emotional involviert sind und dass der Tauschwert durch die Erhöhung der Stückzahl im Endeffekt für die Produzentinnen und Produzenten einen betriebswirtschaftlichen Gewinn bedeuten kann. Dieses Marktgeschehen fand jedoch auch in der zu untersuchenden Zeit 1918–1933 nicht im luftleeren Raum statt. Es war entsprechend der Neuen Institutionenökonomik bestimmt durch Gesellschaft, Politik, Recht und Wirtschaft, mit all ihren Veränderungen in dieser Zeit wie Hyperinflation und Wirtschaftskrise. Zu beachten sind sowohl formale Institutionen im Sinne von kodifizierten Regeln, die den Markt rahmen, als auch informelle Institutionen – soziale, kulturelle, historisch gewachsene Regeln, die sich in Ideologien und gesellschaftlichen Erwartungen widerspiegeln.120 Die schmalen, durchlässigen Ringe in der Grafik zeigen an, über welche Medien zwischen den Ebenen kommuniziert wurde. Beispielsweise wurde die bündische Kultur durch das Ausleben der Praktiken – das Wandern, Lagern und Singen – vermittelt. Zwischen Teilmarkt und Nachfrage wurde durch Güter und Werte kommuniziert. Um den Absatz zu maximieren, kommunizierte der Teilmarkt auch mit anderen Teilmärkten und als System Wirtschaft mit anderen Systemen. Von diesen Überlegungen ausgehend, offenbart sich die Netzwerkstruktur des Feldes. Häufig nahmen Akteurinnen und Akteure mehrere Funktionen in diesem Teilmarkt ein, hatten Kontakte über alle Ebenen hinweg und nutzten diese für die Verbreitung der bündischen Idee oder eben der daraus entstandenen Produkte (Liederbücher, Romane, Zeitschriften, usw.). Nun bleibt zu klären, wie sich das Beschriebene methodisch auf die Auswertung der Quellen auswirkt und wie sich die Arbeit im Folgenden aufbaut. Grundlegend soll die Arbeit von den ausgeführten drei Teilbereichen ausgehen und die verschiedenen Stränge zusammenführen: erstens die Bündischen und ihre Kultur als initiale Markt-
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Vgl. Kapitel 4.1, 4.2.1 und 5.1. Vgl. Wischermann, Neue Institutionenökonomik, S. 20–21.
Struktur der Arbeit
anfrage, zweitens die Produzenten, also Verlage, Druckereien, Finanziers und weitere, als diejenigen, die den Teilmarkt bilden und die Anfrage bedienen und drittens die Wirkung dieses Teilmarkts auf andere Bereiche des Marktes und der Gesellschaft. Grundlage der methodischen Überlegungen des Vorhabens ist die veränderte Vorstellung von „Volk“, „Nation“, „Jugend“, „Wehrhaftigkeit“ und „Führertum“ innerhalb der bürgerlichen Jugendbewegung in der Zeit der Weimarer Republik und die daraus resultierende gruppenbezogene Aktions- und Publikationstätigkeit der jugendbewegten Akteurinnen und Akteure. Mit diesen kommunikativen Mitteln (Publikationen und Praktiken) entsteht gleichsam das Gedächtnis des sozialen Systems und somit seine „Kultur“ – die damit einhergehenden Werte und Ideen von „Nation“ oder Gruppenidentität beispielsweise sind dieser Kultur eingebrannt. 1.5
Struktur der Arbeit
Grundsätzlich erfolgt die Gliederung des Forschungsgegenstandes nicht chronologisch, sondern thematisch, um einen Sinnzusammenhang herzustellen. Eine thematische Gliederung entspricht dem Konzept des „bündischen Kulturmarktes“ am besten, den es in seiner Entstehung und Konsolidierung zu untersuchen gilt. Dies könnte eine rein chronologische Auswertung nicht leisten, da diese die herauszustellenden Strukturen verdecken würde. In Kapitel 2 werden die auf den Untersuchungsgegenstand wirkenden Institutionen in drei Ebenen eingehend betrachtet – die gesellschaftlichen in Kapitel 2.1, die wirtschaftlichen in Kapitel 2.2 und die rechtlichen in Kapitel 2.3. Dabei wird zunächst die Jugendbewegung als subkulturelles Phänomen des beginnenden 20. Jahrhunderts untersucht. Zu klären ist, was ihre „Kultur“ ausmachte, worin sie bestand und wie sie heute beschrieben werden kann. Mit der Annahme der Systemtheorie, dass „Kultur“ ebenfalls allein aus Kommunikation besteht, korreliert diese Herangehensweise insofern, dass in historischen Quellen ohnehin meist nur die schriftliche Kommunikation über einen Gegenstand erhalten ist. Heute kann die Beschreibung von „Kultur“ durch die Protagonistinnen und Protagonisten beziehungsweise durch das, was sie für niederschreibens- und verbreitenswert betrachteten, beschrieben werden, was wiederum für heutige Untersuchungen eine Beobachtung zweiter Ordnung bedeutet. Diese Distanz zu den untersuchten Phänomenen muss mitbedacht werden, da die „Kultur“, die heute rekonstruiert werden kann, ebenfalls bereits eine vermittelte ist. Die generellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Weimarer Republik werden in der Beeinflussung von Verlagen in ihrem Markthandeln durch Inflation und Wirtschaftskrisen, Autor- und Urheberrecht und Verlagsrecht offengelegt, die als Grundlage der individuellen Lösungen der Verleger dienen können, die in den Kapiteln 3 und 4 thematisiert werden.
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Einleitung
In Kapitel 3 stehen die „bündische Idee“ als Produkt, ihre Vermarktung und die damit verbundenen Distributionswege im Vordergrund. Die jugendbewegten Verlage fixierten und distribuierten „bündische Kultur“ und waren dadurch Kulminationspunkt der bündischen Kulturproduktion. Anhand des jungen jugendbewegten Unternehmens Der Weiße Ritter Verlag / Ludwig Voggenreiter Verlag werden die Systematiken eines „Kulturmarktes“ nachvollzogen. Zunächst soll gezeigt werden, wie das Unternehmen aus den Bedürfnissen der bündischen Gruppe des Bundes der Neupfadfinder entstand (Kapitel 3.1), woraufhin die Entwicklung des Verlages Betrachtung findet (Kapitel 3.2). Das Kapitel 3.3 untersucht im Anschluss die Schnittstellen des jungen Unternehmens im Umgang mit den gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Institutionen. Es wird gezeigt, wie das Unternehmen auf die Subkultur der Bündischen angewiesen war und wie es sein Profil durch die übernommenen Publikationen an diese Zielgruppe anpasste (Kapitel 3.3.1). Die Aushandlungen mit Autorinnen und Autoren und anderen an der Produktion dieser Publikationen beteiligten Personen kann anhand der erhaltenen Verträge und des Schriftverkehrs auf ihren Einfluss überprüft werden (Kapitel 3.3.2). Zuletzt wird nachvollzogen, wie sich das Unternehmen trotz der wirtschaftlichen Krisen im Untersuchungszeitraum etablieren konnte und welche Strategien sich die Unternehmer zunutze machten wie beispielsweise Werbeanzeigen (Kapitel 3.3.3). Kapitel 4 stellt den quellenreichen Einzelfall des Verlages der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter Verlag in einen breiteren Kontext und überprüft die Systematisierung, die sich aus Kapitel 3 ergibt auf ihre Tragfähigkeit: Aus der Kultur entstanden (Kapitel 4.1), an die Kultur angepasst (Kapitel 4.2) und an die Kultur verkauft (Kapitel 4.3). Dabei werden weitere Verlage in Entstehung und Konsolidierung untersucht: Ein zweiter jugendbewegter Verlag, der dem Weißen Ritter Verlag ähnlich ist – der Verlag Das junge Volk Günther Wolffs – und zwei bedeutende Verlage der jugendbewegten, musikalischen Erneuerung, der Jugendmusikbewegung, der Julius Zwißler Verlag / Georg Kallmeyer Verlag und der Bärenreiter Verlag Karl Vötterles. Hierdurch treten die Unterschiede der verschiedenen Ausrichtungen der Verlage auf die bündischen Gruppen in ihrer Marktfähigkeit zutage. Mittels Vergleichs werden einzelne Besonderheiten des „bündischen Kulturmarktes“, die Gemeinsamkeiten oder Verschiedenheiten zwischen dem Handeln der Verlage aufweisen, offenbar. Wie auch in Kapitel 3 werden Verlagskorrespondenzen und -publikationen untersucht und das Profil und finanzielle Zwänge der Verlage betrachtet. Kapitel 5 widmet sich der Breitenwirkung der „bündischen Idee“ durch den „Kulturmarkt“. Konkret wird hierin die Netzwerkstruktur ausdifferenziert, die parallel sich vollziehenden Prozesse – Aufstieg der Jugendmusikbewegung und der Musikpädagogik und die Gründung der jugendbewegten (Musik-)Verlage – beeinflussten und begünstigten einander. Die Breitenwirkung der „bündischen Idee“ soll nachvollzogen werden anhand der Auflagensteigerung durch die serienweise Abnahme zum Beispiel durch Musikschulen oder die Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin Char-
Struktur der Arbeit
lottenburg, die wiederum durch die auf allen Ebenen angesiedelten Akteurinnen und Akteure vorangetrieben wurde. Der Markterfolg der Produkte bedeutete häufig auch ihren persönlichen Erfolg, da sie nicht selten als Autoren solcher Publikationen auftraten.
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2.
Formelle und informelle Institutionen: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Voraussetzungen für den „bündischen Kulturmarkt“
1936 mahnte Rechtsanwalt Dr. Geisler in Vertretung des Ludwig Voggenreiter Verlags und Marie Renée Welschs auf Grundlage des Urheberrechtsgesetzes sowohl die Verletzung der Schutzrechte des Verfassers als auch der Verlagsrechte wegen des Abdrucks des Buches „Die Rache des Herero“ von Maximilian Bayer durch den Gebrüder Paetel Verlag an.1 Marie Renée Welsch war die Schwester des im Ersten Weltkrieg 1917 gefallenen Major Maximilian Bayer, der am Beginn der Pfadfinderbewegung teilhatte und vor allem über seine Erfahrungen im Krieg gegen die Herero Bücher verfasst hatte. Der Anwalt des Voggenreiter Verlages und von Marie René Welsch fordert in fünf Punkten, dass erstens jede Vervielfältigung und Verbreitung des Buches unterbleiben solle, dass zweitens eine Richtigstellung im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels erfolgen solle, dass drittens alle unrechtmäßig gedruckten Exemplare des Buches und alle zur Vervielfältigung hergestellten „Vorrichtungen wie Formen, Platten, Steine, Stereotypen“ vernichtet werden sollten, dass viertens der Gebrüder Paetel Verlag seinen Mandanten allen entstandenen Schaden ersetzen müsse und dass fünftens die Information zu geben sei, wie viele Exemplare hergestellt und zu welchem Preis sie verkauft wurden. Rechtsanwalt Geisler endete mit „Ich fordere Sie auf, meinem Verlangen bis zum 1. Dezember 1936 nachzukommen, andernfalls ich sofort eine einstweilige Verfügung, die Ihnen die Vervielfältigung und die Verbreitung des Buches verbietet, erwirken und Klage gegen Sie erheben werde.“2
1 Vgl. Abschrift des Briefs von Rechtsanwalt [n. n.] Geisler an den Gebrüder Paetel Verlag vom 26. November 1936, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 2 Vgl. Abschrift des Briefs von Rechtsanwalt [n. n.] Geisler an den Gebrüder Paetel Verlag vom 26. November 1936, Voggenreiter Archiv, Ordner 18.
Formelle und informelle Institutionen
Dieser harsche Ton spiegelt die starken Emotionen wider, die in der Urheberrechtsfrage zu dieser Zeit herrschten. Der Rechtsstreit zwischen dem Voggenreiter Verlag3 und der Schwester des verstorbenen Autoren, Marie Renée Welsch, als Inhaberin des Urheberrechts auf der einen Seite und dem Gebrüder Paetel Verlag auf der anderen Seite verdeutlicht unter anderem, dass es zu dieser Zeit ein Verständnis von geistigem Eigentum gab, dass auch dieses Eigentum vererbt wurde und dass es konkrete einklagbare Rechte der Verlage und Autoren(erben) gab. Der Inhaber oder die Inhaberin des Urheberrechts bestimmte, ob und wem ein Verlagsrecht eingeräumt wurde, das für gewöhnlich in einem Verlagsvertrag festgehalten wurde. Diese rechtsbindende Grundlage wurde in dem oben zitierten Brief ebenfalls nachgezeichnet. Das 1936 zur Debatte stehende Buch „Die Rache des Herero“ war erstmals 1910 unter Maximilian Bayers Pseudonym Jonk Steffen im Verlag Wilhelm Weicher in Berlin unter dem Titel „Okowi – ein Hererospion? Eine Geschichte aus dem südwestafrikanischen Kriege“ erschienen. Das Verlagsrecht erwarb der Verlag Otto Spamer aus Leipzig 1913 und veröffentlichte es in drei Auflagen zwischen 1913 und 1916 unter dem Titel „Die Rache des Herero. Eine Geschichte aus dem südwestafrikanischen Kriege“. Der Berliner Verlag Neufeld und Henius hatte das Verlagsrecht 1918 von Otto Spamer übernommen, den Titel allerdings nie selbst erscheinen lassen. Schon 1925 gab Neufeld und Henius das Verlagsrecht schriftlich frei4 und die Inhaberin des Urheberrechts Marie Renée Welsch übertrug 1930 das Verlagsrecht an den Ludwig Voggenreiter Verlag, der es unter dem vermeintlichen Originaltitel „Ist Okowi treu?“ verbreiten und veröffentlichen durfte. Allerdings ist die erste Publikation unter diesem Titel erst 1939 unter dem Klarnamen Maximilian Bayer erschienen. Allein das zweite Buch Bayers „Die Helden der Naukluft“, das bereits bei Otto Spamer 1912 erschienen war und das zeitgleich mit der „Rache des Herero“ vom Verlag Neufeld und Henius freigegeben wurde, wurde bereits 1931 als Jubiläumsausgabe zur Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes 1911 im Ludwig Voggenreiter Verlag herausgegeben.5 Auch im Prospekt des Voggenreiter Verlags für die Jahre 1932/33 findet sich nur das Werk „Helden der Naukluft“, nicht aber „Ist Okowi treu?“. Wie sich aus den Akten ersehen lässt, hatte der Rechtsstreit seinen Grund in den verschiedenen Titeln desselben Buches genauso wie in der Unkenntnis des Gebrüder Paetel Verlages und des Treuhänders, der dem Verlag die Rechte vermeintlich verkauft hatte, über das Pseudonym Maximilian Bayers, Jonk Steffen. Zu diesem Missverständnis konnte es nur durch die Arisierung des Verlages Neufeld und Henius kommen:
3 Der Voggenreiter Verlag beziehungsweise bis 1929 noch Der Weiße Ritter Verlag wird in Kapitel 3 eingehend besprochen. 4 Vgl. Abschrift des Briefs vom Neufeld und Henius Verlag an Marie Renée Welsch vom 18. Juli 1925, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 5 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Ludwig Voggenreiter Verlag und Marie Renée Welsch vom 15. November 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6.
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Formelle und informelle Institutionen
Bereits 1933 wurde Dr. Max Henius wegen seines jüdischen Glaubens die Leitung seines Verlages untersagt, was dazu führte, dass der Verlag 1935 Konkurs anmeldete.6 Ein Jahr darauf wurde der Verlag aufgelöst und der Verlagsbesitz, zu welchem auch die Verlagsverträge gehörten, durch einen Treuhänder, den in den Akten zu findenden Wirtschaftsprüfer Duske, verwaltet und veräußert – das übliche Vorgehen bei der Arisierung von Unternehmen zu dieser Zeit.7 Ebenfalls geht aus den Akten zum Rechtsstreit Ludwig Voggenreiter Verlag / Welsch und Gebrüder Paetel Verlag hervor, dass der Verlag Gebrüder Paetel zu diesem Zeitpunkt mehrere Verlagswerke des ehemaligen Verlages Neufeld und Henius übernahm, darunter vermeintlich „Die Rache des Herero“ und das zweite Buch Bayers „Die Helden der Naukluft“ für zusammen 100 Reichsmark, was den eigentlichen Wert im Sinne der Honorarzahlungen der Zeit deutlich unterschritt.8 Der Rechtsanwalt Runge argumentiert in Vertretung der Firma Gebrüder Paetel, dass keinerlei Böswilligkeit vorliege und der rechtliche Fehler des Gebrüder Paetel Verlags aus Unwissenheit geschehen sei. Der Treuhänder Duske hätte von dem Pseudonym keine Kenntnis haben können, ihn treffe genauso wenig Schuld wie den Gebrüder Paetel Verlag, denn in den Akten des Verlages Neufeld und Henius sei die Korrespondenz betreffend Jonk Steffen unter Maximilian Bayer abgelegt worden. So konnte das Schreiben der Freigabe der Verlagsrechte nicht gefunden werden, als der Gebrüder Paetel Verlag das Recht zum Abdruck zu erwerben glaubte.9 Da dies nur eine Verkettung unglücklicher Umstände sei, bat Rechtsanwalt Runge um die milde Beurteilung und eine außergerichtliche Übereinkunft zwischen Voggenreiter/Welsch und Paetel. Natürlich sei der Gebrüder Paetel Verlag bereit, nun Folgerungen aus der geklärten Lage zu ziehen. Vor allem argumentierte Rechtsanwalt Runge jedoch mit der wirtschaftlich rationalsten Vorgehensweise.
6 1886 gründete der Vater Max Henius’, Julius Henius, zusammen mit einem Schwager den Verlag Neufeld & Henius. Max Henius übernahm 1905 die Leitung des Verlages, der unter der Anschrift Großbeerenstraße 94 in Berlin tätig war. In der Nachkriegszeit (1. WK) florierte der Verlag Neufeld und Henius sowie weitere von Max Henius geführte Verlage wie der Allegro Buch und Musik Verlag, der Friedrich Kirchner’s Verlag, der Verlag der Schillerbuchhandlung. Vgl. Roßberg, Michaela: Mittwoch, 1. März 1933. Mitgliedskarte der DNVP für Max Henius, [Onlinefassung], URL: https://www.jmberlin.de/1933/de/03_01_mit gliedskarte-der-dnvp-fur-max-henius.php [20.06.2020]. 7 Vgl. Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin (Hrsg.): Dr. Max Henius [Onlinefassung], URL: https:// www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/5192 [20.06.2020]. 8 Beispielhaft kann gerechnet werden, dass ein solches Buch bei Voggenreiter drei Mark kostete. Allein bei einer kleinen Auflage von 1.000 Exemplaren und einem geringen Honorar von 10 % des Ladenpreises, läge das Honorar bei 300 Mark für ein Buch. Damit ist der Gewinn, den der Gebrüder Paetel Verlag durch Ankauf von Manuskripten dieser Art machte, deutlich höher, da die Kosten für die Beschaffung des Textes und damit der Materialeinsatz des Unternehmers niedriger waren als zu erwarten war. Vgl. dazu auch Kapitel 3.3.3. 9 Vgl. Abschrift des Briefs von Rechtsanwalt Kurt Runge an die Rechtsanwälte [n. n.] Wilhelm und [n. n.] Geisler in Dresden vom 4. Dezember 1936, Voggenreiter Archiv, Ordner 18.
Formelle und informelle Institutionen
Da es jedoch unwirtschaftlich wäre, das mit viel Liebe ausgestattete und soeben erschienene Buch einzustampfen und damit einen Wert zu vernichten, dies auch im Widerspruch mit dem heute verfolgten volkswirtschaftlichen Ziele steht, möchte ich Ihnen namens der Firma Gebr. Paetel den Vorschlag unterbreiten, dass dieser sowohl für die bereits verkauften, sowie die künftig noch zu verkaufenden Exemplare eine angemessene Lizenzgebühr zahlt, die zweckmäßigerweise zwischen Ihren Auftraggebern zu teilen wäre.10
Von Seiten der Voggenreiters kann also zunächst davon ausgegangen werden, dass ein Verlag wie der Gebrüder Paetel Verlag, der bereits in zweiter Generation geführt wurde und große Erfolge verbucht hatte11, finanziell und vor allem von seinen Rücklagen her besser dastand als sie selbst mit ihrem Verlag. Dieser Umstand mag die deutliche, rechtlich korrekte, aber unversöhnliche Erstkontaktaufnahme durch den Anwalt Geisler erklären. Vielleicht ist hieraus und aus der Bereitschaft des Gebrüder Paetel Verlages zum finanziellen Ausgleich auch zu erklären, dass kein weiterer Schriftverkehr in dieser Sache erhalten ist und „Die Rache des Herero“ bei den Gebrüdern Paetel tatsächlich erschien und verkauft wurde. Durch dieses kurze Beispiel, das zeitlich drei Jahre nach dem Untersuchungsgegenstand liegt, wird deutlich, dass Urheber- und Verlagsrecht eindeutig zur Durchsetzung finanzieller Interessen eingerichtet und genutzt wurden, was in den folgenden Kapiteln für ein vertiefendes Verständnis der Rechtslage im Untersuchungszeitraum grundsätzlicher diskutiert werden soll. Kulturelle Belange fanden hierbei nur am Rande Betrachtung. Sie sind dennoch inhärenter Teil des Diskussionsgegenstandes und nicht zu vernachlässigen. Wenn ein Kulturmarkt entstehen soll, muss eine (Sub-)Kultur mit einem Marktgeschehen zusammenkommen: Dies geschah zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Bezug auf die Jugendbewegung. Vordergründig waren es Publikationen wie Liederbücher und Periodika, die nachgefragt wurden. Aber auch Ausrüstungsgegenstände und Bücher zur Anleitung und zum Selber-tun wurden produziert und durch die Subkultur der Bündischen abgenommen, aber auch Romane und Erzählungen über Abenteuer als welche „Die Rache des Herero“ respektive „Ist Okowi treu?“ gezählt wurde. Um diejenigen, die diese Nachfrage bedienten, wird es in den Kapiteln 3 und 4 gehen. Im Folgenden aber sollen diejenigen thematisiert werden, die diese Nachfrage entstehen ließen und die die Produkte abnahmen und im Besonderen, durch welche eigenen Praktiken der Subkultur diese Nachfrage entstand (Kapitel 2.1). Abschrift des Briefs von Rechtsanwalt Kurt Runge an die Rechtsanwälte [n. n.] Wilhelm und [n. n.] Geisler in Dresden vom 4. Dezember 1936, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 11 Der Gebrüder Paetel Verlag war 1870/71 von Erwin und Hermann Paetel durch die Übernahme des Großteils des Buch- und Kunstverlags Alexander Duncker gegründet worden und erweiterte sein Sortiment zu Beginn durch den Ankauf verschiedener Verlagsrechte von anderen Verlagen. Vgl. Storm, Theodor / Paetel, Hermann / Paetel, Elwin / Berbig, Roland / Detering, Heinrich / Hoge-Benteler, Boris (Hrsg.): Theodor Storm – Gebrüder Paetel. Briefwechsel, Berlin 2006, S. 19–20. 10
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Auf die finanziellen Grundsätze eines Verlages und seiner Publikationen soll in Kapitel 2.2 eingegangen werden. Im Anschluss sollen konkret die Gesetzgebung und die rechtliche Lage im Zentrum der Beobachtung stehen. Das moderne Verlags- und Urheberrecht, wie es nach dem Ersten Weltkrieg galt, entwickelte sich aus der rechtlichen und ethischen Auseinandersetzung von Autorinnen und Autoren, Komponistinnen und Komponisten und weiteren Kunst- und Kulturschaffenden und ihrem Zusammenschluss in Interessenvertretungen mit denjenigen, die ihre Werke publizierten und vervielfältigten – also den Verlagen und ihren Verbänden. Bestimmende Frage dabei war, wer das Recht zur Vervielfältigung haben sollte und wer monetäre Werte aus einem künstlerisch-kulturell wertvollen Produkt schöpfen dürfe – wer also das Verwertungsrecht besaß. Diese Debatte beherrschten über Jahrhunderte hinweg diejenigen, die die Produktion und den Verkauf von Druckerzeugnissen vornahmen – die Verlage und Druckereien. Ab der Renaissance konnten sich jedoch auch vereinzelt die Kunst- und Kulturschaffenden durch Rechte absichern. Der Großteil der durch Privilegien gesicherten Rechte jedoch begünstigte immer noch die Verwerter im Sinne von Verlegern und Druckereien. Der Nachdruck von Werken war durch die Zeit hinweg das drängendste Problem und heiße Debatten entsponnen sich an der Frage, wem das Recht zur Vervielfältigung zustehen sollte – in Großbritannien, den USA, Frankreich und in weiteren Teilen Europas entstanden aus diesen Auseinandersetzungen verschiedenste Formen der Verrechtlichung.12 Volkslieder und mündlich übertragene Lieder und Erzählungen waren im Allgemeinen gemeinfrei und es gab keine Urheberin und keinen Urheber, der Rechte geltend gemacht hätte. Allein die Zusammenstellung durch Herausgeber und der Abdruck durch Verlage schafften diesbezüglich Tatsachen. Ein anderer Weg, Lieder dieser Art zunehmend mit Verwertungsrechten zu versehen, bestand darin, beispielsweise die Melodie durch eine Komponistin oder einen Komponisten neu setzen und verändern zu lassen oder einen Text, der einer bestimmten Autorenschaft zuzuordnen war, auf eine mündlich tradierte Melodie zu legen. Diese Praxis wurde in starkem Maße in der Jugend(musik)bewegung geübt. Ein Beispiel hierfür sind „Die Finkensteiner Blätter“, die seit 1923 als Liedblätter monatlich von Walther Hensel herausgegeben wurden. Zum Selbst-Zusammenbinden als Jahresausgabe für Abonnentinnen und Abonnenten stellte der Verlag passende Mappen und zugehörige Gesamtverzeichnisse eines Jahres zur Verfügung. In diesem gesonderten Inhaltsverzeichnis heißt es: Der Du dieses Büchlein liesest oder daraus singst, bedenke, daß all die kleinen, feinen Tonsätze darin geistiges Eigentum Walther Hensels oder sonst eines Mitarbeiters sind. Es geht nicht an, daraus abzuschreiben, was einem gerade gefällt. Abgesehen davon, dass eine solche Handlung ein Diebstahl an fremdem geistigen Eigentum ist, würdest Du damit den
Vgl. Dommann, Monika: Autoren und Apparate. Die Geschichte des Copyrights im Medienwandel, Frankfurt am Main 2014, S. 37–38, 108–111.
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Verlag empfindlich schädigen: denn dieser hat durch einen billigen Preis bereits das Möglichste getan, um jedermann in den Stand zu setzen, durch Kauf rechtmäßiger Besitzer der Liedblätter zu werden. Endlich setzt Du Dich durch Abschrift, Abdruck, Vervielfältigung jeder Art einer gerichtlichen Verfolgung aus. Hingegen räumt der Herausgeber allen Abnehmern der Hefte und nur diesen das Recht der öffentlichen Aufführung ein.13
Für den Untersuchungszeitraum von Belang sind zwei Gesetze, die am 19. Juni 1901 in Kraft traten: das Gesetz, das das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LUG) mit einer Urheberrechtsnovelle vom 22. Mai 1910 betrifft, und das Gesetz über das Verlagsrecht. Beides galt auch 20 Jahre später noch unverändert, auch wenn eine Novellierung und Zusammenfassung diskutiert wurde und kurz bevorstand – dies erfolgte 1934.14 Doch wie es zu den Regelungen kam und welche Diskurse für den Untersuchungsgegenstand von Belang waren, soll im Folgenden nachvollzogen werden und damit eine Grundlage für die Untersuchung von Verlagen im bündischen Milieu der 1920er Jahre geschaffen werden (Kapitel 2.3). 2.1
Singen, Wandern, Lagern: Die Alltagspraktiken der Jugendbewegten
In der Mehrheitsbevölkerung ist es stets eine große Debatte, was oder ob etwas die Jugend bewegt. Hat sie spezielle Interessen oder kreist sie mit ihren Gedanken allein um sich selbst? Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war die Frage dieselbe, wie es sie heute ist. In jedem Fall aber wird in dieser Zeit von einer bewegten Jugend gesprochen – der deutschen Jugendbewegung. Zu bedenken ist, dass sich in der Spanne einer Generation das politische Feld von Monarchie zu einer Demokratie zu einer Diktatur wandelte. Die Jugend im Nationalsozialismus ist wie viele Themenfelder rund um die nationalsozialistische Herrschaft bereits ausgiebig, wenn auch sicher nicht abschließend, erforscht. Die Organisation der Kinder und Jugendlichen in Jungvolk, Bund deutscher Mädel und Hitlerjugend, ihre Indoktrination zu gehorsamen, Befehle ausführenden und glühend den Führer verehrenden jungen Menschen wurde nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern unter anderem auch in den Erziehungswissenschaften und in der Germanistik untersucht. Aber auch eine „andere Jugend“ gab es zu dieser Zeit und ihr wurde ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt, da sie als Antagonistin zur nationalsozialistischen Jugend verstanden wurde und wird. Gruppen wie 13 Inhaltsverzeichnis zum ersten Jahrgang der Finkensteiner Blätter 1923/24, Bärenreiter-Verlags-Archiv 1923/24–612. 14 Vgl. Fischer, Ernst: 1.3.2 Urheberrecht, in: Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007, S. 83–98, hier: S. 83, 95; Beer, Axel: 5.2.4 Musikverlage, in: Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007, S. 509–528, hier: S. 521.
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die Weiße Rose in München als die wohl bekannteste der Jugendwiderstandsgruppen, aber auch die Edelweißpiraten aus dem Ruhrgebiet sowie diverse Meuten im Raum Leipzig und Halle, wilde Cliquen rund um Hamburg und andere einzelne Gruppen im damaligen deutschen Reich entzogen sich den Vorgaben der Staatsmacht bereits im Kindes- beziehungsweise Jugendalter, teils mit zu erwartenden schweren Strafen. Allerdings soll ein retrospektiver Fokus auf die Folgen der Handlungen für diese Untersuchung außen vor bleiben. Explizit soll die Entwicklung der Jugend in der Weimarer Republik unabhängig von dem, was kommen würde, betrachtet und bewertet werden. Nicht der Ausgang und eine Hinführung zum Nationalsozialismus oder die Unterdrückung durch den Nationalsozialismus sollen als Perspektive den Blick auf den Untersuchungsgegenstand prägen, dies sei vorhergehenden und kommenden Forschungen überlassen.15 Ihnen allen und weiteren Gruppen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts sind ihre Aktionsformen gemein. Sie sangen, sie wanderten und schlugen ihr Lager in der Natur auf. Diese für die Jugendbewegung und die Jugendmusikbewegung bedeutenden Praktiken sollen im Folgenden beschrieben werden. Untrennbar sind sie mit den herausstechenden Personen der Bewegungen verbunden. Aus den Praktiken ging das Bedürfnis und die Nachfrage nach speziellen Buchhandelsprodukten hervor. Exemplarisch für die Alltagspraktiken der Jugendbewegung kann das folgende Bild einen Eindruck geben und einige Aspekte und Ideen der Jugendbewegung veranschaulichen. Das Bild stammt aus Julius Groß’ Fotoserie „Tagung des Freideutschen Bundes auf dem Hohen Meißner“ aus dem Spätsommer 1923. Der Freideutsche Bund war unter Zutun von Knud Ahlborn und Ferdinand Göbel 1920/21 aus der Teilung des losen Verbundes der freideutschen Jugend von 1913 in drei vor allem politisch verschiedene Richtungen entstanden. Der Freideutsche Bund war Rüdiger Ahrens zufolge schwach links orientiert.16 Im Spätsommer 1923 fand ihre „Tagung auf dem Hohen Meißner“ in Gedenken an die erste Versammlung der „Freideutschen Jugend“ ein Jahrzehnt zuvor statt. Den Großteil der Zeit verbrachten die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf und um Burg Ludwigstein. Für den Abend des 1. September aber wanderten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur elf Kilometer Luftlinie entfernten Kasseler Kuppe am Hohen Meißner. Von der Wanderung, die dorthin führte, entstand das folgende Bild:
15 Vgl. Stoverock, Karin: Musik in der Hitler-Jugend. Organisation, Entwicklung, Kontexte, Uelvesbüll 2013; Hellfeld, Matthias von: Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das 3. Reich. Das Beispiel Köln-Ehrenfeld, Köln 1981; Siehe auch Forschungsstand, Kapitel 1.1. 16 Ahrens, Rüdiger, Bündische Jugend, S. 108–109; Stambolis, Barbara / Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 100 Jahre Hoher Meissner (1913–2013). Quellen zur Geschichte der Jugendbewegung, Göttingen 2015, S. 125–126.
Singen, Wandern, Lagern: Die Alltagspraktiken der Jugendbewegten
Abbildung 2 Tagung des Freideutschen Bundes auf dem Hohen Meißner, 30. August – 2. September 1923, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/112/23. Der Hohe Meißner ist in der Ferne zu erkennen und Ziel der Wanderung der beiden unbekannten Personen im Vordergrund.
Im Hintergrund der Fotografie ist die höchste Erhebung des Hohen Meißner am rechten oberen Bildrand zu sehen, bis zum Fuß des Berges dichter Wald. Von dort aus bis zum vorderen Bildrand sind Felder zu sehen – durchzogen von wenigen Laubbäumen und einigen Büschen. Auf dem rechten vorderen Feld genauso wie auch zwei etwas weiter entfernten Feldern sind Heuhaufen zu erkennen, die Ernte war also bereits beendet. Im Vordergrund sind ein Mann und eine Frau abgebildet, die beide dem Fotografen den Rücken zuwenden und in die Ferne blicken. Die Frau sitzt auf der Wiese und beschattet ihr Gesicht mit der linken Hand. Der junge Mann steht neben ihr, trägt einen Tornister auf dem Rücken und eine Gitarre auf der rechten Schulter. Mit dieser Darstellung fing der Fotograf die Ideale der Freiheit und der Erholung in der Natur ein. Fotografien sind von der bündischen Jugend in einer großen Zahl erhalten. Sie waren für die Jugendlichen für ihre Selbstvergewisserung notwendig, sie bildeten ihre Praxis ab – das Wandern, das Fahne-Tragen, das Zelten, das Kochen, das Singen. So verständigten sie sich über ihre Alltagskultur, die durch die Fotografien in Zeitschriften, bei Fotovorträgen oder auf Postkarten verbreitet wurden. Für die Forschung sind sie aus demselben Grund interessant: Die Fotografien zeigen, was die Jugendbewegten taten und was sie für so wichtig hielten, dass sie es fotografisch dokumentierten. Die Archivtagung des Archivs der deutschen Jugendbewegung beschäftigte sich 2015 mit der „Jugend im Fokus“, woraus der gleichnamige Sammelband die Bedeutung von Fo-
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tografien für die Forschung der Jugendbewegung belegt.17 Übliche Praxis war es, dass die bei Veranstaltungen entstandenen Fotografien im Nachhinein erworben werden konnten. Als selbsternannter „Bildchronist der bündischen Jugend“ war der Wandervogel Julius Groß bei vielen ihrer Veranstaltungen anwesend. Seine Fotos konnten im Nachgang oder bereits vor Ort über das damals bereits bestehende zentrale „Wandervogel-Lichtbildamt“ bestellt werden. In den jugendbewegten Zeitschriften findet sich regelmäßig Werbung für dieses Lichtbildamt, das zur Sammlung, Vermittlung und zum Austausch der Bilder gedacht war, das Julius Groß bekleidete und über welches Erinnerungsfotografien oder Postkarten bestellt werden konnten.18 Damit sind Fotoquellen in Bezug auf die hier untersuchte Jugendkultur, sofern sie vorliegen, besonders aussagekräftig: Sie bieten einen Einblick in die unmittelbare Erlebniswelt – durch die Perspektive des jeweiligen Fotografen gesehen natürlich und sind dennoch erkenntnisreich für die kulturellen Praktiken der bündischen Jugend. In anderen Bildern mit sich häufig wiederholenden Motiven finden sich zusätzliche spannende Informationen. Denn nicht nur nahezu allein und in Abgeschiedenheit wurde gewandert oder „ein Marsch gemacht“ – häufig sahen solche Wanderungen und vor allem der Beginn und das Ende beim Ein- oder Auszug in ein Dorf oder eine Stadt sehr viel geordneter aus. Hierbei zeigen sich wiederum die Einordnung in die Gruppe und die Disziplin, die ebenfalls zum Wertekanon der meisten bündischen Gruppen zählten. Bespielhaft zeigt das eine Fotografie von der Gaufahrt des Kronacher Bundes 1926 nach Berlin. Der Kronacher Bund hatte sich aus einem Wiedersehenstreffen ehemaliger Frontsoldaten an Pfingsten 1920 gegründet und richtete sich hauptsächlich an Ältere. Er verfolgte kein spezifisches Programm und ließ kurze Zeit nach der Gründung auch Frauen zu. So wurde er zum Sammelpunkt für viele berufstätige Wandervögel (Abbildung 3).19 Zu sehen ist eine Gruppe junger Menschen, die mit einer Laufrichtung von rechts hinten nach links vorne abgebildet ist. Sie laufen auf einem Weg, der von Wiese umfasst ist. Im Hintergrund stehen hochkronige Bäume. Die Gruppe führen drei ähnlich gekleidete Männer an, zwei richten den Blick nach vorn, einer blickt in die Kamera. Ihr Schritt ist gleich, zwei tragen eine Fahne in den Händen. Am oberen Ende der
17 Vgl. Autsch, Sabiene / Daldrup, Maria / Hamann, Christoph / Kenkmann, Alfons / Köster, Markus / Rappe-Weber, Susanne / Rasch, Marco / Reulecke, Jürgen / Schmerer, Robin / Schwitanski, Alexander: Jugend im Fokus von Film und Fotografie. Zur visuellen Geschichte von Jugendkulturen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016. 18 Vgl. Daldrup, Maria / Rappe-Weber, Susanne / Rasch, Marco: Ein „Tagebuch in Bildern“. Julius Groß als Fotograf der Jugendbewegung und sein Nachlass im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein, in: Autsch, Sabiene / Daldrup, Maria / Hamann, Christoph / Kenkmann, Alfons / Köster, Markus / Rappe-Weber, Susanne / Rasch, Marco / Reulecke, Jürgen / Schmerer, Robin / Schwitanski, Alexander (Hrsg.): Jugend im Fokus von Film und Fotografie. Zur visuellen Geschichte von Jugendkulturen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016, S. 285–314. 19 Vgl. Engelhardt, Emil (Hrsg.): Der Kronacher Bund, Hamburg (Selbstverlag) 1922.
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Abbildung 3 Gaufahrt des Kronacher Bundes nach Potsdam, 1926, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/208/06. Ein typisches Bild – Bündische wandern teils musizierend in einem Zug, vornean diejenigen, die Fahnen tragen.
linken Fahnenstange ist ein Kreis mit einem Reiher zu erkennen – dem Zeichen des Wandervogels. Die Fahnen signalisieren die Gruppenidentität der Wandernden – eine Flagge ist hell mit dunklem Vogel darauf (genauer lässt sich das wegen des Flatterns nicht erkennen), die andere ist dunkel mit weißen und dunklen Fransen, was auf ihr zu sehen ist, kann ebenfalls nicht erkannt werden. Zur Identifikation wäre es hilfreich die Farbgebung zu kennen. Neben den drei Männern laufen zwei junge Frauen. In der zweiten Reihe sind weitere Männer zu erkennen, die musizieren: Eine Querflöte, eine Klarinette und eine Gitarre sind zu sehen. Es scheint, als singe jedoch niemand und die Musik diene lediglich der Unterhaltung und dem Marschieren. Hinter den Musizierenden reihen sich weitere Frauen und Männer – viele von ihnen tragen Rucksäcke, Umhängetaschen oder in der Jugendbewegung typische Gürteltaschen, die wie viele Jacken und Tornister aus der Ausrüstung des Ersten Weltkrieges stammten.
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Wandern war in der bündischen Jugend also stark verbunden mit ihren ideellen Zielen. Wandern lehrte sie das Leben in der Natur, Disziplin, Einordnung in eine Gruppe und die Freiheit gleichermaßen. Das Wandern war ihnen eine notwendige Praxis – ihre Kultur vergegenständlichte sich in ihr. Genauso tat sie es aber auch im Singen und im Lagern. Von Beginn an machte das Musizieren einen wichtigen Teil der bündischen Alltagspraxis aus. Schon in der Anfangsphase der deutschen Jugendbewegung stand das Thema Musik hoch im Kurs. Ausdruck fand die Begeisterung für das gemeinsame Singen beispielsweise im erstmals 1908 erschienenen Liederbuch „Zupfgeigenhansl“ des Wandervogels und Arztes Hans Breuer. Dieser schreibt, vom romantischen Moment der Volksdichtung ergriffen, im Vorwort zur 7. Auflage von 1912: Was draußen vom Volke empfunden, dichterisch erfaßt im Volkslied beredeten Ausdruck fand, das kann bei uns auch nur beim Wandern, beim Steigen über Berg und Tal, wo die Vögel und Blümlein grüßen, den rechten Widerhall finden. Kein Wandervogel ist so empfindungslos, daß ihm nicht gelegentlich einmal irgend eine Volksweise ganz besonders gepackt hätte, sei es im Mai, wo alles singt und fährt, sei es auf einem alten Bergschloß, das die wilden Rosen umwuchern, oder in einer traumhaften Mondnacht.20
Es ging Breuer also um Volkslieder – das Liedgut, das keiner Verfasserin, keinem Verfasser, keiner Komponistin und keinem Komponisten zugeordnet werden konnte und im besten Fall schon seit Jahrhunderten mündlich tradiert wurde. Damit war er in bester Gesellschaft: Ein Jahrhundert zuvor war bereits „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim erschienen21 und auch Johann Gottfried Herder schätzte die Eigenheiten von Volksdichtung und Volkslied. In seinen Volksliedsammlungen, mit deren Veröffentlichung er 1775 begann, beschreibt er „daß Poesie, insbesonderheit Lied im Anfang ganz volksartig, leicht, einfach, aus Gegenständen und in der Sprache der Menge, so wie der reichen und für alle fühlbaren Natur gewesen.“, wobei er auch englische, spanische und weitere Volksdichtung und -lieder bespricht und aufnimmt.22 Auch in seiner Zeit war Breuer nicht allein: Beispielsweise entwickelte sich in Freiburg ein universitäres Volksliedarchiv. 1914 begründete John Meier diese Sammlung.23 Zunächst ging es bei solchen Bestrebungen um das reine Sammeln und Konservieren – das Festschreiben von gelebter Kultur zum Zweck ihrer wissen-
Breuer, Hans: Zupfgeigenhansl, 7. Auflage, Leipzig 1912. Vgl. Arnim, Achim von / Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, Heidelberg 1806–08. 22 Herder, Johann Gottfried von / Müller, Johannes von: Stimmen der Völker in Liedern, Tübingen 1807. 23 Dieses ehemalige Volksliedarchiv und seine Bestände sind heute neben weiteren Beständen Teil des Sammlungszusammenhangs des Zentrums für populäre Kultur und Musik (ZPKM) mit seinem Sitz in Freiburg und der institutionellen Anbindung an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Vgl. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Hrsg.): Zentrum für Populäre Kultur und Musik [Onlinefassung], URL: http:// www.zpkm.uni-freiburg.de/[20.06.2020]. 20 21
Singen, Wandern, Lagern: Die Alltagspraktiken der Jugendbewegten
schaftlichen Betrachtung im Zuge des Aufstiegs der Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin. Anderen aber ging es um das Wieder-Aufleben-Lassen dieser Kultur, was eine Bandbreite an Motivationen und Begründungen für dieses Ziel mit sich brachte – politisch, völkisch, ästhetisch, gemeinschaftsfördernd. All diese Fälle werden im Verlauf der Arbeit in Mischformen festgestellt und es wird darauf zurückzukommen sein. Breuer jedenfalls nutzt im „Zupfgeigenhansl“ Naturbeschreibungen von Bergschloss, Rosen und Mondnacht mit typisch romantischen Motiven. Wie wirkmächtig diese Vorstellung von volkstümlicher Gemeinschaftsmusik war, zeigt sich in Teilen auch bildlich.
Abbildung 4 Gautag des Wandervogels Nordthuringgau auf dem Arnstein, Fotograf Julius Groß, 12.–13. Juli 1919, AdJb F 1/52/11. Jungen singen im Burgverließ mit Gitarrenbegleitung – in ihrer Mitte „Der Zupfgeigenhansl“.
In diesem Bild (Abbildung 4), aufgenommen von Julius Groß 1919, findet sich das Motiv „Burg“ wieder. Die Mauern im Hintergrund sind massiv und die Bildunterschrift verweist auf ein Burgverließ. In der Runde junger Sänger liegt ein „Zupfgeigenhansl“. Das Foto zeigt die Jungen singend, einer spielt Gitarre, die beiden im linken Bildrand scheinen in die Kamera zu lächeln, statt zu singen. Eine zweite Gitarre ist durch den Gitarrenkopf und die Wirbel im unteren rechten Bildrand unscharf erkennbar. Der „Zupfgeigenhansl“ liegt zugeklappt vor den beiden Jungen in der Bildmitte. Erkennbar wird er durch die markante und bis heute unveränderte Titelgrafik – ein gebeugt vorwärtsschreitender Mann mit einer umgehängten Gitarre, die dadurch auch im Stehen und Laufen gespielt werden kann und damit auf das Musizieren während des
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Wanderns der Wandervögel hindeutet. Offensichtlich brauchten die Musizierenden im Bild keinen Text und keine Noten zu dem Lied, das sie gerade singen. Dennoch ist der „Zupfgeigenhansl“ das einzige Liederbuch, das auf dem Bild sichtbar ist, damit zeigt sich – unabhängig davon, ob es sich gerade in Benutzung befindet oder nicht – die zentrale Rolle dieses Liederbuchs auch zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen innerhalb der Wandervogelgruppen an. Das Singen stellte zwar ebenfalls einen elementaren Bestandteil der Jugendbewegung dar, doch waren die richtungsweisenden und auch im Schrifttum dominierenden Praktiken das Wandern und die Übung in körperlicher Ausdauer und Stärkung wie auch das Erlernen von Disziplin, die Einordnung in die Gruppe und die Gefolgschaft. So schildert Heinrich Voggenreiter retrospektiv: Ich möchte sagen, fast in alle Jugendgruppen [sind unsere Publikationen hineingekommen, F. M.]. Das ist tatsächlich so gewesen, daß der Eine das Heft gekauft hat, das dann 10 oder 15 gelesen haben. Es wurde ja auch viel vorgelesen. Und natürlich gesungen. […] Jedenfalls: vorlesen und singen, das kennzeichnet unter anderem die damalige Gruppenbewegung. Es war ein sehr intensives Leben.24
Vielen ging es dabei nicht um sängerische Perfektion. Deutlich wird das im Vorwort zur ersten Auflage des 1930 im Plauener Günther Wolff Verlag erschienenen Liederbuchs „Sankt Georg. Lieder deutscher Jugend“. Der Herausgeber Walter Gollhardt schreibt: Und weil das Liederbuch in erster Linie dem vernachlässigten Singen der Gesamtgruppe und nicht so sehr dem des ‚musikverständig‘ geleiteten Singkreis dienen will, darum wurde gelegentlich der sangbaren und unserem musikalischen Zeitempfinden näherstehende mündlichen Überlieferung der Vorzug vor dem Original gegeben. Da sich gegen diese Auffassung vor allen Dingen die Kritik gewandt hat, muß noch etwas hierzu gesagt werden. Sehr viele der in der Jugendbewegung entstandenen Lieder wurden zuerst von Menschen gesungen und aufgezeichnet, die des Notenschreibens recht wenig kundig waren. Die Liederblätter einzelner Gruppen und die Notenbeilagen fast aller bündischer Zeitschriften enthalten genug Beispiele für rhythmisch und melodisch unmögliche Originalaufzeichnungen. Aber auch das Fehlerlos aufgezeichnete, in der Jugendbewegung entstandene Lied ist selten einmalige Schöpfung eines Künstlers, sondern meist ist der, der es zuerst singt, Sprachrohr der Gruppe, des Bundes, der Bewegung, die ihn trägt, der er nur zurückgibt, was er von ihr empfangen hat. So sind in Wirklichkeit die meisten und besten Lieder
24 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2.
Singen, Wandern, Lagern: Die Alltagspraktiken der Jugendbewegten
dieser Art anonym, Eigentum der Bewegung. Wird ein solches Lied in dieser Bewegung verändert, so wird dadurch nur in seltenen Fällen dem Original Gewalt angetan.25
Es wird deutlich, dass der Anspruch der meisten Pfadfinder an ihre Gruppenmitglieder nicht primär die sängerische Perfektion war, sondern die Funktion, die das gemeinsame Singen erfüllte. Anders stellt sich die Lage bei Hensel und Jöde dar, die auf das korrekte Singen und die Ausführung Wert legten, Musiktheorie und Übungen im Chorsingen anboten. Zwei Punkte, die Gollhardt ganz anders bewertet als Vertreter der Jugendmusikbewegung, springen besonders ins Auge, dass 1. der „mündlichen Überlieferung der Vorzug vor dem Original gegeben“ wird und dass 2. „die meisten und besten Lieder dieser Art anonym, Eigentum der Bewegung“ sind. Der fast schon dogmatische Anspruch der Jugendmusikbewegung und ihrer Vertreter, das Originalwerk musikwissenschaftlich korrekt zu tradieren und durch erneutes Einüben und Singen zu ehren, wird bei Gollhardt als für die Masse der deutschen Jugend nicht notwendig und nicht förderlich beschrieben. Die verschiedenen Bünde hatten in mancherlei Hinsicht ihre eigenen Liedtraditionen, die sich aus heutiger Sicht marginal, damals womöglich deutlich unterschieden. Speziell die 1929 gegründete d. j.1.11 – deutsche Jungenschaft vom 1. November – nutzte ihre Lieder unter anderem als Distinktionsmerkmal zu dem großen Bund, der deutschen Freischar, von welcher sie sich abgespalten hatte. Noch im Juli 1933 gab die d. j.1.11 das Liederbuch „Lieder der Eisbrechermannschaft“ im Günther Wolff Verlag heraus. Die Vorstellung von Erneuerung, die vom Grundsatz her der alten entspricht und nur durch ihr jüngeres Datum „jugendbewegter“ ist, zeigt sich im Vorwort ihres Bundesführers Eberhart „tusk“ Koebel: Wenn alte Bäuche von national sprechen, denken sie an etwas anderes als wir. Wenn sie gar vom deutschen Lied reden, erinnern sie sich an Zier. Die Vorhut der Jugendbewegung wird die fast gestorbenen, von schmutzigen Händen abgegriffenen Münzen Heimat, Nationalismus, Liebe zu Deutschland, zu neuem Leben und Klang erwecken. […] Mit diesen Tönen, denen wir in der hohen Zeit unserer Fahrten begegnen, mischen sich die neuen Lieder. Einige von ihnen, das ist uns wohl bewußt, nimt [sic!] der Wind wieder mit sich. […] Andere, davon sind wir überzeugt, werden nicht mehr untergehen wie eben gute Kunst unsterblich ist.26
Deutlich beeinflusst ist das Liederbuch durch Erfahrungen und Liedgut aus Russland. Auf Seite 35 findet sich eine Danksagung inklusive Erläuterung zu Serge Jaroff und seinem Donkosakenchor, von dessen Lieder die d. j.1.11 in besonderer Weise musikalisch geprägt sei. Auf den Seiten 36 bis 43 wurden Lieder eben dieses Kosakenchores auf25 Gollhardt, Walter / Amft, Georg / Schulz, Walter (Hrsg.): St. Georg. Liederbuch deutscher Jugend, 2. Auflage, Plauen im Vogtland 1935. 26 d. j.1.11: Lieder der Eisbrechermannschaft, Plauen im Vogtland 1933, S. 3.
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genommen. In der darauffolgenden musikalischen Anweisung, wie die Lieder dieses Buches zu singen und zu begleiten seien, schrieb Koebel: Wir geben in diesem Heft zum ersten Male Lieder mit Banjo und Balalaikabegleitung heraus und wollen damit anregen, daß diese Instrumente in allen Jugendgruppen eingeführt werden. […] Diese Instrumente sind zur Melodieführung und zur Begleitung geeignet.27
Abseits dieses Kulturtransfers aus dem Osten – aus Russland – waren in der d. j.1.11 vor allem durch Koebel auch musikalische Einflüsse aus „dem hohen Norden“ – Finnland, Schweden, Lappland – verbreitet. Im Günther Wolff Verlag erschienen weitere Liederbücher dieser Art verschiedener Gruppen wie „Lieder der Südlegion“, „Lieder des Bundes“, „Lieder der Nerother“, „Lieder der Trucht“ und „Soldatenchöre der Eisbrechermannschaft“.28 Während bei der Jugendbewegung das Singen und das Musizieren unter anderem eine rituelle, identitätsschaffende und in Teilen distinktive Bedeutung hatte, bildeten sich Gruppen, die allem voran die gemeinschaftsbildende Wirkung durch Musik zu erreichen hofften. Dass sich diese Kreise der Jugendbewegung und der Jugendmusikbewegung nicht trennscharf differenzieren lassen, wurde auch zeitgenössisch bereits festgestellt. Diskutiert wurde beispielsweise während Fritz Jödes zweiter „LobedaWoche“ 1925 über die Werbung von Singbegeisterten für die Jugendmusikbewegung, ihre Veranstaltungen und Zusammenschlüsse und dass diese keinesfalls die Jugendbewegung ersetzen noch sie unberücksichtigt lassen dürfe, so Georg Götsch: „[E]s hieße also den Ast absägen, auf dem man sitzt, wollte man in junger Begeisterung für die neu entdeckte Lebensmitte Musik seine Musikantengruppen aus den Gruppen und Gauen der Jugendbewegung herauswerben.“29 Dennoch unterscheiden sich die Ansprüche der Jugendbewegung und der Jugendmusikbewegung in Bezug auf die Auswahl des Liedguts und die musikalische und künstlerische Umsetzung. Ihre Praktiken und kulturellen Ausdrucksformen unterscheiden sich und somit auch die Akzente, die sie setzen. In den Folgejahren entwickelte sich eine rege Beschäftigung mit Musik als Mittel der Erziehung. Auch Ideen der Lebensreform und der Reformpädagogik im Allgemeinen trugen ihren Teil zu dieser Entwicklung bei und so entstand in den 1920er Jahren ein Netzwerk, das sich selbst als Jugendmusikbewegung bezeichnete. Zu dem Phänomen „Jugendmusikbewegung“ zählen auch einzeln benannte Bewegungen, wie die Volkslied-, die Volkstanz- oder die Singbewegung.30 Es entstanden in den frühen 1920er Jahren zwei Hauptrichtungen, die einerseits durch Fritz Jöde, andererseits durch Walther
d. j.1.11: Lieder der Eisbrechermannschaft, Plauen im Vogtland 1933, S. 45. Vgl. Trucht: Lieder der Trucht, Plauen im Vogtland 1933, Verlagsanzeigen am Ende des Buchs. Götsch, Georg: Bericht über die Lobeda-Woche, in: Die Musikantengilde, Jg. 3, Heft 8, S. 237–244, hier: S. 240–241. 30 Vgl. bspw. Kolland, Die Jugendmusikbewegung, S. 29–30. 27 28 29
Nachfrage, Produkte, Finanzierung: Ein Kulturmarkt entsteht
Hensel angeführt wurden. 1959 entstand unter Federführung Fritz Jödes der Verein Archiv der Jugendmusikbewegung e. V., der eine intensive Sammel- und Dokumentationsleidenschaft pflegte, dank welcher heute ein immenser Quellenbestand zu dieser Thematik überliefert ist, der im Archiv der deutschen Jugendbewegung zu finden ist. Dieser Entwicklungsrichtung wird in Kapitel 4 im Zusammenhang mit den jugendmusikbewegten Verlagen nachgegangen. 2.2
Nachfrage, Produkte, Finanzierung: Ein Kulturmarkt entsteht
Kultur ist fluide und wird gelebt – trifft sie auf den Markt wird sie festgeschrieben und es entstehen Regeln im Sinne von normalisiertem Handeln und Grundsätzen. Beispielhaft lässt sich das an den Quellen zeigen, wenn es um die Aushandlung zwischen gelebter Praxis und den rechtlichen Fragen geht. Die Rechtefrage der abgedruckten Lieder war immer wieder aufs Neue eine schwierige Kleinstarbeit, die nicht immer zu einem der Rechteinhaberin oder dem Rechteinhaber finanziell einträglichen Ergebnis führte. In den Akten des Ludwig Voggenreiter Verlages ist ein Brief von Fritz Jöde an Gustav Schulten von 1930, der später Autor bei Voggenreiter werden sollte und den Verkaufsschlager „Der Kilometerstein“ verantwortete, überliefert. Schulten hatte sich am 9. Mai 1930 postalisch an Jöde gewandt und ihn auf die Herkunft des in Nr. 17 der Zeitschrift „Singstunde“ abgedruckten Liedes „Hoch laßt die Fahnen wehn“ hingewiesen.31 Die „Singstunde“ erschien monatlich im Georg Kallmeyer Verlag als hochformatiges vierseitiges Liedblatt mit wenigen mehrstimmig gesetzten Liedern unter der Herausgeberschaft Fritz Jödes und war für den Verkauf in Mengen ab 20 Stück á 5 Pfennig vorgesehen und war damit für regelmäßige Chorübungen konzipiert. Als Urheberhinweis steht bei „Hoch lasst die Fahnen wehen“ „Fahrtenlied der Jugend (2. Hälfte von Ernst Schulten)“, was dem Briefwechsel zwischen Schulten und Jöde zufolge eine Fehlinformation ist.32 Explizit wollte Schulten keine „Komponistenbelange“ mit seinem Schreiben verbinden, er sei lediglich interessiert daran, wie das Lied seinen Weg in dieses Liedblatt gefunden habe. Sein Interesse sei darin begründet, dass er selbst den Text des alten Landsknechtsliedes, der ihm 1917 zugesandt worden sei, vertont habe. Danach jedoch sei das Lied überall in der Jugendbewegung gesungen, eine „kitschige Oberstimme“ hinzugefügt und anderweitig verändert worden, bis es schließlich 1929 im Liederbuch „Strampedemi“ von Walther Hensel abgedruckt worden sei. Der Text und die Melodie in Heft 17 der „Singstunde“ seien ein Mix aus dem vom Schulten erdachten Satz und Umtextungen
31 32
Vgl. Wann wir schreiten. Lieder der Jugend, in: Die Singstunde, Heft 17, Wolfenbüttel/Berlin 1930. Vgl. ebd.
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und melodiösen Ergänzungen – nur der zweite Teil sei „woertlich [s]eine Weise]“.33 Fast im Plauderton schreibt Jöde an Schulten am 13. Mai 1930 zurück: Das ist ja lustig, das S i e der Komponist eines Teils des Liedes „Hoch laßt die Fahnen wehn“ sind. Ich habe das Lied, das mir in verschiedenen Fassungen begegnete, ohne daß mir die Sänger sagen konnten, woher sie es hatten, in der Fassung meines Liederblatts von Walter Gerwig, der es früher in der Grenzmark auf Fahrten mit seinem Freunde gefunden hatte, dessen Lieblingslied es geworden war, und der sich immer darüber ärgerte, daß in Berlin meist nur die zweite Hälfte bekannt ist.34
Was sich an diesem Briefwechsel besonders gut zeigt, ist die lebendige Kultur des Singens und Musizierens, wo hinzu das mündliche Tradieren genauso gehörte, wie das Umdichten und melodische Verändern von bekannten Liedern. Das Rückgreifen auf alte Landsknechtslieder oder -gedichte ist ein Spezialfall und kann als eigene Gattung des Liedguts gewertet werden wie auch beispielsweise Lieder aus der Vormärzzeit. Auch bestätigt sich hierin die Annahme, dass es vielen Autorinnen und Autoren, Komponistinnen und Komponisten und Lieddichterinnen und -dichtern aus der Bewegung nicht um einen Ertrag ihres Kulturschaffens ging, sondern um die Tradition und die Idee, die hinter dem Singen an sich stand. Folgt man dem Verweis auf das Liederbuch „Strampedemi“ findet sich das erwähnte Lied tatsächlich bereits in der ersten Auflage von 1929. Betitelt ist es als „SturmLied“, als Aufführungshinweise finden sich „sehr bewegt“ und „Signal-Trompete“ und die Herkunft wird beschrieben als „Neueres Lied aus mündlicher Überlieferung“. In der zweiten Auflage zwei Jahre später ist der Herkunftsbeschreibung eine Fußnote hinzugefügt worden: Inzwischen hat sich in einem Brief vom 10. Dez. 1929 Gustav Schulten (jetzt Musiklehrer in Neukölln) als Vertoner des Liedes gemeldet. Es stammt aus der Wandervogel-Kriegszeit 1917 von der Liller Westfront. Der Text soll nach H. Herrens Angabe ein „altes Landsknechtslied“ (?) sein. Schulten erklärt sich mit unserer Fassung völlig einverstanden. D. Hg.35
Diese uneindeutige Praxis des Liederaufschreibens war üblich und kann auch in den Quellen nachvollzogen werden. Es bestand durchaus ein Gespür dafür, wessen geistiges Eigentum eine Melodie oder ein Text waren oder ob ein Liedbestandteil mündlich tradiert und dem „Volksmund entsprungen“ war – diese Hinweise sind in den meisten Liederbüchern enthalten. Die Verwertung dieser Lieder aber wurde innerhalb der Subkultur flexibel gehandhabt – ganz im Gegensatz zum eingangs geschilderten Bei-
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Vgl. Brief von Gustav Schulten an Fritz Jöde vom 9. Mai 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 3. Brief von Fritz Jöde an Gustav Schulten vom 13. Mai 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 3. Hensel, Walther: Strampedemi, 2. Auflage, Kassel 1931, S. 69.
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spiel des Buches „Die Rache des Herero“ und vielmehr der Auffassung entsprechend, die Gollhardt im Vorwort zum Liederbuch „Sankt Georg“ vertritt. Diese unterschiedliche Auffassung von verwertbaren Rechten mag zum einen an dem Umfang des Textes, zum anderen an der Selbstwahrnehmung der jeweiligen Autorinnen und Autoren gelegen haben. Ein Roman oder eine Anleitung zum Lagerbau beispielsweise benötigte viel Arbeit und war deutlich umfangreicher als ein einzelnes Lied oder auch ein Bericht über eine bündische Veranstaltung. Autorinnen und Autoren dieser umfangreichen Werke nahmen sich auch häufiger – nicht immer – als professionelle Schriftsteller wahr, sie waren zum Teil auf die Einnahmen ihrer Arbeit angewiesen. Diejenigen, die Text und Melodie oder nur einen Teil eines Liedes – oder einen kurzen Artikel, einen Bericht o. Ä. – verfassten, nahmen sich zumeist nicht als solche Berufsschriftsteller wahr, sahen ihre Schöpfungen als Freizeitbeschäftigung an und waren nicht auf Einnahmen oder Tantiemen angewiesen, weswegen ihnen die rechtliche Frage nicht primär am Herzen lag.36 Auch wenn Bücher und auch andere Verlagsprodukte kulturelle Produkte – also Produkte mit kulturellem Inhalt, kulturbezeugende, durch Kultur entstandene oder für Kulturpraktiken notwendige Produkte – darstellten, waren sie immer noch Produkte. Sie wurden also produziert, um verkauft zu werden. Dabei nahm der Buchhandel eine Zwitterrolle zwischen wirtschaftlichem Unternehmen einerseits und Kulturbeauftragtem andererseits ein. Beides könnte für sich alleinstehen und legitimierte sich aus der eigenen Logik heraus, doch produzierten und verkauften Verlage Bücher, Liedblätter und Zeitschriften nicht allein wegen des Geldes. Diese Strategie wäre vor allem deswegen nicht aufgegangen, da auch hier Authentizität – als eine Art Wert an sich – und das Profil des Verlages wichtig waren, um Kundinnen und Kunden oder auch Autorinnen und Autoren anzuwerben. Das Profil eines Verlages galt als Garant für Qualität und Kenntnis eines gewissen Gebietes des Schrifttums. Beispielhaft exerziert dies Tilmann Wesolowski anhand des R. Oldenbourg Verlags als Wissenschaftsverlag durch und zeigt, wie die Entscheidungen des geschäftsführenden Verlegers auf das Verlagsprogramm und damit auch auf das Profil des Verlages und sein symbolisches Kapital wirkten.37 Dass bündische Verleger ihre Geschäfte allein aus dem romantischen Gedanken der Volksbildung heraus und für die Kulturvermittlung tätigten und der Verdienst ihnen nebensächlich war, ist genauso unplausibel, schließlich waren auch für sie jederzeit die Lebenshaltungskosten als Mindestes zu bestreiten. Buchhandelsprodukte sind vielfältig – sie lassen sich aber einteilen in Periodika und Tagespresse einerseits und Bücher andererseits. Damit einher geht die Trennung
Vgl. Kapitel 2.3. Auch Wesolowski bemüht an dieser Stelle Pierre Bourdieu, wie dies bei kulturwirtschaftlichen Fragestellungen oft unternommen wird und häufig sinnvoll erscheint. Vgl. Wesolowski, Tilmann: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2010, S. 25–29. 36 37
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zwischen Zeitungsverlagen und Buchverlagen, Mischformen existierten jedoch häufig und ein Verlag stellte verschiedene Arten von Produkten zugleich her. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften hatten verschiedene Inhalte und sprachen somit verschiedene Interessentinnen und Interessenten an, wodurch die Zielgruppendefinition eine wichtige Grundlage der Verlagsarbeit wurde. Auf diese Weise konnten die Verlage wiederum eine zweite Einkommensquelle erschließen und dem jeweiligen Produkt angemessen Anzeigen integrieren und damit Anzeigenkunden werben. Dadurch unterscheidet sich die Finanzierung der verschiedenen buchhändlerischen Produkte. Für den Untersuchungsgegenstand jedoch ist beides von Belang und soll im Folgenden aufgeschlüsselt werden. Kostenseite Finanzierung besteht immer aus einer Kosten- und einer Einnahmenseite. Ziel eines Unternehmens ist es, dass die Einnahmen über den Kosten liegen, um Gewinn abschöpfen zu können und die eigene Arbeitskraft ebenfalls mit einem Wert zu bemessen. Keinesfalls jedoch dürfen die Kosten höher sein als die Einnahmen. Im Falle einer Neugründung mussten Kosten für diese Gründung bedacht werden wie etwa Gebühren und Notarkosten zum Beispiel für die Eintragung ins Handelsregister, genauso wie Betriebsanlaufkosten wie Anschaffungen und ein erster Kapitaleinsatz bis erste Gewinne eintreten würden. Während des Betriebes fielen in groben Zügen fünf Hauptkostenpunkte an: Erstens sind laufende Kosten zu nennen, inklusive Bürobedarf wie Schreibmaschinenwartung, Papier und ähnliches, Miete für Geschäftsräume und Dienste wie Telegramme, Post und Telefon (u. a. für die Korrespondenz mit allen Beteiligten). Zweitens waren Ausgaben für den Inhalt beziehungsweise das geistige Gut, also die abzudruckenden Texte oder auch Kunstwerke, einzubeziehen, die vor allem die Honorare für etwaige Manuskripte abdeckten. Drittens fielen Kosten zur grafischen Ausgestaltung der Buchhandelsprodukte an. Aus Kunstwerken mussten Ätzungen oder Lithografien hergestellt werden, die für das jeweilige Buchhandelsprodukt geeignet waren. Oder aber Gebrauchsgrafikerinnen und -grafiker oder Malerinnen und Maler schufen zielgerichtet Illustrationen für einzelne Manuskripte und wurden hierfür per Honorar entlohnt. Der vierte Posten umfasste alles, was Material und Dienstleistung der Druckerei betraf. Sowohl Papier als auch Leder, Leinen, Karton und Leim wurden gebraucht, als auch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Seiten setzten, die bedruckten Bogen falteten und schnitten und die Bücher banden – zumeist mithilfe zu bedienender Maschinen – und die Postgebühren für die Lieferung der Druckerzeugnisse an den Verlag. Den fünften und letzten Posten stellte der Vertrieb dar. Hierunter zählen Werbekosten genauso wie der Versand an Buchhandlungen und Abonnentinnen und Abonnenten.
Nachfrage, Produkte, Finanzierung: Ein Kulturmarkt entsteht
Diese Produkte haben somit einen hohen Fixkostenanteil (first copy costs), der schwer reduziert werden kann. Je größer die Auflage eines Printprodukts war, auf desto mehr Exemplare verteilten sich die Kosten für das Setzen der Seiten, die Herstellung von Bild- oder Fotografieätzungen oder von Notenstichen genauso wie in manchen Fällen die Honorare für Autorinnen und Autoren oder Ausgaben für den Rechteerwerb, auch der Papierpreis konnte mit einer größeren Menge an bestelltem Material niedriger werden. Dementsprechend wurden die Herstellungskosten pro Exemplar geringer, je mehr insgesamt gedruckt wurden, die Durchschnittskosten fielen.38 Aber nicht nur die Herstellung in höherer Stückzahl konnte die Herstellungskosten pro Stück senken, es gab weitere Wege, bereits in der Produktion Geld einzusparen, meist über die Faktoren günstigerer Einkauf oder bessere Auslastung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. In den jugendbewegten Verlagen wurde vor allem in der Anlaufphase durch den Verzicht auf Honorare der jugendbewegten Autorinnen und Autoren Kapital eingespart. Dies funktionierte beispielsweise besonders für subkulturinterne Bundes-Zeitschriften. Die Jugendlichen, die eine Veranstaltung besucht hatten, berichteten gerne über ihre Erfahrungen, sie hatten ein Talent und wollten sich zum Beispiel im Kurzgeschichtenschreiben ausprobieren oder sie waren in die Aushandlungsprozesse zur Gründung, Neugründung oder Richtungsentscheidung und Organisation ihrer Jugendbünde derart persönlich involviert, dass sie die Zeitschriften als Plattform des Meinungsaustauschs betrachteten und teilhaben wollten. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist der in Kapitel 3 beschriebene Verlag „Der Weiße Ritter“. Er konnte seine Ausgaben zu Beginn auch dadurch senken, dass er die Verlagsinfrastruktur eines anderen Verlages kostenfrei mitnutzen konnte. Mit der Zeit bedienten sie sich auch des Mittels, die Versandkosten auf die Abonnentinnen und Abonnenten direkt umzulegen.39 Darüber hinaus werden drei weitere Mechanismen wichtig: Der Skaleneffekt, der Verbundeffekt und der Erfahrungseffekt. Hatte ein Verlag eine Druckerei im eigenen Haus, wurden in einem Unternehmen zwei Zweige zusammengefasst, die für gewöhnlich in zwei Unternehmen entstanden. Dadurch konnten die laufenden Kosten verringert werden, beispielsweise durch die Zusammenfassung der Verwaltung und der sonstigen Abläufe. Zusätzlich kann bis zu einem gewissen Grad eine bessere Auslastung der Maschinen stattfinden – das allerdings bedarf einer gewissen Größe des Unternehmens und im Fall einer Druckerei genügender Publikationen, die es zu drucken galt (= Skaleneffekt)40. Der Bärenreiter Verlag installierte beispielsweise 1926 eine eigene Druckerei, nur drei Jahre nach der Gründung des Verlages und konnte
38 Vgl. Dewenter, Ralf / Rösch, Jürgen: Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte. Eine wettbewerbsökonomische Betrachtung aus Sicht der Theorie der zweiseitigen Märkte, Wiesbaden 2015, S. 24–27. 39 Vgl. Kapitel 3.1 und 3.3.1. 40 Vgl. Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, S. 25.
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seine Produktion dadurch effizienter gestalten und das Sortiment ausbauen.41 Durch die Nutzung derselben Maschinen oder demselben Vertriebsweg für zwei oder mehr Produkte stellte sich ein Verbundeffekt ein. Daher war es sinnvoll, wenn ein Verlag wie Der Weiße Ritter viele Zeitschriften im Programm hatte, die ähnliche Herausforderungen und Vertriebswege mit sich brachten, da der Verbundeffekt so bestens ausgenutzt werden konnte. Gleiches gilt für den Erfahrungseffekt: Denn die Kosten sinken, je mehr Erfahrung ein Unternehmer oder auch sonstiger Arbeiter in der Herstellung eines bestimmten Produktes hat und je besser diese Erfahrung für weitere ähnliche Produkte genutzt werden kann.42 Kostensenkungen pro Stück konnten verschiedene Folgerungen mit sich bringen: Entweder dass erstens weniger Anzeigenkunden geworben werden und Werbung enthalten sein mussten, was finanzielle Sicherheit oder den ideellen Verzicht auf Werbung begünstigte; oder dass zweitens die Exemplare günstiger und somit für mehr Personen erschwinglich wurden; oder dass drittens die Gewinnspanne zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis größer wurde. Diese zusätzlichen Gewinne eines Bestsellers mit hoher Auflage konnten je nach Zielsetzung des jeweiligen Verlages zur Querfinanzierung von schlechter zu verkaufenden Produkten mit geringer Auflage und prozentual höheren Herstellungskosten genutzt werden. Hiermit findet die Einnahmenseite bereits Erwähnung und soll im Folgenden weiter ausgeführt werden. Einnahmenseite Zeitungen hatten mit der Wende zum 20. Jahrhundert immens an Bedeutung gewonnen. Der Kommunikationswissenschaftler Rudolf Stöber bezeichnet diese Zeit als Wende hin zur Massenpublizistik. Ihm zufolge war der Anteil an Zeitungen, die sechs bis sieben Mal in der Woche erschienen von 46,8 % 1914 auf 69 % 1928 gestiegen.43 Hierdurch differenzierten sich die Verlage und ihre Produkte immer weiter durch Themenwahl und Regionalität aus, um trotz der Masse an Angeboten Kundinnen und Kunden für sich zu interessieren. Auch Tilmann Wesolowski spricht von einer stärkeren Profilierung im Verlagswesen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.44 Es war nötig geworden eine Nische zu finden, das eigene Profil zu schärfen und eine konsistente Verlagspolitik zu entwickeln, um weiterhin auf dem stetig wachsenden Markt Kundschaft zum Kauf der eigenen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu bewegen.
Vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, S. 25–26. Vgl. Stöber, Rudolf: Pressefreiheit und Verbandsinteresse. Die Rechtspolitik des „Reichsverbands der deutschen Presse“ und des „Vereins Deutscher Zeitungs-Verleger“ während der Weimarer Republik, Berlin 1992, S. 5–8. 44 Vgl. Wesolowski, Verleger und Verlagspolitik, S. 26–28. 41 42 43
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Bei Zeitungen entwickelte sich die Finanzierung dahingehend, dass sowohl Abonnements als auch Inseratskunden zur Finanzierung der Publikationen herangezogen wurden. Beispielhaft kann Stöber das an den Zahlen der Einnahmen und Ausgaben des Ullstein-Verlags zeigen: Demnach war 1919 das Verhältnis zwischen Inserats- und Abonnementseinnahmen nahezu ausgewogen, die Inserate lagen sogar leicht über den Abonnements. Welcher Art nun die Inserate waren – privat oder geschäftlich – ist damit noch nicht gesagt. Traueranzeigen beispielsweise mussten auch damals bereits bezahlt werden und dienten keinem Werbezweck.45 Nichtsdestotrotz waren die meisten der Inserate vor allem in Zeitschriften Werbung: Anzeigekunden im engeren Sinne, die in Kapitel 3 am Beispiel des Voggenreiter Verlages und seiner Werbemaßnahmen gesondert besprochen werden.46 Zeitschriften funktionierten von ihrer Finanzierung her ähnlich wie Zeitungen, nur erschienen sie nicht in täglichen Abständen, den Untersuchungsgegenstand betreffend meist monatlich oder sogar nur vierteljährlich. Sie bedienten meist kein allgemein interessiertes Publikum und die Informationen und Inhalte waren länger aktuell und damit lesenswert als beispielsweise die regionalen politischen Entwicklungen in einer Tageszeitung. Dadurch wurde ein spezialisiertes Publikum angesprochen und auch die Inseratskundschaft richtete sich nach der erwarteten Leserinnen- und Leserschaft. Bei Büchern dagegen konnte nicht mit einem großen Anteil Inseratskundschaft gerechnet werden, da die Produkte mehr Gebrauchswert statt Verbrauchswert besaßen und nicht oder nur sehr langsam an Aktualität verloren, sondern einen bleibenden Wert darstellten. Es konnten durch Werbung in Büchern sehr viel weniger und in prozentual zum Produkt geringerem Ausmaß Leserinnen und Leser durch Werbung erreicht werden, weshalb sich zumeist bestenfalls Anzeigen für weitere Bücher aus demselben Verlag, derselben Autorin oder desselben Autors in den Druckerzeugnissen finden. Hier kamen die first copy costs und der Skaleneffekt47, wie zwar ebenfalls bei Periodika, doch um einiges stärker zum Tragen. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Teilung der drei zum Buch gehörigen Geschäftsbereiche, die teilweise in einem Haus vereinigt waren und sich nun vermehrt auf drei spezialisierte Unternehmen aufteilten, deutlicher als zuvor. Demnach wurde der Druck vermehrt als ein von der sonstigen Buchproduktion unabhängiger Bereich gewertet, zusätzlich begann sich auch der reine Handel mit Büchern von denjenigen abzugrenzen, die Bücher herstellten. Somit etablierte sich am Ende des 18. Jahrhunderts die Dreiteilung: Druckerei, Verkauf und Verlag. Wobei sich allein der Begriff „Verlag“ für die Tätigkeit beziehungsweise die Unternehmensform erst zu dieser Zeit festigte.48 In Folge dessen bedienten sich Verlage zur Kalkulation eines neuen Ver45 46 47 48
Vgl. Stöber, Pressefreiheit und Verbandsinteresse, S. 6–7. Vgl. Kapitel 3.3.3. Vgl. Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, S. 24–25, 230. Vgl. Schönstedt, Eduard / Breyer-Mayländer, Thomas: Der Buchverlag, Berlin/Heidelberg 2010, S. 23–26.
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lagsprodukts ab dem 19. Jahrhundert häufig der Drittelkalkulation: Die technischen Herstellungskosten wie etwa Druck und Satz, multiplizierten sie mit drei, wovon ein Drittel dem Buchhandel galt, also den Buchhandels- oder Sortimenterrabatt darstellte, und das verbleibende Drittel das Honorar, Werbe- und Gemeinkosten sowie den Verlagsanteil ausmachten. Idealisiert benennt Eduard Schönstedt die Anteile für Autorinnen- und Autorenhonorare und Verlagsgewinn mit je 10 % und die Gemein- und Werbekosten mit 13 1/3 % des Ladenpreises.49 An diesen idealen Prozentsätzen lassen sich sowohl die Initiative der beginnenden 1920er Jahre zum „Weimarer Mindest-Tarif “50 als auch die in den Verlagsverträgen des Verlages Der Weiße Ritter abzulesende gelebte Praxis51 messen. 2.3
Rechte, Verträge, Honorare in ihrer Aushandlung zwischen Verlagen, Buchhändlern und Autorinnen und Autoren
Menschliches Handeln wurde mit der Zeit in allen Bereichen in codierte und normierte Absprachen transferiert. Es wurden Handlungsanweisungen in Form von Regeln und Gesetzen geschaffen, um für das Zusammenleben und für das Handeln zwischen Individuen mit verschiedenen Interessen einen für alle angemessenen Weg zu finden. Betrachtet man den Buchhandel in dieser Weise, müssen zunächst die einzelnen Akteurinnen und Akteure und ihre Ziele und Motivationen zusammengetragen werden. Aus diesen Grundannahmen entstanden mit der Zeit Interessenvertretungen, die miteinander um einen für alle Seiten (vor allem wirtschaftlich) erträglichen Konsens rangen. Akteure, den Buchhandel betreffend, waren beispielsweise Autorinnen, Druckereibesitzer, Verlegerinnen, Buchhändler (Verlagsbuchhandel, Sortimentsbuchhandel und Kolportagebuchhandel), Papierproduzentinnen, Buchhandelsgehilfen, Setzerinnen, Stecher oder Grafikerinnen. All sie hatten gemein, dass sie ihr Leben durch ihre Tätigkeit zu sichern suchten und damit mehr oder weniger erfolgreich waren, was vor allem von der gesellschaftlichen und politischen Macht ihrer Statusgruppe und ihrer Interessenvertretung abhing. Im Folgenden werden zuerst die rechtlichen Aushandlungen zwischen Verlagen und Buchhandel und zweitens die zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern und Verlagen betrachtet. Buchhandelsgehilfen und weitere Dienstleisterinnen und Dienstleister im Buchhandel werden nicht betrachtet, da ihr Gewerkschaftskampf 1918/1919 erfolgreich war und sie großteils durch Tarifverträge
49 50 51
Vgl. ebd., S. 168–169. Vgl. Kapitel 2.3. Vgl. Kapitel 3.3.2 und 3.3.3.
Rechte, Verträge, Honorare
abgesichert waren.52 Zudem treten sie in den betrachteten Quellen nur am Rande und nicht selbst als Sprecherinnen und Sprecher auf. Rechtlich war der Prozess der Buchhandelsgesetzgebung mit den Verlags- und Urhebergesetzen von 1901 – dem Gesetz betreffend das Urheberrecht an den Werken der Literatur und der Tonkunst (LUG) vom 19. Juni 1901 – vorerst abgeschlossen, doch die Diskussion über die Auslegung dessen und die Machtverteilung abseits davon genauso wie neu auftretende Situationen, verursacht beispielsweise durch die neuen Medien Radio und Film, blieb weiter aktuell.53 Teilweise betroffen waren Verlage auch durch das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Bildenden Künste und der Photographie (KUG) vom 9. Januar 190754 – im Fall der Jugendbewegung war das jedoch ein zu vernachlässigender Anteil, da das Hauptaugenmerk nicht auf der Kunst, sondern auf Schrifttum und Liedgut lag. Verleger, Druckereibesitzer und Buchhändler Beginnend mit den Verlegern und Druckereibesitzern kann konstatiert werden, dass sie die ersten und lange Zeit mächtigsten Interessenvertretungen hatten. Die wichtigste war in den 1920er Jahren ohne Zweifel der Börsenverein des deutschen Buchhandels, in welchem 1925 knapp 5.000 Mitglieder (natürliche, keine juristischen Personen) vereinigt waren. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler war ein Jahrhundert zuvor, 1825, gegründet worden und wuchs schnell zur wichtigsten Interessenvertretung der Berufsgruppe der Buchhändler und vor allem Verleger an, sowohl für Absprachen untereinander als auch nach außen. Schon in den vorangegangenen Jahrhunderten war die Diskussion darüber entflammt, ob Nachdrucke ohne weiteres erlaubt oder ein unlauteres Mittel der Erwerbstätigkeit seien und vor allem ob sie rechtlich verboten werden könnten. Zeitpunkt und Begründung geben Rehbinder und Peukert wie folgt an: Erst mit der Erfindung des Buchdrucks (um 1440), des Kupferstichs und der Holzschneidekunst, die größere Auflagen möglich machten, wurde das Bedürfnis nach rechtlichem Schutz gegen Nachdruck unabweisbar. Denn Verleger oder Drucker konnten den Aufwand an Arbeit und Kapital nur dann riskieren, wenn der Absatz ihrer Auflage durch Nachdruckverbote gesichert war.55
52 Vgl. Fischer, Ernst / Füssel, Stephan: 1.1 Kultur und Gesellschaft: Signaturen der Epoche, in: Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007, S. 5–28, hier: S. 8–10. 53 Vgl. Wesolowski, Verleger und Verlagspolitik, S. 34. 54 Vgl. Peukert, Alexander: Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Ein Studienbuch, 18. Auflage, München 2018, S. 47. 55 Ebd., S. 41–42.
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Die ersten Nachdruckverbote wurden mittels Privilegien gesichert, die von Städten, Landesherren oder dem Kaiser für eine Dauer von einem bis 30 Jahren gewährt wurden. Privilegien stellten zumeist nur das Druck-, Bücher- oder Territorialprivileg dar und damit nur das Unternehmen unter Schutz, um denjenigen, die Ausgaben für die Herstellung von Druckerzeugnissen hatten, zu ermöglichen, ihre Produkte sicher absetzen zu können und keine Konkurrenz fürchten zu müssen. Jedoch bereits Ende des 15. Jahrhunderts kamen erste sogenannte Autorenprivilegien hinzu, welche den Autoren ihre Leistung der geistigen Schöpfung zugestanden und ihnen freistellten, das Werk bei einem Verleger ihrer Wahl drucken zu lassen – zunächst in Venedig, ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts auch in Deutschland. Die Beantragung und das Verfahren für die Erteilung eines Privilegs waren jedoch so teuer, dass sie sich für die meisten Verlagserzeugnisse nicht lohnten.56 Mit der Zeit erweiterte sich das Themenspektrum der zur Debatte stehenden Verhältnisse im deutschen Buchhandel: Schutzfrist für den Nachdruck, Urheberrechte, die Höhe und Einheitlichkeit von Rabatten für Buchhändler, ordnungsgemäße Abrechnungen, verbindliche Autorenverträge, den Verkauf alter Bücher unter neuem Titel, den Umgang mit Buchhandlungen und den Direktvertrieb durch die Verlage oder die Ungleichheit der Warenzölle und Transportkosten als Wettbewerbsvorteil für die Leipziger Verleger und Buchhändler wegen des Standortes der Frühlingsmesse in Leipzig.57 Aus diesen Diskussionen gründete sich der Börsenverein des deutschen Buchhandels, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch keine Regelungen festgehalten wurden. Ein erstes Statut wurde 1831 beschlossen und hielt erste Regeln unter anderem in Bezug auf Nachdruck fest.58 Doch im Börsenverein hatten die Verleger deutlich mehr Einfluss als die Buchhändler und bestimmten die Debatten, weswegen sich 1863 der Verein der deutschen Sortimentsbuchhändler gründete, was die Konkurrenzsituation zwischen Verlagen und Sortimentern spiegelte. Auch Lokalvereine des Börsenvereins wurden in der Folgezeit vermehrt gegründet, um die Interessen der Sortimenter gegenüber den Verlegern zu
Vgl. ebd., S. 41–43. Vgl. Füssel, Stephan: Die Reformbestrebungen im Buchhandel bis zur Gründung des Börsenvereins (1765–1825), in: Füssel, Stephan / Jäger, Georg / Staub, Hermann (Hrsg.): Der Börsenverein des deutschen Buchhandels 1825–2000. Ein geschichtlicher Aufriss, Frankfurt am Main 2000, S. 17–29, hier: 23–29. 58 1825 traten zunächst 101 Buchhändler ein, nach drei Jahren waren es bereits 350 und 1888 1.830, die dem Börsenverein freiwillig beigetreten waren. Im Verhältnis aber stellen sich die Zahlen völlig anders dar: In den 1830er Jahren waren es ca. 50 % aller Firmen, in den 1840er Jahren 40 %, Anfang der 1870er Jahre nur noch 25 % – eine Reduktion, die auf die nicht mehr gegebene Notwendigkeit der Teilnahme an der Messe und einen Funktionswandel von der Abrechnungs- zur Kommunikationsmesse zurückzuführen war. Der Kommissionshandel verbreitete sich stattdessen immer weiter: Buchhändler und Verleger hatten ihre Kommissionäre auf der Messe, ein Kommen war nicht mehr notwendig. Vgl. Titel, Volker: Von der Gründung des Börsenvereins bis zur Krönerschen Reform (1825–1888), in: Füssel, Stephan / Jäger, Georg / Staub, Hermann (Hrsg.): Der Börsenverein des deutschen Buchhandels 1825–2000. Ein geschichtlicher Aufriss, Frankfurt am Main 2000, S. 30–59, hier: S. 30–31, 34, 37, 43. 56 57
Rechte, Verträge, Honorare
Gehör zu bringen und diese in den übergreifenden Börsenverein einfließen zu lassen. Durch diese antagonistischen Gruppen innerhalb des Börsenvereins geriet dieser Ende der 1870er Jahre in Bedrängnis. Der Verbandsvorsitzende dieser Jahre, der Stuttgarter Verleger Adolf Kröner, hatte zwar noch bis Anfang der 1880er Jahre ein ambivalentes Verhältnis zu Reformen, doch lenkte er die Verbandspolitik zugunsten seiner Stabilisierung gegenüber den Untervereinen und dem Verein der deutschen Sortimentsbuchhändler in eine Reform – der Krönerschen Reform.59 Als Verleger waren Kröner die Sorgen um den Nachdruck und die Preisbindung gut bekannt, genauso wie die Aushandlung der Rabatte für den Buchhandel. Dies waren zunächst auch die Themen, derer er sich in den 1880er Jahren annahm. Kröner war bereits seit 1877 Vorsitzender des Süddeutschen Buchhändlervereins sowie des Stuttgarter Verlegervereins gewesen. 1880 wurde er stellvertretender Vorsitzender des übergeordneten Verbandes, des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Im Jahr 1882 wurde er dessen erster Vorsitzender und behielt diese Stellung bis 1892 mit einer kurzen Unterbrechung. Die unter seinem Namen bekannte Reform beinhaltete vor allem eine stärkere Zentralisierung des Verbandes und damit eine fixierte und reglementierte Zulassungsordnung der Statuten der einzelnen Lokalvereine. Damit einher ging die von den bestehenden buchhändlerischen Kreis-, Lokal- und Spezialvereinen angestrebte Eingliederung ihrer selbst in die neu beschlossene Organisationsstruktur des Zentralverbandes. Ein zweiter, wichtiger Aspekt der Krönerschen Reform ist die Preisbindung bei Verlagserzeugnissen, die bei der außerordentlichen Versammlung des Börsenvereins im Herbst 1887 in Frankfurt am Main eingeführt wurde und durch die in der Handelskette Neuware nicht unter dem festgesetzten und bindenden Ladenpreis, der infolgedessen auf die Produkte aufgedruckt wurde, verkauft werden durfte. Der vorausgegangene Legitimationsdiskurs führte zur langfristigen Aufrechterhaltung der Preisbindung für Verlagserzeugnisse, was diese zu besonderen Marktgütern machte, die dem Preisdumping genauso wie der Aushandlung zwischen Angebot und Nachfrage in geringem Maße ausgesetzt waren.60 Argument für die festgesetzten Ladenpreise war das Buch als Mischform mit kultureller als auch wirtschaftlicher Legitimation – wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt. Hierdurch erst war es Verlegern besser möglich, Bücher innerhalb ihres Hauses zu subventionieren: Es gab Bestseller und Ladenhüter, die einen möglicherweise trivial und die anderen kulturell und gesellschaftlich wertvoll.61 Somit war der Börsenverein der deutschen Buchhändler im ausgehenden 19. Jahrhundert zum einen eine „Interessenvertretung
Vgl. ebd., hier: S. 44, 48–50. Vgl. ebd., hier: S. 48–55. Vgl. Jäger, Georg: Keine Kulturtheorie ohne Geldtheorie. Grundlegung einer Theorie des Buchverlags, in: Estermann, Monika / Fischer, Ernst / Wittmann, Reinhard (Hrsg.): Buchkulturen. Beiträge zur Geschichte der Literaturvermittlung: Festschrift für Reinhard Wittmann, Wiesbaden 2005, S. 59–78, hier: S. 69–71. 59 60 61
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gegenüber dem Staat, zum anderen [und vor allem] Dienstleistungs-, Vermittlungsund Regulierungsinstanz für seine Mitglieder“62. In den 1910er und 1920er Jahren kamen die Gegenstimmen zu den Verlegern innerhalb der Buchhandelskette, vor allem die der Buchhändler, erneut deutlicher zu Gehör. Der Börsenverein wurde mittlerweile durch die Zentralisierung in den 1870er Jahren als Interessenvertretung des gesamten Buchhandels verstanden und konnte dadurch nicht polarisieren. Dies taten zwei andere Interessenvertretungen: der Deutsche Verlegerverein, gegründet 1886 und für die Interessen der Verleger zuständig und die Deutsche Buchhändlergilde, gegründet 1916 und den Interessen der Sortimenter verpflichtet.63 Es ging weiterhin vor allem um die Machtposition der Verleger, die in der Preisgestaltung wie auch durch die Möglichkeit des Direktverkaufs an die Endkundinnen und -kunden für die Sortimentsbuchhändler schlechte Konditionen mit sich brachte. Diese Machtposition der Verlage geriet nach und nach ins Schwanken. Als Lösung wurden beispielsweise feste Buchhandelsrabatte festgelegt, die etwa ein Drittel des festgesetzten Ladenpreises ausmachen. Auch mit weiteren Interessengruppen musste sich der Börsenverein auseinandersetzen: zum einen gegen die wissenschaftlichen Autoren und Abnehmerinnen ihrer Werke, da diese durch den zugestandenen Autorenrabatt (Abgabe zu den Konditionen des Buchhandelsrabatts und Recht zum Weiterverkauf) Vergünstigung erfuhren, zum anderen gegen den Kolportage-, Kaufhaus- und sonstigen Buchhandel. Besonders relevant für den Forschungsgegenstand ist aber die Auseinandersetzung mit dem Verbands- und Vereinsbuchhandel, der nach dem Ersten Weltkrieg aufblühte. Durch die wirtschaftlich schlechte Lage gaben Vereine und Verbände ihre Fachbücher und -zeitschriften an ihre Mitglieder zu bevorzugten Bedingungen ab, die sie durch die Gründung eigener Verlage oder den Abdruck in Selbstverlag gewährleisteten und die Kosten wurden durch Honorarverzicht, Verzicht auf eine eigene ausgeprägte Infrastruktur und die nicht einzukalkulierenden Buchhandelsrabatte niedrig gehalten. Was der Buchhandelsrabatt und die dahinterliegenden Festsetzungen für Verleger bedeuteten, wird aus einem Brief Heinrich Voggenreiters an seinen Autoren Leopold Zimmermann von 1930 deutlich. In der Mehrheitsgesellschaft scheinen die Aushandlungsprozesse der am Buchhandel Beteiligten nicht in ihrem vollen Ausmaß bekannt gewesen zu sein:
62 Vgl. Titel, Von der Gründung des Börsenvereins bis zur Krönerschen Reform (1825–1888), S. 30–59, hier: S. 56. 63 Einen Überblick über die Vielzahl an Interessenvertretungen im deutschen Buchhandel gibt Georg Jäger in der dreibändigen Geschichte des deutschen Buchhandels des 19. und 20. Jahrhunderts: Vgl. Jäger, Georg: Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2010; siehe auch: Jäger, Georg: Von der Krönerschen Reform bis zur Reorganisation des Börsenvereins 1928, in: Füssel, Stephan / Jäger, Georg / Staub, Hermann (Hrsg.): Der Börsenverein des deutschen Buchhandels 1825–2000. Ein geschichtlicher Aufriss, Frankfurt am Main 2000, S. 60–90, hier: S. 62, 65–66.
Rechte, Verträge, Honorare
Lieber Poldel, Du rechnest immer noch nicht ganz richtig und ich muss Dir doch nochmals sagen, dass dieser Gewinn von mehr als 50 % nicht ganz richtig ist. Du darfst niemals rechnen, dass wir die Mk: 1,80 oder Mk: 2,– Ladenpreis voll hereinbekommen, sondern doch auf jeden Fall mit einem Durchschnittsrabatt von mindestens 35 % pro stck. rechnen können, meistens sind es sogar 40 und dass wir ausserdem dann auch noch nicht die Spanne zwischen dem Nettopreis und dem Herstellungspreis haben, sondern auf dem Herstellungspreis eine verhältnismässig allgemeine Unkostenziffer lagern haben.64
Hieraus wird deutlich, dass Heinrich Voggenreiter als Verleger zuerst die Herstellungskosten bedenken musste und einen Ladenpreis festlegte, wie in Kapitel 2.2 gezeigt. Dieser Ladenpreis wurde fixiert und es durfte in der Folge kein Buch unter diesem Ladenpreis an Endkunden veräußert werden, um dem Dumping und dem unlauteren Wettbewerb zu entgehen. Würde nun der Verlag all seine Bücher selbst unmittelbar verkaufen, wäre das entstehende Delta der Reingewinn. Allerdings gab es einen weiteren Akteur in der Kette: den Buchhändler. Dieser konnte, wie oben beschrieben, zu einem sich Anfang des 20. Jahrhunderts fixierten Rabatt vom Ladenpreis (meist etwa ein Drittel, Sortimenter bekamen häufig zusätzliche 10 %, Heinrich Voggenreiter schreibt dementsprechend von 35 bis 40 %65) von den Verlagen erstehen, um die Differenz als eigene Einnahmen verbuchen zu können. Durch Kompromisse und die gleichberechtigte Berücksichtigung vor allem der Sortimenter neben den Verlagen innerhalb des Börsenvereins durch die sich in den 1920ern anbahnende und 1928 vollzogene Satzungsänderung konnte eine Vermittlung geschaffen werden, mit der alle Interessenverbände Kompromisse eingingen und dennoch in einigen Punkten Recht zugesprochen bekamen.66 Währenddessen ging der Börsenverein mit der Zeit und bemühte sich beispielsweise in der generellen Lesewerbung, um den neuen Medien Radio und Kino zu begegnen, die den gesamten Buchhandel stärken sollte. 1922 wurde eine Werbe-Abteilung im Börsenverein eingerichtet, um verbandseigene Zeitschriften zu bewerben, aber auch die Werbung für das Lesen generell und für die Wertschätzung des Buches trieb diese Abteilung unter anderem durch ihre Veröffentlichungen voran.67
64 Brief von Heinrich Voggenreiter an Leopold Zimmermann vom 24. Februar 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 65 Diese Aussage wird durch weitere Beispiele aus dieser Zeit plausibilisiert: Vgl. bspw. Kuhbandner, Birgit: Unternehmer zwischen Markt und Moderne. Verleger und die zeitgenössische deutschsprachige Literatur an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2014, S. 179–180. 66 Vgl. Jäger, Von der Krönerschen Reform bis zur Reorganisation des Börsenvereins 1928, hier: S. 83–85. 67 Vgl. ebd., hier: S. 66–67.
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Autorinnen und Schriftsteller und das Urheberrecht Nicht nur Verlage als diejenigen, die ein Produkt zusammenführten, und der Vertrieb durch Buchhändler suchten ihre Rechte an einem zu Geld zu machenden Kulturgut. Doch mit der Frage nach dem Buchhandelsprodukt stellte sich die Frage nach denjenigen, die für den Inhalt verantwortlich waren, die Texte schrieben und Abbildungen fertigten. Wie sie für ihre Leistung vergütet wurden, hing stark von der Vorstellung von Arbeit, geistigem Eigentum und der Kreativ- und Genieleistung ab, die Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstlern und Komponistinnen und Komponisten von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich zugesprochen wurde. Im Zuge dieses Diskurses über die Verwertung von Kunst und Kultur als Verlagseigentum, als geistigem Eigentum der Autorin oder des Autors, als Persönlichkeitsrecht oder als Immaterialgüterrecht68 entstand das Urheberrecht. Die Diskussion und anschließende Verurteilung des Nachdruckens von Werken innerhalb des Börsenvereins des deutschen Buchhandels bezeugen die sich lange Zeit durchsetzende Vorstellung, dass durch die Weitergabe des Manuskripts einer Autorin oder eines Autors an einen Verlag auch das Eigentum an dessen Inhalt überging – eine Trennung von Materiellem und Immateriellem gab es zunächst nicht. Der Autor wurde teilweise durch ein Honorar bezahlt, womit alle Leistungen als abgegolten galten. Werte wurden in diesem Verständnis allein aus der Herstellung von Druckerzeugnissen geschöpft und auch hierbei lag das Eigentum beim Verlag oder bei der Druckerei. Nachdrucken durfte allein dieser Verlag – das allerdings so oft und so viel er wollte. Nur wenn dieser Verlag oder die Druckerei ein Privileg beantragt hatte, konnten diese aber bei Nachdruck durch einen anderen Verleger seine Rechte geltend machen, das Buch vernichten und den Nachdruck offiziell verbieten lassen.69 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wandelte sich das Verständnis und es wurden erste Regelungen zugunsten des Autorenschutzes getroffen. Dabei „war wiederum England führend, das unter Queen Anne als erstes Land in einem Gesetz von 1710 (nicht 1709) ein zeitlich befristetes, ausschließliches Vervielfältigungsrecht des Autors an seinen Werken anerkannte.“70 Dieses erste „Copyright“ wurde zunächst auf 14 Jahre festgesetzt und konnte, sofern der Autor oder die Autorin nach Ablauf dieser Frist noch lebte, um weitere 14 Jahre verlängert werden. Auch in den USA und in Frankreich setzten sich im 18. Jahrhundert derartige Gesetze durch – teils naturrechtlich begründet und damit zeitlich unbegrenzt, teils als qua Staatsmacht zugesprochenes, zeitlich begrenztes Recht. Die dahinterliegende ideelle Vorstellung speiste sich unter anderem aus Überlegungen zum Eigentum, das nicht nur materiell-körperlich, sondern auch geistig sein könnte. Auch referierten die Denker dieser Zeit auf die Eigentumstheorie 68 69 70
Vgl. Peukert, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, S. 46–50. Vgl. ebd., S. 11. Ebd., S. 11–12.
Rechte, Verträge, Honorare
des Philosophen John Locke, nach welcher Eigentum durch Arbeit erworben werde. Diese Arbeit, so interpretierten Zeitgenossen Lockes, könne auch geistige sein, die immaterielle Güter wie Literatur hervorbringe und die entlohnt werden müsse.71 Parallel zu der Vorstellung von geistigem Eigentum entwickelte Immanuel Kant in seinen Überlegungen über die Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (1785) die Vorstellung vom Urheberrecht als Persönlichkeitsrecht, das von dem Sachenrecht des körperlich-materiellen Buches zu unterscheiden sei und trug dadurch nicht nur den wirtschaftlichen Interessen an einem Druckwerk Rechnung, sondern auch den ideellen der Autorin oder des Autors. „Diesen Gedanken fortentwickelnd hat Johann Caspar Bluntschli 1844 das ‚Autorrecht‘ primär als Persönlichkeitsrecht und nur sekundär als Vermögensrecht konstruiert.“72 Der Schutz des wirtschaftlichen Rechts, das mit den Rechten des Urhebers auf Bestimmung des Ab- und Nachdrucks zusammenhinge, stellte dadurch ein zweitrangiges Recht dar.73 Doch die theoretische Auseinandersetzung mit der Urheberin oder dem Urheber und ihren beziehungsweise seinen Rechten an dem von ihr oder ihm Geschaffenen setzte sich noch weiter fort. In den 1870er und 1880er Jahren war dieses Sujet, dass das Urheberrecht weder reines Vermögensrecht noch reines Persönlichkeitsrecht ist, bereits Thema der ausführlichen rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung des Juristen Josef Kohler. Seine Argumentation für ein Immaterialgüterrecht baute dabei auf den Überlegungen Johann Gottlieb Fichtes, Johann Friedrich Herders und Arthur Schoppenhauers auf: Er formulierte das doppelte Recht der Person des Autors – Persönlichkeitsrecht und Immaterialgüterrecht – als Urheberrecht, das von der Scheidung in das Materielle und das Immaterielle eines Buches oder sonstigen Werkes ausging.74 „Danach ist das Urheberrecht ‚ein Recht an einem außerhalb des Menschen stehenden, aber nicht körperlichen, nicht fass- und greifbaren Rechtsgute‘.“75 Im Deutschland des 18. Jahrhundert suchten nahezu zeitgleich zu England Autorinnen und Autoren ihre soziale, ökonomische und symbolische Position zu sichern, indem sie ähnliche Gesetze forderten. Doch erst im 19. Jahrhundert wurde die Lage durch die massenweise Nutzung der neuen Drucktechnik durch die Rotationsmaschine so brisant, dass auch Autorenrechte vor dem oben geschilderten ideellen Hintergrund gesetzlich umfassend festgehalten wurden: 1831 in den USA, 1837 in Preußen, 1842 in Großbritannien und 1847 in Österreich.76 In Deutschland erschwerte die territoriale Zersplitterung, eine einheitliche Regelung zu finden. Vgl. ebd., S. 47. Ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 4–5. Vgl. ebd., S. 49; Heute wird das Urheberrecht nach seiner Novellierung 1965 als kommerzialisierbares Persönlichkeitsrecht angesehen und steht damit zwischen einem Vermögens- und einem Persönlichkeitsrecht. Vgl. ebd., S. 49–50. 75 Ebd., S. 15. 76 Vgl. Dommann, Autoren und Apparate, S. 31–49. 71 72 73 74
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„Preußen ergriff deshalb die Initiative, indem es 1837 ein Gesetz zum Schutze des Eigentums an Werken der Wissenschaft und Kunst verkündete. Dieses erste moderne deutsche Urheberrechtsgesetz war strafrechtlich konzipiert wie die Nachdruckverbote, welche mittlerweile in allen deutschen Staaten erlassen waren, baute aber klar auf dem Gedanken des Urheberschutzes auf. Es brachte auch ein Aufführungsrecht bei dramatischen und musikalischen Werken, während bisher immer nur der Nachdruck verboten worden war, und legte eine Schutzfrist von 30 Jahren nach dem Tode des Urhebers fest.“77
Die Bundesversammlung dagegen machte lediglich eine Schutzfrist von zehn Jahren nach Erscheinen des Werks als schutzwürdige Dauer zur Pflicht für die Bundesländer, 1845 wurde die Frist auf 30 Jahre nach dem Tod des Urhebers festgesetzt. Diese Dauer blieb bis nach Ende des Untersuchungszeitraums, konkret bis 1936, als sie auf 50 Jahre erweitert wurde, bestehen.78 1870 endlich beschloss der Norddeutsche Bund ein Gesetz betreffend Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramaturgischen Werken, das 1871 zum Reichsgesetz erklärt wurde. 1876 erfolgte eine Erweiterung durch ein Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Bildenden Künste, ein Gesetz betreffend den Schutz der Photographien und ein Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen.79 Autorenrecht war es auch, die eigenen Werke mit Buchhändlerrabatt zu beziehen und diese auch weiter zu verkaufen. Wichtig und umstritten wurde diese Regelung Anfang der 1920er Jahre, als viele wissenschaftlich Tätige sich aus finanzieller Not in der Wirtschaftskrise nur schwer die notwendige Literatur beschaffen konnten. Aus dieser Situation heraus entstand ein System der Vernetzung zwischen den Universitäten, durch welches die jeweiligen Rabatte der an den Universitäten tätigen Professoren genutzt und weitergegeben wurden. Dies wiederum bedeutete einen wirtschaftlichen Schaden bei den betreffenden Verlagen. Dennoch einigten sich die Beteiligten zugunsten der Verfasser und der Rabatt für die Verfasser von Werken wurde auch langfristig beibehalten.80 All das bisher geschilderte betraf die Erstverwertung, die zweite Verwertung soll hier nicht weiter betrachtet werden. Es sei lediglich gesagt, dass sich – zunächst nur für musikalische Werke und Aufführungen in verschiedenen nationalen Kontexten – Verwertungsgesellschaften gründeten, die die Rechte der ihnen zugehörigen Autorinnen und Autoren als Werksherrn treuhänderisch vertraten. „Es handelt sich [bei den Verwertungsgesellschaften] um bürokratische Bewertungs-, Verwaltungs-, und Vertei-
Peukert, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, S. 13. Vgl. Füssel, Stephan: Einsatz für Rechtsfragen des Handels, in: Füssel, Stephan / Jäger, Georg / Staub, Hermann (Hrsg.): Der Börsenverein des deutschen Buchhandels 1825–2000. Ein geschichtlicher Aufriss, Frankfurt am Main 2000, S. 205–215, hier: S. 206–207. 79 Vgl. Peukert, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, S. 13. 80 Vgl. Jäger, Von der Krönerschen Reform bis zur Reorganisation des Börsenvereins 1928, hier: S. 75–76. 77 78
Rechte, Verträge, Honorare
lungsapparate, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden und im 20. Jahrhundert in Europa und den USA die Gestaltung von Urheberrechten beeinflussten.“81 In Deutschland waren dies zwischen 1903 und 1933 die Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht (AFMA), die Anstalt für mechanisch-musikalische Rechte GmbH (AMMRE) oder die Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte (GEMA) und letztendlich ab 1933 die Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte (STAGMA). Die Situation des Buchhandels nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich im Gegensatz zu vor dem Krieg verschärft. Ernst Fischer und Stephan Füssel weisen darauf hin, „dass 1918 die Buchproduktion auf weit weniger als die Hälfte der letzten Friedensproduktion (1913) abgesunken war.“82 Besonders die Materialien und darunter vor allem Papier und sonstige Anschaffungskosten wie für Schreibmaschinen der „geistigen Arbeiter“, wie sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Vortragende übergreifend selbst nannten, waren stark von der Teuerung des Lebensunterhalts betroffen. Die Trennlinie, an welchen sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller aufrieben und über welche Positionierung sie sich untereinander deutlich uneinig waren, betraf vor allem das daraus resultierende Selbstverständnis als Berufsschriftstellerin und Berufsschriftsteller oder Schriftstellerin und Schriftsteller aus Berufung. Ersterem wurden rein ökonomisch-juristische Interessen zugeordnet, zweiterem ästhetisch-kulturelle und moralische. Zudem waren sich die Verbünde politisch keinesfalls einig.83 Aus diesem Grund versuchten die Betroffenen Einfluss auf die Gestaltung des Buchhandels und vor allem auf ihr Recht einer auskömmlichen Bezahlung zu nehmen. Auch hierzu entstanden verschiedene Interessenverbände. Der Deutsche Schriftsteller Verband (DSV), gegründet 1887, der sich vor allem für die Berufung und das Genie von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aussprach und von ihnen als „wahre, nationale Wertelite“ überzeugt war, sprach sich für eine staatliche Subventionierung der Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus. Der Allgemeine Schriftstellerverein (ASV), gegründet 1898, zog seine Vorstellungen mehr aus der Idee des Schriftstellers als anpassungswillige, marktkonforme Berufsgruppe. Allerdings konnte diese Linie, die den Einsatz gegen Hobbyschriftstellerinnen und -schriftsteller bedeutet hätte, nicht eingehalten werden, da einige großzügige Spenderinnen und Spender des Vereins dieser Gruppe angehörten.84 Dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS), gegründet 1909/10, bescheinigt Britta Scheideler „sehr unterschiedliche[…] interessenpolitische[…] Ziele[…] und Formen […], die von der Organisation und Arbeit als Ge81 Dommann, Autoren und Apparate, S. 107–108. Ausführlich beschreibt Monika Dommann diese Entwicklung für Musik-bezogene Verwertungsgesellschaften. 82 Fischer/Füssel, 1.1 Kultur und Gesellschaft: Signaturen der Epoche, S. 5. 83 Vgl. Scheideler, Britta: 2.1 Schriftsteller und Schriftstellerorgane, in: Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918– 1933, München 2007, S. 99–148, hier: S. 142. 84 Vgl. ebd., S. 127–130.
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werkschaft und als Berufsverband bis hin zur Standesrepräsentation einer Wertelite mit dem Anspruch auf Privilegierung und Alimentierung reichten“85 und damit die Debatte insgesamt abbildete. Er hatte bis 1920 eine Tendenz Richtung Gewerkschaftskampf, was am traditionellen Schriftstellerverständnis scheiterte, das sich beispielsweise in der Selbstbezeichnung als Unternehmerin, als Arbeitgeber, als Hausgewerktreibende oder Selbstständiger, nicht aber als Arbeiterin oder Arbeiter im Arbeitskampf zeigt. Wegen der fehlenden Kooperation der Interessenverbände hatte keine der groß angelegten Initiativen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Schriftstellerinnen und Schriftsteller Erfolg.86 Diese Auseinandersetzungen der Schriftstellerverbände schlagen sich auch in den Quellen nieder und so ist es keine Überraschung, dass die Initiative zum „Weimarer Mindest-Tarif “ von 1921 in Form eines beidseitig bedruckten Aufrufs zur freiwilligen Teilnahme an die Verlage bei den Akten zur Zeitschrift „Der Pfadfinder“ im Nachlass von Freiherr von Seckendorff zu finden ist. Erarbeitet und unterstützt wurde dieses Papier vom Allgemeinen Schriftsteller-Verein Berlin, dem Bund für Fachschrifttum Berlin, dem Volkskraftbund Berlin, dem Westdeutschen Schriftsteller-Bund Köln, der Vortragsgewerkschaft geistiger Arbeiter Berlin, der Vortragsgemeinschaft „Wille und Weg“, der Vortragsgesellschaft „Geistige Pioniere“ und einem Dutzend Privatpersonen, darunter der Vorsitzende des Deutschen Schriftsteller-Verbandes, C. A. Wenzel. Die Formulierung eines Mindesttarifs war als bindende Anforderung an Verlage erdacht, die das Recht auf diese Vergütung der Autorinnen und Autoren festsetzte und bezifferte und auch einklagbar machen sollte. Dieses Recht war den Autorinnen und Autoren in diesem Entwurf zwei Jahre lang eingeräumt, danach sollte es an eine „noch zu bildende ‚Kasse der Schriftsteller‘“ übergehen und durch sie notleidenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern zugutekommen. Zeitlich sollte der formulierte TarifVertrag auf dem überlieferten Rundschreiben ab dem 1. April 1921 für die Dauer von zwei Jahren gültig sein. „Bei Nichtkündigung bis spätestens sechs Monate vor Ablauf gilt der Vertrag um je ein weiteres Jahr stillschweigend verlängert.“ Versehen war diese zweiseitige Aufforderung inklusive des Vertrages mit einem Antwortvordruck zur Annahme des Tarifvertrages, der durch den jeweiligen Verlag ausgefüllt und unterschrieben an den Bund der Tarifkämpfer zurückgesendet werden sollte.87 Britta Scheideler weist darauf hin, dass diese Tarifanfrage-Rundbriefe an eine große Menge deutscher Verlage verschickt wurden, der Rücklauf jedoch sehr gering war und die Honorarforderungen durch Selbstprekarisierung wegen der ausgeprägten Konkurrenzsituation der Schriftstellerinnen und Schriftsteller bereits durch sie selbst unterschritten wurden:
Ebd., S. 130–131. Vgl. ebd., S. 131–132, 135–136. Vgl. Bund der Tarifkämpfer. Arbeitsgemeinschaft der deutschen Schriftsteller: An die deutschen Verleger! (Weimarer Mindest-Tarif), Tutzing [1921?], AdJb N 121/13. 85 86 87
Rechte, Verträge, Honorare
Bis auf wenige Achtungserfolge lehnte die Mehrzahl der Verleger die Tarife ab. Im Juni 1921 musste Eichacker konstatieren, dass das Ergebnis der 7.000 Rundschreiben an die Verleger noch geringer als erwartet ausgefallen war und das Ziel einer „Eintragung des Tarifs ins Tarifregister“ verfehlt wurde.88
Für die weitere Untersuchung interessant ist diese Initiative dennoch und zwar weil sie eine Richtschnur dafür sein kann, was von einigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller als das anzusetzende Honorar angesehen wurde, das zwischen Verlag und Autorinnen und Autoren festgelegt werden sollte. Der sogenannte „Weimarer Mindest-Tarif “ hatte zwei Kategorien: A. für den Buch-Verlag und B. für Zeitschriften und Tageszeitungen. Für Autorinnen und Autoren von Büchern wurde festgelegt, dass die Berechnungsgrundlage der Ladenpreis des broschierten Exemplars sein sollte. Prozentual stünden dem Autor mindestens 7,5 % bei Büchern mit einem Ladenpreis von bis zu 5 Mark zu, 10 % bei Büchern mit einem Ladenpreis von über 5 Mark. Pauschalhonorare seien aller Regel nach unzulässig, es sei denn der Ladenpreis liege bis zu 5 Mark und das Honorar sei mit dem des prozentualen Mindest-Honorars vergleichbar. Erscheinungstermine sollten qua Vertrag fixiert werden. Ausdrücklich hingewiesen wurde darauf, dass diese Festlegungen keine Normalverhältnisse spiegelten, sondern lediglich eine Mindestanforderung darstellten. Das Normalhonorar liege stattdessen bei 10 % bei einem Ladenpreis des Buches von unter 3 Mark und 15 % bei einem Ladenpreis von über 3 Mark. Auch für bereits anerkannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller gab es eine Sonderregel: Ihnen sei ein Vorschuss für den Absatz von mindestens 2.000 Exemplaren zu zahlen. Zweitdrucke und Übersetzungen sollten dem Autor mit 60 % des Bruttoertrages vergütet werden.89 Für Zeitschriften waren die Honorarforderungen deutlich detaillierter, je nach Länge des eingereichten Schriftstücks und Art – ob Belletristik, Lyrik, Artikel, Witze oder sonstiges. Zusätzlich zu den grundsätzlichen Honoraren wurden Zuschläge für die Höhe der Auflage oder Exklusivität festgehalten. Auch wenn durch die Initiative des „Bundes der Tarifkämpfer“ mit dem „Weimarer Mindest-Tarif “ keine Festlegungen getroffen werden konnten, kann dieser Vorstoß mit seinen Mindest- und Normalforderungen für die Einschätzung der Honorare der im Folgenden zu besprechenden Verlage mit ihren Autorinnen und Autoren als Grundlage dienen, besonders da dieses Rundschreiben zum „Weimarer Mindest-Tarif “ in den Akten zu einer bündischen Zeitschrift zu finden war. ***
Scheideler, 2.1 Schriftsteller und Schriftstellerorgane, S. 136–137. Vgl. Bund der Tarifkämpfer. Arbeitsgemeinschaft der deutschen Schriftsteller: An die deutschen Verleger! (Weimarer Mindest-Tarif), Tutzing [1921?], AdJb N 121/13. 88 89
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Der „bündische Kulturmarkt“ kann nicht ohne die auf ihn wirkenden Institutionen in Anlehnung an die Neue Institutionenökonomik der Wirtschaftswissenschaften betrachtet werden: Dabei wirkten sowohl formelle als auch informelle Institutionen auf die Gestaltung des Marktgeschehens ein. Diese siedelten sich auf verschiedenen Ebenen an und zeigten sich erstens im sozialen Umgang und in den Alltagspraktiken der Bündischen, zweitens in den finanziellen, finanzpolitischen und generellen wirtschaftlichen Gegebenheiten und drittens in den rechtlichen Festlegungen zu Verlags- und Autorenrechten der Zeit. Das, was sich als Alltagspraktiken der Bündischen etablierte, waren das Wandern, Lagern und Singen außerhalb des Einflussbereichs von Erziehungsinstanzen wie Schule, Kirche und Elternhaus. Diese Selbstorganisation forderte Aushandlungsprozesse heraus und es entstanden soziale Regeln des Umgangs miteinander innerhalb der einzelnen Gruppen, aber auch in überbündischen bis hin zu internationalen Kontexten. Auch auf dem „bündischen Kulturmarkt“ tarierten sich Angebot, Nachfrage und Preis aus, doch entstand die spezielle Nachfrage erst mit der Subkultur, woraufhin die Angebote entwickelt wurden und letztlich spiegelte sich im angesetzten Preis mehr als ein rein monetärer Wert, sondern vielmehr auch ideelle, kulturelle oder emotionale Werte, die als subkulturspezifisch anzusehen waren. Wie sich die Finanzierung eines Verlagswerks gestaltete – vereinfacht gesagt: in einer Drittelkalkulation (ein Drittel technische Herstellungskosten, ein Drittel Buchhandels- oder Sortimenterrabatt und ein Drittel Honorare, Werbe- und Gemeinkosten sowie Verlagsanteil) – ist für die folgende Untersuchung genauso wichtig, wie die Betrachtung wirtschaftlicher Krisen wie der Hyperinflation 1923 und der Weltwirtschaftskrise, die sich von 1929 bis in die frühen 1930 Jahre auf die deutsche Wirtschaft auswirkte. Ein „Kulturmarkt“ konnte nur innerhalb der gesellschaftlich üblichen gesetzlichen Festlegungen bestehen, die sich im Falle des Buchhandels auf das Urheberrechtsgesetz von 1901 bezogen. Die rechtlichen Verhandlungen der Interessenverbände – hauptsächlich Verlage und Schriftstellerinnen und Schriftsteller, aber auch Buchhandelsgehilfen – und ihre Vorstöße sind jedoch ebenfalls zu beachten, da sich auch die betreffenden Gesetze in einem Aushandlungsprozess befanden, die bereits Wirkung zeigten, auch wenn formale Änderungen erst nach dem Untersuchungszeitraum in Kraft traten. Besonders hervorzuheben sind die Verlängerung von Schutzfristen, die Festlegung von Verwertungsrechten unter anderem im Rundfunk oder die Festlegung von Prozentanteilen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller am durch ihre Werke erwirtschafteten Gewinn. In diese Zeit mit kulturellen, finanziellen und rechtlichen Regeln und Normen – formellen und informellen Institutionen – fügten sich die zu untersuchenden Verlage auf dem „bündischen Kulturmarkt“ ein. Auf diese das Marktgeschehen rahmenden Institutionen wird in den folgenden Untersuchungen zurückzukommen sein, um die Ergebnisse aus den Quellen mit den Zeitumständen abzugleichen und progressive und konservative Handlungsmuster auszumachen.
3.
Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau: Der Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter
Der ‚Weiße Ritter‘ und die ‚Spur‘, die ‚Bücher der Waldverwandtschaft‘ und die anderen lebendigen Gaben – sie alle sind erste Vorboten eines groß angelegten Gebäudes für das junge Leben. Noch legen wir ihm erst die Fundamente, in jeder Hinsicht! Wer baut mit?1 Ludwig Voggenreiter, 1925 Ohne Geld geht’s einmal nicht.2 Schriftleitung der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, 1920
Der Weiße Ritter Verlag, der nach den ersten zehn Jahren seines Bestehens in Ludwig Voggenreiter Verlag umbenannt wurde, ist ein Glücksfall für die Betrachtung des „Bündischen Kulturmarktes“. Nicht nur ist der Verlag aus der Idee entstanden, dass das Gedankengut freier Jugendzusammenschlüsse in Nachfolge der Pfadfinderbewegung und mit Einflüssen der Wandervogelbewegung weitergetragen werden müsse, noch dazu geschah dies durch ein wirtschaftliches Unternehmen und damit in dem Marktsegment für Verlagsprodukte. Diese Schnittstelle zu untersuchen, wird dadurch ermöglicht, dass im heute noch bestehenden Voggenreiter Verlag eine Vielzahl an Dokumenten, die sich über die Zeit angesammelt haben, aufbewahrt werden und für diese Untersuchung zur Verfügung standen. Zusätzlich sind viele der Verlagsprodukte und im Speziellen die Zeitschriften sowohl im Archiv der deutschen Jugendbewegung (AdJb) als auch in der Universitätsbibliothek Heidelberg erhalten geblieben. Im AdJb sind darüber hinaus Personalakten und Korrespondenzen mit Bündischen überliefert. Damit soll eine erste Blaupause eines solchen Kulturmarktunternehmens geschaffen werden, die in Kapitel 4 als Vergleichsgegenstand für andere, im Quellenbestand nicht 1 Vgl. Voggenreiter, Ludwig: Geschichte – Politik – Werke, in: Der Naumburger Bund 1920–1925. Sonderheft zum Weißen Ritter, Jg. 5 (1924/25), Potsdam [Pfingsten] 1925, S. 17–22, hier: S. 22. 2 Vgl. Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 7, Regensburg 1920, S. 168.
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Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau
ebenso gut repräsentierte Verlage herangezogen werden kann. Im Folgenden wird zunächst erläutert, wer die an der Gründung des Verlages beteiligten Akteure waren, welche Idee sie zur Unternehmensgründung veranlasste (3.1) und welche Entwicklungsschritte der Verlag machte (3.2). Darauffolgend wird im Hauptteil dieses Kapitels der Verlag Der Weiße Ritter beziehungsweise der Ludwig Voggenreiter Verlag hinsichtlich der drei bestimmenden und unternehmensformenden Elemente des „Bündischen Kulturmarktes“ untersucht: erstens das Profil des Verlags (3.3.1), zweitens die rechtlichen Fixierungen durch Verträge (3.3.2) und drittens die Positionierung auf dem Markt und die Finanzierung der Unternehmung (3.3.3). 3.1
Akteure und Organisationen: Reform, Spaltung und Einigung
Unausweichlich ist der Verlag Der Weiße Ritter vor allem mit den Namen Ludwig (*1898), Max (*1897) und Heinrich (*1905) Voggenreiter sowie Franz Ludwig Habbel (*1894) und ihrer Gründungsidee verbunden. Habbel war der jüngste Sohn des erzkatholischen Regensburger Verlegers Josef Habbel, der im Gegensatz zu seinen Geschwistern aus der zweiten Ehe seines Vaters stammte.3 Bereits 1906 hatte Josef Habbels Sohn Martin Habbel zusammen mit seinem Schwiegersohn Heinrich Held den Zeitungsverlag (inklusive Regensburger Morgenblatt und Regensburger Anzeiger4) in der Fröhlichen-Türken-Straße in Regensburg übernommen. 1910 übernahm ein weiterer Sohn, Josef Habbel (II) den väterlichen Buch- und Kunstdruckverlag im Neubau in der Gutenbergstraße in Regensburg, nachdem sich der Vater aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte und sich mehr dem politischen und sozialen Wirkungsbereich widmete.5 Der jüngste Sohn, Franz Ludwig Habbel, stieg in keinen dieser Verlage ein, war jedoch durch die Familientradition geprägt und profitierte von dem angesammelten Wissen, der Infrastruktur und dem Kapital der Familie. Franz Ludwig Habbel war bereits vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied des durch die Pfadfinderbewegung beeinflussten Bayerischen Wehrkraftvereins (BWV) geworden, der 1910 unter dem Protektorat des Prinzregenten Luitpold gegründet worden war. Habbel wirkte frühzeitig in hierarchisch höhergestellten Positionen. Bereits zu dieser Zeit verfasste und veröffentlichte Habbel im Namen des Bayerischen Wehrkraftver-
3 Vgl. Reichmann, Claudia: Die Verlegerfamilie Habbel. Ein Kapitel der Regensburger Verlags-Geschichte, in: Färber, Konrad M. / Böhm, Karl (Hrsg.): Märchenbühne der Geschichte, Regensburg 2000, S. 111–117, hier: S. 116. 4 Vgl. Jobst, Andreas: Regensburger Anzeiger / Bayerischer Anzeiger Onlinefassung, URL: https://www. historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Regensburger_Anzeiger/Bayerischer_Anzeiger [01.07.2020]. 5 Emmerig, Thomas: Regensburger Verlagsbuchhandlungen als Musikverlage, Tutzing 2007, S. 229–234. Genauer, aber immer noch kurz beschrieben finden sich die Familienverhältnisse und die Verlagsgeschichte inkl. Verweis auf Franz Ludwig Habbel, der im vorgenannten Werk keine Erwähnung findet in: Reichmann, Die Verlegerfamilie Habbel.
Akteure und Organisationen: Reform, Spaltung und Einigung
eins sogenannte „Kriegsspiele“ – militärische Strategiespiele für Jungen, um sie auf Kriegshandlungen vorzubereiten.6 In der bereits in Kapitel 1 genannten Publikation über die deutschen Jugendpflegeverbände, herausgegeben von Hertha Siemering, wird über den Bayerischen Wehrkraftverein berichtet, dass die Lücke vom Austritt aus der Werktagsschule bis zur Militärreife ausgefüllt werden [sollte], um in diesen Jahren bei der Jugend die Lust für körperliche Betätigung zu wecken, ihre Sinne für die Auffassung der Natur zu schärfen, und sie vor allem zur Kameradschaft, Selbstzucht, Abhärtung und Vaterlandsliebe zu erziehen, überhaupt sie vor Entnervung und Verweichlichung zu schützen, was wir hauptsächlich dadurch zu erreichen hoffen, daß wir unsere Jugend fleißig an den freien Tagen und bei jedem Wetter ins Gelände führen. […] Unzertrennlich mit dem vaterländischen Gedanken ist für den Wehrkraftverein der monarchische. Wir überwachen auch die Erfüllung religiöser Pflichten.7
Der monarchische Gedanke wird dabei auch im Protektorat zunächst durch Prinzregent Luitpold und später durch König Ludwig III. sichtbar, auch der erste Vorsitzende stammte aus dem Adel – Maximilian Graf von Moy.8 Unverkennbar zeigte sich die monarchische Verquickung des Verbandes nach innen und nach außen, wovon sich viele junge Mitglieder, unter anderem auch Habbel und Voggenreiter, nach 1918 zu emanzipieren versuchten. Max Voggenreiter, der ein Jahr vor seinem Bruder Ludwig geboren wurde, setzte sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg wie auch Franz Ludwig Habbel für die Erneuerung des Bayerischen Wehrkraftvereins ein, in welchem auch er Mitglied war. Dies tat er sowohl auf der ersten sogenannten „Aussprache“, einer Pfadfindertagung auf Schloss Prunn, als auch in der Zeitschrift „Der Aufbau“, die durch Habbel 1918 begründet und vom BWV herausgegeben worden war. In der Augustausgabe 1919 tritt er für die Verjüngung des durch die „alte Generation“ geführten Verbandes ein und spricht somit dafür, den BWV aus der Jugendpflege in die Jugendbewegung zu heben. In diesem Zuge befürwortete Max Voggenreiter auch die Namensänderung zu einem „Pfadfindernamen“, der Begriff „Wehrkraft“ war ohnehin vor allem bei den Siegermächten des ersten Weltkriegs negativ konnotiert.9 In Heft 3/4 des ersten Jahrgangs der Zeitschrift „Der Aufbau“ ist zu lesen, dass der Verein nach dem Kriegsende Pro-
6 Auf einer Anleitung zum „3. Fernkriegsspiel“ gibt es den Hinweis auf den Bayerischen Wehrkraftverein e. V.; Ortsgruppe Regensburg, Zug III; Pfadfinderzug vom 16. August 1917, unterschrieben von Lt. Habbel. Darauf folgt die Beschreibung eines Geländespiels, das am 22. April 1918 mit der Spielleitung F. L. Habbel stattfand, das er als Grundlage seines Buches über Kriegsspiele nahm, für welches hier das Manuskript vorliegt. Vgl. Manuskript Franz Ludwig Habbels für ein Geländespiel, Voggenreiter Archiv, Ordner 16, Mappe 1. 7 Anonym: Der Bayerische Wehrkraftverein, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 50–51. 8 Ebd. 9 Vgl. Voggenreiter, Max: Älterenbünde, Zugsarbeit und Namensänderung, in: Der Aufbau, Jg. 1, Sonderheft Erneuerung, Regensburg 1919, S. 183–185.
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bleme wegen seines Namens und der Konnotation bekam, selbst aber eine militärische Ausrichtung bestritt, da Wehrhaftigkeit im Sinne von geistiger und körperlicher Ertüchtigung abseits von militärischer Zucht gedeutet würde. „Und sollte man unserer Jugendpflegearbeit mit militärischen Bestrebungen im Ernst verquicken wollen, dann müßten wir höchstenfalls unseren Namen opfern, aber niemals unsere Ziele und Zwecke.“10 Der Bundesführer Graf von Moy vertrat in der Namensfrage dagegen eine eindeutig andere und konservative Meinung: Da er keine innere Notwendigkeit einer Namensänderung sah, sondern die positive Besetzung des Namens durch die Erinnerungen derjenigen, die mit ihm Erlebnisse verbanden, wollte er die Namensfrage vorerst ad acta legen, da sie zu Uneinigkeiten im Verband geführt hatte, die er so beilegen zu können hoffte.11 Ausgang der Debatte war dennoch die Änderung des Namens des Vereins von Bayerischer Wehrkraftverein e. V. zu Jung-Bayern e. V. München. Beleg hierfür ist die geänderte Herausgeberschaft der Zeitschrift „Der Aufbau“ der Ausgaben vom 1. Februar und 1. August 1919. Die Geschäftsstelle und die Besetzung blieben bis auf den ersten Vorsitzenden gleich: Oberlandesgerichtsrat Dr. Brandl löste Max Graf von Moy in diesem Amt ab, der den Vorsitz wiederum bereits kurz später an Prof. Dr. Ernst Kemmer übergab.12 Habbel hatte die beiden ältesten Voggenreiters, Max und Ludwig, bereits vor dem Ersten Weltkrieg für den Bayerischen Wehrkraftverein geworben.13 Nicht nur diese drei, auch weitere Personen aus der Zeit des Verlagsaufbaus lernten sich bereits im Bayerischen Wehrkraftverein kennen: Allen voran Karl Seidelmann (*1899)14 aus
Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 3/4, Regensburg 1918, S. 75. Vgl. Graf von Moy, Max: Zur Namensänderung, in: Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 5/8 Älterenbünde, Regensburg 1919, S. 135–136. 12 Vgl. Der Aufbau, Jg. 1, Heft 5/8 Älterenbünde, Regensburg 1919; Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Sonderheft Erneuerung, Regensburg 1919; Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 8/12, Regensburg 1919. 13 Vgl. Manuskript Erinnerungsperspektive „Beitrag zum 100. Jubiläum des Voggenreiter Verlages 2019. Heinrich und Ludwig Voggenreiter“ von Almut Maria Voggenreiter, zur Verfügung gestellt von Almut Voggenreiter, Tochter Heinrich Voggenreiters. 14 Karl Seidelmann trat 1912 dem Bayerischen Wehrkraftverein bei und war an der Gründung des Bundes der Neupfadfinder 1919/1920 beteiligt. Auch in der Deutschen Freischar, in der der Bund der Neupfadfinder schließlich aufging, übernahm er weiterhin Leitungsfunktionen. Zunächst wurde er nach seinem Abitur 1918 1920 Volksschullehrer. 1924 bis 1928 studierte er in München Germanistik, Geschichte, Geografie und Pädagogik für gymnasiales Lehramt, woraufhin er in Bad Münder am Deister ein Landerziehungsheim gründete. Vgl. Eintrag „Karl Seidelmann“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 243–252. 10 11
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Augsburg und Karl Sonntag (*1900)15 aus München.16 Ludwig Voggenreiters nächst jüngerer Bruder Heinrich Voggenreiter, erst 1905 geboren, nachdem die Familie von Sulzbach/Rosenberg nach Regensburg gezogen war, stieg später – 1924 – in den Verlag Ludwigs ein. Die drei jüngeren Geschwister Franziska, Mathilde und Franz tauchen in den Quellen so gut wie nie auf – der Hinweis auf sie an dieser Stelle dient lediglich der Schilderung der Herkunft des Verlegers Ludwig Voggenreiter.17 Ein Fahrtenbuch, das im Besitz der Familie ist, belegt, dass Ludwig regelmäßig an den Aktivitäten des Bayerischen Wehrkraftvereins teilnahm, Max, Heinrich und Franz von Zeit zu Zeit ebenfalls.18 Max Voggenreiter wurde bereits 1916 für den Ersten Weltkrieg eingezogen, Habbel und Ludwig Voggenreiter (nach Abschluss seines Notabiturs) folgten 1917. Habbel diente zuletzt als Offizier in Belgien, Ludwig Voggenreiter war zuletzt Unteroffizier.19 Sowohl Franz Ludwig Habbel als auch Max und Ludwig Voggenreiter hatten in ihrer Zeit als Soldaten den „Feldwandervogel“ kennengelernt, eine lose Kommunikationsstruktur von älteren Wandervögeln, die ihre Gemeinschaft auch im Feld nicht aufgegeben hatten und diese über die bisherigen Bundesgrenzen von Wandervogel e. V. und Alt-Wandervogel hinaus erweiterten.20 Die Strukturen des Wandervogels unterschieden sich von jenen, die Habbel und Voggenreiter bislang im Bayerischen Wehrkraftverein kennengelernt hatten – Gemeinschaft, Freiheit und inneres Führertum standen im Gegensatz zu striktem Gehorsam und Hierarchie. So wuchs in ihnen die Idee der Reformierung des Pfadfindertums im Sinne „der neuen Zeit“. Sie standen damit nicht allein, wie sich bei der ersten deutschen Pfadfindertagung am 2. und 3. August 1919 auf Schloss Prunn im Altmühltal, unweit von Regensburg, zeigte. Über 200 Pfadfinderführer kamen zusammen und diskutierten über die zukünftige Zielvorstellung und
15 Karl Sonntag war seit 1912 im Münchner Pfadfinderzug aktiv und trat ebenfalls ab 1919 für die Erneuerung des Pfadfindertums im Sinne der Neupfadfinder ein. Bis 1922 arbeitet er im Weißen Ritter Verlag und der Aufbauarbeit des Bundes der Neupfadfinder mit bis der Verlag 1922 nach Berlin umzog und Sonntag seine Lehramtsprüfung ablegte, als Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Erdkunde arbeitete, später Meteorologie studierte. Vgl. Eintrag „Karl Sonntag“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 259–264. 16 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 17 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2; Manuskript Erinnerungsperspektive „Beitrag zum 100. Jubiläum des Voggenreiter Verlages 2019. Heinrich und Ludwig Voggenreiter“ von Almut Maria Voggenreiter. 18 Ebd.; Vgl. auch: Fahrtenbuch des Bayerischen Wehrkraftvereins, im Besitz der Familie Voggenreiter (Almut Voggenreiter). 19 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 20 Vgl. Ahrens, Bündische Jugend, S. 51–52.
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Organisation des Deutschen Pfadfinderbundes und des Jung-Bayern e. V., ehemals Bayerischer Wehrkraftverein. Es kristallisierte sich eine Spaltung zwischen traditionalistischen und reformwilligen Pfadfindergruppen heraus, die sich in den Folgejahren zuspitzte. Zusammen mit dem Pfarrer Martin Voelkel (*1884)21 entstanden in Folge des Prunner Treffens drei Reformgruppen innerhalb des Deutschen Pfadfinderbundes – die Ringpfadfinder um Hans Fritzsche (*1891) in Ostdeutschland, die Jungdeutschen Pfadfinder um Martin Voelkel in Norddeutschland und die Erneuerungsbewegung um Habbel und Voggenreiter in Süddeutschland22. Bereits auf der Tagung auf Schloss Prunn im Altmühltal entstand das sogenannte Prunner Gelöbnis, das sich in Abgrenzung zu den traditionellen Verpflichtungen des Deutschen Pfadfinderbundes verstand und in seiner Form so kurz gehalten war, wie die 1913 entstandene Meißnerformel des Zusammenschlusses der Freideutschen Jugend, darunter auch des Wandervogel e. V. und des österreichischen Wandervogel.23 Diese formelhaften Selbstvergewisserungen proklamierten eine Einheitlichkeit der Jugend, die keineswegs bestanden hatte – ganz im Gegenteil: Sie waren Ausgangspunkt für aufflammende Positions- und Richtungsdiskussionen der einzelnen Jugendverbände. Das „Prunner Gelöbnis“ wurde in den Veröffentlichungen des Verlages Der Weiße Ritter im Wortlaut festgehalten: Wir Pfadfinder wollen jung und fröhlich sein und mit Reinheit und innerer Wahrhaftigkeit unser Leben führen. Wir wollen mit Rat und Tat bereit sein, wo immer es gilt, eine gute
21 Martin Voelkel war ab 1911 Pfadfinder in Berlin, Divisionspfarrer im 1. WK, 1918 Feldmeister in der 2. Berliner Pfadfinderabteilung, 1919 beteiligt an der Erneuerung des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB), und danach ab dem 27.6.1920 Pfarrer in Berlin-Karlshorst. 1920 nahm er am Feldmeister- und Führertag des DPB in Naumburg teil und war Teil des Zusammenschlusses der drei Gruppen der Erneuerer zur „Neudeutschen Pfadfinderschaft“ als Untergruppe des DPB. Im Dezember 1920 erfolgte sein Ausschluss aus dem DPB und Ausrufung des „Bundes der Neupfadfinder“. Voelkel übernahm die Bundesführung. Er wirkte weiter federführend in der „Bündigung“ der Jugend- und vor allem der Pfadfinderbünde bis zum Aufgehen der neudeutschen in der deutschen Freischar. Vgl. Personenmappe Martin Voelkel, AdJb P 1 1422/1. 22 Vgl. Habbel, Franz Ludwig / Voggenreiter, Ludwig (Hrsg.): Schloss Prunn. Der deutsche Pfadfindertag von 1919. Die österreichische Führeraussprache in Neulengbach, Jg. 2 (1919/20), erstes Beiheft „Der weiße Ritter“, Regensburg 1919. 23 Zur Freideutschen Jugend und ihrem ersten Treffen – anlässlich, aber gegen die Rückwärtsgewandtheit der Jahrhundertfeier zur Völkerschlacht in Leipzig – auf dem Hohen Meißner vgl. Stambolis, Barbara / Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 100 Jahre Hoher Meissner (1913–2013). Quellen zur Geschichte der Jugendbewegung, Göttingen 2015; Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 50 Jahre danach – 50 Jahre davor. Der Meißnertag 1963 und seine Folgen, Göttingen 2014; Mogge, Winfried / Reulecke, Jürgen: Hoher Meißner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, Köln 1988; Ziemer, Gerhard / Wolf, Hans: Wandervogel und Freideutsche Jugend, Bad Godesberg 1961; Die sogenannte Meißnerformel lautete wie folgt: „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“, zitiert nach: Ahlborn, Knud: Die Freideutsche Jugendbewegung, in: 172. Flugschrift des Dürerbundes, München 1917, S. 7.
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und gerechte Sache zu fördern. Wir wollen unseren Führern, denen wir Vertrauen schenken, Gefolgschaft leisten.24
Gemeinsam ist der Meißnerformel und dem Prunner Gelöbnis die Formulierung der „inneren Wahrhaftigkeit“. Im Unterschied zu der Meißnerformel aber spiegelt sich im Prunner Gelöbnis das Verständnis der Neupfadfinder von „Führertum“ und „Gefolgschaft“, wenn auch in geringerem Maße als in anderen Verbänden. Die Individualität und der Freiheitssinn, die in der „Meißner-Formel“ zum Tragen kommen, kann jedoch ebenfalls im ersten Satz des „Prunner Gelöbnisses“ wiedererkannt werden. Die moralische Erhabenheit wird im zweiten Satz deutlich. In diesen beiden Formeln zeigt sich die langanhaltende Gegnerschaft der verschiedenen jugendbewegten Verbünde – diese beiden, Freideutsche und Neupfadfinder, beispielsweise strebten eine Einigung an, jedoch jederzeit nur in ihrem eigenen Sinne. Die Gruppen Voelkels, Habbels und Voggenreiters näherten sich an und vereinigten sich letzten Endes zum Bund der Neupfadfinder.25 Als informelles Gründungsdatum der Neupfadfinder gilt das Feldmeistertreffen in Naumburg zu Pfingsten 1920, bei welchem sich die Gruppen der Erneuerer innerhalb des Deutschen Pfadfinderbundes verständigten und zunächst als Teil dessen bestehen blieben. Offiziell wurde der Bund der Neupfadfinder Anfang 1921 gegründet, nachdem der Bruch mit der straffen Organisationsstruktur des Deutschen Pfadfinderbunds zum Ausschluss Habbels und Voelkels im Herbst 1920 geführt hatte.26 Carl August Ludwig Freiherr von Seckendorff (*1874) als 1919 neu eingesetzter Reichsfeldmeister des Deutschen Pfadfinderbundes war in Bezug auf die vormilitärische Erziehung der Jungen in den Jugendpflegeverbänden, und so auch im Deutschen Pfadfinderbund, völlig anderer Meinung als Habbel, Voelkel und Voggenreiter. Seine Vorstellung von „Wehrkraft“ war eben jene, die die Widerstandsfähigkeit der Jungen für den möglichen Kriegseinsatz förderte. So schlug er beispielsweise vor, dass Ballspielen und Kugelstoßen als notwendige Übungen einzubeziehen seien, da im modernen Krieg das Handgranaten-Werfen an Bedeutung gewonnen habe und dass Wandern als Marschübung zu gestalten sei.27 Voelkel hingegen wollte im Hinblick auf den verlorenen Krieg die nun notwendige Pflege der Jugend im Sinne einer geistigen Ertüchtigung vorantreiben, was jedoch im Deutschen Pfadfinderbund auf taube Ohren stieß. Während der Diskussion in Naumburg beschrieb es ein anwesender konservativer Pfadfinderführer mit den Worten: „Wir sind am Kreuzweg angelangt. Wir müssen scheiden. Sie gehen die Wege des Wandervogels. Freiheit. 24 Habbel, Franz Ludwig / Voggenreiter, Ludwig (Hrsg.): Schloss Prunn. Der deutsche Pfadfindertag von 1919. Die österreichische Führeraussprache in Neulengbach, Jg. 2 (1919/20), erstes Beiheft „Der weiße Ritter“, Regensburg 1919. 25 Vgl. Ahrens, Bündische Jugend, S. 99–100. 26 Vgl. ebd., S. 104.; vgl. auch: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 11–12. 27 Vgl. Freiherr von Seckendorff, Carl August Ludwig: Manuskript zum Vortrag „Aufgabe und Umfang der militärischen Vorbildung der Jugendabteilungen während des Kriegszustandes“ (1916), AdJb N 121/5.
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Ungebundenheit. Wir verlangen Autorität.“28 Grundsätzlich bestand der Streitpunkt darin, wie Einigkeit der Jugend zu erreichen wäre. Der Großteil der führenden Schicht des Deutschen Pfadfinderbunds war der Meinung, dies könne nur durch Zucht, Ordnung und Autoritäten, durch Unterordnung in der Gruppe und durch Gehorsam geschehen. Die Richtung der entstehenden Neupfadfinder, damals noch als „Neudeutsche“ oder „Erneuerer“ betitelt, meinten die Einheit der Jugend in der Förderung des Einzelnen, aber immer noch im Zusammenhang mit der Gruppe, zu erreichen. Offener Kritikpunkt hieran war die Vereinzelung, der Individualismus und die Elitenbildung, wie es beim Wandervogel geschehe.29 Im Frühjahr 1922 (10.–11. April) mündeten die Bemühungen Habbels, Voggenreiters und Voelkels in einem Treffen auf der Wartburg bei Eisenach, dem eine Einigung der verschiedenen Pfadfinderbünde unter dem Ziel der „umfassenden Gesamtgestaltung des deutschen Jugendlebens“, die Stärkung ihres Zusammengehörigkeitsgefühls in den Ideen der deutschen Jugend und die Planung gemeinsamer Fahrten zum Anlass gesetzt waren. Voelkel schwebte ein die Jugend einigender Hochbund – ein Zusammenschluss der autonomen Jugendbünde zur deutschen Jungmannschaft – vor. Vertreten waren auf der Wartburg etwa 45 Ältere und 40 Jüngere aus dem Altwandervogel, dem Wandervogel e. V., dem Wandervogel Jungenbund, dem Deutschorden, der Ringgemeinschaft im Deutschen Pfadfinderbund, dem Jungnationalen Bund, dem Bund der Neupfadfinder, dem Köngener Bund und dem Deutschwandervogel.30 Die Vertreter des Bundes der Neupfadfinder – Martin Voelkel, Ludwig Habbel, Ludwig Voggenreiter und Helmuth Kittel (*1902) – traten bei dieser Tagung als Wortführer für diesen Zusammenschluss auf. Bei den Führern der anderen Bünde traf die Idee des Zusammenschlusses, folgt man den Berichten in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, scheinbar auf geringe Zustimmung, sie wollten lieber langsam und durch Taten ihre Zusammengehörigkeit erlebt und nicht besprochen wissen.31 Der Bericht über dieses Treffen ist mit den Hinweisen auf die gesungenen Lieder versehen: Im Sängersaal der Wartburg wurde während der Führung durch einen Burgbeamten zunächst „Burschen heraus!“ und danach „Kein schöner Land …“ zur Begrüßung gesungen, zum Abschluss der Aussprachen am zweiten Vormittag „Ich habe Lust im weiten Feld …“, beim abendlichen Ritterbankett „Ich hab mich ergeben“, zum Abschluss der Tagung dann im Dunkeln am Burschenschaftsdenkmal „Flamme empor!“. Zudem wurde ein Stück der Feuerrede des Studenten Robert von 1817 vorgelesen und mit einem erneuten Mal „Burschen Protokoll der Naumburg-Tagung am 21. bis 23. Mai 1920, AdJb A 169/11. Vgl. ebd. Zur Organisationsgeschichte der Bünde vgl. Ahrens, Bündische Jugend. In der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ wurde erst ein Jahr später über die betreffende Tagung berichtet, weil zunächst die Vereinbarung getroffen worden war, über die Geschehnisse der Tagung zu schweigen. Die Verpflichtung bestehe nun nicht mehr und ein Bericht aus dem April 1922 könne nun abgedruckt werden. Vgl. [n. n.]: Die Wartburgtagung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 4 (1922/23), Doppelheft 8/9, Berlin 1923, S. 329–334. 28 29 30 31
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heraus!“ endete die gemeinsame Zeit.32 Die in dem Bericht zu lesende atmosphärische Beschreibung zeigt die rituelle und feierliche Verwendung des Kommunikationsmittels Lied in der Pfadfinderbewegung. Der Beschreibung lassen sich keine Verständigungsschwierigkeiten zwischen den verschiedenen Bünden in Bezug auf diese Praxis entnehmen, was für die weitläufige Bekanntheit der Lieder und Verse und genauso der Praxis des Singens in bestimmten festlichen Situationen spricht – der Austausch der Bünde kann von dieser Warte aus jedenfalls als gelungen bezeichnet werden. Aus diesem Treffen ergab sich, folgt man Ludwig Voggenreiter in seiner Zusammenschau drei Jahre später, nichts weiter als das Balkenkreuzwimpel als gemeinsames Zeichen und einige groß angelegte, jedoch zersplitterte Auslandsfahrten [im August 1922, F. M.], vor allem zu den Grenzdeutschen, während die unerläßliche Zusammenkunft im Herzen Deutschlands keine Mehrheit fand. Und doch brannten am gleichen Tage in Ost und West, Süd und Nord in den deutschen Marken die Feuer brüderlicher Verbundenheit und gleichen Kampfeswillens. Und das einmal entzündete Feuer schwelte weiter um im Jahr darauf zum Grenzfeuer im Fichtelgebirge aufzulohen.33
1923 jährte sich das erste Freideutsche Treffen auf dem Hohen Meißner zum zehnten Mal, aus welchem die „Meißner-Formel“ als sichtbares Zeichen geblieben war. Befürworter der Freideutschen Jugend als Zusammenschluss suchten erneut an das erste Treffen auf dem Meißner von 1913 anzuknüpfen und die Jugend unter ihrer Fahne zu vereinen, doch durch den Ersten Weltkrieg und die vielerorts nachfolgende Umstrukturierung und Neuformierung der Gruppen konnte nicht an den Erfolg des Jahres 1913 angeknüpft werden.34 Als deutlich artikulierter Gegenentwurf zu diesem Ereignis kann das im oben gezeigten Zitat Voggenreiters angesprochene Treffen im Fichtelgebirge bei Weißenstadt im selben Jahr, initiiert von Martin Voelkel, gewertet werden, das nach der Verabredung 1922 auf der Wartburg beziehungsweise in Eisenach erstmals am 4. und 5. August 1922 in kleinem Kreis stattfand und ein Jahr darauf am 3. und 4. August 1923 auf eine Größe von etwa 1.700 Personen aus 25 Bünden anschwoll.35 Voggen-
Vgl. [n. n.]: Die Wartburgtagung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 4 (1922/23), Doppelheft 8/9, Berlin 1923, S. 329–334, hier: S. 331, 333–334. 33 Voggenreiter, Ludwig: Geschichte – Politik – Werke, in: Der Naumburger Bund 1920–1925, Jg. 5 (1924/24), Sonderheft zum Weißen Ritter, Potsdam 1925, S. 17–22, hier: S. 19–20. 34 Vgl. hierzu Reulecke, Jürgen: 1923 – Der Versuch einer politischen Neuakzentuierung im Zeichen des gesellschaftlichen Umbruchs, in: Stambolis, Barbara / Reulecke, Jürgen (Hrsg.): 100 Jahre Hoher Meissner (1913–2013). Quellen zur Geschichte der Jugendbewegung, Göttingen 2015, S. 117–158, hier: S. 117–119. 35 Vgl. Voelkel, Martin: Zweites Bundesfest der Neupfadfinder und Grenzfeuer der vereinigten deutschen Jugendbünde im Fichtelgebirge, in: Der Weiße Ritter, Jg. 4 (1922/23), Doppelheft 8/9, Berlin 1923, S. 334– 339; Erich Troß betitelt diese Tagung als ein Treffen der völkischen Jugendbewegung (Neupfadfinder, Altwandervögel, Jungnationale), dessen Hauptthemen bei der Meißnertagung eher in den Hintergrund traten. Doch Schmähreden gegen Frankreich und die Franzosen seien auch hier nicht gut angekommen, vielmehr sei das Gefühl „Deutscher und Mensch“ zu sein bestärkt worden gemäß dem Weltpfadfindertum. Vgl. Troß, Erich: Die Tagung auf dem Hohen Meißner 1923. Ein Sieg der Jugend, Frankfurt am Main 1923, S. 13–14. 32
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reiter verurteilte die „Meißnerfahrer“ mit der Rede von einer „instinktunsichere[n], gestaltlose[n] Masse des fälschlichen 2. Meißnertages, der darum von unserer Seite bekämpft werden mußte.“36 Aus dieser Motivation heraus, der Vorstellung von dem „unjugendlichen“ Element der Freideutschen und der Überzeugung, dass vielmehr die Bestrebungen der Neupfadfinder und ihrer Verbündeten die Ziele und Notwendigkeiten der Jugend erfüllen würden, hatten sie ihre Gegenveranstaltung aufgesetzt. Mit einer intensiveren Vorbereitungszeit sollte dieses Grenzlandtreffen 1924 gegenüber den beiden Jahren zuvor (4./5.8.1922 und 3./4.8.1923) deutlich ausgeweitet stattfinden, schließlich jährte sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum zehnten Mal. Eine Einladung zur sogenannten Langemarckfeier oder „Der Totenfeier in der Rhön“ 1924 findet sich im ersten Heft des fünften Jahrgangs des „Weißen Ritter“. Der Einladungstext, datiert auf den 8. Februar 1924, ist eine knappe Seite lang, die Überschrift und die als Einladende genannten sind mittelbündig gesetzt. Als Einladende treten Martin Voelkel von den Neupfadfindern, Friedel Kreppel vom Reichsstand, Fritz Roth vom Deutschwandervogel, Hanns Ries vom Deutschen Pfadfinderbund und Joachim Boeckh von der Jungenschaft Königsbühl37 auf.38 Anlass für die Zusammenkunft, die am 2. und 3. August auf dem Heidelstein in der Hohen Rhön39 stattfinden sollte, war, folgt man diesem kurzen Einladungstext, der zehnte Jahrestag des Kriegsbeginns am 4. August 1914. „Langemarck“, so formulierten die Einladenden, sei dabei Symbol für deutsches Heldentum und die Jugend des deutschen Volkes. Den Gefallenen des Ersten Weltkrieges sollte bei dieser Gelegenheit „nicht mit dumpfer Trauer, nicht mit kleinen Rachegefühlen“ gedacht werden, sondern durch ein Fest der Lebenden, „in denen der Helden Geist und Blut fortzeugend wirkt“.40 Im Mai 1924 schrieb der Verleger Eugen Diederichs aus Jena, Herausgeber der Zeitschrift „Die Tat“, Martin Voelkel initial an und empfahl ihm verschiedene Theaterstücke für die Veranstaltung, sogenannte „Spiele“, und nimmt Bezug auf die „Totenfeier in der Rhön“. Ob die Empfeh-
36 Voggenreiter, Ludwig: Geschichte – Politik – Werke, in: Der Naumburger Bund 1920–1925. Sonderheft zum Weißen Ritter, 5. Band, Potsdam 1925, S. 17–22, hier: S. 20. 37 Die Jungenschaft Königsbühl war eine Abspaltung des Köngener Bundes, bestehend aus den bei der bundesinternen Neujahrstagung 1924 ausgeschlossenen Führern, ihren Knappen und Wölflingen. Vgl. Brandenburg, Hans-Christian / Daur, Rudolf: Die Brücke zu Köngen. Fünfzig Jahre Bund der Köngener, Stuttgart 1970, S. 89–90. 38 Vgl. [n. n.]: Der Schicksalstag des Köngener Bundes. Zum Ausschluß der Jungmannschaft „Königsbühl“, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, S. 47–59. 39 Auch heute noch existiert der 1923 angebrachte „Langemarckstein“ vgl. rhoenline/rhoenline-media: Langemarck. Das Flanderndenkmal … auch bekannt als Langemarckstein [Onlinefassung], URL: https:// www.rhoenline.de/langemarck.html [01.07.2020]. 40 Vgl. Neupfadfinder (Martin Voelkel), Reichsstand (Friedel Kreppel), Deutschwandervogel (Fritz Roth), Deutscher Pfadfinderbund (Hanns Ries), Jungenschaft Königsbühl ( Joachim Boeckh): Einladung zur Langemarckfeier 1924. An die bündische Jugend!, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, S. 8.
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lungen Diederichs auf fruchtbaren Boden stießen, kann nicht geklärt werden.41 Eine Ankündigung zur großangelegten Langemarckfeier 1924 findet sich unter anderem auch in der Rubrik „Aus den Bünden“ in der Zeitschrift „Das junge Volk“ des gleichnamigen Plauener Verlages Günther Wolffs (siehe Kapitel 4.2.2). Diese Zeitschrift erschien zu diesem Zeitpunkt, wie auch „Der Weiße Ritter“, bereits im fünften Jahr und hatte eine weite Leserinnen- und Leserschaft unter Bündischen, die sich mit den deutschen Grenzlanden beschäftigten. Die Werbung, die zu diesem Anlass von Seiten Voelkels und seines Kreises betrieben wurde, war also zielgerichtet und zielgruppenorientiert. Festgestellt werden muss, dass dies trotz der Konkurrenzsituation zwischen den Verlagen „Das junge Volk“ und „Der Weiße Ritter“ geschah. Gerade da „Das junge Volk“ anders als „Der Weiße Ritter“ als die Grenzlandzeitschrift angesehen wurde, Abonnentinnen und Abonnenten auch außerhalb der deutschen Reichsgrenzen hatte und ihr Inhalt sich auf das Intensivste mit den Grenzlanden und der Situation der Deutschen in Gebieten im Osten wie der Tschechoslowakei, Triest, Bessarabien und weiteren beschäftigte, war diese Zeitschrift prädestiniert für die Werbung von Interessierten an diesem Grenzlandfest.42 In diese Zeit fällt die Idee der Verfassungsgebung für die vereinte Bündische Jugend. Anfang 1924 wurde in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ auf der ersten Seite, direkt nach dem farbigen Umschlag, der so benannte „Entwurf einer Verfassung der deutschen Jugendbünde“ abgedruckt. Er bestand aus sieben Regeln – auffallend gestaltet durch den Fettdruck der Zahlen und die Abtrennung der aufgeführten Regeln durch horizontale Linien. Im oberen Drittel leitet ein Gedicht die Seite ein. 1. Wir bündische Jugend aus deutschem Blut fügen uns im HOCHBUND zusammen. 2. Der Hochbund dient dem neuen Menschenbild, das in der deutschen Jugend aufgestanden ist, und seinem heiligen Reich. 3. Der Hochbund fordert die Erneuerung von Herz und Geist durch die bündischen Gewalten: Bruderschaft, Führertum, Ehrfurcht. 4. Das Volk des Hochbundes besteht aus männlichen Jugendbünden und schichtet sich nach seiner seelischen Verwandtschaft in die Einzelbünde, nach seiner landschaftlichen Herkunft in die Stammesscharen. In beiden Schichten ordnet sich das Leben nach den Altersklassen.
41 Vgl. Briefe von Eugen Diederichs an Martin Voelkel vom 21. Mai 1924 und vom 21. Juni 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 3. 42 Vgl. bspw. Das junge Volk, Jg. 5, Heft 5, Plauen 1924. Mehr zum Verlag „Das junge Volk“, seiner gleichnamigen Zeitschrift und seiner Entwicklung in Kapitel 4.
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5. Den Hochbund leitet der Bundesführer und der Kanzler zusammen mit dem Bundesrat und dem Reichsthing. 6. Das Wirken des Hochbundes zielt auf die Reinheit, Wachstum und Sieg des neuen Jugendlebens, in seinen eigenen Reihen, in der gesamten Jugend und im Volk. 7. Die Pflicht dem Hochbund gegenüber fordert von allen seinen Gliedern, treu, willig und verantwortlich zu geben und zu halten, zu lassen und zu tun, was die Brüder brauchen und die Führer fordern: Für Jugend und Reich!43
Die Reaktionen der Bünde auf diesen Entwurf folgten auf dem Fuße. Martin Voelkel fasste diese zusammen, als neben einigen Ablehnungen und Zustimmungen, geteilte und uneindeutige Meinungen zu der Ausgestaltung eines Zusammenschlusses eintrafen und summierte „Ein allgemeiner Zusammenschluss der bündischen deutsche Jugend darf jetzt nicht stattfinden.“44 Voggenreiter beschreibt es als den Streit zwischen „Wandervogelgeist des Individualismus [und] Preußentum“45, was den Antagonismus sehr bildlich auf den Punkt brachte. Ein anderes Signal sendete das zweite Weltpfadfindertreffen, Jamboree genannt, aus, das vom 10. bis 24. August 1924 in Ermelunden bei Kopenhagen stattfand und bei welchem erstmals nach dem Ersten Weltkrieg auch 200 Pfadfinder aus Deutschland teilnahmen. Franz Ludwig Habbel berichtet über das Treffen in der Zeitschrift „Die Spur“, auf den die Internationalität und die Verständigung der Jugend „aller Nationen“ scheinbar großen Eindruck gemacht hatte und der infolgedessen seinen Aufruf zur Verständigung und Einigung der deutschen Pfadfinderschaften bekräftigte.46 In dieser Zeit waren die Einstellungen der Initiatoren einer Einigung wohl gespalten, denn im Gegensatz zu Habbels aus dem Jamboree gespeisten Euphorie enttäuschten sowohl die großangelegte „Totenfeier in der Rhön“ als auch Voelkels Vorstoß zu einem die Jugend einigenden „Hochbund“ seine Erwartungen. Er schreibt als Geleitwort des „Weißen Ritter“ zur Herbst Tag- und Nachtgleiche – 23. September 1924, dass „der ‚Weiße Ritter‘, bisher überbündische Zeitschrift, fortan Zeitschrift des ‚Bundes der Neupfadfinder‘“ sein würde. Dieser Wandel sei nötig, da
43 [n. n.]: Entwurf einer Verfassung der deutschen Jugendbünde, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, S. 1. 44 Voelkel, Martin: Bescheid auf die Antwort der Bünde zum Verfassungsentwurf des Hochbundes, datiert auf den 26. Januar 1924, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, S. 4–7, hier: S. 5. 45 Voggenreiter, Ludwig: Hameln, das Fichtelgebirgsbündnis und der Kampf gegen die Jugendbewegung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, S. 61–65, hier: S. 63. 46 Vgl. Habbel, Franz Ludwig: Jamboree oder die Reise um die Welt in 8 Tagen, in: Die Spur, Jg. 3, Heft 4, S. 79–86; Auch eine Entgegnung des Deutschen Pfadfinderbundes findet sich dem Grundsatz der freien Aussprache entsprechend drei Hefte später: Vgl. [n. n.], Ekkehart: Zum Jamboree 1924 in Kopenhagen, in: Die Spur, Jg. 3, Heft 7, S. 140–142.
Wege und Verbindungen: Der Verlag
einerseits […] die Hoffnung auf eine überbündische Gestaltung des deutschen Jugendlebens erledigt [ist und zudem] die Ablehnung des Hochbundes und der Langemarckfeier sowie der Übergang weiter Kreise der bündischen Jugend in das Lager der politischen Parteien […] dafür Beweis [seien].47
Zudem weist Voelkel darauf hin, dass jene, die den „Weißen Ritter“ begonnen und an der Idee einer geeinten deutschen Jugend mitgewirkt hatten, mittlerweile ein eigener Bund geworden seien – der Bund der Neupfadfinder.48 Bereits auf dem Fichtelgebirgstreffen 1923 hatten vier der Wandervogelbünde wieder den Weg zu einer Einigung gefunden. Danach dauerte es zwei weitere Jahre, in denen Voelkel bereits das Misslingen seines Einigungsgedankens resigniert eingesehen hatte, bis sich 1925 letztendlich auch in der Pfadfinderbewegung eine Einigung zwischen den „Erneuerern“, dem Bund der Neupfadfinder und den Ringpfadfindern, gefunden wurde – der Großdeutsche Pfadfinderbund entstand und Voelkel wurde Bundesführer. Schon 1926 wiederum schlossen sich der Großdeutsche Pfadfinderbund und der Zusammenschluss der Wandervogelbünde zu einem noch größeren Bund zusammen, dem Bund der Wandervögel und Pfadfinder (BdWuP) mit Hans Dehmel, der aus dem Wandervogel stammte, als neuem Bundesführer. 1927 erfolgte eine Umbenennung in Deutsche Freischar, der sich in den Folgejahren weitere anschlossen. 1928 bis 1930 übernahm Ernst Buske die Bundesleitung, nach dessen Tod erneut Dehmel.49 Der Weiße Ritter Verlag folgte diesen Veränderungen auch mit seinen Veröffentlichungen und passte seine Zeitschriften an die neue Situation an, wie in Kapitel 3.3.1 ausführlich gezeigt werden wird. 3.2
Wege und Verbindungen: Der Verlag
Diese Entwicklung der Erneuerungs- und Zusammenschlussbewegung innerhalb der deutschen Pfadfinderei ging sowohl ideell als auch zeitlich Hand in Hand mit der Verlagsgründung: Am 15. Juni 1919 gründeten Habbel und Voggenreiter in Regensburg den Verlag Der Weiße Ritter.50 Aus den lebendigsten Impulsen der deutschen Jugend, dem Drang nach eigener Lebensgestaltung, entstand nach der Rückkehr der jungen Kriegsgeneration aus dem Feld vor nunmehr 7 Jahren im Jahre 1919 der Weisse Ritter Verlag.
47 Voelkel, Martin: Liebe Brüder, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 4, Berlin 1925, S. 42–46, hier: S. 42. 48 Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 4, Berlin 1925. 49 Vgl. Ahrens, Bündische Jugend, S. 104, 156–158. 50 Vgl. Tripmacker, Verwehte Spuren, S. 188.
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Seine ersten Ziele waren verhältnismässig eng begrenzt, indem er die Befreiung der deutschen Pfadfinderbewegung von unjugendlichen Formen und Menschen zu bewirken suchte.51
Als Habbel und Voggenreiter ihren Verlag gründeten, war Voggenreiter gerade 21 Jahre alt und damit volljährig geworden.52 Diese bürokratische Hürde der Volljährigkeit findet sich bei vielen der noch im Folgenden zu besprechenden Verlagen wieder. Herauszustellen ist dabei, dass in diesen bündischen Verlagsgründungen ein wichtiger Zweig jungen Unternehmertums lag. Die damals junge Generation versuchte durch Verlage, aber auch durch Schriftstellerei, durch das Erstellen von Gebrauchsgrafik und umgebende Betätigungsfelder aktiv ihre Umwelt zu gestalten. Von Beginn an waren die Verlagsgründer von einer Erneuerungsbewegung im deutschen Pfadfindertum überzeugt und suchten dieser Subkultur Gehör zu verschaffen (siehe Kapitel 3.1). Anders als bei Nischenverlagen wie beispielsweise dem Jungdeutschen Verlag von Arthur Mahraun, der im Prinzip nur die Veröffentlichungen des Jungdeutschen Ordens verlegte53, war die Zielgruppe des Verlages Der Weiße Ritter breiter angelegt. Dabei adressierten die Verlagsveröffentlichungen zu Beginn vor allem zwei Bereiche – die Spaltung beziehungsweise die Einigung der Pfadfinderbewegung und die Stärkung der deutschen Jugend als Trägerin der Zukunft. Dies taten sie zielgerichtet und mit einer proklamierten Offenheit, die von ihnen als Herausgeber klare Stellungnahmen verlangte. So wolle Der Weiße Ritter […] der Jugendbewegung im Geiste verinnerlichten Pfadfindertums dienen. Seine Herausgeber erachten es für notwendig, im Rahmen der Bewegung freie Aussprache zu gewähren. Die fachliche Verantwortung für die wiedergegebenen Aufsätze muß darum den Verfassern bleiben.54
Diese inhaltliche Offenheit brachte so manches Problem mit sich. Sie nahm solche Ausmaße an, dass sich die Schriftleitung im Nachwort des ersten Hefts des fünften Jahrgangs (1924) explizit von einem Aufsatz distanzierte, in welchem Deutschland als kultur-, ehr- und treulos beschrieben wird: Angesichts der Erweiterung des engen Mitarbeiterkreises sieht sich die Schriftleitung erneut veranlaßt, auf den alten Grundsatz hinzuweisen, daß die Verantwortung für den In-
51 Voggenreiter, Ludwig / Voggenreiter, Heinrich: Denkschrift über die Grundlagen und Absichten, die bisherige und zukünftige Arbeit des Weissen Ritter Verlages, Potsdam 1926, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. 52 Ludwig Voggenreiter wurde am 8. März 1919 21 Jahre alt, am 19. Juni 1919 folgte die Gründung des Verlages. 53 Beispielsweise wurde „Das Jungdeutsche Manifest“ von Artur Mahraun herausgegeben, welches eine Zusammenfassung der Ziele des Jungdeutschen Ordens feststellt. Vgl. Mahraun, Artur: Das Jungdeutsche Manifest. Volk gegen Kraft und Geld. Sicherung des Friedens durch Neubau der Staaten, Berlin 1927. 54 Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 2, Umschlagseite vorne innen.
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halt der einzelnen Aufsätze jeweils die Verfasser tragen; im vorliegenden Heft möchte sie diesen Hinweis besonders einigen Überspitzungen in dem Aufsatz „Die deutsche Frage“ Seite 44, letzter Absatz, gegenüber nicht unterlassen, um böswilligen Verleumdungen von vornherein die Spitze abzubrechen.55
Konkret bezieht sich dieser Hinweis auf die Aussage des Autoren Richard Alewyn, dass „das deutsche Volk [keineswegs] das ‚innerlichste‘, ‚frömmste‘, ‚tapferste‘, ‚tüchtigste‘, ‚treuste‘ usw. kurz das beste Volk der Erde sei“, sondern dass es neben den anderen Völkern der Erde schlechter als sie dastehe. Zudem sei es „nicht wahr, sondern Geschichtsfälschung, daß in Germanien der Ursprung aller Kultur, Künste und Religionen zu suchen sei.“ Stattdessen stellt Alewyn fest, dass „durch die ganze Geschichte hindurch sich das germanische Blut als Bedroher und Verwüster aller Kultur gezeigt hat, von den Kimbern über Luther bis zur Jugendbewegung“.56 Einig war man sich offensichtlich diesbezüglich auch innerhalb der Bewegung nicht, welcher Beitrag die Jugendbewegung zur Kulturarbeit leistete – doch aber darin, dass eine offene Streitkultur zu fördern sei. Diese Streitkultur kann auch in den Auseinandersetzungen um die Erneuerung des Pfadfindertums in den Veröffentlichungen des Verlages Der Weiße Ritter nachvollzogen werden. Streit und Debatte sollten aber auch auf eine Einigung zielen und daher gingen die Bestrebungen von Seiten Voelkels, Habbels und Voggenreiters im Anschluss an die Pfadfindertagung auf Schloss Prunn im Juni 1919 in Richtung einer Einigung, um dadurch eine Stärkung des Pfadfindergedankens innerhalb der deutschen Gesellschaft und besonders unter den Jungen zu erreichen (siehe Kapitel 3.1). Der Weiße Ritter Verlag begleitete diese Entwicklungen durch Berichte von Treffen und Sonderveröffentlichungen.57 Der Schritt, den Sitz des Verlags 1922 aus dem Süden in den Norden Deutschlands nach Berlin zu verlegen, hatte großen Einfluss auf die Zukunft des Verlages. Zunächst einmal waren damit einige Verbindungen negativ beeinflusst worden, allein die weiteren Strecken trugen ihren Teil dazu bei – vor allem zu den Freunden des Verlages aus den Reihen der Neupfadfinder und des ehemaligen Bayerischen Wehrkraftvereins. Aber die Infrastruktur für Verlage war im Norden Deutschlands zu jener Zeit sehr gut durch die Nähe zu Berlin als Kulturmetropole und die Nähe zu Leipzig mit der wich-
Schriftleitung und Verlag, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, S. 80. Alwyn, Richard: Die deutsche Frage, in: Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, S. 38–46, hier: S. 44–45. Neben den hier und im Folgenden genannten Treffen der bündischen Jugend, der autonomen Jugendbünde beziehungsweise der Pfadfinder Deutschlands und Österreichs gab es diverse weitere Treffen, Kongresse und Tagungen – je nachdem, wie die Beteiligten die Veranstaltungen nennen mochten. Es ist von der Perspektive des Untersuchungsgegenstandes und der Perspektive auf ihn abhängig, welche dieser Treffen von besonderer Bedeutung sind. 55 56 57
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tigsten Buchmesse in Deutschland.58 Auch die Nähe zum Bundesführer der Neupfadfinder, Martin Voelkel, in Berlin mag zu diesem Schritt beigetragen haben. Einen weiteren Grund für die Verlegung des Verlagssitzes spricht Heinrich Voggenreiter in einem Interview mit seinem Sohn Ernst Voggenreiter und dem Autoren Gispert Haefs retrospektiv an. Die jugendliche und revoltierende Art, die der junge Verlag und seine Zeitschrift nach außen zeigten, waren der katholischen Kirche in Regensburg offenbar suspekt geworden. Scheinbar trafen sie verdeckt genauso wie offen Maßnahmen, die den Verlagsgründern zeigten, dass sie sich besser einen anderen Standort suchen sollten. Auch bestätigte Heinrich Voggenreiter, dass die Entscheidung nach Berlin zu gehen, maßgeblich von Martin Voelkel und seinem Kreis an Neupfadfindern beeinflusst worden sei, da sie Ludwig Voggenreiter darum gebeten und ihre Hilfe bei der Organisation in Verlag und Zeitschrift angeboten hatten.59 Seinen Sitz bekam der Verlag in der Alten Leipzigerstraße 10, Berlin C 19, im dritten Stock, unter’m Dach. Es waren zwei kleine Zimmer und ein größeres. In einem kleinen Zimmer saßen mein Bruder und ich, im größeren war Arthur Tscharnetzky als Gehilfe. Meine Schwägerin arbeitete nicht mehr mit, die hatte inzwischen ein Kind bekommen und war in Potsdam. Dann war noch eine Schreibkraft da, deren Namen ich vergessen habe, und einer namens „Wolf “ von den Pfadfindern.60
Mit dem Umzug des Verlages Der Weiße Ritter nach Berlin im Winter 1921/22, wie in Heft sechs des dritten Jahrgangs „Der Weiße Ritter“ zu lesen ist, stieg Habbel aus dem jungen Unternehmen aus und überließ Voggenreiter ab dem 14.1.1922 offiziell allein die Leitung. Kurz zuvor hatte Franz Ludwig Habbel 1921 einen neuen Buchverlag unter seinem Namen gegründet, erneut in der Fröhlichen-Türken-Straße 3 in Regensburg, wo bereits der Verlag Der Weiße Ritter seinen Sitz gehabt hatte.61 Dieser zog kurzzeitig wenige Straßen weiter in eigene Räumlichkeiten. Als Habbel seinen Verlag gründete [gemeint ist der F. L. Habbel Verlag 1921, F. M.], zog Ludwig [Voggenreiter, F. M.] ein paar Straßen weiter und mietete einen Laden zu ebener Erde, mit einem großen Schaufenster. Dahinter spielte sich alles ab. Das Fenster war angestrichen, man konnte nicht reinsehen. Es war ein großer Raum mit einigen Lagermöglichkeiten. Da wurde es dann mehr, es kamen so nach und nach einige Broschüren, und die 58 Vgl. Tripmacker, Wolfgang: Verwehte Spuren. Potsdamer Verlagsgeschichten; drei Jahrhunderte Buchherstellung in der Residenz-, Bezirks- und Landeshauptstadt, Wilhelmshorst 2008, hier: v. a. S. 116–195. 59 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 60 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 61 Vgl. Reichmann, Die Verlegerfamilie Habbel, S. 116.
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Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ wuchs. Das war das letzte Domizil in Regensburg. Da war dann schon als Mitarbeiterin meine Schwägerin Josefa fest dabei, Ludwigs Frau, und ein paar Mitarbeiter, aber mehr als drei oder vier waren es nie.62
Habbel machte mit seinem eigenen Verlag einige Umwege und scheiterte letzten Endes 1925, was sich wiederum negativ auf den Verlag Der Weiße Ritter auswirkte, obwohl Habbels Neustart zunächst vielversprechend aussah. Bedeutend in dieser frühen Phase seiner Verlagstätigkeit im Franz Ludwig Habbel Verlag war die Zusammenarbeit mit dem Regensburger Künstler Alfred Zacharias, dessen Holzschnitte sich beispielsweise bereits in den Heften 3/4 und 5 des dritten im Weißen Ritter Verlag erschienenen Jahrgang des „Zwiestrolch“ abgedruckt waren.63 Ausdruck dieser Zusammenarbeit war die 1921 entstandene Holzschnitt-Reihe „Tod und Teufel. Sechzehn Holzschnitte von Alfred Zacharias“, die 1922 im Franz Ludwig Habbel Verlag erschien. Hinweis auf den hohen künstlerischen Anspruch gibt der Vermerk, der an das Inhaltsverzeichnis anschließt: Von dieser Holzschnittfolge wurde eine einmalige Ausgabe von 600 Exemplaren in der Graphischen Kunstanstalt von Heinrich Schiele in Regensburg für den Verlag Ludwig Habbel zu Regensburg von den Originalstöcken gedruckt. Bei den Nummern 1–100 wurden die Stöcke auf Japan abgezogen und das Titelblatt vom Künstler ausgemalt und handschriftlich signiert. Die Nummern 101–600 wurden aus Bärbütten abgezogen und in eine Japanmappe geheftet.64
Besonders interessant ist die Verbindung von Habbel und Zacharias und die Reihe zu Tod und Teufel, schaut man sich andere Publikationen der gleichen Zeit an. Nummer elf des genannten Bandes zu „Tod und Teufel“ zeigt „wie ein Ritter / trotz Tod und Teufel / beharrlich seines Weges zieht“. Zu sehen ist ein Druck von 8,8 × 15 cm. Ins Auge fällt zunächst eine Burg, die weiß auf einem hohen schwarzen Berg in der rechten oberen Bildecke thront. Links daneben sind schemenhaft weitere Berge mit weißen Schatten angedeutet. Nahezu in der Mitte des Bildes zeichnet sich die Gestalt des „Todes“ mit erhobener Hand in weiß ab, ihm zugewandt steht der Teufel in schwarz in der linken unteren Bildecke. Beide schauen hinunter auf den zwischen ihnen auf einem weißen Pferd reitenden Ritter mit Lanze, der von rechts nach links durch das Bild reitet.
62 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 63 Vgl. Zacharias, Alfred: Holzschnitt „Lesender“, in: Der Zwiestrolch, Jg. 3 (1919), Heft 3–4, Regensburg 1919, S. 61; Zacharias, Alfred: Holzschnitt „Gefangener“, „Spieler“, „Kinder“, „Mondschein“ und „Der Dichter“, in: Der Zwiestrolch, Jg. 3 (1919), Heft 5, Regensburg 1919, S. 89, 95, 99, 115 und 128. 64 Zacharias, Alfred: Tod und Teufel. Sechzehn Holzschnitte, Regensburg 1922.
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Abbildung 5 Holzschnitt Nr. 11 „wie ein Ritter / trotz Tod und Teufel / beharrlich seines Weges zieht“, in: Zacharias, Alfred: Tod und Teufel. Sechzehn Holzschnitte. Regensburg 1922.
Die Motivik tauchte nicht das erste Mal in einem von Habbels Verlagsprodukten auf, denn auch der Dürerstich im ersten Heft des zweiten Jahrgangs des „Weißen Ritter“ ähnelt diesem sehr: Heraus stechen die sehr ähnlichen Titel der beiden Werke: „Ritter, (der) Tod und Teufel (trotzt)“ bei Dürer und „wie ein Ritter / trotz Tod und Teufel / beharrlich seines Weges zieht“ bei Zacharias. Auch ergeben sich in den Bildinhalten große Überschneidungen: Die Burg im Hintergrund, die auf einem Berg thront; der Ritter mit Lanze; das Pferd, auf dem er sitzt; die Figuren Tod und Teufel. Ohne Frage aber ist Dürers Werk sehr viel filigraner gearbeitet, ein Kupferstich, wohingegen Zacharias Holzschnitt der Zeit entsprechend grob und nahezu expressionistisch gestaltet ist. Was sich in dieser Feststellung zeigt, ist die gedankliche Ausrichtung auf ritterliche Tugenden, Moral und Stärke, die auch in Habbels eigenem Verlag, wie auch bei dem Grafiker Zacharias zu finden sind. Zu vermuten ist, dass Habbel bei der dahingehenden Ausrichtung des Weißen Ritter Verlages die bestimmende Kraft war und sich das Profil des Verlages nach seinem Weggang veränderte.65 Habbel blieb auch nach seinem Ausstieg aus dem gemeinsamen Verlag mit Voggenreiter ein zentraler Knotenpunkt im Netzwerk der bündischen Verleger-Szene und der Neupfadfinderbewegung. Seine enge Verbindung mit Voggenreiter blieb ein Leben lang erhalten.
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Vgl. Kapitel 3.3.1.
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Die Vernetzung innerhalb der Buchdrucker-Verleger-Szene und der Jugendbewegung zeigen sich beispielhaft an dem 1921 im Franz Ludwig Habbel Verlag erschienenen Buch „Unsterbliche Jugend. Blätter vom schöpferischen Willen“ von Lucien Price, ins Deutsche übersetzt von Karl Rauch.66 Lucien Price war US-Amerikaner und gedachte mit diesem Buch seinem 1918 in Belgien gefallenen Freund Fred A. Demmler. Deutlich hervorgehoben wird im Vorwort, dass über Ländergrenzen hinweg die junge Generation diese Erfahrungen von Krieg und Verlust machen musste und sich gerade darin vereint sah. Karl Rauch (*1897) dagegen gründete in gerade diesem Jahr 1921 zunächst eine Kunst- und Bücherhandlung in Dessau, der er zwei Jahre später selbst einen eigenen Verlag anschloss und somit sowohl die Autoren/Übersetzer Rolle als auch jene des Buchhändlers und Verlegers kannte.67 Auf der letzten Seite des Buches findet sich eine Verlagsanzeige für „fünf Bücher der neuen Zeit“ des Franz Ludwig Habbel Verlages.68 Dem in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhandenen Exemplar dieses Werkes liegt zudem ein Prospekt in einem Format von 10,3 × 16,6 cm bei: „Allerlei Meinungen über Naumann: Otto der Ausreißer. Ein Jungen-Tagebuch“. Auf dem unteren Seitenrand der mittleren Seiten 4 und 5 ist zu lesen „erschienen im Verlage von C. G. Naumann G. m. b. H., Leipzig“, obgleich die Naumann GmbH vornehmlich eine Druckerei war, die sich auf lithografische Druckerzeugnisse wie Plakate, Marken und Siegel spezialisiert hatte. Dieses Werk hatte der Druckereibesitzer Gustav Naumann selbst als Autor zu verantworten und nutzte seine Infrastruktur in der Druckerei.69 Die Verbindung, die in dieser Beilage des Prospekts Naumanns in einer Veröffentlichung des Franz Ludwig Habbel Verlages offenbar wird, wird wenig später manifest. In den Akten des Voggenreiter Verlages findet sich ein Vertrag zwischen dem Verlag Habbel und Naumann (Regensburg, Fröhliche-Türken-Straße 3 und Leipzig, Seeburgstraße 57) und Gustav Naumann über eben jenes Buch – „Otto der Ausreißer“. Auch in diesem Vertrag aufgenommen war der Roman „Hundejunge“, den Naumann zunächst ebenfalls selbst gedruckt hatte, der 1920 im Weißen Ritter Verlag erschienen war und
66 Der Vertrag zur Übersetzung findet sich heute in den Akten des Voggenreiter Archivs. Vgl. Verlagsvertrag zwischen dem Franz Ludwig Habbel Verlag und Karl Rauch vom 1. Dezember 1921, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 67 Auch dieser Verlag besteht bis heute, das Verlagsprogramm ist ähnlich ausgerichtet wie damals und führt viel über Philosophie. Vgl. Karl Rauch Verlag: Karl Rauch Verlag GmbH & Co. Kg. 1923 bis heute [Onlinefassung], URL: https://karl-rauch-verlag.de/der-verlag/[01.07.2020]. 68 Diese fünf Bücher waren: „1. Rudolf Pannwitz: Grundriß einer Geschichte meiner Kultur; 2. Johannes R. Becher: Gestorbene. Hymnen; 3. Jacob Haringer: Die Kammer. Gedeichte; 4. Dietrich: Das Tanzbuch; 5. Friedrich Schnack: Traumfuge“ – alle fünf mit Einband mit einem Holzschnitt von Joseph Achmann für 10 Mark. 69 Vgl. Price, Lucien: Unsterbliche Jugend. Blätter vom schöpferischen Willen. Ein Gedenkbuch für Fred A. Demmler, Deutsch von Karl Rauch, Regensburg 1921. Vgl. auch: Werbeeinlage für Naumanns Otto der Ausreißer, UB HD DJ 688.
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1922 an das Joint Venture Habbel und Naumann Verlag überging.70 Im gleichen Jahr hatten sie ihre Unternehmen, den Franz Ludwig Habbel Verlag und den Carl Gustav Naumann-Verlag, fusioniert. Der nur eine Seite umfassende Vertrag zwischen Habbel und Naumann mit Gustav Naumann ist recht spärlich mit Regelungen versehen und diente vermutlich lediglich der Formalisierung der ohnehin bestehenden Rechtelage beziehungsweise der internen Absprachen.71 Vermutlich hatten sich Habbel und Naumann bei der Zusammenarbeit zwischen dem Verlag Der Weiße Ritter und dem Autoren Gustav Naumann bei dem Roman „Hundejunge“ kennengelernt und ihre Zusammenarbeit intensiviert – Habbel mit seinem eigenen Verlag und Naumann mit seiner Druckerei.72
Abbildung 6 Briefkopf des Verlagsvertrags zwischen dem Habbel und Naumann Verlag und Gustav Naumann vom 19. August 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 6.
Bereits 1925 geriet Franz Ludwig Habbel mit seinem neuen Verlag Habbel und Naumann in wirtschaftliche Probleme und er und sein Geschäftspartner Naumann mussten dieses Geschäft wegen Bankrott beenden.73 Die Restbestände von Habbel und Naumann übernahm der Verlag Der Weiße Ritter unter der Leitung Ludwig und Heinrich Voggenreiters. Nach der Schwächung des Verlages durch die Inflation 1922/23 hatte auch der Verlag Der Weiße Ritter gelitten und diese neuerliche finanzielle Schwächung konnten Ludwig und Heinrich Voggenreiter nur schwer überwinden. Heinrich Voggenreiter führte in einem Interview zu den Nachwehen des Bankrotts von Habbel und Naumann aus: Das führte zu einem fürchterlichen Zusammenbruch, in den er [Habbel] auch uns mit hineingezogen hat. Mein Bruder war doch sehr leichtsinnig […]. Aus diesem Zusammenbruch sind dann verschiedene Teile bei uns hängengeblieben, alte Vorräte und Lagerbestände, z. B. eine literarische Sammlung mit Tieck, Eichendorff, Dostojewski, alles Mögliche quer durch den Wald.74
Vgl. Reichmann, Die Verlegerfamilie Habbel, S. 116. Vgl. Verlagsvertrag zwischen dem Habbel und Naumann Verlag und Gustav Naumann vom 19. August 1923 (einmal getippt, einmal handschriftlich), Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 72 Später finden sich „Otto der Ausreißer“ und „Hundejunge“ wieder im Verlag Voggenreiters als Nummern sieben und acht der Reihe „Spurbücherei“. 73 Vgl. Reichmann, Die Verlegerfamilie Habbel, S. 116. 74 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 70 71
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Einen Hinweis darauf bietet beispielsweise der Verlagsvertrag zwischen Verlag Habbel und Naumann, Olaf Baker als Autor und dem von ihm Bevollmächtigten Herman George Scheffauer als Vertreter der Firma A. M. Heath & Co Ltd. in Berlin über die deutsche Fassung von „Dusty Star“ mit Unterschriften vom 18. Juni 1925 (Olaf Baker), 1. April 1925 (Habbel und Naumann) und 24. Juni 1925 (Herman George Scheffauer). Das Schriftstück ist ebenfalls in den Akten des Voggenreiter Verlages zu finden. In diesem Vertrag ist die Klausel enthalten, dass der Verlag die deutsche Fassung bis 1. April 1927 herausbringen muss, da sonst alle Rechte an den Autor zurückfallen. Hieraus können Bedenken des Verfassers beziehungsweise seines Bevollmächtigten gedeutet werden, dass der Verlag die Veröffentlichung eventuell lange herauszögern würde.75 Wenn man den Titel nun durch die Antiquariate verfolgt, so taucht eine erste Auflage bei dem Verlag Grethlein & Co. aus Leipzig/Zürich bereits 1927 auf, was darauf schließen lässt, dass der Vertrag zwischen Habbel und Naumann und Baker nichtig wurde und der „Staubige Stern“ nie bei ihnen erschien und ebenfalls nicht bei Voggenreiter, wo sich der Vertrag heute findet. 1936 findet sich der Titel bei dem Verlag Gustav Altenburg aus Leipzig, der große Teile des Grethlein Verlages – kurzzeitig ab 1934 unter Verlag für Sport und Lebensreform GmbH tätig – nach dessen Liquidierung wegen jüdischer Inhaberschaft übernahm.76 Warum der Vertrag nun noch in den Akten des Voggenreiter Verlages vorhanden ist, scheint ein Zufall zu sein, da er ohnehin nichtig war und der Voggenreiter Verlag ohnehin keine Rechte an dem Werk hatte. Auch die finanzielle Not Habbels kann durch einen weiteren Verlagsvertrag belegt werden, der sich im Voggenreiter Archiv findet. Am 2. März 1925 unterschrieb Habbel einen Verlagsvertrag als Autor für ein „Lagerbuch“ mit dem Verlag Der Weiße Ritter. Augenfällig ist, dass Habbel sein Buch nicht in seinem eigenen Verlag herausgeben wollte. Möglicherweise war er durch finanziellen Druck dazu genötigt, selbst durch das Schreiben von Büchern Geld zu verdienen, vielleicht sah er das Profil seines Verlags als nicht optimal an oder Voggenreiter hatte ihn gebeten, dieses Buch zur Ergänzung des Verlagsprogramms des Weißen Ritter zu schreiben. Ohne Zweifel aber war die Auflage in einer Höhe von 4.000 Stück keine geringe im Vergleich zu anderen in Verlagsverträgen des Weißen Ritter Verlages festgehaltenen Auflagen. Das Honorar Habbels wurde größtenteils als Vorauszahlung und in Raten im Vertrag fixiert, für die letzten beiden Raten war jedoch die Einreichung des Manuskripts Voraussetzung – zwei Monate hatte Habbel nach Vertragsabschluss hierfür Zeit, Frist war der 15. Mai 1925. Ob es die Frage der Liquidität und der akuten Geldnot war oder die ideelle Nähe Habbels zur Pfadfinderidee und diesem „Lagerbuch“ – oder von beidem etwas: für diese Voraus-
75 Vgl. Verlagsvertrag zwischen dem Habbel und Naumann Verlag und Olaf Baker / Hermann Georg Scheffauer vom 24. Juni 1925, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 76 Vgl. Eintrag „Verlag Grethlein & Co“, in: Kalliope, Verbundkatalog für Archiv- und archivarische Bestände und nationales Nachweisinstrument für Nachlässe und Autographen [Onlinefassung], URL: https://kalliope-verbund.info/de/eac?eac.id=5192070-0 [01.07.2020].
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zahlung in einer Gesamthöhe von 1.000 Mark verzichtete Habbel, entgegen dem wie gewöhnlich in den Verträgen Voggenreiters festgehaltenen Honorar von 10 %–15 % des Ladenpreises, der zu diesem Zeitpunkt auf 3 Mark geschätzt war, auf 200 Mark Honorar. Bei 4.000 Exemplaren à 3 Mark wäre der Ladenwert 12.000 Mark, 10 % des Ladenpreises, die als niedriges Honorar üblich wären, ergäben dann 1.200 Mark, bei 15 % Honorar wären es sogar 1.800 Mark. In diesem Fall entspricht das einem Verzicht von mindestens 17 % beziehungsweise 1/6 des üblichen Honorars, das Voggenreiter seinen Autoren zahlte.77 Weitere Verlagsverträge werden in Kapitel 3.3.2 besprochen und belegen die hier formulierte Ausnahme von der Regel der Honorare bei Voggenreiter. Gezeigt werden konnte jedoch die enge Verbundenheit, die Habbel und Voggenreiter weiterhin hatten und wie weit diese Verbundenheit ging – Voggenreiter riskierte durch seine finanzielle Hilfe gegenüber Habbel, der mit seiner Unternehmung Habbel und Naumann Verlag in Schwierigkeiten geraten war, seinen eigenen Verlag zu ruinieren. Diese finanziell schwere Phase wird in ihrer ganzen Entwicklung in Kapitel 3.3.3 ausgeführt. Gerade in diesem Winter, 1924/25, zog der Verlag Der Weiße Ritter erneut um, diesmal nach Potsdam.78 Als Privatwohnung unterhielt Ludwig Voggenreiter ein Holzhaus, das seinem Bruder Heinrich zufolge vom Verlagssitz aus über das Wasser – die Havel – schneller zu erreichen war als über Land. Mit diesem Umzug entschuldigte sich Voggenreiter in Briefen immer wieder, wenn er mit etwas in Verzug war, ob es das Lesen von Manuskripten anbelangte oder das Überweisen von Honoraren. Ein Jahr zuvor, 1924, war Heinrich Voggenreiter nach seiner Lehre als Kaufmann und einer zweiten in einer Bank in den Verlag eingestiegen.79 Zunächst zog der Verlag in den Kiewitt 32 in Potsdam. Innerhalb Potsdams strukturierte sich der Verlag erneut um: [Ludwig] hatte das Holzhaus aufgegeben, das wurde dann zu klein. Er hat eine Wohnung, in die ich mit eingezogen bin. Die war so teuer, daß er sich überlegt hat: wenn ich nun dem Verlag, zusammen mit einigen Mitarbeitern, in ein ganzes Haus nehme, das ist dann billiger als diese verstreuten Büros, Wohnungen und Lagerräume zusammen. ’29 oder ’30 kam dann der Umzug nach Potsdam, Wörtherstr.18.80
77 Vgl. Verlagsvertrag zwischen dem Verlag Der Weiße Ritter und Franz Ludwig Habbel vom 2. März 1925, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 78 In der Zeitschrift „Spur“ wird darauf hingewiesen, dass ab dem 1. Dezember 1924 der Verlag unter der neuen Adresse in Potsdam, statt in Berlin zu erreichen sei. Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 3 (1924/25), Heft 5, S. 108. 79 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 80 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2.
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Den Quellen nach muss es sogar erst 1931 geschehen sein, da Ludwig Voggenreiter in einem Brief davon schreibt, dass ihn ein Manuskript mitten im Umzug in die Wörtherstraße erreichte – das schrieb er am 8. April 1931.81 3.3
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Jede Unternehmensgründung ist mit Kosten und Risiken behaftet. Auch die beiden jungen Gründer Ludwig Voggenreiter und Franz Ludwig Habbel, bei Verlagsgründung 21 und 25 Jahre alt, hatten zu Beginn nicht viel mehr als eine Idee – ihre finanziellen Mittel waren begrenzt. Umso interessanter ist der Umstand, dass der Voggenreiter Verlag bis heute in Familienbesitz besteht und weiterhin vor allem als Verlag und Buchhandel, aber auch im Handel mit Musikinstrumenten tätig ist. In diesem Kapitel soll nachvollzogen werden, welche Phasen es in der finanziellen und programmatischen Entwicklung des Verlages gab und welche Entscheidungen bezüglich Erweiterung des Verlagsprogramms mit zusätzlichen Autorinnen und Autoren, Verlegung des Verlagsortes und Flexibilität in der Wahl der Auftragnehmer den Verlag dabei begleiteten. Als Grundlage dient die in den Kapiteln 3.1 und 3.2 gegebene ideelle Ausrichtung der Personen und ihres Netzwerks. Kapitel 3.3.1 wird das Verlagsprogramm, das Profil des Verlages näher beleuchten, im darauffolgenden Kapitel 3.3.2 werden die vertraglichen Absprachen mit Autorinnen und Autoren in den Blick genommen und auf ihre Übereinstimmung mit dem zeitgenössischen Buchhandel allgemein und in den Konditionen der Einzelverträge überprüft. Anschließend leistet Kapitel 3.3.3 die Einordnung des jungen Unternehmens in den Buchmarkt und die finanzielle Umgebung in den 1920er Jahren. 3.3.1
Profil – Zeitschriften und Bücher
Das Ziel, das der Verlag Der Weiße Ritter auf der Grundlage der Erfahrungen der beteiligten Akteure verfolgte, war umfassend und anschlussfähig für große Teile der deutschen Gesellschaft – die Stärkung der Jugend als Trägerin der Zukunft. In einer Verlagsankündigung von 1922 findet sich unter der Überschrift „Die Lage“ ein Text, der die Einordnung des Verlages Der Weiße Ritter in den Zeitkontext zulässt und neben den oben formulierten konkreten Zielen in der Bewegung der Neupfadfinder, weitere Ziele formulierte, die die großen Themen der Zeit „Volk“, „Jugend“, „neues Deutschland“ und „neue Zeit“ bedienten.
81 Vgl. Durchschlag des Briefs von Ludwig Voggenreiter an Herbert Pfretzner vom 8. April 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift.
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In einer Zeit, in der vom Untergang des Abendlandes gesprochen wird, in der unerhörte Kämpfe in allen Lagern ausgefochten werden, werden viele Wege von vielen gesucht, um eine Änderung in der Gegenwart zu erreichen. Aber es genügt nicht, bloß das Streben nach einer Änderung der Verhältnisse zu haben, um so weniger, wenn das Streben nur auf eine Wiederherstellung alter, bequemer Zustände abzielt. […] In einer solchen Lage wird das alte Rüstzeug eines Volkes nachgeprüft und davon behalten, was für den zukünftigen Weg dienlich und wichtig ist; neue Kräfte brechen auf und wollen ans Licht […]. Aber eines ist vor allem wichtig und bereits von vielen erkannt: daß es vor allem darauf ankomme, die J u g e n d in der Hand zu haben, um die kommende Welt zu gewinnen. Wer den Anschluß an die Blutquelle des Volkes verloren hat, dorrt an Geist und Körper ab. So sind die beiden Punkte offenbar geworden, auf die es ankommt: auf das B l u t und alles, was aus ihm wächst, und auf das e w i g – j u n g e B l u t, und damit zugleich die Gebiete angedeutet, mit denen sich jeder befassen muß, der mit Ernst und Ehrlichkeit der Fülle der Welt gegenübertritt: d a s R e i c h d e s G e i s t e s u n d d a s R e i c h d e r J u g e n d. Unsere Hoffnung liegt daher bei allen Menschen, welche sich heute als Teil des neuaufsteigenden deutschen Blutes fühlen, welche wissen, daß der Weg zur Vollendung eines Volkes über die Vollendung des einzelnen führt, abseits von den Großstädten […].82
Den Geist und die Jugend sah Voggenreiter hier als Lösung der aktuellen Lage 1922 an. Gut begründet war damit sein Engagement sowohl für die Jugendliteratur und die Jugendbewegungsliteratur und -publizistik, aber auch für Philosophie, Kunst und Musik, die allesamt die folgenden Jahre der Verlagsarbeit bestimmten. Wie sehr das Schrifttum des Weißen Ritter für Voggenreiter und seine Mitstreiter mit den Ideen der bündischen Jugend in Verbindung stand, zeigt sich in einem Aufsatz der Schriftleitung zum vierten Jahrgang, der in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ 1923 abgedruckt wurde: Der „Aufbau“, das erste Jahr der „Führerzeitung“, ist zwar leicht charakterisiert mit: „Einbruch der Jugendbewegung in ursprüngliche Jugendpflegeverbände“; dennoch besagt das Wort Jugendbewegung hier viel zu wenig. […] Auch trat ja eigentlich das entscheidende Ereignis, die „Bewegung der Jugend“, erst mit dem zweiten Jahr [der Führerzeitschrift, F. M.](1919) ein. Was ist über diesen Jahrgang heute zu sagen? Sie war schön, die Zeit […] – aber das Schönste ist, daß diese Zeit noch heute dauert, daß dies Erlebnis einer sich strahlend öffnenden neuen Welt in der deutschen Jugend sich noch unablässig wiederholt.83
82 Verlagsverzeichnis des Verlages Der Weiße Ritter / Regensburg [Anfang] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 83 Die Schriftleitung: Der Weiße Ritter im vierten Jahr, in: Der Weiße Ritter, Jg. 4, Heft 4, S. 265–269, hier: S. 266.
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Vier Jahre nach den oben aufgeführten, deutlich sendungsbewussten Ausführungen beschrieben Ludwig und Heinrich Voggenreiter in einem Positionspapier vom 13. Februar 1926 neben der wirtschaftlichen Lage auch die Ziele des Verlages retrospektiv. Es weist deutlich auf die gewachsenen Umfänge in Zielsetzung und Bedeutung des Verlages für die deutsche Jugend hin. Bis zu diesem Zeitpunkt sieht Voggenreiter bereits einige gesamtgesellschaftliche Entwicklungen durch seinen Verlag beziehungsweise die dahinterstehende Bewegung in Gang gebracht: die freiheitliche Gestaltung des Jugendlebens in Schule und Vereinen, die Freilagerbewegung und die körperliche und geistige (d. h. ganzheitliche) Emanzipation der heranwachsenden Generation: Nicht als sein letztes Verdienst rechnet es sich der Weisse Ritter Verlag […] an, dass mit durch seine langjährige Arbeit die freiheitliche Gestaltung des Jugendlebens nicht nur in den Jugendbünden selbst, sondern in allen jugendlichen Kreisen der Schule wie der vielen Jugendvereine zunahm, Wandern und Fahrten zu einer früher nicht denkbaren Verbreitung gelangten und neuerdings eine grosse „Freilagerbewegung“ Deutschland ergreifen wird, die zusammen mit der körperlichen Emanzipation von den unheilvollen Großstadtlebensbedingungen zugleich eine geistige Befreiung von einseitiger Schlagwortreaktion rechter wie linker Volksteile zwangsläufig mit sich bringen muss.84
Weitere zeittypische Argumentationsmuster finden sich beispielsweise, indem sich die beiden Voggenreiters auf „das Versailler Diktat“ beriefen, die damit verbundene Abschaffung der allgemeinen Wehrdienstpflicht und den „Bruch des Volksrückrads“ beklagten und eine „ganzheitliche“ Bewegung forderten, statt Sport als rein körperliche gelten zu lassen.85 Zeitschrift „Der Aufbau“ Wie eng der Verlag und die bündische Jugend zusammenhingen, zeigt sich vor allem darin, dass die erste Zeitschrift Habbels und Voggenreiters unmittelbar zur Verlagsgründung führte: Die Vorgeschichte des Verlages begann mit der oben beschriebenen Auseinandersetzung um Reformen im Deutschen Pfadfinderbund und der ab 1918 erscheinenden Zeitschrift „Der Aufbau – einer Führerzeitung erstes Jahr“, deren erster Jahrgang noch vom Bayerischen Wehrkraftverein herausgegeben wurde (siehe Kapitel 3.1). Die Zeitschrift richtete sich an die Mitglieder des Bundes und wurde an einen kleinen Kreis an Interessierten aus der Bewegung des Bayerischen Wehrkraftvereins (BWV) und des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) verkauft. Ideengeber war Franz Ludwig Habbel selbst gewesen, der im Mai 1918 der Leitung des Verbandes den Vor84 Voggenreiter, Ludwig / Voggenreiter, Heinrich: Denkschrift über die Grundlagen und Absichten, die bisherige und zukünftige Arbeit des Weissen Ritter Verlages, Potsdam 1926, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. 85 Vgl. ebd.
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schlag einer verbandseigenen Zeitschrift machte, die jedoch ihre Ziele unter anderem auch außerhalb des Verbandes finden und für Verständnis unter den Jugendverbänden werben sollte. In einer Denkschrift legte Habbel nach eigenen Angaben den Grundstein zu dieser Zeitschrift, deren erstes Heft – das Doppelheft 1/2 – am 1. September 1918 erschien.86 Bereits auf der Bundestagung des deutschen Pfadfinderbundes vom 5. bis 7. Oktober 1918, bei welcher auch die Österreichischen Pfadfinder und der Bayerische Wehrkraftverein eingeladen und Mitglieder der Verbände anwesend waren, bewarb Habbel den „Aufbau“ als ein Organ, in welchem freie Aussprache gewährleistet sei und die Gedanken der Pfadfinderbewegung zusammengefasst würden. Lediglich die ersten zwei Hefte waren bis zu diesem Zeitpunkt erschienen. Scheinbar aber hatte Habbel bei dieser Tagung eine interessierte Leserschaft gefunden, so dass er diese Werbung als Erfolg wertete.87 Wie Habbel in einem Resümee nach einem Jahr des Erscheinens preisgibt, war nie erwartet worden, dass sich die Zeitschrift von Anfang an selbst tragen könne: Trotz großer Schwierigkeiten ist es gelungen, den „Aufbau“ auch in seiner Ausstattung auf einer würdigen Höhe zu halten, dank den großen Opfern des Wehrkraftvereins und der entgegenkommenden Sorgfalt der Druckerei. Es war ja von Anfang an nicht damit zu rechnen, daß die Zeitschrift in den ersten Jahren sich finanziell auch nur einigermaßen selbst erhalten könne und so hat der Verein in großzügiger Weise die Erhaltung der Zeitschrift aus seinen Mitteln übernommen.88
Zwar könne über eine Entschädigung des Vereins nachgedacht werden, sobald genügend Leserinnen und Leser zusammengekommen wären, jedoch könne dies nicht durch den Verein – BWV beziehungsweise Jung-Bayern – und durch die Mitglieder allein geschehen, sondern müsse andere Verbände zwingend miteinbeziehen, da sonst nicht ausreichende Leserzahlen erreicht werden könnten, damit sich ein Gewinn durch eine höhere Auflage einstellen könnte.89 Das aber hieße, dass der Verband das Interesse an der Finanzierung der Zeitschrift verlieren könnte, da sie nicht allein ihm zu Diensten wäre. Zur Ermöglichung dieser Forderungen wird es vielleicht notwendig sein, daß das Verhältnis des Herausgebers, des Bayerischen Wehrkraftvereins [notabene: zum Zeitpunkt des Erscheinens des Textes hieß dieser bereits Jung-Bayern e. V., F. M.], zum „Aufbau“ ein anderes sein wird, denn in dem Maß, wie der „Aufbau“ mehr der Allgemeinheit dient, sinkt natürlich das Interesse des einzelnen Verbandes an der Übernahme der Unterhaltungs-
86 Vgl. Habbel, Franz Ludwig: Der Weg des „Aufbau“, in: Der Aufbau. Eine Führerzeitung, Jg. 1 (1918/19), Heft 9/12, Regensburg 1919, S. 225–232. 87 Vgl. Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 3/4, Regensburg 1918, S. 76–77. 88 Habbel, Franz Ludwig: Der Weg des „Aufbau“, in: Der Aufbau. Eine Führerzeitung, Jg. 1 (1918/19), Heft 9/12, Regensburg 1919, S. 225–232, hier: S. 230. 89 Vgl. ebd.
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
kosten. Es scheint mir aber der Fall zu sein, daß eine Führerzeitung im Umfange und in der Gestaltung des „Aufbau“ sehr wohl der ganzen Bewegung dienen kann, während sie für einen Verband allein zu viel ist.90
Habbel schließt seine Ausführungen mit dem Satz: „In diesem Sinne werde ich mit meinen Freunden in Zukunft arbeiten und ich wünschte, daß auch der ‚Aufbau‘ seinen Weg in diesem Sinne nehmen würde.“91 Nicht direkt ausgesprochen, aber doch durch diese letzten Worte angedeutet, nahm Habbel bereits nach einem Jahr Abschied als Schriftleiter des „Aufbau“, da er seine Ziele für eine Zeitschrift der Jugendbewegung und vor allem der Pfadfinderbewegung mit freier Aussprache und der Offenheit für alle Teile der Bewegung anders besser zu verwirklichen glaubte und sich die Zeitschrift „Der Aufbau“ formal dem Jung-Bayern e. V. München unterstellt befand. Diese Vermutung wird bestätigt durch die letzten beiden Seiten des Hefts 9/12 des ersten Jahrgangs des „Aufbau“, auf welchen die Schriftleitung, Habbel als die alte und Jung-Bayern e. V. als die unpersönliche neue, einen kurzen Bericht zu „Abschied vom Aufbau“ abdrucken ließ. Da die Zeitschrift in der Regel nur alle drei Monate erschien, sind gerade in diesem Heft 9/12 verschiedene Diskussionsstände eines Themas versammelt. Der „Abschied vom Aufbau“ ist offensichtlich einige Zeit nach dem „Weg des ‚Aufbau‘“, aus dem oben zitiert wurde, entstanden, sodass sich „Wesentliches geändert“ hatte. In der Zeit vor Erscheinen des Bandes am 1. Dezember 1919 und nach dem vorigen Heft vom 1. August 1919 war sowohl die Debatte um die Erneuerung der Pfadfinderbewegung, die unter anderem aus der Diskussion um die Berechtigung und den Platz des Wehrkraftgedankens im Jung-Bayern e. V.92 hervorgegangen war, als auch jene um den überbündischen Charakter der gemeinsamen Zeitschrift in die Richtung der formalen Trennung voneinander entschieden worden. Dennoch versicherten beide Seiten, es sei ein Abschied im Guten und es würden weiterhin Beziehungen bestehen bleiben, da sie prinzipiell an der gleichen Sache arbeiteten, lediglich mit anderen Mitteln.93 Der Jung-Bayern e. V. gab weiterhin eine Verbandszeitschrift unter der Schriftleitung des Vorsitzenden Ernst Kemmer heraus, deren Einfluss sich in der Folge jedoch auf den Verband beschränkte. Vier Jahre nach Erscheinen des ersten Heftes beschrieb Voggenreiter das erste Jahr unter dem Namen „Der Aufbau“ als „das Erwachen einer starken Bewegung in ursprünglichen Jugendpflegeverbänden“, was die Bedeutung des Erneuerungsgedankens innerhalb der deutschen Pfadfinderei und der Zeitschrift Habbels verdeutlicht.94
Ebd., hier: S. 231. Ebd., hier: S. 232. Vgl. Kapitel 3.1. Vgl. Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 9/12, Regensburg 1919, S. 303–304. Vgl. Verlagsverzeichnis des Verlages Der Weiße Ritter / Regensburg [Anfang] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 90 91 92 93 94
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Zeitschriften „Der Weiße Ritter“ und „Die deutsche Freischar“ Parallel nahm ein weiteres Projekt seinen Anfang: Im Juni 1919 hatten Franz Ludwig Habbel und Ludwig Voggenreiter bereits ihren Verlag gegründet, den sie „Der Weiße Ritter“ nannten – Voggenreiter war erst im März volljährig geworden. Den Sitz hatte der Verlag in der damaligen Fröhlichen-Türken-Straße in Regensburg, wo der Zeitungsverlag von Franz Ludwig Habbels Bruder Martin Habbel und seines Schwagers Heinrich Held ansässig war, wo die Familie Habbel auch privat wohnte und von wo aus Habbel die Schriftleitung des „Aufbau“ besorgt hatte.95 Da die Zeitschrift „Der Aufbau“ bislang für Habbel nicht ausreichend Beachtung gefunden hatte und die Verquickung mit einem Verband für die freie Aussprache, die er stets proklamierte, nicht zuträglich war, organisierten Habbel und Voggenreiter in Vorbereitung auf eine neue Zeitschrift die Inhalte und die Form neu. Auch einen neuen und prägenden Namen sollte die neue Zeitschrift erhalten – „Der Weiße Ritter“, wie schon der Verlag. Das erste Heft erschien im Oktober 1919, also bereits bevor Habbel aus der Schriftleitung des „Aufbau“ ausschied. So kam es, dass auf der rückseitigen Umschlagseite des letzten Hefts des „Aufbaus“, das im Dezember 1919 erschien, eine zweiseitige Ankündigung für die neue Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ zu finden war, deren Veröffentlichung bereits zwei Monate zurücklag. Als Schriftleitung waren lediglich Franz Ludwig Habbel und Karl Sonntag ausgewiesen, nicht aber Ludwig Voggenreiter, der jedoch von Beginn an diverse Aufsätze zum „Weißen Ritter“, wie übrigens auch schon zum „Aufbau“, beitrug.96 Ab Heft 4–5, Januar/Februar 1920, stieg Ludwig Voggenreiter ebenfalls offiziell in die Schriftleitung ein: Für den schöngeistigen Teil, wie sie es selbst im Impressum nannten, war Voggenreiter zuständig, für die Bereiche zur Schule und die Buchbesprechungen und -empfehlungen Karl Sonntag, alles weitere besorgte Habbel.97 Mit dem Umzug des Verlages nach Berlin änderte sich auch die Schriftleitung der Zeitschrift, Habbel und Sonntag kamen nicht mit nach Berlin. Gerhard Drabsch und Erich Maschke übernahmen die Schriftleitung des vierten Jahrgangs, den fünften verantwortete Drabsch allein, für die letzten beiden Jahrgänge sechs und sieben übernahm Erich Maschke die Schriftleitung. Bis Ende des vierten Jahrgangs war jedes Titelblatt eines Hefts dem Inhalt entsprechend gestaltet und trug eine passende Grafik (bspw. wie Abbildung 7 links), ab dem fünften Jahrgang aber waren alle Hefte äußerlich gleich gestaltet: Titel, Herausgeberschaft, Jahrgang und Heftnummer mit einer kleinen Grafik in der Mitte der Seite: einem kleinen Schild mit schwarzem Balkenkreuz darauf (bspw. wie Abbildung 7 rechts).
95 96 97
Vgl. Reichmann, Die Verlegerfamilie Habbel, S. 116. Vgl. Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 9/12, Regensburg 1919. Vgl. Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 4–5, Regensburg 1920.
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Abbildung 7 Links: Titelseite. Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 1, Regensburg 1919, UB HD DJ 254; Rechts: Titelseite. Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, UB HD DJ 254.
Heinrich Voggenreiter berichtet von einer Auflage von 2.000 Exemplaren, bei Sonderheften 2.500. Selten erhöhten sie die Auflage; das Sonderheft zum Verfassungsentwurf für einen Hochbund von Voelkel ließen sie 5.000 Mal drucken, wovon scheinbar jedoch ein guter Teil übrig blieb.98 Ab dem siebten Jahrgang, ab 1926, wurde „Der Weiße Ritter“ die Führer- und Älterenzeitschrift des neu zusammengeschlossenen Bundes der Wandervögel und Pfadfinder (BdWuP), in dem auch der Bund der Neupfadfinder aufging, den Habbel und die Voggenreiters – neben Martin Voelkel natürlich – wesentlich mitbegründet hatten. Dieser Schritt brachte eine potenzielle Steigerung der Beziehenden mit sich und damit eine diversere Leserinnen- und Leserschaft.99 Der Verlag bemühte sich, alle nun durch die Oberorganisation zusammengeschlossenen Gruppen, die den „Weißen Ritter“ bis98 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 99 Im fünften Jahr stand nach dem Titel „Der Weiße Ritter“, die Beschreibung „Zeitschrift des jungen Deutschland“, im sechsten Jahrgang schlicht „Sechster Band“ und im siebten Jahrgang „Eine Führerzeitung, herausgegeben von einem Kreise im Bunde der Wandervögel und Pfadfinder“, vgl. Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25)–7 (1927).
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lang nicht abonniert hatten, anzuschreiben und zu einem Abonnement zu bewegen. Ein vorformuliertes Rundschreiben findet sich auf der Rückseite eines Dokuments im Voggenreiter Archiv, in welchem Heinrich Voggenreiter – den Initialen nach zu schließen – für eine gute Verbindung zwischen Bundesgruppen und Bundesverlag wirbt und als Anlage ein Probeheft als Beilage ankündigte.100 Die Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ stellt 1927 ihr Erscheinen ein, stattdessen führte der Verlag die Zeitschrift „Deutsche Freischar. Rundbrief der Bundesleitung“ als Führerzeitschrift des nun zusammengeschlossenen Bundes ein. Sie erhielt ein völlig neues Äußeres und auch der Inhalt unterschied sich deutlich von dem der Vorgängerzeitschrift. Die Titelgrafik war nun eine abstrahierte Lilie. Die Schriftleitung übernahm zunächst der Bundesführer Ernst Buske bis zu seinem Tod noch vor Ende des zweiten Jahrgangs. Interimsmäßig sprangen Kurt Mothes und Werner Markert ein, bis ab Heft drei des dritten Jahrgangs der neue Bundesführer Helmuth Kittel die Schriftleitung übernahm. Diese klare Verbindung der Schriftleitung der Zeitschrift mit dem Bund, der deutschen Freischar, zeigt den Abschluss der Entwicklung an, die die Zeitschrift
Abbildung 8 Links: Titelseite. Deutsche Freischar, Jg. 1 (1928), Heft 1, Potsdam 1928, UB HD N 5231-0-10; Rechts: Titelseite. Deutsche Freischar, Jg. 4 (1931/32), Heft 1, Potsdam 1931, UB HD N 5231-0-10.
100
Vgl. Briefentwurf von Heinrich Voggenreiter, ohne Datum, Voggenreiter Archiv, Ordner 16.
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nahm – sie ordnete sich in diesen ersten zehn Jahren immer deutlicher der Bündigungsidee der deutschen Jugendbewegung an. Ab dem vierten Heft des dritten Jahrgangs erfolgte ein Wechsel von der bislang genutzten gebrochenen Schriftart hin zur Antiqua, was die Schriftleitung wegen der kritischen Zuschriften der Leserinnen und Leser thematisiert und verteidigt – hauptsächlicher Kritikpunkt sei gewesen, dass die Antiqua keine „spezifisch deutsche Druckschrift“ sei, was der Schriftleiter mit dem Verweis auf eine frühere Abhandlung hierzu abtut.101 Die Änderung des Titelblattes erfolgte zum vierten Jahrgang, nur knappe zwei Jahre hindurch war dies aktuell, denn mit der Gleichschaltung der bündischen Jugend im Juni 1933 endete auch die Herausgabe einer eigenen Führerzeitschrift der Deutschen Freischar. Helmut Kittel unterstützte die Gleichschaltung der Deutschen Freischar und die Eingliederung in die Hitlerjugend als ihr letzter Bundesführer (Abbildung 8).102 Erste externe Zeitschriften – „Der Zwiestrolch“ und „Der Pfadfinder“ In den Anfangsjahren 1919 bis 1921 entstanden einige wenige Publikationen, doch das Verlagsprogramm wurde kontinuierlich erweitert. Bereits 1919 gab der Verlag Der Weiße Ritter die sich bereits im dritten Jahrgang befindliche Zeitschrift „Der Zwiestrolch. Schrift jugendlicher Offenbarung. Zweimonatsschrift der Unmündigen für Literatur, Musik und Originalgraphik“ heraus, die sich unter der Schriftleitung von Ernst Heimeran befand. Heimeran war bereits unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Ortsgruppenleiter des Bayerischen Wehrkraftvereins in München gewesen und durch dieses Engagement mit Habbel bekannt.103 Der „Zwiestrolch“ befasste sich mit den Belangen der Schülerinnen und Schüler, aber ausdrücklich nicht mit Pädagogik und war im November 1917 mit dem ersten Heft als Versuch im Selbstverlag à 50 Exemplare erschienen.104 Dabei kann der Titel als eine Anspielung auf die in der Jugendbewegung weit bekannte Zeitschrift „Der Zwiespruch“ gelesen werden, die zunächst 1917 und 1918 als „Rundbrief der Feld-Wandervögel im Westen“ erschien und 1919 bis 1933 in einem eigenen Zwiespruch-Verlag als „unabhängige Zeitung für die Wanderbünde / Nachrichtenblatt der Wandervogel Ämter und Anzeiger unseres wirtschaftlichen Le-
Vgl. Deutsche Freischar, Jg. 3 (1931), Heft 4, Potsdam 1931, S. 180. Vgl. Eintrag „Helmut Kittel“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 179–188. 103 Vgl. Der Aufbau, Jg. 1 (1918/19), Heft 3/4, S. 97. 104 Heimeran beschreibt seine Geschichte und seine Beziehungen zu dem Verleger Hans von Weber alias Zwiebelfisch durch seinen Mitschüler und den Anfang des Verlages unterhaltsam in seinen Lebenserinnerungen, vgl. Heimeran, Ernst: Vom Schreiben, Lesen, Büchermachen, München 1983. 101 102
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bens“.105 So lange wie der „Zwiespruch“ erschien der „Zwiestrolch“ nicht, bereits nach diesem dritten Jahrgang wurde sein Erscheinen im Weißen Ritter Verlag wieder eingestellt. Voggenreiter schreibt später davon, dass „die Inflationszeit [der Zeitschrift] nach Abschluß des dritten Jahrgangs das Genick gebrochen hat.“106 Bald schon gesellte sich in das Verlagsprogramm eine zweite externe Zeitschrift hinzu. Im März 1920 erklärten Habbel und Voggenreiter, dass sie die Bundeszeitung des Deutschen Pfadfinderbundes „Der Pfadfinder“ samt Beilage „Der Feldmeister“ in ihren Verlag übernommen hätten. Dies war bereits zu Beginn des Jahres 1920 per Vertrag zwischen Habbel, Voggenreiter, Georg Baschwitz, dem ersten Vorsitzenden des Deutschen Pfadfinderbundes und Freiherr Carl von Seckendorff, dem neuen Reichsfeldmeister seit Oktober 1919 und vor allem dem Schriftleiter des „Pfadfinder“ formalisiert und vertraglich festgehalten worden. Zuvor hatte acht Jahre lang der Verlag Otto Spamer aus Leipzig die Zeitschrift verlegt, nun übernahmen sie Habbel und Voggenreiter, da sie selbst „an der Bewegung geistig beteiligt“ waren, nach langen und nicht ganz leichten Verhandlungen: Der Berliner Teil des Deutschen Pfadfinderbundes sprach sich zunächst gegen eine Verlegung der Zeitschrift nach Süddeutschland aus.107 Auch wenn Habbel und Voggenreiter selbst im Deutschen Pfadfinderbund aktiv waren, gehörten sie doch der Untergruppe des Bundes der Neupfadfinder an, die den Deutschen Pfadfinderbund zu reformieren suchte, was einerseits eine persönliche Verbundenheit aber andererseits eine Distanz zum Deutschen Pfadfinderbund bedeutete – trotz aller Skepsis war es dem Deutschen Pfadfinderbund auch bei dem Verlag ihrer Bundeszeitschrift sehr recht, dass dieser ideell getragen war.108 Der Vertrag zwischen Habbel und von Seckendorff blieb in vielen Formulierungen unkonkret und betont die später zu schließenden Vereinbarungen, was dem Briefwechsel zufolge der unsicheren Wirtschaftslage geschuldet war und bei Steigerung der Auflage und im Falle eines wirtschaftlichen Erfolgs zugunsten der Beteiligten geregelt werden sollte. Zudem wurde auch die persönliche, ideelle Verschiedenheit der Unterzeichnenden thematisiert, die in dem Ausscheiden der Neupfadfinder inklusive Habbels und Voggenreiters aus dem Deutschen Pfadfinderbund begründet lagen. Die MeinungsverschiedenheiVgl. Der Zwiespruch. Rundbrief des Feldwandervogels, Darmstadt 1917–1918; Der Zwiespruch. Unabhängige Zeitung für die Wanderbünde / Nachrichtenblatt der Wandervogel Ämter und Anzeiger unseres wirtschaftlichen Lebens, Berlin 1919–1933. 106 Vgl. Voggenreiter/Kurka, Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930, S. 135; 1922 gründete Heimeran selbst bzw. wegen seiner Minderjährigkeit offiziell sein Vater, einen Verlag in Schwabing. Der „Zwiestrolch“ erschien dort jedoch nicht weiter. Ausgebaut hat Heimeran seinen Verlag und das Programm allerdings erst in der 1930er Jahren und ist damit für die Untersuchung nicht weiter von Belang. Siehe hierzu: Heimeran, Ernst: Vom Schreiben, Lesen, Büchermachen, München 1983, S. 35, 59–62. 107 Vgl. Brief von Franz Ludwig Habbel an Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff, Regensburg 7. Januar 1920, AdJb N 121/13. 108 Zur Entwicklung des Bundes der Neupfadfinder, auch in Auseinandersetzung mit dem Deutschen Pfadfinderbund, vgl. Kapitel 3.1. 105
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ten scheinen so schwerwiegend gewesen zu sein, dass beide Parteien im Zweifelsfall den gemeinsamen Vertrag und die geschäftliche Beziehung aufs Spiel gesetzt hätten: Der Verlag behält sich vor, gegen seine Anschauungen grundsätzlich zuwiderlaufende Beiträge Einspruch zu erheben; doch soll dieser Einspruch die Drucklegung nicht aufschieben oder verhindern, sondern lediglich das Recht der freien Aussprache wahren. Meinungsverschiedenheiten solcher Art, welche nicht auf gültigem Wege beigelegt werden können, bilden für beide Teile einen Grund zur Kündigung des Vertrages.109
In der Schriftleitung hatte sich nichts geändert – Inhalt und Gestalt waren weiterhin in der Hand von Freiherr Carl von Seckendorff aus Bamberg. Die Überführung der Zeitschrift in einen neuen Verlag scheint mit Skepsis aufgenommen worden zu sein: Zum einen, weil Voggenreiter und Habbel persönlich für die Erneuerung der Pfadfinderbewegung eintraten und damit eine Gegenposition zum Deutschen Pfadfinderbund einnahmen, dessen Bundeszeitschrift der „Pfadfinder“ war und zum anderen, weil es bereits eine Führerzeitung im Weißen Ritter Verlag gab, was die Angst schürte, dass diese zusammengelegt werden könnten. Habbel hatte dies tatsächlich zu Beginn der Verhandlungen im Herbst 1919 Seckendorff vorgeschlagen, was jedoch kein zweites Mal diskutiert wurde.110 Unter anderem wegen der ideellen Verschiedenheiten und der Skepsis der Führer des Deutschen Pfadfinderbunds gegenüber den Neupfadfindern. Habbel und Voggenreiter hatten daher einen expliziten Verlag des Pfadfinders – ebenfalls in der Fröhlichen-Türken-Straße 3 in Regensburg ansässig – mit eigenem, vom Weißen Ritter unterschiedlichen Briefkopf gestaltet. Bereits nach dem ersten Halbjahr ihrer Arbeit am „Pfadfinder“ jedoch stellten Habbel und Voggenreiter fest, dass die Absatzzahlen weit hinter den Erwartungen von etwa 10.000 Stück zurückblieben. Als Gründe hierfür nannten sie erstens die Preissteigerungen in der Herstellung zu Beginn des Jahres und zusätzlich wegen der vorherigen künstlichen Niedrighaltung des Verkaufspreises durch den Deutschen Pfadfinderbund, zweitens den Widerstand der Bezieher gegen den neuen Verlag und ein Versagen der Ortsgruppen des Deutschen Pfadfinderbunds in der Werbung für die verbandseigene Zeitschrift und drittens wegen des Inhalts der Zeitschrift, konkreter wegen der wenigen praktischen Hinweise und der übermäßigen Theorie, die sie als nach der Naumburger Tagung für überwunden hielten.111 Insgesamt war diese Unter-
Verlagsvertrag zwischen dem 1. Vorsitzenden des Deutschen Pfadfinder-Bundes e. V., Georg Baschwitz in Berlin, einerseits und dem Verlag Der Weiße Ritter in Regensburg andererseits, inklusive der Unterschrift des Bundesführers von Seckendorff vom 8. Februar 1920, AdJb N 121/13. 110 Vgl. Habbel, Franz Ludwig / Voggenreiter, Ludwig: Die Bundeszeitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 6, S. 132–133; Brief von Franz Ludwig Habbel an Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff vom 17. November 1919, AdJb N 121/13. 111 Vgl. Brief von Franz Ludwig Habbel an Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff vom 17. November 1919, AdJb N 121/13; Postkarte von Franz Ludwig Habbel an Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff vom 22. November 1919, AdJb N 121/13. 109
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nehmung des Verlages des Pfadfinder ein Verlustgeschäft: durch die zweimalige Tarifsteigerung für die Drucklegung innerhalb des halben Jahres zwischen Ende 1919 und dem 1. Juni 1920, die sonstigen Kostenerhöhungen wie Postgebührenerhöhung und durch die niedrige Auflage und damit den höheren Durchschnittspreis eines Exemplars und dem geringeren Nutzen der first-copy-costs. Als Referenz für die Bitte der Erhöhung der Bezugspreise der Zeitschriften weisen Habbel und Voggenreiter auf die Verbandszeitschrift „Der Wandervogel“ hin, deren Preise mit 12 Mark im Jahr für die Jungen und 16 Mark für die übrigen Mitglieder und mit 28,80 Mark im Buchhandel weit höher lägen als „Der Pfadfinder“.112 „Der Pfadfinder“ war im achten Jahrgang 1919 bei monatlicher Lieferung für 1,50 Mark im Jahr veranschlagt113, ab dem zehnten Jahrgang 1921 bei wöchentlicher Lieferung durch die Post für 3,30 Mark vierteljährlich zu beziehen114 – 13,20 Mark im Jahr – was selbst bei einer höheren Frequenz der Ausgaben eine deutliche Steigerung bedeutete. Scheinbar sind die Quellen an dieser Stelle lückenhaft und lediglich das Ergebnis in Bezug auf die Zeitschrift dieser finanziellen Misslage ist bekannt: Wiederum ein halbes Jahr später wurde erneut eine Umstrukturierung der Zeitschrift „Der Pfadfinder“ in Angriff genommen. Am 5. Januar 1921 unterzeichnete Seckendorff einen Vertrag über den Druck der Zeitschrift inklusive der Beilage „Der Feldmeister“ mit der Buch- und Kunstdruckerei Bamberger Tageblatt. Die Verhandlungen in dieser Sache waren schneller gediehen als jene ein Jahr zuvor mit dem Verlag Der Weiße Ritter. Lediglich eine Handvoll weiterer Angebote über die Kosten des Drucks waren eingeholt worden, die Druckerei Bamberger Tageblatt aber versicherte, die „Pfadfinder-sache“ unterstützen zu wollen und daher einen guten Preis anzubieten. Tatsächlich lag ihr Angebot weit unter denjenigen der Konkurrenz. Da das Bamberger Tageblatt aber nur den Satz und Druck zu verantworten hatte, fehlte die sonstige verlegerische Tätigkeit: Von Seckendorff informierte sich, den Akten nach zu schließen, sowohl über die Bedingungen, nach welchen Anzeigenkunden gewonnen werden konnten, als auch über die zu erwartenden Preise für Buchdruck-Ätzungen und die Versandmöglichkeiten und -kosten der Zeitschrift als Abonnement über die Post, woraufhin von Seckendorff die betreffenden Anträge zur Versendung bei der Post stellte.115 So war der bundesVgl. Brief von Franz Ludwig Habbel an Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff 1. Juni 1920, AdJb N 121/13; Brief von Franz Ludwig Habbel an Herausgeber und Schriftleitung des Pfadfinder (Freiherr Carl August Ludwig von Seckendorff) vom 2. Juni 1920, AdJb N 121/13; Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte. 113 Vgl. Der Pfadfinder. Jugendzeitschrift des Deutschen Pfadfinderbundes, Jg. 8 (1919), Heft 12, Dezember 1919, Leipzig 1919. 114 Vgl. Der Pfadfinder. Jugendblätter des Deutschen Pfadfinderbundes, Jg. 10 (1921), Heft 40/41, 8. Oktober 1921, Bamberg 1921. 115 Vgl. Brief von der Buch- und Kunstdruckerei Bamberger Tageblatt an den deutschen Pfadfinderbund (Carl August Ludwig von Seckendorff) vom 30. September 1921, AdJb N 121/13; Kostenvoranschlag der Buch- und Kunstdruckerei Bamberger Tageblatt an den Deutschen Pfadfinderbund (Carl August Ludwig von Seckendorff) vom 8. Dezember 1920, AdJb N 121/13; Informationsblatt zu Anzeigenbedingungen des 112
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eigene Verlag, Deutscher Pfadfinderbund e. V. Verlag mit der Anschrift D. P. B. Verlag Bamberg in der Hainstraße 15 entstanden und von Seckendorff betätigte sich als Schriftleiter und besorgte als Reichsfeldmeister des Deutschen Pfadfinderbunds die weitere verlegerische Tätigkeit der Zeitschrift. Nach jeweils nur einem Jahr des Verlegens extern übernommener Zeitschriften wanderten diese wieder ab oder stellten ihr Erscheinen ein. Wenigstens im Fall des „Pfadfinder“ waren auch ideelle Gründe, neben den finanziellen, dafür verantwortlich. Erste Buchreihe – Waldverwandtschaft Als erste Reihe begannen im August 1921 die „Bücher der Waldverwandtschaft“ zu erscheinen: „Das Wigwambuch“ (Band 3) als auch „Kibbo Kift“ (Band 10) wurden zeitgleich veröffentlicht. Beide Bücher waren zunächst in England erschienen und stammten vom Autor John Hargrave alias der weiße Fuchs alias „wa-wah-gusch“. Elf weitere Bände erschienen in den Folgejahren in der Reihe „Waldverwandtschaft“, die jedoch von verschiedenen anderen Autoren verfasst wurden.116 Für den Vertrieb in Deutschland wurde „Das Wigwambuch“ im Juli 1921 durch Franz Ludwig Habbel übersetzt. Illustriert war es von John Hargrave selbst für die englische Erstausgabe 1916. Diese Illustrationen sind teils erklärend mit Anleitungen und Tipps zum Kleidung-selber-Machen oder zum Wigwam-Bauen, teils aber auch unterhaltsame Bilderfolgen, die einem Comic nahekommen. „Kibbo Kift“ stattdessen erhielt Holzschnitte des Regensburger Künstlers und Kunsterziehers Oskar Birckenbachs als Illustration, die eine sakrale Atmosphäre ausstrahlen. Sie zeigen zumeist dem Stilbild des germanischen Menschen entsprechende figürliche Darstellungen mit indianisch anmutenden Elementen (Kleidung, Kopfschmuck) oder bestehend aus lediglich grob geschnitzten Personen. Birckenbach lebte wie Habbel und Voggenreiter seit 1910 ebenfalls in Regensburg und seine Holzschnitte wurden durch den Verlag Der Weiße Ritter häufig auch abseits von den Büchern als Kunstdrucke verkauft. So wird deutlich, warum diese beiden Bücher in den Verlagsankündigungen als Gegenstück voneinander bezeichnet wurden: Sie ergänzen sich in der Art, dass „Kibbo Kift“ eine
Bamberger Tageblattes, gültig ab 1. Juli 1920, AdJb N 121/13; Informationsbroschüre zu Mindestpreisen für Buchdruckätzungen der Firma Zerreiss & Co. aus Nürnberg, gültig ab dem 15. März 1920, AdJb N 121/13; Informationsblatt zu Bestimmungen über den Zeitungsvertrieb durch die Post, ohne Datum, AdJb N 121/13. 116 1921 erschien das „Wigwambuch“ im Verlag Der Weiße Ritter, das auf „The Wigwam Papers“ von 1916 zurückging. 1922 dann erschien „Das Totem spricht“, die Übersetzung von „The Totem Talks“ von 1918, 1923 „Stammeserziehung“, das zuvor als „Tribal Training“ 1918 erschienen war und 1924 kam „Die Kunst Einsamkeit: Waldläufertum“ heraus, das auf dem bereits 1913 erschienenen „Lonecraft“ basierte. Damit veröffentlichte der Weiße Ritter Verlag insgesamt vier Bücher von Hargrave in ihrer Übersetzung. Vgl. u. a. Voggenreiter/Kurka, Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930, S. 175–179.
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Erzählung ist, in welcher die Praktiken Anwendung finden, die im „Wigwambuch“ als Lehr- und Lernbuch beschrieben werden. Bedeutsam sind diese Bücher für den Verlag und seine Profilierung, da John Hargrave (*1894), der aus Midhurst in England stammte, zeitgleich wie die Erneuerungsbewegung der deutschen Pfadfinderschaft eine Abneigung gegen die militärische Vorbildung der Jugendlichen in der britischen Pfadfinderei entwickelte. Dabei trat Hargrave jedoch im Gegensatz zu Voggenreiter und Habbel sehr deutlich für Pazifismus und Individualismus ein. Aufgrund dieser Grundhaltung aber wurden Hargrave und seine Anhänger im Januar 1921 aus den british boy scouts ausgeschlossen und so wurde die im Sommer 1920 von Hargrave in Nachfolge der Ideen der Woodcraft-Kindred Ernest Thomson Setons gegründete Kindred of Kibbo Kift eine eigenständige Organisation.117 Den Ausdruck Kibbo Kift entlehnte er dem Kentischen Dialekt. Wörtlich übersetzt bedeute es „Probe großer Kraft“ oder „Die Starken“: „So sprechen wir heute in den Woodcraftlagern von KIBBO KIFT und meinen den Gedanken und das Ziel der großen Spur ins Freie und die Erziehung in freier Luft. KIBBO KIFT, das bedeutet DIE WALDVERWANDSCHAFT oder das Volk, das der G r o ß e n S p u r i n s F r e i e folgt.“118 Die Anknüpfungspunkte zwischen Habbel, Voggenreiter und dem Engländer John Hargrave waren also nahezu selbstverständlich. Sie hatten viel gemein und ihre Lebenserfahrungen ähnelten sich. Hargrave war im gleichen Jahr geboren worden wie Habbel und er erlebte den Ersten Weltkrieg als Soldat in der Royal Army. Daraus hatten sie in Teilen dieselben Schlüsse daraus gezogen: Erneuerung der Jugenderziehung durch Selbsterziehung, Ausrichtung an einem naturnahen und natürlichen Lebensstil und dies ohne Militarismus, anders als im jeweiligen vorherrschenden Pfadfinderbund. Viel deutlicher als Habbel und Voggenreiter jedoch verurteilte Hargrave den Krieg als ein Mittel der Kommunikation zwischen Nationen.119 Auf der vorletzten Seite des Bandes „Kibbo Kift“ wird darauf hingewiesen, dass auch Habbels selbst verfasstes Buch „Weltpfadfinderbewegung“ im Zusammenhang mit dem vorliegenden stehe, welches jedoch nicht zur Buchreihe „Waldverwandtschaft“ zählte. Dieses Heft sei ein wesentlich erweiterter Neudruck aus den Heften 2 und 4 des Weißen Ritter von 1921. Darin versammelt sind Erkenntnisse, Einordnung, Entstehungszusammenhänge und all das, was Habbel über die weltweite Pfadfinderbewegung und ihre Verbände gesammelt hatte.120
Vgl. Personenakte zu John Hargrave, AdJb P1 Nr. 1333; 2016 zeigte die Whitechapel Gallery in London die Ausstellung „Intellectual Brabarians: The Kibbo Kift Kindred“, vgl. Whitechapel Gallery: Archive, Intellectual Barbarians: The Kibbo Kift Kindred, 10 October 2015 – 13 March 2016 [Onlinefassung], URL: https://www.whitechapelgallery.org/exhibitions/intellectual-barbarians-the-kibbo-kift-kindred/ [01.07.2020]; vgl. auch: Ross, Catherine: Designing utopia. John Hargrave and the Kibbo Kift, London 2015, S. 14–17, 37–39, 41–42. 118 Hargrave, John: Das Wigwambuch, Regensburg 1921, hier: S. 9; Vgl. Ross, Designing utopia, S. 41. 119 Vgl. Ross, Designing utopia, S. 21, 24–27. 120 Vgl. Habbel, Franz Ludwig: Die Weltpfadfinderbewegung, Regensburg 1921. 117
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Diese Verbindung unter den Pfadfinderbünden Deutschlands und Englands zeigt sich auch auf anderer Ebene – vor allem aber zeigt sich, dass sie bereit waren Elemente der jeweils anderen aufzunehmen, aber genauso versuchten, aktiv Einfluss zu nehmen. Als Beleg dafür dient die Erinnerung des deutschstämmigen Engländers Rolf Gardiner, der in der englischen Volkstanzbewegung aktiv war und durch dieses Engagement in den 1920er Jahren häufig nach Deutschland und auch in andere europäische Länder reiste. Seiner Schilderung zufolge wurde er im Frühherbst 1924 von Habbel und Voggenreiter zu einem ersten Treffen mit Martin Voelkel in Karlshorst mitgenommen. Gardiner hatte zuvor von John Hargrave den Auftrag bekommen, bei dieser Zusammenkunft für den europäischen Gedanken bei den Neupfadfindern und im Speziellen bei ihrem Bundesführer Voelkel zu werben und einer Verbündigung der Jugend über Ländergrenzen hinweg damit ein Stück weit den Weg zu bereiten.121 Die Verbindung zwischen Habbel, Voggenreiter und John Hargrave ging jedoch 1925 auseinander und auch die deutschen Neupfadfinder distanzierten sich teilweise von ihrem früheren Idol, dem „weißen Fuchs“. Durch dessen „Aufruf an die Jugendbünde Europas“ in der Frankfurter Zeitung am 19. Februar 1925 wurde seine politische Haltung offenbar: Er zeigte sich als Sozialist und Pazifist, indem er von Welteinheit und der Anwendung von „Nicht-Gewalt“ sprach.122 Im März desselben Jahres schrieb Hargrave zusätzlich einen „Brief an die Führer des ‚JUNGEN EUROPA‘ von WEISSEM FUCHS ( JOHN HARGRAVE) Gewählter Führer und Gründer des Kibbo Kift Bundes“, in welchem er seinen Ruf jeweils mit sehr unterschiedlichen Worten und Stilmitteln und Mythischen Figuren zunächst an „den Norden“, an „den Süden“, an „den Osten“ und an „den Westen“, dann an „Mitteleuropa“ und zuletzt an „Europa“ richtet. Während die Aufrufe an die einzelnen Himmelsrichtungen sehr pathetisch und literarisch ausgeschmückt geschrieben sind, ist der „Ruf an Europa“ von einer klaren, politischen Forderung beherrscht: Junges Europa! Zereisse [sic!] die Zauberfesseln Napoleonischer und Casarischer [sic!] Nachahmer! Mach dich frei von diesen klimperden und engsichtigen Fuhrern [sic!] die versuchen einen gegen den anderen aufzuhetzen um durch eure Uneinigkeit zu profitieren. Ich rufe euch auf: weg mit diesen mutlosen „Nationalismen“, mit diesen wesenlosen „Grenzwachen“ – hinan zu dem grosseren [sic!] schweigenden Rhythmus des blutreinen Menschentums! […] es ist der Aufruf fur [sic!] eine einheitliche, alleinige europäische Politik.123
Vgl. Personenakte Martin Voelkel, AdJb P1 Nr. 1422/1. Vgl. „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“ aus dem Nachlass Rolf Gardiners, AdJb N 44/64. 123 „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“ aus dem Nachlass Rolf Gardiners, AdJb N 44/64. 121 122
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Seine Agenda folgt unmittelbar danach und nennt einige Punkte, die er für notwendig für eine einigende Politik hält: 1. eine wirtschaftliche Politik, die sich an dem Verhältnis zwischen Produktion und Konsumption richtet und in der das vorhandene Geld immer dem vorhandenem Gegenwert in Gütern und Arbeit entspricht; 2. eine Kulturpolitik, bei welcher Rassenursprung keine Rolle spielt, sondern gemeinsame Kultur und bei welcher grundsätzliche Bildungsinhalte verbindlich sind (Evolutionstheorie, Wirtschaftstheorie, Religionsgeschichte, Gesundheit und „Geschlechtshygiene“[Aufklärung über die sexuelle Natur des Menschen]); 3. eine religiöse Politik, die alle Religionen anerkennt, toleriert und akzeptiert.124 Hierdurch und durch den massiven verbalen Angriff der „wesenlosen ‚Grenzwachen‘“ durch Hargrave, die in Form der Langemarckfeiern und den damit einhergehenden Grenzfeuer im August der Jahre 1922–1924 den Neupfadfindern unter Martin Voelkel ein identitätsstiftendes Anliegen waren125, wurde das Verhältnis zu den Neupfadfindern und auch zu den Verlegern Habbel und Voggenreiter gestört. Ein zweiter Vorwurf geht aus dem Artikel Hargraves gegen das Vorgehen von Voelkel, Voggenreiter und ihren Mitstreitern hervor: Hargrave mahnt an, sich nicht der Illusion hinzugeben, dass politische, nationale, religiöse oder sonstige Unterschiede unbeachtet bleiben könnten und deshalb jeder Versuch der Vereinheitlichung scheitern müsste. Doch sind die Vorschläge, die Hargrave macht, nicht weit von den Ideen der „Bündigung“ durch einen Hochbund entfernt, wie sie Voelkel und die Neupfadfinder vertreten hatten. Hargrave schlug sogar vor: „setzt wenigstens ein Gemeinsames unter Euch fest, das von jedem Jugendbund anerkannt wird, sei es auch nur ein Symbol, ein Kostüm, ein Gruß, eine Zeremonie, ein Fest, eine Fahne – jedenfalls irgend etwas, das allen Gemeinsames ist“.126 Dies wiederum konnten die Neupfadfinder als Bestätigung ihres Handelns interpretieren, da sie den Hochbund sowie den weißen Wimpel mit schwarzen Balkenkreuz darüber als gemeinsames Symbol vorgeschlagen, die überbündische Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ initiiert und die überbündischen Treffen Anfang August inklusive einer gemeinsamen Feier angestoßen hatten, auch wenn die Resonanz nicht so groß wie gewünscht war. Mitte der 1920er Jahre brach der Kontakt zwischen den Neupfadfindern und John Hargrave ab, allerdings entstanden andere internationale Verbindungen: Rolf Gardiner lernte 1926 Georg Götsch kennen – beide leiteten Volksmusikgruppen an und reisten mit diesen durch Europa und führten ihre Liederabende oder Tanzveranstaltungen auf. Dieser Verbindung wird in Kapitel 5.2 nachgegangen.
Vgl. „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“ aus dem Nachlass Rolf Gardiners, AdJb N 44/64. 125 Vgl. Kapitel 3.2. 126 „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“ aus dem Nachlass Rolf Gardiners, AdJb N 44/64. 124
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Zeitschrift „Die Spur“ und „Briefe an die deutsche Jungenschaft“ beziehungsweise „Briefe an die deutsche Freischar“ – Etwas für die Jungen Eine der größten Neuerungen im Programm war die Konzeption und Herausgabe einer zweiten, verlagseigenen, ganz neuen Zeitschrift neben der Führerzeitschrift „Der Weiße Ritter“. Ab April des Jahres 1922 erschien „Die Spur in ein deutsches Jugendland“, meist nur „Die Spur“ genannt, deren Grundgedanke es war, nicht nur die Führer der Neupfadfinderbewegung beziehungsweise der Jugendbewegung allgemein mit Lesestoff zu versorgen, sondern auch für die ihnen folgenden Gruppen eine Zeitschrift zu konzipieren. Eine Zeitschrift „für Jüngere“ sollte entstehen und wurde zu einem der herausragenden Erfolge des Verlages. 15 Pfennig kostete ein Heft einzeln, im Jahresabonnement später nur noch 10 Pfennig.127 Die Zeitschrift erschien bis einschließlich September 1922 ohne Umschlageinband, um die Kosten gering zu halten. Damit einher ging auch, dass sich keine Informationen zur Schriftleitung, keine Werbung und Anzeigen finden lassen. Erst im Oktober-Heft
Abbildung 9 Titelseite. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 1 (1922/23), Heft 4, Berlin 1922, UB HD DJ 609.
Vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags vom November 1922, Berlin 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15; Verlagsprospekt des Ludwig Voggenreiter Verlags, Potsdam 1933, Voggenreiter Archiv, Ordner 15.
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Nummer vier erhielt die Zeitschrift ein Titelblatt, auf dem neben Titel und Titelbild auch die Anschrift des Verlages und der Schriftleitung zu finden waren. Dieser Umschlag diente nach eigenen Aussagen lediglich dem Schutz des Heftes und der Inhalte. Die Inhalte waren unter anderem praktische Tipps zum Bau von Pfeil und Bogen oder zum Feueranzünden ohne Zündhölzer, Geschichten und Legenden sowie Fahrt- und Lagerberichte, später auch Buchbesprechungen. Das erste Heft beginnt mit der durch Alfred Zacharias mit Holzschnitten bebilderten Sankt Georgs Legende auf vier Seiten. Zur Einführung wird also auf die Bedeutung des heiligen Georg als Vorbild für die Pfadfinderbewegung hingewiesen, wie auch auf den Georgstag am 24. April eines jeden Jahres, an welchem sich Pfadfinder aller Regionen und Länder gegenseitig Grüße schicken oder aneinander denken sollten.128 An der „Spur“ beteiligt war auch der neu gegründete Bund der Ringpfadfinder unter Leitung von Hans Fritzsche, wie auch der Bund der Neupfadfinder ebenfalls eine Gruppe der „Erneuerer“, die aus dem Deutschen Pfadfinderbund ausgeschieden war. Nur zwei Monate später jedoch hatte sich Fritzsche vor allem mit Habbel, damals Kanzler der Neupfadfinder, so sehr zerstritten, dass der zweite Antrag Habbels auf Aufkündigung des eben erst geschlossenen Bündnisses mit Fritzsche und den Ringpfadfindern durch Martin Voelkel offiziell angenommen und umgesetzt wurde. Auch die Zusammenarbeit bei der Erstellung der Zeitschrift „Die Spur“ wurde in der Folge abgelehnt. Fritzsche hatte zuvor Habbel vor allem dadurch persönlich gekränkt, dass er ihm Homosexualität unterstellte. Habbel weist dies als gemeine Lüge zurück.129 Schriftleiter der Zeitschrift „Die Spur“ war nach eigenen Aussagen von Oktober 1922 und damit vom vierten Heft an der bereits aus der Zeit des Bayerischen Wehrkraftvereins vor dem Krieg mit Habbel und Voggenreiter bekannte Karl Seidelmann130, der sich nach dem Ersten Weltkrieg zunächst zum Volksschullehrer ausbilden ließ, bis er 1924 schließlich ein Studium der Germanistik, Geschichte, Geografie und Pädagogik für das gymnasiale Lehramt aufnahm. Auch in dieser Zeit arbeitete er im Weißen Ritter Verlag mit, allerdings übergab er ab dem Frühjahr 1925 die Schriftleitung an Herbert Lehmann, welcher in Potsdam lebte und dem Bund der Neupfadfinder angehörte131, wodurch kürzere Wege zwischen Verlag und Schriftleitung die Kommunikation verbesserten.132 Im darauffolgenden Heft wird betont, dass auch vom Deutschen
Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 1 (1922/23), Heft 1, Regensburg 1922, S. 1–4. Vgl. Brief von Franz Ludwig Habbel an Hans Fritzsche vom 31. Mai 1922, AdJb A2-152a/2; Brief von Hans Fritzsche an Franz Ludwig Habbel 1. Juni 1922, AdJb A2-152a/2. 130 Der erste Hinweis auf Karl Seidelmanns Schriftleitung ist wegen des zuvor fehlenden Schutzumschlags erst im vierten Heft zu finden, vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 1 (1922/23), Heft 4, S. 59; Vgl. auch: Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 3 (1924/25), Heft 7, Berlin 1925, S. 144. 131 Philipp, Michael: Ein Strahl von Hellas. Werner Hunderthark, ein Dichter der ‚Verlorenen Generation‘, in: Stambolis, Barbara (Hrsg.): Die Jugendbewegung und ihre Wirkungen. Prägungen, Vernetzungen, gesellschaftliche Einflussnahmen, Göttingen 2015, S. 195–232, hier: S. 211. 132 Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 3 (1924/25), Heft 8, Berlin 1925, S. 144. 128 129
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Pfadfinderbund eine weitere Schriftleitung bestimmt werden würde, da die Zeitschrift nun beiden Bünden dienen sollte.133 In dieser Zeit erzielte die Zeitschrift ihre höchste Auflage von bis zu 10.000 Exemplaren. Der Deutsche Pfadfinderbund allerdings beendete diese gemeinsame Herausgeberschaft schnell wieder, die Differenzen scheinen zu groß gewesen zu sein.134 Vom 12. Februar 1927 ist ein Vertrag zwischen dem Weißen Ritter Verlag und Karl Seidelmann über die Schriftleitung der Zeitschrift „Die Spur“ erhalten. Dieser hält Umfang der Arbeit, die Entlohnung und die Fristen fest. Deutlich wird auch die enge Beziehung „zum Bund“ – gemeint war der Bund der Wandervögel und Pfadfinder135, der sich kurz später in Deutsche Freischar umbenannte und dessen Bundeszeitschrift für Junge die Zeitschrift „Die Spur“ mit ihrem 5. Jahrgang wurde. Ersichtlich wird auch die gewöhnliche und erwartete Auflage von 5.000–10.000 Exemplaren (Paragraf 4), für welche die Vergütung von 50 Mark monatlich festgehalten wurde, als Optionen für eine höhere Auflage beziehungsweise eine niedrigere wurde ein Honorar von 75 Mark beziehungsweise 15 Mark festgeschrieben. Als Frist für die Ablieferung des vollständigen Manuskripts wurde der 20. des Vormonats genannt, damit die Zeitschrift zum Monatsersten erscheinen konnte, was auf die Zeit schließen lässt (Paragraf 5), wie lange Lektorat, Satz, Druck und Versand verlagsintern brauchten: 10 Tage. Aus den Akten geht nicht hervor, ob es vorher einen Vertrag gab oder ob hierdurch das bisher informell geregelte lediglich formalisiert wurde – in Paragraf 2 ist jedoch festgehalten, dass dieser Vertrag für den fünften Jahrgang gilt und, sollte er nicht widerrufen werden, sich selbstständig um je einen Jahrgang verlängert, was zweiteres nahelegt.136 Wegen der Begleitumstände ist zu vermuten, dass Seidelmann und Voggenreiter zuvor, als die Zeitschrift noch einen kleinen Kreis an Lesern adressierte, keinen Vertrag abgeschlossen hatten und erst mit der Erweiterung durch den Zusammenschluss vieler Wandervogel- und Pfadfinderbünde und der Professionalisierung eine schriftliche Fixierung für nötig befanden. Mit Abschluss seines Studiums und dem Beginn der Arbeit in einem Landschulheim in Bad Münder am Deister 1928 legte Seidelmann seine Schriftleitung bei Voggenreiter nieder. Erst als er 1933 der Leitung
Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 3 (1924/25), Heft 9, Berlin 1925, S. 160. Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 135 Der Bund der Wandervögel und Pfadfinder (BdWuP) war ein Zusammenschluss (*1926) aus diversen Pfadfinder- und Wandervogelgruppen unter anderem dem Bund deutscher Neupfadfinder, der sich bereits ein Jahr zuvor mit dem Bund deutscher Ringpfadfinder zum Großdeutschen Pfadfinderbund vereinigt hatten, als welcher sie Eingang in den BdWuP fanden. 1927 benannte sich der BdWuP in Deutsche Freischar um und weitere Bünde schlossen sich der Freischar an. Ausführlich zur Organisationsgeschichte: Ahrens, Bündische Jugend, S. 128–130. 136 Vgl. Schriftleitervertrag Karl Seidelmann und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 12. Februar 1927, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 133 134
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seines Landschulheims enthoben wurde, kam er zum Voggenreiter Verlag zurück, wo er wiederum nicht lange blieb.137 Zwischenzeitlich finden sich Entschuldigungen der Schriftleitung wegen später als versprochen gelieferten Heften. Beispielsweise liest man im Dezember-Heft des vierten Jahrgangs: „Dieses Heft hat sich leider etwas verspätet, da die Druckerei alle Hände voll zu tun hatte, um den Spur-Kalender 1926/27 noch rechtzeitig zu Weihnachten fertig zu bekommen.“138 Auch zwei Hefte später muss sich die Schriftleitung erneut für Verspätungen entschuldigen: Auch dieses Heft kommt leider wieder zu spät. Die Verspätungen sind diesmal jedoch nicht vom Verlag verschuldet, sondern auf die Zusammenschlussvorgänge innerhalb der deutschen Jugendbewegung zurückzuführen, sodaß Schriftleitung und Verlag auf wohlwollende Absolution der Leser hoffen.139
1928 hatte zunächst Ernst Bagel die Schriftleitung, die dann an Heinz Rüdiger überging. Das erste Heft des siebten Jahrgangs ist ein Doppelheft, welches erneut verzögert erschien, da in dieser Zeit Bagel krank gewesen und der Wechsel in der Schriftleitung vollzogen worden sei.140 Auch mit Rüdiger als Schriftleitung rissen die Verzögerungsmeldungen nicht ab: Im vierten Heft des siebten Jahrgangs erklärt er: „Die Verzögerung dieses Heftes war diesmal in besonderen Umständen begründet. Wir hoffen, daß sie durch die Zugabe von 8 Seiten und durch den Uebergang zu holzfreiem Papier wettgemacht wird.“141 Der siebte Jahrgang der Zeitschrift „Spur“ bestand nur aus einem halben Jahrgang. Es erschienen lediglich sechs Hefte, da die Zeitschrift die Veränderungen in der Organisationsstruktur der Jugendbewegung und der Bünde in ihre eigene Organisation mit einbezog. Bereits im ersten Heft des siebten Jahrgangs wird darauf hingewiesen, dass wegen des Zusammenschlusses zur Deutschen Freischar ab dem 1. Januar 1929 die Zeitschrift „Die Spur“ als „Briefe an die deutsche Freischar“ gemäß den „Ludwigsteinbeschlüssen“ herausgegeben werden sollte. Als „Die Spur“ werde jedoch weiterhin das zugehörige Jahrbuch bezeichnet.142 Bis „Die Spur“ wieder unter ihrem ursprünglichen Titel erschien, ersetzte die Zeitschrift „Briefe an die deutsche Jungenschaft“ beziehungsweise „Briefe an die deutsche Freischar“ und im Jahr 1931 nur noch „Die Jungenschaft“ genannt ihren Platz. In dieser Zeit war Eberhard „tusk“ Koebel, der eine erstarkende Gruppe innerhalb der Freischar anführte, die deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929, von Anfang 1929 bis Mitte 1930 als Schriftleiter für die „Briefe an die deutsche Jungenschaft“ tätig. Die Auflage lag nach dem Ausscheiden Vgl. Eintrag „Karl Seidelmann“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Frankfurt am Main 1977, Band 4, S. 243–252. 138 Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 4 (1925/26), Heft 6, Potsdam 1926, S. 88. 139 Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 4 (1925/26), Heft 8, Potsdam 1926, S. 120. 140 Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 7 (1928), Heft 1/2, Potsdam 1928, S. 32. 141 Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 7 (1928), Heft 4, Potsdam 1928, S. 72. 142 Vgl. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 7 (1928), Heft 1–2, Potsdam 1928, S. 104. 137
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des Deutschen Pfadfinderbundes aus der geteilten Herausgeberschaft Heinrich Voggenreiter zufolge zwischen 3.000 und 4.000 Exemplaren143: Und es wurde die Deutsche Jungenschaft gegründet. Zunächst innerhalb der Freischar, dann hat sie sich selbstständig gemacht unter Eberhard Koebel, genannt tusk. Der gründete die deutsche jungenschaft vom 1. november d. j.1.11. Er war lange Zeit Schriftleiter der „Jungenschaft“, die bei uns erschien. Das war damals etwas ganz Neuartiges, nicht mehr so bieder, treu und brav wie die „Spur“, sondern ganz schön modern.144
Aber auch dieses Verhältnis war durch die Spaltungen und Einigungen innerhalb der deutschen Jugendbewegung gestört. Hinweis auf den Zeitpunkt des Weggangs Koebels vom Voggenreiter Verlag gibt ein Brief von Leopold Zimmermann, der Jugendführer bei den österreichischen Pfadfindern war und 1930 sein „Beschäftigungsspielbuch“ bei Voggenreiter veröffentlichte. Zimmermann selbst war Schriftleiter der österreichischen Pfadfinderzeitschrift „Unser Weg. Ein Blatt für Österreichs Jugend“, welche vom Wiener Pfadfinderkorps herausgegeben wurde. In diesem Brief vom 14. Juni 1930 ging es unter anderem um die Korrekturbögen seines Buches, um eine „englische Propagandabroschüre über das ‚Camping‘“ und um die Ausrichtung der Zeitschrift „Unser Weg“, die sich nun nach Zimmermanns Angaben mehr am „Jungen Volk“ – die Zeitschrift, die im Günther Wolff Verlag erschien – orientierte. Auch bittet Leopold „Poldel“ Zimmermann Heinrich „Heini“ Voggenreiter um Mithilfe bei der Bewerbung von „Unser Weg“. Die gegenseitige Titulierung durch Fahrtennamen zeigt ihre Bekanntschaft durch die jugendbewegten Kreise an und damit eine weitere Verbindung neben der geschäftlichen zwischen Verleger und Autor. Im Plauderton schreibt Zimmermann auch über die Veröffentlichungen bei Voggenreiter und lobt: „Im übrigen [sic!] gratuliere ich zu der letzten gewonnenen Schlacht. Auch die ‚Briefe‘ [gemeint ist die Zeitschrift ‚Briefe an die deutsche Freischar‘ bzw. ‚Briefe an die deutsche Jungenschaft‘, F. M.] sind jetzt bedeutend besser.“ Auch über Interna und Szenetratsch scheint Zimmermann bestens informiert gewesen zu sein, was seine Einbindung in den gleichen Personenkreis der Jugendbewegung beziehungsweise der Pfadfinderbewegung, in dem auch die Voggenreiters tätig waren, spricht. So schreibt er weiter: „Aber der Redakteur ist Euch durchgegangen oder gegangen worden; er spukt bei den Reichspfadfindern herum und propagiert eine neue Jugendzeitung, das ‚Lagerfeuer‘ oder so ähnlich. Möglich [,] dass die Reichspfadfinder darauf eingehen.“145 Gemeint ist hier Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 144 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 145 Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter vom 14. Juni 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 143
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eindeutig Eberhard Koebel, der „Das Lagerfeuer“ als Nachfolgezeitschrift des „Pfadfinder“ 1930 bis 1932 bei dem von Martin Hürlimann kurz zuvor gegründeten Berliner Atlantis Verlag herausbrachte. Es finden sich Hinweise, dass Koebel in dieser, für den Voggenreiter Verlag vor allem finanziell schwierigen Zeit Autoren abwarb beziehungsweise davon zu überzeugen suchte, dass ihre Manuskripte bei ihm besser aufgehoben seien als bei Voggenreiter und zudem noch schneller veröffentlicht würden.146 Ab Oktober 1932 lief die Zeitschrift unter der Schriftleitung Koebels unter dem Namen „Der Eisbrecher“ beim Günther Wolff Verlag weiter – zumindest bis 1935.147 Diese Konkurrenzsituation zwischen Voggenreiter Verlag und Wolff Verlag spricht Zimmermann ebenfalls an – hierin zeigt sich die Notwendigkeit, das Verlagsprofil zu stärken und sich gegenüber ähnlichen Verlagen auch durch das Programm abzuheben, um weiterhin auf diesem „bündischen Kulturmarkt“ bestehen zu können. Konkret benennt er es an einem Beispiel: Der Onkel vom Polygraphischen Verlag war gestern bei mir, wir haben mancherlei geplaudert. Er erzählte mir unter anderem, dass Günther Wolff vor drei Monaten an ihm [sic!] herangetreten sei wegen Lieferung der Pfadfinderbücher. Worauf ich sofort in Eurem Namen – ich weisse[sic!] dass Ihr im gegenseitigen Vertragsverhältnis steht und dass Eure Firma der grösste Abnehmer des Polygraphischen Verlages ist – protestierte, da dadurch Eure Konkurrenz unterstützt werden würde.148
Zunächst ergibt sich aus dieser Aussage, dass es erstens eine tatsächliche Konkurrenz zwischen beiden Verlagen gab und dass sie zweitens ein sehr ähnliches Profil hatten und die gleichen Bücher verkaufen wollten, auch wenn sie sich letzten Endes in gewisser Weise ihre Nische suchten und nebeneinander existieren konnten. Diese Konkurrenz zeigt sich ebenfalls in dem Autoren und Schriftleiter Eberhard „tusk“ Koebel, der mit beiden Verlagen verhandelte und die wirtschaftlich schwierige Situation ausnutzte oder zumindest in dieser Zeit keine Loyalität mit den Verlagen zeigte – war er zunächst Schriftleiter, der im Ludwig Voggenreiter Verlag erschienenen Zeitschrift „Briefe an die deutsche Jungenschaft“, so erschien seine Zeitschrift „Der Eisbrecher“ wenige Jahre später bei Günther Wolff.
Vgl. Brief von Herbert Pfretzschner an Ludwig Voggenreiter vom 10. Januar 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 147 Vgl. Kapitel 4.2.2. 148 Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter vom 14. Juni 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 146
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Gesamtes Verlagsprogramm 1930 verfasste Ludwig Voggenreiter eine erste Bilanz: den Arbeitsbericht über elf Jahre Verlagsarbeit von 1919 bis 1930. Daraus lässt sich ablesen, dass sich das Verlagsprogramm erneut erweitert hatte. 1930, nach elfjährigem Bestehen des Verlages, waren bereits 23 Zeitschriftenjahrgänge erschienen. Hinzu kamen sechs Kalenderjahrgänge und 120 Werke und Broschüren in sieben Unterkategorien: 1. Dichtung, Dichter und Künstler (35 Titel), 2. Pädagogik und Philosophie (18 Titel), 3. Staat und Volk (7 Titel), 4. Jungenbücher (16 Titel), 5. Lager und Spiel (25 Titel), 6. Jugendführung/Handbücher (4 Titel) und 7. Schrifttum der Bündischen Jugend (15 Titel).149 Die bereits bestehenden Buchreihen wurden in der Folge weitergeführt und als neue Reihen kam beispielsweise die „Spurbücherei“ hinzu. Abseits davon, dass dieser Arbeitsbericht als Quelle einen hervorragenden Überblick über die bis dato erschienenen Verlagswerke bietet, gibt er Aufschluss über vieles weitere. Zunächst findet sich in den Akten des Voggenreiter-Archivs ein Urteil des schon damals weit bekannten Autors Ernst Wiechert. Seine Schriften wurden zuvor in den Jahren 1924 und 1925 vom Verlag Habbel und Naumann verlegt.150 Nach der Insolvenz Habbel und Naumanns übernahmen in der Hauptsache die Verlage Reiner Wunderlich Verlag Hermann Leins aus Tübingen, Albert Langen beziehungsweise der Langen Müller Verlag in München und die G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung in Berlin die Herausgabe der Schriften Ernst Wiecherts. Wiechert schreibt über diesen Arbeitsbericht, dass wer sich die Zeit nehmen wollte, diese 207 Seiten zu durchblättern und hier und da einmal zu verweilen, der würde erkennen, dass hier auf einer ausgestorben erscheinenden Strasse des deutschen „Idealismus“ mehr und Bleibenderes geleistet worden ist als in den Räumen mancher Verlage, die jährlich ein Dutzend grosser Romane in den Abgrund der Grosstädte schleudern. Denn hier ist nicht weniger geschenkt, als dass ein Kreis ungebrochener Menschen in bröckelnden Zeiten ein Haus der Zukunft aufgerichtet hat, ein Haus des Bundes, von manchen belächelt, von manchen bekämpft. Das geistige Haus einer grossen Jugendbewegung, Pfadfinder in ein gelobtes Land, an das zu glauben sie nicht müde geworden sind.151
Wichert stellt damit nicht nur dem Arbeitsbericht ein durch und durch wohlwollendes Urteil aus, sondern der gesamten Verlagsarbeit und sogar der dahinterstehenden Idee der deutschen Jugendbewegung, der Pfadfinderidee und dem Bund.
Vgl. Voggenreiter/Kurka, Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930. 150 Im Habbel und Naumann Verlag erschienen von Ernst Wiechert bspw. „Der Totenwolf “ 1924, „Die blauen Schwingen“1925 und „Die Legende vom letzten Wald“ ebenfalls 1925. 151 Beurteilung Ernst Wiecherts über das Werk „Voggenreiter, Ludwig / Kurka, Wilhelm: Ludwig Voggenreiter Verlag: Arbeitsbericht 1919/1930, Potsdam 1930“, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 149
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Als zeitgenössische Gebrauchsliteratur kann jedoch dieser Arbeitsbericht nicht gesehen werden. Üblicher waren kürzere Ankündigungen der neuesten Erscheinungen. Ein Beispiel hierfür gibt das in den Akten des Voggenreiter Verlages befindliche Prospekt „Unsere Werke 1932/33“, das Auskunft über die Neuerscheinungen und verfügbaren Bücher dieser Jahre gibt. Wertvoll ist er für diese Untersuchung, da er Auskunft über die Menge an Veröffentlichungen und das Profil des Verlages zum Ende des Untersuchungszeitraums gibt. Der Prospekt ist in einem schmalen Hochformat gedruckt, die Titelseite ist schwarz bedruckt, neben dem Verlagssignet in der Mitte der Seite findet sich im unteren Drittel eine Auflistung der verschiedenen Verlagsbereiche: „Deutsche Jugendbewegung, Deutsche Jugendführung, Spielbücher, Lagerbücher, Vorlesebücher, Jugendzeitschriften, Spurbücherei, 90-Pfennig-Billig-Bücher“. Dies bildet eine andere und nutzungsbezogenere Einteilung der Verlagswerke ab als diejenige im Arbeitsbericht von 1930. Am unteren Rand findet sich der Verlagsname, der Titel „Unsere Werke 32/33“ befindet sich linksbündig und im Fettdruck am oberen Rand. Auf 15 Seiten werden die Verlagswerke genannt. Auf Seite zwei findet sich ein kurzes einführendes Statement zum Verlag selbst: Der Verlag kämpft seit 1919 für eine neue, lebensnahe Führung der deutschen Jugend, für junge Dichtung, für neue Lebensformen in Lagern, Siedlungen, auf Fahrt und im Alltag, für eine Wiederbelebung des deutschen Spiels – für einen entschlossenen Einsatz auf allen Fronten für ein junges Deutschland.152
Dementsprechend werden zusammengefasst die Verlagsveröffentlichungen in fünf Rubriken strukturiert und gewichtet: Zunächst „Lager, Spiel, Führung“ mit Ratgeberliteratur und Liederbüchern, aber auch Quartettkarten und Wehrsporttafeln und Ähnlichem – insgesamt 30 Titel, darunter drei mehrbändige und damit 40 Bücher. Lediglich bei 15 Titeln sind Autorennamen genannt, darunter dreimal Robert BadenPowell. Die Verlagsgründer jeweils einmal, Franz Ludwig Habbel mit „Kibbo Kift, Die Waldverwandtschaft“ und Ludwig Voggenreiter zusammen mit seinem Bruder Heinrich mit „Wochenend im Zeltlager. Handbuch für Zeltlager- und Freiluftleben“. Die Preisspanne lag zwischen 10 Pfennig für eine Wehrsporttafel oder eine Ausgabe des Liedblattes „Jungbronnen“ und 4,80 Mark für Robert Baden-Powells „Pfadfinder. Ein Handbuch der Erziehung zum tüchtigen Staatsmann“. Als zweite Rubrik wurde die „Spurbücherei. Bücherei des deutschen Jungen“ benannt, in welche 23 Bücher von 11 Autoren und einer Autorin zählten (drei Bücher sind ohne Angabe des Autors). Die meistgeführten waren Martin Luserke mit vier Titeln, Otto Naumann mit drei und Mimi Sonntag zusammen mit dem Grafiker Alfred Zacharias mit zwei. Die Preise lagen zwischen 75 Pfennig für „Die Ritter vom runden
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Prospekt „Unsere Werke 32/33“, Voggenreiter Archiv, Ordner 10.
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Tische“ und die „Legenden der ritterbürtigen Heiligen“ von Sonntag und Zacharias und 4 Mark für die „Zeltgeschichten II“ von Martin Luserke. Darauf folgte die Rubrik „Fahrtberichte, Zeitschriften, Dokumente zur Jugendbewegung“ mit 34 Büchern, davon 15 Fahrtberichten und Dokumentationen der Jugendbewegung (zwischen 50 Pfennig und 4,50 Mark), elf Zeitschriften (Einzelhefte zwischen 10 und 40 Pfennig), zwei Sonderheften zum „Weißen Ritter“, sechs Kalender und Jahrbücher zu „Spur“ und „Pfadfinder“ und verlagsbezogene Bücher – Almanach und 10-Jahres-Bericht (zwischen 30 Pfennig und 1 Mark). In dieser Rubrik treten vermehrt Personen und Organisationen der bündischen Jugend als Herausgeber oder Autoren auf, wie Eberhard Koebel, der Bund der „Fischer“, die Deutsche Freischar, die Köngener oder Martin Voelkel. Häufig werden diese jedoch gar nicht erst genannt und die Werke anonym veröffentlicht. Aufgeführt sind hier ebenfalls die Zeitschriften „Die Spur“, „Der Weiße Ritter“, „Der Zwiestrolch“, „Der Pfadfinder“ und „Die Bündischen“. Vierte Rubrik bildete die „Junge Dichtung, Kunst“, in der sich 35 Bücher und eine Reihe – „Der lichte Steg“ ohne Nennung der Herausgeberschaft – befanden. 21 Autorennamen wurden aufgeführt, zwei Bücher erschienen anonym. Auf Paul Alverdes entfielen vier Werke, zudem verfasste er ein weiteres zusammen mit Alfred Happ, der wiederum ein weiteres Buch verfasste. Bei zwei weiteren Büchern sind je zwei Autorennamen (Lucien Price / Karl Rauch und Friedrich Hölderlin / Arthur Hübscher) genannt. Hanns Meinke war mit acht Büchern wie auch Martin Luserke der meistgenannte Autor in diesem Prospekt. Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Otto Karl Müller und Alfred Zacharias wurden jeweils zweimal geführt. Weitere sind Rudolf G. Binding, Kurt Gauger, Gerhard Drabsch, Wilhelm Hartwig, Sebastian Faber, Eugen Roth, Konrad Praxmarer, Nini Krekich, Artur Weber, Wilhelm Matthießen und Ulrich Hallerstede. Auffällig in dieser Rubrik ist die Auswahl an Ausführungen, in welchen die einzelnen Bücher erhältlich waren – kartoniert, in Leinen oder Halbleinen, in Leder oder Halbleder gebunden, mit Bildnissen, auf Bütten, oder handsigniert, – wodurch die Preise stark variierten. Einige kleinere Bände waren bereits für 45 Pfennig zu erhalten, wie beispielsweise „Ein Traum“ von Dostojewski. Teuerstes Produkt in dieser Kategorie waren dagegen die „Sieben Holzschnitte“ in einer Mappe und handschriftlich signiert von Alfred Zacharias für 4,50 Mark. Als letzte Rubrik findet sich im Prospekt „Pädagogik, Philosophie, Grenzlande“, die mit 23 Werken überschaubar bleibt. 18 Autorennamen wurden genannt, wobei Artur Zelvenkamp ein Alias Hans Blühers war, der damit zwei Bücher zu verantworten hatte, genauso wie Friedrich Gläser und Hans Hartmann. Martin Luserke steuerte zu dieser Rubrik vier Bücher bei. Alle weiteren Autoren werden hier nur einmal genannt. Das günstigste Buch kostete 45 Pfennig und war beispielsweise „Ostland“, das Sonderheft zum Weißen Ritter von Erich Maschke, das teuerste – sogar des gesamten Prospekts – war „Staatsbürgertum und Staatsbürgerkunde“ von Wilhelm Heering für 8,10 Mark für das kartonierte und 9,90 Mark für das gebundene Exemplar.
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Einige Bücher wurden im Prospekt aufgeführt, obgleich sie vergriffen waren. Für andere wurde ihr Erscheinen vorläufig in Aussicht gestellt.153 Es zeigt sich auch, dass neben Zeitschriften Romane, Spiele und Lyrik einen großen Teil des Verlagsprogramms ausmachten und Meinke, Luserke und Alverdes die Autoren mit den meisten Büchern in Voggenreiters Verlagsprogramm waren. Die Aufteilung der Rubriken und die Kontinuität bei den Zeitschriften zeigt an, dass das Profil des Verlages und sein Programm auch nach mehr als zehn Jahren des Bestehens immer noch durch die Jugendkultur und ihre Praktiken bestimmt war. Die Bücher waren sowohl in einfachen kartonierten Ausgaben zu erhalten als auch in Vorzugsausgaben, die aufwändiger gestaltet waren. Es wurde Wert darauf gelegt, dass der Kundinnen- und Kundenkreis durch günstige Ausgaben breit gehalten werden konnte. Deutlich hatte sich Voggenreiter profiliert und seine Nische geschaffen, wodurch er trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit seiner Leidenschaft für die Pfadfinderidee ein Unternehmen führen konnte, das sich auf dem Markt behauptete und den Lebensunterhalt für über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten konnte. 3.3.2
Recht – Autoren und Verlagsverträge
Unternehmen im Buchhandel mussten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wie alle Unternehmen, veränderten Voraussetzungen in Politik und Gesellschaft Rechnung tragen und auch Aspekte des Rechts standen zur Debatte. Vor allem waren die Diskussionen um die Gesetzgebung zu Urheberrecht und Verlagsrecht, die zuletzt 1901 überarbeitet und festgelegt worden waren, in vollem Gange.154 Zu Beginn und besonders in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ warb die Schriftleitung regelmäßig dafür, dass sich die Leserinnen und Leser selbst durch Artikel einbringen und der „Weiße Ritter“ damit ein Organ der freien Aussprache sein könne.155 Es kann davon ausgegangen werden, dass zu Beginn keine Honorare für Zeitschriftenartikel gezahlt wurden, da ihre Erstellung nicht als Dienstleistung, sondern als Anteilnahme oder gar als Pflicht gesehen wurden. Mit der Professionalisierung des Verlagsbetriebs und der Ausweitung des Programms aber wurde es zweckmäßig und notwendig, Verträge abzuschließen und die Autoren vor allem größerer Werke zu vergüten. Wie in Kapitel 2.3 ausgeführt, hatte sich hierfür eine Norm entwickelt und Initiativen wie beispielsweise der „Weimarer Mindest-Tarif “ versuchten diese flächendeckend festzusetzen, um Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein sicheres und sozial verträgliches Einkommen zu sichern. Da es jedoch keinerlei gesetzliche Regelungen und auch keine Tarifverträge für SchriftstelleVgl. Prospekt „Unsere Werke 32/33“, Voggenreiter Archiv, Ordner 10. Vgl. Kapitel 2.3. Vgl. Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 1, Regensburg 1919, S. 31–32.
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rinnen und Schriftsteller gab, war die Aushandlung des Honorars den Geschäftspartnern überlassen. Wie sich der Verlag Der Weiße Ritter positionierte und wie er seine Autorenverträge ausgestaltete, soll im Folgenden untersucht werden. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt werden konnte, hatte sich das Verlagsprogramm in den ersten 15 Jahren deutlich ausdifferenziert und viele, teils auflagenstarke Bücher wurden durch den Verlag Der Weiße Ritter verwirklicht. An einigen der dazugehörigen Verlagsverträgen soll die Handhabung der rechtlichen Regelungen aufgezeigt werden, mit besonderem Augenmerk auf den subkulturellen, bündischen Werken, Abweichungen und Einhaltungen der zeitgenössischen Normalregelungen. Hans Blüher Ein erster Erfolg gelang dem Weißen Ritter Verlag Anfang des Jahres 1922, als er Hans Blüher als Autoren gewinnen konnte, sein neues Werk „Secessio Judaica – Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung“ im Weißen Ritter Verlag erscheinen zu lassen. Im gleichen Jahr erschien „Der Judas wider sich selbst“ bei Voggenreiter, dieses jedoch unter dem Pseudonym Blühers, Arthur Zelvenkamp. Blüher hatte bereits große Bekanntschaft innerhalb der Wandervogel-Bewegung und sich als Reformer und als Vertreter des pädagogischen Eros einen fragwürdigen Namen gemacht. Beispielsweise war Blühers „Wandervogel. Geschichte der Jugendbewegung“ 1912 bei Bernhard Weise in Berlin Tempelhof erschienen, für die 4. Auflage wechselte er zum Anthropos-Verlag in Prien und ab der 5. Auflage in die aus dem Anthropos-Verlag entstandenen Neugründung für Kulturprobleme, den Kampmann und Schnabel Verlag, ebenfalls in Prien. Auch wenn sich Hans Blüher in der Außenwahrnehmung damals bereits als Philosoph des Wandervogels und Bibliograph der Jugendbewegung stilisierte, waren die Meinungen ihm gegenüber sehr gespalten. Kritik äußerte beispielsweise Heinrich Emil Schaumburg in der Publikation zu den deutschen Jugendpflegeverbänden bereits 1918 und spricht ihm jede Aussagekraft über den Wandervogel ab. Schaumburg empfiehlt dagegen andere Autoren als Lektüre – „Das Wandervogelbuch“ vom Verband selbst, „Der Wandervogel, seine Freunde und seine Gegner“ von Schaumburg selbst aus dem Julius Zwißler Verlag, „Der Fahrtenspiegel“ von Hans Lißner aus dem Erich Matthes Verlag und „Sonnenwende“ von Friedrich Wilhelm Fulda aus dem Friedrich Hofmeister Verlag.156 Umso interessanter ist es, dass Voggenreiter und Habbel Blühers Bücher in das Verlagsprogramm aufnahmen.
Vgl. Schomburg, Emil Heinrich: Der Wandervogel, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 385–391, hier: S. 390.
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Auch in weiteren Verlagen hatte Blüher bereits seine Werke verlegen lassen. Ein Beispiel hierfür ist das Buch „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“, welches 1917/19 bei Eugen Diederichs in Jena in zwei Bänden erschienen und das 1922 bereits mehrfach aufgelegt worden war. Wieso aber wechselte Blüher erneut den Verlag und kam mit seinem neuen Manuskript zu Habbel und Voggenreiter? Dieser Umstand geschah unter anderem wegen des antisemitischen Inhalts der Schrift und der Überlegung, dass seine bisherigen Verleger das Werk nicht drucken lassen würden. In einer handschriftlichen, kurzangebundenen Postkarte von Blüher, die am 7. Dezember 1921 in München abgestempelt wurde und die an Ludwig Habbel adressiert war, bietet Blüher die „Secessio Judaica“ Habbel für den Abdruck an. Kampmann und Schnabel könnten die Schrift nicht übernehmen, „weil Frau Schnabel Jüdin ist – Taktfrage“.157 Auch scheint für Blüher bereits sicher gewesen zu sein, dass sein Buch vom Weißen Ritter Verlag angenommen werden würde, da er lediglich die „Bestätigung in Berlin“ erwartete158 und die weiteren Verhandlungen, die ohnehin Kampmann vom Verlag Kampmann und Schnabel für Ihn führen sollte, nicht als Hinderungsgrund sah. Offenbar hatte Habbel in der Zwischenzeit die Verhandlungen an Voggenreiter abgegeben und war selbst nicht weiter involviert – ausschließlich der Erstkontakt kam über ihn zustande. Eine lange Verhandlungsphase scheint es nicht gegeben zu haben. Den Vertrag über die erste Auflage der „Secessio Judaica“ stellte Voggenreiter am 17. Januar 1922 fertig und Blüher unterschrieb am 14. Februar 1922. Der Vertrag wurde für diesen Zweck abgetippt und beinhaltet einige handschriftliche Korrekturen kleinerer Art, Voggenreiter korrigierte die Orthografie, Blüher dagegen fügte einen Satz hinzu, der ihm den Ausstieg für eine weitere Auflage ermöglichte, sollten die Konditionen nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Vereinbart hatten sie das Honorar von 15 % des OrdinarLadenpreises des broschierten Exemplars und 10 % des Ordinar-Ladenpreises des Sonderexemplars, 1.500 Mark Vorschuss bei Lieferung des Manuskripts, die Höhe der Auflage von 5.000 Stück und zusätzliche 100 Stück Sonderexemplare, die vom Autoren signiert werden sollten, sowie 10 gewöhnliche und 5 besondere Freiexemplaren für den Autor. Im Verlagsverzeichnis Anfang des Jahres 1922 ist von „Secessio Judaica“ noch nicht die Rede, dafür findet es sich im Verlagsbericht im November 1922. Hier wird es beworben für 1,50 Mark kartoniert, in Pappband mit Titelprägung in Gold für 2,50 Mark und als Vorzugsausgabe vom Autor signiert und nummeriert in Halbpergamentband für 7 Mark das Stück, was zur Zeit des Erscheinens dieser Information wegen der anziehenden Inflation explizit mit der Schlüsselzahl von 300 multipliziert
Postkarte von Hans Blüher an den Franz Ludwig Habbel Verlag vom 7. Dezember 1921 in München, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 158 Vgl. Postkarte von Hans Blüher an den Franz Ludwig Habbel Verlag vom 7. Dezember 1921 in München, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 157
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werden musste.159 Nimmt man diese Preise jedoch zur Grundlage für das Honorar für die erste Auflage und nimmt an, dass sich die Auflage von 5.000 Stück auf die Exemplare für 1,50 Mark und 2,50 Mark gleichermaßen verteilten, ergibt sich inklusive der Sonderausgabe ein Honorar von 1.570 Mark, was nahezu dem Vorschuss entsprach. Vergleicht man das zwischen Voggenreiter und Blüher festgehaltene Honorar mit den als Normalfall festgesetzten Angaben aus dem „Weimarer Mindest-Tarif “ in Kapitel 2.2, in welchem für Bücher bis zu 3 Mark Ladenpreis 10 % des Ladenpreises des broschierten Exemplars gefordert wurden und für alles darüber 15 %, lag es sogar über üblichen Honorarvereinbarungen – auch das ist erneut ein Beleg für die Bedeutung von Blühers Werk für den jungen Der Weiße Ritter Verlag. Zusätzlich wurden Paragrafen in den Vertrag aufgenommen, die auf bilaterale Absprachen und die wirtschaftliche Lage der Vertragspartner schließen lassen. So beispielsweise Paragraf 5, der festhält: „Der Verleger ist berechtigt, bei ganzem oder teilweisem Verkauf oder sonstiger Veränderungen seines Verlages die aus diesem Vertrag herzuleitenden Pflichten und Rechte einem Dritten zu übertragen.“160 Zum einen ist dieser Vertrag und das Werk, das dahintersteht, von Voggenreiter als wertvoll eingestuft worden, weswegen es offensichtlich wichtig war, die Möglichkeit des Verkaufs des mit diesem Vertrag zustande kommenden Verlagsrechts festzuhalten. Für Blüher dagegen bestand die Möglichkeit, aber nicht die Sicherheit, dass sein Werk ohne weitere Bemühungen in einem solchen Fall erscheinen kann. Der darauffolgende Paragraf 6 ist möglicherweise als Ausgleich zu werten: „Herr Kampmann in, Firma Kampmann & Schnabel, Prien erhält beratende Stimme in Fragen der Propaganda zugesichert.“161 Im Normalfall war die Werbung den Verlagen selbst überlassen, doch scheinbar wurde für dieses Werk ein Mehr an Werbung für nötig befunden und mit Herrn Kampmann hatte Blüher bei früheren Veröffentlichungen offensichtlich bereits gute Erfahrungen gemacht. Da Voggenreiter in seinen Verträgen in der Regel auf eine explizite PropagandaKlausel verzichtete, liegt es nahe, dass diese Formulierung von Blüher beziehungsweise Kampmann eingebracht wurde. Das wird auch dadurch bestätigt, dass Blüher in einem Brief an Voggenreiter eine Liste mit anzuschreibenden Personen für Besprechungsexemplare sendete. Blüher schien sehr interessiert daran gewesen zu sein, dass sein neues Buch gut beworben wird, über die dahinterliegenden Gründe kann bestenfalls spekuliert werden: Wollte er dem jungen Verlag eine Hilfestellung durch seine Prominenz verschaffen? Dafür spräche das Sonderexemplar, das einen Seltenheitswert erschaffen sollte. War es ihm wichtig, die Botschaft des „Secessio Judaica“ so weit wie
Vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags 1922, Berlin [November] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 160 Verlagsvertrag zwischen Hans Blüher und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 14. Februar 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 161 Verlagsvertrag zwischen Hans Blüher und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 14. Februar 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 159
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möglich zu verbreiten? Über diese Fragen geben die Akten keine Auskunft. In dem Brief vom 15. Februar 1922, den Blüher dem unterschriebenen Vertrag beigelegt hat, weist Blüher auf den Erfolg seiner vorherigen Bücher hin und auch auf die Bedeutung seiner „Kartothek“, der Liste der anzuschreibenden Personen, die Voggenreiter zur Reklame nutzen solle. Als besonders perfide kann in diesem Kontext Blühers Plan gewertet werden, seinen Nachbarn, „Herr Müller-Jabusch (Halbjude und jüdisch verheiratet)“, der gute Kontakte zu einigen Zeitungen hat, mit einem harmlosen Ausschnitt zu täuschen, „dass der Mann und die ahnungslosen Leser denken, ich sei einer von ihre Leut“, um seine Kontakte nutzen zu können.162 Dabei zieht er seinen Nachbarn gegenüber Voggenreiter schon allein über das Signalisieren eines jiddischen Dialekts in dem sonst so schriftsprachlich korrekten Brief – „ihre Leut“ – ins Lächerliche. Offensichtlich aber hatten die erste große Auflage und die Werbung gut funktioniert, denn bereits am 23. Juni 1922 unterschrieben Blüher und Voggenreiter den Verlagsvertrag für die zweite Auflage von erneut 5.000 Exemplaren – nur vier Monate lagen zwischen diesen beiden Auflagen. Im Vertrag vom 14. Februar 1922 war festgehalten worden, dass der Verlag Der Weiße Ritter zwar die Rechte für den Druck jeder weiteren Auflage des Werks erwarb, jedoch auch, dass die Honorarabsprachen in einem neuen Vertrag explizit ausgeführt werden sollten, was die Vertragsparteien hiermit taten. Allerdings änderten sie sich kaum. Es gab keine weitere Sonderausgabe, für die broschierten Exemplare bekam Blüher wieder 15 % des Ladenpreises und 30 statt 10 Freiexemplare.163 Dieses Mal nutzten die Vertragsparteien einen Vertragsvordruck und der Handschrift nach zu schließen füllte Voggenreiter den Vertrag aus, diesen Vordruck nutzte Voggenreiter in der Folge für den Großteil seiner Verträge mit seinen Autorinnen und Autoren. Neu im Vertrag zur zweiten Auflage der „Secessio Judaica“ war die Klausel zur über die honorierte Auflage hinausgehende Druckerlaubnis für Rezensions- oder Dedikationsexemplare von 200 Exemplaren. Auf den gleichen Tag, an dem Blüher den Vertrag zur zweiten Auflage der „Secessio Judaica“ unterschrieb, wurde auch der Vertrag für „Der Judas wider sich selbst“ unterzeichnet. Hierbei tritt Blüher als Rechtevertreter des Autors auf. Im Vertrag vermerkt ist „aus den nachgelassenen Papieren des A. Z., herausgegeben von Annemarie von G.“, was auf Blühers Pseudonym „Arthur Zelvenkamp“ hindeutet und in dieser Form in der Erstveröffentlichung anstatt eines Autorenvermerks auf das Titelblatt gedruckt wurde. Voggenreiter wollte sich offenbar juristisch absichern und sich das Rechtsverhältnis, in welchem Blüher zu dem Buch „Der Judas wider sich selbst“ stand, bestätigen lassen. Eine handschriftliche Versicherung Blühers vom 24. Mai 1922 über seine volle Verantwortungsübernahme liegt dem Vertrag bei:
Brief von Hans Blüher an Ludwig Voggenreiter vom 15. Februar 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. Vgl. Verlagsvertrag zwischen Hans Blüher und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 23. Juni 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6.
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Ich habe von dem Rechtseigentümer des Buches „Der Judas wider sich selbst“ die Vollmacht erhalten mit dem Verlag „Weißer Ritter“ Berlin die Verhandlungen zu führen und abzuschließen. Ich habe die Pflichten des Autors übernommen und bin auch befugt, seine Rechtsansprüche einschließlich der Honorarzahlungen zur Weitergabe in Empfang zu nehmen. Ich habe die Rechtmäßigkeit der Angelegenheit geprüft und verbürge mich dafür. Alle aus einem gegenteiligen Tatbestande sich ergebenden Schäden verpflichte ich mich zu ersetzen.164
In Bezug auf die Handhabung des Urheberrechts ist dieses kurze Schreiben besonders interessant, da Blüher hierin alle etwaigen Urheberrechtsverletzungen und daraus entstehende finanzielle Schäden übernimmt. Der Vertrag wurde erst einen Monat nach dieser Versicherung unterzeichnet. Andererseits bekundet dieses Schreiben pro forma, dass Blüher nur der Rechtsvertreter, nicht aber der Autor ist. Mögliche Erklärungen sind, dass Blüher selbst als Autor auch gegenüber Voggenreiter anonym bleiben wollte oder dass Voggenreiter eine solche Bestätigung forderte, um sich rechtlich abzusichern, was belegt, dass er genaue Kenntnis über die Urheberrechtsdiskussion hatte. Herauszuheben ist, dass sich Voggenreiter scheinbar in diesem ersten halben Jahr 1922 professionalisierte und sein Unternehmen auszubauen bestrebt war. Das lässt sich unter anderem aus der Praxis schließen, dass er anders als bei dem Vertrag im Februar im Juni bereits einen selbsterstellten Vordruck für seine Autorenverträge nutzte. Hanns Meinke Hanns Meinke konnte, wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, diverse Bücher bei Voggenreiter platzieren. 1933 waren „Atemzüge des Kindes Magus Merlin“ – Gedichte, „An Allegra“ – Gedichte, „Masken des Marsyas“ – Sechs Sonette und sechs Holzschnitte, „Flucht des Dionysos“, „Die drei Sonettenkränze“ – Shakespeare, Michelangelo, Nietzsche, „Gedichte und Gesänge des Kindes Magus Merlin“, „Zarathustras Geburt“ und „Wildungen“ im Voggenreiter-Verlagsprogramm. Ein erstes vertragliches Verhältnis schloss Hanns Meinke mit dem Weißen Ritter Verlag im Mai 1922, wie Meinke am 12. Mai 1922 an Voggenreiter formulierte, „mit gebührender Feierlichkeit“. Meinke schreibt freundlich, persönlich und informationsreich. So lässt sich die Einbettung der Vertragsunterzeichnung in sein Privatleben erkennen: „Ich betrachte es als von guter Vorbedeutung, dass gerade mein Geburtstag – der 38. – der Tag unserer verbrieften Verbrüderung geworden ist: Möge es uns beiden segensreich werden.“ Auch wird von einem Besuch Voggenreiters bei Meinkes
Handschriftliche Versicherung Hans Blühers über seine Rechtsvertretung Arthur Zelvenkamps vom 24. Mai 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6.
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an Pfingsten – 1922 fiel Pfingstsonntag auf den 4. Juni – angekündigt, bei welchem noch einige Details mündlich geklärt werden sollten.165 Zu welchem Werk im Mai 1922 der Vertrag geschlossen wurde, wird in dem Brief nicht beschrieben. 1922 erschienen jedoch zwei Gedichtbände Meinkes bei Voggenreiter: „Widmungen“ und „Zarathustras Geburt. Bruchstück aus dem Epos ‚Die Kentauren‘“, das 1906 in erster Auflage erschienen war. Ein zweiter Brief vom 23. August 1922 ist weniger förmlich, schon die Handschrift ist ausgreifender und weniger sorgfältig als im Mai. Auch spricht Meinke Voggenreiter nun mit Du an. Der Inhalt ist sehr divers, viele Themen sind lediglich angerissen und verweisen somit auf einen vertrauten Umgang miteinander, der womöglich durch die Begegnung wenige Monate zuvor begründet wurde. Meinke scheint gern viel gelesen zu haben, vornehmlich Philosophisches – Carl Dallago, Søren Kierkegaard und Theodor Däubler. Teils bedankt er sich bei Voggenreiter für die Zusendung der Schriften und bittet ihn neue zu besorgen, teilweise empfiehlt er ihm Werke, wie das Buch über die Insel Bali von Georg Krause aus dem Folkwang-Verlag mit dem Vorschlag, Teile daraus in die Zeitschrift „Die Spur“ aufzunehmen. Auch bietet Meinke an, Besprechungen von neuen Veröffentlichungen für Voggenreiter zu schreiben. Meinke war dieser Zeit Teil des Kreises um die Literaturzeitschrift „Charon“.166 Dies gibt Hinweise auf seine Liebe zur Literatur und erklärt, dass er vor allem Gedichte und Philosophisches verfasste und viele weitere Werke bei Voggenreiter verlegen ließ. Paul Alverdes Frühzeitig kamen die Schriften eines weiteren Autors zum Verlagsprogramm des Weißen Ritter Verlages hinzu – die des Schriftstellers Paul Alverdes. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und Belletristik im Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter Verlag. Der erste Vertrag, der im Voggenreiter Archiv zu finden ist, wurde jedoch
Brief von Hanns Meinke an Ludwig Voggenreiter vom 12. Mai 1922 aus Kammermark/Falkenhagen, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 166 Die Zeitschrift „Charon“ erschien zwischen 1904 und 1914 und zwischen 1920 und 1922 als „Nothefte“, bis sie vollends eingestellt wurde. Mitbegründer waren Otto zur Linde und Rudolf Pannwitz. Dem Berliner Dicherkreis um diese beiden Personen gehörten unter anderem auch Erich Bockemühl, Kurt Liebmann, Hanns Meinke, Rudolf Paulsen und Karl Röttger an. Ihre künstlerische Ausrichtung wendete sich gegen den absoluten Ausdruck des Sichtbaren, Äußerlichen und einer transzendenten, mystischen Weltbeschreibung zu. Vgl. den Eintrag auf der Internetseite des Archivs der Akademie der Künste Berlin: Eintrag „Charon-Kreis-Archiv“, in: Akademie der Künste: Archivbestand [Onlinefassung]: URL: https://archiv. adk.de/bigobjekt/25155 [02.07.2020]; vgl. auch das Findbuch des Bestandes des Charon-Kreis-Archivs: Köpp, Franka: Vermerk, Ausgliederung von Archivalien aus Sammlung Charon-Kreis und Übernahme ins Hanns-Meinke-Archiv, inkl. Findbuch Charon-Kreis [Onlinefassung], URL: https://archiv.adk.de/eas/ partitions/1/1/1135000/1135007/d125ad208fa67e943084b9e1ae838af072fda61d/application/pdf/CharonKreis_Findbuch_1968.pdf [02.07.2020]. 165
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zwischen dem Franz Ludwig Habbel Verlag und den Verfassern des Spiels „Die ewige Weihnacht“, Paul Alverdes und Alfred Happ, 1922 geschlossen.167 Eine Zusatzklausel in diesem Vertrag hielt fest, dass mit wenigen Ausnahmen diese Publikation nur in Verbindung mit einem Aufführungsvertrag abgegeben werden solle. Je nach verfügbarer Papiermenge – ein Hinweis auf die Nachkriegsproblematik – sollte die erste Auflage in einer Menge von 1.400 Buchhandelsexemplaren und 800–1.000 Bühnenausgaben gedruckt werden. Interessant ist dieser Vertrag, da er in Bezug auf die Regelungen zu Umfang und Auszahlung des Honorars von anderen Verträgen Voggenreiters abwich. Bereits bei Abschluss dieses Vertrages im Juni 1922 war offenbar eine übermäßige und unkontrollierte Steigerung der Inflation zu spüren, der durch Paragraf 3 des Vertrages Rechnung getragen wurde. Er beinhaltete den Inflationsausgleich: Die an die Verfasser zu leistende Honorarvergütung für die Buchhandelsausgabe beträgt 10 % vom Ladenpreis des broschierten Exemplars, vervielfältigt mit der Anzahl der Stücke dieser Ausgabe. Der Ladenpreis beträgt zur Zeit der Ankündigung Mk. 30.– Auf die sich ergebende Summe werden Mk. 2100.– bei Erscheinen des Buches angezahlt. Der Rest wird nach Absatz von 700 Exemplaren gezahlt und seiner Berechnung der zur Zeit der Zahlung giltigen [sic!] Ladenpreis der broschierten Buchhandelsausgabe zu grunde [sic!] gelegt.168
Eine Sonderregelung in diesem Vertrag ist die zu den Tantiemen: In dem vorliegenden Vertrag ist aufgenommen, dass der Verlag auf die Tantiemen verzichtet, die aus Verkäufen an Verbände, beispielsweise den Bühnenvolksbund, entfallen. Diese Regelung war nur notwendig, da Voggenreiter in diesem Fall eine explizite Bühnenausgabe herstellen ließ und verkaufte, die unmittelbar für die Vorführung gedacht war. Alverdes ließ noch das ein oder andere Werk bei Voggenreiter verlegen, vereinzelt sind die dazugehörigen Verlagsverträge erhalten. Interessant ist beispielsweise der Vertrag knapp zwei Jahre später, vom 17. März 1924, zwischen dem Weißen Ritter Verlag und Paul Alverdes zur Übersetzung aus dem Englischen von James Fenimore Coopers „Der Wildtöter“. Hierbei ist eine Auflage von 5.000 Stück festgehalten – Erster Vorschlag von Voggenreiter war 3.750 Exemplare drucken zu lassen, den er jedoch selbst mittels Durchstreichungen und Ergänzungen heraufkorrigierte. Darüber hinaus war es dem Verlag gestattet, weitere 10 % an Zuschussexemplaren drucken zu lassen, ohne Honorar zahlen zu müssen, explizit um diese als Rezensions- oder Dedikationsexemplare abgeben zu können – das entsprach 500 Exemplaren, also prozentual mehr als doppelt so vielen als bei Blühers zweiter Auflage der „Secessio Judaica“, dort waren es 200.
Alverdes und Happs „Ewige Weihnacht“ ist ebenfalls eine Übernahme nach der Insolvenz des Habbel und Naumann Verlags. Das Buch erschien später im Ludwig Voggenreiter Verlag, vgl. Kapitel 3.3.1. 168 Die Bühnenausgabe dagegen wurde nicht mit einem Honorar belegt, vgl. Verlagsvertrag zwischen Paul Alverdes / Alfred Happ und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 19. Juni 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 167
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Wie bereits bei dem ersten Vertrag mit Hans Blüher aus dem Januar 1922 findet sich auch hier eine Festlegung einer bestimmten Anzahl an Freiexemplaren, die der Autor bekommen sollte, genauso wie die Regelung, dass es dem Autoren freistehe, den Bedarf darüber hinaus zum Buchhändlernettopreis einzukaufen.169 Diese Art der Vergünstigung war üblich. Da „Der Wildtöter“ eine Übersetzung und keine eigenständige Arbeit war, war Alverdes Honorar deutlich geringer, als sich aus anderen Verträgen ablesen lässt. Der Ladenpreis des „Wildtöter“ kann aus den Verlagsankündigungen und -prospekten entnommen werden und lag bei 2,85 Mark kartoniert und 3,85 Mark in Leinen gebunden. Damit entsprach das Honorar nach dem ersten Vorschlag von 3.750 Exemplaren Gesamtauflage und 400 Mark Honorar je nach Anzahl der kartonierten und in Leinen gebundenen Exemplare zwischen 2,77 und 3,79 %. Korrigiert wurden diese Zahlen auf 5.000 Exemplare und 700 Mark Honorar (3,63 bis 4,91 %) – für eine zweite Auflage war das Honorar mit 200 Mark bei einer Auflage von 5.000 Exemplaren als noch geringer festgehalten und entsprach 1,03 bis 1,4 %.170 Diese niedrige Vergütung zeigt den Status an, den die Übersetzung eines Werkes für Verleger hatte – geistige Schöpfung war besser zu vergüten als eine rein „handwerkliche“ Tätigkeit, wie das Übersetzen. Bündische Gruppen Auch andere Verlagsveröffentlichungen wurden, wenn überhaupt, nur geringfügig honoriert – die der bündischen Gruppen. Ihr Ziel war es meist, eine kleine Publikation mit geringer Auflage für einen kleinen Kreis an interessierten Käuferinnen und Käufern möglichst preiswert erstellen zu lassen. Gemäß dem, was bereits in Kapitel 2.2 beschrieben wurde, konnte am einfachsten an den Inhalten und den Honoraren gespart werden, genauso wie an der Qualität des Papiers. Zu Beginn des Unternehmens liest sich das in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ beispielsweise so: Auf die versandten Ankündigungen hin bekamen wir schnell Fühlung mit verschiedenen Kreisen der Jugend und die Beiträge, die uns zugingen, waren nicht nur zahlreich, sondern auch zum großen Teil sehr gut. Unsere Bitte um weitere Werbung und Mitarbeit wird nicht auf unfruchtbaren Boden fallen. An Bildschmuck fehlt es uns besonders noch. Wer kann etwas beisteuern? Unsere Schriftleitung ist weder eine Zensuranstalt, noch eine andere großmächtige Behörde. Was man uns schickt, das betrachten wir als einen Gruß von Freunden und behandeln es demgemäß mit Liebe. […] Die Wahrung der Urheberrechte sichern wir zu.171 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Hans Blüher und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 14. Februar 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 170 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Paul Alverdes und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 17. März 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 171 Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 1, Regensburg 1919, Umschlagseite innen hinten. 169
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Doch nicht nur am Anfang waren diejenigen, die aus der Bewegung stammten, bereit, kostenfrei Texte zur Veröffentlichung an den Verlag zu senden. Auch als arrivierter Verlag, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, hatte der Ludwig Voggenreiter Verlag immer noch seinen Ruf, dass er der Bewegung zugetan sei, und fand Wege der Finanzierung abseits der Norm für kleine und wenig edle Veröffentlichungen. Ein Beispiel, wenn auch eines mit einer gewissen Reichweite trotz der explizit bündischen Zielgruppe, besteht in dem „Zeltlagerbuch des Wandervogels“, über welches zwischen Werner Kindt (*1898) als Vertreter des Wandervogel Gau Nordmark mit dem Weißen Ritter Verlag am 3. Dezember 1924 ein Vertrag abgeschlossen wurde. Auch dieser Vertrag beruhte auf dem von Voggenreiter genutzten und vorgedruckten Standardvertrag, in welchem an vorbestimmten Stellen eigene Absprachen festgehalten werden konnten. Die individuellen Absprachen beinhalteten die Höhe der ersten Auflage von 2.000 Exemplaren und dass jede weitere Auflage ab 1.000 Exemplaren vom Verlag in eigenem Ermessen gedruckt werden konnte. Zusätzlich wurden wie üblich 10 % Zuschussdrucke für Rezension und Dedikation festgehalten. Trotzdem sollte für jede weitere Auflage ein neuer Vertrag abgeschlossen werden. Der Gau Nordmark erhielt 10 Freiexemplare, weiteres konnte standardmäßig über den Buchhändlerrabatt bezogen werden. Vermutlich um die Kosten für das Endprodukt niedrig zu halten, wurde das Honorar niedrig angesetzt: Festgelegt wurden 8 % Honorar, die erste Hälfte zu zahlen nach Abgabe des Werks, die andere Hälfte nach Verkauf von zwei Dritteln der Auflage.172 Als vollkommen unerfolgreich kann Voggenreiter das Buch nicht eingeschätzt haben, da die Auflage relativ gesehen hoch war und ein, gemessen an dem Normal-Honorar der Zeit zwar geringes, aber dennoch ein Honorar vorgesehen war. Auch mit weiteren bündischen Gruppen war Voggenreiter im Gespräch über Verträge, wie der Vertragsentwurf für einen Kommissionsvertrag zwischen dem Stamm der Fischer und Ludwig Voggenreiter mit dem Briefkopf des Weißen Ritter Verlages mit Datum vom 27. Mai 1927 beweist. Vertreten werden sollte der Stamm der Fischer, der aus dem Bund der Neupfadfinder entstammte und nun Teil des Zusammenschlusses Bund der Wandervögel und Pfadfinder war, durch ihren Führer Helmuth Kittel und ihren Kassenverwalter Konrad Füchsel. Geschrieben werden sollte das Manuskript über eine Griechenlandfahrt von Ernst Lehmann vom Stamm der Fischer. Paragraf 3 hält fest, dass die Herstellungskosten zur Hälfte vom Verlag Der Weiße Ritter und zur anderen Hälfte vom Stamm der Fischer getragen werden sollten. Der darauffolgende Paragraf 4 regelt die Rückzahlung des Vorschusses für die Herstellung: Das Buch solle ein eigenes Konto erhalten, aus dessen Einnahmen zunächst der Verlag seine 50 % des Einsatzes herausbekommen sollte, anschließend die Stammeskasse der Fischer. Darüber hinaus gehende Gewinne sollten gemäß Paragraf 5 an den Stamm der Fischer
Vgl. Verlagsvertrag zwischen dem Wandervogel Gau Nordmark (Werner Kindt) und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 3. Dezember 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 6.
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fallen. Diese Regelungen bedeuteten kein ungewöhnlich hohes Risiko für Voggenreiter, solange die Auflage die Mitglieder des Stammes kaum übersteigen sollte, da die Abnahme des Printprodukts durch sie als Erinnerung an die gemeinsame Griechenlandfahrt nahezu sicher sein konnte. Zumal eine Bewerbung des Buches dem Weißen Ritter nicht freigestellt war, sondern nur in Absprache mit dem Stamm der Fischer erfolgen durfte (Paragraf 6).173 All dies sind Anzeichen für eine sehr geringe und exklusive Auflage. Trotzdem muss angemerkt werden, dass die Auflage nirgends erwähnt ist und diese These nicht bestätigt werden kann. Überliefert ist der letztgültige Stand des Vertrages inklusive Unterschrift nicht. Jedoch ist das beschriebene Buch 1928 bei Voggenreiter erschienen: Herausgeber waren Ernst und Herbert Lehmann und der Titel „Hellas, Tagebuch einer Reise. Im Auftrag der Fischer“.174 Sehr wahrscheinlich ist, dass es zu dem für den Stamm der Fischer unkomplizierten und für Voggenreiter nicht sehr ertragreichen Vertrag kam175 – ein Beleg für seine langanhaltende Verbundenheit speziell mit den durch die Erneuerungsbewegung der Deutschen Pfadfinder entstandenen bündischen Gruppen und seiner Bereitschaft, sich für die Idee der Bündischen Gewinne entgehen zu lassen beziehungsweise Verluste in Kauf zu nehmen. Neben diesen kleineren Projekten aber bemühte sich Voggenreiter um die auch von ihm persönlich unterstützte Entwicklung zusammengeschlossener Bünde in der Deutschen Freischar, wie bereits in Kapitel 3.3.1 ausführlich durch die Anpassung der Zeitschriften an die jeweilige bündische Organisationsstruktur gezeigt werden konnte. Ein Glücksfall für Voggenreiter war in diesem Zusammenhang das Liederbuch „Lieder der bündischen Jugend“ für die Deutsche Freischar / Bund der Wandervögel und Pfadfinder. Erhalten ist in den Akten des Voggenreiter Verlages ein einseitiges Vertragsdokument vom 30. April 1929 ohne Unterschriften über die erste Auflage von 10.000 Exemplaren und zweite Auflage von mindestens 5.000 Exemplaren. Der überlieferte Vertrag trägt keine Unterschriften und ist somit nicht sicher als das Originaldokument zu erkennen, doch ist das Liederbuch tatsächlich 1929 bei Voggenreiter erschienen, weshalb angenommen werden kann, dass die Verhandlungen sich nicht sehr in die Länge gezogen haben können und die Regelungen im Vertrag Zustimmung Vgl. Vertragsentwurf eines Kommissionsvertrag zwischen dem Stamm der Fischer (Helmuth Kittel, Konrad Füchsel) und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 27. Mai 1927, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 174 Christopher Meid zeigt, dass es in Freiburg und Tübingen verschiedene Ausgaben desselben Buches gibt, einmal mit einmal ohne die Beschreibung Olympias direkt vor dem Abbildungsverzeichnis S. 111 bzw. S. 116. Der Satz des Buches hatte sich verändert und weise auf einen Fehler in der Herstellung hin, vgl. Meid, Christopher: Griechenland-Imaginationen: Reiseberichte im 20. Jahrhundert von Gerhart Hauptmann bis Wolfgang Koeppen, Berlin 2012, Fußnote 504. 175 In seinem Buch über Reiseberichte des 20. Jahrhunderts nach Griechenland stellt Christopher Meid den Bericht des Stammes der Fischer neben viele weitere und analysiert ihn in Hinblick auf die Beschreibungen, die der Jugendbewegung gemäß emotional auf die Gruppenzusammengehörigkeit, auf das Ideal der Jugend und die Reiseerfahrung als (nationale) Selbstvergewisserung zielten, vgl.: Meid, Griechenland-Imaginationen: Reiseberichte im 20. Jahrhundert von Gerhart Hauptmann bis Wolfgang Koeppen, S. 241–253. 173
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fanden. Der Vertrag beruht nicht auf einem Vordruck und ist maschinengeschrieben. Er hat insgesamt sieben Paragrafen. Die hohe Auflage wurde mit den hohen Herstellungskosten, vor allem von Stichherstellungen, und den angestrebten niedrigen Laden- und Bundespreisen begründet (Paragraf 2).176 Die Freischar wiederum übernahm die Herausgabe kostenfrei, also ohne Honoraransprüche zugunsten des geringeren Ladenpreises (Paragraf 3). Der Vertrag hielt die Herausgeberschaft und die Zusammenstellung der Lieder fest und berechnete den Ladenpreis eines Exemplars in Ganzleinen mit 2,85 Mark und kartoniert mit 2 Mark. Rabatte für das Bundesamt der Deutschen Freischar und deren bündischer Käuferinnen- und Käuferkreis lassen sich ebenfalls aus dem Vertrag ablesen. Die günstigste Ausgabe wurde für 1,80 Mark an die Käuferinnen und Käufer abgegeben. Der Verlag hatte lediglich für die Beteiligten der Deutschen Freischar 50 Freiexemplare zur Verfügung zu stellen – mit 1 % waren das so wenige Freiexemplare wie bei keinem anderen untersuchten Vertrag – und einige wenige Honorare für Liedtexte und explizit für den Rechteerwerb einzelner Lieder an den Georg Kallmeyer Verlag zu zahlen (Paragrafen 3 & 4). Da diese Zahlungen ab der zweiten Auflage nicht mehr anfallen sollten, war vereinbart, ab der zweiten Auflage dem Bund 80 Mark pro 1.000 Exemplare als Honorar zu zahlen (Paragraf 5). Alles in allem wurde also versucht, das Endprodukt durch geringste Kostenpunkte so günstig wie möglich zu halten. Dem Verlag wurden hierbei Risiken abgenommen, wie beispielsweise der letzte Paragraf, Paragraf 7, zeigt: „Für den Fall, dass der Bund die Aufnahme seines Herausgebervermerks in sämtliche Exemplare wünscht, verpflichtet er sich, die nach Ablauf eines Jahres noch unverkauften Exemplare mit einem Rabatt von 40 % auf sich zu uebernehmen.“ Der Rabatt scheint im ersten Moment recht hoch, doch entspricht er in etwa dem üblichen Buchhändlerrabatt in der Handelskette Verlag – Buchhandel – Endkundin und Endkunde. Scheinbar hatte Ludwig Voggenreiter kein Interesse daran, dieses Liederbuch lange bei sich lagern zu haben und selbst vertreiben zu müssen.177 Doch kann deutlich gezeigt werden, dass auch die Wirtschaftlichkeit ab den 1930er Jahren nicht mehr eine untergeordnete Rolle spielte und Voggenreiter weniger gewillt war, „die Sache“ persönlich bezuschussen zu müssen. Ein Beispiel hierfür lässt sich am Schreiben der Bündischen Reichschaft (BR), einer weiteren bündischen Gruppe, vom 30. Oktober 1932 ablesen. Hierin wird offenbar, dass Unterzeichneter (Unterschrift unleserlich) davon ausging, dass Voggenreiter der Zeitschrift die „Bündischen“, die seit April 1932 erschien,178 bessere Konditionen machen würde:
Vgl. Verlagsvertrag zwischen der Deutschen Freischar und dem Ludwig Voggenreiter Verlag vom 30. April 1929 (keine Unterschrift), Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 177 Verlagsvertrag zwischen der Deutschen Freischar und dem Ludwig Voggenreiter Verlag vom 30. April 1929 (keine Unterschrift), Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 178 Die Zeitschrift „Die Bündischen“ erschien seit April 1932 monatlich, vgl. Prospekt „Unsere Werke 32/33“, Voggenreiter Archiv, Ordner 10. 176
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Ihre Aufstellung über den ungefähren Stand des Kontos der „Bündischen“ ist allerdings negativer als ich erwartet hatte. Der für allgemeine Unkosten veranschlagte Betrag von 500 Mk war von mir (mit Ausnahme der reinen Versandkosten, soweit sie nicht von den Beziehern getragen werden) nicht eingerechnet worden, da wir uns ja darüber einig waren, daß die „Bündischen“ fürs erste kein regelrecht einzukalkulierendes Verlagsobjekt sein würden.179
Diese Zeitschrift und die Sorge um ihre Etablierung liefen jedoch schon bald ins Leere – scheinbar konnte sie wegen ihrer teilweisen oppositionellen Haltung zum Nationalsozialismus schon nach wenigen Ausgaben nicht mehr erscheinen. Heinrich Voggenreiter deutete dies in einem Interview an: „Haben Sie mal die Zeitschrift Die Bündischen gesehen? Das war ja auch ein Hammer. Ist ziemlich schnell verboten worden, 5 oder 6 Nummern.“180 Martin Luserke Spät im Untersuchungszeitraum kam ein weiterer, aber sehr erfolgreicher Autor zum Voggenreiter Verlagsprogramm hinzu – Martin Luserke (*1880). 1930 erschien „Sivard Einauge“ als sein erstes Buch im Ludwig Voggenreiter Verlag. Luserke hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts enttäuscht vom staatlichen Lehrerbildungs- und Schulsystem ab- und der Reformpädagogik zugewandt. 1906 begann er bei Herman Lietz in dessen Landerziehungsheim in Haubinda als Lehrkraft zu wirken, nur ein halbes Jahr später unterstützte er den von dort scheidenden Gustav Wyneken beim Aufbau der Schulneugründung der Freien Schulgemeinde Wickersdorf, der er bis 1924/25 in verschiedenen Positionen verbunden blieb. Nach den wiederholten Auseinandersetzungen mit Wyneken über pädagogische Ansätze und die gelebte Pädophilie Wynekens gründete Luserke zusammen mit einigen Kollegen eine neue Reformschule, die Schule am Meer auf Juist, die durch eine Stiftung getragen wurde.181 Wie auch das Lietzsche Landerziehungsheim als auch die Freie Schulgemeinde lag die Schule am Meer abseits von städtischem Trubel und ging von einer ganzheitli-
Brief von der Bündischen Reichschaft (Unterschrift unleserlich) an Ludwig Voggenreiter vom 30. Oktober 1932 aus Berlin, Voggenreiter Archiv, Ordner 3. 180 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 181 Zu Hermann Lietz siehe bspw.: Koerrenz, Ralf: Hermann Lietz – Die deutsche Nationalschule, in: Böhm, Winfried (Hrsg.): Hauptwerke der Pädagogik, Paderborn/Stuttgart 2011, S. 255–257; Zu Gustav Wyneken siehe bspw.: Wyneken, Gustav / Oelkers, Jürgen: Kritik der Kindheit. Eine Apologie des „pädagogischen Eros“, Bad Heilbrunn 2015; Dudek, Peter: „Versuchsacker für eine neue Jugend“. Die freie Schulgemeinde Wickersdorf 1906–1945, Bad Heilbrunn 2009. 179
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chen und erlebnisorientierten Bildung und von einer engen Gemeinschaft von Schülerinnen und Schülern und Pädagoginnen und Pädagogen aus. Luserke hatte bereits in Wickersdorf seine Laienspiele etabliert und erste Theaterstücke für das Schultheater veröffentlicht, dies intensivierte er mit zunehmendem Alter, baute einen an die Schule am Meer angeschlossenen Theatersaal und auch bei Voggenreiter erschienen Bücher wie beispielsweise die „Jugend- und Laienbühne“ ebenfalls 1930. Das preußische Kultusministerium und das Berliner Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht unterstützten Luserke in seinem Vorhaben, eine Spielleiter-Ausbildungsstätte einzurichten. Allerdings änderte sich dies unmittelbar im Frühjahr 1933, nachdem sich der Regierungswechsel vollzogen hatte. Auch Luserke selbst war stets klar, dass die aus dem Liberalismus stammenden freien Privatschulen keinen guten Stand hatten und dass Bedenken gegen seine Schule am Meer wegen der hohen Zahl jüdischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Schülerinnen und Schüler bestanden. Die Schule Schloss Salem und die Odenwaldschule waren bereits im März und April 1933 kurzzeitig geschlossen, „gesäubert“ und umstrukturiert worden. Die Schule am Meer wurde zu Ostern in eine „nationalpolitische Erziehungsanstalt umgewandelt“.182 Das erste Buch Luserkes bei Voggenreiter, „Sivard Einauge und andere Legenden, die in der Schule am Meer erzählt wurden“ erschien in der Reihe „Spurbücherei“. Zwar findet sich in den überlieferten Akten des Voggenreiter Verlages nicht der Verlagsvertrag zu diesem Werk, dafür jedoch ein Vertragszusatz zu „Sivard Einauge“, in welchem am 27. April 1930 festgehalten wurde, dass Luserke für die kartonierte Ausgabe wegen der Erhöhung des Verkaufspreises auf 2,50 Mark 5 Pfennig Honorar pro Exemplar mehr bekommen solle – demnach war der Verkaufspreis zuvor zwischen 2 Mark und 2,20 Mark angesetzt gewesen. Handschriftlich ist die Notiz darauf zu finden, dass mit dem anbei liegenden Brief vom 30. Juli 1930 von Luserke bestätigt wurde, dass Rundfunkvorlesungen zu je ein Halb zwischen Verlag und Autor geteilt werden sollten.183 Dieser Zusatz war allem Anschein nach notwendig geworden: Es kann davon ausgegangen werden, dass „Sivard Einauge“ als Hörspiel im Radio ausgestrahlt werden sollte. Zuvor findet sich in den Voggenreiter Akten keine Regelung zum Umgang mit dem Rundfunk als neuem Medium, was einerseits die herausragende Stellung von Martin Luserkes Erzählungen im Unterhaltungswert anzeigt und andererseits einen Einblick in die Regelungen gibt: 50 % des Funkhonorars sollten je an Verlag und Luserke gehen. Aus demselben Jahr existieren zwei Verträge vom 25. November 1930: Zum einen über das „Wickersdorfer Bühnenspiel 1–3“ und den „Turm von Famagusta“, zum anVgl. Durchschlag des Briefs von Ludwig Voggenreiter an Marlin Luserke vom 4. April 1933, Voggenreiter Archiv, Ordner 32; Brief von Martin Luserke an Ludwig Voggenreiter vom 10. Mai 1933, Voggenreiter Archiv, Ordner 32; Brief von Martin Luserke an Ludwig Voggenreiter vom 22. März 1934, Voggenreiter Archiv, Ordner 32. 183 Vgl. Vertragszusatz zu „Sivard Einauge“ zwischen Martin Luserke und dem Ludwig Voggenreiter Verlag vom 27. April 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6; Brief von Martin Luserke an Ludwig Voggenreiter vom 30. Juli 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 182
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deren über die zweite und alle folgenden Auflagen von „Zeltgeschichten I“, das 1925 zuvor beim Angelsachsen-Verlag erschienen war, aus dem weitere Werke Luserkes in das Verlagsprogramm Voggenreiters übergingen.184 In den Verträgen finden sich keine Überraschungen, da sie sich stark an der Vorlage Voggenreiters orientierten, sie variierten lediglich in der Auflage zwischen 1.000, 2.000 und 3.000 Exemplaren und dem Honorar – ob festgesetztes Honorar oder Prozente vom Ladenpreis und deren Höhe von 10 % oder 15 %. Das Format, das bei „Sivard Einauge“ genutzt wurde, schien sich bewährt zu haben, da es als Referenz in beiden Verträgen aus dem November 1930 genannt wurde. Unabhängig von der Höhe der Auflage werden Luserke jeweils 15 Freiexemplare zugesprochen.185 Auf dieses Jahr 1930 folgten noch viele weitere Werke in Zusammenarbeit von Luserke und Voggenreiter. Unter anderem erschien Luserkes erfolgreichstes Werk „Hasko. Ein Wassergeusenroman“ bei Voggenreiter – allerdings erst 1936. Der Erfolg, den der Verlag Voggenreiters mit den Werken des schreibfreudigen Luserke hatte, machte einen Großteil des wirtschaftlichen Erfolgs der beginnenden 1930er Jahre aus und half dem Verlag über die vorige Krise hinweg.186 Maximilian Bayer Wie bereits das Beispiel zu Verlags- und Autorenrechten zu Anfang des Kapitels 2 zeigte, waren Maximilian Bayers Schriften in Bezug auf die Pfadfinderbewegung und ihre Anfänge von besonderer ideeller und wirtschaftlicher Bedeutung für den Voggenreiter Verlag.187 1931 erschien der Roman „Helden der Naukluft“ Maximilian Bayers in dritter Auflage im Voggenreiter Verlag. Zwischen Ende des Romans und der vierseitigen Werbeanzeigen des Verlages selbst ist ein Text Martin Voelkels und Wilhelm Fabricius abgedruckt. Der Vertrag über den Abdruck des Werks, der im Archiv des Voggenreiter Verlages zu finden ist, war mit der Schwester Maximilian Bayers, Marie-Renée Welsch, zustande gekommen und enthält günstige Honorarregelungen für die Erbin des Verfassers.188 Obwohl der eigentliche Urheber bereits über ein Jahrzehnt verstorben war und die erste Auflage bereits fast zwei Jahrzehnte zurücklag, bekam Welsch für die
Vgl. Verlagsvertrag zwischen Martin Luserke und dem Verlag Der Weiße Ritter (undatiert), Voggenreiter Archiv, Ordner 6; Verlagsvertrag zwischen Martin Luserke und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 25. November 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6; Vertragszusatz zu „Sivard Einauge“ zwischen Martin Luserke und dem Ludwig Voggenreiter Verlag vom 27. April 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 185 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Martin Luserke und dem Verlag Der Weiße Ritter (undatiert), Voggenreiter Archiv, Ordner 6; Verlagsvertrag zwischen Martin Luserke und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 25. November 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 186 Vgl. Kapitel 3.3.3. 187 Vgl. Kapitel 2. 188 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Marie-Renée Welsch und dem Verlag Der Weiße Ritter vom 15. November 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 184
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erste im Voggenreiter erscheinende Auflage 550 Mark bei einer Gesamtauflage von 3.000 Exemplare zugesprochen – das entspricht einem Prozentsatz von 5,24 % bei einem Ladenpreis der in Leinen gebundenen Exemplare von 3,50 Mark und einem Prozentsatz von 7,3 % bei der kartonierten Ausgabe, die im Buchhandel 2,50 Mark kostete.189 Dieser Prozentsatz lag um die Hälfte niedriger als im Normalfall bei Voggenreiter und auch als jener, den der Weimarer Mindest-Tarif empfahl, was durch die geerbte Urheberschaft zu erklären ist. Voelkel gedenkt auf sieben Seiten der Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes vor zwanzig Jahren und seinem 1917 gefallenen vermeintlichen Mitbegründer Maximilian Bayer, der seine Kriegslaufbahn bereits 1904 als einer der ersten im Kampf gegen den „Aufstand der Herero“ in „Deutsch-Südwest-Afrika“ begann. Wegen einer Typhuserkrankung und ihrer Folgen kehrte er bereits 1905 zurück. Zur gleichen Zeit ab August 1904 bis 1906 war der Militärarzt Alexander Lion ebenfalls in „DeutschSüdwest“, der wenige Jahre später Bayer um die Mitübersetzung und -bearbeitung von Baden-Powells „Scouting for Boys“ bat: Es wurde als „Pfadfinden“ in den deutschen Kontext übertragen.190 Voelkel hob Bayers Erfahrungen im Unterwegssein und im In-der-Natur-Übernachten hervor, genauso wie das Erlebnis der Kameradschaft und das Wissen, dass Können, Fähigkeiten und Haltung mehr zählten als „Rang und Rock“. Damit schafft Voelkel erzählerisch die perfekte Überleitung vom Soldatenleben in „Deutsch-SüdWest“ zum Pfadfindertum und der formalen Gründung des deutschen Pfadfinderbundes 1911 als „Frucht kolonialer Erfahrung“. Dies entsprach den Erfahrungen Robert Baden-Powells, der wiederum seine Erfahrungen in der britischen Kolonie Südafrika in seine Praxis und seine Theorie in „Scouting for Boys“ einfließen ließ. Einmal mehr beruft Voelkel sich zum Ende seines Nachwortes hin auf das „Bilde des Weißen Ritter“ als Leitmotiv genauso wie die Stammeserziehung, die naturnahen Praktiken und die bündische Gemeinschaft.191 Unmittelbar darauf folgt die etwa einseitige Danksagung des Reichsfeldmeisters des deutschen Pfadfinderbundes Wilhelm Fabricius, überschrieben mit „Dem großen Reichsfeldmeister!“ Er rekurriert noch einmal konkret auf die Werte, die seiner Meinung nach die deutschen Pfadfinderbünde durch Bayer immer noch hochhalten: „Heldentum und Mannesehre, Kampfgeist und Einsatzbe-
Vgl. Prospekt „Unsere Werke 32/33“, Voggenreiter Archiv, Ordner 10. Das betreffende Buch erschien unter dem Titel „Das Pfadfinderbuch: Nach General Baden-Powells Scouting for Boys unter Mitwirkung von Offizieren und Schulmännern“ unter der Mitarbeit von Maximilian Bayer und Ludwig Kemmer von Alexander Lion 1909 im Münchener Verlag der Ärztlichen Rundschau herausgegeben; Zu Lion siehe auch: Breyvogel, Wilfried / Schrölkamp, Stephan: Alexander Lion. Gründer der Pfadfinderbewegung und erster Scout Deutschlands. Ein biografischer Grundriss 1870–1962, in: Breyvogel, Wilfried (Hrsg.): Pfadfinderische Beziehungsformen und Interaktionsstile. Vom Scoutismus über die bündische Zeit bis zur Missbrauchsdebatte, Wiesbaden 2017, S. 27–100, hier: S. 31–32. 191 Vgl. Voelkel, Martin: Maximilian Bayer, in: Bayer, Maximilian: Die Helden der Naukluft, 3. Auflage, Potsdam 1931, S. 214–220. 189 190
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reitschaft, Führertum und Hingabe an die deutsche Aufgabe“. Deutlich wird auch das Spannungsgefüge zwischen Weltpfadfindertum und völkischem Nationalismus, wenn Fabricius schreibt: „Das Wesentliche, die Bruderschaft a l l e r Pfadfinder der Erde, ist in dem großen Kampf um den Lebensraum unseres Volkes ein schöner Traum geworden“.192 Dieser Darstellung der Rolle Bayers am Anfang der Pfadfinderbewegung im abgedruckten Werk widerspricht Freiherr Carl von Seckendorff vehement. Unmittelbar nach Erscheinen des Buches mit dem erwähnten Nachwort zu Ehren Bayers schreibt Seckendorff sowohl an Voggenreiter als auch an Dr. Alexander Lion. Ersteren klärt er über die Vorkommnisse auf, so wie er sie in Erinnerung hat und dass Dr. Lion das Pfadfinderbuch vornehmlich vorantrieb, wofür auch der Verlag der Erstveröffentlichung spricht – Otto Gmelin Verlag der ärztlichen Rundschau München – und dass Bayer zunächst zögerlich an die Idee heranging und erst später vollends einstieg. Zweiteren bittet Seckendorff, selbst Stellung zu nehmen und an Voggenreiter eine Richtigstellung zu senden.193 Was daraufhin geschah, kann den Quellen nicht entnommen werden – zunächst stand das Werk Bayers mit dem Nachwort zu seinen Ehren in der Welt. Grafikerinnen und Grafiker und Künstlerinnen und Künstler Nicht nur große Namen halfen beim Verkauf von Publikationen, auch die ansprechende Gestaltung eines Verlagswerks war Teil der Verkaufsstrategie. Damit kam Künstlerinnen und Grafikern für Verlage als Vermittler zwischen Markt und Kultur eine besondere Bedeutung zu, um ein kulturelles Produkt für Käuferinnen und Käufer attraktiv zu gestalten. In der Korrespondenz des Verlages Der Weiße Ritter treten meist Maler und (Gebrauchs-)Grafiker hervor. Anfang des Jahrhunderts beschleunigte sich der technische Fortschritt und machte sich auch in der Drucktechnik bemerkbar. Verschieden zu behandeln waren Text, Noten und Bilder, die jeweils auf unterschiedlichen Wegen auf die Seiten gesetzt und eingepasst wurden. Auch Künstlerinnen und Grafiker mussten den technischen Fortschritt stets verfolgen, wollten sie für Druckereien und Verlage arbeiten. Im Zweifelsfall aber mussten die Verlage die technischen Vorgaben der Druckereien mit den Arbeiten der Grafikerinnen und Grafiker in Einklang bringen. Die Druckereien als notwendig wirtschaftlich handelnde Unternehmen waren durch Marktlogiken beeinflusst und
Fabricius, Wilhelm: Dem großen Reichsfeldmeister!, in: Bayer, Maximilian: Die Helden der Naukluft, 3. Auflage, Potsdam 1931, S. 220–221. 193 Vgl. Durchschlag des Briefs von Carl August Ludwig von Seckendorff an Ludwig Voggenreiter vom 20. Februar 1931, AdJb N 121/55; Durchschlag des Briefs von Carl August Ludwig von Seckendorff an Alexander Lion vom 21. Februar 1931, AdJb N 121/55; Brief von Ludwig Voggenreiter an Carl August Ludwig von Seckendorff vom 24. Februar 1931, AdJb N 121/55. 192
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
eine emotionale, ideelle Verbundenheit mit den eigenen Produkten, wie es bei vielen der untersuchten Verleger der Fall war, bestand nur sehr selten – es zählten vor allem materielle und monetäre Werte. Die Künstlerinnen, Maler, Illustratorinnen, Grafiker wie auch die Autorinnen dagegen waren vordergründig der Sphäre der Kultur zuzurechnen – immaterielle, ideelle, kulturelle und emotionale Werte traten hier zutage. Den feinen Nuancen der Aushandlung auf dem „bündischen Kulturmarkt“ kann durch die Quellen des Voggenreiter Bestandes nachgegangen werden und so auch Thesen zur Stellung von Künstlerinnen und Grafikern innerhalb des „Kulturmarktes“ aufgestellt werden. Die Vermutung der technischen Informiertheit lässt sich anhand einer Zuschrift des Grafikers Günther Graßmanns194 aus München an Ludwig Voggenreiter belegen. Darin schreibt Graßmann, er habe nun wieder Zeit und könne durch neue Illustrationen zur Zeitschrift „Die Spur“ beitragen. Um sich über die Grundvoraussetzungen zu informieren, fragt er: „Könnt ihr auch Kreidezeichnungen dafür reproduzieren. Ich bin überhaupt zu wenig auf dem laufenden [sic!], was sowohl bezügl. des Stoffes, als auch der Technik in Frage kommt. Vielleicht schreibst Du gelegentlich darüber.“195 In diesem Brief vom 23. September 1924 an Voggenreiter schreibt er zudem vom „finanziellen Ruin“, dem er sich „wieder ziemlich nahe“ zu sein wähnt. Aus diesem Grund erinnert er Voggenreiter an die Illustrationen zu einem Sagenbuch, das im Erscheinen begriffen gewesen sein musste und für welches Graßmann 75 Mark als Honorar erwartete. Meist wurden Grafikerinnen und Künstler bei der Ankündigung von Publikationen nur am Rande genannt. Alfred Zacharias (*1901) jedoch genoss eine Sonderstellung. Zacharias stammte wie auch Habbel und Voggenreiter aus Regensburg und verschaffte sich in den 1920er Jahren vor allem durch seine Holzschnitte Bekanntheit. Er arbeitete in dieser Zeit an der von dem Schriftsteller Georg Britting und dem ebenfalls für den Weißen Ritter Verlag tätigen Künstler Joseph Achmann initiierten Kunst- und Literaturzeitschrift „Die Sichel“ mit. Wie bereits in Kapitel 3.3.1 ausgeführt, verband ihn eine Geschäftsbeziehung mit Franz Ludwig Habbel, der in seinem allein geführten Verlag 1922 mehrere Kunstdruckserien von Zacharias herausgab. Zacharias war jedoch nicht nur mit Habbel gut bekannt, auch Voggenreiter war von seinen gestalterischen Fähigkeiten überzeugt und beauftragte ihn des Öfteren. Auch in der Zeit der Inflation war er für Voggenreiter tätig. Interessant zu erwähnen sind Honorarabsprachen und die
Günther Graßmann gehörte der „Münchner Sezession“ an und blieb stehts politisch engagiert, jedoch innerhalb der Grenzen des Möglichen, vor allem im Nationalsozialismus, vgl. Kunsthandel Koskull (Hrsg.): Eintrag „Günther Grassmann“ [Onlinefassung], URL: https://kunsthandel-koskull.de/kunst-nach-1945/ guenther-grassmann/ [02.07.2020]. 195 Brief von Günther Graßmann an Ludwig Voggenreiter vom 23. September 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 194
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Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau
Ansprüche Zacharias beziehungsweise Voggenreiters an den Druck und seine Organisation. Beispiele für die Korrespondenz über die an Zacharias zu zahlenden Honorare finden sich zahlreich. Am 14. Mai 1923 schrieb Ludwig Voggenreiter an Zacharias, er werde einen Vorschuss auf sein Honorar schicken: 70.000 Mark, Grundpreis 28 Mark, was eine Inflationsrate des Honorars von 2.500 bedeutete.196 Nach überstandener Inflation bat Zacharias am 19. Januar 1924 Voggenreiter, ihm 20 Mark zu schicken, eine weitere Auszahlung seines Honorars schiebt er auf vier Wochen später auf – mit dem Hinweis auf einen nicht verrechneten Holzschnitt für die „Sündflut“ und seine Illustrationen für die „Waldverwandtschaft“.197 Am 15. Oktober 1924 schreibt Zacharias: „Für ein Honorar, wenn auch ein mäßiges, bin ich immer dankbar, wie ich Dich auch sehr bitte, mir bald wieder etwas Geld zu senden.“198 Auch am 17. November 1924 schreibt Zacharias an Ludwig Voggenreiter, er habe 40 Mark Honorar erhalten. Wie aus dem restlichen Brief hervorgeht, scheint dies eine Entlohnung für die teils bereits gelieferten Bilder für die Veröffentlichungen „Huck Finn“ sowie den Umschlag für den „Almanach“ zu sein. Für den „Almanach“-Umschlag schlägt Zacharias 10 Mark als Honorar vor, wodurch die restlichen 30 Mark für die erste Illustration von „Huckleberry Finn“ zu sein scheinen. Statt einer Bezahlung für die nun in der Anlage nachgelieferten Bilder wünscht sich Zacharias einige zusätzliche Belegexemplare sowie das Bild „Zirkus“ nach der Klischierung im Original zurück.199 Es scheint, als seien sich Voggenreiter und Zacharias darüber einig, welche Bezahlung angemessen war oder Zacharias machte ohnehin Freundschaftspreise, wie Zacharias es mit seiner Formulierung „Für ein Honorar, wenn auch ein mäßiges, bin ich immer dankbar“ andeutete.200 Worüber sie sich ebenfalls einig werden mussten, war die Organisation der Arbeitsabläufe und die Qualität und Gestaltung der Bücher. Zu diesem Zweck stellte Zacharias Voggenreiter die für ihn notwendigen Fragen, um seine Illustrationen zu „Huckleberry Finn“ anfertigen zu können: Nur möchte ich Dich bitten, mir den genauen Termin anzugeben, wann Du das Buch in den Satz gibst. […] Dann bitte ich Dich, mir mitzuteilen, wo gedruckt wird, welche Schriften zur Verfügung stehen und weiteres Technisches, da dies auch schon für die Illustration sehr wichtig ist. Ich möchte Dich auch bitten, mir das Typografische an der Sache, soweit ich mithelfen kann, ebenfalls zu geben, auch Umbruch u. s. w., dass wir in gemeinsamer Vgl. Entwurf eines Briefs vom Verlag Der Weiße Ritter an Alfred Zacharias vom 14. Mai 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 197 Vgl. Brief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 19. Januar 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 198 Brief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 15. Oktober 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 199 Vgl. Brief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 17. November 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 200 Brief Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 19. Januar 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 196
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Arbeit etwas liefern, das sich, auch bei einfacher Ausführung, überall sehen lassen kann. Für den Umschlag möchte ich, wenn eine leichte Kartonierung vorgesehen ist eine vielleicht zwei oder mehrfarbige Ofsettzeichnung [sic!] anfertigen, was sich für das Buch nach meinem Empfinden gut eignen würde.201
Es spielte für ihn also eine Rolle, welche Termine Voggenreiter setzte, welche Druckerei beauftragt werden sollte, an welche Schriftarten er seine Illustrationen anpassen musste und welche Technik für die Umschlaggestaltung vorgesehen war und damit verbunden, wie viele Farben Zacharias nutzen konnte. Waren Zacharias Zeichnungen fertiggestellt, mussten diese an eine Firma zur Klischeeherstellung gegeben werden. Dabei geschah es mehrmals, dass Zacharias und Voggenreiter mit den hergestellten Klischees nicht zufrieden waren und einen zweiten Satz herstellen ließen. Das war beispielsweise bei den Illustrationen zu dem Werk „Ritter vom runden Tisch“ von Mimi Sonntag und Alfred Zacharias der Fall. Voggenreiter hatte wohl bereits eine zweite Firma zur Klischierung beauftragt, was jedoch genauso wenig von Erfolg gekrönt war, wie bei der ersten.202 Die Einschätzung Zacharias hierzu ist nicht überliefert. Allerdings kann seine Rückmeldung zu einem anderen Satz Klischees vom 15. Oktober 1924 Einblick über seine Kriterien bei einer Prüfung von Druckvorlagen geben. Die Klischees halte ich nicht für gut, und würde wenn es Dir möglich ist eine andere Firma dringlich empfehlen, ich glaube dass die Gestehungskosten nicht wesentlich höher sind, (Bend’amour München). Vergleiche z. B. Bild 17, den Kopf und die Hände des Negers, oder Bild 25, das Floss, das im Original sehr straffe Schraffierung zeigt, im Klischee aber verschwimmt und sehr unscharf wird. Besser ist Bild 37 wiedergegeben. Ich finde es in unser Beider Interesse angebracht, wenn man hier nur auf erstklassige Wiedergabe ausgeht.203
Zacharias war mit der Umsetzung seiner Zeichnungen in ihrer künstlerischen Eignung in den Klischees nicht zufrieden und er rät Voggenreiter zu einer besseren Lösung, da die Qualität der Bilder den Absatz des Buches erhöhen würde, weshalb er die Firma Bend’amour empfiehlt. Um diese Einschätzung treffen zu können, musste er sicher darüber gewesen sein, dass die Herstellung von Klischees in besserer Qualität technisch möglich war. Auf die Ausführung legte Zacharias beispielsweise auch bei der Papierqualität wert, wie seine Kritik an dieser zeigt, die für die gebundene fünfte Jahresausgabe des „Weißen Ritter“ genutzt wurde.204 Brief Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 19. Januar 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. Vgl. Entwurf eines Briefs vom Verlag Der Weiße Ritter an Alfred Zacharias vom 14. Mai 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 203 Brief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 15. Oktober 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 204 Vgl. Brief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 1. Oktober 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 201 202
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Zacharias nutzte verschiedene Techniken: Feder- oder Kreidezeichnungen nannte er immer wieder in seinen Briefen, aus welchen erst eine druckbare Vorlage – Klischees – erstellt werden musste. Er stellte genauso Holzschnitte her, was gegenüber anderen Grafiken einen Vorteil hatte: „das Kasperltheater, nebst einem Holzschnitt dazu; das genügt. Ausserdem liegen zwei Schnitte für das Weihnachtsheft der Spur bei. Die Stöcke können jederzeit an Schiele gegeben werden.“205 Kurze Wege erleichterten offensichtlich die Zusammenarbeit: Zacharias war wie die örtliche Druckerei Heinrich Schiele in Regensburg ansässig, die sich um den Druck der Zeitschrift „Die Spur“ kümmerte. Zacharias fertigte seine Holzschnitte direkt als druckbare Vorlage an, wozu er die vorgegebenen Seitenformate der späteren Druckerzeugnisse genau kennen musste. Praktikabel waren Holzschnitte, wie sie Zacharias häufig anfertigte, für Zeitschriften wie „Der Weiße Ritter“ oder „Die Spur“ auch deswegen, da sie ohnehin für den Druck vorgesehen waren und somit die teure Herstellung von Druckklischees ausblieb. Abseits von den Informationen zu dem Honorar des Illustrators und Künstlers Zacharias, kann aus diesen Briefen abgelesen werden, dass sich Voggenreiter und Zacharias gut kannten – sie duzten einander – und welche Anweisungen beziehungsweise Gestaltungswünsche Zacharias zu den von ihm gelieferten Bildern hatte. Der Maler und Grafiker Ulrich Hallerstede gehörte zu dem Kreis der 1920 gegründeten „Darmstädter Gruppe“, die aus Künstlern bestand, die zum Teil auch der „Darmstädter Sezession“ angehörten, aber nicht wie diese Zusammensetzung kunstpolitische, sondern rein künstlerische Ziele verfolgte.206 In einem Brief an Voggenreiter vom 29. April 1924 bedankt er sich zunächst für die Übersendung von zehn Nummern der Zeitschrift „Die Spur“. Daraufhin bestätigt er, wohl auf Anfrage Voggenreiters hin, dass er die Zeitschrift für gut zu illustrieren hält und gern selbst diese Arbeit verrichten würde. Er bietet Voggenreiter an, zur Hälfte seines üblichen Honorars zu arbeiten, was 15 bis 20 Mark pro Blatt bedeutete, was im Gegensatz zu dem, was Zacharias beispielsweise für die Gestaltung des „Almanach“-Titelblattes forderte – 10 Mark – viel war. Dies lässt noch einmal hervortreten, wie sehr Zacharias Voggenreiter entgegengekommen war. Hallerstede verbindet die Briefsendung mit der Anfrage, ob Voggenreiter seine „Tiermappe“, die er anbei liegend mitsendete, herausgeben möchte. Diese bot er zum Preis von 150 Mark an – wie viele Blätter sie beinhaltete, kann nicht nachvollzogen werden, allerdings schloss sein Angebot die Druckstöcke aus hartem Linoleum ein. Herstellungskosten für Druckvorlagen würden also nicht zusätzlich entstehen. Seine Vorstellung war die von einer Volksausgabe, die unkoloriert sein sollte, und einer Luxusausgabe, die dagegen von Hand koloriert werden sollte und die Hallerstede für 50 Pfennig pro Blatt kolorieren würde. „Da ich in allernächster Zeit heiraten werde, würBrief von Alfred Zacharias an Ludwig Voggenreiter vom 1. Oktober 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 206 Vgl. Netuschil, Claus K.: Darmstädter Gruppe [Onlinefassung], URL: https://www.darmstadt-stadt lexikon.de/de/d/darmstaedter-gruppe.html [02.07.2020]. 205
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
de ich mich sehr freuen, wenn aus der Sache etwas werden würde, zumal man gerade in der jetzigen Not unter den Künstlern jeden Verdienst nötig gebrauchen kann.“207 Die Grafikerinnen und Grafiker hatten also einen anderen Stellenwert für Voggenreiter als Autorinnen und Autoren: Erstens schlossen sie keine Verträge wie die bisher gezeigten. Zweitens und daraus folgend, fand die Bezahlung pro Stück und Größe der Grafik statt, nicht gemessen an Auflagenhöhe und Ladenpreis. 3.3.3
Markt – Finanzielle Lage
Ein Unternehmen zu gründen und das notwendige Startkapital aufzubringen, war und ist stets eine Hürde für junge Unternehmerinnen und Unternehmer. Habbel und Voggenreiter hatten wegen ihres jungen Alters selbst keine Ersparnisse und konnten nicht auf Einkünfte eines Hauptberufs zurückgreifen, um ihren Verlag zu gründen. Also ging es zu Anfang darum, mit möglichst geringen Kosten ein Produkt herzustellen und verkaufen zu können – gemäß den Kostenpositionen einer Verlagshandlung, die bereits in Kapitel 2.2 aufgeführt wurden.208 Wie aus der Rubrik „Aus der Schriftleitung“ der ersten Hefte hervorgeht, nahmen Habbel und Voggenreiter die Bedeutung ihrer Zeitschrift zunächst nicht als wirtschaftlich relevant wahr, sondern vielmehr als ideell wertvoll. Auch deshalb waren die Überlegungen zur Finanzierung nicht vorab in Gänze strukturiert, zieht man aus den regelmäßigen finanziellen Engpässen, Bitten um Spenden und Darlehen in den Mitteilungen der Schriftleitung Schlüsse. Wie bereits in Kapitel 3.1 beschrieben, war der familiäre Hintergrund Habbels eine besondere Hilfe dabei, die Produktionskosten zu minimieren, da durch den Buch- und Zeitungsverlag der Familie Habbel die notwendige Infrastruktur mitgenutzt werden konnte. Später berichtete Heinrich Voggenreiter in einem Interview über diese Zeit: Das erste Büro des Weißer-Ritter-Verlags […] befand sich in der Fröhlichen-Türken-Straße in Regensburg, in der Privatwohnung von F. L. Habbel. Es war im ersten Stock: ein Zimmer, mit Büchern angefüllt, zwei Schreibtische, da saßen die beiden. Wenn sie Briefe zu schreiben hatten, dann schrieben sie sie entweder selbst, oder es kam von Zeit zu Zeit eine Aushilfe aus dem Büro des Bruders von F. L. Habbel. Sonst haben natürlich viele Pfadfinder mitgeholfen, beim Adressen-schreiben, Verschicken, Eintüten undsoweiter.209
Brief von Ulrich Hallerstede an Ludwig Voggenreiter vom 29. April 1924, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 208 Vgl. Kapitel 2.2. 209 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 207
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Wie bereits in Kapitel 3.1 gezeigt, stellte die Familie Habbel das Startkapital Habbels und Voggenreiters zur Verfügung – in Form einer Unterstützung durch den familienbetriebenen Zeitungs- und den Buchverlag. So entstanden ihnen zunächst keine beziehungsweise geringe Anschaffungs- und Personalkosten – die Infrastruktur eines Verlagshauses inklusive Druckerei stand ihnen ebenfalls zur Verfügung und so konnten sie ihr an die Jugendführer der neuen Generation gerichtetes Blatt umsetzen. Wie aber konnte die Zeitschrift dem Verlag beziehungsweise den Gründern zum wirtschaftlichen Erfolg verhelfen? Oder konnte sie das überhaupt? Von Beginn an wird darauf hingewiesen, dass die in der Zeitschrift besprochenen Bücher fremder Verlage durch den Verlag Der Weiße Ritter vertrieben wurden. Neben der Zeitschrift schienen Habbel und Voggenreiter sich hiermit einen gewissen Freiraum erwirtschaften zu wollen und begannen als Buchhandlung mit einer einzigen Zeitschrift im Verlag. Doch nach und nach verlegten sie eigene Bücher, die sie nun nicht nur durch Besprechungen, sondern auch mit Anzeigen in ihrer Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ bewarben. Unabhängig davon, welche Bücher und Zeitschriften welchen Inhalts welchen Erfolg brachten, mussten die jungen Unternehmer immer wieder Rückschläge und Unannehmlichkeiten durchstehen, wie die Hyperinflation der Jahre 1922/23 und die Wirtschaftskrise in Folge des New Yorker Börsencrashs 1929, die sich erst Anfang der 1930er Jahre deutlich bei Voggenreiter abzeichnete. Schon mit ihrem ersten gemeinsamen Produkt, der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, kamen sie Habbel und Voggenreiter finanzielle Probleme. Infolgedessen, dass der Bayerische Wehrkraftverein e. V. das erste Jahr der Führerzeitschrift Habbels, „Der Aufbau“, finanziell unterstützt hatte und diese Unterstützung ab dem zweiten Jahrgang wegbrach, gab es bereits nach dem Abschluss des ersten Halbjahrs der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ gravierende finanzielle Engpässe. Die Zeitschrift musste sich nun selbst tragen. Daraus folgte eine absolut transparente Kommunikation über die Kosten der Zeitschrift mit den Leserinnen und Lesern in nahezu jedem Heft der ersten Jahrgänge innerhalb der Rubrik „Aus der Schriftleitung“. Im Doppelheft 4–5 des zweiten Jahrgangs schreiben die Herausgeber beispielsweise über die Möglichkeiten zu spenden und Darlehen zu geben: Eine […] Gelegenheit, wesentlich zur Ausgestaltung des Weißen Ritter beizutragen, ist die, einen Bogen oder einen halben Bogen zu spenden. Ein paar großzügige Entschlüsse und unsere Zeitschrift hat Raum für vieles, was heute leider wegbleiben muß. Über die Kosten geben wir gerne Aufschluß. Wer mit einem kleinen Beitrag helfen will, kann seine Spende auf eine Bildbeilage oder die Kosten eines schönen Druckstocks beschränken und dadurch in sichtbarer Weise zur Hebung der Zeitschrift beitragen. Zu Beginn des Jahrgangs wurde ferner, um die Zeitschrift auf eine breitere finanzielle Grundlage zu stellen, ein G a r a n t i e f o n d geschaffen, der aus auf die Dauer eines Jahrgangs gegebene unverzinsten Darlehen beliebiger Höhe besteht, über deren Heran-
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ziehung zu Deckung allenfallsiger Überausgaben die Gesamtheit beschließt. Die näheren Bedingungen über die Zeichnung werden auf Wunsch vom Verlag versandt.210
Habbel bat im sechsen Heft des zweiten Jahrgangs die Leserinnen und Leser, die ein Abonnement abgeschlossen hatten, um die Erhöhung ihrer bisherigen Einzahlung, da die Herstellungskosten nicht mehr durch die bisher verlangten Preise gedeckt werden konnten, und alle anderen um die Kenntnisnahme der neuen Bezugspreise. Verschuldet worden sei diese Preissteigerung durch die Erhöhung der Herstellungskosten. Im darauffolgenden siebten Heft wird die Verkündung des Erfolgs dieser Aufrufe – ein Darlehen in Höhe von 1.250 Mark war eingegangen sowie zusätzlich eine Materialspende von einem Bogen Papier – mit der Bitte verbunden, dass weitere finanzielle Unterstützung geleistet werden solle. Diesmal sei zusätzlich der Lohntarif für Druckereiangestellte angehoben worden, was erneut zu höheren Herstellungskosten führe. Gleichzeitig beteuern sie: Bei der Zusammensetzung unseres Leserkreises würden wir [durch eine erneute Preiserhöhung, F. M.] womöglich gerade die wirtschaftlich Schwächeren treffen. Wir wollen diesen den Weißen Ritter immer zu einem annehmbaren Preise zugänglich machen und möchten deshalb unseren Bezugspreis in Zukunft so aufgefaßt sehen, daß er als Mindestpreis erachtet wird, der die wirtschaftlich Bessergestellten zu freiwilliger Mehrleistung für unsere Arbeit und unsere Kameraden auffordert.211
Dies zeigt erstens ihr hehres Ziel, das einer solidarischen Umverteilung in sozialen Belangen Rechnung trägt. Zweitens zeigt das Zitat, dass der Kreis der Leserinnen- und Leserschaft noch nicht sehr weit außerhalb der unmittelbaren Bewegung gewesen sein kann, da dieser Solidaritätsaufruf nur bei persönlich und im Besonderen emotional involvierten Leserinnen und Lesern gefruchtet haben dürfte. Habbel und Voggenreiter wollten Kultur und die „bündische Idee“ verbreiten und mussten sich daher den Mitteln des Marktes bedienen, auch wenn sie das nicht vordergründig erstrebten. Das Geschäftliche am Verlegen scheinen sie zunächst eher wie ein notwendiges Übel in Kauf genommen zu haben. Lange währte dieses Vertrauen gegenüber denjenigen, die freiwillig mehr zahlen sollten, nicht, so zeigt es ein Blick in die Schriftleitungsmitteilung in Doppelheft 11/12 des zweiten Jahrgangs: Es ist nicht mehr möglich, den Weißen Ritter wie eine Ware auf den Markt zu werfen und gegen Vorausentlohnung sich zur geistigen Dienstleistung jedem Beliebigen zu verpflichten. […] Die geistige Arbeit, die im Weißen Ritter steckt, ist und bleibt vielmehr ein freies Geschenk an unsere Freunde und Verwandten, aber nur an diese. Die Feststellung, wer zu ihrem Kreis gehört, behalten wir uns vor; […] Der engere Kreis unserer Leser erhält
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Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 4–5, Regensburg 1920, S. 120. Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 7, Regensburg 1920, S. 168.
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die Hefte jeweils zu den tatsächlichen Herstellungskosten, zugerechnet Postgeld und allgemeine Ausgaben, belastet, die übrigen Bezieher zu demjenigen Preis, der auch für den Einzelbezug von Heften gilt.212
In dieser Formulierung lässt sich der Wandel von einem generellen und diffusen Sendungsgedanken hin zu einem sehr bewussten erkennen. Die Schriftleitung des „Weißen Ritter“ nahm nun auch den Wert wahr, den ihre Arbeit an dieser Zeitschrift hatte und beschränkte ihre unentgeltliche Arbeit auf den Kreis an Freunden und Verwandten, die den Bezug zu den Herstellungskosten eingeräumt bekamen. Am Ende dieses offen geführten Aushandlungsprozesses der jungen Verleger mussten sie akzeptieren, dass ihr Produkt „bündischer Kultur“, die Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, auch eine Ware war und unter Marktbedingungen gehandelt wurde und nicht allein der Kultur selbst diente. Zielgruppe/Name/Verlagssignet Eine Möglichkeit, die Kosten zu decken und dennoch den Stückpreis niedrig zu halten, war es, wie in Kapitel 2.2 in Anschluss an Dewenter und Rösch gezeigt wurde, die first copy costs auf eine höhere Auflage zu verteilen und damit die Durchschnittskosten zu senken. Bereits zu Anfang ihres Vorhabens bewiesen die beiden Verlagsgründer, Habbel und Voggenreiter, diesbezüglich unternehmerisches Geschick. Ihr Produkt musste auf eine Zielgruppe angepasst werden und diese Zielgruppe musste erreicht werden. Zupass kam ihnen hierbei die von Martin Voelkel und ihnen selbstorganisierte Tagung der deutschen Pfadfinder auf Schloss Prunn im Juni 1919, bei welcher es um eine Aussprache der Zielvorstellungen des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) ging und zu welcher über 200 Jugendführer aus ganz Deutschland zusammengekommen waren (siehe Kapitel 3.1). In diesem Kreis bewarben Habbel und Voggenreiter ihre neue Zeitschrift. Auch wenn sie selbst den Erneuerern, den sich bei diesem Treffen auf Schloss Prunn neu formierenden Neupfadfindern213, zugetan waren, war ihr Bestreben, durch Zeitschrift und Verlag die gesamte Jugendbewegung zu einen. Einen ersten Schritt hierzu stellt die Publikation über die Prunner Tagung dar, in welcher die Diskussionen und ihre Ergebnisse samt dem „Prunner Gelöbnis“ der Neupfadfinder enthalten waren, genauso wie das Protokoll des österreichischen Pfadfindertages im September 1919. Das Interesse war geweckt, das Produkt war auf dem Markt platziert, die Dokumentation der Entwicklung und Treffen der Pfadfinderverbünde schienen begehrt zu sein. Beispielsweise bis Heft 3 des zweiten Jahrgangs erreichte der „Weiße Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 11–12, Regensburg 1920, S. 263–264. 213 Vgl. v. a. Kapitel 3.2. 212
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Ritter“ eine Auflage von 2.400 Stück, von welchen jedoch ein Teil als Werbeexemplare ausgegeben wurde. Dennoch warben Habbel und Voggenreiter unablässig um weitere Käuferinnen und Käufer, auch indem sie ihre Leserinnen- und Leserschaft um das Weiterempfehlen und Verbreiten baten.214 Nun fand zur gleichen Zeit ein Wechsel von „Der Aufbau“ zu „Der Weiße Ritter“ als Titel der Führerzeitschrift statt. Eine Begründung ist, dass sie diesen Titel für aussagekräftiger und einprägsamer hielten und die Leserinnen und Leser dadurch einen besseren Eindruck von der Zeitschrift bekommen sollten. Außerdem entstanden gerade zu dieser Zeit verschiedene Publikationen mit dem Titel „Der Aufbau“: So zum Beispiel eine sozialistische Wochenzeitung in Zürich oder ein zweibändiges Werk mit dem Titel „Der Aufbau“ des deutsch-jüdischen Journalisten Max Cohen. Das bedeutete eine geringere Eindeutigkeit und damit ein fehlendes Alleinstellungsmerkmal.215 Möglicherweise aber waren Habbel und Voggenreiter diese Publikationen gar nicht bekannt. Aus pragmatischer Sicht allein hatte Habbel den Titel „Der Aufbau“ dem Jung-Bayern e. V. überlassen, dessen Verbandszeitschrift sie von vornherein war. Ein Neubeginn mit einem neuen Titel bedeutete damit die klare Abgrenzung zum JungBayern e. V. und eine Erweiterung des potenziellen Leserinnen- und Leserkreises. Es kam aber noch ein weiterer Grund hinzu – die Wortbedeutung. In der Jugendbewegung und speziell im Bund der Neupfadfinder wurde immer wieder die Ritterlichkeit als erstrebenswerter Charakterzug betont. Die Farbe Weiß zeigte dabei die Reinheit und die Wahrhaftigkeit. Die Rittersymbolik findet sich beispielsweise auch in Bezug auf den Heiligen Georg, der weltweit als Vorbild der Pfadfinder galt – „Der Weiße Ritter“ widmete ihm ein ganzes Heft der gleichnamigen Zeitschrift, Georg Kallmeyer nutzte ab 1925 den heiligen Georg als Drachentöter als Verlagssignet und Günther Wolff gab dem in seinem Verlag herausgegebenen Liederbuch den Namen St. Georg. Um sich nach außen einheitlich zu präsentieren, nutzten Habbel und Voggenreiter bald ein eigenes Verlagssignet, das im Zeitraum von 1919 bis 1929 genutzt wurde. Es war von Hans Wildermann entworfen worden und zeigte einen nackten geflügelten Mann auf einem Pferd reitend und mit Heiligenschein, der mit seiner rechten Hand in seiner Bewegungsrichtung dem linken Bildrand entgegen zeigt und nach hinten, nach rechts, schaut. Die linke Hand stützt sich auf dem Rücken des Pferdes ab. Das Signet ist viereckig angelegt, den Hintergrund füllen Himmel, Wolken und Erde. 1929 fand die Umbenennung von „Verlag Der Weiße Ritter“ in „Ludwig Voggenreiter Verlag“ statt. Damit einher ging die Änderung des Verlagssignets. Das neue Verlagssignet von Konrad Volkert war sehr viel einfacher gehalten, es zeigt nur noch einen Reiter auf einem Pferd in
Vgl. Kommentar der Schriftleitung, in: Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 3, Regensburg 1919, S. 80. 215 Vgl. Gerwig, Max / Gerber, Max (Hrsg.): Der Aufbau – Sozialistische Wochenzeitung, Zürich 1919; Cohen, Max: Der Aufbau. Bund deutscher Gelehrter und Künstler, Berlin 1919; Cohen, Max: Der Aufbau Deutschlands und der Rätegedanke. Generalsekretariat zum Studium des Bolschewismus, Berlin 1919. 214
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Abbildung 10 Darstellungen entnommen aus: Voggenreiter, Ludwig / Kurka, Walter: Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930, Potsdam 1930, S. 154.
einer schematischen Darstellung. Die Bewegungsrichtung blieb die gleiche, allerdings scheint das Reiten sehr viel schneller, der Reiter hält sich mit einer Hand am Hals des Pferdes fest und ist vorn über gebeugt, in der anderen hält er einen Wimpel – wie er in den Jugendbünden üblich war. Unter dem Bauch des Pferdes sind die Initialen LVV für Ludwig Voggenreiter Verlag zu erkennen. Was aber bedeutet diese Änderung im Corporate Design des Verlages? Die Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ hatte bereits 1927 ihr Erscheinen eingestellt und wurde als „Deutsche Freischar: Rundbrief der Bundesführung“ weitergeführt. Das neue Signet vermittelte deutlicher eine Bewegung und hatte mehr Anknüpfungspunkte für die Bündischen und war dabei weniger schöngeistig antik in seiner Ästhetik. Passend zu diesen Veränderungen waren die Verlagsankündigungen des Voggenreiter Verlages ab 1933 als „Potsdamer Reiter“ betitelt. Werbung Werbung stellte, wie im Fall Blühers gezeigt216, für Verleger in den 1920er Jahren ein übliches Mittel zur Steigerung des Umsatzes dar. Und so kamen auch Habbel und Voggenreiter nicht umhin, sich des Mittels der Werbung durch Annoncen, Rabattierung, kostenlosen Kunstbeigaben und Plakaten zu bedienen. Die Historikerin Christiane Lamberty ist bislang eine der wenigen, die sich ausgiebig mit historischen Werbemaßnahmen der Zeit zwischen 1890 und 1914 beschäftigt, in welcher sich der Wandel von
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Vgl. Kapitel 3.3.2.
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der Begeisterung, über jedes neue Medium ausgefallen werben zu können, hin zur grafisch anspruchsvollen und den Kritikern dieser Mittel angemessenen Werbestrategie vollzog.217 Doch Reklame sei vor allem ein Symbol der modernen Urbanität gewesen218: Wie positionierte sich also ein naturverbundener und Modernität, Urbanität und Industrie kritisch begutachtender Zweig der Wirtschaft, wie es die bündischen Verlage waren, zu diesem Phänomen? Werbung und die Möglichkeiten, die der Buchhandel hierbei hatte, diskutierte beispielsweise 1927 Carl Mennicke in einem Vortrag auf einer Tagung der Jungbuchhändler den „Buchhandel in der geistigen Lage der Gegenwart“. Thema war die Aufmerksamkeit potenzieller Kundinnen und Kunden: Denn die Kräftigkeit der buchhändlerischen Vermittlung der Gegenwart ist nun einmal auch eine geschäftliche Angelegenheit. Und der Buchhandel mag sich ruhig das Selbstgefühl aufbringen, sich klar zu machen, daß unter seinem schlechten Geschäft zugleich immer dieser geistige Vermittlungsdienst leidet. Was ich meine, wird sofort ganz deutlich, wenn ich sage: in dem Maße, als der gute Buchhandel geschäftlich leidet, florieren Kino und Revuetheater. Nun kann ich mir gut denken, daß die „guten alten“ Buchhandlungen die schwersten Bedenken tragen, sich für ihre Propaganda allzu weitgehend der modernen Mittel der Reklame zu bedienen. […] Es soll nur deutlich gemacht werden, daß es einmal sehr schwer, auf der anderen Seite aber absolut notwendig ist, das Bewußtsein des Einzelnen mit seinem Angebot wirklich zu erreichen. Das heißt Methoden der Anzeigen auszubilden, die sich im Tohuwabohu der vielfältigen Eindrücke und Reize siegreich behaupten, ja das Bewußtsein wirklich zu fesseln vermögen.219
Als Problem erkannt war bereits die Bewerbung des Produkts Buch, das konkurrierend zu Kino und Revuetheater empfunden wurde. Mennicke stellte Überlegungen an, wie eine Werbung nicht zu marktschreierisch-populär wirken und sich dennoch der modernen Mittel bedienen könne. Auch das Medium Radio nutzten der Buchhandel und die Verlage zur Werbung zum Beispiel durch Lesungen und Besprechungen oder auch durch gewöhnliche Werbeeinspielungen. Dabei gab es jedoch einen immensen Unterschied zwischen den Produktarten – bei einer Zeitschrift musste mit Werbung anders umgegangen werden als bei einem Buch.220 Eines der Werbemittel, dessen sich auch der Verlag Der Weiße Ritter bediente, ist das Schalten von Werbeanzeigen, das in drei verschiedenen Weisen erfolgen konnte:
Vgl. Lamberty, Christiane: Reklame in Deutschland 1890–1914. Wahrnehmung, Professionalisierung und Kritik der Wirtschaftswerbung, Berlin 2000, S. 166. 218 Vgl. ebd., S. 13. 219 Mennicke, Carl: Der Buchhandel in der geistigen Lage der Gegenwart, Potsdam 1928, S. 33–34. 220 Vgl. Kapitel 2.2. 217
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Erstens in einer verlagseigenen Zeitschrift für Publikationen von anderen Verlagen, was unmittelbare Einnahmen bedeutete; zweitens in der verlagseigenen Zeitschrift für eigene Publikationen, was mittelbare Einnahmen durch den Erfolg der Werbeanzeigen mit sich brachte; und drittens für eigene Publikationen an anderer Stelle, was zunächst mit Ausgaben verbunden war, aber bei Erfolg mittelbare Einnahmen einbrachte. Auch Dewenter und Rösch äußern sich zu Werbung: Ihr Blick auf heutige Phänomene des two sided market lässt sich auch auf den Beginn des vorangegangenen Jahrhunderts anwenden, denn auch Habbel und Voggenreiter hatten das Potenzial erkannt, ein Produkt „zweimal“ zu verkaufen – an ihre Lese- und ihre Anzeigekundinnen und -kunden.221 Ein erster Hinweis findet sich bereits im ersten Heft des zweiten Jahrgangs, in welchem die Schriftleitung darauf hinweist, dass „Der Weiße Ritter […] vom nächsten Heft ab eine lose Anzeigenbeilage erhalten [wird]. Anzeigenpreise werden auf Anfrage mitgeteilt. Der Verlag behält sich Ablehnung von Anzeigen vor.“ Der Verlag Der Weiße Ritter kann damit für die Untersuchung von Medien- und Kulturmärkten und für die eben genannten Werbemaßnahmen als exemplarisch gelten. Aber wann kommt es dazu, dass aus einem einseitigen ein zweiseitiger Markt wird? Wann war der Leserinnen- und Leserkreis groß genug, damit sich für ein anderes Unternehmen das Schalten von Werbeanzeigen lohnte oder galt die gegenseitige Bewerbung innerhalb der Jugendbewegung als Freundschaftsdienst? Die im Zitat benannte Anzeigenbeilage ist nur selten erhalten, doch bereits früh setzten die jungen Verleger ihre Absichten in die Tat um. Die Werbeseite in Abbildung 11 stammt aus dem dritten Heft des zweiten Jahrgangs, also aus dem Frühjahr 1920, und ist auf der zweiten Seite des Heftes zu finden. Diese Seite ist kein Beispiel für die angekündigte lose Anzeigenbeilage, sondern direkt in den Druck mit aufgenommen. Es ist eine ganzseitige Anzeige, die in vier Teile untergliedert und ästhetisch gestaltet ist. Auffällig ist die für die Zeitschrift ungewöhnliche Schriftart – eine Referenz auf die zeitgenössische Mode der serifenlosen Schriften. Die Rahmung erinnert an florale Elemente des Jugendstils. Der oberste, schmalste Teil fungiert als Überschrift mit Adresse des Verlages, durch den die folgenden Publikationen zu beziehen sind. Darauf folgen Anzeigen für die teils bereits in Kapitel 3.3.1 besprochenen Publikationen: „Der Zwiestrolch“, die durch Ernst Heimeran herausgegebene Schülerzeitung; „Schloß Prunn“, das erste Sonderheft des zweiten Jahrgangs des „Weißen Ritter“, in welchem die ersten großen Treffen der deutschen und österreichischen Pfadfinder inklusive der Anliegen der „Erneuerungsbewegung“ und damit der Neupfadfinder Habbels und Voggenreiters dokumentiert sind; und „Der Aufbau“, der gesammelte erste Jahrgang der Zeitschrift, die ab diesem Zeitpunkt den Namen „Der Weiße Ritter“ trug. Die Werbeanzeigen beinhalten jeweils eine Art Logo zur Wieder-
221 Zum two sided market vgl. Kapitel 2.2; siehe auch: Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte.
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erkennung der jeweiligen Publikation. Es sind ausschließlich „Neuerscheinungen“ des Verlages Der Weiße Ritter aufgeführt, ein Umstand, der nach einer nur wenige Monate vergangenen Verlagsgründung keine Überraschung ist. Die aufgeführten Publikationen waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen des Verlages.
Abbildung 11 Ganzseitige Werbeanzeige, Umschlagseite innen vorne. Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 3, Regensburg 1919, UB HD DJ 254.
Ein etwas anderes Erscheinungsbild zeigt sich bei der in Abbildung 12 gezeigten Seite. Sie ist Teil des angekündigten Anzeigenteils im hinteren Teil des vierten Heftes des dritten Jahrgangs (Mitte 1921). Der Anzeigenteil hat insgesamt zwölf Seiten. Hier zu sehen sind zwei Inserate in je einer Kastenumrandung. Die Titel sind durch Schriftgröße und Fettdruck deutlich hervorgehoben. Beide Inserate sind ganz im Gegensatz zu der oben gezeigten Werbeseite in einer gebrochenen Schrift gedruckt, die Schrifttypen wie der Schwabacher und der Fraktur ähneln und die einen weit früheren Ursprung
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haben als die vorherige (15./16. Jahrhundert). In der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ finden sich diese oder verwandte Schrifttypen sehr häufig. Die obere Anzeige wirbt für die sendungsbewusste Zeitschrift „Der junge Deutsche. Blätter für die Baumeistergedanken zum rechten deutschen Leben“. Sie erschien im Verlag Matthes und Thost Leipzig/Hartenstein. Wilhelm Thost war lediglich 1919 bis 1923 Mitinhaber des Verlages, davor und auch danach führte Erich Matthes, der im Wandervogel aktiv war, den Verlag allein. Auch die zweite Anzeige schaltete Matthes und bewarb hiermit „Der g’wampet Feldscher“, ein Erst-Helfer-Buch, das dem Handbuchmarkt der Jugendbewegung der Zeit entsprach, der auch im Weißen Ritter Verlag ausgebaut wurde. Matthes hatte seit Beginn seiner Verlagstätigkeit 1913 bereits antisemitische Schriften veröffentlicht und weitete sein heimatliterarisches und völkisches Programm über die Jahre hinweg deutlich aus, sodass zum Beispiel 1920 der Zeitroman „Die Sünde wider das Blut“ von Arthur Dinter bei ihm verlegt wurde. Matthes langjähriger Freund und Wegbegleiter Friedrich Krauss schreibt über ihn, er habe mit dem Verlag nie „das große Geld“ verdient, stattdessen sei es Liebhaberei, gar eine Mission gewesen, auf der Matthes sich befand. Für Habbel und Voggenreiter finden sich ähnliche Beschreibungen und Selbstbeschreibungen. Allerdings haben sie alle Gewinne erwirtschaften können, trotz der herausgestellten hehren Absichten. Für die dritte Möglichkeit der Werbeanzeige – die in einem anderen Verlag – findet sich aus dem Jahr 1924 ein Beispiel in der Zeitschrift „Das junge Volk“ aus dem Günther Wolff Verlag. In Heft 5 des fünften Jahrgangs ist beispielsweise eine sehr präsente, da auf der Umschlagseite vorne innen gedruckte Werbeanzeige des Verlages Der Weiße Ritter zu erkennen, die den Hinweis auf „Die Spur“ und fünf der Bücher aus der Reihe „Bücher der Waldverwandtschaft“ enthält.222 Die Zeitschrift „Das junge Volk“ begann zeitgleich mit dem „Weißen Ritter“ zu erscheinen und richtete sich an ein ähnliches Publikum, allerdings war die Thematik der meisten Artikel deutlicher auf die Grenzen Deutschlands nach Osten und die Situation der Auslands- und Grenzdeutschen gerichtet. Durch diese Werbeanzeigen konnte die potenzielle Käuferinnen- und Käuferschaft durch die Ansprache eines außerhalb der eigenen Zeitschriftenleserinnen und -lesern liegenden Kreises erhöht werden. Beispiele hierfür gab es en masse, exemplarisch soll allein dieses eine hier genannt werden. Nicht nur Matthes, auch diverse andere Verleger inserierten im „Weißen Ritter“, der wiederum in Produkten anderer Verlage wie dem Günther Wolff Verlag seine Werbung unterbrachte, wodurch der von Dewenter und Rösch angesprochene Netzwerkeffekt wirksam wurde. Das Netzwerk der jugendbewegten Verleger war so dicht, dass sie für ihre Produkte gegenseitig warben, so erreichten sie einen an der bündischen Kultur interessierten Käuferinnen- und Käuferkreis und hatten dennoch verschiedene Produkte.
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Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 5, Plauen im Vogtland 1924, Umschlagseite vorne innen.
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Abbildung 12 Ganzseitige Werbeanzeige aus dem Anzeigenteil. Der Weiße Ritter, Jg. 3 (1920/21), Heft 4, Regensburg 1921, UB HD DJ 254.
Wie aber zeigen sich der Markt und die Marktbedingungen durch die Anzeigen? Der Schriftverkehr zwischen Anzeigenkunden und dem Verlag Der Weiße Ritter ist nur in wenigen Ausnahmefällen überliefert, zu den oben gezeigten existiert er nicht. Dafür sind Korrespondenzen andere Bücher betreffend erhalten, die einen Einblick in die Praxis geben. Beispielsweise war es üblich, dass in Büchern nicht allein die weiteren Veröffentlichungen des Verlages, sondern auch weitere Arbeiten des betreffenden Autors beworben wurden. Dies zeigt eine kurze Notiz aus einem Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter, in welchem Zimmermann in seinem im Erscheinen begriffenen Spielbuch um eine Viertelseite kostenfreien Werbeplatz für seine österreichische Pfadfinderzeitschrift „Unser Weg“ bittet. Einzig die Preisgestaltung – kostenfrei oder nicht – schien fraglich. Dass Werbung im Buch enthalten sein würde,
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wurde nicht in Frage gestellt.223 Diese Bitte wiederholt er zwei Wochen später in einem erneuten Brief, nachdem sich einige Fragen des ersten Briefs bereits erledigt hatten.224 Auch auf der Ebene der Verlage erfolgten solche Absprachen wie sich im Schriftwechsel Voggenreiters mit der Verlagsbuchhandlung C. H. Beck in München zeigt: Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie seine [Ludwig Reeg’s, F. M.] Bücher in dem bei Ihnen in Druck befindlichem Buche anzeigen wollen und wollen auch Ihr Buch möglichst in alle neuen Auflagen bei uns aufnehmen. Wir glauben, dass es sicher wertvoll ist, wenn Reegs Bücher mal in einem anderen Verlag erscheinen, zumal wenn es sich um ein ganz anders gerichtetes Buch wie die bisherigen handelt.225
Damit ist ein weiterer Effekt dieser Werbung angesprochen: Absprachen dieser Art können einerseits als eine Anzeige für einen anderen Verlag gelesen werden, andererseits aber auch als eine Anzeige für den gleichen Autor und damit mit dem Zweck der Erweiterung der Sichtbarkeit des im Verlagsprogramm geführten Schriftstellers. Ein weiteres Werbemittel, das sich Voggenreiter zunutze machte, waren Besprechungen und Rezensionen über die Bücher, die er verlegte. In den Akten des Voggenreiter Archivs sind aus den späten 1920er und den frühen 1930er Jahren vermehrt Antworten auf Anfragen von Voggenreiter an verschiedene Persönlichkeiten erhalten, die ihr Urteil zu einigen Büchern abgeben sollten. Der Verleger fragte dabei wohl nicht nur Personen, die eine Rezension in einer Zeitung oder Zeitschrift unterbringen konnten, sondern auch jene, von denen er glaubte, ein valides Urteil zu bekommen. Gewertet werden kann diese Praxis zum einen als eine Art Marktanalyse: Durch die Urteile konnte bestimmt werden, ob das Buch guten Absatz finden würde, ob und wie hoch eine eventuelle (Neu)Auflage zu drucken sei und ob der Autor gebeten werden sollte, etwas daran zu ändern. Für diese vom Verleger eingeholten Meinungen interessierten sich die Autoren ebenfalls. Beispielsweise fragt Paul Alverdes nach dem Urteil zum 1928 in zweiter Auflage erschienenen Buch „Der Wildtöter“, dessen Übersetzung er vorgenommen hatte,226 und bittet um Mitteilung, sollte es kritische Stimmen geben.227 Zum anderen konnten diese Urteile in Ankündigungsschreiben für eine Neuerscheinung abgedruckt werden und boten den potenziellen Käuferinnen und Käufern einen Kaufanreiz. In einem kleinen Werbekalender des Verlages Der Weiße Ritter für das
Vgl. Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter vom 14. Juni 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 224 Vgl. Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter vom 28. Juni 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 225 Brief von der Beck’schen Verlagsbuchhandlung München (Unterschrift unleserlich) an Ludwig Voggenreiter vom 4. Oktober 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 226 Vgl. Kapitel 3.3.1. 227 Vgl. Postkarte von Paul Alverdes an Ludwig Voggenreiter vom 20. Dezember 1928, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 223
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Jahr 1927 beispielsweise ist in der Werbeanzeige für „Otto der Ausreißer“ von Gustav Naumann der Text zu finden: Hindenburg: schreibt über dieses Buch: „Ich werde das Buch meinem Enkelsohn zu lesen geben. Daraufhin werde ich es in meine Kriegsbibliothek einreihen, damit es auch für später meinen jüngeren Enkelsöhnen ein zum Nachdenken über sich selbst anregendes Buch sein möge.[“]228
Die positive Kritik über dieses Buch von einer in Deutschland derart bekannten Persönlichkeit versprach offensichtlich Erfolg im Absatz. Hindenburgs Stellung und Ansehen in der Gesellschaft übertrug sich durch seine Äußerung zu diesem Buch durch Assoziation auch auf das Buch. Inflation Die Weimarer Zeit war eine Zeit voller Krisen und das sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Nachdem die Kriegswirtschaft wieder zu einer zivilen Wirtschaft umgebaut worden war, beschleunigte sich die Inflation durch die hohe Staatsverschuldung während des Krieges, die verschiedenen Gegenmaßnahmen wie die Ausweitung der Geldmenge sowie die ausstehenden Reparationszahlungen. Bereits Ende 1922 war dieser Effekt in der deutschen Wirtschaft mehr als deutlich zu spüren und auch im Buchhandel schlug sich die Entwertung des Geldes nieder: Seit Mitte 1922 wurde vom Börsenverein der deutschen Buchhändler229 eine Schlüsselzahl herausgegeben, mit welcher der Grundpreis eines jeden Buches multipliziert werden musste, um die Preise an die täglich veränderte Inflationsrate anpassen zu können. Feste Preise bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.230 Auch in den Verlagen verschlimmerte sich die Lage.231 Was in Bezug auf die Preisgestaltung untersucht werden kann, sind die Preise der abgeschlossenen Jahrgänge der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ unmittelbar nach ihrem Erscheinen: in der in Abbildung 11 abgedruckten Anzeige wird „Der Aufbau. Einer Führerzeitung erstes Jahr“ als Jahresausgabe, also 12 Hefte und ein Sonderheft, für 6 Mark angepriesen (gebunden 10 Mark); verglichen mit dem Preis für „Der Weiße Ritter. Einer Führerzeitung zweites Jahr“, wieder 12 Hefte und diesmal drei Kunstbeilagen, so ist eine Steigerung zu vermerken. 13 Mark in Heften ohne Nummer 1, gebunden 22 Mark, mit dem Sonderheft „Schloß Prunn“ 25 Mark – von 1919 auf 1920 also eine Preisstei-
Prospekt „Der Weisse Ritter Verlag Potsdam seinen Freunden ein frohes Jahr 1927“, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Mappe 1927. 229 Zum Börsenverein vgl. Kapitel 2.3. 230 Vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags 1922, Berlin [November] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 231 Vgl. Kapitel 4.3. 228
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gerung um den Faktor 2,5.232 Ende 1922 stieg die Inflationsrate derart an, dass sich nun im Verlagsbericht mit der Schlüsselzahl des Börsenvereins deutscher Buchhändler ausgeholfen wurde (25. November 1922 war es der Faktor 300). Die Grundpreise für den vergangenen ganzen Jahrgang „Der Weiße Ritter. Einer Führerzeitung drittes Jahr“, diesmal nur 6 Hefte, beliefen sich auf 6 Mark in Heften (= 1.800 Mark), in Halbleinen gebunden und mit einer Titelprägung in Gold 10 Mark (= 3.000 Mark) und die Vorzugsausgabe auf holzfreiem Papier in Halbleder gebunden 16 Mark (= 4.800 Mark).233 Es zeigt sich, welche Angebote der Verlag seinen Käuferinnen und Käufer machte – einfache Ausgaben in Heften oder luxuriöser mit Prägedrucktitel oder in Leder, dem jeweiligen Geldbeutel angemessen. Nichtsdestotrotz bedeutete das eine Preissteigerung um das 300-fache. Mit einem Blick ins Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich234 der Jahre 1921 bis 1923 kann festgestellt werden, dass die Lebenshaltungskosten inklusive Bekleidung im gleichen Zeitraum um das 42,8-fache, Ernährungskosten um das 44,7-fache stiegen. Ins Verhältnis gesetzt mit dem Lohn beispielsweise eines Buchdruckers, der innerhalb dieser zwei Jahre eine Steigerung um das 21,8-fache erfuhr, bei dem Lohn eines mittleren Beamten sogar nur das 19-fache, konnte die Lohnentwicklung nicht mit den gestiegenen Kosten mithalten. Alles in allem wird deutlich, dass die Lage angespannt war, Bücher zu Luxusgütern zählten und eine bedeutende Preissteigerung erfuhren, die weit über den Lohnsteigerungen lag. Trotzdem hat auch der Verlag Der Weiße Ritter diese wirtschaftlich schwere Zeit überstanden und seine Kundinnen und Kunden nicht verloren. Wie deutlich sich die Inflation auf das Verlagsgeschäft und auf die Kommunikation und Verhandlungen mit Autorinnen und Grafikern auswirkte, kann am Beispiel des Buches „Die Sündflut“ von Wilhelm Matthießen gezeigt werden. Am 26. Februar 1922 schrieb der Schriftsteller Matthießen – wohl schon zum zweiten Mal – einen Brief an Ludwig Voggenreiter als Antwort auf einen Brief vom 11. Februar 1922. Darin formuliert er in ausführlicher Weise, dass er vom Schreiben leben müsse und so die Notwendigkeit bestehe, dass er für seine Manuskripte ein angemessenes Honorar bekäme. Daher fordert er von Voggenreiter bessere als die bisher zur Diskussion stehenden Vertragsbedingungen, da er sonst das Manuskript anderen Verlagen anbieten und ein
Der Weiße Ritter, Jg. 3 (1920/21), Heft 1, Regensburg 1920, Umschlagseite vorne innen. Vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags 1922, Berlin [November] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 234 Die notwendigen statistischen Zahlen finden sich in den Ausgaben der Jahre 1921/22, Kapitel IX. Preise, S. 281–311 und 1923, Kapitel IX. Preise, S. 278–311; mit Hilfe einer Verhältnisrechnung können die hier angegebenen Teuerungsraten in Prozent des Startpreises angegeben werden, vgl. Kapitel IX. Preise, in: Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jg. 42, Berlin 1922, S. 281–311 [Onlinefassung], URL: http://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303_1921 [02.07.2020]; Kapitel IX. Preise, in: Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jg. 43, Berlin 1923, S. 278–311 [Onlinefassung], URL: http://www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303_1923 [02.07.2020]. 232 233
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besseres Angebot erhoffen müsse. Er bezieht in seine Verhandlungen seine Erfahrungen mit seinem Buch „Gespensterschloß“ ein, das kurz zuvor im Jahr 1922 im Erich Matthes Verlag erschienen war und einen Verkaufspreis von 20 Mark hatte. Er rechnet Voggenreiter vor, dass bei einer Auflage von 2.500 Exemplaren schon ein Umsatz von 50.000 Mark erreicht werde, bei einem Honorar von 10 % wären das für den Autoren bereits 5.000 Mark.235 Drei Annahmen liegen dem zugrunde: Erstens, dass das Werk von Matthießen im Verlag Der Weiße Ritter ebenfalls für 20 Mark verkauft werden würde, zweitens, dass das Honorar von 10 % angemessen sei und drittens, dass auch die „Sündflut“ eine Auflage von 2.500 Exemplaren haben würde. Letzteres kann nicht überprüft werden. Die ersten beiden Annahmen treffen Anfang 1922 zu, denn auch wenn im Großteil des Untersuchungszeitraums kein Buch, das im Weißen Ritter Verlag erschien, einen Verkaufspreis von 20 Mark erreichte, belegt das Verlagsverzeichnis von Anfang 1922 eine Preisspanne von 5 bis 50 Mark pro Buch236 – je nach Umfang, Papierqualität und Ausstattung. Außerdem waren 10 % Honorar sogar der niedrigste Satz, den Voggenreiter für gewöhnlich vertraglich festhielt und entsprach den zeitgenössischen Normen237. Abgesehen davon forderte Matthießen eine Vorauszahlung von 2.000 Mark. Für die Illustration dieser Veröffentlichung war der Grafiker Otto Linnekogel angefragt worden, dessen Antwort vom 12. März 1922 sich, wie er schrieb, verzögert habe. Zur Zeit seines Briefs an Voggenreiter seien zudem all seine Grafiken in Leipzig zur Buchmesse ausgestellt, weshalb er nur zwei erste „flüchtige“ Skizzen zur „Sündflut“ im vorgesehenen Satzspiegel mitschickte. Auch hatte er die Druckerei Wolf und Sohn, die seine „Lithos“ druckte, gebeten, Voggenreiter ein Angebot zu machen.238 Wie sehr sich die Lage noch verschlechterte, kann an einem weiteren Brief Matthießens an Voggenreiter abgelesen werden. Ende September 1922 bittet er Voggenreiter erneut um eine Überweisung für das verspätet erscheinende Buch „Die Sündflut“: Freundlich möchte ich noch anfragen ob es sich nicht ermöglichen ließe, daß Sie mir noch einmal vielleicht 2–300 M anwiesen. Erstens hat sich ja die Herausgabe gar so lange verzögert, und zweitens sind die Preise so gestiegen, daß diese Vorauszahlung nicht einmal 20 Goldmark oder Friedensmark bedeuten würde. Als „freier“ Schriftsteller steht man heute in einem so hartem Kampf ums dasein, daß man (– hätte man nicht seine Kunst, von der man sich aber nicht einmal ein Stück trocken Brot abschneiden kann –) jeden Kanalarbeiter beneiden würde. Bitte tun Sie mir also den Ge-
Vgl. Brief von Wilhelm Matthießen an Ludwig Voggenreiter vom 26. Februar 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. 236 Deutlich geringer fielen die „Grundpreise“ aus, die im Herbst 1922 im Verlagsbericht angegeben wurden und zwischen 0,30 Mark und 10 Mark lagen, vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags 1922, Berlin [November] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 237 Vgl. Kapitel 2.3. 238 Vgl. Brief von Otto Linnekogel an Ludwig Voggenreiter vom 12. März 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 235
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fallen und weisen mir das Geld so bald es möglich ist an. Ich würde Ihnen sehr dankbar dafür sein.239
In diesem Zitat zeigt sich die Selbstwahrnehmung Matthießens als dem Markt ausgeliefert und nicht befähigt, sich aus dieser Lage zu befreien. Tatsächlich erschien der Band „Die Sündflut“ noch bis November des Jahres 1922, wie aus dem Verlagsbericht vom 25. November hervorgeht, inklusive vierer Lithografien von Linnekogel. Die angegebenen Preise für das 60 Seiten starke Buch betrugen für ein broschiertes Exemplar 2 Mark, im Pappband 3 Mark und in Ganzleinen 6 Mark – jeweils mit der neuesten Schlüsselzahl multipliziert.240 In welcher Auflage es gedruckt wurde, kann nicht nachvollzogen werden, weshalb auch die Honoraransprüche, die Matthießen stellte, nicht beurteilt werden können. Ein anderer Autor des Verlages Der Weiße Ritter wandte sich mit einer Projektidee zur Stärkung junger Dichtung und des Verlages in Zeiten der Geldentwertung an Ludwig Voggenreiter. Eugen Roth, der 1923 das erste und einzige Buch mit Sonetten „Der Ruf “ bei Voggenreiter erscheinen ließ, beschrieb seine Idee einer Stärkung und Querfinanzierung von „junger Dichtung“ in einem Brief an Voggenreiter vom 19. Oktober 1923. Deutlich sind die Zeichen der Inflation auch aus diesem Brief herauszulesen, wenn sich Roth beispielsweise über die Portogebühren beklagt. Auch seine Konzeption einer Reihe von „junger deutscher Dichtung“ ist durch die schwierige finanzielle Lage in Deutschland motiviert. Sein Plan war es, im deutschsprachigen Ausland – Schweiz, Österreich – genauso wie unter den Auslandsdeutschen in den Ostgebieten, aber auch in Amerika etwa 1.000 Interessierte zu finden, die mit einer sicheren Abnahme der ersten 1.000 Exemplare den Druck von 1.500 Exemplaren finanzierten, so dass durch die sichere Währung in anderen Ländern außerhalb Deutschlands die Werke während der Inflation überhaupt wirtschaftlich gedruckt werden und die Bücher durch diese Querfinanzierung aus dem Ausland den Reichsdeutschen günstiger verkauft werden könnten. Hierin spiegelt sich das Schwinden der Kaufkraft innerhalb der Reichsgrenzen. Roth berichtet auch von seinen Vorgesprächen mit möglichen ersten Subskribenten aus der Schweiz und von anderen Verlegern, die die Idee für machbar hielten. Auch wirbt er darum, dass Voggenreiter diese Reihe ins Leben rufen solle, da er das Verlagsprofil für passend hielt.241 In den Akten des Voggenreiter Verlages ist kein weiterer Schriftwechsel zu dieser Thematik erhalten – Roths Vorschlag fiel zeitlich mit dem Höhepunkt der Inflation in Deutschland zusammen. Möglicherweise
Brief von Wilhelm Matthießen an Ludwig Voggenreiter vom 23. September 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 240 Vgl. Verlagsbericht des Weißen Ritter Verlags 1922, Berlin [November] 1922, Voggenreiter Archiv, Ordner 15. 241 Vgl. Brief von Eugen Roth an Ludwig Voggenreiter vom 19. Oktober 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 7. 239
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war ein Handeln in der vorgeschlagenen Weise schon Ende des Jahres 1923 nicht mehr notwendig. Ein Jahr später jedoch findet sich im Programm des Weißen Ritter Verlages die Reihe junger Dichtung und Philosophie in der „Grenzlandbücherei“, in der die Auslands- und Grenzdeutschen Gebiete thematisiert wurden und über Fahrten dorthin und über Heimat- und Volkskunde geschrieben wurde. Beispielsweise wurde Erich Maschkes Volksmärchensammlung „Sachsen-Märchen aus Siebenbürgen“ in dieser Reihe herausgegeben.242 Nachdem im November 1923 die Rentenmark eingeführt worden war und nach und nach eine Stabilisierung des Geldwertes begann, hatte es der Verlag über die Krise hinweg geschafft und begann mit dem Tagesgeschäft. Wenige Jahre blieben bis zur nächsten Krise. Ein Hinweis auf die überstandene Inflation ist im ersten Heft des fünften Jahrgangs des „Weißen Ritter“ zu finden, das Anfang 1924 erschien. Hier werden neben der Anschrift für ein Abonnement die Preise des Weißen Ritter genannt: „Bezugspreis für das 1. Halbjahr 1924 G.-Mk. 3,50 einschließlich Zusendung, für das 2. Halbjahr G.-Mk. 3,–“.243 G.-Mk. weist auf die zu diesem Zeitpunkt erneut eingeführte Goldmark von vor 1914 hin, die mit der Währungsreform vom November 1923 der Rentenmark beziehungsweise der Reichsmark gleichgesetzt wieder zugelassen wurde. Auch in der darauffolgenden Anzeige für Karl Wilkers „Der Lindenhof “ im gleichen Heft wird unmittelbar darunter der Preis als „3 Goldmark“ ausgewiesen. Weitere finanzielle Unsicherheiten 1925 und 1931 Mit der unvorhergesehenen Ausgabe für die Bestände des wegen Insolvenz 1925 aufgelösten Habbel und Naumann Verlages244 scheinen sich die Voggenreiters verspekuliert zu haben und kamen selbst in wirtschaftliche Probleme, die sie 1926 zum Handeln zwangen. In einer Denkschrift formulierten sie die Verdienste, die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten des Verlages für die deutsche Jugend und für die Lehrinstitutionen und baten um (finanzielle) Unterstützung bei den zuständigen staatlichen Stellen – ein verzweifelter Schritt, wie es scheint. Schon die bisherige grosse Wirkung war, da ja nicht aus gewinnsüchtigen Gründen gearbeitet wurde, nur denkbar durch dauernde jahrelange Opfer des Verlagsleiters und einiger, ihm nahe stehender Freunde. Für weitere Arbeiten sind angesichts der alles erschwerenden Wirtschaftskrise, keine Mittel vorhanden, ja durch Kündigung def [sic!] bisherigen Hilfe des Hauptdruckers ist auch der Weiterbestand des gesamten Werkes völlig in Frage gestellt. Nachdem 7 Jahre lang in der Stille, ohne Anrufen der weiteren Öffentlichkeit,
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Vgl. Maschke, Erich (Hrsg.): Sachsen-Märchen aus Siebenbürgen, Potsdam 1925. Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924. Vgl. Kapitel 3.3.1.
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planmäßige, weitausholende Arbeit geleistet wurde, hält der Verlag heute einen ersten Abschluss insoweit für gekommen, als das Erreichte prüfenden Augen derjenigen Stellen vorgelegt werden soll und kann, die von Staatswegen ähnliche Wege und Ziele verfolgen, und die zur Hilfe aufzurufen, die oben geschilderte Lage den Verlag gebieterisch zwingt.245
Deutlich wird herausgestellt, dass das eigene Bestreben nicht der Bereicherung diente, sondern der Arbeit am Gemeinwohl. Worauf diese Argumentation dennoch hinausläuft, ist die Bitte um finanzielle Unterstützung dieser Kulturarbeit an „geeignete[n] Stellen“. Vor allem durch die nur knapp zweieinhalb Jahre vergangene Wirtschaftskrise und die Inflation sei der Verlag in einer schwierigen Finanzlage. Aber auch die Kündigung des Hauptdruckers machte dem jungen Unternehmen zu schaffen. Es waren aber, wie gezeigt, nicht diese Gründe allein, die die finanzielle Lage des jungen Unternehmens gefährdeten, die eigenen Fehler – die Übernahme von Teilen des Habbelund Naumann-Bestandes – verschwiegen sie in diesem Papier. Doch schon nahte die nächste Wirtschaftskrise, die deutsche wie auch Unternehmen weltweit in Bedrängnis brachte: Die Weltwirtschaftskrise 1929 und ihre Folgen. Durch diese Krise mussten in Deutschland auch die Verleger Schulden aufnehmen, die dann teils eingefroren wurden, um eine Inflation der Schulden zu verhindern. Hiervon waren junge Unternehmer umso mehr betroffen, da sie in der kurzen Zeit der Stabilisierung keinerlei finanzielle Sicherheiten anlegen konnten. Heinrich Voggenreiter berichtet in einem Interview von 1979 von den finanziellen Hürden, vor denen er und sein Bruder Ludwig damals standen.246 Er skizziert in Kürze die Entwicklung der Umsätze des Verlages: „Wenn ich mich so an die Jahre ’25, ’26, ’27 erinnere, dann lag der Gesamtumsatz in der Zeit immer so zwischen 30.000 und 50.000.“247 Allein eine Zeitschrift wie „Der Weiße Ritter“ mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren und einem Jahresabopreis von 12 Mark bedeutete 24.000 Mark Umsatz, ein Buch von einer bei Voggenreiter üblichen Auflage von 3.000 bis 5.000 Exemplaren und einem Ladenpreis von 2,50 Mark entsprach einem Umsatz von 7.500 bis 12.500 Mark. Diese von Heinrich Voggenreiter genannte Zahl ist damit sehr niedrig. Zumal, wenn davon ausgegangen werden kann, dass nur etwa 10 % davon als Gewinn für den Verlag übrigblieben, was 3.000 bis 5.000 Mark gewesen wären. Ein üblicher Lohn bei über 24-jährigen, ledigen Buchdruckern lag Ende 1924 bei 28,37 Mark wöchentlich, also 113,48 Mark monatlich, eine Stenotypistin verdiente monatlich 132,30 Mark im Textilgroßhandel und 247,85 Mark als Bankangestellte, bei Beamten war die Differenz zwischen den Gehalts-
245 Voggenreiter, Ludwig / Voggenreiter, Heinrich: Denkschrift über die Grundlagen und Absichten, die bisherige und zukünftige Arbeit des Weissen Ritter Verlages, Potsdam 1926, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. 246 Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 247 Ebd.
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
klassen sehr ausgeprägt und reichte von einem Durchschnittsgehalt von 118,25 Mark der Gehaltsklasse I bis hin zu durchschnittlich 820,25 Mark in Gehaltsklasse XIII.248 Selbst ein geringer monatlicher Lohn, wie der eines Buchdruckers, bedeutete damals ein jährliches Einkommen von 1.361,76 Mark. Wenn sich also die Voggenreiters selbst und ihren ersten Mitarbeitern ein geringes Gehalt auszahlten, Lohnnebenkosten und Anschaffungen für den Verlag zu zahlen hatten, war der Gewinn des Verlages bis Mitte der 1920er Jahre nicht wirtschaftlich auskömmlich. Offenbar zeichnete sich die allgemeine Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre im Verlag Der Weiße Ritter noch deutlicher ab und die finanziellen Sorgen durchzogen nahezu die gesamte Verlagskorrespondenz. Einige Bücher projektierte der Ludwig Voggenreiter Verlag dennoch, wie sich an dem „Beschäftigungsspielbuch“ Leopold Zimmermanns von 1930 zeigt. Auch wie sich ein Werk refinanzierte, kann aus der überlieferten Quellenlage rekonstruiert werden. Die Kommunikation des Verlages Ludwig Voggenreiter, die in diesem Fall Heinrich Voggenreiter führte, bestätigt den zeitgenössisch üblichen Buchhandelsrabatt, den Voggenreiter hier mit 35 bis 40 % angab.249 Aus diesem Brief lassen sich die Vorstellungen zum Autorenhonorar Zimmermanns und die Richtigstellung Voggenreiters erkennen. Vor allem aber kann aus dem Brief Voggenreiters an Zimmermann der angesetzte Ladenpreis von 1,80 oder 2 Mark erfahren werden.250 Heinrich Voggenreiter fragte für dieses Buch zunächst telefonisch bei der Theodor Püchel Buch- und Kunstdruckerei aus Güsten-Anhalt an. Diese schickte am 10. März 1930 ein Angebot, in welchem die notwendigen Kosten aufgelistet wurden: „Satz pro Seite Rm. 6.– für Umbruch, Zurichten und Druck pro Tausend Auflage Rm. 30.– pro achtseitigem Bogen. Buchbinderarbeit, wenn Umfang 64 Seiten und Fadenheftung pro Tausend Auflage Rm. 75.–“251 Der Umschlag wurde hierbei noch nicht angeboten, da der Druckerei hierzu weitere Angaben des Verlages fehlten. Aus dem Verlagsvertrag zu dem genannten Werk lässt sich ablesen, dass eine Auflage von 3.000 bis 5.000 Exemplaren angestrebt wurde und der Autor 500 Mark pauschal bekommen sollte.252 Die Bilanz sah also folgendermaßen aus:
Vgl. Kapitel IX. Löhne und Arbeitsmarkt, A Löhne und Gehälter, in: Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jg. 44 (1924/25), Berlin 1925, S. 276–286 [Onlinefassung], URL: http://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303_1924 [30.06.2020]. 249 Vgl. Kapitel 2.3. 250 Vgl. Brief von Heinrich Voggenreiter an Leopold Zimmermann vom 24. Februar 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 251 Angebotsschreiben der Firma Theodor Püchel Buch- und Kunstdruckerei an den Ludwig Voggenreiter Verlag vom 10. März 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 252 Vgl. Verlagsvertrag zwischen Leopold Zimmermann und dem Ludwig Voggenreiter Verlag, o. D., Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 248
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Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau
Tabelle 1 Beispielrechnung der Buchfinanzierung zu Leopold Zimmermanns „Bilder-Spiele und Denksport-Aufgaben“, 1930 erschienen im Ludwig Voggenreiter Verlag. 3.000 Exemplare
5.000 Exemplare
Einnahmen: Angenommener Ladenpreis: 1,80 Mk
5.400 Mk
9.000 Mk
abzüglich – (Buchhändler)Rabatt
40 % (2.160 Mk)
40 % (3.600 Mk)
– Honorar Autor
500 Mk pauschal (9,3 %)
500 Mk pauschal (5,6 %)
– Satz bei 64 Seiten (pro Seite 6 Rm)
384 Mk
384 Mk
– Druck pro Tausend Auflage pro achtseitigem Bogen 30 Mk, bei 64 Seiten (vier achtseitige Bogen)
360 Mk
600 Mk
-– Fadenheftung bei 64 Seiten pro Tausend Auflage 75 Mk
225 Mk
375 Mk
1.771 Mk
3.541 Mk
Zwischenbilanz:
In dieser Bilanz noch nicht inbegriffen sind Kosten für Klischees, die Gestaltung und den Druck des Umschlages, genauso wie die Betriebskosten des Verlages und die Honorare der Verlagsangestellten, eventuelle Postgelder und die vertraglich fixierten 10 % honorarfreien Exemplare für Dedikationen und Rezensionen oder Ähnliches. An dieser Rechnung wird klar, dass die Projektierung der Bücher bei Voggenreiter eng gestrickt war. Heinrich Voggenreiter selbst war von Februar bis mindestens Juli – verfolgt man die Korrespondenz zwischen Zimmermann und Voggenreiter – unter anderem mit diesem Buch beschäftigt: Korrekturlesen, Angebote einholen und verhandeln, Verträge ausstellen, Annoncen schalten und Werbung unterbringen, Korrespondenz mit dem Autor und mit der Druckerei und weiteres. Dennoch kann das Buch wirtschaftlich dargestellt werden und bei einer 3.000er-Auflage wäre eine idealtypische Drittelkalkulation nicht weit entfernt: Nimmt man die 40 % Buchhandelsrabatt an, bleiben je 30 % für die Herstellungskosten und alle weiteren Kosten inklusive Honorare. Das Angebot der Druckerei belief sich auf insgesamt 969 Mark, wodurch noch 651 Mark zu diesem Drittel fehlten, die möglicherweise nicht völlig durch Buchumschlagmaterial und -gestaltung angerechnet werden mussten. Bei dem Zimmermann versprochenen Honorar kann jedoch deutlich gezeigt werden, dass es tatsächlich unter dem normalerweise von Voggenreiter gezahlten Honorar lag – bei einer Auflage von 3.000 waren 500 Mark 9,3 %, bei einer Auflage von 5.000 nur 5,6 %. Diese Festlegung mag zum einen mit der Unwissenheit Leopold Zimmermanns zusammengehangen haben, auch wenn er das niedrige Honorar monierte. Ein anderer Grund könnte die ideelle Verbundenheit und die freiwillige gering bezahlte Arbeit für die Pfadfinderidee
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
gewesen sein, genauso wie Berechnung von Seiten Voggenreiters, um ihren Anteil und somit ihren Gewinn in dieser Krisenzeit zu steigern. Hinweis auf die Notwendigkeit, vermehrt Gewinne zu machen, ist die Äußerung von Carl Rothe, der als Berater Ludwig Voggenreiters in einem Brief an Herbert Pfretzschner, der einen Spanienfahrt-Bericht beim Voggenreiter Verlag drucken lassen wollte, am 3. Juli 1931 formulierte, dass „auf Grund der Marktbeurteilung und unter Berücksichtigung der Verluste, die der Verlag im vorigen Jahre durch Koebel und die Bündigung erlitten hat“253 kein Druck möglich wäre. Doch nicht nur die Person Koebels und der Zusammenschluss der Bünde zur Deutschen Freischar belasteten den Verlag nachhaltig, sondern auch die gesamtgesellschaftliche beziehungsweise wirtschaftliche Lage in Deutschland. Rückblickend schreibt Ludwig Voggenreiter über seine Anfänge und solche gruppeninternen kleinen Publikationen: „An die Veröffentlichung kleinerer Sachen denke ich augenblicklich weniger. Sie sind unendlich schwerer durchzusetzen und lohnen nicht wie grosse Werke den Aufwand für die Propaganda. Ich habe früher in dieser Richtung viele Fehler gemacht, die ich nicht wiederholen möchte.“254 Die wirtschaftlich schwierige Situation brachte ihn also nach eigener Aussage dazu, sein Verlagsprofil zu überdenken und nicht mehr jedes Manuskript, so wichtig er es auch für die Bewegung der Bündischen empfand und so sehr es seinen Idealen entsprach, aufzunehmen. Deutlich fasste er das auch in einem Brief an Johannes Rädlein im März 1931 zusammen: „Ich habe meine Verlagsarbeit im Laufe der letzten Jahre stark auf dem Gebiet des eigentlichen und praktischen Jugendschrifttums spezialisiert; besser müsste ich sagen: spezialisieren müssen. Denn es bestand dazu ein gewisser wirtschaftlicher Zwang.“255 Im Mai 1931 beschrieb er einem Freund die ausweglose Situation, aus der sich Voggenreiter zu befreien suchte: „Es ist ja so gemein – in Wirklichkeit hängt es an ein paar tausend Mark und ist überdies wahrscheinlich mit dem Mai und einem Teil vom Juni überwunden, … wenn uns einiges gelingt.“256 Nicht nur der Verlag Der Weiße Ritter selbst steckte in Schwierigkeiten, sondern auch weitere Firmen im Buchhandelsgewerbe. Ein Beleg dafür ist die Mitteilung Voggenreiters an Marie Renée Welsch vom 3. April 1931: „Bedauerlicherweise vergass ich Ihnen mitzuteilen, dass ich die Kommissionsbestellung der Firma Zahn und Jaensch [aus] Dresden nicht ausliefere, da die Firma in keinster Weise kreditwürdig ist und ich
Brief von Carl Rothe an Herbert Pfretzschner vom 3. Juli 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 254 Brief von Ludwig Voggenreiter an Johannes Rädlein vom 14. März 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 255 Brief von Ludwig Voggenreiter an Johannes Rädlein vom 10. März 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 256 Brief von Ludwig Voggenreiter an Georg Wolfbauer vom 5. Mai 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 253
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Ein „Kulturmarktunternehmen“ im Aufbau
daher befürchten muss, dass ich die Bücher auf Verlustkonto buchen muss.“257 Diese Erfahrung des Verlusts von auf Kommission gelieferten Büchern hatte Voggenreiter selbst erleben müssen. Er hatte der Buchhandlung Adler und Seitz in Graz manches geliefert. Wie ein Brief an einen Grazer Freund, Georg „Schorsch“ Wolfbauer belegt, versuchte Voggenreiter die Situation klären zu lassen und einige der auf Kommission gelieferten Bücher zurückzubekommen, sofern sie noch nicht verkauft seien. Der Fehlbetrag belief sich auf 27,60 Mark, von welchen 5,67 Mark gezahlt worden seien258 – eine geringe Summe, wenn man sich vor Augen führt, dass die verbleibenden 21,93 Mark bei einem Buchhandelspreis von angenommenen 1,50 Mark etwa 15 Bücher bedeuteten. Allerdings verdeutlicht dieser Umstand die Not, in der die Voggenreiters zu diesem Zeitpunkt steckten. An „Schorsch“ schreibt Voggenreiter in einem weiteren Brief: „Heute jammert natürlich in Deutschland jeder, da ja tatsächlich alle Geschäfte zusammengeschrumpft oder eingeschränkt sind. Aber es kommt natürlich immer darauf an, ob jemand Reserven hat oder nicht.“259 Je nach Gesprächspartner formulierte Ludwig Voggenreiter seine Sorgen unterschiedlich. Vorsichtig und zurückhaltend war seine Haltung beispielsweise in einem Brief an Geheimrat Ludwig Noack vom 1. Juni 1931: Mein inneres Verhältnis zu dem Lebensbericht „Ringende Jugend“ hat sich auch in der Zwischenzeit in keinster Weise verändert, dagegen bin ich auf absehbare Zeit wohl nicht in der Lage, neue Mittel in ein neues Werk zu investieren, weil mich die gegenwärtigen Wirtschaftsschwierigkeiten in Deutschland höchstens instand setzen, schon vor längerer Zeit eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.260
Die Liquiditätsprobleme sprechen aus nahezu jeder Zeile, die sich aus dieser Zeit in der Korrespondenz des Verlages findet. Ludwig Voggenreiter lehnt schriftlich viele Anfragen von Autoren und Autorinnen ab, die neue Manuskripte bei ihm einreichen wollten und auf Veröffentlichung hofften. Meist gibt er als Grund an, dass das Profil des Verlages die Aufnahme der Manuskripte in das Verlagsprogramm nicht zuließe – möglicherweise ein vorgeschobener Grund, durch den er wirtschaftlich solider wirken wollte, als er zu dieser Zeit eigentlich war. Unter Beachtung dieser Kommunikationsstrategie als wirtschaftliches Handeln zeigt sich auch hierin erneut der bedachte Unternehmer Voggenreiter.
Brief von Ludwig Voggenreiter an Marie Renée Welsch vom 3. April 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 258 Vgl. Brief von Ludwig Voggenreiter an Georg Wolfbauer vom 9. Juli 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 259 Brief von Ludwig Voggenreiter an Georg Wolfbauer vom 12. Juni 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 260 Brief von Ludwig Voggenreiter an Geheimrat Ludwig Noack vom 1. Juni 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 257
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Selbst die eingegangenen Verbindlichkeiten schienen die Voggenreiters in diesen Jahren 1931 und 1932 nicht immer begleichen zu können. Beispielhaft ist hier der Briefwechsel zwischen Heinrich Voggenreiter und der Autorin Hanna Ottinger. Sie hatte bereits mehrfach geschrieben und um Zusendung der offenen Zahlungen – Honorar und Spesen – gebeten, auf welche sie bereits über ein Jahr zu warten schien.261 Am 11. August 1931 schildert Voggenreiter den Sachverhalt: Ottinger hatte von 350 Mark Honorar bereits 225 Mark ausbezahlt bekommen, die restlichen 125 Mark sollten in 14-tägigen Raten à 25 Mark gezahlt werden, sofern sich die Finanzkrise konsolidiere oder verbessere. Den ersten Scheck schickte Voggenreiter direkt mit262, wann der zweite folgte, ist aus dem Quellenmaterial nicht ersichtlich. Im September hatte Ottinger wegen Nichterhalts weiterer Zahlungen anscheinend bereits mit einer Klage gedroht, woraufhin Heinrich Voggenreiter ihr die Lage erläutert: Ich […] musste verschiedenen meiner Gläubiger mitteilen, das [sic!] ich nur bei entsprechendem Entgegenkommen über die Schwierigkeiten Herr werden könnte. In der augenblicklichen Situation hat es gar keinen Sinn Ultimaten zu stellen. Eine Klagedrohung hat ebenso wenig Zweck. Damit erreichen Sie schließlich nur, dass ich das Verlagswerk vor Zugriffen schützen und Geschäftsaufsicht beantragen muss.263
Und weiter legt er dar, woraus diese Situation rühre: Wir haben immer noch unter den fürchterlichen Auswirkungen der deutschen Finanzkrise zu leiden, viel mehr, als Sie sich vielleicht vorstellen. Der Umsatz ist seit Juli um die Hälfte zurückgegangen. Erst im Oktober und November kommen wir wieder in grössere Umsätze. Augenblicklich ist beim besten Willen nichts zu erhalten. Im Gegenteil auf 170 Mahnschreiben: Tageseingang Mk. 30.–, von 70 herausgesandten Nachnahmen [sic!]: 50, die wieder zurückgehen.264
Auch am 5. Oktober 1931 schreibt Voggenreiter Ottinger, die Situation hätte sich nicht großartig geändert – lange fällige Zahlungen würden nicht bei Voggenreiter beglichen und die Mahnbriefe stapelten sich bereits. Firmen seien bei Voggenreiter säumig, wodurch dieser wiederum selbst seine Rechnungen nicht zahlen könnte. Dennoch schickte er ihr anbei einen Scheck, den er sie der Liquidität wegen bat, erst ab dem 11. Oktober einzulösen. Darauf folgt am 3. November 1931 der fast schon flehende und ohnmächtige Brief Heinrich Voggenreiters an Hanna Ottinger, in welchem eine droVgl. Brief von Hanna Ottinger an Heinrich Voggenreiter vom 10. Juni 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 262 Vgl. Durchschlag des Briefs von Heinrich Voggenreiter an Hanna Ottinger vom 11. August 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 263 Durchschlag des Briefs von Heinrich Voggenreiter an Hanna Ottinger vom 25. September 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 264 Durchschlag des Briefs von Heinrich Voggenreiter an Hanna Ottinger vom 25. September 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 261
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hende Insolvenz beschrieben wird, die er durch Bitte um Verständnis bei Autoren und Autorinnen zu umgehen versucht. Er schreibt: Hier brennt es leider immer noch. Ich weiss nicht einmal woher das Geld nehmen, um die Terminverpflichtungen bei den Banken zu decken. Warten Sie bitte jetzt noch ein wenig. Etwa bis zum 15. Es ist möglich, dass ich einen oder zwei grössere Beträge für ein paar Verkäufe hereinbekomme und dann will ich sofort wieder 25,– schicken. Heute ist nicht ein Pfennig hier.265
Heinrich Voggenreiter beschrieb diese Zeit rückblickend weniger emotional und zeigt die Umsatzsteigerungen, die sie im Nachgang zu dieser Krise verbuchen konnten: ’29 oder ’30 kam dann der Umzug nach Potsdam, von da an wuchs der Verlag immer mehr. Gelegentlich hatten wir bis zu 24 Mitarbeiter. […] Der eigentliche Umsatzaufschwung fing ’31 an und steigerte sich von ’32 nach ’33 hinein enorm. Nun, ich bin nicht sehr glücklich, wenn ich diese Umsatzzahlen nenne. Es gibt da den ganz klaren Nachweis, daß der Ruck nach rechts – Geländesport, der Deutsche Jugenddienst, Pimpf im Dienst und so weiter – sich niedergeschlagen hat … Das Jahr ’33 hat noch sehr schwere Sorgen gebracht, trotz zunehmender Umsätze, denn dann kamen die stillgelegten Schulden auf uns zu. ’32 wird der Umsatz vielleicht gelegen haben zwischen 100.000 und 200.000, 33 etwa 800.000. Das ging gewaltig in die Höhe, die höchsten Umsätze lagen gegen Kriegsende bei 2 Millionen.266
In dieser kurzen Zusammenfassung Heinrich Voggenreiters zeichnet sich ab, dass der Ludwig Voggenreiter Verlag eine deutliche Steigerung des Umsatzes verzeichnen konnte, auch wenn die Verbindlichkeiten zunächst noch die Gewinne nicht gleichermaßen steigen ließen, und dass dies mit dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung zusammenfiel. Heinrich Voggenreiter deutet an, dass dies keine reine Korrelation war, sondern vielmehr eine unmittelbare Folge. Aber der wirtschaftliche Zwang und der Ehrgeiz der Voggenreiters, ihr Unternehmen zu stabilisieren, schien die jungen Unternehmer diese ideelle Vereinnahmung in Kauf nehmen zu lassen. Aus dem bisher Gezeigten kann dieser Bericht Heinrich Voggenreiters von einem Aufschwung ab Anfang der 1930er Jahre bestätigt werden, wenn auch 1931 noch als Krisenjahr anzusehen ist, das der Verlag ab 1932 nach und nach überwinden konnte. ***
Durchschlag des Briefs von Heinrich Voggenreiter an Hanna Ottinger vom 3. November 1931, Voggenreiter Archiv, Karton 52, Blaues gebundenes Buch ohne Aufschrift. 266 Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 1. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2. 265
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
Als beispielhaftes „bündisches Kulturmarktunternehmen“ zeigte sich der Verlag Der Weiße Ritter sowohl in der Zusammensetzung der Akteure, dem Hintergrund der Organisation und Subkultur, wie auch in der Ausrichtung bei Aufbau, Entwicklung und Etablierung des Unternehmens am Markt. Die Akteure Franz Ludwig Habbel und Ludwig Voggenreiter waren beide bereits vor dem Ersten Weltkrieg in der bayerischen Pfadfinderbewegung aktiv, im Krieg hatten sie als Soldaten gedient und Kontakte zum Feldwandervogel geknüpft und so Wandervogel-typische Praktiken und Umgangsformen kennengelernt. Nach ihrer Rückkehr nach Regensburg begann zunächst Habbel allein im Herbst 1918 die Zeitschrift „Der Aufbau“ für den Bayerischen Wehrkraftverein ( Jung Bayern e. V.) herauszugeben. Schon im Sommer 1919 gründete Habbel gemeinsam mit Voggenreiter den Verlag Der Weiße Ritter und übertrug die Ideen der Zeitschrift „Der Aufbau“ auf eine neue Zeitschrift im eigenen Verlag, die ab Herbst 1919 erschien – auch diese nannten sie „Der Weiße Ritter“. Diese Zeitschrift wurde zu einer der bedeutendsten Zeitschriften der wandernden Jugend mit überbündischer Präsenz (Vgl. Kap. 3.1). Initiale Motivation war es, die Reformideen, die aus der Jugendbewegung Eingang in die Subkultur der Bündischen fanden, zu verbreiten und ihnen Gehör zu verschaffen – zunächst wollte der Kreis um Habbel und Voggenreiter den Deutschen Pfadfinderbund reformieren. Als das jedoch in einer Abspaltung und der Gründung des Bundes der Neupfadfinder mündete, orientierte sich auch die Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ am neuen Bund und wurde sein Bundesorgan, jedoch jederzeit mit überbündischem Anspruch (Vgl. Kap. 3.2). Diesem Anspruch wurde der Verlag auch mit seiner zweiten Zeitschrift „Die Spur“ gerecht. Beide Zeitschriften richteten sich an den organisatorischen Veränderungen innerhalb der bündischen Jugend aus: Abspaltungen, Teilungen, Zusammenschlüsse, Tagungen und Feste wurden kommentiert und unmittelbar für die eigene Identitätsbildung historisiert (Vgl. Kap. 3.3.1). Gleiches zeigte sich auch am Verlagsprofil und -programm: Auch die durch den Verlag Der Weiße Ritter verlegten Bücher waren auf die Zielgruppe der Bündischen und im Speziellen auf Pfadfinder und wandernde Jugend zugeschnitten. Es erschienen Jugendbücher, Abenteuergeschichten, Kolonialromane, Prosa, Handbuchliteratur und Wissensbücher über die Geschichte der Pfadfinderei, auch von Verbänden aus dem Ausland (Vgl. Kap. 3.3.1). Bei der Betrachtung der Verlagsverträge, die Habbel und Voggenreiter und ab 1922 als Habbel ausgeschieden war und der Verlag nach Berlin umgesiedelt war Voggenreiter allein abgeschlossen hatten, zeigt sich eine Varianz zwischen den verschiedenen Autoren. Während Hans Blüher, der bei Vertragsabschluss 1922 bereits ein bekannter Schriftsteller war, im Vertrag 15 % des Bruttoladenpreises als Honorar zugesprochen wurden, lagen die Honorare bei Autoren wie Alfred Happ und Paul Alverdes, die noch keine Bekanntheit hatten, bei 10 %. Noch geringer vergütet wurden Übersetzungen oder Bücher mit bündischem Inhalt wie beispielsweise Fahrtenberichte. Artikel für die Zeitschriften wurden häufig unentgeltlich von Personen aus den Bünden übernommen, die somit aktiv am Austausch teilhatten und die Möglichkeit bekamen, The-
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men zu diskutieren und die Reichweite des „Weißen Ritter“ zu nutzen. Während viele Bücher Auflagen zwischen 1.500 (bspw. Konrad Praxmarer) und 5.000 (bspw. Hans Blüher) erreichten und „Der Weiße Ritter“ über die 1920er Jahre hinweg meist in einer Auflage von zwischen 2.000 und 3.000 Stück gedruckt wurde, war vielen bündischen Kleinstschriften wie etwa Fahrtenberichten eine sehr geringe Verbreitung beschieden (bspw. der Griechenlandbericht im Auftrag des Stammes der Fischer von Ernst und Herbert Lehmann). Von der Massentauglichkeit und von der Auflage hingen auch die Höhe der Honorare und der Verkaufspreis ab – Voggenreiter vereinbarte beispielsweise Vorzugspreise für einzelne Bünde, wenn diese selbst Kosten für die Herstellung des Buches trugen oder wenn sie die Beiträge unentgeltlich zusammenstellten oder die Herausgeberschaft übernahmen (Vgl. Kap. 3.3.2). All diese Varianten der Honorarabsprachen entsprechen den Diskussionen der Zeit, wie in Kapitel 2.3 gezeigt wurde – sowohl die Position der Amateurschriftsteller, die durch ihre unentgeltliche Arbeit die Prekarisierung der Berufsgruppe vorantrieben, war im Verlag Der Weiße Ritter zu finden, als auch die der angemessen bezahlten Schriftsteller, gemessen an dem besprochenen „Weimarer Mindest-Tarif “. Zunächst war der Verlag nicht primär als Wirtschaftsunternehmen geplant gewesen, vielmehr galt Habbel und Voggenreiter als vordergründiges Ziel die Verbreitung der Ideen des Bundes der Neupfadfinder und vor allem des Zusammenschlusses der deutschen Jugend in einem einzigen „Hochbund“. Wie sehr die jungen Verleger mit der Notwendigkeit rangen, ihre Produkte auch wirtschaftlich darstellen zu können, zeigte sich an der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, den sie zur Anfangszeit noch einem nicht näher beschriebenen, befreundeten Kreis zu Herstellungskosten versprachen, während sich später lediglich Unterschiede zwischen Einzelpreisen und Abonnementpreisen fanden. Heraus stachen im generellen wirtschaftlichen Aufstieg des Verlages die finanziellen Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte. Eine erste Hürde stellte die Hyperinflation dar, die sich im Verlag hauptsächlich in der Verwendung der Schlüsselzahl des deutschen Buchhandels zeigte und dem Beteuern der schwierigen Lage. Eine zweite Hürde stellte die Insolvenz des Verlages Habbel und Naumann dar, von welchem Der Weiße Ritter wegen der freundschaftlichen Verbundenheit zwischen Habbel und Voggenreiter einige Verlagsverträge und Restbestände übernahm und damit hohe ungeplante Ausgaben tätigte. Die aus den Akten rekonstruierte, größte Hürde folgte jedoch erst danach: Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich auf den Verlag Voggenreiters 1931 besonders stark aus und war damit verbunden, dass Kunden Bestellungen per Nachnahme häufiger als zuvor zurückgehen ließen, dass Großkunden und Buchhandlungen Rechnungen nicht begleichen konnten und dass sie selbst offene Zahlungen nicht mehr leisten konnten und nur mit viel Verhandlungsgeschick ihre Autorinnen und Autoren um Aufschub bitten konnten (Vgl. Kap. 3.3.3). In diesen Zeiten nutzte der Verlag in besonderer Weise das Einwerben von Spenden „aus der Bewegung“ als Mittel wirtschaftlichen Handelns. Zudem bedienten sie sich der Werbeanzeigen in Büchern und Zeitschriften und durch eigene Bestellzettel und Bei-
Aspekte eines „Kulturmarktunternehmens“ im Aufbau: Profil, Recht und Markt
lagen. Seit der Weltwirtschaftskrise verlegte Voggenreiter weniger Werke in geringer Auflage und nahm nur noch Manuskripte an, die sich aller Voraussicht nach gut verkauften, wodurch der pro Stück Herstellungspreis gering gehalten werden konnte und Synergieeffekte auftraten. Aus dieser finanziellen Unsicherheit kam der Verlag auch heraus, indem er im Nationalsozialismus einige wichtige Werke für die Hitlerjugend genauso wie für die Wehrmacht verlegte, wie beispielsweise das Wehrmachtsliederbuch „Morgen marschieren wir“ in Text-, Melodie-, Klavier- und Blasmusikausgaben mit teilweise 500.000er Auflage, und sich so finanziell sanierte.
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4.
Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht – Vergleichbare jugendbewegte (Musik-)Verlage
[Es] ist […] für die Hauptverlage der musikalischen Erneuerung bezeichnend, daß sie eine neue Käuferschicht erschlossen haben. Durch die Singbewegung wurden Menschen mit Musik in Berührung gebracht, die bis dahin kaum Käufer von Noten oder Musikbüchern gewesen waren. Dieser Tatsache wird viel zu wenig Beachtung geschenkt.1 Karl Vötterle, 1974
Dass die vorangegangene Untersuchung des Voggenreiter Verlages keinen Einzelfall darstellt, wird offensichtlich, sieht man sich den wachsenden Kreis jugendbewegter und jugendmusikbewegter Verlagsbuchhandlungen in dieser Zeit an. Von 1928 ist der als Buch veröffentlichte Vortrag Carl Mennickes über den „Buchhandel in der geistigen Lage der Gegenwart“ anlässlich eines Treffens der Jungbuchhändler in Potsdam am 20. Februar 1927 erhalten geblieben. Verlegt wurde es bei Karl Heidkamp, der es zusammen mit Alfred Protte herausgab – beide selbst Jungbuchhändler beziehungsweise junge Verlagsbuchhändler aus Potsdam, die das Treffen organisiert hatten. Carl Mennicke war zu dieser Zeit Direktor des sozialpolitischen Seminars an der deutschen Hochschule für Politik in Berlin und hatte sich bereits über Jahre hinweg mit der Bildung vor allem der Arbeiterschaft und mit dem Austausch von Bürgertum und Arbeiterschaft befasst.2 Mennicke beschreibt in diesem Text, wie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts Ideologien herausgebildet hätten, da sowohl die Zeit der Religion, als auch die Zeit der Aufklärung vorbei seien und nun in eine andere Zeit mündeten. So schreibt er:
1 Vötterle, Karl: Fünfzig Jahre Finkenstein. Ansprache bei der Veranstaltung des Adalbert-Stifter-Vereins und des Bayrischen Rundfunks „Fünfzig Jahre Finkensteiner Singen“ am 15. März 1974, AdJb P1/1421. 2 Vgl. Tripmacker, Verwehte Spuren, S. 176–187.
Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
Und wie das Bürgertum seinen Emanzipationskampf [gegenüber der feudalen Ordnung, F. M.] nicht ohne geistige Mittel führen konnte (liberale Ideologie), so konnte der agrarische Feudalismus sich nicht ohne entsprechende geistige Mittel zur Wehr setzen (konservative Ideologie). Und ebensowenig konnte die moderne Industriearbeiterschaft den Kampf führen, ohne ihrem Sehnen und Wollen einen geistigen Ausdruck zu verleihen (sozialistischen Ideologie).3
Sowohl diese Ideologien habe der Buchhandel zu berücksichtigen und sich dahingehend zu positionieren als auch die sozialpsychologischen Umstände dieser Zeit. Unternehmen könnten im Buchhandel nicht zum Erfolg geführt werden, wenn diese Ideologien unberücksichtigt blieben. Die sozialpsychologischen Umstände wiederum seien am besten durch die Veränderungen zu verstehen, die sich in der Gesellschaft vollzogen hätten, allen voran in der Arbeitswelt und im Wohnen und der Freizeit – Anonymität und Arbeitsteilung in der Industrie statt Lehrmeisterschaft und Menschlichkeit und die Vereinzelung der Menschen durch die Großstadt.4 Mennicke markiert hier also den Scheidegrad zwischen Bürgerschaft und Arbeiterschaft und mahnt damit die Jungbuchhändlerinnen und -buchhändler als die Adressatinnen und Adressaten seines Vortrages, die Arbeiterschaft ebenfalls einzubeziehen und diese nicht zu vernachlässigen. Seinem persönlichen Ziel entsprechend sollte auch der Buchhandel die gesamte Bevölkerung vereinen.5 Buchhändler hätten die Aufgabe, im aufklärerischen Sinne Wissen und Wahrheit zu vermitteln und müssten dabei jedoch die Freiheit des Einzelnen und die sozialen und gesellschaftlichen Umstände einbeziehen.6 Und so sieht er zwei Optionen für das Buchhandelsgewerbe: Es gibt natürlich die Möglichkeit, die Frage leicht zu nehmen und entweder als Fachbuchhandlung oder als reine Geschäftsbuchhandlung sich auf die Befriedigung der Wünsche des Publikums zu beschränken. Dabei hat die Fachbuchhandlung das gute Gewissen, im allgemeinen gesellschaftlichen Sinne des Wortes nützlich zu sein. Sie ist meist ein Produkt ihrer Lage (namentlich in Universitätsstädten) und bietet kaum ein Problem. Die reine Geschäftsbuchhandlung ist naturgemäß immer der Gefahr ausgesetzt, durch Spekulation auf gewisse niedere Bedürfnisse, durch mehr oder weniger marktschreierische Reklame oder dergleichen völlig zu entarten. Vermittlungsorgan in dem hier entwickelten Sinne des Wortes zu sein, vermag sie von vornherein überhaupt nicht.7
Die zweite Möglichkeit bestehe darin, sich ideologisch zu binden. Damit erfülle diejenige Buchhandlung ihre Vermittlungsaufgabe, „die vermöge ihrer Anlehnung an eine
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Mennicke, Carl: Der Buchhandel in der geistigen Lage der Gegenwart, 1928, S. 19–20. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 39–40. Vgl. ebd., S. 13–14, 17–18. Ebd., S. 29–30.
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bestimmte Weltanschauung (unter Umständen in spezifisch-politische Ausprägung) propagandistisch gerichtet ist.“8 Die „bündische Idee“ und die „bündische Kultur“, aus der die Nachfrage nach jugendbewegten Zeitschriften, Abenteuerromanen oder Liederbüchern entstand und die die jungen, jugendbewegten Verlage erfüllten, kann in diese von Mennicke genannten Ideologien nicht eindeutig eingeordnet werden. Es muss je nach Bund, bündischer Gruppe und Netzwerk beurteilt werden, wie die ideologische Einordnung geschehen kann.9 Ein weiteres Mal sei auf die Forschung Rüdiger Ahrens hingewiesen, der die bündische Jugend als die bürgerliche, konservative Jugendbewegung der Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit einer mehrheitlich deutlich nationalistisch-völkischen Grundhaltung begreift.10 Ahrens weist darauf hin, dass diese Grundhaltung für eine Beurteilung der Geschehnisse in den Zeitkontext eingeordnet werden muss11, doch ist der ex post Beurteilung der politischen Ausrichtung für die folgende Analyse vorerst keine normative Bedeutung zuzumessen, sondern lediglich als Verkaufsargument zu sehen. Die Ideen, Ideale und Werte, die in der bündischen Jugend kursierten und durch ihre Publikationen weite Kreise erreichten, sind erst einmal festzustellen und nicht zu bewerten. In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse, die sich aus der Analyse der Quellen zum Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter Verlag ergaben, mit anderen zeitgleichen Entwicklungen abgeglichen werden. Es soll gezeigt werden, wie weitere Personen, die bereits durch die bündische Jugend sozialisiert waren, selbst die Funktionen des Distributors eingenommen haben. Dies wird im Folgenden anhand einzelner Beispiele aus einflussreichen Verlagen der Jugendbewegung in den 1920er Jahren gezeigt: Dem Julius Zwißler Verlag / Georg Kallmeyer Verlag, dem Bärenreiter Verlag und dem Verlag Das junge Volk / Günther Wolff Verlag. Andere teils große, teils kleine und Kleinstverlage der Jugendbewegung wie etwa der Urquell Verlag, der Eugen Diederichs Verlag oder der Jungdeutsche Verlag sollen wegen teils zu geringer Quellendichte und der Beschränkung auf wenige Vergleiche der bedeutendsten Verlage nicht weiter betrachtet werden. Die treibenden Kräfte in den Verlagen waren großteils selbst führende Persönlichkeiten in der Jugendbewegung und weiteten ihr Netzwerk einer Käuferinnen- und Käuferschaft in dieser Richtung aus. In Kapitel drei konnte erstens gezeigt werden, wie stark die Motivation zur Gründung der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ von der „bündischen Idee“ beziehungsweise der Zielsetzung zur Erneuerung der Pfadfinderei durch die Neupfadfinder getragen war. In Kapitel 4.1 soll daher abgeglichen werden, wie andere junge Unternehmer ihre Persönlichkeit einsetzten, wie wichtig ihre eigenen Überzeugungen waren, wie darauf 8 Ebd., S. 30. 9 Vgl. Kapitel 1, 2.1 und 3.2. 10 Vgl. Ahrens, Bündische Jugend. 11 Vgl. ebd., S. 384–385.
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aufbauend ein Unternehmen entstand und welchen Ideen sie in den durch sie publizierten Werken ein breites Publikum verschafften. Zweitens konnte anhand der Zeitschriften „Der Weiße Ritter“ und „Die Spur“ gezeigt werden, wie sich der Inhalt, die äußere Gestaltung und das Verlagsprogramm des dahinterstehenden Verlages generell an der Organisation der Jugendbünde und ihren Veränderungen ausrichtete und wie dadurch die Zielgruppe für die Produkte gesetzt wurde. Diese Entwicklung soll in Kapitel 4.2 anhand weiterer Zeitschriften nachvollzogen werden: „Die Laute“ / „Die Musikantengilde“ / „Musik und Gesellschaft“ / „Der Kreis“ aus dem Julius Zwißler Verlag / Georg Kallmeyer, „Das junge Volk“ aus dem Verlag Das junge Volk / Günther Wolff, „Die Finkensteiner Blätter“ und „Die Singgemeinde“ aus dem Bärenreiter Verlag von Karl Vötterle. Zuletzt wird in Kapitel 4.3 die Wirtschaftlichkeit der Produkte anderer Verlage mit denen des Verlages Der Weiße Ritter verglichen: Kosten, Abonnements, Werbung und Krisen wie die Hyperinflation 1922/23. 4.1
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In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden diverse jugendbewegte Verlage. Vor dem Hintergrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen bildeten sie die Avantgarde der aufflammenden Buch- und Zeitschriftenkultur in der Weimarer Zeit. War die Zeit lediglich günstig für Verlagsgründungen oder ist das Entstehen anders zu begründen? Interessant ist zunächst die Feststellung, dass in der Jugendbewegung zu einem ähnlichen Zeitpunkt an unterschiedlichen Orten und ohne den Bezug aufeinander mehrere jugendbewegte Verlage entstanden und sich diese über Jahre hinweg behaupteten. Einer der ältesten jugendbewegten Verlage ist der Julius Zwißler Verlag, später umbenannt in Georg Kallmeyer Verlag. Er soll exemplarisch mitbehandelt werden, da er für den Musikpädagogen Fritz Jöde und damit für die Jugendmusikbewegung von besonderer Bedeutung war. Georg Kallmeyer (*1875) hatte bereits 1892 mit einer Buchhändlerlehre in der Ramdohr’schen Buchhandlung in Braunschweig begonnen, deren Inhaber sein Vater Emil Kallmeyer war. Ab 1895 arbeitete er in verschiedenen Buchhandlungen in Heidelberg, München und Hannover. 1899 kehrte er in die väterliche Buchhandlung nach Braunschweig zurück, wo er 1903 seine eigenständige Verlegertätigkeit begann – zunächst ausschließlich mit Kalenderveröffentlichungen. Die etwas peinliche Schwierigkeit bestand darin, daß zum Verlegen außer einer natürlichen Begabung Geld gehört, und daß ich über dieses nicht verfügte. So blieb mir nichts anderes übrig, als es auf ungewöhnliche Weise zu gewinnen im Vertrauen auf das alte Sprichwort, daß Not erfinderisch macht. Ich habe damals u. a. ein Marienspiel erfunden, das […] im damals blühenden Flottenverein einen schönen Erfolg hatte. Ich pachtete Anzeigenteile von Zeitschriften, trieb eintragreichen Handel mit Anschriften „besser situier-
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ter“ Neuzugezogener und fing ganz vorsichtig an, Kalender-Veröffentlichungen zu bringen, dessen Herstellung zum größten Teil durch den Anzeigen Anhang gedeckt wurde. So entstand der Almanach des Herzoglichen Hoftheaters in Braunschweig, der etwa 7 Jahre hindurch erschien.12
1909 verlegte Kallmeyer sein erstes musikalisches Werk: „Altbraunschweigische Volksund Soldatenlieder“. Durch eine seiner Kalenderveröffentlichungen lernte Kallmeyer den Maler Rudolf Sievers kennen, der für das Jahr 1912 einige Monatsbilder zeichnete und Kallmeyer die Begegnung mit der Wandervogel-Bewegung brachte. Sievers gab zu dieser Zeit „das gelbe Bundesblatt des Wandervogels“ heraus.13 Im August 1913 stieg Kallmeyer in den Wolfenbütteler Verlag des bekannten und arrivierten Musikverlegers Julius Zwißler am Stadtmarkt 4 ein, der seinerseits bereits eine fast hundertjährige Geschichte vorzuweisen hatte. Eine seiner ersten Erweiterungen des Verlagsprogramms in Richtung der jungen Kultur war die Übernahme des Bundesblattes des Wandervogel e. V., das ab diesem Zeitpunkt im Julius Zwißler Verlag erschien. Bereits knappe drei Jahre später, Anfang des Jahres 1916, stieg der Namensgeber des Verlages aus Altersgründen aus und überließ den Verlag Kallmeyer allein, der die musikalische und die jugendbewegte Linie neben dem zuvor bei Zwißler vertretenen klassischen und regionalen Sortiment ausweitete.14 Durch die Dauer des Krieges war der Absatz zunächst zurückgegangen, doch nach und nach schien der Wunsch nach kultureller und intellektueller Betätigung wieder stärker zu werden. Kallmeyer wurde wegen eines Herzleidens nicht zum Militärdienst eingezogen. So erschien ab 1917 die Zeitschrift „Die Laute“,
Abbildung 13 Links: Verlagssignet entnommen aus: Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920, UB HD DJ 971; Rechts: Verlagssignet entnommen aus: Jöde, Fritz (Hrsg.): Der Kreis. Monatsblätter für Musikpflege, Zehnter Jahresband, Wolfenbüttel 1933, UB HD G 616 16.
12 Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler. Ein Rückblick von Georg Kallmeyer, Wolfenbüttel/Berlin 1938, S. 6. 13 Vgl. ebd., S. 6, 8, 10. 14 Vgl. Personenmappe Georg Kallmeyer, AdJb A 228, 39, 105.
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welche die volksmusikalische Jugendbewegung zusammenfasste, bei Kallmeyer. Nach dem Krieg war vieles des alten Verlagsprogramms hinfällig, wie etwa die Braunschweigischen Schulbücher oder die Kriegsliteratur und Kallmeyer musste eine neue Richtung einschlagen: „Und als Fritz Jöde im Jahre 1918 die Schriftleitung der Zeitschrift ‚Die Laute‘ übernahm, erhielt der Verlag die entschiedene Wendung zur Musik, die es mit sich brachte, daß Literatur und Kunst auf längere Jahre in den Hintergrund traten.“15 Obgleich Zwißler bereits 1916 ausgestiegen war, änderte Kallmeyer den Namen des Verlages vorerst nicht, die Umbenennung in Georg Kallmeyer Verlag erfolgte erst Mitte 1925.16 Zeitgleich erneuerte Kallmeyer das Verlagssignet: Den Kopf, der einer griechischen Statue glich, ersetzte er durch die Darstellung des heiligen Georg als Drachentöter – eine deutliche Referenz an die Jugendbewegung, da der heilige Georg als der Schutzpatron einiger Ritterorden galt und auch Pfadfinder sich international auf ihn als Vorbild beriefen.17 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Verlag bereits einen Namen als Musikverlag gemacht und die musikerzieherische, volksmusikalische, jugendliche Ausrichtung wurde von Teilen der anerkannten Musikwissenschaft unterstützt: Auch die Musikwissenschaftler traten nunmehr aus ihrer Zurückhaltung heraus und begannen mit der jungen Musikbewegung eine erfreuliche Zusammenarbeit. Als erster bekannte sich Professor Dr. Fritz Reusch uneingeschränkt zu den neuen Formen, so daß er [1922 zusammen mit Fritz Jöde, F. M.] die Leitung der Zeitschrift „Die Musikantengilde“ übernehmen konnte. Professor Dr. Friedrich Blume, Professor Dr. Josef Müller-Blattau und viele andere traten hinzu. Als alte führende Mitkämpfer standen in erster Linie: Professor Dr. Karl Gofferje, Georg Götsch (Leiter des Musikheims Frankfurt/Oder), Reinhold Heyden, Hilmar Höckner (Musiklehrer am Landerziehungsheim Schloß Bieberstein), Professor Ekkehard Pfannenstiel, Professor Walter Rein, Dr. Twittenhoff u. a. Auch führende Musiker der Gegenwart wandten der jungen Musikbewegung ihre Liebe zu und stellten ihre große Erfahrung der musikalischen Erziehungsarbeit der Bünde zur Verfügung. Aus der Verbindung mit der Musikwissenschaft entstanden größere Sammlungen von alter Musik, die für den praktischen Gebrauch neu bearbeitet erschienen.18
Der Verlag machte sich in den 1920er Jahren vor allem durch die Gesamtausgabe des frühneuzeitlichen Komponisten und Gelehrten Michael Praetorius verdient, der in Wolfenbüttel gelebt hatte. Die Quellenlage bezüglich des Kallmeyer Verlages, wie auch der anderen in diesem Kapitel besprochenen Verlage, ist deutlich schlechter als die den Weißen Ritter Verlag betreffend. Kallmeyer starb 1945, woraufhin Karl Heinrich Möseler den Verlag über15 16 17 18
Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler, Wolfenbüttel 1938, S. 11. Vgl. Personenmappe Georg Kallmeyer, AdJb A 228, 39, 105. Vgl. Kapitel 3.2. Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler, Wolfenbüttel 1938, S. 12.
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nahm, der 2017 geschlossen wurde. Teile des Verlagsprogramms werden von Schott Music weiter vertrieben. Durch diese wechselvolle Geschichte sind keine verlagseigenen Akten vorhanden. Akten und Briefe zu Person und Verlag Kallmeyers finden sich in Archiven wie dem AdJb und dem Archiv der UdK, Publikationen sind jedoch auch in Bibliotheken erhalten. Aus einer anderen geografischen Ecke kam Günther Albert Wolff (*1901), der deutlich jünger war als Kallmeyer und aus Gansgrün bei Plauen in Sachsen kam. Bereits 1914 war Wolffs Vater, eigentlich Hauptmann a. D., in Posen gefallen. Die Mutter mit den sieben Kindern – Günther Wolff, der älteste Bruder Hans, ein jüngerer Bruder Karl, vier ältere Schwestern, Eva, Marie-Luise, Susanne und Dorothe, die 1917 an Tuberkulose starb – blieb zurück und meisterte die finanziell schwierige Lage.19 Die Familie lebte vornehmlich von der Witwenrente der Mutter und ihrer Arbeit des Strumpfstrickens. Der ältere Bruder half als Privatlehrer aus und konnte so einen Teil zur Finanzierung beitragen. 1921 verstarb auch die Mutter an Tuberkulose und so waren die sechs Kinder auf sich allein gestellt. Daraufhin führte die älteste Schwester den Haushalt unter anderem durch die Löhne der beiden jüngeren Schwestern und dem „Erziehungsgeld“ für Kriegerwaisen weiter. Der älteste Bruder konnte unterdessen sein Studium selbst finanzieren und steuerte ab und an etwas bei. Durch die finanzielle Notlage der Familie begann Günther Wolff nach seinem Abitur im Februar 1921 ab März als Banklehrling bei der Vogtländischen Bank in Plauen, um auch zum Familieneinkommen beitragen zu können. Ein Studium nahm er erst 1925 auf, er studierte in Jena bis 1928 Volkswirtschaftslehre.20 Günther Wolff trat in der bündischen Jugend erst 1919 als Mitbegründer der Plauener Ortsgruppe des Deutschnationalen Jugendbundes (DNJ) in Erscheinung. Seine anfängliche Begeisterung wich jedoch schnell wieder, da er wie viele andere Altersgenossen den restaurativen, auf das vergangene Kaiserreich ausgerichteten Zielen des Deutschnationalen Jugendbunds (DNJ) genauso wie seiner Ausrichtung auf reine Jugendpflege durch Erwachsene und die vormilitärische Erziehung nicht vorbehaltlos folgen konnte – altpreußische Grundsätze, die auch sein Vater als Hauptmann a. D. der kaiserlichen Armee vertreten hatte. Zudem reifte wie bei vielen jungen Mitgliedern des Deutschnationalen Jugendbunds (DNJ) 1920/21 auch bei Wolff die Ansicht, dass die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zu deutlich Einfluss auf den Deutschnationalen Jugendbund (DNJ) nahm. Daher orientierte er sich um und schloss sich der Gruppe der Jungnationalen an, die zunächst versuchten, den Deutschnationalen 19 Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 5–6; Diese Biografie enthält stellenweise Zeitzeugenberichte des jüngeren Bruders Karl Wolff und Quellenauszüge aus dem privaten Nachlass Günther Wolffs. Eine leicht heroisierte Überhöhung Wolffs durch Hess ist, ob der regional und emotional gefärbten Studie, nicht zu übersehen und kritisch zu hinterfragen. 20 Dokument „Nach Darstellung seiner Brüder zusammengestellt von Rudolf Kneip“, Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430; Ausführliche Informationen zu Leben und Werk Günther Wolffs finden sich auch in: Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich.
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Jugendbund (DNJ) zu reformieren und „jugendlicher“ und weniger „altpreußisch“ zu gestalten. Doch während des Bundestreffens zu Pfingsten 1921 spalteten sich die Reformwilligen ab und gründeten ihren Jungdeutschen Bund mit ihrem Bundesführer Admiral Reinhard Scheer, dessen Posten bereits ein Jahr später John Heinrich Otto Viktor „Heinz“ Dähnhardt übernahm. Diese Aushandlung zwischen der alten und der jungen Generation, die verschiedenen Auffassungen von Jugendpflege und Jugendbewegung sind jenen im Deutschen Pfadfinderbund mit seinen Reformern, den Neupfadfindern, gleichzusetzen – die Kritik der Reformer an den „Alten“ war dieselbe. Nachdem der Bundesführer des Deutschnationalen Jugendbundes (DNJ) General Max von Seydewitz verstarb und eine Zeit der Vakanz vorüber war, besetzte Admiral Adolf von Trotha den Posten im Deutschnationalen Jugendbund (DNJ) und reformierte ihn behutsam, bis schließlich der Name in Großdeutscher Jugendbund geändert wurde und kaum ein Unterschied mehr zum Jungdeutschen Bund bestand. Die Umbenennung sollte eindeutig zeigen, dass der DNVP keinerlei Einfluss zukam und der Bund von der Parteipolitik unabhängig war.21 Durch die im Gegensatz zum Deutschnationalen Jugendbund (DNJ) vor allem zu Beginn der 1920er Jahre offenere Ausrichtung des Jungdeutschen Bundes weitete sich auch Wolffs Netzwerk in bündischen Kreisen aus, was seiner Verlagsarbeit zugutekam. Zentral war hierfür der Austausch mit anderen bündischen Gruppen bei Gelegenheiten wie beispielsweise dem Fichtelgebirgstreffen im August 1923, das Voelkel und Habbel organisiert hatten und bei welchem eine Vielzahl an Bünden anwesend waren.22 Auch leitete Wolff selbst Grenz- und Auslandsfahrten nach Polen, Rumänien, Ungarn, Galizien, in die Slowakei und die Bukowina bis hoch nach Kurland und Livland, wodurch unter anderem Austausch mit deutschen Sprachinseln im Banat, in Siebenbürgen, im Sudetenland und in Bessarabien entstand, die dem Ziel galten, deutschen Jungen aus Sachsen Landschaft und Menschen der deutschen Sprachinseln im Osten zu zeigen: idealtypische Grenzlandfahrten.23 Bereits im Jahr der Gründung der Plauener Ortsgruppe des Deutschnationalen Jugendbundes (DNJ) 1919 brachte Wolff die erste Zeitschrift, die „Vogtländische Jugendzeitung“, heraus. Da er zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig war, beantragte sein älterer Bruder Hans die Pressegenehmigung. Seine erste Handlung war es, einen Brief mit der Bitte um ein Geleitwort an Paul von Hindenburg zu schreiben: Dieses Unterfangen klappte und die Antwort Hindenburgs zierte das erste Titel-
Ahrens, Bündische Jugend, S. 77–93. Vgl. Dokument „Nach Darstellung seiner Brüder zusammengestellt von Rudolf Kneip“, Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430; Zur Bedeutung der Treffen im Fichtelgebirge und die Bündigungsbestrebungen siehe Kapitel 3.2. 23 Vgl. Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 10–11;Vgl. auch beispielhaft aus dem Verlagsprogramm Wolffs: Zimmer, Norbert: Die deutschen Siedlungen in der Bukowina, Plauen im Vogtland 1930. 21 22
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blatt.24 Wie auch Voggenreiter einige Jahre später, war sich Wolff bereits zu diesem Zeitpunkt darüber bewusst, welche gesellschaftliche Anerkennung Hindenburg hatte und nutzte diese als Fürsprache für seine Zeitschrift. Wolff startete sein Unternehmen im Wohnhaus der Familie in der Straßberger Straße 48.25 Eine Besonderheit in Wolffs Bestrebungen bestand in der Einrichtung eines Ausrüstungshauses, das sich an den Bedürfnissen der wandernden Jugend ausrichtete. Auch Habbel hatte in der Zeitschrift „Der Weiße Ritter“ anfänglich für durch ihn zu erwerbende Tornister, Hordentöpfe und Ähnliches geworben, hatte diesen Vertrieb jedoch nicht professionalisiert, da unter anderem der Deutsche Pfadfinderbund ein eigenes Zeughaus unterhielt und das Risiko eines Verlustgeschäfts scheinbar neben dem Verlagsgeschäft zu groß war.26 Wolff kaufte 1925 nach Abschluss seiner Lehre 1923 und anschließender Tätigkeit als Bankangestellter das sogenannte „Dürerhaus“ am Altmarkt in der Stadtmitte Plauens vom früheren Betreiber und baute es zusammen mit seiner Schwester Susanne, die ausgebildete Kontoristin war und als Bürokraft mitarbeitete, als Verlagshaus inklusive Beschaffungsstelle aller Gegenstände für Fahrt und Lager aus, die großteils aus Heeresbeständen kamen. Dieses Rüsthaus trug den Namen St. Georg – Rüsthaus Deutscher Jugendverbände. Vertrieben wurden unter anderem Zeltbahnen, Schlafdecken, Schuhe, Feldflaschen, Kompasse, Rucksäcke, Kilometerzähler, Hemden, Halstücher, Sportbekleidung und Sportgeräte.27 Grundideen war dabei die Grenzlandarbeit und das kulturelle Schaffen der bündischen Jugend. Auch die anderen beiden Schwestern unterstützten weiterhin Günther Wolffs Bemühungen und im Speziellen während seines Studiums 1925–28.28 In den folgenden Jahren entfaltete sich seine Arbeit, sowohl der Verlag „das junge Volk“ als auch sein Versandhaus so, dass er die Räume im Komturhof aufgeben musste und zunächst an den Altmarkt übersiedelte, später übernahm er einen ehemaligen Fabriksaal in der Hofwiesenstrasse, den er zu einer Wohnung für seine Schwestern und zu einer grossen Geschäftsstelle ausgestaltete.29
Erst 1932 änderte Günther Wolff den Namen seines Verlags und der Hinweis auf die erste und bestimmende Zeitschrift seines Verlages wich: Nun hieß der Verlag Günther
24 Vgl. Dokument „Nach Darstellung seiner Brüder zusammengestellt von Rudolf Kneip“, Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430; vgl. auch: Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 8–9. 25 Vgl. Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 6, 8–9. 26 Unter der Überschrift „Vertriebs-Amt“ wird auf der letzten Seite des Hefts 40/41 der Zeitschrift des Deutschen Pfadfinderbundes „Der Pfadfinder“ für den Kauf beim bundeseigenen Vertriebsamt geworben, das Ausrüstungsgegenstände zu günstigen Preisen anbieten könne, vgl. Der Pfadfinder, Jg. 10 (1921), Heft 40/41, Bamberg 1921 (Oktober), S. 328. 27 Vgl. Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 17. 28 Vgl. Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430. 29 Lebenslauf aus der Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430.
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Wolff statt Das junge Volk.30 Anfang der 1930er Jahre war der Günther Wolff Verlag einer der wichtigsten jugendbewegten, bündischen Verlage und noch dazu hatte er im Gegensatz zum Ludwig Voggenreiter Verlag weniger mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Wolff hatte sich durch den gleichzeitigen Betrieb des Verlages und des Rüsthauses frühzeitig ausreichend finanzielle Sicherheit schaffen können und sein Kapital auf mehr als eine Sparte aufgegliedert. Nach 1933 jedoch ging das Unternehmen durch Repressionen zugrunde, Wolff wurde mehrfach verhaftet, seine auch nach 1933 andauernde Zusammenarbeit mit Autoren wie Eberhard Koebel wurden ihm hierbei zum Vorwurf gemacht. Dass auch Voggenreiter vor 1933 eineinhalb Jahre mit Koebel zusammengearbeitet hatte, stellte bemerkenswerter- und unerklärlicherweise kein Problem dar. 1936 löste Wolff das Rüsthaus auf, auch weil die bündischen Gruppen wie noch vor 1933 nicht mehr existierten und in der HJ das Verbot des Bezugs bei Günther Wolff ausgesprochen wurde.31 Trotz zwischenzeitlicher Beschlagnahmen von Verlagseigentum gab Wolff weiterhin Bücher heraus, doch im Januar 1938 folgte sein Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer, der Reichsmusikkammer und dem deutschen Verlegerverein, woraufhin sein Verlag endgültig geschlossen wurde.32 Die Forschungsliteratur zum Verlag Günther Wolff ist eher spärlich. Vordergründig überrascht der Fakt, dass ein solch bedeutender Verlag mit eigenem Ausrüstungs- und Versandhaus sang- und klanglos beschwiegen wurde. Doch lag über viele Jahre hinweg der Forschungsschwerpunkt auf den im Nationalsozialismus tätigen Akteurinnen und Akteuren der Jugendbewegung – egal ob Funktionärin, Funktionär, Widerständlerin oder Widerständler. Der Günther Wolff Verlag aber hörte bereits 1938 durch das Zutun der nationalsozialistischen Behörden auf zu bestehen. Auch dies ist ein Grund dafür, dass die Quellenlage mehr als dürftig ist, denn auch Wolff hatte im Nachgang der Röhm-Affäre und der damit verbundenen „Nacht der langen Messer“ Mitte 1934 mit immer wiederkehrenden Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen und Gefängnisaufenthalten mit Begründungen wie „Bündische Umtriebe“ und „Kulturbolschewismus“ zu kämpfen. Dieses Aufrollen der Verlagsgeschichte von seinem Ende her ist symptomatisch für die Erzählungen über den „bedeutendste[n] Verlag bündischen Schrift- und Liedgutes jener Zeit“, wie Wilhelm Schepping den Verlag einschätzt.33 Einer ähnlichen Argumentation folgt auch die biografische Schrift Wolfgang Hess‘.34 Für die folgenden Ausführungen soll die Verlagsgeschichte jedoch vom Anfang her gedacht und hinterfragt werden, um so dem eingeschlagenen Weg und dem verlegerischen Erfolg besser auf den Grund gehen zu können. Dennoch kann auf einiVgl. Schepping, Zur Bedeutung des vogtländischen Günther-Wolff-Verlages für Lied und Singen der Bündischen Jugend in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, S. 260. 31 Vgl. Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 21. 32 Vgl. Schepping, Zur Bedeutung des vogtländischen Günther-Wolff-Verlages für Lied und Singen der Bündischen Jugend in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, S. 268. 33 Vgl. ebd., S. 259. 34 Vgl. Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich. 30
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ge wenige Akten von und über Günther Wolff und seinen Verlag aus dem Archiv der deutschen Jugendbewegung und auch aus dem Voggenreiter Archiv zurückgegriffen werden, genauso wie auf die Veröffentlichungen des Verlages Das junge Volk / Günther Wolff, die erhalten geblieben sind. Der Gründer des letzten zu betrachtenden Verlages, des Bärenreiter Verlages, ist Karl Vötterle (*1903). Er ist wohl am deutlichsten von den hier dargestellten mit der jugendbewegten Kultur verwachsen. Er stammte aus Augsburg und war der Sohn eines Maurerpoliers und späteren Beamten. Eine höhere Schulbildung brach er zugunsten einer Buchhändlerausbildung frühzeitig ab.35 Er war selbst seit 1913 im Wandervogel e. V. Mitglied. Dort lernte er die übliche Praxis des gemeinsamen Singens und Wanderns kennen und er nutzte seine Kenntnisse beim Geigenspiel auch dort zum gemeinsamen Musizieren. Bedeutend bestimmt war dies durch das Liederbuch „Zupfgeigenhansl“ Hans Breuers.36 Seinen Berufswunsch verfolgte er zunächst durch eine einjährige Sortimenter-Ausbildung in der Augsburger Buchhandlung Reuß. Nebenbei engagierte sich Vötterle bei der Organisation von Dichterlesungen und Vorträgen und lud zu einer solchen Gelegenheit zu einem Liederabend den Volksliedsammler und Musikerzieher Walther Hensel alias Julius Janiczek gemeinsam mit seiner Frau Olga ein. Aus Vötterles Sing- und Musizierbegeisterung und der Inspiration durch Hensels Interpretation von Volksliedern begann Vötterle einen Chor zu leiten, für welchen er stets auf der Suche nach neuem Liedgut war, woraus die Idee einer eigens verlegten Liedersammlung entsprang. Doch traute er sich zunächst nicht selbst die Herausgeberschaft zu und bei einem zweiten Liederabend der Hensels in Augsburg gewann er Walther Hensel hierfür. Von dieser Begegnung inspiriert luden Walther und Olga Hensel Vötterle ein, an ihrer geplanten Finkensteiner Singwoche im Sommer 1923 teilzunehmen, die Walther und Olga Hensel zusammen organisierten und leiteten. Die Hensels erließen ihm wegen der Geldentwertung in Deutschland die Teilnahmegebühr.37 Ein notwendiges Reisegeld kam von Vötterles Vater: Er gab ihm „Mitten in der Inflation“ 50.000 Mark, die zu einem guten Teil für Bahnfahrten und Verpflegung Verwendung fanden.38 Vötterle war von dieser Singfreude und der Idee des gemeinschaftlichen Singens so begeistert, dass er hierauf seine berufliche Zukunft baute. Was aber das Besondere der „Finkensteiner“ ausmachte und was auch Vötterle begeisterte, liest sich in dem von Dr. Hans Klein herausgegebenen und im Bärenreiter Verlag 1924 abgedruckten Bericht über die Finkensteiner Singwoche so: 35 Vgl. Grünsteudel, Günther: Vötterle, in: Wißner Verlag (Hrsg.): Stadtlexikon Augsburg, Eintrag vom 31.05.2013, online unter: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/voetterle/ 5769 [23.07.2019]. 36 Vgl. Ehmann, Wilhelm: Volkslied und Singbewegung, in: Baum, Richard / Rehm, Wolfgang (Hrsg.): Musik und Verlag. Karl Vötterle zum 65. Geburtstag am 12. April 1968, Kassel 1968, S. 51–63, hier: S. 51; Vgl. Kapitel 2.1. 37 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 49–50. 38 Vgl. Personenmappe Karl Vötterle, AdJb P1/1421.
Aus der „bündischen Subkultur“ entsprungen – Die Verlage
Den Finkensteiner möchte ich sehen, dessen Augen nicht leuchten, wenn er an Finkenstein erinnert wird. Schon der Klang des Namens weckt Vorstellungen von Vogelgesang, Sonnenlicht und Waldesrauschen. Wir sehen die weltvergessene kleine Siedlung von drei, vier Häuschen mit dem Garten, dem eiskalten Brunnen, dem Turnplatz inmitten der weiten Fichtenwälder mit den unzähligen Heidelbeersträuchern. Wir sehen uns selbst, ein junges, singfrohes Volk, wie wir auf diesem friedvollen Stück Heimaterde eine naturnahe, einfach-strenge Lebensweise führen und wie wir dem Herrgott danken für diese heilige weltferne Ruhe inmitten einer umbrandeten deutschen Sprachinsel, dem Schönhengstgau, im uralten böhmisch-mährischen Grenzwald.39
In nahezu allen Beschreibungen über diese erste Singwoche finden sich ähnlich emotionale Umschreibungen sowie die Berufung auf die Natur, die deutsche Heimat und Gott. Nicht nur in Texten suchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Finkensteiner Singwoche ihre Verbundenheit und ihre emotionalisierte Erfahrung festzuhalten. So existiert beispielsweise von einer der täglichen Versammlungen im Kreis auf einer Waldlichtung ein Gemälde Hermann Heides mit dem Titel „Morgenfeier auf der Waldwiese in Finkenstein“ und einer Größe von 132 × 110 cm, Öl auf Leinwand. Offiziell trägt es kein Datum, es ist also unklar, ob der Maler das Bild vor Ort oder im Nachhinein aus seiner Erinnerung heraus malte (Abbildung 14). Als Zusatzinformationen findet sich im Archivkatalog des Archivs der deutschen Jugendbewegung folgender Hinweis: „Das Gemälde basiert auf die [sic!] Finkensteiner Singwoche im Sommer 1923. Als Teilnehmer erkennt man u. a.: Olga u. Walter Hensel mit dem Kind Herbert, Erna u. Richard Poppe, Vötterle u. Walter Sturm.“40 Das gesamte Bild ist in leuchtendem Grün gehalten, die morgendliche Sonne blitzt an manchen Stellen durch die Wipfel der Fichten. Eine Gruppe von etwa 30 Personen steht in einem Kreis, ihre Kleidung ist auffallend bunt, im Vordergrund ist ein Kleinkind mit einer blauen Blume in einer Hand zu sehen, genauso wie zwei junge Frauen, die in Richtung der Morgenrunde laufen. Walther Hensel ist anhand seines markanten Kleidungsstils deutlich zu erkennen – er steht neben seiner Frau Olga in der Mitte des Kreises dem Betrachter zugewandt und ohne, dass sie von ihnen gegenüberstehenden Personen verdeckt wären. Das Kind im Vordergrund ist das einzig abgebildete und kann damit ihr Sohn sein. Richard und Erna Poppe könnten, da Richard Poppe Brille trug und dem einzigen mit Brille abgebildeten Mann eine Frau ihren Kopf auf die Schulter legt, die Personen zwei und drei rechts neben Olga Hensel sein. Nun sind noch zwei junge Männer zu erkennen. Welcher von ihnen Vötterle und welcher Walter Sturm war, kann verschieden interpretiert werden: Vötterle trug seinen Aussagen zu39 Klein, Hans (Hrsg.): Die Finkensteiner Singwoche. Im Namen und Auftrag aller Teilnehmer, Augsburg 1924, Bärenreiter Archiv Nr. 15 (1924). 40 Land Hessen, Hessisches Landesarchiv (Hrsg.): Eintrag in der ArcinSys-Datenbank zu AdJb K1 11; URL: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v3848416 [03.01.2022].
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Abbildung 14 Gemälde Hermann Heides „Morgenfeier auf der Waldwiese in Finkenstein“, 132 × 110 cm, Öl auf Leinwand, AdJb Kb 1/11.
folge nahezu immer eine kurze Hose, allerdings trug er auf einem Gruppenbild dieser Singwoche eine dunkle Jacke mit hellem Hemdkragen – das beste Distinktionsmerkmal, Vötterles abstehende Ohren, die Sturm nicht hatte, kann auf dem Gemälde nicht erkannt werden.41 Die ersten „Finkensteiner Blätter“ erschienen im Herbst 1923. Bereits zum Jahreswechsel 1923/24 verließ Vötterle die Buchhandlung Reuß, bei der er seine Lehre gemacht hatte und widmete sich vollständig seinen verlegerischen Tätigkeiten. Ein Versuch bei C. H. Beck in München ein Volontariat zu vereinbaren scheiterte an den verschiedenen Vorstellungen und so erwarb Vötterle sein Wissen und seine Kenntnisse in der täglichen Arbeit und den Herausforderungen, die an ihn als Verleger herangetragen wurden.
41 Vgl. auch ein Gruppenbild der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in: Vötterle, Haus unterm Stern, Bild Nr. IV.
Aus der „bündischen Subkultur“ entsprungen – Die Verlage
Was ich nicht konnte und was ich nicht lernen wollte, übergab ich in der Folgezeit zuverlässigen Mitarbeitern. Im Februar [1924, F. M.] stellte ich bereits eine Hilfskraft, einen arbeitslosen Techniker, ein. Am 1. Mai 1924 kam Gertraut Hahn zu mir. Sie war vierzig Jahre lang meine rechte Hand und darf in diesem Kapitel, in dem vom Gründungskapitel des Verlags die Rede ist, mit Fug und Recht als mein Hauptkapital genannt werden.42
Den ersten Verlagssitz hatte er in der elterlichen Wohnung Garbenstraße 17 in Augsburg, genannt Aumühle.43 Bereits nach kurzer Zeit entwickelte sich ein weitreichendes zunächst auf die Finkensteiner Bewegung ausgerichtetes Verlagsprogramm und sobald Vötterle volljährig war – am 12. April 1924 – ließ er sich offiziell in Leipzig in den Börsenverein der deutschen Buchhändler als Verleger eintragen. Am Abend des gleichen Tages meldete er nach eigener Erzählung, gerade aus Leipzig wiedergekehrt, sein Gewerbe auch im Handelsregister in Augsburg an.44 Als Vötterle noch nicht viel eigens Verlegtes vorzuweisen hatte, warb er in seinen Zeitschriften für die durch ihn geführte Buchhandlung. Auf den letzten beiden Seiten und auf dem hinteren Schutzumschlag des ersten Heftes des ersten Jahrgangs der „Singgemeinde“ 1924 fanden sich Hinweise auf Bücher, unter anderem aus dem Johannes Stauda Verlag. Auf der Schutzumschlagsinnenseite findet sich der Vermerk: Sämtliche angezeigte oder besprochene Bücher oder Noten sind in der Bärenreiter-Buchhandlung Augsburg-Aumühle vorrätig. Versand nach auswärts gegen Nachnahme, bei Voreinsendung des Betrages porto- und verpackungsfreie Lieferung – Auf Wunsch Teilzahlung.45
Vötterle handelte also ganz ähnlich wie Voggenreiter und Habbel in ihrer Anfangszeit und baute seine Existenz zunächst durch den Betrieb einer kleinen Sortimentsbuchhandlung und der zeitgleichen Herausgabe der ersten eigenen Zeitschriften beziehungsweise Buchpublikationen auf. Vötterle hatte dabei allerdings den Vorteil gegenüber Voggenreiter und Habbel, dass er bereits bei einem Buchhändler in der Lehre gewesen war und so zumindest diese Art des Wirtschaftens und die Vertriebswege kannte. Damit konnte er die üblichen 30–40 % Buchhandelsrabatt des jeweiligen Ladenpreises als sichere Einnahme verbuchen. Es scheint, als habe sich dieses Modell bewährt. Vötterles Motivation zur Verlagsgründung ist der Habbels und Voggenreiters gleich und kann als der Wille zur Sichtbarmachung einer Idee in der Gesellschaft, zunächst in einer interessierten subkulturellen Gruppe, später in weiteren Gesellschaftskreisen,
Ebd., S. 69–70. Vgl. Grünsteudel, Günther: Vötterle, in: Wißner Verlag (Hrsg.): Stadtlexikon Augsburg, Eintrag vom 31.05.2013 [Onlinefassung], URL: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/ voetterle/5769 [06.06.2020]. 44 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 67–68. 45 Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 27. 42 43
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interpretiert werden. Doch diente er sich einer völlig anderen Richtung der Jugendbewegung an: Der Jugendmusikbewegung. Dass Walther Hensel nun bei dem neu gegründeten Bärenreiter-Verlag seine Schriften veröffentlichen ließ, war nicht selbstverständlich. Zuvor übernahm dies der Böhmerland-Verlag von Johannes Stauda, der in Eger seinen Verlag aufbaute und Anfang der 1920er Jahre nach Augsburg zog46. Sowohl Hensel als auch Staude und der Maler Hermann Heide standen der böhmisch-mährischen Wandervogelbewegung nahe. Und auch der Böhmerland-Verlag war durch die Entwicklungen in der deutschen Jugend und im Wandervogel entstanden, hatte jedoch vor allem einen Bezug zur auslandsdeutschen Sprachinsel in Böhmen, die ihre Kultur und Sprache trotz der geografischen Zugehörigkeit zur Tschechoslowakei pflegen wollte. Damit war dieser Verlag der Vorstellung Hensels von der Urwüchsigkeit von Volkskultur und -musik, die sich an der umgebenden Landschaft schärfte, ideell sehr nahe.47 1925 zog der Bärenreiter Verlag in eigene Räume in der Neuhoferstraße in Augsburg. Es entstanden erste wichtige musikwissenschaftliche Verlagswerke unter anderem von Joseph Müller-Blattau, Ernst Fritz Schmid und Konrad Ameln.48 Zunächst verlegte Vötterle zusätzlich Werke wie jene von Heinrich Sachs und über Hausmusik. Vötterle schrieb später anlässlich von fünfzig Jahren Finkenstein auch über die frühen Einflüsse der Musikwissenschaft auf die Verlage Kallmeyer und Bärenreiter. Bei Bärenreiter war bereits Mitte 1926 Dr. Richard Baum (*1902) als Lektor eingestiegen, über den die ehemalige Mitarbeiterin Hildegard Goetze sagte,49 dass „[m]it ihm […] ein neues Element in unsere Gemeinschaft [trat]. Dr. Baum beteiligte sich nicht am allgemeinen DuSagen (von Singwochen und Wandervogel überkommen), er hielt Distanz und brachte dadurch – und nicht nur dadurch – einen ganz neuen Klang in die Gemeinschaft.“50 Baum hatte in Tübingen und München Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Pädagogik studiert und schloss 1926 mit seiner Promotion ab.51 Bei Kallmeyer brachte Friedrich Blume 1928 die erste Gesamtausgabe zum Werk Praetorius’ heraus und war damit ebenfalls an die Diskurse der Musikwissenschaft angelehnt – beide waren sie musische Verlage und waren sich ihrer Konkurrenzsituation bewusst. Die Namensgebung des Verlages ist noch enger mit der Jugendbewegung verbunden als die der anderen Verlage. Pathetisch und nostalgisch gefärbt beschreibt der Verleger selbst diese Überlegungen in seinen Lebenserinnerungen „Haus unterm Stern“.
Vgl. Werbeteil in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 25. Vgl. Becher, Peter: „Stauda, Johannes“, in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 79–80 [Onlinefassung]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117220825.html#ndbcontent [06.06.2020]. 48 Vgl. Grünsteudel, Günther: Vötterle, in: Wißner Verlag (Hrsg.): Stadtlexikon Augsburg, Eintrag vom 31.05.2013 [Onlinefassung], URL: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/ voetterle/5769 [06.06.2020]. 49 Hildegard Goetze war nur eineinhalb Jahr bei Vötterle, wo sie für die Betreuung und die Buchungen der „Finkensteiner Blätter“ zuständig war. Später wechselte sie zu Eugen Diederichs nach Jena. 50 Vgl. Personenmappe Karl Vötterle, AdJb P1/1421. 51 Vgl. Personenmappe Dr. Richard Baum, AdJb A 228, 39, 11. 46 47
Aus der „bündischen Subkultur“ entsprungen – Die Verlage
Demzufolge sei ihm und seinen singbegeisterten Freunden der Stern namens Alkor, der über dem Sternbild des Großen Bären zu finden ist, besonderer Leitstern gewesen – sie nannten ihn den Bärenreiter. So sollte fortan auch sein Verlag heißen.52 Darauf fußte auch das erste Verlagssignet: Es zeigte einen Bären, darauf stehend einen kleinen Jungen, der nach einem Stern greift. Es war noch stark von der kindlich-spielerischen Vorstellung des Bärenreiters als kleinem Jungen geprägt. Bereits vor dem Umzug des Verlages nach Kassel gab sich der Verlag ein neues Gesicht. Zunächst nutzte Vötterle eine Grafik, die einen jungen Mann in einem Kreis zeigte, der auf der Erde neben einer jungen Pflanze steht. Über seinem Kopf und außerhalb des Kreises war auch weiterhin der Stern zu sehen, wie auf dem Einband der ersten Jahresausgabe der Zeitschrift „Die Singgemeinde“ zu sehen ist. Seit 1926 und dem zweiten Jahresband der „Singgemeinde“ ziert die Verlagsveröffentlichungen erneut ein Bär.
Abbildung 15 Links: Verlagssignet entnommen aus: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, MuWi HD B 193 a rem; Mitte: Verlagssignet entnommen aus: Epping, Heino (Hrsg.): Die Singgemeinde. Erster Jahrgang 1924/25, Augsburg 1925, MuWi HD B 193 a rem; Rechts: Verlagssignet entnommen aus: Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde. Vierter Jahrgang 1927/28, Kassel 1928, MuWi HD B 193 a rem.
Die kurzzeitige Abkehr vom Bären scheint den Verleger nicht überzeugt zu haben und so kam der Bär zurück. Die Blickrichtung des Bären blieb auch nach dem Intermezzo des bärenlosen Mannes dieselbe. Der Bär an sich allerdings ist ab 1926 ruhiger und erweckt nicht mehr den Anschein zu rennen. Der auf dem Rücken des Bären stehende und nach dem kleinen, als Punkt abgebildeten Stern greifende Junge war verschwunden. Stattdessen war der Stern präsenter geworden – größer und in vier Richtungen ausstrahlend. Die Bildsprache ist mit diesem Schritt näher an der Ursprungsbedeutung des Sterns Alkor über dem großen Bären herangerückt. Die Wirkung ist professioneller, besonnener und dem sich ausweitenden Geschäft angemessen. 1926 kam Eduard Kurbjuhn als Mitarbeiter hinzu, der als Drucker die Bandbreite des Verlages erweiterte. So schreibt Goetze: „Aber in Bälde ertönte noch ein anderes
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Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 13, 51.
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Geräusch aus einem kleinen Nebenraum, in dem unser dynamischer Chef inzwischen eine Tiegeldruckpresse installiert hatte.“53 Diese hauseigene Druckerei in den Räumen des Verlages bedeutete kürzere Wege und sicherte einen optimierten Betriebsablauf, auch wenn Vötterle zu bedenken gibt, dass „eine eigene Druckerei dazu verführt, zu verlegen, nur um die Maschinen zu füttern […] und eine Druckerei, deren Maschinen nicht ausgenützt sind, arbeitet unwirtschaftlich und wird statt zu der erwarteten Hilfe zu einer Belastung“.54 Gleichzeitig bedeutete das also auch die Erweiterung des Mitarbeiterstandes und die Notwendigkeit der bestmöglichen Auslastung der Druckmaschinen: Offenbar reichten die bislang verlegten Werke und die Begeisterung Vötterles für die Druckerei aus, um das Wagnis einzugehen. In der Zeit in Augsburg zwischen 1923 und 1927 waren bereits rund 200 Verlagswerke im Bärenreiter Verlag entstanden, der Mitarbeiterkreis hatte sich auf 14 Personen erweitert.55 1927 lernte Vötterle Maria Zeiß kennen, die seine Mitarbeiterin Hilde Hahn von einer Begegnung bei einer Singwoche kannte. Im Frühjahr 1927 verlobten sie sich und der zukünftige Schwiegervater Carl Zeiß schlug vor, das Anwesen neben dem seinen zu beziehen. So zog Vötterle samt dem Verlag und der gerade erst eingerichteten Druckerei nach Kassel. Die zentrale Lage innerhalb Deutschlands und die guten Bedingungen, die ihm die Stadt Kassel für sein Unternehmen bot, waren wohl auch Gründe für diese Entscheidung.56 Sein Verlag bezog den zu diesem Zwecke erbauten Neubau in der Rasenallee 77–79 in Kassel-Wilhelmshöhe.57 Auch wenn im heutigen Bärenreiter Verlag ein historisches Archiv geführt wird, ist die Quellenlage weit schlechter als bei Voggenreiter. Im März 1945 wurde das Verlagsgebäude durch einen Bombenangriff völlig zerstört.58 Dadurch sind verlagseigene Akten aus der Zeit von vor 1945 nicht erhalten. Die Publikationen des Verlages aber wurden durch den Verlag nach dem Kriegsende erneut zusammengetragen und weilen nun gut sortiert im firmeneigenen Archiv in Kassel. Was aber bemerkt werden muss, ist die Tatsache, dass der Bärenreiter Verlag neben dem damaligen Verlag Der Weiße Ritter und heutigen Voggenreiter Verlag der Einzige ist, der von den vier besprochenen heute noch besteht. Sowohl die Weimarer Jahre, als auch die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg inklusive Neuanfang überstand der Verlag, der Gründer Karl Vötterle baute das Verlagsprogramm in den alten Sparten wieder auf und erweiterte es sukzessive durch neue, prestigeträchtige Werke wie „Musik in
Vgl. Personenmappe Karl Vötterle, AdJb P1/1421. Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 80. Vgl. Grünsteudel, Günther: Vötterle, in: Wißner Verlag (Hrsg.): Stadtlexikon Augsburg, Eintrag vom 31.05.2013 [Onlinefassung], URL: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/ voetterle/5769 [06.06.2020]. 56 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 73–78. 57 Vgl. Singgemeinde, Jg. 7 (1930/31), Heft 1, Kassel 1930. 58 Vgl. Personenmappe Karl Vötterle, AdJb P1/1421. 53 54 55
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Geschichte und Gegenwart“ (MGG).59 In diese Zeit fallen ebenfalls Veröffentlichungen des Verlegers selbst über die Gründung und die Anfangsjahre und verlagseigene Veröffentlichungen, die den Quellenbestand ergänzen. Hierbei ist die Mischung aus Aktenbelegen und autobiografischen Quellen eine nicht ganz problemfreie und muss kritisch gerahmt werden.60 4.2
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“ – Zeitschriften und Verlagsprogramm
Bereits früh hatten die Jugendverbände eigene Periodika, um ihre Mitglieder zu erreichen. Deutlich wird das in der von Herta Siemering herausgegebenen Zusammenschau der deutschen Jugendpflegeverbände von 1918, die bereits in Kapitel 1 dieser Arbeit zur Sprache kam. Hier werden vom Blickpunkt 1918 aus bereits verschiedene Bundeszeitschriften genannt: Für den damals bereits erneut vereinigten „Wandervogel e. V.“, die Abspaltungen „Alt-Wandervogel“ und „Jungwandervogel“ die jeweiligen, gleichnamigen Monatsschriften. Dabei wurde die Zeitschrift „Wandervogel“ bereits seit 1913 unter Mitwirkung Georg Kallmeyers im Julius Zwißler Verlag herausgegeben. Der Deutsche Pfadfinderbund unterhielt seit 1912 das Bundesblatt „Der Pfadfinder“ mit der Beilage „Der Feldmeister“ im Otto Spamer Verlag aus Leipzig, das viele Ortsgruppen zur Pflichtlektüre für die Jungen erhoben (notabene: 1914 nach eigenen Angaben 90.000 Jungen und 2.000 Feldmeister). Auch der an den Deutschen Pfadfinderbund angelehnte Bayerische Wehrkraftverein hatte eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift für Junge namens „Jung-Bayern-Zeitung“ im Selbstverlag, eine Zeitschrift für Ältere erschien sporadisch.61 „Der Aufbau“, der erste Jahrgang der späteren Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, wurde auf Initiative von Franz Ludwig Habbel ebenfalls vom Jung-Bayern e. V. herausgegeben und verlegt. 1925 werden in der noch intensiver zu besprechenden Zeitschrift „Das junge Volk“ die zu dieser Zeit verfügbaren Zeitschriften der Bünde aufgelistet: Es sind 28 Stück mit einem Preis von 30 Pfennig bis 2 Mark pro Heft, die meisten erschienen monatlich,
59 Vgl. Grünsteudel, Günther: Vötterle, in: Wißner Verlag (Hrsg.): Stadtlexikon Augsburg, Eintrag vom 31.05.2013 [Onlinefassung], URL: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/ voetterle/5769 [06.06.2020]. 60 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern; Baum/Rehm, Musik und Verlag; Gottschick, Bärenreiter-Chronik; dies.: Karl Vötterle. 61 Vgl. anonym: Der Bayerische Wehrkraftverein, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 50–51; Schomburg, Emil Heinrich: Der Wandervogel, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 385–391; anonym: Der Deutsche Pfadfinderbund, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 51–53.
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wenige alle zwei Monate, vierteljährlich, halbjährlich oder „zwanglos“. Darunter sind auch „Die Spur“ (Der Weiße Ritter Verlag) und „Der Pfadfinder“ (zu diesem Zeitpunkt im Selbstverlag des Deutschen Pfadfinderbundes), „Die Finkensteiner Blätter“ (Bärenreiter Verlag), „Der Weiße Ritter“ (Der Weiße Ritter Verlag) und „Das junge Volk“ (Verlag Das junge Volk) genannt. Zusätzlich aber erschienen viele weitere bundesspezifische Zeitschriften verschiedener Wandervogelbünde, anderer Bünde wie der Adler und Falken oder des Jungnationalen Bundes oder themenbezogene Zeitschriften wie für die katholische Jugend oder zum erneuten Aufbau der kulturellen Formen des Ostdeutschtums.62 Ähnliche Auflistungen finden sich in den musikbezogenen Zeitschriften der Jugendmusikbewegung. Unter dem Titel „Führende Musikzeitschriften“ findet sich 1928 eine Zusammenstellung der Zeitschriften in der „Singgemeinde“ des Bärenreiter Verlages. Es werden neun Veröffentlichungen genannt: „Die Musikantengilde“ (Georg Kallmeyer Verlag), „Musik und Kirche“ und „Die Finkensteiner Blätter“ (beides Bärenreiter Verlag), die Zeitschriften im Verlag der Universal-Edition A.-G. Wien „Anbruch“, „Schrifttanz“, „Musica divina“ und „Pult und Taktstock“, genauso wie die „Schweizerische Musikzeitung und Sängerblatt“ und die „Schweizerischen Musikpädagogischen Blätter“.63 Zwei Jahre später werden statt der letzten sechs Zeitschriften zwei andere genannt: Das „Gregorius-Blatt“ für katholische Kirchenmusik (Verlag L. Schwann) und die „Zeitschrift für Kirchenmusik“. Zudem wurde die Zeitschrift „Die Musikantengilde“ 1930 durch „Musik und Gesellschaft“ (Verlag Georg Kallmeyer Wolfenbüttel und B. Schott’s Söhne Mainz) ersetzt, die nun als „Arbeitsblätter für soziale Musikpflege und Musikpolitik“ von Fritz Jöde und Hans Böttcher herausgegeben wurden.64 Es gab also von Beginn an das Bestreben der Bünde ihre Mitglieder mittels Zeitschriften zu erreichen. Einige Zeitschriften wurden im Selbstverlag oder in Kleinstverlagen herausgegeben, was nicht mit einer Gewinnabsicht einherging. Wo dies jedoch bestehende oder entstehende Verlage übernahmen, war es notwendig einen Gewinn zu erwirtschaften. Die Verlage definierten ihre Zielgruppe und sprachen sie mit gezielten Annoncen, ähnlichen Angeboten und mit Themenheften an. Diese Ausdifferenzierung der Zielgruppe und der Adressierung ihrer Bedürfnisse wird im Folgenden für die drei Verlage gezeigt werden (4.2.1, 4.2.2 und 4.2.3). Abschließend wird in Kapitel 4.2.4 verdeutlicht, dass sich diese Form des Marktgeschehens nur auf einem ideologisch freien Markt entfalten kann. Sobald Kultur jedoch zur Politik eines faschistischen Staates wird – hier durch nationalsozialistische Kulturpolitik – wird die Zielgruppendefinition und -adressierung unnötig bis unmöglich.
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Vgl. Das junge Volk, Jg. 6 (1924/25), Heft 2, Plauen im Vogtland 1925, Umschlagseite hinten innen. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 5 (1928/29), Heft 1, Kassel 1928, Anzeigenteil. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 7 (1930/31), Heft 6, Kassel, 1930, Anzeigenteil.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
4.2.1
Jöde, Kallmeyer und das Musizieren für Laien und Profis
Prägend für die Arbeit des Kallmeyer Verlages war die Zusammenarbeit mit Fritz Jöde. Eines der erfolgreichsten Bücher, das von ihm bei Kallmeyer erschien, war „Der Musikant“, das auch Kallmeyer im Nachhinein als besonders wirkungsvoll kennzeichnete: Fritz Jödes „Musikant“ trat seinen Siegeslauf an und erreichte, meines Wissens, erstmalig und einmalig, daß ein Liederbuch, das stark in den Schulen benutzt wurde, in gleichem Maße Liederbuch der Jugend sein konnte, weil es das eigenste Leben der Jugend zum Ausdruck brachte.65
Was Jöde vor allem auszeichnete, war sein beharrliches Engagement in der Weiterentwicklung der musikalischen Bildung der Massen. Fritz Jöde war zunächst Volksschullehrer, er besuchte das Lehrerseminar von 1902 bis 1908, arbeitete als Hilfslehrer und von 1909 bis 1914 an einer privaten Realschule, am Ersten Weltkrieg nahm er von Februar 1915 bis März 1916 bis zu einer Verwundung teil. Er wurde in den 1920er Jahren zu einem der bedeutendsten Musikpädagogen Deutschlands. Es ist durchaus beachtlich, welche große Anzahl an Publikationen Jöde auf diesem Gebiet zu verantworten hat und wie viele Musikpädagogen jener Zeit sich auf sein Werk beriefen.66 Jöde beschäftigte sich bereits früh mit Pädagogik und machte 1917 in seiner Kurzschrift „Jugendbewegung oder Jugendpflege?“ vier Erziehungsinstanzen aus, die zu dieser Zeit „um der Jugendwillen an der Jugend arbeiten“ und eine gewisse Macht über sie hätten: Familie, Schule, Jugendbewegung und Jugendpflege. Dabei schloss er für eine vollendete Erziehung zu Beginn Familie und Schule aus – die Gründe dafür sind bemerkenswert: Mit dieser Erwägung [Familie ist Erziehung aus Eigennutz, F. M.] muß aber auch die Schule, ob sie schon neben der Familie äußerlich heute bei weitem die größere Macht der werdenden Generation gegenüber ist, aus dem Rahmen dieser Betrachtung ausscheiden; denn die heutige Lehrerschaft arbeitet zum weitaus größten Teile um ihrer wirtschaftlichen Existenz willen und ruft so hervor, daß Unbezahlbares bezahlt wird. […] Man höre, wie bei jeder geistigen Arbeit mit der Bezahlung auf, setze eine wirtschaftliche Sicherstellung als gegeben voraus und suche die Schulmeister, die dann aus innerem Drange aus bei ihrer Arbeit geblieben sind! […] die wenigen [in Frage kommenden Arbeiter] finden sich
Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler, Wolfenbüttel 1938, S. 11. Vgl. Riemer, Fritz Jöde und der Hohe Meißner, S. 165; Eintrag „Fritz Jöde“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 2, Frankfurt am Main 1974, S. 181–188.
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
ohnehin in den beiden hiernach noch verbleibenden Mächten [– der Jugendbewegung und der Jugendpflege].67
Jöde verurteilt hier eindeutig die Verknüpfung von Erziehung und Wirtschaftlichkeit. Ideell will er jede Person, die sich in der Jugendarbeit betätigt, – wie alle geistigen Arbeiter – wirtschaftlich sichergestellt sehen, doch als Bezahlung für ihr Tun will er diese wirtschaftliche Sicherheit nicht ansehen – ein Paradox, das den Überlegungen eines bedingungslosen Grundeinkommens speziell für Erzieher und Lehrer nahekommt. Diese unbedingte Bereitschaft der Arbeit an der Jugend aber sieht Jöde sowohl in der Jugendpflege als auch in der Jugendbewegung bereits verwirklicht. Seine Person selbst an seinen Maßstäben messend, ist immer wieder festzustellen, dass er hochdotierte Stellen innehatte und auch als Professor tätig war und dennoch das Ideal des aufopfernden Pädagogen, der seine Arbeit um ihretwillen verrichtet, proklamierte. Seine Stellung in der Herausbildung eines „bündischen Kulturmarktes“ ist damit durch seine Autorentätigkeit und die durch ihn gegründeten und geführten pädagogischen Institutionen besonders interessant und folgenreich. Darauf wird in Kapitel 5 zurückzukommen sein. Sowohl bei Jöde als auch bei den meisten anderen Jugendmusikbewegten war der wichtigste Leitbegriff der der „Gemeinschaftsmusik“, den die Musikwissenschaftlerin Dorothea Kolland in ihrem Werk „Die Jugendmusikbewegung: ‚Gemeinschaftsmusik‘ – Theorie und Praxis“ 1979 als „Gebrauchsmusik“ einer „Volksgemeinschaft“ definiert. In der Jugendmusikbewegung galt die Annahme, dass Volkslieder und gemeinsame Chormusik das Gegenstück zur reinen Unterhaltungsmusik und auch zur individualistischen Konzertmusik darstellten und ihre Förderung zur „Gesundung des Volkskörpers“ beitrüge. Der Begriff „Gemeinschaftsmusik“ sei vereinfacht in drei Kriterien zusammenzufassen: Sie müsse „in einer Gemeinschaft produziert sein, […] von einer Gemeinschaft reproduzierbar und von einer Gemeinschaft rezipierbar sein.“68 Dieses Bild aus dem Fotonachlass Julius Groß’ wurde am 16. Juni 1929 aufgenommen und zeigt Fritz Jöde in der Bildmitte, dem Betrachter den Rücken zugewandt, erhöht stehen. Er hat die Arme erhoben und dirigiert eine Gruppe junger Personen von gut zwei Dutzend – Frauen und Männer gleichermaßen –, die ihn im Halbkreis sitzend umringen, ihre Instrumente – Cellos und Geigen – in den Händen. Notenständer und Notenblätter sind deutlich zu erkennen. Im Hintergrund des Bildes sitzt und steht in Rängen der Freilichtbühne nach Art eines Amphitheaters ein nicht weiter zu definierendes Publikum, dem Anschein nach sowohl jung als auch alt. Beschrieben ist das Bild als „Singtreffen der Berliner Jugend im Volkspark Jungfernheide in 67 Jöde, Fritz: Jugendbewegung oder Jugendpflege? Hamburg 1917, S. 5–6; Diese Aussage weist auch auf Jödes positive Beurteilung von Reformschulen hin, was sich auf der letzten Seite der Kurzschrift bestätigt, wenn er auf „die freie Schulgemeinschaft der Zukunft“ Bezug nimmt. 68 Kolland, Die Jugendmusikbewegung, S. 95.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 16 Singtreffen der Berliner Jugend im Volkspark Jungfernheide in Berlin (Leitung: Fritz Jöde), 1929, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/379/96. Fritz Jöde dirigiert die anwesenden Musikantinnen und Musikanten. Das mitsingende Publikum sitzt auf den Stufen des Amphitheaters im Park Jungfernheide.
Berlin (Leitung: Fritz Jöde)“.69 Mia Holz weist darauf hin, dass dieses Treffen jährlich stattfand und zusammen von der städtischen Volksmusikschule und den Jugendmusikschulen in Charlottenburg und Neukölln ausgerichtet wurde. Da alle Schülerinnen und Schüler dieser Einrichtungen sowohl Musiktheorie als auch Instrumental- und Chorgesangsunterricht belegen mussten und das Bild als Singtreffen betitelt ist, kann davon ausgegangen werden, dass das „Publikum“ unter anderem weitere Schülerinnen und Schüler der Volks- und Jugendmusikschulen waren und solange sie kein Instrument spielten, wenigstens mitsangen.70 Diese Art des gemeinsamen Singens und Musizierens verkörperte die vielbeschworene „Gemeinschaftsmusik“. Getragen von den Ideen dieser gemeinschaftlichen „Gebrauchsmusik“ waren sowohl solche offenen Singetreffen als auch Musikantengilden, die als Form gemein69 In der Beschreibung der Fotoserie wird der 16. Juni 1929 angegeben, bei den einzelnen Bildern wird der 30. Juni genannt, vgl. Archiv der deutschen Jugendbewegung: Bestand F 1 Serie 379 [Onlinefassung], URL: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=s111193 [06.06.2020]; Angekündigt wurde das Treffen jedoch für den 16. Juni – bspw. in der überbündischen Zeitschrift „Der Zwiespruch“ vom 29. Mai 1929; Vgl. Singtreffen der Berliner Jugend, in: Der Zwiespruch. Unabhängige Zeitung der Jugendbewegung, Nachrichten- und Anzeigenblatt ihres wirtschaftlichen Lebens, Jg. 11 (1929), Heft 22, Hartenstein in Sachsen 1929, S. 249. 70 Vgl. Holz, Musikschulen und Jugendmusikbewegung, S. 172–174; Vgl. auch Kapitel 5.1.
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samen Musizierens eine wichtige Komponente der musikpädagogischen Praxis der 1920er Jahre abbildeten. Entstanden ist letztere zunächst durch den informellen Zusammenschluss musizierender Gruppen deutschlandweit. Zusammengeführt wurden die Ideen und in gewisser Weise auch die Organisation dieser Laien-Musiziergruppen in der Zeitschrift „Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik“. „Die Laute“ hatte Richard Möller 1917 in Hamburg gegründet und im Julius Zwißler Verlag herausgegeben. Möller verstarb 1918 und Jöde übernahm die Herausgeberschaft der Zeitschrift.71 In der Zeitschrift finden sich Aufsätze zu Komponisten wie Bach, Brahms, Beethoven, Mahler, Rein und Halm und zu Themen Musikerziehung, Hausmusik, Volksliedern, Expressionismus, Harmonik, Individualität und Gemeinschaft. Fritz Jöde berichtete aber auch aus seiner eigenen Lehrpraxis und wie er mit seinen Schülerinnen und Schülern in Austausch stand. Zudem fanden sich Berichte und Artikel zur Schulreform und dem viel diskutierten Thema der Musik in den Schulen. Das Ziel der Zeitschrift zeigt sich beispielsweise in einem Artikel Fritz Jödes über „Musikalische Gemeinschaftsarbeit“. Er habe viele Zuschriften bekommen, die er zum Anlass für diesen Artikel nahm und die vor allem zwei Fragen stellten: erstens die nach dem „Stofflichen“ und zweitens die nach dem Aufbau von Musiziergruppen und dem Finden von Gleichgesinnten. Dazu schreibt er: Es wird alles darauf ankommen – und darum bitte ich immer wieder –, daß möglichst alle bestehenden Musikgruppen, die in unserem Sinne arbeiten, sich davon zu überzeugen, ob sie in der „Laute“ aufgeführt sind, und wenn nicht, daß sie sich dann der geringen Mühe unterziehen und mich kurz von ihrer Arbeit wissen lassen.72
Dem fügt er hinzu, es solle sich keine Gruppe aus falscher Scham nicht melden, die Kritik von technisch überlegenen Musikern sollten sie nicht fürchten müssen. Gleiches gelte für die Neugründung von Musikgruppen, denen er die Scheu vor technischer Unfertigkeit nehmen und dazu ermutigen wollte, sich der Begeisterung hinzugeben. Das Musikalische könne auf dieser Grundlage erlernt werden. Zusätzlich spricht er sich für Dezentralisierung als Mittel zur individuellen und persönlichen Bildung aus, da dies dazu führe, dass sowohl in Instrumentengruppen als auch in Chören bessere Ergebnisse erzielt werden könnten – die Entwicklung des Einzelnen sollte also gefördert werden, um sich besser in der Gruppe einpassen zu können. Auch von der Musiktheorie sollten die Leserinnen und Leser nicht zurückschrecken, denn „es ist keine Kunstgattung wie die Musik geeignet, unerbitterlichste Selbstzucht zu üben“.73
Vgl. Gofferje, Karl: 1921 – erste Begegnung mit Fritz Jöde – und wie es dazu kam, in: Junge Musik, Jg. 8 (1957), Heft 5, Wolfenbüttel 1957, S. 173–175; Vgl. auch: Personenmappe Dr. Richard Baum, AdJb A 228, 39,11. 72 Jöde, Fritz: Musikalische Gemeinschaftsarbeit, in: Die Laute, Jg. 1 (1917/18), Heft 1, S. 25–28, hier: S. 25. 73 Jöde, Fritz: Musikalische Gemeinschaftsarbeit, in: Die Laute, Jg. 1 (1917/18), Heft 1, S. 25–28, hier: S. 28. 71
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Die bestehenden Musiziergruppen wurden in den folgenden Heften und Jahrgängen in der Zeitschrift bekanntgegeben und deren Leitung mit Adresse abgedruckt.74 Zudem lassen sich in der „Laute“ immer wieder Verweise auf einen festgefügten Kreis aus Komponisten und Musikern aus dem Kreis um Jöde finden: die neudeutsche Musikergilde. Diese Musikergilde stand nach eigenen Angaben für die Erneuerung der Hausmusik und gab ab 1921 ein eigenes Jahrbuch heraus, welches ihre neuen Kompositionen der Öffentlichkeit zugänglich machte. Diese Musikergilde strebte im Frühjahr 1921 eine engere Zusammenarbeit zwischen der neudeutschen Musikergilde und den Musiziergruppen der „Laute“ an, was kein großer Schritt war, da es ohnehin personelle Überschneidungen gab – Fritz Jöde, Georg Götsch und Karl Gofferje waren in beiden Zusammenschlüssen tätig.75 Um diesen Schritt zu besprechen lud Jöde 1921 einen Kreis Interessierter aus dem Umfeld des süddeutschen Wandervogel und der Musiziergruppen nach Heidelberg ein. Der Einladung folgten neben dem Verleger Georg Kallmeyer auch Bernhard Scheidler, Herman Reichenbach, Willi Siegele, Hans-Dagobert Bruger, Georg Götsch, Hilmar Höckner und Karl Gofferje. Sie „tagten“, nach Aussage Gofferjes, in der damals bestehenden Parkanlage vor dem Bahnhof auf zwei Bänken. Trotz der geringen Anzahl an Teilnehmern und des geringen Aufwandes dieses Treffens war ein Kreis an Menschen zusammengekommen, die vom Gedanken der gemeinschaftsbildenden und für alle – ob Laien oder Profis – zugänglichen Musik überzeugt waren.76 Sie trugen die Bewegung, doch der Kreis wurde schnell größer, auch durch die verstärkende Funktion Kallmeyers als Distributor. So ist auch die Zielsetzung der Zeitschrift „Die Laute“ zu erklären, der musizierenden Jugend ein Hilfsinstrument zu sein und nicht für die Musikwissenschaft zu schreiben. In Heft fünf des fünften Jahrgangs 1922 kündigte Jöde bereits an, dass die Ausrichtung der Zeitschrift vor allem von außen als nicht zum Titel passend wahrgenommen wurde und daher ab dem nächsten Jahrgang ein halbes Jahr später geändert werden solle. Hier schrieb er noch von dem Titel „Musik. Blätter der Erneuerung“77, tatsächlich kam die Zeitschrift unter dem Titel „Die Musikantengilde. Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend“78 heraus, was im letzten Heft des fünften Jahrgangs ausführlich angekündigt wurde: Wie der Herausgeber schon in Heft 5 betont hat, ist „Die Laute“ mit der Zeit über die Kreise der Jugendbewegung, für die sie ursprünglich gedacht war, hinausgewachsen. […] Um
Vgl. bspw. Die Laute, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920, S. 17. Vgl. Zum Jahrbuch der neudeutschen Musikergilde: Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 3, Wolfenbüttel 1922, S. 39; Die Laute, Jg. 4 (1920/21), Heft 5–6, Wolfenbüttel 1921, S. 41. 76 Vgl. Gofferje, Karl: 1921 – erste Begegnung mit Fritz Jöde – und wie es dazu kam, in: Junge Musik, Jg. 8 (1957), Heft 5, Wolfenbüttel 1957, S. 173–175; Personenmappe Dr. Richard Baum, AdJb A 228, 39, 11. 77 Vgl. Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 5, Wolfenbüttel 1922, S. 61–62. 78 Allerdings wurde der Titel 1926 erneut geändert in „Die Musikanten Gilde. Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk“. Vgl. Die Musikantengilde, Jg. 4 (1925/26), Heft 1, Wolfenbüttel 1925. 74 75
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nun Inhalt und Namen in innere Übereinstimmung zu bringen, haben Herausgeber und Verlag sich entschlossen, die Zeitschrift vom 1. Oktober [1922, F. M.] an unter dem Titel „Die Musikantengilde“ Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend herauszugeben. Also nicht „Musik“, wie ursprünglich geplant war, und zwar weil zur gleichen Zeit die vor dem Kriege erschienene Zeitschrift „Die Musik“ aufs neue [sic!] herauskommt.79
Aus diesen Bestrebungen entwickelte sich über die folgenden Jahre eine eigene Richtung der Jugendmusikbewegung. Die Formen der Aktivitäten waren verschiedene, nicht besonders ungewöhnliche: das Veranstalten von wochenweisen Sing- und Freizeitlagern, sogenannte „Singwochen“, die Gründung von staatlichen Jugendmusikschulen mit der ersten 1924 in Berlin-Charlottenburg, der Aufstieg und die Umstrukturierung bestehender Institutionen wie in diesem Fall der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, ebenfalls in Charlottenburg, und die weitere Verbreitung der Ideen vermittels Publikationen – Fritz Jöde veröffentlichte großteils bei Georg Kallmeyer. Neben den von ihm herausgegebenen Zeitschriften wie „Die Laute“ beziehungsweise „Die Musikantengilde“ entstanden beispielsweise Bücher wie das bereits oben genannte „Der Musikant. 6. Heft: Ein- oder mehrstimmige Gesänge mit und ohne Instrumentalbegleitung von Johann Sebastian Bach“ (1922)80, „Elementarlehre der Musik – Gegeben als Anweisung im Notensingen. 1. Teil“ (1927)81 oder „Weltliche Lieder und Gesänge für gleiche Stimmen“ (1930)82. Entscheidender Gedanke war für Jöde in allem die Lehre und das Anlernen von interessierten Laien und musisch Begabten – schlicht allen, die teilhaben wollten. Zur Bildung und Weitergabe der musikalischen Fähigkeiten gab Jöde sein Wissen in Theorie und Praxis weiter. 1923 wurde er an die Staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin-Charlottenburg berufen und lehrte dort als Dozent am Seminar für Volks- und Jugendmusikpflege. Aus dieser Bildungsinstitution heraus gründete er die erste staatliche Jugendmusikschule in Charlottenburg.83 Mit Unterstützung des Preußischen Kultusministeriums etablierte er dort ab 1925 regelmäßige staatliche Lehrgänge für Volks- und Jugendmusikpflege, an welchen vor allem Lehrerinnen und Lehrer teilnahmen.84 Zusätzlich waren Lehrgänge in Form von Arbeitswochen gängige Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 8, Wolfenbüttel 1922, Verlagsanzeigenseite am Anfang des Hefts. Vgl. Jöde, Fritz: Der Musikant. 6. Heft: Ein- oder mehrstimmige Gesänge mit und ohne Instrumentalbegleitung von Johann Sebastian Bach, Wolfenbüttel 1922. 81 Vgl. Ders.: Elementarlehre der Musik. Gegeben als Anweisung im Notensingen. 1. Teil, Wolfenbüttel 1927. 82 Vgl. Ders.: Weltliche Lieder und Gesänge für gleiche Stimmen, Wolfenbüttel/Berlin 1930. 83 Vgl. Universität der Künste Berlin (Hrsg.): Institut für Kirchenmusik / Akademie für Kirchen- und Schulmusik 1822–1933 [Onlinefassung], URL: https://www.udk-berlin.de/universitaet/die-geschichte-der-uni versitaet-der-kuenste-berlin/die-vorgaengerinstitutionen-von-1696-bis-1975/vorgaengerinstitutionen-mu sik-und-darstellende-kunst/institut-fuer-kirchenmusik-akademie-fuer-kirchen-und-schulmusik-1822-1933/ [06.06.2020]. 84 Vgl. Eintrag „Fritz Jöde“, in: Jantzen: Namen und Werke, Band 2, S. 181–188; Vgl. auch Kapitel 5.1. 79 80
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Praxis und waren zu großen Teilen auf die jugendbewegten und jugendmusikbewegten jungen Menschen ausgelegt. Jöde veranstaltete diese als „Singwochen“ bezeichneten musischen Arbeitslehrgänge. Die Inhalte waren auch hier sowohl praktischer als auch theoretischer Natur: Jöde mit seiner „Anweisung zum Blattsingen“, Reichenbach mit seinen „Grundlagen polyphoner Chorkunst des Mittelalters“, Reusch mit seinen „Umrissen einer Form- und Stillehre“ und Pfannenstiel in seinen Melodielehrestunden […] [und] [a]uch die kürzeren Vorträge Dr. Baumgart über den „Alten Geigenbogen“, Bruger über „Alte Lautenkunst“, Howard über „Die Lehre vom Lernen“ hatten begeisterten Zulauf.85
Abseits von diesen „Unterrichtsstunden“, wurde im Chor gesungen, das Orchesterspielen mit Instrumenten geübt und Volkstänze vorgeführt, da auch das praktische Lernen und Einstudieren alter Techniken für unabdingbar gehalten wurden.86 Entsprechend des Titels und der ursprünglichen Zielsetzung der Zeitschrift war auch die Gestaltung der „Laute“ vorgenommen worden. Die Titelseite zeigte mittig eine stilisierte Laute in einem Oval, an deren Seite zwei Rosen abgebildet wurden. Darüber war der Titel gesetzt und darunter Jahrgang, Jahr, Heftnummer, Monat und der Verlag. All das wurde eingefasst von einem Rahmen aus einem breiten und drei schmalen Rechtecken.
Abbildung 17 Titelseite. Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920, UB HD DJ 971.
Mit dem Ende des fünften Jahrgangs stellte „Die Laute“ ihr Erscheinen ein, an ihre Stelle trat „Die Musikantengilde“. Auch der Verleger Georg Kallmeyer bewertete die Änderung und Erweiterung der Zeitschrift rückblickend für sein Verlagsprogramm als sehr positiv: 85 Götsch, Georg: Bericht über die Lobeda-Woche, in: Die Musikantengilde, Jg. 3 (1924/25), Heft 8, Wolfenbüttel 1925, S. 237–244, hier: S. 238–239. 86 Vgl. ebd.
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Die Zeitschrift ‚Die Laute‘ verlor ihre Einseitigkeit und entwickelte sich unter dem Titel ‚Die Musikantengilde‘ zu einer allgemeinen Musikzeitschrift, denn nachdem das alte deutsche Volkslied wieder lebendig geworden war, erwachte im natürlichen Entwicklungsgange auch die Instrumentalmusik aus der Zeit vor Bach wieder. Sie wurde gepflegt in den Musikantengilden und in den Singgemeinden, die im ganzen Reich und deutschen Auslande entstanden. Aus diesem Bedürfnis heraus erwuchs eine Reihe von Neuausgaben alter Instrumentalmusik, die weite Verbreitung fand. Als neue Form des gemeinsamen Singens gestaltete Fritz Jöde die ‚Offenen Singstunden‘, die sich schnell in ganz Deutschland durchsetzten.87
Im ersten Jahresband der „Musikantengilde“ findet sich noch der Vermerk, dass dieser erste Jahrgang gleichzeitig der sechste Jahrgang der „Laute“ sei. Dieser Hinweis findet sich ab dem zweiten Jahrgang der „Musikantengilde“ an nicht mehr. Als einen […] Schritt zur Selbsthilfe möchten wir auch die Musikantengilde hier ansehen, die hervorgegangen ist aus den Musikkreisen der neuen Jugend, und die heute in denen, die zu ihr gehören, im Musikleben unserer Tage steht und daran mitarbeitet, es umzugestalten. Helfe mit, wems Freude macht!88
Deutlich zeigt sich, dass Artikel zu Musiktheorie und Ausübungspraxis anhand von einzelnen Komponisten und ihren Werken besprochen werden, ob Busoni, Beethoven oder Mahler. Auch der Volksliedsammler und Begründer einer weiteren Richtung der Jugendmusikbewegung, Walther Hensel, ist von Beginn an in der „Musikantengilde“ präsent: Im vierten Heft des ersten Jahrgangs findet sich ein Aufsatz von ihm, der „vom wahren Volksliede“ handelt und ein Ausschnitt aus seiner Streitschrift „Lied und Volk“ war.89 Nach und nach mehren sich die Artikel zur Bildung und Wissensvermittlung, wie beispielsweise der Abdruck des Konzepts „Die Volksmusikschule inkl. Konzept der Hamburger Gruppe, die diese aufbauen will“ zeigt.90 Ab dem zweiten Heft des dritten Jahrgangs gab es die Rubrik „Musik in der Schule“. Auch wurde nun die ehemalige Beilage „Musik im Anfang“ für Laien, die ihre ersten Schritte in einer Musikgruppe machten, als Teil der Zeitschrift aufgenommen. Ab diesem Heft wurde die Schriftleitung themenbezogen auf einzelne Personen aufgeteilt: Fritz Reusch zeichnete für den Hauptteil der Musikantengilde verantwortlich, Ekkehart Pfannenstiel für „Musik im Anfang“ und Hilmar Höckner für „Musik in der Schule“. Fritz Jöde blieb je-
Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler, Wolfenbüttel 1938, S. 11–12. Jöde, Fritz: Umstellung, in: Die Musikantengilde, Jg. 1 (1922/23), Heft 1, Wolfenbüttel 1922, S. 1–2, hier: S. 2. 89 Vgl. Hensel, Walther: Das wahre Volkslied, in: Die Musikantengilde, Jg. 1 (1922/23), Heft 4, Wolfenbüttel 1923, S. 37–39. 90 Ihre Eröffnung war für Ostern 1923 geplant. Vgl. Hamburger Gruppe: Die Volksmusikschule inkl. Konzept, in: Die Musikantengilde, Jg. 1 (1922/23), Heft 4, Wolfenbüttel 1923, S. 40–42. 87 88
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doch Hauptschriftleiter.91 Nun häuften sich die musikpädagogischen Artikel wie „Die Überwindung des ‚Fächersystems‘ durch die gemeinschaftbildende Kraft der Musik. Zu Edgar Rabsch ‚Gedanken über Musikerziehung‘“92 oder „Die Musik im Deutschen Landerziehungsheim“93 von Hilmar Höckner. Die fundamentale Erweiterung der im Kallmeyer Verlag herausgegebenen Zeitschrift der Jugendmusikbewegung zeigte sich auch in ihrem Äußeren: „Die Musikantengilde“ hatte keine Titelgrafik und wirkte weit weniger verspielt als noch „Die Laute“.
Abbildung 18 Links: Titelseite. Jöde, Fritz (Hrsg.): Die Musikantengilde. Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend. Erster Jahrgang, Wolfenbüttel 1923, MuWi HD B 193 rem; Rechts: Titelseite. Die Musikantengilde. Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk, Jg. 4 (1925/26), Heft 2, Wolfenbüttel 1926, MuWi HD B 193 rem.
Den eckigen Rahmen am Rand des Titelblattes hatte „Die Musikantengilde“ zunächst noch, mit dem vierten Jahrgang blieben schließlich nur zwei Linien rechts und links
Vgl. Die Musikantengilde, Jg. 3 (1924/25), Heft 3, Wolfenbüttel 1925. Vgl. Höckner, Hilmar: Die Überwindung des „Fächersystems“ durch die gemeinschaftbildende Kraft der Musik. Zu Edgar Rabsch „Gedanken über Musikerziehung“, in: Die Musikantengilde, Jg. 3 (1924/25), Heft 2, Wolfenbüttel 1924, S. 57–60. 93 Vgl. Höckner, Hilmar: Die Musik im Deutschen Landerziehungsheim, in: Die Musikantengilde, Jg. 3 (1924/25), Heft 6, Wolfenbüttel 1925, S. 184–191. 91 92
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bestehen. In den ersten drei Jahrgängen befand sich der Titel im oberen Drittel der Seite, der Untertitel war unmittelbar, doch deutlich kleiner darunter angeordnet. Sehr präsent war auch der Name Fritz Jödes als Herausgeber, darunter folgten der Jahrgang mit Monats- und Jahresangabe und Angaben zum Verlag. Deutlich weniger Informationen finden sich auf dem Titelblatt ab dem vierten Jahrgang: Der Untertitel wurde nicht mehr genannt und die Herausgeberschaft war nicht mehr so präsent, wie zuvor. In dem entstandenen Leerraum zwischen Titel und Angabe der Herausgeberschaft im oberen Drittel der Seite und den Angaben zu Jahrgang, Jahr und Heftnummer und dem Verlag fand sich nun das Verlagssignet des Kallmeyer Verlages, der dadurch wiederum an Präsenz gewann. Ein besonders interessantes Zeitzeugnis ist das letzte Heft des dritten Jahrgangs. Es erschien verspätet erst im November 1925. Auf der letzten Seite findet sich eine „Erklärung an unsere Freunde“, die in zwei Abschnitten aufgeteilt sowohl von Fritz Jöde als auch von Walther Hensel unterschrieben wurde. Sie nehmen Stellung zur Form der Kritik unter Freunden: „Wir halten es so, daß wir auch im Freundeskreis vor gerechter Kritik nicht zurückscheuen, weil wir das Wohl des Volkes allzeit höher einstellen als das subjektive Wohlbefinden oder gar den Ehrgeiz des einzelnen.“94 Scheinbar hatte es einen Vorfall gegeben, der sich an den Persönlichkeiten Hensel und Jöde entspann und unter ihren Gruppen als Scheidepunkt gesehen wurde, denn beide richten, von Ereignissen gezwungen, gemeinsam die Bitte [an etliche Freunde], sich in allem Tun und Denken dieses Dienstes [an der Erweckung des Liedes in unserem Volk] würdig zu erweisen. Unwürdig im Denken ist es, wenn Freunde uns beide der Musik in den Weg stellen und es für wichtiger halten, in sich abzuwägen, wer von uns der Bessere oder Gescheitere sei, anstatt sich mit uns gemeinsam darum zu sorgen, wie unser Volk sich in seinem Liede neu begreifen lerne. […] Darum bitten wir guten Willens alle, die es angeht: besiegt die Kleingeisterei der Parteiung, Zwietracht und Mißgunst in euch und um euch, damit uns alle der Geist gemeinsamer Dienstbereitschaft zu brüderlicher Tat zusammenführe.95
Nur einen Monat bevor diese „Erklärung“ in der „Musikantengilde“ erschien, trafen sich Jöde und Hensel persönlich, was durch ein besonderes Fundstück aus dem Fotonachlass Julius Groß’ eindrücklich belegt werden kann. Auf diesem Bild zeigt sich, dass die Führungspersönlichkeiten der beiden Richtungen der Jugendmusikbewegung sich kannten und sich auch über ihre Arbeit austauschten und sogar gemeinsam Artikel veröffentlichten (Abbildung 19). Zu sehen ist eine Gruppe von vier Personen: Links zu sehen sind Olga und Walther Hensel, letzterer offensichtlich fröhlich gestimmt. Ihnen zugewandt steht Fritz Jöde. 94 Jöde, Fritz / Hensel, Walther: Erklärung an unsere Freunde, in: Die Singgemeinde, Jg. 3 (1926/27), Heft 8, Kassel 1927, S. 256. 95 Jöde, Fritz / Hensel, Walther: Erklärung an unsere Freunde, in: Die Singgemeinde, Jg. 3 (1926/27), Heft 8, Kassel 1927, S. 256.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 19 2. Thüringer Singwoche Walther Hensels in den Saalhäusern bei Kösen, 3.–12. Oktober 1925, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/135/18. Walther und Olga Hensel im Gespräch mit Fritz Jöde und einer unbekannten Frau.
Hinter ihm ist eine weitere Frau zu erkennen, deren Identität nicht bekannt ist. Auch Jöde und die Frau hinter ihm scheinen zu lächeln. Sie alle stehen dem Fotografen zugewandt neben dem Weg, der über eine Wiese an einem Gebäude, das in der rechten Bildhälfte zu sehen ist, vorbei den Hang hinaufführt. Der Originaltitel, den Julius Groß dem Bild beigab, weist auf die Bedeutung dieses Treffens hin: „Historischer Augenblick: Jöde bei Hensel“. Daraus kann gefolgert werden, dass ihre Treffen nicht häufig vorkamen. Dass dieses Bild von 1925 stammt, zeigt auch, dass sie zuvor weitgehend ohne persönlichen Kontakt und bestenfalls über Kenntnis ihrer Publikationen Kontakt hatten – nun aber war ein Treffen zur Abstimmung der gemeinsamen Stellungnahme notwendig. Zudem schien der Herbst 1925 ein perfekter Zeitpunkt für ein Treffen zwischen den beiden Leitfiguren der Jugendmusikbewegung gewesen zu sein – vom 1. bis 7. Oktober fand die zweite „Lobeda-Woche“ unter der Leitung Jödes bei Jena statt, vom 3. bis 12. Oktober veranstalteten die Hensels ihre zweite Thüringer Singwoche bei Kösen. Die zeitliche Überschneidung und die räumliche Nähe (Luftlinie zwischen Schloss Lobeda und den Saalhäusern bei Kösen sind 30 km) ist vermutlich auch der Grund, warum Julius Groß von beiden Veranstaltungen Bilder machen konnte. Auch wenn Hensel und Jöde inhaltlich nicht immer einer Meinung waren, entstanden Veröffentlichungen, an welchen sie beide beteiligt waren und in welchen sie ihr Vorgehen und ihre Inhalte fachlich kritisierten. Sie veranstalteten ihre Singwochen jedoch weiterhin getrennt voneinander, nur ihre gemeinsamen Veröffentlichungen wurden häufiger.
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Mit dem vierten Jahrgang der „Musikantengilde“ ab Winter 1925/26 übernahm Fritz Reusch zusammen mit Jöde die Herausgeberschaft. Auch einen neuen Untertitel bekam die Zeitschrift: „Blätter zur Wegbereitung für Jugend und Volk“ statt „Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend“. Der Schritt wird nicht groß kommentiert, jedoch kann das als ein Wandel von einer aktiven Anteilnahme der Jugend „durch“ ihren Geist der Erneuerung hin zu einer passiven Anteilnahme der Jugend unter Ausweitung auf das gesamte Volk interpretiert werden, was durch das Wort „für“ Jugend und Volk greifbar wird. Da mittlerweile die ehemalige Beilage „Musik im Anfang“ in der Zeitschrift aufgegangen war, etablierte sich ab 1927 als neue Beilage „Der Kreis“, die als Arbeits- und Mitteilungsblatt für Singkreise genutzt wurde und zunächst nur wenige Seiten stark war. 1930 beendete Kallmeyer die Zeitschrift „Die Musikantengilde“ zugunsten der Zeitschrift „Musik und Gesellschaft. Arbeitsblätter für soziale Musikpflege und Musikpolitik“, die er zusammen mit dem Verlag B. Schott’s Söhne aus Mainz verlegte. Der Erscheinungsrhythmus von sechs Wochen wie auch der Umfang von 32 Seiten und acht Heften im Jahr sollte der „Musikantengilde“ gleich sein. Ihre Themen waren jedoch deutlich breiter gefasst, musiksoziologische Artikel häuften sich und so auch Besprechungen von Arbeiter- und „Proletariermusik“ genauso wie vermehrt Stimmen von „Laien“ abgedruckt wurden, die Häufigkeit musikpädagogischer Artikel dagegen nahm wieder ab.96 Scheinbar hatte diese Zeitschrift wenig Erfolg bei ihren Leserinnen und Lesern, sodass sie nach einem Jahr bereits wieder eingestellt wurde. Dies führte zu einem Vakuum, das es zu füllen galt. Schnell wurde nach dem Einstellen von „Musik und Gesellschaft“ Anfang 1931 der Ruf nach einer neuen Zeitschrift laut: Auf der Führerkonferenz des Arbeitskreises für Volks- und Jugendmusikpflege e. V., die im neu gegründeten Musikheim Frankfurt an der Oder stattfand, wurde bereits an Pfingsten 1931 die Konzeption einer neuen Führerzeitschrift für Musikgruppenleiter beschlossen. Dadurch wird deutlich, in welche Richtung sich die Arbeit Jödes und Kallmeyers innerhalb der Jugendmusikbewegung entwickeln sollte: der Kultur entsprechend und an der Bewegung orientiert – ein Grundsatz, den sie bei „Musik und Gesellschaft“ vernachlässigt hatten. Da die Konzeption jedoch vor allem wegen der seinerzeitigen „Wirtschaftsund Kulturkrise“ noch nicht vollendet war, erweiterten Kallmeyer und Jöde als Ersatz für einige Aufgaben, die der neuen Führerzeitung zukommen sollten, die frühere Beilage zu der „Musikantengilde“ „Der Kreis“.97 Im zehnten Jahrgang der Beilage „Der Kreis“ von April 1932 bis März 1933 umfasste dieser nun 20 Seiten und behandelte Themen wie „Musikalische Jugendbewegung und moderner Komponist“, „Rhythmisch-melodische Erziehung auf der Grundlage der Improvisation“ oder „Der Bach’sche Choral heute“, also kaum andere als „Die Musikantengilde“ zuvor. Schon kurz nach der Hälfte Vgl. Musik und Gesellschaft, Jg. 1 (1930/31), Wolfenbüttel/Berlin & Mainz/Leipzig 1931. Vgl. Jöde, Fritz / Spitta, Heinrich: Erklärung, in: Der Kreis. Monatsblätter für Musikpflege, Jg. 10 (1932/33), Heft 1, Wolfenbüttel 1932, S. 19–20. 96 97
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
des zweiten Jahrgangs wurde auch diese Zeitschrift wieder beendet und ging genauso wie „Die Singgemeinde“ aus dem Bärenreiter Verlag in die neue, gleichgeschaltete und in einem joint venture zwischen Kallmeyer und Bärenreiter Verlag erschienene Zeitschrift des Reichsbunds Volkstum und Heimat „Musik und Volk“ über.98 4.2.2
Jungnationale, Wolff und die grenz- und auslandsdeutschen Gebiete
Wie bei Habbel und Voggenreiter war Günther Wolffs Verlagsgründung durch sein bündisches Engagement motiviert. Dabei hatte seine erste Zeitschrift, die „Vogtländische Jugendzeitung“, 1919 zunächst eine kleine Auflage – Exemplare dieser Zeitschrift konnten für die vorliegende Untersuchung nicht eingesehen werden, sie existieren weder in den einschlägigen Archiven noch in Bibliotheken. Ab dem dritten Jahrgang bekam sie den Namen „Das junge Volk. Grenzlandzeitung der deutschen Jugend“ und ist beispielsweise im Archiv der deutschen Jugendbewegung mit wenigen Heften erhalten. Nicht eine einzelne Person übernahm die Schriftleitung, sondern noch im fünften Jahrgang wurde sie von einer Gruppe, „einem jungnationalen Kreis“ verantwortet. Gleichzeitig zeigt dies auch die Verortung innerhalb der bündischen Jugend an: Sie war Organ des Jungnationalen Bundes, dem Wolff selbst angehörte.99 Wolffs politische Haltung scheint von einem ausgreifenden Liberalismus bestimmt gewesen zu sein. Anders als in den sonstigen hier besprochenen Zeitschriften nimmt Wolff in seiner Zeitschrift „Das junge Volk“ Stellung zu den tagesaktuellen, politischen Ereignissen. So schrieb er 1922 anlässlich des Mordes an Walther Rathenau eine kurze Notiz in der Rubrik „Unter uns“, den Mitteilungen der Schriftleitung beziehungsweise des Verlages: Wir und mit uns die Besten der Jungen der Gegenwart wissen ganz genau, daß der Lauf der Geschichte sich nicht durch Gewaltmaßnahmen von seinen Wegen abbringen läßt: es muß sich alles geschichtlich entwickeln: vom Baum zum Ast, vom Zweig zum Blatt. Das Deutschland der Zukunft, von dem die Millionen Tag und Nacht träumen, kann nur mit reinen Händen aufgebaut werden. Ministermorde und Bürgerkriege reißen alles nieder. Mit allen denen, die anders denken, die einen Mord zu entschuldigen suchen, haben wir nie etwas gemein gehabt: wir zerschneiden heute für immer und ewig das Tischtuch zwischen ihnen und uns.100
Vgl. Kapitel 4.2.4. Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 3, Plauen im Vogtland 1924; zum Jungnationalen Bund vgl. Kapitel 4.1. 100 Das junge Volk, Jg. 3 (1921/22), Heft 7, Plauen im Vogtland 1922, S. 55. 98 99
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Die Verurteilung von historischen Ereignissen wie dem Kapp-Putsch, den Attentaten auf die Minister Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann und die Unruhe stiftenden Gruppen um die Rädelsführer dieser Akte, ist in diesem Zitat klar erkennbar. Diese politische Ausrichtung führte zu einer relativ offenen Aussprache. Im ersten Heft des elften Jahrgangs 1929 beispielsweise setzten sich einige Autoren mit dem Parteiprogramm der NSDAP auseinander und machten Änderungsvorschläge hierzu. Auch der sonstige Aufbau dieses Hefts war sehr auf das Politische ausgelegt. Beispielhaft steht hierfür die Rubrik „Politische Übersicht“, die kurz zuvor eingerichtet wurde und über die es Beschwerden gegeben zu haben scheint, denn die Schriftleitung stellte ihr eine kurze Absichtsdarstellung voran: Einer diesbezüglichen Anfrage als Antwort: Die „Politische Übersicht“ soll als nüchterne Reportage, als kühl-sachliche Aufzählung der tatsächlichen politischen Geschehnisse des Berichtsmonats der politischen Schulung unseres Leserkreises dienen. Die gelegentlich unvermeidlichen Wertungen unseres Mitarbeiters zu Einzelheiten decken sich naturgemäß nicht in allen Fällen 100prozentig mit der Auffassung der Schriftleitung. Da es bei diesem Bericht weniger um Willens- als um Wissensbildung gehen soll (dem ersten dienen die grundsätzlichen Aufsätze), sollen auch diese „Variationen“ zum eigenen Durchdenken, nötigenfalls zum Widerspruch anregen.101
Wie in 4.2.1 gezeigt wurde, war auch in der Zeitschrift „Musik und Gesellschaft. Arbeitsblätter für soziale Musikpflege und Musikpolitik“ der politische Einschlag nicht gut angekommen und die Zeitschrift wurde aus diesem Grund wieder abgesetzt. Gleichen Unmut lösten politische Artikel in „Musik und Volk“ aus, wie in Kapitel 4.2.4 dargelegt wird – insgesamt scheint die Politisierung und die Möglichkeit zur Lenkung der politischen Debatten innerhalb der Bünde einen schweren Stand gehabt zu haben. Im Falle der Zeitschrift „Das junge Volk“ handelten die Verantwortlichen im April 1930: Im siebten Heft des elften Jahrgangs schreibt Karl O. Paetel, er lege die Schriftleitung nieder, stattdessen übernehme Günther Wolff sie wieder selbst. Dabei verweist Paetel in dieser Ankündigung darauf, dass die Zeitschrift „in Zukunft […] wieder mehr die in letzter Zeit etwas vernachlässigte bündische und auf die Bewegung eingestellte Seite herauszuarbeiten versuch[t].“102 Wolffs Zielsetzung und damit auch die der Zeitschrift galt der Aussprache und der Aushandlung, sowohl politisch als auch innerhalb der deutschen Jugend und der Jugendbünde. Das belegt auch die in „Das junge Volk“ etablierte Rubrik „Von allen Bünden“, in welcher Nachrichten über bundesinterne sowie überbündische Treffen, Berichte und Termine Eingang fanden. Beispielsweise findet sich im Januarheft 1924 ein sehr positiver Bericht über das Grenzlandfeuer im Fichtelgebirge Anfang August 1923. 101
S. 10.
102
Wolff, Günther: Mitteilungen, in: Das junge Volk, Jg. 11 (1929/30), Heft 1, Plauen im Vogtland 1929, Das junge Volk, Jg. 11 (1929/30), Heft 7, Plauen im Vogtland 1930, S. 77.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Bei diesem Treffen waren auch Voggenreiter und Habbel anwesend, da sie zusammen mit Martin Voelkel und dem Bund der Neupfadfinder das Treffen initiiert hatten.103 Die Rubrik blieb über Jahre hinweg bestehen und fand auch im Ausland Gefallen, wie der Brief des österreichischen Pfadfinderführers Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter aus dem Juni 1930 belegt. Darin lobt er gerade diese Rubrik und den Austausch kurzer Nachrichten der einzelnen Bünde, die er sich für die von ihm konzipierte Zeitschrift „Unser Weg – Blatt für die Österreichische Jugend“ zum Vorbild genommen hätte.104 Austausch und Einigung führten jedoch auch bei Günther Wolff nicht so weit, als dass er die Gleichschaltung der Jugendbünde durch die Reichsjugendführung gutheißen konnte. Noch im zehnten Heft des 14. Jahrgangs, der zweiten Maiausgabe 1933, wird die Ablehnung der Hitlerjugend deutlich, genauso wie die Abneigung gegen die als Herrschsucht dargestellte Handlungsweise Baldur von Schirachs.105 Soweit dies noch zu belegen ist – die ersten Jahrgänge von „Das junge Volk“ waren scheinbar nicht auf holzfreiem Papier gedruckt und sind nicht oder nur in einzelnen Nummern eines Jahrgangs erhalten – war das Format der ersten fünf Jahrgänge ein relativ großes – etwas breiter und etwas höher als das heutige DIN A4-Format. Auch dadurch glich „Das junge Volk“ mehr einer Zeitung als den bisher besprochenen Zeitschriften. Die Hefte hatten einen einfachen, nicht sehr dicken, jedoch farbigen Schutzumschlag. Auf der Titelseite war lediglich der Name der Zeitschrift zusammen mit dem Jahrgang, dem Ort, dem Datum und die Heftnummer im oberen Viertel gedruckt, darunter begann der Inhalt, was den Eindruck einer Zeitung noch verstärkte.106 Für die ersten Jahrgänge der Vorgängerzeitschrift, die „Vogtländische Jugendzeitung“, fehlt der Beleg für die Gestaltung. Was an Beschreibungen vorhanden ist, ist einerseits die der Titelseite des allerersten Hefts, die durch das Antwortschreiben Hindenburgs an Wolff als Faksimile geziert wurde.107 Andererseits findet sich in einem Lebenslauf in der Personalakte Wolffs im Archiv der deutschen Jugendbewegung der Hinweis darauf, dass die ursprüngliche, vogtländische Jugendzeitung mit ihrem Titel „Schwarz – Weiß – Rot“ und einem Hakenkreuz auf dem Titelbild für die völkische Erneuerung stand.108 Überprüfbar ist das an dieser Stelle nicht. Als Wolff im dritten Jahr den Titel in „Das junge Volk“ änderte, passte er scheinbar auch die Gestaltung dementsprechend an.
Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 1, Plauen im Vogtland 1924, S. 6. Vgl. Brief von Leopold Zimmermann an Heinrich Voggenreiter vom 14. Juni 1930, Voggenreiter Archiv, Ordner 18. 105 Vgl. Das junge Volk, Jg. 14 (1932/33), Heft 10, Plauen im Vogtland 1933, S. 7. 106 Vgl. Das junge Volk, Jg. 3 (1921/22), Heft 1, Plauen im Vogtland 1921; Das junge Volk, Jg. 3 (1922), Heft 3–5, Plauen im Vogtland 1922; Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 3, Plauen im Vogtland 1924; Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 5, Plauen im Vogtland 1924. 107 Vgl. Eintrag „Günther Wolff “, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 321–328. 108 Vgl. Personenmappe Günther Wolff, AdJb P1/1430. 103 104
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
Abbildung 20 Erste Seite. Das junge Volk. Grenzlandblatt deutscher Jugend, Jg. 5 (1924), Heft 3, Plauen im Vogtland 1924, AdJb Z 100 1769.
Ab dem sechsten Jahrgang (Herbst 1924) wurde das Format kleiner und damit handlicher – von 23,2 cm × 30,8 cm auf 20,3 cm × 25,5 cm – und es standen weitere Veränderungen an: Das Doppelheft acht und neun des sechsten Jahrgangs bekam ab Mai/ Juni 1925 eine Farbe, die ein Jahr hindurch das Titelbild prägte: ein kräftiges Blau. Im September 1925 wurde erstmals die darauffolgend über zwei Jahre genutzte Titelgrafik gezeigt.
Abbildung 21 Titelseite. Das junge Volk, Jg. 6 (1924/25), Heft 12, Plauen im Vogtland 1925, AdJb Z 100 1769.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Das Titelblatt symbolisierte Stärke: Es zeigt einen breitbeinig stehenden Ritter. Ein Schild vor ihm mit einem schwarzen Balkenkreuz auf weißem Grund verdeckt den Großteil seines Körpers: Lediglich seine bewehrten Füße und Unterschenkel sind seitlich des Schildes zu sehen, über dem Schild dagegen sein behelmter Kopf und geschützte Schultern. Lediglich sein Gesicht und seine linke Hand, die etwas greift – möglicherweise das Schild oder aber ein verdecktes Schwert – sind unbekleidet gezeigt. „Jung“ sieht dieser Ritter nicht aus, jedoch symbolisiert er den Auftrag der deutschen Jugend im Osten. Angelehnt ist diese Symbolik an die der Kreuzritter des Mittelalters und des Deutschritterordens, erkennbar unter anderem am Balkenkreuz.109 Schrift ist auf dem Titel wenig zu finden: am oberen Rand finden sich die Angaben über den Jahrgang, den Verlagsort, das Erscheinungsdatum und die Heftnummer. Unter der Rittergrafik ist der Titel der Zeitschrift in großen Lettern gedruckt. Die Schriftart ist in diesem Fall eine gebrochene Schrift zwischen Gotischer Minuskel und Fraktur. Hatten das Titelblatt zuvor regelmäßig wechselnde kurze Gedichte oder feingliedrige Grafiken von Naturansichten geziert, wich der Verlag nun nur bei besonderen Ausgaben von der neuen Titelblattgestaltung ab. Diese Ausnahmen waren meist politischer Natur, so beispielsweise in Doppelheft fünf/sechs des achten Jahrgangs, das sich als „Zweite Sudetendeutsche Folge“ mit der Frage der Gebietsabtretungen an die sich neu formierende Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg beziehungsweise durch den Versailler Vertrag und das Zerbrechen der Donaumonarchie beschäftigte. Der Grundton der politischen Stoßrichtung wird bereits im Titel dieser Ausgabe deutlich: „Volk in Not!“ Darunter springt sofort die rot-weiß-schwarze Grafik einer Landkarte ins Auge. Rot als Signalfarbe wurde in dieser Grafik zur Darstellung der deutschen und ehemals deutschen Gebiete und den heutigen deutschen Sprach- und Kulturinseln genutzt. Weiß dagegen ist zunächst das zusammenhängende, nicht deutsche Gebiet und eine durchgezogene weiße Linie, welche die neuen Grenzziehungen zeigt, durchbricht das zusammenhängende Rot, das den deutschen Siedlungsraum darstellt. In dünnen Linien und Schrift in Schwarz wurden Landmarken wie Städte und Flüsse eingezeichnet. Thematisch passend wurde das Heft „den Toten des 4. März 1919 gewidmet“: An diesem Tag hatte es in verschiedenen Ortschaften Demonstrationen der Sudentendeutschen gegeben, die für einen Verbleib ihres jeweiligen Landstrichs bei Deutschland beziehungsweise Österreich stritten und die blutig niedergeschlagen worden waren.110 Im achten Jahrgang war das Titelblatt wieder weiß. Doch ab dem neunten Jahrgang 1928 bekam die Zeitschrift einen orange-gelben Umschlag und auch sonst eine völlig neue Gestalt. Auffällig ist die einfache Schriftart, die keinerlei Schmuck umgibt und Vgl. Das junge Volk, Jg. 6 (1924/25), Heft 12, Plauen im Vogtland 1925. Vgl. Braun, Karl: Der 4. März 1919. Zur Herausbildung sudetendeutscher Identität, in: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Jg. 37 (1996), Heft 2, S. 353–380., hier: v. a. ab S. 365. 109 110
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Abbildung 22 Titelseite. Das junge Volk, Jg. 8 (1926/27), Heft 5/6, Plauen im Vogtland 1927, AdJb Z 100 1769.
eine gleichmäßige Dicke hatte – vermutlich eine zeitgenössische Groteske. Der Titel ist gut lesbar und groß an den oberen Rand der unteren Seitenhälfte gesetzt. Die zusätzlichen Informationen sind unter Nutzung derselben Schriftart in einem Block auf der rechten Hälfte unter dem Titel gesetzt. Fast als sei sie auf diesem aus Blocksatz bestehenden „Sockel“ angeordnet, ist eine in einfachsten Linien gezeichnete Büste zu sehen. Der Männerkopf wendet seinen Blick nach rechts in Richtung der freien Fläche auf der Titelseite links oben. Augen, Nase und Mund treten in der Gestaltung zurück. Markant dagegen ist die Stirnwulst und die langgezogene Augenbraue, die den Männerkopf nachdenklich, fast grimmig wirken lässt. Weitere Merkmale sind die hohe Stirn und die kurzen, nach hinten fallenden Haare. Bei dieser Titelbildgestaltung wird das erste Mal der einseitige Leerraum als Gestaltungsraum genutzt. Im zehnten Jahrgang wiederum gab es erneut unspektakuläre Titelblätter, meist an den Inhalt im Sinne der Beiträge verfassenden Bünde angepasst: Heft eins galt dem „Jungsturm und seiner Schwedenfahrt“, Heft zwei gestaltete der Nerother Wandervogel Deutscher Ritterbund und berichtete über seine Indienfahrt. Das dritte Heft dagegen zeigte auf dem Titelblatt lediglich das Inhaltsverzeichnis.111 Für den elften Jahrgang ließ Günther Wolff die Titelgestaltung aus dem neunten Jahrgang für die ersten sechs Ausgaben noch einmal aufleben. Ab dem siebten Heft, als Karl O. Paetel die Schriftleitung wieder an Wolff übergeben hatte, wurde keine explizite Titelseite mehr gestaltet und die Zeitschrift wurde ihrem Aussehen nach einer Zeitung wieder ähnlicher: Der
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Vgl. Das junge Volk, Jg. 10 (1928/29), Hefte 1–3, Plauen im Vogtland 1928.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 23 Titelseite. Das junge Volk, Jg. 9 (1927/28), Heft 2, Plauen im Vogtland 1927, AdJb Z 100 1769.
Titel, wieder in einer gebrochenen Schrift, wurde zusammen mit Untertitel und Angaben zu Jahrgang, Verlagsort, Erscheinungsdatum und Heftnummer im oberen Drittel der ersten Seite platziert. Darunter folgten unmittelbar die ersten Beiträge.112 Neben der Zeitschrift mit der Wolff seine Verlagsarbeit begonnen hatte, weitete auch er sein Verlagsprogramm aus: So machte er sich um Liederbücher verdient, die zum einen Teil für die gesamte bündische Jugend bestimmt und zum anderen Teil für einzelne Bünde gestaltet waren. Beispiele seiner Verlegertätigkeit sind der erste Teil des Liederbuchs „Sankt Georg“, das 1929 Walter Gollhardt herausgab, die 1930 begonnene Reihe „Allzeit bereit. Ausbildungshefte für Pfadfinder“, die der Bund der Reichspfadfinder veröffentlichte oder der „Knigge für Lausbuben und solche, die es nicht merken, daß sie welche sind, auch sonst vielleicht ganz anregend“ von Johannes Weidner von 1929.113 Abseits des Verlages Wolffs aber ist das Rüsthaus Sankt Georg von Bedeutung.114 In der Januarausgabe 1924, also noch bevor Wolff das Dürerhaus am Altmarkt in Plauen hierfür herrichtete, ist rückseitig die Anzeige „Rüstzeug für die wandernde Jugend. Brotbeutel, Feldflaschen, Trinkbecher, Tornister zu beziehen vom Verlag ‚Das junge
Vgl. Das junge Volk, Jg. 11 (1929/30), Heft 1–7, Plauen im Vogtland 1929–1930. Vgl. Gollhardt, Walter (Hrsg.): St. Georg. Liederbuch deutscher Jugend. Erster Teil: Lieder der Reiterbuben, Plauen im Vogtland 1929; Bund der Reichspfadfinder (Hrsg.): Allzeit bereit. Ausbildungshefte für Pfadfinder, Plauen im Vogtland 1930–1935; Weidner, Johannes: Knigge für Lausbuben und solche, die es nicht merken, daß sie welche sind, auch sonst vielleicht ganz anregend, Plauen im Vogtland 1929. 114 Vgl. zum Rüsthaus Sankt Georg auch Kapitel 4.1. 112 113
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Volk‘“ zu lesen.115 Allerdings nahm Günther Wolff in diesem fünften Jahrgang auch noch Anzeigen anderer Ausrüster an. Im fünften Heft im Mai findet sich zum Beispiel eine ganzseitige Anzeige als Werbung für das Ausrüstungshaus Wonnenberg aus Essen.116 Zu diesem Zeitpunkt scheint Wolff noch die Abwägung getroffen zu haben, dass die Einnahmen der Anzeige höher zu werten waren, als die ausbleibenden Einnahmen, sollten Leserinnen und Leser in Essen statt bei ihm selbst bestellen. Ein Jahr später, im April 1925 druckte Wolff auf einer Seite in „Das junge Volk“ eine Werbung für Ausrüstungsgegenstände, die durch ihn im Rüsthaus Sankt Georg vertrieben und auch per Post an entlegene Orte versandt wurden. Die Anzeige war so aufgebaut, dass die gesamte Seite aus dem Heft herausgetrennt und in der Mitte gefaltet werden konnte, um so ein vierseitiges kleines Prospekt zu erhalten. Der dadurch entstehenden Rückseite sind die Lieferbedingungen zu entnehmen. Das Sortiment hatte sich durch die Übernahme des Dürerhauses vom Vorbesitzer deutlich erweitert. Erhalten ist eine auf Mai 1927 datierte Warenliste für das durch Günther Wolff geführte Dürerhaus Plauen im Vogtland am Schulberg 5. Explizit vermerkt ist, dass dies die Warenliste 18 ist, die als Nachtrag und Ergänzung der in Warenliste 17 genannten Waren gelten kann. Was aber hieraus geschlossen werden kann, ist, dass es bereits vor Mai 1927 17 Warenlisten gab. In welchen Zeitabständen die Listen herausgegeben wurden, ist unklar, genauso wie das Erscheinungsdatum der ersten nummerierten Warenliste. Die erhaltene Warenliste besteht aus insgesamt vier, großformatigen, orangefarbenen Seiten: Die Titelseite ist durch einen schwarzen Rahmen gefasst, in der Mitte prangt eine runde Grafik eines Wandernden mit Stiefeln, kurzer Hose, Laterne in der einen und Wimpel geschultert in der anderen Hand. Ein Rucksack und ein Hut komplettieren die Silhouette des Wandernden. Im oberen Abschnitt findet sich der Hinweis „Dürerhaus Plauen i. V.; Fernsprecher 2311; Postscheckkonto: Berlin 157465; Schulberg 5; Versand-Abteilung; Versand durch ganz Deutschland“, im unteren Teil wird neben den Informationen zur Warenlistennummer und dem Erscheinungsdatum, folgender zusätzlicher Hinweis gegeben: „Zur Senkung der Unkosten verzichten wir in diesem Frühjahr auf die Herausgabe einer vollständigen Warenliste von Rüstzeug für die wandernde Jugend und beschränken uns auf diesen Nachtrag zu unserer Liste 17, die wir natürlich auf Wunsch kostenlos nachliefern.“117 Die drei folgenden Seiten sind in Kästen aus einfach gezogenen Linien gerahmt und unterteilt in verschiedene Rubriken: Erstens „Rüstzeug aus Heeresbeständen für die Fahrt“, wie unter anderem Kochgeschirre, Spaten oder amerikanische Militärrucksäcke; Zweitens „Tornister aus Heeresbeständen“; Drittens „Zeltbahnen und Zeltgeräte“, wohinein auch Bücher zum Lagerbau zählten; Viertens „Rüstzeug für die Fahrt, das jeder haben muß“, in welcher unter anderem Barfußsandalen, Taschenmesser, Verbandspäckchen und Jutestroh115 116 117
Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 1, Plauen im Vogtland 1924. Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 5, Plauen im Vogtland 1924. Warenliste 18 aus dem Mai 1927 vom Dürerhaus Plauen im Vogtland, AdJb Z 100 1769.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 24 Warenliste 18 des Dürerhauses in Plauen im Vogtland, Mai 1927, AdJb Z 100 1769.
säcke geführt wurden; Fünftens „Kleidung für Fahrt und Fest“; Sechstens „Unsere indanthrengefärbten Stoffe für Fahrten- und Festkleidung“, um auch denjenigen, die selbst Kleidung nähen wollten, zu entsprechen; Und siebtens „Sportgeräte“ u. a. Speere aus verschiedenem Holz, Pfeile und Bogen, Schlagbälle sowie Sporthosen und Körperöl zur Sportmassage.118 Dass viele der Artikel aus Heeresbeständen stammten, war in der Zwischenkriegszeit nicht ungewöhnlich – vieles gab es als Neuware, anderes wurde gebraucht weiterverkauft. Allein das Angebot dieser einen Warenliste zeichnet ein eindeutiges Bild: Schließt man von den angebotenen, auf Verbraucherwünsche zugeschnittenen Waren auf die Praktiken, die hiermit durchgeführt werden konnten, sind die zentralen Aspekte die des Wanderns (Rucksäcke, Zeltbahnen), der sportlich-kämpferischen Ertüchtigung (Speerwerfen, Kugelstoßen) und der subkulturspezifischen Bekleidung. Was nicht bei Wolff verkauft wurde sind Lebensmittel – gelegentlich wurde in den bündischen Zeitschriften für Malz, für Erbswurst, Maggie und Reformbrot geworben – genauso wenig wie Musikinstrumente, für die es, folgt man den Anzeigen in den Zeitschriften wie dem „Zwiespruch“ oder „Die Singgemeinde“, bereits sehr viele Anbieter
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Vgl. Warenliste 18 aus dem Mai 1927 vom Dürerhaus Plauen im Vogtland, AdJb Z 100 1769.
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im Sinne von Instrumentenherstellern gab, die Direktverkauf betrieben. Das Wolff ’sche Sankt Georg Rüsthaus wurde in der Folgezeit eine Institution in Plauen und auch im Rest des Reiches und darüber hinaus waren seine Waren beliebt. Es scheint fast, als habe Wolff auf das Ende seines Studiums 1928 gewartet, um neben dem Rüsthaus auch den Verlag weiter aufzubauen. Vor 1928 erschienen nur sehr wenige Bücher in seinem Verlag Das junge Volk und er arbeitete eher buchhändlerisch als verlegerisch. Ab 1929 aber wurden die Verlagsveröffentlichungen häufiger und es gelangten viele Liederbücher einzelner Bünde in das Wolff ’sche Verlagsprogramm. Für die beginnenden 1930er Jahre war für Günther Wolff die Zusammenarbeit mit Eberhard Koebel besonders ausschlaggebend. Nachdem Koebel aus der Schriftleitung der „Briefe an die deutsche Jungenschaft“ aus dem Ludwig Voggenreiter Verlag, die er Anfang 1929 bis Mitte 1930 innehatte, ausschied, startete er eine eigene Zeitschrift „Das Lagerfeuer“, das er zunächst breit bewarb. Allerdings war dieser Zeitschrift keine Zukunft beschieden und sie musste bereits 1932 wegen finanzieller Schwierigkeiten ihr Erscheinen einstellen. Koebel selbst begründete diesen Misserfolg damit, dass „unter ihren früheren Lesern nazistische Ideen überhandnahmen, ich jedoch der KPD beigetreten war und die bündische Jugend aufrief, meinem Beispiel zu folgen.“119 Im Oktober 1932 erschien das erste Heft der neuen von Koebel verantworteten Zeitschrift „Der Eisbrecher“ im Günther Wolff Verlag, die einem monatlichen Turnus folgte und einen Umfang von 32 Seiten hatte. Inhaltlich waren zumeist Geschichten, Gedichte und Berichte aus den verschiedenen regionalen Jungenschaften darin versammelt. Auch Fotografien von Fahrten, Ausflugszielen und den Jungen selbst fanden Aufnahme, sowie manches Mal ein Lied. Dabei handeln die Texte von Reisen und Abenteuern in Südamerika genauso wie von historischen Ereignissen wie dem Ersten Weltkrieg und der Schlacht in Langemarck oder sie dienten der Wissensvermittlung wie unter anderem über Heraldik oder auch über Banjo und Balalaika und Volkslieder.120 Zudem gab es die Rubrik „Anschlagsäule“, in der einige neue Bücher besprochen wurden. Besonders auffällig ist, dass nahezu alle Artikel mit Pseudonym – dem Fahrtennamen des jeweiligen Autors beziehungsweise der Autorin – unterzeichnet waren. Klarnamen wurden kaum offen genannt, bekannt waren sie meist nur denjenigen, die die Autorinnen und Autoren persönlich kannten. Die Titelseite war sehr einfach gestaltet: Hauptsächlich war sie weiß. Am oberen Rand fand sich der Hinweis „Postverlagsort: Plauen“, am unteren Rand die Herausgeberschaft, in der Mitte der Seite rechts war die Heftnummer gedruckt. Darunter prangt in weiß der Titel auf einem schwarzen Farbklecks. Die Innenseite des Umschlages jedoch war ansprechend gestaltet, beispielsweise wurde in Heft 16 eine Winterlandschaft gezeigt: Auf der linken Seite hebt sich die Silhouette eines laubfreien Baumes Erklärung Eberhard Koebels zum Zwecke der Rehabilitierung Günther Wolffs, in: Hess, Der GüntherWolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 29. 120 Vgl. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934, S. 101–105. 119
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 25 Links: Titelblatt. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934, UB HD DJ 932; Rechts: Rückseitige Umschlagseite innen. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934, UB HD DJ 932.
vom weißen Untergrund ab, auf der gegenüberliegenden rechten Seite ist ein typisches jungenschaftliches Zelt – eine Kohte – zu erkennen. In diesem und in dem darauffolgenden Heft wird für diese Art Zelt geworben. Auf jeweils einer der letzten Seiten ist der „schwarzen Tuchkohte“ eine ganze Seite gewidmet, die Koebel in Anlehnung an seine Erfahrungen mit den Nomadenzelten der Samen in Lappland für die deutsche Jugendbewegung nutzbar umgestaltet und konstruiert hatte.121 Die Hälfte der Seite ist durch eine Abbildung einer Kohte belegt, die untere Hälfte beschrieb die durch das Sankt Georg-Rüsthaus deutscher Jungenbünde zu beziehenden Einzelteile. Weitere Werbung jedoch ist nicht in das Heft mit aufgenommen, allerdings gab es Beilagen wie mitunter in Heft 14 einen Bestellzettel des Günther Wolff Verlages mit der Ankündigung des deutschen Jungenkalenders 1934/35, herausgegeben von Heinz Schäfer, sowie der „Heldenfibel“ von Eberhard Koebel. Bis zu Heft 16 im Januar 1934 findet sich auf der rückseitigen Umschlagseite der Hinweis auf den Verlag Günther Wolff und auf Eberhard Koebel als verantwortlich für
121 Vgl. Holler, Eckard: Auf der Suche nach der Blauen Blume: Die großen Umwege des legendären Jugendführers Eberhard Koebel (tusk). Eine Biografie, Münster 2020, S. 55–65.
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den Inhalt der Zeitschrift. Jedoch ist Koebel ab dem Heft 17–18, Februar-März-Doppelheft 1934, vom Einband verschwunden und als Schriftleitung wird nun Günther Wolff selbst genannt. In diesem Heft findet sich auf Seite 144 der Hinweis unter dem Titel „Eisbrecher verspätet eingetroffen“:122 Nachdem tusk sich von der Schriftleitung des „Eisbrecher“ vollkommen zurückgezogen und jede Verbindung mit dem Verlag aufgegeben hat, wird der Verlag die Zeitschrift in veränderter Form herausgeben. Wir werden die Leser über die Ergebnisse der jetzt laufenden Verhandlungen rechtzeitig unterrichten, Rückfragen deswegen beim Verlag bitten wir zu vermeiden.123
Die plötzliche Änderung war vor allem durch die Verhaftung Koebels im Januar 1934 motiviert, als deren Folge Koebel Mitte 1934 Deutschland verließ. Doch diese Abkehr Koebels vom Günther Wolff Verlag war nur pro forma, auch aus dem Exil in Schweden und England hielt er Kontakt und verantwortete Veröffentlichungen des Günther Wolff Verlages, jedoch nicht mehr unter seinem Namen.124 4.2.3
Hensel, Vötterle und die Volksmusikpflege
Die Verlagsgründung Karl Vötterles hatte überhaupt erst mit der Konzeption und Veröffentlichung der „Finkensteiner Blätter“ ihren Anfang genommen, sie erschienen von 1923 bis 1933 und endeten mit ihrem zehnten Jahrgang. Die Begegnung zwischen Hensel und Vötterle begründete diese Unternehmung der Liedblätter und letzten Endes auch die der Verlagsgründung. Die einfachen Liedblätter umfassten meist vier bis fünf Lieder inklusive Noten, meist für mehrere Stimmen. Sie dienten den aus den Singwochen Hensels Heimgekehrten als Erinnerung des Gehörten und Übungsblatt für Zuhause und in den lokalen Gruppen. So schlossen sich in verschiedenen Städten und Dörfern Singbegeisterte zusammen und gründeten eine sogenannte „Singgemeinde“ – das Äquivalent zu den „Musikantengilden“, die ihre Hauptlektüre in der „Laute“ und ihren Nachfolgezeitschriften aus dem Julius Zwißler / Georg Kallmeyer Verlag fanden. Diese zweite Richtung der Jugendmusikbewegung ist auf das Engste mit Walther Hensel verbunden, der ab 1923 Singwochen veranstaltete. Walther Hensel, mit Geburtsnamen Julius Janiczek, stammte aus dem Ort Finkenstein nahe Mährisch-Trübau im Schönhengstgau, das zuvor zu Österreich-Ungarn gehört hatte, das im Zuge der Gebietsneuordnung der Tschechoslowakei zufiel und das dem Finkensteiner Bund
122
1934.
Vgl. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934; Der Eisbrecher, Heft 17–18, Plauen im Vogtland
Der Eisbrecher, Heft 17–18, Plauen im Vogtland 1934, S. 144. Vgl. Erklärung Eberhard Koebels zum Zwecke der Rehabilitierung Günther Wolffs, in: Hess, Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich, S. 29. 123 124
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
seinen Namen gab. Hensel war als Germanist und Volksliedforscher tätig. Doch das reine Sammeln von Volksliedern – wie es John Meier 1914 in Freiburg institutionalisierte und dort das Deutsche Volksliedarchiv gründete125 – reichte Hensel nicht aus. Er appellierte in seiner 1923 erstmals erschienenen „Streitschrift wider das falsche deutsche Lied“: „Gebt dem Volk sein Lied zurück!“ Gemeint war damit das Einstudieren und Aufführen alter Volkslieder und ihr Bewahren durch das aktive Singen. Hensel war der Ansicht, dass die Landschaft die sie bewohnenden Menschen deutlich beeinflusste und so ihre Kultur, ihre Musik und Sprache zugunsten dieser Bindung erhalten bleiben müsse. Sein ideologisches Pamphlet „Lied und Volk“ wurde in den ersten beiden Auflagen im Böhmerland-Verlag in Eger beziehungsweise im Verlag von Johannes Stauda in Augsburg126 herausgegeben und erlebte noch weitere Auflagen im Bärenreiter Verlag (3. Auflage, 9.–12. Tausend 1927 und 4. Auflage, 13.–17. Tausend 1931). Sinn dieser Hensel’schen Singwochen war die „Gemeinschaftsmusikpflege“ in absoluter Abgeschiedenheit. Das Format erwuchs u. a. aus dem der „Böhmerlandwochen“, welche nach dem Verlust des politischen Einflusses Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg der Pflege des geistigen Volkstums, der Vertiefung einer Heimatbildung und der Erhaltung von als wertvoll empfundenem Brauchtums und alter Sitten dienen sollte.127 Die ideologische Ausrichtung der Finkensteiner ist also in Bezug auf die deutsche Volksgemeinschaft auch außerhalb der sich nach 1918 festigenden neuen Grenzen kritisch zu betrachten und ihre Praktiken hatten eine andere Motivation als die des Kreises um Jöde. Vötterle verkündete noch während der ersten Finkensteiner Singwoche 1923 vor Ort allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass er ein lebendiges Liederbuch, „Die Finkensteiner Blätter“ mit Walther Hensel als Herausgeber verlegen werde. Vötterles eigenen Schilderungen zufolge, bestellten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer voller Begeisterung im Voraus und bei seiner Rückkehr nach Augsburg brachte Vötterle 70 tschechische Kronen als Startkapital mit, die einem Friedenswert von 10 Mark entsprachen. Dieser Vorschuss sollte der Erstellung der ersten „Finkensteiner Blätter“ dienen. Nach Erscheinen der ersten Ausgabe sammelten die „sudetendeutschen Freunde“ erneut Geld für den Verlag, was die Eltern Vötterles entbehren konnten, gaben sie ihrem Sohn und auch das Vertrauen vieler Freunde und Bekannter, so schreibt Vötterle selbst, sei ihm das wahre Startkapital gewesen.128 In den Memoiren Vötterles „Haus unterm Stern“ beschreibt er den Prozess, wie die ersten „Finkensteiner Blätter“ entstanden: Hensel gab sein Manuskript ab, daraufhin ging Vötterle zu dem Buchdrucker Hieronymus Mühlberger im Pfaffengäßchen in
125 Vgl. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Hrsg.): Deutsches Volksliedarchiv [Onlinefassung], URL: http://www.zpkm.uni-freiburg.de/sammlungen/Deutsches_Volksliedarchiv [27.05.2020]. 126 Zu Böhmerland-Verlag und Johannes Stauda siehe u. a. Kapitel 4.1. 127 Vgl. Szeskus, Die Finkensteiner Bewegung, S. 5–7. 128 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 64.
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Augsburg, der bekanntermaßen auch Noten drucken konnte. Vötterle, noch unwissend und unerfahren, wie er selbst schreibt, kaufte selbst Papier vom Großhändler und erst als er das Papier zur Druckerei brachte, erfuhr er, dass üblicherweise der Papiergroßhändler direkt an die Druckerei lieferte. Voller Tatendrang gedachte Vötterle selbst das Falzen und Binden zu übernehmen, um auch hierbei noch am spärlichen Startkapital zu Sparen. Doch selbst unter Mithilfe seiner Freunde war dies nur mit größtem Zeitaufwand möglich. Daher optimierte er für die folgenden Auflagen den Prozess, wie es sonst in der Branche üblich war, und engagierte einen Buchbinder.129 Der Zweck, den „Die Finkensteiner Blätter“ erfüllen sollten, formulierte Vötterle beispielsweise im zehnten Heft des zweiten Jahrgangs: „Das gute Lied in guten Sätzen wieder zum Volksgut zu machen.“ Damit entsprach sein Ansinnen dem Walther Hensels, wie dieser es in „Lied und Volk. Streitschrift wider das falsche deutsche Lied“ beschrieb. Später differenzierte sich das Ziel der Zeitschrift weiter aus. Im Doppelheft 5/6 des vierten Jahrganges findet sich erneut eine Definition des Zwecks der „Finkensteiner Blätter“: „Die Finkensteiner Blätter wollen eine Art Elementarschule zur Pflege des Volksliedes sein. Herausgeber und Verleger sehen in solcher Pflege einen wahren Dienst am deutschen Volke.“130 Das Format der Finkensteiner Singwochen hatte sich ebenfalls schnell etabliert, vor allem, weil das Format des Lagerns in der Natur, des Singens und der konzentrierten Arbeit an sich selbst ein zeitaktuelles war. Eine Bandbreite an verschiedenen Singwochen zeigte sich schon 1924, wie die Berichte über die im Jahr 1924 stattgefundenen „Singewochen“ in Riemendorf im Riesengebirge, in Bad Salzbrunn und auf der Jugendburg Hohnstein in der Sächsischen Schweiz im ersten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift „Die Singgemeinde“ belegen.131 Dabei stechen die Unterschiede der Veranstaltungen untereinander hervor und verdeutlichen die naturideologische Weltsicht der Finkensteiner beziehungsweise von Walther Hensel selbst. Die Riemendorf-Beschreibung strotzte von poetischen Beschreibungen der Natur, wie die Beschreibung der Flüsse Bober und Zacken als „zwei struppige Gesellen“, die vom Riesengebirge herabkämen, belegt. Nicht nur die Idealisierung der Wildheit der Natur springt hier ins Auge, vor allem thematisiert Hensel die Einfachheit des Kuhund Pferdestalls, in dem die kleine Gemeinschaft in Riemendorf gemeinsam die Tage und Nächte verbrachte und den Zusammenhalt der Gruppe, der durch diese Beengtheit und die natürliche Umgebung gestärkt worden sei. Diesen Zusammenhalt sieht er durch die „Kulturwelt“ in Bad Salzbrunn, wie er sie nennt, beeinträchtigt.132
129 130 131 132
Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 66. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 4 (1926/27), Heft 5/6, Augsburg 1927, Umschlagseite vorne innen. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 13.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Anders im Luxusbade Salzbrunn. Ein einheitliches Zusammenleben wie in Riemendorf war der Ortsverhältnisse wegen unmöglich. Einige fuhren am Abend mit der Bahn nach Hause und kamen am Morgen erst zu Beginn der Arbeit wieder. Überall gab es Berührung mit der „Kultur“-welt, sei es daß wir zu unserem Arbeitsplatze auf einer abgeschlossenen Wiese über die Kulturpromenade gehen oder am Abend im weitläufigen Theatersaal musizieren mußten.133
Abbildung 26 2. Thüringer Singwoche Walther Hensels in den Saalhäusern bei Kösen, 3.–12. Oktober 1925, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/135/15. Walther Hensel steht erhöht vor einer Gruppe seiner Gesangsschülerinnen und gibt Anweisungen.
Auf diesem Bild (Abbildung 26) fing Julius Groß einen Moment während der Singwoche der Finkensteiner 1925 ein. Was sich zeigt, ist nicht grundsätzlich anders als bei den Singwochen Jödes. Hensel steht erhöht auf einem Stuhl, seine Jacke hängt über der Lehne. Er trägt sein ihm typisches Hemd mit tiefem Brustausschnitt und breitem Kragen inklusive des breiten Gürtels, dazu eine Kniebundhose und Stulpen an den Schienbeinen. In seinen Sandalen steckt er barfüßig. Vor ihm steht eine Gruppe weiblicher Teilnehmerinnen. Sie tragen Röcke oder weite Kleider und zu Zöpfen gebundene oder geflochtene Haare. Herausstechend ist, dass sie alle aufgeschlagene Bücher
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Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 14.
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in den Händen halten. Der Titel „Kirchengesang“ kann keiner Veröffentlichung exakt zugeordnet werden, aber die Mädchen und Frauen halten alle das gleiche Heft in den Händen. Hensel zeigt auf ein Blatt in seinen Händen und hat den Mund geöffnet, als würde er sprechen, die jungen Frauen dagegen schweigen, blicken ihn an oder in ihr Notenheft. Das Bild trägt als Originaltitel „Nicht diesen Knacklaut!“, scheinbar empfand Julius Groß diese Situation als repräsentativ für eine Lehrsituation, wie Hensel die jungen Frauen anleitete, ihr Singen zu verbessern. Stimmbildung übernahm Walter Hensels Frau Olga, Hensel selbst lehrte Musiktheorie und auch die sonstigen Bilder dieser Singwoche geben keinen Anlass zu vermuten, dass sie ihren Lehrkörper weiter gefasst hätten. Hierin liegt ein deutlicher Unterschied zu den Singwochen Jödes, die weniger auf eine zentrale Lehrfigur ausgerichtet und damit für das Ermächtigen von musikalischem und musikpädagogischem Nachwuchs besser geeignet waren. Dennoch: Auch bei Hensels Singwochen gab es Helfer, die als Mittragende genannt werden können. Erste Helfer und Singwochenleiter waren neben den Hensels Adolf Seifert und Alfred Rosenthal-Heinzel.134 In den Quellenbeständen des Archivs der deutschen Jugendbewegung zu den Finkensteinern findet sich die Teilnehmerliste der Sudetendeutschen Singwoche vom 1. bis 10. Erntings – also August – 1926 in Sedlnitz in Nordmähren. Das Dokument beginnt mit den Worten: Nur acht Tage stehen uns für die Arbeit zur Verfügung, die uns zusammenführen und die wir als Dienst am Volke empfinden. Helfe jeder, dass diese kurze Zeit uns das werde, was wir von ihr erhoffen: ein fester Punkt in der Flucht der Tage des Jahres, von dem aus wir mithelfend wirken können bei dem grossen Werk der Gesundung unseres Volkes.135
Allein die Wortwahl – das zweifache Berufen auf das „Volk“ – ist bemerkenswert. Die „Gesundung unseres Volkes“ ist eine noch eindeutigere Anrufung einer biologistischen Auffassung des deutschen Volkes und weist hier an prominenter Stelle auf eine völkisch-nationale, geistige Haltung der Organisatorinnen und Organisatoren hin. Wie auch die oben beschriebenen „Musikantengilden“ organisierte sich der Finkensteiner Bund dezentral. Beispielsweise gründete sich 1924 eine Regionalgruppe des Finkensteiner Bunds in Göttingen. Leitende Funktion nahmen etwa Konrad und Heinz Ameln, Jörg Erb, Oscar Fitz, Werner Gneist, Wilhelm Gohl, Walter Kiefner, Alfred Klose, Martin Kobelt, Johannes Mehl, Wilhelm Menzel, Gottfried Opitz, Julius Ott, Bernhard von Peinen, Ralf von Saalfeld, Friedrich Struwe und Robert Treml ein. Auch zwei Pfarrer wirkten in ihren Gemeinden im Sinne der Finkensteiner „Sing-
Vgl. Vötterle, Karl: Fünfzig Jahre Finkenstein. Ansprache bei der Veranstaltung des Adalbert-StifterVereins und des Bayrischen Rundfunks „Fünfzig Jahre Finkensteiner Singen“ am 15. März 1974, S. 10, AdJb P1/1421. 135 Einladungsprogramme zu „Sudetendeutschen Singwochen“ des Finkensteiner Bundes aus der Korrespondenz von Heinrich Schumann, AdJb A 228 14.73. 134
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
gemeinden“: Wilhelm Hopfmüller in Riedheim bei Ulm und Ernst Schieber in Asch bei Blaubeuren. Richard Gölz führte den Württembergischen Kirchengesangbund in eine musikalische Erneuerung.136 Grundsätzlich kamen bei den Finkensteinern auch im losen Zusammenschluss der süddeutschen und tschechoslowakischen Singbegeisterten alle Schichten, Weltanschauungen und Parteien zusammen. Nichtsdestotrotz muss festgehalten werden, dass die „grenz- und auslandsdeutschen“ Mitglieder einflussreich waren und ihre Belange, die Ausübung und Erhaltung der eigenen als unterdrückt empfundenen Sprache und Musik, besondere Aufmerksamkeit erfuhren.137 Das Besondere an dieser Quelle, der Teilnehmerliste, ist die letzte Spalte der folgenden Auflistung von Namen, denn neben den Namen finden sich Abkürzungen der Bundzugehörigkeiten der einzelnen Personen – unter anderem „Frsch.“ [Freischar], „Wv.“ [Wandervogel] und „Jungnat. B.“ [ Jungnationaler Bund]. Die Liste zeigt, dass einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in mehr als einer Organisation aktiv waren, was Ideenübertragungen durch Einzelpersonen möglich machte. Auch das Netzwerk der sich dort Versammelnden wird offenbar und zeigt den Einfluss der Jugendmusikbewegung innerhalb der Jugendbewegung an. Den einzelnen Ausgaben der „Finkensteiner Blätter“ vorangestellt sind einseitige kurze Stellungnahmen und Aufrufe. Zum ersten Heft des ersten Jahrgangs lautete der Titel beispielsweise „Volkslied und Jungvolk“ und diskutierte den Unterschied zur reinen Jugendbewegung: Die wandernde Jugend hat als erste einen Trunk aus dem Brunnen des Volksliedes getan und war wie von einem himmlischen Zauber gebannt worden. […] so ist der Zupfgeigenhansl entstanden, der schon unzählige Volksgenossen ein lieber Gefährte geworden ist. Doch eines hat gefehlt: Die Jugendbewegung ist nicht zur Volksbewegung geworden […]. Die Volksliedpflege mußte in dem Augenblick versanden, wo man vergaß, bewußt ins Volk hinauszutragen, was aus dem Volk gekommen ist. Es genügt nicht, dem Bauern gelegentlich als Dank für Unterkunft ein Liedchen zu singen; Das Singen als solches muß ins Volk getragen werden, muß allgemeines Gut werden.138
Durchscheinend lässt sich in dieser Berufung auf das „Volk“ als eine Gemeinschaft, die schöpferisch und wahrhaftig gut tätig ist, die Ideologie Hensels erkennen. Ähnlich grundlegende, musikalische und weltanschauliche Statements, anhand derer die Finkensteiner Gruppen gemessen werden können, finden sich in unregelmäßigen AbstänVgl. Vötterle, Karl: Fünfzig Jahre Finkenstein. Ansprache bei der Veranstaltung des Adalbert-StifterVereins und des Bayrischen Rundfunks „Fünfzig Jahre Finkensteiner Singen“ am 15. März 1974, S. 10, AdJb P1/1421. 137 Vgl. Vötterle, Karl: Fünfzig Jahre Finkenstein. Ansprache bei der Veranstaltung des Adalbert-StifterVereins und des Bayrischen Rundfunks „Fünfzig Jahre Finkensteiner Singen“ am 15. März 1974, S. 10, AdJb P1/1421. 138 Die Finkensteiner Blätter, Jg. 1 (1923/24), Heft 1, Augsburg 1923, S. 1. 136
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den in den folgenden Liedblättern, wie etwa in „Vom einstimmigen Gesang“, in dem eine Fürsprache für einstimmige Choräle gehalten und gleichzeitig gegen die als zeitgenössisch dargestellte Vorstellung argumentiert wird, dass ein gutes Lied stets mehrstimmig sein müsse139 oder in „Deutsche Weihnacht im Liede“, wo erneut die Notwendigkeit des Wiederbringens alter Bräuche und Lieder in das deutsche Volk durch die Jugend beschworen wird.140 In „Klampfe oder Laute?“ geht es auch um die korrekte Benennung der Saiteninstrumente: Das Wort „Zupfgeige“ der Ur-Wandervögel sei völlig falsch, genauso wie „Gitarre“ einen Fremdnamen darstelle – allein Klampfe sei die ursprüngliche, alpenländisch genutzte Bezeichnung. Zudem wird klargestellt, dass das zeitgenössisch als „Laute“ bezeichnete Instrument, wegen der sechs einzelnen statt der sechs doppelten Saiten eine „Gitarrenlaute“ sei. Die alte, eigentliche Laute wird in ihrer Herkunft – aus Arabien – beschrieben, genauso wie die von der Gitarre verschiedene Spielweise – polyphon statt harmonisch.141 Des Weiteren werden Themen wie „Mollweisen im Volkslied“, „Von Gregorianischen Melodien“, „Singen und Wandern“, „Die ältesten Osterlieder“ oder „Das Kinderlied in der Musikerziehung“ behandelt. Bereits von Beginn an war das Vorhaben der Liedblätter gut durchdacht. Sie kamen als einzelne Hefte heraus, deren Umschlag leicht entfernt werden konnte. Die reinen Liedblätter ohne Schutzumschlag waren bereits gelocht, sodass die spätere Zusammenführung in einer eigens hierfür hergestellten Mappe leicht zu bewerkstelligen war. Von Beginn an hatte ein Heft zwölf Seiten inklusive des Umschlages, der eine Titelseite bekam und ansonsten mit Werbung belegt war. Das Format von 13 auf 19 Zentimeter war für Notenschrift günstig im Querformat ausgeführt. Die übrigen acht Seiten waren bereits gelochte Notenblätter mit Volksliedern. Im Durchschnitt wurden vier bis fünf Lieder abgedruckt, die Herausgabe erfolgte im Normalfall monatlich, jedoch gab es auch hier des Öfteren Sammelausgaben, in welchen zwei bis drei Ausgaben zusammengezogen wurden und anstelle von bis zu drei Lieferungen nur eine im größeren Umfang erfolgte. Auch ein Inhaltsverzeichnis wurde nach Abschluss eines Jahrgangs vom Bärenreiter Verlag hergestellt, dem man die Lieder in alphabetischer Reihenfolge und unter Angabe des entsprechenden Hefts, in dem es abgedruckt war, entnehmen konnte. Im Normalfall wurde dieses Inhaltsverzeichnis den Abonnentinnen und Abonnenten nach Ablauf des jeweiligen Jahrgangs vom Verlag zugesandt. Dabei unterscheidet sich der Hinweis an die Leserinnen und Leser im Inhaltsverzeichnis für die Abonnement-Liedblätter von demjenigen, der in der später gedruckten Gesamtausgabe zu finden ist. Im gesonderten Abonnement-Inhaltsverzeichnis heißt es:
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Vgl. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 1 (1923/24), Heft 1, Augsburg 1923, S. 8. Vgl. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 1 (1923/24), Heft 3, Augsburg 1923, S. 24. Vgl. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 1 (1923/24), Heft 4, Augsburg 1923, S. 32.
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Der Du dieses Büchlein liesest oder daraus singst, bedenke, daß all die kleinen, feinen Tonsätze darin geistiges Eigentum Walther Hensels oder sonst eines Mitarbeiters sind. Es geht nicht an, daraus abzuschreiben, was einem gerade gefällt. Abgesehen davon, dass eine solche Handlung einen Diebstahl an fremdem geistigen Eigentum ist, würdest Du damit den Verlag empfindlich schädigen: denn dieser hat durch einen billigen Preis bereits das Möglichste getan, um jedermann in den Stand zu setzen, durch Kauf rechtmäßiger Besitzer der Liedblätter zu werden. Endlich setzt Du Dich durch Abschrift, Abdruck, Vervielfältigung jeder Art einer gerichtlichen Verfolgung aus. Hingegen räumt der Herausgeber allen Abnehmern der Hefte und nur diesen das Recht der öffentlichen Aufführung ein. Notensatz und Druck besorgt Hieronymus Mühlberger in Augsburg.142
Hierin wird die mystisch beschworene Volksgemeinschaft und der Zugang des imaginierten Volkes zu seinen Liedern durch die Banalität des Marktes gebrochen. Es wird als unrechtmäßig beschrieben, dieses hier zu Papier gebrachte Liedgut und die Sätze weiter zu tradieren – sie seien nicht des Volkes, sondern „geistiges Eigentum Walther Hensels oder sonst eines Mitarbeiters“. Die Praxis der Bündischen, die bereits bis vor dem Ersten Weltkrieg üblich und offensichtlich auch 1923/24 gewöhnlich war, sich selbst Liederbücher anzulegen und handschriftliche Eintragungen zu machen, wurde durch Vötterle und Hensel scharf verurteilt. Seine Argumente waren die eines Unternehmers, der aus verständlichen Gründen nicht wollte, dass ein einziges Exemplar gekauft und die Inhalte zehnmal abgeschrieben würden, da ihm dieser Gewinn entginge beziehungsweise er diese Absätze in seine Finanzrechnung nicht aufnehmen könnte. Es wird gleich zweimal das „geistige Eigentum“ beschrieben, was auf die seit Ende des vorangegangenen Jahrhunderts sich verschiebende Auffassung von Eigentum im Verlagswesen hindeutet.143 Im Unterschied zu der hier von Vötterle und Hensel ausgedrückten Aufforderung war es Ludwig und Heinrich Voggenreiter klar, dass ihre Produkte gemeinschaftlich genutzt wurden und sie beispielsweise das Vorlesen als Praxis in den Jugendgruppen gar nicht unterbinden konnten. In der Gesamtausgabe des ersten Jahrgangs der „Finkensteiner Blätter“, die ohne Lochung als ein gesamtes Buch erschien, ist dieser Hinweis auf das Verbot von Abschriften ebenfalls enthalten, allerdings ist er hier freundlicher formuliert und in diesem Fall explizit unterschrieben von Karl Vötterle als Verleger und Dr. Walther Hensel als Herausgeber. Nach einer Vorrede über die Entstehung der Idee folgt der Aufruf: „Hilf auch du mit an einer geistigen Wiedergeburt unseres Volkes durch sein Lied!“ Weiter heißt es:
Inhaltsverzeichnis zum abgeschlossenen ersten Jahrgang der Finkensteiner Blätter 1923/24, Augsburg 1924, Bärenreiter-Verlags-Archiv 1923/24–612. 143 Vgl. Kapitel 2.3. 142
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Eines müssen wir jedoch zu bedenken geben: eine Verbreitung von Mund zu Mund, wenn ihr’s imstande seid, soll uns nur willkommen sein; ein Abschreiben aber können wir nicht zulassen! Dazu sind die Hefte zu wohlfeil, Autor und Verleger müssen davon leben und gebrauchen den Erlös ohnedies nur zum Ausbau der hier begonnenen Arbeit. Das Recht der Aufführung räumen wir gerne ein.144
Scheinbar wurde diese Ausgabe später gedruckt als das Inhaltsverzeichnis für Abonnentinnen und Abonnenten, da hier dem Eindruck, es sollte „dem Volk etwas vorenthalten“ werden, bereits entgegengewirkt wird. Es wurde mehr auf die soziale Komponente und die Fairness – Herausgeber und Verleger leben davon – abgehoben als auf die rechtliche Ebene, was vermutlich durch die diplomatische Formulierung mehr Verständnis bei der Leserinnen- und Leserschaft ausgelöst haben dürfte als eine so harsche Drohung wie im Abonnement-Inhaltsverzeichnis. Die ersten acht gebundenen Jahrgänge beinhalteten dieses abgeschwächte Geleitwort, erst in Band neun und zehn ist ein neues Geleitwort zu finden, wiederum unterzeichnet von Karl Vötterle und Walther Hensel – diesmal ohne die Nennung seines Doktortitels. Der Hinweis auf
Abbildung 27 Titelseite. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 3 (1925/26), Heft 2, Augsburg 1925, Archiv des Bärenreiter Verlags Kassel.
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Vorwort, in: Hensel, Walther (Hrsg.): Die Finkensteiner Blätter. 1. Band, Augsburg 1923/24.
Anpassung des Verlagsprofils an die „bündische Subkultur“
Abbildung 28 Titelseite. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 3 (1925/26), Heft 7–9, Kassel 1926, Archiv des Bärenreiter Verlags Kassel.
das Vervielfältigungsverbot fehlt hier vollkommen. Stattdessen liegt das Augenmerk auf der Betonung der Bedeutung der Arbeit an Volksmusik und Volkssingen, welche „Die Finkensteiner Blätter“ vorantreiben würden.145 Die Titelblattgestaltung der „Finkensteiner Blätter“ änderte sich über ihren Erscheinungszeitraum öfters, mal war das Papier gelb dann wieder weiß oder blau, der Druck war meist schwarz, selten rot. Häufig wurde eine gebrochene Schrift verwendet wie etwa eine Antiqua-Variante. Seltener, aber dafür grafisch ansprechend findet sich die Umschlaggestaltung in Sütterlin. Die Nachahmung des handschriftlichen ist Gestaltungselement und fügt sich in die bildliche Darstellung der Vögel ein, wie im zweiten Heft des dritten Jahrgangs zu sehen ist. Das Verlagssignet, der kleine Reiter auf dem Bären, findet sich nur sehr selten auf dem Umschlag. Dafür enthält die Titelseite manches Mal die Auflistung der enthaltenen Lieder. Am unteren Rand findet sich auf jedem Heft der Hinweis auf die Herausgabe durch Walther Hensel und den Bärenreiter Verlag in Augsburg beziehungsweise später in Kassel.
Vgl. Vorwort, in: Hensel, Walther (Hrsg.): Die Finkensteiner Blätter. 9. Band, Kassel 1932, BärenreiterVerlags-Archiv 1923–1933–611.
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Das Ende der „Finkensteiner Blätter“ zeichnete sich bereits 1928 ab. Unter dem Titel „Schlußwort“ unterzeichnet Hensel im Sommer 1928 in Dortmund seinen Kommentar als Herausgeber zum Abschluss des fünften Jahrgangs: „Die Saat ist gestreut; wir wollen voll Vertrauens der künftigen Ernte harren.“ Darauf folgt ein Gesamtverzeichnis der ersten fünf Jahrgänge, das für 20 Pfennig versandt wurde.146 Im gebundenen Exemplar des zehnten und letzten Jahrgangs findet sich unter dem Titel „Finkensteiner Lieder – Finkensteiner Schule“ nun die konkrete Ankündigung des Abschlusses der „Finkensteiner Blätter“. Walther und Olga Hensel schreiben gemeinsam, die Arbeit sei getan, die Drescher stünden bereit, da die „Säher“ gute Arbeit geleistet hätten – die Metaphern aus der Landwirtschaft wirken dabei erneut als Berufung auf Verbindung des Menschen zu seiner Landschaft. Nicht alte Volkslieder würden nunmehr fehlen, denn auch Gegenwart und Zukunft seien Zeiten, denen gedient werden müsse. Mit vielen pathetischen Worten leiten die beiden eine neue Zeit ein: Uns winkt ein neues Arbeitsfeld: wir müssen lernen, den alten Strom überzuleiten in die brausende Wirrnis der Gegenwart. Ein Ringen michaelischen Geistes hebt an gegen die blinden Wogen des Untergangs. Das alte Lied muß einmal dem neuen weichen; aber sein Opfertod gibt neuem Geiste Nahrung. Das Volkslied schlecht und recht zu singen nützt uns allein nichts. Des Menschen schöpferische Kräfte in Sprache, Ton und Bewegung müssen aus ihm sich entfalten und entzünden, in innerer Reifung neue Formen schaffen.147
Daraufhin erklären Walther und Olga Hensel, dass sie eine Finkensteiner Schule gründen wollten, die als Weiterführung der Finkensteiner Bewegung und ihrer Bestrebungen für das Volkslied verstanden werden sollte: Das Volksmusikheim Stuttgart. Hierfür erbitten sie Spenden aus dem Kreis der Bezieherinnen und Bezieher der „Finkensteiner Blätter“. Ihre Ausführungen appellieren an das Gewissen der Leserinnen und Leser und ihre „Opferbereitschaft“ und üben so geradezu einen sozialen und moralischen Zwang aus.148 Neben dem sehr Noten-lastigen Format der „Finkensteiner Blätter“ konzeptionierte Vötterle eine zweite Zeitschrift für eine sehr ähnliche Zielgruppe, die jedoch aus Artikeln bestehen und alle zwei Monate erscheinen sollte: „Die Singgemeinde“. Eine Notenbeigabe sollte viermal jährlich mitgeliefert werden: „Das musikalische Hausgärtlein“. Das erste Heft der Zeitschrift „Die Singgemeinde“ erschien als OktoberNovember-Ausgabe 1924, also gut ein Jahr nach den ersten „Finkensteiner Blättern“ und ein halbes Jahr nach der offiziellen Verlagsgründung. Die Schriftleitung und die
Vgl. Hensel, Walther (Hrsg.): Die Finkensteiner Blätter. 5. Band, Kassel 1928, S. 99, Bärenreiter-VerlagsArchiv 1923–1933–611. 147 Hensel, Walther (Hrsg.): Die Finkensteiner Blätter. 10. Band, Kassel 1933, S. 16, Bärenreiter-VerlagsArchiv 1923–1933–611. 148 Vgl. Hensel, Walther (Hrsg.): Die Finkensteiner Blätter. 10. Band, Kassel 1933, S. 16, 96, Bärenreiter-Verlags-Archiv 1923/24–612. 146
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Herausgeberschaft übernahm im ersten Jahr Heino Eppinger aus Prag, der damit für den Inhalt verantwortlich zeichnete. Bereits ein Jahr später, 1925, ging die Herausgeberschaft an Konrad Ameln über, der die Zeitschrift bis 1933 begleitete. Den Druck der Singgemeinde erledigte anfänglich Martin Schwaiger, K.-G., Augsburg, ab dem vierten Jahrgang die C. H. Beck’sche Buchdruckerei in Nördlingen. Den Druck der Notenbeigabe „Das musikalische Hausgärtlein“ übernahm dagegen Oscar Brandstetter in Leipzig, der auf Notenstiche und -drucke spezialisiert war.149 Als einleitende Worte gibt die Herausgeberschaft auf den ersten Seiten des ersten Hefts Auskunft zu Organisation und Ziel der Zeitschrift: „Die musikalische Erneuerungsbewegung, als triebkräftiger Zweig der Deutschbewegung, hat sich verheißungsvoll geweitet und vertieft. Im Böhmerlande und im Reiche entstanden zahlreiche Singgemeinden, als deren Oberbau der ‚Finkensteiner Bund‘ ins Leben trat.“150 Auch ihre Ziele und Grundsätze hätten sich geklärt. So sei ihnen erstens „Musik […] Ausdruck tiefinnerster Seelenkräfte“, zweitens glaubten sie „als Deutsche daran, daß unsere geistige Eigenart […] wesentlich [durch das Volkstum] bestimmt ist“ und wendeten sich „deshalb vor allem der deutschen Musik zu“, drittens wollten sie dadurch eine „wirkliche musikalische Volkskultur“ ermöglichen, viertens sei der Chorgesang als vom Gemeinschaftsgeist durchströmt die zu übende Praxis, fünftens sollte Perfektion und Selbstzucht vorherrschen und gegen jeden Dilettantismus gearbeitet werden, sechstens lehnten sie genauso das „Virtuosentum, das eine seelenlose, reine technische Fertigkeit zum Konzertgebrauche erzieht“ ab und betonten die Freude an der Musik und siebtens richte sich schließlich all ihre Arbeit auf die „Erneuerung und innere[…] Befreiung des Volkstums“ – Musik sei nie Selbstzweck.151 Betont wird also die Stärkung des deutschen Volkstums durch die Musik. Auch sollte die Zeitschrift die über die Landschaft verstreuten Gruppen zu einer Gemeinschaft zusammenführen und ihr eine gemeinschaftliche Erfahrung in der Zeit zwischen den Finkensteiner und weiteren lokalen Singwochen sein. Nicht nur musikpädagogische oder sogenannte „volkserzieherische“ Artikel fanden sich in der „Singgemeinde“, sondern in der Rubrik „Dienst am Volke“ Berichte und Ankündigungen von Singwochen und Vorträgen, anderen musikalischen Erlebnissen und der Arbeit der Singgemeinden vor Ort.152 Die Beiträge des ersten Hefts 1924 verfassten Hans Klein, Adolf Seifert, Martin Kobelt, Walther Hensel, Paul de Lagarde, Olga Hensel-Janiczek und einige anonyme Ortsgruppen und Personen, die über Veranstaltungen schrieben. Neben einigen weiteren Buchbesprechungen findet sich auf den Seiten 18 und 19 die Rezension von Walther Vgl. Eppinger, Heino (Hrsg.): Die Singgemeinde. 1924/25 Erster Jahrgang, Augsburg 1925. Eppinger, Heino: Der Finkensteiner Bund und seine Zeitschrift, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 1–2. 151 Eppinger, Heino: Der Finkensteiner Bund und seine Zeitschrift, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 1–2. 152 Vgl. bspw. Eppinger, Heino (Hrsg.): Die Singgemeinde. 1924/25 Erster Jahrgang, Augsburg 1925, S. 13– 24, 32–40, 57–64. 149 150
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Hensel zum im Julius Zwißler Verlag / Georg Kallmeyer im Folgejahr erscheinenden Buch unter Herausgeberschaft Fritz Jödes „Das deutsche Lied. Ein Jahreskreis 1925“. Einiges ist an dieser Rezension bemerkenswert: Noch bevor das Buch offiziell erschien, konnte Hensel eine Rezension darüber schreiben. Er musste es also vorab bereits zur Verfügung gestellt bekommen haben. Dies wiederum belegt eine enge Verbindung – persönlich oder geschäftlich – entweder zu Fritz Jöde oder zum Verleger Georg Kallmeyer. Außerdem sind seine Anmerkungen zu dem Werk seines Kollegen und Konkurrenten interessant. Die Jahresaufteilung sei unnötig, aber sonst die Auswahl der Lieder sehr passend: Große Meister und einfache Volkslieder, Choräle und Instrumentalstücke. Neue und alte Weisen und Sätze hielten sich die Waage. Hensel begrüßt das wieder-Einbeziehen des Klaviers als Instrument in den Kreisen der Jugendbewegung, die er als potenzielle und sehr wahrscheinliche Rezipientinnen und Rezipienten des Buches annimmt. Über die Arbeitsweise an diesem Buch urteilt Hensel: Von Neutönern bezw. Neusetzern, hat der Herausgeber (in weiser Beschränkung) nur Leute aus seinem Kreis, die in der musikalischen Jugendbewegung stehen, aufgenommen: Helmuth Weiß, Walter Rein, Armin Knab, M. Schlensog, Ekkehart Pfannenstiel, Ludwig Weber. Jöde selbst hat nur einen einzigen Satz aus seinem zweistimmigen Liederbuch beigestellt.153
Von diesen „Leuten aus seinem Kreis“ aber kommen nur die ersten Beiden bei Hensel gut weg, kompositorisch hätten die anderen große Schwächen und teilweise fehlendes Gespür für die Eigenart und den Charakter der jeweiligen Lieder. Diese Kritik führt so weit, dass er fragt: „Wo bleibt des Herausgebers Geschmack und Urteil?“154 Trotzdem beschied Hensel nicht abschlägig über das gesamte Buch, sondern wünscht ihm weite Verbreitung, auch wenn viele Lieder bereits vorher in anderen Publikationszusammenhängen veröffentlicht wurden. Was aus dieser Kritik gelesen werden kann, ist ein Seitenhieb gegen die Art der Ausbildung, die Jöde für richtig und wichtig hielt, da er auch einigen seiner noch im Lernen begriffenen Schülern die Möglichkeit der Publikation ihrer Kompositionen ermöglichte. Hensel dagegen kann durchaus nicht als Verfechter eines idealerweise gleichberechtigten Lehrer-Schüler-Verhältnisses beschrieben werden und so zeigen sich in dieser Kritik erneut die Unterschiede in der Herangehensweise zwischen Hensel und Jöde unter der gleichen Zielsetzung: Das Lied als Erziehungsinstrument unter das Volk zu bringen. Andere Artikel handelten von weniger streitbarem, musikalischem wie „Gegen die moderne Orgel“ oder bildeten Debatten zeitaktueller Themen ab wie „Für und wi-
Hensel, Walther: Rezension zu: Fritz Jöde „Das deutsche Lied. Ein Jahreskreis 1925“, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 18–19. 154 Ebd., S. 19. 153
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der den Rundfunk“.155 Unter dem Titel „Volksliedtypen“ ist im fünften Heft des ersten Jahrgangs ein Artikel von Walther Hensel abgedruckt, in welchem Wertigkeit und Ursprünglichkeit von Volksliedern beurteilt werden. Hensel teilt sie in fünf Typen: Die ältesten Lieder seien demnach die wertvollsten und ursprünglichsten. Diejenigen Lieder, die am deutlichsten zu verurteilen seien, seien solche, die „bloß eine bewußte Nachahmung des Volkstones darstellten“. Alles was nach 1850 entstanden war, sei Hensel zufolge ohnehin nicht als Volkslied zu bezeichnen. Er schließt seinen Aufsatz mit einer Kritik an anderen musikalischen Bewegungen, der unter anderem Fritz Jöde und die Musikantengilden zuzurechnen sind: „Doch es gibt in unseren Tagen einfältige Neutöner genug, die da vermeinen, Volkslieder komponieren zu können.“156 Sicherlich vertritt Hensel hierbei eine extreme Position, allerdings scheint diese Einschränkung
Abbildung 29 Links: Titelseite. Eppinger, Heino (Hrsg.): 1924/25 Erster Jahrgang. Die Singgemeinde, Augsburg 1925, MuWi HD B 193 a rem; Rechts: Titelseite. Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde, Jg. 5, Heft 1, Kassel 1928, MuWi HD B 193 a rem.
155 Vgl. Heilmann, Felix: Gegen die moderne Orgel, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 4, Augsburg 1925, S. 66–68; Eppinger, Heino: Für und wider den Rundfunk, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 4, Augsburg 1925, S. 68–73. 156 Hensel, Walther: Volksliedtypen, in: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 5, Augsburg 1925, S. 99– 104, hier: S. 104.
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nur für volksliedähnliche neue Kompositionen zu gelten, denn grundlegend wurden neue Komponisten im Kreis der „Singgemeinde“ nicht abgelehnt. Beispielsweise wurden im ersten Heft des vierten Jahrgangs der zeitgenössische Komponist Heinrich Kaminski und sein Werk sehr positiv besprochen und als Notenbeigabe wurden dem Heft Instrumentalwerke August Halms beigelegt.157 „Die Singgemeinde“ war schlicht, aber in ihrer Papierqualität hochwertig konzipiert – im Gegensatz zu anderen Zeitschriften- und Verlagsgründern hatte Vötterle von Beginn an auf hochwertiges, holzfreies Papier gesetzt, statt allein so günstig wie möglich zu produzieren – was möglicherweise auf eine höhere Kaufkraft seiner Kundinnen und Kunden hindeutet. Der Schutzumschlag wurde aus festem gelbem Papier hergestellt, in roter Farbe mit einer gebrochenen Schrift findet sich der Titel „Die Singgemeinde“ auf jedem Heft. In schwarzer Fraktur und etwas kleiner an den oberen und unteren Rändern der Seite sind Jahrgang, Heftnummer, Monat und Jahr genauso angegeben, wie der Herausgeber und der Verlag. Diese Gestaltung änderte sich über die Jahre nur geringfügig, die Aufteilung der Seite verschob sich etwas und es wurde in den frühen 1930er Jahren eine andere Schriftart genutzt, die Farbauswahl und die Schlichtheit blieben jedoch durchweg bestehen. Die Zeitschrift erschien ebenfalls bis 1933 und endete damit mit ihrem neunten Jahrgang (Abbildung 29).158 Im Bärenreiter Verlag erschienen 1933 jedoch schon lange nicht mehr nur die beiden Zeitschriften „Die Finkensteiner Blätter“ und „Die Singgemeinde“, sondern sowohl Gesamtausgaben alter Meister, auch Werke neuer Komponisten und musiktheoretische und musikpädagogische Schriften, wie in Kapitel 4.1 ausgeführt wurde. Das Ende der beiden Zeitschriften stellte damit wirtschaftlich keine großen Probleme dar – über emotionale Befindlichkeiten kann nichts gesagt werden. Auch war dieser Schritt keinesfalls ein Hinweis darauf, dass die Zeitschriften die Erwartungen ihrer Leserinnen und Leser enttäuscht hatten – vielmehr ist es Ausdruck der Politisierung des Kulturlebens, auch in der Jugendmusikbewegung. 4.2.4
Kulturpolitik statt „bündischer Kultur“
Sowohl „Die Finkensteiner Blätter“ und „Die Singgemeinde“ als auch die Musikzeitschrift aus dem Georg Kallmeyer Verlag „Der Kreis“ wurden im Jahr 1933 eingestellt. In den „Finkensteiner Blättern“ wird dieser Schritt durch die Gründung einer neuen Vgl. Müller-Blattau, Josef: Heinrich Kaminski, in: Die Singgemeinde, Jg. 4 (1927/28), Heft 1, Kassel 1927, S. 7–12, Notenbeigabe: Musik von August Halm. Serenade in a-moll für Streichquartett. Vier Tänze und nächtlicher Marsch in Klavier. 158 Im vierten Jahresband findet sich der Hinweis auf Alfred Födransperg aus München, der den Einbandentwurf machte, vgl. Die Singgemeinde, Vierter Jahresband, Kassel 1928, vor dem Inhaltsverzeichnis. Die neue Gestaltung ab dem fünften Jahrgang ist dem Holzschnitt Prof. Alfons Niemanns aus Kassel zu verdanken, vgl. Die Singgemeinde, Fünfter Jahresband, Kassel 1929, Umschlagseite innen. 157
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Volksmusikschule und neuer Aufgaben, welche Walther und Olga Hensel bevorstünden und für die sie von der Theorie in die Praxis treten wollten, begründet. Bei der „Singgemeinde“ liest sich die abschließende Erklärung anders: Als Letztes kommt Konrad Ameln als Herausgeber zu Wort, der sich bei allen Mitwirkenden der acht von ihm verantworteten Jahrgänge bedankt. Außerdem versichert er, dass er nur wegen sonstiger Überlastung keine neue Herausgeberschaft übernehmen werde und dass es eine neue Zeitschrift als einziges Presseorgan geben werde, dessen Konzeptionierung länger als erwartet gedauert habe. In „Der Kreis“ gibt es dahingehend keine Erklärung zur Einstellung der Zeitschrift, die ohnehin eine Zwischenlösung dargestellt hatte und deren letzter Jahrgang nicht einmal beendet wurde. Vor allem als Fortführung von „Die Singgemeinde“ als auch von „Der Kreis“ erschien ab Herbst 1933 eine neue Zeitschrift mit dem Namen „Musik und Volk“. Diese wurde in dem fettgedruckten Beitrag Bernhard von Peinens beworben, welcher unmittelbar auf die Abschiedsnachricht Konrad Amelns im letzten Heft der „Singgemeinde“ folgte. Von Peinen war Mitglied des Finkensteiner Bundes, Lehrer an der Evangelischen Schule für Volksmusik am Johannesstift in Berlin Spandau und bereits zuvor Mitglied in der NSDAP.159 Hier nun kommt ihm die Aufgabe zu, unter dem Titel „An die Mitglieder des Finkensteiner Bundes und die Leser der ‚Singgemeinde‘“ die Auflösung und Gleichschaltung der Finkensteiner Gruppen zu verkünden. Alle deutsche Volks- und Heimatarbeit sollte auf Geheiß des stellvertretenden Parteichefs Rudolf Heß in Zukunft durch den Reichsbund Volkstum und Heimat (RVH) geführt werden. In der offiziellen Verlautbarung wird die zukünftige Organisationsstruktur erklärt – Führung des Bundes durch Universitätsprofessor Karl Alexander Müller aus München, organisatorische Leitung durch Parteigenosse Werner Haverbeck aus Berlin. Als Tätigkeitsgebiete nennt er: deutsche Volkstumsarbeit, Werbung und Aufklärung für das deutsche Volkstum und den Heimatgedanken; Heimatschutz, Naturschutz; Volksmusik, insbesondere Volkslied; Laienspiel und Sprechchor; Brauchtumspflege und Trachten; Volkstanz; Gestaltung volkskultureller Feste und Feiern; Volks-Kunstgewerbe; Wissenschaftliche Volkstumskunde.
Bernhard von Peinen betont, dass der Finkensteiner Bund e. V. den Reichbund mitgegründet habe, der eigenständige Bund sich auflösen werde und die Ortsgruppen unter gleicher Führung weiterbestehen sollten, soweit sich die Personen auch ideologisch bewährt hatten. Die Führer sollten sich jedoch unverzüglich bei der Reichsleitung melden. Für das Fachamt für Volksmusik im Reichsbund waren Herbert Just aus der Zweigstelle Berlin des Kallmeyer Verlages und Bernhard von Peinen zuständig. Diese Fachstelle sollte, so Peinen, die Zeitschrift „Musik und Volk“ herausgeben, in der sowohl die „Singgemeinde“ als auch „‚Der Kreis‘ (früher ‚Musikantengilde‘)“ aufgehen
159 Vgl. Biermann, Matthias: „Das Wort sie sollen lassen stahn …“. Das Kirchenlied im „Kirchenkampf “ der evangelischen Kirche 1933–1945, Göttingen 2011, S. 177–178.
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sollten. Als Mitarbeitende wurden in diesem frühen Stadium Hermann Erpf, Hans Hoffmann, Wilhelm Hopfmüller, Herbert Just, Wilhelm Kamlah, Katharina Ligniez, Bernhard von Peinen, Alfred Rosenthal-Heinzel und Hermann Zenk genannt. Besonders interessant für den Fortbestand der Verlage aber ist die Ankündigung, dass die Zeitschrift „Musik und Volk“ in Zusammenarbeit von Georg Kallmeyer Verlag und Bärenreiter Verlag herausgegeben werden sollte. Der Kundenstamm war gesichert, denn allen „Singgemeinde“-Abonnentinnen und -Abonnenten wurde die Lieferung von „Musik und Volk“ als Fortsetzung in gleichem Umfang und zum gleichen Preis angekündigt.160 Gleiches gilt für die Bezieherinnen und Bezieher der Zeitschrift „Der Kreis“.161 Es kann folglich angenommen werden, dass die Leserinnen- und Leserzahl durch die Zusammenführung der einzelnen Organisationen und ihrer Zeitschriften stark stieg. Die bisherige Beilage „Collegium musicum“ [der „Singgemeinde“] wird zu einer selbstständigen Zeitschrift in gleichem Umfang und Preis wie „Musik und Volk“ ausgebaut. „Collegium musicum“ wird vor allem die Fragen der Hausmusik behandeln, während „Musik und Volk“ gleichzeitig als die Zeitschrift der deutschen Musikbewegung stärker volksmusikalisch-politischen Charakter tragen wird. Die erfolgte Regelung bedeutet für uns einen umfassenden Einsatz an unserem ganzen Volk, gestützt auf die Autorität des Staates und der Partei. In den 10 Jahren Finkensteiner Arbeit hat unser Werk ohne wirkliche Verbindung mit dem öffentlichen und staatlichen Leben getan werden müssen. Der bisherige Staat hatte Grundlagen, die sich mit den Grundlagen unserer Aufgaben nicht berührten. Heute ist der Durchbruch zu einem echten völkischen Staat geschehen. Wir sind dankbar, daß wir an unserer Stelle zu seiner Gestaltung beitragen können.162
Schon in dieser Ankündigung ist also erneut eine Zeitschrift ein bedeutender öffentlicher Ausdruck der organisatorischen Vorgänge innerhalb der nun auslaufenden Jugendbewegung und Jugendmusikbewegung. Ihre Organisationsform, der Zusammenschluss der wichtigsten zu dieser Zeit erscheinenden Musikzeitschriften, ist Zeichen der Vereinheitlichung und Gleichschaltung. Im ersten Heft des ersten Jahrgangs, im Oktober 1933, folgten weitere Bekräftigungen und Lobhymnen auf den neuen völkischen Staat. Es werden „Sinn und Aufgabe des Reichsbundes Volkstum und Heimat“ thematisiert, genauso wie „Die deutsche Musikbewegung“ – ein Aufsatz in dem Wilhelm Kamlah deutlich macht, dass
Vgl. Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde. 9. Band, Kassel 1933, S. 198–200. Vgl. Musik und Volk, Jg. 1 (1933/34), Heft 1, Kassel & Wolfenbüttel/Berlin 1933, Umschlagseite vorne innen. 162 Peinen, Bernhard von: An die Mitglieder des Finkensteiner Bundes und die Leser der „Singgemeinde“, in: Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde. 9. Band, Kassel 1933, S. 200. 160 161
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
[d]ie deutsche Musikbewegung […] in ihrer zehnjährigen Geschichte als völkische Bewegung dem Nationalsozialismus zu verwandt [ist], als daß sie sich jetzt oberflächlich gleichschalten könnte mit einem „freudigen Bekenntnis zum nationalen Staat“ oder ähnlichen Phrasen. […] Da sie es von vornherein mit Musik zu tun hatte, ist es verständlich, daß sie ihren Anstoß zunächst nicht aus dem Politischen empfing.163
Nach Abschluss des ersten Jahrgangs resümiert von Peinen, dass einige Leserinnen und Leser scheinbar die nun deutlich hervortretende politische Ausrichtung der Zeitschrift kritisierten, doch er verteidigt die eingeschlagene Linie und weist auf die Notwendigkeit dieser Politisierung hin.164 An dieser Stelle soll die Betrachtung nicht weitergeführt werden, da sich die wirtschaftlichen und vor allem politischen Umstände fundamental geändert hatten, auch wenn die Zeitschrift „Musik und Volk“ viele spannende Fragen mit sich bringt. Diese Entwicklungen wirkten sich auch auf die Unternehmen, die jugendbewegten Verlage aus: Nicht mehr die Jugendbewegung oder die Jugendmusikbewegung bestimmten das Kommen und Gehen von Zeitschriften und anderen Verlagsprodukten, sondern die Politik – der „bündische Kulturmarkt“ wurde zur vermarkteten Kulturpolitik. 4.3
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
Der Weiße Ritter Verlag hatte durch die 1920er Jahre hinweg immer wieder wirtschaftliche Probleme. Voggenreiters Lösungen, um dennoch ein wirtschaftliches Unternehmen zu betreiben, reichten von der Aufnahme von mehr Verlagsprodukten vor allem Anfang der 1930er Jahre, über die Anwerbung von mehr Abonnentinnen und Abonnenten für die Zeitschriften, den Verkauf von Werbeanzeigenplätzen bis hin zum Werben um Spenden „aus der Bewegung“. Das meiste hiervon waren sehr übliche Wege, um die Wirtschaftlichkeit von Printprodukten zu erhöhen – allein das Werben um Spenden wäre ohne die ideelle Grundlage und die dahinterstehende Bewegung nicht möglich gewesen und stellt eine Besonderheit dieses Verlages dar, die sich auch beim Bärenreiter Verlag zeigt. Denn, wie zuvor in Kapitel 4.2.3 gezeigt, auch Vötterles sudetendeutsche Freunde sammelten nach der ersten Ausgabe der „Finkensteiner Blätter“ Gelder, um die Verwirklichung weiterer Ausgaben zu ermöglichen.165 Die Werbeanzeigen sind ebenfalls ein Element, welches im jugendbewegten Kontext einen andren Charakter trug als bei breiter aufgestellten Zeitschriften oder gar Zeitungen. Um die
Kamlah, Wilhelm: Die deutsche Musikbewegung, in: Musik und Volk, Jg. 1 (1933/34), Heft 1, Kassel & Wolfenbüttel/Berlin 1933, S. 9–14, hier: S. 9. 164 Vgl. von Peinen, Bernhard: Schlusswort, in: Musik und Volk, Jg. 1 (1933/34), Heft 6, Kassel & Wolfenbüttel/Berlin 1934, S. 240. 165 Vgl. Vötterle, Haus unterm Stern, S. 67. 163
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
Tabelle 2 Vergleich der Einzelheftpreise und Umfänge der Zeitschriften nach dem Ende der Hyperinflation 1924 und 1930. Bärenreiter
Bärenreiter
„Die Finkensteiner Blätter“
„Die Singgemeinde“
1924, Okt
1924, Sept
1924, Okt/ Nov
30 Pfennig
1 Mark (inkl. Beilage)
20 Pfennig
45 Pfennig
13 Seiten
30 Seiten (12+4 Text, 8+6 Noten)
8 Seiten
24 Seiten
Der weiße Ritter
Der weiße Ritter
Das junge Volk
Zwißler/ Kallmeyer
Zwißler/ Kallmeyer
„Der weiße Ritter“
„Deutsche Freischar“
„Das junge Volk“
„Die Musikantengilde“
„Musik und Gesellschaft“
1924, Jan/ Feb
1924, März
90 Pfennig (5,50 Mark für 6 Hefte im Jahr) 24–112 Seiten 1930, Sept
1930, Dez
1930, Okt
1930, Sept
1930, Okt/ Nov
60–75 Pfennig (6 Mark für 8–10 Hefte)
35 Pfennig einzeln bzw. 34 Pfennig (4 Mark für 12 Hefte)
1,25 Mark einzeln bzw. 1,07 Mark (8,60 Mark für 8 Hefte)
20 Pfennig
60 Pfennig
20–64 Seiten
12 Seiten
32 Seiten
8 Seiten
32 Seiten
Gewichtung der Finanzbausteine einer jugend(musik)bewegten Zeitschrift bewerten zu können, sollen zunächst die Preise der einzelnen Hefte der untersuchten Zeitschriften verglichen, dann das Mittel des Abonnements hinterfragt, die Werbeanzeigen in den verschiedenen Zeitschriften in den Blick genommen und zuletzt die Auswirkungen der Inflation nachvollzogen werden (Tabelle 2). Die Zeitschriften der verschiedenen Verlage hatten unterschiedliche Umfänge und Einzelheftpreise, die über die Zeit ebenfalls variierten. Ausschnittweise wird in Tabelle 2 ein Einblick in die Jahre 1924 und 1930 gegeben. Die Einzelheftpreise reichten von 20 Pfennig bis 1,50 Mark. Die meisten waren in einem Groß-Oktav- oder Klein-QuartFormat und sind damit in etwa so groß wie das heutige DIN A 5-Format. „Die Finkensteiner Blätter“ waren kleiner, ähnlich dem heutigen DIN A 6-Format. „Das junge Volk“ ist die einzige aufgeführte Zeitschrift, die für die ersten fünf Jahrgänge sowie für den 15. Jahrgang (1919/20–1924 und 1934) ein größeres Quart-Format hatte, ähnlich dem heutigen DIN A 4-Format. Der Seitenumfang der einzelnen Hefte ist deutlicher voneinander verschieden, den geringsten Umfang hatten „Die Finkensteiner Blätter“ mit acht Seiten plus vier Seiten des Schutzumschlags, acht Seiten umfasste auch in
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
manchen Jahrgängen „Das junge Volk“. Den größten Umfang hatten manche Hefte des „Weißen Ritter“, der ohnehin nicht auf eine Seitenzahl festgelegt war – er hatte bis zu 112 Seiten. Auch hatte der „Weiße Ritter“ keinen festen Erscheinungszeitpunkt, die Herausgeber nannten ihn großspurig „Zeitlosschrift“ – es sollten aber immer sechs Hefte im Jahr erscheinen. Alle weiteren Zeitschriften hatten eine feste zwei-monatliche, monatliche oder 14-tägige Erscheinungsroutine. Die Informationen zu Preis, Umfang und Erscheinungsintervallen können in allen Fällen den jeweiligen Zeitschriften entnommen werden. Beispielsweise heißt es in den „Finkensteiner Blättern“ (Bärenreiter Verlag) auf der Umschlagseite innen: Die Hefte sind in laufender Folge sowie einzeln in beliebiger Menge zu dem billigen Preis von 20 Pfg. lieferbar und eignen sich dadurch besonders für Schulen, Vereine und Chöre. Durch die Lochung ist in glücklicher Weise der Vorteil des Flugblattes, billiger Preis und die Möglichkeit einer vollen Ausnutzung des Inhalts, mit dem des Buches, Haltbarkeit und geordnete Zusammenfassung, vereint.166
In der „Singgemeinde“ (Bärenreiter Verlag) liest sich der Hinweis auf der inneren Umschlagseite vorne so: Die Singgemeinde erscheint jährlich sechsmal mit vier Notenbeigaben aus der Reihe Musikalisches Hausgärtlein im Bärenreiter-Verlag Augsburg-Aumühle, Postscheckkonto Amt München 54887, Schriftleitung: Dr. Heino Eppinger, Prag 451 (Carolinum) Bezug durch Buch- und Musikalienhandel oder vom Verlag.167
Schaut man sich die Preisentwicklung an, kann gezeigt werden, dass sich die Anfangspreise bei vielen Zeitschriften bewährten, bei manchen musste nachgesteuert werden. Das macht sich besonders während der Inflation bemerkbar, als auch erfahrene Verleger wie Georg Kallmeyer die Situation nicht recht einschätzen konnten. Zunächst wurden 1922 noch die Preise direkt an die Inflation angepasst, als sich die Geldentwertung jedoch beschleunigte, wurde auch hier vermehrt auf die Grundpreis-Schlüsselzahl-Lösung zurückgegriffen.168 Im dritten Heft des fünften Jahrgangs (1. Januar 1922) der Zeitschrift „Die Laute“ wurden bereits relativ hohe Bezugspreise genannt: für das halbe Jahr 15 Mark und zusätzlich Postgeld von 3 Mark.169 Im darauffolgenden vierten Heft (15. Februar 1922)170 wurden schon 18 Mark und 4 Mark Postgeld angegeben. Und im siebten Heft (1. Juli 1922) schreibt Kallmeyer:
166 167 168 169 170
Die Finkensteiner Blätter, Jg. 4 (1926/27), Heft 5/6, Augsburg 1927, Umschlagseite vorne innen. Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924. Zur Schlüsselzahl und ihrer Verwendung im Der Weiße Ritter Verlag vgl. Kapitel 3.3.3. Vgl. Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 3, Wolfenbüttel 1922. Mittlerweile erschien die Zeitschrift alle sechs Wochen und nicht mehr zweimonatlich.
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
An die Bezieher der „Laute“! Die gewaltige Erhöhung der Preise für Papier, Druckund Buchbinderarbeiten zwingt mich, den Bezugspreis der „Laute“ von Mark 18,– auf Mark 24,– halbjährlich festzusetzen. Ich bitte, diesen Mehrbetrag in der betreffenden Buchhandlung oder bei direktem Bezug auf mein Postscheckkonto 3510 Hannover einzuzahlen, andernfalls werden ich ihn mit Heft 8 durch Nachnahme erheben. Juni 1922. Julius Zwißler Verlag, Wolfenbüttel.171
Da sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland fortwährend verschlechterte, richtet sich in Heft acht auch Jöde als Herausgeber an die Leserinnen- und Leserschaft, und bittet als weitere Maßnahme zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit um die Werbung von neuen Abonnentinnen und Abonnenten: Wohl aber bitte ich um eines, um das ich bisher noch nie gebeten habe: Werbt für unsere Zeitschrift! Die wirtschaftliche Lage im Buchgewerbe gestaltet sich von Woche zu Woche schwieriger. Das Ende ist nicht abzusehen. Aber wir müssen um der begonnenen und immer erfreulicher sich durchsetzenden Arbeit willen mit der Zeitschrift durchhalten. Ich weiß, daß bei uns, wo viele Jugendliche unsere Blätter lesen, die nur schwer die Kosten dafür aufbringen können, die Lage besonders schwer ist.172
In der einflussreichen Wandervogel-Zeitschrift „Der Zwiespruch“, die wöchentlich, manchmal auch seltener erschien, sind ab der Ausgabe vom 16. Mai 1923 in nahezu jeder Ausgabe die Schlüsselzahlen des Buchhandels abgedruckt173, die Angaben, mit welcher die Grundpreise für Buchhandelsprodukte multipliziert werden mussten. In Kapitel 3.3.3 wurde gezeigt, dass sich auch Voggenreiter auf diese Schlüsselzahl berief, als er bereits im Verlagsbericht im November 1922 darauf hinwies, dass diese Zahl am 25. November 300 betragen habe und sie jederzeit im Buchhandel erfragt werden könne. Deutlich wird die Inflation durch diese im „Zwiespruch“ abgedruckte Schlüsselzahl in Tabelle 3, die dadurch allen Leserinnen und Lesern präsent wurde. Zwischen den beiden letzten Schlüsselzahl-Veröffentlichungen war am 15. November 1923 die Rentenmark als stabile Übergangswährung eingeführt worden, sie entsprach einer Billion Papiermark (1.000.000.000.000). Der „Zwiespruch“-Ausgabe vom 21. November steht eine besondere Meldung „Zeitgeschichte“ voran. Unter der Überschrift „Zeitungspreise in Goldmark“ ist eine Verlautbarung des Vereins Deutscher Zeitungsverleger abgedruckt, in der vor allem der Unterschied zwischen Goldmarkpreisen vor und nach dem Weltkrieg erklärt wird: Diese seien zurückzuführen auf eine generelle, inflationsunabhängige Teuerung im Material, in den Personalkosten,
Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 7, Wolfenbüttel 1922. Die Laute, Jg. 5 (1921/22), Heft 8, Wolfenbüttel 1922, Notizen der Schriftleitung am Ende des Hefts. Dieses Vorgehen war auch andernorts üblich: Wie Wesolowski berichtet, hat auch der R. Oldenbourg Verlag die „Schlüsselzahl“ ab Mitte 1923 auf der Rückseite der Hefte abdrucken lassen. Vgl. Wesolowski, Verleger und Verlagspolitik, S. 126.
171 172 173
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
Tabelle 3 Schlüsselzahlen des deutschen Buchhandels, wie sie in „Der Zwiespruch“ angegeben wurden. Monat
Tag
Schlüsselzahl
Mai
7.
3.000
Juni
4.
4.200
Juli
5.
12.000
15.
700.000
September
1.
1.600.000
Oktober
2.
50.000.000
13.
215.000.000.000
20.
1.050.000.000.000
August
November
schlechte Absätze, mehr und höhere Steuern und dass Anzeigenkunden nicht so viel zahlen würden wie noch zuvor.174 Am 28. November 1923 findet sich im „Zwiespruch“ eine Anzeige des Elena Gottschalk Verlags auf der letzten Seite der Zeitschrift, die auf die Wiedereinführung der Goldmark und die Neueinführung der Rentenmark eingeht. In Kapitalen steht dort am oberen rechten Rand der Seite: „Bücher sind wieder billig!“ Im Text heißt es: Nach Abschaffung der Schlüsselzahl und Wiedereinführung der Goldmark durch starke Abstriche von den alten Grundzahlen sind Bücher wieder sehr billig. Wir gewähren außerdem Abzahlungen in Goldmark und 5 % Rabatt bei wertbeständiger Zahlung. Daher sei schon jedem geraten, schon jetzt Weihnachts-Einkäufe zu machen.175
Der Buchhandel warb nun also noch deutlicher für den Kauf von Büchern generell. Auch im Verlag Das junge Volk sind die Hinweise auf die überstandene Inflation deutlich nachzuvollziehen. In der Januarausgabe 1924 geht Günther Wolff in der Rubrik „Von der Schriftleitung“ auf die Inflation ein und dankt vor allem den ausländischen Bezieherinnen und Beziehern aus Tschechoslowakei und Österreich, da ihre Währung Bestand hatte und daher das Überleben der Zeitschrift mit gesichert hätte: Zum Beginn des neuen Jahrgangs danken wir heute allen denen, die mitgeholfen haben, diese Blätter über das schwere letzte Jahr hinweg zu bringen, sei es durch Mitarbeit an der inneren Ausgestaltung oder durch Werbearbeit oder sonstige Mithilfe. Nach Wiedereinführung einer festen Währung in Deutschland danken wir auch unseren Beziehern in der Tschechoslowakei und in Österreich. Ihre Bezugsgelder waren in Zeiten fürchterlicher
174 175
Vgl. Der Zwiespruch, Jg. 5 (1923), Heft 47, Hartenstein in Sachsen 1923, S. 1. Der Zwiespruch, Jg. 5 (1923), Heft 48, Hartenstein in Sachsen 1923, S. 8.
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
Entwertung oft unser einziger finanzieller Rückhalt. Ihnen liefern wir aus Dankbarkeit diese Blätter bis auf weiteres zu einem niedrigeren Bezugspreis als hier im Reich.176
Von dieser Ausnahme einmal abgesehen, verteuerten sich also die Bezugspreise im Buchhandel und bei den genannten Zeitschriften. Langfristig gab es allerdings auch die Entwicklung in die andere Richtung, sodass Zeitschriften günstiger wurden. Als Beispiel sollen hier „Die Finkensteiner Blätter“ dienen, da sich hier eine deutliche und wirtschaftlich spannende Entwicklung in den Jahrgangspreisen zeigt. Einzelhefte wurden für 20 Pfennig verkauft, was im Jahr 2,40 Mark bedeutete. Einzelne Sammelmappen, in welche die Liedblätter geheftet werden konnten, wurden je nach Ausführung für 50 Pfennig bis eine Mark abgegeben. Damit ist das Abonnement plus Sammelmappe mit 2,90 beziehungsweise 3,40 Mark teurer als die kartonierte Jahresausgabe, die vom ersten bis dritten Jahrgang 2,80 Mark kostete. Eine in Leinen gebundene Ausgabe konnte für 3,80 Mark erworben werden. Ab dem vierten Jahrgang 1926 wurden günstigere Preise angegeben: für die in Leinen gebundene Ausgabe 3,20 Mark, für die kartonierte 2,40 Mark, für Javamappen 90 Pfennig und für einfache Sammelmappen 40 Pfennig. Sowohl in den gebundenen als auch in den Abonnement-Liedzettelsammlungen war Werbung beziehungsweise der Hinweis auf die Zeitschrift „Die Singgemeinde“ enthalten. Weitere Werbung war lediglich auf den Schutzumschlägen der Einzelhefte abgedruckt und war damit weder in den gebundenen Jahresausgaben noch in den im Abonnement gesammelten und in der Sammelmappe abgehefteten Blätter vorhanden. Warum waren diese Preise im Verlauf der 1920er Jahre gesunken? Zum einen kann vermutet werden, dass Vötterle, der während der Hyperinflation im Herbst 1923 mit der Herausgabe der „Finkensteiner Blätter“ begonnen hatte, gar keine Möglichkeit hatte, zu Beginn einen validen Preis anzunehmen. Nun nach der Währungsstabilisierung konnte er die Preise anpassen. Einen anderen Erklärungsansatz bietet das Geleitwort des dritten Jahrgangs. Hensel und Vötterle betonen das „Erwachen“, „Aufwachen“ und „Erstarken“, das für die Zeit der frühen Jugendbewegung bedeutsam war und sich auch in die Jugendmusikbewegung hineintrug, wie hier ersichtlich wird. Es scheint, trotz des Fehlens konkreter Zahlen, dass „Die Finkensteiner Blätter“ ebenfalls ein „Erstarken“ erlebt hatten und einen hohen Absatz fanden, sodass die Auflage stieg und die first copy costs auf mehr Exemplare umgelegt werden konnten.177 Dies jedenfalls legt dieses Geleitwort nahe und versichert, dass es nichts bedeuten müsse, wenn etwas weit verbreitet ist, bei den „Finkensteiner Blättern“ aber sei es sehr bedeutsam, da es sich hierin um ein rein praktisches Anleitungsheft handle.178 Zuletzt kann vermutet werden, dass die Herstellungskosten geringere wurden, da Vötterle 1926 eine eigene Druckmaschi176 177 178
Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 1, Plauen im Vogtland 1924, S. 7. Vgl. zu den first copy costs Kapitel 2.2. Vgl. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 3 (1925/26), Heft 1, Augsburg 1925, S. 1.
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
ne angeschafft hatte und so verschiedene Infrastrukturkosten eingespart werden konnten. Auf diesen Effekt wiesen auch Dewenter und Rösch hin.179 Noch deutlicher zeigt sich die Senkung der Preise für „Die Finkensteiner Blätter“ im achten Jahrgang, die Vötterle nun erneut herabsetzte: Nun kostete die in Leinen gebundene Ausgabe nur noch 2,85 Mark, die kartonierte 2,15 Mark, Einzelhefte kosteten weiterhin 20 Pfennig, Doppelhefte 40 Pfennig, auch Mengenrabatte werden das erste Mal angegeben – ab 30 Stück 15 beziehungsweise 30 Pfennig pro (Doppel-)Heft, ab 100 Stück 25 Pfennig.180 Gemeinsam war allen betrachteten Zeitschriften, dass Abonnements angestrebt waren. Sinnvoll waren diese auch deshalb, da so eine Sicherheit in den Abnahmezahlen entstand und damit einhergehend eine sichere und regelmäßige Einnahmequelle. Was divergierte waren lediglich die Erscheinungsintervalle und die Bestellmöglichkeit – über die Post oder auch über den Buchhandel und den Verlag direkt. Zudem waren die Preise verschiedene, die teilweise das Porto miteinschlossen, es aber teilweise auch extra auswiesen. Einige Zeitschriften, „Das junge Volk“, „Die Finkensteiner Blätter“ und die „Singgemeinde“, gaben von Anfang an auch Preise und Postzustellungsgebühren für Abonnentinnen und Abonnenten außerhalb der Reichsgrenzen an. Beispielhaft kann dies anhand der „Singgemeinde“ gezeigt werden. „Die Singgemeinde“ erschien sechsmal jährlich und damit gehörten Doppelmonatsnummern von Beginn an zum Konzept. Zudem sollte viermal im Jahr das „Musikalische Hausgärtlein“, das ebenfalls von Walther Hensel herausgegeben wurde, als Notenbeigabe mitgeliefert werden. Die Kosten für das Zeitschriften-Abonnement beliefen sich auf jährlich 5 Mark plus 60 Pfennig Postgeld. Vötterle hatte sich also bereits früh dazu entschlossen, hierin eine Trennung zu vollziehen, um den Käuferinnen und Käufern zu offenbaren, was die Zeitschrift selbst und was der Versand kosteten. Angepasst auf den zu erwartenden Kundinnen- und Kundenkreis – den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Finkensteiner Singewochen – wurden ebenfalls Preise in deutschösterreichischen und tschechoslowakischen Kronen angegeben (75.000 Kö + 9.000 Kö Postgeld und 35 Kc + 5 Kc Postgeld). In Deutschland kosteten die Einzelhefte 45 Pfennig, die Notenbeigabe 60 Pfennig. Eine Ersparnis bedeutete das Abo zu Beginn also nur, wenn auch für die Einzelhefte Postgeld gezahlt werden musste. Sonst war der Bezug durch eine Buchhandlung vor Ort günstiger (Tabelle 4). Sieben Jahre später, im ersten Heft des siebten Jahrgangs, im Oktober/November 1930 hatten sich vor allem die Notenbeigaben geändert: Sie kamen nun nicht mehr aus der Reihe „Musikalisches Hausgärtlein“, sondern aus der Reihe „Kleine Bärenreiterhefte“. Zusätzlich wurde der „Singgemeinde“ vier- bis sechsmal jährlich ein Heft der Zeitschrift „Das musikalische Schrifttum. Noten und Bücher“ beigegeben. Im Gegen-
179 180
Vgl. Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, S. 25–26. Vgl. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 8 (1930/31), Heft 1, Kassel 1930, vordere Umschlagseite innen.
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Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
Tabelle 4 Vergleich des Abonnements „Die Singgemeinde“ 1924 und 1930. 1924 (Jg. 1, Heft 1)
1930 (Jg. 7, Heft 1)
Abo „Die Singgemeinde“
5 Mark + 60 Pfennig Postgeld
2×3 Mark inkl. Postgeld
Umfang Notenbeigabe
4× „Musikalisches Hausgärtlein“
4× „Kleine Bärenreiterhefte“ und 4–6× „Das Musikalische Schrifttum“
Einzelhefte „Singgemeinde“
45 Pfennig × 6 = 2,70 Mark
60 Pfennig × 6 = 3,60 Mark
Einzelheft „Musikalisches Hausgärtlein“
60 Pfennig × 4 = 2,40 Mark
Einzelheft „Kleine Bärenreiterhefte“
90 Pfennig × 4 = 3,60 Mark
Einzelheft „Das musikalische Schrifttum“
20 Pfennig × 4 = 80 Pfennig × 6 = 1,20 Mark 5,10 Mark
8–8,40Mark
Im Abonnement kostete die Zeitschrift inklusive Porto 50 Pfennig mehr.
Das Abonnement bedeutete 2–2,40 Mark Ersparnis.
satz zu 1924 kostete nun der Abonnement-Bezug der Zeitschrift durch Nicht-Mitglieder des Finkensteiner Bundes im halben Jahr drei Mark: Jährlich also sechs statt fünf Mark. Der Einzelpreis der Singgemeinde lag nun statt bei 45 bei 60 Pfennig, ein Heft der Reihe „Kleine Bärenreiterhefte“ lag bei 90 Pfennig und „Das musikalische Schrifttum“ bei 20 Pfennig. Die Ersparnis eines Abonnements belief sich damit auf 2 Mark bis 2,40 Mark. Zudem wurde 1930 keine Sonderzahlung für das Postgeld mehr aufgeführt, was den Preis gegenüber dem von 1924 noch günstiger erscheinen lässt: 5,60 Mark im Jahr 1924, 6 Mark im Jahr 1930. Zu Beginn war Vötterle, so scheint es, noch sehr vorsichtig mit den Zugeständnissen an seine Abonnentinnen und Abonnenten. Mit der Erfahrung, dass sich die Zeitschrift gut verkaufte und auch die sonstigen Geschäfte des Verlages gut liefen, gestand er ihnen deutlich höhere Ersparnisse gegenüber den Einzelhefte-Kaufenden zu, wie in Tabelle 4 ersichtlich – der Preis der Einzelhefte hatte sich über die sieben Jahre stark erhöht, der Preis des Abonnements dagegen nicht im gleichen Maße. Die Preise in deutsch-österreichischen und tschechoslowakischen Kronen wurden 1930 nicht mehr angegeben, dafür jedoch die Adressen der Geschäftsstellen des Verlages in den Ländern, bei welchen die Preise erfragt und die Zeitschriften bestellt werden konnten, was den Erfolg und die Ausweitung des Bärenreiter Verlages belegt.
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
Der two sided market, wie ihn Dewenter und Rösch beschreiben,181 zeigte sich auch bei den Verlagen Bärenreiter, Julius Zwißler / Georg Kallmeyer und Das junge Volk / Günther Wolff. Sie schalteten Werbeanzeigen in fremden Publikationen und nahmen sie in ihre Veröffentlichungen auf. Welchen Einfluss dabei der Faktor Zeit hatte, lässt sich erkennen, wenn man die Anzahl und die Zusammensetzung der Werbeanzeigen der „Singgemeinde“ im ersten Jahrgang mit ihren späteren Jahrgängen vergleicht. Dadurch, dass sich die Zeitschrift bewährt hatte und einen stetigen und wachsenden Leserinnen- und Leserkreis aufgebaut hatte, sahen mehr und mehr Unternehmen einen wirtschaftlichen Sinn darin, die Ausgaben einer Anzeige zu tätigen. Im ersten Heft des ersten Jahrgangs 1924 inserierte vor allem der Johannes Stauda Verlag, mit welchem Karl Vötterle ohnehin im Kontakt stand, der ebenfalls in Augsburg ansässig war und der hauptsächlich Walther Hensels Schriften veröffentlicht hatte. Zusätzlich warb Vötterle selbst für seine Bärenreiter Buchhandlung und für den Bärenreiter Verlag. Außerdem gibt es zwei Inserate für jeweils ein Buch von der Cotta’schen Buchhandlung für Hans Joachim Mosers „Geschichte der deutschen Musik“ und von der Hanseatischen Verlagsanstalt für Walther Classens „Das Werden des deutschen Volkes“. Auf der rückseitigen Umschlaginnenseite werden im oberen Drittel in einer schwarz umrandeten Tabelle „Bewährte Bezugsquellen“ mit den Unterüberschriften „Bücher/Noten“, „Instrumente“ und „Kleidung Wanderbedarf “ aufgeführt, die acht Firmen aus Augsburg, Wien, Sternberg/ Mähren, München, Spandau und Freiburg im Breisgau nennt. Die Gestaltung und die Abtrennung vom restlichen Werbeteil legt nahe, dass diese Empfehlungen aus der Erfahrung des Verlegers beziehungsweise seiner Mitarbeiter stammten und keine Anzeigen im klassischen und im Heft beworbenen Sinne darstellen.182 Deutlich zeigt diese Auflistung auch das erwartete und vermutlich auch erreichte Publikum: Wandernde Personen, die Instrumente aller Art nach Noten spielten und die auch das ein oder andere Buch lasen und das von Nord bis Süd und von Ost bis West der deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas. Anders und vor allem umfangreicher sah die Werbung bereits im ersten Heft des fünften Jahrgangs im Oktober-November 1928 aus. Wie zuvor war die vordere Umschlagseite außen mit Titelseite und innen mit weiteren Informationen der „Singgemeinde“ bedruckt. Die hintere Umschlagseite wurde als Platz für Werbeanzeigen genutzt. Zusätzlich wurde dem Heft nach dem eigentlichen Inhalt ein Anzeigenteil hinzugefügt mit insgesamt acht beidseitig bedruckten Blättern. Größtenteils bestand dieser Werbeteil aus Ankündigung von Neuerscheinungen und weiteren Druckwerken: Insgesamt zehn Verlage werden auf elf Seiten in den Anzeigen genannt, acht davon schalteten je eine Anzeige, in der sie teils mehrere Werke bewarben, zwei Anzeigen
181 182
Zu Dewenter und Rösch vgl. Kapitel 2.2. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, S. 28.
251
252
Ein „bündischer Kulturmarkt“ entsteht
wurden durch den Neuwerk-Verlag verantwortet, der 1929 offiziell unter die Führung des Bärenreiter-Verlages selbst gelangte. Dieser wiederum schaltete selbst dreizehn als alleinstehend zu erkennende Anzeigen. Damit wurde der Werbeteil zu einem Großteil für verlagseigene Werbung genutzt, die im besten Fall zu weiteren Käufen führten, also indirekte Einnahmen bei geringen Ausgaben brachten. Die restlichen Anzeigen aber brachten direkte Einnahmen.183 So wurde auch für Weiteres in diesem Anzeigenteil auf den verbleibenden fünf Seiten geworben. Die meisten Anzeigen kamen aus Großstädten. Die Sparten, die vertreten waren, gliederten sich in: achtmal Produkte (fünfmal Instrumente, je einmal Schreibmaschine, Porzellan und Fahrräder), viermal Dienstleistung (zweimal Notenstich, -satz und -druck, je einmal Abschrift und Möbeltransport), dreimal Buch-/Zeitschriftenbezug, dreimal Nahrung (zweimal Mineralwasser, einmal Nussverarbeitung) und eine Stellenanzeige des Bärenreiter-Verlags für eine Stenotypistin. Die schiere Menge an Anzeigen lässt darauf schließen, dass es sich für einige Sparten gelohnt haben muss – allen voran für Verlage – in der „Singgemeinde“ Anzeigen zu schalten. Das Publikum schien den Anzeigen nach zu schließen im Gegensatz zu demjenigen der Zeitschriften „Das junge Volk“, „Der Zwiespruch“ oder „Der Weiße Ritter“ kein gesteigertes Interesse an Wanderbedarf wie Schuhen, Töpfen, Zelten oder Tornistern gehabt zu haben. Mit der steigenden Anzahl an Anzeigen stiegen auch die Einnahmen durch Anzeigekunden. Wo sich Der Weiße Ritter Verlag mit klaren Aussagen zurückhielt und lediglich formulierte, Anzeigenpreise könnten beim Verlag angefragt werden, trafen andere Verlage von vornherein sehr deutliche Aussagen. Günther Wolff schreibt beispielsweise 1924: „Anzeigenpreise: Die achtel Seite 20 Mark, für Verlage und Unternehmen der Jugend besondere Gebühren.“184 Wolff formuliert damit eindeutig, dass ihm die Unterstützung der jungen und jugendbewegten Unternehmen am Herzen lag und er die Bewegung nach seinen Möglichkeiten unterstützen wollte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Verlag Der Weiße Ritter in sehr vielen Heften der Zeitschrift „Das junge Volk“ inserierte. Anzeigen des Bärenreiter Verlages und des Zwißler/Kallmeyer Verlages finden sich weit weniger oft in „Das junge Volk“. Wolff selber warb in diesen Anzeigenteilen jedoch auch für seinen Buchhandel, für seine selbst verlegten Bücher und für sein Rüsthaus, sodass seine Produkte hierdurch eine deutliche Sichtbarkeit bekamen. Ohne diese klar formulierten Rabatte für junge Unternehmen werden in der Zeitschrift „Die Laute“ im Herbst 1920 folgende Preise angegeben: Für die ganze Seite 75 Mark, für eine halbe Seite 43,75 Mark, für die Viertelseite 25 Mark, für eine Achtelseite 15 Mark und für eine sechzehntel Seite 10 Mark. Als Leistungsumfang wird angegeben, dass die Hefte in einer Auflage von mindestens 3.000 Exemplaren erscheinen würden. Zusätzlich werden Rabatte für diejenigen angegeben, die ihre Anzeige direkt Vgl. Kapitel 2.2 und 3.3.3. Vgl. Das junge Volk, Jg. 5 (1924), Heft 3, Plauen im Vogtland 1924; vgl. auch: Das junge Volk, Jg. 6 (1924/25), Heft 4/5, Plauen im Vogtland 1925.
183 184
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
in mehreren Heften in Folge abdrucken ließen: bei vier- bis sechsmal 10 %, bei siebenbis neunmal 20 % und bei zehn- bis zwölfmal 30 %. In diesem ersten Heft des vierten Jahrgangs wurden gleichzeitig eine ganzseitige, zwei halbseitige, sieben viertelseitige und drei achtelseitige Anzeigen aufgegeben, was je nach Rabatt Einnahmen von mindestens 267,75 Mark und maximal 382,50 Mark bedeutete.185 Gleichzeitig kostete das Abonnement zu diesem Zeitpunkt jährlich 12 Mark für 6 Hefte, pro Heft also 2 Mark. Bei einer Auflage von 3.000 Stück bedeutete das einen Umsatz von 6.000 Mark. Um die Relationen einander gegenüberzustellen, soll die Drittelrechnung bei Verlagsprodukten wie in Kapitel 2.3 beschrieben angenommen werden: Ein Drittel Herstellungskosten, ein Drittel Buchhandelsrabatt und ein Drittel für laufende Kosten, Honorare und Reingewinn für den Verlag. Dementsprechend belief sich der Gewinn für einen Verlag bei einem Produkt auf 10 % bis 15 % des gesamten Umsatzes186: In diesem Fall also auf 600 bis 900 Mark. Damit konnten die Anzeigengewinne in diesem Fall von etwas unter einem Drittel bis über die Hälfte des Reingewinns zusätzlich bedeuten. Der Gewinn für den Verlag konnte damit auf 867,75 bis 1.282,50 Mark gesteigert werden. Durch diese exemplarische, idealisierte Rechnung wird deutlich, dass sich die Anzeigen in einer Zeitschrift ungemein lohnten. Das Geld konnte entweder als Gewinn des Verlages verbucht werden oder der Finanzierung der Zeitschrift zugutekommen und damit die Bezugspreise für die Endkundinnen und -kunden mindern. Die Ausgabe des ersten Hefts des ersten Jahrgangs der „Singgemeinde“, das in der Universitätsbibliothek Heidelberg zu finden ist, zeigt eine weitere Art der Werbung, die sich Vötterle zunutze machte: Am oberen Rand des Hefts findet sich zwei Mal das Wort „Probeheft“ aufgestempelt. Was in den Anzeigen des Verlages Der Weiße Ritter angekündigt wurde – die kostenfreie Abgabe von Probeheften – kann hier in einem überlieferten Exemplar für den Bärenreiter Verlag ebenfalls bestätigt werden. Diese Probeexemplare sollten an einflussreiche oder möglicherweise interessierte Personen versendet werden, um sie zum Beziehen der Zeitschrift zu bewegen.187 Eine weitere Werbemöglichkeit, die Vötterle nutzte, lässt sich aus dem Anzeigenteil des ersten Hefts des fünften Jahrgangs der „Singgemeinde“ aus dem Jahr 1928 herauslesen: Dieses Heft enthält folgende Beilagen, die wir der Beachtung der Leser empfehlen: Probeheft der Bodeschule, München, Verzeichnis der Weihnachtsmusik im Bärenreiter-Verlag, Kassel, Werbeblatt des Nordbundes ev. Männer- und Jungmännervereine e. V. Hamburg und ein Verzeichnis des Georg Kallmeyer Verlages in Wolfenbüttel über Vokalmusik.188
Der Lieferumfang war also weit mehr als die reine Zeitschrift und sowohl Vereine, Gewerbetreibende und im Besonderen Verlage nutzten „Die Singgemeinde“ nicht 185 186 187 188
Vgl. Die Laute, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920. Vgl. Kapitel 2.2. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924. Vgl. Die Singgemeinde, Jg. 5 (1928/29), Heft 1, Kassel 1928.
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nur durch Anzeigen, sondern sogar durch alleinstehende Werbeeinlagen, um Kunden beziehungsweise Mitglieder zu gewinnen. Sinnvoll erschien diese Form, um erstens einen interessierten Kreis auszuwählen und zweitens Portogebühren zu sparen. Nicht überraschend, aber dennoch bemerkenswert sind die aufgezeigten Werbestrategien der jugendbewegten Verlage und ihre dadurch generierten Einnahmen. Sie schalteten Anzeigen, wobei sie einander durch günstigere Konditionen (gezeigt für Das junge Volk Verlag), Freundschaftsdienste (gezeigt für den Ludwig Voggenreiter Verlag) und durch ihr Netzwerk unterstützten. Sie nahmen weitestgehend nur Anzeigen an, die dem Ziel der Zeitschriften und ihrer Zielgruppe entsprachen. Sie vergaben Probehefte, um Kunden und Kundinnen zu werben und ermöglichten Beilagen zu den Zeitschriften, um den Druck der Werbemittel auslagern zu können. Und nicht zuletzt nutzten sie die Werbefläche, um ihre eigenen Produkte zu vermarkten und generierten durch Anzeigekunden beachtliche Einnahmen, die in Buchpublikationen nicht möglich waren und nur bei periodisch erscheinenden Verlagswerken mit großer Auflage wirtschaftlich bedeutend waren. *** Auch die Verlagshandlungen Julius Zwißler geführt von Georg Kallmeyer, Das junge Volk geführt von Günther Wolff und Bärenreiter geführt von Karl Vötterle hatten Anteil an dem „bündischen Kulturmarktgeschehen“. Was sich bereits beim Verlag Der Weiße Ritter in Kapitel 3 anhand der Betrachtung durch das Konzept des „Kulturmarkts“ zeigte, konnte in Kapitel 4 mit weiteren jugendbewegten Verlagen abgeglichen werden. Unter den leitenden Überschriften „Aus der ‚bündischen Subkultur‘ entsprungen“, „Anpassung des Verlagsprofils an die ‚bündische Subkultur‘“ und „Verkauf des kulturellen Produkts an die ‚bündische Subkultur‘“ wurde der in Kapitel 1.4.3 definierte Teilmarkt, der „bündische Kulturmarkt“, beschrieben. Zunächst wurde der Entstehung der Verlagsunternehmen nachgegangen, die bei allen drei Verlagen auf das Engste mit der späteren subkulturellen Zielgruppe verbunden waren: Georg Kallmeyer verlegte bereits seit 1913 das offizielle Wandervogel-Bundesblatt und erweiterte sein personelles und verlegerisches Netzwerk in Richtung der Singbegeisterten und der Volksliedeuphorischen. Ab 1917 verlegte er die Zeitschrift „Die Laute“, für welche ein Jahr später Fritz Jöde die Herausgeberschaft übernahm. Durch diese Zusammenarbeit Jödes und Kallmeyers, die sich über den Untersuchungszeitraum stetig ausweitete, hatte Kallmeyer Anteil an der Entstehung und Etablierung der Jugendmusikbewegung um Fritz Jöde. Noch deutlicher zeigten sich die Anfänge des Verlages Das junge Volk in der Jugendbewegung begründet, da der Gründer, Günther Wolff, selbst in der Jugendbewegung aktiv war. 1919 trat er zunächst dem Deutschnationalen Jugendbund bei, der wie viele Organisationen unmittelbar eine interne Reformbewegung erlebte, die zur Abspaltung des Jungdeutschen Bundes führte. „Ein Kreis Jungdeutscher“ war nunmehr auch als Schriftleitung der Zeitschrift des
Verkauf des kulturellen Produkts an die „bündische Subkultur“
Verlages unter dem Titel „Das junge Volk“ angegeben, was die unmittelbare Verbindung belegt. Die Überschneidungen mit anderen bündischen Gruppen wie dem Bund der Neupfadfinder (Voelkel, Habbel, Voggenreiter) eröffnete sich in gemeinsamen überbündischen Veranstaltungen wie etwa dem überbündisch auf Vernetzung ausgelegten Fest im Fichtelgebirge im August 1923. Karl Vötterle war seit frühster Kindheit im Wandervogel aktiv und begeisterte sich, da er selbst Geige spielte, für die nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt entstehenden Musiziergruppen. Durch die Bekanntschaft mit dem Ehepaar Hensel nahm er 1923 an einer ersten „Finkensteiner Singwoche“ in Mährisch-Trübau teil, wo er seine Idee der Verlagsgründung und der Herausgabe eines „lebendigen Liederbuchs“ in Form von monatlichen Liedblättern publik machte. Die Verbindung zu diesem personellen Netzwerk um Walther und Olga Hensel und die Singwochen, den zweiten Zweig der Jugendmusikbewegung, waren elementar für seine Verlagsgründung 1924. Die drei Verlage hatten jeweils verschiedene Zielgruppen, da sie von unterschiedlichen bündischen Gruppen ihren Ausgang genommen hatten und sich auch in der Folgezeit grundsätzlich an ihren Bedürfnissen ausrichteten. Vor allem durch die Untersuchung der einzelnen verlagseigenen Zeitschriften konnte dieser Verbindung nachgegangen werden. Unterschiede fanden sich in den Inhalten und in den Verlagsprofilen insofern, als dass Günther Wolff mit seinem Verlag Das junge Volk wie auch der Verlag Der Weiße Ritter die wandernde Jugend adressierte – und dies durchaus auch über Bundesgrenzen hinweg. Die Verlage Julius Zwißler / Georg Kallmeyer und Bärenreiter dagegen zielten auf die Jugendmusikbewegung, ihre Zielgruppe war eine geringfügig ältere, musisch ambitionierte und teilweise pädagogisch interessierte. Ihre Verlagsausrichtung konnte auch nach 1933 weiterbestehen, da sich die Volkstumspflege im Sinne von Volksmusikpflege in die nationalsozialistische Kulturarbeit bestens integrieren ließ, wie in ihrem gemeinsamem Zeitschriftenprojekt „Musik und Volk“ Ausdruck fand. Auch die weiteren Publikationen der drei Verlage belegen die Nischen des Marktes, die sich zwar inhaltlich voneinander unterschieden und damit den Absatz der Produkte sicherten, aber gleichzeitig einen gemeinsamen Kern – die „bündische Kultur“ – hatten. Mit dem Augenmerk auf den Verkauf der Buchhandelsprodukte ließen sich Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Verlagen und auch zum Verlag Der Weiße Ritter ausmachen. Sowohl Bärenreiter als auch Das junge Volk begannen ebenfalls mit einer einzigen Zeitschrift, noch bevor sie den Verlag gegründet hatten, und betrieben nebenher eine Buchhandlung, die ihnen eine finanzielle Grundlage bot. Zusätzlich setzte Günther Wolff auf ein dem Verlag angeschlossenes Rüsthaus, durch welches er Wanderbedarf vertrieb. Unterstützung „aus der Bewegung“ konnte in verschiedenem Maße ausgemacht werden: Während Vötterle von der Bezuschussung des ersten Hefts der „Finkensteiner Blätter“ berichtete, zeigte sich die Verbundenheit der Jugendbewegung mit „ihren“ Verlagen in der Treue und dem weiteren Bezug der Leserinnen und Leser von Zeitschriften vor allem während der Hyperinflation 1923. Eine Besonderheit
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zeigte sich in dieser Zeit vor allem bei den Verlagen Bärenreiter und Das junge Volk, da beide einen Großteil ihres Kundinnen- und Kundenkreises außerhalb der deutschen Reichsgrenzen hatten, die Währungssicherheit dort höher war, was einen wesentlichen Teil zum Erhalt der Verlage beitrug. Unterschiede zeigten sich auch in den Preisen, den Anzeigenteilen, der Gestaltung, dem Format, den Erscheinungsintervallen und den Umfängen der Einzelhefte der untersuchten Zeitschriften. Abonnements boten alle Verlage an. Einen besonderen Preisvorteil gegenüber den Einzelheftpreisen bot beispielsweise der Bärenreiter Verlag für „Die Singgemeinde“, um Kundinnen und Kunden an den Verlag zu binden, erst nach einigen Betriebsjahren. Wie auch der Verlag Der Weiße Ritter, nutzten die drei Verlage Werbemaßnahmen verschiedenster Art. Besonders gut ließen sich anhand der Zeitschrift „Die Laute“ die Einnahmen nachzeichnen, die durch in die Zeitschrift aufgenommene fremde Werbeanzeigen erzielt wurden, was bis zu der Hälfte des Reingewinns bedeutete. Die Zusammensetzung der Unternehmen, die in diesen Zeitschriften warben, wurde beispielhaft für ein Heft der „Singgemeinde“ untersucht, woraus einerseits die Erfolgserwartungen der Unternehmen interpretiert und andererseits die erwartete Zielgruppe der Zeitschrift abgelesen werden konnten.
5.
Verbreitung der „bündischen Kulturgüter“ in Schule und Gesellschaft
Unter Fritz Jödes und Walther Hensels tatkräftiger Leitung entwickelte sich nach dem Zusammenbruch des Wandervogels die musikalische Jugendbewegung in Deutschland, die alle die vielgestaltigen Bünde und Bündchen der deutschen Jugend durchdrang, so daß wenigstens auf diesem Gebiete bei aller Zerrissenheit eine gewisse Einheitlichkeit bestand. Sie setzte sich so kräftig durch, daß auch die Schulen die Türen aufschlossen und das Liedgut in den Schulbüchern völlig umgestellt wurde.1 Georg Kallmeyer, 1938
Wie Kallmeyer formulierte, ist es bemerkenswert, dass es vor allem Fritz Jöde schaffte, Liederbücher zu publizieren, die in Schule und Jugend gleichermaßen rezipiert wurden und die damit der breiten Masse zur musikalischen Betätigung nutzten – allen voran „Der Musikant“.2 Die Wirkung der jugend(musik)bewegten Verlage ging mit der Zeit weit über die Jugend(musik)bewegung, also die Subkultur, hinaus. Das, was zuvor für eine kleine Zielgruppe begonnen hatte, weitete sich durch die Mithilfe und den Geschäftssinn der Verleger aus. Aber nicht sie allein verantworteten diese Durchsetzung – die Musikwissenschaft trug ihren Teil dazu bei, genauso wie politische und vor allem bildungspolitische Bestrebungen und personelle Netzwerke. Um zu verstehen, welche Wirkmacht die Jugendbewegung und im Speziellen die Jugendmusikbewegung in der breiten Bevölkerung entfalteten, muss also zunächst die Bildungspolitik der Weimarer Jahre in den Blick genommen werden.
1 2
Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler, Wolfenbüttel 1938, S. 11. Vgl. Kapitel 4.2.1.
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Verbreitung der „bündischen Kulturgüter“ in Schule und Gesellschaft
5.1
Neue Absatzmärkte durch die Bildungsreform: Die Akademie für Kirchen- und Schulmusik
Die Schulreform während der Weimarer Republik, die sich der Jugendmusikbewegung als zuträglich erwies, ist besonders mit den Namen des parteilosen Carl Heinrich Becker (*1876) und seines Referenten für Musik Leo Kestenberg (*1882) verbunden. Becker kam 1919 als Unterstaatssekretär in das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, ab 1921 arbeitete er als Minister und Staatssekretär unter Kultusminister Otto Boelitz und von 1925 bis 1930 übernahm er selbst den Posten des preußischen Kultusministers.3 Leo Kestenberg war bereits durch seine Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und seine eigenen Erfahrungen während seines Studiums, als Pianist, durch seine Tätigkeit als Privatlehrer und sein Engagement in der Volksbühnenbewegung zur musikalischen Bildungspolitik gelangt. Schon 1918 wurde er in das preußische Kultusministerium berufen und arbeitete dort vor allem als Musikreferent. Zudem leitete er die Musikabteilung des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht.4 Zu seiner Person und seinem Einfluss auf die musikalische Bildung in Deutschland genauso wie zu der Verbindung zur Jugendmusikbewegung und im speziellen zu Fritz Jöde erschienen in den vergangenen Jahren zwei Dissertationen: Hans-Joachim Rieß’ „Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland im Begründungszusammenhang kultureller Bildung“ und Mia Holz’ „Musikschulen und Jugendmusikbewegung“, auf die bereits im Forschungsstand in Kapitel 1.3 hingewiesen wurde. Auch Kestenberg an sich ist bereits in früheren Arbeiten intensiv beforscht worden, daher soll zu Kestenberg, seiner Idee zur Neuorganisation des musikalischen Bildungswesens nur so viel gesagt werden, wie notwendig ist, um die Zusammenhänge heraustreten zu lassen und die Netzwerkdynamik zur Verbreitung der jugendmusikbewegten Printprodukte nachzeichnen zu können.5 In seiner Funktion innerhalb des Kultusministeriums war Kestenberg bei der ersten Reichsschulkonferenz im Juni 1920 zugegen, bei welcher die Vereinheitlichung und Neustrukturierung der deutschen Bildungspolitik besprochen werden sollte. Zwar wurde über die Musik nur am Rande gesprochen und ihr Anteil in dem sehr weitgreifenden Bericht ist denkbar kurz (vier aus 1068 Seiten), aber dennoch war für die Kunst- und Kulturerziehung der Weg gewiesen worden, sie stärker und neben der Theorie auch die Praxis in der Schule zu verankern. Kestenberg brachte sich während der Konferenz nicht in hohem Maße ein, er nutzte sie aber zur weiteren Schärfung
3 Zu Carl Heinrich Becker und seiner hochschulpolitischen Karriere: Vgl. Müller, Guido: Weltpolitische Bildung und akademische Reform. Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik, 1908– 1930, Köln 1991. 4 Vgl. Gruhn, Wilfried: Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen. Leo Kestenbergs Leben zwischen Kunst und Kulturpolitik, Hofheim 2015, S. 51–64, 101, 106, 108. 5 Vgl. Kapitel 1.3 zum Forschungsstand.
Neue Absatzmärkte durch die Bildungsreform: Die Akademie für Kirchen- und Schulmusik
seiner Ideen zur grundlegenden Umgestaltung der musikalischen Bildung in Deutschland in allen Bereichen.6 Diese Überlegungen kumulierten in einem kurzen und prägnanten Konzeptbuch „Musikerziehung und Musikpflege“, das 1921 erschien – das Besondere seines Konzepts, das deutlich auf den vorhandenen Gegebenheiten beruhte, war die umfassende Betrachtung vom Kindergarten über das allgemeine und musische Bildungswesen bis hin zur Musikhochschule und der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung.7 Dem Vorwort ist zu entnehmen, dass diese Niederschrift mehr für den eigenen Gebrauch gedacht war, als zur unmittelbaren Veröffentlichung und doch ist auf seiner Grundlage 1923 die vom Ministerium offiziell erarbeitete „Denkschrift über die gesamte Musikpflege in Schule und Volk“ entstanden, die durch den preußischen Landtag im Februar 1924 zur Umsetzung freigegeben wurde und in der Folge durch ministeriale Erlasse und Richtlinien zumindest teilweise ihre Umsetzung fand.8 Umso mehr ist Kestenbergs „Musikerziehung und Musikpflege“ aufschlussreich, um seine Beweggründe und Ideale zu verstehen, auf welchen er seine bildungspolitischen Maßnahmen aufbaute. In einer kurzen Zusammenschau der vergangenen Jahrhunderte und des „Musiklebens der Gegenwart“ spricht Kestenberg zwei hauptsächliche und miteinander verwobene Probleme des zeitgenössischen Musiklebens an: Zum einen die Kapitalisierung der Musik als Kulturgut, zum anderen die Spaltung zwischen höheren und niedrigeren Schichten der Gesellschaft und damit die Teilung des Volkes: Im Organismus unserer Musik dominiert, wie in jeder anderen „Branche“, der G e s c h ä f t sg e i s t. Mit den aus der Arbeitskraft des schaffenden, ausübenden oder lehrenden Musikers entstehenden Werten wird gehandelt wie mit Kaffee oder Baumwolle. Bei den Auseinandersetzungen der Verleger mit den Tonsetzern, beim Verhalten vieler Konservatoriumsbesitzer gegenüber ihren Lehrkräften, bei dem Verhältnis der Konzertsaalinhaber zu ihren Mietern, bei den vielen offenen Fragen zwischen Konzertagenturen und Künstlern zeigt sich deutlich die Herrschaft des Unternehmens. […] Nur wenige Institute und Organisationen unter staatlicher, städtischer oder eigener Verwaltung sind dieser Fesseln ledig.9
Er macht also das Problem des sozial separierten und wenig lebendigen Musiklebens in Deutschland im Kapitalismus und der dadurch entstehenden Exklusivität und Scheidung durch Besitz fest und sieht als Lösung eine Verstaatlichung der musikalischen Bildungseinrichtungen, um so eine stärkere Gemeinschaft und eine Zusammenführung des gesamten Volkes zu schaffen. Dies entsprach der Grundidee der Gemeinschaftbildenden Musik, wie sie auch von den Protagonisten der Jugendmusikbewegung Vgl. Gruhn, Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen, S. 102–103. Vgl. u. a. Ehrenforth, Karl Heinrich: Geschichte der musikalischen Bildung. Eine Kultur-, Sozial- und Ideengeschichte in 40 Stationen; von den antiken Hochkulturen bis zur Gegenwart, Mainz 2005, S. 459–460; Holz, Musikschulen und Jugendmusikbewegung; Rieß, Die öffentliche Musikschule in Deutschland im Begründungszusammenhang kultureller Bildung. 8 Vgl. Gruhn, Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen, S. 111–112. 9 Kestenberg, Leo: Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921, S. 9. 6 7
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vertreten wurde. Im Einzelnen führt Kestenberg seine Ideen zu allgemeinbildenden Einrichtungen wie Kindergärten, Volksschulen, höheren Lehranstalten, Universitäten und Volkshochschulen aus, genauso wie zu Privatunterricht, Musikgymnasien und anderen Institutionen, die speziell der musikalischen Bildung gewidmet sind. Im Bereich der Musikpflege geht er auf die Musikschaffenden und die Musikausübenden ein und betrachtet zusätzlich die volkstümliche Musikpflege, die staatliche und städtische Musikpflege und die Lage der finanziellen Mittel.10 Privatunterricht, die höheren Schulen und Universitäten stünden nur den bürgerlichen und vermögenderen Bevölkerungsteilen zur Verfügung. Diejenigen aber, die von Haus aus weniger finanziellen Rückhalt hätten, bereits früh erwerbstätig würden und sich nicht in diesem Maße der Bildung zuwenden könnten, seien häufig musikalisch vernachlässigt. Umso wichtiger sei, so Kestenberg, die frühkindliche musikalische Bildung und die Volksschule – ausschlaggebend hierfür sei der Lehrkörper, für den es einheitliche Anforderungen staatlich vorzuschreiben und zu prüfen gelte.11 Dabei fragt Kestenberg jedoch nicht nach den individuellen Bedürfnissen, Wünschen und nach dem Musikgeschmack der Einzelnen – die Inhalte musikalischer Erziehung scheinen bei ihm immer noch deutlich von hochkulturellen Vorstellungen geleitet gewesen zu sein: Er spricht von alten Meistern und zeitgenössischen Komponisten sowie von Volksmusik, nicht aber von Jazz oder Ähnlichem, das Radio bewertet er eher abschlägig, genauso wie Caféhausmusik. Diese kurze Schrift ist ein ausgefeiltes und detailliertes Programm für die Umsetzung einer Bildungsreform, die sich vor allem im Musikalischen vollziehen sollte. Im Besonderen schlägt Kestenberg die Einrichtung einer „Musikpädagogischen Akademie“ vor, an der Musiklehrerinnen und -lehrer ausgebildet werden sollten, die sich anders als die Studierenden an einer Universität nicht allein mit der Theorie auseinandersetzen, anders als an der Musikhochschule nicht allein dem Studium eines Instrumentes widmen und anders als an den vormaligen Lehrerseminaren intensiver mit der Materie ihres Unterrichts beschäftigen sollten. Diese musikpädagogische Akademie sollte vor allem auf die spätere Berufsausübung ausgelegt sein und Praxis und Theorie von Musik und die Pädagogik vereinen. Eine solche Institution bestehe nicht, lediglich werde manches Pädagogische auch an den Instituten für Kirchenmusik gelehrt. Die bestehenden Akademien für Kirchenmusik sollten jedoch in rein kirchliche Einrichtungen umgewandelt werden, statt weiterhin staatlich finanziert zu werden, da „weite Kreise unseres Volkes es ablehnen, für diese Zwecke staatliche Mittel zur Verfügung zu stellen.“12 Für die Musikpflege schlug Kestenberg ebenfalls eine staatliche Finanzierung vor, soweit es dem Staat möglich sei. Vor allem war ihm daran gelegen, die Unterschiede in-
10 11 12
Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 13–23. Vgl. ebd., S. 82–89.
Neue Absatzmärkte durch die Bildungsreform: Die Akademie für Kirchen- und Schulmusik
nerhalb der Gesellschaft, die in der Musikpflege durch das unterschiedliche Einkommen oder den unterschiedlichen Besitz entstanden, staatlich aufzufangen: Nur […] [ein kleiner Kreis ist] heute in der Lage Opernhäuser zu besuchen und die Preise für kostspielige Abonnementskonzerte aufzubringen. Der Riß, der durch die Abtrennung einer höhergerichteten Musikpflege gekommen ist, hat sich so vergrößert, daß zwischen der musikempfänglichen Masse und der musiksatten Oberschicht […] eine unüberbrückbare Kluft gähnt. Diese Gegensätze aufzuheben und das Volk in seiner Gesamtheit zu produktiver Anteilnahme an der Musikentwicklung heranzuführen, ist Pflicht des Staates und der Städte, Aufgabe jeder musikalischen Reform.13
Aber nicht allein Opern und Konzerte großer Meister seien zu diskutieren, sondern auch Werke moderner Komponisten und der Volksmusik. Auch an dieser Stelle müsse der Staat vor allem finanziell unterstützen: Solange das Geld für Gesamtausgaben der Klassiker wie etwa Urtextausgaben knapp sei, müssten wenigstens Volksliederbücher, Sammlungen von Volksliedern in Sätzen für verschiedene Stimmen und für verschiedene Instrumente mitfinanziert werden, wobei Kestenberg auch einen Teil der Verantwortung bei den Musikverlegern sieht, welche diese ermöglichen und ihre Gewinnabsichten für das hehre Ziel hintanstellen müssten.14 Seine Vision wurde nicht eins zu eins umgesetzt, auch weil es der neuen Regierung an zu verausgabenden Geldmitteln mangelte. Allerdings lassen sich durch sie inspirierte Umsetzungen finden. Beispielsweise konnte zwar keine neue musikpädagogische Akademie eingerichtet werden, stattdessen aber wurde 1922 im Zuge der 100-Jahr-Feier der Aufgabenbereich des aus der Kirchenmusikreform hervorgegangenen Instituts für Kirchenmusik als Teil der Berliner Akademie der Künste ausgeweitet, das nun als staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik weitergeführt wurde.15 Organisatorisch wurden ihr die neu gegründeten staatlichen Jugendmusikschulen und verschiedene Seminare unterstellt – das Seminar für Musikerziehung und später das Seminar für Volks- und Jugendmusikpflege. Auch das Musikheim in Frankfurt an der Oder, das in Kapitel 5.2 thematisiert wird, wurde der Akademie unterstellt. Um die Ausrichtung auf Reform und die Jugend zur schärfen, schlug Kestenberg bereits 1923 Fritz Jöde zur Berufung an die erneuerte Akademie für Kirchen- und Schulmusik vor und betraute ihn mit dem Aufbau von staatlichen Jugendmusikschulen16 – als Volksschullehrer, Mitbegründer der jugendbewegten Musiziergruppen und Herausgeber der Zeitschriften Ebd., S. 99. Vgl. ebd., S. 132–133. Vgl. Universität der Künste Berlin (Hrsg.): Institut für Kirchenmusik / Akademie für Kirchen- und Schulmusik 1822–1933 [Onlinefassung], URL: https://www.udk-berlin.de/universitaet/die-geschichte-der-uni versitaet-der-kuenste-berlin/die-vorgaengerinstitutionen-von-1696-bis-1975/vorgaengerinstitutionen-mu sik-und-darstellende-kunst/institut-fuer-kirchenmusik-akademie-fuer-kirchen-und-schulmusik-1822-1933/ [06.06.2020]. 16 Vgl. Reichsschrifttumskammer/Reichskulturkammer „Jöde, Prof. Fritz; 2.8.87“, BArc R 9361 V 23488. 13 14 15
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„Die Laute“ und „Die Musikantengilde“ schien er für Kestenberg der perfekte Kandidat zur Erfüllung dieser Aufgaben zu sein.17 Dass Kestenberg Jöde und seine Ideen bereits frühzeitig zur Kenntnis genommen hatte und sie für gut befand, zeigt sich durch die Tatsache, dass zwei der insgesamt 30 genannten Literaturangaben in Kestenbergs „Musikerziehung und Musikpflege“ von Jöde stammen: „Musikalische Jugendkultur“ von 1918 und „Musik – ein pädagogischer Versuch“ von 1919.18 Zudem hatte Kestenberg als Teil der Abteilung für Kunsterziehung und volkstümliche Kunstpflege des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht im Mai 1922 Jöde als Gastredner für die erste deutsche Schulmusikwoche eingeladen.19 In den Folgejahren sind Briefwechsel erhalten, in welchen Kestenberg sich auch weiterhin über die Jugendmusikbewegung und die musikpädagogische Arbeit an der Basis informiert. So schickte ihm Hilmar Höckner, der mit Fritz Jöde gut bekannt war und regelmäßig in der „Musikantengilde“ veröffentlichte, 1926 und 1927 Sonderhefte zur Musikantengilde, lud ihn in seine Jugendheime unter anderem nach Bieberstein in der Rhön ein und ließ Kestenberg durch den Verleger Kallmeyer sein eigenes im Kallmeyer Verlag erschienenes Buch zur Geschichte der Musik in der Jugendbewegung schicken.20 In der Zeit zwischen 1933 und 1945 verleugneten Kallmeyer und Fürsprecher Jödes Kestenbergs Einfluss unter der Bedrängnis, die durch das nationalsozialistische Regime entstanden war. Hauptargument gegen Jöde war, dass Jödes Karriere unmittelbar mit Kestenberg in Verbindung stand, der wiederum als Jude nun keinerlei Ansehen mehr genoss. Die Befürwortung und die Unterstützung Jödes durch „den Juden Kestenberg“ hatte nach 1933, jedenfalls zeitweilig, negative Auswirkungen auf Jödes Karriere. Doch dass zumindest aus der Retrospektive die Bedeutung der Kestenbergreform auch durch Protagonisten der Jugendmusikbewegung gesehen und anerkannt wurde, belegt eine Passage aus einem Brief Fritz Jödes an Leo Kestenberg aus dem Jahr 1960: Letzthin fragte mich [der Verleger] Karlheinz Möseler, […] was ich davon meinte: Dr. Fischer aus Berlin habe ihm vorgeschlagen, Ihre Erinnerungen herauszubringen. Da habe ich ja wohl ein Lied gesungen, das Ihnen laut in den Ohren geklungen haben muß. Ich habe ihm natürlich gesagt, daß er die Pflicht hätte, das Buch zu übernehmen, wo die ganze Musikarbeit ohne Ihre entscheidende Hilfe überhaupt nicht zu dem hätte werden können, was sie geworden ist.21
Von dieser Verbindung, die durch Kestenbergs Reform zustande kam und der Berufung Jödes als Professor der Akademie für Kirchen- und Schulmusik profitierte auch
Vgl. Gruhn, Wir müssen lernen, in Fesseln zu tanzen, S. 115. Vgl. Kestenberg, Leo: Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921, S. 142–143. Vgl. Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (Hrsg.): Musik und Schule, Leipzig 1922. Vgl. Personenmappe Leo Kestenberg, AdJb A 228 39.110. Abschrift des Briefs von Fritz Jöde an Leo Kestenberg vom 18. Juni 1960, Personenmappe Leo Kestenberg, AdJb A 228 39.110. 17 18 19 20 21
Neue Absatzmärkte durch die Bildungsreform: Die Akademie für Kirchen- und Schulmusik
Kallmeyer als Jödes Verleger. Nicht nur Jöde veröffentlichte seine Werke bei Kallmeyer, auch sein Schüler Georg Götsch wurde ein wichtiger Autor beim Georg Kallmeyer Verlag und natürlich waren sie nicht die Einzigen in der musikalischen Sparte des Verlags. Durch diese Profilierung und die personellen Netzwerke hatte sich Kallmeyer an der Akademie als Lieferant von Noten- und Lehrmaterial etablieren können. 1933 wurde die Akademie erneut umstrukturiert: Alles die Seminare und Jugendmusikschulen Betreffende sollte über die Akademie direkt abgewickelt werden, wodurch der Schriftverkehr die Umstrukturierung abbildet und die Reichweite des Kallmeyer Verlages innerhalb der Berliner Bildungsinstitutionen belegt. Es finden sich umfangreiche Aufstellungen von offenen Rechnungen der einzelnen Abteilungen der Akademie und vor allem der Jugendmusikschulen. Am 3. September 1935 beliefen sie sich noch auf 122,67 Reichsmark. Dass Kallmeyer diese Summe mehr als zwei Jahre nach der Umstrukturierung abrechnete, zeigt sein Wohlwollen mit der Institution, dass er das Geld nicht für seine Liquidität brauchte und dass er von einem Begleichen der Rechnungen durch die Nachfolgeinstitutionen ausging. Der Schriftverkehr legt auch nahe, dass regelmäßig Beträge bezahlt wurden und genauso regelmäßig neue Bestellungen getätigt wurden – die Aufstellung von 1935 kann als eine Art Schlussabrechnung gelesen werden, um die Konten der Akademie bei Kallmeyer auszugleichen und in der Folge mit der neuen Struktur der Akademie neu beginnen zu können.22 Fräulein von Klopmann, Mitarbeiterin im Georg Kallmeyer Verlag, schrieb im September 1933 an die Verwaltungsangestellte der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, Annemarie Nagel-Heyer: Ich habe also nunmehr die Singstundenbestellungen für die Singschulen Schöneberg und Pankow gestrichen und lasse für Eichkamp die Exemplare an Fräulein Wegner – Charlottenburg senden. Das Seminar erhält nach wie vor 400 Exemplare und die Exemplare gehen nach dem 1.10. wunschgemäss an die Akademie.23
„Die Singstunde“ war ein Liedblatt aus dem Georg Kallmeyer Verlag, das Fritz Jöde ab Dezember 1928 monatlich herausgab – ab April 1935 übernahm ein „Mitarbeiterkreis des Georg-Kallmeyer-Verlages“ die Herausgeberschaft und einen Monat später Walter Kurka. Mit Ende des siebten Jahrganges im November 1935 wurde das Erscheinen der „Singstunde“ eingestellt. Eine Nummer umfasste nur vier Seiten in einem Format von 19 × 12,5 cm. Die erste Seite beinhaltete jeweils den Titel, die Heftnummer und einen Hefttitel wie beispielsweise „Vier schöne Lieder zum Frühlingsanfang und zwei Oster-
22 Vgl. Brief von [n. n.] von Klopmann (Georg Kallmeyer Verlag) an Annemarie Nagel-Heyer vom 15. September 1933; Brief von Rita Kallmeyer an Annemarie Nagel-Heyer vom 4. Januar 1934; Brief vom Georg Kallmeyer Verlag an die Staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik Abteilung Jugendmusikschule vom 3. September 1935, UdK-Archiv 2 543. 23 Brief von [n. n.] von Klopmann (Georg Kallmeyer Verlag) an Annemarie Nagel-Heyer vom 15. September 1933, UdK-Archiv 2 543.
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gesänge“.24 Die einzelnen Hefte zeigten zudem, passend zum jeweiligen Heftthema, eine Grafik auf der ersten Seite, deren Urheber beziehungsweise die Herkunft jeweils auf Seite vier angegeben wurde, manches Mal zusammen mit Buchempfehlungen. Auf der letzten Seite findet sich auch der Hinweis über die Bezugsbedingungen der „Singstunde“: Die Singstunde […] ist eine monatliche Folge von Liedblättern für Jugend und Volk, in der die schönsten Lieder zu billigstem Preise für das offene Singen in Haus, Schule, Jugendkreis und Bund bereit gestellt werden. Die Blätter werden nicht unter 5 Stück abgegeben, das Stück zu 10 Pfennig. Bei Bezug von mindestens 20 Blättern erniedrigt sich der Preis auf je 5 Pfennig, bei Bezug von größeren Mengen für Schulen und Bünde als Beilage zu Zeitschriften treten Sonderpreise in Kraft. Näheres darüber durch den Verlag.25
Eine Bestellung von 400 Exemplaren bedeutete für die Jugendmusikschulen in Berlin – der Abrechnung zufolge Pankow, Wilmersdorf, Schmargendorf, Eichkamp, Schöneberg und Charlottenburg26 – keine großen Kosten: Monatlich 20 Reichsmark für die 400 Stück, es sei denn es galten noch günstigere Sonderkonditionen, wie im Zitat angedeutet. Gemäß der Drittelrechnung dürften etwa sechs bis sieben Reichsmark als Gewinn für den Verlag verbucht worden sein. Diese Liedblätter hatten von ihrer Konzeption her vieles mit Walther Hensels „Die Finkensteiner Blätter“ aus dem Bärenreiter Verlag gemein und doch scheint der Absatz beider Liedblätter gesichert gewesen zu sein. In dem Brief Klopmanns wird auf die Singschulen hingewiesen, doch wurden an den Jugendmusikschulen auch Kurse für Instrumente verschiedenster Art und Musiktheorie gelehrt – die „Singstunde“ war also nur für eine kleine Sparte der Jugendmusikschulen sinnvoll. Für alle anderen Unterrichtsfächer waren weitere Einkäufe von Publikationen nötig. Neben der Bestellung der „Singstunde“ dürften sowohl von der Akademie für Kirchen- und Schulmusik und ihren angegliederten Institutionen als auch in anderen Teilen Deutschlands in durch Kestenberg geförderten Bildungsinstitutionen Bestellungen für weitere Veröffentlichungen bei Kallmeyer eingetroffen sein. Dass Veröffentlichungen Jödes aus dem Kallmeyer Verlag zum Standard gehörten, zeigt die Ankündigung der Studienfahrt, die für das fünfte und sechste Semester der Akademie für Kirchen- und Schulmusik im Sommer 1934 im Musikheim Finkenkrug im Osthavelland stattfinden sollte: Mitzubringen sind: […] b) „Der Musikant“, „Deutschland im Lied“ und möglicherweise „Der Kanon“ (für alles weitere Notenmaterial sorgt das Seminar). Nicht mitgebracht
Vgl. Die Singstunde, Heft 4, Wolfenbüttel/Berlin 1929 (März), vgl. auch Kapitel 2.2. Die Singstunde, Heft 58, Wolfenbüttel/Berlin 1933 (September). Vgl. Brief vom Georg Kallmeyer Verlag an die Staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik Abteilung Jugendmusikschule vom 3. September 1935, UdK-Archiv 2/543. 24 25 26
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
werden Bücher zum Lesen und Noten für das Musizieren in Gruppen, weil dafür die Lehrbücherei und der Notenbestand des Musikheims [Finkenkrug] sorgt.27
Alle drei genannten Bücher hatte Jöde selbst verantwortet und sie waren im Georg Kallmeyer Verlag erschienen. „Der Musikant“ hatte insgesamt sechs Hefte, „Deutschland im Lied“ eines und „Der Kanon“ drei. Sowohl „Der Musikant“ als auch „Der Kanon“ erschienen in Einzelheften genauso wie als Gesamtausgabe. Damit wirkte die Jugendmusikbewegung mit ihren Netzwerken und Persönlichkeiten wie Fritz Jöde sowie die politischen Reformen günstig für Unternehmen wie den Kallmeyer Verlag und nahmen unmittelbar Einfluss auf die neuen Lehrerinnen und Lehrer, da ihre Produkte in der Ausbildung eingesetzt wurden – ein Studium, ohne dass die Studierenden der Akademie für Kirchen- und Schulmusik diese Werke privat anschafften, scheint nicht möglich gewesen zu sein. Dass „für alles weitere Notenmaterial […] das Seminar [sorgt]“, bestätigt die oben geführte Argumentation. Der Verkauf von Lehrmaterial an Bildungsinstitutionen, vor allem jene mit neuem Unterrichtsstoff, war lukrativ und andere Verlage versuchten ebenfalls, in diesen Absatzmarkt einzusteigen. Dies zeigt ein Schreiben des Friedrich Hofmeister Verlages, der verschiedene Bücher zu deutschen regionalen Volkstänzen im Programm hatte und proaktiv Werbung bei der Akademie für Kirchen- und Schulmusik machte, indem er Prospekte, die den Lehrinhalten entsprachen, mitschickte.28 5.2
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers – Georg Götsch und das Musikheim Frankfurt an der Oder
Wie tiefgehend die Verbindung zwischen Bildungsreform und Jugendmusikbewegung war, zeigt auch der Werdegang des bereits erwähnten Georg Götsch (*1895). Als ein Schüler Jödes nahm er in der Umsetzung von Kestenbergs Schulreform eine besondere Rolle ein. Er sammelte erste Erfahrungen in der Vermittlung von Musik und Musikpädagogik während der „Singwochen“ von Jöde, nachdem er bereits früher diverse Chöre geleitet hatte und sich in der Komposition einiger eigener Stücke geübt hatte – beispielsweise während seiner Kriegsgefangenschaft in Russland 1915 bis 1920.29 Auch hatte ihn dort die „urwüchsige“ Musik der russischen Bauern fasziniert, weshalb er
27 Jöde, Fritz: Ankündigungsschreiben zur Studienfahrt des 5. und 6. Semesters im Sommer 1934 in das Musikheim Finkenkrug/Osthavelland, UdK-Archiv 2/543. 28 Vgl. Brief vom Friedrich Hofmeister Verlag (Unterschrift unleserlich) an den Leiter der Staatlich-akademischen Hochschule für Musik vom 9. Oktober 1934, UdK-Archiv 2/543. 29 Vgl. Eintrag „Georg Götsch“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke, Band 1, S. 99–106, hier: S. 102–103.
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in den 1920er Jahren durch Russland reiste und Berichte über die dortige Volksmusik und das russische Musikleben verfasste.30 Die Fotografie in Abbildung 30 stammt von der „Lobeda-Woche“ 1925, einer Singwoche bei Jena unter Leitung Jödes.31 Georg Götsch leitete bei dieser Gelegenheit das Chorsingen an. Auf dem Bild steht Götsch erhöht auf der Bank, die um einen Baum gestellt ist. Vor ihm im Halbkreis steht eine zu großen Teilen weibliche, singende Gruppe. Götsch wie auch die weiteren Personen haben aufgeschlagene Bücher in der Hand, die sie als Text- und Notenvorlage zum Singen zu nutzen scheinen. Götsch zeigt in eine der hinteren Reihen, wie als wollte er als Chorleiter einen Einsatz anzeigen. Zwar ist nicht zu erkennen, um welchen Buchtitel es sich genau handelte, jedoch kann bei mindestens zwei Schülerinnen die gleiche Titelseite erkannt werden. Vermutlich war es also notwendig als Teilnehmende einer solchen „Singwoche“ mit Liederbüchern, Liedzetteln oder ähnlichem ausgestattet zu sein. Dies deutet bereits auf die Produktion durch Autoren oder Komponisten und Verleger und auf den selbstgeschaffenen Absatzmarkt hin, den die Teilnehmenden der „Singwoche“ bildeten. Ebendiesen Absatzmarkt konnten Autoren und Verleger im Zuge der Bildungsreform noch deutlich ausweiten.
Abbildung 30 2. ‚Lobeda-Woche‘ der Musikantengilde in Jena (Leitung: Fritz Jöde), 1925, Julius Groß, AdJb F 1/153/09. Georg Götsch steht erhöht vor einer Gruppe Singender, die er anleitet.
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Vgl. Götsch, Georg: Gedanken über russisches Musikleben (1926?), AdJb N 62/155. Zu Jöde und den von Ihm geleiteten Singwochen vgl. Kapitel 4.2.1.
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
Georg Götsch stellt neben Ekkehart Pfannenstiel (*1896), Konrad Ameln (*1899) und weiteren die zweite Generation der Jugendmusikbewegung dar und erlangte beträchtlichen Erfolg in seinen Bestrebungen, die Ideen der Musikerziehung weiterzutragen und zu verbreiten. Er veröffentlichte ebenfalls diverse alleinstehende Grundsatzschriften zu Musikerziehung, Liederbücher und zu musikalischen Themen im Julius Zwißler beziehungsweise Georg Kallmeyer Verlag wie beispielsweise „Der Jungfernkranz“ von 1925, „Aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines Jugendchores“ von 1926 oder „Die deutsche Jugendbewegung als Volksgewissen“ von 1928.32 Götsch war bereits seit 1909 Teil einer Wandervogelgruppe in Berlin. 1921 gründete er dann ausgehend vom Alt-Wandervogel einen Jugendchor, die Gauspielschar des Wandervogelgaus Brandenburg. Diese Tätigkeit baute er mit dem Zusammenschluss namens Märkische Spielgemeinde aus, mit welcher er viele Fahrten nach Norwegen, Dänemark, in die Niederlande und nach England unternahm. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1920 gehörte er selbst dem Alt-Wandervogel an und durchlebte mit ihm all seine Zusammenschlüsse und Namensänderungen.33 Götsch bildete dadurch ein Bindeglied zwischen Bündischer Jugend und Musikpädagogik beziehungsweise Jugendmusikbewegung. Er war ebenfalls an den Bestrebungen zur Einigung der deutschen Jugend beteiligt, bereits zu Beginn des Jahres 1922 nahm er an einem Treffen teil, bei welchem wenige, ausgewählte Jugendführer – darunter auch Habbel und Voggenreiter – bei Martin Voelkel in Karlshorst anwesend waren. Dort wurde der Plan für das Jahr 1922 gefasst, sowohl eine Führeraussprache im April auf der Wartburg zu veranstalten als auch Sommergrenzlandfahrten und ein überbündisches Fest im Herbst zu initiieren – später durch die Neupfadfinder als Grenzlandfeuer auf den 4. und 5. August festgesetzt.34 Innerhalb der Jugendbewegung nahm Götsch ebenfalls offizielle Positionen ein. Er übernahm 1923 für ein Jahr das Amt des Bundesführers im Altwandervogel von Ernst Buske.35 Zwar verblieb er nur kurz in dieser Position, jedoch blieb er der Jugendbewegung immer auch leitend verbunden, wie sich bei der Organisation des Bundestages des Altwandervogels 1925 auf Rügen zeigte. In Vorbereitung für diesen Bundestag gab 32 Vgl. Götsch, Georg: Der Jungfernkranz. Meine liebsten Volkslieder zu Laute und Geige, Wolfenbüttel 1925; ders.: Aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines Jugendchores. Jahresbericht 1925 der Märkischen Spielgemeinde, Wolfenbüttel 1926; ders.: Die deutsche Jugendbewegung als Volksgewissen. Ihr Weg, ihr Wesen und ihre Aufgabe, Wolfenbüttel 1928. 33 Vgl. Eintrag „Georg Götsch“, in: Jantzen: Namen und Werke, S. 103; Ahrens, Bündische Jugend, S. 129. 34 Vgl. zu den überbündischen Festen im August 1922, 1923 und 1924, Kapitel 3.1; vgl. auch Bund Deutscher Neupfadfinder / Voelkel, Martin: Rundbrief an die Bundesleitung und die Gaugrafen. Einheitsbestrebungen in der Jugendbewegung vom 28. Februar 1922 (Abschrift), AdJb A152a/2. 35 Vgl. Geo und Erich [Götsch, Georg / Schwarz, Erich]: Unser Bundestag, Sonnenwende 1923, AdJb N 62/108. Götsch tritt in diesem Schreiben als einer derjenigen auf, die die kurzfristige Verlegung des Bundestages, der am 31. Juli und 1. August 1923 stattfinden sollte, aus dem Böhmerwald in den Steinwald bei Waldeck ankündigen; Vgl. auch: Eintrag „Ernst Buske“, in: Jantzen, Namen und Werke, Band 3, S. 55–64, hier S. 55; Ahrens, Bündische Jugend, S. 393.
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Götsch ein Schreiben aus, auf dem er die Gaue dazu ermunterte, sich auch musikalisch auf den Bundestag vorzubereiten. Hier findet sich der Hinweis auf das 1924 erschienene Liederbuch „Der Musikant“ von Fritz Jöde: Ihr habt sicher alle auf meine Anregung hin Fritz Jödes ‚Musikant‘, Lieder für die Schule, Heft 1–6, ( J. Zwißlers Verlag, Wolfenbüttel) zum Ortsgruppenliederbuch erhoben. Das birgt Schätze auf Jahre! Daraus wollen wir zum Bundestage alle können: 1. Wir zogen in das Feld. Richtig in dur! Vorsänger und Chor! 2. Wohlauf, ihr lieben Gesellen 3. Nach grüner Farb 4. O wie schön und gut 5. Der grimmig Tod, für Kirchenmusik 6. Geh aus, mein Herz 7. Nun sich der Tag geendet hat 8. Im Mai, wenn alle Vöglein. Das sind acht Lieder, die schon recht gut ein Bundesfest durchtönen können in allen seinen wechselnden Lebensbildern, die eckig und leicht, wuchtig und still, ausgelassen und besinnlich genug sind, um immer wieder neu sein zu können. Macht euch recht vertraut mit ihnen, ihr werdet sie lieb gewinnen! Auswendig natürlich, mit allen Versen!36
Insgesamt strotzt diese Ankündigung vor Anforderungen und Erwartungen musikalischer Art, auch Geigerinnen, Flötisten, Gitarristinnen und Lautenspieler sowie Organistinnen und Streichquartette und besonders gute Sänger werden erfragt und die Gaue gebeten, vorab darüber Auskunft zu geben. Trotz all dieser Vorbereitungen und engagierten Vorankündigungen kam es nicht zu einem solchen Bundessingen, wie aus einem offenen Brief von Götsch an den derzeitigen Bundesführer Ernst Buske hervorgeht.37 Insgesamt resümiert Götsch den Bundestag und spricht über den Lageraufbau, über Sport und Spiel und über das Kriegsspiel. Der Wegfall seines geplanten Musizierens aber findet den umfangreichsten Ausdruck. Götsch beteuert, dies sei kein Vorwurf, stattdessen bedauere er, dass andere Dinge höher gewertet wurden. Er wertet den Wegfall des gemeinsamen Singens als eigenständigen Programmpunkt als Verlust für die Festlichkeit eines solchen Anlasses. Nebenher wäre natürlich gesungen worden, wie Götsch bestätigt, aber eben nicht fokussiert genug. Das Feuer, die Leidenschaft und den Inhalt habe er dadurch vermisst. Wenn an einigen Stellen doch Musik zustande kam und bindend in Erscheinung trat, so ist das ein Zufallswert und gehört nicht in die Kritik dieser Anlage des Ganzen. Der Mangel
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Götsch, Georg: Lieder zum Bundestag [des Altwandervogel auf Rügen], Mai 1925, AdJb N 62/108. Vgl. Offener Brief von Georg Götsch an Ernst Buske vom Juni 1925, AdJb N 62/108 III/5.
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
an Musik trug mit dazu bei, das Ganze arm an festlichem Schwung erscheinen zu lassen. […] Wir dürfen unsere Jungen nicht festlich zusammenrufen, wenn wir keine Inhalte haben und keine Festesform erarbeitet!38
Eine Antwort darauf findet sich in den Bundesmitteilungen des Altwandervogels 1926, verfasst von Hansheinrich Kummerow aus Steglitz. Er richtet sich öffentlich direkt an „Geo“ Georg Götsch und geht vor allem auf den Wandel im gemeinsamen Singen ein, den auch er bestätigt. Viele der Führer und sonstigen Älteren seien zu verkrampft darauf bedacht, die richtige Stimmung zu treffen oder Musiktheorie im Bund zu verbreiten. Demgegenüber stehe wahre Ausgelassenheit: Wie leuchten alle Augen bei solch beglückender Ausgelassenheit! Das Wort kommt nämlich von „heraus-lassen“, und Du wirst selbst ermessen, was ein Junge, der zu uns kommt und im Bannkreis der Zentraleuropäischen Zivilisation lebt, alles herauszulassen hat. Kino, Varieté, Reklame, Untergrundbahn, wo soll das alles bleiben, wenn man am Sonnabend durch den nächtigen Wald gewandert ist und Sternenhimmel und Birken in sich hineingetrunken hat.39
Diese Äußerung kann auch als Kritik an dem nunmehr 30-jährigen Götsch gelesen werden, der eben diese Musiktheorie auch im Bund zu verbreiten suchte – die verschiedenen Ansprüche der Jugendbewegung und der Jugendmusikbewegung in Bezug auf gemeinsames Musizieren können wohl kaum klarer aufgezeigt werden als in diesen gegensätzlichen Stellungnahmen. Vorträge über Musikerziehung und Musiktheorie hielt Götsch ab Mitte der 1920er Jahre regelmäßig. So zum Beispiel während der Führerwoche des Köngener Bundes auf Burg Lobeda Anfang Januar 1925 – er sprach über Jugend und Musik mit Übungen in Melodie und Analyse.40 Auch im April 1927 während des Arbeitslagers der Deutschen Freischar in Hermannsburg bei Hannover war er als Referent zugegen und auf Einladung der staatlichen Hochschule für Baukunst und Handwerk während der Dezember 1927 stattfindenden Tage für rhythmische und musikalische Erziehung in Weimar. Unter den 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern befanden sich Lehrkörper und Schülerinnen und Schüler dieser Hochschule.41
Offener Brief von Georg Götsch an Ernst Buske vom Juni 1925, AdJb N 62/108 III/5. Kummerow, Hansh[einrich?], in: Bundesmitteilungen des Altwandervogels, 1926. Vgl. Persönliche Tätigkeitsberichte 1925–1928 und Arbeitsberichte seiner Tätigkeiten 1925–1927 aus dem Nachlass Georg Götschs, AdJb A228 17.06. 41 Vgl. Persönlicher Tätigkeitsbericht über die Zeit vom 1. April 1927 bis 1. April 1928 aus dem Nachlass Georg Götschs, AdJb A 228 17.06. 38 39 40
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Abbildung 31 Begrüßung des Staatsministers Dr. Carl Heinrich Becker durch Georg Götsch (v. l. n. r.) im Bundesarbeitslager Hermannsburg, 1927, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/118/1.
Wie die Fotografie in Abbildung 31 belegt, war an Anlässen dieser Art auch der Kultusminister Becker interessiert, zumal er Götschs Arbeit unterstützte und in Vorbereitung auf weitere gemeinsame Projekte auf diesem Weg seine Arbeitsweise kennenlernen konnte. Und so zeichnet sich Götschs Weg vom begeisterten Laien zum gefragten Profi ab. Zwischen 1921 und 1924 arbeitete Götsch als Volksschullehrer in Berlin, doch wurde er ab 1924 mit vollem Gehalt für vier Jahre zugunsten seines Studiums der Musik beurlaubt und war so von wirtschaftlichen Sorgen frei.42 Ab Mai 1926 wurde er als außerordentlicher Lehrer an das Seminar für Musikerziehung der staatlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg durch ihren Direktor Georg Schünemann berufen, um dort Kurse in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zu geben.43 Damit stieg der Einfluss der Jugendbewegung und der Jugendmusikbewegung in den Bildungsinstitutionen deutlich an. Sein Vertrag umfasste eine Pflichtstunde wöchentVgl. Eintrag „Georg Götsch“, in: Jantzen, Namen und Werke, S. 100, 103. Vgl. Vereinbarung zwischen Georg Götsch und der akademischen Hochschule für Musik in Berlin, 1. Juni 1926, UdK-Archiv 1/60; Briefkopf des Briefs von Fritz Jöde an Herrn [n. n.] Körner vom 26. September 1932, UdK-Archiv 2/220. 42 43
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lich inklusive aller Prüfungen und Konferenzen. Die Bezahlung war ein Monatsstundensatz von 30 Reichsmark und damit etwa 120 Reichsmark im Monat. Dies lag über dem an der Hochschule üblichen Durchschnitt für Hilfslehrer von 26 Reichsmark. Es wurde ihm kein Beamtenstatus zuteil, wodurch keinerlei Pensionsansprüche oder Ähnliches entstanden – diese Stelle kann also anders als Jödes Stelle an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik lediglich als Zuverdienst gesehen werden.44 Zunächst wohnte Götsch in Berlin, doch wegen der Verlegung seines hauptsächlichen Wirkungsorts nach Frankfurt an der Oder bat er im September 1929 um Ausweitung seiner Lehrtätigkeit am Seminar für Musikerziehung, damit sich seine Fahrten von Frankfurt an der Oder nach Berlin lohnten. Zu diesem Zeitpunkt gab er bereits zwei Wochenstunden Unterricht und erhielt weiterhin den Stundensatz von 30 Reichsmark, wovon allerdings allein 15 Reichsmark für eine Strecke von Frankfurt nach Berlin Verwendung fanden und so bat er Direktor Schünemann darum, drei und im besten Fall vier Wochenstunden halten zu dürfen.45 Eine knappe Mitteilung Schünemanns zeigt jedoch, dass die Ausweitung der Stundenzahl wegen der knappen Geldmittel bereits Ende der 1920er Jahre nicht möglich war und seine zwei Wochenstunden, wie wohl auch zuvor, dienstags zwischen acht und zehn Uhr stattfinden würden.46 Damit begnügte sich Götsch zunächst – er scheint diese Tätigkeit mehr als eine ideelle Aufbauarbeit wahrgenommen zu haben, statt als wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Wirtschaftskrise in Folge des Börsencrashs 1929 in den USA wirkte sich, wie schon im Falle des Ludwig Voggenreiter Verlages in Kapitel 3.3.3 gezeigt, in Deutschland zeitversetzt deutlich aus. Auch auf die staatliche Hochschule hatte sie Einfluss und so wurde Götschs Lehrverhältnis unter Bekundungen des Bedauerns von Seiten des Direktors der Akademie zum 1. Oktober 1932 gekündigt. Allerdings wurde ihm brieflich angeboten, bereits zum 1. April auszuscheiden, um sich nach einer langen Krankheit im Winter 1931/32 besser erholen zu können, was er zu seiner Entlastung gerne annahm. Götsch schadete dieser Schritt wirtschaftlich nicht, da er „ohnedies kaum die Spesen erstattet“ bekam und seine Lehrtätigkeit in Berlin ihm kein umfangreiches Einkommen gesichert hatte.47 Nun konnte er sich umfassend seiner neuen bedeutenden Aufgabe zuwenden: dem Musikheim in Frankfurt an der Oder. Diese institutionalisierte Ausformung der Jugendmusikbewegung folgte in seiner inhaltlichen und politisch-ideologischen Agenda in großem Maße dem jugendbewegten Georg Götsch, genauso wie der oben beschriebenen Kestenbergreform. Schon 1925 besprach sich Götsch hierzu mit Becker und
Vgl. Schenk, Dietmar: Die Hochschule für Musik zu Berlin. Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932/33, Stuttgart 2004, S. 283–285. 45 Vgl. Brief von Georg Götsch an Georg Schünemann vom 11. September 1929, UdK-Archiv 1/60. 46 Vgl. Brief von Georg Schünemann an Georg Götsch vom 18. Oktober 1929, UdK-Archiv 1/60. 47 Vgl. Brief von Georg Schünemann an Georg Götsch vom 23. Februar 1932; Brief von Georg Götsch an Georg Schünemann vom 5. März 1932, UdK-Archiv 1/60. 44
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Kestenberg, seine Ideen gerannen 1927 in einer Denkschrift.48 Auf Götschs Initiative hin wurde 1928/29 der Plan in die Tat umgesetzt und das Musikheim in Frankfurt an der Oder gebaut, wo bündische Jugend, Jugendmusikbewegung und werdende Lehrerinnen und Lehrer örtlich und personell zusammentrafen. Das Musikheim wurde von Kultusminister Carl Heinrich Becker und seinem für musikalische Bildungspolitik zuständigen Musikreferenten Leo Kestenberg unterstützt, die unter anderem mit dieser Maßnahme die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung vorantrieben. Formell wurde es der Akademie für Kirchen- und Schulmusik als Außenstelle zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung unterstellt.49 Entworfen und geplant wurde das Musikheim vom dem Weimarer Bauhaus zuzurechnenden Architekten Otto Bartning. Nur durch den vehementen Einsatz des Kultusministeriums konnten Bartning und sein Entwurf eines ausladenden roten Sichtziegelbaus gegen das städtische Bauamt der Stadt Frankfurt durchgesetzt werden, der durch die Zusammenarbeit Götschs, Kestenbergs und Bartnings seit 1927 erarbeitet wurde. Die bauliche Ausgestaltung des Musikheims, so zeigen der Kunsthistoriker Christof Baier und die Kunsthistorikerin Julia Berger, war Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens. Der verantwortliche Architekt gestaltete – inspiriert von seinem Vorgänger als Leiter der Weimarer Bauhausakademie Walter Gropius, altenglischen Colleges und mittelalterlichen Klosteranlagen – das Musikheim als Ort der Gemeinschaft.50 Die gemeinschaftlich zu Tanz, Gesang, Mahlzeiten und Lehrgängen genutzten Flächen – die Halle und der Turm – wurden baulich hervorgehoben. Wirtschaftstrakt und Schlafräume waren minimalistisch ausgeführt und durch eine einfache horizontale Linie ohne große Ausschmückungen in Form und Funktion klar definiert. Insgesamt wurde das Musikheim schlicht gestaltet und ohne Prunkfassade, was zwar den architektonischen Nerv der Zeit traf, jedoch schon in der Entwurfsplanung in den städtischen Behörden und später auch bei der Frankfurter Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stieß. Auch wurde kritisiert, der Bau sei schlicht unwirtschaftlich, da die auseinandergezogene Bauform eine heiztechnische Katastrophe sei. Allerdings lenkt auch diese Tatsache erneut ein Augenmerk auf die zentral gelegenen Gemeinschaftsräume – Zum einen waren sie durch ihre kompaktere Bauform wärmetechnisch als günstiger zu werten, zum anderen ergab sich durch die als Riegel ausgebildeten Gebäudeteile eine Abgeschiedenheit von der unmittelbaren städtischen Umgebung und eine abgeschlossene Freifläche, die als Garten genutzt wurde.51
48 Vgl. Erinnerungsperspektive Georg Götschs, in: Bitterhof, Erich: Das Musikheim Frankfurt, Oder. 1929–1941; Beiträge der Jugendbewegung zur preußischen Kulturpolitik Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, Witzenhausen 1980, S. 39–49. 49 Vgl. Eintrag „Georg Götsch“, in: Jantzen, Namen und Werke, S. 104–105. 50 Vgl. Baier, Christof / Berger, Julia: Frankfurt an der Oder. Das Musikheim von Otto Bartning und die Pädagogische Akademie von Hans Petersen. Zwei Architektonische Zeugnisse der Bildungsreform der Weimarer Republik, in: Brandenburgische Denkmalpflege, Jg. 13 (2004), Heft 1, S. 17–35, hier: S. 17, 20, 25–26. 51 Vgl. ebd.
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Am Vormittag des 17. September 1928 fand die Grundsteinlegung statt, zu der Kultusminister, die Direktoren der Berliner Akademie für Kirchen- und Schulmusik Berlin und der Hochschule für Musik Berlin und städtische Würdenträger aus Frankfurt eingeladen wurden, was auch in der regionalen Presse besprochen wurde.52 Das Musikheim sollte Musik niedrigschwellig zugänglich machen und war damit die bauliche Ausdrucksform der musikpädagogischen Neuausrichtung der 1920er Jahre. Es fügte sich in den bildungsreformerischen Plan des Kultusministers Becker ein, neue Akademien zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu schaffen – von diesen Neugründungen jedoch mussten nach wenigen Jahren bereits viele wieder schließen, da sie wirtschaftlich nicht zu erhalten waren.53 Die offizielle Eröffnung folgte schon ein Jahr nach Grundsteinlegung am 15. Oktober 1929. Bei diesem feierlichen Akt waren erneut Minister Becker, Kestenberg und die Stadtoberen der Stadt Frankfurt an der Oder anwesend. Sehr anschaulich können die Vernetzung gezeigt werden, die sich zwischen der Jugendmusikbewegung und dem Ministerium entwickelt hatten, aber auch jene, die innerhalb der Jugend(musik)bewegung bestanden. So führte Martin Luserke, dessen Bücher im Voggenreiter Verlag herausgegeben wurden, während der Einweihungsfeier mit einer Kindergruppe seiner nur wenige Jahre zuvor gegründeten Schule am Meer auf Juist ein Stück von Shakespeare auf. Als Leiter der reformpädagogischen Privatschule warb er bei diesem Anlass um Aufmerksamkeit innerhalb der ohnehin pädagogisch interessierten Kreise.54 Das Musikheim war bei seiner Eröffnung gut besucht, die große Halle war voll bestuhlt und wie auf der Fotografie in Abbildung 32 zu sehen ist, war sie gefüllt mit Besucherinnen und Besuchern. Der Blick in die Halle richtet sich nach Nordosten. An der Ostseite war, wie auf dem Foto zu erkennen, eine niedrige Bühne mit Vorhängen und seitlichen Bühnenaufgängen auf die Etage angelegt. Gegenüber auf der Westseite waren großzügige Sitzstufen gebaut worden. Auf dem Foto sitzen sich die Besucherinnen und Besucher einander von Süden und Norden her gegenüber mit einem Mittelgang zwischen ihnen. Einige blicken in Richtung der außerhalb des Bildes liegenden Westseite der großen Halle – es kann also angenommen werden, dass beide Seiten für das Programm genutzt wurden, um Umbauzeiten gering zu halten und die Möglichkeiten des Neubaus voll auszuschöpfen. Götsch beschreibt in seiner Zielsetzung und Konzeption, welche Aufgaben er als zukünftiger Leiter des Musikheims verfolgen werde. Das Musikheim, so Götsch, „will nicht bloss Musik lehren, sondern ihr einen Lebensraum bauen. […] denn die musikalische Not unseres Volkes […] besteht ja gar nicht in einem Mangel an Mu-
52 Vgl. Brief von Oberbürgermeister Hugo Kinne der Stadt Frankfurt an der Oder an einen namentlich nicht genannten Herrn Professor vom 7. September 1928, UdK-Archiv 2/10; Zeitungsbericht zur Grundsteinlegung vom 15. September 1928 in der Oder-Zeitung, UdK-Archiv 2/10. 53 Vgl. Holz, Musikschulen und Jugendmusikbewegung, S. 33. 54 Vgl. Baier/Berger, Frankfurt an der Oder, S. 26.
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Abbildung 32 Blick in die gefüllte Aula bei der Eröffnung des Musikheims, 1929, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/352/1.
sikstoff und Musiktreiben, sondern in der Gespaltenheit von Musik und Leben.“55 Es trete nicht in Konkurrenz zu Konservatorien und Musikschulen und wolle keine Fachmusiker ausbilden; Es wolle vor allem Musiklehrerinnen und Musiklehrern Anregungen für ihren Unterricht geben, sodass sie der ihnen gestellten Aufgabe einer umfassenden musischen Bildung gerecht werden könnten. Jedoch solle eine Mischung verschiedener Berufsgruppen angestrebt werden: den Austausch zwischen Pfarrern, Volksschullehrern, Fachmusikern, Jugendführern und Jugendpflegern nennt er hier als Bereicherung für die Lehrangebote. Schon in der Konzeption war das Programm des Musikheims so angelegt, dass es sowohl intern organisierte Veranstaltungen wie Lehrgänge für Lehrkräfte, als auch Arbeitslager von externen Gruppen geben sollte, welche die Räumlichkeiten und die vorhandenen Materialien für ihr eigenes Programm nutzen und mit ihrer Arbeitskraft das Musikheim unterstützen sollten. Es sollte jährlich drei zweimonatige Kurse geben und zusätzlich einige kürzere, um den diversen Zielgruppen angemessene Angebote zu schaffen: Für die Lehrer- und Lehrerinnenseminare des Ministeriums, für die Berliner Studierenden der Hochschule für Musik und der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik und die bündischen Gruppen wie die Märkische Spielgemeinde und den Deutschen Singkreis sowie ihre ausländischen Äquivalente. Es standen 30 Einzelzimmer für Gäste zur Verfügung und weitere 20 Plätze in einem Matratzenlager auf dem Dachboden. Für die Hauptlehrgänge war
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Götsch, Georg: Konzeptpapier des Musikheims, 1928/1929, AdJb N 62 113.
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ein Tagespreis von 3,30 Mark inklusive Verpflegung, Wohnung und Bettwäsche festgesetzt worden.56 Dies bedeutete, insofern das Musikheim sechs Monate im Jahr mit 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an staatlichen Lehrgängen belegt war, einen Umsatz von 18.067,50 Mark – natürlich müssen Löhne und Betriebskosten gegengerechnet werden, wofür allerdings vollständige Zahlen fehlen, einen Eindruck gibt diese Hochrechnung dennoch. Die staatlichen, zweimonatigen Lehrgänge sollten Lehrerinnen und Lehrer auf ihre Lehrpraxis vorbereiten – im Speziellen auf den Musikunterricht, der alle Bereiche des Unterrichts beeinflussen sollte. Durch ihre Festsetzung auf jeweils zwei Monate war das Musikheim und sein Lehrkörper das halbe Jahr über bereits ausgelastet und eine wirtschaftliche Sicherheit sollte dadurch hergestellt werden.57 Noch vor der offiziellen Eröffnung fand im September 1929 bereits der zweite Lehrgang statt.58 Das Musikheim hatte also seinen Betrieb schnellstmöglich begonnen. Der dritte Lehrgang folgte 1930. Das Programm dieses Lehrgangs erstreckte sich jeweils von Montagvormittag bis Samstagmittag, die im Stundenplan vermerkten Kürzel geben Auskunft über diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt das Programm bestimmten – M.-M. war Eduard MeyerMenzel, Gof. war Karl Gofferje, Bo. war Klaus Borries und G. war Götsch selbst. Nach dem Frühsport und dem Frühstück folgten vormittags drei Unterrichtseinheiten mit erstens Chorsingen, Stimmbildung oder Dirigieren, zweitens Theorie (Geschichte der Methoden, Orchester, Musikerziehung, Elementarlehre, Satzlehre oder Volksliedkunde) und drittens erneut Praktisches wie Kanon, Blattsingen, Blockflöte oder Männerchor. Nach Mittagessen und Mittagspause blieb Raum für Stimmbildung, Übungsstunden oder freie Gestaltung. Vor dem Abendessen wurden Stimmbildung, Musizieren mit Instrumenten oder Kontratanz angeboten. Nach dem Abendessen wurde erneut gemeinsam gesungen.59 Deutlich zeigt sich der große Anteil an praktischem Lernen, Theorie stand hintenan und wurde explizit nur in einer Unterrichtseinheit am Tag angeboten, obgleich sicher auch in den praktischen Unterrichtseinheiten theoretische Fragen geklärt wurden. Über diesen Lehrgang verfasste Moser als Direktor der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, dem das Musikheim offiziell angegliedert war, einen Bericht. Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hatte um Berichterstattung und Beurteilung gebeten. Am 11. Juni 1930 hatte Moser das Musikheim besucht und die Lehrinhalte eines Tages miterlebt. Ihm zufolge waren die Nachmittagseinheiten auch für die Frankfurter Jugend offen, wodurch ein Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der örtlichen Jugend ermöglicht wurde. Moser kommt zu dem Urteil:
Vgl. Götsch, Georg: Konzeptpapier des Musikheims, 1928/1929, AdJb N 62 113. Vgl. Bitterhof, Das Musikheim Frankfurt, Oder, S. 100. Vgl. Brief von Georg Götsch an Georg Schünemann vom 11. September 1929, UdK-Archiv 1/60. Vgl. Stundenplan für den dritten staatlichen Lehrgang (Montag bis Sonnabend Programm SS 1930), UdK-Archiv 2/10. 56 57 58 59
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Bei all diesen Unterrichtsstunden hatte ich einen außerordentlich günstigen Eindruck von der geleisteten Arbeit und der Gesamteinstellung des Lehrkörpers zu den einschlägigen Problemen, obwohl ich mit stark kritischer Zurückhaltung gekommen war. Das Musikheim sieht offenbar seine Aufgaben zunächst darin, den fast ausschließlich dem Volksschullehrerstande angehörenden Kursusteilnehmern eine allgemeine Auflockerung […] zuteil werden zu lassen.60
Auch sei von früheren Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmern bestätigt worden, dass die Methodenfülle und die Auflockerung einen positiven Einfluss auf ihren Unterricht gehabt hätten und das nicht allein für den Musikunterricht, sondern auch für andere Fächer. Moser schreibt, er könne „die bisherige Arbeit des Musikheims in Frankfurt nur in durchaus zustimmendem Sinne kennzeichnen und dem Wunsche Ausdruck geben, es möchte dieser Kulturstätte in jedem Sinne weitergeholfen werden.“61 Ein Jahr nachdem Moser diesen Bericht für das Ministerium angefertigt hatte, besuchten Moser und Kestenberg zeitgleich das Musikheim, wie die Fotografie in Abbildung 33 zeigt. Kestenberg ist stehend als der Dritte von links zu erkennen, Moser als der halb verdeckt stehende, Erste von rechts. Auch Carl Heinrich Becker war unter den Besuchern des Musikheims zu finden, wie andere Fotografien aus dem Nachlass Götschs zeigen, auch als er keine Funktion mehr im Ministerium hatte.62 In einem Evaluationspapier vom Dezember 1932 resümiert Götsch die bisherige Arbeit des Musikheims und fasst die zukünftig möglichen und notwendigen Betätigungen im Musikheim zusammen. Er zitiert kurze Passagen aus der Zielsetzung von 1929. Damals war er der Auffassung, mit dem Musikheim sei „die eigenartige Aufgabe, die unsere Zeit stellt“, zu lösen. Drei Jahre nach der Inbetriebnahme attestiert Götsch dem Musikheim, es sei zu einem „Symbol für eine gute Generation“ geworden. Als Gründe dafür nennt er seine Funktion sowohl als Lehrerbildungsstätte als auch als Ort der Begegnung für Gruppen „verwandte[r] Bewegungen“, die Freiheit von politischem und bürokratischem Einfluss und nicht zuletzt eine günstige Betriebsführung und auch ein „der Zeit angemessener bescheidener Lebensstil“, was allerdings sehr positiv formuliert war, denn das Musikheim steckte bereits damals, wie viele andere derartige Ausbildungsstätten, in finanziellen Problemen.63
60 Bericht über den dritten Lehrgang von Hans Joachim Moser, Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 12. Juni 1930, UdK-Archiv 2/10. 61 Bericht über den dritten Lehrgang von Hans Joachim Moser, Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 12. Juni 1930, UdK-Archiv 2/10. 62 Vgl. Fotografie: Kultusminister Carl Heinrich Becker (4. v. l.) in einer Gesprächsrunde mit Harro Siegel, Georg Götsch und Rolf Gardiner, 1931, AdJb N62/346. 63 Vgl. Götsch, Georg: Die Zukunft des Musikheims. Ausbau und Festigung, 16.12.1932, AdJb A 228 39.63.
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
Abbildung 33 Dr. Kestenberg vom Ministerium und Prof. Dr. Moser von der Hochschule während des Besuchs beim 5. staatlichen Lehrgang, 1931, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/345/2.
Heraus sticht in seiner Aufzählung ein weiterer Punkt – die „Verbindung mit dem Deutschtum im Ausland sowie mit dem lebendig interessierten Teil des gleichgerichteten Auslands.“ Eindeutig zu interpretieren ist dabei die Nennung des Deutschtums im Ausland: Dies birgt die Aufgabe, die Randgebiete des Deutschen Reiches und die auslandsdeutschen Sprachinseln im Osten in die Kulturarbeit mit einzubeziehen. Was Götsch aber mit gleichgerichtetem Ausland meinte, zeigte sich beispielsweise in den Auslandsfahrten der Märkischen Spielgemeinde, die Götsch organisierte. Auf diesen Fahrten knüpfte er internationale Beziehungen, vor allem nach England. 1926 lernte Götsch den deutschstämmigen Engländer Rolf Gardiner kennen, woraus sich eine tiefe Freundschaft entwickelte. Gardiner war Tänzer, engagierte sich für biologische Landwirtschaft und setzte die englische Umweltschutzbewegung in Gang. Er betätigte sich vor allem in der Einübung und Verbreitung alter Volkstänze, unter anderem dem Morris Dance und den Kontratänzen64, die auch Götsch studierte, praktizierte und über sie publizierte. Bereits 1920 gab es, wie in Kapitel 3.3.1 ausgeführt, intensive Beziehungen zwischen Deutschen und Engländern: John Hargraves, alias der weiße Fuchs, Buch „Kibbo Kift“ und auch weitere seiner Erzählungen erschienen Anfang der 1920er Jahre im Verlag Der Weiße Ritter in der Reihe der Bücher der Waldverwandtschaft.65 Hargrave nahm in dieser Zeit regen Anteil an der Entwicklung der deutschen Jugendbewegung. So wurde beispielsweise ein Aufruf von ihm an die deutsche Jugend in der Frankfurter Zeitung am 19. Februar 1925 gedruckt, in welchem er die Jugend zu Einigkeit und zu bedachter und produktiver, keinesfalls aber destruktiver Revolte ermahnte. Auch sprach er
64 65
Vgl. Personenmappe Rolf Gardiner, AdJb A 228 39.54. Vgl. Kapitel 3.3.1.
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stets von „europäischer Jugend“ und von der Erkenntnis der „Welteinheit“, die jedoch Unterschiede anerkenne.66 In diesem Zeichen war auch Rolf Gardiner als Deutschstämmiger aus persönlichen Motiven an internationalem Austausch mit Deutschland interessiert. Gardiner war ebenfalls Jugendleiter in Hargraves Bund, der Kindred of Kibbo Kift, und vertrat Hargrave Mitte der 1920er Jahre bei Treffen mit den deutschen Neupfadfindern.67 Dieses Netzwerk und die Bekanntschaften untereinander werden unter anderem im Schriftverkehr zu dem genannten Artikel Hargraves in der Frankfurter Zeitung deutlich. Als Reaktion schrieb der Schriftsteller Rudolf Binding68 am 24. Februar 1925 an Rolf Gardiner über seine Verehrung von John Hargrave und seinen seiner Meinung nach „sehr gelungenen und weitsichtigen“ Artikel. Versehen ist dieser Brief mit der Frage, ob die deutsche Jugend diesen Aufruf überhaupt verstehen und wie es weitergehen könne. Zuletzt fragte er, ob Rolf Gardiner darüber bereits mit Voelkel und Voggenreiter gesprochen habe.69 Scheinbar hatte Gardiner intensiven Kontakt zu den führenden Erneuerern innerhalb der deutschen Pfadfinderschaft und es gab Gesprächsbedarf – vermutet werden kann, dass 1925 ihre divergierende Einstellung zur Einigung der deutschen Bünde, zum Internationalismus und zu deutschem Nationalismus zur Debatte stand. Das jedenfalls legen die nachgezeichneten Debatten in Kapitel 3.3.1 nahe. Nachdem der Kontakt Gardiners zu den Neupfadfindern versandete, lernten sich Götsch und Gardiner kennen und der Austausch zwischen deutscher und englischer Jugendbewegung blieb – in anderer personeller Zusammensetzung – bestehen. Mehrfach erwähnte Götsch in seinem Resümee diese (auslands-)deutschen und „freundschaftlich empfindenden“ ausländischen „Freunde des Musikheims“ sehr wohlwollend – er schätzte diesen Austausch scheinbar sehr.70 Als Probleme, denen sich das Musikheim aus Sicht des Jahres 1932 stellen müsse, machte Götsch das geringe öffentliche Interesse und die ungleiche Wirkung des Heims auf die gesellschaftlichen Schichten aus. Es seien in der Hauptsache Bürgerliche angesprochen worden, nicht aber Arbeiter und Bauern. Diese Feststellung geht jedoch mit der mehrheitlich vertretenen Ausrichtung der Jugendbewegung und der bündischen Jugend einher – egal wie sehr Götsch eine Änderung herbeizuführen versuchte. Zudem sprachen die weiteren Betätigungsfelder keinesfalls Arbeiter und Bauern an: Götsch gibt das Ziel aus, mehr nicht-pädagogische Berufe anzusprechen und nennt als Beispiele Ärzte, Juristen, Gutsherren und Politiker – also Bürgerliche und Adlige. Zudem will er die pädagogische Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen Vgl. „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“, AdJb N 44 64. Vgl. Personenmappe Rolf Gardiner, AdJb A 228 39.54. Vgl. Munzinger Online / Personen – Internationales Biographisches Archiv (Hrsg.): Eintrag „Binding, Rudolf G.“ vom 24. Februar 1958 [Onlinefassung], URL: http://www.munzinger.de/document/00000008212 [24.6.2020]; Eintrag „Helmuth Kittel“, in: Jantzen, Namen und Werke, Band 3, S. 181. 69 Vgl. „Aufruf von John Hargrave an europäische Jugendbünde“, AdJb N44/64. 70 Vgl. Götsch, Georg: Die Zukunft des Musikheims. Ausbau und Festigung, 16.12.1932, AdJb A228/17.03, AdJb A228/39.63. 66 67 68
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und Lehrern ausweiten, also den alten Kurs nicht wirklich verlassen. Schon hier wird klar, dass auch das Musikheim von einer Elite getragen wurde. Bestätigt wird dieser Eindruck durch die mehrfache Erwähnung eines Trägerkreises und der „Ehemaligen“. Auch der Verweis auf das Protektorat der „höheren und mittleren Bürokratie und Ministerien, Stadtverwaltung und Regierung“ weist auf eine Top-Down Planung hin, die das Musikheim de facto war. Neben den staatlichen Lehrgängen aber, sollten auch kleinere Kurse und Freizeiten stattfinden können, teilweise mit eigenem Lehrkörper beziehungsweise mit ihren musikalisch gebildeten Jugendführern, um das Musikheim vor „Provinzialisierung“ zu bewahren. Götsch als Bindeglied zwischen bündischer Jugend, Jugendmusikbewegung und bildungsreformerischen Institutionen war der Austausch zwischen diesen Interessengruppen wichtig und so findet auch die bündische Jugend Erwähnung in seinem Resümee 1932. Götsch zufolge wirkte sie fördernd auf das Projekt des Musikheims, ihr Aufgabengebiet sei in der Besetzung von Assistentenstellen, praktischer Arbeitshilfe und der „mittragenden geistigen Verbundenheit“ zu finden.71 Gerade dieser letzte Punkt scheint bedeutend zu sein, betrachtet man die Bedeutung des Musikheims für die bündische Jugend. Jugendbünde veranstalteten selbst Arbeitswochen im Musikheim. Beispielsweise fand im März 1931 das siebte Bundesarbeitslager der Deutschen Freischar im Musikheim in Frankfurt an der Oder statt. Thema des Lagers war „der germanische Lebensraum. (Einsatz der jungen Generation im deutschen Osten)“, zu dem auch Frankfurt bereits zählte. Die Leitung oblag zwei bekannten Persönlichkeiten der Jugendmusikbewegung: Georg Götsch und Helmut Kittel. Beteiligt waren zudem Klaus Borries, Rolf Gardiner und Ludwig Kelbetz. Dreißig Teilnehmer übten sich in körperlicher, landwirtschaftlicher Arbeit und musikalischer Weiterbildung. In einem Bericht darüber heißt es: Das Lager fordert Einordnung und selbstständiges Handeln im Blick aufs Ganze. Hinter militärischem Befehl steht Macht. Deshalb muss in einem Lager Kommando überflüssig sein. Das Ganze gleicht einem innerlich bewegten Organismus, dessen Erscheinung Ausdruck eines Gesetzes ist. […] In diesem Zusammenhange war Musik im Lager nicht Privatluxus oder angenehme Unterhaltung, sondern Einordnung in ein geistiges Prinzip. Musik wurde Lebensnotwendigkeit, und man kann hier genauso Zucht üben, wie auf politischem Gebiet. Eine Chorstimme wird erst richtig, wenn sie auch zur richtigen Zeit einsetzt. Daraus ergibt sich für das geistige und politische Leben, daß eine an und für sich richtige Idee auch des richtigen Einsatzes bedarf.72
Vgl. Götsch, Georg: Die Zukunft des Musikheims. Ausbau und Festigung, 16.12.1932, AdJb A228/17.03, AdJb A228/39.63. 72 Das Bundesarbeitslager der Deutschen Freischar März 1931 im Musikheim, Frankfurt/Oder, in: Deutsche Freischar, Jg. 3 (1930/31), Heft 7, Potsdam 1931, S. 270–273, hier: S. 272. 71
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Auch auf die Vernetzung innerhalb der musikpädagogischen Reform und ihren Institutionen weist Götsch nach drei Jahren Betrieb hin und nennt bei dieser Gelegenheit Fritz Jödes Seminar in Charlottenburg73, die Günther-Schule in München und das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin mit Leo Kestenberg.74 Dabei war jene Verbindung zur Günther-Schule eine der jüngeren. Im beginnenden 20. Jahrhundert rückte der Körper, das Erleben und Erfahren deutlich in das Zentrum der Betrachtung und so ist auch die Gründung der Günther-Schule 1924 in München zu erklären, die auf frühere Konzepte und Gründungen wie die der Bode-Schule von 1911 in München, die sich der rhythmischen Gymnastik verschrieben hatte, aufbaute.75 Der Komponist und Musikpädagoge Carl Orff (*1895) und die Gymnastik- und Tanzpädagogin Dorothee Günther (*1896) vereinten moderne Kompositionen mit modernem Tanz und Bewegungserziehung – der Körper vereinte das Spiel, den Tanz, die Sprache und die Musik. Anders als Rolf Gardiner und Georg Götsch fokussierten sie sich nicht darauf, das Alte und Volkstümliche – Kontratänze, sword dance und weitere – wieder zu beleben und den Tanz um des Tanzes willen zu praktizieren – sie wollten die Bewegung sich frei entfalten lassen und ihre in der Hauptsache weiblichen Schülerinnen lehren, ihren Körper zu einem Ausdruck zu nutzen. Die Günther-Schule wurde durch einen Verein getragen und war Ausbildungsstätte des Bundes für freie und angewandte Bewegung e. V., die sich auf Gymnastik, Rhythmik, Musik und Tanz fokussierte.76 Die Verbindung, die Götsch in seinem Resümee 1932 anspricht, zeigt sich im Fall der Günther-Schule erstmals an einem Besuch von Schülerinnen und Lehrkörper der Günther-Schule im Musikheim Frankfurt an der Oder. Abbildung 34 zeigt die Schülerinnen bei einer Tanzübung in der großen Halle des Musikheims. Im Vordergrund ist eine auf der Bühne im Osten der großen Halle im Schneidersitz gebeugt sitzende Frau zu sehen, die dem Fotografen den Rücken zuwendet. Dahinter steht eine Gruppe junger Frauen in einer Formation, die augenscheinlich in einer Bewegung begriffen sind. Einige weitere Personen sind im Hintergrund zu erkennen, einige von ihnen sitzen auf den Stufen, die rechts und links die Empore hinaufführen und scheinen dem Tanz zuzuschauen. Auch Carl Orff war vor Ort, wie ein anderes Bild in diesem Quellenzusammenhang zeigt.77 Im Anschluss an diesen Besuch ließ Georg Götsch im Juni 1931 Prospekte an Georg Schünemann an die Akade-
73 Gemeint ist das am 1. April 1930 gegründete und der Akademie für Kirchen- und Schulmusik unterstellte Seminar für Volks- und Jugendmusikpflege, das Jöde leitete, vgl. die Ankündigung in der Rubrik „Umschau“, in: Musik und Gesellschaft, Jg. 1(1930/31), Heft 1, Wolfenbüttel/Berlin & Mainz/Leipzig, S. 25. 74 Götsch, Georg: Die Zukunft des Musikheims. Ausbau und Festigung, 16.12.1932, AdJb A228/17.03. 75 Munzinger Online / Personen – Internationales Biographisches Archiv (Hrsg.): Eintrag „Bode, Rudolf “ vom 14. Juli 1975 [Onlinefassung], URL: http://www.munzinger.de/document/00000006824 [24.06.2020]. 76 Zur Günther-Schule und ihrem Lehrprogramm vgl. bspw. Kugler, Michael: Die Günther-Schule als Institution, in: Kugler, Michael (Hrsg.): Elementarer Tanz - elementare Musik. Die Günther-Schule München 1924 bis 1944, Mainz 2002, S. 41–49. 77 Vgl. Fotografie Karl Orff mit Besuchern, Fotograf unbekannt, 1931, AdJb N62/344.
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
Abbildung 34 Tanzaufführung während eines Besuchs der Günther-Schule München, 1931, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/343. Eine Gruppe junger Tänzerinnen steht in Formation in der Aula des Musikheims in Frankfurt Oder, auf den Sitzstufen sitzen Zuschauerinnen und Zuschauer.
mische Hochschule für Musik schicken. Bezeichnend ist die kurze Notiz, die sich auf der beiliegenden Postkarte findet: Mit gleicher Post übersenden wir Ihnen als Drucksache einige Prospekte der Güntherschule/München. Herr Götsch wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie in Ihrem Schülerund sonstigen Einflusskreise geeignete Menschen auf die Kurse hinweisen würden, für die er sich, nachdem er die Güntherschule an Ort und Stelle kennen gelernt hat, nachdrücklich werbend einsetzen kann.78
Es folgen die Prospekte für Ferienkurse im Sommer 1931 für Gymnastik, Rhythmik, Bewegungschor, Tanz-Musik, Vorträge und Diskussionen für Lehrkräfte, Pädagogen, Tänzer und Laien. Für die Institutionen der Kestenbergreform waren die Zeitumstände denkbar ungünstig und so auch für das Musikheim in Frankfurt an der Oder: Im Jahr seiner Einweihung 1929 brach erneut eine Wirtschaftskrise über die Welt hinein, die sich sowohl auf die Privatwirtschaft als auch auf den deutschen Staat auswirkte. Aus diesem Grund hatten Kommunen, Länder und das Reich finanzielle Probleme zu lösen. Die Finanzierung des Musikheims fußte zu einem großen Teil auf der Beteiligung der Stadt Frankfurt, doch diese konnte sich die Unterhaltung schon Anfang der 1930er Jahre nicht mehr leisten. Bereits während Mosers Besuch im Juni 1930 sprach der Lehrköper wirtschaftliche Probleme an: Die bestellte Orgel könne nicht bezahlt werden und auch andere Instrumente fehlten. Zudem sei der Lehrkörper durch betriebliche und Verwaltungsarbeiten an seiner eigentlichen Aufgabe gehindert, da nur drei Stellen für den Betrieb des Heims bezahlt wurden. Die Stadt Frankfurt an der Oder hatte eine vierte Stelle in Aussicht gestellt, welche jedoch nicht eingerichtet wurde. Es fehlte an Küchenausstattung und auch sonst sei das Musikheim nicht vollständig fertig gestellt worden, was die Funktionalität einschränke. Klar wird auch, dass das die Stadt Frankfurt der Vereinbarung ge-
78 Karte und Prospektbeilage vom Musikheim Frankfurt an der Oder an Direktor Schünemann, UdK-Archiv 1/60.
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mäß leisten müsste, es aber nicht tat. Moser bittet im Nachgang zu seinem Besuch den Minister darum, auf die Stadt Frankfurt an der Oder einzuwirken, um eine Besserung dieser Situation zu erreichen.79 Ein Jahr später zeigt sich, dass die Stadt Frankfurt an der Oder selbst in wirtschaftlicher Not war und an allen Ecken und Enden sparen musste. Oberbürgermeister Hugo Kinne wandte sich im August 1931 in einem Notschreiben direkt an Professor Moser. Er schilderte die finanzielle Lage des Musikheims, die sich sowohl für das Personal als auch für den Betrieb des Hauses als schwierig erwies. Es gab nur wenige Festangestellte am Musikheim, die für die inhaltliche Ausgestaltung zuständig waren. Neben Georg Götsch waren dies zu Beginn Karl Gofferje und Waldemar Woehl, der jedoch frühzeitig wieder ausschied und an dessen Stelle Eduard Meier-Mentzel hinzukam. 1931 trat Klaus Borries nach dem Weggang Gofferjes hinzu. Als auch Meier-Menzel das Musikheim verließ, wurde Kurt Sydow fest angestellt. Zusätzlich zu diesen Hauptamtlichen arbeiteten viele Personen aus der Bewegung ehrenamtlich an Lehrgängen mit.80 Überdies waren ein Hausmeister, eine Hauswirtschaftlerin und eine Sekretärin am Musikheim tätig. Die Stadt, so Kinne, könne den Betrieb des Heims nicht leisten und es fehlten jährlich 25.000 Mark. Kinne wandte sich an Moser in der Hoffnung, dass er sich für eine Finanzierung durch das Kultusministerium einsetzen würde. Dieser schickte der Bitte des Oberbürgermeisters Kinne folgend eine eigene Einschätzung samt dem Bittbrief des Frankfurter Oberbürgermeisters an Ministerialrat Kestenberg.81 In dieser Korrespondenz zeigt sich die finanzielle Misere, die sich immer deutlicher zuspitzte und gegen welche auf verschiedene Weisen angegangen wurde. Eine Strategie war es, die Auslastung des Musikheims zu erhöhen. Staatliche Lehrgänge und gelegentliche Arbeitslager der bündischen Jugend scheinen für eine sichere Wirtschaftslage nicht ausgereicht zu haben. Darum versuchte auch Direktor Moser neue Nutzerinnen- und Nutzergruppen zu finden.82 Eine andere Strategie des Personals, mit der wirtschaftlichen Unsicherheit umzugehen, zeigt sich ebenfalls im Jahr 1931: Moser hatte sich für Karl Gofferjes Berufung an das reformpädagogische Landerziehungs-
79 Vgl. Bericht über den dritten Lehrgang von Hans Joachim Moser, Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 12. Juni 1930, UdK-Archiv 2/10. 80 Vgl. Bitterhof, Das Musikheim Frankfurt, Oder, S. 88–89; Götsch, Georg: Konzeptpapier des Musikheims, 1928/1929, AdJb N62/113. 81 Vgl. Brief von Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt an der Oder Hugo Kinne an den Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Hans Joachim Moser vom 21. August 1931, UdK-Archiv 2/10; Brief vom Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Hans Joachim Moser an den Ministerialrat Leo Kestenberg vom 26. August 1931, UdK-Archiv 2/10; Brief vom Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Hans Joachim Moser an Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt an der Oder Hugo Kinne vom 26. August 1931, UdK-Archiv 2/10; Götsch, Georg: Konzeptpapier des Musikheims, 1928/1929, AdJb N62/113. 82 Vgl. Durchschlag des Briefs von Hans Joachim Moser an Ludwig Kelbetz vom 29. Januar 1932, UdK-Archiv 2/10.
Personale Netzwerke und Orte des Ideentransfers
heim in Haubinda eingesetzt, wodurch die Personalkosten am Musikheim reduziert werden konnten. Auch Eduard Meier-Menzel versuchte über Moser eine neue Anstellung abseits des Musikheims zu bekommen.83 Die letzte und am Ende verfolgte Strategie war es, das Musikheim organisatorisch anders aufzustellen als bislang, was in die Gleichschaltung mündete. Im Sommer 1933 wurden bereits Vertragsentwürfe kursiert und schließlich im Frühjahr 1934 Vereinbarungen getroffen. Alle Zahlungen sollten nunmehr über die bereits 1929 gegründete Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V. erfolgen, die als Pächterin des Gebäudes fungierte und in der der Kultusminister Vorstandsmitglied sein sollte.84 Die Stadt Frankfurt an der Oder sollte als Besitzerin des Hauses und Verpächterin auftreten und die Kosten für Hausmeisterdienst bis 3.000 Reichsmark, für Kohle, Strom, Wasser und Gas tragen. Das Kultusministerium gestattete einen Staatszuschuss von jährlich 20.000 Reichsmark in monatlichen Raten von 1.666,67 Reichsmark, die Stadt wurde auf eine zusätzliche Beihilfe-Zahlung von 15.000 Reichsmark jährlich verpflichtet. Alle Zuschüsse wurden auf dem Konto der Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V. vereint, die die Gehälter trug – Hausdame und Sekretärin sollten jedoch gekündigt werden. Der Lehrkörper musste wie zuvor bereits für die Staatsbeteiligung offiziell sechs Monate im Jahr für Schulungen oder Ähnliches dem Ministerium unterstellt werden. Auch der neu gegründete Reichsbund Volkstum und Heimat (RVH), der bereits in Kapitel 4.2.4 als Herausgeber der 1933 zusammengeführten Zeitschrift „Musik und Volk“ thematisiert wurde, sollte einen Teil der Veranstaltungen beeinflussen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestimmen. Ausgenommen von dieser Regelung waren allein die Monate Mai und Juni, die weiterhin zur freien Gestaltung der Heimleitung zur Verfügung standen. Der Mitbegründer des Reichsbundes Volkstum und Heimat, Werner Haverbeck, sollte ebenfalls in den Vorstand der Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V. eintreten.85 *** Bevor die geschilderte Zentralisierung und Gleichschaltung eintraten, konnte die Jugendbewegung innerhalb der Institutionen wachsen. Es zeigt sich deutlich, dass nicht 83 Vgl. Durchschlag des Briefs von Hans Joachim Moser an Eduard Meier-Menzel vom 18. März 1932, UdKArchiv 2/10. 84 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung betreffend Überführung des Musikheims auf die „Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V.“, Abschrift zu K 2685, UdK-Archiv 2/10; Vertrag zwischen der Stadtgemeinde Frankfurt (Oder), vertreten durch den Magistrat, Verpächterin, und der Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V., vertreten durch den Vorstand, Pächterin vom 30. März 1934, Abschrift zu K 2685, UdK-Archiv 2/10. 85 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung betreffend Überführung des Musikheims auf die „Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V.“, Abschrift zu K 2685, UdK-Archiv 2/10; Vertrag zwischen der Stadtgemeinde Frankfurt (Oder), vertreten durch den Magistrat, Verpächterin, und der Gesellschaft der Freunde des Musikheims e. V., vertreten durch den Vorstand, Pächterin vom 30. März 1934, Abschrift zu K 2685, UdK-Archiv 2/10.
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allein der Markt – die Unternehmen der Jugend(musik)bewegung – seinen Teil zur Durchsetzung der subkulturellen Ideen beigetragen hatte, sondern auch und vor allem die bildungspolitische Agenda und das Netzwerk der jugend(musik)bewegten und bildungspolitischen Akteure eine bedeutende Rolle spielten: Becker, Kestenberg, Jöde, Götsch, die Direktoren der Akademie für Kirchen- und Schulmusik und der Hochschule für Musik aus Berlin. Durch die Träger der Subkultur und ihre Ausdrucksformen entstanden Produkte, denen wiederum durch die personalen Netzwerke und den politischen Willen neue Absatzmärkte erschlossen wurden.
6.
Ergebnisse und Ausblick
Die bürgerliche Jugendbewegung und die Jugendmusikbewegung des frühen 20. Jahrhunderts entfalteten als Phänomen zeitgenössisch als auch in ihrer Folge eine große Wirkung auf die deutsche Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Deutlich wurde dies vor allem in ihrer gelebten Subkultur, die in ihren Publikationen festgehalten und weitergetragen wurde. Dabei waren die Distributoren in Form von jugendbewegten Verlagen Dreh- und Angelpunkt ihrer Fixierung, Kanonisierung und Tradierung. Der Literatur kam dabei eine besondere Bedeutung zu, da sie als das einzige Handelsgut gelten konnte, das allerseits anerkannt und bereits seit Jahrhunderten „kulturellen Wert“ besaß. Durch gesetzliche Regelungen wie die Preisbindung war Literatur ein Handelsgut, dessen Geldwert nicht jederzeit durch Angebot und Nachfrage bestimmt und dem ein inhärenter Wert für die Gesellschaft zugesprochen wurde. Zeitungen und Zeitschriften im Besonderen gaben durch ihre Periodizität und Zielgruppenausrichtung einen Einblick in die gelebte Kultur, da die schriftlichen Aushandlungen über die Praktiken der Bündischen – das Lagern, Wandern und Singen – darin einen großen Anteil ausmachten. Anhand dieses Untersuchungsgegenstandes, den jugend(musik)bewegten Verlagen wurde in der vorliegenden Arbeit die Frage nach dem Zusammenhang von Kultur und Markt untersucht, wie ein Marktgeschehen aus einer (Sub-)Kultur entstand und wie die (Sub-)Kultur das Marktgeschehen beeinflusste. Hierfür wurde zunächst „Kultur“ in Anlehnung an die Erweiterung der Systemtheorie Nicklas Luhmanns durch Dirk Baecker als ein durch Vergleiche mit sich selbst, mit Zukunft und Vergangenheit und mit der Umgebung und in Kommunikation bestehendes Gedächtnis eines sich selbsterhaltenden Systems definiert. Um die Wirkung von „Kultur“ auf das Individuum zu reintegrieren und seine Handlungsmöglichkeiten in der historischen Gegenwart nicht aus dem Blick zu verlieren, wurde unter Zuhilfenahme von Pierre Bourdieu die Überlegung der sozialen Rolle der Akteurinnen und Akteure – vor allem der Verleger – einbezogen und damit der Wert, der durch ihr symbolisches Kapital entstand. Untersucht werden konnte so die von Nutzinger und Panther ausgemachte „Kultur“ als in menschlichem Verhalten verkörpert und in Artefakten vergegenständlicht (vgl. Kap. 1.4.1). „Markt“ dagegen sollte in Anlehnung
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Ergebnisse und Ausblick
an die Neue Institutionenökonomik weniger rationell verstanden werden als in der klassischen Ökonomie und somit offen konzeptioniert sein: Der „Markt“ und das Marktgeschehen werden durch umgebende formelle und informelle Institutionen beeinflusst (vgl. Kap. 1.4.2). Diese Institutionen wurden in Kapitel 2 auf drei Ebenen, den gesellschaftlichen Alltagspraktiken, den finanziellen und den rechtlichen Voraussetzungen, im Untersuchungszeitraum betrachtet, um auf die einzelnen Beispielunternehmen vorzubereiten. Aus diesen theoretischen Vorannahmen wurde ein Schema des „bündischen Kulturmarktes“ erstellt, das in idealisierter Weise die bündische Subkultur, die das Marktgeschehen auslöste, ins Zentrum stellte und Nachfrage, Angebote und andere Teilmärkte sowie umgebende Systeme und formelle und informelle Institutionen um diese herum anordnete. Vor diesem Hintergrund konnten die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung verschiedener „Kulturmarktunternehmen“ aus der deutschen Jugendbewegung heraus beitrugen, betrachtet werden. Wegen der besonders herausragenden Quellenlage erfuhr der Verlag Der Weiße Ritter (später Ludwig Voggenreiter Verlag) besondere Aufmerksamkeit. Anhand der Untersuchung der durch ihn verlegten Zeitschriften und Bücher, der erhaltenen Verlagsverträge und Korrespondenzen konnte gezeigt werden, dass die Zuhilfenahme des Marktes – die Etablierung einer Zeitschrift und eines Verlages – für die Akteure zunächst ein Vehikel darstellte, ihre Ideen, ihre Alltagspraktiken und damit das, was ihre Subkultur ausmachte, festzuhalten und zu verbreiten. Auch bis in die frühen 1930er Jahre hinein blieb dieser Bezug zur Subkultur erhalten – kulturell beispielsweise in der Ausgestaltung des Verlagsprogramms (vgl. Kap. 3.3.1), aber auch finanziell etwa durch das Erbitten von Spenden und Treue der Abonnentinnen und Abonnenten während wirtschaftlicher Schwierigkeiten (vgl. Kap. 3.3.3). Mit dem Vergleich der Ergebnisse aus der Untersuchung des Verlages Der Weiße Ritter mit zeitgleich entstandenen Verlagsunternehmen wurde belegt, dass der Verlag Der Weiße Ritter kein Einzelfall war und die Subkultur der Bündischen tatsächlich ein außerordentliches Bedürfnis nach kulturellen Produkten entwickelte. Unter den aus den Ergebnissen von Kapitel 3 abgeleiteten Thesen „Aus der ‚bündischen Subkultur‘ entsprungen“ (vgl. Kap. 4.1), „Anpassung des Verlagsprofils an die ‚bündische Subkultur‘“ (vgl. Kap. 4.2) und „Verkauf des kulturellen Produkts an die ‚bündische Subkultur‘“ (vgl. Kap. 4.3) wurde der in sich geschlossene Teilmarkt anhand der Verlage Julius Zwißler (später Georg Kallmeyer), Das junge Volk (später Günther Wolff) und Bärenreiter untersucht und die spezifischen kulturellen Werte der Produkte bestätigt. Darüber hinaus wurde in Kapitel 5 der „Verbreitung der bündischen Kulturgüter in Schule und Gesellschaft“ nachgegangen, wodurch sich die Verschränkung von „bündischer Subkultur“, Verlagsgründungen, pädagogischer Erneuerung und der damit verbundenen Bildungspolitik offenlegten (vgl. Kap. 5). Über alle Kapitel hinweg lassen sich fünf zentrale Ergebnisse formulieren, welche die Verbindung von den einzelnen Aspekten „Kulturmarkt“, bündische Jugend, Verlagsgeschichte und Bildungspolitik aufzeigen.
Ergebnisse und Ausblick
1.
Entstehung des „bündischen Kulturmarktes“
Das Konzept des „bündischen Kulturmarktes“ als forschungsleitende Annahme hat die Bedeutung der Subkultur in ihrer realen Form der „bündischen Kultur“ erkennbar werden lassen. Dabei wurde angenommen, dass diese „bündische Kultur“ in „menschlichem Verhalten“, also den Praktiken des Lagerns, Wanderns und Singens, offen zutage trat und sich „in Artefakten vergegenständlichte“ und damit kulturelle Gegenstände und vor allem handelbares Kulturgut hervorbrachte.1 Besonders deutlich konnte anhand der Akten des Verlages Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter gezeigt werden, dass die Subkultur der bündischen Jugend, in diesem Fall des Bundes der Neupfadfinder, deutlichen Einfluss auf die Entstehung und die Programmgestaltung des Verlages hatte – speziell auf die verlagseigenen Zeitschriften. Eine der tragenden Persönlichkeiten der Reformbewegung innerhalb des Deutschen Pfadfinderbundes, Franz Ludwig Habbel, gründete zunächst die Zeitschrift „Der Aufbau“, die diese Ziele verbreiten und einer größeren Zielgruppe verfügbar machen sollte. Von Beginn an verfasste auch Ludwig Voggenreiter, ebenfalls Vertreter der Erneuerungsbewegung im Deutschen Pfadfinderbund, Artikel für diese Zeitschrift. Um ihren Einfluss auszuweiten, gründeten Habbel und Voggenreiter ein Jahr später 1919 gemeinsam den Verlag Der Weiße Ritter, in dem weitere Zeitschriften und andere Publikationen mit Inhalten wie Lagerbau und Philosophie, Belletristik und Pfadfindergeschichten erschienen. Ähnliche Gründungsgeschichten finden sich bei den Verlagen Das junge Volk und Bärenreiter. Günther Wolff hatte ebenfalls mit einer Zeitschrift, „Das junge Volk“ (bzw. zuvor „Sächsische Jugendzeitung“), seine verlegerische Tätigkeit begonnen und darauf aufbauend seinen Verlag begründet, gleiches gilt auch für Karl Vötterle und den Bärenreiter Verlag: Seine erste Zeitschrift war 1923 „Die Finkensteiner Blätter“. Alle drei Verlage wurden erst mit Erreichen der Volljährigkeit der bestimmenden Akteure gegründet: Voggenreiter wurde 1919 21 Jahre alt (Habbel war jedoch vier Jahre älter), Wolff erreichte 1922 seine Volljährigkeit und Vötterle 1924. Sie waren damit im wahrsten Sinne des Wortes Jungunternehmer. Alle drei konnten ihre Zeitschriften nur deshalb einem Absatzmarkt zuführen, da sie erstens selbst in der Jugendbewegung aktiv waren und somit über ein ausgezeichnetes und weitgespanntes Netzwerk verfügten und zweitens nach dem Ersten Weltkrieg in den Jugendverbänden diverse Reformbewegungen entstanden waren, deren Bedürfnis nach kommunikativem Austausch sie erfüllten. Dieses Netzwerk begünstigte die jungen Unternehmen insofern überdurchschnittlich, als dass das Interesse an jugendbewegten und subkulturellen Printprodukten besonders groß war. Nicht zuletzt, da auch die aktive Anteilnahme durch das Verfassen von eigenen Artikeln den Austausch der Gruppen förderte.
1 Nutzinger/Panther, Homo oeconomicus vs. homo culturalis: Kultur als Herausforderung der Ökonomik, S. 289.
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Ergebnisse und Ausblick
Durch diese aktive Teilnahme konnten emotionale Verbundenheit und damit gemeinschaftliche Werte erzeugt werden, die den Produkten einen völlig anderen Tauschwert gaben als den rein monetären Wert anderer, nicht derart in einer Subkultur verhafteter, Zeitschriften. Georg Kallmeyer fiel mit dem durch ihn geführten Julius Zwißler Verlag insofern aus dieser Logik heraus, als dass dieser Verlag nicht neu gegründet wurde und Kallmeyer deutlich älter war als die Gründer der jugendbewegten Verlage – Kallmeyer war 1918 bereits 40 Jahre alt, die anderen zwischen 15 (Vötterle) und 24 (Habbel). Ihre Lebens- und Berufserfahrungen waren deutlich verschiedene: Kallmeyer hatte sich bereits eine Existenz aufbauen können, Voggenreiter, Habbel, Wolff und Vötterle taten dies durch ihre Verlagsgründungen, die eher durch learning-by-doing geprägt waren als durch klassische Berufsausbildungen. Dennoch kann auch bei Kallmeyer eine Art Neuanfang festgestellt werden, da er das Verlagsprogramm von Regional- und Kriegsliteratur zugunsten der musikalischen Erneuerung umstellte und damit der Jugendmusikbewegung und im Speziellen Fritz Jöde und seinen Schülern den Weg bereitete. Der „Bündische Kulturmarkt“ entstand durch die Subkultur, die „bündische Kultur“, die als Gedächtnis der bündischen Gruppen ihre Werte, Rituale und Handlungen fixierte und leitete. 2.
Ausrichtung an der Subkultur
Deutlich zeigten sich der Einfluss und die Bedeutung der „bündischen Kultur“ für das betrachtete Marktgeschehen auch in der Anfangsphase der ersten fünf bis zehn Jahre der Verlage – informelle Institutionen waren hierbei wirksam. Ihr Programm richtete sich deutlich an der Zielgruppe der bündischen Jugend beziehungsweise einzelner Gruppen aus. Ihre Zeitschriften waren meist zunächst für eine spezielle Gruppe konzipiert gewesen und weiteten ihren Einflussbereich mit der Zeit aus – teils ging das einher mit der Umbenennung und Umgestaltung der Zeitschrift selbst. Die Zeitschrift „Der Weiße Ritter“, die im ersten Jahrgang noch „Der Aufbau“ hieß und sich mit der Reform im Deutschen Pfadfinderbund beschäftigte, folgte ab dem zweiten Jahrgang den Idealen des Bundes der Neupfadfinder und im Besonderen seinen vom Bundesführer Martin Voelkel angeregten Vorstellungen von einem Hochbund, in welchem sich die deutschen Jugendbünde zusammenschließen sollten. So thematisierten die Artikel im „Weißen Ritter“ die Etappen und Diskussionen auf dem Weg zum Zusammenschluss: 1925 der Großdeutsche Pfadfinderbund, 1926 der Bund der Wandervögel und Pfadfinder, 1927 die Deutsche Freischar. Schließlich folgte die wichtigste Zeitschrift des Verlages dieser strukturellen Veränderung innerhalb der Jugendbewegung und wurde 1928 von „Der Weiße Ritter“ in „Deutsche Freischar. Rundbrief der Bundesführung“ umbenannt. Damit erweiterte sich der Leserinnen- und Leserkreis und die Auflagenstärke stieg. Gleiches lässt sich auch bei der Zeitschrift
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für Jüngere aus dem Verlag Der Weiße Ritter beobachten: „Die Spur in ein deutsches Jugendland“ wurde zunächst 1926 zu „Die Spur: Jungenzeitschrift des Bundes der Wandervögel und Pfadfinder“ und 1929 zu den „Briefen an die deutsche Jungenschaft“, kurzzeitig zu „Die Gefolgschaft“, zu „Die Jungenschaft“ und wieder zu „Spur. Zeitschrift des deutschen Jungen“. Die Uneinigkeit der Gruppen durch die Bedeutung ihrer bundeseigenen Praktiken und Regelungen und der gleichzeitige Wille, sich zusammenzuschließen und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und dies auch in einem gemeinsamen Presseorgan abzubilden, sprechen aus diesen vielfachen Namensänderungen. Da die jeweils neu benannte Zeitschrift nahezu gleichen Inhalts den Abonnentinnen und Abonnenten der jeweils vorausgegangenen weitergeliefert wurde und damit als Ersatz wahrgenommen wurde, entstand dem Verlag durch die vielfachen Titeländerungen kein wirtschaftlicher Schaden. Dem Handel mit den Zeitschriften tat dies also keinen Abbruch. Auch in den Buchveröffentlichungen zeigte sich diese klare Zielgruppenausrichtung: Der Verlag Der Weiße Ritter hatte Anfang der 1920er Jahre beispielsweise Reihen wie die „Bücher der Waldverwandschaft“ verlegt. Zu Beginn der 1930er Jahre nahmen sie viele Werke Martin Luserkes und damit viele Laienspiele auf. Durchgehend waren Publikationen zu Pfadfinderpraktiken und -geschichte aktuell wie beispielsweise Habbels Zusammenstellung pfadfinderischer Gruppen weltweit „Die Weltpfadfinderbewegung“ von 1921, der Praxisratgeber „Das deutsche Lagerhandbuch“ in drei Bänden von Walther Riem von 1926 und 1927 oder die Neuauflage der „Rache des Herero“ des für die Pfadfinderbewegung als bedeutend empfundenen Maximilian Bayer von 1931 belegen. Kallmeyer und Vötterle schlugen eine andere Richtung ein und widmeten sich der Jugendmusikbewegung, jeweils mit dem Augenmerk auf einer der Leitfiguren der Bewegung: Fritz Jöde und Walther Hensel. Beide veröffentlichten auch Werke klassischer sowie zeitgenössischer Komponisten, übernahmen aber auch Lehrmaterial und Zeitschriften für musikalische Lehreinrichtungen und vor allem für autonome Musiziergruppen. Ohne die stetige Nachfrage und die Kaufkraft der bündischen Kreise, egal ob Jugendbünde oder Jugendmusikbewegung, hätten die bündischen (Musik-)Verlage nicht bestehen können. Diese Nachfrage wurde durch die subkulturellen Phänomene geschaffen: Die „bündische Kultur“ zeigte und bestätigte sich durch die Praktiken des Wanderns, Lagerns und Singens, die einen Austausch über diese Praktiken förderten und spezielle Produkte zum Ausüben dieser Praktiken benötigten. Dabei war stets die Aushandlung zwischen vielen kleinen bundesinternen gegenüber auflagenstärkeren überbündischen Publikationen präsent und änderte sich über die Zeit des Bestehens der Verlage.
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3.
Bewältigungsstrategien finanzieller Herausforderungen
Die Unternehmen, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden, sahen sich besonderen Herausforderungen gegenübergestellt: Die unsichere politische Lage, eine Demokratie, die sich erst etablieren musste, aber auch die finanzielle Unsicherheit, die durch die Reparationszahlungen in Folge des Krieges und die darauffolgende Inflation entstand genauso wie später durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Die formellen Institutionen, die auf die bestehenden und sich neu etablierenden Unternehmen wirkten, änderten sich. Gesetze wurden verhandelt und Tariflöhne diskutiert und für Teile der arbeitenden Bevölkerung festgelegt. Schon unter gewöhnlichen Umständen forderte die Finanzierung von Verlagsprodukten ein geschicktes und überlegtes Vorgehen von den Verlegern. Auffällig sind einige wichtige Ähnlichkeiten der untersuchten Verlage in den genutzten Strategien. Neben der Herausgabe einer ersten Zeitschrift führten sowohl Der Weiße Ritter Verlag als auch der Bärenreiter Verlag und der Verlag Das junge Volk eine Buchhandlung selben Namens – in den verlagseigenen Zeitschriften wurden Rezensionen von und Werbung für verschiedene Bücher aufgenommen, die zielgruppenspezifisch für das Lesepublikum von Interesse schienen. Gleichzeitig fand sich der Hinweis, dass diese Werke über die an den Verlag angeschlossene Buchhandlung zu erwerben seien. Dieses Vorgehen sicherte den jungen Unternehmensgründern die Einnahmen, die sie durch den Buchhandelsrabatt von 30–40 % des Nettoladenpreises verbuchen konnten. Selbst wenn die Bestellungen kein besonders großes Ausmaß hatten, waren hierdurch erste Gewinne zu erwirtschaften, die für die weitere Arbeit des Verlagsaufbaus notwendig waren. Den Buchhandelsrabatt nutzten die Verlage, vor allem in der Zeit der Inflation 1922 und 1923, auch andersherum: Sie baten ihre Leserinnen und Leser die Verlagsveröffentlichungen und vor allem die Zeitschriften direkt beim Verlag zu bestellen und nicht über den Buchhandel oder die Post. So konnte sichergestellt werden, dass die Verlage den Anteil, den der Buchhandel normalerweise zugesprochen bekam, selbst als Gewinn verbuchen konnten. Dies führte allerdings zu dem Problem, dass viele Buchhandlungen ebenfalls an Wirtschaftskraft verloren und teilweise ihre offenen Rechnungen beispielsweise bei Bestellungen auf Kommission den Verlagen gegenüber nicht mehr begleichen konnten. Eine andere Gemeinsamkeit ist die Nutzung von Werbung als Finanzierungsoption. Werbung hatte verschiedene Vorteile: Durch die Werbung konnten neue Kundinnen und Kunden geworben oder direkte Einnahmen durch den Verkauf von Anzeigeplätzen generiert werden. Genutzt wurden zur Werbung für eigene Produkte Werbeanzeigen in eigenen Zeitschriften, Anzeigen in fremden Zeitschriften, Rezensionen, Dedikationsexemplare, einzelne Probehefte von Zeitschriften, Beilagen und Warenlisten. Die finanziellen Ausgaben für die verschiedenen Werbemaßnahmen waren dabei unterschiedlich: Setzten sich die Kosten für Werbeanzeigen für ein Produkt aus dem eigenen Haus lediglich aus den Herstellungskosten des Drucksatzes und den Material-
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preisen zusammen, so war das Schalten von Werbeanzeigen in fremden Zeitschriften durch die Gewinnabsicht des dahinterstehenden Verlages deutlich teurer. Aus diesem Grund finden sich in den untersuchten Zeitschriften relativ gesehen viele Anzeigen für den jeweils eigenen Verlag. Je länger eine Zeitschrift erschien, desto mehr konnte sie sich bei ihren Leserinnen und Lesern etablieren und die Auflage steigern, was vermehrt zu Anzeigen anderer Verlage (oder sonstiger Unternehmen wie Instrumentenbauern oder Ausrüstern) führte. Für die Finanzierung einer Zeitschrift konnten Werbeanzeigen einen bedeutenden Anteil haben, denn das Produkt Zeitschrift konnte gerade wegen seiner Periodizität und Zeitgebundenheit bestens „zweimal“ verkauft werden – an die Leserinnen und Leser einerseits und an die Anzeigenkundinnen und -kunden andererseits.2 Die Preise, die für Werbeanzeigen aufgerufen wurden, führten in der Summe dazu, dass beispielsweise bei der Zeitschrift „Die Laute“ 1920 ein Drittel bis zur Hälfte der reinen Gewinne eines Hefts durch die Werbeanzeigen generiert wurden. Eine Besonderheit bei der von Günther Wolff verlegten Zeitschrift „Das junge Volk“ war die explizite Bevorzugung der jugendbewegten Unternehmen, denen vergünstigte Anzeigenbedingungen angeboten wurden. Was sich ebenfalls bei allen Zeitschriften der jugendbewegten Verlage findet, ist der Aufruf, für die Zeitschrift zu werben und zusätzlich Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen. Die Steigerung der Leserinnen und Leser und insbesondere der Abonnentinnen und Abonnenten wirkte sich positiv auf die Unternehmen aus, weil durch eine möglichst hohe Anzahl an sicheren Abnehmerinnen und Abnehmern die first copy costs auf eine höhere Anzahl an Exemplaren verteilt werden konnten und so die Kosten pro Exemplar bei gleichen Bezugspreisen geringer wurden – was zu höheren Gewinnen führte. Auch konnten so Infrastruktur- und Investitionskosten eingespart werden: Die Investitionen einer Schreibmaschine für Büroarbeiten lohnte sich mehr, je mehr sie genutzt wurde – zehn Auftragsbestätigungen konnten darauf genauso getippt werden wie eine einzige. Unterschiede, die sich auch auf die Finanzierung niederschlugen, zeigten sich vor allem im Vergleich vom Verlag Der Weiße Ritter und dem Bärenreiter Verlag. Sie hatten deutlich andere Zielgruppen: Der Weiße Ritter adressierte die Jugendbewegung und vor allem die der Erneuerungsbewegung im Deutschen Pfadfinderbund und dem Bund der Neupfadfinder nahestehenden Personen innerhalb Deutschlands. Der Bärenreiter Verlag dagegen richtete sich an die Jugendmusikbewegung und im Speziellen an den Finkensteiner Bund um die Person Walther Hensels, die auch und vor allem zu Beginn außerhalb Deutschlands aktiv waren. Daraus ergab sich allein schon ein Unterschied in der Gruppe der Käuferinnen und Käufer: Die Jugendmusikbewegten waren häufig bereits berufstätige und etwas ältere Personen als die jugendbewegten Neupfadfinder. Die Zielgruppe der Jugendmusikbewegungszeitschriften – „Die Laute“ /
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Vgl. Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, hier v. a. S. 115–140.
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„Die Musikantengilde“, „Die Singgemeinde“, „Finkensteiner Blätter“ – war eine andere als die der reinen Jugendbewegungszeitschriften – „Der Weiße Ritter“, „Die Spur“, „Das junge Volk“. Das wirkte sich unter anderem auf die geschalteten Werbeanzeigen aus. Plakativ formuliert: Instrumente in „Die Laute“ oder „Die Singgemeinde“ versus Zeltbahnen und Wanderschuhe in „Der Weiße Ritter“ oder „Das junge Volk“. Auch war die Verbindung in das deutschsprachige Ausland, die bei Vötterle deutlicher ausgeprägt war als bei Voggenreiter, ein Vorteil in der Zeit der Inflation, da die Geldentwertung in Deutschland durch die Bezüge aus Österreich oder der Tschechoslowakei und deren stabilere Währung eine willkommene Sicherheit boten. Dieser Strategie bediente sich auch Günther Wolff, der seiner Kundschaft außerhalb Deutschlands aus Dankbarkeit nach der überstandenen Inflation die Zeitschrift „Das junge Volk“ bis auf weiteres kostenfrei lieferte. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich zudem in der Gestaltung der Zeitschriften: Die meisten Veränderungen in Format und Umfang hatte über den Untersuchungszeitraum hinweg die Zeitschrift „Das junge Volk“ erlebt. Aber auch „Der Weiße Ritter“ war vor allem im Umfang unbeständig: Habbel und Voggenreiter wählten daher den Weg, den „Weißen Ritter“ zur „Zeitlosschrift“ zu erheben und die terminierte und im Umfang gleichmäßige Erscheinungsform aufzulösen. Dagegen erschienen sowohl die „Finkensteiner Blätter“ als auch „Die Singgemeinde“ aus dem Bärenreiter Verlag von Beginn bis zum Ende ihres Erscheinens in der gleichen Form: Dies spricht für die überlegte Konzeption Vötterles: Er entschied sich bereits zu Beginn für eine hohe Papierqualität, für die Beauftragung von verschiedenen Firmen für den Notendruck und den Textdruck und für einen höheren und infolgedessen auskömmlicheren Preis. Dies zeigte sich im Besonderen in den finanziellen Krisenzeiten, bei der Erhöhung von Tariflöhnen für Buchhandelsgehilfen oder Druckereiangestellte, bei Preissteigerungen für Materialien wie Papier oder für Dienstleitungen wie Postgebühren oder bei Wertverlusten durch die Hyperinflation 1923. Die Kalkulation bei Voggenreiter war deutlich enger gerechnet als bei Bärenreiter, was dazu führte, dass Voggenreiter regelmäßig – vor allem zu Beginn – um Spenden aus „der Bewegung“ bitten musste. Habbel und Voggenreiter etablierten sogar ein Kreditsystem für den Aufbau ihres Verlages: unverzinste Darlehen konnten ab 1920 für die Dauer eines Jahres an den Verlag vergeben werden, deren Verwendung allein der Herstellung der Zeitschrift dienen sollte. Zwar warb auch Bärenreiter zu Beginn „in der Bewegung“, unter den Finkensteinern, um Unterstützung, doch war er mit seinem Verlag deutlich früher wirtschaftlich unabhängig und war nicht weiter auf finanzielle Bezuschussung angewiesen. Da das Einwerben von Spenden beim Verlag Der Weiße Ritter und auch beim Bärenreiter Verlag erfolgreich war, konnte erneut die besondere Bedeutung der „bündischen Kultur“ für diese Unternehmensgründung belegt werden. Vermutlich war der Faktor, dass Vötterle erst zum Ende der Inflation im Herbst 1923 seine erste Verlagsveröffentlichung erarbeitet hatte, wohingegen die drei anderen Verlage bereits einige Jahre bestanden, auch für die wirtschaftliche Solidität des Bärenreiter Verlags mitverantwortlich.
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Der „bündische Kulturmarkt“ hatte sich ab Mitte der 1920er Jahre fest in der Verlagslandschaft etabliert. Es existierten Unternehmen, die für eine Subkultur Produkte herstellten und sie in dieser Subkultur absetzen konnten. Ihre gehandelten Gegenstände waren Zeitschriften, Liederbücher und weitere Publikationen und Waren. Sie wurden gegen Werte getauscht – monetäre, ideelle und symbolische, also Geld, Zugehörigkeitsgefühle zu einer Gruppenidentität und ähnliches. 4.
Gesellschaftliche Wirkung durch den „Kulturmarkt“
Mit dem Ende der 1920er Jahre hatte sich die Jugendbewegung bereits in vielerlei Hinsicht fixiert und ihre Formen der Organisation gefunden – auch die Verlage hatten feste Zielgruppen, deren Ausweitung durch die Erweiterung des Verlagsprogramms, aber auch durch organisatorische Veränderungen der bündischen Jugend wie dem Zusammenschluss in der Deutschen Freischar angestrebt wurden. Sie waren durch ihre Praktiken des Singens, Wanderns und Lagerns subkutan in die Gesellschaft eingedrungen. Die Jugendmusikbewegung als darauf aufbauendes beziehungsweise damit verwobenes Phänomen erreichte durch ihren pädagogischen Ansatz weitere Kreise und konnte sich im Kultusministerium, in den Schulen und der Lehrerinnen- und Lehrerausund -weiterbildung durchsetzen. Vor allem Kallmeyer hatte mit Fritz Jöde und Georg Götsch Autoren im Programm, die in den 1920er Jahren einflussreiche Lehrpositionen an der staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, der Hochschule für Musik in Berlin und dem Musikheim Frankfurt an der Oder erhielten, wodurch der Absatz ihrer bei Kallmeyer verlegten Produkte ausgeweitet werden konnte – ein wirtschaftlicher Gewinn für den Verlag und die Autorinnen und Autoren erstens, ein bildungspolitischer Gewinn für die Akteure im Kultusministerium zweitens und ein musikpädagogischer Gewinn für die Bildungsinstitutionen und ihre Schülerinnen und Schüler drittens. In den 1920er Jahren konnten alle untersuchten Verlage ihre Umsätze steigern und die Auflagenzahlen ihrer Zeitschriften und weiteren Publikationen erhöhen – ob der Voggenreiter Verlag mit Praxishandbüchern zum Lagerbau und Jugendromanen oder der Bärenreiter Verlag mit musikalischen und musikwissenschaftlichen Werken. Allerdings zeichneten sich erneut finanzielle Schwierigkeiten bei den Unternehmen ab, denn die Weltwirtschaftskrise in Folge des New Yorker Bankencrashs wirkte sich auch auf die deutsche Wirtschaft aus. Sowohl die untersuchten Verlage als auch die staatlichen und städtischen Institutionen hatten finanzielle Probleme zu lösen. Besonders Anfang der 1930er Jahre finden sich vermehrt Hinweise auf Maßnahmen gegen die geschrumpften Finanzmittel beziehungsweise gegen Liquiditätsprobleme. Diese finanzielle Not Anfang der 1930er Jahre entfernte Voggenreiter von den bündischen Kleinstveröffentlichungen, die er zuvor jederzeit gern für „die Bewegung“ in seinen Verlag übernahm, selbst wenn sie kaum oder keine Gewinne versprachen. Der Ludwig
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Voggenreiter Verlag, vormals Der Weiße Ritter Verlag, setzte nun auf auflagenstärkere Werke – sowohl Literatur als auch Praxisratgeber. Infolge dieser Programmänderung und dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung, die vor allem in ihren Jugendorganisationen dieselben Praktiken wie die bündische Jugend übte und somit teilweise dieselbe Literatur nutzte, erlebte auch der Ludwig Voggenreiter Verlag einen wirtschaftlichen Aufschwung und ließ sich nach und nach für den Nationalsozialismus vereinnahmen. Aus welchen Gründen – Angst vor wirtschaftlichem Ruin und politischer Verfolgung oder partieller Befürwortung – darüber kann und soll an dieser Stelle nicht beschieden werden. Eine Melange verschiedener Beweggründe scheint die plausibelste Interpretation zu sein. Die formellen und informellen Institutionen änderten sich durch den Regierungswechsel 1933, aus einem freien Markt und dem dadurch bestehenden „bündischen Kulturmarkt“ wurde eine rigide Kulturpolitik, die sich den Markt zunutze machte und ihn in ihre Dienste stellte.3 Da die autonomen Jugendbünde im Juni 1933 verboten wurden und als einzige Staatsjugend die Hitlerjugend beziehungsweise der Bund deutscher Mädel fixiert wurden, hatten sowohl der Ludwig Voggenreiter Verlag als auch der Günther Wolff Verlag, vormals Verlag Das junge Volk, als bedeutendste Verlage der bündischen Jugend Repressionen durch den Nationalsozialismus zu erwarten. Aktivitäten in bündischen Gruppen wurden verfolgt und hart bestraft. Dies bekam Günther Wolff zu spüren. Er selbst wurde nicht nur Opfer von Hausdurchsuchungen und mehrfach inhaftiert, 1938 wurde sein Verlag endgültig geschlossen. Auch dem Ludwig Voggenreiter Verlag drohte dieses Schicksal, doch schienen eine Mischung aus Fürsprache aus seinem Netzwerk und Anpassung an das neue Regime das Bestehen gesichert zu haben.4 Der Ludwig Voggenreiter Verlag profitierte von den Repressionen gegen den Günther Wolff Verlag unter anderem dadurch, dass Autoren zu ihm wechselten und ein Konkurrent weniger den Markt bediente. Ein Beispiel hierfür ist der Autor Robert Götz, der zunächst bei Günther Wolff beispielsweise mit seinem Liederbuch „Wir traben in die Weite – Lieder einer deutschen Jungenschaft“ von 1931 vertreten war. Ab 1934 finden sich seine Werke vor allem im Ludwig Voggenreiter Verlag, wie „Wenn wir des Morgens ausmarschieren: Soldaten-, Marsch- und Wanderlieder“ von 1934. Als weniger bündische, denn volksmusikpflegerische Verlage waren sowohl der Georg Kallmeyer Verlag als auch der Bärenreiter Verlag nicht derart von dem politi-
3 Die Bedeutung von Medien für die demokratische Meinungs- und Willensbildung, die damit verbundene Teilhabe und welchen Einfluss das umgebende gesellschaftliche und politische System hat, zeigen Manuel Puppis, Michael Schenk und Brigitte Hofstetter anhand der Analyse Schweizer demokratischer Entscheidungsprozesse, vgl. Puppis, Manuel / Schenk, Michael / Hofstetter, Brigitte (Hrsg.): Medien und Meinungsmacht, Zürich 2017. 4 Vermutungen hierzu sind 1979 von Heinrich Voggenreiter in einem Interview angestellt worden. Vgl. Erinnerungsperspektive, Interview mit Heinrich Voggenreiter, [1979?] geführt von Ernst Voggenreiter und Gispert Haefs, Voggenreiter Archiv, Ordner 5. Zur quellenkritischen Einordnung des Interviews vgl. Kapitel 1.2.
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schen Wechsel betroffen. Ihre Veröffentlichungen waren weniger den autonomen Jugendbünden zugeordnet als vielmehr als eine Pflege der übergreifenden Volkskultur interpretiert worden. Diese Zielsetzung war für den Nationalsozialismus anschlussfähig, was die Verleger nicht zu widerlegen suchten. Ganz im Gegenteil: Kallmeyer als sein Verleger fungierte sogar als Fürsprecher für Fritz Jöde, gegen den der Verdacht des Marxismus-Sympathisanten und Feind des Nationalsozialismus vorgebracht wurde.5 Bei diesen Verlagen kann wie auch bei Voggenreiter von einer Kollaboration mit dem neuen Regime gesprochen werden – sie ließen sich zugunsten des Fortbestehens ihres Lebenswerks, des Verlages, in Dienst nehmen.6 5.
Der „Kulturmarkt“ als Forschungskonzept
Der „bündische Kulturmarkt“ wurde in seinen Voraussetzungen, seiner Entstehung, seinen Ausformungen und seiner Etablierung untersucht. Die grundlegende Konzeption ist für andere Untersuchungsgegenstände an der Schnittstelle zwischen Kultur und Markt offen und somit übertragungsfähig. Möglich macht das die Formulierung einer zentralen Subkultur, der aus dieser hervorgehenden Praktiken, der jeweiligen Nachfrage beziehungsweise den Abnehmern, den Werten (monetäre, ideelle, symbolische und weitere), über die mit dem jeweiligen Kulturmarkt (Teilmarkt) und mit anderen Märkten kommuniziert wird, genauso wie die offen formulierten formellen und informellen Institutionen, die das jeweilige Marktgeschehen rahmen und beeinflussen.7 Andere Subkulturen, so kann zumindest für das 20. Jahrhundert mit der Entwicklung und zunehmenden Verbindung von Konsum und Freizeit angenommen werden, bildeten ebenfalls ihre eigenen Praktiken aus, die zu einer Nachfrage führten, durch deren Produkte beispielsweise Gruppenidentität gestiftet und die Grundideen und Werte dieser Subkultur verbreitet wurden. Auch heute können junge Unternehmen vor der Schablone des „Kulturmarktes“ betrachtet werden, was die Bedeutung der Verbindung von Kultur und Markt zutage treten lässt. Die Werte, die neben monetären Werten bestehen und als Verkaufsargumente nützlich sind, werden somit umso wichtiger. Auch jüngere Unternehmen als
Vgl. Reichsschrifttumskammer/Reichskulturkammer „Jöde, Prof. Fritz; 2.8.87“, BArc R 9361 V 23489. Einen weitsichtigen Artikel stellt Norbert Frei dem von ihm und Tim Schanetzky herausgegebenen Sammelband „Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur“ voran, in dem er die wirtschaftshistorische Debatte um die „Wirtschaft des Nationalsozialismus“ darstellt und dafür wirbt, nicht nur „unternehmerische Eigenlogik“, sondern auch „außerökonomischen Eigensinn“ von Unternehmern in die Erforschung von Unternehmen, die unter anderem während der Zeit des Nationalsozialismus tätig waren, mit einzubeziehen. Vgl. Frei, Norbert: Die Wirtschaft des „Dritten Reiches“. Überlegungen zu einem Perspektivenwechsel, in: Frei, Norbert / Schanetzky, Tim (Hrsg.): Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur, Göttingen 2010, S. 9–24, hier: S. 16. 7 Vgl. Abbildung 2 dieser Arbeit. 5 6
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die jugendbewegten (Musik-)Verlage bedienen sich alternativer Finanzierungsmodelle: Crowdfunding und Crowdinvesting – teilweise sehr ähnliche Strategien zu denen der jugend(musik)bewegten Verlage, die um Spenden baten (Crowdfunding) oder Kredite aus „der Bewegung“ annahmen (Crowdinvesting). Auf heutige Kulturmärkte kann das Konzept des „Kulturmarktes“ womöglich dahingehend angepasst werden, dass vielmehr Ideen-/Überzeugungsmärkte bestehen und somit Alleinstellungsmerkmale (unique selling points) geschaffen werden. Nach der Transformation der Gesellschaft, wie es Andreas Reckwitz ausdrückt, hat sich eine neue Wertschätzung von immateriellen Werten etabliert.8 Diese Werte spiegeln sich auch in Materiellem: Beispielsweise setzen sich genossenschaftliche Energieträger für den Wandel zu erneuerbaren Energien ein. Diese entstanden ebenfalls aus einer an dieser Stelle nicht näher zu definierenden Subkultur. Ihre Produkte – beispielsweise Gas als Energieträger aus Zuckerrüben statt Erdgas – haben keinen belegten materiell besseren Nutzen, sie haben jedoch andere, subjektiv zugeschriebene Werte: den emotionalen Wert der Verbundenheit mit der Natur oder den rationalen Wert der Erhaltung der Umwelt und des Verzichts auf umweltschädliche Formen der Energiegewinnung. Diese Werte begründen den höheren Preis, den das Produkt gegenüber konventionellen Energieträgern ausweist. Es wird hier also nicht das Produkt an sich gehandelt, sondern eine Überzeugung und eine Identifikation mit einer Gruppe und ihren Idealen. Diese Kaufhandlung und die Überzeugung verbinden die Gruppe der Kundinnen und Kunden miteinander, die zu Beginn einer eingeschworenen kleinen Subkultur zuzurechnen war und heute breitere Schichten der Gesellschaft durchdringt. Verfolgt man diese Wege einer Subkultur und ihrer Ideen, Überzeugungen und Werte über das Instrument des Marktes, zeigt sich die Anschlussfähigkeit der Idee selbst genauso wie die Maßnahmen, die für ihre Durchsetzung ergriffen werden müssen. Es kann nachvollzogen werden, wie der Handel einer Idee zu einer Breitenwirkung innerhalb der Gesellschaft verhelfen kann und wie formelle und informelle Institutionen Einfluss auf dieses Marktgeschehen haben (Politik, Gesetze, Wirtschaftskrisen, Subventionen, gesellschaftliche Werte, etc.). Die Verflechtung von den Feldern „Kultur“ und „Markt“, die grundsätzlich verschiedenen Logiken folgen („Markt“ der rational choise und „Kultur“ der des Gedächtnis eines sich in Kommunikation selbsterhaltenden Systems), in einem „Kulturmarkt“-Konzept kann somit andere als ökonomische Werte, Ideen und Praktiken erfragen und bietet ein Analysewerkzeug für Forschungsgegenstände, die nicht allein einem Feld zuzurechnen sind. So lässt sich kritisch hinterfragen, wie Moral, Kultur, Kunst und Markt miteinander verflochten sind und welche Intentionen der Akteurinnen und Akteure überwiegen: Gewinnmaximierung, Überzeugung oder Überredung, Erziehung, Identitätsbildung und Weiteres.
8
Vgl. Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten.
Abbildungs- und Bildnachweise
Abbildung 1: Schematische Darstellung: Der bündische Kulturmarkt, eigene Darstellung. Abbildung 2: Tagung des Freideutschen Bundes auf dem Hohen Meißner, 30. August–2. September 1923, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/112/23. Abbildung 3: Gaufahrt des Kronacher Bundes nach Potsdam, 1926, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/ 208/06. Abbildung 4: Gautag des Wandervogels Nordthuringgau auf dem Arnstein, Fotograf Julius Groß, 12.–13. Juli 1919, AdJb F 1/52/11. Abbildung 5: Holzschnitt Nr. 11 „wie ein Ritter / trotz Tod und Teufel / beharrlich seines Weges zieht“, in: Zacharias, Alfred: Tod und Teufel. Sechzehn Holzschnitte. Regensburg 1922. Abbildung 6: Briefkopf des Verlagsvertrags zwischen dem Habbel und Naumann Verlag und Gustav Naumann vom 19. August 1923, Voggenreiter Archiv, Ordner 6. Abbildung 7: Links: Titelseite. Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 1, Regensburg 1919, UB HD DJ 254; Rechts: Titelseite. Der Weiße Ritter, Jg. 5 (1924/25), Heft 1, Berlin 1924, UB HD DJ 254. Abbildung 8: Links: Titelseite. Deutsche Freischar, Jg. 1 (1928), Heft 1, Potsdam 1928, UB HD N 5231-0-10; Rechts: Titelseite. Deutsche Freischar, Jg. 4 (1931/32), Heft 1, Potsdam 1931, UB HD N 5231-0-10. Abbildung 9: Titelseite. Die Spur in ein deutsches Jugendland, Jg. 1 (1922/23), Heft 4, Berlin 1922, UB HD DJ 609. Abbildung 10: Darstellungen entnommen aus: Voggenreiter, Ludwig / Kurka, Walter: Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930, Potsdam 1930, S. 154. Abbildung 11: Ganzseitige Werbeanzeige, Umschlagseite innen vorne. Der Weiße Ritter, Jg. 2 (1919/20), Heft 3, Regensburg 1919, UB HD DJ 254. Abbildung 12: Ganzseitige Werbeanzeige aus dem Anzeigenteil. Der Weiße Ritter, Jg. 3 (1920/21), Heft 4, Regensburg 1921, UB HD DJ 254. Abbildung 13: Links: Verlagssignet entnommen aus: Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920, UB HD DJ 971; Rechts: Verlagssignet entnommen aus: Jöde, Fritz (Hrsg.): Der Kreis. Monatsblätter für Musikpflege, Zehnter Jahresband, Wolfenbüttel 1933, UB HD G 616 16. Abbildung 14: Gemälde Hermann Heides „Morgenfeier auf der Waldwiese in Finkenstein“, 132 × 110 cm, Öl auf Leinwand, AdJb Kb 1/11.
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Abbildungs- und Bildnachweise
Abbildung 15: Links: Verlagssignet entnommen aus: Die Singgemeinde, Jg. 1 (1924/25), Heft 1, Augsburg 1924, MuWi HD B 193 a rem; Mitte: Verlagssignet entnommen aus: Epping, Heino (Hrsg.): Die Singgemeinde. Erster Jahrgang 1924/25, Augsburg 1925, MuWi HD B 193 a rem; Rechts: Verlagssignet entnommen aus: Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde. Vierter Jahrgang 1927/28, Kassel 1928, MuWi HD B 193 a rem. Abbildung 16: Singtreffen der Berliner Jugend im Volkspark Jungfernheide in Berlin (Leitung: Fritz Jöde), 1929, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/379/96. Abbildung 17: Titelseite. Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik, Jg. 4 (1920/21), Heft 1–2, Wolfenbüttel 1920, UB HD DJ 971. Abbildung 18: Links: Titelseite. Jöde, Fritz (Hrsg.): Die Musikantengilde. Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend. Erster Jahrgang, Wolfenbüttel 1923, MuWi HD B 193 rem; Rechts: Titelseite. Die Musikantengilde. Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk, Jg. 4 (1925/26), Heft 2, Wolfenbüttel 1926, MuWi HD B 193 rem. Abbildung 19: 2. Thüringer Singwoche Walther Hensels in den Saalhäusern bei Kösen, 3.–12. Oktober 1925, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/135/18. Abbildung 20: Erste Seite. Das junge Volk. Grenzlandblatt deutscher Jugend, Jg. 5 (1924), Heft 3, Plauen im Vogtland 1924, AdJb Z 100 1769. Abbildung 21: Titelseite. Das Junge Volk, Jg. 6 (1924/25), Heft 12, Plauen im Vogtland 1925, AdJb Z 100 1769. Abbildung 22: Titelseite. Das junge Volk, Jg. 8 (1926/27), Heft 5/6, Plauen im Vogtland 1927, AdJb Z 100 1769. Abbildung 23: Titelseite. Das junge Volk, Jg. 9 (1927/28), Heft 2, Plauen im Vogtland 1927, AdJb Z 100 1769. Abbildung 24: Warenliste 18 des Dürerhauses in Plauen im Vogtland, Mai 1927, AdJb Z 100 1769. Abbildung 25:Links: Titelblatt. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934, UB HD DJ 932; Rechts: Rückseitige Umschlagseite innen. Der Eisbrecher, Heft 16, Plauen im Vogtland 1934, UB HD DJ 932. Abbildung 26: 2. Thüringer Singwoche Walther Hensels in den Saalhäusern bei Kösen, 3.–12. Oktober 1925, Fotograf Julius Groß, AdJb F 1/135/15. Abbildung 27: Titelseite. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 3 (1925/26), Heft 2, Augsburg 1925, Archiv des Bärenreiter Verlags Kassel. Abbildung 28: Titelseite. Die Finkensteiner Blätter, Jg. 3 (1925/26), Heft 7–9, Kassel 1926, Archiv des Bärenreiter Verlags Kassel. Abbildung 29: Links: Titelseite. Eppinger, Heino (Hrsg.): 1924/25 Erster Jahrgang. Die Singgemeinde, Augsburg 1925, MuWi HD B 193 a rem; Rechts: Titelseite. Ameln, Konrad (Hrsg.): Die Singgemeinde. Fünfter Jahrgang 1928/29, Kassel 1929, MuWi HD B 193 a rem. Abbildung 30: 2. ‚Lobeda-Woche‘ der Musikantengilde in Jena (Leitung: Fritz Jöde), 1925, Julius Groß, AdJb F 1/153/09. Abbildung 31: Begrüßung des Staatsministers Dr. Carl Heinrich Becker durch Georg Götsch (v. l. n. r.) im Bundesarbeitslager Hermannsburg, 1927, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/118/1. Abbildung 32: Blick in die gefüllte Aula bei der Eröffnung des Musikheims, 1929, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/352/1. Abbildung 33: Dr. Kestenberg vom Ministerium und Prof. Dr. Moser von der Hochschule während des Besuchs beim 5. staatlichen Lehrgang, 1931, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/345/2. Abbildung 34: Tanzaufführung während eines Besuchs der Günther-Schule München, 1931, unbekannter Fotograf, AdJb N 62/343.
Abbildungs- und Bildnachweise
cc by sa Franziska Meier: Abb. 1. © Archiv der deutschen Jugendbewegung, Witzenhausen: Abb. 2, 3, 4, 16, 19, 26, 30. © Bärenreiter Verlag Kassel: Abb. 15, 27, 28, 29. © Voggenreiter Verlag, Wachtberg: Abb. 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12. © Erben Alfred Zacharias: Abb. 5.
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:
Beispielrechnung der Buchfinanzierung zu Leopold Zimmermanns „Bilder-Spiele und Denksport-Aufgaben“, 1930 erschienen im Ludwig Voggenreiter Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Einzelheftpreise und Umfänge der Zeitschriften nach dem Ende der Hyperinflation 1924 und 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlüsselzahlen des deutschen Buchhandels wie sie in „Der Zwiespruch“ angegeben wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich des Abonnements „Die Singgemeinde“ 1924 und 1930 . . . . . . . . . . .
176 244 246 250
Quellen- und Literaturverzeichnis
1.
Archivalien AdJb, Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen
A A 152 a A 228 A 169
Akten der Bünde Bund deutscher Neupfadfinder Archiv der Jugendmusikbewegung (AdJMB) Pfadfinder/Verschiedenes
F F 1
Fotografien Fotograf Julius Groß
N N 44 N 62 N 121
Nachlässe Rolf Gardiner Georg Götsch Carl August Ludwig Freiherr von Seckendorff
P 1 P1 1333 P1 1421 P1 1422 P1 1430
Personenmappen John Hargrave Karl Vötterle Martin Voelkel Günther Wolff
Z 100 Z 100 1769
Zeitschriften bis 1945 Warenliste 18 des Dürerhauses in Plauen im Vogtland, Mai 1927
BArch, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde
R 9361 V
Sammlung Berlin Document Center (BDC): Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer (RKK) R 9361 V 23488 Sachakte Fritz Jöde R 9361 V 23489 Sachakte Fritz Jöde
302
Quellen- und Literaturverzeichnis
Archiv des Bärenreiter Verlags Kassel-Wilhelmshöhe
Klein, Hans (Hrsg.): Die Finkensteiner Singwoche. Im Namen und Auftrag aller Teilnehmer, Augsburg 1924. 612 (1923/24) Inhaltsverzeichnis zum abgeschlossenen ersten Jahrgang der Finkensteiner Blätter 1923/24, Augsburg 1924. 15 (1924)
UdK-Archiv, Archiv der Universität der Künste Berlin Charlottenburg
Bestand 1 1 60 Bestand 2 2 10 2 220 2 543
Akademische Hochschule für Musik Georg Götsch Institut für Kirchenmusik / Akademie für Kirchen- und Schulmusik Musikheim in Frankfurt a. O. 9. Staatlicher Lehrgang für Volks- und Jugendmusikpflege 1933/34 Jugendmusikschule des Seminars für Volks- und Jugendmusikpflege (Generalia)
VRA, Voggenreiter Verlagsarchiv (privat) Wachtberg
(Ordner-Nummerierung in Absprache mit der Geschäftsführung erstellt, vorherige Titel der Ordner übernommen; ein Findbuch liegt im Verlag aus; Darüber hinaus befinden sich viele gedruckte Verlagswerke vor Ort, die jedoch ebenfalls keine Ordnung haben.) Ordner 1 Ordner 3 Ordner 5 Ordner 6 Ordner 7 Ordner 10 Ordner 15 Ordner 16 Ordner 18
Ordner 32 Karton 52 [o. A.]
„60J. VV Geschichte d. dtsch. Jugendbewegung 1933 bis 1946“ „Diverses 1919–1945 Schriftverkehr OKW (Oberkommando der Wehrmacht)“ „Verlags-Geschichte mit Internen / Heinrich Voggenreiter, chronologisch (aber noch nicht vollständig) erarbeitet“ „Verträge ‚Der Weiße Ritter‘ ‚Ludwig Voggenreiter Verlag‘“ „Wertvolle Briefe und Handschriften“ „Kataloge“ „Mskrpte alt“ „MS-kripte alter Verlag“ „Korrespondenzen mit anderen Verlegern; Leopold Zimmermann ‚Unser Weg – Blatt f. Österr. Jugend‘ 1930; Franz Ludwig Habbel ‚Viking Verlag GmbH‘ + Aufsatz v. F. L. Habbel ca. 1962; Möseler-Verlag / Vog. Verlag – Voggenreiter / Möseler-Verlag 1958–1970; 20th Century Fox betr. GEMA ‚graue Kolonnen‘ 1950/51; Diverse Korrespondenzen auch m. Autoren; L. V. % Welsch/Paetel (rechtl. Vorgang) 1936“ „1933/34/35 Luserke 159“ [ohne Titel] Privates (Almut Voggenreiter)
Zeitschriften aus dem Untersuchungszeitraum
2.
Zeitschriften aus dem Untersuchungszeitraum
Das junge Volk. (verschiedene Untertitel: Grenzlandzeitung der deutschen Jugend / Zeitschrift des jungen Deutschlands. Grenzlandblatt deutscher Jugend / Nachrichtenblatt der bündischen Jugend Deutschlands / Bündische Zeitung / Eine Monatsschrift), Jg. 3, 5–16 (1922, 1924/25–1935), Das junge Volk Verlag (Günther Wolff Verlag) Plauen im Vogtland. – Hefte: Jg. 3, Heft 7, Jg. 6, Heft 2–3, 4–12, Jg. 7–9, Standort: Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen, Z 100 1769. – Hefte: Jg. 5 (1924); Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 923. – Hefte: Jg. 10, Heft 2–12, Jg. 11–13, Jg. 14, Heft 1–10; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, N 5231-0-15. – Hefte: Jg. 14–16; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, N 5231-0-15 Folio. Der Aufbau: eine Führerzeitung, Jg. 1 (1918/19), Hefte 3/4–9/12, Selbstverlag des Bayerischen Wehrkraftvereins München; Standort: Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen, Z 100 1058. Der Eisbrecher, Hefte 14–17 (1933/34), Günther Wolff Verlag Plauen im Vogtland, herausgegeben von Eberhard Koebel / Günther Wolff; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 932. Der Kreis. Monatsblätter für Musikpflege, gebundene Jg. 10–11 (1932/33–1933), Georg Kallmeyer Verlag, Wolfenbüttel/Berlin; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, G 616 16. Der Pfadfinder. Jugendzeitschrift des Deutschen Pfadfinderbundes, Jg. 8–10 (1919–1921), Verlag Otto Spamer Leipzig (Jg. 8) / Der Weiße Ritter Verlag Regensburg (Jg. 9) / Verlag des deutschen Pfadfinderbundes Bamberg (Jg. 10). – Jahresbände: Jg. 9–11; Standort: Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen, Z 100 2168 Der Weiße Ritter. Einer Führerzeitung zweites [usw.] Jahr; Jg. 2–7 (1919/20–1927), Der Weiße Ritter Verlag (Ludwig Voggenreiter Verlag) Regensburg (Berlin, Potsdam). – Hefte: Jg. 1, Heft 1, 5, 7, 11/12; Jg. 3, Heft 2–4, 6; Jg. 5, Heft 1, 4–6; Jg. 7, Heft 1/2–5/9; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 254. – Jahresbände: Jg. 4, 6; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 254. – Sonderheft: Schloss Prunn. Der deutsche Pfadfindertag von 1919. Die österreichische Führeraussprache in Neulengbach, zu Jg. 2 (1919); Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 1104. – Sonderheft: Ostland, zu Jg. 4 (1922); Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ Kapsel 9,9. Der Zwiespruch. Rundbrief des Feldwandervogels, Jg. 1 (1917/18), Hefte 4, 8–22, Selbstverlag Darmstadt; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 601. Der Zwiespruch. Unabhängige Zeitung für die Wanderbünde. Nachrichtenblatt der Wandervogel Ämter und Anzeiger unseres wirtschaftlichen Lebens, Jg. 5 (1923), Hefte 47, 48, Jg. 11 (1929), Heft 22, Zwiespruch-Verlag Hartenstein in Sachsen; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 631. Der Zwiestrolch. Schrift jugendlicher Offenbarung, gebundener Jg. 3 (1920), Der Weiße Ritter Verlag Regensburg; Standort: Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen, Z 100 2690. Deutsche Freischar: Rundbrief der Bundesführung, gebundene Jg. 1–5 (1928/29–1932/33), Ludwig Voggenreiter Verlag Potsdam; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, N 5231-0-10. Die Finkensteiner Blätter. Ein lebendiges Liederbuch in monatlicher Folge für Jugend und Volk, Jg. 1–10 (1923/24–1932/33), Bärenreiter Verlag Augsburg (Kassel). – Hefte: Jg. 1, Heft 1–2, 7–8, 11–12; Jg. 2, Heft 1, 6, 8–12; Jg. 3, Heft 1–2, 5–6, 10, 12; Jg. 4, Heft 1–2, 5/6, 9/10–11/12; Jg. 5, Heft 1/2, 9/10–11/12; Jg. 6, Heft 1/2, 5/6–7/8, 11/12; Jg. 7, Heft 3/4, 7/8, 11/12,
303
304
Quellen- und Literaturverzeichnis
Jg. 8, Heft 5/6; Jg. 9, Heft 1/2; Jg. 10, Heft 1/2, 9/10; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 569. – Hefte: Jg. 1, Heft 3–4; Standort: Archiv des Bärenreiter Verlages. – Gesammelte Einzelhefte inklusive Inhaltsverzeichnis in Javamappe ohne Schutzumschläge: Jg. 2; Standort: Musikwissenschaftliches Seminar Heidelberg, F 180 m. – Jahresbände: Jg. 5, 9; Standort: Archiv des Bärenreiter Verlages Kassel. Die Laute. Monatsschrift zur Pflege des deutschen Liedes und guter Hausmusik, Jg. 1–5 (1917/18– 1921/22), Julius Zwißler Verlag Wolfenbüttel. – Hefte: Jg. 1–2; Standort: Archiv der deutschen Jugendbewegung, Z 100 1926. – Jahresbände: Jg. 3; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 971. – Hefte: Jg. 4, Jg. 5, Hefte 2–8; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 971. Die Musikantengilde. Blätter der Erneuerung aus dem Geiste der Jugend (Die Musikantengilde. Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk), Jg. 1–5 (1922/23–1927), Julius Zwißler Verlag (Georg Kallmeyer Verlag) Wolfenbüttel. – Jahresbände: Jg. 1–3; Standort: Musikwissenschaftliches Seminar Heidelberg, B 193 rem. – Hefte: Jg. 4, Heft 2, 4–6, 8; Jg. 5, Heft 1–2, 4–6/7; Standort: Musikwissenschaftliches Seminar Heidelberg, B 193 rem. Die Singgemeinde, Jg. 1–9 (1924/25–1932/33), Bärenreiter Verlag Augsburg (Kassel). – Jahresbände: Jg. 1–9; Standort: Musikwissenschaftliches Seminar Heidelberg, B 193 a rem. – Hefte: Jg. 1, Heft 1; Jg. 7, Heft 1; Jg. 8, Heft 2, 5; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 547. Die Singstunde. Gebundene Ausgabe der ersten sieben Jahre, Nr. 1–84 (1928–1935), Georg Kallmeyer Verlag Wolfenbüttel/Berlin; Standort: Musikwissenschaftliches Seminar Heidelberg, F 161. Die Spur in ein deutsches Jugendland, gebundene Jg. 1–4 (1922/23–1925/26), Der Weiße Ritter Verlag Regensburg (Berlin, Potsdam); Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 609. Die Spur. Jungenzeitschrift des Bundes der Wandervögel und Pfadfinder, gebundene Jg. 5, 7 (1926/27, 1928), Der Weiße Ritter Verlag Regensburg (Berlin, Potsdam); Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 610. Musik und Gesellschaft. Arbeitsblätter für soziale Musikpflege und Musikpolitik, gebundener Jg. 1 (1930/31), Georg Kallmeyer Verlag Wolfenbüttel/Berlin & B. Schott’s Söhne Verlag Mainz/Leipzig; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, G 616 15. Musik und Volk, gebundener Jg. 1 (1933/34), Georg Kallmeyer Verlag Wolfenbüttel/Berlin & Bärenreiter Verlag Kassel; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, G 616 16. Spur. Zeitschrift des deutschen Jungen, Hefte 1–3, 5–24, 36–37, 41 (1932–1933), Ludwig Voggenreiter Verlag Potsdam; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, DJ 926.
3.
Gedruckte Quellen
Ahlborn, Knud: Die Freideutsche Jugendbewegung, 172. Flugschrift des Dürerbundes, München 1917. anonym: Der Bayerische Wehrkraftverein, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 50–51. anonym: Der Deutsche Pfadfinderbund, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 51–53.
Gedruckte Quellen
Arnim, Achim von / Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, Heidelberg 1806–08. Bayer, Maximilian: Die Helden der Naukluft, 3. Auflage, Potsdam 1931. Breuer, Hans: Zupfgeigenhansl, 7. Auflage, Leipzig 1912. Bund der Reichspfadfinder (Hrsg.): Allzeit bereit. Ausbildungshefte für Pfadfinder, Plauen im Vogtland 1930–1935. Cohen, Max: Der Aufbau. Bund deutscher Gelehrter und Künstler, Berlin 1919. Cohen, Max: Der Aufbau Deutschlands und der Rätegedanke. Generalsekretariat zum Studium des Bolschewismus, Berlin 1919. d. j.1.11: Lieder der Eisbrechermannschaft, Plauen im Vogtland 1933. Engelhardt, Emil (Hrsg.): Der Kronacher Bund, Hamburg (Selbstverlag) 1922. Gerwig, Max / Gerber, Max (Hrsg.): Der Aufbau – Sozialistische Wochenzeitung, Zürich 1919. Gollhardt, Walter / Amft, Georg / Schulz, Walter (Hrsg.): St. Georg. Liederbuch deutscher Jugend, 2. Auflage, Plauen im Vogtland 1935. Gollhardt, Walter (Hrsg.): St. Georg. Liederbuch deutscher Jugend. Erster Teil: Lieder der Reiterbuben, Plauen im Vogtland 1929. Götsch, Georg: Der Jungfernkranz. Meine liebsten Volkslieder zu Laute und Geige, Wolfenbüttel 1925. Götsch, Georg: Aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines Jugendchores. Jahresbericht 1925 der Märkischen Spielgemeinde, Wolfenbüttel 1926. Götsch, Georg: Die deutsche Jugendbewegung als Volksgewissen. Ihr Weg, ihr Wesen und ihre Aufgabe, Wolfenbüttel 1928. Habbel, Franz Ludwig: Die Weltpfadfinderbewegung, Regensburg 1921. Hargrave, John: Das Wigwambuch, Regensburg 1921. Hensel, Walther: Strampedemi, 2. Auflage, Kassel 1931. Herder, Johann Gottfried von / Müller, Johannes von: Stimmen der Völker in Liedern, Tübingen 1807. Jöde, Fritz: Der Musikant. 6. Heft: Ein- oder mehrstimmige Gesänge mit und ohne Instrumentalbegleitung von Johann Sebastian Bach, Wolfenbüttel 1922. Jöde, Fritz: Elementarlehre der Musik. Gegeben als Anweisung im Notensingen. 1. Teil, Wolfenbüttel 1927. Jöde, Fritz: Jugendbewegung oder Jugendpflege? Hamburg 1917. Jöde, Fritz: Weltliche Lieder und Gesänge für gleiche Stimmen, Wolfenbüttel/Berlin 1930. Kallmeyer, Georg: 25 Jahre deutscher Verlagsbuchhändler. Ein Rückblick von Georg Kallmeyer, Wolfenbüttel/Berlin 1938. Kestenberg, Leo: Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921. Mahraun, Artur: Das Jungdeutsche Manifest. Volk gegen Kraft und Geld. Sicherung des Friedens durch Neubau der Staaten, Berlin 1927. Maschke, Erich (Hrsg.): Sachsen-Märchen aus Siebenbürgen, Potsdam 1925. Mennicke, Carl: Der Buchhandel in der geistigen Lage der Gegenwart, Potsdam 1928. Price, Lucien: Unsterbliche Jugend. Blätter vom schöpferischen Willen. Ein Gedenkbuch für Fred A. Demmler, Deutsch von Karl Rauch, Regensburg 1921. (Exemplar mit Werbeeinlage für Naumanns Otto der Ausreißer, UB HD DJ 688). Schmalenbach, Herman: Die soziologische Kategorie des Bundes, in: Strich, Walter (Hrsg.): Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften. Band 1, München 1922, S. 35–105.
305
306
Quellen- und Literaturverzeichnis
Schomburg, Emil Heinrich: Der Wandervogel, in: Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918, S. 385–391. Siemering, Hertha (Hrsg.): Die deutschen Jugendpflegeverbände. Ihre Ziele, Geschichte und Organisation; ein Handbuch, Berlin 1918. Troß, Erich: Die Tagung auf dem Hohen Meißner 1923. Ein Sieg der Jugend, Frankfurt am Main 1923. Trucht: Lieder der Trucht, Plauen im Vogtland 1933. Voggenreiter, Ludwig / Kurka, Walter: Arbeitsbericht des Verlages Ludwig Voggenreiter (Der Weiße Ritter Verlag) über die Verlagsarbeit der Jahre 1919–1930, Potsdam 1930. Weidner, Johannes: Knigge für Lausbuben und solche, die es nicht merken, daß sie welche sind, auch sonst vielleicht ganz anregend, Plauen im Vogtland 1929. Zacharias, Alfred: Tod und Teufel. Sechzehn Holzschnitte, Regensburg 1922. Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (Hrsg.): Musik und Schule, Leipzig 1922. Zimmer, Norbert: Die deutschen Siedlungen in der Bukowina, Plauen im Vogtland 1930.
4.
Selbsthistorisierende Literatur nach 1945
Bitterhof, Erich: Das Musikheim Frankfurt, Oder. 1929–1941; Beiträge der Jugendbewegung zur preußischen Kulturpolitik Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, Witzenhausen 1980. Brandenburg, Hans-Christian / Daur, Rudolf: Die Brücke zu Köngen. Fünfzig Jahre Bund der Köngener, Stuttgart 1970. Gofferje, Karl: 1921 – erste Begegnung mit Fritz Jöde – und wie es dazu kam, in: Junge Musik, Jg. 8 (1957), Heft 5, Wolfenbüttel 1957, S. 173–175. Heimeran, Ernst: Vom Schreiben, Lesen, Büchermachen, München 1983. Helwig, Werner: Die Blaue Blume des Wandervogels. Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung, Gütersloh 1960. Jantzen, Hinrich (Hrsg.): Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 1–4, Frankfurt am Main 1972–1977. Eintrag „Georg Götsch“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 1, Frankfurt am Main 1972, S. 99–106. Eintrag „Hermann Hoffmann“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 2, Frankfurt am Main 1974, S. 171–174. Eintrag „Fritz Jöde“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 2, Frankfurt am Main 1974, S. 181–188. Eintrag „Ernst Buske“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 3, Frankfurt am Main 1975, S. 55–64. Eintrag „Karl Fischer“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 3, Frankfurt am Main 1975, S. 99–106. Eintrag „Helmut Kittel“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 179–188. Eintrag „Karl Seidelmann“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 243–252. Eintrag „Karl Sonntag“, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 259–264.
Forschungsliteratur
Eintrag „Günther Wolff “, in: Jantzen, Hinrich: Namen und Werke. Biographien und Beiträge zur Soziologie der Jugendbewegung, Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 321–328. Kindt, Werner: Dokumentation der Jugendbewegung, Düsseldorf/Köln 1963–1974. Scholz, Wilhelm / Schumann, Heinrich / Just, Herbert: Die deutsche Jugendmusikbewegung in Dokumenten ihrer Zeit von den Anfängen bis 1933, Wolfenbüttel 1980. Seidelmann, Karl: Die Pfadfinder in der deutschen Jugendgeschichte. Darstellung, Hannover/ Dortmund/Darmstadt/Berlin 1977. Vötterle, Karl: Haus unterm Stern. Über Entstehen, Zerstörung und Wiederaufbau des Bärenreiter-Werkes, 4. Auflage, Kassel 1969.
5.
Forschungsliteratur
Adorno, Theodor W.: Die Kritik des Musikanten, in: Adorno, Theodor W.: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, 7. Auflage, Göttingen 1991, S. 62–101. Ahrens, Rüdiger: Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918–1933, Göttingen 2015. Allmer, Gottfried / Böcker, Jan / Lemme, Marco / Lipski, Thomas / Luchterhandt, Gerhard / Mohrs, Rainer / Reißig, Stefan: Orgelbewegung und Spätromantik. Orgelmusik zwischen den Weltkriegen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bonn 2016. Baecker, Dirk: Das Handwerk des Unternehmers, in: Baecker, Dirk (Hrsg.): Organisation als System. Aufsätze, 4. Auflage, Frankfurt am Main 2012, S. 330–376. Baecker, Dirk: Wozu Kultur? Berlin 2012. Baier, Christof / Berger, Julia: Frankfurt an der Oder. Das Musikheim von Otto Bartning und die Pädagogische Akademie von Hans Petersen. Zwei Architektonische Zeugnisse der Bildungsreform der Weimarer Republik, in: Brandenburgische Denkmalpflege, Jg. 13 (2004), Heft 1, S. 17–35. Baum, Richard / Rehm, Wolfgang (Hrsg.): Musik und Verlag. Karl Vötterle zum 65. Geburtstag am 12. April 1968, Kassel 1968. Beer, Axel: 5.2.4 Musikverlage, in: Fischer, Ernst / Füssel, Stephan (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007, S. 509–528. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Benjamin, Walter: Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, 18. Auflage, Frankfurt a. M. 2018, S. 136– 169. Beyreuther, Rainer: Die Situation der deutschen Kirchenmusik um 1933 zwischen Singbewegung und Musikwissenschaft, in: Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 67 (2010), Heft 1, S. 1–35. Biermann, Matthias: „Das Wort sie sollen lassen stahn …“. Das Kirchenlied im „Kirchenkampf “ der evangelischen Kirche 1933–1945, Göttingen 2011. Bonte, Achim: Ein Strohfeuer mit Langzeitwirkung. Die Sammlung „Deutsche Jugendbewegung“ in der Universitätsbibliothek Heidelberg, in: Theke. Informationsblatt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bibliothekssystem der Universität Heidelberg (2005), S. 12–17. Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198. Bourdieu, Pierre / Schultheis, Franz / Beister, Hella (Hrsg.): Schriften – Band 12.1: Kunst und Kultur. Zur Ökonomie symbolischer Güter. Schriften zur Kultursoziologie 4, Konstanz 2011.
307
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Register
Orte A
Akademie für Kirchen- und Schulmusik 18, 20, 50, 52, 208, 258, 261–265, 271–275, 284, 293 B
Burg Ludwigstein 60, 130 Burg Waldeck 26, 267 (Anm. 35) F
Fichtelgebirge 97, 216, 255 H
Haubinda 148, 283 Hochschule für Musik Berlin 20, 24, 270, 273 f., 277, 281, 284, 293
Musikheim Finkenkrug 264 f. Musikheim Frankfurt an der Oder 18, 20, 189, 214, 261, 271–276, 278–283, 293 N
Naumburg 94 (Anm. 23), 95, 121 P
Prunn / Schloss Prunn / Prunner Gelöbnis 91, 93–95, 103, 160, 164, 169 R
Rhön 98, 100, 262 S
Schule am Meer 148 f., 273
J
V
Jamboree 16, 100
Volkspark Jungfernheide 204 f. Volksmusikheim Stuttgart 236
L
Langemarck / Langemarck-Feier 98 f., 101, 126, 224 Lobeda / Schloss Lobeda 68, 213, 266, 269
W
M
Z
Hoher Meißner, Meißnertreffen, Meißnertag 25, 60 f., 94 f., 97 f.
Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht 149, 258, 262, 280
Wartburg 67, 96 f., 267 Wickersdorf 148 f.
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Register
Personen A
Achmann, Joseph 107 (Anm. 68), 153 Adorno, Theodor 23, 27 (Anm. 58), 30 (Anm. 62), 34 f. Ahlborn, Knud 60, 94 (Anm. 23) Alewyn, Richard 103 Alverdes, Paul 135 f., 142–144, 168, 181 Ameln, Konrad 198, 230, 237, 241, 267 Arnim, Achim v. 64
Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 108, 135 Drabsch, Gerhard 116, 135 Dürer, Albrecht 106 E
Ehmann, Wilhelm 23 Eppinger, Heino 237, 245 Erpf, Hermann 242 Erzberger, Matthias 216
B
F
Bach, Johann Sebastian 206, 208, 210, 214 Baden-Powell, Robert 15, 134, 151 Bagel, Ernst 130 Baker, Olaf 109 Bartning, Otto 272 Baschwitz, Georg 15, 120 Baum, Richard 198 Bayer, Maximilian 15, 54–56, 150–152, 289 Becker, Carl Heinrich 258, 270–273, 276, 284 Benjamin, Walter 27 (Anm. 58), 39 (Anm. 90) Binding, Rudolf 135, 278 Birckenbach, Otto 123 Blüher, Hans 135, 137–141, 143 f., 162, 181–182 Blume, Friedrich 189, 198 Boeckh, Joachim 98 Boelitz, Otto 258 Borries, Klaus 275, 279, 282 Böttcher, Hans 202 Brentano, Clemens 64 Breuer, Hans 64 f., 194 Britting, Georg 153 Bruger, Hans-Dagobert 207, 209 Buske, Ernst 101, 118, 267 f.
Fabricius, Wilhelm 150–152 Fischer, Karl 13 Fritzsche, Hans 94, 128 Füchsel, Konrad 145 Fulda, Friedrich Wilhelm 137
C
Cooper, James Fenimore 143 D
Dähnhardt, Heinz 191 de Lagarde, Paul 237 Dehmel, Hans 101 Demmler, Fred A. 107 Diederichs, Eugen 25, 98 f., 138, 198 (Anm. 49) Dinter, Arthur 166
G
Gardiner, Rolf 125 f., 277–280 Gneist, Werner 230 Göbel, Ferdinand 60 Goetze, Hildegard 198 f. Gofferje, Karl 18, 189, 207, 275, 282 Gollhardt, Walter 66 f., 71, 221 Gölz, Richard 231 Götsch, Georg 18, 20, 41, 68, 126, 189, 207, 263, 265–273, 275–282, 284, 293 Graßmann, Günther 153 Gropius, Walter 272 Groß, Julius 60, 62, 65, 204, 212 f., 229 f. Günther, Dorothee 18, 280 H
Habbel, Franz Ludwig 18, 90–96, 100–106, 108–111, 113–117, 119–126, 128, 134, 137 f., 153, 157–162, 164, 166, 181 f., 191 f., 197, 201, 215, 217, 255, 267, 287–289, 292 Habbel, Josef (jun.) 90 Habbel, Josef (sen.) 90 Habbel, Martin 90, 116 Hahn, Gertraut 197 Hahn, Hilde 200 Hallerstede, Ulrich 135, 156 Halm, August 206, 240 Happ, Alfred 135, 143, 181
Personen
Hargrave, John 123–126, 277 f. Haverbeck, Werner 241, 283 Heide, Hermann 195, 198 Heidkamp, Karl 25, 184 Heimeran, Ernst 119, 120 (Anm. 106), 164 Held, Heinrich 90, 116 Hensel, Olga 18, 194 f., 212 f., 230, 236 f., 241, 255 Hensel, Walther 18, 23, 58, 67, 69, 194 f., 198, 210, 212 f., 226–231, 233–239, 241, 248 f., 251, 255, 257, 264, 289, 291 Herder, Johann Gottfried 64, 83 Heß, Rudolf 241 Hindenburg, Paul v. 169, 191 f. Höckner, Hilmar 20, 189, 207, 210 f., 262 Hoffmann, Hans 242 Hoffmann, Hermann 13 Hopfmüller, Wilhelm 231, 242 Horkheimer, Max 30 (Anm. 62), 34 Hürlimann, Martin 132
Kohler, Josef 83 Krauss, Friedrich 166 Krekich, Nini 135 Kreppel, Friedel 98 Kröner, Adolf 79 Kummerow, Hansheinrich 269 Kurbjuhn, Eduard 199 Kurka, Walter 263
J
Mahraun, Artur 102 Maschke, Erich 116, 135, 173 Matthes, Erich 166 Matthießen, Wilhelm 135, 170–172, Meier-Menzel, Eduard 275, 282 f. Meinke, Hanns 135 f., 141 f. Mennicke, Carl 163, 184–186 Möller, Richard 206 Möseler, Karl-Heinz 22, 189, 262 Moser, Hans Joachim 251, 275 f., 281–283 Mothes, Kurt 118 Moy, Maximilian Graf v. 91 f. Müller, Karl Alexander 241 Müller-Blattau, Josef 189, 198
Janiczek, Julius siehe Hensel, Walther Jaroff, Serge 67 Jöde, Fritz 14, 18, 20, 23, 26, 50, 67–70, 187, 189, 202–210, 212–214, 227, 229 f., 238 f., 246, 254, 257 f., 261–266, 268, 271, 280, 284, 288 f., 293, 295 Just, Herbert 26, 241 f. K
Kallmeyer, Emil 187 Kallmeyer, Georg 22, 161, 187–190, 201, 203, 207–209, 214, 238, 245, 254, 257, 262 f., 288 f., 293, 295 Kamlah, Wilhelm 23, 242 Kelbetz, Ludwig 279 Kemmer, Ernst 92, 115 Kestenberg, Leo 17, 24, 258–262, 264, 271–273, 276, 280–282, 284 Kindt, Werner 145 Kinne, Hugo 282 Kittel, Helmut 96, 118 f., 145, 279 Klein, Hans 194, 237 Kobelt, Martin 230, 237 Koebel, Eberhard 67 f., 130–132, 135, 177, 193, 224–226
L
Lehmann, Ernst 145 f., 182 Lehmann, Herbert 128, 146, 182 Lietz, Hermann 148 Ligniez, Katharina 242 Linnekogel, Otto 171 f. Lion, Alexander 15, 151 f. Lißner, Hans 137 Luitpold, Prinzregent 90 f. Luserke, Martin 134–136, 148–150, 273, 289 M
N
Nagel-Heyer, Annemarie 263 Naumann, Gustav 107 f., 134, 169 Neuendorff, Gustav Rudolf Edmund 14 Noack, Ludwig 178 O
Opitz, Gottfried 230 Orff, Carl 18, 280 Ottinger, Hanna 179
317
318
Register
P
T
Paetel, Karl Otto 216, 220 Peinen, Bernhard v. 230, 241–243 Pfannenstiel, Ekkehart 20, 189, 209 f., 238, 267 Pfretzschner, Herbert 177 Praetorius, Michael 189, 198 Praxmarer, Konrad 135, 182 Price, Lucien 107, 135 Protte, Alfred 25, 184
Tönnies, Ferdinand 10 f. Trotha, Adolf v. 191 Tscharnetzky, Arthur 104 Twittenhoff, Wilhelm 20, 23, 189
R
Rädlein, Johannes 177 Rathenau, Walther 215 Rauch, Karl 107, 135 Reichenbach, Hermann 207, 209 Reusch, Fritz 20, 189, 209 f., 214 Ries, Hanns 98 Rosenthal-Heinzel, Alfred 12, 230, 242 Roth, Eugen 135, 172 Roth, Fritz 98 Rothe, Carl 177 S
Sachs, Heinrich 198 Schäfer, Heinz 225 Scheer, Reinhard 191 Scheffauer, George 109 Scheidemann, Philipp 216 Scheidler, Bernhard 207 Schieber, Ernst 231 Schirach, Baldur v. 217 Schmalenbach, Herman 11 Schmid, Ernst Fritz 198 Schomburg, Emil Heinrich 13–15, 137 Schulten, Gustav 69 f. Schünemann, Georg 270 f., 280 Seckendorff, Carl Frhr. v. 86, 95, 120–123, 152 Seidelmann, Karl 92, 128 f. Seifert, Adolf 230, 237 Seton, Ernest Thomson 124 Seydewitz, Max v. 191 Sievers, Rudolf 188 Sonntag, Karl 93, 116 Sonntag, Mimi 134 f., 155 Stauda, Johannes 198, 227 Steffen, Jonk siehe Maximilian Bayer Sydow, Kurt 26, 282
V
Voelkel, Martin 94–101, 103 f., 117, 125 f., 128, 135, 150 f., 160, 191, 217, 255, 267, 278, 288 Voggenreiter, Heinrich 22, 57, 66, 80 f., 90, 93, 104, 108, 110, 113, 117 f., 129, 131, 148, 157, 167 f., 173–180, 217, 233, 294 Voggenreiter, Ludwig 18, 22, 25, 57, 89–97, 100–104, 106, 109–113,115–117, 120–126, 128 f., 131, 133 f., 136–143, 145–147, 149–162, 164, 166, 168, 170–183, 192 f., 197, 215, 217, 233, 243, 246, 255, 267, 278, 287 f., 292 f., 295 Voggenreiter, Max 90–93 Volkert, Konrad 161 Vötterle, Karl 18, 52, 184, 187, 194–200, 226– 228, 233 f., 236, 240, 243, 248–251, 253–255, 287–289, 292 W
Weber, Ludwig 238 Weidner, Johannes 221 Welsch, Marie Renée 54–56, 150, 177 Wiecherts, Ernst 133 Wildermann, Hans 161 Woehl, Waldemar 282 Wolfbauer, Georg 178 Wolff, Günther 18, 52, 99, 132, 161, 190–194, 215–217, 220–224, 226, 247, 252, 254 f., 287 f., 291 f., 294 Wolff, Hans 190 f. Wolff, Susanne 190, 192 Wolters, Gottfried 20 Wynecken, Gustav 148 Z
Zacharias, Alfred 105 f., 128, 134 f., 153–156 Zeiß, Maria 200 Zelvenkamp, Artur siehe Hans Blüher Zenk, Hermann 242 Zimmermann, Leopold 80, 131 f., 167, 175 f., 217
Sachen
Sachen (v. a. Verlage, Druckereien)
Folgende Begriffe wurden nicht in das Register aufgenommen, da sie nahezu ausschließlich Inhalt bestimmter Kapitel sind: Verlag Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter Verlag B
J
Bärenreiter Verlag 10, 18 f., 22–24, 52, 73, 186 f., 194, 197–200, 202, 215, 227, 232, 235, 240, 242 f., 245, 250–256, 264, 286 f., 290–294 Bernhard Weise Verlag 137 Böhmerland-Verlag siehe Johannes Stauda Verlag Buchhandlung Reuß 194, 196
Johannes Stauda Verlag 197 f., 227, 251 Julius Zwißler Verlag siehe Georg Kallmeyer Verlag Jungdeutscher Verlag 102, 186
C
Neuwerk-Verlag 252
C. H. Beck’sche Buchdruckerei 168, 196, 237 E
Erich Matthes Verlag 137, 166, 171 Eugen Diederichsen Verlag 25, 98 f., 138, 186 F
Franz Ludwig Habbel Verlag 105, 107 f., 143 Friedrich Hofmeister Verlag 137, 265 G
K
Kampmann und Schnabel Verlag 137–139 N
O
Oldenbourg Verlag 71, 246 (Anm. 173) Oscar Brandstetter Druckerei 237 Otto Gmelin Verlag 152 Otto Spamer Verlag 55, 120, 201 U
Ullstein Verlag 75 Urquell Verlag 186
Gebrüder Paetel Verlag 54–57 Georg Kallmeyer Verlag 10, 18 f., 22 f., 26, 50, 52, 69, 137, 147, 186–190, 198, 201–203, 206, 211 f., 215, 226, 238, 240–242, 246, 251–255, 262–265, 267 f., 286, 288, 294 Grethlein & Co Verlag 109 Günther Wolff Verlag 10, 18 f., 22, 24, 52, 66–68, 99, 131 f., 166, 186 f., 193 f., 202, 221, 224–226, 247, 251, 254–256, 286 f., 290, 294
V
H
Z
Habbel und Naumann Verlag 107–110., 133, 143 (Anm. 167), 173 f., 182 Hieronymus Mühlenberger Buchdruckerei 227, 233
Zupfgeigenhansl 64–66, 194, 231
Verlag B. Schott’s Söhne 202, 214 Verlag Das junge Volk siehe Günther Wolff Verlag Verlag für Sport und Lebensreform siehe Grethlein & Co Verlag Verlag Matthes und Thost Leipzig 166 Verlag Neufeld und Henius (Max Henius) 55 f.
319
Wie wird Kultur gehandelt? Die Hypothese, dass bei einem kulturellen Marktgeschehen mehr als Geldwert gegen Nutzen gehandelt wird, leitet durch diese Untersuchung. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass auf kulturell geprägten Märkten andere Werte im Mittelpunkt stehen, wie etwa Zugehörigkeit, Identität oder Emotion. Wie Kunst, Kultur und Markt miteinander verbunden sind, belegt Franziska Meier am Beispiel der aus der bündischen Jugend zwischen 1918 und 1933 entstehenden und sich konsolidierenden Verlage. Die Jugendkultur der Bün-
ISBN 978-3-515-13304-3
9 783515 133043
dischen mit ihren speziellen Alltagspraktiken verlangte nach bestimmten Produkten. Besonders bedeutsam war dabei die Zeitschrift, aber auch Ratgeber, Handbücher, Abenteuerromane und Liederbücher waren etwa neben der Wanderausrüstung für die bündischen Praktiken notwendige Produkte. Meier fokussiert sich auf die vier Verlage Der Weiße Ritter / Ludwig Voggenreiter, Julius Zwissler / Georg Kallmeyer, Das junge Volk / Günther Wolff und Bärenreiter. Quellenreich zeichnet sie ihren Aufstieg zu veritablen Kulturmarktunternehmen nach und fragt dabei nach Finanzierungsstrategien und finanziellen Hürden.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag